Jenseits von Handel und Hochfinanz: Investitionen frühneuzeitlicher Kaufmannsdynastien im Vergleich 9783111059891, 9783111060682, 9783111061351

In the economic context, "investment" is understood as the use of capital for economic projects. Investments

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Jenseits von Handel und Hochfinanz: Investitionen frühneuzeitlicher Kaufmannsdynastien im Vergleich
 9783111059891, 9783111060682, 9783111061351

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einführung und konzeptionelle Überlegungen zum Investitionsbegriff
I Investitionen und kaufmännisches Prestige
„Was Ich sonsten schöns vnd Seltzams zuwegen bringen khan“
Die Nutzung von Investitionsspielräumen durch die Augsburger Paumgartner
II Kultur-Kapital: Investoren, Künstler, Literaten
„Qui in mea patria solus est Moecenas meus …“
Mariangelo Accursio und Anton Fugger: Dichtung, Philologie, Epigraphik und die Fuggerkapelle (Accursiana V.)
Bibliophilie und Mäzenatentum
Noten kann man nicht essen – das Fugger’sche Musikmäzenatentum
III ‚Investitionsräume‘ zwischen Stadt und Land
Die Münchner Familie Astaler als Stifter am Vorabend der Stadtunruhen um 1400
Investition in die Ewigkeit
Die Kaufmannsfamilie Hörmann zu Gutenberg als grundherrliche Investoren und Stifter

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Regina Dauser, Magnus Ulrich Ferber (Hrsg.) Jenseits von Handel und Hochfinanz

Colloquia Augustana

Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg von Ulrich Niggemann, Bernd Oberdorfer, Lothar Schilling, Silvia Serena Tschopp und Gregor Weber Redaktion Friederike Brücker

Band 38

Jenseits von Handel und Hochfinanz Investitionen frühneuzeitlicher Kaufmannsdynastien im Vergleich V. Neunhofer Dialog Herausgegeben von Regina Dauser und Magnus Ulrich Ferber

Gedruckt mit Unterstützung der Kurt und Felicitas Viermetz Stiftung sowie der Dr. Eugen Liedl Stiftung.

ISBN 978-3-11-105989-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-106068-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-106135-1 ISSN 0946-9044 Library of Congress Control Number: 2023942440 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Das Welserschloss in Neunhof (Lkr. Nürnberger Land). Stich von Georg Daniel Heumann (1691-1759), um 1740. Abb. aus: Hugo Barbeck: Alt-Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit, Bd. 9: Die Nürnbergische Landschaft, Nürnberg 1896, Blatt 4. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Bavar. 32 v-6/10) Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Dieser Band versammelt Beiträge der Online-Tagung ‚Jenseits von Handel und Hochfinanz. Investitionen frühneuzeitlicher Kaufmannsdynastien im Vergleich‘, die am 11. und 12. März 2022 als V. Neunhofer Dialog stattfand und vom Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit sowie dem Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg veranstaltet wurde. Die hier dokumentierte Tagung verbindet die Tradition der zur Erforschung der Geschichte frühneuzeitlicher oberdeutscher Handelshäuser etablierten Tagungsreihe der Neunhofer Dialoge mit den kultur- und wissenshistorischen Perspektiven der beiden Augsburger Institutionen. Mit dem ‚Standort Augsburg‘ ergab sich zugleich eine Brücke von der ehemaligen Geschäftszentrale der Welser zu ihrem fränkischen Landsitz Neunhof bei Lauf an der Pegnitz, wo die ersten Neunhofer Dialoge stattfanden. Dort wird auch das Archiv der Familie aufbewahrt, das für die Forschung offensteht. Aus der Unterstützung der Wissenschaft durch die Förderung archivalischer Studien entstand bei der Familie das Bedürfnis, die an den Welsern interessierten Forscher enger zusammenzubinden. Am Rande der Welser-Tagung 1998 auf der Reisensburg nahm diese Idee konkrete Züge an, und so initiierten das Ehepaar Angelika und Ekkehard Westermann als Wirtschaftshistoriker und Stefanie von Welser als Kunsthistorikerin sowie ihr Ehemann Georg von Welser als Nachfahren der Familie das interdisziplinäre Tagungsformat der Neunhofer Dialoge. Diese Initiative zur Begründung der Neunhofer Dialoge ist ein gutes Beispiel für Investitionen im außerökonomischen Feld auch in der Gegenwart, in der auch weiterhin – ungeachtet öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Institutionen – manche Forschung ohne finanzielle Förderung moderner Mäzene nicht möglich wäre. Hier gilt der Dank dem Engagement der Kurt und Felicitas Viermetz Stiftung und der Dr. Eugen Liedl Stiftung, welche die Drucklegung maßgeblich finanziell unterstützten. Auch die Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg e.V. hat durch die Beteiligung an der Tagungsfinanzierung wesentlich zum Gelingen beigetragen. Maßgebliche institutionelle Unterstützung von der Ausrichtung der Tagung bis zur Aufnahme des Bandes in die Reihe ‚Colloquia Augustana‘ erfuhr dieses Projekt vom Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Dank gilt den Reihenherausgebern für die Aufnahme in diese Reihe, Friederike Brücker M.A. für die Einrichtung des Manuskripts sowie Bettina Neuhoff für die Betreuung im Lektorat des De Gruyter Verlags. Augsburg und Dortmund im Juni 2023 Regina Dauser und Magnus Ulrich Ferber

https://doi.org/10.1515/9783111060682-001

Inhalt Regina Dauser und Magnus Ulrich Ferber Einführung und konzeptionelle Überlegungen zum Investitionsbegriff

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I Investitionen und kaufmännisches Prestige Markus Berger „Was Ich sonsten schöns vnd Seltzams zuwegen bringen khan“ Exotica als objektiviertes Kulturkapital des Augsburger Kaufmanns 17 Konrad Rott Stefan M. Lehm Die Nutzung von Investitionsspielräumen durch die Augsburger Paumgartner Eine Betrachtung der Kapazitäten einer frühneuzeitlichen Unternehmerfamilie des 16. Jahrhunderts 39

II Kultur-Kapital: Investoren, Künstler, Literaten Magnus Ulrich Ferber „Qui in mea patria solus est Moecenas meus …“ Die finanzielle Ausstattung des Dramatikers Nicodemus Frischlin durch den 57 Stuttgarter Hof Stefano Rocchi Mariangelo Accursio und Anton Fugger: Dichtung, Philologie, Epigraphik und die Fuggerkapelle (Accursiana V.) 73 Fabian Prechtl Bibliophilie und Mäzenatentum Der Augsburger Kaufmannssohn Leonhard Beck als humanistischer Akteur im 89 16. Jahrhundert Stefanie Bilmayer-Frank Noten kann man nicht essen – das Fugger’sche Musikmäzenatentum

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Inhalt

III ‚Investitionsräume‘ zwischen Stadt und Land Emanuel Lechenmayr Die Münchner Familie Astaler als Stifter am Vorabend der Stadtunruhen um 1400 125 Laura Winter Investition in die Ewigkeit Religiöse Gebrauchskunst aus dem Besitz Jacob Fugger-Babenhausens und Octavian 143 Secundus Fuggers Regina Dauser Die Kaufmannsfamilie Hörmann zu Gutenberg als grundherrliche Investoren und 167 Stifter

Regina Dauser und Magnus Ulrich Ferber

Einführung und konzeptionelle Überlegungen zum Investitionsbegriff 1 Ein Plädoyer für einen ‚offenen‘ Investitionsbegriff Unter‚Investition‘ wird im ökonomischen Kontext gemeinhin der Einsatz von Kapital für wirtschaftliche Zielsetzungen über einen längeren Zeitraum verstanden. Dieser Definition folgend lag der Schwerpunkt des wirtschaftshistorischen Interesses an der Entwicklung des kaufmännischen Fernhandels und Kreditwesens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit lange Zeit auf Fragen nach der Funktionsweise des Handels und des Finanzsektors.¹ Im Mittelpunkt der Forschung standen denn auch lange nur wenige bekannte Handelsdynastien, oder es wurden nur ausgewählte Bereiche kaufmännischen Investitionsverhaltens für begrenzte Zeiträume in den Blick genommen. Pointiert formuliert: Die Etikettierung vornehmlich des späten 15. wie des 16. Jahrhunderts als „Zeitalter der Fugger“ (R. Ehrenberg), geprägt am Ende des 19. Jahrhunderts, wirtschaftshistorisch in dieser Engführung schon seit geraumer Zeit als Zuschreibung revidiert,² scheint in diesem Segment noch fortgewirkt zu haben. Lange Zeit dominierte eine Konzentration auf wenige bekannte Häuser wie die der Fugger und Welser, neben deren Investitionsverhalten das vielfältige finanzielle Engagement von Kaufmannsfamilien geringerer Prominenz zu verblassen drohte. Das Agieren im ökonomischen Feld, auch im Hinblick auf Kapitaleinsatz, bildet jedoch das Handlungsspektrum ökonomischer Eliten nur unvollständig ab. Diesem Band liegt daher die Intention zugrunde, den Begriff der Investition bzw. das Handeln von Investoren weiter zu fassen und darunter im Sinne einer Arbeitsdefinition jeglichen Einsatz finanzieller Mittel durch Akteure aus dem Kaufmannsstand zu fassen, unabhängig vom Gegenstand des Kapitaleinsatzes und auch unabhängig von Erwartungen an Rentabilität oder Amortisation in einem engeren ökonomischen Sinn. Zur vollständigen Beschreibung der Investitions- bzw. Handlungspraxis kaufmännischer Eliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit in diesem Sinne, das belegen die Forschungen der Autorinnen und Autoren dieses Bandes eindrücklich, gehören unabdingbar der Erwerb von Grundbesitz und Grundherrschaft ebenso wie der Einsatz von Finanzmitteln in vielfältigen Stiftungen, der Aufwand für Architektur und bildende Kunst, der Aufbau von Sammlungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten

1 Vgl. etwa Pape, Investition. 2 Ehrenberg, Zeitalter der Fugger. Zur Revision des traditionellen Bildes neben anderen: Landsteiner, Kein Zeitalter der Fugger. https://doi.org/10.1515/9783111060682-002

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sowie die finanzielle Förderung von Künstlern und Gelehrten. Hiervon ausgehend zielen wir in einem vergleichenden Ansatz auf eine fundierte Einschätzung der Grundlagen, Motive und Ausprägungen des kaufmännischen Kapitaleinsatzes. Inspiration für einen offenen Investitions-Begriff liefert uns der weite Kapitalbegriff und die Definition der Kapitalarten, die Pierre Bourdieu um 1980 im Rahmen der soziologischen Erforschung sozialer Mobilitätsmechanismen aus verschiedenen Wurzeln weiterentwickelte.³ Neben das ökonomische Kapital in der herkömmlichen Verwendung des Begriffs stellte Bourdieu sowohl kulturelles Kapital – in Form von Bildung, aber auch Besitz und Gebrauch von Zeugnissen der ‚Kultiviertheit‘, etwa Kunstsammlungen u. Ä. – wie auch soziales Kapital in Gestalt von nützlichen sozialen Kontakten, von ‚Netzwerken‘ zur Beförderung persönlichen Fortkommens, zur Erlangung einer attraktiven Stellung, eines Auftrags usf. Symbolisches Kapital garantiert soziale Anerkennung über die Aneignung eines bestimmten Habitus, mithin die Beherrschung bestimmter kultureller Codes. Sein Modell der Kapitalakkumulation wie -transformation, der Umwandlung dieser Kapitalien, beispielsweise ökonomischen Kapitals in kulturelles oder soziales, diente ihm zur Erklärung sozialer Ungleichheit, anwendbar auf die Analyse sozialer Aufstiegsprozesse ebenso wie zur Erklärung sozialer Immobilität angesichts fehlenden Kapitals, welcher Art auch immer. Die Rück-Konvertierbarkeit kultureller wie sozialer Kapitalien in ökonomisches Kapital ist essentieller Bestandteil seines Modells.⁴ Für den Einsatz jeglichen Kapitals verwendete Bourdieu bereits, in seinem von der wirtschaftswissenschaftlichen Humankapital-Forschung angeregten Begriffsfeld bleibend,⁵ den Begriff der „Investition“⁶ und sprach auch von der Ausbildung von – bewusst wie auch unbewusst eingesetzten – „Investitionsstrategien“.⁷ Freilich war es gerade Bourdieus Intention, über die rein ökonomische Beurteilung von Kapitaleinsatz, etwa im Bereich der von Humankapital-Forschern so intensiv untersuchten Bildungsinvestitionen, hinauszugehen und insbesondere die Analyse der Chancen zur Generierung wie auch der Investition kulturellen Kapitals für unterschiedliche gesellschaftliche Formationen in den Vordergrund zu stellen, um auf diese Weise die Genese bzw. Persistenz gesellschaftlicher Strukturen zu erklären.⁸ Mehrfach wurde Bourdieus Modell als Interpretament zur Analyse der Aktivitäten oberdeutscher Kaufmannsgeschlechter in diachroner wie auch synchroner Perspektive genutzt – über Generationen anhaltender ökonomischer Erfolg wie auch die Wahl alternativer (Aus‐) Bildungswege jenseits des Handels für nachfolgende Generationen sowie der Aufstieg in

3 Vgl. Bourdieu, Kapital. – Zur Genese der Vorstellung von „sozialem Kapital“, das definitorisch nicht zuletzt von den amerikanischen Soziologen Putnam und Cole weiter ausgeformt wurde, vgl. Fuchs, Geltungsbereich des sozialen Kapitals, bes. Kap. 2. 4 Vgl. Fuchs, Geltungsbereich des sozialen Kapitals, 190. 5 Bourdieu bezog sich seinerzeit explizit auf Becker, Human Capital (1964). Eine ausführliche diskursund forschungsgeschichtliche Darstellung des Humankapitalbegriffs bei Müller, Humankapitalethik. 6 Vgl. ebd., ab 186 passim. 7 Zur Investitionsstrategie vgl. ebd., 192. 8 Vgl. ebd., bes. 185 f.

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den Adel boten sich zur Erprobung des Bourdieuschen Erklärungsansatzes geradezu an.⁹ Dabei ist es ausdrücklich nicht unsere zentrale Intention, zwanghaft nach Mustern des Kapitaleinsatzes im Dienste vertikaler Mobilität zu suchen. Auch die Analyse von Repräsentationsstrategien und Mäzenatentum der bürgerlichen Oberschicht analog zur Kulturpolitik der Fürstenhöfe ist nicht das Ziel. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes setzen sich vielmehr in sehr unterschiedlicher Weise mit dem Investitionsbegriff auseinander und stellen ihn auf die Probe, ausgehend von ganz unterschiedlichen Kaufmannsfamilien und Quellenbeständen, die sehr differenzierte Einblicke in den Kapitaleinsatz der hier thematisierten Kaufmannsdynastien erlauben. Nicht von ungefähr wenden wir uns gezielt einer ganzen Reihe kaufmännischer Familien zu, auch solchen, die nicht in der‚ersten Reihe‘ des historischen Erinnerns oder des historischen Vermögens-Rankings stehen. Dahinter steht die Erwartung, das Phänomen der Investition ‚jenseits von Handel und Hochfinanz‘ in vielleicht ungewohnten oder bislang unerhörten Facetten zu erfassen und so vergleichende Ansätze zu stärken. Ein erster, freilich nur überblicksartiger Vergleich des Kapitaleinsatzes der Fugger und Welser, den die Herausgeber vor Jahren unternommen haben, ließ bei diesen beiden prominenten Handelsfamilien, die gerne in einem Atemzug genannt werden, sehr unterschiedliche Investitionskonzepte erkennen, etwa im Hinblick auf Grunderwerb und Repräsentationspolitik. So verfolgten die Fugger im Gegensatz zu den Welsern als Grundherren konsequent die Strategie, die erworbenen Güter auf Dauer in Familienbesitz zu erhalten und ihre Präsenz auf dem Land durch prächtige Landsitze zu dokumentieren. In der Stadt traten sie durch soziale und künstlerische Stiftungen in Erscheinung. Die Fuggerei und die Fuggerkapelle in der Annakirche sind nur die bekanntesten. Die Welser dagegen hielten sich als alteingesessene Patrizier in diesem Bereich auffallend zurück, prägten aber als zentrale städtische Amtsträger um 1600 die Umformung des Stadtbildes.¹⁰ Unklar bleibt in dieser Gemengelage, von welchem Zeitpunkt an von einem herausragenden, besonders glanzvollen oder besonders reich durch Quellen dokumentierten Beispiel ausgehend, von einer „Sonderstruktur“ gesprochen werden kann, wie dies etwa für die Fugger getan wurde.¹¹ Die Vielfalt der Erscheinungsformen anhand vieler Beispiele systematisierend zu erfassen, anstatt ein Narrativ anhand der Wenigen, Bekannten nahezulegen, ist ein Ziel, auf das hin wir mit diesem Sammelband erste Schritte unternehmen wollen. Verschiedene ‚Zeitschnitte‘ der Beiträge, die zwar ihren Schwerpunkt im 16. Jahrhundert haben, insgesamt jedoch vom frühen 15. bis ins 18. Jahrhundert reichen, mögen helfen, um möglichen Veränderungen,

9 Vgl. Häberlein, Welser; Dauser, Informationskultur. 10 Vgl. Dauser/Ferber, Fugger und Welser, 94 – 108 und 127– 132. 11 Vgl. Mörke, Sonderstruktur. – Zur Fuggerschen Güterpolitik vgl. die grundlegende Arbeit von Mandrou, Fugger als Grundbesitzer sowie Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen. Für den Bereich des kaufmännischen Grunderwerbs und die Übernahme grundherrschaftlicher Funktionen, die so häufig mit den Fuggern verbunden wird, legte Rolf Kießling bereits für das Spätmittelalter zahlreiche Investitionsbeispiele offen, vgl. Kießling, Die Stadt und ihr Land.

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unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen im Investitionsverhalten der Akteure im Zeitverlauf – oder gerade auch der Beständigkeit mancher Erscheinungen – näherzukommen. Zwar sind in diesem Band die Fugger mit ihren Verbindungen zu humanistischen Gelehrten, so im Beitrag Stefano Rocchis, ihren Sammlungen religiöser Kunst, die Laura Winter vorstellt, und ihrer Förderung von Musikern, präsentiert von Stefanie Bilmayer-Frank, als zweifellos prominenteste süddeutsche Kaufmannsfamilie in diesem Band nach wie vor vertreten; doch die genannten Beiträge bringen nicht nur weniger präsente Facetten Fuggerscher Investitionen ein, sondern vermögen auch wichtige ‚Vergleichsfolien‘ für Aktivitäten anderer Familien zu liefern. Ganz besonders freuen sich die Herausgeber, eine Reihe von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern zur Präsentation ihrer teils noch laufenden Forschungen motiviert zu haben, die uns in Investitionsfelder auch weniger bekannter Familien einführen und erahnen lassen, welche wissenschaftlichen Schätze hier gehoben werden oder noch zu heben sind. Mit der ‚Öffnung‘ des Investitionsbegriffs wollen wir noch ein Zweites zu bedenken geben. Er betrifft, wie bereits dargelegt, das Objekt bzw. Ziel des Engagements, die Vielfalt der eingesetzten Mittel und Fähigkeiten und Verbindungen zwischen Investitionsfeldern. Offenheit soll aber genauso gelten bezüglich der Intentionen des Kapitalgebers. Daran knüpft sich, ebenso wie bei den Investitionsobjekten, auch die Frage nach dem Selbstverständnis der Investoren – durchaus, sofern von den Quellen her zu erschließen, generationenübergreifend gedacht. Wir möchten den Kapitaleinsatz – zumindest in der ersten analytischen Annäherung – von Konnotationen und Implikationen freihalten, die zumal beim Engagement für Kunst und Kultur häufig nach wie vor ‚mitschwingen‘ und aus unserer Sicht die Gefahr einer Vorwegnahme bzw. einer Verengung der Perspektive in der Bewertung der getätigten Investitionen bergen können.

2 Gut Neunhof als Investitionsbeispiel Ein kurzer Abriss des Investitionsverhalten der Nürnberger Welser in das Reichslehen Neunhof bei Lauf an der Pegnitz,¹² wo die Tagungsreihe der Neunhofer Dialoge¹³ bisher ihren Ort hatte, kann hier einen exemplarischen Eindruck der in diesem Sammelband vorzustellenden Phänomene vermitteln: Die ursprünglich in Augsburg verankerte Familie¹⁴ machte sich erst im späten 15. Jahrhundert aus kaufmännischen Gründen in der Reichsstadt Nürnberg ansässig, konnte sich aber bald in das dortige Patriziat integrie-

12 Zur Geschichte der Herrschaft Neunhof vgl. Glückert, Zwischen Reichsstadt und Reichsritterschaft. 13 Als bisherige Tagungsbände erschienen: Westermann/Welser, Einblicke in die Geschichte; Westermann, Beschaffungs- und Absatzmärkte; Westermann/Welser, Person und Milieu sowie Hirschbiegel [u. a.], Ökonomisch bestimmtes Handeln. 14 Zur Familiengeschichte vgl. die umfassende Darstellung von Welser, Die Welser, die Nachrichten zu jedem Familienmitglied bis ins frühe 20. Jahrhundert zusammenträgt. Eine systematische Überblicksdarstellung bietet Ferber, Welser, Familie mit weiteren Literaturhinweisen.

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ren¹⁵ und so, wenn auch verspätet, an der grundherrlichen Verwaltung des Nürnberger Landes partizipieren. In Neunhof setzten sich die Welser über Erbteilungen der Familie Geuder fest und traten, nachdem sich diese bei einem geplanten Schlossbau in Neunhof finanziell übernommen hatten, als deren Gläubiger auf. Als die dortige Grundherrschaft nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs nicht mehr die vorherigen Einkünfte einbrachte, verkauften die Geuder 1660 ihre Hälfte Neunhofs an die Welser – die zweite Hälfte erwarben die Welser in Form eines Heiratsguts noch im 17. Jahrhundert.¹⁶ Mit der Grundherrschaft über die Dörfer Neunhof, Beerbach und Tauchersreuth war auch die niedere und hohe Gerichtsbarkeit sowie das Patronatsrecht über die Pfarrei Beerbach verbunden, so dass die Aufnahme der Herrschaft in die Matrikel der Reichsritterschaft 1748 der konsequente Abschluss einer reichsunmittelbaren Territorialbildung war. In den Quellen ist gut fassbar, dass die Welser von Beginn ihrer Investitionen in Neunhof an die Intention verfolgten, diese Herrschaft als Einheit auf Dauer in Familienbesitz zu erhalten – im Gegensatz zu allen anderen Gütern, die die Welser im Laufe der Zeit erwarben und auch wieder abstießen.¹⁷ Es war daher von Anfang an eine Familienstiftung, die Neunhof besaß, die wiederum von einem Mitglied der Familie verwaltet wurde – eine Struktur, die im Kern bis heute vorhanden ist: Für den Unterhalt des Schlosses ist so die Freiherrlich von Welsersche Familienstiftung verantwortlich, die von den Familienmitgliedern getragen und vor allem von den Gütern rund um Neunhof gespeist wird. Mit der Organisationsform einer Familienstiftung hatten die Welser bereits gute Erfahrungen gemacht: Als sich 1517 der Nürnberger Zweig der Familie von der Augsburger Zentrale ökonomisch löste, trat die Frage auf, wie Einkünfte aus der Zeit vor der Trennung verrechnet werden sollten. Schließlich flossen diese Gelder in eine 1539 gegründete Stiftung, die alle Welser in sich vereinigte und die selbst den Konkurs der Augsburger Welser 1614 unbeschadet überstand.¹⁸ Die Dauerhaftigkeit der Investition in die dortige Herrschaft wird auch durch die Errichtung von Schloss Neunhof deutlich, die 1690 abgeschlossen wurde. Das repräsentative Gebäude, das herrschaftlich über dem Dorfplatz thront, konnte dabei nur im Sommer genutzt werden. Die meiste Zeit des Jahres verbrachte der Verwalter der Familienstiftung weiterhin in Nürnberg, wo er in der Regel eine Ratskarriere einschlug. Eine historische Darstellung des Schlosses aus dem 18. Jahrhundert¹⁹ ziert das Cover dieses Bandes. Neben der repräsentativen Architektur des Schlosses investierte die Familie auch in die künstlerische Ausgestaltung des Sommersitzes: Im Obergeschoss wurden drei Zim-

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Vgl. Fleischmann, Rat und Patriziat, 1075 – 1098. Vgl. dazu Dauser/Ferber, Die Fugger und Welser, 138. Vgl. ebd., 127 f. Vgl. Glückert, 450 Jahre. Der Stich von Georg Daniel Heumann ist Barbeck, Alt-Nürnberg IX, Blatt 4 entnommen.

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mer anspruchsvoll stuckiert und ausgestaltet:²⁰ In der sog. Piepenstube (Abb. 1) findet sich an den Wänden seit dem frühen 18. Jahrhundert eine bemalte Leinenbespannung, die eine Landschaft mit Jagdszenen, Herrensitzen und zahlreichen Vögeln (daher der Name des Raums) zeigt und sich in den Blick aus dem Raum auf die tatsächliche Landschaft um das Dorf einfügt.

Abb. 1: Schloss Neunhof, Blick in die Piepenstube (Foto: Georg Freiherr von Welser).

Ähnlich ausgestattet ist die Götterstube, die Szenen aus den Metamorphosen des Ovid zum Thema hat (Abb. 2). Die Ausstattung mit bemalten Leinwänden lässt sich im Nürnberger Land öfter nachweisen,²¹ wobei Neunhof eine Vorreiterrolle einnahm: Vermutlich war es Christoph Carl Welser (1690 – 1756), der von seiner Kavalierstour 1711 die Mode der bemalten Leinwandbespannung aus Holland mit nach Hause brachte.²² Während diese beiden Räume wohl eher privat oder nur für intime repräsentative Anlässe genutzt werden konnten, war der zentrale, 1698 vollendete Weiße Saal auch für öffentliche Anlässe nutzbar. Neben dem formvollendeten Stuck von Donatus Polli fällt das Deckengemälde ins Auge, das eine Allegorie der Confessio Augustana zeigt und damit die konfessionelle Verortung der Familie betont.

20 Vgl. zum folgenden Welser, Ikonographische Fragen. 21 Vgl. ebd., 167 f. 22 Vgl. ebd., 182.

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Abb. 2: Schloss Neunhof, Götterstube, Darstellung des Orpheus (Foto: Georg Freiherr von Welser).

Die Investitionen der Welser in Neunhof beinhalten aber nicht nur den Erwerb einer Grundherrschaft und die Förderung von Kunst und Kultur im Schloss sowie in den

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beiden Kirchen der Pfarrei Beerbach,²³ sondern durch die Sammlung des dort aufbewahrten Familienarchivs auch die Unterstützung der Wissenschaft. Die Etablierung der Neunhofer Dialoge an diesem Ort durch Mitglieder der Familie weitete dieses Engagement folgerichtig aus. Diese knapp skizzierten Beobachtungen an einem Welserschen Beispiel deuten eine Reihe von Handlungsfeldern an, in denen die Anwendung des oben skizzierten Investitionsbegriffs zur Analyse des Kapitaleinsatzes verschiedener Kaufmannsfamilien lohnend erscheint.

3 Investitionen und ihre Analyse Ausgehend von diesen Vorüberlegungen zum Investitionsbegriff wird in diesem Band daher der Versuch unternommen, im Detail die Motive und das Selbstverständnis bürgerlicher Investoren zu Beginn der Frühen Neuzeit offenzulegen. Dazu werden – je nach Forschungsstand zur jeweiligen Kaufmannsdynastie in unterschiedlichem Umfang – zunächst die ökonomischen, politischen und sozialen Grundlagen der jeweiligen Investition betrachtet: Dazu zählt die jeweilige Geschäftsentwicklung, eng verbunden mit politischen und ökonomischen Konstellationen, die prestigeträchtige Investitionen außerhalb des kaufmännischen Bereichs, etwa als Ausdruck eines konjunkturellen Aufschwungs, erst erlaubte²⁴ – oder notwendig machte,²⁵ bedenkt man die These der Kapitalsicherung z. B. durch den Erwerb von Grundherrschaften und Grundbesitz, der in der Regel, v. a. in Krisenzeiten, relativ rasch wieder liquidiert werden konnte.²⁶ So zeigt der Beitrag von Stefan M. Lehm, wie der ökonomische Erfolg der Paumgartner im Montanbereich die Investitionen der Familie in Landgüter erst möglich, der Rückgang dieses kaufmännischen Erwerbszweigs eine Verlagerung des Vermögens in liegende Werte zur Stärkung der Resilienz des Unternehmens auch erst sinnvoll erscheinen ließ. Doch ist es nicht ausschließlich das im Handelssektor erworbene Kapital, das als Grundlage für Investitionen dient, die vordergründig außerhalb der kaufmännischen Sphäre liegen. Markus Berger vermag in seinem Beitrag zu zeigen, dass der Erwerb und Vertrieb von Exotica sowie die Demonstration des hierüber erworbenen Wissens durch Konrad Rott eine erfolgreiche Strategie war, um Fremdkapital für seine mangels ausreichenden Eigenkapitals überdimensionierten Handelsgeschäfte zu generieren. Neben der Positionierung der untersuchten Akteure im zeitgenössischen Wirtschaftsleben wird eine Analyse ihrer Verortung im jeweiligen städtischen Umfeld, ihr Verhältnis zu adeligen Kreisen und Obrigkeiten, mithin ihre soziale Mobilität und Sozialprofilierung betrachtet. Das Interesse ökonomisch erfolgreicher Kaufleute, sich und ihre Familie dauerhaft in Patriziat, Hofdienst oder Adel zu etablieren, führte oft zu 23 Vgl. Glückert, St. Egidien in Beerbach und ders., Die barocke Umgestaltung. 24 Vgl. Previtali, La periodizzazione della storia, 180. 25 Vgl. Lopez, Hard Times and Investment. 26 Dieses Phänomen ist bereits im Spätmittelalter feststellbar. Vgl. Kießling, Bürgerlicher Besitz auf dem Land, bes. 134.

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Investitionen in Kunst und Kultur. Emanuel Lechenmayr erläutert einen solchen Fall anhand der Münchener Familie Astaler mit der Stiftung eines großen Glasfensters in der dortigen Frauenkirche; Fabian Prechtl stellt den Aufbau einer großen Privatbibliothek durch den Augsburger Kaufmannssohn Leonhard Beck dar. In beiden Fällen ist ein Aufstieg in höhere bürgerliche Schichten als Motivation nachweisbar. Dagegen lässt sich das außergewöhnliche Engagement der Fugger für die Musik nicht nur im Kontext einer am Vorbild der führenden Höfe orientierten Repräsentation der Familie erklären, sondern festigte auch den Ruf des Fuggerschen musikalischen Expertentums an diversen Fürstenhöfen, wie Stefanie Bilmayer-Frank bilanziert. Sicherlich zielte die langfristig angelegte Investition der Paumgartner in die Herrschaft Hohenschwangau, ebenso diejenige der Hörmann in die Herrschaft Gutenberg, die Regina Dauser aufgreift, auch auf eine Etablierung im niederen Adel und somit auf ein zweites Standbein neben der Verortung in der Augsburger bzw. Kaufbeurer Bürgerschaft ab. Im Gegensatz zu diesen Landsitzen, aber auch den fürstlichen Residenzen, waren Städte kulturell und sozial in der Regel von bürgerlicher Vielfalt geprägt und somit nicht vom ‚Investitionsprogramm‘ einer einzelnen Familie bzw. fürstlichen Dynastie abhängig. Ein solches ist durch die Kulturpolitik des württembergischen Herzogs Ludwig am Beispiel seiner auf Dauer angelegten Alimentierung des Dichters Nicodemus Frischlin im Aufsatz von Magnus Ulrich Ferber in diesem Band vertreten. Für die Städte sind dagegen gerade die Verhältnisse der einzelnen Kaufmannsfamilien zueinander ein lohnenswertes Forschungsfeld, auch im Hinblick auf etwaige Konkurrenz- und Kooperationsverhältnisse. Verschiedene Zielsetzungen und Funktionen konnten sich hier beim Kapitaleinsatz verbinden bzw. überlagern. So wussten Konrad Rott durch die prominente Zurschaustellung eines Papageis im Eingangsraum seines Wohnhauses, womit er eine Voliere der Fugger übertraf, oder Leonhard Beck bei aller privater Bibliophilie durch die architektonische Betonung seiner Bibliothek zu beeindrucken. Dass sich die anzunehmenden Motivationen des Kapitaleinsatzes einer eindeutigen Hierarchisierung entziehen, zeigt auch Laura Winter anhand des reichen, künstlerisch beeindruckenden Bestands an religiösen Gebrauchsgegenständen der Sammlungen Jacob Fugger-Babenhausens und Octavian Secundus Fuggers in ihren Augsburger Wohnhäusern. Umso erhellender sind die Bezüge zur zeitgenössischen und individuellen biographischen Frömmigkeitspraxis. Anton Fugger wiederum trat als Mäzen des anerkannten italienischen Epigraphikers Mariangelo Accursio auf, wovon Stefano Rocchi berichtet. Dass Fugger bei diesem ausgewiesenen Kenner antiker Inschriften vier Epigramme für die Epitaphien seiner Vorfahren in der Fuggerkapelle der Augsburger Annakirche in Auftrag gab, rückt die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Patriziat aufgenommene Familie subtil in einen altehrwürdigen Rang. Zudem ließen sich Fugger und seine Frau Anna Rehlinger von Accursio genauso in einem Epithalamium feiern, wie Herzog Ludwig und sein wichtigster Berater Melchior Jäger von Frischlin, was auf einen typisch mäzenatischen Hintergrund verweist.

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4 Mäzenatentum und Investition in der Stadt und am Fürstenhof Insbesondere dem schon zeitgenössisch für die Förderung von Literatur und Gelehrsamkeit verwendeten Begriff des Mäzens²⁷ mangelte es im Umfeld bürgerlicher Investitionen in künstlerische Projekte oder bei der Anlage von Sammlungen bisher an einer eingehenden Analyse. Bürgerliches Engagement wurde zwar in Form von kommunaler Betätigung durchaus gesehen, individuelle Förderung von Kunst und Kultur als selbständiger Sektor hingegen noch nicht ausreichend bewertet. Dazu ist eine eingehende Erörterung des jeweiligen Verhältnisses von Auftraggeber und Auftragnehmer nötig, die aus dem Umfang und der Art der Zuwendung sowie der Mitwirkung der Auftraggeber bei der Konzeption und der Realisierung des jeweiligen Projekts ersichtlich wird. Magnus Ulrich Ferber zeigt, dass sich der Begriff des Mäzens gerade wegen seiner Unschärfe durchsetzte, da er sowohl eine klare Unterordnung des Ausführenden in einer Patronagebeziehung als auch jedwede Form von Sponsoring außerordentlicher Talente, vordergründig ohne eigene Interessen des Mäzens, bezeichnen kann, was in jedem Einzelfall ausverhandelt werden muss. Als drittes Interpretationsmuster ist noch die Möglichkeit von Freundschaft oder persönlicher Wertschätzung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu nennen, wie es Stefano Rocchi für Anton Fugger und Mariangelo Accursio beschreibt. Der Vergleich zwischen der bürgerlichen und der höfischen Praxis des Mäzenatentums zeitigt dabei aufschlussreiche Ergebnisse. Diese betrifft vor allem die Dauer und die Dauerhaftigkeit der jeweiligen Investition: Höfen war es möglich, Künstler, Sammler oder Projektemacher über längere Zeit an sich zu binden, so dass diese quasi zu einer Festanstellung mit hoher Reputation gelangen konnten,²⁸ ein Phänomen, das sich bei kaum einem der beschriebenen bürgerlichen Engagements wiederfindet. Zudem verfügte der Fürst als Landesherr, wie das Extrembeispiel des eingekerkerten Hofdichters Frischlin vor Augen führt, über Sanktionsmöglichkeiten, die einem bürgerlichen Mäzen vorenthalten blieben, so dass an einem Hof viel konsequenter das Wohlverhalten des Klienten auch in der Umsetzung der jeweiligen Konzeption eingefordert werden konnte. Diese beiden Mechanismen deuten darauf hin, dass an Höfen das Mäzenatentum deutlich hierarchischer, in Städten tendenziell freier und projektbezogen gelebt wurde. Gleichzeitig fehlte es den meisten bürgerlichen Investoren an der Möglichkeit, die Dauerhaftigkeit der eigenen Investitionen zu sichern, selbst wenn dies ausdrücklich gewünscht war. Gerade die zahlreichen Bankrotte oberdeutscher Kaufleute in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts,²⁹ aber auch die distributive Tendenz des bürgerlichen Erbrechts führten dazu, dass zahlreiche der vorgestellten Investitionen heute

27 Vgl. Erben [u. a.], Mäzen. 28 Vgl. Müller, Fürstenhof, 43 f. 29 Vgl. hierzu Hildebrandt, Effects of Empire.

Einführung und konzeptionelle Überlegungen zum Investitionsbegriff

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nicht mehr greifbar sind: Der Verbleib der großen Bibliothek Leonhard Becks etwa ist weitgehend ungeklärt. Folgerichtig müssen bürgerliche Investitionen deutlich gegenwartsbezogener als höfische gedeutet werden, da letztere über die dynastische Bindung zukunftsorientierter gestaltet werden konnten. Die Kommune als zukünftiger Träger der individuellen Stiftung, wie sie zu wohltätigen Zwecken gang und gäbe war³⁰ und in diesem Band am Beispiel der Almosenstiftung der Familie Hörmann in Kaufbeuren von Regina Dauser beschrieben wird, wurde im kulturellen Bereich eher selten herangezogen – nur Stiftungen für Kirchen verblieben im Besitz der jeweiligen Pfarrgemeinden oder Klöster. In den anderen Fällen blieb die Möglichkeit einer Rückwandlung in eine andere Kapitalform durch die Familie des Investors meist gesichert. Kein signifikanter Unterschied zwischen bürgerlichem und fürstlichem Engagement zeigt sich im Bereich der angestrebten Öffentlichkeit, die gestuft hergestellt wurde. Dabei ermöglichte der Buchdruck die breite Propagierung der jeweiligen Förderung, etwa durch prominent zu Beginn der Bücher oder auch Musikaliendrucke eingefügte Dedikationsepisteln,³¹ in denen ein Autor seinem Gönner überschwänglich dankt – solche Texte verfassten beispielsweise zahlreiche Musiker an Vertreter der Familie Fugger. Investitionen in die Ausstattung von Kirchen und Fassaden waren zumindest stadtöffentlich zugänglich sowie durch das Anbringen von Inschriften oder Familienwappen auch deutlich markiert, wie dies beim Astalerfenster und in der Fuggerkapelle noch heute zu erkennen ist. Die Innengestaltung der Wohnhäuser und die darin untergebrachten Sammlungen konnten dagegen nur mit Zustimmung des Besitzers besucht werden. Die Praxis dieses Zugangs kann dabei in den Quellen meist nur vereinzelt dingfest gemacht werden, wie Fabian Prechtl zeigt.³² Bei der Deutung des bürgerlichen Mäzenatentums wird die These gewinnbringend herangezogen, dass erfolgreiche Investoren über Kennerschaft oder über kompetente Vermittlung in dem von ihnen geförderten Bereich verfügen mussten. Gleichzeitig war für den erfolgreichen Künstler politisches bzw. soziales Geschick nötig, um an lukrative Aufträge zu gelangen.³³ Dabei kam es auf das Objekt der Investition an, welche Kenntnisse sich ein Investor anzueignen hatte: Der Erwerb und die erfolgreiche Verwaltung von Grundherrschaften verlangte politisches Talent, administrative Kompetenz in schwierigen Zeiten, wie es Regina Dauser für die Hörmann darlegt, ja hochprofessionellen juristischen Beistand, wie ihn sich Hans II. Paumgartner durch die Förderung einer Fachpublikation des Freiburger Professors Ulrich Zasius zu sichern suchte. Die zielgerichtete Förderung von Literatur und Kunst fiel leichter, wenn auf eine eigene Praxis in diesen Bereichen zurückgegriffen werden konnte, und sei sie dilettantisch, wie

30 Für Augsburg vgl. Clasen, Armenfürsorge im 16. Jahrhundert, 340. 31 Vgl. Enenkel, Die Stiftung von Autorschaft. 32 Bei prominenten Familien wie den Fuggern belegen dies z.T. Reiseberichte; so berichteten im späten 16. Jahrhundert verschiedentlich hochgestellte Besucher von ihrer Besichtigung der prächtigen Sammlungskabinette Hans Fuggers (1531 – 1598), der sogenannten ‚Badstuben‘ in den Augsburger Fuggerhäusern am Weinmarkt. Vgl. Diemer, Sammlungskabinette. 33 Vgl. Oevermann, Für ein neues Modell.

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Regina Dauser und Magnus Ulrich Ferber

Becks Gelehrsamkeit zu bezeichnen ist. Auch das erfolgreiche Sammeln von religiösen Gebrauchsgegenständen war ohne eigene Frömmigkeit schwer vorstellbar. Andererseits bedurfte auch die Finanzierung eines Künstlers bei Hofe eines kaufmännischen Talents, wie die Kreditvergabe Herzog Ludwigs für Frischlin nahelegt. Folgerichtig führte die Veränderung des Kapitaleinsatzes auch zu einer Änderung der Bildungs- und Ausbildungswege der Kapitalgeber, sei es, dass ein Studium obligatorisch wurde, oder Mitglieder der Familie – wie mehrfach im Hause Fugger – eine solide musikalische Ausbildung genossen. Dazu treten Anpassung an adelige Konventionen, Erfahrungen mit anderen Kulturkreisen, aber auch die Prägung durch das konfessionelle Umfeld, die den bürgerlichen Kapitaleinsatz im außerökonomischen Feld verständlich machen. Die Fähigkeit zum Kulturtransfer, den die vorgestellten oberdeutschen Kaufmannsfamilien unter Beweis stellten, war jedenfalls beträchtlich. Angesichts dieser vielfältigen und verschränkten Formen des Umgangs mit finanziellen Mitteln kann die vorgenommene Einteilung der Beiträge in drei Sektionen nur ein grobes Raster zentraler Aspekte der Analyse von Investitionen im beschriebenen Sinne darstellen, das keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Andererseits ist es kein Zufall, dass bestimmte Fragestellungen in diesem Kontext von verschiedenen Autoren aufgegriffen wurden und daher eine übergeordnete Bedeutung einzunehmen scheinen. Sowohl Markus Berger als auch Stefan M. Lehm behalten in ihrer Darstellung den Zusammenhang von außerökonomischen Investitionen und einer ökonomischen Strategie im Blick, weshalb ihre Beiträge in der Sektion ‚Investitionen und kaufmännisches Prestige‘ zusammengefasst sind. Magnus Ulrich Ferber, Stefano Rocchi, Fabian Prechtl und Stefanie Bilmayer-Frank beleuchten zentral das Verhältnis von Künstlern und Literaten zu ihren Mäzenen. Ihre Beiträge bilden daher die Sektion „Kultur-Kapital: Investoren, Künstler, Literaten“. In den Aufsätzen von Emanuel Lechenmayr, Laura Winter und Regina Dauser steht schließlich die Frage im Mittelpunkt, an welchem Ort welche Investitionen getätigt wurden. Ein Fokus liegt dabei auf den Unterschieden zwischen Engagements in einer Stadt und auf dem Land, ein anderer auf dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Die Herausgeber schlagen zur Erörterung dieser Frage den Begriff des ‚Investitionsraums‘ vor, der deutlich machen soll, dass der jeweilige Ort – ganz bewusst unter Verwendung eines weiten ‚Raum‘-Begriffs³⁴ – spezifische Regeln für erfolgversprechende Investitionen nach sich zieht. Diese Sektion trägt daher den Titel ‚Investitionsräume‘ zwischen Stadt und Land‘. Diese letzte Abteilung beschließt mit dem ‚Blick in den Raum‘ den Sammelband, der einen Baustein zur Erforschung frühneuzeitlicher Praktiken der Investition kaufmännisch erwirtschafteten Kapitals und damit des Selbstverständnisses der Investoren aus einer ursprünglich kaufmännischen Sphäre zu liefern sucht. Damit ergaben sich in mehreren Fällen zwangsläufig auch Einblicke in die Handlungsweisen derjenigen, die in der Praxis – als Künstler, Literaten, Baumeister etc. – die Investitionsziele ihrer Auftraggeber realisieren sollten, oder die vielleicht auch ganz eigene Zielsetzungen ver-

34 Vgl. Löw, Raumsoziologie.

Einführung und konzeptionelle Überlegungen zum Investitionsbegriff

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folgten. Nicht zuletzt in der Komplexität dieser Interaktionen ‚jenseits von Handel und Hochfinanz‘ liegt ein weiteres reizvolles Betätigungsfeld, zu dessen Bearbeitung die vorliegenden Beiträge womöglich zu motivieren vermögen.

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I Investitionen und kaufmännisches Prestige

Markus Berger

„Was Ich sonsten schöns vnd Seltzams zuwegen bringen khan“

Exotica als objektiviertes Kulturkapital des Augsburger Kaufmanns Konrad Rott Am 10. Juni 1580 war es endgültig um das Unternehmen der Augsburger Kaufmanns Konrad Rott geschehen.¹ Fünf städtische Amtsträger verschafften sich Zutritt zum Haus Rotts, der bereits vor Ostern infolge seines Bankrotts unter spektakulären Umständen aus der Stadt geflohen war, und begannen seine Güter zu inventarisieren. Gleich im ersten Raum fanden die Männer „Ain Papigay Hauß An der Düllen Hangen“, allerdings ohne Vogel.² Rott hatte das Tier bereits ein knappes Jahr zuvor an Herzog Christian von Sachsen verschenkt, mit dessen Vater, Kurfürst August, der Kaufmann einen Vertrag über die Errichtung eines Pfefferhandels in Leipzig abgeschlossen hatte. Der Papagei, der nach Rotts Aussage „vill Portogeso“ reden konnte,³ hatte bei seiner Ankunft in Dresden die intendierte Wirkung nicht verfehlt. Nachdem ihn der sächsische Kammermeister Hans Harrer in Empfang genommen hatte, berichtete er an den Kammersekretär, beim Vogel handle es sich um einen „Indianischen Raben […], auff solchen las ich achtung haben, als auff meiner kinder eins, er ist gar schon, vnd habe dergleichen vor [noch] nicht gesehenn“.⁴ Man darf dieser Einschätzung durchaus Gewicht zumessen, denn Harrer besaß selbst einen Papagei, wenn auch wohl einen weniger eindrucksvollen.⁵ Sowohl die Bezeichnung des Tiers als „indianischer Rabe“ als auch die Tatsache, dass der Vogel sprechen konnte, lassen die Vermutung zu, dass es sich um einen Ara-Papagei aus Südamerika handelte.⁶ Rott hatte den Vogel mutmaßlich über seinen Faktor Nathanael Jung in Lissabon erworben, der auch schon für den Kaiserhof exotische Tiere eingekauft hatte.⁷ Asiatische Papageienarten waren in Europa schon seit der Antike bekannt.⁸ Mit der Expansion der iberischen Königreiche nach Mittel- und Südamerika im 16. Jahrhundert kamen größere und farbenprächtigere Arten nach Europa, wo sie bald zum Symbol für

1 Berger, Projektemacher; Hildebrandt, Konrad Rot; Haebler, Konrad Rott. 2 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 18r. Das Inventar umfasst die Seiten 17v–31r. 3 Konrad Rott an Hans Harrer am 13.08.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 166r. 4 Hans Harrer an Johann Jenitz am 22.08.1579, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 12022/1, fol. 162v. 5 Hans Harrer an Leonhard Hubner am 02.09.1573, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 12021/1, fol 130r. 6 Kinzelbach/Hölzinger, Vogelbücher, 204. 7 Gschwend, New World Animals, 87 f. 8 Siehe dazu Mühlenfeld, Tierwelt im Mittelalter. https://doi.org/10.1515/9783111060682-003

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die Neue Welt und alles ‚Indianische‘ schlechthin wurden. Die Verbindung eines lang bekannten Tieres mit den von Europa weit entfernten Erdteilen ermöglichte es den Europäern Renate Pieper zufolge, „die unbekannten Wirklichkeiten mit bekannten Vorstellungen“ zu verknüpfen.⁹ Die Begeisterung für Papageien förderte den Handel mit ihnen, doch blieben sie ein nur schwer beschaffbares Gut, was auch an der kurzen Überlebensdauer der Tiere in Europa lag.¹⁰ Es stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Konrad Rott sich ein derartig teures Tier geleistet hatte, denn in Augsburg zählte sein Handelsunternehmen eben nicht zu den ganz großen. Das aus Ulm stammende Geschlecht der Rott war 1538 Teil des Augsburger Patriziats geworden, doch erst seit 1576 hatte die Firma Konrad Rotts von sich reden gemacht, als es ihm gelungen war, sich den sogenannten Europa-Kontrakt mit der portugiesischen Krone zu sichern, der ihm den Verkauf allen über Lissabon importierten Pfeffers zusicherte. Der Einstieg ins Pfeffergeschäft verschaffte Rott Prestige und Ansehen: Noch im selben Jahr wurde er in den Augsburger Geheimen Rat gewählt. Insofern diente ihm der Papagei zu Repräsentationszwecken. Durch den Kauf des Tieres konnte er seinen Anspruch untermauern, dass die Rott nun zu den bedeutendsten Familien Augsburgs dazugehörten. Dafür spricht vor allem auch die repräsentative Zurschaustellung des Tieres in dem an der Decke hängenden Vogelbauer im Eingangsbereich seines Hauses, wo jeder Besucher den Papagei sehen konnte. Die Präsenz von Geschöpfen aus Südamerika und Asien stellte in Handelsstädten wie Augsburg zwar längst keine Sensation mehr dar, doch waren die Tiere nach wie vor so selten, dass sie in der Regel nur in fürstlichen Menagerien anzutreffen waren. Wie auch die Exotica-Sammlungen in den Wunderkammern sollten die exotisch anmutenden Kreaturen dem Betrachter Einfluss, Reichtum und Macht ihrer Besitzer verdeutlichen.¹¹ Die Fugger, die sich wie kein zweites Patriziergeschlecht in Augsburg im 16. Jahrhundert an adlige Lebensweisen anpassten, hatten um 1570 einen der Öffentlichkeit zugänglichen Zoo mit exotischen Tieren in Augsburg eingerichtet. Laut der Beschreibung Michel de Montaignes gab es dort u. a. auch eine 15 Fuß hohe Voliere, wo der Humanist „indische Tauben“ sah.¹² Als Konrad Rott den Papagei in seinem Haus ausstellte, spielte er womöglich gezielt auf die Voliere der Fugger an. Jedenfalls musste sich dem Besucher ein Vergleich aufdrängen, denn bei den Fuggern konnte er vermutlich keinen derartigen Vogel sehen. Ausgerechnet Hans Fugger erwähnte den Papagei in mehreren seiner Briefe an den bayerischen Herzog Wilhelm. Der Geheime Rat Rott besitze einen „indianischen Kranich, ain wunderlicher selzamer schöner Vogel“. Und wie auch Rott zwei Jahre später hielt Fugger das Tier für etwas, das einer fürstlichen Sammlung oder Menagerie würdig sei, denn er stellte dem Herzog in Aussicht, den Papagei kaufen zu können, und versprach, ihn zur Ansicht nach München schicken zu lassen. Letztlich unterblieb dieses 9 Pieper, Vermittlung einer neuen Welt, 245 f. 10 Vgl. ebd., 247, 253. 11 Vgl. ebd., 245. 12 Stilett (Hg.), de Montaigne, 81.

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Vorhaben jedoch, da Fugger die hohen Kosten fürchtete, sollte das Tier beim Transport sterben.¹³ Der Vogel verschaffte Rott ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Augsburger Kaufmannschaft. Er, der über keine übermäßig großen finanziellen Eigenmittel verfügte¹⁴ und den Pfeffervertrag nur mit Hilfe von Fremdkapital hatte finanzieren können, nannte nun den mutmaßlich größten, schönsten und „seltsamsten“ Vogel in Augsburg sein Eigen. Die in den Augen von Europäern anziehende Exotik des Tieres strahlte auch auf seinen Besitzer ab und diente als passende Kulisse für Rotts Handel mit Gewürzen, Pflanzen, Edelsteinen und anderen Waren aus Südostasien und Südamerika. Im Folgenden möchte ich näher auf die Hintergründe dieser Verkaufsstrategie eingehen und aufzeigen, wie die gezielte Investition in Exotica Rott dabei half, sich als erfolgreichen Fernhandelskaufmann zu präsentieren. Um zu verdeutlichen, welchen Mehrwert der Besitz von Exotica für Rott hatte, wird auf den erweiterten Kapitalbegriff von Pierre Bourdieu zurückgegriffen. Neben „ökonomischem Kapital“ existieren der Theorie zufolge weitere Kapitalsorten, die ebenfalls zur Erlangung bestimmter Güter und Privilegien eingesetzt werden können und untereinander konvertierbar sind. So wird das soziale Kapital einer Person durch die Summe und Qualität ihrer sozialen Beziehungen gebildet, wozu etwa Verwandtschaft, Freunde, Bekannte, Geschäftskontakte und Mitgliedschaften in bestimmten Vereinigungen zählen. Da soziale Beziehungen gepflegt werden müssen, was Zeit und Geld erfordert, muss ökonomisches Kapital zur Generierung sozialen Kapitals eingesetzt werden.¹⁵ Unter Kulturkapital versteht Bourdieu hingegen die Bildung eines Akteurs, wobei drei Spielarten unterschieden werden: „Inkorporiertes Kulturkapital“ meint die „körpergebundene“ Bildung, die sich jeder individuell durch den Einsatz von Zeit etwa in der Schule erwerben muss; „institutionalisiertes Kulturkapital“, das vor allem in Titeln und akademischen Graden zum Ausdruck kommt und die Durchlaufung eines mehr oder weniger aufwendigen Prüfungsprozesses impliziert; und „objektiviertes Kulturkapital“. Hierunter fallen Gegenstände wie Kunstwerke oder Maschinen, deren Genuss oder Gebrauch an den Besitz bestimmter kultureller Fähigkeiten geknüpft sind. Es ist im juristischen Sinne übertragbar, doch die intellektuelle Aneignung erfordert inkorporiertes Kulturkapital.¹⁶ Durch das Objekt lässt sich also die eigene Bildung demonstrieren, weil sein Besitz Hingabe und hohe Sachkenntnis, die sich nur unter hohem Zeiteinsatz in exklusiven sozialen Kreisen erwerben lässt, suggeriert.¹⁷

13 Hans Fugger an Herzog Wilhelm V. von Bayern am 29.10.1577, 07.11.1577 und 15.11.1577, in Karnehm (Hg.), Korrespondenz Hans Fuggers, 518 f., 522 u. 526. 14 Zwischen 1575 und 1579 zahlte Rott jährlich 80 fl. an Steuern, was einem Gesamtvermögen zwischen 16.000 und 32.000 fl. entsprach. Stadtarchiv Augsburg, Augsburger Steuerbücher, Jahrgänge 1575 (fol. 100r), 1576 (fol. 97v), 1577 (fol. 97r), 1578 (fol. 97v) und 1579 (fol. 96v.) 15 Vgl. Bourdieu, Kapital, 183 – 198. 16 Vgl. ders. Kultur zum Bauern, 112 – 120. 17 Vgl. ders. Die feinen Unterschiede, 438 f.

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Um den Gebrauch von Exotica als objektiviertes Kulturkapital zu verstehen, wird zunächst der Handel Konrad Rotts näher vorgestellt. In den folgenden Teilen werden anhand des Hausinventars Umfang und Funktion von Exotica in Rotts Haushalt untersucht und ihr Einsatz als Geschenke im Rahmen von Rotts Geschäftsbeziehung zum kursächsischen Hof analysiert.

1 Der Handel Konrad Rotts In der Forschung ist Konrad Rott überwiegend für sein bereits angesprochenes Engagement im Pfefferhandel bekannt.¹⁸ Wie bereits erwähnt, hatte er sich 1576 vertraglich den Verkauf des über Lissabon importierten Pfeffers in Europa gesichert. Im Jahr 1579 übernahm er zudem den sogenannten Asien-Kontrakt, also den Einkauf des Pfeffers in Indien und Transport desselben nach Lissabon, wo er von der portugiesischen Krone zu einem Festpreis abgenommen wurde. Der Europa-Kontrakt funktionierte ebenfalls über Festpreise und war so gestaltet, dass der Krone jährlich hohe Einkünfte aus dem Pfeffergeschäft zuflossen, während das kaufmännische Risiko fast ausschließlich beim Vertragsnehmer lag. Dieser hatte zudem die Investitionskosten der Indienfahrten aufzubringen und darüber hinaus der Krone weitere Kredite zu gewähren.¹⁹ Das Geschäft war demnach höchst risikoreich, weswegen zumeist nur Konsortien sich um die Verträge bewarben. Rott war hingegen der erste, der beide Verträge alleine innehatte, wobei der hohe Geldbedarf auch ihn zwang, nachträglich Vertragsanteile an Geschäftspartner abzutreten. Letztlich erwies sich seine Finanzierungslücke aber als so groß, dass er einen finanzkräftigen Geldgeber für seinen eigenen Handel finden musste. Diesen fand der Kaufmann im sächsischen Kurfürsten August, dessen Räte die Thüringische Gesellschaft ins Leben riefen und mit dem Geld des Kurfürsten den Handel finanzierten. Rott hatte den Sachsen enorme Gewinne und einen wirtschaftlichen Aufschwung für das ganze Kurfürstentum versprochen. Seine Idee bestand darin, ein Monopol auf Pfeffer in Europa zu etablieren. Dafür hatte er den europäischen Kontinent in Handelsprovinzen eingeteilt, die er seinen Geschäftspartnern zuwies. Sich selbst und den Sachsen behielt er das Reich, die Niederlande, Polen und die übrigen Territorien des Ostseeraumes vor. Laut Vereinbarung mit dem Kurfürsten sollte in Leipzig ein zentraler Handelsort für Pfeffer entstehen, wo sich alle Gewürzhändler seiner Provinz mit Pfeffer versorgen mussten. Sein Kalkül bestand darin, durch eine 50 prozentige Steigerung der Importmenge, die traditionellen Handelswege durch die Levante austrocknen zu können. Obwohl das Funktionieren dieser Idee bereits unter seinen Zeitgenossen umstritten war und der gemeinsame Pfefferhandel bereits nach einem Jahr durch Rotts Bankrott 18 Siehe dazu Isenmann, Wirtschaftsethik, 283 f.; Häberlein, Aufbruch, 103 f.; Kalus, Pfeffer, 12; Johnson, German Discovery, 191 – 194; Schirmer, Öffentliches Wirtschaften, 151 – 153; Strieder, Organisationsformen, 107 f. 19 Siehe dazu Hildebrandt, Konrad Rot; Kalus, Pfeffer, 67– 78.

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scheiterte, wurden im Vorfeld weder seine Person noch seine Geschäftspraxis durch die kurfürstlichen Beamten hinterfragt. Allen Ungereimtheiten und Verzögerungen zum Trotz, die sich aus Rotts Kapitalmangel und der Dysfunktionalität seiner Monopolidee ergaben, bezahlten ihm die sächsischen Handelsdiener auf allen Messen anstandslos die fälligen Beträge für den gelieferten Pfeffer.²⁰ Diese fremdfinanzierte Form des Unternehmertums, bei der eine Obrigkeit eine auf technischem oder ökonomischem Spezialwissen beruhende Geschäftsidee einkaufte, ist auch als Projektemacherei²¹ bekannt. Projektemacher waren vor allem im 17. Jahrhundert an Höfen präsent, wo sie versuchten, Unterstützung für ihre mehr oder weniger innovativen Projektideen zu erhalten. Durch z.T. enorme Gewinnversprechen sicherten sich Projektemacher die rechtliche und finanzielle Hilfe eines Fürsten, wobei ihre Projekte auf neuen Geschäftsideen, Technologien oder arkanem Wissen beruhen konnten. Nicht selten scheiterten Projektemacher mit ihren hochriskanten Vorhaben spektakulär, weswegen ihnen der Ruf vorauseilte, im Grunde nur Betrüger zu sein, die es auf die Schatzkammern der Fürsten abgesehen hatten. Dennoch wurden sie auch immer wieder für ihren Einfallsreichtum und vermeintliche Genialität gerühmt. An Höfen war ihr Vorgehen u. a. bedeutend für den Erwerb ökonomischen Wissens, da ihre ungewöhnlichen Ideen dabei helfen konnten, das oftmals statische Verständnis von Wirtschaft zu durchbrechen.²² Wenn man das Geschäftsgebaren von Konrad Rott als eine frühe Form der Projektemacherei bewertet, lässt sich auch sein Interesse für Exotica damit in Verbindung bringen. Jan Lazardzig zufolge war es in der Frühen Neuzeit ein zentrales Merkmal von Projektemacherei, dass das in den Projekten angewandte Wissen möglichst theatralisch in Szene gesetzt wurde. Indem Projektemacher die großartigsten Versprechungen machten und in übertriebenen Ausdrücken den zukünftigen Erfolg beschworen, wandten sie eine dem Theater verwandte Illusionstechnik an, die glauben machen sollte, dass alles Denkbare letztlich auch machbar ist.²³ Projektemacher mussten demnach sich und ihre Ideen bestmöglich in Szene setzen, um die versprochenen Gewinne als realistisch und die zugrundeliegenden Risiken als beherrschbar erscheinen zu lassen. Dies war auch die Absicht Rotts: Um von seinen Geschäftspartnern als kompetenter und erfolgsverwöhnter Experte für Waren aus West- und Ostindien wahrgenommen zu werden, investierte der Kaufmann bewusst in kuriose Objekte aus Südamerika und Südostasien, die als objektiviertes Kulturkapital die perfekte Kulisse für seine Geschäftsidee bildeten und das dahinterstehende notwendige Fachwissen dinglich symbolisierten.

20 Zum Verlauf des Pfefferhandels siehe insbesondere Haebler, Konrad Rott. 21 Siehe etwa Droste, Offensive Engines; Fedyukin, Enterprisers; Berger, Pionier globalen Handels; Yamamoto, Taming Capitalism; Brugger, Produktivität; Brakensiek, Projektemacher; Krajewski, Über Projektemacher. 22 Vgl. Brakensiek, Projektemacher, 53 f. 23 Vgl. Lazardzig, Theatermaschine, 247 f.

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2 Das Hausinventar Konrad Rotts Da im Zuge des Konkursverfahrens gegen Rott sein Haushalt inventarisiert wurde, ist es möglich, nähere Aussagen darüber zu treffen, wie viele Exotica er besaß und wie diese seine Selbstinszenierung potenziell unterstützten. Dabei wird deutlich, dass er diese Objekte nicht einfach nur kaufte, um sie im richtigen Moment an adelige Sammler und Gönner wieder zu veräußern oder zu verschenken, sondern er umgab sich auch mit ihnen und stellte wohl wenigstens einen Teil in seinem Haus im Patrizierquartier Grottenau²⁴ aus. Das Inventar²⁵ hat sich als Abschrift in der Gerichtsakte zu Rotts Konkursverfahren erhalten und listet über 4900 Objekte Raum für Raum auf, wobei einige wenige Objektgruppen wie das Zinngeschirr nicht stückweise, sondern nur mit dem Gesamtgewicht erfasst werden. Bei über der Hälfte der einzeln spezifizierten Gegenstände handelte es sich anscheinend um Handelsware: In zwei Posten werden 2.687 Stück blau-weiß gestreifte „indianische Leinwat“ zu je 20 Kreuzern genannt.²⁶ Von den verbleibenden Objekten hatten 687 eine außereuropäische Provenienz, der Großteil davon wiederum entfiel auf Porzellan. 25 Stücke im Inventar werden als „indianisch“ charakterisiert, wobei das Wort im 16. Jahrhundert sich sowohl auf Amerika, Afrika als auch auf weite Teile Ostasiens beziehen konnte. Im Inventar werden mit dieser Bezeichnung Naturalien, Möbel, Einrichtungsgegenstände und Textilien beschrieben. Es werden aufgeführt ein „Idolo“ aus Knochen²⁷, zwei schwarze Nüsse „wie flaschen“²⁸, ein Kürbis oder eine kürbisartige Frucht²⁹, zwei Stück Holz³⁰, ein mit goldenen und silbernen Vögeln verzierter Dolch³¹, vier Schüsseln³², vier „laden“³³ (= Truhen), zwei zusammenlegbare Tische³⁴, ein Bett³⁵, eine Tischdecke³⁶, zwei seidene Steppdecken³⁷, drei leinene, mit Seide ausgenähte Mäntel³⁸ sowie ein „indianisches gmehl vff Indianisch Papir“³⁹.

24 Rott bewohnte seit 1569 mit seiner Familie ein um 1500 erbautes Eckhaus (Litera D 191), heute das Grundstück Grottenau 2, Ecke Grottenau/Ludwigstraße. Von Trauchburg, Augsburger Patrizier, 94 – 96. 25 Allgemein zu Inventaren und ihrem Nutzen als Quelle siehe Bues, Inventories; Riello, Seen and Unseen; Habel, Inventur. 26 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 17v. 27 Ebd., fol. 21r. 28 Ebd. Hierbei handelte es sich wohl um Flaschenkürbisse, vgl. Seipel, Exotica, 213 f. 29 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 23r. 30 Ebd., fol. 21r. 31 Ebd., fol. 22r. 32 Ebd., 23r u. 25r. 33 Ebd., fol. 25r. 34 Ebd., fol. 25r u. 28v. 35 Ebd., fol. 28v. Die in Indien als Klappmöbel konzipierten Betten wurden nur für den europäischen Markt hergestellt, wo sie vereinzelt in Inventaren belegt sind. Seipel, Exotica, 185. 36 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 29r. 37 Ebd., fol. 25v. Decken und Wandbehänge machten einen erklecklichen Anteil des portugiesischen Handels mit Indien aus und kamen etwa aus Bengalen. Seipel, Exotica, 216.

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Die im Inventar für die Objekte angeschlagenen Preise variieren sehr stark: Während die Naturalien entweder nur wenige Gulden oder überhaupt nichts wert sein sollten, gehörten der Dolch mit 75 fl. oder die Steppdecken mit 30 und 12 fl. zu den höherpreisigen Objekten. Da die Möbel und Einrichtungsgegenstände ebenfalls mit eher geringen Beträgen von jeweils wenigen Gulden bewertet wurden, liegt die Vermutung nahe, dass vor allem der Materialwert bei der Schätzung den Ausschlag gab. Dies lässt sich auch in den Inventaren fürstlicher Wunderkammern beobachten, wie etwa in jenen der Habsburger, die z. B. hölzerne Herrschaftsinsignien der Inka aus Südamerika nur mit wenigen Reales an Wert aufführen.⁴⁰ Außer einem „türckhischen Disch Deppich“⁴¹ gibt es keine weiteren Gegenstände im Inventar, für die eine außereuropäische Herkunft angegeben wird. Doch werden zahlreiche weitere Objekte erwähnt, bei denen dies offensichtlich der Fall war oder zumindest sehr wahrscheinlich. Am beeindruckendsten nimmt sich dabei die hohe Stückzahl an Porzellan aus, die sich in dieser Größenordnung für keinen anderen Augsburger Patrizierhaushalt im 16. Jahrhundert belegen lässt. In 32 Posten werden 599 Stück Porzellan⁴², fast ausschließlich Geschirr, genannt, darunter Schalen, Schüsseln, Näpfe, Teller und Häfen in unterschiedlicher Form und Größe sowie Salzbüchsen, Essigkännchen und ein Pokal. Die mitunter hohen Stückzahlen für einzelne Posten – so gab es 93 Porzellanschüsseln und 75 „tiefe Näpfle“– deuten darauf hin, dass Rott möglicherweise Teile zum Verkauf vorgesehen hatte. Allerdings befand sich sämtliches Porzellan mit Ausnahme eines Hafens und eines Gefäßfußes für eine Schale in einem Schrank auf einem Hausflur, was eher für einen wirklichen Gebrauch des Geschirrs spricht. Der Gefäßfuß war das einzige Stück, das laut Inventar silberne Verzierungen aufwies.⁴³ Das „Zinn- und Messinggeschirr“⁴⁴ wurde laut Inventar zusammen mit alter Wäsche und ausrangierten Möbeln im ebenerdigen Gewölbe verwahrt. Womöglich verschenkte oder verkaufte Rott einzelne Porzellanstücke an Gäste, die zuvor davon an seiner Tafel gegessen hatten. Je nach dem, wie groß die jeweiligen Stücke waren, wurden die einzelnen Gefäße zwischen wenigen Kreuzern und mehreren Gulden veranschlagt: Eine Senfschüssel bewerteten die Amtspersonen mit acht Kreuzern, einen großen Hafen hingegen mit 3 fl. Insgesamt belief sich der Wert des Porzellans auf nicht ganz 230 fl. Die für einen Patrizierhaushalt durchaus erschwinglichen Preise lassen sich mit dem Umstand erklären, dass chinesisches Porzellan keine Seltenheit mehr in Europa war. Schon seit den 1530er Jahren führten portugiesische Händler jährlich mehrere 10.000 Stücke nach Lissabon ein, wo es zur Jahrhundertmitte bereits sechs Fachgeschäfte für die Handelsware aus

38 39 40 41 42 43 44

StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 25v. Ebd., fol. 26r. Vgl. Rudolf, Exotica bei Karl V., 199. StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 29r. Ebd., fol. 29r – 29v. Ebd., fol. 21v. Ebd., fol. 30vf.

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dem Reich der Ming-Dynastie gegeben haben soll.⁴⁵ Aufgrund der Lichtdurchlässigkeit und Feinheit des Materials assoziierten europäische Konsumenten Porzellan mit Muschelschalen, die sie als integrale Zutat des fernöstlichen Produkts vermuteten.⁴⁶ Im deutschsprachigen Raum fanden Porzellane insbesondere durch Augsburger Kaufleute wie Rott Verbreitung, die durch ihre Handelsverbindungen nach Portugal und Spanien leichten Zugang dazu hatten.⁴⁷ Allerdings handelte es sich dabei zu einem großen Teil um Kunstkammerobjekte, die nicht für den tatsächlichen Gebrauch gedacht waren. Der Import größerer Mengen erfolgte erst durch die niederländische VOC zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als Porzellan auch vermehrt in städtischen Oberschichten Verbreitung fand.⁴⁸ Zu den aus Indien über Lissabon importierten Exotica zählten womöglich auch 45 aus Perlmutt gefertigte Preziosen. Das kostbare, aus Muschelschalen gewonnene Material war ein traditioneller Werkstoff der indischen Goldschmiedekunst, doch begannen europäische Handwerker bald damit, Verarbeitungstechniken zu übernehmen und in Indien gefertigte Objekte für den europäischen Markt umzuarbeiten.⁴⁹ Rott besaß laut Inventar 18 „Berle mutteri geschnittne meerschneckhen“⁵⁰, 24 Perlmutt-Löffel⁵¹, einen weiteren solchen Löffel mit einem silbernen Stiel⁵², einen Rückenkratzer⁵³ sowie einen Pilgerstab⁵⁴. Während die einfachen Löffel mit je 10 Kreuzern bewertet wurden, schätzte man den Pilgerstab immerhin auf 24 fl. Bis auf die Meerschnecken verwahrte der Kaufmann die Perlmutt-Kunstarbeiten zusammen mit dem Silbergeschirr in einem Schrank aus Nussbaumholz in seinem Arbeitszimmer. Bei den restlichen Exotica handelte es sich vor allem um weitere Naturalien mit zum Teil silbernen Einfassungen. Beim Silbergeschirr standen etwa zwei weitere eingefasste Meerschnecken⁵⁵, wobei es sich um Nautilus- oder Turboschneckenpokale gehandelt haben könnte, wie sie auch häufiger in fürstlichen Kunstkammern ausgestellt wurden.⁵⁶ Besonders kurios muteten Rotts Zeitgenossen vielleicht zwei ausgestopfte Gürteltiere und ein Chamäleon an.⁵⁷ Wie auch beim Papagei könnte es sich dabei um bewusste Anspielungen auf den Zoo der Fugger gehandelt haben. Ferner werden an

45 Vgl. Suebsman, Chinesisches Porzellan, 34 f. 46 Vgl. Grasskamp, Collector’s Cabinet, 59. 47 Vgl. Suebsman, Chinesisches Porzellan, 36 – 42. 48 Suebsman, Chinesisches Porzellan, 50 – 52, Schmidberger, Porzellan aus China, 14. Zum Handel mit Porzellan in 17. Jahrhundert siehe Jörg, Porzellanhandel. Eine Übersicht über die Produktionsorte bietet Wu, Kraak Porcelain. 49 Sangl, Indische Perlmutt-Raritäten, 263. 50 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 21r. 51 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 22r. 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Ebd., fol. 21v. 56 Siehe dazu Mette, Nautiluspokal; Koeppe, Kunstkammerstücke, 83 – 86. 57 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 21r, 23r.

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weiteren exotischen Tierüberresten genannt eine „Fischzungen, vff bayden seytten Zincket“⁵⁸ sowie ein „Ainkürnhornn“⁵⁹, d. h. das Horn eines Einhorns. Im Mittelalter und früher Neuzeit wurden die Stoßzähne von Narwalen als angebliche Einhornhörner gehandelt, die aufgrund ihrer Seltenheit und zugeschriebenen giftneutralisierenden Wirkung ebenfalls begehrte Objekte für die Wunderkammern von Fürsten und Königen waren.⁶⁰ Für Rott hatte das Horn, das er in einem Wollsack aufbewahrte, vielleicht auch einen persönlichen Wert, da das Wappentier der Rott ein sich aufbäumendes Einhorn war.⁶¹ Zu den absoluten Raritäten gehörten darüber hinaus zwei „Cocademaldiua“, davon eine in Silber eingefasst.⁶² Coco de Maldiva war im 16. Jahrhundert die Bezeichnung für die Seychellennuss, der größte auf der Erde vorkommende Pflanzensame, der nur auf der gleichnamigen Inselgruppe heimisch ist. Der irreführende Name Coco de Maldiva rührt daher, dass die Seychellen erst Mitte des 18. Jahrhunderts besiedelt wurden und bis dahin die Nüsse nur als Strandgut von den Malediven bekannt waren. Dort gab es auch Geschichten der indigenen Bevölkerung von einem unter Wasser wachsenden Baum, dessen Früchte am Strand gefunden werden konnten. Für Europäer waren die Nüsse schon aufgrund ihrer ungewöhnlichen Größe interessant. Portugiesische Seefahrer brachten Exemplare nach Europa, wo einige von ihnen in Gefäße umgearbeitet wurden. Seychellennüsse galten auch als wirksames Gegengift und wurden in verschiedenen Wunderkammern ausgestellt.⁶³ Zu dieser Kategorie der arzneilich verwendbaren Exotica in Rotts Besitz zählen schließlich auch fünf Bezoarsteine, davon vier in Gold eingefasst.⁶⁴ Bezoarsteine sind Verklumpungen unverdaulichen Materials aus Tiermägen und galten ebenfalls als wirksame Arznei bei Vergiftungen. Insbesondere die Steine aus dem Magen der Bezoarziege waren im 16. und 17. Jahrhundert eine gefragte Handelsware und in ganz Europa verbreitet.⁶⁵ In Augsburg bezog z. B. Hans Fugger regelmäßig Bezoare über Thomas Miller, den Faktor des Familienunternehmens in Madrid.⁶⁶ Dass vier von Rotts Bezoaren in Gold eingefasst waren, verweist darauf, dass Bezoarsteine oft auch verarbeitet in Amuletten, Anhängern oder Ringen am Körper getragen wurden.⁶⁷ Das Inventar Rotts listet ferner 26 ½ Lot an Bezoarstein auf,⁶⁸ der vermutlich in zerkleinerter Form zur direkten Einnahme diente.

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StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 23r. Ebd., fol. 21r. Helas, „See-Einhorn-Fisch“, 110 – 113. Vgl. auch Weber, „Alles was frembd“, 248 f. Bimmlische Stammen, SuSBA, 4 Cod. H 11, fol. 21v. StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 21v, 23r. Siehe dazu Weber, „Alles was frembd“, 250; Stark, Decorative Objects, 76 – 83. StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 22r. Stark, Decorative Objects, 70 – 76. Dauser, Medizinische Exotica, 54 – 57. Seipel, Exotica, 189 – 191. StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 22r.

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Wie auch bei den als „indianisch“ bezeichneten Stücken wurden die meisten dieser Exotica gar nicht oder nur mit geringen Beträgen bewertet. Die einzige Ausnahme stellten die fünf Bezoarsteine dar, die mit zusammen 400 fl. zu den teuersten Stücken in Rotts Haushalt zählten. Objekte wie die ausgestopften Tiere und das Einhornhorn waren schlicht zu selten, als dass ein realistischer Marktpreis hätte angegeben werden können. Der in Europa verlangte Preis konnte sich nur schwer an einer konkreten Nachfrage orientieren, sondern bemaß sich im Zweifelsfall daran, was ein Sammler oder Liebhaber zu zahlen bereit war.⁶⁹ Dies lässt sich besonders gut an der in Silber eingefassten Seychellennuss zeigen, deren Gesamtwert inklusive Fuß und Deckel lediglich anhand des verarbeiteten Silbers auf 36 fl. taxiert wurde. Allerdings hatte Rott noch ein zweites eingefasstes Exemplar besessen, das sein Diener Hieronymus Frasy im Sommer 1579 an den sächsischen Kurfürsten verkaufte. In einem erhaltenen Verzeichnis „indianische[r] sachen“, die der kurfürstliche Diener Hieronymus Kramer für seinen Herrn „behalten hat“, werden außer der „Cocha de Maldifa“ ein Stück weißen Damasts, zwei Stück „gestepte Leinwath mit Baumwoll“ und „Etliche pirsillianische Casteneos“ aufgeführt.⁷⁰ Beim letzten Posten dürften Paranüsse gemeint sein, die auch als brasilianische Kastanien bekannt sind. Insgesamt zahlte Kramer gut 500 fl. für die gesamte Auswahl. Die Seychellennuss (siehe Abb. 1) hat sich bis heute in der Sammlung des Grünen Gewölbes in Dresden erhalten⁷¹ und gilt als eine von weltweit nur sechs erhaltenen eingefassten Stücken ihrer Art.⁷² Im Vergleich mit den im Inventar genannten Preisen wird deutlich, dass der Handel mit solchen Preziosen und Exotica durchaus lukrativ sein konnte, vorausgesetzt der Händler fand einen zahlungskräftigen Abnehmer, der bereit war, solche Preise zu zahlen. Die Anzahl an Exotica, die der Augsburger Kaufmann sein Eigen nannte, war selbst für einen Patrizierhaushalt überdurchschnittlich groß. Dies macht ein Vergleich mit Inventaren anderer Mitglieder der Augsburger Oberschicht deutlich, in denen Exotica und ‚indianische‘ Gegenstände zwar keineswegs selten, doch im Durchschnitt in deutlich kleineren Stückzahlen belegt sind. Das Nachlassinventar Octavian Secundus Fuggers zählt etwa indischen Balsam, Preziosen wie ein Korallenpaternoster mit indischen Rubinen oder einen „dickhen Indianische[n] Ring“, zwei eingefasste Bezoarsteine, eine „indianische“ Glocke, Schreibzeug, Papier aus Baumrinde, eine Decke, ein grünes Glasgefäß sowie jeweils einige Teppiche, Perlmuttarbeiten und Porzellane auf.⁷³ Fugger war zusammen mit seinem Bruder Philipp Eduard selbst einige Jahre im indischen Gewürzhandel tätig⁷⁴ und hatte daher wie Rott einen exklusiven Zugang zu aus Südostasien importierten Gütern. Mengenmäßig blieb seine Sammlung aber hinter der von Rott zurück. Einen noch kleineren Anteil machen Exotica im Inventar des Nachlasses

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Vgl. Pieper, Papageien und Bezoare, 215 f. SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, Verzaichnus, Was Jheronimus Kramer, fol. 69r. Vgl. Weber, „Alles was frembd“, 250. Vgl. Stark, Decorative Objects, 80. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 233 f., 236 – 238, 241 – 244, 256, 264, 268, 274, 287, 289, 296. Siehe dazu Hildebrandt, „Georg Fuggerischen Erben“; Kalus, Pfeffer.

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Abb. 1: In Silber gefasste Seychellennuss, Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Foto: Jürgen Karpinski).

seines Vaters Georg II. Fugger aus, der seinen Kindern mehrere Straußenfedern, zwei weiße und vier schwarze Federn sowie eine grüne Feder und drei Leopardenhäute hinterließ.⁷⁵ Ein ähnliches Bild zeichnen Inventare von Familienangehörigen der Welser: Hans Welser, ein Vertreter des Nürnberger Zweigs der Familie, besaß laut Inventar „ein guldnes Meerwunder“ und einen türkischen Bogen samt Köcher,⁷⁶ wobei „türkisch“ sich als Herkunftsbezeichnung im 16. Jahrhundert auf ganz Kleinasien beziehen konnte. Ebenfalls aus Nürnberg stammte Sebald Welser, dessen Inventar neben einigen türkischen Teppichen eine eingefasste „Indianische Muscatnuß“ aufführt.⁷⁷ Als 1576 Anna Maria Welser, die Witwe des 1570 verstorbenen Philipp Welsers, eine Erbteilung zwischen ihr und ihren Kindern vornehmen ließ, wurden bei der darauffolgenden Inventarisierung zwar keine als „indianisch“ betitelten Gegenstände festgehalten, wohl aber sieben türkische Bögen mit dazugehörigen Köchern und Ledersäcken.⁷⁸ Der mit den Welsern verschwägerte Paul Vöhlin hinterließ laut Inventar zehn türkische Teppiche und einen Säbel, mehrere Stücke aus Koralle, neun „indianische“

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StAA, Notariatsarchiv Johannes Spreng, Bd. VII (1572), Inventar Georg Fuggers. Welser, Die Welser, 275. Ebd., 299, 302. StAA, Notariatsarchiv Johannes Spreng, Bd. XIV (1576), Inventar Anna Maria Welser.

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Ringe, eine Meerschnecke aus Perlmutt sowie zwei „indianische“ Geschirrteile.⁷⁹ Eine größere Auswahl türkischer Teppiche wurde auch in der Verlassenschaft Marina Rehlingers, der Witwe von Christoph II. Rehlinger, gefunden, die neunzehn Stück ihr Eigen nannte. An Exotica können darüber hinaus aber nur ein vergoldetes Muscheltrinkgeschirr, zwei „indianische“ goldene „büldlein“ und eine „indianische“ Decke genannt werden.⁸⁰ Die hier nur stichprobenartig ausgewerteten Vergleichsbeispiele verdeutlichen, dass in Augsburger Patrizierhaushalten zumeist nur eine überschaubare Zahl an Gegenständen eine klar identifizierbare außereuropäische Herkunft aufwies. Dazu zählten besonders oft ‚türkische‘ Teppiche und Waffen. Rotts Sammlung an Exotica kann daher wenigstens als ein Versuch angesehen werden, eine Art Alleinstellungsmerkmal innerhalb des Augsburger Patriziats einzunehmen. Wie Bernd Roeck konstatiert, gab es in der Reichsstadt eine eigene bürgerliche Sammelkultur, die sich zwar an adeligen Vorbildern orientierte, dennoch aber zu großen Luxus und Prachtentfaltung vermied. Bücher, Antiquitäten, Kunstwerke und Exotica wurden eher im eigenen häuslichen studiolo gesammelt und bewundert, wobei in den meisten Fällen von einem dezidiert wissenschaftlichen Interesse noch keine Rede sein konnte. Dennoch waren die Sammlungen auch Orte des Austausches und der Begegnung, wo eine patrizische Sammel- und Wohnkultur ihren Ausdruck fand.⁸¹ Da das Haushaltsinventar Konrad Rotts nach Räumen geordnet ist, lassen sich zu einem gewissen Grad Aussagen darüber treffen, wie der Kaufmann seinen Exoticabestand im Haus verteilte und präsentierte. Wie bereits erwähnt befand sich im ersten als Stube bezeichneten Raum⁸² der mutmaßlich von der Decke hängende Papageienkäfig. Auch wenn keine eindeutige Lokalisierung im Haus möglich ist, liegt doch die Vermutung nahe, dass über diese Stube der Wohnbereich des Hauses betreten wurde. Dafür sprechen die Position des Raumes im Inventar sowie die mutmaßlich dort zwischengelagerten „indianischen“ Leinwandstücke. Jeder Besucher hätte in diesem Fall beim Betreten des Hauses den Papagei sehen können, wodurch Rott sein Prestige als Fernhandelskaufmann, von Bourdieu symbolisches Kapital⁸³ genannt, mehren konnte. Wer den Papagei betrachtete, musste auch an den finanziellen Aufwand, die exklusiven Geschäftsbeziehungen und die benötigten Fachkenntnisse denken, die es gebraucht hatte, um ein solch exotisch anmutendes Tier nach Augsburg zu bringen. Den größten Teil seiner Sammlung verwahrte Rott jedoch in seiner Schreibstube, die im Inventar als des „Conrad Rotten Kammer“⁸⁴ bezeichnet wird. Hier fanden die Beamten nicht nur sämtliche Geschäftsunterlagen, sondern auch den größten Teil aller

79 StAA, Notariatsarchiv Johannes Spreng, Bd. XX (1579), Inventar Paul Vöhlin. 80 Ebd., Bd. XXXIV (1586), Inventar Marina Rehlinger. 81 Vgl. Roeck, Als wollt die Welt, 133, 155 f. Lediglich die Fugger orientierten sich bei der Präsentation ihrer Sammlungen an höfischen Vorbildern. So etwa Hans Fugger in den sogenannten Badstuben. Siehe Diemer, Sammlungskabinette. 82 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 17v–18r. 83 Vgl. Fuchs-Heinritz [u. a.], Pierre Bourdieu, 135 – 137. 84 StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 18r–24r.

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Wertsachen sowie 69 der Gegenstände, die sich als Exotica bezeichnen lassen. Dazu zählten etwa die ausgestopften Tiere, die Seychellennüsse, das Einhornhorn, die Bezoarsteine, die Perlmuttarbeiten und mehrere „indianische“ Objekte. Gefunden wurden sie in verschiedenen Aufbewahrungsmöbeln, die als „ledle“, „Kassten“ oder „drühle“ bezeichnet werden. Ob die Möbel eine gefällige Präsentation der Stücke ermöglichten, lässt sich nicht feststellen, doch spricht schon allein die hohe Anzahl an Exotica im Raum dafür, dass sie zumindest bei Bedarf hervorgeholt und als Kulisse für Verhandlungen, Vertragsabschlüsse oder Rechtsgeschäfte eingesetzt werden konnten. Nachfragen oder Bemerkungen seiner Geschäftspartner und Besucher konnte der Hausherr nutzen, einzelne Stücke näher zu erläutern bzw. die Geschichte ihres Erwerbs oder andere mit dem Objekt in Verbindung stehende Anekdoten zu erzählen. Auf diese Weise konnte sich Rott, wie auch später die Sammler von Exotica im 18. und 19. Jahrhundert, als echter ‚Kenner‘ dieser Objekte inszenieren, der genügend ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital besaß, eine solche Auswahl zusammenzubringen.⁸⁵ Im Gegensatz zu Sammlern späterer Jahrhunderte, die sich zur Akquise neuer Objekte eines etablierten Markts mit spezialisierten Händlern bedienen konnten,⁸⁶ stand Rotts Sammlung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit als Fernhandelskaufmann. Aus diesem Grund war es naheliegend für Rott, sie nicht in einem speziell dafür reservierten Raum auszustellen, sondern direkt in der Zentrale seines Handelsunternehmens, wo ihre Funktion als objektiviertes Kulturkapital sich am effektivsten entfalten konnte. Das ebenfalls im Raum verwahrte Silbergeschirr, vergoldete Trinkpokale und kunsthandwerkliche Stücke aus Schmuckstein setzten zu seiner Sammlung gewissermaßen den Kontrapunkt und verdeutlichten den materiellen Erfolg Rotts sowie seine patrizische Herkunft. Sie ergänzten in dieser Hinsicht die wertemäßig nur schwer einschätzbaren Exotica. Die restlichen Stücke verteilten sich auf die übrigen Räume des Hauses. Außer dem Porzellan, das wie beschrieben in einem Schrank auf einem Flur gelagert wurde, listet das Inventar für vier weitere Räume „indianisch“ bezeichnete Möbel und Einrichtungsgegenstände auf, wo sie jeweils nacheinander in drei oder vier Posten genannt werden. Während es sich dabei in zwei Fällen um in Truhen gelagerte Textilien handelte,⁸⁷ befand sich in einer Stube ein „zusamen gelegte[r] Disch, vier Indianische laden“ und „drey Indianische schisseln“⁸⁸ und in einer anderen Kammer der zweite zusammenlegbare Tisch mit dem Bett und einem Porzellanhafen.⁸⁹ Der Umstand, dass die Objekte in jedem Raum nacheinander aufgeführt werden, könnte auf eine bewusste Gruppierung der Stücke hindeuten. Die Sammlung in Rotts Schreibstube wurde so gewissermaßen thematisch aufgegriffen, was eine Fortsetzung der Inszenierung in anderen Räumen ermöglichte. 85 86 87 88 89

Vgl. Nutz, Exotische Artefakte, 14. Vgl. ebd., 20 f. StAA, 95 Schuld-, Klag- und Appellationssachen, Serie II, 162, fol. 25v, 29r. Ebd., fol. 25r. Ebd., fol. 28v.

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3 Verschenkte Exotica als Mittel der Selbstinszenierung In Anbetracht dieses erklecklichen Vorrats an Exotica war es Rott möglich, sie gezielt in den Verhandlungen mit den kursächsischen Räten einzusetzen. Im Rahmen der Regeln höfischer Patronage konnte Rott für geleistete Dienste und Ehrbezeugungen seinerseits Förderung, Schutz und Gunsterweise erwarten.⁹⁰ Der Kaufmann war dem Kurfürsten und seinen Räten zu Diensten, indem er Augsburger Kunsthandwerkswaren für den Kurfürsten bestellte⁹¹, Personal an den sächsischen Hof vermittelte⁹², Hofangehörige mit Reisegeld ausstattete⁹³ oder der kurfürstlichen Familie und den Beamten der Thüringischen Gesellschaft auserlesene Geschenke machte. Bei der Auswahl seiner Gaben achtete Rott darauf, dass sie zu seinem Image als global tätigen Fernhandelskaufmann passten. Seine Geschenke sollten die Sachsen nicht einfach nur beeindrucken und um ihr Wohlwollen werben, sondern sie sollten vor allem auch Assoziationen wecken und an Rotts Verbindung zur überseeischen Welt erinnern, als deren Experte⁹⁴ er wahrgenommen werden wollte. Diese Selbstvermarktungsstrategie funktionierte vor allem gut aufgrund der allgemein hohen Nachfrage an europäischen Höfen nach seltsamen, wunderlichen und fremden Dingen aus Amerika, Afrika oder Asien. Im Fall von Kursachsen wusste Rott sogar sehr genau über die Vorlieben am Hof Bescheid, denn er hatte bereits 1576 den kursächsischen Emissär Hieronymus Kramer in Lissabon dabei unterstützt, Spezereien, Edelsteine und andere Waren für den Kurfürsten und seinen Hof einzukaufen. Laut einer Instruktion sollte sich Kramer z. B. auch nach „Frische Jndianische Nüß, wie sie wachsen inn schalen sowie Paradisuogel Papageyen, Syttich vnd andere seltzambe Vögel“ umsehen.⁹⁵ Mittelfristig sollte sich Kramer sogar um eine Reise nach Indien bemühen, die dann allerdings aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht erfolgte.⁹⁶ 1577 dankte der sächsische Kammermeister Hans Harrer brieflich Rotts Faktor in Lissabon, Nathanael Jung, weil ich aus den schriften die Hieronimus Kramer an mich geschickt, befinden, das ihme vom herrn vil gutes willens ertzeigt auch treuer Rath mitgeteilt worden, So vermercke ich solches nicht allein freundtlichen, Sondern hab solches gegen dem Churfursten zu Sachssen vnd Burggrafen zu Mag-

90 Siehe dazu Reinhard, Kreaturen, 35 – 41; Asch [u. a.], Integration; Hirschbiegel/Pavicini, Fall des Günstlings. 91 Z. B. Konrad Rott an Hans Harrer am 17.08.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol.199/1v 92 Z. B. Konrad Rott an Hans Harrer am 10.11.1579, ebd., fol. 363vf. 93 Z. B. Konrad Rott an Hans Harrer am 15.10.1579, ebd., fol. 338rf. 94 Zur Inszenierung von Projektemachern als Experten siehe Droste, Offensive Engines; Berger, Verhängnisvolle Expertise. 95 Hans Harrer an Hieronymus Kramer am 02.05.1576, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 32560, Rep. XXII, Nr. 89 (unfoliert). 96 Hieronymus Kramer an Hans Harrer am 21.06.1576, ebd.

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deburg meinen gnst. herrn vnderthenigst rhumiert vnd wils vm den herrn alleweg zuuerdinen mich willig befinden lassen.

Daneben überschickte Harrer auch eine Liste mit weiteren Bestellungen des Kurfürsten, um die sich Jung bitte kümmern solle, falls Kramer nicht mehr in Lissabon sei.⁹⁷ Rotts Hilfestellung bei dieser Angelegenheit gab ihm die Informationen an die Hand, wie er die Interessen des kursächsischen Hofes bedienen konnte. Über das Jahr 1579 hinweg verschenkte er an den Kurfürsten, seinen Sohn Christian und Hans Harrer amerikanische und asiatische Exotica. Bereits während der Verhandlungen über den Pfefferhandel erbot sich Rott, „2 Junge schwartze Knaben in Jren Morischen doch Zirlicher Kleidunge […] S[einer] F[ürstlichen] G[naden Christian] zuuerehren“. Kurfürstin Anna verhinderte zwar diese Offerte, weil sie ihren Sohn noch nicht reif genug für eigene Diener hielt,⁹⁸ doch ergab es sich, dass der Augsburger stattdessen an Harrer einen schwarzen Diener verschenkte. Im Schreiben, das Rott zusammen mit dem anonymen Diener an Harrer schickte, betonte er, der Diener sei „Jn meinem hauß zuo Lixbona geborn vnd erzogen worden, [und] hatt die wenig Monat so er alhir, zimlich teutsch gelernet.“⁹⁹ Es handelte sich demnach um einen vollständig in Europa sozialisierten Menschen, dessen äußerliche Andersartigkeit Rott für seine Zwecke instrumentalisieren wollte. Der ursprüngliche Plan, ihn in „morischen“ Kleidern an Herzog Christian zu verschenken, verrät Rotts Absicht, den Jungen exotisch in Szene zu setzen, um ihn dann als christlich-kultivierten ‚Mohren‘ am Hof vorzuführen. Während der Diener dabei bewusst zu einem zurechtgemachten Geschenk degradiert wurde, konnte sich der Kaufmann auf diese Weise als Vermittler und ‚Erzieher‘ des als exotisch wahrgenommenen Fremden und Unbekannten inszenieren. Letztlich kam es dazu nicht, da Harrer ausdrücklich um schlichte Kleidung für den Diener bat. Kurze Zeit später erreichte dieser Sachsen, wo ihn der Kammermeister in Empfang nahm.¹⁰⁰ Ein weiteres Geschenk, das Rotts Wissen und Erfahrung unterstreichen sollte, schickte er in etwa zur selben Zeit an Harrer. Seit einigen Jahren sei in Lissabon eine Pflanze zu bekommen, die „tabaco“ genannt werde und die zu einem wirkungsvollen Wundbalsam verarbeitet werden könne. Da er die Pflanze selbst erfolgreich in Augsburg anbaue, wolle er gerne mit Harrer teilen.¹⁰¹ Auch in diesem Fall handelte es sich offenkundig nicht um eine bloße Kuriosität, die Rott dem Kammermeister mitteilen wollte. Es war ihm wichtig, den potenziellen medizinischen bzw. wirtschaftlichen Nutzen der Pflanze zu betonen, deren Kultivierung er – als einer der ersten im Reich – bereits gemeistert hatte. In der Terminologie Bourdieus ging es ihm darum, die eigene

97 Hans Harrer an Nathanael Jung am 04.03.1577, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 12022/3, fol. 79v. 98 Hans Harrer an Konrad Rott am 23.05.1579, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 12022/1, fol. 94v. 99 Konrad Rott an Hans Harrer am 05.06.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 94v. 100 Hans Harrer an Hans von Bernstein am 10.08.1579, SHStAD, 10036 (Finanzarchiv), Loc. 12022/1, fol. 154r. 101 Konrad Rott an Hans Harrer am 23.04.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 54v.

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intellektuelle Aneignung des objektivierten Kulturkapitals zu demonstrieren. Sein Wissen bezog sich nicht nur auf die Beschaffung der Pflanze, sondern auch auf das Objekt selbst. Ihr vermeintlicher Nutzen als Arznei war ihm ebenso bekannt wie das Geheimnis ihres Anbaus. Wenige Wochen später setzte Rott seine Ankündigung in die Tat um und verschickte einige Tabakpflanzen nach Dresden. Dazu legte er außerdem „ain Buch, darin Jr wert die Virtutes vnd aigenschafft des Jndianischen Tabacho nach lengs finden“.¹⁰² Mit dieser Dreingabe unterstrich Rott noch einmal die Bedeutung des mit dem Geschenk verbundenen kulturellen Kapitals, auf das es ihm im Kern ankam. Die wertvollsten Geschenke aus Augsburg erreichten Harrer im August 1579: der Papagei für Herzog Christian sowie ein Bezoarstein für Kurfürst August.¹⁰³ Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt, denn Rott hatte noch vor Eröffnung des Pfefferhandels mit der Thüringischen Gesellschaft Verhandlungen über eine Erweiterung des Projekts auf die übrigen asiatischen Gewürze (vornehmlich Zimt, Gewürznelken sowie Muskatnuss und –blüte) aufgenommen. Für den Anfang sollte eine größere Menge an Gewürzen in Lissabon eingekauft werden, um sie neben dem Pfeffer in Leipzig anzubieten. Bei Erfolg wollten die Geschäftspartner ggf. über einen Monopolvertrag mit dem portugiesischen König verhandeln. Allerdings hatten sich die sächsischen Beamten noch nicht auf die Höhe ihrer gemeinsamen Investition geeinigt. Rott hoffte auf einen möglichst hohen Betrag, weil seine Kapitalknappheit sich mehr und mehr zu einem Problem für sein Geschäft entwickelte. Aus demselben Grund hatte Rott bereits um ein Darlehen in Höhe von 150.000 Talern angefragt,¹⁰⁴ worauf ihm bislang allerdings wenig Hoffnung gemacht worden war.¹⁰⁵ Papagei und Bezoar sollten nun offenkundig das Blatt zu seinen Gunsten wenden, doch war Rott auch in diesem Fall darum bemüht, dass die Geschenke in Sachsen mit seinem Fachwissen über den indischen Fernhandel in Verbindung gebracht wurden. Dafür legte er dem Bezoar ein Memorial¹⁰⁶ bei, das die aus seiner Sicht wesentlichen Informationen über Bezoare enthielt. Es beginnt mit der Feststellung, ein Bezoar sei „gut fur allen gieft vnnd vorhütet den Menschen dauor“, stärke aber auch „das Hertz vnd macht dasselbe frölich.“ Es folgen präzise Dosierungsanweisungen, wie viele Gran ein Kleinkind, ein Kind bis zehn Jahren und ein erwachsener Mann zu sich nehmen sollten, und fährt dann mit einer Beschreibung fort, wie ein guter Bezoarstein auszusehen habe: „Sie sollen erstlich nicht schwartz, sondern gelb braun sein, vnd Heüdtlein eines vber das Anndre haben, Das wenn man gahr ein wenig dauon schabet, erdeckt sich das Andre Heütlein, Also stets forth.“

102 Konrad Rott an Hans Harrer am 05.06.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 94v. Der Wissenstransfer blieb wohl aufgrund Harrers Tod im folgenden Jahr ohne Folgen – fünf Jahre später bemühte sich Kurfürstin Anna über ihr Netzwerk an Tabaksamen zu kommen. Keller, Tobacco, 178. 103 Konrad Rott an Hans Harrer am 13.08.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 166r. 104 Vgl. Haebler, Konrad Rott, 197– 202. 105 Hans Harrer an Konrad Rott am 06.08.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 136rf. 106 „Die Crafft des Petro de Betzaar“, ebd., fol. 130rf.

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Im längsten Absatz wird dann knapp umrissen, wie die Steine in Ziegenmägen durch die Einschließung von Fremdkörpern mit Schleim entstehen. „Petzaar ist ein Indianisch wort, das Heist Bock, vnnd am selbigen Jndianischen Bock ist Haut vnnd Harr, fuß vnd Kopf, Hörner, vnd die Klauen, Blut vnnd fleisch in Summa alles gut wieder das gieft.“ Der Magen eines Tieres könne 25 bis 30 Bezoare enthalten. Der etwas über eine Seite lange Text diente erkennbar nicht dazu, den Kurfürsten umfänglich zu informieren, noch enthielt er Informationen, die nicht auch beim Hofapotheker hätten erfragt werden können. Es ging Rott darum deutlich zu machen, dass er nicht nur mit exotischen Waren wie Bezoaren handelte, sondern auch sonst alles Notwendige darüber wusste. Auf diese Weise verstärkte er nicht nur seine Selbstinszenierung als weltkundiger Fernhändler, der neben dem ökonomischen auch das kulturelle Vermögen besaß, im internationalen Gewürzhandel erfolgreich ein Monopol zu etablieren. Er empfahl sich so auch für die Aufgabe, bei Bedarf weitere Exotica zu besorgen, die für die fürstliche Prachtentfaltung am Hof sowie für die Demonstration von Macht und Reichtum eingesetzt werden konnten. Auch wenn Rott letztlich das erhoffte Darlehen nicht erhielt, so trugen seine Bemühungen doch soweit, dass die Thüringische Gesellschaft weitere 60.000 fl. in den Gewürzhandel investierte und Harrer ihm überdies 50.000 fl. aus seinem privaten Vermögen lieh.¹⁰⁷ Dieser Finanzspritze zum Trotz machte Konrad Rott im Frühjahr 1580 Bankrott, was auch seiner Inszenierungsstrategie ein Ende setzte.

4 Schlussbetrachtung Rotts Investitionen in Exotica stellten einen nicht unerheblichen Teil seiner Geschäftsstrategie dar. Indem er sie in seinem Haus präsentierte und an seine Geschäftspartner verschenkte, konnte er sich als erfolgreicher Fernhändler mit besten Kontakten und umfangreichem Spezialwissen inszenieren. Da er nicht durch eigene große Kapitalreserven überzeugen konnte, versuchte er stattdessen seine Expertise über außereuropäische Waren bestmöglich hervorzuheben. Die Geschenke, die Rott nach Sachsen schickte, sollten Assoziationen an die außereuropäische Welt als Land voller Reichtümer und Wunder wecken, an denen Sachsen durch den gemeinsamen Pfefferhandel teilhaben konnte. Durch die Exotica konnte Rott die abstrakten Gewinnversprechen seines Handelsprojekts in sinnlich erfahrbare Objekte übersetzen, wodurch der Kaufmann an Glaubwürdigkeit gewann. Die Exotica stellten den physischen Beweis dar, dass Rott die neuesten und seltensten Stücke ‚indianischer‘ Kunst und Naturalien zu beschaffen imstande war. Somit dienten die Stücke zugleich als Versinnbildlichung der

107 Vgl. Haebler, Konrad Rott, 202. Haebler gibt die Höhe des privaten Kredits von Harrer an Rott mit 40.000 fl. an, die Anweisung lautete aber auf 50.000 fl. Hans Harrer an Konrad Rott am 01.09.1579, SHStAD, 10024 (Geheimer Rat), Loc. 7411/14, fol. 224rf.

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versprochenen Gewinne und als Ausweis seines sozialen Kapitals, denn auf dem freien Markt waren sie nicht ohne Weiteres zu bekommen. Darüber hinaus verstand es Rott auf geschickte Weise, die Exotica als Repräsentationen seines eigenen Wissens, sprich objektiviertes Kulturkapital, in Szene zu setzen. Indem er zu seinen Geschenken auch das nötige Wissen zu ihrer Nutzung übermittelte, verdeutlichte er, Exotica nicht nur besorgen zu können, sondern sich auch über ihr Wesen insgesamt, ihre Herkunft, Verwendung und ihren Mehrwert als Ausstellungsstücke hinaus, im Klaren zu sein. Diese beanspruchte Expertise sollte Rott auch in seiner zweiten Lebenshälfte von Nutzen sein. Nach seinem Bankrott schaffte er es, sich nach Madrid durchzuschlagen, wo er zunächst Oberaufseher über die königlichen Fischteiche wurde. 1589 ernannte ihn Philipp II. zum Konsul der deutschen und niederländischen Nation in Lissabon.¹⁰⁸ Dort stand er im engen Kontakt mit dem kaiserlichen Botschafter in Madrid Hans Khevenhüller, in dessen Auftrag er Exotica für den österreichischen Zweig der Habsburger besorgte.¹⁰⁹ Insgesamt lässt sich Rotts Einsatz von Exotica als gewiefte Methode der Selbstinszenierung interpretieren, auf die sein Geschäftsgebaren als Projektemacher aufbaute. Im Bewusstsein um die Wirkmächtigkeit der Objekte, die Besucher von Wunderkammern in Staunen versetzten, gelang es dem Kaufmann sich als die Person darzustellen, die die Exotik der Stücke zu deuten vermochte. Aus seiner Sicht dürfte deshalb der Ankauf von Exotica aus Asien, Amerika und Afrika gut angelegtes Geld gewesen sein.

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108 Siehe dazu Beutin, Entstehung. 109 Siehe dazu de Tudela/Gschwend, Luxury Goods, 9; Stieglecker, Gütertransfer, 237.

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Stefan M. Lehm

Die Nutzung von Investitionsspielräumen durch die Augsburger Paumgartner Eine Betrachtung der Kapazitäten einer frühneuzeitlichen Unternehmerfamilie des 16. Jahrhunderts

1 Einleitung Eine Beschäftigung mit Investitionen fernab von Geschäften der frühneuzeitlichen Hochfinanz scheint für eine Unternehmerfamilie des 16. Jahrhunderts, die sich gerade aufgrund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und ihrer Verbindung zum Hochadel sowie zu den angesehensten und wirtschaftlich erfolgreichsten Familien Augsburgs als elitär definieren lässt, eine Marginalie zu sein. Doch wusste schon Wilhelm Krag vor circa einhundert Jahren in seiner Darstellung über die Augsburger Paumgartner zu berichten, dass sie vor allem Gewinne aus dem Bergbau in Landgüter investierten, um sie den wankelmütigen Geschäften zu entziehen und sie sicher anzulegen.¹ In diesem Zusammenhang sind die Paumgartner von Augsburg, die am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert einen rasanten Aufstieg und in ihrer dritten Generation um die Mitte des 16. Jahrhunderts einen aufsehenerregenden Bankrott erlebten, keine Seltenheit; denn auch andere – als maßgebliches Beispiel können hier die Fugger, aber auch die Welser genannt werden – waren zu dieser Zeit mit dem Erwerb von Landgütern beschäftigt.² Allerdings stellt sich die Frage, was für eine derartige Investition notwendig ist. Darüber hinaus ist zu ergründen, weshalb die Augsburger Paumgartner solche dem adeligen Habitus zuzuordnenden Gütererwerbungen durchführten, die gegebenenfalls auch als Güterpolitik verstanden werden können, und welche weiteren Investitionen – neben den ökonomischen – sie vornahmen. Vieles scheint noch ungeklärt, blickt man über die Darlegungen Krags, der viel weniger nach den Ursachen und Hintergründen der Gütererwerbungen fragte, als nach der bloßen Tatsache. An einer Stelle führte er aus, dass die aufsehenerregenden Landkäufe nur deshalb zustande gekommen seien, da man mit den angeheirateten Konkurrenten, den Fuggern, die sich auch auf den Erwerb von Landgütern ausrichteten, im Wettbewerb befunden habe.³ Oder war es doch die pure Vernunft und Weitsicht, die den Paumgartnern nahelegten, das Vermögen nicht in den zwar lukrativen, aber 1 Krag, Die Paumgartner, 75. 2 Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen; Häberlein, Die Fugger, 186; Geffcken, Die Welser und ihr Handel, 123 f. 3 Krag, Die Paumgartner, 75. https://doi.org/10.1515/9783111060682-004

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gleichzeitig auch vergleichsweise unberechenbaren Montansektor des Tiroler Kupferund Silber-Handels und Bergbaus sowie den idriatischen Quecksilberhandel zu investieren, wobei alle sowohl von den Zeitläuften als auch von der Gunst des jeweiligen Landesherrn und der technischen Umsetzung im Bergbau extrem abhängig waren? Die Erklärung mag dazwischen liegen. Im folgenden Beitrag soll exemplarisch erläutert werden, inwiefern die Paumgartner als Familie und Unternehmerdynastie Investitionsspielräume zur Verfügung hatten und wie sie diese gegebenenfalls zu ihrem eigenen persönlichen, familiären oder unternehmerischen Vorteil zu nutzen wussten. Dabei ist unter den im Titel dieses Beitrags erwähnten Investitionsspielräumen lediglich die Möglichkeit zu verstehen, die eigene Strategie für das Unternehmen und die Familie mit Investitionen aufgrund von Kapitalverfügbarkeit oder anderen Aspekten auszurichten und mögliche Gelegenheiten sowie sonstige näher zu bestimmende Faktoren zu nutzen, um die Investitionen, in welcher Form auch immer, gewinnbringend für die Zukunft einzusetzen. Es werden hierfür drei Einsatzmöglichkeiten von Kapital als Investitionen durch und deren Nutzen für die Unternehmerfamilie der Augsburger Paumgartner erläutert, wobei sie in ein Konzept der Resilienz eingeordnet werden, welches den theoretischen Rahmen für die vorliegende Analyse bildet. Zuvor wird zur besseren Einordnung ein Überblick über die Familiengeschichte der Augsburger Paumgartner gegeben.

2 Die Familie der Augsburger Paumgartner Die Augsburger Paumgartner stammten von der zum Nürnberger Patriziat gehörenden Familie Paumgartner ab, die in der Reichsstadt an der Pegnitz seit 1396 schriftlich nachweisbar ist. Eine Übersiedlung des in diesem Beitrag betrachteten Familienstammes von Hans I. (1455 – 1527), Franz (1453 – 1503) sowie der gemeinsamen Schwester Kunigunde Paumgartner geschah aufgrund des Bankrotts ihres Vaters Anton I. Paumgartners in Nürnberg und dessen Flucht vor seinen Gläubigern im Jahr 1465.⁴ Nachdem Franz bereits 1478 in Augsburg nachweisbar ist, siedelte auch Kunigunde spätestens 1484 aufgrund ihrer Ehe mit Michael von Stetten nach Augsburg über. Als letzter ließ sich Hans I. in Augsburg nieder, dessen Eheschließung mit Felicitas Rehlinger 1485 diese Ankunft bestätigt.⁵ Beide Brüder engagierten sich spätestens ab 1493 im Tiroler Montansektor, als sie gemeinsam mit ihrem Schwager Michael von Stetten in die bereits bestehende Kufsteiner-Baumgartner-Gesellschaft eintraten, die im Kupferhandel zwischen Tirol und Venedig tätig war.⁶ Dass sich Hans I. auch nach dem Tod seines Bruders im Jahr 1503 auf diesem ökonomischen Feld bewegte, zeigen seine Kooperationen mit Melchior Stuntz

4 Isenmann/Isenmann, Das Innenverhältnis, 432 – 487. 5 Krag, Die Paumgartner, 32; Augsburg Stadtarchiv, Steuerbücher 1478, fol. 29a. 6 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 225 f., Nr. 553.

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aus Augsburg ab 1507 und später mit Hans Auslasser aus Schwaz, mit denen er eigene Bergwerke und Schmelzhütten in Tirol erwarb und eigenständig Gewerke betrieb.⁷ Der wirtschaftliche Aufstieg Hans‘ I. lässt sich an seinem durchgängig steigenden Steueraufkommen in Augsburg erkennen.⁸ Er starb 1527 und hinterließ neben seiner Ehefrau mehrere Töchter und einen Sohn. Hans II. Paumgartner (ca. 1490 – 1549) repräsentiert in der vorliegenden Untersuchung die zweite Generation der Augsburger Paumgartner. Er absolvierte aller Wahrscheinlichkeit nach eine kaufmännische Ausbildung, die ihn auch nach Nordwesteuropa führte; allerdings sind die Quellen diesbezüglich recht spärlich.⁹ Seine Tätigkeit im familiären Unternehmen begann er ab 1514/15, als sich sein Vater wegen einer schweren Krankheit dazu entschloss, „hanndel unnd sachenn zu enntschlagenn unnd mich [= Hans I.] in rue zusetzen.“¹⁰ Hans II. führte die Geschäfte im Namen seines Vaters fort und intensivierte die Aktivitäten im Tiroler Bergbau, die eng mit der Kreditvergabe gegenüber den Habsburgern und den daraus resultierenden Silberverschreibungen gekoppelt waren.¹¹ Darüber hinaus nutzte Hans II. die Situation des Höchstetter-Bankrotts am Ende der 1520er Jahre, um einerseits deren Verpflichtungen hinsichtlich einiger Kupferverträge mit dem Haus Habsburg zu übernehmen¹² und in den 1530er Jahren auch den Handel mit dem idriatischen Quecksilber, den die Höchstetter zu monopolisieren versucht hatten,¹³ an sich zu bringen.¹⁴ Im Zuge der Erhebung einiger angesehener Familien ins Augsburger Patriziat im Jahr 1538 gehörten auch die Paumgartner zu diesen neuen emporsteigenden Familien.¹⁵ Ein weiterer sozialer Aufstieg für die gesamte Familie konnte 1543 erreicht werden, als Hans II. mitsamt seinem gesamten Familienstamm durch Karl V. in den Freiherrenstand erhoben wurde. Diese Ehre bezeugt nicht nur die prohabsburgische Einstellung vor der

7 Vgl. Krag, Die Paumgartner, 40; vgl. Westermann (Hg.), Die Listen der Brandsilberproduktion, 90. 8 Hier muss auf die Schwierigkeiten bei der Nutzung der Daten aus den Augsburger Steuerbüchern hingewiesen werden, die sich aufgrund der eidesstattlichen Selbstauskunft über die Steuerhöhe sowie die Diskrepanz zwischen der nicht mehr eindeutig zu trennenden Güter aus Immobilien und Mobilien ergeben, die mit unterschiedlichem Steuerfuß in den Steuerbetrag eingingen, vgl. Geffcken, Steuern, 854 – 857. 9 Für eine Reise nach Nordwesteuropa kann Hans‘ II. sogenanntes Englandbüchlein von 1508 herangezogen werden, welches über Handelsusancen in England berichtet, ZAKi 1294: Unkostenbüchlein des Hans Paumgartner. Es lassen sich im Paumgartner-Archiv auf Schloss Zeil bei Leutkirch i.A. zwar mehrere Handelspraktiken finden, die eine Verbindung ebenso nach Italien für die Ausbildungszeit Hans‘ II. erwarten lassen, doch wurde die Urheberschaft dieser Quellen berechtigterweise in Frage gestellt, sodass es sich womöglich um Abschriften von Aufzeichnungen aus anderen Handelshäusern handelte, vgl. Müller, Welthandelsbräuche; Werner, Repräsentanten der Augsburger Fugger, 1 – 41. 10 ZAKi 1198: Paumgartnerisches Urkundenbuch, fol. 55v. 11 Vgl. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 22*f. 12 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 203 – 205, Nr. 497; vgl. Kellenbenz, Schwäbische Kaufherren, 211. 13 Safley, Der Konkurs der Höchstetter, 273 – 286. 14 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 44*–50*. 15 Krag, Die Paumgartner, 91.

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Nobilitierung, sondern auch die darauffolgende Zeit, als sich Hans II. wenige Jahre vor seinem Tod klar zur Habsburger Seite im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 bekannte, was allerdings in seiner protestantischen Heimatstadt Augsburg zu Missgunst führte.¹⁶ Seine beiden Söhne, die nach seinem Tod im Jahr 1549 die Familie und das Unternehmen lenken sollten, wurden in der Forschung bislang als Verursacher des wirtschaftlichen Niedergangs angesehen. Dies lag vorrangig daran, dass in ihrer Generation das Unternehmen unterging und die Familie in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Dabei waren die beiden Söhne, Hans-Jörg (1515 – 1570) und David (1521 – 1567), laut einem väterlichen Testament von 1535 zunächst nicht dafür vorgesehen, das Unternehmen gemeinsam zu leiten.¹⁷ Denn eigentlich sollten die beiden Brüder Hans III. (1513 – 1541) und Hans-Jörg die Unternehmung gemeinsam fortführen; David war 1535 nicht für die Nachfolge vorgesehen. Doch aufgrund des frühen Todes des Erstgeborenen und der aufgrund eines Ehestreites testamentarisch weitgehenden Enterbung Antons II. im Jahr 1543¹⁸ setzte der Prinzipal der Paumgartner-Gesellschaft die beiden Söhne ein, deren Reputation nicht beschädigt war. Die dritte Generation erlebte den Start ihrer eigenen Geschäftstätigkeit mit einigen strategischen Neuausrichtungen. Diese sahen zum einen die Rückzahlung bestehender finanzieller Verpflichtungen aus den Zeiten Hans‘ II.¹⁹ sowie zum anderen den Kauf der Münzstätte in Kempten vor²⁰. Als wichtigste strategische Entscheidung kann der Verkauf aller Tiroler Bergwerksanteile an die Gebrüder Herwart aus Augsburg im Jahr 1553 angesehen werden.²¹ Aufgrund eines überhöhten Finanzbedarfs David Paumgartners und der damit einhergehenden Verschuldung nahm sein Bruder Hans-Jörg Kredite für den in Not geratenen Bruder auf. Wegen dieser Bürgschaft geriet Hans-Jörg von 1565 – 1570 in Augsburger Schuldhaft; er starb kurz nach seiner Entlassung.²² David, der bereits 1552 sein Augsburger Bürgerrecht aufgekündigt hatte, verstrickte sich in eine Adelsverschwörung des Ritters Wilhelm von Grumbach, mit dem er 1567 das Schicksal der Hinrichtung teilte. Allein Anton II. gelang es, aufgrund von Gerichtsprozessen gegen seine Brüder, die er auf seine im elterlichen Testament verbürgte Absicherung verklagte, erneut zu Landbesitz zu kommen.²³

16 Ebd., 97 f. 17 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 34 – 37, Nr. 54, 7. 18 Isenmann, Strategien, Mittel und Wege, 163 sowie 167– 170. 19 Vgl. mehrere Briefe aus den frühen 1550er Jahren – beispielsweise vom 24.04.1550 über ein durch Hans II. aufgenommenes Darlehen über 3.300 fl., ZAKiU 5121. 20 ZAKiU 5216. 21 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 112, Nr. 235. 22 Krag, Die Paumgartner, 117 f. 23 Vgl. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 16*; ZAKi 1150: Leben des Anton Paumgartner […], Nachlassinventar, fol. 11v.

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3 Ein Resilienz-Konzept In Anbetracht der wechselhaften Entwicklungen in der Familie der Augsburger Paumgartner und ihres auf Dauerhaftigkeit angelegten Unternehmens bietet sich eine Perspektive unter Nutzung eines Resilienz-Konzeptes an, in das sich auch die Investitionsspielräume der Augsburger Paumgartner integrieren lassen. Zunächst bedarf es jedoch einer Einordnung des Resilienz-Begriffs, der gegenwärtig in zahlreichen Kontexten Verwendung findet, ohne dabei zwangsläufig Begriffsdefinitionen zu Grunde zu legen. Der Begriff ist ursprünglich der Materialwissenschaft entlehnt und fand bereits in zahlreichen anderen Kontexten Verwendung, wobei vor allem die Psychologie und die Ökologie sich Konzepten von Resilienz bedienten.²⁴ Dreh- und Angelpunkt vieler Konzepte ist die Wiedererlangung eines Gleichgewichts nach einer Durchbrechung einer Kontinuität aufgrund eines disruptiven – quasi schockartigen – Ereignisses oder einer langanhaltenden und zumeist unterschwellig ablaufenden Krise, die bei den beobachteten Systemen zumeist eine Reaktion auslöst. Beobachtet werden Art und Wirkung der Reaktion beziehungsweise die grundsätzliche Widerstandsfähigkeit eines Systems gegenüber unvorhergesehenen Ereignissen und Situationen.²⁵ Die Resilienz in einem hier betrachteten wirtschaftshistorischen Kontext lässt sich sowohl als Eigenschaft als auch als Prozess beschreiben. Einerseits bildet die Resilienz als Eigenschaft eines Systems die Widerstandsfähigkeit des Systems gegenüber äußeren negativen Einflüssen ab. Ein System ist dann widerstandsfähig gegenüber Einwirkungen von außen, wenn diese Einflüsse entweder keine Änderungen im System hervorrufen, die beobachtbar sind, oder das System flexible Handlungsweisen parat hat, um langfristig negative Auswirkungen zu vermeiden.²⁶ Dies ist zwar in historischen Fallbeispielen aufgrund der Quellenlage kontrovers zu diskutieren, doch lassen auch einzelne Quellenfunde durchaus Rückschlüsse auf die Widerstandsfähigkeit eines Systems zu.²⁷ Den Prozesscharakter der Resilienz unterstreicht der zweite Begriff, der neben demjenigen der Widerstandsfähigkeit mit der Resilienz eines Systems verknüpft ist. Es handelt sich um den Begriff der Kapazität, die in diesem Zusammenhang als Möglichkeit anzusehen ist, einen Gleichgewichtszustand wiederzuerlangen, nachdem eine Krise oder Disruption für dessen Erschütterung sorgte. Im Zentrum stehen materielle Ressourcen, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von Geld, ergänzt um immaterielle, wie zum Beispiel persönliche Ressourcen, die im konkreten Fall die Kreditwürdigkeit, per24 Mohr, Systemische Resilienz, 411 f. 25 Denzel, Beharrungskraft und Anpassungsleistungen, 537. In wirtschaftshistorischen Zusammenhängen wird dies beispielsweise demonstriert bei: Fouquet, Stadtgemeinde, Gemeiner Nutzen und private Not, 152 – 153. 26 Fouquet, Stadtgemeinde, Gemeiner Nutzen und private Not, 532. 27 Es kann auf die Schlacht bei Mohács (1526) verwiesen werden, die für das Unternehmen der Fugger eine Disruption gewesen sein dürfte, die Paumgartner jedoch nicht betraf und sie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit somit nicht eingeschränkt wurden, vgl. ebd., 541.

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sönliche Netzwerke und psychologische Aspekte umfassen, die eine Überwindung der Erschütterung ermöglichen.²⁸ Als letzter Betrachtungspunkt für die Resilienz eines Systems ist seine Lernfähigkeit und Anpassungsfähigkeit an seine Umwelt zu untersuchen. Mit Hilfe des Lernens aus vorangegangenen und überwundenen Herausforderungen können unter anderem erneute Krisen und Disruptionen antizipativ beherrschbar gemacht werden, ohne dass das System beim Eintreten schockartiger Ereignisse bis zum Äußersten in Mitleidenschaft gezogen wird.²⁹ Diese Kernelemente der Resilienz eines Systems lassen sich nun auch auf einzelne Akteure oder Gruppen und sogar Unternehmen übertragen, die jeweils als Systeme identifiziert werden können. Im vorliegenden Beispiel sind die zu betrachtenden Akteure der Familie Paumgartner sowie das Unternehmen und die Funktionseinheit der Familie als offene Systeme zu betrachten, die sowohl auf ihre Umwelt wirken als auch von dieser beeinflusst werden.³⁰ Erkenntnisgenerierend erscheint an dieser Stelle die Resilienz einzelner Systemebenen, die mit ihrer Wirkung auf andere Systeme in den Blick zu nehmen sind.³¹ Denn die zu betrachtenden Systeme setzen sich zum Teil aus mehreren Subsystemen zusammen. Die einzelnen Ebenen unterscheiden sich dabei in ihrer Komplexität. Dabei setzt sich jede komplexere Systemebene aus Subsystemen zusammen. So lassen sich zunächst für das Individuum, des Weiteren für die Familie, die sich aus den Individuen ergibt und zuletzt für das Unternehmen, das als eigenständiges System betrachtet werden kann, aber sich aus den Subsystemen und deren separater Resilienz zusammensetzt, jeweils unterschiedliche Ausprägungen der Resilienz beobachten.³² Zunächst ist auf der untersten Systemebene der Familiengesellschaft der Augsburger Paumgartner das einzelne Familienmitglied zu betrachten, das in seiner Person eine spezifische Resilienz besitzt. So kann beispielsweise für den Firmengründer Hans I. ein hohes Maß dieser personalen Resilienz angenommen werden. Denn es gelang ihm mittels persönlicher Netzwerke, einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuanfang in Augsburg zu schaffen, nachdem sein Vater in Nürnberg fallierte³³ – sicherlich eine schmerzliche Erfahrung, die Heimatstadt aufgrund solcher Ereignisse zu verlassen. Eine weitere Systemebene umfasst die ganze Familie Paumgartner als Entität. Es ist hierbei zwar nicht immer nur allein auf die ursprüngliche Kernfamilie zu schauen,

28 Fouquet, Stadtgemeinde, Gemeiner Nutzen und private Not, 532. 29 Ebd. 30 Unter einem offenen System ist hierbei im Sinne von Niklas Luhmann eine Entität zu verstehen, welche in anpassungsfähiger Wechselwirkung zu ihrer Umwelt steht, vgl. ebd. sowie Schmidt/Kieserling (Hg.), Niklas Luhmann, 68 – 70. 31 Vgl. Urban, Die Krisenfestigkeit der Unternehmerfamilie, 185 – 219; Perkams/Sørensen, Wissensmanagement und Organisationale Resilienz, 32 f.; Schmidt/Kieserling (Hg.), Niklas Luhmann, 81; Mohr, Systemische Resilienz, 422. 32 Vgl. Mohr, Systemische Resilienz, 422. 33 Isenmann/Isenmann, Das Innenverhältnis, 450. Krag, Die Paumgartner, 31.

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sondern es bietet sich zum Teil auch eine Erweiterung des Blickwinkels an, der auf die Groß- und erweiterte Großfamilie zielt.³⁴ Im Zusammenhang der vorliegenden Analyse ist jedoch lediglich die Kernfamilie relevant. Ein Beispiel für die familiäre Resilienz der Paumgartner zeigt sich im juristischen Instrument des Familienstatuts von 1537, an dessen Inhalte sich alle lebenden männlichen Paumgartner des Familienstammes Hans‘ II. zu halten gelobten. Das Familienstatut zielte insbesondere auf die Absicherung des Familienbesitzes, da es dem Initiator, Hans II., durchaus bewusst war, dass das Fehlverhalten eines Familienmitgliedes auch negative Konsequenzen für die anderen hinsichtlich der Landgüter haben konnte.³⁵ Zuletzt ist selbstverständlich auf die Systemebene des Unternehmens zu verweisen. Wenn Schwierigkeiten durch einzelne Akteure auftraten, dann konnte auch das Unternehmen scheitern. Ebenso verhielt es sich in Handelsgesellschaften, wenn sich die maßgebliche Familie im Konflikt befand, der sich über kurz oder lang im Unternehmen als Problem manifestierte.³⁶ Am Beispiel des schriftlich fixierten Geschäftsführerwechsels von der ersten auf die zweite Generation der Paumgartner im Jahr 1515 lassen sich Strukturen organisationaler Resilienz des Unternehmens erkennen. Denn das Unternehmen war in seiner Grundstruktur flexibel genug, dass operative Vorgänge nach einer schweren Krankheit Hans‘ I. lediglich mit mündlichen und schriftlichen Vollmachten auf seinen Sohn Hans II. übertragen werden konnte, ohne dass dies zu weitreichenden Schwierigkeiten für das Unternehmen führte.³⁷ Hierbei spielt sowohl die familiäre als auch die personale Resilienz eine wesentliche Rolle für die organisationale Resilienz. Denn die Familie bot mit ihren familiären Instrumentarien wie beispielsweise Generalvollmachten einen juristischen Rahmen für die Übergabe. Andererseits sorgte die personale Resilienz von Vater und Sohn für eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber der disruptiven Situation, welche die Geschäftsübergabe auslöste. Da insbesondere die Verfügbarkeit von Ressourcen, im Sinne der Kapazität und der Bereitschaft zu handeln, essentiell wichtig ist, um überhaupt in einer Disruption oder Krisensituation handlungsfähig zu sein, wird im Folgenden auf drei exemplarische Investitionsfelder eingegangen, in der die Resilienz in Form der Kapazität der Unternehmerfamilie der Augsburger Paumgartner beschrieben werden kann. Dabei ist der Fokus nicht nur auf klassische ökonomische Investitionsfelder wie das Kreditgeschäft oder die Montanwirtschaft zu legen, die bei den Augsburger Paumgartnern beobachtet werden können, sondern es ist der Blick auch auf die Gütererwerbungen und ihre Abhängigkeit von und ihren Einfluss auf die Kapazitäten der Paumgartner zu lenken – eben auf die Investitionsspielräume. Es ist allerdings bei den folgenden Fallbeispielen zu beachten, dass sie nicht ausschließlich auf Krisen oder Disruptionen rekurrieren, sondern lediglich einzelne Aspekte beleuchten, die für Aussagen über deren Beitrag zu den Kapazitäten der Augsburger Paumgartner und deren gezielter Förderung im Sinne eines 34 35 36 37

Herfurth, Corporate Governance, 109 – 126. ZAKiU 4838: Familienstatut. Vgl. Isenmann/Isenmann, Das Innenverhältnis. Vgl. Isenmann, Strategien, Mittel und Wege, 160.

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Resilienz-Managements, also der gezielten Steigerung der systemimmanenten Resilienz,³⁸ relevant sein können. Damit soll ein Überblick geschaffen werden, der es erlaubt, Aussagen über die Verfügbarkeit und Nutzung von Kapazitäten in einer frühneuzeitlichen Unternehmerfamilie zu formulieren.

4 Investitionen in Landgüter Zunächst ist auf den Kauf und die Verfügungsgewalt über Landgüter einzugehen. Die Augsburger Paumgartner erwarben bereits seit der ersten Generation unter Hans I. Landgüter beziehungsweise Anrechte auf Einkünfte aus der Verwaltung ländlichen Grundbesitzes. Dies geschah jedoch zunächst nur in kleinerem Maße und nicht im Sinne eines umfangreichen Aufbaus von großen Herrschaftsgebieten. So erhielt Hans I. unter anderem als Gegenleistung für seine finanzielle Hilfe in Form von Darlehen gegenüber dem Haus Habsburg im Schweizer Krieg die Pflege Ehrenberg in Tirol, da der vorherige Inhaber, Georg Gossembrot, Hans I. in einem Testament als Nachfolger für Ehrenberg vorsah. Hierfür zahlte Hans I. 4.000 fl. Ablösesumme an die Gossembrot’schen Erben und den Grafen Hans von Montfort, der dort ebenso Ansprüche hatte.³⁹ Die Investitionsspielräume scheinen groß gewesen zu sein, da es Hans I. möglich war, eine solche Summe aufzubringen. Es war allerdings für ihn auch möglich, noch weitaus höhere Summen zu investieren, wie seine Aktivitäten im Metallhandel und die entsprechende Beteiligung an einer Bergwerksgesellschaft ab dem Jahr 1493 zeigten. Allein die Tatsache, dass Hans I. aufgrund von Darlehen gegenüber den Habsburgern und persönlichen Kontakten sowie testamentarischer Fürsprache zu hochrangigen Verwaltungsämtern kam, zeigt die Notwendigkeit eines grundlegend weiträumigen Gedankens von Investitionen über das übliche ökonomische Feld hinaus. Eine noch bedeutsamere und eindeutigere Erwerbungspolitik von Landgütern kann jedoch unter seinem Sohn, Hans II., im Jahr 1535 beobachtet werden. Hans II. erwarb die Herrschaft Erbach für 40.000 fl. und das Reichslehen Hohenschwangau für 31.000 fl.⁴⁰ Dies erscheint zunächst als eine gigantische Summe, die in einem einzigen Jahr für die Erwerbung von Landgütern aufgebracht wurde, um diese Prestige-Objekte in den Besitz der Paumgartner zu überführen. Allerdings ist zu bedenken, dass Hans II. das Geld nicht auf Anhieb in vollem Umfang zur Verfügung hatte und den Kauf der Herrschaft Hohenschwangau auch nicht in bar beglich. Noch im Jahr 1548, also 13 Jahre nach der Erwerbung, standen auf einer noch ausstehenden Schuldverschreibung der Paumgartner gegenüber den vorherigen Besitzern von Schwangau in Höhe von 22.000 fl. jährliche Zinsfälligkeiten in einer Höhe von 1.100 fl. aus.⁴¹ Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass lediglich 9.000 38 39 40 41

Denzel, Beharrungskraft und Anpassungsleistungen, 534. Krag, Die Paumgartner, 37 f. sowie 41. Ebd., 79 f. Vgl. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 69, Nr. 120.

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fl. im Juli 1535 für Hohenschwangau aufgewendet wurden, was die tatsächlichen finanziellen Kapazitäten der Familie und ihres Unternehmens relativiert. Demnach war es für Hans II. weniger von Bedeutung, ob er das Geld direkt aufbringen konnte oder ob er dafür ‚nur‘ kreditwürdig war. Hinzu kommt, dass insbesondere das Zustandekommen und der Abschluss der Lehensübertragung auf Hans II. mittels eines Strohmanns möglich wurde. Wolfgang Haller, ein hochrangiger Beamter der Regentin Maria in den Niederlanden, wurde für den Empfang des Lehens Hohenschwangau durch Karl V. im Januar 1534 vorgesehen, weshalb auch hier von sich eröffnenden Investitionsspielräumen die Rede sein kann, die sich aufgrund der vorhandenen Kontakte ergaben. Haller ließ das Lehen, kurz nachdem es auf ihn übertragen worden war, auf Hans II. überschreiben. Dass diese Weitergabe abgesprochen war, darf angenommen werden, da Hans II. bereits im Vorfeld mit den alten Herren von Schwangau in Kontakt gestanden und über eine Ablösesumme verhandelt hatte.⁴² Somit zeigt sich, dass Hans II. gezielt Spielräume ausnutzte, wenn sie sich ihm boten, um besonders prestigeträchtige Landgüter zu erwerben; das Gut Hohenschwangau brachte ihm beispielsweise eine Erweiterung seines Wappens um einen Schwan.⁴³ Diese Investitionen können somit als langfristige Anlagestrategie interpretiert werden, deren mögliches Ziel über die reine ökonomische Dimension eines Ertrags und Renteneinkünfte aus den Landgütern hinausging: Möglicherweise waren sie bei den Paumgartnern mit dem Ziel des sozialen Aufstiegs oder mit der Erweiterung der eigenen Kreditwürdigkeit verknüpft, die sich aufgrund der bereits vorhandenen Landgüter und deren möglicher Nutzung als Sicherheit für einen Kredit demonstrieren ließe. Unabhängig davon kann die Gütererwerbung als sichere Geldanlage, wie Krag es nannte, vor dem Hintergrund des Rückgangs der Ausbeute des Tiroler Metallhandels ab den 1530er Jahren interpretiert werden, in dem die Paumgartner vorrangig aktiv waren.⁴⁴ Die Nutzung von Investitionsspielräumen zeigt sich in diesem Zusammenhang also als die Möglichkeit, Großinvestitionen tätigen zu können, die sich aufgrund von Netzwerken und Kapitalverfügbarkeit oder im weiteren Sinne bereits durch die eigene Kreditwürdigkeit ergaben.

5 Investitionen in gelehrtes Wissen Ein weiterer Zusammenhang mit Investitionsspielräumen lässt sich für die Aktivitäten Hans‘ II. zur Aufrechterhaltung des Kontakts zum Freiburger Juristen Ulrich Zasius beschreiben. Dem Juristen wurden nicht nur Geschenke gemacht, um sich seines juristischen Beistands sicher zu sein. Die Investition in Netzwerke, beispielsweise durch das Schreiben von Briefen, wurde vielmehr auch genutzt, um in humanistischen Krei42 Krag, Die Paumgartner, 78. 43 ZAKi 1111, Kurzchronik und Urkundenbuch, 54 – 57. 44 Westermann, Die Listen der Brandsilberproduktion, 98 – 109. Aus den Listen geht hervor, dass der Höhepunkt der Brandsilberproduktion am Falkenstein im Jahr 1523 lag.

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sen angesehen und respektiert zu werden. Ein von Krag herausgestelltes Ziel Hans‘ II. soll auch die Herstellung des Kontaktes zu Erasmus von Rotterdam gewesen sein. Hans II. versprach sich vom Kontakt zu Zasius die Ausweitung der eigenen Bekanntheit als ein Förderer von Gelehrten. So erreichte er, dass Zasius eines seiner Werke auch Hans II. widmete.⁴⁵ Die juristischen Arbeiten von Ulrich Zasius, die Hans II. als Initiator zugeordnet werden können, dürften jedoch vergleichsweise wenige gewesen sein, da Zasius bereits 1535 verstarb. Dass Zasius am Familienstatut und an einer Rechtsordnung für Hans II. mitarbeitete beziehungsweise maßgeblich daran beteiligt war, ist daher relativ unwahrscheinlich.⁴⁶ Denn die Rechtsordnung erschien frühestens 1541 und auch das Familienstatut wurde erst 1537 aufgerichtet.⁴⁷ Die erwähnte Rechtsordnung sollte für Rechtssicherheit in den Landgütern Hans‘ II. sorgen, denn er berichtete, dass in „meinen gerichten und vogteyen, auf dem lannd in meinen steten, morckten, dorfern, hohen und nidern gerichten zwingen und bannen, sogar ain unordenlicher proceß und etwa vilerlay mißbrach gehalten“⁴⁸ wurden, sodass er dies auf juristischem Feld einzudämmen gedachte. Es ist zwar davon auszugehen, dass Zasius keine Rolle bei der Ausarbeitung zukommt, doch besorgte sich Hans II. auch anderweitige Unterstützung von Juristen. Diese wurden im Vorwort von Paumgartners Rechtsordnung erwähnt, was darauf hindeutet, dass Hans II. gezielt Juristen einsetzte, somit bezahlte, um die Rechtsordnung auf dem aktuellen Stand der Jurisprudenz herauszugeben: „Hierumb aus aigner bewegnus unnd dartzu mit zeitigem guetem rath der erbern recht gelerten und annder hochweysen wolgeachter verstenndiger menner“⁴⁹. Eine solche Investition kann als Absicherungsmaßnahme für die bereits erworbenen Landgüter angesehen werden. Diese sollten eine möglichst große Rechtssicherheit haben, um juristische Streitfälle zu vermeiden, die Hans II. als Landadliger und Territorialherr in seiner Funktion als Richter gegebenenfalls hätte schlichten müssen, was wiederum seine Aufmerksamkeit gebunden hätte. Zudem ist denkbar, dass auch die eigenen Fähigkeiten zur Schau gestellt werden sollten und er somit gegebenenfalls die eigene Reputation als Verwalter stärkte. Seine Investitionsspielräume ergeben sich in diesem Feld auf zweierlei Wegen. Einerseits war es ihm mit Hilfe seiner Kontakte und andererseits aufgrund seiner vorhandenen finanziellen Mittel möglich, die externen Juristen zu finanzieren, die er für die Aufrichtung seiner Rechtsordnung beauftragte. Dass er hierbei agieren beziehungsweise investieren musste, erklärte er selbst in seinem der Rechtsordnung vorangestellten Vorwort. Aus der zunächst vorgenommenen Investition zum Erwerb der Landgüter ergab sich somit schließlich eine weitere Verpflichtung zur Investition. Die Kapazität, die er als Person besaß – auch aufgrund seines Unternehmens – erlaubte ihm,

45 Krag, Die Paumgartner, 86 f. Bei dem entsprechenden Werk handelte es sich um das usus feudorum epitome aus dem Jahr 1535, ebd., 86; Jancke, Gäste, Geld und andere Güter, 181 – 220. 46 Vgl. Krag, Die Paumgartner, 81. 47 ZAKiU 4838, Familienstatut; Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 218 f., Nr. 538, 10. 48 BSB, Cgm1514: Rechtsordnung […], Vorwort, fol. Ir. 49 Ebd.

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die nötigen Schritte in die Wege zu leiten, um potenziell mögliche krisenhafte Situationen in seinen Landgütern zu unterbinden und Unsicherheiten zu vermeiden.

6 Investitionen in die Familie Ausgehend von diesem juristischen Beispiel lässt sich darüber hinaus noch eine weitere Investitionsstrategie außerhalb des ökonomischen Bereichs feststellen: nämlich die Ausbildung seiner Söhne. Drei der vier Söhne erlangten juristische Kenntnisse beziehungsweise wurden dazu in die Obhut juristischer Gelehrter gegeben; Hans III. in Südfrankreich, Hans-Jörg und David in Oberitalien. Möglicherweise strebte Hans II. mit dieser Ausbildung seiner Söhne auch eine Unterstützung eigener Interessen durch die eigene Familie an. Hierbei lässt sich als Resilienzstrategie, also die gezielte Steigerung der Resilienz, die juristische Ausbildung identifizieren, welche die Resilienz der gesamten Familie betreffen würde, indem sie zur Professionalisierung des einzelnen Akteurs und Familienmitgliedes beitrug.⁵⁰ Ein solcher Investitionsspielraum, also die Ausnutzung von Möglichkeiten in Form einer Investition in die Zukunft der eigenen Söhne, war jedoch nur möglich, da Hans II. glaubte, das Unternehmen durch seine Nachkommen, die er auch kaufmännisch ausbilden ließ, ebenso abgesichert zu haben. Entgegen seiner diesbezüglichen Bestrebung verstarb jedoch, wie bereits erwähnt, der erstgeborene Sohn noch zu Lebzeiten Hans‘ II., sein dritter Sohn fiel in elterliche Ungnade und wurde 1543 weitestgehend enterbt. Somit schied auch dieser als Nachfolger für die Fortführung des Unternehmens nach dem Tod des Prinzipals aus. Die Fortführung des Unternehmens lag schließlich in der Hand der beiden Söhne, die möglicherweise von Hans II. für eine andere berufliche Laufbahn vorgesehen waren. Am Beispiel der Ausbildung der Söhne zeigt sich demnach ein Investitionsspielraum für die Eltern je nach ihren Möglichkeiten, außerhalb der eigenen Existenzsicherung weiterführende oder zum Unternehmen komplementäre Bereiche mit der Ausbildung der Söhne abzudecken, wie es in diesem Fall die juristische Ausbildung war. Ergänzend zur Ausbildung, die für die Nachkommen in die Wege geleitet wurde, tritt auch das Feld der Eheschließungen. Hierbei fällt im Vergleich zwischen den Generationen eine Verschiebung der Schwerpunkte auf. Denn die erste Generation sah für die eigenen Kinder noch Eheschließungen mit einflussreichen Kaufmannsfamilien vor, wie die Beispiele der 1512 geschlossenen Ehe zwischen Hans II. und Regina Fugger, der Schwester Anton Fuggers, und die 1513 stattgefundene Vermählung zwischen Felicitas Paumgartner und Anton Welser demonstrieren. Doch bereits die Kinder Hans‘ II. wurden nahezu allesamt mit Adeligen verheiratet, weshalb eine Veränderung der Lebensumstände und eine Hinwendung zu adeligen Lebensweisen angenommen werden kann.⁵¹ Die Verfügbarkeit von Investitionsmitteln – im Sinne von Kapital für die ar-

50 Denzel, Professionalisierung und sozialer Aufstieg, 430 – 432. 51 Vgl. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, Stammbaum nach Seite 352.

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rangierten Ehen – sowie die notwendigen Netzwerke für die Anbahnung der Vermählungen baute gleichsam auf vorhandene Investitionsspielräume auf und erweiterte sie in gleichem Zuge.

7 Ende der Investitionsmöglichkeiten In der dritten Generation der Augsburger Paumgartner trat schließlich der Bankrott des Familienunternehmens ein, hervorgerufen durch Fehleinschätzungen der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den Bankrott anderer Handelshäuser. Auch in diesem Kontext können mögliche Investitionen der erbberechtigten Paumgartnerbrüder Hans-Jörg und David aufgezeigt und deren erkennbarer Handlungsspielraum beleuchtet werden. Sie standen nach dem Tod des Vaters 1549 in der Verpflichtung, zahlreiche Darlehen, die der Vater aufgenommen hatte, zunächst den Gläubigern zurückzuzahlen.⁵² Um sich möglicherweise sowohl von dem in der Zwischenzeit unrentabel gewordenem Bergwerksbesitz⁵³ zu trennen als auch eine größere Handlungsfreiheit zu bekommen, die nicht mehr von jährlichen Zinsverpflichtungen eingeengt wurde, entschlossen sich die beiden Paumgartnerbrüder dazu, den Bergwerksbesitz in Tirol im Jahr 1553 an die Augsburger Unternehmerbrüder Hans-Paul und Hans-Heinrich Herwart zu verkaufen. Dieser Verkauf steht im Zusammenhang mit einer Übertragung einer Schuldverschreibung gegenüber dem süddeutschen Ritter Dr. Matthias Hold, dem Hans II. eine Summe von 22.250 fl. schuldete, wofür jährlich 5 % Zinsen zu zahlen waren. Diese gesamte Schuldverschreibung, so schrieb Hold Anfang des Jahres 1553 an die Paumgartner, übernahmen die Gebrüder Herwart.⁵⁴ Ein Zusammenhang mit dem Verkauf der Bergwerksanteile ist daher sehr naheliegend. Somit war die Aufgabe der Bergwerke ein Teil der Rückgewinnung eines Investitionsspielraumes, den sich die beiden Paumgartnerbrüder verschafften und der sie schließlich von den Zinszahlungen alter Kreditlasten befreite. Die Tiroler Bergwerke dürfen daher auch als Teil der vorhandenen Kapazität zur Überwindung von Krisensituationen betrachtet werden. Zwar kann angenommen werden, dass sich die Paumgartner 1553 beim Verkauf der Bergwerksanteile nicht direkt in einer Disruption befanden. Doch die später durchgeführte Verpfändung von Landgütern unter David Paumgartner aufgrund seiner nahenden Zahlungsunfähigkeit ist in einem ähnlichen Licht zu betrachten. Zur Aufnahme neuer Darlehen beziehungsweise zur Absicherung alter Zinslasten, die er ab dem Ende der 1550er Jahre nicht mehr bedienen konnte, ging er zunehmend dazu über, die Landgüter des Familienbesitzes als Sicherheiten zu hinterlegen und sie auch zu verpfänden. Dies stand zwar im klaren

52 Vgl. ebd., 243 f. 53 Vgl. ZAKi 1308, Bergwerksakten […], darin: Memorial. 54 ZAKiU 5240.

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Widerspruch zum Familienstatut von 1537 – in dem die Veräußerung von ererbtem Familienbesitz verboten war –, doch konnte David nicht mehr anders agieren und es fehlte ihm schlichtweg die ökonomische Alternative zur Verpfändung der Landgüter. Womöglich mag die vorangegangene wirtschaftliche Schieflage Davids seinen Bruder Hans-Jörg dazu bewegt haben, dem Bruder zu helfen. Er verbürgte sich 1558 für seinen Bruder, indem er bei Augsburger Kaufleuten Kredite aufnahm und sie an seinen Bruder weiterreichte. Es ist in dieser Konfliktsituation zwischen den Brüdern, die HansJörg in einem Brief auch drastisch zu formulieren weiß,⁵⁵ durchaus möglich, Kapazität auf der Ebene einer familiären Resilienz zu entdecken. Denn ohne den kreditwürdigeren Bruder Hans-Jörg, der entgegen seinen Prinzipien, die sich aus dem Familienstatut ergaben, den armen Bruder unterstützte, hätte Davids finanzieller Zusammenbruch höchstwahrscheinlich noch eher stattgefunden. Dieser ereignete sich schließlich doch noch aufgrund des Bankrotts von Jakob Herbrot in Augsburg, bei dem David eine Summe von rund 85.000 fl. zu fordern hatte, die nun jedoch Anfang der 1560er Jahre ausblieb. Eine unheilvolle Entwicklung wurde mit der Zahlungsunfähigkeit Davids in Gang gesetzt, die einerseits den bereits hoch verschuldeten David dazu brachte, das Gut Hohenschwangau gleich an zwei Personen zu verpfänden – einmal das Reichslehen an Bonaventura Furtenbach und das Schloss an Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach, über den es schließlich an den bayerischen Herzog Albrecht V. fiel.⁵⁶ Zudem sorgte diese Entwicklung für den bereits oben beschriebenen Übertritt Davids in die nähere Umgebung Wilhelm von Grumbachs. Hart traf es auch Hans-Jörg, der aufgrund seiner aufgenommenen Kredite für David von den Gläubigern zur Rückzahlung aufgefordert wurde, als die zunehmende Zahlungsunfähigkeit Davids bekannt wurde. Da es Hans-Jörg jedoch nicht schaffte, die Forderungen der Gläubiger zu bedienen, wurde er 1565 von der Stadt Augsburg unter Arrest gestellt und kam erst wieder frei, nachdem er sich mit seinen Gläubigern hatte einigen können. Dieser Prozess der Einigung dauerte fünf Jahre und kurz nachdem Hans-Jörg 1570 wieder auf freiem Fuß war, erlag er einer schweren Krankheit.⁵⁷ Im Hinblick auf Investitionsspielräume ist zu konstatieren, dass diese im Moment der fehlenden Kreditwürdigkeit und des drohenden Bankrotts in Gänze fehlten und jegliche Handlungsmöglichkeiten, etwas zu investieren, verloren waren: Die ehemals vorhandenen Kapazitäten der Familie Paumgartner waren an diesem Punkt nahezu komplett ausgeschöpft und boten nach diesen Schockmomenten keinerlei Möglichkeiten mehr, einen Gleichgewichtszustand im Rahmen der oberdeutschen Hochfinanz und als kreditwürdige Patrizier und Landadlige zu erreichen. Lediglich die ‚Investition‘ HansJörgs in seinen Bruder David kann noch als Maßnahme interpretiert werden, so viel Schaden wie möglich von der Familie fernzuhalten. So wie es zuvor die Desinvestition,

55 ZAKi 1144, Briefe an David Paumgartner, darin großformatiger Brief vom 04.12.1564. 56 Vgl. Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 19*. 57 Müller, Quellen zur Handelsgeschichte, 20*f.

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also die Liquidation von gebundenem Kapital zur erneuten anderweitigen Verwendung, aus dem Montansektor war, deren Ziel die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gewesen war. Letztlich stellten sich beide Vorhaben als Einengung der Investitionsspielräume und der Kapazität der Paumgartner heraus, wodurch ihre wirtschaftliche Aktivität beendet wurde.

8 Fazit Nach einer Betrachtung der vorgestellten Bereiche lässt sich formulieren, dass die Paumgartner die Gefahren eines wirtschaftlichen Niedergangs zu reduzieren vermochten, da ihre Kapazitäten bis in die 1550er Jahre hinein ausreichten, um etwaige Risiken zu minimieren, und sie ihre unterschiedlichen Investitionsspielräume auszunutzen und zu erweitern wussten. Dies erreichten sie unter anderem durch eine Diversifizierung von Investitionen einerseits, die ihnen ökonomische Kapazitäten im Falle einer Disruption oder langfristigen Krise garantierten. Andererseits konnten sie auf sozialen Kapazitäten aufbauen, die sich in Handels-, Gelehrten- und Sachverständigenbeziehungen sowie den Ausbildungswegen der eigenen Söhne, den Heiratsverbindungen und gegenseitiger Fürsorge zusammenfassen lassen. Investitionsspielräume lassen sich demnach anhand der Möglichkeiten im Rahmen der gesellschaftlichen Strukturen der jeweiligen Zeit erkennen, wenn es beispielsweise um den Erwerb von Landgütern oder um die Eheverbindungen geht. Die darin eingebetteten Investitionen waren daher also Tätigkeiten und Ausgaben von Ressourcen, die in der Zukunft einen Nutzen für das Unternehmen, die Familie oder den Akteur haben sollten. Vordergründig bleibt auch verfügbares Kapital in diese Nutzung von Investitionsspielräumen einbezogen, da es den Akteuren den Rahmen absteckte, wie hoch die Kosten für eine Investition sein konnten. Die Paumgartner jedenfalls, so die vorliegenden Betrachtungen, waren sehr wohl in der Lage, ihre Investitionsspielräume zu erkennen, zu erweitern und zum ökonomischen Vorteil zu nutzen, wenn es darum ging, nutzbare Kapazitäten aufzubauen, die im Falle unvorhergesehener Belastungen die Überwindung dieser Situation ermöglichen konnten. Doch zeigte das Beispiel auch, dass fehlende Investitionsspielräume, wie etwa nach der Abstoßung des Montansektors, oder generell ein Mangel an Handlungsmöglichkeiten, wie er in der dritten Generation bestand, die Kapazitäten eines Systems derart einschränkten, dass eine Überwindung von Krisen und Disruptionen nicht mehr möglich war. Daher bietet die vorliegende Analyse einen Beitrag zur Untersuchung von Investitionen der Paumgartner im 16. Jahrhundert insgesamt und für Erkenntnisse über ihre Resilienzstrategien im Besonderen: hinsichtlich einer Erweiterung sowie eines Niedergangs ihrer auf verschiedenen Kapazitäten beruhenden Stabilität. Sie beugten mit ihren Investitionen beeinträchtigenden Situationen vor, die unvorhergesehen die einzelnen Systemebenen treffen konnten. Dabei halfen vorhandene Kapazitäten, eine schnelle Überwindung zu ermöglichen. Zudem demonstriert auch die Variabilität der

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Investitionsmöglichkeiten die bereits vorhandenen Kapazitäten, welche die Paumgartner nutzten. Das Handeln dieser Unternehmerfamilie ermöglicht Aufschluss über zeitgenössische unternehmerische wie familienpolitische Investitionsspielräume – im Zusammenspiel der Ebenen von Akteur, Familie und Unternehmen sowie ihrer jeweiligen Resilienz.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Augsburg Stadtarchiv [StAA], Steuerbücher 1478. Bayerische Staatsbibliothek: Cgm 1514: „Baumgertner, Johann: Johannes Baumgartners zu Baumgarten zur Hohenschwangaw und Erbach … Rechtsordnung der Reichs- und Landvogtey Augsburg“. Zeil-Archiv-Kißlegg im Fürstlich von Waldburg-Zeil’sches Gesamtarchiv, Schloss Zeil, Paumgartner-Archiv Bestand A: Urkunden [ZAKiU] ZAKiU 4838: Familienstatut. ZAKiU 5121: datiert auf 24. 04. 1550. ZAKiU 5216: datiert auf 22. 02. 1552. ZAKiU 5240: datiert auf 14. 01. 1553. Zeil-Archiv-Kißlegg im Fürstlich von Waldburg-Zeil’sches Gesamtarchiv, Schloss Zeil, Paumgartner-Archiv Bestand B: Akten [ZAKi] ZAKi 1111: Kurzchronik und Urkundenbuch der Paumgartner, 1. H. 16. Jh. ZAKi 1144: Briefe an David Paumgartner von seinen Brüdern Anthoni und Hansjörg und anderen Verwandten 1550 – 1565, Darin großformatiger Brief vom 04. 12. 1564. ZAKi 1150: „Leben des Anton Paumgartner: Aufenthalt in fremden Ländern (Frankreich, Italien, Venedig, Spanien, Niederlande, Kriegsteilnahme), Heirat mit Regina Hunold, sein lasterhaftes Leben, Mißhandlung seiner Frau, Scheidung 1543; […] Inventar über die Hinterlassenschaft des Anton P. mit Wertanschlägen der einzelnen Stücke vom 15./17. Juni 1581.“ ZAKi 1198: Paumgartnerisches Urkundenbuch, 1. Hälfte 16. Jh. ZAKi 1294: Unkostenbüchlein des Hans Paumgartner über seine Reise nach England 1508. ZAKi 1308: „Bergwerksakten 1524–1528, 1529, 1542, 1549 (nach dem Tod des Hans II. Paumgartner) und 1560 […]; Bergwerk am Rathaus in Gastein; Hans Rosenberger etc.“

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II Kultur-Kapital: Investoren, Künstler, Literaten

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„Qui in mea patria solus est Moecenas meus …“ Die finanzielle Ausstattung des Dramatikers Nicodemus Frischlin durch den Stuttgarter Hof Die Förderung von Kunst und Kultur wird meist mit dem bereits in der Frühen Neuzeit verwendeten Begriff des Mäzenatentums bezeichnet, womit eine finanzielle Zuwendung idealisierend als frei von einer direkten Nutzerwartung insinuiert wird. Nur indirekt scheint der Mäzen von seiner Investition profitieren zu können, indem etwa seine Außenwahrnehmung verbessert wird. In dieser Verwendung des Begriffs wird allerdings übersehen, dass sich das Verhältnis von Mäzen und Klient in der Regel vielschichtiger gestaltet: Der Auftraggeber verbindet meist eine klare Intention damit, welche Form, zuweilen auch welche genaue Konzeption von Kunst und Kultur er unterstützen möchte, und muss dafür kulturelle Kennerschaft aufbringen, auch um entscheiden zu können, wen er mit der Ausführung beauftragt. Gleichzeitig benötigt der erfolgreiche Künstler politisches bzw. soziales Geschick, um in den Genuss einer solchen Förderung zu gelangen. Beide Seiten müssen also zumindest habituell in der Sphäre des anderen agieren können oder über den Zugang zu kompetenter Vermittlung verfügen.¹ Wie diese Verknüpfung zwischen Mäzen und Künstler im Zeitalter der Fugger und Welser konkret ausgestaltet war, soll im Folgenden am Beispiel des bedeutendsten Dramatikers dieser Zeit, des Württemberger Philologen Nicodemus Frischlin, erörtert werden. Diese Auswahl hat zwei Gründe: Zum einen kann in seinem Fall auf eine sehr dichte Quellenüberlieferung zurückgegriffen werden, die jüngst in Form einer Edition seiner Korrespondenz wissenschaftlich aufgearbeitet wurde². Der 1576 von Kaiser Rudolf II. am Rande des Regensburger Reichstags zum Poeta laureatus gekrönte Frischlin hatte einen starken Hang zur Polemik, so dass sich aus seinem Leben zahlreiches Aktenmaterial angesammelt hat, worin seine ständigen Streitereien gut dokumentiert sind. Sowohl die Universität Tübingen³, an der er studiert und lange Zeit als Dozent für Poetik gelehrt hatte, als auch der Stuttgarter Hof ⁴ legten daher entgegen damaligen Gepflogenheiten schon zu Lebzeiten Frischlins je eine Personalakte zu ihm an. Da darin auch intensiv finanzielle Belange zur Sprache kommen, lässt sich sehr genau nachvollziehen, wann dem Dichter von welcher Seite welche Zahlung aus welchem Grund zugutekam, was wiederum Rückschlüsse auf die Motive der Geldgeber liefert. Als zuverlässigster Förderer des Dramatikers erwies sich dabei der Stuttgarter Hof unter Herzog Ludwig, der im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen soll. 1 2 3 4

Vgl. Oevermann, Für ein neues Modell. Frischlin, Korrespondenz. UA Tübingen 10/11,1 – 2. HStA Stuttgart A 274, Büschel 41 – 50.

https://doi.org/10.1515/9783111060682-005

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Zum anderen gestaltete sich Frischlins Leben selbst zum Drama, das mit einem Sturz von der Burg Hohenurach endete, als der Dichter aus württembergischer Haft fliehen wollte. Das Verhältnis zwischen Frischlin und dem Stuttgarter Hof zeigt also sowohl auf, wie Mäzenatentum zunächst im gegenseitigen Interesse gelang, als auch wie es dann gründlich scheiterte. Die Gründe dafür sollen im Folgenden herausgearbeitet werden, wobei zu zeigen sein wird, dass der Hof unter Mäzenatentum etwas anderes verstand als der Dichter. Dieser Begriff war also bereits im 16. Jahrhundert absichtlich unscharf und unterlag in jedem Einzelfall der jeweils spezifischen Ausgestaltung, die ausverhandelt werden musste. Der Beitrag umfasst daher drei Punkte: Zunächst wird die gerade in Hinsicht auf das Scheitern aufschlussreiche Biographie Frischlins vorgestellt, um dann seine Alimentierung durch den Stuttgarter Hof, ihre finanziellen und politischen Hintergründe sowie ihre kulturpolitische Zielrichtung offenzulegen, wobei auch das Selbstverständnis des höfischen Mäzenatentums deutlich werden soll. Schließlich wird die Verwendung der Begriffe ‚Mäzen‘ und ‚Patron‘ analysiert, wie sie Frischlin für seine Gönner benutzt und inhaltlich diskutiert, um im Vergleich mit dem höfischen Verständnis Rückschlüsse auf die Bedeutung dieser Begriffe in der Frühen Neuzeit ziehen zu können. Das Thema steht in einer entscheidenden Hinsicht quer zu diesem Tagungsband: Wenn hier von der Förderung eines Hofes für einen Künstler gesprochen wird, muss dies als Folie verstanden werden, um kaufmännische Investitionen in Kunst und Kultur in der Frühen Neuzeit richtig einordnen zu können. Im Vergleich mit den Beispielen bürgerlicher Investitionen in Kunst und Kultur ergeben sich aber Hinweise, wo sich bürgerliche Geldgeber an der Praxis der Höfe orientierten, wo Höfe nach kaufmännischen Kriterien handelten, und wo es signifikante Unterschiede zwischen der höfischen und der bürgerlichen Sphäre in dieser Hinsicht gab.⁵

1 Leben und Werk Frischlins Nicodemus Frischlin⁶ wurde 1547 als ältester Sohn des Predigers Jakob Frischlin in Balingen geboren und durchlief die typische württembergische Bildungskarriere seiner Zeit: Nach dem Besuch der Lateinschule in Balingen und der Anatolischen Schule in Tübingen⁷ war er Schüler an den neugegründeten Klosterschulen in Königsbronn und Bebenhausen, ehe er sich 1562 an der Universität Tübingen immatrikulierte. Als Stipendiat am herzoglichen Stift war er eigentlich für eine Karriere als Pfarrer im Herzogtum vorgesehen, doch führte ihn sein herausragendes philologisches Talent in eine

5 Zur Motivation der Höfe zur Förderung von Kunst und Kultur vgl. Müller, Fürstenhof, 43 f. 6 Zu seiner Biographie ist weiterhin die für Frischlin sehr eingenommene Arbeit von Strauß, Leben und Schriften, zentral. Wichtige Beiträge zu Einzelaspekten versammeln Holtz/Mertens, Nicodemus Frischlin (1547– 1590). Den aktuellen Stand der Forschung bietet Seidel, Frischlin, Nicodemus; eine umfassende Bibliographie haben Wilhelmi/Seck, Nikodemus Frischlin (1547– 1590), zusammengestellt. 7 Zur Bedeutung dieser Lateinschule vgl. Hauer, Lokale Schulentwicklung, passim.

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andere Richtung: 1568 wurde er Lektor für Poetik und Geschichte an der Tübinger Artistenfakultät. Adelskritische Äußerungen in seiner ‚Oratio de vita rustica‘⁸, die eigentlich als Hinführung zu Vergils ‚Georgica‘ konzipiert war, führten zu einem scharfen Protest der Reichsritterschaft, die von Herzog Ludwig vehement eine Bestrafung Frischlins forderten.⁹ Sein borniertes Verhalten in der Aufarbeitung dieser Affäre¹⁰ brachte Frischlin zu Beginn des Jahres 1582 einen langen Hausarrest ein, dem er durch die Annahme des Rektorats des Gymnasiums der Krainer Landstände in Laibach entkommen konnte. Trotz seines Aufenthalts am Rande des Reichs enthielt sich der Philologe in dieser Zeit nicht seiner polemischen Veröffentlichungen und publizierte 1584 im nahen Venedig bei Aldo Manuzio seine ‚Strigilis grammatica‘, worin er mit dem Grammatikunterricht seines Tübinger Lehrers Martin Crusius abrechnete. Der folgende Grammatikstreit führte zu Publikationen von beiden Seiten und währte gar über Frischlins Tod hinaus.¹¹ Aus ungeklärten Gründen verließ Frischlin Laibach 1584 wieder und versuchte, nochmals in Tübingen Fuß zu fassen. Der Plan des Stuttgarter Hofes, ihn dort als außerplanmäßigen Professor zu installieren, scheiterte am Widerstand der Universitätsgremien. Der in diesem Zusammenhang gegen ihn vorgebrachte Vorwurf des Ehebruchs führte 1586 gar zur Ausweisung Frischlins aus Württemberg. Versuche, am Kaiserhof und an der Universität Wittenberg zu reüssieren, scheiterten in der Folgezeit. Erst 1588 konnte Frischlin als Rektor des Martineums in Braunschweig wieder eine feste Anstellung finden. Eine polemische Dichtung zum Streit zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern¹² zog dort aber schon im folgenden Jahr eine Verurteilung Frischlins nach sich, deren Vollstreckung er sich durch Flucht entzog. Verarmt bat er am Stuttgarter Hof um die Herausgabe des Heiratsgutes seiner Ehefrau Margarethe Brenz, einer Großnichte des Württemberger Reformators Johannes Brenz. Als ihm dieses verwehrt wurde, schrieb er einen zornigen Brief nach Stuttgart,¹³ der am württembergischen Hof zu dem Entschluss führte, Frischlins wieder habhaft werden zu wollen. Am 24. März 1590 wurde er in Mainz gefasst und nach Württemberg überführt, wo er bis zu seinem tödlichen Fluchtversuch am 29. November des Jahres in Haft blieb.

8 Frischlin, Oratio de vita rustica, 96 – 103. Frischlin sah sich veranlasst, mehrere Entschuldigungsschriften dazu zu verfassen. Sie liegen inzwischen in einer kommentierten Edition vor (Frischlin, Deutsche Schriften I). 9 Erstmals formuliert in einem Schreiben des Schwäbischen Kreises der Reichsritterschaft an Herzog Ludwig vom 14. November 1580 (HStA Stuttgart A 274, Büschel 42, Nr. 17b; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1685 – 1691). 10 Zum Verlauf des Adelsstreits vgl. die Einleitung zu Frischlin, Deutsche Schriften I, besonders 55 – 81. 11 Vgl. Cancik, Crusius contra Frischlinum. Zur Vorgeschichte vgl. Ferber, Colluctatio Fröschlini et Onocrusii. 12 Frischlin, Kurtze Abfertigunge. Moderne Edition mit Kommentar bei ders. Deutsche Schriften II, 504 – 534. 13 Frischlin an die herzogliche Kanzlei in Stuttgart, Speyer, 10. März 1590 (HStA Stuttgart A 274, Büschel 48, Nr. 11; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1255 – 1259).

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Das Oeuvre des württembergischen Philologen war allerdings nicht nur von Invektiven geprägt. Zentral sind vor allem seine neun lateinischen und drei deutschen Komödien, wobei v. a. drei Dramen wegen ihrer literarischen Innovationskraft herausstechen: 1578 wurde anlässlich des hundertsten Gründungsjahres der Universität Tübingen Frischlins ‚Priscianus vapulans‘¹⁴ aufgeführt, worin der antike Grammatiker Priscian von den Dozenten der mittelalterlichen Universität mit schlechtem Latein gequält wird, ehe ihm Erasmus und Melanchthon zu Hilfe eilen. Zu Fasnacht 1580 thematisierte Frischlin den aktuellen Theologenstreit und ließ in ‚Phasma‘¹⁵ die Vertreter aller Denkschulen außer Luther und Brenz zur Hölle fahren. 1583 folgte schließlich der ‚Iulius redivivus‘¹⁶. Hierin verlassen Caesar und Cicero die Unterwelt, um die militärischen wie kulturellen Leistungen der Deutschen zu bestaunen. Frischlin verfasste auch drei Epen: Zwei davon beschreiben die Hochzeiten seines Gönners Ludwig von Württemberg;¹⁷ während der Haft folgte schließlich das Bibelepos ‚Hebraeis‘.¹⁸ Zudem besorgte Frischlin Editionen der griechischen Dichter Kallimachos¹⁹ und Aristophanes²⁰, jeweils mit lateinischen Übersetzungen, veröffentlichte Paraphrasen antiker Autoren für den Unterricht und verfasste unzählige Gelegenheitsdichtungen. Die Vielseitigkeit von Frischlins Werk, worin er sich als herausragender Dozent, Philologe und Dichter erweist, macht deutlich, warum sich der Stuttgarter Hof bemühte, ihn trotz seines schwierigen Charakters zu fördern und sein Talent für die eigenen Interessen einzusetzen.

2 Frischlins Finanzierung Die daraus resultierenden Zahlungen des Hofes an Frischlin sollen nun anhand der Akten detailliert nachvollzogen werden, wobei auch deutlich gemacht wird, welche der genannten Arbeiten des Tübinger Dozenten in Stuttgart besonders förderungswürdig erschienen. Bereits in seiner ersten Eingabe an den Stuttgarter Hof vom August 1574²¹ thematisiert der Universitätsdozent ausführlich seine finanziellen Sorgen, die durch die kli-

14 Moderne Edition bei ders., Sämtliche Werke III,1, 1 – 319. Kommentar von Christoph Jungk ebd. III,3, 9 – 119. 15 Moderne Edition bei ebd. III,2. Zur Interpretation dieser Konfessionskomödie vgl. Elschenbroich, Imitatio und Disputatio. 16 Moderne Edition bei Frischlin, Sämtliche Werke III,1, 321 – 666. Kommentar von Lothar Mundt ebd. III,3,1, 121 – 227. 17 Frischlin, De nuptiis und ders., De secundis nuptiis. 18 Ders., Hebraeis. Vgl. dazu Czapla, Das Bibelepos, 342 – 362. 19 Kallimachos, Hymni et epigrammata, 20 Frischlin, Aristophanes. Vgl. dazu Hadley, Athens in Rome. 21 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg im August 1574 (HStA Stuttgart A 274, Büschel 41, Nr. 2; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 23 – 26).

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matisch bedingten Preissteigerungen in den Jahren zuvor²² angewachsen waren. Er berichtet zunächst davon, dass er bereits als Student durch die Aufnahme ins herzogliche Stift in Tübingen finanziell unterstützt sowie als Dozent für Poetik zunächst mit 60, dann mit 80 und schließlich mit 120 Gulden Jahresgehalt bedacht wurde. Dazu kamen im Übrigen seit 1773 14 Gulden jährlich für die Abhaltung der sonntäglichen BakkalaureusDisputationen.²³ Nun könne er aber, so Frischlin in seiner Supplikation, nicht mehr genug Geld für den Kauf von Lebensmitteln für seine Familie und für seine studentischen Kostgänger – ein wichtiger Bereich der Finanzierung von Universitätsdozenten – aufbringen. Er bitte daher um Erhöhung seines Gehalts oder um Entlassung aus württembergischen Diensten, zu denen er als ehemaliger Stipendiat des Herzogs verpflichtet war. Interessanterweise beschäftigten sich weite Teile des zentralen Regierungsapparats in Stuttgart mit diesem Brief: Der Statthalter der herzoglichen Vormünder, Heinrich von Castell, also die damalige Spitze des Stuttgarter Hofs, bat den württembergischen Kirchenrat, der hier seine Fachexpertise einzubringen hatte, um ein Gutachten,²⁴ das schließlich vom Kanzler der Universität Tübingen, dem einflussreichen Theologen Jakob Andreä, verfasst wurde. Dieses Gutachten fordert, Frischlin wegen seines Talents an der Universität zu halten, auch wenn dort gerade keine besser besoldete Stelle zu besetzen wäre.²⁵ Daraufhin erging im Namen des noch unmündigen Herzogs Ludwig eine Anweisung an die Leitung der Universität Tübingen, Frischlins Gehalt zu erhöhen,²⁶ der allerdings nicht Folge geleistet wurde.²⁷ Daraufhin ließ der Herzog seinem vielversprechenden Dichter, der bereits durch die Veröffentlichung einer langen Elegie auf das Tübinger Stift die württembergische Bildungspolitik gefeiert hatte,²⁸ einmalig einen Scheffel Dinkel, das sind 177 Liter, zukommen,²⁹ was Frischlin offenbar dazu bewegte, in Tübingen zu bleiben.

22 Klimageschichtlich war die Frühe Neuzeit von einer Phase der Abkühlung, der sogenannten ‚Kleinen Eiszeit‘, geprägt. Zu den Zeiten, in denen sich diese klimatischen Bedingungen besonders stark durch Ernteausfälle und damit zusammenhängend durch erhebliche Teuerungsraten bemerkbar machten, gehörten auch die Jahre um 1570. – Zu diesem Phänomen und seinen Auswirkungen vgl. Behringer, Die Krise von 1570, 77– 101. 23 Vgl. Hofmann, Artistenfakultät, 166. 24 Auf der Adressseite von Frischlins Supplikation findet sich der Vermerk: „Kirchenräthen zuerwegen. Statthalter manu propria“ (HStA Stuttgart A 274, Büschel 41, Nr. 2; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 23). 25 Vgl. Andreäs Gutachten vom 10. August 1574 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, ad Nr. 2). 26 Herzog Ludwig von Württemberg an den Senat der Universität Tübingen am 18. August 1574 (UA Tübingen 10/11,1, Nr. 1). 27 Vgl. das Protokoll der Senatssitzung der Universität Tübingen vom 18. September 1574 (UA Tübingen 2/ 2, fol. 10r). 28 Frischlin, Stipendium Tubingense. 29 Vgl. das Gutachten des württembergischen Konsistoriums vom 18. September 1574 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 3).

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Eine deutliche Verbesserung von Frischlins Einkünften ergab sich erst 1577 durch die Abfassung seines Epos über die erste Hochzeit des Herzogs.³⁰ Diesmal nicht aus dem Etat der Universität, sondern aus dem des Hofes selbst wurde Frischlin eine jährliche Zuwendung von 20 Scheffel Dinkel und 3 Eimern Wein, also knapp 900 Litern zugesprochen,³¹ was ihm nun erlaubte, deutlich mehr studentische Kostgänger als bisher in seinem Haushalt aufzunehmen. Als er im selben Jahr entgegen den gemachten Versprechungen nicht zum ordentlichen Professor für Logik an der Tübinger Artistenfakultät ernannt wurde, erhielt Frischlin zum Ausgleich von Seiten der Universität eine Erhöhung seines Gehalts in Form von Naturalien³² – wenn auch wieder erst nach einer Intervention des Herzogs.³³ Ihm wurden nun zusätzlich 4 Eimer Wein und 18 Scheffel Dinkel jährlich zugesprochen. Derart finanziell abgesichert erwarb Frischlin im Juli 1578 einen nahe Tübingen gelegenen Weinberg für 240 Gulden.³⁴ Da er das Geld nicht bar zur Verfügung hatte, bat der Dichter den Stuttgarter Hof um einen Kredit.³⁵ Die Angelegenheit wurde in Stuttgart wohlwollend behandelt. In einem Gutachten des Stuttgarter Konsistoriums, das sich auf der Adressseite von Frischlins Bittschreiben befindet, wurde dem Herzog auch eine pragmatische Form der Verbuchung vorgeschlagen. Darin heißt es: Vnnser gnediger furst vnnd herr Hab vsser der verwalter Kürchencastens Jungst abgehörten rechnung wol gesehen, das Supplicanten von selbigem fueglichen nit geholffen werden mag. Nachdem aber noch etlich gelt vonn dem widertäufferischen guet heerrüerendt anzulegen im vorrath, Stellt mann zue Irer f[ürstlichen] g[naden] gnedigem gefallen, Ime, wa nit eben drey, doch zwey hundert guldin, von selbigem zu leihen, zubewilligenn. Doch das er deßwegen gnugsame zinßuerschreibung mit ordenlich erkhannten vnnderpfanden darumben vfrichte.³⁶

Bei dem genannten Wiedertäufer-Gut handelt es sich um einen Fond, der dadurch entstand, dass das Vermögen von Anhängern der Täufer-Bewegung, die Württemberg verlassen mussten, konfisziert, drei Jahre verwaltet und dann veräußert wurde. Die Erträge wiederum flossen in diesen Sonderfond, auf den der Herzog zugreifen konnte und der tatsächlich in der Regel für Kreditgeschäfte verwendet wurde.³⁷ Der Hof agierte hier also wie eine Bank und zumindest die Gutachter, der Kirchenratsdirektor Wild und

30 Frischlin, De nuptiis. 31 Vgl. das Gutachten des württembergischen Konsistoriums vom 2. April 1577 (HStA Stuttgart, A 274, Bü 41, Nr. 10). 32 Vgl. den Zusatz des Tübinger Rektors Jakob Cappelbeck zu Frischlins Brief an den Senat der Universität Tübingen vom 12. Januar 1578 (UA Tübingen 10/11,1, Nr. 16; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 163 f.). 33 Herzog Ludwig von Württemberg an den Senat der Universität Tübingen am 4. Januar 1578 (UA Tübingen 10/11,1, Nr. 15). 34 Kaufvertrag vom 24. Juli 1578 (UA Tübingen 5/15, fol. 49r). 35 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 24. Juni 1578 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 15; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 179 – 182). 36 2. Zusatz zu HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 15. (Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 181 f.). 37 Vgl. Clasen, Die Wiedertäufer im Herzogtum Württemberg, 46.

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der Kirchenkastenverwalter Engel, legten Wert auf eine angemessene Verzinsung. Frischlin erhielt tatsächlich einen großzügigen Kredit über 300 Gulden und musste dafür 15 Gulden Zins pro Jahr bezahlen,³⁸ was mit 5 % auch einer gängigen Verzinsung entsprach. Dennoch waren es sicher nicht nur ökonomische Interessen, die den Stuttgarter Hof veranlassten, dieses Geschäft einzugehen. Gleichzeitig war es auch Ausdruck der Kulturpolitik, den talentierten Dichter enger an das Haus Württemberg zu binden, denn Frischlin war sicherlich kein sonderlich kreditwürdiger Geschäftspartner. Die Bezahlung von Zins und Tilgung dieses Kredits zogen sich daher hin. 1580 wollte Frischlin wegen Missernten den fälligen Zins nicht bezahlen,³⁹ was die rechte Hand Herzog Ludwigs von Württemberg, sein Kammersekretär Melchior Jäger, dazu nutzte, einen Schuldenerlass zugunsten des Dichters vorzuschlagen. Dem Herzog empfahl er, Ob er [Frischlin] nun wol […] seine feel vnd mängel hat, jedoch weyll (verhoffentlich) Er dieselbe maturiore aetate verbessern vnd hienach Jn mehrerm, als der ain Excellentissimum Ingenium vnd in philosophia, dicendi artibus vnd sonsten treffenlich wol studiert hat, zugebrauchen sein würdet, vnd dan Jn ansehung, das Er jetzo Jrer f[üstlichen] g[naden] die paraphrases Virgilii dedeciert, so wer mein vnderthenig bedenckhen, das Jre f. g. Jme an der haubtsumma 50 fl. sambt dem 30 fl. zinß nachzulassen [gewähren].⁴⁰

Dieser Vorschlag entsprach in der Tat einer gängigen Praxis: Widmungsempfänger von Büchern, Jäger erwähnt die Vergil-Paraphrasen Frischlins⁴¹ – also ein universitäres Lehrbuch –, zeigten sich dem Autor des Werkes in der Regel in finanzieller Art erkenntlich.⁴² In diesem Falle ist allerdings zu beachten, dass Frischlin bereits im Vorfeld einen Druckkostenzuschuss von 30 Gulden vom Stuttgarter Hof erhalten hatte.⁴³ Wie der Herzog auf Jägers Vorschlag reagierte, geht aus den Akten nicht klar hervor. Im Jahr darauf hören wir von 150 Gulden Schulden aus diesem Kredit – und wieder begann Frischlin darüber zu verhandeln. Er gab zu bedenken, dass er als Philologe weniger Möglichkeiten zum Zuverdienst als ein Jurist habe und nicht so bescheiden leben könne wie ein Theologe, sondern nur aus seinen Fähigkeiten im Umgang mit der lateinischen Sprache Gewinn machen könne.⁴⁴ Ein Anlass für einen Schuldennachlass

38 Vgl. Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 28. April 1580 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 24; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 262 – 264). 39 Vgl. ebd. 40 Zusatz von Melchior Jäger zu Frischlins Brief an Herzog Ludwig von Württemberg am 31. Juli 1580 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 25; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 296 f.). 41 Frischlin, Bucolica et Georgica paraphrasi exposita. Das Buch ist Herzog Ludwig mit einer Dedikationsepistel vom 1. August 1580 gewidmet (ebd., Bl. )(iir–)(viiv). 42 Schottenloher, Die Widmungsvorrede im Buch, 192 – 194. 43 Vgl. dazu Lucas Osiander an Frischlin am 7. Juni 1580 (Abschrift: HStA Stuttgart, A 274, Büschel 47, Nr. 24, fol. 34r–v; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 277– 279) und Frischlin an Georg Hamberger vom 21. Juli 1580 (UA Tübingen, 10/11,1 Nr. 27; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 282 – 284). 44 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 2. September 1581: „Vnnd wöllen E[uer] f[ürstlich] G[naden] gnediglich bedenken, das Lingua Latina mein pflueg sey vnnd ich kein initiatus Theologus, der einer anderen ergötzung gewertig sein künd, auch kein Iurist, der ohne müeh mitt wenig blättern ein

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ergab sich aus Frischlins Sicht dadurch, dass er kurz zuvor im Auftrag des Herzogs ein kontroverstheologisches Werk, die ‚Acta Oecomenici Concilii‘ des Maulbronner Abtes Jakob Schropp, ins Lateinische übersetzt hatte.⁴⁵ Doch offenbar fand der Stuttgarter Hof Frischlins Argumentation nicht stichhaltig und verringerte die Schuldenlast daraufhin nicht. Möglicherweise fühlte sich der Herzog berechtigt, von seinem Schuldner derartige Arbeiten einzufordern, die man in Stuttgart für sinnvoll hielt. Als er nach Laibach zog, verkaufte Frischlin seinen Tübinger Weinberg mit Gewinn.⁴⁶ Von den so erworbenen 600 Gulden zweigte er allerdings nur fünfzig für die Tilgung des Kredits ab. Für die Tilgung des Rests wollte sich wiederum Jäger verwenden⁴⁷ – und tatsächlich wird dieser Kredit in den Akten nicht mehr erwähnt. Zusammengefasst handelte es sich also dabei doch um eine Subvention und weniger um einen Kredit, auch wenn er in den Büchern als solcher geführt worden sein mag. Den Schuldner (oder eben doch Subventionsnehmer) ließ man dabei allerdings zappeln, solange man seiner Arbeitskraft für eigene Projekte bedurfte. Frischlin schien die Spielregeln zu kennen und bat daher geschickt vor jedem Zahlungstermin um Nachlass. Trotz seines Ausweichens in die Krain war es Frischlin ein wichtiges Anliegen, seine jährliche Bezahlung für das Hochzeitsepos vom Stuttgarter Hof weiterhin beziehen zu können. Als Begründung führt er an, dass sein Epos ja weiterhin ‚lebe‘ und das Ansehen des Herzogs dadurch mehre.⁴⁸ Das Antwortschreiben des Herzogs ist äußerst aufschlussreich und zeigt einen Wechsel der Strategie von Seiten des Stuttgarter Hofs: Der Herzog betont darin erstmals, dass es sich bei dieser Zuwendung nicht um einen Rentenanspruch, sondern um einen Gnadenerweis handele, der dem Dichter auch wieder entzogen werden könne, wenn er sich dieser Gnade nicht würdig erweise.⁴⁹ Ganz offen wird hier Druck auf den Dichter ausgeübt, sich seiner literarischen Auseinandersetzungen zu entziehen, was wie erwähnt nicht gelang. Frischlin schickte sich just in dieser Zeit an, den Grammatikstreit mit Crusius weiter zu entfachen. grosse summa gelts gewinnen kan, Sonder allein mitt diser gab für andre von Gott geziertt, das auf E. f. G. ich ain solliches vnd andre dergleichen werkh eh dann ein Iurist (ohn ruom vnd niemand zu Nachtheyl) verLateinen kan“ (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 41, Nr. 41; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 460 – 468, hier 466, Z. 35 – 40). 45 Vgl. dazu Knüpffer, Aus der Werkstatt eines Auftragsübersetzers. 46 Kaufvertrag vom 23. August 1582 (UA Tübingen 5/15, fol. fol. 108r–v). 47 Vgl. Melchior Jäger an Frischlin am 31. Oktober 1582 (Abschrift: HStA Stuttgart, A 274, Büschel 47, Nr. 24, fol. 38r–v; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 620 – 622, hier 621, Z. 15 – 18). 48 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 1. August 1582: „Dann weil mein Carmen nuptiale noch nitt gestorben, sonder in der gantzen Christenheytt lebt, warum soll mein honorarium zu grund gehen?“ (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 44, Nr. M; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 577– 581, hier 579, Z. 28 f.). 49 Herzog Ludwig von Württemberg an Frischlin am 27. August 1582: „Geben Euch daruff zur widerantwurt, genedig zuerkhennen, das wier Euch diss Beneficium vnnd gnad nach der zeit nicht entziehen, Sonder Euch dessen vernners wie bißhero biß vf vnnßer abkhünden vnnd glegenheit gnedig verfolgen laßen, wie wier vnns dann danneben zuo Euch versehen wollen, Ir Euch Inn allem dermaßen verhalten werden, das Ir Euch selbsten solcher gnaden niht onwürdig machen“ (Konzept: HStA Stuttgart, A 274, Büschel 44, Nr. N; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 598 f., hier 599, Z. 8 – 13).

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Aus diesem Grunde hielt sich die Begeisterung des Hofs über Frischlins Rückkehr nach Württemberg 1584 in Grenzen. Seine selbstbewussten Bitten um weitere finanzielle Unterstützung wurden zunächst auf die lange Bank geschoben.⁵⁰ Im März 1585 ernannte der Herzog ihn aber doch zum außerordentlichen Professor in Tübingen und gewährte ihm dafür zusätzlich ein jährliches Gehalt von hundert Gulden, zwanzig Scheffel Dinkel, acht Scheffel Hafer, zwei Scheffel Roggen und vier Eimer Wein.⁵¹ Allerdings wurde dieses Vorgehen von der Tübinger Universitätsleitung während einer Visitation der Hohen Schule erfolgreich torpediert.⁵² Anlass für diese Ernennung mögen die anstehenden Feierlichkeiten zur zweiten Hochzeit des Herzogs im Mai 1585 gewesen sein, zu denen der Stuttgarter Hof wieder auf die literarischen Fähigkeiten Frischlins zurückgriff: Zum einen war die Aufführung von Frischlins Komödie ‚Iulius redivivus‘ Teil des mehrtägigen Hochzeitsfestes, zum andern beschrieb der Dichter auch diese Hochzeit in einem Epos.⁵³ Nach der Veröffentlichung der Festbeschreibung wurden Frischlin einmalig 100 Gulden, sowie weitere 15 Scheffel Dinkel und 3 Eimer Wein jährlich gewährt,⁵⁴ nicht ohne den Vorbehalt, dass Frischlin sich in Zukunft wohlverhalte.⁵⁵ Insofern war es aus Sicht des Hofes nur folgerichtig, dass mit der Ausweisung Frischlins aus Württemberg im folgenden Jahr auch eine Einstellung all dieser Zahlungen an Frischlin einherging, was in letzter Konsequenz schließlich auch das Heiratsgut seiner Frau betraf. Das paternalistische Wechselspiel von Gnadenerweis und Gnadenentzug, das der Stuttgarter Hof mit Frischlin durch finanzielle Anreize praktizierte, wurde in der Haftzeit des Dichters unter anderen Bedingungen fortgeführt.⁵⁶ Zu Beginn der Gefangenschaft Frischlins wurde dieser nämlich vergleichsweise kurz gehalten. Besonders die überschaubare Menge Wein, die man dem Häftling zugestand, erregte den Unmut des

50 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 2. September 1584 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 45, Nr. 4a; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 703 – 705) und die zugehörige Antwort vom 6. September 1584 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 45, Nr. 4a; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 706); Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 1. Februar 1585 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 45, Nr. 7; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 716 – 719). 51 Herzog Ludwig an den Senat der Universität Tübingen am 17. März 1585 (UA Tübingen 10/11,1, Nr. 48). 52 Vgl. UA Tübingen, 2/3, fol. 318r–319v. 53 Frischlin, De secundis nuptiis. 54 Herzog Ludwig von Württemberg an Frischlin am 20. November 1585 (Konzept: HStA Stuttgart, A 274, Büschel 45, Nr. 47; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 865 – 868). 55 Vgl. ebd.: „Vnd demnach wir befunden, das jr in andren Scriptis nach der Leuth nit schonen, sonder sie ettwan onnöttig vnd vnbedachtlich anziehen vnd vexirn, welches euch bey verstendigen wenig lob bringt, So thon wir euch hieneben auch gnedig vnd ernstlich erinneren, jr wellend euch further aller bescheidenheit befleissen und bisher gebraucht stumpfirns muessigen vnd enthalten, damit wir nit verursacht werden, euch nit allein vnser benefication furderlisten wider abzukhünden, sonder auch sonsten gepurrends einstehns zuthon“ (Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 867 f. Z. 32 – 39) . 56 Vgl. dazu ausführlich Seidel, Diskursforderung und Diskursverweigerung, mit einer Schwerpunktsetzung auf den inhaltlichen Diskurs des Briefwechsels Frischlins mit dem Stuttgarter Hof während der Haftzeit.

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Delinquenten,⁵⁷ doch mangelte es ihm auch an Schreibzeug und an einer erträglichen Gefängniszelle, um wie gewohnt literarisch arbeiten zu können.⁵⁸ Erst am 8. Juli 1590 gewährte der Herzog Hafterleichterungen: Frischlin wurde in ein anderes Gemach verlegt und erhielt zu jeder Mahlzeit auch Wein. Im Gegenzug sollte der Philologe vom Hof vorgegebene literarische Arbeiten erbringen; der Herzog ordnete an: Ime anzaigen, ein certam materiam scribendi fürzunemmen, als namblichen Libros Aeneidos Vergilii (Inmassen er hieuor mit den Georgicis auch gethon) prosa Oratione zuparaphrasieren, wie auch über die Comoedias Terentii Commentaria zuschreiben oder ein solche paraphrasin, wie vber die Georgica Virgilii zumachen.⁵⁹

In seinem Dankesschreiben stellte der Literat überdies nicht nur die Fertigstellung der ‚Hebraeis‘ in Aussicht, sondern kündigte auch die Abfassung zweier deutschsprachiger Komödien an.⁶⁰ Mit der Abfassung dieser Komödien war der Hof allerdings nicht einverstanden,⁶¹ weshalb Frischlin diesen Plan wieder aufgab.⁶² Frischlins Tod führte allerdings dazu, dass die beauftragten Arbeiten nicht vollendet werden konnten. Zusammengefasst lässt sich der Umgang des Hofes mit Frischlin durch zwei Strategien beschreiben. Zum einen sollte der Philologe durch finanzielle Anreize dazu animiert werden, Arbeiten zu veröffentlichen, die in die württembergische Kulturpolitik passten: Das betraf zum einen Unterrichtsmaterialien für die Lehre an der Universität Tübingen, zum anderen die Ausgestaltung der Hofkultur und das Lob der württembergischen Politik, schließlich aber auch kontroverstheologische Debatten, in denen sich Württemberg als Hort der lutherischen Orthodoxie gebärdete.⁶³ Die Dokumente machen dabei deutlich, dass es vor allem Melchior Jäger war, der immer wieder versuchte, Frischlin für die Interessen des Hofs einzusetzen, den Frischlin daher an-

57 Frischlin an seinen Bruder Jakob am Gründonnerstag 1590: „Ich muoß auch diß hailge zeitt vber Ein tag mitt ainer halb Maß wein behelffen“ (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 48, Nr. 40; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1318 f., hier 1319, Z.18 f.). 58 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 4. Mai 1590: „Schad ist es, das ich meine schöne gebett, die ich zu Gott thue, nitt kan auß mangel ains schreybzeugs vnd guetten lufts Versu Elego reddieren vnd mitt der zeitt vilen leutten zu nutz vnd frommen trucken lassen“ (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 48, Nr. 74; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1334 – 1338, hier 1338, Z. 90 – 92). 59 Herzog Ludwig von Württemberg an den Burgvogt von Hohenurach, Wilhelm von Wildenau, am 8. Juli 1590 (Konzept: HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 142). 60 Vgl. Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 10. Juli 1590 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 145; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1534 – 1536). 61 Vgl. das Gutachten des Stuttgarter Hofpredigers Lucas Osiander vom 5. Juli 1590 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 141). 62 Frischlin entschuldigt sein Vorhaben in seinem Brief an Herzog Ludwig von Württemberg am 1. August 1590 mit den Worten „Die 2 Teutsche Comedias hab ich zu vertreibung meiner grossen schwehrmüettigkeitt geschriben, dann ich sonsten hiermitt nitt vmbgeh, auch kain ruom mitt Teutschen reumen iemals gesuocht“ (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 155; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1555 – 1564, hier 1557, Z. 17– 19). 63 Vgl. Mertens, Württemberg, 119.

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lässlich von dessen Hochzeit 1586 mit einem Epithalamium ⁶⁴ bedachte. Der an der Universität Tübingen ausgebildete Jurist⁶⁵ nahm in diesem Zusammenhang für sich auch eine gewisse poetische Kompetenz in Anspruch und bat darum, das Gedicht vor seiner Veröffentlichung Korrektur lesen zu dürfen.⁶⁶ Vermutlich war es daher auch sein Urteil, das Frischlin zum präferierten Dichter am Stuttgarter Hof machte. Zum anderen sollte durch den Entzug von bereits gewährten Privilegien und letztendlich durch die Haft sichergestellt werden, dass Frischlin seine eigenen Kontroversen hintenanstellen sollte – diese Disziplinierung des württembergischen Untertanen misslang. Dies lag u. a. daran, dass Frischlin sich nie vollständig der paternalistischen Auffassung des Hofes unterordnete, dass seine finanziellen Zuwendungen, ja selbst die Gewährung von Papier und Tinte während der Haftzeit, als Ausdruck der fürstlichen Gnade verstanden werden sollten. Selbstverständlich ging der Hof davon aus, dass sich Frischlin wie ein abhängiger Klient gegenüber seinem Patron, dem Herzog von Württemberg, verhalten sollte. Dass der Dichter dies nicht tat, kommt deutlich darin zum Ausdruck, wie er selbst den Begriff des Mäzens verwendete.

3 Die Bedeutung von patronus und Maecenas bei Frischlin Die Verwendung der Begriffe patronus und Maecenas gehören bei Frischlin zum klassischen Repertoire in seinen Briefadressen und in seinen Brieferöffnungen, um einen bestimmten Personenkreis situationsgerecht anzusprechen. Ganz selbstverständlich verwendet Frischlin in diesen Fällen auch den fälligen Gegenbegriff cliens für sich.⁶⁷ Zwar bezeichnet Frischlin einmal Herzog Ludwig als seinen wichtigsten Patron, „Qui in mea patria solus est Moecenas meus“⁶⁸, doch werden auch die Kaiser Maximilian II. und Rudolf II. mit diesen Begriffen angesprochen, ebenso einige Beamte am Stuttgarter Hof, dabei vornehmlich, aber nicht ausschließlich Jäger, sowie die Universitätsleitung in Tübingen. Als junger Nachwuchswissenschaftler diskutierte er zudem gegenüber dem arrivierten Philologen Joachim Camerarius d. Ä. das Mäzenatentum, als er ihn um die

64 Abgedruckt bei Cellius, Nuptiae secundae Domini Melioris Iaegeri, 79 – 84. 65 Zu seiner Biographie vgl. Uhland, Jäger von Gärtringen. 66 Vgl. Melchior Jäger an Frischlin am 25. Juni 1586 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 47, Nr. 24, fol. 42r–43r; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 978 f., hier 979, Z. 24 – 27). 67 Beispielhaft soll an seinen Brief an Melchior Jäger vom 2. August 1590 verwiesen werden, der an den „suo patrono et Maecenati colendo“ gerichtet und von einem „deditissimus cliens Nicodemus Frischlinus“ unterschrieben ist (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 155; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1568 – 1570). 68 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 1. Februar 1585 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 45, Nr. 7; Edition: Frischlin, Korrespondenz II, 716 – 719, hier 718, Z. 35). Übersetzung: der in meinem Vaterland mein einziger Mäzen ist.

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Durchsicht seines Kallimachos-Manuskripts bat,⁶⁹ – offenbar erhoffte er sich überdies von dem Leipziger Professor eine Unterstützung seiner Karriere. Dass Frischlin ‚Mäzen‘ und ‚Patron‘ gleichbedeutend verwendete, lag an der humanistischen Praxis, zeitgenössische Personen mit ihren antiken Vorbildern gleichzusetzen. Ein guter Historiker wurde daher als neuer Tacitus, ein guter Komödiendichter als neuer Plautus⁷⁰ und ein guter Epiker als neuer Vergil gefeiert. Ihre Geldgeber mussten daher neue Mäzene sein. Gaius Maecenas, der dem Mäzenatentum bis heute den Namen gibt, war bekanntlich ein politischer Berater von Kaiser Augustus, der dadurch berühmt wurde, dass er junge Dichter förderte, darunter Properz, Horaz und Vergil, die ihrerseits die Politik des Kaisers propagandistisch stützen sollten. Maecenas dilettierte dabei selbst in der Poetik und fühlte sich daher in diesem Bereich kompetent.⁷¹ Diesem antiken Vorbild war das Vorgehen des Stuttgarter Hofs, besonders in der Rolle, die Jäger dabei einnahm, im Falle Frischlins in der Tat ähnlich, doch deutete Frischlin selbst die historische Figur des Maecenas anders. Als er bereits 1570 am Rande des Speyrer Reichstags Kaiser Maximilian II. schriftlich um den Dichterlorbeer bat, verwies er auf historische Vorbilder für die Unterstützung von Literaten durch Potentaten, darunter eben auch des Maecenas für Vergil. Der zentrale Satz lautet dabei: „Sint Mecaenates, non deerunt fortè Marones“.⁷² Dabei handelt es sich im Übrigen um ein Martial-Zitat,⁷³ ein typisches Beispiel für die Rückbindung auch dieses humanistischen Diskurses an die Antike. Ziel des Mäzenatentums sollte also nach Frischlin die Förderung der Kunst um ihrer selbst willen sein, und nur dort, wo ein Vergil der finanziellen Sorgen entledigt ist, kann dieser seine Kunst zur vollen Entfaltung bringen. Der Geldgeber geht dabei nur an der Seite seines Schützlings als Förderer der Kunst in die Geschichte ein. Dabei war es nach Frischlin und nach Martial auch gar nicht nötig, dass der Mäzen besondere Expertise mitzubringen hatte. Sofern er Kunst und Kultur nur breit unterstützte, sollte der Erfolg auch in der Spitze möglich sein. In seinem erwähnten Brief an Camerarius formuliert Frischlin es so: „At si Virgilius, Horatius et Propertius Augusto Caesari ac Mecaenati grati fuere: nùm propterea Pollioni, Vario et Curtio aliisque notae vilioris poëtis nullus apud nos locus fuerat?“⁷⁴ Frischlin führt damit die weniger bekannten Namen aus dem Maecenas-Kreis an, die eben auch gefördert wurden. 69 Frischlin an Joachim Camerarius d. Ä. am 7. September 1572 (Deutsches Literaturarchiv Marbach, B: Frischlin, Nicodemus, Nr. 1802; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 11 – 14). 70 So wurde Frischlin selbst von dem Jesuitendramatiker Georg Stengel als „nostri saeculi Plautus“ (zit. nach Schmid, P. Matthäus Rader SJ, 495) bezeichnet. Übersetzung: Der Plautus unseres Zeitalters. 71 Zur Person vgl. Peter L. Schmidt, C. Maecenas. 72 Frischlin an Kaiser Maximilian II. im Oktober 1570 (HHStA Wien, Reichshofrat, Privilegia varia 1, fol. 28r–31v; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 4 – 8, hier 7, Z. 48). Übersetzung: Wo Mäzene sind, dort mag es an Vergilen nicht fehlen. 73 Martial, Epigrammata VIII,55,5. 74 Frischlin an Joachim Camerarius d. Ä. am 7. September 1572 (Deutsches Literaturarchiv Marbach, B: Frischlin, Nicodemus, Nr. 1802; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 11 – 14, hier 13, Z. 28 – 30). Übersetzung:

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Hier, in einem frühen Brief, war dieser Verweis auf zweitrangige Autoren Ausdruck einer angemessenen rhetorischen Demut gegenüber einem arrivierten Philologen. Später, ja sogar in Haft, formuliert er selbstbewusster. Als er 1590 seine ‚Hebraeis‘ fertiggestellt hatte und das Manuskript an Herzog Ludwig von Württemberg sandte, legte er eine Versepistel an seinen einstigen Gönner bei, in deren ersten Zeilen ganz unmissverständlich zum Ausdruck kommt, dass Frischlin sich selbst als einen nur mit Vergil vergleichbaren Dichter ansah: Accipe bissenos, Princeps Ludovice, libellos, Vvirtembergiaci grande Maronis opus, Aut, tibi si superest alius Maro, posce Maronem Illum maioris dexteritatis opus.⁷⁵

Während also der Hof davon ausging, dass der Komplementärbegriff zu Patron der Klient ist, argumentiert Frischlin hier so, dass der Komplementärbegriff zu Mäzen Vergil ist. Der Begriff des Mäzens würdigte in diesem Zusammenhang den Herzog zu einem reinen Geldgeber herab, der ambitionslos Kunst und Kultur möglichst großzügig zu finanzieren hatte. Der Förderer hatte für das Werk da zu sein, dann kann das Werk auch dem Förderer nutzen. Ja nach Frischlins Überzeugung ist es die Kunst, die den erfolgreichen Herrscher erst kreiert. Gegenüber Maximilian II. betont Frischlin: Nam quis dubitet veterum quoque Germanorum et antiquissimorum in Germania parentum nostrorum […], egregia et Heroica fuisse facinora, quae hodie in tenebris iacent propterea, quòd literarum lumen illis non accesserit.⁷⁶

Dagegen wüssten wir eben, so die Argumentation weiter, von Kaiser Augustus, weil es einen Vergil und einen Livius gab. Ein solches Bild des Abhängigkeitsverhältnisses von Kunst und Politik war mit der paternalistischen Herrschaftsauffassung Herzog Ludwigs schlicht unvereinbar – und musste letztendlich zum Scheitern einer im Ansatz ganz hervorragend funktionierenden Zusammenarbeit zwischen dem Herzog und seinem Hofdichter führen. Jenseits eines so klar definierten politischen Verhältnisses wie zwischen Herzog und Untertan,

Doch auch wenn Vergil, Horaz und Properz Kaiser Augustus und dem Maecenas willkommen waren, hatten doch deswegen nicht auch Pollio, Varius, Curtius und andere Dichter von geringerer Bekanntheit ihren Platz bei uns? 75 Frischlin an Herzog Ludwig von Württemberg am 31. August 1590 (HStA Stuttgart, A 274, Büschel 49, Nr. 168; Edition: Frischlin, Korrespondenz III, 1590 – 1596, hier 1591, Z. 4 – 7). Übersetzung: Nimm an, Fürst Ludwig, die zwölf Bücher, das große Werk des württembergischen Vergils, oder falls Dir ein anderer Vergil zur Verfügung steht, fordere von diesem ein Werk größerer Gewandtheit. 76 Frischlin an Kaiser Maximilian II. im Oktober 1570 (HHStA Wien, Reichshofrat, Privilegia varia 1, fol. 28r–31v; Edition: Frischlin, Korrespondenz I, 4 – 8, hier 5 f., Z.21 – 26). Übersetzung: Denn wer zweifelt daran, dass auch die Germanen und unsere ältesten Vorfahren in Germanien herausragende und heldenhafte Taten vollbrachten, die heute deswegen in Vergessenheit geraten sind, weil Ihnen das Licht der Literatur fehlte.

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etwa im Bereich der bürgerlichen Förderung von Kunst und Kultur, erweist sich der Begriff des Mäzenatentums dagegen als ausgesprochen flexibel, weil er offen für beide beschriebenen Interpretationsmuster ist: Er kann sowohl das paternalistische Verhalten des Gönners bedienen als auch den Anspruch des außergewöhnlichen Talents eines Künstlers auf angemessene Alimentierung bei Gewährung größtmöglicher künstlerischer Freiheit bezeichnen. Die genaue Beschreibung des Verhältnisses zwischen einem Künstler und seinem Förderer lässt der Begriff absichtlich offen. Möglicherweise erklärt sich daraus der Erfolg des Begriffs, der die unterschiedlichen Selbstverständnisse der beiden Seiten zu integrieren versteht.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Deutsches Literaturarchiv Marbach, B: Frischlin, Nicodemus, Nr. 1802. Hauptstaatsarchiv Stuttgart [HStA], A 274, Büschel 41 – 50. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien [HHStA], Reichshofrat, Privilegia varia 1. Universitätsarchiv Tübingen [UA] 2/2, 2/3, 5/15 und 10/11,1 – 2.

Literatur Behringer, Wolfgang, Die Krise von 1570. Ein Beitrag zur Krisengeschichte der Neuzeit, in: Manfred Jakubowski-Tiessen/Hartmut Lehmann (Hg.), Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, 51 – 156. Cancik, Hubert, Crusius contra Frischlinum. Geschichte einer Feindschaft, in: Sabine Holtz/Dieter Mertens (Hg.), Nicodemus Frischlin (1547 – 1590), 261 – 284. Cellius, Erhard, Nuptiae secundae Domini Melioris Iaegeri, Tübingen 1587. Clasen, Claus-Peter, Die Wiedertäufer im Herzogtum Württemberg und in benachbarten Herrschaften. Ausbreitung, Geisteswelt und Soziologie, Stuttgart 1965 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen 32). Czapla, Ralf Georg, Das Bibelepos in der Frühen Neuzeit. Zur deutschen Geschichte einer europäischen Gattung, Berlin/Boston 2013 (Frühe Neuzeit 77). Elschenbroich, Adalbert, Imitatio und Disputatio in Nikodemus Frischlins Religionskomödie ‚Phasma‘. Späthumanistisches Drama und akademische Unterrichtsmethode in Tübingen am Ausgang des 16. Jahrhunderts, in: Albrecht Schöne (Hg.), Stadt, Schule, Universität, Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert, München 1976, 335 – 370. Ferber, Magnus Ulrich, ‚Colluctatio Fröschlini et Onocrusii‘. Die absichtlich missglückte Kommunikationsstruktur im Vorfeld des Tübinger Grammatik-Streits, in: Karl Enenkel/Christian Peters (Hg.), Humanisten über ihre Kollegen. Eulogien, Klatsch und Rufmord, Berlin 2018 (Scientia universalis I.3), 145 – 176. Frischlin, Nicodemus, Aristophanes veteris comoediae princeps repurgatus, Frankfurt am Main 1586. Ders., Bucolica et Georgica paraphrasi exposita, Tübingen 1580. Ders., De nuptiis illustrissimi principis ac domini D. Ludovici ducis Vvirtembergici et Teccii, Tübingen 1577.

„Qui in mea patria solus est Moecenas meus …“

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Magnus Ulrich Ferber

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Mariangelo Accursio und Anton Fugger: Dichtung, Philologie, Epigraphik und die Fuggerkapelle (Accursiana V.) Im folgenden Beitrag wird die Beziehung zwischen dem italienischen Humanisten Mariangelo Accursio (1489 – 1546) und dem Großbankier Anton Fugger (1493 – 1560) untersucht, welche die Planung und teilweise die Durchführung verschiedener kultureller Projekte und Investitionen auf unterschiedlichen Ebenen – Dichtung, monumentale Epigraphik, Buchpublikation – zur Folge hatte. Gleichzeitig soll versucht werden, die Etappen dieser Bekanntschaft, vielleicht sogar Freundschaft, chronologisch zu rekonstruieren.

1 Sind sich der Humanist und der Kaufmann erstmals in Rom begegnet? Man kann nur darüber spekulieren, wann und wo sich Mariangelo Accursio und Anton Fugger kennengelernt haben könnten. Es ist aber wahrscheinlich, dass die erste Begegnung in Rom stattgefunden haben dürfte. Mariangelo Accursio aus L’Aquila nahm intensiv am kulturellen Leben im Rom des zweiten und dritten Jahrzehnts des Cinquecento teil, insbesondere als lateinischer Dichter, brillanter Pamphletist, gründlicher Inschriftenkenner und klassischer Philologe.¹ 1513 verfasste er einen Theaterdialog, den ‚Osci et Volsci Dialogus‘, der noch im 17. Jahrhundert als wichtiges Dokument der humanistischen Polemiken über den lateinischen Stil nachgedruckt wurde.² Er arbeitete an den 1521 erschienenen ‚Epigrammata antiquae Urbis‘ von Giacomo Mazzocchi mit, der ersten bedeutenden Sammlung antiker Inschriften, die in Italien gedruckt wurde und der umfassendsten Kollektion von Inschriften aus Rom.³ Er beteiligte sich mit drei Gedichten, darunter dem Eröffnungsgedicht, an der 1524 erschienenen Anthologie ‚Coryciana‘, die der Dichter Blosius Palladius zur Ehre des protonotarius apostolicus

Anmerkung: Für die Einladung zur Tagung sowie für die Empfehlungen und die Revision meines deutschen Texts danke ich herzlich Frau Regina Dauser und Herrn Magnus Ulrich Ferber. Mein Dank geht auch an Frau Ilse Reineke. 1 Zu Mariangelo Accursio ist immer noch grundlegend Campana, Accursio (= Campana, Scritti). S. auch Deswarte-Rosa, Le voyage épigraphique de Mariangelo Accursio; Comboni, Note sulla fortuna dell’‚Osci et Volsci dialogus‘; Rocchi, Accursiana I–IV; Xhani/Rocchi, Cronaca. 2 S. Comboni, Note sulla fortuna dell’Osci et Volsci dialogus‘ und de Capua, Gli esordi di Accursio a Roma. 3 S. Carbonell/González, The Epigrammata Antiquae Urbis; Rocchi, Accursiana I, 62 – 63 Anm. 1; Buonocore, „Sunt autem Accursiana haec apographa plane egregia“. https://doi.org/10.1515/9783111060682-006

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Johannes Goritz, alias Janus Corycius, herausgab.⁴ Noch im selben Jahr veröffentlichte Accursio in Rom bei dem deutschen Verleger Marcellus Silber seine ‚Diatribae‘ und die ‚Testudo‘. Die ersten sind castigationes, d. h. Korrekturen und philologische Beiträge zu den Texten von Ausonius, Ovid und Solinus; die ‚Testudo‘ (deutsch: ‚Schildkröte‘) ist hingegen eine Schmährede gegen einen anonymen Verleumder. Noch vor Oktober 1522 war Accursio als maggiordomo und oeconomiae praefectus in den Dienst der jungen Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, Gumpert und Johann Albrecht, getreten. Mit beiden unternahm er zwischen Oktober 1522 und Februar 1523 eine lange Reise von Rom nach Ansbach und von dort nach Polen und Litauen. Anton Fugger von der Lilie hielt sich seinerseits von Januar 1518 bis Ende 1524 in Rom auf, wo er für die dortige Fuggerfaktorei arbeitete.⁵ Er vertrat die Interessen der Firma und wurde in dieser Zeit von der Kurie mit Ehren überhäuft: Am 9. August 1519 wurde er von Leo X. zum Ritter, Hof- und Pfalzgrafen erhoben. Er blieb aber auch der römischen Künstlerszene nicht fremd. Ungefähr in dieser Zeit wurde die Loggia des Fuggerhauses – la casa dei Fuccheri ai Banchi (d. h. in der Via dei Banchi Vecchi) – von Perin Del Vaga mit mythologischen Fresken bemalt. 1521–1522 fertigte Giulio Romano für die Fuggerkapelle in S. Maria dell’Anima das Altarbild mit der‚Sacra Conversazione con i Santi Giacomo e Marco‘ an. Auch mit den Medailleuren der durch die Fugger geleiteten päpstlichen Münze muss Anton in engem Kontakt gewesen sein.⁶ Darüber hinaus hatte Anton 1520 Marcellus Silber, der später auch die ‚Diatribae‘ von Accursius drucken sollte, finanziell unterstützt, um die ‚Historiarum Ferdinandi regis Aragoniae libri tres‘ von Lorenzo Valla zu veröffentlichen: Das ist ein frühes Beispiel der mäzenatischen Zuschüsse Anton Fuggers zugunsten von Gelehrten und Druckern.⁷ Zusammenfassend, Mariangelo und Anton könnten sich in den kulturellen oder kurialen Kreisen der Deutschen begegnet sein, die in Rom residierten und auf der Baustelle der Anima-Kirche, der deutschen Nationalkirche, verkehrten.⁸ Sehr wahrscheinlich hat auch Mariangelos Posten als oeconomiae praefectus von Gumpert und Johann Albrecht eine frühe Bekanntschaft mit Anton Fugger schon in dieser Periode ermöglicht.⁹ Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die beiden in welcher Form auch immer in Kontakt blieben, als sie Rom verließen. Ende 1524 brach Anton nach Tirol auf und Mariangelo verließ die Stadt kurz darauf, als er 1525 mit Johann Albrecht zuerst nach Ansbach und von dort nach Spanien reiste. Er blieb vier Jahre auf der iberischen 4 S. Keil, Coryciana, 10 – 14, 196 – 197, 265 – 271, 377– 378. 5 S. Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 40–56. 6 Ebd., 53; Schmidlin, Geschichte der Deutschen Nationalkirche, 242 – 243. 7 S. Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 56, 384 Anm. 145 und Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger. 3. Bd., 437– 439. 8 Man kann nicht ausschließen, dass der junge Mariangelo auch Markus Fugger, Bruder von Anton und protonotarius apostolicus, begegnet sein konnte, welcher 1511 gestorben und in S. Maria dell’Anima bestattet worden war. 9 Intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen Johann Albrecht und den Fuggern sind für die Dreißiger sowie für die Vierziger Jahre dokumentiert (S. Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 511 Anm. 12, 526 Anm. 117, 540 Anm. 154, 618 Anm. 148, 620 Anm. 148, 644 Anm. 76, 687 Anm. 150 und 152; ders. Anton Fugger, 2. Bd., Teil II, 669 Anm. 209; Kellenbenz, Die Fugger in Spanien, passim).

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Halbinsel, wo er mit dem Hof Karls V. oder auch allein umherreiste und überall Denkmäler und vor allem antike Inschriften systematisch abschrieb, wie seine epigraphischen Notizen ausführlich bezeugen.¹⁰

2 Erste bewiesene Kontakte zwischen Mariangelo und Anton Unabhängig von diesen Vermutungen ist der erste sichere terminus ante quem für einen Kontakt bzw. eine Verbindung zwischen Mariangelo und Anton der 4. März 1527, der Hochzeitstag Antons und Anna Rehlingers von Horgau. Zwischen 1526 und 1527 führte die Augsburger Fuggerzentrale eine rege Korrespondenz mit dem Hof in Spanien; ein Fuggerscher Handelsdiener war als ständiger Vertreter der Firma in Madrid bzw. am Hof präsent.¹¹ Gleichzeitig wurden in Spanien verschiedene Privilegien für die Vettern Anton, Raymund und Hieronymus ausgestellt, die außerdem 1526 zu Grafen des Heiligen Römischen Reiches erhoben wurden.¹² Es ist also anzunehmen, dass Mariangelo von der bevorstehenden Hochzeit erfahren und sich entschieden hatte, ein Hochzeitslied auf Latein zu verfassen, welches sicherlich rechtzeitig fertiggestellt und mit einem Begleitschreiben übermittelt wurde. Das Lied kann in den ‚Sylvarum libri duo priores‘ von Accursio nachgelesen werden, die, wenngleich lange für verschollen gehalten, immer noch in einem einzigen Druckexemplar ohne Orts- und Verlagsangabe erhalten sind, welches in Ingolstadt von Petrus Apianus zwischen 1530 und 1534 gedruckt wurde (siehe auch unten).¹³ Dabei handelt es sich um Accursios Korrekturexemplar, das Nachträge und Marginalien von seiner eigenen Hand enthält. Der Band befindet sich in der Pariser Bibliothèque Mazarine (Signatur: 8° 21079 – 5) und gehörte schon der Stammsammlung von Kardinal Giulio Mazzarino an.¹⁴ Das Epithalamium, das uns an dieser Stelle interessiert, ist das dritte Gedicht des zweiten Buches der ‚Sylvae‘¹⁵ und besteht aus 76 Hexametern. Das raffinierte Gedicht, das im Anhang zu diesem Beitrag erstmals veröffentlicht wird, weist viele intertextuelle Bezüge zu lateinischen Modellen auf. Catull, 10 Über seine Reisen in Spanien und Portugal s. Deswarte-Rosa, Le voyage épigraphique de Mariangelo Accursio; Andronio, Disegni di iscrizioni e monumenti, passim (mit einem archäologischen und epigraphischen Blickwinkel). 11 S. Pölnitz, Anton Fugger, 3. Bd., 386. 12 Über die Hochzeit s. Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 87– 88; über die Beziehungen zwischen dem spanischen Hof und den Fuggern, s. ebd. 76, 84, 416 Anm. 130 und ausführlicher Kellenbenz, Die Fugger in Spanien und Portugal, passim. 13 Wie ich jüngst demonstrieren konnte: Rocchi, Accursiana VI, wo ich eine vorläufige Präsentation des Werkes, das dreizehn lateinische Gedichte beinhaltet, erstmals vorlege. 14 Das Buch wurde für Kardinal Mazzarino von seinem Bibliothekar, Gabriel Naudé, vermutlich in den Vierziger Jahren gekauft, wie mich Anne Weber, Responsable du service Bibliothèque numérique et Conservation der Bibliothèque Mazarine, freundlicherweise informiert hat. Hiermit möchte ich mich herzlich für deren Hilfe mit den alten Katalogen der Bibliothek bedanken. 15 S. Accursio, Sylvae, fol. D2v–D4r.

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Vergil, Ovid, Statius und andere werden dazu aufgerufen, die Hochzeit von Anton und Anna zu würdigen,¹⁶ welche prächtig gefeiert und von hochrangigen Gästen besucht wurde, wie in der ‚Fuggerchronik‘ überliefert ist.¹⁷ Vor allem dank seiner handschriftlich überlieferten Reiseberichte, die in zwei Mailänder Handschriften der Biblioteca Ambrosiana erhalten sind,¹⁸ wissen wir, dass Accursio 1529 zusammen mit dem Hof Karls V. nach Italien zurückkehrte. Sie bestiegen in Barcelona die Schiffe Andrea Dorias.¹⁹ Sehr wahrscheinlich nahm Accursio in Bologna an der Kaiserkrönung Karls V. am 24. Februar 1530 teil.²⁰ Später verbrachte er ungefähr zwei Monate in Rom und weitere zwei in seiner Heimatstadt L’Aquila. Am 28. Juli 1530 reiste Accursio von seiner Heimat nach Augsburg ab, wo er am 23. August eintraf ²¹ und wo Karl gerade den Reichstag abhielt. Accursio blieb drei Monate bis zum 23. November, als er zu weiteren Reisen aufbrach, die man Etappe für Etappe bis zum 24. Januar 1531 verfolgen kann, als er sich in Brüssel aufhielt.²² Er muss im Laufe des Jahres 1531 oder spätestens Anfang September 1532 von Regensburg kommend nach Augsburg zurückgekehrt sein.²³ Er blieb aber nicht lange, weil er bereits am 16. September nach Wien aufbrach.²⁴ Er muss anschließend erneut nach Augsburg zurückgekehrt sein, denn als er am 1. August 1533 in Padua Aufenthalt machte, erzählte er dem (später berühmten) niederländischen Juristen Viglius Zuichemus, dass er sich ein Jahr lang bei Anton Fugger aufgehalten habe, und informierte ihn darüber, dass Anton selber vorhabe, bald nach Italien zu kommen.²⁵

16 S., z. B., V. 1 „innuba … Pallas“: Lucan. 9,665 und Auson. 106,5 p. 423 Peiper; „sollicito … pectore“: Ov. met. 2,125. V. 42 „fortuna nepotes“: Val. Fl. 2,592. Vv. 48 – 49 „coetus … / virgineos“: Ov. fast. 2,173. V. 53 „illa … supereminet omnes“: Verg. Aen. 1,500 – 501. V. 54 „miraque res“: Ov. met. 13,893. V. 62 „toro iungit“: Ov. fast. 3,511. V. 63 „Hymen o Hymenaee“: Catull. 62,5. Vv. 64 – 65 „communia semina vitae / ignem nudus Amor praefert undamque iugalem“: Ov. ars 2,598; fast. 4,787– 490; Culex 135. V. 70 „rarissima coniunx“: Stat. silv. 5,1,11. V. 73 „mutua foedera“: Prud. c. Symm. 2,223. V. 74 „uterus … recussus“: Verg. Aen. 2,52. 17 S. Meyer, Chronik der Familie, XIX: „Auf seiner Hochzeit mit Anna Rehlinger (1527) waren nach einer Mittheilung des Augsburger Chronisten Hector Mair, viel Fürsten, Botschafter, Grafen, Ritter, Edelleut und andere geistliche Herren gewest‘“. 18 S. ausführlicher Rocchi, Accursiana I, 62 – 65. 19 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, O 125 sup., 218. 20 Ebd., fol. 36r. 21 Ebd., fol. 37r. 22 Ebd., fol. 37v–41r. 23 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, D 420 inf., fol. 266r. 24 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, O 125 sup., fol. 320r. 25 S. Allen/Garrod (Hg.), Opus epistolarum Des. Erasmi, 285.

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3 „Auf Kosten der Fugger“ In der Zeit, in der seine Augsburg-Aufenthalte lagen, arbeitete Accursio an verschiedenen Vorhaben. Er inspizierte die römischen Inschriften Augsburgs und entdeckte neue Texte.²⁶ Anhand der Autopsie der antiken Inschriften und Denkmäler fühlte er sich berufen, das Wappen der Stadt Augsburg, die Stadtpyr, als Pinienzapfen (bzw. Zirbelnuss) umzuinterpretieren, wie sie auf drei römischen Grabsteinen in der Stadt noch zu sehen waren, und nicht mehr als eine Birne, eine „Pyra“ (d. h. einen Scheiterhaufen), oder eine Weintraube, wie in den bis dahin geläufigen Interpretationen. Dazu schrieb er einen offiziellen Brief an den Stadtrat, der erst postum 1566 gedruckt wurde.²⁷ Er arbeitete aber auch an den vier Inschriften zu Ehren von Ulrich (1441 – 1510), Georg (1453 – 1506) und Jakob (1459 – 1525) Fugger, die sich unter den vier sogenannten ‚Epitaphien‘ in der Fuggerkapelle von St. Anna befinden. Zu diesen Inschriften hatte die frühere Forschung eine relative Chronologie vorgeschlagen. Der terminus post quem ist der 30. Dezember 1525, der Todestag Jakobs, der als letzter der drei geehrten Brüder starb; der terminus ante quem ist das Jahr 1534, in dem in Ingolstadt von Petrus Apianus und Bartholomeus Amantius die ‚Inscriptiones sacrosantae vetustatis‘ veröffentlicht wurden; denn in dieses Werk sind die vier Epitaphien aufgenommen²⁸, sicherlich zur Huldigung von Raymund Fugger (1489 – 1535), der den Druck finanziert hatte. Vier in Mailand aufbewahrte Autographen Accursios,²⁹ die die Konzepte zu den Augsburger Epigrammen beinhalten, offenbaren erstens, dass er tatsächlich der Autor ist; zweitens zeigen sie endgültig die inhaltliche sowie stilistische Einheitlichkeit des Zyklus, wie sie seinerzeit von dem Kunsthistoriker Bruno Bushart³⁰ und dem Epigraphiker Franz-Albrecht Bornschlegel³¹ mit verschiedenen Argumenten richtig behauptet worden ist;

26 Die in Augsburg inspizierten Inschriften sind im Codex D 420 inf., fol. 205r-208v der Biblioteca Ambrosiana registriert. Über Accursios epigraphische Tätigkeit in Augsburg s. Ott, Die Entdeckung des Altertums, 186 – 190; Guffler, Der Biberbacher Grabstein, 123 – 125; Rocchi, Accursiana I, 67 Anm. 1; Andronio, Disegni di iscrizioni e monumenti, passim; unten § 4. 27 S. Accursio, De insignibus urbis Augustae, 2 – 4. Im Anschluss an den Brief befindet sich ein Gedicht des Augsburger Humanisten Johann Pinicianus zu Ehren Accursios und dessen Aufklärung des Stadtwappens. Obwohl Accursios etymologische Ableitung des Wortes Cyrbelnus vom lat. Cybelis nux falsch war, ist seine antiquarische Interpretation die immer noch akzeptierte Deutung des Augsburger Stadtwappens. S. Roth, Das Aufkommen der neuen Augsburger Statpir, insb. 116 – 119; Ferber, Augsburg im 16. Jahrhundert, 69; Kahn, Die wahrhaft königliche Stadt, insb. 236 Anm. 470; Rocchi, Accursiana I, 65 – 66 Anm. 4. 28 Apianus/Amantius, Inscriptiones sacrosanctae vetustatis, CCCCXXXIX. 29 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, O 125 sup., fol. 334r, fol. 333v, fol. 335v, fol. 332r. 30 S. Bushart, Die Fuggerkapelle, insb. 155 – 159. 31 S. Bornschlegel, Die Kapitalis der Renaissance in Augsburg, 126 – 128, 132 – 133, 157– 158; ders. Epigraphische Überlegungen, 134 – 138, 150 – 152 (Abb. 12 – 13d).

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letztlich erlauben sie, eine Chronologie festzusetzen, die immer noch relativ ist, aber die Zeitspanne auf die Jahre zwischen 1530 und 1532 einengt.³² Da ich 2020 eine kritische Ausgabe sowohl der Mailänder Autographen als auch der in der Fuggerkapelle tatsächlich verfertigten Inschriften vorgelegt habe,³³ ist es nicht notwendig, hier auf Details einzugehen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Mailänder Blättchen eine vorläufige Reinschrift der Texte bieten, in welcher Accursio zwei Reihen von Korrekturen einfügte. Die Augsburger Inschriften zeigen deutlich, dass die Textvorlage für die Steinmetzen erst nach den ersten Korrekturen abgeschrieben wurde. Zudem kann man aus einigen Indizien ableiten, dass Accursio den Steinmetzen auch Anweisungen zur Form der Buchstaben gab. Da er sich mehrmals von Augsburg entfernte, wusste er nicht, dass die Steinmetze schon an die Arbeit gegangen waren, und schrieb zu den Texten eine zweite Serie von Korrekturen, die aber nur in seinen Notizen zu finden sind. Obwohl es möglich ist, dass Accursio mit diesen Texten seinem Gastgeber huldigen wollte, scheint es viel wahrscheinlicher, dass er von Anton (oder auch von Raymund oder Hieronymus) einen klaren Auftrag für diese prestigeträchtige Stiftung der Familie Fugger erhalten hatte, die als „frühestes Beispiel für die Rezeption der italienischen Renaissance in Deutschland“ bezeichnet wurde.³⁴ Soweit wir wissen, ist Accursio also der einzige Italiener, der bei diesem Denkmal oder Manifest der italienischen Renaissance auf deutschem Boden eine Rolle gespielt hat. Das Jahr 1533 ist für die philologische Aktivität Accursios ein entscheidendes Jahr, denn er veröffentlichte in Augsburg bei Silvan Otmar im Mai die erste vollständige Ausgabe der ‚Historiae‘ von Ammianus Marcellinus, die er unter dem Datum des 1. April Anton Fugger widmete.³⁵ Noch im selben Monat veröffentlicht er ebenfalls in Augsburg bei Heinrich Steiner (Henricus Siliceus) die erste vollständige Ausgabe der ‚Variae‘, welche bis zum XVIII. Jahrhundert sozusagen die ‚Vulgata‘ des Textes wurde, samt dem Traktat ‚De Anima‘ von Cassiodorus und widmete sie dem Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg, einem Verwandten seiner früheren Förderer und sehr wichtigem Kunden der Fugger.³⁶ Die Widmung des Ammianus für Anton lässt deutlich erkennen, dass Anton auch der Förderer des Druckes war.³⁷ Im Widmungsbrief erwähnt er in panegyrischem Ton Antons „mansuetudo, beneficentia, tacendi loquendique ratio“,³⁸

32 S. Rocchi, Accursiana I, 69 – 70. 33 S. ders., Accursiana I. 34 S. Bushart, Die Fuggerkapelle, 9. 35 Vgl. Accursio, Ammianus Marcellinus, fol. Aiir-Aiiv. Über die Geschichte und die philologischen Aspekte dieser Ausgabe s. Kelly, Accursius’ Ammianus Marcellinus (1533). 36 Über diese Ausgabe s. Fauvinet-Ranson, L’editio princeps des ‚Variae‘ de Cassiodore; Rocchi, Accursiana I, 64 – 65 und vor allem Luceri, Mariangelo Accursio e la genesi dell’editio princeps. 37 Dasselbe lässt sich aber auch für den Cassiodorus annehmen, wie Lehmann, Eine Geschichte der alten Fuggerbibliotheken, 20 vermutet hat. 38 Vgl. Accursio, Ammianus Marcellinus, fol. Aiir. Ein Wahlspruch Antons lautete „Stillschweigen steht wohl an“ (s. Koutná-Karg, Die Ehre der Fugger, 88).

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sein Mäzenatentum.³⁹ Hervorzuheben ist aber hier vor allem die Passage, in der er in gewandter Rhetorik sowohl die zahlreichen Stiftungen der Familie als auch Antons Bescheidenheit preist: Anton betrachte die Stiftungen kaum als seine eigenen, weil er die Ehre sowie die Verantwortung mit den Brüdern (d. h. dem Bruder Raymund und dem Vetter Hieronymus) und mit den maiores (d. h. Georg, Ulrich und Jakob) teile: „affirmare ausim, tot sacras tot privatas aedes tam multis locis, domos quoque centum et sex, egenorum languentiumque usui Augustae structas (d. h. die Stiftung der Fuggerei), tuas tibi vix videri, quod in iis laboris gloriaeque partem fratres Maioresque tui sibi vendicent“.⁴⁰ Sowohl die Texte für die Fuggerkapelle als auch die Widmung des Ammianus scheinen ein Verhältnis zwischen Anton und Mariangelo vorauszusetzen, welches der gewöhnlichen Beziehung zwischen einem Mäzen und dessen intellektuellem Klienten gleichkommt. Trotzdem könnte ein weiteres Ereignis aus der Zeit dieses Aufenthaltes in Augsburg eine tiefere Vertrautheit zwischen den beiden erkennen lassen. Nach all diesen Unternehmungen begann Accursio im Juni 1533, seine Rückreise nach Italien zu organisieren; vielleicht war er besorgt wegen der Spannungen, die in Augsburg zu Christi Himmelfahrt (22. Mai) ausgebrochen waren, als die Anhänger Zwinglis den Gottesdienst bei St. Moritz gestört und eine von den Altgläubigen sehr verehrte Christusfigur zerstört hatten.⁴¹ Anführer der Proteste der Altgläubigen war Anton, angeblich von Accursio angestiftet, wenn wir einer Verdächtigung von Erasmus von Rotterdam glauben wollen („haud scio an Mariangelus Antonium ad hoc facinus animarit“).⁴² Diese Vorstellung Erasmus’ lässt einen staunen. Standen sich Mariangelo und Anton wirklich so nah? Konnte Mariangelo tatsächlich ein (schlechter) Ratgeber Antons sein? Wie auch immer die Lage war, Accursio brach am 3. Juli 1533 nach Venedig auf, nach einem langen, erfolgreichen und lukrativen Aufenthalt in Deutschland: „Visus

39 Über Antons Mäzenatentum und dessen Beziehungen zu den Humanisten s. Lieb, Die Fugger und die Kunst, 308 – 11 (309: Accursio) und Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger. 3. Bd., 437– 444 (438: Accursio). 40 Accursio, Ammianus Marcellinus, fol. Aiiv. 41 In einem auf den 5. Juni 1533 datierten Brief schreibt Johann Choler an Erasmus: „Maria Angelus collegit sarcinulas hic abiturus. Profecturus primo est Venecias, inde recta in patriam civitatem Aquilanam. […]“ (s. Allen/Garrod (Hg.), Opus epistolarum Des. Erasmi, Bd. X, 232). Dass das Diminutiv sarcinulas nicht abwertend ist, zeigt eine andere Stelle des Briefes, in der Choler sich wünscht, seine eigenen sarcinulas zu packen und den von der „Zuingliana factio“ verursachten Aufruhren zu entkommen. Über die gespannte Situation in Augsburg zwischen April und Mai 1533 siehe Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 265 – 274 (insb. 267 und 274); Dauser/Ferber, Die Fugger und die Welser, 85. 42 Am 12. Juni 1533 schreibt Erasmus aus Freiburg an Bonifaz Amerbach: „Hac in parte desidero in Antonio prudentiam. Cedendum erat illi procellae. Nec tanti erat illud simulacrum. Haud scio an Mariangelus Antonium ad hoc facinus animarit“ (siehe Allen/Garrod (Hg.), Opus epistolarum Des. Erasmi, Bd. X, 244). Über die Bewunderung Antons für Erasmus und die freundlichen Kontakte zwischen den beiden in den Jahren 1529/1533 siehe Pölnitz, Anton Fugger. 1. Bd., 116, 153 und Anm. 128, 163 und Anm. 168, 177 Anm. 9 („Die Verbindung zwischen Erasmus v. Rotterdam zu den Fuggern erlangte im Frühjahr 1530 einen Höhepunkt durch Widmung der Schrift ‚Xenophontis Socratici Rhetoris Hieron sive Tyrannus‘, die in Basel bei Froben erschien, an Anton Fugger. Dieser empfing sie am 7. April 1530 und bedankte sich bei dem Humanisten“), 182, 194, 241 und Anm. 104, 274. In dieser Zeit lud Anton mehrmals Erasmus nach Augsburg ein, der Humanist aber lehnte die Einladungen taktvoll ab, ohne Antons Gunst zu verlieren.

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est mihi bene oneratus redire ex Germania nec temere esse quod eam laudat“, wird Viglius Zuichemus über Accursio an Erasmus schreiben.⁴³ Auf jeden Fall beendete die Abreise von Augsburg die gute Beziehung zwischen Anton und Mariangelo nicht, sie ging im Gegenteil weiter, offenbar auch aufgrund ihrer gemeinsamen kulturellen Interessen.

4 Lebenslange Freundschaft Zwischen 1530 und 1534 muss Accursio die Zeit gefunden haben, wie oben angedeutet, seine Gedichte, die ‚Sylvarum libri duo priores‘, von Peter Apian in Ingolstadt für den Druck setzen zu lassen. Ob er mehrere Exemplare oder das einzelne drucken ließ, welches uns erhalten ist und Accursios eigene Korrekturen trägt, lässt sich heute nicht näher bestimmen. Gleichzeitig arbeiteten Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius an den schon flüchtig erwähnten ‚Inscriptiones Sacrosantae Vetustatis‘, die 1534 mit Widmung an den Mäzen Raymund Fugger in Ingolstadt veröffentlicht wurden. Es handelt sich um eine erste und sehr ambitionierte allgemeine Sammlung von römischen Inschriften. Das Werk ist aber wegen Unordnung, Willkür und der Aufnahme von Fälschungen und sogar modernen Inschriften (vom heutigen Standpunkt aus) unzuverlässig. Es beinhaltet, wie gesagt, auch die vier Inschriften Accursios für die Fuggerkapelle, welche aber mit falscher mise en page und Fehlern gedruckt wurden. Ein Grund mehr für den Epigraphiker Accursio, mit diesem Werk unzufrieden zu sein. Er besaß ein Exemplar davon, das er mit vielen Randnotizen und Korrekturen versehen hatte. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde der Band in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana unter der Signatur M.V. 11 aufbewahrt. Dank seiner Autopsien hatte Accursio vielleicht vor, eine verbesserte und vollständigere Version drucken zu lassen und sie Anton Fugger zu widmen, an den er sich in seinen Anmerkungen gelegentlich wandte.⁴⁴ Übrigens handelte es sich nicht um das einzige Kollationsexemplar im Druck, das Accursio während oder nach seiner Feldforschung verwendet haben muss. Speziell für Augsburg ist klar, dass er sogar mehr als einen Druck entweder dabei hatte oder nachträglich kollationierte, als er die städtischen Inschriften inspiziert hatte.⁴⁵ Glücklicherweise ist das

43 S. Allen/Garrod (Hg.), Opus epistolarum Des. Erasmi, Bd. X, 285. 44 Siehe die Randanmerkung, welche Theodor Mommsen im CIL IX, p. 398 veröffentlicht hatte: „cum hoc libro mittit ad D. Antonium Fuggerum Mariangelus“. Der Wortlaut klingt eher formell, als ob Accursio schon an eine offizielle Formulierung für die Veröffentlichung dachte (in einem unten zitierten Brief wird er ihn später weniger offiziell als ‚Antoni Fugger‘ ansprechen). Siehe auch eine handschriftliche Abschrift von Accursios Notizen und Korrekturen zu den Seiten 455 – 487 derselben ‚Inscriptiones Sacrosantae Vetustatis‘, die Antonio Ceriani zusammen mit einem auf den 3.12.1900 datierten Begleitbrief Karl Zangemeister zukommen ließ. Sie ist immer noch in der Bibliothek des Berliner CIL aufbewahrt, und zwar im Codex 1, tomus 1, fol. 42r–52v. 45 Man kann es aus seinen Randnotizen deutlich ableiten. Neben einer von ihm selbst entdeckten Inschrift (CIL III 5819) notierte Accursio: „impressum non est, quod id assequi hactenus nemo potuerit“ (s. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, D 420 inf., fol. 205r). Bezüglich eines anderen Steins (CIL III 5836) sprach

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Kollationsexemplar, das Accursio (1530 und/oder 1540) in Mainz benutzt hatte, und zwar die ‚Collectanea antiquitatum in urbe atque agro Moguntino repertarum‘ (1520) von Johann Huttich, immer noch in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana aufbewahrt:⁴⁶ Die korrigierten ‚Collectanea‘ sind sehr nützlich, um die Methode dieses Humanisten zu erschließen, der die Texte der Drucke mit den originalen Steinen verglich und sie auf den Kollationsexemplaren selbst korrigierte.⁴⁷ Anton Fugger musste tatsächlich ein gewisses Interesse für die epigraphischen Studien Accursios haben, vermutlich weil in Augsburg seit Konrad Peutingers Inschriftensammlung ein großes Interesse an der Epigraphik bestand. Heute lässt sich nicht näher präzisieren, in welcher Beziehung Konrad Peutinger und Mariangelo Accursio genau standen. Sicher ist aber, dass Accursio Peutingers Haus beim Dom besuchte. Er muss also eine Einladung des Augsburger Humanisten bekommen und wahrgenommen haben, um sich dessen epigraphische Sammlung zeigen zu lassen. Mit der gewöhnlichen Genauigkeit schrieb Mariangelo die Texte der Inschriften ab und verglich sie später mit den ‚Inscriptiones Sacrosantae Vetustatis‘ des Apianus (1534).⁴⁸ Ich würde also ausschließen, dass es sich bei Antons Interesse für die Epigraphik nur um ein Wunschdenken des Italieners handelte. Denn es kann kein Zufall sein, dass der nächste bewiesene Kontakt zwischen den beiden 1538 stattfand, als Mariangelo Anton eine Sammlung von Inschriften aus Dakien und Ungarn zusammen mit einem Begleitschreiben zukommen ließ. Die für sich selbst angefertigte Kopie der Inschriftensammlung ist in der Mailänder Handschrift der Biblioteca Ambrosiana aufbewahrt,⁴⁹ zusammen mit dem Konzept des Briefes an Anton.⁵⁰ Accursio dachte sicherlich an eine Veröffentlichung in Augsburg mit Antons finanzieller Unterstützung, wir wissen jedoch nicht, wieso das Projekt scheiterte. Der Widmungsbrief beinhaltet Passagen, die die vorsichtige Arbeitsmethode Accursios deutlich machen, wie schon Theodor Mommsen hervorgehoben hatte:

er von „Drucken“ (ebd., D 420 inf., fol. 208r: „sed multis modis erratum est in impressis codicibus“). Aus den falschen Lesarten, die er in diesen Drucken vorfand und in seinen Marginalien registrierte, wird es weiterhin deutlich, dass Accursio seine Abschriften sowohl mit den Romanae vetustatis fragmenta (Augsburg 1505) oder den Inscriptiones vetustae Romanae et earum fragmenta (Mainz 1520) des Stadtkanzlers Konrad Peutinger als auch mit den Inscriptiones Sacrosantae Vetustatis von Apianus und Amantius (s., z. B., Apianus/Amantius, Inscriptiones sacrosanctae vetustatis, CCCCXXVIII und Mailand, Biblioteca Ambrosiana, D 420 inf., fol. 207v = CIL III 5825) verglich. 46 Signatur: S.C.D. IX 70. 47 Marginalien, Ergänzungen, Korrekturen sowie zusätzliche Inschriften in der Hand Accursios sind auf den Seiten AIv, AIIIv, AIIIIr/v, AVr, BIIIIr/v, CIv, CIIIIr. Für die Zuschreibung der Schrift s. die Notizen von Antonio Ceriani und Karl Zangemeister im Codex 1, tomus 1, 44 und 53 – 62 der Bibliothek des Berliner CIL. 48 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana, D 420 inf., fol. 206v–208r. Siehe auch oben Anm. 44. 49 Mailand, Biblioteca Ambrosiana, O 125 sup., fol. 271r–297r. S. dazu CIL III 154 und CIL IX 398. 50 S. Mailand, Biblioteca Ambrosiana O 125 sup., fol. 273. Eine Reinschrift desselben Briefes befindet sich in dem Kodex Mailand, Biblioteca Ambrosiana, O 148 sup., fol. 173r–175v, welcher aber eine Abschrift von Accursios Materialien in einer späteren Hand vom Ende des 16. Jahrhunderts ist.

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Opinor multa esse, Antoni Fugger, parum ex fide indita de lapidibus in hunc libellum, quorum et indicavi quaedam locis suis. Nolim tamen quandoque immutari meo consilio, cum ea nec viderim et sciam errata frequenter esse ipsorum incisorum, quae aliter referre non oporteat […] Admonui hoc, nec temere quicquam addant vel interpretari conentur impressores, quod nos de nostro fieri nec audemus nec omnino volumus. Mariang. Accursius.

Soweit man rekonstruieren kann, unternahm Accursio später – 1540 – 1541, 1544 – 1545 – weitere Reisen nach Deutschland, um als Diplomat die Interessen seiner Heimatsstadt L’Aquila beim kaiserlichen Hof zu vertreten. Während der Reise zwischen 1540 und 1541 weilte Mariangelo im Februar und März in Augsburg, um „Messer Antonio“ zu treffen,⁵¹ der sich aber schon seit dem 16. Dezember 1540 in Wiener Neustadt aufhielt.⁵² Später blieb Accursio mindestens bis zum 3. Juni in Regensburg,⁵³ während Anton im April zurückgekehrt war und sich in seinem Schloss in Schmiechen aufhielt.⁵⁴ Man kann aber nicht ausschließen, dass sich die beiden noch vor der Rückkehr Accursios nach Italien trafen, weil die Korrespondenz aus L’Aquila, die Accursio in Regensburg empfing, von den Fuggern in Augsburg umgeleitet wurde.⁵⁵ Vielleicht war eine letzte Gelegenheit für ein persönliches Treffen eine weitere Botschaft, die Accursio 1544 zum letzten Mal nach Deutschland brachte. Dank einem auf den 6. 3.1546 datierten Brief Antons an Mariangelo scheint der Italiener dem Kaufmann dort geholfen zu haben, „wo man versuchte, Markgraf Johann Albrecht von Brandenburg die Pfründen … des Kardinals Albrecht von Mainz, zuzubringen“.⁵⁶ Im Brief geht es aber nicht nur um das Geschäft im Interesse von Johann Albrecht, sondern auch um ein „epigramma“, das Mariangelo mit einem früheren Brief gesendet haben muss, und um vertraulichen Klatsch über einen gemeinsamen anonymen Bekannten und dessen Sohn. Mariangelo also, der noch im selben Jahr starb, bleibt bis zum letzten ‚Lieferant‘ von kulturellen Produkten (d. h. dem epigramma), Helfer in geschäftlichen Sachen und vertrauter Gesprächspartner. Zusammenfassend kann man schlussfolgern, dass unabhängig von den Ideen, die nur in einer Projektphase blieben, die Beziehung zwischen Anton und Mariangelo die Durchführung von drei kulturellen Projekten zur Folge hatte: Erstens, ein zwischen 1526 und 1527 von Accursio gedichtetes Epithalamium, das eher eine Initiative von Mariangelo als ein Fuggerscher Auftrag gewesen sein dürfte; zweitens, den zwischen 1530 und 1533 verfassten und eingemeißelten Inschriftenzyklus der Fuggerkapelle in St. Anna, der zwar sicherlich einen Auftrag an einen italienischen Humanisten zur Vervollständigung

51 S. Pansa, Otto lettere inedite, 47. 52 S. Pölnitz, Anton Fugger, 2. Bd., Teil I, 190. 53 S. Pansa, Otto lettere inedite, 59. 54 S. Pölnitz Anton Fugger, 2. Bd., Teil I, 205 und 519 – 520 Anm. 172 – 173. 55 S. Pansa, Otto lettere inedite, 47, 51, 54, 55 der aber ständig das unsinnige „succheri“ statt „Fuccheri“ ( = Fugger) druckt. 56 S. Pölnitz, Anton Fugger, 2. Bd., Teil II, 669 Anm. 209 und Dillingen an der Donau, Fuggerarchiv, 1.2.1 A, fol. 67–v68v. Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Stefan Birkle des Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Familien- und Stiftungsarchiv, der mir eine digitale Kopie des Dokuments zur Verfügung gestellt hat, und bei Herrn Berardino Rocchi für die Besprechungen über dessen Inhalt.

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eines Baudenkmals im Renaissance-Stil darstellt, der sowohl das kulturelle Ansehen sowie die ‚architektonische Präsenz‘ der Familie im urbanen Raum erhöhen musste; drittens, die 1533 erfolgte Veröffentlichung der ersten vollständigen Ausgabe der ‚Historiae‘ des Ammianus Marcellinus, durch deren Finanzierung Anton sich gewünscht haben kann, seine Position als Mäzen der humanae litterae und der Humanisten weiterhin zu festigen.

Appendix (Vv. 1 – 11) Da sie die künftige Hochzeit schon voraussieht, spricht Pallas Athene Anna, eine tadellose Jungfrau ihrer Gefolgschaft, an. Sie sagt, sie sei froh, Anna bei sich gehabt und sie mit ihren Gaben geschmückt zu haben. (Vv. 12 – 19) Sie habe sich getäuscht, wenn sie geglaubt habe, es gebe keinen Mann, der ihrer würdig sei. Während sie aufwuchs und durch immer neue Begabungen bereichert wurde, (Vv. 20 – 32) wuchs gleichzeitig ein Junge heran, der in den Künsten und im Recht gelehrt und der Waffen kundig ist. Er ist Anna ebenbürtig und entbrennt bald in Liebe zu ihr. (Vv. 33 – 49) Sein Liebesfeuer ist so stark, dass er mehrmals beim Schwimmen die Gewässer der Wertach erwärmt. Die als Flussgott personifizierte Wertach spricht Athene und Diana an, die an ihren Ufern jagen, und bittet sie darum, dass die Heirat ohne Verzögerung stattfinden darf und dass das Schicksal sich erfüllt. Pallas verabschiedet Anna und vertraut sie Juno Lucina und Venus an. (Vv. 50 – 65) Anna wird bald für die Heirat passend angekleidet; sie ist so schön und schamhaft, dass sie selbst ihrem Schmuck Schönheit verleiht. Der Gesang setzt an und das Bett wird mit Ähren und Efeu geschmückt. Concordia, die personifizierte Eintracht, kündigt unsterbliche Liebe an und Hymenäus traut nun Anna und Anton, während Knaben singen und dem Brautpaar Nüsse zuwerfen. Amor überreicht Feuer und Wasser, Hochzeitssymbole. (Vv. 66 – 76) Im Licht einer Fackel erfolgt die Begegnung. Die Braut scheut zuerst vor den Küssen zurück, aber dann überwindet sie ihre Keuschheit in dem gemeinsamen Wunsch nach Kindern und erträgt das stürmische Drängen ihres Mannes. Am Ende wird der Wunsch geäußert, dass die Braut nach erträglichen Entbindungen viele Kinder gebären werde.

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Innuba sollicito iamdudum pectore Pallas, virginis ambiri thalamos floremque beatum prospiciens tantis deberi fructibus unum, ausa verecundae trepidum lenire pudorem, „Spes“ ait „o nostrique comes dignissima virgo indefessa Chori, quam me de vertice natam esse Iovis, tam te sociam mihi munere Divum concessam, victrix equidem felixque videbar. Hinc, quibus ipsa potens rarasque ornare puellas muneribus dicor, formaeque animique pudicum non invita tuum compsique auxique decorem. Ulla nec in terris, fateor, certantia tantis

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dotibus, ut tete raperet, connubia rebar, sed genitum Natura parens sine compare nullum esse dedit, semperque novis nova munera sancit. Sic tibi dum tenerae surgunt exordia vitae castaque lactentes genitrix dum sustinet annos vagitusque leves, et dulcia murmura nutrix solvere docta, piis iam tum quoque moribus ornat, creverat interea qui mox iuvenilibus annis te petat et, Phoebi placidis complexibus haerens, Aonios imbres et ditia flumina lustret. Aequa laude togae, nec segnius agmine nostris insignis meritis. Dignus iam coniuge tanta par similisque tibi poterat tantusque videri, cum, toties visa proprius totiesque probata ingenii formaeque bonis, praecordia sensim conceptas oculis hausere dolentia flammas. Diis quoque non aliter visum, cum sanguine iunctas connubio iunxere sibi. Fomenta marito et stimulos nova texta dedit, quam carmine doctae inscripsere manus – pudibundi pectoris index –. Ah quoties Vinda hic membris caluisse natantis obstupuit fluviusque ignes miseratus amantis proxima dum ripis tendentes retia cernit me nemorumque Deam volucres subsistere cervos supplicibus verbis adiit divosque Iovemque, testatus, iuveni tandem concessaque vota coniugiumque rogat – superis iungentibus ultro – neve moras sterilesve parem tibi virginis annos. Cedo equidem Fatis. Video quos, auspice teda, Augustae maneat per te fortuna nepotes, quasque Licus gemmas iterum flaventis harenae faetaque divitias tibi praeparet unda renatas. Multaque praeterea, sed nostri muneris illa praeteriere modum. Iamiam tibi pronuba Iuno et Citherea suas inspirent blandius artes. I, felix, coetusque, uni potiunda marito, virgineos celebrare puta solitumque cubile.“ Talibus admonitam circumstant undique matres, ornatusque novos et ditia munera vittas, pro se quisque boni tum flammea nominis addunt. Cultior illa tamen cultus supereminet omnes; miraque res, ipsi sumunt de fronte decorem ornatus sponsaeque genis et luce minores collati sese flores gemmaeque fatentur. Et socium gaudet fieri sibi Forma Pudorem. Protinus audiri cantus, thalamusque moveri incipit et spicis hederaque virere sequaci, qui modo lectus erat. Mitis Concordia totis, fassa deam, laribus mansurum indicit amorem. Dumque toro iungit cupidos Hymenaeus, ovantes

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ipsa docet pueros, Hymen o Hymenaee canendi, spargendique nuces. Communia semina vitae ignem nudus Amor praefert undamque iugalem. Congressus tandem Veneris fax conscia tantum sensit. Et ut placidi primum aversata mariti oscula, virginei pepulit discrimen honoris, mox ubi gignendae subiit spes unica prolis, idque sedere viro didicit rarissima coniux, vim tulit. Et trepidae vittas in tempore victor arripit. Intersunt linguae sua murmura et oris. amplexusque frequens et mutua foedera pugnae. Unde teres toties uterus totiesque recussus, Lucinae faciles expertus saepe dolores, multiplices dextro numeret conamine partus.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Fuggerarchiv Dillingen an der Donau 1.2.1 A Corpus Inscriptionum Latinarum [CIL]. Codex 1, tomus 1. Biblioteca Ambrosiana Mailand D 420 inf. O 125 sup. O 148 sup.

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Fabian Prechtl

Bibliophilie und Mäzenatentum Der Augsburger Kaufmannssohn Leonhard Beck als humanistischer Akteur im 16. Jahrhundert

1 Leonhard Beck: Erbe, Büchersammler und Privatgelehrter Im Jahr 1537 kam der Augsburger Kaufmannssohn Leonhard Beck¹ durch den Tod einer Schweizer Tante zu einer stattlichen Erbschaft: Neben Immobilien in St. Gallen sowie Weinbergen und Waldungen im St. Galler Umland hinterließ ihm die Schwester seiner Mutter ein beträchtliches Barvermögen; die Quellen sprechen von bis zu 60.000 Gulden.² Der junge Mann – Beck war zu dieser Zeit etwa 30 Jahre alt³ – investierte das Geld indes nicht in die familiären Unternehmungen, sondern verwendete es unverzüglich auf ein eigenes kostspieliges Projekt: den Aufbau einer imposanten Privatbibliothek. Mit welch hohem finanziellen Aufwand Beck dieses Vorhaben betrieben haben muss, lässt sich einer Tagebuchnotiz des St. Galler Kaufmanns Johannes Rütiner aus dem Jahr 1539 entnehmen. Nach einem Besuch Becks bei einem St. Galler Verwandten, dem berühmten Gelehrten Vadian, findet sich in Rütiners ‚Diarium‘ vermerkt: Leonardus Beck omnium linguarum peritissimus novit grece hebraice Syrice Caldaice etc Vadiani Bibliothecam illustravit nisi 3 aut 4 libros habet quos ipse non plus mille ipse habet quam ille ferme 2 M gl expendit in librorum sumptum propriam et augustam in eorum vsum domum habet Augustae multo maiorem quam ubi eius mater habitat Vbi […] morula superest praeripit in studia.⁴

Der aufschlussreichen Notiz zufolge muss Beck nach einer Musterung der Bestände der Vadianischen Bibliothek also einigermaßen zufrieden angemerkt haben, dass er nur drei oder vier Bücher nicht besitze, seine eigene Bibliothek jedoch bereits fast über 1.000

1 Vgl. zu Beck die reichhaltigen Anmerkungen bei Jenny, Amerbachkorrespondenz, 717– 723 sowie CXXXVIIf.; vgl. auch Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, 116 – 118; Sieh-Burens, Böck von Böckenstein, 300. 2 Vgl. zur Schweizer Erbschaft Becks Jenny, Amerbachkorrespondenz, CXXXVII sowie 721. 3 Das Geburtsjahr Becks ist nicht bekannt, als ungefährer Anhaltspunkt kann jedoch die Heirat der Eltern 1505 dienen (vgl. ebd., 717). 4 Rütiner, Diarium, Nr. 215; „Leonhard Beck ist in allen Sprachen sehr erfahren: er kann Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Chaldäisch usw. Er hat Vadians Bibliothek durchgesehen: er hat nur drei oder vier Bücher, die er selbst nicht hat. Er selbst hat tausend mehr als jener. Fast 2000 gl hat er an die Kosten der Bücher gewendet. Er hat zu ihrem Gebrauch in Augsburg ein eigenes prächtiges Haus, viel grösser als das, wo seine Mutter wohnt. Wo auch nur ein wenig Zeit übrig ist, nimmt er es an die Studien.“ (ebd.) https://doi.org/10.1515/9783111060682-007

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Titel mehr umfasse. Führt man sich vor Augen, dass die Bibliothek Vadians in dieser Zeit zu den größten Privatbibliotheken in der Schweiz zählte, lässt sich das Ausmaß von Becks Sammeleifer ermessen, der innerhalb von nur zwei Jahren eine gewaltige Bibliothek aufgebaut haben muss. Schenkt man dem ‚Diarium‘ Rütiners Glauben, waren die Kosten dafür erheblich: Fast 2.000 Gulden habe Beck in den letzten Monaten allein für den Erwerb neuer Bücher ausgegeben. Von der ebenfalls erwähnten „domus“, die Beck eigens für seine Bibliothek habe errichten lassen, kann man sich noch immer einen Eindruck verschaffen: Es handelt sich um ein imposantes Renaissancepalais im Herzen Augsburgs, in dem heute das Maximilianmuseum untergebracht ist.⁵ Vadian jedenfalls zeigte sich von der Bücherleidenschaft seines jungen Verwandten beeindruckt: Er schickte seinen Vertrauten Johannes Rütiner im Jahr 1542 nach Augsburg, um ein Verzeichnis von Becks historiographischer Bibliothek zu erstellen.⁶ Dieser bislang noch unerforschte ‚Catalogus librorum Leonardi Beckhusii pro historia‘ lässt die imposante Größe der Beck’schen Bibliothek erahnen: Mit ca. 230 Titeln ist der historiographische Bestand der Bibliothek bereits zu dieser Zeit fast doppelt so umfangreich wie derjenige der Bibliothek Vadians bei dessen Tod 1551.⁷ Bedenkt man, dass der historiographische Teil der Bibliothek Konrad Peutingers – zu dieser Zeit vermutlich die „größte Privatbibliothek nördlich der Alpen“⁸ – im Jahr 1522 rund 325 Titel umfasste⁹, wird das ambitionierte Projekt Becks noch deutlicher: Der junge Augsburger beabsichtigte augenscheinlich, eine der größten Privatbibliotheken seiner Zeit aufzubauen. Sicherlich werden Repräsentationszwecke für Beck eine Rolle gespielt haben: So gehörte sein Vater, der 1540 starb, der „Augsburger Hochfinanz“¹⁰, nicht jedoch dem Patriziat an. Die Mutter indes, Dorothea Lang, stammte aus einer alten Augsburger Patrizierfamilie: Zu ihren Vettern zählte etwa der bedeutende Kardinal und Erzbischof von Salzburg Matthäus Lang, enger Vertrauter Maximilians I. und Angehöriger des illustren Gelehrtenkreises um Konrad Peutinger.¹¹ Die Herkunft seiner Gattin sicherte dem Vater Becks zwar den Zugang zur Herrenstuben-Gesellschaft, der vielleicht wichtigsten gesellschaftlichen Korporation in Augsburg.¹² Dort allerdings gehörte er lediglich zum Kreis der „durch Heirat stubenfähige[n] Nichtpatrizier[n]“¹³, zu den sogenannten Mehrern. Der Aufstieg in das Patriziat gelang Beck senior auch dann nicht, als 1538 eine große Zahl neuer Familien – unter ihnen die Fugger und die Peutinger – in das Patriziat

5 Vgl. zu Becks Palais Hascher, Fassadenmalerei, 470 – 474. Pfaud, Das Bürgerhaus in Augsburg, 59, nennt es „das vollkommenste und an plastischem Schmuck reichste Bürgerhaus der Renaissance“. 6 Die Bücheraufstellung ist in Ms. 20, St. Gallen, Stadtarchiv, fol. 201r–210r überliefert. 7 Die geschichtliche Bibliothek Vadians zählte am Lebensende des St. Galler Gelehrten 118 Titel (vgl. dazu Schirrmeister, Vadian, 1233). 8 Goerlitz, Peutinger, 178. 9 Dieser Zählung liegt der erste, nach Fachbereichen geordnete Bibliothekskatalog Peutingers zugrunde (vgl. Künast/Zäh, Die Bibliothek Konrad Peutingers, 623 – 632). 10 Jenny, Amerbachkorrespondenz, 717. 11 Vgl. zu dieser schillernden Persönlichkeit Sallaberger, Kardinal Matthäus Lang. 12 Vgl. zu dieser Institution Geffcken, Herrenstube. 13 Geffcken, Herrenstube.

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aufgenommen wurden.¹⁴ Es liegt somit nahe, dass Beck junior mit der Errichtung des repräsentativen Prachtbaus und dem Aufbau der gewaltigen Privatbibliothek nicht zuletzt auch seinen gesellschaftlichen Aufstiegswillen bekunden wollte. Darauf deutet im Übrigen auch die aufschlussreiche Nebenbemerkung in Rütiners ‚Diarium‘ hin, wonach Becks neues Palais ungleich größer als das Wohnhaus seiner Mutter sei („multo maiorem quam ubi eius mater habitat“). Dass Leonhard Beck eindeutige gesellschaftliche Ambitionen verfolgte, zeigt sich auch in anderer Hinsicht: So trat der Katholik Beck schon früh als entschiedener Unterstützer Karls V. in Erscheinung¹⁵ – ein Engagement, das sich schon bald auszahlen sollte: 1540 wurde Beck nobilitiert und durfte sich als kaiserlicher Rat fortan Beck von Beckenstein nennen.¹⁶ Auch die Heirat im Jahr 1544 mit Katharina Wolf, Tochter eines vermögenden kaiserlichen Rates, mag den Aufstiegswillen Becks untermauern. Doch diente der Aufbau seiner stattlichen Bibliothek nicht allein repräsentativen Zwecken: Wie aus der Notiz in Rütiners ‚Diarium‘ hervorgeht, verwandte Beck, dem auch Kenntnisse der alten Sprachen zugebilligt werden, seine freie Zeit auf das intensive Studium der von ihm angekauften Bücher („[u]bi morula superest praeripit in studia“). Darüber hinaus lässt sich einem Briefwechsel mit Vadian entnehmen, dass der junge Mann unter anderem an historischen Werken über Neapel sowie über die Türken arbeitete.¹⁷ Auch mit dem berühmten Baseler Buchdrucker und Gelehrten Johannes Oporin, dem Schweizer Humanisten Conrad Gesner sowie dem Pfalzgrafen Ottheinrich stand er in brieflichem Austausch über Bücher und gelehrte Inhalte.¹⁸ Man wird das humanistische Profil Becks sicherlich nicht überbewerten dürfen: Von keiner seiner in Rede stehenden Schriften haben sich Spuren erhalten, überdies korrespondierte er größtenteils in der Volkssprache, nicht auf Latein. Doch war er als engagierter ‚humanistischer Dilettant‘ – wie er sich in bestem Wortsinne bezeichnen ließe – mit erheblichen finanziellen Mitteln gleichwohl für eine gewisse Zeit ein nicht zu unterschätzender Akteur in der gelehrten Welt Augsburgs – aber auch darüber hinaus.¹⁹

14 Vgl. ders., Patriziat. 15 Vgl. Jenny, Amerbachkorrespondenz, 718. 16 Vgl. ebd., 717 f. 17 Vgl. dazu folgende Stellen aus der Korrespondenz mit Vadian: „Ich hab ain werckh under handen de rebus Neapolitanis, so ich neben vilfelltigen meinen schweren geschä fften inn kü rtz zu volenden unnd kay. Mt. als ainem kü nig zu Sicilien unnd Neapels zuzeschreiben willens.“ (Vadian, Briefsammlung 1890 – 1913, Bd. 5,2 [1905], Nr. 1143); „E.E. haben under andern meinen zugestö llten bü echern zwai geschribne von tü rckisch glauben und geschichten. Derselben bin ich jetzunder bedö rfftig, dieweil ich ain wenig mer dann vor zu ruw komen unnd meine tü rckischen historien zu ü bersehen, pessern unnd endtlich zu beschlü essen vorhab.“ (Vadian, Briefsammlung 1890 – 1913, Bd. 6,1 [1908], Nr. 1409). 18 Jenny, Amerbachkorrespondenz, 719. 19 Damit möchten meine Ausführungen auch zu einer positiveren Einschätzung der Rolle Becks gelangen als das stark ad personam gerichtete, wenngleich sicher nicht völlig fehlgehende Porträt Jennys. Dieser sieht sich vor der Entscheidung, „wie weit er [Beck; Anm. FP] bloß ein naiver, gutmeinender Nachahmer war, der auf zu großem Fuß lebte, oder als ein vom Kaiser ohne Verdienste geadelter und zum Rat ernannter Emporkömmling zu gelten hat, der, in blindem Ehrgeiz über seine finanziellen und geis-

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2 Becks mäzenatisches Wirken am Beispiel der Edition von Giovanni Boccaccios ‚De casibus virorum illustrium‘ Dies zeigt sich vor allem daran, dass Beck ab den 1540er Jahren seine Investitionstätigkeit auf einen neuen Bereich ausweitete und verstärkt auch als finanzieller Förderer von humanistischen Gelehrten und deren Buchprojekten in Erscheinung trat: So ist nur kaum bekannt, dass es Beck war, der Conrad Gesner in der Realisierung des Mammutprojektes einer Universalbibliographie maßgeblich unterstützte. Dies geht aus der Dedikationsepistel Gesners hervor, in der er Beck unter anderem seinen hochgeschätzten Maecenas nennt.²⁰ Mit seiner ‚Bibliotheca universalis‘ versuchte Gesner bekanntermaßen alle irgendwie bezeugten Schriften in lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache zu verzeichnen – ob handschriftlich oder gedruckt, ob erhalten oder lediglich dem Titel nach bekannt.²¹ Gesners Werk wird dem unermüdlichen Büchersammler Beck als Hilfsmittel zur systematischen Erweiterung seiner Bibliothek überaus willkommen gewesen sein: Gesner profitierte nicht nur von Beck, indem dieser ihm half, die ‚Bibliotheca universalis‘ in den Druck zu bringen, auch Beck zog unmittelbaren Nutzen aus Gesners Arbeit, die ihm geradezu als Blaupause für den Ausbau der eigenen Bibliothek dienen konnte. Man könnte pointieren, dass jener Vollständigkeitsanspruch, der Gesners Vorhaben leitete, in Becks enormem Sammeleifer gleichsam seinen realen Niederschlag fand. Doch förderte Beck auch humanistische Editions- und Übersetzungsprojekte, darunter eine vorbildliche, 1544 in der Offizin Philipp Ulharts erschienene Neuausgabe von Giovanni Boccaccios lateinischer Biographiensammlung ‚De casibus virorum illustrium‘. ²² Diese Edition vermag sowohl über die mäzenatische Strategie Becks als auch über dessen humanistisches Netzwerk Auskunft zu geben und soll deshalb im Folgenden nähere Betrachtung finden. ‚De casibus‘ ist das erste große Projekt Boccaccios nach dem berühmten ‚Dekameron‘ und versammelt in biographischer Form zahlreiche Unglücksfälle berühmter Männer und Frauen der Weltgeschichte.²³ Die ambitionierte biographische Universalgeschichte bekundet paradigmatisch die intensivierten Bemühungen Boccaccios um eine systematische Wiederentdeckung und -aneignung antiken

tigen Grenzen hinausstrebend, zu Fall kam und hernach, als Spekulant und Hochstapler abgestempelt, der Vergessenheit preisgegeben wurde“ (Ebd., 717). Zu einem ausgewogeneren Urteil kommt Bonorand, wenn er festhält: „Offenbar war Beck als Gelehrter wie auch als Mäzen geschätzt“ (Ders., Hieronymus Sailer aus St. Gallen, 118). Im Folgenden werde ich auf Befunden meiner Monographie (Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘) aufbauen, die ich im Hinblick auf die Rolle Leonhard Becks als Mäzen vertiefen und erweitern möchte. 20 Gesner, Bibliotheca universalis 1545, fol. 5v. 21 Vgl. zu Gesners Bibliotheca Universalis Müller, Das Gedächtnis der Universalbibliothek. 22 Vgl. zu dieser Edition Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 116 – 132. 23 Vgl. zu diesem nur wenig erforschten Werk mit Verweis auf weitere Literatur ebd., 13 – 82.

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Schrifttums und darf daher als eines der wichtigsten Zeugnisse des italienischen Frühhumanismus gelten. Im 15. Jahrhundert gehörte ‚De casibus‘ europaweit zu den meistgelesenen Werken des großen italienischen Autors, unglücklicher verlief dagegen die Druckgeschichte: Die Straßburger Erstausgabe von 1474 war von Fehlern durchsetzt und kaum zu benutzen²⁴, eine Pariser Ausgabe aus dem Jahr 1515 fand in Deutschland nur geringe Verbreitung, unter den wenigen deutschen Besitzern der Pariser Edition ist Konrad Peutinger zu nennen.²⁵ Ein ambitioniertes Editionsprojekt des Augsburger Humanisten und Peutinger-Schützlings Menrad Molther fand hingegen nie den Weg in den Druck.²⁶ Dies mag auch der Grund dafür sein, dass ‚De casibus‘ in Becks historischer Bibliothek ausweislich des für Vadian erstellten Katalogs fehlte, wohingegen sich Boccaccios berühmtes Frauenbuch ‚De claris mulieribus‘ selbstverständlich in Becks Besitz befand.²⁷ Mit der Förderung einer Neuedition dieses Schlüsselwerks des italienischen Frühhumanismus konnte Beck also nicht nur der res publica litteraria einen Dienst erweisen, sondern auch eine Lücke in seiner eigenen Bibliothek schließen. Und so wurde das aufwendige und anspruchsvolle Editionsprojekt 1542 in die Hände des erfahrenen Augsburger Lateinlehrers Hieronymus Ziegler gelegt. Ziegler, der zwischen 1542 und 1547 als Lehrer am Gymnasium bei St. Anna wirkte, war in seiner Augsburger Zeit als Herausgeber, Übersetzer und Dramatiker aktiv.²⁸ Mit seinem vielseitigen Wirken entsprach er dem Selbstverständnis des Lehrerkollegiums der Schule, die rasch nach ihrer Gründung 1531 zu einem der humanistischen Zentren Augsburgs avancierte.²⁹ Unter den Kollegen Zieglers, die sich den studia humanitatis widmeten, ist vor allem Sixtus Birck zu nennen, der sich nicht nur um die Etablierung des Schultheaters in Augsburg bemühte, sondern auch bedeutende Editionen vorlegte, so etwa einen Cicero-Kommentar und eine Laktanz-Ausgabe.³⁰ Auch Hieronymus Ziegler konnte schon vor seiner Boccaccio-Edition einschlägige Erfahrungen als Herausgeber sammeln: So hatte er 1542 eine mit reichen Annotationen versehene Ausgabe von Aurelius Victors ‚Liber de viris illustribus‘ besorgt, einer spätantiken Biographiensammlung, die damals als Werk Plinius’ des Jüngeren galt.³¹ Diese ambitionierte Edition dedizierte Ziegler Raymund Fuggers Söhnen Georg, Ulrich sowie Hans Jakob, von dem später noch die Rede sein wird. Ziegler hatte auf diese Weise wohl gleich nach seiner Ankunft in Augsburg gezielt die Nähe zu den Fuggern gesucht, ohne jedoch in der Fol-

24 Vgl. zur Straßburger editio princeps ebd., 101 – 108. 25 Vgl. Künast/Zäh, Die Bibliothek Konrad Peutingers, 406 f., Nr. 499.2. 26 Vgl. zu den Umrissen dieses Editionsprojektes Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 109 – 115.Vgl. allgemein zu Menrad Molther und seiner Verbindung zu Peutinger Kössinger, Molther. 27 Vgl. St. Gallen, Stadtarchiv, Ms. 20, fol. 209r. In einem Band finden sich Boccaccios ‚De claris mulieribus‘, Plutarchs ‚De mulierum virtutibus‘ sowie Giacomo Philipo Forestis ‚De claris mulieribus‘ versammelt. 28 Vgl. zu Werk und Person Prechtl, Hieronymus Ziegler. 29 Vgl. Köberlin, Geschichte des Humanistischen Gymnasiums bei St. Anna. 30 Vgl. zu Birck Lähnemann, Birck. 31 Ps.-Plinius der Jü ngere [eigentlich Aurelius Victor]: ‚[…] de uiris, in re militari, et administranda Rep. Illustribus, Liber. Cum scholiis Hieronymi Ziegleri.‘ Augsburg: Valentin Otmar 1542 (VD16 P 3520).

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gezeit von ihnen begünstigt zu werden. Kurz darauf muss er dann die Bekanntschaft mit Leonhard Beck gemacht haben, der ihn über die gesamte Augsburger Zeit hinweg fördern sollte.³² Trotz der vorhandenen Expertise als Herausgeber stellte sich für Ziegler die Arbeit an der Boccaccio-Edition als ausgesprochen schwierig dar: Denn außer der fehlerhaften Straßburger Erstausgabe standen ihm – wie sich philologisch nachweisen lässt³³ – keine anderen Textzeugen zur Verfügung, die ihm als Korrekturhilfen gedient haben könnten. Dies wirft nebenbei auch ein aufschlussreiches Licht auf die Interaktionsbeziehungen in Augsburg, befand sich doch im Besitz Konrad Peutingers die Pariser Ausgabe des Werkes, deren Konsultation (obgleich eine etwas andere Textfassung überliefernd) eine wesentliche Erleichterung für die Arbeit Zieglers bedeutet hätte. Der Zugang zu Peutingers Bibliothek blieb dem Lateinlehrer jedoch offenkundig (wohl nicht zuletzt aufgrund des sozialen Unterschiedes) verwehrt. Folglich musste Ziegler grammatikalische und orthographische Fehler seiner Sprachkompetenz folgend berichtigen, die unzähligen fehlerhaften Eigennamen hingegen nach allen ihm zur Verfügung stehenden Quellen zu korrigieren suchen.³⁴ Die Augsburger ‚De casibus‘-Ausgabe, die 1544 in der Offizin Philip Ulharts erschien, ist damit keine Edition, die auf einer Kollation ver-

32 Die konstante Förderung durch Beck hebt Ziegler in einer 1545 erschienenen Plutarch-Ü bersetzung hervor, die er Becks Frau Katharina gewidmet hatte: „[…] von wegen des gü nstigen gten willens/ so ewer herr vnd Gemahel/ gegen mir vnverdienten tragen […]; waiß aber nit wie/ oder was gestalt mir mü glich wer/ seiner herrligkait sovil gthaten gegen mir erzaigt/ mit meinen armen diensten zvergleichen […]“. (Plutarch, Coniugalia praecepta dt. 1545, ijr). 33 Vgl. Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 123 f. 34 Die Fehlerhaftigkeit seiner Vorlage streicht der Herausgeber an mehreren Stellen heraus. So vermerkt das Titelblatt: „Hic liber iam olim etiam, sed antiquissimis, incultisque characteribus impressus, & nunc primum ab innumeris, quibus passim scatebat, mendis, studio & opera Hieronymi Ziegleri Rotenburgensis repurgatus […]“ (Boccaccio, De casibus 1544, fol. α jr; „Dieses Buch wurde bereits einmal, jedoch in altertümlichen, ungeschlachten Buchstaben gedruckt, und wurde nun zum ersten Mal durch die Mühe und Arbeit des Rothenburgers Hieronymus Ziegler von unzähligen Fehlern, von denen es überall nur so wimmelte, wieder gereinigt […].“. Auch in seiner Rede an den Leser beklagt Ziegler die mangelhafte Qualität der editio princeps: „Cum enim in peruetustum forte fortuna exemplar incidissem, statim primo obtutu, omnia deprauata, quaedam obmissa, multaque; inuersa depraehendi, adeo ut deierare liceat, vix alteram fuisse periodum, quae non habuerit aliquid mendosum. In uniuersum denique punctis suis, distinctionibus, & periodis iustis carebant sententiae: propiorumque nominum infinitus inerat error“ (Ebd., fol. α iijv; „Denn nachdem ich ganz zufällig auf den sehr alten Textzeugen gestoßen war, habe ich sogleich auf den ersten Blick entdeckt, dass alles entstellt war, bestimmte Dinge gestrichen und viele verdreht wurden; bis zu dem Grad, dass ich schwören möchte, dass es kaum ein Satzgefüge gab, das nicht irgendetwas Fehlerhaftes enthielt. Insgesamt fehlte es den Sätzen an Punkten, Trennungen und richtigen Satzgefügen; und Fehler bei den Eigennamen finden sich zahllose.“). Ziegler führt dies auf die „inscitia compositoris, aut impressoris“, also den Unverstand des Setzers oder Druckers, zurück, um mit beißendem Spott anzumerken: „Vnde facile credendum est eum, qui ex archetypo primum hæc transcripsit, aut non potuisse legere, aut non plene intellexisse“ (Ebd.; „Daher könnte man leicht denken, dass derjenige, der dies aus dem Archetyp abgeschrieben hat, entweder nicht lesen konnte, oder es nicht vollständig verstand.“). Alle Übersetzungen aus dem Lateinischen stammen hier und im Folgenden vom Verfasser.

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schiedener Textzeugen basiert, vielmehr war die Textkonstitution wesentlich von den Korrekturbemühungen des Herausgebers abhängig.³⁵ Im Rahmen dieser höchst aufwendigen Editionspraxis war die Arbeit am umfangreichen Scholienapparat von entscheidender Bedeutung: Die minutiöse Quellenarbeit des Herausgebers kam nicht nur den Paratexten zugute, sondern erwies sich auch als unentbehrlich für die Textherstellung selbst. Demzufolge lässt sich der Apparat als Bravourstück der Augsburger ‚De casibus‘-Edition begreifen: Er bekundet den gleichsam enzyklopädischen Anspruch des Herausgebers, nicht nur die von Boccaccio benutzten Quellen offenzulegen, sondern dem Leser die Totalität des zeitgenössischen historiographischen Wissens zu präsentieren. Dies war gerade angesichts der besonderen Faktur des Werkes eine überaus anspruchsvolle Aufgabe. Denn die Biographien der Unglücklichen finden sich in ‚De casibus‘ nicht einfach chronologisch nebeneinandergestellt, sondern sind in eine Rahmenerzählung eingelassen, in der die Autorfigur Boccaccio in seinem Studierzimmer darüber sinniert, welchen Anfang er seinem Werk geben könne.³⁶ Unversehens erscheinen ihm daraufhin Adam und Eva, die ihn flehentlich darum ersuchen, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Nachdem der Schriftsteller dem Gesuch der Stammeltern entsprochen hat, werden sukzessive auch andere berühmte Männer und Frauen der Weltgeschichte bei ihm vorstellig. Doch nicht allen der erbarmungswürdigen Gestalten schenkt Boccaccio Gehör, vielen widmet er sich lediglich en passant, ohne ihnen eine ausführlichere biographische Würdigung zuteil werden zu lassen. Dieses Arrangement ist arbeitsökonomisch geschickt: Mithilfe dieser Prozessionen der Unglücklichen vermochte es Boccaccio, ganze Zeitalter buchstäblich an sich vorüberziehen zu lassen, ohne dabei sein universalgeschichtliches Vorhaben aus dem Blick zu verlieren. Auf diese Weise entstehen jedoch auch stilistisch exquisite biographische Abbreviaturen in der Tradition der‚Commedia‘ Dante Alighieris, die den gebildeten Leser des Werkes in Form eines intellektuellen Spiels förmlich dazu reizen sollen, die subtilen Anspielungen ausfindig zu machen und narrative Lücken selbsttätig zu schließen. Es sind zumal diese Aufzüge der Trauernden, die der Herausgeber Ziegler mit zahlreichen ausführlichen Annotationen akribisch aufarbeitete: Häufig liefert Ziegler die Lebensgeschichten der vergeblich um Gehör Klagenden nach und steigert damit den historiographischen Informationswert des Werkes beträchtlich. Für seine Scholien entnahm er nicht nur Versatzstücke aus anderen Geschichtswerken, sondern er erstellte

35 Ein Beispiel für diese Praxis sei angeführt: So ändert Ziegler an einer Stelle den Namen eines im Text nur beiläufig erwähnten ägyptischen Königs von Xoses (so in der Straßburger Ausgabe überliefert) in Vexores (vgl. Boccaccio, De casibus 1544, 9). Dies tut er augenscheinlich im Rekurs auf die Schreibweise in den ‚Epitoma historiarum Philippicarum‘ des Justinus sowie in den ‚Paralipomena‘ des italienischen Humanisten Raffaelo Maffei, wie Ziegler in der entsprechenden Anmerkung offenlegt. Der Gründlichkeit halber merkt Ziegler dort außerdem an, dass auch die Variante Vesores geläufig sei, die er der ‚Historia adversum paganos‘ des Paulus Orosius entnimmt. 36 Vgl. zu Bedeutung und Funktion der Rahmenhandlung Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 18 – 39.

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vielfach auch selbst ausführliche biographische Porträts.³⁷ Die Scholien bekunden damit den beträchtlichen Arbeitsaufwand, aber auch den Zugang Zieglers zu außergewöhnlich gut ausgestatteten Bibliotheken, insbesondere zu jener Leonhard Becks.³⁸ Aus wissensgeschichtlicher Perspektive steht die akribische Kommentierungspraxis Zieglers allerdings auch exemplarisch für eine veränderte intellektuelle Situation in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in der ein Werk wie ‚De casibus‘ mit neuen Formen von „Wissensspeichern“³⁹ in Konkurrenz treten musste, die ungleich stärker vom Anspruch auf ‚enzyklopädische‘ Vollständigkeit bestimmt waren. Die editorische Praxis Zieglers kann damit nicht zuletzt auch als kompensatorische Leistung begriffen werden, die darauf abzielte, den wissensvermittelnden Wert des edierten Werkes vor allem durch die systematische Erschließung der Rahmenhandlung zu erhöhen.⁴⁰ Die Boccaccio-Edition

37 Vgl. zu dieser Arbeitspraxis etwa die Biographie der mythologischen Gestalt Althea, die bei Boccaccio im Rahmen eines conventus dolentium lediglich allusiv umrissen wird: „Et ante alios, facie vnguibus rugata saeuis, discerpto crine, et lugubri veste lachrymas abunde fundentem Althaeam noui, Thoxeum, Plexippumque fratres a filio Meleagro occisos, eumque, in ignem stipite fatali iniecto consumptum, seque ob id interemisse quaerentem“ (Boccaccio, De casibus 1544, 19; „Und unter vielen anderen erkannte ich mit wildem, zerkratztem Gesicht, ausgerissenen Haaren und im Trauergewand Althea, die überreich Tränen vergoss und beklagte, dass ihre Brüder Thoxeus und Plexippus von ihrem Sohn Meleager ermordet worden seien und dass sie diesen daraufhin getötet habe, indem sie das schicksalhafte Holzscheit ins Feuer warf und verbrennen ließ.“). Zieglers Scholion hingegen bietet dem Leser auf Grundlage von Ovids ‚Metamorphosen‘, Boccaccios ‚Genealogia deorum gentilium‘ sowie den Fabeln des Hyginus eine weitaus ausführlichere Lebensbeschreibung: „Althea Thestij filia Oeneo regi Calidoniae nupsit, & ex eo Meleagrum peperit. Consistentibus autem Fatis prope ignem ab eisdem audiuit puerum tam diu victurum, quam diu stipes unus in foculo inconsumptus permaneret. Discedentibus igitur Fatis, Althea stipitem ex igne surripiens seruabat, postea uero cum audisset Meleagrum fratres suos Thoxeum, et Plexippum occidisse, illa in uindictam facinoris stipitem in salutem Meleagri seruatum diu, proiecit in ignem. Hoc igitur consumpto Meleager moritur, quod ipsa audiens in gladium irruit, & finiuit uitam miserrime. Fabula est apud Ouid. lib. 8. Meta. Bocat. lib. 9. ca. 14. & 15. Hig. fab. 244. & 249“ (Boccaccio, De casibus 1544, 20; „Althea, Tochter des Thiestes, heiratete Oeneus, den König von Kalydon, und gebar ihm Meleager. Aber als die Schicksalsgöttinnen in der Nähe einer Feuerstelle rasteten, hörte sie von diesen, dass ihr Sohn so lang leben sollte, solange ein Holzscheit im Ofen nicht vom Feuer verzehrt würde, sondern erhalten bliebe. Nachdem aber die Schicksalsgöttinnen verschwunden waren, nahm Althea das Scheit heimlich aus dem Feuer und bewahrte es auf. Nachdem sie jedoch gehört hatte, dass Meleager ihre Brüder Thoxeus und Plexippus getötet hatte, warf sie, um diese Untat zu rächen, das Scheit, welches sie so lange um des Lebens ihres Sohnes willen bewahrt hatte, ins Feuer. Nachdem dieses nun aufgezehrt war, starb Meleager, und als Althea dies hörte, stürzte sie sich deshalb in ein Schwert und beendete ihr unglückliches Leben. Diese Geschichte findet sich bei Ovid, Buch 8 der ‚Metamorphosen‘, Boccaccio, Buch 9, Kapitel 14 und 15 [in der ‚Genealogia‘] sowie in den Fabeln 244 und 249 des Hyginus.“). 38 Die Bibliothek Becks rühmt Ziegler ausdrücklich in seiner Widmungsepistel: „[…] Bibliothecam habes non tritis, et quotidianis authoribus, imo veterum rarissimorum & optimorum scriptis refertissimam“ (Boccaccio, De casibus 1544, fol. α iijr; „Du besitzt eine Bibliothek, die nicht mit gewöhnlichen und alltäglichen Autoren, sondern im Gegenteil reich mit Werken der seltensten und besten alten Schriftsteller bestückt ist.“). 39 Vgl. dazu die unterschiedlichen Beiträge in Schierbaum (Hg.), Enzyklopädistik. 40 Vgl. zum kulturellen Hiat zwischen Boccaccio und seinen Lesern im 16. Jahrhundert Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 151 – 154.

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Zieglers und die Bibliographie Gesners – beide ungefähr zur selben Zeit entstanden und durch denselben Förderer unterstützt – geben somit je anders einen gleichsam ‚enzyklopädischen‘ Vollständigkeitsanspruch zu erkennen, der sich geradezu als Signum der Zeit betrachten lässt. In einer kurzen Notiz an den Leser bekennt Ziegler freimütig, dass er aufgrund der Schwierigkeit seines Unternehmens im Laufe des zweijährigen Arbeitsprozesses des Öfteren in der Tinte saß („in luto hesitabam“), jedoch auf die Unterstützung seines Umfelds zählen konnte: „Ad quod quidem, me viri doctissimi adhortabantur sedulo, inter quos tu Nobilis Ornatissimeque Leonarde praecipue instabas, & calcar addebas assiduum“.⁴¹ Das Mitwirken Becks hebt Ziegler auch in seiner Widmungsepistel an Leonhard Beck hervor und rühmt dabei zuvorderst die Gelehrsamkeit seines Förderers: „Quoniam nemo est, qui te historiarum cognitione, vel vincat, vel aequet. Quicquid enim est antiquarum, simul et praesentium historiarum, id non auditu tenes, sed frequenti, et assidua lectione assequutus optime recitas. Et quod mirandum est, admirabili in his rebus, & omnibus alijs memoria vales.“⁴² Man wird diese Aussagen angesichts der konventionalisierten Rhetorik der frühneuzeitlichen Widmungsvorreden sicherlich nicht überschätzen dürfen. So wird die ostentative Nennung Becks zweifelsohne auch honoris et pecuniae causa erfolgt sein. Doch spiegelt Ziegler damit freilich auch das Selbstverständnis Becks, der sich eben nicht nur als zahlungskräftiger Förderer, sondern als aktiver Partizipant einer humanistischen Diskursgemeinschaft verstanden wissen wollte. Anhaltspunkte dafür, wer zum engeren Gelehrtenkreis zu rechnen ist, geben die Paratexte, die der Edition humanistischen Konventionen gemäß beigegeben sind: So finden sich unter den Beiträgern von Empfehlungsgedichten selbstverständlich die Lehrerkollegen Zieglers. Der Schulrektor Sixtus Birck etwa, der auch von Konrad Peutinger geschätzt wurde, lobt Ziegler in seinem Geleitgedicht in den höchsten Tönen: Nichts weniger als ein Augiasstall sei durch Zieglers Edition ausgemistet worden.⁴³ Auch andere Kollegen Zieglers steuerten Geleitgedichte bei. Doch beschränkte sich das Netzwerk keineswegs auf das Kollegium des Gymnasiums: So ist gleich das erste Empfehlungsgedicht aus der Feder des Augsburger Stadtschreibers Georg Frölich, der zu den zentralen Figuren des Augsburger Humanismus in dieser Zeit zu rechnen ist.⁴⁴ Auch der humanistisch gebildete Augsburger Apotheker Christoph Wirsung⁴⁵, der vor allem als 41 Boccaccio, De casibus 1544, fol. α iijv; „Dazu ermunterten mich äußerst gelehrte Männer eifrig, unter denen Du, überaus edler und geachteter Leonhard, mich besonders dringend gebeten und beharrlich angespornt hast.“ 42 Ebd., fol. α iijr; „Da es ja niemanden gibt, der Dich in der Kenntnis der Geschichtswerke übertrifft oder Dir auch nur gleichkommt. Denn was auch immer es an alten wie auch an zeitgenössischen Geschichtswerken gibt, kennst Du nicht vom Hörensagen, sondern trägst es, weil Du es Dir durch häufige und beharrliche Lektüre angeeignet hast, auswendig vor. Und es ist erstaunlich, welch bewunderungswürdiges Gedächtnis Du in diesen und allen anderen Dingen besitzt.“ 43 Vgl. Boccaccio, De casibus 1544, fol. α iiijr. 44 Vgl. zu Frölich Kipf, Frölich. 45 Vgl. zu Wirsung Schaffert, Wirsung.

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Übersetzer der spanischen Tragikomödie ‚La Celestina‘ Bekanntheit erlangt hatte, übersetzte für Ziegler die Boccaccio-Biographie des italienischen Gelehrten Girolamo Squarciafico (dessen Autorschaft zu dieser Zeit allerdings noch nicht bekannt war) aus dem Italienischen ins Lateinische und machte sie auf diese Weise zum ersten Mal in Deutschland bekannt.⁴⁶ Der Blick auf die Entstehungsbedingungen und das Entstehungsumfeld der Boccaccio-Edition gibt damit exemplarisch zu erkennen, dass die Rahmenbedingungen für ein solch umfangreiches und vor allem auch kostspieliges Editionsprojekt im Augsburg der 1540er Jahre überaus günstig waren: Es bestand ein gelehrtes Netzwerk, das sich nicht allein auf das Kollegium des St. Anna-Gymnasiums beschränkte, sondern dem auch Gelehrte anderer Institutionen und Berufsschichten sowie mit Leonhard Beck ein interessierter und zahlungskräftiger Unterstützer aus dem Stadtbürgertum angehörten. Ohne die Rolle Becks überschätzen zu wollen, lässt sich doch konstatieren, dass er zumindest für eine gewisse Zeit mehr als nur ein „Mäcen im kleinen“⁴⁷ war. Ruft man sich in Erinnerung, dass die ‚De casibus‘-Edition des Peutinger-Protegés Menrad Molther einige Jahre zuvor aus unbekannten Gründen nie in den Druck gelangt war, tritt Becks Verdienst um die finanzielle und ideelle Unterstützung dieses Editionsprojektes umso deutlicher zutage: Womöglich mag es für Beck gar ein besonderer Ansporn gewesen sein, zur Realisierung eines Editionsprojektes beizutragen, das im Umfeld Konrad Peutingers gescheitert war. Die Qualität der von Beck geförderten Edition drückt sich jedenfalls noch in dem Urteil des großen Boccaccio-Forschers Attilio Hortis aus, der anerkennend festhält: „Questa edizione è l’ultima che si publicasse ed è certamente la migliore di tutte“.⁴⁸ Nicht unerwähnt bleiben darf, dass nur ein Jahr nach der ‚De casibus‘-Edition auch eine deutsche Übersetzung des Werkes auf den Markt kam, die Hieronymus Ziegler wiederum Leonhard Beck widmete.⁴⁹ In der Dedikationsepistel an Leonhard Beck konzediert Ziegler unverblümt, dass volkssprachliche Übersetzungen noch Mitte des 16. Jahrhunderts der Rechtfertigung bedurften: [M]ir ist wol bewist das die arbayt/ so man auff die translation auß dem Latein in das Teü tsch legt/ selten vnd darz nit von yederman gelobt wü rd/ es geschehe dann von denen die bayder Spraachen grü ndtlich vnd wol erfaren seynd/ vnnd wissen/ vrsach das alle Buͤ cher in Latein beschriben/ vil hoͤ her/ kü nstlicher vnd volkommenlicher/ bey den gelerten so man die bleyben laßt/ geacht werden/ weder so man sy in andere sprachen verdolmetschet. Dann es begibt sich/ das solche translation in das Teü tsch offtermals mangelhafftig ist/ vnd der materi ein abgang macht.Vnd ob schon das gar nit gschicht/ so hat yhe das Latein/ in allen dingen z beschreyben mer kunst/ holdtsaͤ ligkeit/ vnd

46 Vgl. die ausführliche ‚Vita Bocatii‘, De casibus 1544, fol. γ iijr– γ iiijr. 47 Hartig, Gründung der Münchener Hofbibliothek, 161. 48 Hortis, Studj sulle opere latine del Boccaccio, 769. 49 Vgl. ausführlich zu dieser Übersetzung Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 133 – 168. Auch in anderen Übersetzungen begegnet Beck als Widmungsempfänger: So widmete ihm Paulus Aemilius, ein konvertierter Jude, der als Hebräisch-Professor in Ingolstadt wirkte, eine Pentateuch-Übersetzung aus dem Hebräischen (Bonorand, Hieronymus Sailer aus St. Gallen, 118).

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aigenschafft der woͤ rter/ dann unsere Teutsche spraach/ woͤ lche von art grob/ vnnd von andern Nationen allzeit Barbarisch genennt wirt.

Doch ungeachtet dieser Tatsache habe Ziegler die Mühe einer Übersetzung auf sich genommen, damit das Werk nicht nur den lateinkundigen Gelehrten wie seinem Förderer zum Nutzen gereichen möge, sondern um „aller stand der menschen z gewiserer erkanndtnuß aigens wesens“ zu führen.⁵⁰ Diese dezidiert integrative Bildungsprogrammatik, die sich durchaus als Markenzeichen der Augsburger Übersetzerbewegung dieser Zeit begreifen lässt⁵¹, tritt insbesondere in Zieglers Übersetzungspraxis zutage: So ist der Übersetzer bemüht, die umfangreichen Scholien seiner Edition auch der volkssprachlichen Übersetzung zugute kommen zu lassen, indem er die Paratexte ins Deutsche übersetzt und in den Text integriert, ohne seine Eingriffe indes eigens kenntlich zu machen.⁵² Auf dem Weg ins Deutsche verändert sich die formale und inhaltliche Gestalt von ‚De casibus‘ also fundamental: Anders als etwa einem Niklas von Wyle geht es Ziegler nicht darum, „Muster einer elaborierten Literatur“⁵³ in der Volkssprache zu schaffen, sondern einen möglichst breiten Leserkreis anzusprechen und an den humanistischen Wissensbeständen teilhaben zu lassen. Als Adressat der Übersetzung ist dabei wohl nicht nur an den sog. ‚gemeinen Mann‘ zu denken: Zwar rechnet Ziegler seinen Förderer Beck im Widmungsbrief ausdrücklich jenen Gelehrten zu, welche die Schwierigkeit zu ermessen imstande seien, das elegante Latein Boccaccios in die ungefüge deutsche Volkssprache zu übertragen. Doch stellt man in Rechnung, dass Beck mit humanistischen Gelehrten vorzugsweise in der Volkssprache zu korrespondieren pflegte, erscheint es nicht abwegig, dass auch er selbst die Boccaccio-Übersetzung nicht ungern zur Hand nahm.

50 Boccaccio, De casibus 1544, fol. ijv. 51 Vgl. dazu Prechtl, Boccaccios ‚De casibus‘, 142 – 146; hier auch Hinweise auf die Verortung der Ziegler’schen Übersetzung im übersetzungstheoretischen Diskurs der Frühen Neuzeit. 52 Diese Bearbeitungspraxis lässt sich am bereits erwähnten Beispiel Altheas illustrieren, deren Biographie in der Ziegler’schen Übersetzung nun auch im Haupttext ausführliche Erwähnung findet: „Vnd vnder vilen hab ich die Altheam/ welche mit zerrißnem angesicht/ zerstrewtem har/ vnnd inn einem kleglichen klaid yemerlich waynet/ da her gieng/ am ersten erkennt/ deßgleichen auch jre Sü n die zween Bruͤ der/ Thoxeum vnnd Plexippum vom Meleagro auch der selbigen Althee Sü n/ erschlagen. Althea aber/ als sie nun den Meleagrum bey dem Koͤ nig Oeneo geboren hett/ hoͤ ret sie neben dem fewr die drey Goͤ ttin des lebens der menschen mit ainander reden/ das dises kind so lang leben solte/ als lang der brandt vnd scheit holtz im fewr verbren.Vnnd da nun die drey Goͤ ttin hinweg giengen/ lieff Althea bald/ vnnd zucket den brandt auß dem fewr vnnd behielt jn auff/ Da nun aber Meleager groß ward/ erschlg er seine Bruͤ der den Thoxeum vnnd Plexippum. Welches da es Althea die Mtter vernam/ lieff sie bald aus zoren vnnd neid/ z rechen ire verlorne Sü n/ vnnd warff den brandt ins fewr/ In dem als der verbran/ von stund an starb auch Meleager. Daher sie in kuͤ mmernuß vnnd verzweyfflung kummen/ vnd sich selbs erstochen hab/ zaiget sie nur kleglichen an“ (Boccaccio, De casibus 1544, fol. 17rv). 53 Müller, Übersetzung in der Frühen Neuzeit, 87.

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3 Becks wirtschaftlicher Ruin und sozialer Abstieg – und ein versöhnliches Ende am Münchner Hof? Die hier geworfenen Schlaglichter auf das Wirken Leonhard Becks mögen gezeigt haben, dass der bibliophile Augsburger eine Zeit lang ohne Zweifel zu den kulturaffinsten und mäzenatisch umtriebigsten Vertretern der Augsburger Kaufmannsschicht zu zählen ist. Doch würde ich mich davor scheuen, den kulturellen Kapitaleinsatz Becks als Teil einer umfassenden kaufmännischen Investitionspolitik zu begreifen. Im Gegensatz etwa zu dem ungefähr gleichaltrigen Nürnberger Patrizier Willibald Imhoff, der eine bedeutende Kunstsammlung aufbaute, jedoch auch weiterhin als erfolgreicher Kaufmann agierte⁵⁴, erwies sich Beck auf den Betätigungsfeldern seines Vaters als glücklos. Zwar war er weiterhin im Juwelen- und Bankgeschäft aktiv, allerdings „ohne die nötigen Fachkenntnisse“ und mit eher bescheidenem Erfolg.⁵⁵ So war die sogenannte Vorteilhaftigkeitsbeurteilung von Investitionen im Hinblick auf die übergeordneten Unternehmensziele Becks Sache offenkundig nicht: Nur kurz nach der Drucklegung der Boccaccio-Übersetzung geriet er in massive finanzielle Schwierigkeiten und sah sich noch im selben Jahr gezwungen, das eigens fü r seine Bibliothek errichtete Palais zu verkaufen.⁵⁶ Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Ziegler seinem Förderer die Boccaccio-Übersetzung als glänzenden Ratgeber ans Herz gelegt hatte, um dem Unglück zu entfliehen⁵⁷ – es hat ihm letztlich nichts genutzt. Stattdessen begab sich Beck in einen langwierigen Rechtsstreit mit dem Käufer seines Hauses, Jakob Hörbrot, in dessen Verlauf sich der mittlerweile bankrott gegangene Beck verzweifelt auch an den Kaiser und die Reichsstände wenden sollte.⁵⁸ Ab 1552 verlieren sich seine Spuren fast vollständig, er verstarb am 27. März 1575⁵⁹; über den Verbleib seiner Bibliothek ist nichts bekannt. Doch gibt es Indizien dafür, dass der eben skizzierte Unglücksfall geradezu boccaccesken Ausmaßes einen versöhnlichen Abschluss gefunden haben könnte. So erscheint es verlockend, einen Eintrag in der Gehaltsliste des Münchner Herzoghofes auf Leonhard Beck zu beziehen: Dort erscheint 1570 ein „Lienhardt Peckhenstainer“ als „verordtneter vber die Antiquiteten“⁶⁰, der 300 Gulden Jahresgehalt bezog. Möchte man unter den „Antiquiteten“ die im Aufbau befindliche Antikensammlung Albrechts V.

54 Vgl. zum Profil Imhoffs Pohl, Willibald Imhoff. 55 Jenny, Amerbachkorrespondenz, 718. 56 Ebd., 718 f. 57 So rät Ziegler in seiner Widmungsepistel, dass „alle menschen sich mit den waffen warer tugent gwaltigklichen versichern/ vnd bewaren/ auff das/ so vns ein widerwertiger fahl begegnen wolte/ das wir den von vns abwenden/ vnd jm entpfliehen moͤ chten“ (Boccaccio, De casibus 1544, fol. α ijr). 58 Vgl. Sieh-Burens, Böck von Böckenstein, 300; Jenny, Amerbachkorrespondenz, 718 f. 59 Vgl. Sieh-Burens, Böck von Böckenstein, 300. 60 Hartig, Die Gründung der Münchener Hofbibliothek, 307; vgl. auch Jenny, Amerbachkorrespondenz, 722 f.

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begreifen⁶¹, ergäben sich interessante Verbindungen: Denn als ankaufspolitischer Berater Albrechts fungierte seit Mitte der 1560er Jahre Hans Jakob Fugger⁶². Hans Jakob ging bekanntermaßen im Jahr 1564 bankrott, nachdem er sich kaufmännisch glücklos gezeigt hatte, auch weil er sich zeitlebens lieber der Förderung humanistischer Gelehrter sowie der Pflege seiner reichen Bibliothek widmete. Die Lebenswege und Interessensschwerpunkte Becks und Fuggers lassen also durchaus markante Gemeinsamkeiten erkennen und so erscheint es denkbar, dass Fugger seinem HerrenstubenGenossen Beck einen gut dotierten und dem Interessenbereich Becks entsprechenden Posten am Münchner Hof verschafft haben könnte. Diese These ließe sich noch durch die bislang übersehene Tatsache stützen, dass Leonhard Beck und Hans Jakob Fugger weitläufig verwandt waren: So war Fuggers Großmutter Magdalena eine gebürtige Beck, die in die wohlhabende Kaufmannsfamilie der Turzo von Bethelsdorf eingeheiratet hatte.⁶³ Eine Unterstützung des in finanzielle Not geratenen Beck durch Hans Jakob Fugger erscheint gerade im Lichte dieser familiären Verbindung also durchaus plausibel. Seine beträchtliche Expertise auf historisch-kulturellem Gebiet hätte Beck zweifelsohne für eine solche Aufgabe qualifiziert. Man möchte es dem Schöngeist vergönnt haben, wenn er von Fortuna nicht auf die gleiche erbarmungslose Weise gestürzt worden wäre wie jene Unglücklichen der Weltgeschichte in Boccaccios ‚De casibus‘, die er durch sein mäzenatisches Wirken einem größeren Leserkreis in Deutschland bekannt gemacht hatte.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen und Primärliteratur Arbenz, Emil (Hg.), Die Vadianische Briefsammlung der Stadtbibliothek St. Gallen, 7 Bde, St. Gallen 1890 – 1913 (Mitteilungen zur vaterlä ndischen Geschichte 24 – 30a). Boccaccio, Giovanni, De casibus virorum illustrium libri novem, Augsburg, Philipp Ulhart d. Ä . 1544 [VD16 B 5812]. Boccaccio, Giovanni, Furnemmste Historien vnd exempel von widerwertigem Gluck/ mercklichem vnd erschroͤ cklichem unfahl/ erbaͤ rmklichen verderben vnnd sterben/ groß maͤ chtiger Kayser Kü nig/ fü rsten vnnd anderer namhafftiger Herrn/ In neun Buͤ chern/ durch den fü rtreflichen hochberuͤ mbten Historischreiber vnd Poeten Ioannem Boccatium von Certaldo/ in Latein beschriben/ […]. Jetzt zum aller ersten von Hieronymo Ziegler fleyssig verteü tscht, Augsburg, Heinrich Steiner 1545 [VD16 B 5813]. Gesner, Conrad, Bibliotheca universalis, sive Catalogus omnium scriptorum locupletissimus […], Zü rich, Christoph Froschauer d. Ä . 1545 [VD16 G 1698]. Plutarch, Coniugalia praecepta dt. 1545.

61 Vgl. zur Gründung dieser Antikensammlung Diemer, Das Antiquarium Herzog Albrechts V. 62 Vgl. zu dieser Persönlichkeit Maasen, Hans Jakob Fugger. 63 Vgl. zur Genealogie Fuggers Zorn, Fugger, 720. Die familiäre Verbindung Leonhard Becks zu den Turzos deutet Jenny, Amerbachkorrespondenz, 717, an.

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Noten kann man nicht essen – das Fugger’sche Musikmäzenatentum Es ist eine Erkenntnis, die freiberuflich tätige Musiker zu allen Zeiten beschäftigt haben dürfte: Mit Tönen kann man nichts kaufen und Noten kann man nicht essen. Goldene Uhren im Übrigen ebenso wenig, wie Mozart, der für seinen Berufsstand ja gemeinhin als repräsentativ betrachtet wird, feststellen musste. In einem Brief an den Vater beklagte er sich über jene schwache Währung, mit der er in den Salons der besseren Gesellschaft regelmäßig für seine Auftritte entlohnt wurde: Es war so, wie ich es mir eingebildet habe. nichts in geld, [stattdessen] eine schöne goldene uhr. mir wären aber iezt 10 Carolin lieber gewesen, als die uhr. […] Nun habe ich mit dero erlaubniss 5 uhren, ich habe auch kräftig im sinn, mir an jeder hosen noch ein uhrtäschl machen zu lassen, und wenn ich zu einem grossen herrn komme, beÿde uhrn zu tragen wie es ohnehin iezt Mode ist damit nur keinem mehr einfällt mir eine uhr zu verehren.¹

Günstiger traf es da Orlando di Lasso (1530/32 – 1594): Er wurde für die Zueignung eines seiner Musikdrucke vom Abt des Klosters Weingarten immerhin mit „ainem fesl mit Wein“² entlohnt. Nun war Lasso als Kapellmeister der Münchner Hofkapelle ein arrivierter Musiker von europäischem Ruf und hatte finanziell ausgesorgt. Viele seiner weniger gut abgesicherten Zeitgenossen taten dagegen gut daran, sich die Gunst eines großzügigen Mäzens zu erwerben. Hier nun tritt die Familie Fugger in Erscheinung, deren musikalisches Mäzenatentum die Biographien zahlreicher Musiker der frühen Neuzeit beeinflusste. Ohnehin bot Augsburg mit seiner reichen Musikszene viele Möglichkeiten der Berufsausübung: Eine Anstellung als Organist oder Kantor konnte man an den zahlreichen Kirchen und Klöstern der Stadt finden. Bischof Otto von Waldburg (1514 – 1573) leistete sich zeitweise sogar eine eigene Privatkapelle³. Darüber hinaus ist das reichsstädtische Musikensemble der Stadtpfeifer zu erwähnen, welches zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte⁴. Neben diesem aus Geldern der Stadt bezahlten Ensemble wurde auch im Rahmen der so genannten ‚stillen Musik‘, einer vornehmlich aus Streichinstrumenten und Laute bestehenden Besetzung, anlässlich verschiedenster feierlicher Anlässe im Auftrag von Bürgern und Patriziern musiziert⁵. Regelmäßig in der Stadt

1 W.A. Mozart in einem Brief aus Mannheim an seinen Vater Leopold in Salzburg am 13.11.1777. Mozart Briefe und Dokumente. 2 Zit. nach Leuchtmann, Orlando di Lasso 2, 258. 3 Eine Aufstellung der angestellten Musiker findet sich bereits bei Ursprung, Jakobus de Kerle, 23. 4 Mančal, Augsburg. Stadtpfeifer, 1013. 5 Eine umfassende Darstellung zur ‚stillen Musik‘ in Augsburg liefert Tremmel, Leben und Schaffen der Augsburger Lautenmeister Melchior und Conrad Neusidler. Siehe insbesondere Tremmels Ausführungen https://doi.org/10.1515/9783111060682-008

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abgehaltene Reichstage fungierten als regelrechte Fachmessen und brachten die Musiker in Kontakt mit Kollegen und möglichen Arbeitgebern und Mäzenen⁶. Nicht zuletzt bei solchen repräsentativen Anlässen erwies sich die reiche Musikszene der Reichsstadt auch als Ausdruck des kulturellen Selbstbewusstseins gegenüber dem Repräsentationsgebaren der benachbarten Hofhaltungen, die ebenfalls Anstellungsmöglichkeiten für Musiker boten, hier vor allem die Hofkapellen der bayerischen Herzöge in München bzw. Landshut sowie der habsburgischen Höfe in Wien, Prag und Innsbruck⁷. Dieses Selbstverständnis betraf im Einzelnen die Augsburger Patrizierfamilien, die innerhalb des Kulturbetriebs der Stadt als Musikmäzene eine wichtige Rolle einnahmen. Im Falle der Fugger beschränkte sich deren musikalische Aktivität allerdings keineswegs allein auf ihr Mäzenatentum: Neben der Förderung zeitgenössischer Musiker werden verschiedenen Mitgliedern der Familie die eigene Musizierpraxis, ihre Sammeltätigkeit (Musikinstrumente und Noten), und die Stiftung von Orgeln und Organistenstellen als musikalische Handlungsfelder zugeordnet⁸. Dem lässt sich ferner ihr Engagement bei der Vermittlung von Musikern und Musikalien an Dritte hinzufügen. Wie noch zu zeigen sein wird, erwies sich das Fugger’sche Netzwerk auch für den erfolgreichen Werdegang des oben genannten Orlando di Lasso als überaus hilfreich.

1 Die Fugger’schen Widmungsdrucke Äußeres Zeichen ihres Mäzenatentums sind die 48 Musikalienwidmungen, die verschiedenen Mitgliedern der Familie Fugger zwischen 1545 und 1628 zugeeignet wurden⁹. Diese Akkumulation ist einzigartig und die Suche nach Vergleichsfällen gestaltet sich

zur Ensemblestruktur, 71 – 75. Allgemein zur‚stillen Musik‘ sowie zu Neusidlers Verhältnis zu den Fuggern vgl. Krautwurst, Neusidler und die Fugger. 6 1590 bedankt sich beispielsweise der oben bereits erwähnte Gregorio Turini (ca. 1560 – 1600), der in Diensten Kaiser Rudolfs II. stand, bei Hans Fugger (1531 – 1598) dafür, dass dieser ihn „als gleichwol der geringsten einen von dieser profession auff jüngstlich zu Augspurg gehaltnem Reichstag etlich mal dahin begnadet das derselben ich neben andern bey der Music so gut ichs ungefehrlich gekündet dienen und aufwarten mügen […].“ Aus der Widmungsvorrede zu Gregorio Turini, Neue liebliche Teutsche Lieder, Nürnberg 1590. Allgemein zur Musik bei den Augsburger Reichstagen vgl. Kelber, Die Musik bei den Augsburger Reichstagen. 7 Vgl. u. a. Göllner [u. a.] (Hg.), Die Münchner Hofkapelle des 16. Jahrhunderts im europäischen Kontext; Federhofer, Musikpflege und Musiker am Grazer Habsburgerhof. Zur Musikpflege in kleineren Residenzstädten Bayerns, wie etwa Neuburg an der Donau, Ansbach oder Bayreuth, sowie an den bischöflichen Residenzen, wie Dillingen, Eichstätt, Würzburg, Passau und Freising vgl. Scharnagl, Die Musikpflege an den kleineren Residenzen. Zu den im Westen gelegenen Residenzstädten wie Stuttgart, Hechingen und Sigmaringen vgl. z. B. die entsprechenden Kapitel in Ruhnke, Beiträge zu einer Geschichte der deutschen Hofmusikkollegien. 8 Vgl. Krautwurst, Die Fugger und die Musik, 41. 9 Dieser Beitrag basiert zu großen Teilen auf den Ergebnissen meiner Dissertation. Hier findet sich auch eine Edition der Widmungsvorreden sowie eine detaillierte Besprechung: Bilmayer-Frank, Gedruckte Musikalienwidmungen.

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schwierig. Für die Situation in Augsburg sei auf die Familie Welser verwiesen, die sich ebenfalls durch musikalische Aktivitäten hervortat, deren Musikalienwidmungen¹⁰ sich allerdings an einer Hand abzählen lassen: Markus Welser dem Älteren (1524 – 1596) ist laut aktuellem Forschungsstand ein, seinem Namensvetter Markus Welser dem Jüngeren (1558 – 1614) sind drei Musikdrucke zugeeignet, teilweise in seiner Funktion als Stadtpfleger zusammen mit Johann Jakob Rembolt. Wolfgang Leonhard Welser ist (wiederum als Sammelwidmung mit mehreren Widmungsträgern) eine Ausgabe des musikpädagogischen Traktats ‚Compendium musicae latino-germanicum‘ von Adam Gumpelzhaimer gewidmet (Augsburg 1655). Karl von Burgau, über seine Mutter Philippine Welser, der Gattin Erzherzog Ferdinands von Tirol, ebenfalls zur Familie gehörig, erhält 1591 einen Widmungsdruck von Jakob Regnart. Darüber hinaus sei hier außerdem auf Leonhard Lechners (ca. 1553 – 1606) 24-stimmige Motette ‚Quid chaos‘ als Beispiel einer Welser‘schen Widmungskomposition verwiesen, die für die Hochzeit von Sebald Welser und Magdalena Imhoff 1582 entstanden war. Widmungen von einzelnen Kompositionen zu bestimmten Anlässen sind auch bei den Fuggern zu finden¹¹ (vgl. Abb. 1). Im Vergleich überwiegt sowohl im Falle der gewidmeten Einzelkompositionen als auch der Widmungsdrucke der Umfang der Fugger’schen Titel deutlich. Auch unterscheiden sie sich von den Welser-Widmungen, die überwiegend im Augsburger Kontext¹² entstanden sind, durch ihr weitgreifendes, vor allem Richtung Italien ausgerichtetes Netzwerk. Parallelen ließen sich allenfalls zu den Florentiner Medici ziehen, wobei

10 Vgl. Brosius, Welser, 277 und Layer, Welser, 756 f. Der aus der Literatur ersichtliche Forschungsstand zu den Welser’schen Musikalienwidmungen im Überblick: Hubert Waelrant (1516/17– 1595), Sacrarum cantionum liber tertius, Antwerpen 1555 an Markus Welser d.Ä.; Jakob Regnart (1540/45 – 1599), Kurzweilige newe teutsche Lieder, München 1591 an Karl von Burgau; Christian Erbach (1570 – 1635), Modorum sacrorum sive cantionum liber secundus, Augsburg 1604 an Markus Welser d.J.; Adam Gumpelzhaimer (1559 – 1625), Sacrorum concentuum liber secundus, Augsburg 1614 an Markus Welser d. J.; Adam Gumpelzhaimer, Compendium musicae latino-germanicum, Erfurt 1655 an Wolfgang Leonhard Welser; Widmungssteller dieser Auflage ist der Augsburger Buchhändler Johannes Weh. Diesen in der Literatur bekannten Welser’schen Widmungsdrucken lässt sich außerdem folgender Titel hinzufügen: Gregor Aichinger (1564 – 1628), Sacrae Dei laudes, Augsburg 1609, an Markus Welser d.J. gemeinsam mit Johann Jakob Rembolt. Welser verfasste auch einen Klagedialog zwischen der Gottesmutter und dem Jünger Johannes bei der Kreuzabnahme, den Aichinger vertonte: Lacrumae D.Virginis et Joannis, Augsburg 1604, vgl. Bilmayer-Frank, Gedruckte Musikalienwidmungen, 165 f. 11 Eine Aufstellung mit 23 bis dato bekannten Titeln findet sich hier: Bilmayer-Frank, Gedruckte Musikalienwidmungen, 127– 129. 12 Aus dem Rahmen fällt in erster Linie die Widmung eines Drucks durch den Antwerpener Verleger Hubert Waelrant an Markus Welser. Der Innsbrucker Kapellmeister Jakob Regnart, auf den die Widmung an Karl von Burgau zurückgeht, pflegte auch Kontakte zu den Fuggern. Vgl. seinen Widmungsdruck Aliquot cantiones (Nürnberg 1577) an Victor August Fugger (1547– 1586).

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Untersuchungen zum spezifisch musikalischen Mäzenatentum¹³ hier wie auch bezüglich der erwähnten Augsburger Patrizier-Familien noch ausstehen. Die 48 Fugger-Musikdrucke sind über insgesamt drei Generationen hinweg verteilt. Die früheste bekannte Musikalien-Widmung stammt aus dem Jahr 1545: Sigmund Salminger eignet Hans Jakob Fugger (1516 – 1575) eine Zusammenstellung mehrstimmiger Gesänge zu (‚Cantiones septem, sex et quinque vocum‘, Augsburg 1545). Der ‚Mazzo d’harmonici fiori‘ (Venedig 1628) von Barnaba Milleville (1577– 1643), Franz Fugger (1607– 1639) gewidmet, bildet den zeitlichen Schlusspunkt derjenigen bis dato bekannten Widmungsdrucke¹⁴, die sich unter musikalischen Gesichtspunkten betrachtet der Renaissance zurechnen lassen. Die Musikalienwidmungen können durchaus als Resonanz und somit als Zeugen des Fugger’schen Mäzenatentums verstanden werden, doch ist ebenfalls festzuhalten, dass sie mit einer gewissen Verzögerung einsetzten, waren einzelne Familienmitglieder doch bereits ein halbes Jahrhundert zuvor musikalisch aktiv: Während die Musikalienwidmungen erst seit der Generation Hans Jakob Fuggers (1516 – 1575) überliefert sind, tat sich zuvor bereits sein Großonkel Jakob der Reiche als Stifter von Orgeln und Organistenstellen¹⁵ hervor und pflegte darüber hinaus Kontakte mit Musikern wie dem ehemals kaiserlichen Hoforganisten Paul Hofhaimer (1459 – 1537), einem der bedeutendsten Musiker seiner Zeit¹⁶. Auf Hans Jakobs Vater Raymund Fugger (1489 – 1535) geht eine der wichtigsten Musikinstrumentensammlungen der Zeit zurück¹⁷. Unter den Widmungsträgern finden sich Hans Jakob Fuggers Cousins aus der Antonius-Linie, deren Verbindungen zur Bayerischen Hofkapelle sich auch in den Musikalienwidmungen niederschlugen. In der folgenden Generation ist es vor allem Jakob Fugger (1567– 1626), Fürstbischof von Konstanz, dem zahlreiche Musikdrucke zugeeignet werden, aber auch seine Brüder Markus (1564 – 1614) und Christoph (1566 – 1615) und

13 Eine nicht auf die Widmungen fokussierte, sondern allgemeiner angelegte Vergleichsanalyse älteren Datums findet sich bereits bei Pölnitz, Fugger und Medici (1942). Vgl. auch Johann, Cosimo I. de Medici, Anton Fugger (2012). 14 Erst aus dem 18. Jahrhundert sind – zwar keine umfangreichen Widmungsdrucke, wohl aber – vereinzelte Widmungskompositionen überliefert. Robert Münster zählt etwa folgende Werke auf: Fortunat Cavallo (1738 – 1801), Widmung einer ‚Missa in D‘ an Anselm Victorian Graf Fugger von Babenhausen; Aloys Loeffler, Widmung einer ‚Sinfonie in C-Dur‘ an Fürst Anselm Maria; P. Theodor Clarer (1766 – 1820), ‚Geburtstagskantate‘ für ds.; Joseph Anton Angeber (1771 – 1833), ‚Messe in F-Dur‘ für ds., vgl. Münster, Die ehemalige Musiksammlung der Fürsten Fugger von Babenhausen, XXXIII. Die einzige Widmung eines Musikaliendrucks aus dem späten 17. Jahrhundert stammt von Johann Melchior Caesar, Mus. WendUnmuth, Augsburg 1688, gewidmet an Johann Rudolph Fugger. Vgl. Haberkamp [u. a.], Die Musikhandschriften, XXXIII. 15 Eine Übersichtsdarstellung der Fugger’schen Orgelstiftungen findet sich hier: Bilmayer-Frank, Gedruckte Musikalienwidmungen, 12 f. 16 Die Annahme, Jakob Fugger habe ihn ferner als Organist bei St. Anna bestallt, lässt sich anhand neuer Forschungsergebnisse Günther Grünsteudels nicht länger aufrechterhalten, vgl. Gründsteudel, Cantate Domino canticum novum. 17 Vgl. Tremmel, Musikinstrumente im Hause Fugger, 65.

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sein Cousin Octavianus Secundus (1549 – 1600) sind zu nennen. In der folgenden Generation (geboren zwischen 1581 und 1607) versiegt die Tradition allmählich¹⁸.

2 Auctoritas und die leidige Frage nach dem Geld Musikalienwidmungen lediglich als Zeugen des Mäzenatums zu verstehen, greift zu kurz: Darüber hinaus waren sie in der frühen Neuzeit ein wichtiger kulturpolitischer Parameter und wohl eine härtere Währung als die eingangs beschriebenen Beispiele. Ihre spezielle Funktionsweise lässt sich nur vor dem Hintergrund ihrer Einbindung in das wechselseitige Beziehungsgeflecht von Autor, Adressat und Öffentlichkeit verstehen¹⁹. Autor und Adressat statten sich Karl Enenkel zufolge über diese Art der Beziehungsaufnahme gegenseitig mit einer Autorität aus, die den etymologischen Ursprung des Begriffs betont: „It is the dedicatee who provides the author with authority. […] Without a dedicatee, a work does not have any auctoritas; without auctoritas there is no authorship“²⁰. Dass diese Autorisierung zwar unterschiedlich stark in die eine oder andere Richtung ausschlagen kann, immer aber eine gegenseitige ist, wird in zeitgenössischen Fallbeispielen deutlich²¹. Allgemein lässt sich aber festhalten: Je niedriger der gesellschaftliche Rang des Komponisten, umso stärker kommt die Autorisierung durch den Widmungsempfänger zum Tragen. Ist der Komponist dagegen selbst eine berühmte Persönlichkeit, kann sich das Verhältnis auch ins Gegenteil verkehren. So diente es sicherlich dem guten Ruf der Fugger als musikverständige Mäzene, wenn sie mit so berühmten Musikern wie beispielsweise Giovanni Gabrieli²² oder dem eingangs erwähnten Orlando di Lasso in Austausch standen. Letztlich stellt sich im Kontext dieser Widmungsdrucke dennoch die Frage nach einer finanziellen Erwartungshaltung seitens der Widmungssteller. Inwiefern waren die Adressaten an den Druckkosten beteiligt? In der Literatur wird dieser Umstand zwar gelegentlich vorausgesetzt²³, im Falle der Fugger’schen Widmungsdrucke ist die Frage

18 Insgesamt sechs Widmungen sind aus dem Zeitraum zwischen 1608 und 1628 bekannt, wobei die Hälfte auf den Komponisten Gregor Aichinger (1564 – 1628) zurückgeht, der mit der Familie über lange Zeit eng befreundet war. Vgl. Bilmayer-Frank, ‚Illustri ac Generoso Domino‘, 50 – 59. Ergänzend dazu mit einem anderen biographischen Schwerpunkt: Batz, Gregor Aichinger, 23 – 49. 19 Vgl. Plebuch, Veräußerte Musik – Öffentlichkeit und Musikalienmarkt, 143. 20 Enenkel, Reciprocal authorisation, 40. Enenkels Aufsatz befasst sich nicht mit Musikalienwidmungen, sondern mit Widmungsvorreden zu frühneuzeitlichen Texten über die römischen Antike, doch lässt sich sein Ansatz gut übertragen. 21 Lassos Veröffentlichung seiner Wilhelm V. gewidmeten ‚Moduli quinis vocibus‘ in Paris sieht Nele Gabriëls beispielsweise als „a clever form of political propaganda for the Wittelsbach court in a foreign country“, Gabriëls, Reading (Between) the Lines, 76. 22 Giovanni Gabrieli (1532/33 – 1585) war Organist an San Marco Venedig und ein überaus renommierter Komponist seiner Zeit. 23 Im Fugger-Artikel der alten Ausgabe von Musik in Geschichte und Gegenwart ist z. B. von Sigmund Salmingers Verbindung zu den Fuggern die Rede, „die wohl den Druck seiner Motettenslgn. von 1545 und

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Abb. 1: Hans Leo Haßler, Madrigali, Augsburg 1595, S. XXX aus dem Tenor-Stimmbuch. Das Stück ‚Donna de miei pensieri‘ ist wohl zur Hochzeit Christoph Fuggers (1566 – 1615) mit Maria von Schwarzenberg (1572 – 1622) entstanden. Einen Hinweis liefert der Text: Darin sind die Brautleute namentlich genannt.

1548 finanzierten“. Schmid, Fugger, 1119. Boris Voigt vermutet aufgrund der Dedikation, Hans Fugger habe Luythons Druck von 1582 finanziert, vgl. Voigt, Memoria, Macht, Musik, 335. Da keine Quellen zitiert werden, stützen sich diese Äußerungen wohl auf die bloße Annahme, der Adressat einer Musikalienwidmung sei zwangsläufig auch mit der Finanzierung betraut.

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jedoch nicht eindeutig zu beantworten, zumal über die Druckkosten von Musikalien im 16. Jahrhundert insgesamt wenig bekannt ist und vergleichende Untersuchungen dazu fehlen. Je nach Auflagezahlen, Ausstattung der Drucke und dem verwendeten Material konnten die Kosten stark variieren²⁴. Beispielhaft sei auf den Einzelfall eines undatierten Briefes des Musikers Raymund Ballestra (nach 1550 – 1634) an seinem Dienstherren Erzherzog Ferdinand II. (1529 – 1595) verwiesen, in dem er diesem für seine Einwilligung dankt, ein ihm „jüngsthin vndterthängist offeriertes Munusculum […] in Druckh aussgeen zulassen“. Für die Finanzierung der Drucklegung bittet er nun um die zuvor offenbar zugesagte „gnadengab der 200 Taller“²⁵. Nachdem sein Anliegen mit Schreiben vom 1. Februar 1611 zunächst abgelehnt wurde, wandte sich Ballestra an Ferdinands Bruder Maximilian Ernst und erinnerte daran, dass „Ihr Frstl. Durchl. mir ein genedigste Geldhülff raichen wolte“. Er bat darum, ihm wenigstens einen Lohnvorschuss zu gewähren, um die „Vncosten der Druckherey dauon zuerledigen“²⁶. Tatsächlich wurden ihm „6 Monat Soldt“, einem Gegenwert von 120 fl. entsprechend, für die Drucklegung seiner ‚Sacrae Symphoniae‘ gewährt²⁷. Die spärlichen Einträge in den Fugger’schen Rechnungsbüchern lassen dagegen keine Rückschlüsse auf die konkrete Finanzierung einer Drucklegung zu, liefern aber Hinweise allgemeinerer Art: So sind in Octavian Secundus’ Hauptbuch beispielsweise die Kosten für das Binden von handschriftlichen Gesangsbüchern vermerkt, die mit einem Gulden zu Buche schlugen²⁸. In einem anderen Fall sind in der Buchhaltung Markus Fuggers (1564 – 1614) Ausgaben für eine Reihe von Kompositionen verschiedener Musiker vermerkt. Zwar fällt auf, dass es sich dabei – mit einer Ausnahme – ausschließlich um Komponisten handelt, die den Fuggern Musikdrucke widmeten, doch gehen die Zahlungen allesamt an den zeitweise in Fugger’schen Diensten stehenden Musiker und Komponisten Christian Erbach (um 1570 – 1635)²⁹. Auch die Höhe der Beträge lässt den Schluss zu, dass es sich hier nicht um die finanzielle Würdigung von

24 Überlegungen zu den nur bedingt vergleichbaren Herstellungskosten und Auflagezahlen liturgischer Musikbücher stellt beispielsweise Andrea Lindmayr-Brandl an, wenngleich sie ebenfalls das Fehlen von Vergleichszahlen beklagt: Lindmayr-Brandl, Früher Notendruck in deutschsprachigen Ländern, 68. 25 Undatiert, StLA, HK 1611¯Feber¯17, zit. nach Federhofer, Eine neue Quelle der musica reservata, 33. 26 Ebd., 34. 27 Federhofer, Eine neue Quelle der musica reservata, 34. 28 FA 1.1.10, fol. 351r, Hauptbuch aller Ausgaben Ocatvian Secundus Fuggers, 1583 – 1590. Möglicherweise sind Haßlers ‚Cantiones sacrae‘ gemeint, die er im Folgejahr veröffentlicht und Octavian Secundus zueignet. Allerdings ist wenige Monate später ein ähnlicher Eintrag zu finden, wenngleich hier nicht ausdrücklich betont wird, dass es sich um Eigenkompositionen Haßlers handelt („dem Haßler gesangbüecher ainzebinden zalt“), FA 1.1.10, fol. 370v. Ein ähnlicher Fall ist auch in den Büchern Markus Fuggers (1564 – 1614) vermerkt: „Antoni Streiten buchbindern von Gesangbüecher einzubinden bezallt laut Zetls fl 24/12“, FA 21.6d, fol. 87r, Augsburgische Rechnung Marx Fuggers, 1605. 29 Christian Erbach war zeitweise bei Markus Fugger (1564 – 1614) angestellt, wie sich anhand quartalsmäßiger Besoldungsvermerke nachvollziehen lässt, beispielhaft für das Jahr 1605 vgl. FA 21.6d, fol. 111r-112v, Augsburgische Rechnung Marx Fuggers, 1605.

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Widmungsdrucken handelt, sondern dass Erbach hier lediglich die entsprechenden Musikstücke für den Haushalt Markus Fuggers besorgt hatte³⁰. In einigen Fällen sind zudem Gnadengaben verzeichnet für Widmungen, deren Beträge aber keinesfalls einer Druckkostenübernahme gleichkommen: Gregor Aichinger bekam von Markus Fugger „wegen etlicher dedicirten gesang büecher verehrt fl 7/30“.³¹ Von dem Krainer Schulmeister Caspar Baur erhielt Octavianus Secundus ‚Teutsche Carmina‘, die er mit vier Gulden belohnte³². Ob diese Gesänge in Druck erschienen sind, bleibt fraglich. In diesem Kontext erscheint auch ein Brief Hans Fuggers (1531 – 1598) vom 21.11.1582 an Gabriel Geizkofler von Interesse, der sich konkret auf den Widmungsdruck ‚primo libro de madrigali‘ (1582) von Carl Luython bezieht. Fugger unterrichtet Geizkofler, seinen geschäftlichen Vertreter am Wiener Hof, von der Widmung des kaiserlichen Kammerorganisten Luython und bittet ihn um die Abwicklung der finanziellen Entlohnung. Im Wortlaut schreibt Fugger: Es hat mir der Rö. Kai. Mt. Cammer Organist Carlo Luyton etliche Madrigale dediciert, die er in Truckh hat ußgeen lassen, wellen In von meiner wegen fl 25 dafür verehren und fest dancken, Mich darneben entschuldigen das Ich im selbst nit schreib, denn Ich seie Inn der Italienischen sprach nit fest geibt, Ich vermeint sonst, er sollen derhalben meinen vetter Jörgen von Montfort anwenden und bis erhalts hierim gebrauchen, damit ich der sachen nit zuvil und nit zu wenig thet, sondern mit seinem bedenken, das recht mittel tref, und seit damit Gott bevohlen.³³

Geizkofler solle sich also vor Auszahlung der 25 Gulden bei Hans‘ Neffen Jörg von Montfort, Kämmerer Kaiser Rudolfs II.,³⁴ erkundigen, ob der Betrag angemessen sei. Offenbar unterlag die finanzielle Abgeltung von Musikalienwidmungen nicht allzu routinierten Konventionen. Immerhin hatte Fugger bereits vor Luythons Widmung zwei Drucke zugeeignet bekommen. Einer Finanzierung des Drucks wird der Betrag wohl nicht gerecht, bedenkt man die von Ballestra angesprochenen, wenngleich vermutlich übertrieben hoch angegebenen Unkosten einer Drucklegung. Eine volle Kostenübernahme durch den Widmungsträger war wohl keinesfalls die Regel. Die ‚Währung‘ Widmungsvorrede muss neben dem Prestige, das wie oben beschrieben im Idealfall für beide Seiten einen Zugewinn bedeutete, und der eher als zweitrangig einzustufenden

30 Unter FA 21.6d, fol. 84r, Augsburgische Rechnung Marx Fuggers, 1605, ist folgender Eintrag vermerkt: „Christiano Erbach vmb volgende gesang bezallt: Miserere Gregor Aichingeri folio fl 40 | Missae Regnardi fol fl 50 | Magnificat Aichingeri 4fo fl 20 | Symphoniae Hasleri pars pr[im]a et s[ecund]a fl 3/48 | Li cento Coacetti dell Viadana fl 1/30 | Hymni d’Horatio Vecchi fl 30 | Magnificat Orlandi in folio fl 30“. Auf der folgenden Seite ist zudem vermerkt: „von solchen gesangen einzubinden fl 3/36 | vmb 200 Exemplar der gesang, so zu der procession am hayligen Carfreytag gesungen worden fl 7/12“. 31 FA 21.6e., fol. 120. Der Eintrag stammt vom Juni 1606 und bezieht sich möglicherweise auf die Sammlung ‚Solennia Augustissimi Corporis‘ von 1606. 32 FA 1. 1. 10, fol. 276v, Hauptbuch aller Ausgaben Octavian Secundus Fuggers, 1583 – 1590. 33 FA 1.2.12a, fol. 45, Kopierbücher Hans Fuggers, 1582 – 1583. 34 Zu Montforts Karriere in kaiserlichen Diensten vgl. Dauser, Informationskultur und Beziehungswissen, 341 – 345, zum Kämmereramt 344.

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finanziellen Unterstützung durch die Adressaten für die Musiker mit der Aussicht auf weitere Vorteile verbunden gewesen sein.

3 Auf der Höhe der Zeit: Die Vorteile einer Anstellung bei den Fuggern Welcher Parameter machte die Fugger als Adressaten dermaßen attraktiv, dass sich damit die außerordentliche Zahl an Musikalienwidmungen erklären ließe? Im Idealfall eröffnete sich für die Musiker die Möglichkeit einer Anstellung in Fugger‘schen Diensten oder andernorts. In beiden Fällen profitierten die Musiker dabei von den Vorteilen, die das (internationale) Netzwerk der Fugger mit sich brachte. Verschiedene Familienmitglieder beschäftigten Musiker, teilweise darf sogar von regelrechten Privat-Ensembles ausgegangen werden³⁵, wie sie ansonsten nur an Adelshöfen die Regel waren. Es sei hier beispielhaft auf Octavianus Secundus Fugger verwiesen, in dessen Büchern regelmäßige Gehaltszahlungen an verschiedene Musiker verzeichnet sind³⁶. Der bekannteste Name darunter ist Hans Leo Haßler (1564 – 1612), dessen langjährige Anstellung auch aus seinen beiden Widmungsvorreden aus den Jahren 1591 und 1599 hervorgeht³⁷. Zu bestimmten Anlässen³⁸ wurden zudem Musiker eigens gebucht: So hat beispielsweise Melchior Neusidler bei Octavianus Secundus Fugger mehrfach mit seinem Instrument „bey der Tafl gedient“³⁹. Anlässlich einer „Gastung“ im Februar 1583 spielten die Dommusiker⁴⁰ und verschiedentlich ist von der Entlohnung von Spielleuten die Rede, etwa anlässlich der Martinsnacht desselben Jahres⁴¹. Auch finanzierten die Fugger an Augsburger Kirchen nicht nur Orgeln, sondern auch Organistenstellen und gewährleisteten so die musikalisch angemessene Feier der katholischen Messe im bikonfessionellen Augsburg. Am Engagement verschiedener Familienmitglieder zeigt sich, dass die Auseinandersetzungen im Zuge der Gegenre-

35 In den Zahlbüchern Octavianus Secundus Fuggers ist von „Herrn Jacoben Fuggers Music“ die Rede, die anlässlich eines Banketts im Juli 1583 gespielt hatte (FA 1.1.10, fol. 28r). Nähere Informationen zur Größe des Ensembles oder den Musikern sind nicht angegeben. Auch auf die Privat-Kapelle Hans Jakob Fuggers wird in der Literatur häufig verwiesen. Z. B. bei Layer im Zusammenhang mit einem Austausch der Fugger‘schen mit der Bayerischen Kapelle. Vgl. Layer, Musik und Musiker der Fuggerzeit, 22. 36 Neben Hans Leo Haßler erhielten Hans Jakob Drexel und Nikolaus Zängel regelmäßiges Gehalt. Für die Jahre 1587 bis 1590 lässt sich dies am Beispiel Haßlers hier nachvollziehen: FA 1.1.10., fol. 239r, 261r, 301v, 327r, 355r, 378r. 37 Haßler, Cantiones sacrae, Augsburg 1591 und Missae quaternis, Augburg 1599, beide an Octavianus Secundus gewidmet. 38 Vgl. dazu Koutná-Karg, Feste und Feiern der Fugger im 16. Jahrhundert. 39 FA 1.1.10, fol. 34r, Hauptbuch aller Ausgaben Octavian Secundus Fuggers, 1583 – 1590 (und weitere Beispiele in diesem Faszikel). 40 „Als mein Gg. Herr ain gastung gehalten, der Music von vnßer frawen aus bewelch meins Gg. Herrn verehrt 20 fl.“, FA 1.1.10, fol. 59v, Hauptbuch aller Ausgaben Octavian Secundus Fuggers, 1583 – 1590. 41 FA 1.1.10, fol. 40v, Hauptbuch aller Ausgaben Octavian Secundus Fuggers, 1583 – 1590.

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formation nicht zuletzt auch mit musikalischen Mitteln ausgetragen wurden⁴². Als besonders interessant erweist sich wiederum der Fall Hans Leo Haßlers, der trotz seiner protestantischen Gesinnung von Jakob Fugger (1542 – 1598) mit dem Orgeldienst bei St. Moritz betraut wurde, obwohl der Posten laut Widmungsbrief einem „tauglichen (so der wahren Römischen Catholischen Religion sein soll) Organisten“⁴³ vorbehalten sein sollte. Neben regelmäßigem Gehalt barg der Dienst bei den Fuggern einen weiteren Vorteil: ihr Interesse an italienischer Musik. Dass dieser Aspekt für viele der mit den Fuggern in Kontakt stehenden Komponisten eine Rolle spielte, zeigt sich auch in den Widmungsdrucken, die in einigen Fällen in ihrer musikalischen Ausgestaltung hierauf Bezug nehmen⁴⁴. Gelegentlich wird dies auch in den Vorreden der Drucke thematisiert, so etwa von Gregorio Turini (ca. 1560 – ca. 1600), der ausdrücklich die Orientierung am italienischen Vorbild hervorhebt, wenn er in Hinblick auf seine ‚Neuen lieblichen teutschen Lieder‘ von 1590 darauf verweist, dass diese „auff ein neue und schier Villanellen art“ ⁴⁵ gemacht seien. Hans Leos Bruder Caspar Haßler (1562 – 1618), der im Widmungsdruck an Octavianus Secundus Fugger als Herausgeber auftritt, betont gleich zu Beginn seiner Vorrede, dass die zusammengestellten Stücke teils deutscher, teils italienischer Provenienz seien⁴⁶. Giovanni Gabrieli (1554/57– 1612) schließlich, der als Dom-Organist von San Marco in Venedig gleichsam im Zentrum der zeitgenössischen Musikpflege wirkte, versichert in seiner an Jakob Fugger adressierten Vorrede, die ausgewählten Stücke entsprächen dem aktuell gebräuchlichen Stil⁴⁷. Die Musiker profitierten aber auch ganz konkret von der Fugger’schen italianità. So sind mehrere Fälle nachweisbar, in denen Musiker auf Kosten der Fugger nach Italien geschickt wurden, um den führenden Musikstil⁴⁸ der Zeit vor Ort zu studieren und schließlich bei ihrer Rückkehr mit nach Augsburg zu bringen. Diese Praxis des „Kulturimports“⁴⁹ praktizierten die Fugger bereits erfolgreich in den Bereichen Kunst und Architektur. Auf die Idee, dies auch auf die Musik zu übertragen, brachte sie möglicherweise Hans Leo Haßler, der in Venedig bei dem berühmten Andrea Gabrieli (1532/33 –

42 Vgl. dazu Bilmayer-Frank, Konfessionelle Positionierung durch Musik und ihre Grenzen. 43 SA A, KWA B816, zit. nach Fisher, Music and Religious Identity, 127. 44 Eine ausführliche Aufarbeitung dieses Aspekts findet sich im Kapitel zu den italienischen Einflüssen in den Fugger’schen Widmungsdrucken: Bilmayer-Frank, Gedruckte Musikalienwidmungen, 143 – 151. 45 Gregorio Turini, Neue liebliche Teutsche Lieder, Nürnberg 1590. 46 „[…] partim in Italia, partim in Germania nostra lucem aspexerunt.“ Vorrede zu Caspar Haßler, Sacrae symphoniae, Nürnberg 1598. 47 „Haveva esso ridotto à copita perfettione varij bellissimi Concerti, Dialoghi, & altre Musiche proportionate à voci, & Stromenti, come hoggidì s’usa nelle principal Chiese de Principi, & nelle Academie Illustri;“ Vorrede zu Giovanni Gabrieli, Concerti di Andrea et di Gio[vanni] Gabrieli, Venedig 1587. 48 Zu den vielgestaltigen Ausprägungen der italienischen Musik der Fugger-Zeit vgl. beispielsweise: Leopold, eine musikalische Geographie Italiens um 1600. 49 Wölfle, Die Kunstpatronage der Fugger, 247.

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1585) studiert hatte, ehe er in Augsburg in Fugger’sche Dienste trat⁵⁰. Es erscheint auch die Annahme nicht abwegig, dass diese Ausbildung in Italien das ausschlaggebende Kriterium bei seiner Einstellung gewesen war. Mit Andrea Gabrielis Neffen Giovanni (1554/57– 1612) waren offenbar mehrere Mitglieder der Fuggerfamilie bestens bekannt⁵¹ und in der Folge schickten die Fugger in mehreren Fällen ihre Musiker zur Ausbildung nach Venedig. Belegen lässt sich dies für Nikolaus Zängel⁵², Gregor Aichinger und Hans Leos und Caspars Bruder Jakob Haßler⁵³. Zängel erhielt außerdem nach seiner Rückkehr nach Augsburg regelmäßigen Orgelunterricht⁵⁴. Sein Dienstherr Octavianus Secundus Fugger investierte also nachhaltig in seine musikalische Ausbildung. Als sehr wahrscheinlich darf ein Auslands-Stipendium auch für den oben genannten Raymund Ballestra gelten⁵⁵. Im Falle des Lautenisten Melchior Neusidler (ca. 1531 – ca. 1591) lässt sich zwar der Italienaufenthalt⁵⁶, nicht aber die Fugger‘sche Finanzierung nachweisen. In der Literatur finden sich weitere mutmaßliche Beispiele, deren Quellenbeweis aber noch aussteht⁵⁷. Nichtsdestotrotz kann mit Blick auf die bestätigten Fälle, in denen die Fugger Italienreisen ihrer Musiker finanzierten, von einer regelrechten Ausbildungsstrategie gesprochen werden. Die Fugger leisteten auf diese Weise nicht zuletzt einen großen Beitrag bei der Verbreitung der italienischen Musik nördlich der Alpen.

4 Die Fugger als Musikagenten Auch nicht unmittelbar in Fugger’schen Diensten stehende Musiker profitierten unter Umständen von der Patronage einzelner Familienmitglieder. Umfassend aufgezeigt hat Horst Leuchtmann dies am Beispiel Orlando di Lassos, der auf Vermittlung Hans Jakob

50 Zur Biographie Haßlers vgl. in Ermangelung einer umfassenden Monographie nach wie vor die einschlägigen Lexikon-Artikel, so beispielsweise in der MGG: Krones, Haßler. 51 Auch zwei Widmungsdrucke bezeugen dies: Giovanni Gabrieli, Concerti di Andrea et di Gio[vanni] Gabrieli, Venedig 1587 gewidmet Jakob Fugger und Sacrae Symphoniae, Venedig 1597 gewidmet Georg, Anton, Philipp und Albrecht Fugger. 52 Vgl. den Brief Zängels aus Rom an Octavianus Secundus Fugger vom 23. März 1585, FA 1.1.8b, Octavian Secundus Fugger, Korrespondenzen. 53 Die Reisen Aichingers und Jakob Haßlers gehen jeweils aus deren Widmungsvorreden hervor: Gregor Aichinger, Sacrae cantiones, Venedig 1590 an Jakob Fugger und Jakob Haßler, Madrigali à sei voci, Nürnberg 1600 an Christoph Fugger. 54 Zängel scheint im Herbst 1585 aus Venedig zurückkehrt zu sein, wie ein Eintrag aus dem Hauptbuch seines Dienstherren Octavianus Secundus Fugger nahelegt, vgl. FA 1.1.10, fol. 130v. In der Folge sind Zahlungen an Abel Prasch verzeichnet, der Zängel unterrichtet hat, vgl. FA 1.1.10, fol. 137v und 159r. 55 Ballestra bezeichnete sich in seinen Briefen selbst als Fugger-Stipendiat (Steiermärkisches Landesarchiv Graz K.H.1614-VI-23) und verweist an anderer Stelle auf seine Ausbildung in Italien (Ebd., H.K., 23VII-160). 56 Weseley, Zur Lebensgeschichte von Melchior Neusidler, 32. 57 Vermutungen bestehen zu den Komponisten Hieronymus Bildstein (vgl. Schuler, Die Bischöfe und die Musik, S. 243) und Adam Gumpelzhaimer (vgl. Mayr,VW zu Adam Gumpelzhaimer – Ausgewählte Werke, XI).

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Abb. 2: Philipp de Monte, Kupferstich von Nicolas de Larmessin (17. Jhd.).

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Fuggers an den Hof Albrechts V. von Bayern gelangte und dort bis zu seinem Tod blieb⁵⁸. Diese Lebensstellung, von Hans Jakob Fugger vermittelt, sollte den Rahmen bilden für das musikalischen Schaffen eines der wichtigsten Komponisten der frühen Neuzeit. Fugger hatte dem Reichsvizekanzler Georg Sigmund Seld eine Komposition Lassos geschickt, mit einer ausdrücklichen Empfehlung. Seld wiederum war vom bayerischen Herzog mit dem Auftrag betraut worden, niederländische Musiker und Sänger für die bayerische Hofkapelle anzuwerben. Denkbar wäre, dass auch Hans Jakob Fuggers Cousin Hans Fugger (1531 – 1598) diesen Kontakt am bayerischen Hof nutzte, um den späteren kaiserlichen Hofkapellmeister Philipp de Monte (1521 – 1603, vgl. Abb. 2) für einen Posten ins Spiel zu bringen. De Monte jedenfalls dankte Hans Fugger in seiner Vorrede ausdrücklich für Gefälligkeiten, die Fugger ihm in den Jahren 1554 und 1555 in Antwerpen erwiesen habe⁵⁹. Der Flame de Monte hatte zu diesem Zeitpunkt, wie auch Orlando di Lasso, seinen Lebensmittelpunkt in Antwerpen. Ob er mit seiner Danksagung tatsächlich auf eine Vermittlung Fuggers an Seld abzielte, lässt sich nur mutmaßen. Tatsächlich verfasste Seld 1555 ein Empfehlungsschreiben an Herzog Albrecht V., in dem er de Montes musikalische Fähigkeiten rühmte⁶⁰. Neben der Jahreszahl passt auch der Umstand ins Bild, dass Hans Fugger und Seld miteinander persönlich bekannt waren⁶¹. Es wäre also vorstellbar, dass Fugger und Seld sich über de Monte austauschten und es so zu Selds Empfehlungsschreiben kam. Diese Überlegungen lassen sich anhand der bisher bekannten Quellen jedoch nicht nachvollziehen. Auch zog das Schreiben Selds für de Monte bekanntlich nicht die beabsichtigte Folge, nämlich eine Anstellung am bayerischen Hof, wie sie Lasso zuteilwurde, nach sich. Möglicherweise bezog sich de Monte also allgemein auf Fuggers Unterstützung während seines Antwerpen-Aufenthalts. De Montes Kontakt zu Hans Fugger brach indes nicht ab: Nicht zuletzt die Reichstage, die de Monte in seiner späteren Funktion als kaiserlicher Hofkapellmeister besuchte, boten Gelegenheit zum Austausch⁶² und nach wie vor konnte er vom Netzwerk Fuggers profitieren. Konkret überliefert ist beispielsweise die Vermittlung eines Musikinstruments an den Wiener Hof auf Bestellung de Montes, die Fugger über den bereits erwähnten Faktor Gabriel Geizkofler abgewickelt hatte⁶³. Die Korrespondenz Hans Fuggers liefert zahlreiche Beispiele für Instrumentenkäufe und die Vermittlung von

58 Konkret lässt sich Fuggers Vermittlertätigkeit anhand zweier Briefe nachvollziehen, die Leuchtmann zitiert: Leuchtmann, Orlando di Lasso 1, 99 – 101. 59 „La molto humanità mostratami da Vostra Sig. molto Illustre, & in Anuersa gli anni 1554, & 55 […]“, im Widmungsbrief an Hans Fugger, vgl. Philipp de Monte, Madrigali spirituali, Venedig 1583. 60 Seld schreibt über de Monte er sei „ain stiller, eingezogner, züchtiger mensch wie ain junckfraw. […] Vnd ist sonst on alles widersprechen der best Componist der In disem gantzen land ist fürnemlich auf die new art, vnd musica reseruata,“ zit. nach Leuchtmann, Orlando di Lasso 1, 305 f. 61 Seld unterrichtete ab 1537 Hans und dessen Brüder als Privatlehrer. Vgl. Häberlein, Fugger, 98. 62 Vgl. dazu Kelber, Die Musik bei den Augsburger Reichstagen, insbesondere das Kapitel „Die Fugger, der Reichstag und der Kaiser“, 255 – 288. 63 FA 1.2.13 H. 53.

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Musikern⁶⁴. Einzuordnen sind diese Aktivitäten nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Bemühungen verschiedener europäischer Höfe, Sänger aus den Niederlanden anzuwerben⁶⁵. Das Fugger’sche Netzwerk ist somit eingebettet in ein weiter gespanntes Vermittlungsnetzwerk, dessen Fäden insbesondere auch an die Adelshöfe führte. Der Austausch mit dem Hof Herzog Albrechts V. in München beispielsweise sorgte im Falle Hans Jakob Fuggers nach seinem Bankrott und dem Ausscheiden aus dem Familienunternehmen für dessen dortige Anstellung auch in musikbezogener Funktion, in der Literatur häufig als „Musikintendanz“ bezeichnet⁶⁶. „Erstmals wird erkennbar, daß ein Mitglied der Familie weit von Augsburg entfernt auch in musikalischer Hinsicht den Standortvorteil ausschöpft, den diese aufgrund ihrer Handelsbeziehungen hat“⁶⁷, stellt etwa Konrad Küster dazu fest. Neben der Sammeltätigkeit, den Orgelstiftungen und den mäzenatischen Beziehungen zu Musikern institutionalisierte Hans Jakob Fugger damit ein weiteres musikalisches Handlungsfeld der Familie und stärkte so nicht zuletzt Position und Renommée der Fugger gegenüber den mit ihnen in Beziehung stehenden Höfen. Die eingangs mit Bezug auf die Widmungsdrucke als dem äußeren Zeichen des Fugger’schen Mäzenatentums konstatierte herausragende Position der Familie Fugger lässt sich weiter gefasst auf dieses vielseitige musikalische Engagement übertragen. Die Suche nach vergleichbaren Personenkreisen führt unweigerlich an die Fürstenhöfe der Zeit. Analogien äußern sich auch in nachgeordneten Bereichen wie etwa in den beschriebenen Ausbildungsstrategien, der Unterhaltung eigener Musikensembles und nicht zuletzt der sich auch musikalisch manifestierenden Italienbegeisterung. Das musikalische Wirken der Fugger im Allgemeinen und ihr Mäzenatentum im Besonderen sind deshalb gleichermaßen Triebfeder und Ergebnis des gesellschaftlichen Aufstieges, der für die Fugger’sche Familie im untersuchten Zeitraum festzustellen ist.

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Hans Leo Haßler, Madrigali, Augsburg 1595, S. XXX aus dem Tenor-Stimmbuch. Bayerische Staatsbibliothek, 4Mus.pr. 2724#Beibd. 3, https://stimmbuecher.digitale-sammlungen.de/view? id=bsb00080454 (letzter Zugriff 03. 04. 2023).

64 Einen umfassenden Überblick zu Fuggers Korrespondenznetz insgesamt bietet Dauser, Informationskultur und Beziehungswesen. In Regesten aufgearbeitet finden sich (auch die musikalischen) Inhalte bei: Karnehm, Die Korrespondenz Hans Fuggers, siehe dort die einschlägigen Registereinträge. Erwähnt wird beispielsweise die Bestellung eines Musikautomaten durch Maria von Bayern (1551 – 1606), Erzherzogin am Hof in Graz, bei Hans Fugger, den dieser beim Augsburger Uhrenmacher Johann Schlotthammer beschaffen sollte. Siehe Regeste 2640. Vgl. dazu FA 1.2.13, Kopierbücher Hans Fuggers, 1584. 65 Für den Münchner Hof im Besonderen vgl. Vendrix, Die Münchner Versuchung. 66 Vgl. z. B. Küster, Die Beziehungen der Fugger, 84. 67 Küster, Die Beziehungen der Fugger, 84.

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Abb. 2: Philipp de Monte, Kupferstich von Nicolas de Larmessin (17. Jhd.): Bibliothèque Nationale de France, département Musique, Est.MonteP.de001, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8422752c.r=Philippe%20de%20MOnte?rk=64378;0 (letzter Zugriff 03. 04. 2023).

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III ‚Investitionsräume‘ zwischen Stadt und Land

Emanuel Lechenmayr

Die Münchner Familie Astaler als Stifter am Vorabend der Stadtunruhen um 1400 1 Das Astalerfenster in der Münchner Frauenkirche Der Name der Münchner Kaufmannsfamilie Astaler ist heute in erster Linie durch eine künstlerisch bedeutsame Stiftung bekannt: Das sogenannte Astalerfenster, das um 1392 entstand, befand sich ursprünglich im Vorgängerbau der heutigen Liebfrauenkirche zu München.¹ Wohl schon im Zuge der Errichtung des Neubaus wurde es um 1485 in das sogenannte Herzogenfenster – eine Stiftung Herzog Albrechts IV. – integriert,² das sich heute in der östlicheren der zwei nordöstlichen Chorkapellen befindet.³ Der Künstler ist namentlich nicht bekannt; auf ihn beziehungsweise seine Werkstatt gehen neben erhaltenen Resten weiterer Glasmalereien in der Münchner Frauenkirche aus der Zeit um 1390 beziehungsweise 1400 vermutlich auch einzelne Glasfenster aus dem frühen 15. Jahrhundert in der Freisinger Benediktuskirche und im Augsburger Dom zurück.⁴ Das Astalerfenster besteht in seinem erhaltenen, teilweise restaurierten Umfang aus zwölf Glasgemäldescheiben.⁵ Die oberen sechs Scheiben fügen sich zum Bild eines Medaillons zusammen, in dem die Verkündigung Mariens dargestellt ist. Darunter schließt eine horizontale Reihe von drei Scheiben an, die durch das so zusammengefügte Bild eines Halbmedaillons ikonographisch miteinander verbunden sind: Die mittlere zeigt ein Bild des Schmerzensmanns, die linke und rechte jeweils ein Stifterwappen. Die unterste Reihe zeigt schließlich, ebenfalls auf drei Scheiben verteilt, insgesamt sechs knieende Stifterfiguren mit jeweils einem Wappen. Ein Schriftband bildet einen der Ringe des „Verkündigungs-Medaillons“ und gibt einen Hinweis auf die Person des Stifters. Frankl identifizierte die Inschrift – teils mit Rekonstruktionen – folgendermaßen: „anno dm MCCCLXXXXII VIII idus octobris obiit erhardi [erha]rd[us] asta[ler] [q]ui paravit hoc vitrum in hore marie virgis [lies: in honorem marie virginis, Anm. d.Verf.]“⁶, sprich: Am 8. Oktober 1392 (Tag des Heiligen Erhard) starb Erhard Astaler, der das Fenster zur Ehre der Jungfrau Maria gestiftet hatte. Das Fenster dürfte also zu diesem Zeitpunkt in Arbeit oder geplant, aber noch nicht vollendet gewesen sein. Die Stifterbildnisse im Astalerfenster weisen darauf hin, dass neben Erhard Astaler noch andere 1 Vgl. Pfister/Ramisch, Die Frauenkirche in München, 223; vgl. die Abbildung ebd., 101 m. Abb. 19. 2 Vgl. ebd., 67, 122 m. Abb. 51. 3 Vgl. ebd., 223 sowie Lageplan (o. S.). 4 Vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 14 – 27. 5 Die ursprüngliche Anordnung war zeitweise durchbrochen, da einzelne Scheiben in anderen Fenstern eingesetzt waren. Frankl nahm 1936 eine Rekonstruktion vor, die mit der heutigen Anordnung übereinstimmt, vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 9 f. sowie Bildtafel 1 (o. S.). 6 Ebd., 10 f. https://doi.org/10.1515/9783111060682-009

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Familienmitglieder an dem frommen Werk beteiligt waren. Eines dürfte angesichts der einleitend skizzierten Gesichtspunkte schon jetzt offensichtlich sein: Die Astaler gehörten zumindest im ausgehenden 14. Jahrhundert zu den vermögendsten Familien Münchens, da andernfalls eine Stiftung solchen Ausmaßes und auf diesem künstlerischen Niveau kaum möglich gewesen wäre. Geht man jedoch weiter den Spuren der Familie Astaler zu jener Zeit nach, wirft das Fenster auch einige Fragen auf. Über den genauen Hergang der Initiierung und Herstellung selbst sind wir heute leider nur unzureichend unterrichtet.⁷ Setzt man allerdings dieses fromme Werk in Beziehung zum sozialen und stadtpolitischen Kontext, in dem es entstand und in dem seine Stifter als Akteure greifbar sind, erscheint es mehr und mehr als ein prägnantes Beispiel für die Dynamiken innerhalb der Sozialstruktur im spätmittelalterlichen München. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Astaler – ausgehend von ihrer Rolle als ‚prominente‘ Stifter – auf Basis der erhaltenen Quellen jener Zeit im sozialen Gefüge der oberen Schichten der Stadtgesellschaft genauer zu verorten. Im Zuge dessen soll auch ihre Stifterrolle in Beziehung zu ihrer Rolle in der Stadtpolitik und ihrer Position innerhalb der Münchner Führungsriege gesetzt werden. Einen eigenen Schwerpunkt bei der Kontextualisierung der Astaler bildet die Zeit der sogenannten Münchner Unruhen zwischen 1397 und 1403, eine Phase also, in der viele etablierte Ratsherren im Zuge eines tiefgreifenden innerstädtischen Konflikts aus der Stadt vertrieben wurden und eine sozial nachgeordnete, oppositionelle Gruppe das Stadtregiment übernahm. Die diesem Vorgehen zugrundeliegende Überlegung ist, dass die mit den Unruhen in Verbindung stehenden Quellen die Angehörigen der gehobeneren Schichten der Münchner Bürgerschaft in besonders verdichteter Weise in ihrer jeweiligen sozialen Position vor Augen führen und damit Individuen wie die Mitglieder der Astaler-Familie klarer in ihren sozialen und stadtpolitischen Kontexten verortbar machen. Zwar sind die Lebenswege und Verwandtschaftsverhältnisse der Astaler in ihren Grundzügen der Forschung bekannt, doch eine genauere Kontextualisierung steht noch aus.⁸ Zu diesem Zweck soll in diesem Beitrag zunächst die Entwicklung der Münchner Bürgergeschlechter im 14. Jahrhundert kurz skizziert werden. Im Anschluss daran sollen in einem ersten Schritt die Astaler in diesem sozialen Kontext verortet, in einem zweiten Schritt dann ihre soziopolitische Rolle in der Bürgerschaft speziell anhand der Unruhen 1397– 1403 genauer herausgearbeitet werden.

7 So fehlen beispielsweise die Stadtkammerrechnungen für den Zeitraum 1383 – 1392. 8 Eine ausführliche Darstellung hat, wie zu so vielen Münchner Bürgergeschlechtern, Helmut Stahleder geliefert, vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 197– 205.

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2 Städtische Eliten im 14. Jahrhundert Die Gruppe der führenden und ratsfähigen Geschlechter, ab dem 16. Jahrhundert oft auch als ‚Patriziat‘ bezeichnet,⁹ zeichnete sich in den Städten Mitteleuropas spätestens seit dem 14. Jahrhundert durch ein netzwerkartiges Gefüge aus, das durch die Bande von Verwandtschaft und Verschwägerung zusammengehalten wurde.¹⁰ Im Kern verband die Mitglieder jener Führungsriege die Zugehörigkeit zur finanziell vermögendsten Gruppe der Stadt.¹¹ Seit dem Ende des 13. und verstärkt im Laufe des 14. Jahrhunderts gelang es vielerorts den wirtschaftlich stärkeren Handwerkern und einigen zu Wohlstand gekommenen Kaufleuten, beispielsweise in Form von Zünften, sich dauerhaft an den stadtpolitischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen – mancherorts erhielten sie auch Zugang zum Rat.¹² In Reaktion darauf begannen die ‚alten‘ Ratsgeschlechter ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts oft, sich von den solcherart aufstrebenden „Mittelschichten“¹³ durch neue gruppenkonstituierende Elemente abzugrenzen: Man bildete Kreise, deren verbindendes Element weniger die berufliche Tätigkeit als vielmehr ein traditionsbezogenes ständisches Selbstverständnis war, und begriff sich als eine dem Adel und der Ritterschaft ebenbürtige soziale Gruppe¹⁴ – bekannte Beispiele sind die Eröffnungen von Patriziertrinkstuben¹⁵ und, aus späterer Zeit, das Nürnberger Tanzstatut von 1521.¹⁶ Auch beim Münchner Stadtrat lassen sich seit seiner Entstehung solche Grundmuster der sozialen Abgrenzung beobachten: Erstmals 1286 bezeugt,¹⁷ lenkte er die politischen Geschicke der Stadt.¹⁸ Der bayerische Herzog konnte die jährlich stattfindende Wahl des Rates nicht direkt beeinflussen, sondern nur amtlich bestätigen.¹⁹ Die Ratsmitglieder²⁰ stammten aus eingebürgerten Ritter- und Ministerialengeschlechtern, 9 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 25; zur Frage der Anwendbarkeit des Begriffs ‚Patrizier‘ auf die städtischen Eliten des Spätmittelalters vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 761 f. 10 Zur Rolle verwandtschaftlicher Beziehungen unter Patriziern vgl. Czok, Bürgerkämpfe in Süd- und Westdeutschland, 311, 323. Nach Maschke kann die familiäre Beziehung als „das Grundelement in der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Struktur der mittelalterlichen Stadt […] nicht überschätzt werden“, Maschke, Soziale Gruppen in der deutschen Stadt, 131. 11 Vgl. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 7; vgl. Störmer, Bürgerliche Korporationen im spätmittelalterlichen Bayern, 135. 12 Vgl. dazu Jahn [u. a.], Oberdeutsche Städte im Vergleich, 253 f.; vgl. Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg, 34; vgl. Maschke, Verfassung und soziale Kräfte, 170 – 174. 13 Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 7. 14 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 32 f. 15 Beispiele hierfür sind Frankfurt, Ravensburg oder Lindau, vgl. Maschke, Soziale Gruppen in der deutschen Stadt, 140. 16 Vgl. Weiß, Des Reiches Krone, 32 f. 17 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 27. 18 Vgl. Rädlinger, Die große Krise, 112. 19 Vgl. Bary, Herzogsdienst und Bürgerfreiheit, 32, 64 f. 20 1294 waren es noch zwölf an der Zahl, vgl. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 126.

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die meist vom Land zugezogen waren.²¹ Einige der prominenten Familien, die zum Teil noch bis in die frühe Neuzeit hinein die Zusammensetzung der hohen städtischen Gremien prägten, saßen in den ersten zwei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts bereits im Rat – so zum Beispiel die Kazmair, die Ligsalz, die Pötschner, die Pütrich, die Schrenck, Schluder und Sendlinger.²² Für 1318 ist zudem namentlich die Existenz des Äußeren Rats sowie eines weiteren Gremiums nachgewiesen, das 1365 als ‚Großer Rat‘ bezeichnet wird.²³ Im letztgenannten Gremium sammelten sich in erster Linie wohlhabende Bürger, während Innerer und Äußerer Rat den alteingesessenen Geschlechtern vorbehalten waren.²⁴ Wie vielerorts, so spielte also auch in München die genealogisch bedingte Zugehörigkeit zu diesem sozialen Stand eine Rolle für die Zulassung zu Innerem und Äußerem Rat,²⁵ aber auch die Vermögensverhältnisse waren hierbei bedeutsam: Die renommierten ratsfähigen Familien – meist reiche Kaufmannsdynastien – wie die Schrenck, Pütrich, Ligsalz und Ridler waren gegen Ende des 14. Jahrhunderts die vermögendsten der Stadt;²⁶ 1381 entfiel knapp ein Viertel des städtischen Steueraufkommens auf 35 Ratsleute.²⁷ Zwar galten nur bestimmte Tätigkeiten als der Ratstätigkeit angemessen: Dazu gehörten Großhandel, Betrieb von Bergwerken oder Hämmern und Geldgeschäfte in größerem Rahmen; Handwerk oder der Betrieb von Ladengeschäften hingegen nicht.²⁸ In der Praxis spielten hierbei aber auch pragmatische Erwägungen eine Rolle: Die Mitgliedschaft im Ratsgremium war ehrenamtlich und zugleich zeitaufwändig – dementsprechend konnte nur ratsfähig sein, wer sich das persönliche Fernbleiben vom eigenen Gewerbe auf Dauer leisten konnte.²⁹ Nichtsdestoweniger konstituierten sich in München die Ratsgeschlechter rasch als soziale Gruppe mit eigenem „Standesbewusstsein“³⁰ (auch wenn es hier, anders als zum Beispiel in Straßburg, keinen erblichen Ratssitz gab³¹). Die Angehörigen dieser Schicht wurden parallel dazu – ähnlich wie in anderen Städten – auch ein nach außen hin relativ „geschlossener Heiratskreis“³². Es war jedoch grundsätzlich auch für Angehörige ‚außenstehender‘ Familien möglich, in den Kreis der Geschlechter einzuheiraten.³³ So kam es in vielen Städten

21 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 26. 22 Vgl. ebd.; vgl. auch Stahleder, Die Pötschner, 40. 23 Ausführlich bei Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 134 – 139; die entsprechenden Ratsdokumente von 1318 und 1365 sind abgedruckt bei Dirr, Denkmäler des Münchner Stadtrechts, 91 – 94, 580 – 584. 24 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 27; vgl. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 7 f., 136 – 139. 25 Siehe Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 758 f. 26 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 26 f. 27 Vgl. Bary, Herzogsdienst und Bürgerfreiheit, 73. 28 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 27. 29 Vgl. Rädlinger, Die große Krise, 111; vgl. Bary, Herzogsdienst und Bürgerfreiheit, 73 f. 30 Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 31. 31 Vgl. ebd., 32. 32 Ebd., 31. 33 Vgl. ebd., 31 f.

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vor, dass ‚neue‘ Familien, die schon vorher mit den Geschlechtern durch Konnubium verbunden gewesen waren, ein paar Generationen später die Ratsfähigkeit erlangten und endgültig in diese Schicht aufstiegen.³⁴ Ein besonders prägnantes Merkmal der ratsfähigen Schicht waren im Falle der Residenzstadt München die engen Bande, die mehrere Ratsmitglieder zu den Landesherren unterhielten. So waren ab dem Ende des 14. Jahrhunderts mehrere von ihnen als Räte im Dienst der Münchner Herzöge tätig.³⁵ Von diesen wurden Vertreter des Rates auch oft für Aufgaben im Zusammenhang mit landespolitischen Angelegenheiten herangezogen – besonders in den krisenhaften Jahren der Landesteilung: Dies konnten Botengänge sein, bei denen ihnen eine vermittelnde Funktion zwischen zwei Parteien zukam.³⁶ Manchmal fungierten sie aber auch in Vertretung ihrer Stadt gemeinsam mit den Vertretern anderer Städte und weiterer Landstände als Schiedsrichter – prominentestes Beispiel ist die Landesteilung von 1392.³⁷ Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts trat nicht nur die Stadt München selbst, sondern auch einzelne Münchner, Regensburger und Landshuter Ratsherren traten fast laufend als Geldgeber der bayerischen Herzöge hervor:³⁸ Letztere verpfändeten zwischenzeitlich den herzoglichen Großzoll am Neuhauser Tor, diverse Ungelder und sogar die Stadtsteuer an Ratsbürger.³⁹ Ab dem 15. und verstärkt ab dem 16. Jahrhundert vollzog sich in München eine Umbildung der Geschlechter weg von der Kaufmannselite, zu der inzwischen auch größere Teile des nicht-ratsfähigen Bürgertums gehörten,⁴⁰ hin zu einem feudalen Stadtadel: Die alten Ratsgeschlechter erwarben nach und nach Adelsbriefe, zogen sich aus dem kaufmännischen Gewerbe und in einigen Fällen ganz aus der Stadt auf ihre Landgüter zurück.⁴¹ Doch auch schon im 14. Jahrhundert machten sich Aspekte eines solchen ständischen Habitus bemerkbar: So erwarben die Familien oft bereits zu dieser Zeit ausgedehnten Grundbesitz außerhalb der Stadt.⁴² Im Hinblick auf die öffentlich kommunizierte soziale Abgrenzung der städtischen Eliten sind jedoch für diese Zeit besonders die frommen Stiftungen hervorzuheben: Diese waren im städtischen Kontext allein schon aufgrund ihrer Kostspieligkeit den oberen Schichten vorbehalten.⁴³ Einerseits gab es Spitals- und Gottesdienststiftungen, letztere beispielsweise in Form von

34 Dies konnten Adelige, aber auch zu Wohlstand gelangte Kaufmannsfamilien sein: So gelangten in Augsburg 1538 ganze 38 ‚neue‘ Familien in den Kreis des Patriziats, vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 760. 35 Ausführlich mit Abhandlung der Einzelpersonen bei Andrian-Werburg, Urkundenwesen, Kanzlei, Rat und Regierungssystem, 140 – 146. 36 Vgl. Bary, Herzogsdienst und Bürgerfreiheit, 59 – 61. 37 Vgl. Turtur, Regierungsform und Kanzlei Herzog Stephans III., 207 f. 38 Vgl. Störmer, Stadt und Stadtherr im wittelsbachischen Altbayern, 262. 39 So beispielsweise 1354 an Heinrich Altmann, 1389 an Ulrich Pötschner, 1390 an Hans Schluder, Ulrich Tichtel und Matthias Sendlinger, vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 28. 40 Vgl. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 7 f. 41 Vgl. Schattenhofer, Beiträge zur Geschichte der Stadt München, 32 – 35. 42 Vgl. Stahleder, Konsolidierung und Ausbau der bürgerlichen Stadt, 135 f. 43 Vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 658.

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jährlichen Seelenmessen (Anniversarien) für den verstorbenen Stifter, die zuweilen in familieneigenen Kapellen innerhalb der Kirchengebäude stattzufinden hatten und oft mit entsprechenden Pfründen verbunden waren.⁴⁴ Zum anderen stiftete man Altäre, Altaraufsätze, Epitaphe oder Kirchenfenster. Solche frommen Werke visuell-künstlerischer Art hatten – neben der Sicherung des persönlichen Seelenheils – vor allem den Zweck, die eigene Frömmigkeit permanent im öffentlichen Raum zu präsentieren und den eigenen sozialen Status nicht nur des Stifters, sondern auch seiner Familie zu unterstreichen: Gerade hierzu dienten die Porträts der Stifter mit ihren Familien im Kontext der bildlichen Darstellung.⁴⁵ In München konzentrierten sich solche Stiftungen vor allem auf die Kirchen St. Peter und Unserer Lieben Frau: So wurden im Zuge des 1368 geweihten Neubaus von St. Peter etliche Seitenkapellen als Grablegen für die führenden Münchner Familien etabliert. Neben den Kapellen der Pütrich, Sendlinger, Bart und Ridler sticht heute noch die Schrenck-Kapelle mit dem bekannten Altar hervor, als dessen Stifter 1407 Bartholomäus und Lorenz Schrenck genannt werden.⁴⁶ Eine ähnliche Fülle von frommen Stiftungen reicher Bürgersfamilien verzeichnete die Frauenkirche – sowohl der 1494 geweihte Neubau als auch dessen Vorgänger.⁴⁷

3 Die Familie Astaler in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Angesichts des sogenannten Astalerfensters in der Münchner Frauenkirche sollte man annehmen, dass dessen Stifter ohne weiteres zum Kreis der seit ca. 1300 etablierten Geschlechter gezählt werden müssen. Es verhielt sich jedoch anders: Die Astaler waren noch um die Mitte des 14. Jahrhunderts Landshuter Bürger. Sie dürften zu dieser Zeit bereits zu einem gewissen Wohlstand gelangt gewesen sein, da Herzog Stephan 1362 Konrad und Friedrich Astaler – womöglich einem Brüderpaar – für die Abtragung einer Geldschuld 300 Pfund aus der Stadtsteuer verschrieb. Viel ist über ihre Landshuter Zeit ansonsten nicht bekannt. Im Zuge eines Konfliktes mit ihrer Stadt mussten Konrad und Friedrich Anfang der 1370er Jahre Landshut verlassen und wohnten – laut Steuerbuch – spätestens 1372 in München, wo sie auch Häuser besaßen.⁴⁸ Für 1381 und 1383 sind beide als Teil des Großen Rats – also des Vertretungsorgans des wohlhabenden, aber nicht zu den ‚alten‘ Geschlechtern zählenden Bürgertums – im sogenannten ‚Ratsbuch III‘ aufgeführt.⁴⁹ 1381 entfiel auf sie eine Steuerleistung von jeweils 16 Pfund, was mehr war, als 44 Vgl. ebd., 655 – 657; vgl. Pfister/Ramisch, Die Frauenkirche in München, 17. 45 Vgl. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 660. 46 Vgl. Wermescher, Der Schrenkaltar in St. Peter, 7, 10 f. 47 Vgl. Pfister/Ramisch, Die Frauenkirche in München, 17; beispielhaft zu den Benefizien der Bart, Gießer und Schluder in den beiden großen Münchner Kirchen vgl. Stahleder, Die Bart (bis um 1600), 304. 48 Ausführlich bei Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 197– 199. 49 Vgl. DE-1992-ZIM-017 (Ratsbuch III, Ratswahlen, mit Nachträgen, 1362 – 1384), StadtA München, Zimelien, fol. 67v, 69r, 79v.

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so mancher Bürger im Inneren Rat zu zahlen hatte.⁵⁰ Aufgrund der lückenhaften Quellenüberlieferung ist über die Beteiligung der Astaler an der Stadtpolitik in den darauffolgenden Jahren kaum etwas bekannt.⁵¹ Ihre stadtpolitische Rolle dürfte aber in diesen Jahren kaum über Sitze im Großen Rat hinausgegangen sein. Erst über ein halbes Jahrhundert später, nämlich um 1450, war mit Friedrichs Enkel Wilhelm, der mit Getreide handelte, erstmals ein Astaler nachweislich im Inneren Rat vertreten. 1451 wurde mit Wilhelm zum ersten Mal ein Astaler Bürgermeister, ferner war er mehrere Male zwischen 1453 und 1468 Kämmerer und 1450 und 1456 Steurer.⁵² Derselbe Wilhelm Astaler ist zwischen 1447 und 1469 als Probst von St. Peter belegt.⁵³ Spätestens 1475 starben die Astaler bereits aus.⁵⁴ 1476 stiftete Wilhelms Witwe Barbara, eine geborene Bart, eine ewige Messe für ihren Mann in St. Peter.⁵⁵ Was die Astaler Ende des 14. Jahrhunderts im Gegensatz zu ihrem stadtpolitischen Einfluss vorzuweisen hatten, war eine beachtliche Finanzkraft: So waren Konrads Sohn, Franz Astaler, und Friedrichs Sohn, der mit Baumaterialien handelnde Stephan Astaler, 1393 Gläubiger Herzog Johanns II. und seiner Söhne Ernst und Wilhelm III.⁵⁶ Herzog Johann schuldete Stephan Astaler zusätzlich 287 Gulden und dann nochmals 450 Gulden in den Jahren 1393/94.⁵⁷ Diese Verbundenheit mit dem Herzogshaus durch Geldschuld scheint sich fortgesetzt zu haben: 1413 schuldeten Ernst und Wilhelm mehreren Mitgliedern der Familie – Stephans nunmehriger Witwe Agnes und zwei Enkeln von Konrad beziehungsweise Friedrich – sowie Bartholomäus Schrenck, der mit Konrads Tochter Anna verheiratet war, die Summe von 10.572 ungarischen Gulden.⁵⁸ Schließlich deutet natürlich das gestiftete Fenster mit seinen aufwändigen Glasmalereien auf finanziellen Wohlstand hin. In etwa zur gleichen Zeit wie die Astaler, also um 1370, hatten sich weitere Familien in München niedergelassen, deren Angehörige sich erst im Lauf des 15. Jahrhunderts als Mitglieder im Inneren oder Äußeren Rat etablieren sollten. Jedoch scheinen die Astaler die einzigen gewesen zu sein, die so rasch nach ihrem Zuzug mit einer solch großangelegten Stiftung hervortraten. Man vergleiche sie in der Hinsicht beispielsweise mit den Familien Hundertpfund und den Scharfzahn. Die Hundertpfund sind erstmals 1369 in München nachgewiesen.⁵⁹ Ein Andre Hundertpfund war um 1400 als Bäcker und Salzhändler tätig und recht vermögend.⁶⁰

50 Vgl. Bary, Verfassung und Verwaltung der Stadt München, 746, 747a; zum Vergleich mit der Steuerleistung der Mitglieder des Inneren und Äußeren Rats vgl. ebd., 744. 51 Die Ratslisten sind nur für 1362 – 1384 (im Ratsbuch III) vollständig überliefert, vgl. Rädlinger, Die große Krise, 110. 52 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 203. 53 Vgl. Bary, Verfassung und Verwaltung der Stadt München, 765. 54 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 205. 55 Vgl. ebd., 204. 56 Vgl. ebd., 199, 201; zu den Verwandtschaftsverhältnissen der Astaler vgl. ebd., 198. 57 Vgl. ebd., 201. 58 Vgl. ebd., 200 f.; vgl. ders., Die Schrenck, 94 f. 59 Vgl. Stahleder, Die Hundertpfund, 37.

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Ähnlich verhielt es sich im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts bei Hans Hundertpfund: Dieser brachte es ebenfalls als Salzhändler zu beträchtlichem Wohlstand und saß auch in den städtischen Ratsgremien.⁶¹ Fromme Stiftungen dieser Familie sind jedoch erst ab dem Ende des 15. Jahrhunderts nachgewiesen.⁶² Die Scharfzahn tauchen 1368 erstmals als Münchner Bürger in den Quellen auf. Albrecht Scharfzahns Steuerleistung wuchs in der Zeit binnen zehn Jahren von 60 Pfennigen auf beachtliche zweieinhalb Pfund an.⁶³ Der Sohn Ludwig Scharfzahn war bei der Jahresabrechnung für 1396 als Steuerer beteiligt;⁶⁴ ebenso war er als Mitglied des Äußeren beziehungsweise Inneren Rats bei mehreren Abrechnungen zwischen 1398 und 1407 zugegen.⁶⁵ Zudem legen mehrere Hauskäufe und -verkäufe, die für ihn nachgewiesen sind,⁶⁶ den Schluss nahe, dass er zu dieser Zeit zur sozial höherstehenden Bürgerschicht gehörte. Eine fromme Stiftung der Familie ist jedoch auch in diesem Fall erst später nachgewiesen: In den 1470er Jahren stiftete Wilhelm II. Scharfzahn für den Neubau der Frauenkirche eine Kapelle mit Altar und Messe, wenige Jahre später in derselben Kapelle das sogenannte Scharfzahn-Fenster.⁶⁷ Was ferner bei den Astalern auffällt, ist die Tatsache, dass sie innerhalb recht kurzer Zeit nach ihrem Zuzug nach München in die Riege der Ratsgeschlechter einheirateten. Die Heiratsverbindungen der um 1390 lebenden Astaler – das heißt, von Konrads Kindern Anna und Franz sowie Friedrichs Kindern Erhard und Stephan – mit mehreren der führenden Familien Münchens schlagen sich in den Stifterporträts des Astalerfensters nieder: Konrad Astalers Tochter Anna war spätestens 1394, wie schon erwähnt, mit Bartholomäus Schrenck verheiratet. Die Schrencks waren spätestens 1318 erstmals im Inneren Rat vertreten,⁶⁸ Bartholomäus Schrenck selbst saß 1390 in diesem Gremium und war 1391 Bürgermeister.⁶⁹ Anna war eine Cousine von Erhard, dem ‚Hauptstifter‘ des Kirchenfensters, und scheint gemeinsam mit ihrem Mann an der Stiftung beteiligt gewesen zu sein. Stahleder macht die beiden in der linken der drei Scheiben mit den Stifterehepaaren aus, was er mit den abgebildeten Wappen begründet: So ist ein Wappen mit einem Band und einem darauf liegenden Pfeil zu sehen, das den

60 Vgl. ebd., 39 f. 61 Vgl. ebd., 41 f. 62 Zu dieser Zeit beziehungsweise 1537 übernahmen die Hundertpfund die von der wohl verwandten Familie Leupold zuvor gestifteten Benefizien in der Frauenkirche und in St. Peter, vgl. Stahleder, Die Hundertpfund, 39, 51 f. 63 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 214. 64 Vgl. DE-1992-KAEM-001 – 018 (Kammerrechnungen, 1396), StadtA München, Kämmerei, fol. 74v. 65 Vgl. DE-1992-KAEM-001 – 020 (Kammerrechnungen, 1398), StadtA München, Kämmerei, fol. 58v; vgl. DE-1992-KAEM-001 – 021 (Kammerrechnungen, 1398 – 1399), StadtA München, Kämmerei, fol. 146v; vgl. DE1992-KAEM-001 – 026 (Kammerrechnungen, 1406 – 1407), StadtA München, Kämmerei, fol. 95v; vgl. DE-1992KAEM-001 – 027 (Kammerrechnungen, 1407), StadtA München, Kämmerei, fol. 86r. 66 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 216. 67 Vgl. ebd., 218. 68 Vgl. ders., Die Schrenck, 78. 69 Vgl. ebd., 94 f.

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Schrenck gehört, und ein Wappen mit vierblättrigem Ast, das den Astalern zuzuordnen ist.⁷⁰ Frankl sah im linken Doppelporträt hingegen Stephan – Erhards Bruder – mit seiner Frau Agnes verewigt, die er anhand des Wappens mit dem Pfeil als eine Ridler identifizierte,⁷¹ da das Ridler-Wappen mit dem Schrenck-Wappen fast identisch ist.⁷² Tatsächlich war Stephan Astaler aber mit einer Tochter Matthias Sendlingers verheiratet, wie Stahleder hinreichend nachgewiesen hat.⁷³ Matthias Sendlinger entstammte einem angesehenen Geschlecht, das erstmals 1295 ein Mitglied im Inneren Rat sitzen hatte und sogar mit Konrad III. (Amtszeit: 1314 – 1322) einen Freisinger Bischof stellte;⁷⁴ Matthias Sendlinger selbst saß unter anderem schon 1379 im Äußeren, 1382 – 1384 im Inneren Rat; 1391 war er Bürgermeister.⁷⁵ Stahleder sieht Stephan und Agnes auf der mittleren der drei Scheiben mit den Stifterbildnissen dargestellt, wobei in dem Fall das der Frau zugeordnete Wappen (ein Bockskopf ) einer späteren Vertauschung geschuldet sein muss, da es nicht das der Sendlinger ist (welches ein Einhorn zeigt) und auch sonst keiner Münchner Familie zugeordnet werden kann.⁷⁶ Frankls Deutung, dass das mittlere Stifterpaar die Eltern Erhards und Stephans darstellt, nämlich Friedrich Astaler und dessen Ehefrau,⁷⁷ ist nicht ganz zu widerlegen, wenngleich nicht allzu wahrscheinlich, da Friedrich Astaler bereits 1387/88 verstorben war.⁷⁸ Das rechte Doppelbildnis zeigt nach Stahleder schließlich Erhard Astaler (passend dazu mit dem Astaler-Wappen) und seine Frau Anna, die eine geborene Bart war, was zum Bart-Wappen passt (einen bärtigen Männerkopf zeigend), das der Frauenfigur zugeordnet ist.⁷⁹ Vermutlich war Anna Bart eine Tochter Heinrich Barts, der schon 1346 im Stadtrat saß und dessen Familie zu den alteingesessenen Münchner Geschlechtern gehörte.⁸⁰ Frankls Deutung, dass es sich bei der Frau in der rechtsunteren Scheibe um Elspet Diener handelt, die er als Ehefrau Erhards einordnet,⁸¹ trifft nicht zu: Das DienerWappen hat zwei aufrecht stehende Rauten im schwarzen Feld und war auch zu Frankls Zeiten, als tatsächlich die Anordnung der Scheiben von der heutigen leicht abwich, nicht in der entsprechenden Scheibe eingefügt.⁸² Auch Frankls Begründung dafür, dass Elspet

70 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 200. 71 Vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 11. 72 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 200; vgl. Wermescher, Der Schrenkaltar in St. Peter, 11. 73 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 201. 74 Vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 521 §31 m. Anm. 3. 75 Vgl. ebd., 520 §31 m. Anm. 3. 76 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 201. 77 Vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 11 f. 78 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 199. 79 Vgl. ebd., 200; zum Bart-Wappen vgl. ders., Die Bart (bis um 1600), 289. 80 Vgl. ders., Die Bart (bis um 1600), 306 f.; zu Anna Bart vgl. ebd., 312. 81 Vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 11. 82 Wie ebd., Abb. 1 (o. S.), erkennbar ist, war das Bart-Wappen 1936 nicht vollständig erhalten. Stattdessen war ein anderes Stück eingefügt. Aber auch auf der alten Photographie ist deutlich erkennbar, dass sich nicht das Diener-Wappen in dieser Scheibe befand. Dafür ist ein Überrest des Bart-Wappens zu

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die Ehefrau Erhards gewesen sein muss, ist nicht nachvollziehbar: In einer Urkunde von 1399 erscheint sie als verheiratete Astalerin, aber ein Hinweis darauf, dass sie Witwe ist (Erhard war ja 1392 gestorben), findet sich hier nicht, anders als von Frankl behauptet.⁸³ Elspet Diener, eine Angehörige des seit dem 13. Jahrhundert in München ansässigen Ratsgeschlechts der Diener,⁸⁴ war nach Stahleders Deutung vielmehr die Frau von Franz Astaler, dem Sohn Konrad Astalers und damit Vetter von Erhard und Stephan Astaler. Ihr Wappen ist im Astalerfenster an anderer Stelle zu sehen: In der zweituntersten Reihe von Scheiben wird das Bildnis des Schmerzensmannes (mittlere Scheibe) von zwei Enden eines Halbbogens und hierbei vom Diener-Wappen (rechte Scheibe) und nochmals dem Astaler-Wappen (linke Scheibe) flankiert. Hiermit sind also höchstwahrscheinlich die Eheleute Franz und Elspet verewigt.⁸⁵ Das Astalerfenster geht folglich auf eine gemeinsame Stiftung von vier Ehepaaren zurück: Zwei Geschwisterpaare aus der Familie Astaler verewigten sich dabei gemeinsam mit ihren Ehepartnerinnen beziehungsweise -partnern, die allesamt aus hochangesehenen Münchner Ratsgeschlechtern stammten. Im Gegensatz zu diesen Familien spielten die mit ihnen verschwägerten Astaler zu dieser Zeit jedoch eine allenfalls nachrangige Rolle in der Stadtpolitik. Sie gehörten nicht zum ‚alten‘ Kreis der Geschlechter, sondern offenbar zu einer vermögenden Kaufmannsschicht, die zu dieser Zeit bereits im Großen Rat, aber in der Regel nicht in den beiden führenden Ratsgremien vertreten war.Vor dem Hintergrund scheinen die Astaler mit ihrer großzügigen Stiftung in die visuell eindrucksvolle Demonstration eines sozialen Aufstiegs investiert zu haben, den sie zu dieser Zeit mit ihrer Heiratspolitik zielstrebig verfolgten, aber auf stadtpolitischer Ebene noch lange nicht fertig vollzogen hatten.

4 Die Unruhejahre 1397 – 1403 Nur wenige Jahre nach der Stiftung des Astalerfensters brach ein heftiger Konflikt zwischen den Geschlechtern und den aufstrebenden, aber eben nachrangigen Teilen der „Oberschicht“⁸⁶ aus. Schon 1377 hatte es Unruhen gegeben, als die Stadtgemeinde gegenüber dem Rat mit Forderungen nach politischer Partizipation hervortrat.⁸⁷ Dabei ist zu betonen, dass zur Gemeinde nicht alle rund 10.000 Einwohner der Stadt zählten, sondern nur diejenigen, die neben ehelicher Geburt und ehrlichem Beruf auch ein bestimmtes Mindeststeueraufkommen sowie Grundbesitz in der Stadt vorweisen

erahnen. Heute ist das Bart-Wappen in restaurierter Form vollständig sichtbar, vgl. die Darstellung bei Pfister/Ramisch, Die Frauenkirche in München, 101 m. Abb. 19. 83 Vgl. MB 19a, 65 – 66. Zu Frankls Deutung vgl. Frankl, Der Meister des Astalerfensters, 11 f. 84 Vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 519 §31 m. Anm. 1. 85 Vgl. Stahleder, Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 199 – 200. 86 Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, 7. 87 Ausführlich dargestellt ebd., 140 – 148.

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konnten.⁸⁸ 1397 kam es abermals zu Reibungen: Die Gemeinde, angeführt von einzelnen Ratsleuten und mehreren Angehörigen der wohlhabenden Kaufmanns- und Handwerkerschicht, warf dem Stadtrat eine unsaubere Finanzpolitik vor. Eigentlich ging es hierbei jedoch abermals um die Frage nach der Beteiligung am immer noch sehr exklusiv geführten Stadtregiment. Im Frühjahr 1398 kam es dann zum Umsturz: Die oppositionelle Gruppe drängte die Ratsgeschlechter aus dem Stadtregiment und verbannte viele ihrer Oberhäupter aus der Stadt. Ein neuer Stadtrat, zum Großteil bestehend aus vermögenden Bürgern, wurde gebildet und bestimmte bis Juni 1403 die Geschicke der Stadt.⁸⁹ Der Konflikt wurde dadurch verschärft, dass zeitgleich die Wittelsbacher Herzogslinien Bayern-München und Bayern-Ingolstadt um die Herrschaft über Oberbayern und die Stadt München stritten: Die Herzöge Stephan III. und Ludwig VII. von BayernIngolstadt versuchten nach dem Tod Herzog Johanns II., dessen Söhne Ernst und Wilhelm III. aus der Herrschaft zu verdrängen. Als Herzog Ernst sich im Sommer 1398 mit dem neuen Stadtregiment wegen eines Streits um städtische Privilegien überwarf, verbündeten sich Stephan und Ludwig mit den Münchnern, während Herzog Ernst die verbannten Ratsherren unter seinen Schutz nahm. Erst 1403 wurde der Konflikt beigelegt: Herzog Ernst bekam nach langen Verhandlungen München als seine Residenz zugesprochen und zog – nachdem er die Münchner zunächst militärisch in die Knie hatten zwingen müssen – gemeinsam mit den verbannten Ratsherren siegreich in die Stadt ein. Der alte Stadtrat wurde wiedereingesetzt und die Anführer des ‚revolutionären‘ Regiments bestraft.⁹⁰ Welche Rolle spielten die Astaler im Zuge dieser Unruhen? Zumindest drei der vier Ratsfamilien, in die sie eingeheiratet hatten, waren in irgendeiner Weise von den Sanktionen des ‚revolutionären‘ Stadtregiments betroffen:⁹¹ Sowohl Bartholomäus Schrenck – der Schwager Franz Astalers – als auch Matthias Sendlinger – der Schwiegervater Stephan Astalers – wurden im Januar beziehungsweise Mai 1398 offiziell aus der Stadt verbannt; ihre Güter wurden beschlagnahmt.⁹² Hans Bart – Bruder von Erhards Witwe Anna – musste eine Geldstrafe zahlen,⁹³ durfte aber immerhin – wenn-

88 Vgl. ebd., 137; zur Einwohnerzahl vgl. Störmer, Stadt und Stadtherr im wittelsbachischen Altbayern, 259. 89 Für Überblicksdarstellungen vgl. Rädlinger, Die große Krise, 97– 119; vgl. Solleder, München im Mittelalter, 497– 522. 90 Speziell zur Verwicklung mit dem landespolitischen Konflikt vgl. Straub, Bayern im Zeichen der Teilungen, 235 f.; ausführlicher bei Böhmer, Die Vierherzogzeit in Oberbayern-München, 1 – 99. 91 Von der Familie Diener war nur Konrad Diener betroffen, wenngleich er eigentlich kein Opfer des ‚revolutionären‘ Regiments, sondern von dessen Schutzherren Herzog Ludwig VII. war: Dieser ließ ihn um den Jahreswechsel 1397/98 gemeinsam mit anderen Ratsherren einkerkern; Konrad Diener verstarb kurz darauf in der Haft, vgl. Kazmair 470 f. §31 – 35. 92 Vgl. Kazmair 478 §63 – 64; vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 525 §64 m. Anm. 1. sowie 520 f. §31 m. Anm. 3. 93 Vgl. dazu DE-1992-KAEM-001 – 021 (Kammerrechnungen, 1398 – 1399), StadtA München, Kämmerei, fol. 37r.

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gleich ohne städtisches Amt in dieser Zeit – weiter in der Stadt bleiben.⁹⁴ Obwohl jedoch die Astaler Teil des familialen Netzwerkes der zu großen Teilen aus der Stadt gejagten Elite waren, gehörten sie selbst nicht zu den Verbannten. Franz Astaler lebte während der Unruhen nachweislich in München,⁹⁵ und bezüglich Stephan Astaler gibt es keinen Hinweis darauf, dass er während jener Zeit verbannt worden sein könnte. Gehörten die Astaler also während der unruhigen Jahre zur Partei der ‚Umstürzler‘ um den Haupträdelsführer Ulrich Tichtel? Auszuschließen ist dies grundsätzlich nicht: Zwar waren in erster Linie die aus der Stadt vertriebenen Ratsherren untereinander durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden, es gab aber vereinzelt – wenngleich in deutlich geringerem Maße – auch schon Heiratsverbindungen zu Familien, die dann im oppositionellen Lager vertreten waren⁹⁶: So waren die Tichtel mit den Bart, Pötschner und Pütrich verschwägert (Ulrich Tichtel selbst jedoch mit keiner dieser Familien),⁹⁷ Thoman Wilbrecht selbst mit den Bart und Rudolf.⁹⁸ Franz Impler (immerhin einer der „ersten pösen“ laut dem Chronisten Kazmair⁹⁹) stammte mütterlicherseits aus der Familie Tulbeck.¹⁰⁰ Jakob Weissenfelder schließlich war mit Agnes, der Schwester von Bartholomäus Schrenck, verheiratet.¹⁰¹ Es gibt zwei besonders plakative Quellen, aus denen die Namen der an den Unruhen 1398 sowie am bis 1403 bestehenden ‚revolutionären‘ Stadtregiment beteiligten Bürger hervorgehen. Da wäre zum einen die bekannte – oben schon kurz erwähnte – Denkschrift des Jörg Kazmair: Dieser war schon vor dem Umsturz ein angesehener Ratsherr und stammte aus einem der alten Geschlechter. 1398 wurde er verbannt und seines Besitzes beraubt, worauf er sich dem Gefolge von Herzog Ernst anschloss, ehe er 1403 in die Stadt sowie in Amt und Würden zurückkehren konnte. Die Ereignisse ab 1397 und bis 1402 verarbeitete er um 1403 in einer chronologischen Darstellung, dank der der genauere Verlauf der Unruhen überliefert ist. Gleichwohl handelt es sich dabei um ein äußerst tendenziöses Werk, das Kazmair gegen seine innerstädtischen Rivalen, die ihn fast seiner Existenz beraubt hätten, ins Feld führte.¹⁰² Der Denkschrift ist eine Liste vorangestellt, die 57 Rädelsführer der Unruhen namentlich aufzählt und in die Kategorien „die ersten pösen“, „die darnach pösen“ und die „Klaffer und Jaherrn“ (also die Mitläufer) unterteilt.¹⁰³ Bei der anderen prosopographischen Quelle handelt es sich um

94 Vgl. Stahleder, Die Bart (bis um 1600), 319 f. 95 Vgl. ders., Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 199. 96 Zu den Namen vgl. Kazmair 463 f. I–II; vgl. Solleder, München im Mittelalter, 520 f. 97 Vgl. Stahleder, Die Tichtel, 214, 223, 225 f. sowie ebd., Stammtafel 2 (o. S.). 98 Vgl. ders., Die Wilbrecht, Rosenbusch, Pütrich, 231, 234 und Stammtafel 1; vgl. auch ders., Die Rudolf, 158. 99 Vgl. Kazmair 463 I. 100 Vgl. Stahleder, Die Impler und Reitmor, 301; zu den Tulbeck vgl. ders., Die Astaler, Katzmair, Scharfzahn, Tulbeck, 221 – 229. 101 Vgl. ders., Die Schrenck, 92 f. 102 Zur Denkschrift und ihrer Entstehung vgl. Gleba, Die Aufzeichnungen des Münchener Bürgers Jörg Kazmair, 215 – 231. 103 Kazmair, 463 – 465 I–III.

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eine lose Liste im Stadtarchiv München, die wohl im August 1403 – nach der Restituierung des ‚alten‘ Rats – verfasst wurde und 26 Personen aufzählt, die für die desaströse Wirtschaftspolitik in den Jahren des ‚revolutionären‘ Stadtregiments verantwortlich gemacht und daher mit zum Teil empfindlichen Geldbußen bestraft werden. Dieselben Bürger wurden tatsächlich auch in den darauffolgenden Monaten aus der Stadt vertrieben.¹⁰⁴ Die zentralen Figuren des Umsturzes, die teils auf der einen, teils auf der anderen, teils auch auf beiden Listen genannt werden, waren zum Beispiel: Ulrich Tichtel, der zwar aus einer renommierten Ratsfamilie stammte,¹⁰⁵ selbst aber nur 1383 möglicherweise im Großen Rat und erst 1397 im Inneren Rat saß;¹⁰⁶ Andre Tichtel, ein Verwandter Ulrichs, der zwischen 1397 und 1401 plötzlich mehrfach im Äußeren Rat vorzufinden ist;¹⁰⁷ Thoman Wilbrecht, der erst ab 1397 und zuletzt 1402 im Großen Rat saß;¹⁰⁸ Wilhelm Jörgner, ein vermögender Weinhändler, der 1397 im Großen und zwischen 1399 und 1402 im Inneren Rat saß;¹⁰⁹ Heinrich Wendelhauser, der ebenfalls vermögend war, aber erst für 1397 im Großen und 1400/1401 im Inneren Rat nachweisbar ist;¹¹⁰ Ulrich Fueß, von Beruf Metzger und vermutlich 1400 Bürgermeister.¹¹¹ Die Namensliste ließe sich noch lange fortsetzen. Die Hauptakteure des ‚revolutionären‘ Regiments waren, so wird deutlich, überwiegend Personen aus wohlhabenden Kaufmanns- oder Handwerkerfamilien und in geringerem Umfang aus bereits ratsfähigen Familien. Gemeinsam hatten sie jedoch alle, dass sie vor dem Beginn der Unruhen 1397/98 kaum oder gar keine Erfahrung in der Ausübung stadtpolitischer Ämter gehabt hatten. Es handelte sich bei den meisten von ihnen um genau die Kategorie wohlhabender, aber ansonsten noch nicht ganz arrivierter Gruppen, der auch die Astaler zugeordnet werden müssten. Die Astaler tauchen allerdings in Kazmairs Listen der „pösen“ und ihrer Mitläufer nicht auf, und auch auf der Liste der 26 Bestraften von 1403 sind sie nicht zu finden. In der Stadtpolitik scheinen sie auch während des ‚revolutionären‘ Regiments keine größere Rolle gespielt zu haben: Bei der jährlichen Rechnungslegung waren, wie die überlieferten Stadtkammerrechnungen zeigen, stets Ausschüsse aus allen drei Ratsgremien anwesend. In den Jahren 1400 und 1402 war sogar zusätzlich noch je ein

104 Die im Stadtarchiv München befindliche Liste ist undatiert und ohne Signatur; abgedruckt bei Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 560 m. Anm. 1; die Namen sind auch aufgelistet bei Solleder, München im Mittelalter, 520 f. 105 Vgl. Stahleder, Die Tichtel, 212. 106 Vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 504 I m. Anm. 1.; vgl. Stahleder, Die Tichtel, 226. 107 Vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 505 I m. Anm. 1. 108 Vgl. Stahleder, Die Wilbrecht, Rosenbusch, Pütrich, 232; vgl. außerdem DE-1992-KAEM-001 – 021 (Kammerrechnungen, 1398 – 1399), StadtA München, Kämmerei, fol. 146v. 109 Vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 505 I m. Anm. 2. 110 Vgl. ebd., 506 I m. Anm. 4. 111 Vgl. Stahleder, Bierbrauer und ihre Braustätten, 116; vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 506 I m. Anm. 6.

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Ausschuss von Handwerkern beziehungsweise „von der gemain“ zugegen.¹¹² Die Astaler waren schon an den überlieferten Jahresabrechnungen der Zeit vor dem Umsturz nicht beteiligt gewesen,¹¹³ und auch nach 1397 befanden sie sich in keiner der Gruppen, die bei der Rechnungslegung vertreten waren. Dagegen tauchen Namen wie Tichtel, Glesein, Wilbrecht, Scharfzahn, Wendelhauser oder Jörgner bei den Abrechnungen zwischen 1398 und 1402 immer wieder auf.¹¹⁴ Lediglich einmal ist Franz Astaler in einem Zusammenhang überliefert, der eine Parteinahme für das ‚revolutionäre‘ Stadtregiment nahelegen könnte: Am 25. Juli 1400 war er Teil einer 20-köpfigen Münchner Gesandtschaft, die auf einem Verhandlungstag in Landshut die Interessen der Stadt gegenüber den verbannten Ratsherren sowie gegenüber Herzog Ernst vertrat. Hier findet man Franz Astaler Seite an Seite mit prominenten ‚Umstürzlern‘ wie Wilhelm Jörgner, Heinrich Wendelhauser, Hans Mengas, Andre Tichtel, Rott von Alling, Ulrich Ursenperger, Thoman Wilbrecht, Jörg von Nannhofen, Heinrich Per, Hans Pötschner und Peter Bart.¹¹⁵ Zwischen 1400 und 1402 gab es immer wieder solche Verhandlungstage, zu denen die Stadt München Abordnungen schickte. Bei einem Teil davon sind die Teilnehmer namentlich überliefert – ein Astaler ist bis auf das genannte Beispiel nie darunter, dafür zum Großteil solche, die Kazmair zu den „pösen“ zählte oder die zumindest in dieser Zeit vermehrt in die städtischen Ratsgremien aufgestiegen waren.¹¹⁶ Außerdem ist noch eine Bürgschaft zu erwähnen, die Stephan Astaler gemeinsam mit anderen Bürgern für Ulrich Tichtel nach Beendigung der Unruhen 1403 leistete, als dieser die ihm auferlegte Strafsumme nicht sofort zahlen konnte.¹¹⁷

112 Vgl. DE-1992-KAEM-001 – 022 (Kammerrechnungen, 1399 – 1400), StadtA München, Kämmerei, fol. 135r; vgl. DE-1992-KAEM-001 – 023 (Kammerrechnungen, 1400 – 1402), StadtA München, Kämmerei, fol. 116v. 113 Vgl. DE-1992-KAEM-001 – 018 (Kammerrechnungen, 1396), StadtA München, Kämmerei, fol. 74v; vgl. DE-1992-KAEM-001 – 019 (Kammerrechnungen, 1397), StadtA München, Kämmerei, fol. 77r. 114 Vgl. DE-1992-KAEM-001 – 020 (Kammerrechnungen, 1398), StadtA München, Kämmerei, fol. 58v; vgl. DE-1992-KAEM-001 – 021 (Kammerrechnungen, 1398 – 1399), StadtA München, Kämmerei, fol. 146v; vgl. DE1992-KAEM-001 – 022 (Kammerrechnungen, 1399 – 1400), StadtA München, Kämmerei, fol. 134v–135r; vgl. DE-1992-KAEM-001 – 023 (Kammerrechnungen, 1400 – 1402), StadtA München, Kämmerei, fol. 116v. 115 Erwähnt wird die Gesandtschaft, ohne Nennung von Namen, bei Kazmair, 472 §119; zur Identifikation der Beteiligten vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 537 §119 m. Anm. 1. 116 Vgl. Kazmair, 496 §137; Muffat konnte die Mitglieder der Münchner Abordnungen, sofern sie nicht bei Kazmair genannt wurden, in vielen Fällen auf Basis der Stadtkammerrechnungen identifizieren, vgl. Muffat, Die Chroniken der baierischen Städte, 534 §114 m. Anm. 1, 542 §126 m. Anm. 4, 546 §136 m. Anm. 1, 548 §153 m. Anm. 1. 117 Vgl. ebd., 564.

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5 Zusammenfassung Die Ergebnisse der obigen Untersuchungen lassen sich also wie folgt zusammenfassen: Die Astaler waren nach ihrem Zuzug nach München lange Zeit homines novi. Sie gehörten zu einer aufstrebenden, ehrgeizigen sozialen Schicht, die der obersten Führungsriege der Geschlechter nachgeordnet war, die sich aber gerade deshalb umso mehr durch Geschäftstüchtigkeit und, damit einhergehend, mithilfe günstiger Heiratsverbindungen einen Namen gemacht hatte. Damit war der Boden für den weiteren sozialen und politischen Aufstieg innerhalb der städtischen Elite bereitet. Jedoch war es den Astalern, wie so manch anderen ‚neueren‘ Münchner Familien, erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts vergönnt, in die hohen Ämter der Stadtpolitik aufzusteigen. Da sie um 1400 noch politisch praktisch bedeutungslos waren, blieben sie auch von den Verbannungen der Unruhezeit verschont, die ihre angeheirateten Verwandten betrafen. Sie beteiligten sich aber auch nicht oder zumindest nur sehr passiv am Umsturz des Jahres 1398 und dem darauffolgenden ‚revolutionären‘ Regiment, obwohl sie im Hinblick auf die soziale Gruppe, zu der sie zählten, dazu geradewegs prädestiniert gewesen wären. So betrachtet, erscheinen sie als eine eher ‚konservative‘ Familie, die offenbar durch ihre intensiven Verbindungen mit führenden Ratsgeschlechtern auch eine Art entsprechendes Standesbewusstsein erlangt hatte, das ihr mit Aufruhr und Umsturz nicht vereinbar erschien. Durch ihre Stiftung von 1392, ein kostspieliges, künstlerisch aufwändiges Werk an einem der prominentesten Orte im öffentlichen städtischen Raum, hatten sie dieses Standesbewusstsein bereits eindrucksvoll gegenüber der Münchner Öffentlichkeit demonstriert. Die oben beschriebenen Stifterporträts suggerieren in nicht zu unterschätzender Weise eine Gleichrangigkeit mit den alten Ratsgeschlechtern, die zu der Zeit zwar in ökonomischer, aber noch nicht in stadtpolitischer Hinsicht erreicht war. Somit muss das Astalerfenster auch als eine gezielte Investition der Familie in ihre langfristige Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit gesehen werden. Möglicherweise war auch nicht nur das ‚revolutionäre‘ Stadtregiment den Astalern, sondern waren auch umgekehrt die Astaler dem neuen Stadtregiment aufgrund ebenjener (tatsächlichen wie auch medial untermauerten) Nähe zu den verbannten Geschlechtern suspekt und wurden daher, wenngleich aufgrund ihrer bisher politisch unbedeutsamen Rolle nicht verbannt, so doch von der politischen Mitbestimmung am neuen Stadtregiment ferngehalten. In jedem Fall hatten die Astaler zu dieser Zeit längst unmissverständlich deutlich gemacht, zu welcher sozialen Gruppe der Stadt sie gehören wollten: Ihre Stiftung in der Frauenkirche, mit der sie nicht lange nach ihrem Zuzug einen kulturpolitischen Akzent gesetzt hatten, spricht in der Hinsicht eine eindeutige Sprache und muss auf die Zeitgenossen einen entsprechenden Eindruck gemacht haben. Einige Jahrzehnte später hatten sie auf stadtpolitischer Ebene ihr Ziel erreicht. Gerade diese Entwicklung macht die Astaler zu in sehr eigenwilliger Weise hervorstechenden, aber vielleicht gerade deshalb umso typischeren Vertretern einer sozialen Umwelt, die in jener Epoche einem dynamischen Wandel unterlag.

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Quellenverzeichnis Ungedruckte Quellen Stadtarchiv München [StadtA München] Kämmerei: DE-1992-KAEM-001 – 018 (Kammerrechnungen, 1396) DE-1992-KAEM-001 – 019 (Kammerrechnungen, 1397) DE-1992-KAEM-001 – 020 (Kammerrechnungen, 1398) DE-1992-KAEM-001 – 021 (Kammerrechnungen, 1398 – 1399) DE-1992-KAEM-001 – 022 (Kammerrechnungen, 1399 – 1400) DE-1992-KAEM-001 – 023 (Kammerrechnungen, 1400 – 1402) DE-1992-KAEM-001 – 026 (Kammerrechnungen, 1406 – 1407) DE-1992-KAEM-001 – 027 (Kammerrechnungen, 1407) Zimelien: DE-1992-ZIM-017 (Ratsbuch III, Ratswahlen, mit Nachträgen, 1362 – 1384)

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Laura Winter

Investition in die Ewigkeit Religiöse Gebrauchskunst aus dem Besitz Jacob Fugger-Babenhausens und Octavian Secundus Fuggers Hatten sich die Fugger im Zuge der Reformation klar zur katholischen Konfession bekannt, so mochte es zunächst den Anschein haben, als sei dies aus einem politischen und finanziellen Kalkül heraus geschehen.¹ Durch die wirtschaftlich vorteilhaften Umstände und ihr kaufmännisches Geschick waren die Fugger fähig, dem Kaiser, der Kurie und dem Klerus hohe Kredite und Darlehen zu geben – die Gläubiger hatten also enorme Schulden zu begleichen. Im Gegenzug erhielt die Familie das Schürfrecht im Bergbau und damit zeitweise eine monopolartige Stellung im Kupferhandel. Zudem wurden die Fugger in den Grafenstand erhoben, womit weitere Privilegien einhergingen.² Doch wie sah angesichts dieser gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse die Glaubenspraxis der Fugger im Privaten³ aus? Was machte ihre Frömmigkeitspraxis ‚katholisch‘ – insbesondere in ‚materieller‘ Hinsicht? Lässt sich in diesem Zusammenhang von ‚Investitionen‘ sprechen? Exemplarisch herausgegriffen werden für die Betrachtung der privaten Frömmigkeitspraxis und ihrer objekthaften Anwendung zwei Persönlichkeiten: Jacob FuggerBabenhausen (1542 – 1598) und sein Vetter Octavian Secundus Fugger (1549 – 1600). Beide Akteure lebten in einer vergleichbaren historischen, räumlichen und sozialen Umgebung. Ihre Hauptwohnsitze waren im bikonfessionellen Augsburg, wo sich - wie auch im Heiligen Römischen Reich - die konfessionspolitische Lage nach dem Augsburger Religionsfrieden zwar einigermaßen stabilisiert, wenn auch nicht ganz entspannt hatte.⁴ Sie waren nicht in die Führung der Fuggerschen Familiengesellschaft eingebunden; Octavian Secundus und sein Bruder Philipp Eduard schieden 1578 auch als Teilhaber aus der Firma aus und gründeten eine eigene Gesellschaft, die sich im Gewürzhandel und

Anmerkung: Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form bereits publiziert. Vgl. Winter, Jacob und Octavian Secundus Fugger – fromme Bankiers?, 353 – 396. 1 Vgl. Dauser/Ferber, Die Fugger und Welser; Häberlein, Die Fugger; Karg, Die Fugger als Forschungsthema, 308 – 321; Pölnitz, Jakob Fugger; Pölnitz/Kellenbenz, Anton Fugger, 3 Bd.; Schiersner, Familiensache Kirche?. 2 Vgl. Hadry, Jakob Fugger (1459 – 1525) – ein falscher Graf?, 33 – 51; Häberlein, Die Fugger, 36 – 96; Scheller, Memoria an der Zeitenwende, 179 – 181 und Strecker, Augsburger Altäre, 247– 249. 3 ‚Privatheit‘ in den Räumen des jeweiligen Wohnhauses. Die Wohn- und Arbeitsgemeinschaft dort ist im Sinne des ‚ganzen Hauses‘ zu verstehen und hatte insofern Auswirkungen auf die Privatsphäre, als verschiedene Bedienstete Zugang zu den für ihre Aufgabe erforderlichen Räumlichkeiten besaßen. Im Folgenden wird das Adjektiv ‚privat‘ in eben diesem Kontext verwendet. Vgl. Hoppe, Rückzugsorte, 417– 420. 4 Vgl. insbesondere zur Lage Augsburgs Warmbrunn, Zwei Konfessionen, 69 – 130. https://doi.org/10.1515/9783111060682-010

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Kreditgeschäft engagierte.⁵ Auch fehlte es Jacob wie Octavian Secundus nicht an finanziellen Mitteln, weshalb sich die Frage anschließt, worin sie ihr Geld investierten. Des Weiteren hat sich im Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Familien- und Stiftungsarchiv in Dillingen/Donau zur Beantwortung der Fragen nach der materiellen Seite der Frömmigkeit ein umfangreiches Quellenkorpus erhalten, in dem hauptsächlich die Nachlassinventare um 1600 der zwei Hauptsitze der Fugger an dieser Stelle in den Fokus rücken: das Wohnhaus in der Pfaffengasse und das am Weinmarkt.⁶

1 Posttridentinische Frömmigkeit Angesichts des Bekenntnisses der Fugger zum Katholizismus müsste sich ihre Frömmigkeitspraxis an katholischen Praktiken orientieren, deren theologische Grundlagen im Konzil von Trient (1545 – 1563) erarbeitet bzw. überarbeitet wurden. Die dort beschlossenen Reformen knüpften an die Ursprünge im Urchristentum an und wurden gleichzeitig in Abgrenzung zum reformatorischen Glauben in die Gegenwart transformiert. Im Speziellen wurde die sinnliche Erfahrung im Kult, in der Katechese und in der frommen Einzelbetrachtung bestärkt.⁷ Die dafür verwendeten Bilder dienten zur Unterweisung der Gläubigen und zeigten Ideale auf, nach denen man sein eigenes frommes Leben ausrichten konnte.⁸ Dabei boten die Heiligen verschiedenartige Beispiele, wie ein solches gelingen konnte. Das Konzil bestätigte nochmals deren Stellung, weswegen auch ihre sterblichen Überreste weiterhin als Reliquien anbetungswürdig waren.⁹ Ebenfalls bestätigt und intensiviert wurde die Marienfrömmigkeit. So empfahl Papst Pius V. im Jahre 1569 ausdrücklich das Rosenkranzgebet. Außerdem wurden mit großem Aufwand marianische Feste ebenso wie solche zur Verehrung der Hostie gefeiert. Die Eucharistie rückte dadurch ins Zentrum der Liturgie sowie der Kirchenausstattung – weg vom Sakramentshaus hin zu einer eigens angefertigten Monstranz oder zum Tabernakel auf dem Hauptaltar. Mit der neu entflammten Verehrung der Heiligen, Mariens und der Eucharistie setzte zudem ein starker Zulauf bei Wallfahrten ein.¹⁰ Es können also folgende Aspekte als Eigenarten katholischer Frömmigkeit zusammengefasst verstanden werden: die Verwendung von Bildern zur Unterweisung und Anleitung der Gläubigen, die Heiligen- und Reliquienverehrung, die Marienanbetung, die Hostie als realer Leib Christi mit entsprechender Heiligung sowie Wallfahrten zum

5 Vgl. Hildebrandt, Die „Georg Fuggerischen Erben“; Lieb, Octavian Secundus Fugger, 2 – 7. 6 Nachlassinventar Jacob Fugger-Babenhausen von 1602: FA 1.2.26. Nachlassinventar Octavian Secundus Fugger von 1600 FA 1.1.9, ediert in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 232 – 310. 7 Vgl. Schmidt, Die Konzilien und der Papst; Weiss, Katholische Reform und Gegenreformation; Prodi/ Reinhard, Das Konzil von Trient und die Moderne. 8 Vgl. Tacke, Kunst und Konfession; Strecker, Augsburger Altäre; Erlemann, Die Heilige Familie. 9 Vgl. Ganzer, Das Konzil von Trient und die Volksfrömmigkeit, 18. 10 Vgl. ebd., 23 – 25.

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Zweck der Buße und aus Dankbarkeit. Welche Ausformungen und Intensitäten einzelner Frömmigkeitspraktiken sind nun bei Jacob und Octavian Secundus zu finden und worin liegen die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede der beiden Fuggerpersönlichkeiten?

2 Jacob Fugger-Babenhausen Jacob Fugger-Babenhausen wurde 1542 als der jüngste Sohn Anton (1493 – 1560) und Anna Fuggers (1505 – 1548) geboren. Diana Egermann-Krebs‘ Publikation von 2015 verschafft einen guten Überblick über seine Biografie, seine Güterpolitik und Herrschaftspraxis.¹¹ Auffällig ist dabei, dass Jacob seine Besitzungen systematisch ausbaute. Da er nicht im Handel eingesetzt war, konnte er seine Zeit und Kraft vollends auf diese Tätigkeit richten. Der damit verbundenen Ausübung von Herrschaft widmete sich Jacob auf individuelle Weise: Er zeigte persönliche Präsenz – sowohl in physischer Anwesenheit wie auch in eigenständig gefällten Gerichtsurteilen – und war sich seiner Pflicht als Schutz- und Schirmherr bewusst. Beispielsweise kümmerte er sich um die Kinderund Jugendbildung, um Waisen sowie die Hebammenversorgung.¹² Dieser Eindruck verfestigt sich auch in der Art, wie er sein Begräbnis und sein weiteres Andenken plante. Wie im Testament beschrieben, wurde nach seinem Tod am 7. Februar 1598 eine Prozession, eine Seelenmesse in St. Ulrich und Afra in Augsburg und schließlich die Bestattung in Babenhausen begangen. Alle Ausgaben waren von Jacob im Vorhinein festgesetzt worden, um unnötige Kosten zu vermeiden. Stattdessen veranlasste er, dass verarmte Untertanen seiner Herrschaften Almosen als einen letzten „Diensterweis“ erhielten.¹³ Auch scheint er eine gewisse Toleranz gegenüber anderen Konfessionen an den Tag gelegt zu haben, denn in Rettenbach beispielsweise überließ er es einem protestantischen Vogt, ihm einen Vorschlag für den Nachfolger des katholischen Pfarrers zu machen.¹⁴ Als 1601 Jacobs Ehefrau Anna Fugger-Babenhausen, geborene Ilsung von Tratzberg (1549 – 1601), verstarb, wurde ein Nachlassinventar angefertigt, das die „Vahrnus“ dokumentiert, die sich im repräsentativen Stadtpalais der Eheleute in Augsburg an der Pfaffengasse befand. Das Inventar dokumentiert, dass Jacobs Hauptsammelinteressen Büchern und Schriften galten. Über 3.300 Werke befanden sich in seinem Besitz, wodurch der Eindruck eines gebildeten, belesenen, vielseitig interes-

11 Vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen. 12 Schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis von Egermann-Krebs verrät, dass Jacob ein gütiger Herrscher war. Vgl. detaillierter Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 467– 476. 13 Wie Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, herausarbeitete, war Jacob bemüht um das Wohlergehen seiner Herrschaften, was ebenso soziale Aspekte einschloss. Zum Begräbnis vgl. ebd., 64 – 66. 14 Vgl. ebd., 428 – 436.

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sierten Mannes entsteht.¹⁵ Bei der Erstellung des Inventars ging man nach Räumen vor und begann im „Silbergewölb“ bis man „Auff dem Haberboden“ endete. Der Zustand der Wohnsituation zu Lebzeiten Jacobs bzw. Annas wird größtenteils wiedergegeben – wahrscheinlich wurden durch die Witwe noch einige Umstellungen vorgenommen, welche allerdings nicht mehr zu rekonstruieren sind.¹⁶ Im Folgenden werden Aufstellung und einschlägige Objekte detailliert wiedergegeben, um deren Einordnung in Jacobs Frömmigkeitspraxis anschaulich werden zu lassen. Das Haus an der Pfaffengasse kann als Hauptsitz der Familie Fugger-Babenhausen bezeichnet werden, obwohl sich diese Fuggerlinie regelmäßig mehrere Wochen im Jahr auf Schloss Babenhausen aufhielt.¹⁷ Die religiösen Objekte waren keineswegs im gesamten Haus verteilt, sondern konzentriert in einigen Räumen zu finden: namentlich der Kapelle mit Sakristei, dem „Gehaimben Gewölb“ und der Bibliothek. Dies deutet zwar stark auf eine Ausdifferenzierung der Räume hin, kann aber nicht in Richtung einer säkularen Aufteilung gedeutet werden. Besonders wertvolle religiöse Gegenstände waren im „Gehaimben Gewölb“, eine Art begehbarer Tresor, zusammengetragen und in verschiedenen Möbeln verstaut worden: Reich verzierte Kruzifixe, silberne Hausaltärchen, Agnus Dei,¹⁸ Schmuckstücke mit Darstellungen christlicher Motive und Rosenkränze lagerten hier. Ob sie erst nach dem Tod Jacobs und zur Inventarisierung dorthin gelangten, muss offenbleiben.

3 In der Bibliothek Daneben ist der Ort, an dem sich die meisten Frömmigkeitsobjekte befanden, die Bibliothek, in der die über 3.300 Bücher und Schriftstücke verwahrt wurden. Sie behandelten Themen der Geschichtsschreibung, Geographie, Kartographie, Musik, Rechtsprechung und Theologie, wobei im Nachlassinventar keine Titel genannt werden, denn die Auflistung aller Bände hätte zu viel Zeit und Mühe erfordert.¹⁹ Auch ihre Provenienz

15 Vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 39 – 40, die aufgrund der Anzahl, die im Vergleich zu anderen Bibliotheken im Reich nicht allzu hoch war, argumentiert, dass Jacob die Bücher tatsächlich las. Außerdem durften Angestellte die Bücher ausleihen. 16 Vgl. FA 1.2.26 fol. 214v–242r: Inventarium Jacob Fugger-Babenhausen von 1602. 17 Zur Nutzung von Schloss Babenhausen vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 41 – 47. 18 Die Objekte wurden aus dem Wachs der letztjährigen Osterkerze gegossen und vom Papst geweiht. Dadurch kam ihnen eine reliquienartige Schutzfunktion zu. Vgl. Hartmann, Agnus Dei; Ausst. Kat. Zeichen Zeigen, 24 und 28 – 30. 19 Vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 39 – 40 und FA 1.2.26 fol. 208r.: „Allhie ist zumerckhen demnach hernachvolgende Büecher in der Bibliotheca versecretiert und verschloßen gehalten werden und die Beschreinbung in Specie seer vil Zeit und müee erfordert hatte, das mann derwegen zu befürderung der sachen nachfulgende Büecher allein abgezelt und Summarischer weiß beschriben wie hernach volgt.“ – Jacob war scheinbar bestrebt, eine Universalbibliothek aufzubauen. Jedoch ist der Großteil der Buchinhalte uns nicht bekannt.

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ist unsicher, denn ein Teil der Bücher stammte aus dem Nachlass von Jacobs Bruder Hieronymus Fugger (1533 – 1573) und bildete später den Grundstock seiner Bibliothek.²⁰ Nur einige wenige Bücher werden im Inventar mit eigenen Einträgen berücksichtigt, sodass angenommen werden kann, dass ihnen ein besonderer Wert zugesprochen wurde. Diese sind vornehmlich Handschriften mit hübschen Einbänden. Unter den insgesamt sechs Handschriften sticht ein von Jacob selbstgeschriebenes „Bethbüechlin“²¹ nochmals besonders hervor. Es zeugt von einer gelebten Gebetskultur, die Jacob durch Verschriftlichung zunächst verinnerlicht und später weiter gepflegt hatte.²² Weitere Bücher, deren Einträge Rückschlüsse auf den Inhalt ermöglichen, waren die päpstliche Bannbulle „In coena Domini“²³, ein „Additamentum IV. Theatri Orbis Terrarum“²⁴ von Abraham Ortelius (1527– 1598) sowie zwei ungebundene Ausgaben Albrecht Dürers (1471 – 1528) „Underweysung der Messung, mit dem Zirckel und Richtscheyt, in Linien, Ebenen unnd gantzen corporen“²⁵ sowie ein „Tractatus plurimorum doctorum“²⁶. Profane Bücher wie die Handwerksordnung zu Augsburg, eine Abhandlung über Pferde und die Kriegskunst sowie ein „Titus liuius illuminiet und in Rot Samat gebunden“²⁷ lagen neben einem Kommentar des Jesuiten Petrus Canisius (1521 – 1597) mit französischem Bucheinband und einem Gesangbuch aus Pergament für den Gottesdienst.²⁸ Anhand der hier genannten Werke kann kein besonderer Schwerpunkt auf theologischen Abhandlungen festgestellt werden. Lediglich die päpstliche Bulle, der Kommentar Canisius‘ und das Gesangbuch fügen sich in einen christlichen Kontext ein. 20 Vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 18 und Karg, Bobingen und die Fugger, 187– 190. 21 Vgl. FA 1.2.26 fol. 200v. 22 Sollte das Gebetbuch als Übung zum Erlernen des Schreibens gedacht gewesen sein, so muss trotzdem festgehalten werden, dass Jacob es seitdem in seiner Sammlung behielt. Vgl. Luibl, Des Fremden Sprachgestalt, 36 – 40. 23 Vgl. FA 1.2.26 fol.200v und Jaser, Ecclesia maledicens, 374 – 404. 24 Vgl. FA 1.2.26 fol. 202v. Der Atlas wurde erstmals 1570 in Antwerpen veröffentlicht und war ein Novum, da Karten zuvor entweder ein unhandliches Format besaßen oder nach den Wünschen des Bestellers in einem Buch zusammengefasst wurden. Vgl. Imhof, Ein Theater der Welt, 60 – 75 und State Library Victoria, Abraham Ortelius ‚Additamentum‘. 25 Vgl. FA 1.2.26 fol. 203r. Der Eintrag im Inventar schreibt lediglich „Zwey ungebundene Albrecht dürerische Büecher von Circkhelmissen“ FA 1.2.26 fol. 203r. J448, wobei „Circkhelmissen“ mit „Zirkelmessen“ übersetzt wurde. SLUB, Albrecht Dürer. 26 Vgl. FA 1.2.26 fol. 209r. Der gesamte Titel lautet ‚Tractatus plurimorum doctorum: Tractatus Singulares et in praxi contingibiles diversorum doctoru[m]: cu[m] additionibus et repertorio: apprime tersi et emuncti. Et primitus‘ und wurde im Inventar mit ‚Item das tractatus doctorum, hat herr d: Bürglin auff ein Reuers(?) endtlehent.‘ verzeichnet; FA 1.2.26 fol. 209r. J457. Bayerische Staatsbibliothek digital, Tractatus. 27 FA 1.2.26 fol. 212r. Bei diesem Buch handelt es sich um Schilderungen der Geschichte Roms durch den römischen Geschichtsschreiber Titus Livius unter Kaiser Augustus, die vor allem von Humanisten rezipiert wurden. Vgl. Raschle, Livius (Titus Livius) ‚Ab urbe condita‘, 425 – 426. 28 Vgl. FA 1.2.26 fol. 213r. Peter Canisius kam 1559 nach Augsburg, um das Amt des Dompredigers zu übernehmen. Vgl. Oswald, Petrus Canisius – ein Lebensbild, 21 – 38. Zum französischen Renaissanceeinband vgl. Mazal, Einbandkunde, 175 – 187.

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Die Bibliothek war neben dem Ort der Büchersammlung zugleich das Arbeitszimmer Jacobs. Seine Gelehrsamkeit, aber auch sein persönlicher Geschmack manifestierten sich in den dort aufgestellten Objekten, weswegen eine Analyse der Einrichtung durchaus Rückschlüsse auf seine Frömmigkeit zulässt: Gleich über der Tür hingen 27 Gemälde, die vermutlich auf der gesamten Wandfläche verteilt waren. Hauptsächlich wurden Szenen aus dem Leben und der Passion Christi sowie mehrere Mariendarstellungen gezeigt. Dazwischen waren mehr als zwölf Porträts angebracht, von denen einige nicht näher identifizierbar sind; auf anderen waren Persönlichkeiten wie Herzog Wilhelm V. von Bayern (1548 – 1626, reg. 1579 – 1597) oder Anton Fugger zu sehen. Über einem Kasten mit 155 lateinischen und deutschen Büchern, deren Titel ebenfalls nicht überliefert sind,²⁹ waren – an Raritäten in Kunst- und Wunderkammern erinnernd – allerlei Kuriositäten versammelt: „Ein Mör Roß Zan“³⁰, marmorne Mörser, ein korallener Zacken in einem Glasgehäuse sowie ein „globus terrae“.³¹ Ein Hausaltar mit einem Marienbildnis aus Alabaster stand auf dem Kasten No. 2. Ein zweiter war in einem „Schreibtisch“ aus Nussbaumholz verwahrt, der wiederum im Bücherkasten No. 14 lagerte.³² Da die Bibliothek als Arbeitsplatz wohl häufig genutzt wurde, kann durchaus angenommen werden, dass die hier aufgestellten Altäre Verwendung fanden. Weiter waren in einer schwarzen Kiste unterschiedliche Bilder zusammengelegt: eine Tafel aus Alabaster mit dem Urteil Salomons, Maria Magdalena aus Wachs sowie ein Seidentuch mit der hl. Katharina von Siena.³³ Darüber hing „Ein Altar täfelin mit Christo, Maria und S: Johannes“³⁴ und ein Lichtschirm mit dem Jesuskind.³⁵ Die Altartafel wird wohl ein Triptychon gewesen sein, während das Material und das Aussehen des Lichtschirms ungeklärt bleiben.³⁶ Im Inventar folgt eine Auflistung von Bildern und Skulpturen, wie etwa ein zerbrochenes Relief aus rotem Wachs mit der Darstellung Christi,³⁷ ein Porträt Kardinal Albrechts VII. von Habsburg (1559 – 1621),³⁸ ein Marienbild vom Montserrat³⁹ sowie zwei „geschriben täfelin in form […]“⁴⁰ einer Monstranz und eines Kranzes. Diese Tafeln

29 Vgl. FA 1.2.26 fol. 200v. 30 FA 1.2.26 fol. 200r. 31 FA 1.2.26 fol. 200v. 32 Vgl. FA 1.2.26 fol. 201r und fol. 213r. 33 Vgl. FA 1.2.26 fol. 201v und fol. 202r. 34 FA 1.2.26 fol. 202v. 35 Vgl. FA 1.2.26 fol. 202v. 36 Entweder bestand der Lichtschirm aus dünnem Stoff, Pergament oder Papier, das bemalt wurde. Oder es handelte sich um einen aus Metall gearbeiteten, der mit Löchern versehen wurde. In beiden Fällen musste die Lichtquelle eine Kerze gewesen sein, sodass der Lichtschirm in entsprechender Entfernung aufgestellt werden musste. 37 Vgl. FA 1.2.26 fol. 206r. 38 Vgl. FA 1.2.26 fol. 210v. 39 FA 1.2.26 fol. 210v. 40 FA 1.2.26 fol 210v.

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zeigten Motive, die nicht gemalt waren, sondern durch Schrift ein Motiv ergaben. Aus der Anordnung der Buchstaben und Wörter formten sich eine Monstranz und ein Kranz. Die Verbindung der Gattungen Literatur/Sprache und bildende Kunst zielte wahrscheinlich auf eine Art Rätsel ab, welches es gemeinsam zu lösen galt.⁴¹ Erst nach genauerem Hinsehen wurde das Bild als Schrift erkannt. Solche Spielereien waren beliebte Formeln in der Kunst des Manierismus.⁴² Zudem könnte es sich auch um Gedenkinschriften handeln, die mit ihrer Form auf das Ereignis verweisen.⁴³ Die Bibliothek Jacobs war alles in allem sehr vielfältig und mit einigen Kuriositäten ausgestattet, sodass durchaus Parallelen zu zeitgenössischen Kunst- und Wunderkammern gezogen werden können: Hier wurden Objekte unterschiedlicher Herkunft, Verwendung und Aussehens zusammengeführt, um die äußere Welt in ihrer Gänze in einem Innenraum zu erfassen. Zusätzlich versuchte man die Gegenstände – und damit im übertragenen Sinne den Kosmos – zu ordnen, indem man sie kategorisierte.⁴⁴ Inwiefern es sich bei Jacobs Arbeitszimmer um eine Kunst- und Wunderkammer handelte, wird an späterer Stelle nochmals aufgegriffen und detaillierter geklärt werden.

4 Jacob als belesener Christ Wie sich anhand der Auswertung des Inventars zeigte, waren die religiösen Objekte nicht im Haus verstreut, sondern hauptsächlich im Geheimen Gewölbe sowie in der Bibliothek zu suchen. In den Gemächern Jacobs werden lediglich drei Gegenstände verzeichnet – im Vergleich dazu fanden sich in Annas Zimmern insgesamt 42 Einträge. Die größte Anzahl an religiösen Objekten im Haus wurde in der Sakristei (158 Einträge) sowie der Kapelle mit zugehörigen Räumen (weitere 74 Einträge) inventarisiert. In anderen, profanen Zimmern fehlten sie dafür vollkommen, wie beispielsweise im Saal, der Tafelstube oder dem Apothekergewölbe. Dies deutet auf eine starke Ausdifferenzierung der Räume hin, die dem Religiösen einen eigenen Ort innerhalb des Hauses zuordnete. Dort, wo religiöse Gebrauchskunst im Inventar beschrieben wird, zeigte sich außerdem, dass einige Devotionalien häufiger auftauchten als andere. Dabei handelte es sich um Rosenkränze und Agnus Dei, die möglicherweise als Geschenke in Jacobs Besitz gelangten. Da sie sehr kostbar und reich verziert waren, weisen die Kleinodien Sammlungscharakter auf und eigneten sich zum Austausch adeliger Ehrenzeichen. Ihr Aufbewahrungsort in einem privaten Arbeitszimmer ohne repräsentativen Charakter lassen annehmen, dass Jacob keinen Wert auf eine Inszenierung ebendieser legte. Ohne

41 Vgl. Achermann, Das Prinzip des Vorrangs, 179 – 209. 42 Vgl. Schneider, Die antiklassische Kunst, 20 – 22. 43 Beispielsweise die Weihetafel einer Monstranz in Form einer Monstranz. Lieb beschreibt solche Gegenstände im Nachlassinventar Octavians Secundus‘, vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 97– 98. 44 Zu Kunst- und Wunderkammern und ihren Ordnungsprinzipien, vgl. Beßler, Wunderkammern, 40 – 117; Minges, Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit; Sauerländer/Diemer, Die Münchner Kunstkammer, Bd. 3.

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aus weiteren Quellen konkrete Aussagen zu Jacobs Glaubenspraxis treffen zu können, lässt sich hier doch immerhin festhalten, dass einige Gegenstände – wie u. a. das eigenhändig geschriebene Gebetbuch – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Zwecken privater Andacht genutzt wurden.

5 Octavian Secundus Fugger Octavian Secundus Fugger war der dritte Sohn Georg (1518 – 1569) und Ursula Fuggers, geborene von Lichtenstein († 1573).⁴⁵ Als Siebzehnjähriger gelobte er, der Gesellschaft Jesu beizutreten und als Mann Gottes zu wirken. Von seinem Eid wurde er zwar später vom Papst entbunden, er bezeugte aber Sympathien für eine geistliche Ausrichtung seines Lebens. Ab 1564 studierte Octavian Secundus am Collegium Germanicum in Rom, das für die Ausbildung hochqualifizierter deutscher Kleriker zuständig und dafür 1552/ 53 von Ignatius von Loyola gegründet worden war.⁴⁶ Als Augsburger Stadtpfleger ließ er u. a. den Nordturm von St. Ulrich und Afra erweitern und genehmigte den Merkur- und den Herkulesbrunnen.⁴⁷ Maßgeblich beteiligt war er an der Gründung des Jesuitenkollegs St. Salvator. Am 1. Februar 1581 legten Octavian Secundus und sein Bruder Philipp Eduard gemeinsam den Grundstein für das Kolleg. Finanziert wurde der Bau zum einen aus dem Nachlass des verstorbenen Christoph Fugger, der den Jesuiten 30.000 Gulden vermacht hatte. Zum anderen stifteten die beiden Brüder aus ihrem Erbteil den Grundbesitz am Kohlergässlein, der geschätzt insgesamt 12.000 Gulden wert war – doch damit nicht genug: Octavian Secundus ließ die Glocke für St. Salvator gießen, spendete einige Gemälde, überschrieb nach einer Krankheit den Jesuiten 500 Gulden für einen Tabernakel, stiftete einen silbernen Kelch und unterstützte mit 300 Gulden den Kauf von Liegenschaften in Friedberg, die als Sommerhäuser des Ordens gedacht waren. Auch andere Kirchen erfuhren parallel finanzielle Förderung des wohlhabenden Fuggers.⁴⁸

6 Religiöse Gebrauchskunst im Nachlassinventar Octavian Secundus‘ Nachlassinventar wurde vom 8. Dezember 1600 bis zum 29. Juli 1601 aufgenommen. Darin werden alle Mobilien in den Besitzungen in Augsburg sowie in Bobingen, Kirchberg und Deisenhausen aufgelistet. In Octavian Secundus‘ Hauptsitz am

45 Seine Brüder waren: Philipp Eduard (1546 – 1618), Anton (1552 – 1616), Raymund (1553 – 1606) und Johann Georg (1566 – 1585). Vgl. Wölfle, Die Kunstpatronage der Fugger, 376. 46 Zum Collegium Germanicum vgl. Schmidt, Das Collegium Germanicum in Rom, 12 – 26 und 62 – 161. 47 Zu den Brunnen vgl. Diemer, Die große Zeit der Münchner und Augsburger Bronzeplastik, 19 – 49 und Bushart, Die Augsburger Brunnen und Denkmale, 86 – 90. 48 Vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 30 – 32 sowie zur Gründung des Jesuitenkollegs in Augsburg vgl. Ausst. Kat. Die Jesuiten und ihre Schule St. Salvator in Augsburg 1582, 17– 22.

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Weinmarkt sind 40 Zimmer gelistet, die alle auf den Hausherren bezogen sind; so wie auch „Des Herrn Kapelle“ und die dazugehörige Kapellenklammer.⁴⁹ Heute ist das Dokument als Reinschrift erhalten – es wurde vor Ort angefertigt und später übertragen – und befindet sich im Fuggerarchiv.⁵⁰ Ediert wurde es in Liebs Monografie von 1980.⁵¹ Das Inventar nennt allein in Augsburg 336 religiöse Objekte im weitesten Sinn: Reliquien und ihre Echtheitszertifikate, liturgisches Gerät, Kruzifixe, Rosenkränze, Gebetbücher, Bilder, Figuren, Münzen und Schmuck mit christlicher Thematik; und auch Arzneimittel und Edelsteine. Daher werden zunächst die Objekte in Gattungen zusammengefasst und beschrieben. Anschließend soll ein Raum exemplarisch herausgegriffen werden, um anhand des Holzkabinetts im sogenannten ‚Innersten Zimmer‘ die christliche Lebenswelt Octavian Secundus‘ in situ greifbar zu machen. Äußerst reichhaltig war das Wohnhaus am Weinmarkt mit Bildern aller Art ausgestattet. Unter den religiösen Motiven wurden einige Themen bevorzugt behandelt: Die Geburt und Passion Christi, Marienbilder und Heiligenbildnisse sowie Darstellungen historischer Kleriker. Von der Geburt Christi wird meist die Anbetung der Könige gezeigt, während andere Kindheitsszenen eine untergeordnete Rolle spielten. Die Darstellungen der Passion zeigten die unterschiedlichen Leidensstationen Christi. Besonders oft finden sich Darstellungen des Kreuzes, die häufig über der Tür angebracht waren. Dort hingen ebenso Gemälde von Christus als Salvator, der den Besuchenden beim Betreten bzw. Verlassen des Raumes segnete. Noch häufiger finden sich Madonnendarstellungen mit dem Jesuskind in ganz unterschiedlichen Medien: Als Gemälde, Kupferstiche, „gemmiert“⁵² oder aus Gips. Außerdem gab es Sacra Conversazione-Bilder, eine Anna Selbdritt, eine Rosenkranz-Madonna sowie eine Darstellung Mariens mit den sieben Schmerzen.⁵³ In der Kapellenkammer hing eine Verkündigungsszene von Paolo Fiammingo,⁵⁴ der noch drei weitere alttestamentarische Gemälde für Octavian Secundus malte. Außerdem besaß Octavian Secundus Bilder von wundertätigen Madonnen, denen selbst ein heiliger Charakter zugesprochen wurde: die Darstellungen der Madonna von Montserrat sowie

49 Eine Auflistung findet sich bei Lieb, Octavian Secundus Fugger, 13 – 15. 50 Vgl. FA 1.1.9, Bl. 1, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 232 und zum Nachlassinventar als kunsthistorische Quelle 54 – 59. 51 Lieb, Octavian Secundus Fugger. 52 Vgl. FA 1.1.9 Bl. 53r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 252, Nr. 469. ‚Gemmiert‘ beschreibt einen geschnittenen Edel- oder Halbedelstein mit bildlicher Darstellung. Vgl. Gemme, in: Pfeifer [u. a.], Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 53 Auch Mater Dolorosa genannt. Die Sorge Mariens um Jesus Christus wird anhand von sieben konkreten Ereignissen in den Evangelien erzählt. In der bildenden Kunst wird die Schmerzensmutter häufig mit einem bzw. sieben Schwertern im Herzen dargestellt. Vgl. Braunfels, Mater Dolorosa, 197 und zur speziellen Gebetsform Imbach, Marienverehrung zwischen Glaube und Aberglaube, 133 – 136. 54 Paolo Fiammingo (1540 – 1596) war ein niederländischer Maler, der seit 1573 in Venedig tätig war und hauptsächlich Landschaften und Stillleben darstellte. Durch Vermittlung von Hieronymus und Christoph Ott bestellte Hans Fugger (1531 – 1598) über einen Zeitraum von zwölf Jahren 32 Gemälde bei dem Künstler. Vgl. Martin, Hans Fugger und die Zyklen Paolo Fiammingos, 197– 209.

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der von Altötting. Erstere war Zeugin des Gelöbnisses des Ignatius von Loyola, von nun an ein geistliches Leben zu führen.⁵⁵ Letztere dürfte Octavian Secundus wohl an seine Wallfahrt an diesen Ort 1585 als Dank für seine überwundene Krankheit erinnert haben. Außerdem erhielten Pilger solche Devotionalien als Zeugnis, tatsächlich dort gewesen zu sein.⁵⁶ In der großen Gruppe an (historischen) Klerikern finden sich hauptsächlich Papstporträts sowie Bilder von Jesuiten, darunter Ignatius von Loyola, Petrus Canisius und Franziskus Xaverius. Hierin manifestierte sich die Papsttreue sowie die Verbundenheit Octavian Secundus‘ mit dem Reformorden der Societas Jesu. Der Austausch mit dem Hof in München wird anhand mehrerer Blätter greifbar: Octavian Secundus besaß beispielsweise ein Bild des Erzengels Michael, wie er am Eingang der Jesuitenkirche St. Michael in München steht.⁵⁷ Weiter findet man in dem Kasten vor Octavian Secundus‘ Zimmer etliche Abrisse der Monstranzen, Kelche und liturgischen Geräts aus der herzoglichen Kapelle in München. Eine besondere Art der Bilder stellen die getriebenen Gold- und Silbertafeln dar. Einerseits waren sie durch ihren Materialwert kostbar. Andererseits scheinen sie nicht – oder nur teilweise – für die Anbringung an der Wand bestimmt gewesen zu sein. Da die meisten Gemälde und Kupferstiche an ihrem ursprünglichen Platz an den Wänden blieben, die Tafeln aber im ‚Innersten Zimmer‘ in Kisten geräumt wurden, ist der Rückschluss erlaubt, dass es sich um dreidimensionale, in die Hand zu nehmende Gegenstände handelte. Ein Beispiel der tatsächlichen Wohnsituation zu Octavian Secundus‘ Zeit unterstützt die These der Objekthaftigkeit der Tafeln: Im Holzkabinett lagen auf einem schmalen Tisch, den ein blau-gelber, seidener Teppich bedeckte, zwei getriebene Silbertafeln. Eines zeigte das Relief der Heiligen Familie und die zweite Tafel stellte „vnnser Fraw mit dem Kindelin Jhesv, so auf dem Tisch laufft“⁵⁸ dar. Durch das In-die-Hand-nehmen wurde eine zusätzliche Dimension der Sinneserfahrung eröffnet: das Betasten und gleichzeitige Bestaunen. Die getriebenen Arbeiten besaßen keine glatte Oberfläche und die Edelmetalle glänzten je nach Bewegung anders, sodass Octavian Secundus in kontemplative Betrachtung verfallen konnte, die sich auf das Dargestellte bezogen haben mag. Die dafür benötigte Ruhe war in dem intimen Raum gegeben. Octavian Secundus besaß eine ebenso umfangreiche Sammlung an Rosenkränzen wie Jacob. Die Paternoster waren verschieden gearbeitet und wurden unterschiedlichen Personen wie Männern, Frauen und Kindern zugeordnet. Auch scheinen schwarze

55 Vgl. Feld, Ignatius von Loyola, 20 – 21. 56 Vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 125 – 126 und zu Altötting: Vgl. Freitag, Volks und Elitenfrömmigkeit, 204 – 221 und Bauer, Bayerische Wallfahrt Altötting, 69. Czerny, Wittelsbacher und der Wallfahrtsort Altötting. 57 „Der Ercz Enngel Sanct Michael, wie er zu München steet“ Vgl. FA 1.1.9, Bl. 113r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 267, Nr. 833. Zu St. Michael in München vgl. Diemer, Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio, Bd. 1, 120 – 121 und Wagner/Keller, St. Michael in München. 58 FA 1.1.9 Bl. 55v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 253, Nr. 505.

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Ketten für das Gebet zu traurigen Anlässen bestimmt gewesen zu sein. Verbindet die Gebetsform der sich wiederholenden Verse und das Abzählen der Perlen sowieso schon das Anrufen Gottes bzw. der Gottesmutter mit dem Befühlen des Materials, so erweiterte sich bei einigen Exemplaren der sinnliche Zugang: „Ain Schmeckhets Paternosterlin mit ainem dreyfachenn Herczlin“⁵⁹, ein Paternoster aus Benzoe, ein vanilleartig duftendes Harz,⁶⁰ oder ein duftender Bisamanhänger verweisen auf eine nicht ausschließlich für die Hand zu gebrauchende Devotionalie. Auch mag die Vorstellung mitschwingen, dass die wohlriechenden Materialien den Betenden vor Krankheiten o. ä. schützten.⁶¹ Das Rosenkranzgebet nimmt vor allem Maria in den Blick. Bezeichnete man schon die Heiligen als Glieder des Leibes Christi – und damit auch ihre realen Gebeine –, so ergeben sich aus der Gottesmutterschaft Mariens gewisse Gnadenvorzüge. Besonders das Tridentinum belebte ihre Verehrung neu, was sich in der Zeit des Barocks zu einer ausgeprägten Frömmigkeit steigerte.⁶² Interessanterweise schrieb der Jesuit Peter Canisius 1566 eine Theologie katholischer Marienverehrung in Augsburg, wo er bis zu diesem Jahr als Domprediger arbeitete. Canisius war auch wesentlich an der Begründung des Collegium Germanicum in Rom und am Jesuitenkolleg St. Salvator in Augsburg beteiligt.⁶³ Hier hatte Octavian Secundus einige Jahre studiert, während er dort Initiator und Schirmherr der Schule war. Es ist also durchaus anzunehmen, dass Octavian Secundus die damals gängige Marienlehre und -verehrung kannte und auch selbst praktizierte.⁶⁴ Marienbilder befanden sich auch auf zwei Hausaltären, wovon einer – entsprechend seiner Funktion zur Unterstützung der Andacht in Gebet und Betrachtung – im Holzkabinett aufgestellt war. Die Kruzifixe als Einzelobjekte waren bei Octavian Secundus besonders exquisit gestaltet und zierten wahrscheinlich die unterschiedlichsten Räume. Aus der Vielzahl stechen zwei besonders hervor: ein Gesundkreuz, welches mit der Vorstellung verknüpft war, gegen Krankheiten und Unheil zu schützen.⁶⁵ Das zweite ist ein Silberkreuz, dessen Eintrag auf Italienisch verfasst ist: „La croce d argento la quale dono al altare di S. Pietro di Roma Anno 82.“⁶⁶ Es handelt sich wohl um ein Geschenk aus Rom aus dem Jahr

59 FA 1.1.9, Bl. 357v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 296, Nr. 1425. 60 K. A., Benzoe, in: Herders Conversations-Lexikon (1. Auflage, 1854 – 1857). 61 Vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 123 – 125. 62 Vgl. Delius, Geschichte der Marienverehrung, 235 – 248. 63 Vgl. Oswald, Petrus Canisius – ein Lebensbild, 34 – 37 und Rummel, Petrus Canisius und Otto Kardinal Truchseß von Waldburg, 41 – 42. 64 Octavian Secundus besaß sicherlich wegen der Zusammenarbeit eine Abbildung des Jesuiten und auch Jacob Fugger-Babenhausen verfügte über einen Kommentar Canisius’ in seiner Bibliothek. 65 „Ain groß gesundcreucz mit fünff stainen […]“ Vgl. FA 1.1.9, Bl. 113v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 267, Nr. 842. 66 „Das Silberkreuz ist ein Geschenk zum Altar von St. Peter in Rom aus dem Jahr 1582.“ FA 1.1.9, Bl. 20v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 235, Nr. 61.

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1582, das möglicherweise zur Grundsteinlegung für das Jesuitenkolleg im Jahr zuvor geschickt wurde.⁶⁷ Das Verehren und Sammeln von Agnus Dei war auch bei Jacob als eine spezifisch katholische Praxis hervorgetreten. Die Wachstafeln hingen im Haus Octavian Secundus‘ – meist eingefasst mit Gold und mit Reliquien versehen – an der Wand, sodass das Lamm und das geweihte Material sichtbar waren. Wurden sie nicht ausgestellt, sondern von Octavian Secundus in Truhen geräumt, so hatte er eigenhändig angefertigte Zettel beigelegt, die Auskunft über den damals amtierenden Papst gaben. Bei der Inventarisierung hatte man die Objekte jedoch nicht noch einmal eigens durchgezählt; stattdessen fasste man sie zu einem Eintrag zusammen.⁶⁸ Neben den Agnus Dei werden im Nachlassinventar auch einige Reliquien aufgeführt: Diese wurden vornehmlich in der Kapelle des Hauses aufbewahrt; meist jedoch ohne den Heiligen konkret zu nennen. Beispielsweise war „allerlei Heiligtum“ in den silbernen Berg eingelassen, auf dem ein Kruzifix aus Elfenbein stand. Des Weiteren waren zwei Silberstatuen der Apostelfürsten Petrus und Paulus mit Reliquien bestückt. Außerdem werden vier heilige Häupter mit einem reich verzierten Reliquiar aufgeführt: drei aus dem Gefolge der heiligen Ursula, darunter der Presbyter Bartholomäus sowie ein Märtyrer der thebäischen Legion. Über die Echtheit der Gebeine geben die „Original lateinisch Testimonium“⁶⁹ im Schreibtisch „G“ im ‚Innersten Zimmer‘ Auskunft. Zusätzlich verriet eine Tafel in der Kapelle, welche Reliquien dort verwahrt wurden. Darüber hinaus beschreibt das Inventar einige reliquienartige Gegenstände, die nicht primär Verehrung erfahren haben, sondern denen ein schützender und heilender Charakter zugeschrieben wurde. Dazu zählt einmal die „Terra vonn Sanct Paulus grueb zue Malta“⁷⁰, die in dem Schreibtisch gefunden wurde, in dem eigentlich allerlei köstliche Wasser und Öle lagern sollten. Tatsächlich befanden sich darin einige Arzneimittel, die zur Heilung von Krankheiten gedacht waren, deren medizinischer Wert aber eher im Glauben an ihre Wirksamkeit lag; darunter auch einige Paternoster.⁷¹ In einem silbernen großen Kreuz wurde ein Brief von Ignatius von Loyola an Ruard Tapper aufbewahrt. Tapper war Professor für Theologie und Philosophie an der Universität Löwen – wo auch Octavian Secundus studiert hatte – und war maßgeblich für die Etablierung der Jesuiten in den Niederlanden verantwortlich.⁷² Anhand dieses Eintrags wird deutlich, dass eine Verehrung nicht zwangsläufig den apostolischen

67 Dieser Anlass erscheint wahrscheinlicher als die Übersendung des Geschenks zur Neugestaltung der Hauskapelle, die erst ab 1587 erfolgte und folglich um einiges später war. Vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 16 – 18. 68 Vgl. FA 1.1.9., Bl. 32r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 242, Nr. 215. 69 FA 1.1.9., Bl. 7v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 232, Nr. 1. 70 FA 1.1.9., Bl. 17v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 234, Nr. 47. Wahrscheinlich handelte es sich um Erde, die der Stelle auf Malta entnommen wurde, an der Paulus Schiffbruch erlitten haben soll. Vgl. Schäfer, Paulus. 71 FA 1.1.9., Bl. 15v–19v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 233 – 235. 72 Vgl. Slee, Tapper.

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Vorgaben folgen musste: Octavian Secundus scheint ganz eigene, biographische Gründe für die Bewunderung von Ignatius von Loyola gehabt zu haben; er war Schüler der Jesuiten und somit auch ein Repräsentant deren Lehre. Zwar wurde der Ordensgründer erst 1608 selig- und 1622 heiliggesprochen, doch deutet der Aufbewahrungsort des Briefes und die damit verbundene Verehrung auf einen bestehenden Personenkult um Ignatius hin.⁷³

7 Das Holzkabinett im ‚Innersten Zimmer‘ In dem ‚Innersten Zimmer‘ befand sich ein „hüllzenen eingeschlagnen Zimmerlin“⁷⁴, dessen Einrichtung das Inventar wiedergibt. Diese Stube zeigt sich, der ganz überwiegenden Zahl der Ausstattungsgegenstände zufolge, als ein Ort der Kontemplation und privaten Andacht, was durch die verzeichneten Gegenstände bestätigt wird, die größtenteils der christlichen Formensprache entstammen. Einen konkreten Hinweis liefert der dort integrierte Betstuhl, aber auch die generelle Ausschmückung des Kabinetts: Zunächst, an der ersten Wandseite, hingen vier Agnus Dei, von denen zwei mit verschiedenen Reliquien umgeben waren. Darunter lehnten zwei silbern getriebene Tafeln mit der Geißelung und der Kreuztragung Christi. Dazwischen stand ein Futteral, welches einen silbernen Hausaltar aus Ebenholz beinhaltete. Im Fuß war „ain groß stuckh vom Apostel S: Mathia“⁷⁵ eingelassen, dessen Schrein mit Perlen verziert war. Der darauffolgende Eintrag beschreibt eine reich verzierte Dose, die einige Reliquien beinhaltete. An dieser Wand war außerdem ein silbernes Täfelchen mit dem hl. Johannes vor Christus und Maria kniend angebracht. Darüber hingen zwei kolorierte Kupferstiche mit Mariendarstellungen – auf einem ist ein Drache zu ihren Füßen dargestellt. Neben dem Türrahmen hingen ein Geweih, eine kleine Tafel mit dem hl. Johannes und Christus „schlecht“ – vermutlich eine Taufszene – und darunter „Ain klaines täfelin vnsser Fraue mit dem Jhesus kindlin gemmiert.“⁷⁶ An der Tür selbst war eine Anbetung der Könige angebracht, die mit silbernen Applikationen und Silberrahmen ausgestattet war.⁷⁷ Auf der linken Seite stand eine Art Kabinettschrank, in dem ein Paternoster von Rosenholz aus Rhodos, ein Geschenk von Doctor Mathiolo Medico, aufbewahrt wurde.⁷⁸

73 Vgl. Feld, Ignatius von Loyola, 240 – 241. 74 FA 1.1.9, Bl. 52r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 251. 75 FA 1.1.9, Bl. 52v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 251, Nr. 462. 76 FA 1.1.9, Bl. 53r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 252, Nr. 470. 77 Vgl. „Ain Tafel vonn Ebano […] Innwendig mit silbern zierden, aussen herumb hat es grosse silberne blech zugweiß.“ FA 1.1.9, Bl. 52r–v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 252, Nr. 472. 78 Vgl. FA 1.1.9, Bl. 53v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 252, Nr. 478 und zum Material „Rodiser Holz“ vgl. Seite 125. Doctor Mathiolo Medico, eigentlich Pietro Andrea Mattioli, 1501 – 1577, Humanist und

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Außerdem lagerten darin u. a. ein Magnet, ein Spiegel, ein Stück spanisches Leder und ein „seidens schmeckhets düechlin.“⁷⁹ An der Wand dahinter hingen unten zwei Porträts zweier Jesuitenpater, eine Heilige Familie mit Johannes dem Täufer als Kupferstich, eine Muttergottes-Kind-Darstellung sowie drei weitere Kupferstiche mit Maria, dem Kreuz und der Geburt Christi. Auf dem Schreibtisch aus Ebenholz stand ein Elfenbein-Kruzifix mit dem Ausruf „Eli Eli, lema sabachtani?“ auf dem vergoldeten Sockel. Dahinter hing eine recht große Sacra Conversazione mit den hll. Katharina und Johannes: „Ist ain vhralts kunststuckh.“⁸⁰ „Auff der Welcz gegen dem fenster, seind volgende funff contrafeth, auff kupfer gemacht vonn ölfarben: Ignatius Loyola, Franciscus Xabuorius, Iacobus Leinet, Franciscus Borgia, Eberhardus Mercuriales.“⁸¹ Gleich bei dem Fenster befanden sich drei weitere Bilder: eine Vorführung Christi, ein hl. Hieronymus und ein Landschaftsgemälde. Davor stand ein Tischchen, auf dem zwei getriebene Silbertafeln mit Darstellungen der Heiligen Familie und Maria mit Kind lagen. Gegenüber hingen ein hl. Hieronymus vor dem Kreuz, eine Madonna mit Kind und Traube – gemalt von „Lucas vonn Nürmberg“⁸²; ganz oben wiederum hing eine Altartafel mit Flügeln, auf denen einmal der Engelsgruß und zweitens die Flucht nach Ägypten dargestellt waren. Das Altarblatt zeigte eine Geburt Christi mit Hirten und Engeln. Wie diese Beschreibung zeigt, war der – vermutlich doch eher kleine – Raum recht reichhaltig ausgestattet. Viele verschiedene Aspekte der christlichen Lehre trafen hier aufeinander: Einmal ganz zentral der Christus-Glaube. Seine Geburt, Passion und Erhöhung wurden auf unterschiedlichen Medien wiedergegeben. Bemerkenswert ist das Kruzifix aus Elfenbein, an dem Christus nicht wie üblich bereits verstorben und mit der Seitenwunde versehen ist, sondern vielmehr in genau dem Moment dargestellt wird, in dem er nach oben sieht und ‚den Geist aufgab‘. Der Ausruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“⁸³ verdeutlicht den Schmerz und Zweifel Jesu als Mensch und wird somit zum Prüfstein für alle Christen. Da hinter dem Kruzifix eine große Sacra Conversazione angebracht war, kann die Deutung um eine Ebene erweitert werden: Nach dem Leid am Kreuz folgt die Erhöhung der Gottesmutter, Christi und der Heiligen; hier Katharina und Johannes. Da aber das Jesuskind dargestellt wird, wird auf die Anfänge verwiesen: Gott gab seinen Sohn für die Menschen; später sogar am Kreuz.

Leibarzt Erzherzog Ferdinand II. und Kaiser Maximilian II. Vgl. Daxecker, Der Botaniker und Arzt Pietro Andrea Matthioli, 516 – 517. 79 FA 1.1.9, Bl. 54r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 252, Nr. 482. 80 FA 1.1.9, Bl. 54v, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 253, Nr. 497. 81 FA 1.1.9, Bl. 55r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 253, Nr. 498. 82 FA 1.1.9, Bl. 56r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 254, Nr. 512. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um Lucas Cranach d. Ä. (1472 – 1553) und sein Gemälde ‚Maria mit dem Kind und der Weintraube‘ um 1525, vgl. Bayerische Staatsgemäldesammlungen. 83 Die Bibel, Mk 15,34/ Mt 27,46.

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Hinzu kommt die Marienverehrung, die sich ebenfalls in Bildern manifestierte, beispielsweise Maria mit Kind, mit dem Drachen oder auf den Seitenflügeln des Altars; der dort abgebildete Engelsgruß bzw. englische Gruß von Gabriel an die Jungfrau wird eine Verkündigungsszene gewesen sein. Die vom Erzengel gesprochene Begrüßungsformel „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“⁸⁴ wird am Anfang des AveMaria-Gebets gesprochen, für welches man einen Rosenkranz verwendete.⁸⁵ Ein solcher befand sich ebenfalls in dem Zimmerchen. Möglich wäre eine Verbindung der Gebetsformen mit dem Perlenkranz und einer gleichzeitigen Betrachtung der Bilder, wofür sich Octavian Secundus auf seinem Betstuhl hätte niederlassen können. Als drittes wären die Heiligendarstellungen zu nennen. Besonders wichtig für Octavian Secundus scheint der hl. Hieronymus gewesen zu sein, von dem gleich drei Bilder in besagtem Raum hingen. Im Fensterrahmen ließ Octavian Secundus sein Porträt gegenüber dem des Heiligen hängen, sodass beide Tafeln aufeinander Bezug nahmen, da sie einander ‚anblickten‘. Ein weitaus kleinerer Teil waren profane Studienobjekte, wie zum Beispiel „Drey grosse Corallene Zinckhen [=Zacken], auff kupfern vergülten füeßen“⁸⁶, Spiegel, Hirschgeweihe oder „Drey klaine rundelin [kleine, runde Gemälde], darob gar künstlich gemalt das gebürg.Vnnder denselben ain hilczene gemalte Tafel, ain Landschaft darauff gemahlet, vnnd wann manns vmbkeeret ists ain mannskopff.“⁸⁷ In Verbindung mit der eben beschriebenen Vielzahl an religiöser Gebrauchskunst muss eine Deutung des Raumes über die private Andacht hinausgehen. Das Sammeln und Studieren von Objekten in einem kleinen, kostbar ausgestalteten Zimmer erinnert an den Raumtypus eines studiolo. Schon in der Antike wird ein solcher Ort beschrieben, der idealerweise abgeschieden liegt, sodass keine Ablenkung vom Studium und der Lektüre geboten wird. Er diente vor allem in der Renaissance als bauliche Manifestation von Gelehrsamkeit.⁸⁸ Inwiefern dieses Raummodell auf Octavian Secundus‘ Holzkabinett zutrifft, wird noch zu diskutieren sein.

8 Octavian Secundus als Katholik seiner Zeit Octavian Secundus erscheint nach der Bearbeitung seines Nachlassinventars als Kind seiner Zeit par excellence. Als Schüler der Jesuiten wendete sich Octavian Secundus bereits in jungen Jahren einem frommen Leben als Geistlicher zu, dem er aber aufgrund familiärer Verpflichtungen in der Fuggerschen Firma nicht gänzlich nachgehen konnte. Im weiteren Verlauf seiner Biographie tritt er als Gönner des katholischen Reformor-

84 Die Bibel, Lk 1,28, 1980. 85 Zu Ave-Maria und englischer Gruß: Heinz, Ave Maria, 1306 – 1307. 86 FA 1.1.9, Bl. 52r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 251, Nr. 457. Zu Zinckhen: Zinken/Zingken: Zacken vgl. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 1137. 87 FA 1.1.9, Bl. 55v–56r, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger, 253, Nr. 510. 88 Vgl. Liebenwein, Studiolo, 13 – 15.

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dens auf, stiftete das Jesuitenkolleg in Augsburg und förderte noch andere Kirchen und Klöster. Dass diese (monetären) Zuwendungen an die katholische Kirche nicht nur auf Außenwirkung abzielten, sondern aus einer persönlich fundierten Frömmigkeit entsprangen, bezeugt die Ausstattung seines Hauptwohnsitzes in Augsburg. Hier sammelte Octavian Secundus hauptsächlich Devotionalien, Pretiosen sowie Bildwerke. In diesen Objekten manifestierten sich auch verschiedene Aspekte seiner Religiosität. Der Christus-Glaube stand an zentraler Stelle, denn der überwiegende Teil der zwei- und dreidimensionalen Objekte hatte ihn zum Thema. Dabei wurden entweder Szenen aus dem Leben Jesu wiedergegeben, kunsthistorische Bildmotive aufgegriffen – so zum Beispiel Ecce homo-Darstellungen, Christus als Salvator oder die Heilige Familie – oder Symbole verwendet, die auf den zentralen Moment der christlichen Lehre verweisen, wie beispielweise das Kreuz oder das Lamm (oft über der Tür angebracht). In der weiteren Wahl der Motive scheint ein neues Selbstverständnis der Kirche durch: Die heilige Familie als Bildthema umfasste Jesus, Maria und Joseph; manchmal auch Elisabeth mit Johannes oder Zacharias und die hl. Anna als Mitglieder der hl. Sippe. Dabei konnte man die einzelnen Heiligen getrennt voneinander – wie es Octavian Secundus für die hl. Hieronymus und Franziskus tat – oder als Gruppe verehren. Sie präsentierten eine Idealvorstellung von Familie, die als Vorbild für den eigenen Haushalt funktionieren sollte.⁸⁹ Gleichzeitig verstand sich die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, deren Ursprung und Ideal eben in der Heiligen Familie zu suchen ist. Dieser Kult wurde ebenso wie die Marienverehrung nach dem Tridentinum erneut bestärkt. Besonders die Gottesmutter rückte in den Fokus als Mittlerin zwischen Gott und dem Menschen – noch vor allen anderen Heiligen.⁹⁰ Reliquien bewahrte Octavian Secundus sowohl in der Hauskapelle als auch im Holzkabinett auf. Dass er seine eigene Form der Verehrung herausbildete, wurde an dem Brief von Ignatius von Loyola deutlich. Die verschiedenen Pretiosen, wie die Kollektion kostbarer Paternoster, die getriebenen Gold- und Silberarbeiten, eine Betnuss, die kleinteilig geschnitzten Objekte aus Kristall oder Bernstein sowie edelsteinbesetzte Kruzifixe konnten ihrer Funktion nach während sakraler Praktiken verwendet werden. Ihre Materialität und Ausgestaltung deuten zudem darauf hin, dass es sich um kostbare Schmuckstücke für eine Kunstsammlung handelte, die hauptsächlich in der Holzstube im ‚Innersten Zimmer‘ verwahrt wurde. Von solchen Gegenständen ging durch ihre handwerklich feine und aufwändig gearbeitete Erscheinung eine Faszination aus, die eine längere Betrachtung mit gleichzeitigem Drehen und Wenden in den Händen vermuten lässt. Dafür scheint das studiolo den geeigneten Rahmen zu liefern: Ein kontemplatives Versinken wurde durch die Intimität und Abgeschlossenheit des Raumes ermöglicht. Wollte Octavian Secundus hier verschiedenste Kunstkammerobjekte zusammenstellen, so bleibt doch bemer-

89 Sowohl in Jacobs als auch in Octavians Secundus Nachlassinventar kommt das Thema deswegen häufig in den Zimmern der Ehefrauen vor. 90 Vgl. Erlemann, Die Heilige Familie, 37– 43 und 182.

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kenswert, dass es sich größtenteils um prestigeträchtige Frömmigkeitsobjekte handelte, die ihrem Gebrauch nach in einer christlichen Formensprache verhaften.

9 Studiolo oder Kunst- und Wunderkammer? Wie bereits an verschiedenen Stellen angedeutet wurde, können Parallelen zu den zeitgenössischen Raumgattungen eines studiolo bzw. einer Kunst- und Wunderkammer gezogen werden. Um deren Einordnung sinnvoll vornehmen zu können, sollten zunächst die bisher verwendeten Begriffe eingehend erläutert werden: Ein studiolo war eine kleine, kostbar ausgestaltete Räumlichkeit, die zum Studieren und Reflektieren gedacht war. Bereits antike Autoren wie Cicero und Plinius beschreiben einen idealtypischen Raum außerhalb der Stadt, der durch seine Abgeschiedenheit keine Ablenkungen vom intensiven Studium bereithielt. Um den Geist zu entspannen, wird die direkte Verbindung mit der Natur – und sei es nur ein Ausblick in diese – empfohlen. Außerdem sollte ein Schlafraum in unmittelbarer Umgebung liegen.⁹¹ Im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelte sich die Funktion des studiolo, das schon in seinen Anfängen mit einer Bibliothek und einem Archiv in Verbindung zu bringen ist, immer mehr zu einem Sammlungsraum. Dafür spielte ein weiterer Raumtypus eine bedeutende Rolle: die Schatzkammer, die noch kein repräsentativer Ort mit Objekten einzelner Personen war, die hier ihr Kennertum unter Beweis stellten. Stattdessen verdeutlichte eine Schatzkammer den Reichtum einer Institution; anfangs hauptsächlich der Kirchen. Im Notfall mussten die Gegenstände liquidiert werden, sodass der Schatzkammer eine Art Tresor-Funktion zukam.⁹² Diese Bedeutungserweiterung hin zu einem Ort, an dem Kostbarkeiten und Raritäten gesammelt, aufbewahrt und präsentiert wurden, veränderte die nun als Kunstund Wunderkammern bezeichneten Räume insofern, als nunmehr Aufbewahrungsund Anschauungsmöglichkeiten für die Sammlung bereitstehen mussten. Die unterschiedlichen Artefakte bedurften außerdem einer Systematisierung und Gliederung, die im 16. Jahrhundert wie folgt aussehen konnte: naturalia – artificialia – scientifica – exotica – Bibliothek. Dieses Ordnungssystem sollte dazu beitragen, die Welt und den Kosmos in deren unüberblickbaren Größe in einem Raum abzubilden, ihn durch Kategorien zu gliedern, um ihn als Ganzes zu erfassen.⁹³ Dabei zielte jede Sammlung auf Vollständigkeit ab, was schon am Anspruch, „die ganze Welt“ abbilden zu wollen, zumeist scheiterte. Der Umfang der Artefakte ist heute durch Inventare überliefert, die einerseits den Besitzer als Kenner und Gelehrten auswiesen. Andererseits reflektierte ein Inventar in schriftlicher Form nochmals das Zusammenstellen des gesamten Kos91 Vgl. Liebenwein, Studiolo, 13 – 15. 92 Vgl. Pomian, Sammlungen – eine historische Typologie, 108 – 109. Hier könnte man als Fuggerisches Beispiel die geheimen Gewölbe heranziehen. 93 Vgl. McGregor, Die besonderen Eigenschaften der ‚Kunstkammer‘, 73, mit Bezug auf die Charakterisierung der Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. in Prag durch Georg Kugler.

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mos; ein Beispiel wäre das Inventar der Kunstkammer in München – oder eben die beschriebenen Dokumente der Fugger.⁹⁴ Jacobs Wohnhaus in der Pfaffengasse besaß eine Bibliothek, in der sich nicht nur Bücher befanden: Musikinstrumente, Korallen, medizinische Geräte, Spiele oder ein Globus wurden hier aufbewahrt. Zugleich war die Bibliothek der Arbeitsplatz Jacobs, sodass hier verschiedene Funktionen vereint wurden. Erstens war die Bibliothek der Ort der Bücher – der Gegenstände also, die Jacob in erster Linie sammelte. Zweitens verwahrte er hier allerlei Kuriositäten und Naturalien, weswegen man einen musealen Charakter nicht ausschließen kann. Drittens war die Bibliothek der Arbeitsplatz, sodass er hier auch studieren konnte. Es scheint sich bei der Bibliotheca also um einen Raum zu handeln, der mehrere Funktionen hatte; eine Art reduzierte Kunst- und Wunderkammer, die sowohl die Objekte als auch die Bücher der Sammlung in einem Raum vereinte. Für Octavian Secundus‘ studiolo treffen die hier beschriebenen Charakteristika zu – wenn auch nur bedingt. Das ‚Stüble‘ war durchaus ein abgeschiedener, kleiner Raum, der wahrscheinlich mit hübschen Holzschnitzereien verziert war. Er lag in unmittelbarer Nähe zu seiner Schlafkammer. Die Besonderheit erweist sich jedoch darin, dass hauptsächlich religiöse Gegenstände in dem Kabinett verwahrt wurden. Es scheint, als interessierte sich Octavian Secundus weniger für eine umfassende Präsentation des Makrokosmos im Mikrokosmos, sondern er richtete seine Sammlung vielmehr konkret auf religiöse Gebrauchskunst aus. Zur Aufbewahrung wählte er aber einen Raumtypus, der eigentlich zur Beschäftigung mit den Inhalten vorgesehen war. So kann angenommen werden, dass Octavian Secundus die Objekte ebenfalls ‚studierte‘ bzw. diese zu einer kontemplativen Betrachtung anregen sollten, um so seine Frömmigkeit zu steigern.⁹⁵

10 Investition in die Ewigkeit Inwiefern kann man abschießend bei den beschriebenen Gegenständen von Investitionen sprechen? Schon die Anzahl zeugt von wohlhabenden Besitzern, die durchaus bereit waren, Geld in die Sammlung religiöser (Gebrauchs‐)Kunst zu investieren. Wie viele und welche Objekte als Geschenke in den Besitz Jacobs und Octavian Secundus‘ kamen, ist nicht sicher zu erschließen. Auch über Tauschvorgänge oder Verkäufe zu Lebzeiten ist nichts bekannt. Im Verhältnis zu allen verzeichneten Einträgen in den Inventaren machten die religiösen Objekte etwa ein Fünftel des Gesamtbesitzes aus.⁹⁶ Zudem waren sie zumindest teilweise qualitativ kostbar: Einige Pretiosen wurden aus Edelmetallen und religiös aufgeladenen, seltenen Materialien sowie mit Edelsteinen 94 Holländer, Spielarten begehrenswerter Dinge, 43 – 77. 95 Vgl. Liebenwein, Studiolo, 58 – 59 und zu Octavians Secundus sonstigem Sammelinteresse Kellenbenz, Augsburger Sammlungen, Bd. 1, 81 – 82. 96 Bei Jacob waren es 466 Objekte im Wohnhaus an der Pfaffengasse und bei Octavian Secundus 336 von insgesamt 1.700. Dies entspricht etwa 20 % des beweglichen Gesamtbesitzes.

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gearbeitet, wodurch sich ihr materieller Wert steigerte. Bedauerlicherweise finden sich in den Inventaren – anders als beispielsweise bei Jacobs Silbergeschirr⁹⁷ – keine Angaben zu Gewicht oder Schätzpreisen, weswegen ein Vergleich der finanziellen Aufwendung mit anderen Ausgaben für (Kunst‐)Gegenstände, Stiftungen, Immobilien und Herrschaften oder Investitionen im Handel ausbleiben muss. Gleichwohl scheint es so, dass sich die Investitionen auch auf anderen, sozialen und sakralen Ebenen ‚auszahlten‘. Zum einen verweisen einige Gegenstände auf die geknüpften Beziehungen der Fugger. Beispielsweise waren sog. ‚Salvatorpfenninge‘ beliebte Geschenke bei Hochzeiten, Taufen, zur Ehrerbietung, aus Dankbarkeit oder zur Förderung der geschäftlichen und politischen Beziehungen.⁹⁸ Für Kaufmänner waren diese Netzwerke von großer Bedeutung; wenn sie auch heute nicht mehr anhand der Pfenninge aufgedröselt werden können, so war doch das Wissen um die Provenienz bei Jacob und Octavian Secundus vorhanden.⁹⁹ Auch Rosenkränze wurden verschenkt, wie oben am Beispiel des Rosenkranz-Geschenks Matthiolis an Octavian Secundus Fugger gezeigt. Kann der soziale Status anhand einzelner Gegenstände konkretisiert werden, verweist auch die Tatsache, dass überhaupt Pretiosen gesammelt und eine schriftliche Überlieferung angefertigt wurde, auf die Orientierung einer aufsteigenden Familie am Adel und seinen Gepflogenheiten.¹⁰⁰ Zum anderen und zentral erscheint die sakrale Bedeutung der Frömmigkeitsobjekte und deren Verwendung. Investitionen für kostbare Devotionalien im Diesseits verwiesen zugleich stets auf die jenseitige Welt und das Seelenheil.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Fugger-Archiv [FA] 1.1.9, in: Lieb, Octavian Secundus Fugger

97 Bei dem Silbergeschirr kann sehr viel eher als bei den Frömmigkeitsobjekten davon ausgegangen werden, dass es sich um Kapital- und Wertanlage für zukünftige Generationen handelte, denn Jacob ließ in seinem Testament dezidiert festlegen, wie dessen Aufteilung unter den männlichen Erben erfolgen sollte. Vgl. Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 29 und Simnacher, Die Fuggertestamente des 16. Jahrhunderts, Bd. 1, 149. 98 Vgl. Lieb, Octavian Secundus Fugger, 51 – 54 und 116 – jedoch verweist Lieb darauf, dass Gemälde besonders beliebte und angesehene Geschenke waren (52). 99 Forschung zu den Netzwerken der Fugger gibt es durchaus. Vgl. exemplarisch Karnehm, Die Korrespondenz Hans Fuggers, Bd. I; Schad, Die Frauen des Hauses Fugger, 16 – 24; Spranger, Der Metall- und Versorgungshandel; Dauser, Informationskultur und Beziehungswissen. 100 Sowohl bei Jacob als auch bei Octavian Secundus kann festgehalten werden, dass sie noch eine Zwischenposition einnahmen: Zwar gehörten sie dem Hochadel an, jedoch noch nicht dem alten Adel, wenngleich sie in ihrer Kunstpolitik ähnliche Ziele verfolgten. Vgl. u. a. Egermann-Krebs, Jacob FuggerBabenhausen, 37.

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FA 1.2.8.H.24, in: Karnehm, Die Korrespondenz Hans Fuggers, Bd. II/1 FA 1.2.26

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Die Kaufmannsfamilie Hörmann zu Gutenberg als grundherrliche Investoren und Stifter 1 Einführung Die Kaufmanns- und Adelsfamilie der Hörmann von und zu Gutenberg ist in der Regel nur denjenigen ein Begriff, die sich intensiv mit der frühneuzeitlichen Geschichte der Reichsstadt Kaufbeurens, aus der die Hörmann stammten, oder mit der Geschichte der Augsburger Handelsgesellschaften näher befassen – namentlich der Fugger und weiterer erstrangiger Augsburger Handelsgesellschaften, für die mehrere Hörmann in leitenden Positionen tätig waren.¹ Dass die Hörmann von und zu Gutenberg als Geschlecht ‚der zweiten Reihe‘ bislang kaum Spuren in einschlägigen Forschungspublikationen hinterlassen haben, liegt freilich weniger daran, dass die Geschichte ihrer Familie nicht wichtige Aufschlüsse über soziale Praktiken und gar die im Kontext dieses Sammelbandes besonders interessierenden Investitionsstrategien kaufmännischer Geschlechter zu geben vermag; die bislang wissenschaftlich eher dürftige Aufarbeitung der Geschichte der Hörmann hängt in erster Linie damit zusammen, dass ihr reiches Familienarchiv mit Beständen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert,² Eigentum des Historischen Vereins für Schwaben und als Depositum im Stadtarchiv Augsburg aufbewahrt, ergänzt um Bestände des Stadtarchivs Kaufbeuren, nach wie vor als weitgehend unerschlossen zu bezeichnen ist. Eine Archivkartei aus dem 19. Jahrhundert liefert auf dem derzeitigen Stand die wichtigsten Anhaltspunkte zum Gesamtbestand und ist zusammen mit Archivalien des Kaufbeurer Stadtarchivs Ausgangspunkt für Stichproben, die auch die Grundlage des vorliegenden Beitrags bilden, der als Werkstattbericht zu verstehen ist und schlaglichtartig anhand von Hörmannschen Investitionsbeispielen einen kleinen Ausschnitt der umfänglichen Überlieferung zu dieser Familie erschließen kann.³ Als Investitionsziele ausgewählt wurden zwei prominente Bereiche, die freilich nur einen Ausschnitt

1 Vgl. Häberlein, Brüder, 42, 84 f., bes. 357– 359 (zu Anton und Ludwig Hörmann); Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann; Lausser, Hörmann (dort auch Literaturverweise auf kurze, einschlägige regionalgeschichtliche Beiträge zu den Hörmann); Hipper, Georg und Christoph Hörmann. 2 Die Bestände des Hörmann-Archivs lagern im Stadtarchiv Augsburg in 82 Archivkartons und umfassen ein breites Quellenspektrum von der Kaiserurkunde über Korrespondenzen bis hin zu Verwaltungsschriftgut. 3 Der vorliegende Beitrag der Verfasserin ist aus einem gemeinsam mit Prof. Dr. Christof Paulus, LMU, gehaltenen Vortrag anlässlich der Online-Tagung ‚Jenseits von Handel und Hochfinanz‘ hervorgegangen. Christof Paulus danke ich für die Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des Vortrags und seiner zentralen Thesen. https://doi.org/10.1515/9783111060682-011

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des Investitionsspektrums der Familie abbilden: der Erwerb von liegenden Gütern und die Etablierung von Stiftungen. Drei zentrale Quellendokumente, teilweise mehrfach in Abschriften in Augsburg wie in Kaufbeuren überliefert, werden in diesem Beitrag im Schwerpunkt herangezogen, um erste Perspektiven auf die Praxis des Gütererwerbs und der Begründung von Stiftungen als wichtige – langfristige – Investitionsfelder der Hörmann zu entwickeln. Historisch die jüngste Quelle ist eine handschriftlich überlieferte Familienchronik, 1770 vom Kaufbeurer Stadtkanzleidirektor Wolfgang Ludwig Hörmann von und zu Gutenberg (1713 – 1795), einem Nachfahren der Familie, unter dem Titel „Ehren-denckmahl und stammen-register des adelichen geschlechts derer Hörmann von und zu Gutenberg“ verfasst.⁴ Ihr kommt eine zentrale Bedeutung zu, da sie zum einen angesichts des gegenwärtigen Erschließungsstandes der Augsburger wie auch Kaufbeurer Quellen zu den Hörmann in vielen Fällen der Hörmann-Geschichte die bislang nahezu einzigen Anhaltspunkte für bestimmte Stationen der familiären Entwicklung über nahezu vier Jahrhunderte hinweg liefert. Zum anderen offenbart sie die Perspektive des Familienchronisten des 18. Jahrhunderts, ungeachtet des adeligen Standes einer ‚bürgerlichen‘ Betätigung als hoher städtischer Amtsträger nachgehend, auf das Selbstverständnis des Kaufmanns- und Adelsgeschlechts auf die lange Sicht, die Einordnung der Handlungen – und in dem hier interessierenden Fall insbesondere der Investitionen – der Vorfahren aus der Sicht des Nachgeborenen. Eine Langzeitperspektive, wenn auch in ganz anderer Weise als die Chronik, beinhaltet auch das Testament des Georg Hörmann, des Begründers des grundherrschaftlichen Besitzes der Familie im 16. Jahrhundert, zugleich Empfänger des Adelsbriefes Kaiser Karls V. im Jahr 1528 und (Mit‐)Begründer der Hörmannschen Familienstiftung in Kaufbeuren; sein letzter Wille offenbart in detaillierten Regelungen, wie seine Nachfahren aus seiner Sicht mit den getätigten Investitionen künftig umzugehen hatten.⁵ Mit vielen detaillierten Regelungen auf die Zukunft gerichtet war schließlich auch die zentrale Urkunde zur Etablierung der Hörmannschen Familienstiftung zugunsten verarmter Kaufbeurer Bürgerinnen und Bürger aus dem Jahr 1532, die hier mit diversen Dokumenten über Zustiftungen für diese Familienstiftung und Informationen zu anderen Stiftungen durch Familienmitglieder, soweit bislang erschließbar, ergänzt wird.⁶

4 StA Kaufbeuren B 89: Familienchronik der Hörmann von und zu Gutenberg, im Folgenden als: Hörmann, Ehren-denckmahl. Spätere (wenige) Ergänzungen der Chronik stammen laut den Nachträgen im Manuskript aus dem Jahr 1940 von einem weiteren Familienmitglied, Friedrich Christian Hörmann von und zu Gutenberg. Über den Familienchronisten Wolfgang Ludwig Hörmann vgl. Pfundner, Hörmann. 5 Vgl. StA Augsburg, HV HG 108/96, Testament Georg Hörmanns, fol. 1r–12v. 6 StA Kaufbeuren B 90: Copiale Hörmann, Verschreibung der Stadt Kaufbeuren und des Spitalmeisters gegen Georg Hörmann, fol. 10v–12r.

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2 Georg Hörmann (1491 – 1552) als zentraler Akteur für Grundherrschaft und Stiftungen Als Stammvater der Hörmann gilt der Bäcker Hans Hermann (Hörmann), der ab 1401 in Kaufbeuren bezeugt ist. Im Laufe des 15. Jahrhunderts gelang den Hörmann der soziale Aufstieg in der Stadt und der Übergang in den Kaufhandel; der Vater Georg Hörmanns, der im Folgenden im Mittelpunkt stehen wird, Hans Hörmann, fungierte mehrfach als Kaufbeurer Stadtamman und erhielt 1494 von Kaiser Maximilian I. das Wappen seines Schwiegervaters Georg Spleiß verliehen.⁷ Mit Hans‘ Sohn Georg Hörmann, durch den die Familie „ihren gesellschaftlichen Höhepunkt in Kaufbeuren“⁸ erlangte, wenden wir uns demjenigen Familienmitglied zu, dem nach dem Urteil des Familienchronisten „diese familie ihren flor und wachsthum fürnehmlich zu verdanken hat“.⁹ Mit Georg, 1491 in Kaufbeuren geboren, begann auch die Augsburger Karriere der Hörmann. Sein Weg in die Fuggersche Handelsgesellschaft, in deren Dienste er 1520 trat, war kein geradliniger. Wiewohl die Hörmann als Kaufbeurer Patrizier bereits Handelsgeschäfte betrieben hatten, war für Georg angesichts seines Universitätsbesuchs in Tübingen ab 1505¹⁰ offenbar eine andere Karriere vorgesehen als die eines Kaufmanns. Details zu Georgs Studienzeit wie zu dem Entschluss, als Handelsdiener Jakob Fuggers des Reichen in Augsburg zu agieren, sind auf dem gegenwärtigen Forschungsstand nicht bekannt; nach Beendigung seines Studiums kehrte er offenbar zunächst nach Kaufbeuren zurück, um dort im Handelsgeschäft des Vaters mitzuarbeiten; auch eine Betätigung als Klosterpfleger wird dokumentiert. 1513 schloss er die Ehe mit Barbara Reihing, einer Augsburger Patriziertochter.¹¹ Womöglich, so auch Mutmaßungen in der älteren Literatur, hängt sein Eintritt in den Fuggerschen Handel mit dem Einfluss der Familie der Ehefrau zusammen;¹² tatsächlich arbeiteten mehrere Mitglieder der Familie Reihing zeitgleich mit Georg Hörmann als Niederlassungsleiter der Fuggerschen Handelsgesellschaft an prominenten Orten Fuggerscher Geschäftstätigkeit.¹³ Mit der Übernahme der verantwortungsvollen Position eines Faktors, also des Leiters einer Fuggerschen Handelsniederlassung, in Schwaz in Tirol im Jahr 1522 war Georg Hörmann fortan mit Fragen des dortigen Bergbaubetriebs, der Erzverarbeitung und des Metallhandels beschäftigt. Die Montangeschäfte mit den Habsburgern, Herren über Tirol und dessen Erzgruben, stellten zur damaligen Zeit den wichtigsten Geschäftszweig des Fuggerschen Unternehmens dar und waren unmittelbar mit den Kreditgeschäften mit

7 Über die Hörmann in Kaufbeuren vgl. im Überblick und mit weiterer Literatur: Lausser, Hörmann. 8 Lausser, Hörmann, 106. 9 Hörmann, Ehren-denckmahl, 22. 10 Vgl. Hermelink, Matrikeln der Universität Tübingen, 149. 11 Vgl. Lausser, Hörmann, 110; Hipper, Georg und Christoph Hörmann, 2. 12 Vgl. Weiß, Jörg Hörmann, 267. 13 Vgl. Geffcken, Reihing.

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dem Haus Habsburg verknüpft.¹⁴ Auch Georg Hörmann selbst trat im Laufe der Jahre als Kreditgeber der Habsburger in Erscheinung.¹⁵ Schwaz war auch eine der Ausbildungsstationen Anton Fuggers, der nach dem Tod seines Onkels Jakob 1525 die Leitung der Familiengesellschaft übernahm. Georgs Ehefrau Barbara war eine Nichte der Mutter Antons, es bestand also zusätzlich eine enge verwandtschaftliche Verbindung.¹⁶ Das im Laufe der Zeit entstandene enge Verhältnis zwischen Anton Fugger und Georg Hörmann als einem „Vertrauten“¹⁷ oder gar „Freund“,¹⁸ womöglich auch durch gemeinsame humanistische Interessen und entsprechenden Kontakt zu zeitgenössischen Gelehrten befördert,¹⁹ wird unter anderem durch Hörmanns Ernennung zum Testamentsvollstrecker für den Fall eines plötzlichen Todes Antons 1532 dokumentiert. Die Familienchronik hebt diese Beziehung denn auch besonders hervor.²⁰ Hörmann war auch an der Beaufsichtigung der Erzgruben beteiligt, die Anton Fugger im Königreich Ungarn in Neusohl betrieb. Die Nähe zu den Habsburgern, deren Verschuldung bei den Fuggern weiterwuchs, wird sowohl durch die Verleihung eines Adelsbriefes durch Karl V. im Jahr 1528,²¹ als auch durch die Erhebung Hörmanns zum Rat König Ferdinands I., was als Ehrentitel zu betrachten ist, in den 1530er Jahren deutlich.²² Seine Söhne Anton und Ludwig arbeiteten bei den Fuggern bzw. in weiteren herausragenden Augsburger Handelsgesellschaften mit, teilweise auch in der Rolle als Teilhaber, und waren mit Töchtern erstrangiger Familien verheiratet; Christoph Hörmann, Fuggerscher Faktor in Spanien, von dem im Zusammenhang mit den Hörmannschen Stiftungen noch die Rede sein wird, blieb ledig.²³ 1550 zog sich Georg Hörmann aus den Handelsgeschäften zurück und lebte bis zu seinem Tod 1552 in seinem Anwesen in seiner Vaterstadt Kaufbeuren.²⁴

14 Vgl. Häberlein, Die Fugger, bes. 42 – 48. 15 Vgl. Hampe, Allgäuer Studien, 14. 16 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 33. 17 So die Charakterisierung auch bei Häberlein, Freunde, 84 f. 18 So Pölnitz, Anton Fugger, 379. 19 Vgl. zu Anton Fugger den Beitrag Stefano Rocchis in vorliegendem Band; ebenso Pölnitz, Anton Fugger, 379, 437– 439 sowie zu den Gelehrten-Kontakten Hörmanns: Weiß, Jörg Hörmann. 20 Vgl. Hipper, Georg und Christoph Hörmann, 16 f; Hörmann, Ehren-denckmahl, 24. 21 Vgl. StA Kaufbeuren, B 90: Copiale Hörmann, Adels- und Wappenbrief, fol. 2r–5v. 22 Über Hörmanns Tätigkeit in den Diensten der Fugger vgl. Hipper, Georg und Christoph Hörmann. Die Datierung der Erhebung zum königlichen Rat weicht in der Familienchronik (Hörmann, Chronik, 27: datiert auf 1532) und bei Hipper (13, datiert auf 1536) ab. Hipper führt allerdings Archivalien des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien als Gegenbelege an, auch eine familieninterne Abschrift datiert auf 1536, vgl. StA Kaufbeuren, B 90: Copiale Hörmann, fol. 10r–v. 23 Vgl. die Rekonstruktion der Geschäftstätigkeit (und auch geschäftlichen Konflikte) der Brüder Anton und Ludwig Hörmann bei Häberlein, Brüder, 357 f. – Für den vierten Sohn, Johann Georg, ist keine Geschäftstätigkeit belegt; der Familienchronist schildert recht freimütig eine – zum Missfallen des Vaters – bewegte Jugend und formuliert die Vermutung, Johann Georg habe Einkünfte aus Amtsträgerschaften erhalten, vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 37 f. – Zu einer späteren Inhaftierung wegen Trunksucht und Gewalt in der Ehe die Nachweise bei Häberlein, Brüder, 358. 24 Vgl. Hipper, Georg und Christoph Hörmann, 19.

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Konsultiert man die Hörmann-Chronik zur Biographie Georg Hörmanns, so ist der geschilderte Kapitaleinsatz direkt nach der Darstellung der Verleihung des Adels- und Wappenbriefs durch Karl V. im Jahr 1528 durchaus bezeichnend: „Hierauf“, so führt der Familienchronist seine Darstellung fort, habe Georg die ererbten Gebäude und Zukäufe in Kaufbeuren „niederreissen“ lassen und begonnen, vom Jahr 1532 an solche von Grund aus mit kostbarn Kellern, auch durch das ganz untere Stockwerk dauerhafften Gewölben, zu verschiedenen Zimmern und Wohnungen dann Stallungen nebst andern Bequemlichkeiten zu einem Familien Hauß (…) der gestallten bequem herzustellen, wie solichs noch heut zu tag vor Augen stehet, womit er in die acht Jahr zugebracht (…).²⁵

Unmittelbar im Anschluss an die Arbeiten an Haus und Gartengelände wird der Erwerb Gutenbergs thematisiert, von dem nachfolgend eigens gehandelt wird. Georg Hörmann wollte offenbar keine Zeit verstreichen lassen, um den Aufstieg der Familie in den Adel durch die aufwändige Errichtung eines dem neuen Stand gemäßen Familiensitzes, der sich durch Weitläufigkeit und ‚Bequemlichkeiten‘ auszeichnete, repräsentativ zu inszenieren – dort, wo ihm ererbte Grundstücke zur Verfügung standen, dort, wo die Hörmann sich bereits einen Platz im Patriziat erobert hatten. Auch in seinem Testament erwähnt Hörmann die umfängliche Ausgestaltung des Kaufbeurer Sitzes, den er „mit grosenn costen merklich erweittert, gebössert und gepaut“ habe.²⁶ Bezeichnenderweise zog sich Georg Hörmann in seiner letzten Lebensphase auch in dieses Kaufbeurer Stadthaus zurück. Summarisch preist Wolfgang Ludwig im Stile einer Kurzbiographie im Rahmen der Chronik weitere Taten seines Vorfahren, nicht ohne – um zumindest andeutungsweise die Brücke zu den in vorliegenden Band thematisierten mäzenatischen Investitionen zu spannen – die Förderung bekannter Gelehrter zu betonen, unter denen er einen Philipp Melanchthon ebenso aufzählt wie einen Viglius Aytta van Zwichem, und auch ein Mariangelo Accursio²⁷ darf nicht fehlen. In den Widmungen einschlägiger Werke könne man Hörmanns Unterstützung ebenso nachlesen wie in edierten und handschriftlich überlieferten Korrespondenzen.²⁸ Zweifelsohne wäre dies eine ausführliche Untersuchung wert. Mehr als nur die namentliche Nennung hält der Chronist schließlich im Falle der Humanistin Olympia Fulvia Morata angebracht – „das

25 Hörmann, Ehren-denckmahl, 24 f. – Zum „Hörmann-Palais“ vgl. auch Lausser, Hörmann, 111 sowie Hampe, Allgäuer Studien, bes. 13 – 36. 26 StA Kaufbeuren, B 90: Copiale Hörmann, fol. 66r. 27 Zu Accursio und seiner Beziehung zu Anton Fugger vgl. den Beitrag von Stefano Rocchi in vorliegendem Band. – Die sehr unterschiedliche Haltung der hier kurz angeführten Gelehrten zur Reformation lässt sich nicht nur mit den frühen Phasen des reformatorischen Geschehens erklären, die Hörmann mitverfolgte, sondern wohl auch durch seine geschickte persönliche Positionierung im sich verschärfenden Religionskonflikt, in dem er doch eindeutig der reformatorischen Bewegung zuneigte. Die Hörmann-Chronik formulierte, er habe „die Wahrheit erkannt (…), auch dieselbe angenommen (…); jedoch hat er sich äusserlich immer zu der Catholischen Kirche gehalten“ (Hörmann, Ehren-denckmahl, 27). 28 Hörmann, Ehren-denckmahl, 26.

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gelehrte frauen zimmer“ und ihr Gatte Andreas Grundler hätten ihre besondere Beziehung zu Hörmann in zahlreichen Briefen zum Ausdruck gebracht.²⁹ Neben den bereits einleitend in der Familienchronik benannten,³⁰ in dem Georg gewidmeten biographischen Abschnitt nochmals erwähnten Stiftungen, werden für diesen herausragenden Vertreter der Familie als Kapitaleinsatz noch weitere, persönliche Stiftungen und wohltätige Leistungen erwähnt,³¹ die in einem weiteren Kapitel intensiver beleuchtet werden sollen – nach der Betrachtung der Bedeutung grundherrlichen Besitzes. Festgehalten werden können jedoch hier, zumindest in einem ersten Überblick, Investitionen in einen repräsentativen städtischen Sitz sowie mäzenatische Tätigkeit, die dem Familienchronisten als eindeutig erwähnenswert erschienen. Hörmanns geschäftliche Tätigkeit wird dagegen im „Ehren-denckmahl“ nur summarisch bedacht und indirekt durch die große Wertschätzung des Hauses Fugger, dokumentiert auch durch eine stattliche Geldzahlung beim Verlassen der Handelsfirma 1550, zum Ausdruck gebracht.³²

3 Investitionen, I: Vom Dorf Gutenberg zum Herrschaftskomplex und zum Herrschaftssitz Im Adels- und Wappenbrief Karls V. vom 9. November 1528 wurde Georg Hörmann und den Seinen zugestanden, das sie, wo sie uber kurtz oder lang ainen sitz oder schloß uberkomen, oder vonn newen erpawen wurden es sey erb, lehen oder aigen, bey irem jetzigen zuenamen beleyben (…) oder gar abthuenn, unnd denselben sitz unnd schloß ainen anderen erblichen unnd adenlichen zuenamen, nach irem willen schepfen unnd geben, sich darvon und darzue nennen, schreiben, und solchen newen zunamen inn allenn unnd jeglichen iren reden, schrifften, tittlen, siglen, händlen unnd geschefften (…) allein, oder mit irem jetzigen zunamen, gegen menigelich prauchen mögen.³³

Mit dem Dorf Gutenberg nahe Kaufbeuren war wenige Jahre später der passende Sitz gefunden. Die Aufteilung des Nachlasses Hans Honolds³⁴ unter seinen Erben gab 1534 die Gelegenheit, sich dort erstmals zu einkaufen – die aus dem Erbteil der Regina Honold erworbenen Höfe bildeten zusammen mit einem vom Großvater Hörmanns ererbten Hof in Untergermaringen den Grundstock für den Hörmannschen herrschaftlichen Besitz. An diesem Besitz hielten Georg Hörmann und auch seine Nachkommen 29 Vgl. ebd. – Kurz angesprochen wurden Hörmanns Kontakte zu gelehrten Kreisen bereits bei Weiß, Jörg Hörmann. 30 Vgl. Hörmann, Ehren-Denckmahl, Einleitung, nicht paginiert. 31 Vgl. ebd., 28. 32 Vgl. ebd., 24. 33 StA Kaufbeuren, B 90: Copiale Hörmann, Adels- und Wappenbrief, fol. 2v–3r. 34 Die Augsburger Mehrer-, seit 1538 Patrizierfamilie Honold stammte wie die Hörmann ursprünglich aus Kaufbeuren und war dort auch noch begütert. Vgl. Geffcken/Sieh-Burens, Honold.

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beharrlich fest – was sich in Zukäufen wie auch in zähen, oft jahrelangen Verhandlungen und Rechtsstreitigkeiten manifestierte.³⁵ Die restlichen Gutenbergischen Höfe gelangten denn auch erst 1545 aus dem Honoldschen Erbe in die Hand Georg Hörmanns – und damit war die Grundlage geschaffen, dem Namen Hörmann, wie im Adelsbrief konzediert, nun auch durch den Bezug auf Gutenberg zu ergänzen, wie die Chronik vermerkte.³⁶ Die Abnahme der Huldigung 1545 ebenso wie die Verwaltung des Güterkomplexes und die Ausübung der dortigen Gerichtsherrschaft übertrug Georg seinem Sohn Ludwig Hörmann, was der Familienchronist auf die besondere Vertrauensstellung des Sohnes zurückführte und die Bedeutung der Herrschaft in den Augen Georgs unterstreicht.³⁷ Die Familienchronik kommt immer wieder auf die Bedeutung des Gutenbergschen Herrschaftskomplexes zu sprechen. Ebenso wie die Reichsstadt Kaufbeuren wurde auch der Hörmannsche territoriale Besitz durch den Dreißigjährigen Krieg mit Truppendurchzügen, Plünderungen, Pestwellen schwer belastet; für die Grundherren schlug sich dies in massiven Einkommensverlusten nieder.³⁸ Doch Gutenberg blieb – auch nach Kriegsende, auch in materiell bedrängter Lage – in den Händen der Hörmann, und noch mehr: Es wurde angesichts der bedrängten Kriegszeiten für einen Teil der Familienmitglieder zum Zufluchtsort; zum einen für Matthäus Bernhard Hörmann, der Gutenberg offenbar zu seinem Hauptsitz machte, gerade auch während des Krieges – mitsamt seiner Familie mehr schlecht als recht und zeitweise in fremden Diensten untergekommen, um Einkommensverluste auszugleichen, wie die Chronik vermerkte.³⁹ Bezeichnend freilich erscheint, wie er sich die Rolle des Grundherrn anverwandelte, so zumindest stellte es sein geschichtsschreibender Nachfahre dar: „Weil er meist auf dem Land gelebt, so sind von ihm gar viele oeconomische und Arzney Manuscripta vorhanden“.⁴⁰ Mit der Aneignung der Rolle des adeligen Grundherren mit ihren besonderen Erfordernissen⁴¹ war also auch eine Investition in einschlägig ‚ländliche‘ Wissensbestände verbunden. Doch auch Sebastian Ludwig Hörmann, für den die Chronik in Notzeiten sogar den eigenhändigen Feldbau vermerkte, und dessen Bruder Hans Christoph wählten den ländlichen Besitz als – wiederum eher dürftiges – Refugium in Zeiten der Not; angesichts mehrfacher Einquartierungen schien ein Verbleib im

35 Vgl. Lausser, Hörmann, 112. 36 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 25. 37 Vgl. ebd., 43. 38 Vgl. ebd., 74. – Zur Entwicklung der grundherrlichen Einkünfte während des Dreißigjährigen Krieges vgl. die ungedruckte Bachelorarbeit von Thomas Schiegg, Die Entwicklungen der grundherrlichen Einnahmen der Patrizierfamilie Hörmann von und zu Gutenberg im Schwaben des Dreißigjährigen Krieges, Augsburg 2021. 39 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 74 f. – Zur Bedeutung Gutenbergs während des Dreißigjährigen Krieges vgl. auch resümierend Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 126. 40 Ebd., 77. 41 Vgl. hierzu anhand einer Fuggerschen Herrschaft des späten 16. Jahrhunderts Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen.

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Kaufbeurer Stadthaus offenbar nicht opportun.⁴² Die Vorteile dieses ländlichen Sitzes erscheinen hier sehr handfest – so wenig sie in ihrer materiellen Schlichtheit, die der Chronist durchaus aufscheinen lässt,⁴³ auf den ersten Blick zu einem landadeligen Selbstkonzept passen mögen. Für eine Tendenz der gesamten, im 17. Jahrhundert bereits weit verzweigten Familie zum Übergang zu einer vorrangig landadeligen Existenz spricht freilich wenig⁴⁴ – hierfür waren die Hörmannschen Besitzungen kaum ausgedehnt genug, auch wenn sie durchaus Einkünfte abwarfen.⁴⁵ Zumindest von Teilen der Familie jedoch wurde Gutenberg als Wohnsitz auch nach Kriegsende weitergenutzt.⁴⁶ Allerdings erscheint auch angesichts der für etliche Familienmitglieder bis ins 18. Jahrhundert hinein weiterhin nachzuweisenden Handelstätigkeit⁴⁷ oder auch angesichts der Übernahme von städtischen Amtspositionen in späterer Zeit ein ausschließlich ländlicher Wohnsitz nicht plausibel.⁴⁸ Während der grundherrliche Territorialkomplex erhalten blieb, wurde der von Georg Hörmann gestaltete Familiensitz in der Reichsstadt Kaufbeuren während des Dreißigjährigen Krieges nicht nur schwer gebeutelt – die Chronik nennt die Plünderung sämtlich verbauten Kupfers, namentlich der Dachrinnen⁴⁹ –, sondern schließlich gar verkauft, um finanzielle Verluste auszugleichen.⁵⁰ Bis ins frühe 19. Jahrhundert blieb Gutenberg in Familienbesitz.⁵¹ Damit wurde die Linie gehalten, die Georg Hörmann testamentarisch über „mein Dorff Guettenberg“ und den vom Großvater ererbten Hof in Untergermarigen, in einem Fideikommiss rechtlich abgesichert, vorgegeben hatte: Dass dieser Besitz nicht verkauft, sondern ungeschmälert unter seinen Nachkommen erhalten werden möge; Regelungen traf er allein für den Fall, dass einer seiner vier Söhne – mit sehr guten Gründen – seinen Anteil an diesem

42 Vgl. Hörmann, Chronik, 85. 43 Zur Angabe, Sebastian Ludwig habe auch eigenhändig Landbau betrieben, um Zeiten der Not zu überstehen, vgl. einordnend Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 118. 44 Zum anhand dieser Beispiele ergänzungsbedürftigen Bild des Normengefüges landadeliger Familien aus dem Kaufmannsstand vgl. Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 118; zur Bedeutung landadeliger Lebensmodelle für die Hörmann insgesamt ebd., 122; Hörmann, Ehren-denckmahl, 85, 90. 45 Vgl. auch die Einschätzung bei Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 120, 122. 46 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 97: Der Sohn des Gutenbergschen ‚Kriegs-Residenten‘ Sebastian Ludwig, Georg Ludwig Hörmann, „blieb in Gutenberg sesshafft“; auch seine Kinder seien sämtlich dort zur Welt gekommen, vgl. ebd., 98. – Vgl. zum Gutenberger Sitz für Teile der Familie auch Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 121. 47 Vgl. Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 120, 122. 48 Die Nutzung von städtischen Wohnhäusern wie auch der ländlichen (Sommer‐)Sitze dürfte eher die Regel denn die Ausnahme gewesen sein, vgl. etwa die von Diana Egermann-Krebs pointiert dargestellte Praxis Jacob Fugger-Babenhausens (der im Übrigen nicht in der Fuggerschen Geschäftsleitung aktiv war) oder auch die von Magnus Ulrich Ferber dargestellte Nutzung Schloss Neunhofs durch die Welser: Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 31; Dauser/Ferber, Einführung zu vorliegendem Sammelband. 49 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 85. 50 Vgl. ebd, 85 f. 51 Vgl. ebd., 25. Einen Überblick zum Gutenbergschen Gütererwerb und zur weiteren Entwicklung des Dorfes unter den Hörmann liefert Schmitt, Gutenberg.

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gemeinsamen Eigentum aufgeben und an die Brüder bzw. deren Erben zu vorgegebenen Konditionen übertragen wolle: Vnd sy nit macht haben sollen, solich dorff oder gaw gar noch ains tails weder wenig noch vil zuuerkauffen, noch inn ainich weis oder weg zuuersetzen zuuerkumern noch zu verendern. Ob aber in ainiche große unuermeidenliche notturfft vnd vrsachen oder sonder anderer scheinbarlicher merer nutz für augen kumen und am tag sein werde, das ainer meiner vier süne oder derselben Erben seinen taill nit behalten wolle, khündte oder möchte, so soll er den selben seinen vierten taill den andern seinen Brüdern oder vettern (…) inn nachuolgendem anschlag und werdt und gar nit höherer volgen vnd zuesten lassen.⁵²

Georg machte also auch hier noch einmal deutlich, seiner eigenen Praxis des Gütererwerbs und des Festhaltens an der erworbenen Herrschaft folgend, dass Gutenberg kein Spekulationsobjekt war, sondern als unveränderlicher territorialer Kern und Teil der adeligen Identität derer zu Gutenberg erhalten bleiben sollte. Ein weiteres unmissverständliches Signal für die ‚zukunftsweisende‘ Bedeutung Gutenbergs – und damit verbunden eine ‚Folgeinvestition‘ – war der Bau einer Grabkapelle samt Familiengruft in der Gutenberger Pfarrkirche, standesgemäß ausgestattet und in der Familienchronik als „erbbegräbnis“⁵³ bezeichnet, das Georg zu seinen Lebzeiten umsetzen ließ, wie er denn auch die Überführung seines Leichnams nach Gutenberg testamentarisch penibel verfügte: daß meine nachgesatzte erben meinen abgestorbenen cörper, nach christlichem loblichem geprauch (doch ohne sondern welttlichen pompp, ceremonia und pracht.) gehen Guettenberg fueren, und daselb inn die pfarr kirchen, inn mein new erpauene cappeln und begrebknuß legen, und begraben lassen (…).⁵⁴

Damit war die Intention, dieses Dorf dauerhaft zum Sitz des Geschlechts der Hörmann zu Gutenberg zu erklären, noch einmal deutlich formuliert. Weitere Familienmitglieder wurden in der Gutenberger Grablege bis zum Ende des 17. Jahrhunderts bestattet, darunter auch – folgerichtig – die drei ‚Gutenberg-Residenten‘ während des Dreißigjährigen Krieges, Matthäus Bernhard, Hans Christoph und Sebastian Ludwig Hörmann.⁵⁵ Diese Praxis ist auch von Georgs Dienstherren, den Fuggern, bekannt – so ließ sich Anton Fugger wie auch sein Sohn Jacob in der Fuggerherrschaft Babenhausen bestatten, dessen Bruder Hans in der Kapelle seines prächtig ausgebauten Schlosses Kirchheim.⁵⁶ 52 StA Augsburg, HV HG 108/96: Testament Georg Hörmanns, fol. 6v. – Eine Abschrift dieses zehnten Artikels des Testaments findet sich auch im StA Kaufbeuren, B 90 Copiale Hörmann, fol. 65v: Copia des zehenten articll, 7.9.1552. 53 Hörmann, Ehren-denckmahl, 79. 54 StA Augsburg, HV HG 108/96: Testament Georg Hörmanns, fol. 2r, v. 55 Vgl. Schmitt, Gutenberg, 7 f. – Ebd. auch zur Ausstattung der Kapelle. 56 Vgl. zu Anton Fugger: Meyer, Chronik der Familie Fugger, 65; Egermann-Krebs, Jacob Fugger-Babenhausen, 65; zu Hans Fugger vgl. Dauser, Informationskultur, 24.

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Dass die Zielsetzung, die Bedeutung Gutenbergs hervorzuheben und als Sitz der Familie zu markieren, auch im 18. Jahrhundert weiterhin vorhanden war, zeigt der Bau eines repräsentativen, in der Familienchronik in einer kolorierten Zeichnung bildlich festgehaltenen Landsitzes ab 1730 (Abb. 1).⁵⁷ Ob dessen vergleichsweise späte bauliche Realisierung, übrigens durch den in Nürnberg ansässigen, eine eigene Handelsfirma betreibenden Wilhelm Gottfried Hörmann, als ‚Ersatz‘ für den von Georg Hörmann erbauten, 1670 verkauften, aufwändig ausgestatteten Kaufbeurer Wohnsitz zu verstehen war, ist auf dem gegenwärtigen Erschließungsstand des Hörmannschen Archivs nicht auszumachen. Jedenfalls wird deutlich, dass für das Selbstverständnis der Hörmann der ländliche grundherrschaftliche Besitz „aus wirtschaftlicher und psychologischer Perspektive“,⁵⁸ wie Thomas M. Safley bemerkte, weiterhin eine gewichtige (wenn auch sicher nicht ausschließliche) Rolle spielte, unabhängig von seiner territorialen Ausdehnung und unabhängig vom hauptsächlichen Broterwerb und Wohnsitz der Familienmitglieder.⁵⁹

Abb. 1: Das Dorf Gutenberg mit dem im 18. Jahrhundert erbauten Herrschaftssitz (rechter Bildrand), kolorierte Zeichnung unbekannter Hand aus der Familienchronik „Ehren-denckmahl“, StA Kaufbeuren, B 89.

4 Investitionen, II: Die Hörmannschen Stiftungen Die ‚Stiftungsgeschichte‘ des Hörmannschen Geschlechts setzt wenige Jahre früher ein als der Erwerb Gutenbergs – mit dem Jahr 1532. Auch hier ist Georg Hörmann zwar die

57 Zu dieser Investition auch Schmitt, Gutenberg, 7. 58 Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 122. 59 Zum Bau des Landsitzes vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 115 sowie Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 122.

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zentrale Figur – aber mit der zu beschreibenden Stiftung wird ein klarer Bezug auf das gesamte Hörmannsche Geschlecht und dessen Zukunft hergestellt, denn die in diesem Jahr eingerichtete Stiftung wurde ausdrücklich als Familienstiftung konzipiert. Zweck der Almosen-Stiftung im Umfang von 600 Gulden war die Versorgung vier sogenannter ‚hausarmer‘ Personen im Heilig-Geist-Spital der Reichsstadt Kaufbeuren, deren wöchentliche Lebensmittelversorgung detailliert geregelt wurde. Mit der Unterstützung Hausarmer, die als unverschuldet in Not geratene, ‚würdige‘ arme Bürgerinnen und Bürger verstanden wurden,⁶⁰ und durch die Absicherung deren materieller Versorgung im Spital orientierten sich die Hörmann ganz an den zeitgenössischen Auffassungen vom zu unterstützenden Personenkreis und der Art der Armenversorgung.⁶¹ Im Vertrag mit dem Rat der Stadt, dem die Administration des Spitals unterstand, werden ausdrücklich Georg Hörmann, seine Ehefrau Barbara Reihing, ihre Kinder sowie deren Nachkommen benannt, die mit der Stiftungsaufsicht bis zum Erlöschen des Geschlechtes Hörmann-Reihing direkt betraut wurden: „die genanndten Stiffter baider geschlecht, Der Hörman vnd Reyhing, Ire Kinder vnnd Erben, Inn absteigender Linj für vnd für“.⁶² Zeitlich liegt diese Kaufbeurer Stiftung in unmittelbarer Nähe zum Beginn der erwähnten Neugestaltung des ererbten Wohnsitzes der Hörmann in Kaufbeuren – der Standort in der Reichsstadt wurde somit von zwei Seiten gestärkt. Im überlieferten Verwaltungsschriftgut des Hörmann-Archivs wird die Kaufbeurer Stiftung fortwährend über die Jahrhunderte hinweg als eine der Kernaufgaben der Familie benannt, häufig in einem Atemzug mit der Administration der grundherrlichen Güter.⁶³ Die Stiftung wurde sogar noch deutlich aufgestockt, ja mehr als verfünffacht: Christoph Hörmann, ledig gebliebener Sohn Georg Hörmanns und Barbara Reihings, für die Fugger als Faktor über viele Jahre hinweg in Spanien – und damit an einer der Schaltstellen des Fuggerschen Unternehmens – tätig,⁶⁴ deshalb auch als der „spanische Hörmann“⁶⁵ bezeichnet, erweiterte bereits zu seinen Lebzeiten 1578 die Kaufbeurer Almosenstiftung durch ein Stiftungskapital von zusätzlichen 1.500 Gulden auf 12 versorgte Hausarme; nach seinem Tod setzten seine ehemaligen Handelsherren und nun Testamentsvollstrecker, die Brüder Marx und Hans Fugger, im Jahr 1586 mit weiteren 1.600 Gulden die Aufstockung

60 Zum Begriff des ‚Hausarmen‘ vgl. Schubert, Hausarme Leute. 61 Vgl. mit ähnlichen Beispielen zum Augsburger Stiftungswesen im Spätmittelalter Kießling, Pfennigalmosen, besonders 41 – 45. 62 StA Kaufbeuren, B 90: Copiale Hörmann: Verschreibung der Stadt Kaufbeuren und des Spitalmeisters gegen Georg Hörmann, fol. 11v. 63 Einen ersten Überblick vermögen hier noch vor der vollständigen Erschließung die Einträge der historischen Archivkartei zu geben, vgl. StA Augsburg, HV, Archivkartei Hörmann, Einträge zu HV 0080 (1692), HV 0081 (1761), HV 1451 (1710), HV 1452 (1795), HV 1560 (1753): die Verwaltung von Stiftung und Grundbesitz als zugleich benannte Aufgaben der männlichen Familienmitglieder. 64 Das Verhältnis zwischen Christoph Hörmann und seinen Fuggerschen Dienstherren war schon früh recht vertraut, vgl. z. B. den Briefbeleg bei Dauser, Informationskultur und Beziehungswissen, 14. 65 Hörmann, Ehren-denckmahl, 21.

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der Stiftung auf die Versorgung von 20 Personen um.⁶⁶ Offenbar erwies sich diese erweiterte Ausstattung der Stiftung zumindest gegen Ende des Jahrhunderts als so ertragreich, dass der Kaufbeurer Rat die Hörmann, namentlich wurde Tobias Hörmann als Vertreter der Nachfahren adressiert, im Jahr 1594 sogar zu erwägen bat, einen Teil des Christoph Hörmannschen Stiftungsvermögens, das Überschüsse erzielte, für den Bau eines städtischen Blatternhauses zur Verfügung zu stellen. Wieder sollten damit die unterstützungsbedürftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt bedacht werden, die es sich nicht leisten konnten, sich medizinisch in ihren eigenen Wohnungen versorgen zu lassen. Der Rat argumentierte damit, dass die Stiftung eines Blatternhauses die ursprüngliche Intention des Stifters Christoph Hörmann gewesen, die seinerzeit unterblieben sei. Dies ist plausibel angesichts des unten noch anzuführenden Stiftungsgebarens der Hörmann in Augsburg; jetzt biete sich, so der Rat, angesichts der vorhandenen Überschüsse die Mitfinanzierung eines städtischen Blatternhauses geradezu an, da der Rat „je lang je mehr von schadhafften leuth umb hilf und curierung angelauffen und belästiget, und daher getrungen werden, nach mitlen zu anrichtung aines Blaterhauses zu trachten“, weshalb das halbe Stiftungsvermögen doch an eine derartige Einrichtung transferiert werden möge.⁶⁷ Bezeichnend für den ‚Nutzen‘ der Stifter ist der Hinweis auf die Stiftermemoria, mit dem das Anschreiben des Rates an Tobias Hörmann endete: Denn das Blatterhaus werde „der stiffter namen und gedächntus haben und behalten“.⁶⁸ Es blieb nicht bei dieser einen, mehrfach materiell erweiterten Familienstiftung – „der stiffter namen und gedächtnus“ wurde noch an etlichen Orten verankert, die zumindest über die historische Archivkartei gut nachzuvollziehen sind. Bezeichnend ist die geographische Verortung der Hörmannschen Stiftungen insgesamt, die weit über den Kaufbeurer ‚Stiftungskern‘ hinausgingen – der Aktionsradius der Familie spiegelt sich recht offensichtlich in den Standorten ihrer Stiftungen. Ohne dass die Geschichte der einzelnen Stiftungsvorgänge bislang auch nur ansatzweise aufgearbeitet wäre, kann anhand der Familienchronik sowie der Bestandsaufnahme des Archivs aus dem 19. Jahrhundert ein ganzes Stiftungs-Konglomerat ausgemacht werden: Das Engagement in Kaufbeuren wurde, wie der Chronist, seinerzeit immerhin Amtsträger der Reichsstadt, vermerkte, auch ergänzt durch eine Naturalstiftung zum Gehalt des Präzeptors der „oberen teutschen knaben schule“, die später in eine Geldzahlung umgewandelt wurde.⁶⁹ Neben dem Herkunfts- und sozusagen (vor Gutenberg ersten) Stammsitz Kaufbeuren, das nach gegenwärtigem Kenntnisstand mit der besagten Almosenstiftung die einzige Familienstiftung beherbergte, können noch folgende Standorte für Stiftungen und Spenden ausgemacht werden: Zum einen war dies Augsburg, wo die Hörmann der 66 StA Kaufbeuren B 90: Copiale Hörmann: Kaufbrief der Stadt Kaufbeuren und des Spitals gegen Christoph Hörmann, fol. 58v–59r. 67 Vgl. StA Augsburg, HV HG 108/96, Nr. 48, Der Rat der Stadt Kaufbeuren an Tobias Hörmann, 29. 5.1594. 68 Ebd. 69 Hörmann, Ehren-denckmahl, Einleitung, nicht paginiert.

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Kaufleutestube angehörten, zugleich Geschäftssitz der Fugger, in deren Diensten Georg Hörmanns Karriere begann. Gerade Augsburg mit seiner reichen Stiftungstradition, die zeitgenössisch sogar in Reiseberichten angemerkt wurde, mochte ein Standort sein, an dem Stiftertätigkeit womöglich sogar ein Stück weit zur Erwartungshaltung an die vermögende Elite gehörte.⁷⁰ Hier sind Legate für den städtischen Almosensäckel, die Siechenhäuser und das Waisenhaus der Reichsstadt zu vermerken.⁷¹ Für Nürnberg, weiteren Wohnort eines Zweigs der Hörmann, ist noch für 1770 die Begründung einer Schul- und Stipendienstiftung verzeichnet.⁷² Doch auch Schwaz in Tirol wurde bedacht, agierte Georg Hörmann doch maßgeblich über Jahrzehnte hinweg in dieser ersten großen Bergbau-Zentrale des Fuggerschen Konzerns. Hier ließ sich Georg Hörmann persönlich – man fühlt sich an das Beispiel der Astaler im vorliegenden Band erinnert – durch die Stiftung eines Glasfensters 1545 für die örtliche Kirche verewigen; vorangegangen war 1541 die Schenkung von 100 Gulden an das Schwazer Spital.⁷³ Zum anderen darf freilich die Herrschaft Gutenberg selbst nicht vergessen werden – hier wurde noch in den 1730er Jahren eine Stipendienstiftung aus dem Vermögen des Ernst Tobias Hörmann, Vater des Familienchronisten Wolfgang Ludwig, eingerichtet.⁷⁴ Diese häufig als Zustiftungen zu bestehenden Stiftungen und Fürsorgeeinrichtungen dedizierten Stiftungssummen lassen sich also bis mindestens in die 1770er Jahre für verschiedene Familienmitglieder nachverfolgen. An allen ihren maßgeblichen Standorten, die zumeist bereits in der Zeit Georg Hörmanns Bedeutung für die Familie erlangten, hinterließen also die Hörmann Spuren in Form ihrer Stiftungen und Schenkungen, markierten sie ihren engsten Wirkungskreis und präsentierten sich entweder als für die Gemeinschaft tätige Mitglieder einer lokalen Elite oder als fürsorgliche Ortsherren.

5 Fazit Um die hier vorgestellten Hörmannschen Investitionen in Grundherrschaft und Stiftungen zu charakterisieren, muss zunächst auf die gleichsam ‚unveräußerliche‘ Verwaltungsachse Gutenberg mit Hof in Untergermaringen und Almosenstiftung Kauf-

70 Zur Augsburger Stiftungstradition vgl. neben Kießling, Pfennigalmosen, die materialreichen Darstellungen und Objektartikel im Ausstellungskatalog zur Sonderausstellung des Maximilianmuseums 2021: Lange-Krach, Stiften gehen!. 71 StA Augsburg, HV, Archivkartei Hörmann, Verzeichnung des Testaments (Kopie) des Anton Hörmann 1591; Testament des Christoph Hörmann 1586. 72 StA Augsburg, HV, Archivkartei Hörmann, Verzeichnung des Berichts des Johann Ulrich Hörmann über die Schul- und Stipendienstiftung sowie weitere Legate an die Armenfürsorge Nürnbergs. 73 Vgl. Hörmann, Ehren-denckmahl, 28. – Die Praxis, an wichtigen Geschäfts- und Familien-Standorten Stiftungen zu plazieren, kannte Hörmann zweifellos auch von den Fuggern, vgl. Pölnitz, Anton Fugger, 437, 440. 74 Vgl. StA Augsburg, Archivkartei Hörmann zu HV 1650, Abschrift zur Stipendienstiftung; Pfundner, Wolfgang Ludwig Hörmann, 124.

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beuren hingewiesen werden, die über rund zweieinhalb Jahrhunderte und über familiengeschichtliche Zäsuren hinweg gehalten, zum Teil ausgebaut wurde. In der Verwaltung durch die Familie wurden diese Elemente stets als Einheit behandelt; in der Familienchronik stellen diese beiden Investitionsfelder zentrale Bezugspunkte dar, die bereits in deren Einleitung angeführt werden.⁷⁵ Diese Einheit weist über eine reine Besitzebene deutlich hinaus. Gutenberg mit Untergermaringen stellte eine – je nach Zeitläuften unterschiedlich ertragreiche – Wirtschaftsbasis dar, war Grundlage für das herrschaftliche Selbstverständnis, das sich auch in Gerichtsrechten und Huldigungsakten manifestierte, und stützte nicht zuletzt die familiäre memoria, die mit der Grabkapelle noch lange vor dem Bau des Herrschaftssitzes auch ihren baulichen Ort hatte. Die Ortschaft Gutenberg wurde ab Mitte des 16. Jahrhunderts für die Familie namengebend; der Titel unterstrich den adeligen Habitus und wurde im Rechtsverkehr wie in jeglicher Korrespondenz zur repräsentativen Bezugsgröße – auch in der Familienchronik durfte das „von und zu Gutenberg“ seit Georg Hörmann niemals fehlen. In Krisenzeiten konnte die Ortschaft als Zufluchtsort dienen, war aber auch darüber hinaus für manche Familienmitglieder als Wohnsitz attraktiv. An der Gutenberger Herrschaft wurde trotz erheblicher Finanzprobleme, die zum Verkauf des repräsentativen Anwesens in Kaufbeuren führten, über die Jahrhunderte festgehalten, was keine selbstverständliche Praxis darstellte⁷⁶ – alles, die Analyse der mehrfach angeführten Familienchronik eingeschlossen, deutet darauf hin, dass wir es hier mit einem wesentlichen Element des Hörmannschen Selbstbildes und Selbstverständnisses zu tun haben. Allerdings erfolgte in den Gutenbergschen ‚Stammlanden‘ kein früher, gezielter Ausbau zum Landsitz vor dem Schlossbau im 18. Jahrhundert. Nach wie vor dominierten nach Ausweis der Quellen die urbanen Sitze der Familie. Eine naheliegende Erklärung böte die bis ins 18. Jahrhundert aufrechterhaltene Tätigkeit mehrerer Familienmitglieder im Handel und in der städtischen Administration;⁷⁷ gleichwohl bleibt – entgegen eingängigen Schemata des sozialen Aufstiegs – eine gewisse Spannung zwischen bürgerlichem Lebenserwerb und adeligem Habitus, oder anders gesagt: Reichsstädtischkaufmännisch geprägte Handlungsfelder und Landadligenexistenz bestimmten das ‚Modell Hörmann‘ lange Zeit gleichermaßen – auch ohne ein ausgedehntes Konglomerat an Herrschaften und repräsentativen Herrschaftssitzen, wie sie die Fugger zu verwirklichen vermochten. Die Stiftungen wiederum ermöglichten eine räumliche Gegenwärtigkeit der Familie über Phasen der Abwesenheit hinweg. Sie steckten den Wirkungsradius der Hörmann von und zu Gutenberg in allen Hörmannschen ‚Zentralorten‘, Augsburg, Kaufbeuren, Nürnberg, Schwaz, Gutenberg, die Jahrhunderte übergreifend, sichtbar ab, waren ihrerseits Zeugnisse materiellen Erfolges wie auch des sozialen Verantwortungsgefühls

75 Hörmann, Ehren-denckmahl, Einleitung (nicht paginiert). 76 So schon Kießling, Die Stadt und ihr Land, 573 u. ö.; ferner Mandrou, Fugger als Grundbesitzer, 191 f. 77 Vgl. hierzu auch Safley, Die Fuggerfaktoren Hörmann, 120.

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einer sozialen Elite und liefern weitere Indizien eines spezifisch Hörmannschen Raumwie Selbstverständnisses. Die Spurenfolge zeichnet dabei eine Entwicklung nach – von tradierten Stiftungsmodellen für Kirchenausstattung oder als Jahrtag hin zu einer breiteren Stiftungspräsenz, die auch Stipendien umfassen konnte. Auch diese Stiftungstätigkeit ließ nicht nach oder wurde nur noch verwaltend begleitet, sondern ist für einzelne Familienmitglieder mit Neubegründungen bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts nachweisbar. Hier konnten nur erste Umrisse einer diachronen ‚Investitionsgeschichte‘ der Hörmann von und zu Gutenberg gegeben werden. Dass die Investitionen „jenseits von Handel und Hochfinanz“ für das Selbstbild der Familie von erheblicher Bedeutung waren, dass die frühen Investitionsentscheidungen Georg Hörmanns langfristig Handlungsoptionen und Betätigungsfelder seiner Nachfahren prägten, sollte deutlich geworden sein. Dennoch bleiben, nicht allein aufgrund des noch unzureichenden Erschließungsstandes der Hörmannschen Überlieferung, noch zahlreiche Fragen unbeantwortet, auch auf vergleichender Ebene: Welche Hinweise auf die Verbindung ‚bürgerlicher‘ und ‚adeliger‘ Selbst- bzw. Investitionskonzepte gibt es im Vergleich mit anderen Familien vergleichbaren Broterwerbs und Vermögens? Wären die Hörmann zusammen mit anderen frühneuzeitlichen Kaufmannsfamilien in einer langen Spanne bis ins 18. Jahrhundert hinein im „Spannungsdreieck von Handel, Ämtertätigkeit und ländlicher Herrschaft“ einzuordnen, das Rolf Kießling für nicht wenige Allgäuer Patrizierfamilien für das 15. und 16. Jahrhundert ausgemacht hat?⁷⁸ Nicht nur das Investitionsverhalten, auch zentrale Fragen der ständischen Differenzierung und des ständischen Selbstverständnisses, die sich im Kapitaleinsatz manifestierten, könnten durch weitere, zumal vergleichende Studien hier noch vertiefend angegangen werden.

Quellen Archivalische Quellen Stadtarchiv Augsburg [StAA], HV, Archivkartei Hörmann-Archiv. HV HG 108/96, Testament Georg Hörmanns. Stadtarchiv Kaufbeuren [StA Kaufbeuren], B 90: Copiale Hörmann. B 89: Familienchronik der von und zu Gutenberg.

Edierte Quellen Meyer, Christian (Hg.), Chronik der Familie Fugger vom Jahre 1599, München 1902.

78 Kießling, Die Stadt und ihr Land, 382.

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Regina Dauser

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