Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen [1]

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Jahresberichte

über

die

Veränderungen

und

Fortschritte

im

Militairwefen.

I. Jahrgang.

1874. 4

Unter Mitwirkung des General- Lieutenant Frhen. v. Troschke , des Oberst Baron v . Meerheimb , des Oberst Lieutenant Franz v . Erlach , der Majors Blume , Kaehler , Weygand , Witte, der Hauptleute Hilder , v. Hörmann , Jähns , Krahmer , Meckel , Pochhammer, Rogalla v. Bieberstein , v . Sarauw , Schnackenburg , Wille , des Stabs - Arztes Dr. Rabl - Rückhard , des Premier-Lieutenant Abel, der Oberlieutenants Danzer und Nasenhofer und mehrerer Anderer herausgegeben

von H. v. Löbell , Oberst z. Disp.

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Berlin 1875 . Ernst Siegfried Mittler und Sohn. Königliche Hofbuchhandlung. Kochstraße 69. 70.

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SEP 12 1933 LIBRARY Drese

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( 1-444 , in 45 voli )

Uebersehungsrecht vorbehalten. Nachdruck einzelner Abschnitte nicht erlaubt. Reichsgesetz Nr. 19, v. 11. Juni 1870.

Vorwort.

Ein Gedanke , dem ich fast vor einem Vierteljahrhundert in einem kurzen Auf fage der Allgemeinen Militair-Zeitung, und zwar in der vom 30. December datir ten Nummer 156 des Jahrgangs 1851 Seite 1267 Ausdruck gegeben hatte, wurde neu in mir angeregt , als im Sommer des Jahres 1874 der Chef der Königlichen Hofbuchhandlung von E. S. Mittler und Sohn , Dr. Loeche , mir bei einer Unterredung erklärte , es beschäftige ihn schon seit längerer Zeit die Idee zur Be gründung von militairischen Jahresberichten in ähnlicher Weise , wie sie seit einer Reihe von Jahren für fast alle Wissenschaften und Berufszweige in regelmäßiger Folge erscheinen, und mich ersuchte, ihm hierbei meine Mitwirkung zu gewähren. Der erwähnte Aufsatz hatte dahin gelautet: Neber die Bearbeitung von Jahresberichten über die Veränderungen und Fortschritte des Militairwesens. Die meisten der Wiſſenſchaften erfreuen sich seit einer Reihe von Jahren regelmäßig erscheinender Berichte über die Veränderungen und Fortschritte auf ihren Gebieten und erhalten durch dieſelben einen wesentlichen Impuls zu neuen Fortschritten und Erweite rungen, so die Chemie durch die Jahresberichte von Berzelius , die nach dessen Tode von Svanberg fortgesetzt werden, und durch die Jahresberichte der reinen, pharmaceu tischen und techniſchen Chemie, Physik, Mineralogie und Geologie, herausgegeben von Liebig und Kopp (Gießen) ; so die Heilkunde durch die Jahresberichte über die Fort schritte in der Chirurgie und Geburtshülfe von Dr. Eisermann ( Erlangen ), und die Rückblicke auf die Fortschritte und Leiſtungen der gesammten Medicin, herausgegeben von Behrend , Göschen (Erlangen) u. s. w. u. s. w. Nur die Militairwissenschaften haben. bisher ähnliche Berichte nicht aufzuweisen ; daß dieselben aber einem wesentlichen Bedürf niſſe abhelfen würden , dürfte nicht zu bezweifeln ſein. Einzelne Anklänge finden sich be reits , ſie ſind aber nur vereinzelt und erstrecken sich entweder nur auf einzelne Discipli nen der gesammten Kriegswissenschaften oder ziehen nur die Einrichtungen und Vorgänge ganz beſtimmter Armeen vor ihr Forum. Die Jahresberichte, wie wir sie uns denken und wünſchen , müßten aber einen allgemeineren Standpunkt einnehmen und ihren Blick nach allen Richtungen der Wiſſenſchaft und über alle staatlichen Grenzen hinaus schweifen laſſen. Sie müßten in systematischer Ordnung die Organisation der verschiedenen Heere , die ma teriellen Einrichtungen der Ausrüstung und der Waffen , die Festungsanlagen , die Aus bildung und die Uebungen, den Gebrauch zu kriegerischen Zwecken, die gesammte Literatur und alles das umfassen , was den Anspruch auf allgemeine Bekanntschaft zu erheben ver mag. Es ist dies ein Feld , das die Kraft eines Einzelnen nicht überwältigen kann , es müßten daher, ſoll ſonſt unser Wunsch zur Realität gelangen, sich mehrere Kräfte vereini gen, um dem angedeuteten Zwecke nachzustreben und ihm Genüge zu leisten. Ein reiches Material hierzu wird alljährlich in diesen Blättern niedergelegt, ein ebenso über **

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Vorwort.

reiches Material ist in den hundert andern Zeitschriften und Zeitungen aller Zungen , die ſich ſpeciell an das Militair wenden, aufgeſtapelt, aber die ordnenden und zuſammenfaſſen den Hände fehlen. Vielleicht regen diese Zeilen zu einer Vereinigung an, vielleicht , dies spricht der Schreiber schüchtern aus, unterzieht sich die Nedaction dieſer Blätter der Mühe, eine solche Vereinigung zu Stande zu bringen ; sie hat in ihren zahlreichen Mitarbeitern die geeigne ten Kräfte zur Bewältigung der beschwerlichen, aber lohnenden Arbeit. Vielleicht werden durch unsere Worte einzelne Leser für den genannten Zweck gewonnen , die ihre Bereit willigkeit zur Mitwirkung in der angedeuteten Richtung der Redaction aussprechen. Es wäre zunächst ein Programm für den erſten Jahresbericht zu entwerfen , die einzelnen Theile desselben wären dann den verschiedenen Bearbeitern zuzutheilen, ein aus einigen Mitgliedern gebildetes Comité müßte ſchließlich die einzelnen Beiträge verschmelzen und in einen Guß zusammenfassen. Als Vorarbeiten hierzu bieten sich die Berichte dar, die über die einzelnen Disciplinen der Militairwissenschaften in der Akademie der Kriegswissenschaften zu Stockholm alljähr lich erstattet und in den Handlingarne der genannten Akademie mitgetheilt werden ; ferner die Uebersichten, die seit einigen Jahren in dem Annuaire militaire de la Belgique über die Veränderungen in den militairischen Einrichtungen Belgiens Aufnahme gefunden haben; ferner die in den Niederlanden seit 1846 regelmäßig erscheinenden Beknopt overzigten der proeven en oefeningen bij het personeel der Artillerie ; ferner die Rückblicke , die die Naval and military Gazette beim Beginne eines neuen Jahres auf das dahingeſchie dene wirft, und manche andere , wenn auch nicht regelmäßig , so doch wiederholt erschei nende, zuſammenfassende Arbeiten und Auffäße einzelner Militairjournale, wie die Revue militaire étrangère, des Spectateur militaire und des Journal de l'Armée belge , das seinen ersten Jahrgang bald beendigt hat. Der Schreiber dieser Zeilen wird gerne seine Hand zur Verwirklichung der ausge sprochenen Wünsche bieten ; er hat bereits den Verſuch gemacht, ſelbſtſtändig einen Jahres bericht der erwähnten Art zu entwerfen , er iſt dabei aber auf eine so große Menge von Schwierigkeiten gestoßen, daß ihre Bewältigung durch eigene Kraft zur Unmöglichkeit gehört. Er hat sich deshalb veranlaßt gesehen , seine Wünsche hier vor einem größeren Publicum auszusprechen und dadurch anregend für die Realiſirung seiner Ideen zu wirken. Möge seine Absicht eine freundliche Aufnahme finden , mögen seine Gedanken in dieſen Blättern beleuchtet und weiter besprochen und dadurch gefördert werden und möge in nicht zu ferner Zeit der erste Jahresbericht über die Veränderungen und Fortschritte des gesammten Mili tairweſens“ von Hand zu Hand gehen und in ununterbrochener Reihe von seinen Genossen gefolgt werden. Das ist des Verfassers Wunsch und seine Hoffnung! Obgleich die Redaction der „ Allgemeinen Militair-Zeitung" sich in einer An merkung mit meinen Ansichten und Wünschen vollkommen übereinstimmend erklärte, und sich erbot, die Hand zur Verwirklichung des Vorschlages zu leihen , so blieb doch mein Wunsch und meine Hoffnung unerfüllt. Die Freude, welche es gewährt, einen in der Jugend ausgesprochenen Wunsch noch in späten Jahren mit eigener Mühwaltung zu verwirklichen, ermuthigte mich gegenüber den augenscheinlichen Schwierigkeiten eines so weit angelegten Unterneh mens, die an mich ergangene Aufforderung nicht von der Hand zu weisen, sondern einen Versuch zur Begründung von militairischen Jahresberichten im Sinne mei

Vorwort.

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ner früheren Ideen zu machen. Es wurde ein Programm entworfen, welches die Aufgabe solcher Berichte darlegen und zunächst dem Urtheil hervorragender Offiziere, auf deren Mitwirkung Werth zu legen , unterbreitet werden sollte. Daſſelbe besagte : Bei der Ausdehnung und den Fortschritten, die jede Wiſſenſchaft in unsern Tagen aufweist, ist es dem Einzelnen kaum noch möglich, auch nur auf dem ſpeciellen Gebiete der ihn zunächſt intereſſirenden Disciplinen allen Ereigniſſen und Leistungen zu folgen : für faſt alle Wiſſenſchaften werden daher Jahresberichte herausgegeben , welche die Ent wickelung derselben während des leztvergangenen Jahres verzeichnen und ihren augen blicklichen Stand und die Aufgaben der nächſten Zukunft präciſiren. Dieſe Jahresberichte, wie sie die Chemie, Physik, Aſtronomie, Mathematik, Medicin , Philologie 2c. besitzen, haben nicht nur für den engeren Kreis der Fachmänner , sondern auch für die Mitglieder verwandter Berufskreiſe, ja , für das gesammte literarische Leben hohen Werth und nicht selten hat ihr übersichtlicher und umfassender Inhalt sogar den Impuls zu neuen Fort schritten gegeben. Nur den Militair - Wiſſenſchaften haben bisher ähnliche Jahresberichte gefehlt und dennoch möchte es scheinen, daß gerade für sie dergleichen nicht nur ein Bedürfniß, ſon dern sogar eine stricte Nothwendigkeit sind . Die meisten Disciplinen der Militairwiſſen schaften sind in dem leßten kriegeriſchen Jahrzehnt in immer steigender Weise sowohl intenſiv als extensiv gewachſen und befinden sich noch fortwährend in einem Zustande der Unruhe, so daß es z. B. dem Taktiker von Tag zu Tage schwieriger wird, sich au courant der Fort schritte der Waffenlehre zu halten, dem Artilleristen, sich stets von den Ideen und Grund fäßen, welche in den Ingenierkreisen als maßgebend betrachtet werden , zu unterrichten, dem Offizier im praktiſchen Dienſt, ſich von den Veränderungen, welche sich auf dem Ge biete des Verpflegungswesens vollziehen, fortwährend in Kenntniß zu seßen u. s. w. doch wird gerade jezt , mehr als früher , an jeden Offizier die Anforderung gestellt, das Wesentliche auf dem gesammten Gebiete militairischen Wiſſens zu beherrschen , und im Kriege ſtreben der Taktiker, der Waffenkundige, der Artillerist, der Ingenieur, der Offizier im praktischen Dienst, der Verpflegungsbeamte u. s. w . Alle nach einem Ziele hin und leisten offenbar um so besseres, je mehr sie für die Entwickelung der verschiedenen Branchen des Kriegswesens Verständniß besißen. Liegt in diesen Umständen eine Rechtfertigung des Planes Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte des Militairwesens" in regelmäßiger Folge erscheinen zu laſſen , so möchte der gegenwärtige Zeitpunkt zum Beginne einer solchen Publication besonders geeignet ſein. Die Kriege von 1866 und 1870/71 werden unzweifelhaft in der Geschichte der Kriegs kunft eine ähnliche Stellung, wie z . B. der Niederländische Befreiungskrieg , der dreißig jährige Krieg , die Friedericianiſchen und Napoleonischen Kriege einnehmen. Sie haben den Bruch mit manchen alten Traditionen herbeigeführt ; die allgemeine Wehrpflicht hat die Größe und den Gehalt der Heere verändert , die Eisenbahnen und Telegraphen sind in die Reihe der wichtigsten Kriegsmittel eingetreten , die neuen Waffen haben eine neue Taktik im Gefolge, die Ansichten über die Festungen haben eine Wandlung erfahren, die Er fahrungen bei den Belagerungen der Französischen Festungen haben den Ausspruch entstehen laſſen, daß man in Zukunft Festungen nicht mehr so belagern dürfe, als es die Lehrbücher bisher gelehrt u. s. w . Wer wollte leugnen, daß eine neue Epoche der Entwickelung des Kriegs wesens angebrochen und eine Periode derselben zum Abschluß gelangt ist? Im Anfang dieser neuen Zeit begründet , können solche Gesammtüberſichten des militairiſchen Wiſſens werthen sich nur um so nüßlicher und gehaltreicher gestalten und in ihrer regelmäßigen Reihenfolge ein Repertorium der gesammten militairiſchen Entwickelung unserer Zeit bilden.

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Vorwort.

Dazu tritt, daß naturgemäß die neuen Verhältnisse eine Fülle von Ideen, eine Menge von Streitfragen hervorrufen, die auf dem Wege literarischer Bearbeitung nach logiſcher Entwickelung und nach harmonischer Lösung ringen. Daher sind eine Menge neuer mili tairischer Zeitschriften entstanden ; und die Zahl der neu erscheinenden militairiſchen Bücher hat sich dermaßen vermehrt, daß es für den Einzelnen zur Unmöglichkeit wird , auch nur den Haupterscheinungen derselben eingehend zu folgen. Auch hierin liegt eine Aufforde rung, ein Werk zu begründen, welches , fachgemäß reſümirend , ein Bild der gesammten militairischen Thätigkeit im leztverfloffenen Jahre entwirft , dabei aus der Erscheinungen Flucht das bleibend Werthvolle feststellt und außer den Thatsachen auch deren Reflex in der Literatur wiedergiebt. Um dieſer universalen Aufgabe zu genügen und das Bedürfniß vollſtändig zu befriedi gen, dürften dieſe Jahresberichte sich aber nicht auf die Betrachtung eines einzelnen , des Deutschen, Heeres beschränken , sondern müßten von möglichst allgemeinem Standpunkte aus die Ereignisse und Vorgänge betrachten ; müßten, wie auf allen Gebieten, so auch in allen Ländern, soweit dieſelben für die allgemeinen Intereſſen etwas leiſten, die militairi schen Wissenschaften bis in ihre einzelnen Verzweigungen verfolgen. Es ist dies eine Arbeit, welche die Kraft eines Einzelnen weit übersteigt und welche nur durch das Zusammenwirken Mehrerer bewältigt werden könnte, von denen jeder einen Theil der Aufgabe übernimmt. Es würde dabei immerhin nothwendig sein , daß eine Hand die bearbeiteten Einzelberichte ordnete, Lücken ausfüllte und die Drucklegung beſorgte. Bezüglich des Inhalts und der Form der Berichte seien folgende Andeutungen erlaubt. Der erste Jahresbericht, der für das Jahr 1874, wird naturgemäß umfangreicher ausfallen als seine Nachfolger , da es bei seiner Bearbeitung nicht zu vermeiden sein wird, den Zustand der einzelnen Theile des Kriegswesens am Schluß des Jahres 1873, wenn nicht überhaupt die Entwickelung seit 1870/71 , zu schildern, um dann die Reformen aufzuzählen , welche ihnen im Jahre 1874 zu Theil geworden ſind. Die späteren Jahrgänge würden einfach an die leßten anknüpfen und nur dann auf eine frühere Vergangenheit zurückgreifen , wenn Gegenstände zur Sprache kommen , welche in den vorausgegangenen Berichten noch keine Erwähnung gefunden haben. Die Hauptaufgabe aller Berichte würde sein, thatsächlich zu referiren, so wohl die factischen Ereignisse in ihrem historischen Verlauf, als die sie ergänzenden und begleitenden literarischen Dicta übersichtlich vor Augen zu stellen, kritische Reflexio nen dagegen nur so weit einzustreuen, als ſie den Zuſammenhang und Gang der Ereigniſſe erläutern, und, etwa als Schlußreſumé, den gegenwärtigen Stand der Entwickelung kenn zeichnen und die fernerhin zu erwartende oder wünschenswerthe hervorheben. Doch dürfte dies Vermeiden von Discussionen nicht so weit gehen , daß einerseits der Tert in eine gewisse Trockenheit ausartet oder daß andererseits wichtige Streitfragen, die literarisch erörtert worden sind , wie z. B. die Frage : ob zwei- oder dreigliedrig ? ganz unerwähnt bleiben. Abbildungen wird das Unternehmen , seinem Charakter nach , kaum nöthig haben. Denn da es vornämlich eine allgemeine, allseitige Uebersicht bezweckt, so wird es ſich von so genauer Behandlung , daß z . B. zum Abſchnitt der Kriegsgeschichte Pläne , zu dem der Waffentechnik Conſtructionszeichnungen erforderlich würden, fernhalten können. Hier wird eine Verweisung auf Specialwerke voraussichtlich genügen. Nach dem Gesagten stellt das Unternehmen die Eintheilung des Stoffs nach sach lichen Gesichtspunkten obenan ; demzufolge wären auch, wie ſchon bemerkt, die literarischen Werke des verflossenen Jahres nicht in einem besonderen Bericht, sondern stets in Ver bindung mit den thatsächlichen Ereigniſſen auf dem betreffenden Gebiete zu behandeln,

Vorwort.

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so daß überall im Anschluß an lettere , als an das maßgebende Element der Entwicke lung, die Erscheinungen der Literatur, sei es als deren Kritik oder Abbild , als vorberei tendes oder fortentwickelndes Element der Bewegung nach ihrem Inhalt charakteriſirt würden. Um die Brauchbarkeit der Berichte zu erhöhen , soll am Schluffe eines jeden Jahr ganges ein ausführliches alphabetisches Namen und Sachregister in der Weise gegeben werden, wie es bei ähnlichen Englischen Werken üblich iſt. Die Jahresberichte würden sich demnach in zwei Theile zerlegen , denen als einleitende Abschnitte vorangingen : * 1) Militairische Chronik des Jahres. 2) Nekrologie hervorragender Militairs. 3) Völkerrecht (z . B. Genfer Convention, Brüffeler Congreß). Der I. Theil würde ſodann das Bild jeder einzelnen Armee in ihrer Eigenthüm lichkeit zu geben haben und zwar zunächst das der Deutschen Armee nach folgenden Gesichtspunkten, soweit dieselben in dem betreffenden Jahre Erwähnenswerthes bieten : Ergänzung, Rekrutirung. Entlassung , Verabschiedung , Versorgung , Invaliden wesen. Remontirung und Pferdewesen. -- Ausrüstung , Bewaffnung, Bekleidung. Verpflegung, Sold, Menage, Naturalverpflegung. - Gesundheitspflege, Medicinalwesen. Ausbildung, körperliche, geistige. - Kriegsspiel. Uebungen und Manöver. Dienst und Dienstreglements. Moral, Disciplin, Subordination. - Militairgerichtswesen, Militairſtrafgeſehe. ― Belohnungen, Orden, Ehrenzeichen. Darauf würde die Darstellung der übrigen Armeen folgen und zwar der von Belgien. Dänemark. ―― Frankreich. www.adidas Griechenland. ――― Großbritannien. ――― Italien. ww Nieder lande. --- Desterreich-Ungarn. Portugal. ―― Rußland. Schweiz. Schweden und Norwegen. ― Spanien. Asiatische, Africanische, Americanische Staaten. Türkei. Eine Schlußbetrachtung dieses Theils würde zuſammenfassend die Grundzüge der Bewegung hervorzuheben haben , die sich auf den vorgenannten Gebieten vollzogen hat. Es wäre beispielsweise anzuführen , wie weit die allgemeine Wehrpflicht zur Herrschaft gelangt ist und welche Umstände dabei günſtig resp . hindernd mitgewirkt haben. Der II. Theil des Jahresberichts würde, ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten aus, diejenigen Materien darstellen , welche abgesehen von jeder nationalen Besonderheit für die gesammte militairische Welt von Werth sind und für welche daher eine einheit liche Darstellung nothwendig ist.

Es würden daher in besonderen Auffäßen zu behandeln sein: Waffenwesen : Pulver und explosive Präparate. - Handfeuerwaffen und deren Wir kung. Entwickelung der Feld-Artillerie. ―― Entwickelung der Belagerungs - Artillerie. Artillerie Entwickelung der Festungs-Artillerie. ―― Entwickelung der Küsten- Artillerie. technik. Taktik : Taktik der Infanterie. -- Taktik der Cavallerie. - Taktik der Artillerie. Taktik der verbundenen Waffen. Permanente Befestigung. Befestigungskunst : System der Staatenvertheidigung. Mineurwesen. Feldbefestigung. Küstenbefestigung. Pontonierwesen. Belagerungs- und Festungskrieg. Terrainlehre, Terrainkenntniß. ―――― Militairi sches Zeichnen und Aufnehmen; -- Kartenwesen. Militair-Geographie, Militairſtatiſtik. Eisenbahnen und deren Anwendung zu militairischen Zwecken. - Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken . Geschichte der Kriegskunst und Kriegsgeschichte. Hervorragende Werke über die Geschichte der Kriegskunst, über frühere Kriege, den Feld zug 1866, den Feldzug 1870/71 . Kurze Kriegsgeschichte des Jahres . Inhaltsverzeichniß des Jahresberichtes. Alphabetisches Namen- und Sach-Register.

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Die Antworten sprachen sich über die Idee und die Tendenzen des Unter nehmens so äußerst beifällig aus , daß an seine Gestaltung nunmehr rüstig gegan gen und daß die Mitwirkung bewährter Autoren für die einzelnen Materien er beten werden konnte. Allerdings traten die Schwierigkeiten , je weiter die Arbeit gediehen, um so stärker hervor. Die vielseitigen Ansprüche an ein so umfassendes Unternehmen bedingen es, daß dasselbe nicht auf den ersten Wurf glücken, daß nicht sofort der erste Jahrgang ein völlig normaler werden kann. Der vorliegende erste Band erscheint später, als beabsichtigt, ist weit umfangreicher, als veranschlagt und dennoch nicht vollständig. Die Schuld daran und zugleich die Eigenthümlichkeit, durch welche sich dieser Band von den später folgenden unterscheidet , liegt in dem Umstande , daß, um die Veränderungen und Fortschritte in den organiſatoriſchen Verhältnissen der einzelnen Armeen und in den militairwiſſenſchaftlichen Disciplinen während des Jahres 1874 geben zu können , überall erst eine Anknüpfung an die Entwickelung während eines längeren oder kürzeren Zeitraums gesucht werden mußte, um allenthalben eine breite Grundlage zu gewinnen, auf welcher die späte = ren Jahrgänge einfach weiter zu bauen haben werden. Diese Nothwendigkeit , die militairischen Jahresberichte gleichsam zu fundamentiren , verzögerte die schnelle Fertigstellung der einzelnen Beiträge, und der dadurch anwachsende Umfang des Bandes ließ es rathsam erscheinen, einige Berichte, sowohl solche über einzelne Ar meen als auch solche über einzelne Zweige der militairischen Wiſſenſchaften für den zweiten Jahrgang aufzusparen, so daß die beiden ersten Jahrgänge, sich gegenseitig ergänzend, das angestrebte Gesammtbild geben werden, welches in späteren Jahren nur im Einzelnen fortentwickelt zu werden braucht. Man wolle es daher theils der großen Schwierigkeit einer schnellen Organisation für ein solches Unternehmen, theils diesen äußerlichen Beweggründen zu Gute halten, wenn in diesem Jahrgange noch manches wichtige Capitel nicht zu seinem Rechte kam. Besonders muß in dieser Beziehung hervorgehoben werden, daß neben anderen Berichten auch der über die Veränderungen und Fortschritte im Heerwesen der Schweiz, welchen die Redac tion der großen Freundlichkeit verdankt, mit der der Eidgenössische Oberstlieutenant Franz v. Erlach ihrer Aufforderung zur Mitwirkung entsprochen , für den näch ften Jahrgang hat zurückgelegt werden müſſen , um dem Bande nicht einen zu be deutenden Umfang zu verleihen. Aus gleichem Grunde hat der ursprünglich beab sichtigte und auch für die ersten Berichte verwendete Druck im Laufe der Druck legung durch einen mehr raumersparenden ersetzt werden müssen. Beim Beginne des Druckes waren mehrere Berichte noch nicht eingegangen und ließ es sich daher auch nicht annähernd übersehen , welches Volumen der Band erhalten würde ; als die gesammten Manuſcripte vorlagen, ſtellte sich die Nothwendigkeit eines compreſſeren Druckes heraus und möchte diese typographische Ungleichheit bei einem Sammel werke, wie dem vorliegenden, trotzdem es von einem einheitlichen Gedanken getra gen wird, wohl zu verzeihen sein. Auch eine Ungleichheit in der Behandlung der einzelnen Materien war nicht zu vermeiden, freilich aber auch nicht nachtheilig für die Sache. Der Individuali tät der einzelnen Bearbeiter , ihrem Interesse am Gegenstande , der Eigenthümlich keit des Stoffes mußte ein gewisser Spielraum gelassen werden , der die Objectivi tät der Berichte, einem Haupterforderniß dieses Unternehmens, nirgends beeinträch

Vorwort.

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tigt haben wird. Daß den Jahresberichten auch außerhalb der Grenzen Deutsch lands eine freundliche und werkthätige Theilnahme gewidmet worden ist und dem zufolge die Berichte über das Heerwesen Desterreich) = Ungarns , der Niederlande, Dänemarks und der Schweiz durch Offiziere der Armeen dieſer Staaten bearbei tet worden sind , möchte den betreffenden Beiträgen einen ganz besonderen Werth verleihen. Für mich ist es eine angenehme Pflicht, sämmtlichen Herren Mitarbeitern, den Deutschen wie den außerdeutschen, hier öffentlich meinen lebhaftesten Dank für ihre freundliche Mitwirkung an dem Werke auszusprechen , dessen ersten Band ich hier: mit der wohlwollenden Beurtheilung der Leser übergebe. Alle Mängel , die dem Werke anhaften, bitte ich nur mir allein zuschreiben, dabei aber auch nachsichtig die Schwierigkeiten in die Wagschaale werfen zu wollen , die es zu überwinden galt und die nur derjenige in ihrer vollen Schwere einigermaßen zu beurtheilen vermag, der ein ähnliches Sammelwerk zu begründen versucht hat. Mein wärmster Dank richtet sich an die nachfolgenden Herren : Königl. Preuß. General - Lieutenant 3. D. Freiherrn v . Troschke , Mitglied des General-Artillerie- Comité's zu Berlin, Königl. Preuß. Oberst Baron v. Meerheimb im Nebenetat des großen General ſtabes zu Berlin, Eidgenössischen Oberst- Lieutenant Franz v . Erlach im Generalstabe zu Löwen burg bei Delsberg, Königl. Preuß. Major Blume , Abtheilungs . Chef im Kriegs- Miniſterium zu Berlin, Königl. Preuß. Major Kaehler im großen Generalstabe , Lehrer an der Kriegs Akademie zu Berlin, Großherz . Heff. Major z . D. Weygand , Bezirks - Commandeur des 2. Bataillons 3. Großherz. Hessischen Landwehr- Regiments Nr. 117 zu Erbach im Odenwalde, Königl. Preuß. Major Witte , Bataillons - Commandeur im Magdeburgischen Fuß Artillerie-Regiment Nr. 4 zu Magdeburg, Königl. Preuß. Hauptmann Hilder , Compagnie = Chef im Ostpreußischen Fuß Artillerie-Regiment Nr. 1 zu Danzig, Königl. Bayer. Hauptmann a. D. Hörmann v . Hörbach zu München, Königl. Preuß. Hauptmann Jähns im Nebenetat des großen Generalstabes, Lehrer an der Kriegs- Akademie zu Berlin, Königl. Preuß. Hauptmann Krahmer im großen Generalſtabe zu Berlin, Königl. Preuß. Hauptmann Meckel à la suite des 4. Thüringischen Infanterie Regiments Nr. 72 und Lehrer an der Kriegsschule zu Hannover, Königl. Preuß. Hauptmann Poch hammer im Ingenieur - Corps , Lehrer an der Kriegs- Akademie und der Vereinigten Artillerie- und Ingenieur Schule zu Berlin, Königl. Preuß. Hauptmann Rogalla v. Bieberstein à la suite des 2. Han noverschen Infanterie- Regiments Nr. 77, Lehrer an der Kriegsschule zu Potsdam, Königl. Dänisch. Hauptmann a. D. v . Sarauw zu Kopenhagen,

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Königl. Preuß. Hauptmann Schnackenburg à la suite des 2. Hessischen Infan terie - Regiments Nr. 82 , Militair - Lehrer am Cadettenhauſe zu Berlin, Königl. Preuß. Hauptmann Wille à la suite des Brandenburgischen Fuß-Artille rie-Regiments Nr. 3 (General - Feldzeugmeister) , commandirt zum Kriegs-Ministerium zu Berlin, Königl. Preuß. Stabsarzt Dr. Rabl - Rückhard im Kaiser Alexander- Garde- Gre nadier-Regiment Nr. 1 , commandirt zum Kriegs- Ministerium zu Berlin, Königl. Niederl. Premier Lieutenant Abel , commandirt im Kriegs - Ministerium im Haag, K. K. Ober-Lieutenant Danzer , commandirt beim Generalstabe zu Wien, K. K. Ober-Lieutenant Raßenhofer, zugetheilt dem Generalstabe zu Wien und alle diejenigen Mitarbeiter , welche auf die Nennung ihrer Namen verzichtet haben. Zum Schluß der Wunsch und die Hoffnung, denen ich bereits vor 24 Jahren. Ausdruck verliehen : „ Es möge dieser erste Jahresbericht von Hand zu Hand gehen und in ununterbrochener Reihe von seinen Genossen gefolgt werden ! " Berlin , am Himmelfahrtstage 1875 .

v. Löbell , Oberst z. Disp.

Inhalts -Verzeichniß.

Erster Theil. Berichte über die organiſatoriſchen Verhältnisse der einzelnen Armeen. Seite

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Bericht über die Entwickelung der Deutſchen Kriegsverfaſſung von den Zeiten des 1 • Deutschen Bundes bis zur Gegenwart . • 1 I. Rückblick auf die Kriegsverfaſſung des Deutschen Bundes vor 1866 II. Das Preußische Heerwesen von der Armee Reorganisation, 1859, bis zur 9 Errichtung des Deutschen Reiches III. Kriegsverfassung des Deutschen Reiches und Organiſation des Reichsheeres 15 im Jahre 1874 15 1. Allgemeine Grundbestimmungen der Kriegsverfassung 2. Wehrpflicht 3. Stärke und Formation des Reichsheeres 63 A. Im Frieden 73 B. Jm Kriege 76 4. Territorial Organiſation. Grundzüge der Militair-Verwaltgs . Einrichtung 5. Ergänzung des Heeres im Frieden und Completirung desselben auf 80 Kriegsstärke A. Offiziere a. Offiziere des stehenden Heeres b. Offiziere des Beurlaubtenstandes 86 B. Unteroffiziere . 87 C. Aerzte, Roßärzte, Beamte 89 D. Mannschaften . 95 E. Pferde 96 6. Pensionirung und Versorgung 102 7. Militair Justizwesen. Disciplinar-Straf-Ordnung . Ehrengerichte 101 8. Natural Leistungen für das Heerwesen 109 Bericht über das Heerwesen Bayerns 113 Entlassung, Verabschiedung, Versorgung, Invalidenwesen 114 Remontirung, Pferdewesen . 114 Ausrüstung • 115 Bewaffnung . 116 Bekleidung 117 Verpflegung 117 Sanitätswesen 118 Ausbildung 120 Uebungen und Manöver 121 Schlußbetrachtungen

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Bericht über die Entwickelung und die Fortschritte des Preußischen Militair. Sanitätswesens . . Das Feld Lazareth-Reglement vom 16. September 1787 Das Personal des Militair Sanitätswesens Errichtung der Pépinière zu Berlin 1795

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Inhalts - Verzeichniß.

Feld-Sanitätswesen im Jahre 1809 · während der Jahre 1813-15 Reglement vom 14. April 1831 . für die Krankenpflege im Felde von 1834 Organisation des Trains und Ausbildung von Krankenwärtern Erfahrungen des Krim-Feldzuges und des Feldzugs in Italien 1859 Reglement über den Krankendienst im Felde vom 17. Mai 1863 . Die Lage der Militair-Aerzte . Das Militair Sanitätswesen im Feldzuge 1866 Reform des Militair- Sanitätswesens im Jahre 1868 Das Militair-Sanitätswesen im Feldzuge 1870–71 . Sanitätszüge Krankenzerstreuung Krankenbehandlung in Baracken Weiter zu erstrebende Veränderungen Das Feld-Sanitätswesen nach der Inſtruction über das Eisenbahn- und Etappen wesen vom 20. Juli 1872 . Einführung von Chef Aerzten in den Friedens- Lazarethen Uebungscurse für Militair-Aerzte Verordnung über die Organisation des Sanitätscorps vom 6. Februar 1873 • Die gegenwärtige Stellung der Militair-Aerzte • Bericht über das Heerweſen Dänemarks Organisation vom Jahre 1867 Bewaffnung und Ausrüstung . Ausbildung, Uebungen Organisation der Infanterie, Cavallerie, des Ingenieurcorps und Generalstabes Aenderungen während der Zeit von 1867–70 Entwurf zur Reform der Heerordnung Bericht über das Heerwesen Frankreichs Einleitung Die militairische Gesetzgebung seit dem Jahre 1872 I. Das Rekrutirungs- Geseß . II. Das Armee Organisations Geſeß III. Das Cadre- Geset Die Kriegsmittel Frankreichs . I. Personelle Streitkraft 1. Stand der Bevölkerung 2. Rekrutirung . 3. Reserve II. Remontirung III. Kriegsmaterial 1. Reviſion von 1872-73 2. Bewegliches Kriegsmaterial 3. Unbewegliches Kriegsmaterial IV . Verkehrsmittel 1. Eisenbahnen 2. Telegraphie V. Geldmittel . 1. Allgemeine Finanzlage 2. Militair Budget Die Armee nach ihren Bestandtheilen I. Oberste Leitung und Verwaltung 1. Kriegsminiſterium 2. Generalität . 3. Generalstab . 4. Militair Intendantur II. Die Truppen 1. Gendarmerie 2. Infanterie 3. Cavallerie 4. Artillerie 5. Genie . 6. Train . 7. Adminiſtrations-Truppen

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Inhalts - Verzeichniß.

III. Verwaltungszweige .• 1. Militair Sanitätswesen . 2. Militair- Gerichtsbarkeit 3. Geistlicher Dienst . IV. Gesammt Uebersicht Mannschafts Klaffen und Rangstufen I. Die Fünfjährig-Freiwilligen und die Capitulanten II. Die Einjährig -Freiwilligen III. Die Unteroffiziere IV. Das Offiziercorps 1. Active Armee 2. Territorial-Armee Die Armee nach Gruppirung und Dislocation . I. Formation und Dislocation der activen Armee II. Organisation der Territorial-Armee Bericht über das neue Festungsſyſtem und das Heerweſen der Niederlande Das neue Festungssystem . a Die neue Holländische Wasserlinie b) Die Stellung im Gelderländischen Thale mit der in der Niederen Betuwe c) Die Stellung an dem „Hollandſch Diep“ und Volkerak d) Die Stellung an den Mündungen der Maas und des Haringvliet • . e) Die Stellung am Helder Die Werke zur Deckung der Flußübergänge und Aufnahme der Truppen an der Yffel, Waal und Maas g) Die Stellung von Amſterdam . b) Die Süder-Wafferlinie von der Maas oberhalb St. Andries bis zu dem Amer unterhalb Geertruidenberg . i) Die Werke an der Wester-Schelde Aenderungen im Material der Artillerie Sorge für die lebenden Streitkräfte Kartenwesen und neue Zeichnungen . Bericht über das Heerwesen Norwegens Organiſation der Infanterie, Cavallerie, Artillerie, der Ingenieurtruppen, des Train, des Generalstabes · Gesetz über die Wehrpflicht vom 12. Mai 1866 Die Unteroffiziere Die Offiziere Entlassung aus dem Kriegsdienst Remontirung Bewaffnung . Verpflegung Ausbildung • Reorganisation des Generalstabes im Jahre 1872 . Aenderungen der neuesten Zeit . Bericht über das Heerwesen Oesterreich - Ungarns Militairiſche Chronik des Jahres 1874 Die Todten des Jahres 1874 Entlassung Afsentirung Die Wehrpflicht Ergänzung Das Wehrsystem 1. Die Wehrpflicht II. Ergänzung der bewaffneten Macht . a) An Mannschaft I. Das stehende Heer II. Die Landwehr III. Die Erfahreſerve IV. Der Landsturm b) Ergänzung an Unteroffizieren e) Ergänzung an Offizieren Grundbestimmungen der Beförderungs - Vorschrift Landwehr III. Die Afsentirung

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XIV

Inhalts - Verzeichniß.

IV. Die Entlaſſung Aenderungen im Wehrsystem und der Ergänzung im Jahre 1874 Rekruten-Repartition , Rekruten-Contingent Landesvertheidigung in Tirol, Schießſtands-Ordnung Beförderungs- Vorschrift . Veränderung in der Organiſation der K. Ungarischen Landwehr Grundzüge der Organiſation der bewaffneten Macht • Die Militair-Hierarchie . I. Oberbefehl und Oberleitung 1. Centralleitung . 2. Militair-Behörden a) General (Militair-) Commandos b) Militair , Stations-, Play-, Festungs -Commandos Ergänzungsbezirks - Commandos 3. Besondere Militair Verwaltungszweige a) Militair Seelsorge b) Militair Justiz . c) Militair Intendanz d) Militair Sanität Militair Veterinair-Wesen f) Militair-Kaſſenwesen . g) Rechnungs- Controle und Truppen- Rechnungsdienſt 4. Hülfsämter-Personal Truppen II. 1. Höhere Commandos und Specialſtäbe 2. Truppenkörper . a) Infanterie b) Jäger c) Cavallerie d) Artillerie-Truppe Genie- Truppe f) Pionier -Truppe g) Sanitäts Truppe 1) Militair Fuhrweſen-Corps III. Heeres -Anstalten 1. Militair Bildungs-Anstalten 2. Militair-geographiſches Inſtitut 3. Militair Transporthäuser . 4. Militair Verwaltungs - Anstalten a) Militair-Verpflegungs Magazine b) Militair-Betten-Magazine Montur-Verwaltungs -Anstalten d) Anstalten des Artillerie-Zeugwesens e) Fuhrwesen Material- Depots f) Pionier Zeug Depot . g) Militair- Bau-Directionen 5. Militair Sanitäts -Anstalten 6. Militair Versorgungs - Anstalten 7. Militair Straf-Anſtalten IV. Die t. t. Garden V. Militairisch organisirte Körper, die dem Reichs-Kriegsministerium nicht in jeder Beziehung unterstehen 1. Die Sicherheits -Truppen 2. Gestüts Branche VI. Die Landwehr 1. Die t. t . Landwehr 2. Die . Ungarische Landwehr Die Armee im Felde 1. Truppen Division 2. Armee Corps . 3. Die Armee Hülfsorgane und Reserve-Anstalten

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Inhalts - Verzeichniß. Aenderungen in der Organiſation im Jahre 1874 • Instruction für den Cavallerie-Inspector . Artillerie-Batterie-Diviſionen . Generalstab . Militair Sanitätswesen . Militair-Unter-Realschule in Güns Ausbildung von Kurschmieden Geschäftseintheilung des Reichs-Kriegsminiſteriums Militair Kassenwesen Versorgung - Invalidenwesen Remontirung Pferdewesen . Ausrüstung und Bekleidung Aenderungen in der Ausrüstung und Bekleidung 1874 Gebühren an Geld und Naturalien - Natural- Verpflegung Gesundheitspflege Medicinalwesen Aenderungen im Sanitätswesen 1874 -Militairgerichtswesen Strafgeset Belohnungen, Drden, Ehrenzeichen Bewaffnung . A. Blanke und Schuhwaffen B. Handfeuerwaffen C. Feld-Artillerie-Material D. Gebirgs Artillerie-Material E. Festungs- und Küsten-Artillerie-Material F. Mitrailleusen Die Dienstverhältniſſe Die praktische Ausbildung Infanterie . Cavallerie . Artillerie Manöver Concentrirungen Die geistige Ausbildung Moral, Disciplin, Subordination Bericht über das Heerwesen Rußlands Die Armee des Jahres 1869 in organiſatoriſcher Beziehung Completirung und Organiſation der regulairen Truppen, der Local -Inſtitu tionen und Militair-Lehranstalten A. Die Completirung . • B. Die Organiſation der regulairen Truppen . • a) Die Feldtruppen mit den Trains und mobilen Colonnen

1. Die tampffähigen Truppen 2. Die Reservetruppen . 3. Die Truppen zum Dienſt im Innern des Reichs 4. Die Lehrtruppen . 5. Hülfsabtheilungen C. Local Institutionen der Artillerie, der Ingenieure, des Medicinal Refforts und der Intendantur . D. Die Militair- Lehranstalten 1. Militair Vorbereitungs -Anstalten 2. Mittlere Militair-Lehranstalten 3. Höhere 4. Special Unteroffizierschulen Completirung und Organisation der irregulairen Truppen Organisation der Militair-Verwaltungs- und Commando-Behörden I. Kriegs-Ministerium II. Militair-Bezirke III. Commando-Behörden der Feldtruppen IV. Local Militair Verwaltungen V. Local-Kasaken Verwaltungen VI. Feld-Verwaltung der Truppen im Kriege

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XVI

Inhalts - Verzeichniß. Seite

Die Reformen, welche in den Jahren 1870-74 in der Armee Rußlands ſtatt gehabt haben Aenderungen in Bezug auf die Completirung und Organisation der regu lairen Truppen, der Local Institutionen und Militair-Lehranstalten A. Aenderungen in der Completirung Gesetz über die Wehrpflicht vom 1. Januar 1874 B. Aenderungen in der Organisation der regulairen Truppen a. Die Feldtruppen mit den Trains und mobilen Colonnen b. Die Localtruppen mit den Hülfsabtheilungen C. Aenderungen in der Organisation der Local Institutionen der Ar tillerie, Ingenieure, des Medicinal Refforts und der Intendantur D. Aenderungen in der Organiſation der Militair-Lehr-Anstalten . Aenderungen in der Completirung und Organiſation der irregulairen Truppen Aenderungen in der Organiſation der Militair Verwaltungs- und Commando Behörden · Die Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung Die Geldverpflegung, Naturalverpflegung, Unterbringung Die Beförderung zu Unteroffizieren und Offizieren, das Avancement der Offiziere Die Ausbildung der Mannschaften und Offiziere Die Beurlaubung, Entlassung, Versorgung, das Invalidenwesen Schlußbemerkungen .

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422 Bericht über das Heerweſen Schwedens . 422 Die Heerverfassung 423 Geworbene und eingetheilte Truppen 424 Bewehrung 424 Unteroffiziere Offiziere Rekrutirung 425 Pferdewesen Bewaffnung - Verpflegung 426 Ausbildung 427 Reorganisationsprojecte . 428 Project von 1874 431 Veränderungen in der Organiſation - Feldsignalcompagnie 431 Vorbereitende Unterbefehlshaberſchulen Fortfall der Stellvertretung für die Bewehrung Reorganisation der 432 Artillerie 432 Ausbildung der Cavallerie Reorganisation des Generalstabes 433 Granatkartätschen Marineregiment - Sanitätssoldaten 431 Bewehrungs - Eliten Kriegsschule 434 Bericht über das Heerwesen Spaniens 435 Stärke der Armee Anfang 1873 . 435 Heeresgesetz vom 17. Februar 1873 436 Maßregeln des Marschall Serrano 437 Das Heer unter König Alfons XII. 437 Bericht über das Heerwesen der Staaten Süd- America's 437 Die Republik der Argentinischen Conföderation 440 Die Republik Banda Oriental del Uruguay . 442 Die Republik Paraguay 444 Das Kaiserreich Braſilien 448 Bericht über das Ordensweſen 448 1. Das Deutsche Reich . 448 Orden und Ehrenzeichen A. Königl. Preußische 452 B. " " " " Bayerische 452 C. " " Sächsische "! " D. 452 " " Württembergische " 452 E. Großhzgl. Badische " "! " 452 F. " " " " Hessische 452 G. " " Sächsische " 452 H. " " " Oldenburgische " 452 I. " " Mecklenburgische " 452 2. Belgien

1

Inhalts Verzeichniß. 3. Frankreich 4. Niederlande 5. Desterreich 6. Rußland . 7. Spanien Quellen für das Ordenswesen

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Zweiter Theil. Berichte über die militairwiſſenſchaftlichen Disciplinen und die Kriegsereignisse der Gegenwart.

Bericht über die Taktik der Jufanterie . Einfluß des Hinterladers die taktischen Rückblicke" Die Deutsche Infanterie im Feldzuge 1870–71 . Neuabdruck des Preußischen Exercir Reglements vom Jahre 1847 Kritische Untersuchungen über die erforderlichen Reformen · Exercirversuche im Jahre 1872. ― Cabinetsordre vom 19. März 1873 Instruction für das Scheibenschießen vom 24. December 1873 . Bestimmungen über den Munitions-Erſaß der Infanterie im Gefecht Disposition zum Exerciren in Berlin am 4. Mai 1874 Literarische Erörterungen Die Infanterie Frankreichs Exercir Reglement vom Jahre 1869 Tirailleur Instruction Commission zur Revision desselben Manöver Instruction vom 11. September 1874 Signalpfeife Schießübungen Vereinfachung der Commandos Die Infanterie Rußlands . Erercir-Reglement vom Jahre 1868 Instructionen über die Felddienstübungen der Truppen vom Jahre 1871 Brovisorische Instructionen • Die Infanterie Desterreich-Ungarns Exercir Reglement vom Jahre 1874 Literarische Erscheinungen Linnemansche Infanterie- Spaten Die Infanterie Italiens Reglementsänderung von 1873 Alpencompagnien Literatur Die Infanterie Englands Brigade-Eintheilung Brincipien der Infanterietaktik Die Infanterie Belgiens Exercir Reglement vom Jahre 1874 Die Infanterie der Schweiz Die Infanterie von Schweden Norwegen und Dänemark Das Schwediſche Éxercir-Reglement vom Jahre 1871 Manöver bei Karlsborg im Juli 1874 . Gegenwärtiger Standpunkt der Infanterietaktik Bericht über die Entwickelung der Reiterei auf den Gebieten der Praxis und Theorie seit den neuesten großen Kriegen unter besonderer Berücksichtigung ihres heutigen Standpunktes · Die Cavallerie im Feldzuge 1870-71 Die Friedensübungen der Cavallerie im Gegensatz zu denen der übrigen Waffen Die Kriegserfahrungen und das Pferdematerial Reubearbeitung des Exercir Reglements vom 9. Januar 1873 Fußgefecht Ausrüstung mit Schußwaffen Größere Cavalleriekörper V innere Gliederung deren Stärke taktische Formen . Cavallerie Uebungen im Sommer 1873 Militairische Jahresberichte 1874.

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486 489

XVIII

Inhalts - Verzeichniß. Seite

Gliederung in zwei Brigaden zu drei Regimentern und in drei Brigaden zu Neubearbeitung des V. Abſchnitts des Exercir-Reglements vom 4. Juni 1874 Die Attacke Entfaltung und Zusammenfaltung der Treffen Cavallerie Uebungen im Sommer 1874 Der Aufklärungs- und Sicherungsdienst der Cavallerie Die Friedens Organisation der Cavallerie gegenüber ihrer Kriegs Organisation Fahrende Infanterie zur Unterſtüßung der Reiter-Diviſionen . Reitende Schüßen . Schußwaffen für Cavallerie Einheits-Cavallerie Der Cüraß und die Cüraſſire Die Lanze Pallasch und Säbel Erleichterung des Gewichts für das Soldatenpferd Die Literatur über Cavallerie Die Studien des Oberst v. Verdy und des Major v. Scherff Verwendung , Organiſation , Ausrüstung und Taktik der Cavallerie von Ritt meister Walter Verwendung größerer Cavalleriekörper von Oberst Frh. v. Waldstätten Zur Taktik der Reiterei von Major Freiherr v. Sazenhofen Betrachtungen des Erzherzog Carl über die Cavallerie Geschichte des Zietenſchen Huſaren-Regts. und des Rheiniſchen Cüraſſir-Regts. Die Cavallerie Rußlands Garde und Linien Cavallerie Kasaken Die Cavallerie Frankreichs Reglement von 1829 die nebungen des Die Cavallerie bei den Uebungen des Jahres 1874 18. Dragoner-Regts. Die Cavallerie Desterreich- Ungarns Reglement von 1870 die Cavallerie Uebung bei Totis im Jahre 1874 . Die Cavallerie Italiens ―― die Uebungen im Jahre 1874 .

Bericht über die Entwickelung der Feld . , Festungs- , Belagerungs- und Küsten . Artillerie in materieller Beziehung . . Die Leistungen der neuesten Artillerietechnik gegenüber denen der früheren Zeiten • Die hauptsächlichsten Momente der artilleristisch technischen Fortschritte Die Entwickelung in den einzelnen Ländern . 1. Deutschland Feld Artillerie Belagerungs- und Festungs - Artillerie Laffetirung Küsten und Marine-Artillerie 2. England Lancaster-Kanonen Armstrong Kanonen Woolwich System . Feld Artillerie Belagerungs -Artillerie Moncrieff-Laffete . Küsten und Marine-Artillerie 3. Frankreich . Die Feldgeschütze von 1858 Das System des Oberſt Reffye Das canon de sept Das canon de cinq Belagerungs- und Festungs - Artillerie Küsten- und Marine-Artillerie 4. Italien . Broncene Vorderlader System Mattei und Rossi Broncener Hinterlader von 7,5 Cm. Belagerungs-Train Küsten- und Marine-Artillerie

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Inhalts-Verzeichniß.

5. Desterreich . Französisches System Schießbaumwollgeschüße - Bogenzugsystem Versuche 1871-72 zur Verbesserung des Systems Das stählerne 8,7 Cm.-Ringrohr Stahlbronce des General Uchatius Belagerungs- und Festungs -Artillerie . 6. Rußland Feld Artillerie Scharochen Belagerungs-Artillerie Gußstahlwerke von Obuchow und zu Perm 7. Die Vereinigten Staaten von Nord America Gußeiserne Rodman- Columbiaden . Erfindung von Wiard Feld Artillerie . 8. Die mittleren und kleinen Staaten Belgien und die Schweiz Dänemark, Schweden und Norwegen Spanien und Portugal Bericht über die Entwickelung der Festungs- und Belagerungs- Artillerie I Zustand der Belagerungs- und Feſtungs-Artillerie 1870–71 A. In materieller Beziehung B. In personeller Beziehung II. Die Mängel, welche der Krieg 1870–71 erkennen ließ A. In materieller Beziehung • Der indirecte Schuß Die Wirkungssphäre der Geschütze Die Marimalgrenze der Schwere der Röhre B. In personeller und organisatorischer Beziehung III. Thätigkeit der Festungs- u. Belagerungs- Artillerie nach dem Kriege 1870-71 A. In materieller Beziehung 1. Herstellung von Bombardements - Geschüßen 2. Steigerung der Geſchüß- und Geschoßwirkung 3. Herstellung von Geschüßen vorzugsweise für den indirecten Schuß . 4. Vermehrung der Geschüße in den Belagerungstrains 5. Maßregeln zur Erleichterung der Anwendung des indirecten Schusses 6. Aenderung in der Laffeten-Conſtruction reſp. Neu- Conſtruction von • Laffeten • a. Laffeten für gezogene Mörser b. Moncrieff , Masken und Minimalſcharten-Laffeten 7. Verbesserung der Leuchtwirkung . B. In personeller Beziehung IV. Perspective für die Festungs- und Belagerungs-Artillerie für die Zukunft Bericht über die Entwickelung der Küsten-Artillerie Zur Geschichte der Preußischen See- Artillerie Das Auftreten der Panzerschiffe . Wettstreit zwischen Panzer und Geschütz Das Material und das Personal der Küstenvertheidigung Frankreichs Küstenvertheidigung Englands " Rußlands " Bericht über das Schießpulver und die militairiſch wichtigen Exploſivſtoffe Das Schießpulver I. Das Gewehrpulver II. Das Geschüßpulver Die militairisch wichtigen explosiven Stoffe Nitroglycerin, Dynamit, Dualin, Lithofracteur Schießbaumwolle in England Nasse Schießbaumwolle Bericht über die Handfeuerwaffen Deutschland • Belgien **

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XX

Inhalts- Verzeichniß.

Dänemark Frankreich Griechenland Großbritannien Italien Niederlande Desterreich Ungarn Portugal . Rußland Schweden und Norwegen Schweiz Spanien Türkei und abhängige Staaten Brasilien . Schluß Bericht über das Befestigungswesen I. Die Fortification in der Kriegsvorbereitung A. Landesvertheidigung 1. Lage der Festungen 2. Zahl der Festungen 3. Gruppirung der Festungen B. Permanente Befestigungen . 1. Grundsäße des Festungsbaues 2. Der moderne Waffenplay 3. Küstenbefestigung . 4. Literatur II. Die Fortification in der Kriegführung A. Die Feldbefestigung 1. Erdarbeiten . 2. Verwerthung von Dertlichkeiten 3. Literatur B. Feld-Pionierdienst . 1. Organisation der Truppe 2. Das Pontonier-Wesen Desterreich Rußland Frankreich Italien England Belgien, Holland, Schweiz, Spanien, Schweden 3. Das Mineur-Wesen . a. Contreminensystem b. Taktik des Minenkrieges Feld-Minirdienst Schluß Bericht über die Telegraphie und deren Anwendung zu militairiſchen Zwecken . 1. Bedeutung der elektriſchen Telegraphie für den Krieg im Allgemeinen . 2. Einrichtung der Telegraphie zu Zwecken der militairischen Operationen 3. Behandlung und Verwerthung der Telegraphie im Kriege, ſowie Benußung der feindlichen Telegraphen Einrichtungen für die eigenen militairischen Zwecke und Beschränkung des Gegners in der Benuhung unserer Telegraphie A. Bei der Offensive . B. Bei der Defenſive 4. Geschichtliche Notizen über die Militair-Telegraphie Optische Feld-Telegraphie Akustische Feld-Telegraphie Elekrische Feld-Telegraphie a. Belgien . b. England . c. Frankreich d. Italien .

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Inhalts - Verzeichniß. e. f. g. h. i.

Desterreich Preußen . Rußland Spanien Nord-America

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Bericht über die kriegsgeſchichtliche Literatur ſeit 1870 Zur Literatur über den Krieg 1870/71 · Zur Literatur über die sonstigen Feldzüge der neueren Zeit Zur Literatur über die Napoleonischen Kriege Zur Literatur der Schlesischen Kriege und des Spaniſchen Erbfolgekrieges Zur Literatur des 30jährigen Krieges . Zur Literatur der Kriegsgeschichte im Allgemeinen

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Bericht über den Karliſtenkrieg 1874 . Die Verhältnisse im Jahre 1873 Entsatz von Bilbao Angriff auf Estella Die Verhältnisse im December 1874

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Bericht über die Entwickelung des Kriegsſpiels . 1. Geschichte und Literatur des Kriegsspiels bis zum Jahre 1874 2. Das Kriegsspiel im Jahre 1874 in Deutschland 3. Das Kriegsspiel im Auslande • 4. Das Festungs -Kriegsspiel . . Bericht über Terrainlehre und Terrainkunde . Der Unterricht in den Preuß. Militair-Unterrichts -Anstalten Genetische Skizze des Lehrstoffs der Terrainlehre von 1874 Topographische Landesvermessung Veränderungen in der Mappirung und dem Situationszeichnen in Desterreich Praktiſche Application der Terrainlehre Literatur der Terrainlehre . Bedeutung des Terrains für das heutige Gefecht

Bericht über die zweite Niederländische Erpedition gegen Atjeh und die weiteren Kriegsoperationen während des Jahres 1874 Maßregeln für die zweite Expedition Landung am 8. December 1873 Kämpfe im December 1873 und Januar 1874 Einnahme des Kraton Operationen am 23. und 24. Januar Verhältnisse bis zum April 1874 Einschiffung der Hauptstreitkräfte am 25. und 26. April 1874 Occupations Truppen und deren Verhältnisse Zustände im December 1874 ... Alphabetiſches Namen- und Sach-Negiſter

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Erster Theil.

Berichte über die

organisatorischen

Verhältnisse

der

einzelnen Armeen .

Bericht über die Entwickelung

der

Deutſchen Kriegsverfaſſung

von den Seiten des Deutfchen Bundes bis zur Gegenwart.

I. Rückblick auf die Kriegs - Verfaſſung des Deutſchen Bundes vor 1866. Wer die Gegenwart recht würdigen und verstehen will , darf sie nicht nur an seinen Idealen prüfen , sondern muß sie der Vergangenheit gegenüber stellen . Läßt der Vergleich Rückschritte erkennen, so wird dies die Strebsamen zur Verdoppelung ihres Eifers anspornen und die Trägen aufrütteln . schritte aber, welche zu Tage treten, ermuthigen zu weiterer Arbeit.

Fort

In diesem Sinne kann es auch für uns nur nußbringend sein , wenn wir, bevor wir ein Bild von der militairischen Organiſation des Deutschen Reiches im Jahre 1874 entwerfen , uns vergegenwärtigen , wie es mit der Wehrkraft Deutschlands früher bestellt war. Der Deutsche Bund umfaßte bis 1866 33 souveraine Staaten.

Dester=

reich und Preußen gehörten demselben nur mit ihren rein Deutschen Provinzen an, Lezteres also mit Ausschluß der Provinzen Preußen und Posen. Der König der Niederlande war Mitglied des Bundes als Souverain von Lurem= burg und Limburg , und die gleiche Stellung zum Bunde nahm bis zum Jahre 1864 der König von Dänemark als Herzog von Holstein und Lauen burg ein. Zweck des Bundes war die Erhaltung der äußeren und inneren Sicher heit Deutschlands , sowie der Unabhängigkeit und Unverlegbarkeit der einzel nen Deutschen Staaten. Dieser Zweck bedingte, daß der Bund die Entwicke lung seiner Wehrkräfte als seine Hauptaufgabe betrachtete , denn auf der Wehrkraft beruht die Sicherheit. Indessen war der Bund durch seine innere Organisation in dieser Nichtung fast noch mehr , wie in jeder anderen , lahm gelegt. Die oberste Leitung der Militair-Angelegenheiten lag der in Frankfurt am Main unter dem Präsidium Oesterreichs tagenden Bundesversammlung 1 Militairische Jahresberichte 1874.

2

Militairische Jahresberichte für 1874.

als demjenigen Organe ob , welches den Bund selbst repräſentirte und durch welches Letterer beschloß und handelte. Die Bundes -Verſammlung beſtand aus den Bevollmächtigten der einzelnen Bundesglieder. Sie faßte ihre Be= ſchlüſſe, je nach der Bedeutung des Gegenstandes , im „engeren Rathe" oder im "Plenum “. Jm engeren Rathe hatten die 11 größten Bundesglieder je eine Stimme (Virilſtimmen), während die übrigen Mitglieder des Bundes in ſechs Gesammtſtimmen (Curiatſtimmen) vertheilt waren. Im Plenum da gegen hatte jedes Bundesglied wenigstens eine Stimme, jeder der größeren Staaten aber eine Mehrzahl von resp. 4 , 3 und 2 Stimmen , so daß dort im Ganzen 64 Stimmen geführt wurden.

Im engeren Rathe genügte die

einfache absolute Mehrheit der Stimmen zur Beschlußfaſſung.

Im Plenum

war eine Zweidrittel-Majorität zur Beschlußfassung erforderlich, Stimmenein heit aber, wenn es sich um Annahme oder Abänderung der Grundgefeße oder um organische Bundeseinrichtungen handelte.

Abgesehen von den letzteren,

gehörten auch „gemeinnüßige Anordnungen ſonſtiger Art”, ſowie Kriegserklä rung und Friedensschlußbeſtätigung stets vor das Plenum. Die Vorbereitung der Beschlüsse in Militairangelegenheiten lag dem aus der Mitte der Bundesversammlung gebildeten „Bundestagsausſchuß in Mili tairangelegenheiten" ob. Außerdem stand der Bundesversammlung eine tech niſche „Militair-Commiſſion" zur Seite, welche aus sechs Militairbevollmäch tigten , worunter ständig je einer von Desterreich , Preußen und Bayern , ge bildet wurde.

Abgesehen von den besonderen Arbeiten, welche der Militair

Commission von der Bundesversammlung übertragen wurden , beschränkte ſich der Wirkungskreis der Commiſſion auf die Evidenthaltung des Standes der Bundes-Contingente, sowie die Aufsicht über die Bundesfeſtungen : Luxemburg, Mainz, Rastatt, Ulm, Landau und Germersheim . Die Geschäftsordnung der Bundesversammlung war überaus schwerfällig und bot Minoritäten oder einzelnen übelwollenden Gliedern zahlreiche Handhaben zur Verschleppung der Geschäfte. Es verstrichen Wochen, Monate und Jahre, bevor eine Sache zur Beschlußfaſſung reif wurde. Aus dem oben Gesagten geht hervor, daß bei der Beschlußfaffung im engeren Rathe Preußen, Dester reich, Bayern, Hannover, Sachsen, Württemberg, Baden und Großherzogthum Heſſen, obgleich sie zuſammen weit über neun Zehntel der Macht des Bundes repräsentirten , von den übrigen , kleinen Bundesgliedern überſtimmt werden konnten, während im Plenum der Einfluß der Minderheit noch weit größer war, und bei Fragen, welche sich auf organische Bundeseinrichtungen bezogen, selbst dem kleinsten Staate und den fremden Souverainen, welche Mitglieder des Bundes waren , ein absolutes Veto zustand . Es liegt zu Tage , daß ein so organisirter Bund unfähig ist , den An forderungen unserer Zeit an Schnelligkeit und Entſchloſſenheit der Action beim Eintritt kriegerischer Eventualitäten zu genügen. Aber auch, daß er im Frie den in Bezug auf die Entwickelung der militairischen Inſtitutionen den be

3

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung. ſcheidenſten Anforderungen nicht entſprach, iſt nur zu leicht erklärlich.

Den

kleinen Staaten galt das Gewicht ihrer Stimme im Bundestage als Maßſtab für ihre politische Bedeutung. Jene Stimme führten sie nicht auf Grund ihrer Leistungsfähigkeit , sondern lediglich kraft ihrer Souverainetät.

Durch

Erhöhung ihrer militairiſchen Leiſtungsfähigkeit konnten ſie an politiſcher Be deutung wenig gewinnen , und die Neigung hierzu war um ſo geringer, als ja die militairiſche Macht der Deutschen Großſtaaten ihnen hinlänglichen Schuß gegen das Ausland sicherte.

War es doch in der That undenkbar,

daß namentlich Preußen , deffen politiſche Intereſſen ſich mit denen Deutsch lands deckten, bei ernster Gefahr nur seine drei zum Bundesheere deſignirten Armeecorps ins Feld stellen , seine übrigen Truppen aber unthätig in der Heimath belaſſen könnte. Ueberdies aber erſchien Nichts geeigneter, die Attrac tionskraft der Deutschen Großmächte zu schwächen , als die Herstellung und Erhaltung einer Lage , welche sie nöthigte, von ihren Angehörigen größere Opfer zu fordern, als diejenigen, welche den Unterthanen in den Kleinſtaaten auferlegt wurden . Um so mehr gipfelte das Intereſſe der Kleinſtaaten in der ungeſchmäler ten Erhaltung ihrer Souverainetät, wobei fie mit Geschid aus der Eifersucht der beiden Großmächte Nußen zu ziehen wußten.

Und wie der Particularis

mus der Bevölkerungen jeder Verſtärkung der Wehrkraft abhold

war , so

ſträubte sich das Souverainetätsgefühl der Regierungen gegen jedes Opfer an der militairischen Eigenart.

Einen starken Stüßpunkt gewährte hierbei der

Art. 8 des organiſchen Bundesgeſeßes über die Kriegsverfassung, vom 9. April 1821, welcher lautete : „Nach der grundgeseßlichen Gleichheit der Rechte und Pflichten soll selbst der Schein von Suprematie eines Bundesstaates über den anderen vermieden werden." Und in Uebereinstimmung mit dieſem Grundſaß war im Art. 5 ebendaselbst bestimmt : „Kein Bundesstaat, deſſen Contingent ein oder mehrere Armeecorps für sich allein bildet, darf Contingente anderer Bundesstaaten mit dem ſeinigen in eine Abtheilung vereinigen." Unter den vorstehend geschilderten Umständen blieben alle Versuche er folglos, welche namentlich von Preußen, unter wechselnder Unterſtüßung eini ger anderen opferbereiten Bundesglieder , unermüdlich gemacht wurden , um eine die Macht und Ehre Deutschlands sichernde Militairorganiſation des Bundes zu Stande zu bringen.

Das Ergebniß aller Bemühungen bestand in

unerheblichen Verbesserungen, so daß das Bundesheer vor Ausbruch der Ka taſtrophe des Jahres 1866 folgende Verfaſſung hatte : Die Kriegsmacht des Bundes setzte sich aus den Contingenten aller Bundesstaaten zusammen.

Jedes Bundescontingent bestand aus dem Haupt-,

dem Reserve und dem Ersaßcontingent. Die beiden ersteren waren beſtimmt, als Bestandtheile des Bundesheeres in das Feld zu rücken und die Bundes festungen zu besetzen ; das letztere blieb zur Bildung des dem Heere nachzu = fendenden Ersages im eigenen Staate zurück.

Die Stärke der Contingente 1*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

an streitbarer Mannschaft (einschließlich Offiziere, aber ausschließlich Train) sollte betragen : im Hauptcontingent 11%) Procent der Bevölkerung, nach im Reservecontingent 13 der Zählung von 1842.

im Ersaßcontingent

1/3

Hieraus ergab sich für das Haupt- und Reservecontingent eine Stärke von 468,056 Mann, für das Erſaßcontingent eine solche von 104,016 Mann, zuſammen 572,072 Mann . Von der Gesammtstärke entfielen auf Desterreich 173,841 Mann , auf Preußen 147,170 Mann . Ohne das Desterreichiſche Contingent betrug die normale Stärke der für den Feldkrieg und zur Be sehung der Bundesfestungen für welche ca. 70,000 Mann erforderlich waren - beſtimmten Kriegsmacht des Deutschen Bundes 325,823 Mann. Es war den Bundesstaaten überlassen , zur Bildung ihrer Contingente auch Landwehr zu verwenden ; jedoch sollte dieselbe gleich den Linientruppen geübt, ausgerüstet, schlagfertig und mit in der Linie gebildeten Offizieren be sezt sein. Auch sollte kein Contingent zum größeren Theile aus Landwehr bestehen.

Die Organisation

eines Landſturms

und ähnlicher Volksbewaff

nungen blieb dem eigenen Ermeſſen der einzelnen Bundesſtaaten überlaſſen. Das numerische Verhältniß der Reiterei war auf ein Achtel der Gesammt stärke eines jeden Contingents festgestellt. An Feldartillerie sollten als Mini mum zwei und ein halbes Geschüß auf je Tausend Mann des Haupt- und Reservecontingents gerechnet werden und ein Fünftel der Gesammtzahl rei tende Artillerie sein. Außerdem war die Bildung eines Belagerungsparks, bestehend aus 200 auf die verschiedenen Staaten repartirten Geschüßen, vor gesehen.

Die Pioniere sollten 1/100 der Contingente, die Jäger ungefähr 1/15

der Infanterie betragen .

Für das Verhältniß der Chargen bei den verſchie

denen Waffengattungen waren Minimalzahlen gegeben. Die Contingente aller Bundesstaaten wurden in 10 Armeecorps und eine Reservedivision eingetheilt, und zwar sollten gestellt werden : das 1., 2. und 3. Armeecorps von Desterreich, das 4., 5. und 6. Armeecorps von Preußen,

das 7. Armeecorps von Bayern, das 8. Armeecorps von Württemberg ,

Baden und

Großherzogthum

Hessen, das 9. Armeecorps von Sachsen , Kurhessen , Naſſau , Limburg und Luxemburg, Armeecorps von Hannover, Braunschweig, Holstein und Lauen das 10. burg , beiden Mecklenburg , Oldenburg , Lübeck , Bremen und Hamburg,

die Reservedivision von den 15 übrigen Staaten. Mindestens sollte enthalten: 1 Armeecorps 2 Diviſionen,

Entwidelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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1 Division 2 Brigaden, 1 Brigade 2 Regimenter oder 4 Bataillone, 1 Infanterie-Regiment 2 Bataillone, 1 Reiter- Regiment 4 Schwadronen. Der Regel nach mußte stark sein : 1 Bataillon mindestens 800, höchstens 1200 Streitbare, 250 " 120, " 1 Infanterie -Compagnie " 180 1 Schwadron 120, " " "I 1 Batterie 6, 8 Geschüße. "I " Hinsichtlich der einzelnen Waffengattungen war das Minimum im Haupt und Reserve-Contingent zusammen normirt auf 1 Division von 300 Pferden bei der Cavallerie, 1 Batterie von 6 Geschüßen bei der Artillerie. Die Bundescontingente , welche in der Infanterie die Stärke eines Ba= taillons nicht erreichten, waren zu combinirten Bataillonen zu vereinigen. Die Theilhaber an den combinirten Corps sollten sich in Bezug auf die wechselseitige Vertretung in den Specialwaffen unter einander vereinigen ; wo dies aber auf Schwierigkeiten ſtieß , stand der Bundesversammlung die Ent ſcheidung zu. Die zur Reſervedivision gehörigen Contingente waren „ einſt weilen noch" von Stellung der Reiterei und Artillerie befreit. Spätestens vier Wochen nach der vom Bunde erfolgten Aufforderung mußten die Contingente der einzelnen Bundesstaaten marsch- und schlagfertig auf den für jedes Armee - Corps in seinem Bezirke im Voraus zu bestim menden Sammelpläßen aufgeſtellt ſein. zeitig zu bilden.

Die Erfaß-Abtheilungen waren gleich

Für Deckung des Abganges im Felde, für die Bereithaltung von Waffen, Ausrüstung und Munition , sowie für die Aufstellung der Trains , für den Sanitätsdienst und die Verpflegung der Truppen im Felde waren allgemeine Normen gegeben, welche jedoch nicht geeignet waren, auch nur ein beſcheidenes Maaß von Uebereinstimmung , zumal bei den combinirten Corps , zu sichern . Der Oberfeldherr, sowie sein Vertreter , der „ General - Lieutenant des Bundes", sollten jedesmal , wenn die Aufstellung des Kriegsheeres be ſchloſſen wurde , von dem Bunde im engeren Rathe gewählt werden . Mit der Auflösung des Bundesheeres gingen diese Stellen wieder ein. Der Ober feldherr ſtand zum Bundestage in demſelben Verhältniß wie jeder comman dirende General zu seinem Souverain. Die Kriegsverfassung sicherte dem Bundesfeldherrn so weite Vollmachten, als mit der Souverainetät der einzelnen Staaten für vereinbar erachtet wurden.

Aber selbstverständlich standen die

selben weit zurück hinter der Gewalt , mit welcher heute der Kaiſer das ein heitliche Reichsheer in's Feld führt. Ueber die Organisation des Stabes des Bundesfeldherrn und über den Dienst beim Stabe bestanden eingehende Vorschriften .

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Militairische Jahresberichte für 1874. 1

Die Commandeure und alle Offiziere der einzelnen Contingente wurden von den Bundesstaaten ernannt. Das Rangverhältniß derselben untereinander sollte sich im Allgemeinen nach den Dienſtſtellen und nur innerhalb der gleichen Dienststellen nach den Chargen regeln.

Ueber die Ernennung der Befehls

haber für die höheren taktischen Einheiten, wenn diese aus verſchiedenen Con tingenten zu bilden waren, so wie über die Drganisation der Stäbe derselben und der Verwaltungsbranchen sollten sich die betheiligten Staaten einigen. An diese allgemeinen Bestimmungen über die Kriegs - Organiſation des Bundesheeres schlossen sich einige „Minimal - Forderungen" für die „ Bereit haltung im Frieden " . Die Gesammtdienstzeit jedes in die Bundes- Contingente einzureihenden Mannes sollte mindestens 6 Jahre, die Gesammtpräsenz bei den Fußtruppen mindestens 2, bei der Reiterei und reitenden Artillerie mindestens 3 Jahre betragen. Für das Haupt- und Reserve - Contingent sollten im Frieden mindeſtens präsent gehalten werden : 1. bei allen Waffengattungen 5% der Offiziere ; 2. bei der Infanterie ¾ der Unteroffiziere und Spielleute und % der Gemeinen ; 3. bei der Reiterei und reitenden Artillerie a)

der Unteroffiziere , Trompeter und Gemeinen nebst Pferden, wo Landwehrreiterei bestand,

b) die Hälfte der Unteroffiziere, Trompeter und Gemeinen, wo Land wehrreiterei nicht bestand, c) 1 derselben , wo eine Beurlaubung mit Pferden und mit Sold stattfand ; 4. bei der Fuß - Artillerie und den Pionieren / der Unteroffiziere und Spielleute, 1 der Gemeinen ; bei der Fuß- Artillerie außerdem 1, der Neitpferde und 3% der Zugpferde der Batterien ; 5. bei der Festungs - Artillerie / der Unteroffiziere und Spielleute, % der Gemeinen. Außer den nach Vorstehendem im Frieden zulässigen , durch Beurlau bungen herbeizuführenden Manquements an der Kriegsstärke durften noch 1/12 der Offizierstellen und 1 % der Unteroffizierstellen dauernd vacant gehalten werden, wenn die Mittel nachgewiesen wurden, diese Stellen bei Eintritt der Mobilmachung sofort angemessen zu beſeßen. Rekruten wurden bei der Infanterie, der Fuß-Artillerie und den Pionieren während der sechs Monate ihrer Ausbildung nicht in die Präsenzstärke ein gerechnet. In Hinsicht der Bewaffnung , des Kalibers der Gewehre und Geſchüße ſollte in jedem Armee - Corps eine solche Uebereinstimmung stattfinden, daß die Munition der Artillerie und vorzüglich jene der Feuergewehre gegen=

7

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

ſeitig gebraucht werden könnte. Diese Bestimmung verhinderte freilich nicht, daß die Infanterie- Munition derjenigen Contingente , welche das 8., 9. und 10. Bundes -Corps bilden sollten, im Jahre 1848, über welches uns zufällig genaue Daten vorliegen , sechs verschiedene Geschoßgrößen hatte ; die Durch meſſer der ſechspfündigen Kanonenkugeln bei denſelben Contingenten variirten aber in acht verschiedenen Größen, von 3,40 bis 3,58 Preuß. Zollen. In wenigen , allgemeinen Säßen handelte die Kriegsverfassung von der ersten Ausbildung, den Felddienst- und Schießübungen, so wie von den größeren Uebungen. Bei der Infanterie sollte jeder Mann wenigstens 30 scharfe Pa= tronen jährlich verſchießen , und kein Mann beurlaubt werden , bevor er die zweite Schießübung abgehalten hatte.

In jedem Bundesstaate sollten die ver

schiedenen Waffengattungen alljährlich mindeſtens vier Wochen hindurch wenig= ftens in der halben Kriegsstärke im Dienst und im Gebrauch der Waffen geübt, auch Vorkehrungen getroffen werden, daß jeder einzelne taktische Körper, insbesondere jedes combinirte Bataillon jährlich vereinigt werde, und mindeſtens alle zwei Jahre abwechselnd Antheil an Uebungen von Brigaden oder Divisionen nähme, und daß jedes Armee - Corps sich wenigstens alle sechs Jahre zu ge= meinschaftlichen Uebungen vereinigte. Mindestens alle fünf Jahre sollten die Contingente der einzelnen Bundes ſtaaten einer durch die Bundesversammlung anzuordnenden Musterung unter worfen werden. Die einzige Bestimmung aber, welche die Bundes - Kriegsverfassung über Dienſtvorschriften und Reglements enthielt, wollen wir nicht versäumen im Wortlaute anzuführen ; fie lautet : „Auf eine möglichste Uebereinstimmung der Hauptgrundlagen des milis tairischen Dienstes ist in dem ganzen Bundesheere hinzuarbeiten. Insbesondere sollen in Hinsicht der Waffenübungen und der Dienstreglements wenigstens in der Hauptsache bei jedem Armeecorps gleiche Grundsäße beobachtet werden. " Abgesehen von den vorſtehenden, zum Theil ja nur in Wunschform ge kleideten Normativbeſtimmungen , war den einzelnen Bundesstaaten für die Regelung des Militairwesens vollkommen freie Hand gelassen ; so namentlich in Bezug auf die Ergänzung der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, auf Competenzen , auf Ausrüstung und Uniformirung , Rechtspflege 11. s. w. u. s. w.

auf Disciplin und

Es ist einleuchtend, wie wenig diese Kriegsverfassung genügte, um ein zu einheitlicher Action befähigtes Heer zu schaffen .

Mancher Mangel hätte wohl

durch freie Vereinbarung zwiſchen den nach der Gliederung des Bundesheeres zunächst auf einander angewieſenen Staaten weniger empfindlich gemacht werden können.

Aber wir haben schon im Eingange darauf hingewiesen, wie

sehr der Charakter der allgemeinen Bundes-Inſtitutionen geeignet war, gerade die entgegengeseßten Tendenzen zu fördern . In der That erwies sich auf militairischem Gebiete die eifersüchtige Absperrung jedes kleineren Bundes

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Militairische Jahresberichte für 1874.

staates gegen den größeren ebenso hemmend , wie die abwehrende Haltung aller gegen Preußen, und die wenigen Schritte, welche von einzelnen Staaten in glücklicheren Momenten vorwärts gemacht wurden, blieben für das Ganze ohne Belang. Aber auch die geringen Anforderungen durchzuseßen , welche die Bundes verfassung in militairischer Hinsicht an die einzelnen Staaten bestimmt ſtellte, fehlte dem Bunde die Macht. Es ist notorisch, wie in vielen der kleineren Staaten selbst die Minimal- Vorſchriften über den Friedens -Präsenzſtand , die Dienstzeit und die Bereithaltung von Kriegsmaterial unerfüllt blieben. *)

Von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen , fristeten die kleineren In kleinlichen , engherzigen Ver Contingente ein lahmes , mattes Dasein. hältniſſen, in grundsäglicher Abgeschlossenheit gegen jede größere Berufsgemein schaft und in der Beschäftigungslosigkeit eines über Gebühr ausgedehnten Be urlaubungs - Systems fehlt der Boden für die Entfaltung eines frischen solda Einem Offizier - Corps zumal , in welchem eine Compagnie Chefs - Stelle ein hohes , vielleicht das höchste Ziel des Ehrgeizes bildet , ſind alle Lebensadern unterbunden. —

tischen Geistes !

In demselben Maaße, als sich die allgemeinen Verkehrs - Verhältnisse ent wickelten , wuchsen die Anforderungen an die Schnelligkeit der militairiſchen Action.

Dampfkraft und Electro - Magnetismus erhöhten den Werth der Zeit

und ließen die Hemmniſſe fühlbarer hervortreten , welche die Deutsche Zer riffenheit, insbesondere auch der militairischen Entwickelung, bereitete.

Durfte

man früher darauf hoffen , bei politischen Verwickelungen Monate zur mili tairischen Vorbereitung, zur Beseitigung vieler Mängel der Organisation, ins besondere zur Zuſammenfügung der verschiedenartigen Heereselemente zu ein heitlichen Massen vor Ausbruch der Feindseligkeiten verwenden zu können , ſo war jest Frankreich im Stande, mit Hülfe der Dampfkraft ſchlagfertige Heeres maſſen an die Deutschen Grenzen und Landungs - Corps an die Deutschen Küsten zu werfen , bevor vielleicht der vielköpfige und schwerfällige Deutsche Bundestag sich über die ersten Anordnungen zur Abwehr geeinigt hatte.

Wo

würde wohl im Jahre 1870 die erſte und wo die lezte Entſcheidungsschlacht geschlagen worden sein, wenn Frankreich noch das alte Deutschland vor sich gehabt hätte? Vergeblich bemühte sich Preußen , am Bundestage ein Verständniß für die veränderten Verhältnisse wach zu rufen, vergeblich rang es auch nach Ver besserungen auf dem Wege der Vereinbarung mit einzelnen Bundesgliedern. Wir wollen hier nur an das Scheitern aller Bemühungen erinnern , mit den Küstenstaaten zu gemeinsamen Maßregeln für die Küstenvertheidigung zu ge= langen, sowie an den beharrlichen Widerstand, welchen Hannover dem für die

*) Vergl. hierüber u. A. den Bundestagsbeschluß vom 29. Januar 1857.

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Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. gemeinsamen Vertheidigungs - Interessen so nach dem Jadegebiet entgegenseßte.

wichtigen Bau

einer Eisenbahn

Indessen der Beruf und die Intereſſen Deutschlands forderten so gebie teriſch eine durchgreifende Aenderung der Verhältnisse zum Besseren , daß bei fortdauerndem Widerſtande der particulariſtiſchen Elemente eine Katastrophe unausbleiblich war.

Mochte diese Katastrophe über Deutschland von Außen

oder von Innen kommen, in beiden Fällen mußte dem Preußischen Schwerte die Rettung zufallen. Preußen erkannte rechtzeitig seinen Beruf und bereitete sich auf die Erfüllung desselben vor.

II.

Das Preußische Heerwesen , von der Armee - Reorganisation , 1859, bis zur Errichtung des Deutſchen Reiches. In Preußen hatte man nicht nur ein offenes Auge für die schweren

Mängel der Wehrverfaſſung des Deutschen Bundes , sondern man erkannte auch rechtzeitig , daß die eigene Heeres - Organiſation den erhöhten Anforde rungen , welche aus der politischen Lage und aus den veränderten Verkehrs verhältnissen erwuchsen, nicht mehr entsprach. Die von Preußen vor 1859 planmäßig aufzustellende mobile Feld = Armee bestand aus 1 Garde - Corps und 8 Armee - Corps. Jedes Armee Corps hatte 27 Infanterie - Bataillone und 1 Jäger - Bataillon ( das Garde Corps 27 Infanterie - Bataillone, 1 Jäger- und 1 Schüßen - Bataillon) à 1000 Mann, 8 Cavallerie - Regimenter , à 600 Mann , 12 Batterien , à 8 Ge schüße, 1 Pionier - Abtheilung mit Ponton - Colonne , sowie die erforderlichen Trains. Demnach zählte die mobile Preußische Feld - Armee etwa 310,000 Streitbare *), d. h. sie betrug etwa 1,7 % der Bevölkerung des ganzen Staates von 18 Millionen Seelen , während die Bundeskriegsverfaſſung von den Bundesstaaten für das Haupt- , Reserve- und Ersaß - Contingent - einschließlich des Bedarfs für Festungs - Besaßungen - nur 15 %6 % der Bevölkerung von 1842 forderte.

Außer der mobilen Feld - Armee stellte

Preußen aber u. A. noch auf : 8 Reserve-Infanterie-Regimenter, à 2 Linien -und 1 Landwehr-Bataillon — für Festungs -Besatzungen beſtimmt — 36 Infan terie-Erſaß-Bataillone , à 6 Compagnien, 116 Landwehr-Bataillone 2. Auf gebots, 10 Jäger-Erſaß-Compagnien, 40 Erfaß- Escadrons, 27 Erſaß-Batterien à 4 Geschüße, 9 Pionier - Ersaß - Compagnien , 72 Festungs- Artillerie - Com= pagnien, sowie die für Festungs -Besaßungen erforderlichen Ausfall-Batterien, Pionier- und Cavallerie-Abtheilungen , im Ganzen noch ca. 235,000 Streit= bare. Die gesammte Kriegsmacht Preußens zählte daher ca. 545,000 Streit bare, = 3 % der Bevölkerung von etwa 18 Millionen Seelen. *) Um den Vergleich mit der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes zu erleichtern, rechnen wir auch hier und im Nachfolgenden zu den „ Streitbaren“ die Offiziere, nicht aber die Train- Mannſchaften.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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Dieser Kriegsstärke des Heeres stand jedoch eine Friedensſtärke von nur 141,309 Mann (excl. Offiziere und Invaliden) = 0,78 % der Bevölkerung gegenüber.

Bei ungefähr gleicher Kriegsstärke hatte die Friedensstärke ſogar

nur betragen in den Jahren:

1819 bis 1830 1831 bis 1853 1834 und 1835

·



etwa 140,000 Mann, ·

131,000 Mann,

1836

·

1837 bis 1850 1851 bis 1856 Aus diesem geht hervor,

ca. 118,000 Mann,



·

·

126,000 Mann,

ca. 122,000 Mann, ca. 130,000 Mann. -

Vergleich der Kriegs- und der Friedensſtärke des Heeres

1. daß die Kriegsdienstpflichtigen durchschnittlich nur eine sehr kurze Friedens ausbildung erhalten konnten, oder daß sie sehr lange kriegsdienstpflichtig blieben, oder daß beide Uebelstände neben einander bestanden ; 2. daß für die zum Kriege zu formirenden Truppen im Frieden verhältniß mäßig nur sehr wenige oder sehr schwache Cadres vorhanden waren. Was den ersten Punkt betrifft , so bestand in Preußen seit den Be freiungskriegen allgemeine Wehrpflicht mit 19jähriger Dienſtzeit und 3jähriger Präsenzpflicht. Um bei 19 jähriger Gesammtdienstzeit die oben angegebene beträchtliche Kriegsstärke zu erreichen , bedurfte es , in Anbetracht des unver meidlichen, namentlich in den älteren Jahrgängen sehr hoch zu veranschlagen den Abganges , einer jährlichen Einreihung von 40,000 Mann .

Bei der ge=

ringen Friedenspräſenzſtärke, welche das Heer in den Jahren 1819 bis 1830 und 1834 bis 1850 hatte , konnten , da auf dieselbe mindestens 25,000 bis 30,000 Unteroffiziere und Capitulanten in Anrechnung gebracht werden mußten, die Dienstpflichtigen durchschnittlich kaum mehr als 2 Jahre bei den Fahnen behalten werden. Deshalb sah man sich in den Jahren 1819 bis 1833 ver anlaßt, einen Theil des jährlichen Ersaß-Contingents zu 3jährigem Friedens dienst in das Heer einzureihen , einem kleineren Theil aber nur eine ganz oberflächliche Friedens - Ausbildung zu geben ( Landwehr - Rekruten ) . Dieses System wurde, in Würdigung der demselben entgegenstehenden, schwer wiegen den Bedenken, im Jahre 1833 verlassen. Die unvermeidliche Folge hiervon aber war , da die Friedensstärke des Heeres zunächſt unverändert blieb , daß man die Friedensdienstzeit für sämmtliche Mannschaften der Infanterie auf zwei Jahre herabſeßen mußte, eine Maßregel, durch welche die bestehenden Uebelstände verschoben, aber nicht gehoben wurden. Die Resultate einer zwei jährigen militairischen Erziehung konnten bei der großen Maſſe an sich nur ungenügend ſein ; am wenigsten aber konnte eine so kurze Dienstzeit ausreichen, um die Mannſchaften der Art durchzubilden, daß sie wähernd der nachfolgen den 17 Urlaubsjahre noch kriegsbrauchbare Soldaten blieben.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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Der lettere Uebelstand fiel um so schwerer ins Gewicht , als die Be urlaubten, wenn sie zur Mobilmachung des Heeres einberufen wurden, in den vorhandenen Friedens -Cadres nicht ausreichend feste Stützpunkte fanden .

Daß

über dieſen Mangel jederzeit, wie 1813 , die Begeisterung hinweghelfen sollte, darauf durfte man nicht rechnen. Selbst bei den mobilen Armee - Corps be ſtand die Hälfte der Infanterie und Cavallerie aus Landwehr -Regimentern, deren Friedensstämme so schwach waren, daß sie für die Truppen-Formation - von den Commandeuren der Landwehr-Bataillone abgesehen - fast ohne alle Bedeutung blieben. Auch die Cadres der Linien- Infanterie - Bataillone waren numerisch schwach ― fie zählten 1837 bis 1850 z . B. nur 525 Köpfe, - vor Allem excl. Offiziere, gegenüber einer Kriegsstärke von 1002 Mann ; aber fehlte ihnen der nothwendigste Grad innerer Solidität , da im Anfange eines jeden Jahres die eine Hälfte der Mannschaften nur 11 Jahr , die andere Hälfte erst

1

Jahr diente.

Die Escadrons der Linien - Cavallerie

Regimenter hatten zwar im Frieden eine nur wenig geringere Stärke als im Kriege, aber die Regimenter bestanden nur aus 4 Escadrons, ſo daß bei ein tretender Mobilmachung aus leßteren das erforderliche Personal und Pferde material für die Ersatz - Escadron ausgesondert und durch Beurlaubte bez. durch neu ausgehobene Pferde in beträchtlicher Zahl erseßt werden mußte. Bei der Feld-Artillerie war nur die Hälfte der Geſchüße im Frieden beſpannt. Für die Trains gab es bis 1850 gar keine Friedensschule , ihr ganzer Be darf an Fahrern 2c. mußte durch Einziehung unausgebildeter Rekruten gedeckt werden. - Die Ersatztruppen aller Waffen , sowie die Landwehr - Bataillone 2. Aufgebotes und die für die Festungen erforderlichen Cavallerie- Detachements, Ausfall - Batterien und Pionier - Abtheilungen waren bei der Mobilmachung felbstredend völlig neu zu formiren. Für die Festungs -Artillerie waren eben sowohl die Cadres als auch der Beurlaubtenstand unzureichend. Es ist jeßt für uns nicht mehr überraschend , daß die großen Mängel dieſes dürftigen Systems bei den ersten ernsten Proben , auf welche daſſelbe gestellt wurde, in den Jahren 1848 und 49, beſonders aber bei der allgemei nen Mobilmachung im Jahre 1850 in empfindlichster Weise zu Tage traten. Man suchte die militairische Schwäche , so gut es ging , nach Außen zu ver bergen , aber die Politik war gelähmt.

Das Gefühl der Unsicherheit und

Schwäche zeigte sich in den nachfolgenden Jahren in den Kriegsbereitschafts Maßregeln , welche wiederholt und auf längere Zeitdauer in Kraft traten, ohne eine andere Folge zu haben , als etwa die Verstimmung Derer , welche fich bedroht fühlten, und das Mißbehagen des eigenen Landes wegen der dem ſelben auferlegten außerordentlichen Lasten und

der durch die kriegeriſchen

Vorbereitungen hervorgerufenen Beunruhigung. Man schritt auch in Folge der gemachten Erfahrungen alsbald zu einer, wenngleich noch nicht durchgreifenden, so doch immerhin wesentlichen Verbesserung des Heerwesens , indem die Friedensstärke deffelben 1851 von 122,000 auf 130,000 Mann und 1857

12

Militairische Jahresberichte für 1874.

auf 141,000 Mann erhöht wurde. Dadurch wurde es möglich, die Präſenz zeit bei der Infanterie für die Mehrzahl der Mannschaften erst auf 22 Jahre und dann auf 3 Jahre wieder zu erhöhen. Auch im Trainwesen wurden Verbesserungen eingeführt. Allein diese Maßregeln genügten nicht, um Preußen zu einer kraftvollen Politik, wie sie voraussichtlich eine nicht ferne Zukunft erheiſchte, zu befähigen. Die an anderer Stelle bereits besprochenen Umstände , welche gebieteriſch auf eine Revision der Wehrverfassung des Deutschen Bundes hinwiesen , ins beſondere die großen Fortschritte der Technik und die gewaltigen Aenderungen aller Verkehrs - Verhältnisse bedingten auch eine durchgreifende Reorganiſation der Preußischen Armee. Preußen bedurfte zur Erfüllung der Aufgaben, welche seiner harrten , eines starken , so geschulten und so organisirten Heeres , daß dasselbe unmittelbar nach beschlossenem Kriege mit Hülfe der Eisenbahnen schlagfertig an den entscheidenden Punkten vereinigt werden konnte. Man war in Preußen noch mit den Vorarbeiten für eine den veränder ten Verhältnissen entsprechende Reform des Heerwesens beschäftigt , als die Ereignisse des Jahres 1859 hereinbrachen , und in den thatsächlichen Erschei nungen derselben alle, jener Absicht zu Grunde liegenden Voraussetzungen ihre vollste Bestätigung fanden . Einer politiſchen und militairiſchen Action , wie sie Frankreich 1859 in Italien in Scene seßte, war der Deutsche Bund in seiner zeitigen Verfassung offenbar nicht gewachsen. So trat Preußens Deut ſcher Beruf, zumal nach der Niederlage Desterreichs , in den Vordergrund ; mit dem Beruf aber auch zugleich die Pflicht , unverzüglich an die bereits in Erwägung genommene Reform des eigenen Heerweſens zu gehen. Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht , bestand der Haupt sächlichste Mangel der Preußischen Heeres- Organisation in der Unzulänglichkeit der Zahl der Cadres.

Eine Vermehrung derselben bedingte aber eine ent

sprechende Erhöhung der Friedensſtärke des Heeres , da man weder die vor handenen Cadres erheblich schwächen, noch auch die Dienstzeit verkürzen durfte. Die stärkere Rekrutirung, welche die höhere Friedensstärke erforderte, stieß auf keine Schwierigkeit , da die allgemeine Wehrpflicht alljährlich 63,000 brauch bare Rekruten lieferte , während bei der bestehenden Heeresstärke nur 40,000 Wehrpflichtige alljährlich eingereiht werden konnten. Die stärkere Rekrutirung mußte im Gegentheil erwünscht sein, denn sie entsprach dem Princip der all gemeinen Wehrpflicht und gestattete, da die bisherige numerische Stärke der Kriegsmacht im Allgemeinen ausreichend erschien, eine beträchtliche Verkürzung der Gesammtdienstzeit. Eine Ausscheidung der älteren Jahrgänge der Dienſt pflichtigen unter stärkerer Heranziehung der jüngeren Altersklaſſen entſprach offenbar ebensowohl dem volkswirthschaftlichen wie dem militairiſchen Intereſſe. Dagegen ließ sich die Erhöhung der Friedenspräsenzſtärke des Heeres und die Vermehrung der Cadres nicht ohne bedeutende neue financielle Opfer durchführen. Und dieſe forderte die Regierung von der Landesvertretung, indem sie gleichzeitig

13

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

im Sommer 1859 die Armee aus dem mobilen Zuſtande nicht auf den bisherigen Friedensfuß zurück , sondern in die beabsichtigte neue Organiſation hinüber führte, nach welcher die Landwehr 1. Aufgebots aus der in erster Linie auf zustellenden Feldarmee ausscheiden und in dieser durch Linientruppen, für welche neue Friedens -Cadres zu bilden waren , ersetzt werden sollte , während auf die Landwehr 2. Aufgebots verzichtet wurde.

Die Dienstpflicht in der

Reserve sollte von zwei auf fünf Jahre verlängert , die Gesammtdienstpflicht dagegen um einige Jahre verkürzt werden. Die Forderungen der Regierung stießen bekanntlich auf Widerstand und führten zu jenem hartnäckigen Conflicte, welcher nach langem, leidenschaftlichen Kampfe erst im Jahre 1866 ſeine Lösung finden sollte. Die Heeresverfaſſnng , wie sie bis 1859 bestand , war das Erzeugniß einer großen Zeit.

Preußen verdankte ihr seine Wiedergeburt nach tiefer

Demüthigung und nach einer Zeit schwerer Leiden.

Deshalb hing das Volk

mit Vertrauen an ihr und brachte freudig die Opfer, welche sie forderte, obgleich dieselben größer waren, als die, welche irgend ein anderer Staat ſeinen Unter thanen auferlegte.

Man wies mit Stolz auf die 500,000 Mann, welche das

verhältnißmäßig doch noch kleine und arme Preußen in die Waagschale zu werfen vermochte. Einer besonderen Gunst erfreute sich das Institut der Landwehr , nicht nur , weil es verhältnißmäßig wohlfeil und eine nationale Eigenthümlichkeit, sondern auch weil es ein echtes Kind jener Zeit war, deren Begeisterung noch in den Herzen von Jung und Alt nachklang.

Man hatte

sich daran gewöhnt, die Landwehr als den eigentlichen Kern der Preußischen Kriegsmacht zn betrachten, als einen unentbehrlichen Rückhalt für die jüngeren Linientruppen , zumal in zahlreichen Volksschriften über die Befreiungskriege die Thaten der Landwehr über Gebühr in den Vordergrund gestellt wurden . Man zehrte von den Erinnerungen der Befreiungskricge , wie vor 1806 von den Erinnerungen der Fridericianischen Zeit und , wie damals zu Preußens Unheil , ohne sich Rechenschaft

abzulegen von der Aenderung der Zeitver

hältniſſe. Aus nahe liegenden Gründen aber wagten auch Diejenigen, welche init offenen Augen sahen , nicht die Mängel des Landwehr - Instituts aufzu decken, so lange die Landwehr den Hauptbestandtheil der Preußischen Kriegs macht bildete. In die so erzeugten und genährten Illuſionen hinein fiel das Armee Reorganisations - Project der Regierung wie ein Bliß aus heiterem Himmel. Man darf sich nicht wundern , daß die gewichtigen militairischen Motive der Regierung bei den voreingenommenen Laien kein williges Ohr fanden .

Preu

Ben hatte schon bisher einen sehr viel höheren Procentsaz seiner Staats einnahmen auf das Heerwesen verwandt, als die übrigen Deutschen Staaten, und dieses Mißverhältniß sollte jetzt noch eine bedeutende Steigerung erfahren ! Daß durch die Armee-Reorganiſation gerade das Werkzeug geschaffen werden. sollte, um jenes Mißverhältniß zu beseitigen , durfte die Regierung natürlich

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Militairische Jahresberichte für 1874.

kaum leiſe andeuten .

Aber auch bestimmtere Erklärungen hierüber würden

im eigenen Lande auf unfruchtbaren Boden gefallen sein , da die Ereignisse des letzten Jahrzehnts das Vertrauen in die auswärtige Politik erschüttert hatten, ohne die Erkenntniß zu fördern, daß die Schwäche der Politik vorzugs weiſe aus den Mängeln der Heeresverfaſſung entſprang. Wir haben hiermit die hauptsächlichsten objectiven Ursachen des Preußi schen Militair-Conflicts bezeichnet ; sie sind an sich so bedeutend, daß wir schon aus diesem Grunde darauf verzichten können , den ſubjectiven Verschuldungen der Einzelnen und der Parteien nachzugehen.

Heute wird es ja in Preußen

von Allen, mit Ausnahme weniger unverbefferlicher Doctrinaire, als ein Segen anerkannt, daß man , glücklicher als die Vorfahren beim Wechsel des letzten Jahrhunderts, Männer besaß, welche die Forderungen der Zeit richtig erkann ten und dieselben mit unerschütterlicher Energie gegen allen Widerspruch durch ſeßten. Und wenn man die Verschuldung der Widersacher heute vergeſſen mag, so doch nimmermehr den Dank , welcher Denen gebührt, die das Werk vollbracht haben.

Auf diesen Dank aber hat in erster Linie des jezt regieren

den Kaiſers Majeſtät Anſpruch, und die Geschichte hat um so mehr die Pflicht, dies , nachdem der Erfolg entschieden hat , bei jedem Anlaß zu betonen , als Se. Majestät in den kritischen Jahren der Zweifel und der Kämpfe um die Armee-Reorganisation wiederholt und laut dieselbe als Sein Werk bezeichnet und dadurch die volle Verantwortung für sie auf Sich genommen hat! Durch die Reorganiſation wurde die etatsmäßige Friedensstärke des Preußischen Heeres von 141,000 Mann auf ca. 200,000 Mann , also auf 1,06 Procent der Bevölkerung, die Zahl der Infanterie- und Jägerbataillone des stehenden Heeres von 136 auf 253, die der Escadrons von 152 auf 200, die der Batterien - wie bisher mit 4 bespannten Geschüßen im Frieden, welche jedoch fortan bei der Mobilmachung nur um 2 statt um 4 zu vers mehren waren -- von 108 auf 135 vermehrt. Aus den vorhandenen 9 Festungs - Artillerie- Abtheilungen wurden ebenso viele Regimenter zu je 2 Abtheilungen gebildet, die 9 Pionier - Abtheilungen zu 9 Pionier - Bataillonen erweitert und 9 Train - Bataillone zu regelmäßiger Ausbildung der Train Mannschaften gebildet.

Die Etatsstärke der Linien-Infanterie-Bataillone wurde

von 522 auf 534 Köpfe ( excl. Offiziere) , die der Escadrons von 146 auf 148 Köpfe erhöht. Die Eintheilung der Armee in ein Garde = Corps und 8 Armee -Corps von je 2 Divisionen à 2 Infanterie- und 1 Cavallerie-Bri gade blieb unverändert ; die neu errichteten Linientruppen traten in der Ordre de bataille an die bisherigen Stellen der Landwehr 1. Aufgebots . Dank dieser Reorganisation, vermochte Preußen im Jahre 1866

in

erster Linie eine nur aus Linientruppen bestehende Armee von 325,000 Streitbaren ( incl. Offiziere , excl. Train ) mit 864 Geschüßen ins Feld zu stellen, außerdem aber 68,000 Mann Reservetruppen (4. Bataillone) und Landwehr mit 144 Geſchüßen mobil zu machen und der Feld-Armee fol

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaffung.

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gen zu laſſen, während noch 114,000 Mann Erfaßtruppen und 98,000 Mann Beſaßungstruppen im Lande zurückblieben.

Die Gesammtstärke der auf

gestellten Kriegsmacht belief sich hiernach auf 605,000 Streitbare , übertraf also die Kriegsstärke, welche die Preuß. Armee vor der Reorganisation plan= mäßig haben sollte, noch um 60,000 Mann. Wie viel aber die Armee an innerem Werthe gewonnen hatte, dafür sprechen die Ereignisse des Jahres 1866 so laut, daß es weiterer Erörterungen hierüber nicht bedarf. Ein Hauch der verjüngten Preußischen Macht genügte , um das morſche Gebäude des Deutschen Bundes umzustürzen , zugleich aber auch, um neues Leben zu erwecken . Zunächst schloß sich Norddeutſchland unter Preußens Füh rung zu engem Bunde zuſammen und organisirte ſeine Kriegsmacht einheitlich nach dem Preußischen Vorbilde.

Schleswig - Holstein , Hannover , Kurheſſen,

Nassau und Frankfurt gingen in Preußen

auf.

Oldenburg , Anhalt , die

Thüringischen Staaten , Waldeck , die beiden Lippe und die drei Hanſeſtädte übertrugen durch besondere Conventionen ihre Militairhoheit auf die Krone Preußen. Unter Aufnahme der bisherigen Bundescontingente dieser Staaten und Umformung derselben nach Preußischem Muster wurden drei neue Preu ßische Armee-Corps (das 9., 10. und 11.) errichtet und diesen auch die mit einer gewiſſen Selbstständigkeit noch fortbestehenden Contingente der beiden Mecklenburg und Braunschweigs einverleibt. Das gleichfalls nach Preußischem Vorbilde umgeformte Königlich Sächſiſche Contingent trat als 12. Armee-Corps in den Verband des, in Krieg und Frieden dem Oberbefehl Sr. Majeſtät des Königs von Preußen, als Bundesfeldherrn, unterstellten Norddeutschen Bundes heeres ein. Ebenso das Großherzoglich Hessische Contingent als selbstständige, dem 11. Arinee-Corps attachirte Division. Als wenige Jahre später, 1870, Frankreich den dreisten Versuch machen wollte, das Deutsche Einigungswerk zu stören, stürzte ihm das, wie aus einem Guß organisirte, von einem Geiste beseelte und von einer Hand geleitete Heer des Norddeutschen Bundes entgegen, und mit ihm die ähnlich formirten Heerkörper, welche die Süddeutschen Staaten für dieſen bereits vorausgesehenen Fall durch geheime Verträge unter den Oberbefehl Sr. Majestät des Königs von Preußen gestellt hatten.

Die Deutschen Fahnen eilten von Sieg zu Sieg.

Der Kampf endete mit dem Erliegen Frankreichs und mit der Herstellung der durch gemeinsam vergoffenes Blut gekitteten Deutschen Einheit. III. Kriegsverfassung des Deutschen Reichs und Organiſation des Reichsheeres im Jahre 1874. 1.

Allgemeine Grundbestimmungen der Kriegs - Verfassung. Die Grundbestimmungen über das Kriegswesen find fast unverändert aus

der Verfassung des ehemaligen Norddeutschen Bundes in die Verfaſſung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 übergegangen und daselbst insbesondere im XI. Abschnitt (Art. 57 bis 68) enthalten. Nach einer Schlußbestimmung"

Militairische Jahresberichte für 1874.

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zu diesem Abschnitt kommen jedoch die Vorschriften desselben in Bayern nach näherer Bestimmung des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 unter III. § 5, in Württemberg nach näherer Bestimmung der Militair-Convention vom 21./25. November 1870 zur Anwendung . In Folge dessen ist das Ver hältniß Bayerns zum Reiche so wesentlich verschieden von dem der übrigen Bundesstaaten, daß wir dasselbe in den nachfolgenden Ausführungen zunächst ganz außer Betracht lassen und am Schluß dieses Capitels besonders be handeln müssen. Dagegen wird es sich empfehlen , die wichtigeren Beſtim mungen der übrigen Militair - Conventionen bei Besprechung der einzelnen Verfassungs-Vorschriften zu erwähnen. Nach Art. 4 der Reichsverfassung unterliegt das Militairweſen des Reiches der Beaufsichtigung Seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben . Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Ver sammlungen ist zu einem Reichsgefeße erforderlich und ausreichend. Bei Ge segesvorschlägen über das Militairwesen giebt jedoch , wenn im Bundesrathe -eine Meinungsverschiedenheit stattfindet , die Stimme des Präsidiums dasselbe steht dem Könige von Preußen zu , welcher den Namen Deutscher Kaiser führt (Art. 11 der Reichs -Verfaffung) - den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht (Art. 5) . Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes , unter welchen die Stimmführung sich in der Weise vertheilt , daß Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklen burg-Schwerin und Braunschweig je 2 , die übrigen 17 Staaten je eine , im Ganzen also 58 Stimmen führen (Art. 6) .

Die Beſchlußfaſſung im Bundes

rath erfolgt mit einfacher Mehrheit ( Art. 7) ; Anträge auf Verfassungs änderungen gelten jedoch als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stim men gegen sich haben (Art. 78) .

Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte

dauernde Ausschüsse , darunter einen Ausschuß für das Landheer und die Festungen. In jedem Ausschuß sollen außer dem Präsidium mindeſtens vier Bundesstaaten vertreten sein , und führt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine Stimme.

In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen

hat Bayern nach Art. 8 der Reichsverfassung einen ständigen Sit ; die übri gen Mitglieder desselben werden vom Kaiser ernannt, jedoch haben auch Sachsen und Württemberg auf Grund der mit dieſen Staaten abgeschlossenen Militair-Conventionen Anspruch darauf, jederzeit in dem genannten Ausschuffe vertreten zu sein. Welche Arbeiten den Ausschüssen zu übertragen sind , be ſtimmt der Bundesrath unbeschränkt ; thatsächlich bestehen dieselben fast aus schließlich in der Vorbereitung der Beſchlüſſe des Bundesrathes .

Dem Kaiser

steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgefeße und die Ueber wachung der Ausführung derselben zu (Art. 17) , dem vom Kaiser zu er nennenden Reichskanzler der Vorsiß im Bundesrathe und die Leitung der

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung. Geschäfte (Art. 15) .

17

Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers be

dürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers , welcher dadurch die Verantwortung übernimmt (Art. 17) .

Ueber die zur Ausfüh

rung der Reichsgeseße erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen hat der Bundesrath zu beschließen , sofern nicht durch Reichsgeseße etwas Anderes bestimmt wird (Art. 7). Aus den vorſtehenden Verfaſſungsbestimmungen ergiebt sich zunächst das wichtige Resultat , daß kein Bundesstaat einseitig Gefeße über das Militair wesen erlassen kann ; competent hierzu ist allein das Reich, welchem auch der Erlaß der Ausführungs -Verordnungen und die Ueberwachung der Ausführung der Gesetze zusteht. Es sind dies sehr wichtige Garantien für die Einheit des Reichskriegswesens.

Geringere Sicherheit scheint uns dagegen die Verfaſſung

dafür zu gewähren, daß in der Reichsgesetzgebung den specifisch militairiſchen Interessen stets

genügend Rechnung getragen wird.

Nach den modernen

monarchischen Staatsverfassungen hat das Staatsoberhaupt bei der Gesetz gebung derart eine entscheidende Stimme , daß es zum Zustandekommen eines Geſeßes ſeiner Zustimmung bedarf ; und dies ist für die militairiſchen Interessen von besonderer Bedeutung , weil das Staatsoberhaupt zugleich der Kriegsherr ist. Diese Stellung hat jedoch der Kaiser nicht ; Seine verfassungs mäßige Mitwirkung beim Zustandekommen von Gesezen beschränkt sich darauf, daß die Preußische Stimme im Bundesrath nach Seinen Weiſungen abzugeben ist. Hierbei steht Ihm allerdings ein absolutes Veto gegen Gesetz - Entwürfe auf dem Gebiete des Militairwesens zu, welche bestehende Einrichtungen aufheben oder ändern würden ; aber so wichtig dies auch ist , so bedarf doch das Heerwesen der Fortentwickelung , und bei weitem nicht jedes auf militairischem Gebiete zu erlassende Gesetz berührt bestehende Einrichtungen. Es wäre daher mindestens theoretisch denkbar , daß der Kaiser genöthigt ſein könnte, ein militairisches Reichsgefeß zu publiciren und dessen Aus führung zu überwachen , obgleich dasselbe nach Seiner Ueberzeugung die militairischen Intereſſen gefährdete. Diese Besorgniß liegt anscheinend um so näher , als im Bundesrathe von 58 Stimmen 27 von Staaten geführt werden , welche den Theil der Militairhoheit , der nach der Reichsverfaſſung den Bundesstaaten verblieben ist , ganz oder bis auf einen unbedeutenden Rest durch besondere Conventionen auf die Krone Preußen übertragen haben.

Bei

den Regierungen

dieser

Staaten darf für die militairiſchen

Interessen billiger Weise weder eine selbstständige Fürsorge, noch auch ein eingehendes Verständniß vorausgesetzt werden ; sie haben ja eben die Sorge für die Militair - Angelegenheiten Preußen überlassen , und wenn man von ihrer patriotischen Einsicht sicherlich erwarten darf, daß sie gerade mit Rücksicht hierauf bei der Abstimmung über rein militairische Fragen im Bundesrathe sich der Preußischen Führung anvertrauen werden , so darf doch andererseits nicht übersehen werden, daß bei der Deutschen Heerverfassung die im Bundes 2 Militairische Jahresberichte 1874.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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rath zur Verhandlung kommenden militairischen Fragen fast immer auch noch andere , jenen Regierungen naturgemäß näher liegende Interessen berühren. Anders stehen in dieſer Beziehung die vier Königreiche, welche, wenn sie zuſammen stimmen, im Bundesrathe eine Majorität von vier Stimmen haben. Zwar haben auch diese Staaten sehr wichtige Theile ihrer militairischen Hoheitsrechte auf das Reich übertragen ; aber in den Regierungen derselben , nach deren In structionen die Stimmen im Bundesrathe zu führen sind, finden die militairi schen Interessen wenigstens noch eine unmittelbare Vertretung. Dies würde freilich nicht mehr in genügendem Maße der Fall sein , wenn die Kriegs minister aus den Staatsministerien der vier Königreiche oder einzelner der ſelben ausſchieden.

Gegenüber den hierauf gerichteten Bestrebungen glauben

wir darauf aufmerksam machen zu müssen , daß eine solche Aenderung der beſtehenden Inſtitutionen die militairiſchen Intereſſen ernstlich gefährden würde, wenn nicht gleichzeitig eine Aenderung der Reichsverfassung in der Richtung erfolgte,

daß für die Beschlußfassung

über Militair - Angelegenheiten

das

Stimmenverhältniß im Bundesrathe modificirt oder das Zustandekommen von Militairgefeßen in allen Fällen von der Zustimmung des Kaisers abhängig gemacht würde. Wir haben vorstehend der aufschiebenden Befugniß nicht gedacht , welche dem Kaiſer in Bezug auf die Reichsgesetzgebung dadurch eingeräumt iſt , daß die Reichsgeseße ihre verbindliche Kraft erst durch ihre Verkündigung erhalten, die Verkündigung aber , sowie auch die Wahl des Zeitpunktes hierfür dem Kaiser zusteht (Art. 2 und 17 der Reichsverfassung). Kann diese Befugniß in einem einzelnen Falle auch von practischem Werthe sein , so darf ihre Be deutung im Ganzen doch nicht hoch veranschlagt werden. Nach Art. 7 der Reichsverfaſſung hat, wie bereits erwähnt, über die zur Ausführung der Reichsgefeße erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen der Bundesrath zu beschließen , sofern nicht durch Reichs geseze etwas Anderes bestimmt ist.

Die bisher erlassenen militairischen Reichs

geseße enthalten nun erfreulicher Weise fast ausnahmslos die Beſtimmung, daß die zu ihrer Ausführung erforderlichen Vorschriften vom Kaiser erlaſſen werden sollen. Allein die Reichsverfassung kennt kein militairisches Organ, durch welches der Kaiser diese und die ihm in Bezug auf das Heerwesen anderweitig übertragenen, wichtigen Rechte und Pflichten ausübt.

Wenn diese

Lücke, wie es scheint, einstweilen ſtillschweigend durch das Preußische Kriegs miniſterium ausgefüllt wird , ſo ſeht dies voraus , daß demselben die hierfür erforderliche Autorität , welche ihm verfaſſungsmäßig nicht zusteht , allerseits freiwillig zuerkannt wird. Die Herstellung eines normalen Verhältnisses durch Errichtung eines Reichs - Kriegsministeriums mit voller Verantwortlichkeit und daher auch mit voller Autorität wird aber wohl allerseits nur als eine Frage der Zeit betrachtet , und wir wollen hier nur noch unsere Anſicht dahin aus sprechen, daß durch eine solche Verfassungsänderung die bestehenden Kriegs

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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ministerien der Einzelstaaten keinesweges entbehrlich werden würden . Wir glauben im Gegentheil, daß ein Reichs -Kriegsministerium nur dann zweckent sprechend functioniren könnte, wenn es möglichst wenig mit Detailarbeiten be lastet würde. Auch darf nicht übersehen werden , daß die auf dem Princip der allgemeinen Wehrpflicht beruhende Deutsche Heeresverfassung die Staats organismen nach allen Richtungen durchdringt , und daß auch aus diesem Grunde die Rücksicht auf die allgemeinen bürgerlichen wie auf die militairi schen Interessen es, wenigstens für die größeren Bundesstaaten, nicht gerathen erſcheinen laſſen würde, die Einrichtung aufzuheben , nach welcher alle dieſe verschiedenartigen Interessen ihren Ausgleich in dem aus den Ressortchefs der einzelnen Verwaltungen gebildeten Ministerrathe finden. Wenn diese Ein richtung wenigstens in den größeren Staaten fortbesteht , so wird sie durch ihre Rückwirkung auf die gesammte Militairverwaltung auch den übrigen Bundesstaaten zu Gute kommen . Wenden wir uns nach dieser Abschweifung wieder zu den Bestimmungen der Reichs - Verfaſſung zurück, so hat nach Art. 11 der Kaiser das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen . Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reiches ist jedoch die Zustimmung des Bundesraths erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Die specielleren Bestimmungen über das „ Reichskriegswesen " enthält die Reichsverfassung in ihrem XI. Abschnitt (Art. 57 bis 68) . Denselben liegt der Gedanke zu Grunde, daß sich das Reichsheer aus den Contingenten aller einzelnen Bundesstaaten zusammenseßt , und daß den Letteren die Militair hoheit im Allgemeinen und insoweit zusteht , als sie nicht durch ausdrückliche Bestimmungen der Reichs - Verfassung , zur Sicherung der nothwendigen Ein heitlichkeit für die militairische Action des Reiches, beschränkt ist.

Die bezüg

lichen Bestimmungen der Reichs -Verfaſſung ſind jedoch durch die im Eingange dieses Abschnittes bereits erwähnten Militair - Conventionen*) in wesentlichen *) Wir erinnern daran , daß Bayern hier zunächst überall außer Betracht bleibt. Es sind datirt : die Militair - Convention mit a. Sachsen vom 7. Februar 1867, b. Württemberg vom 21./25. November 1870, c. Baden vom 25. November 1870, d. Heſſen vom 13. Juni 1871, e. Oldenburg vom 15. Juli 1867, f. Mecklenburg - Schwerin vom 24. Juli 1868 und 19. December 1872, g. Mecklenburg - Strelit vom 9. November 1868 und 23. December 1872, h. Lübeck vom 27. Juni 1867, i. Bremen vom 27. Juni 1867, k. Hamburg vom 23. Juli 1867, 1. Waldeck vom 6. Auguſt 1867, m. Anhalt vom 28. Juni 1867, erneut den 16. September 1873, n. Schwarzburg - Sondershausen vom 28. Juni 1867, erneut den 17. September 1873, o . den übrigen Thüringischen Staaten vom 26. Juni 1867, erneut den 15. Sept. 1873, p. Lippe- Detmold vom 26. Juni 1867, erneut den 14. November 1873, q. Schaumburg - Lippe vom 30. Juni 1867, erneut den 25. September 1873. 2*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Beziehungen erweitert, in anderen wiederum beschränkt worden.

Alle Bun

desstaaten , mit Ausnahme von Sachsen , Württemberg und Braunschweig, haben ihre Contingente der Preußischen Armee einverleibt. Die Bedingungen, unter welchen dies geschehen, sind sehr mannigfaltig. Wir werden die haupt sächlichsten derselben im Nachfolgenden einzeln zu erörtern und zu vergleichen haben. Aber in dem Hauptresultate kommen sie überein , daß die Militair hoheit der betreffenden Staaten auf den Kaiser, bez . die Krone Preußen über , überwiegend Ehrenrechte tragen ist, vorbehaltlich derjenigen Rechte welche in den betreffenden Conventionen ausdrücklich den Einzelnſtaaten , bez. den Bundesfürſten reservirt sind . Für einige Staaten - Waldeck , Schwarz burg - Sondershausen , beide Lippe und die drei Hansestädte hat Preußen alle militairiſchen Leiſtungen übernommen und disponirt dagegen unter gewissen Beschränkungen über die Wehrpflichtigen der Staaten , sowie unbeschränkt über die Mittel, welche nach dem Reichs - Etat auf das Militair weſen der letteren entfallen. Die Contingente von Baden , Hessen , beiden Mecklenburg, Oldenburg , Anhalt und den Thüringischen Staaten sind , unter verschiedenen Modalitäten , Bestandtheile der Preußischen Armee geworden , der Art , daß Se. Majestät der Kaiſer und König von Preußen der Kriegsherr derselben ist und daß Preußen die Militairverwaltung der Dagegen find diesen Staaten Zusagen im Staaten übernommen hat. Particular = Interesse in Bezug auf die Ausübung einzelner dem Kaiser verfaſſungsmäßig zustehenden Rechte , wie z . B. des Dislocationsrechts 2c. gemacht worden. Mit Braunschweig haben im Jahre 1867 Verhand lungen behufs Abschlusses einer Convention stattgefunden , aber nicht zum Ziele geführt ; auf Grund der Protocolle dieser Verhandlungen ist jedoch vorläufig ein modus vivendi hergestellt , wonach die Truppen dieſes Con tingents in die entsprechenden taktischen Verbände der Preußischen Armee ein gefügt und in taktischer 2c. Beziehung den betreffenden höheren Preußischen Befehlshabern unterstellt sind, sowie auch die Militair-Verwaltung für Braun schweig durch die Preußischen Organe gehandhabt wird . Dagegen besteht die Hoheit des Herzogs fort in Bezug auf Ernennung 2c. der Offiziere , das Für Sachsen und Württemberg gelten Militair - Juſtizwesen u. s. w . in den Hauptsachen die bezüglichen Verfaſſungs -Bestimmungen . Insbesondere haben diese Staaten auch ihre eigene Militair-Verwaltung. Die Conventionen zwischen diesen Staaten und Preußen enthalten jedoch verschiedene Bestim mungen zu weiterer Förderung der Uebereinstimmung innerhalb des Reichs heeres , wogegen andererseits den Landesherren Zuſagen in Bezug auf die Ausübung einiger dem Kaiser verfaſſungsmäßig zustehenden Rechte gemacht Die unter a. bis k. bezeichneten Conventionen können nur im beiderseitigen Ein verständniß aufgehoben oder abgeändert werden . Die Convention mit Waldeck gilt zu nächst bis zum 1. Dctober 1877. Die unter m. bis q. aufgeführten Conventionen gelten ohne Vorbehalt bis zum 1. October 1884; von diesem Zeitpunkte sind sie für jeden der Contrahenten tündbar, jedoch mit zweijähriger Kündigungsfrist.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

find. ―

21

Schließlich müssen wir hier noch des Verhältnisses von Elsaß

Lothringen erwähnen . Die militairische Local-Verwaltung wird dort durch „Kaiserliche" Behörden ausgeübt, welche aber von dem Königlich Preußischen Kriegsministerium ressortiren. Alle höheren militairischen Commando -Behörden im Reichslande sind „Königlich Preußische". Die in Elsaß-Lothringen in ge meinschaftlichen Verbänden mit Preußischen Truppen dislocirten Sächsischen und Württembergischen Regimenter stehen unter dem Befehle der höheren Preußischen Commando- Behörden, aber unter der Verwaltung ihrer Heimaths staaten, deren Fürsten auch die kriegsherrlichen Rechte über sie in demselben Umfange, wie über ihre übrigen Truppen ausüben . Die in den Reichslanden garniſonirenden Königlich Bayerischen Truppen ſind den entsprechenden größeren Deutschen Armee - Verbänden „ attachirt " , d . h . ſie ſtehen unter gemischtem Commando - Verhältniß , aber in Bayerischer Verwaltung. Die Elsaß - Loth ringiſchen Wehrpflichtigen genügen ihrer Militairpflicht in Preußischen Truppen theilen. Gehen wir nach diesem allgemeinen Ueberblick zu den einzelnen Vor ſchriften des XI. Abſchnitts der Reichsverfaſſung und zu den correſpondirenden Conventionsbestimmungen über, so lautet der Art. 58 der Verfassung : „ Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reiches sind von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen gleichmäßig zu tragen, ſo daß weder Bevorzugungen, noch Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich zulässig sind. Wo die gleiche Vertheilung der Lasten fich in natura nicht herstellen läßt , ohne die öffentliche Wohlfahrt zu schädigen, ist die Ausgleichung nach den Grundsägen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung herzustellen. " Der lettere Fall ist bisher noch nicht eingetreten . „Die gesammte Landmacht des Reiches bildet ein einheitliches Heer, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht. " (Art. 63, Alinea 1). Die Friedenspräsenzſtärke des Heeres seßte der Art. 60 der R.-V. zunächſt bis zum 31. December 1871 auf ein Procent der Bevölkerung von 1867, d . h. auf 401,659 Mann, fest und bestimmte weiter, daß dieselbe für die nachfolgende Zeit im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt werden sollte. Wir werden hierauf an anderer Stelle zurückkommen. „Der Kaiser bestimmt den Präsenzſtand , die Gliederung und Eintheilung der Contingente des Reichsheeres , sowie die Organi sation der Landwehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen , sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theiles des Reichsheeres anzuordnen . " (Art. 63, Alinea 4.) Mit dieſer Verfaſſungsvorschrift müſſen jedoch die in einzelnen Militair Conventionen enthaltenen Bestimmungen verglichen werden. So ist zunächst die Formation des Königlich Württembergischen und des Großherzoglich Hessischen Contingents in den bezüglichen Conventionen vertragsmäßig fest gestellt worden . Das Württembergische Contingent soll ein eigenes (das 13.)

22

Militairische Jahresberichte für 1874.

Armee- Corps des Reichsheeres bilden, das Großherzoglich Hessische Contingent als geschlossene Division einem Preußischen Armee- Corps zugetheilt, auch das Großherzoglich Badische Contingent ungetrennt in die entsprechende größere Abtheilung der Deutschen Bundes- bez. der Königl. Preuß. Armee eingereiht werden. Der Verband und die Gliederung des als ein in sich geschlossenes Armee - Corps nach Preußischem Muster formirten Königlich Sächsischen Contingents soll , unbeschadet der dem Kaiser zustehenden Berechtigung , über die einzelnen Truppen anderweit zu disponiren, möglichst erhalten werden. In Bezug auf das Dislocationsrecht ist an Sachsen das Zuge ständniß gemacht worden, daß der Kaiser (König von Preußen) von demſelben für die Dauer friedlicher Verhältnisse Sachsen gegenüber nur im Jntereſſe des Reichsdienstes Gebrauch machen und sich in solchen Fällen zuvor mit dem König von Sachsen in Vernehmen sehen wird (Art. 5 der Conv.). Der Art. 6 der Militair-Convention mit Württemberg bestimmt : „ Unbeschadet der dem Bun desfeldherrn gemäß der Bundesverfassung zustehenden Rechte der Disponirung über alle Bundestruppen und ihrer Dislocirung soll für die Dauer friedlicher Verhältnisse das Württembergische Armee - Corps in seinem Verbande und in seiner Gliederung erhalten bleiben und im eigenen Lande dislocirt sein ; eine hiervon abweichende Anordnung des Bundesfeldherrn , sowie die Dislocirung anderer Deutscher Truppentheile in das Königreich Württemberg ſoll in fried lichen Zeiten nur mit Zustimmung Sr. Majestät des Königs von Württem berg erfolgen, sofern es sich nicht um Beſeßung Süddeutscher oder Westdeutscher Festungen handelt. " Aehnlich lautet der Art. 4 der mit Baden abgeschlosse= nen Militair - Convention : „Um den Wehrpflichtigen die Ableistung ihrer Dienstpflicht zu erleichtern, werden Se. Majestät der König von Preußen dem Badischen Contingent soweit als möglich ständige Garnisonen innerhalb der Grenzen des Großherzogthums anweisen, und von dem Allerhöchſt Ihm

als

Bundesfeldherr verfaſſungsmäßig zustehenden Dislocationsrechte nur vorüber gehend und in außerordentlichen , durch militairiſche oder politische Interessen gebotenen Fällen Gebrauch machen . Ebenso sollen nur, sofern ähnliche Rück sichten es erfordern, Ortschaften des Großherzogthums anderen Bundestruppen als Garnison angewiesen werden , vorbehaltlich besonderer Verfügung in Be treff der Beſaßung der Festung Rastatt.” Eine faſt gleichlautende Beſtimmung enthält die Oldenburgische Convention im Art. 4 ; jedoch lautet dort der Schlußsaß :

„ Ebenso sollen nur, wenn ähnliche Rückſichten es erfordern, Ort

schaften des Großherzogthums

gegen den Wunsch Sr. Königl. Hoheit

des

Großherzogs anderen Bundestruppen als Garnison angewiesen werden ,

mit

Ausnahme der Stadt Birkenfeld , welche für dasjenige Bataillon , in welches die Wehrpflichtigen des Fürstenthums eingestellt werden, als eventueller Garni fonort zur Disposition gestellt wird . "

Ferner bestimmt Art. 6 der mit dem

Großherzogthum Hessen abgeschlossenen Convention :

„ Das Großherzog =

liche Contingent wird für die Dauer des Friedens innerhalb des Großherzog =

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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thums Garnison behalten , und es wollen Se. Majestät der Kaiser von dem Allerhöchstdemselben verfassungsmäßig zustehenden Dislocationsrechte für die Dauer friedlicher Verhältnisse nur vorübergehend und in außergewöhnlichen, durch militairiſche oder politiſche Intereſſen gebotenen Fällen Gebrauch machen. Se. Majestät der Kaiser wollen in solchen Fällen Sich vorher mit Sr. Königl. Hoheit dem Großherzog in Vernehmen seßen. Auch sollen anderen Bundes truppen nur dann Garniſonen im Großherzogthum angewiesen werden, wenn es ähnliche Rückſichten erfordern."

Die mit den Thüringischen Staaten, mit

Anhalt , beiden Lippe , Waldeck und den Hanſeſtädten abgeſchloſſenen Conventionen enthalten (in den Art. 2, resp. 3 oder 4) nahezu überein stimmend die Festseßung, daß Se. Majestät der Kaiser die zur Aufnahme der für die Infanterie auszuhebenden Wehrpflichtigen dieser Staaten bestimmten Infanterie - Truppentheile dauernd daselbst in Garniſon legen und von dem Allerhöchſt Ihm verfaſſungsmäßig zuſtehenden Dislocationsrechte nur vorüber gehend und in außerordentlichen , durch militairische oder politische Intereſſen gebotenen Fällen Gebrauch machen, auch beim Eintritt solcher Fälle für ander weitige Aushülfe zum Behuf der Wahrnehmung des inneren Dienſtes thunlichſt Anordnung treffen wollen.

Hiernach bestehen nur mit den beiden Mecklen

burg und mit Braunschweig keine besonderen Verabredungen in Betreff des Dislocationsrechtes des Kaisers . Artikel 63 der Reichsverfassung bestimmt ferner in Alinea 2 : Die Regimenter 2c. führen fortlaufende Nummern durch das ganze Deutsche Heer. Für die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Königlich Preuß. Armee maßgebend. Dem betreffenden Contingents herrn bleibt es überlassen , die äußeren Abzeichen (Cocarden 2c.) zu be stimmen." Die erstere Verfaſſungs -Vorschrift ist vollständig durchgeführt. In Bezug auf die zweite sind jedoch theils durch die Conventionen, theils stillschweigend noch mannigfache Abweichungen nachgegeben.

So beſtimmt namentlich Art. 10

der durch die Verfassung sanctionirten Württembergischen Convention : „Die Gradabzeichen .... sind in dem Württembergischen Armee- Corps dieſelben wie in der Königlich Preußischen Armee. Die Beſtimmungen über die Beklei dung für das Königlich Württembergische Armee- Corps werden von Sr. Maje stät dem Könige von Württemberg gegeben , und es soll dabei den Verhält nissen der Bundesarmee die möglichste Rechnung getragen werden ." In der Hessischen Convention ist in Bezug auf die Bekleidung der Mannſchaft im Art. 3 bestimmt : „ In den Farben, Abzeichen und dem Schnitte der dermaligen Bekleidung treten diejenigen Aenderungen ein , welche durch Einführung der Preußischen Gradabzeichen nothwendig werden."

Und Art. 5 derselben Con

vention schreibt vor : „In der bisherigen Uniform und den Uniformsabzeichen der Offiziere 2c. des Contingents wird durch die Aufnahme in den Verband der Preußischen Armee, sofern nicht Se. Königl. Hoheit der Großherzog Annähe

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Militairische Jahresberichte für 1874.

rung an die Preußischen Muster verfügen, nichts geändert ; jedoch wollen Se. Königl. Hoheit der Großherzog die Uniform der Generale und Generalstabs offiziere derart bestimmen , daß solche den bezüglichen Preußischen Muſtern entsprechen." In den Mecklenburgischen Conventionen ist dem Landes herrn ausdrücklich das Recht gewahrt , die Uniformen für das Contingent innerhalb der durch Art. 63 der Verfassung gesteckten Grenzen und unter Be rücksichtigung der etatsmäßig zur Verfügung stehenden Mittel felbst zu be stimmen. Für Sachsen gilt in Bezug auf Uniformirung einfach Art. 63 der Reichsverfassung, da die Convention keine bezüglichen Feſtſeßungen enthält. Dem Braunschweigischen Contingent iſt die traditionelle ſchwarze Uniform, obgleich sie in Schnitt und Farbe sehr auffällig von der Preußischen abweicht, bisher belassen worden. Für alle übrigen Bundesstaaten ist die Preußische Uniformirung pure eingeführt und enthalten die bezüglichen Conventionen nur Vorbehalte in Bezug auf die äußeren Abzeichen, namentlich in Bezug auf den Helmschmuck, welcher an die Stelle des Preußischen Adlers zu treten hat, auf die Cocarden, sowie auf Schärpe und Portepee. Auch in der Hessischen Con vention sind hierüber detaillirte Vorschriften enthalten. Es würde uns zu weit führen, wollten wir hier eine Analyſe aller Con ventions -Bestimmungen über die äußeren Uniforms -Abzeichen geben, *) dagegen möchten wir hervorheben, wie richtig es nach den bisher gemachten Erfahrun gen gewesen ist, daß man Preußischerſeits , wie auch von Seiten des Reiches den mannigfachen Sonderneigungen in der Uniformirungsfrage nicht schroff entgegetreten ist.

An der Hand des Art. 63 der Reichsverfaſſung hätte ohne

Zweifel bereits eine größere Uebereinstimmung in der Uniformirung des Reichs heeres hergestellt werden können. Aber was dadurch auf einer Seite vielleicht gewonnen wäre, stände in gar keinem Verhältniß zu den nachtheiligen Folgen der Mißstimmung , welche ein solches Vorgehen auf anderen Seiten erzeugt haben würde.

Die Zeit wird auf diesem Gebiete wohl die wünschenswerthe

Ausgleichung schmerzlos vollziehen .

*) Diese Bestimmungen finden sich: in der Convention mit Hessen im Art. 3 und 5, Baden im Art. 3, Mecklenburg-Schwerin im Art. 10 der Conv. vom 24. Juli 1868 und Art. 9 der Conv. vom 19. Dec. 1872, Mecklenburg- Strelik im Art. 10 der Conv. vom 9. Nov. 1868 und Art. 9 der Conv. vom 23. Dec. 1872, Oldenburg im Art. 3, Anhalt im Art. 7 der Conv. vom 28. Juni 1867 und Art. 7 der Conv . vom 16. Sept. 1873, Schwarzburg- Sondershausen im Art. 6 der neuen Convention, den übrigen Thüringischen Staaten im Art. 7 der Conv. vom 26. Juni 1867 und Art. 7 der Conv . vom 15. Sept. 1873, Lippe-Detmold im Art. 6 der neuen Conv ., Schaumburg-Lippe im Art. 5 der neuen Conv ., Waldeck im Art. 1, Hamburg im Art. 2, Lübeck im Art. 2, Bremen im Art. 6.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

25

Im Anschluß an die Vorschrift des Art. 63 der Reichsverfaſſung , durch welche dem Kaiser der Befehl über das Reichsheer in Krieg und Frieden über tragen ist, bestimmt der Art. 64 ebend. weiter : „Alle Deutschen Truppen sind verpflichtet , den Befehlen des Kaisers un bedingte Folge zu leisten. Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid auf zunehmen. " Der Fahneneid selbst wird hiernach dem Landesherrn geleistet, unter Ein schaltung der Pflicht des Gehorsams gegen den Kaiser. Dieses Verhältniß ist, soweit es sich um den Fahneneid der Mannschaften handelt , nicht nur in allen Conventionen *) aufrecht erhalten , ſondern es ist auch anderweit die Anordnung getroffen , daß jeder Mann unter obiger Modalität dem Landes herrn desjenigen Staates , in welchem er die Staatsangehörigkeit besißt, den Fahneneid leistet, auch wenn er seiner Dienstpflicht in dem Contingente eines anderen Staates genügt. In Bezug auf die Ernennung der Offiziere und den von diesen zu leistenden Fahneneid schreibt zunächst Art. 64 der Reichsverfaſſung vor : „Der Höchst-Commandirende eines Contingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Contingents befehligen, und alle Festungs - Com mandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die von Demselben er nannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. Bei Generalen und den Generalstellungen versehenden Offizieren innerhalb des Contingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen." „ Der Kaiser ist berechtigt, behufs Versetzung mit oder ohne Beförde rung für die von Ihm im Reichsdienste, sei es im Preußischen Heere oder in anderen Contingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller ✡ Contingente des Reichsheeres zu wählen. " Und weiter lautet der Eingang zu Art. 66 der Reichsverfassung : „Wo nicht besondere Conventionen ein Anderes bestimmen , ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate, die Offiziere ihrer Contingente, mit der Einschränkung des Art. 64. " Diese Verfassungs- Bestimmungen haben durch die Conventionen vielfach wichtige Ergänzungen erfahren . Für Sachsen ernennt der Kaiſer den Höchſt Commandirenden des Armee-Corps auf Grund der Vorschläge des Königs von Sachsen. Die übrigen Generale, welche mit dem Einverständniß des Kaiſers zu dieser Charge befördert werden, haben vor Antritt ihres Dienstes als solche dem Kaiser einen schriftlichen Revers einzusenden, durch welchen sie an Eides statt, auf Ehre und Pflicht , versprechen , das ihnen anvertraute Commando (Amt) nur in Uebereinstimmung mit den Befehlen des Bundesfeldherrn hand

*) U. A. ist in den Art. 6 resp. 4 der mit Sachsen und Württemberg abgeschlossenen Militair Conventionen übereinstimmend folgende Form für den Fahneneid vereinbart: „Daß ich Sr. Majestät dem Könige während meiner Dienstzeit als Soldat treu dienen , dem Bundesfeldherrn und den Kriegsgesehen Gehorsam leisten und mich ſtets als tapferer und ehrliebender Soldat verhalten will. So wahr mir Gott helfe."

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Militairische Jahresberichte für 1874.

haben und verwalten zu wollen.

Ueber die Königlich Sächsischen Offiziere

vom Regiments - Commandeur aufwärts erhält der Kaiser alljährlich Perſonal und Qualifications = Berichte (Art. 7 der Convention) . Diese lettere Bestim mung gilt auch in Betreff aller Offiziere vom Stabsoffizier aufwärts beim Württembergischen Contingent.

Den Höchst-Commandirenden dieſes Con

tingents ernennt der König von Württemberg nach vorgängiger Zustimmung des Kaisers (Art. 5 der Convention) ; über die Ernennung der Commandanten für die in Württemberg gelegenen festen Pläße seßt sich der Kaiser vorher mit dem König von Württemberg in Vernehmen , ebenso wenn der Kaiser einen von Ihm zu ernennenden Offizier aus dem Württembergischen Armee - Corps wählen will (Art. 7 ebend.).

Für Braunschweig gelten in Bezug auf Er

nennung 2c. der Offiziere zur Zeit noch lediglich die bezüglichen Verfassungs Bestimmungen , und haben in Folge dessen die Braunschweigischen Offiziere Aussicht auf Avancement nur in den engen Grenzen ihres Contingents, d . h. bei der Infanterie und Cavallerie bis zum Regiments - Commandeur , bei der Artillerie bis zum Batterie- Chef, - ein Verhältniß, welches auf die Dauer, zu mal den Braunschweigischen Unterthanen der Eintritt in die Preußische 2c. Armee völlig frei steht, offenbar unhaltbar ist, und deſſen baldige Beseitigung im Interesse der Braunschweigiſchen Offiziere , wie im Interesse der Schlag fertigkeit des Contingents dringend gewünscht werden muß. - Abgesehen von dem Sächsischen, Württembergischen und Braunschweigiſchen Contingent werden ―― alle übrigen Offiziere ebenso die im Offizierrange stehenden Aerzte und Militair - Beamten , sowie die Portepee - Fähnriche - von Sr. Majestät dem Kaiser und König von Preußen ernannt und leiſten Dieſem den Fahnen eid , bei den Contingenten von Baden , Hessen , Oldenburg , Mecklenburg, den Thüringischen Staaten und Anhalt unter gleichzeitigem Handgelöbniß oder Revers : das Wohl und Beſte des betreffenden Landesherrn zu fördern, Schaden und Nachtheil von demselben und seinem Hauſe und Lande abzuwenden. Die im Hessischen und Mecklenburgischen Contingent dienenden Offiziere führen für die Dauer dieses Verhältnisses , obgleich sie dem Verbande der Königlich Preußischen Armee angehören, das Prädicat „ Großherzoglich" und empfangen neben dem Königlichen Patente noch ein solches von dem Großherzoge. Die Landesfürſten können überall Offiziere à la suite nach eigener Wahl er nennen , dieselben erhalten jedoch keine Besoldung aus Reichsfonds und sind den allgemeinen militairiſchen Juſtiz- und Disciplinar- 2c. Bestimmungen unter worfen . Ueber Auswahl und Ernennung der persönlichen Adjutanten für die Fürsten und Prinzen der Deutschen Häuser enthalten die Conventionen sehr mannigfaltige Bestimmungen. Unbeschränkt .― selbstverständlich in Gren zen des Etats - ist in dieser Hinsicht, außer den Königen von Sachsen und Württemberg, sowie dem Herzog von Braunschweig, nur der Großherzog von Hessen. Die weitere Durchführung und Erhaltung der Einheit des Heerweſens

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

27

im Deutschen Reiche ist durch folgende wichtigen Bestimmungen der Reichs verfassung gesichert :

1. " Nach Publication dieser Verfassung ist in dem ganzen Reiche die gesammte Preußische Militairgesetzgebung ungesäumt ein zuführen , sowohl die Geſetze ſelbst, als die zu ihrer Ausführung, Erläu terung oder Ergänzung erlaſſenen Reglements, Instructionen und Rescripte, namentlich also das Militair - Strafgesetzbuch vom 3. April 1845 , die Militairſtrafgerichtsordnung vom 3. April 1845, die Verordnung über die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 , die Bestimmungen über Aushebung, Dienstzeit , Servis- und Verpflegungswesen , Einquartierung , Ersatz von Flurbeschädigungen, Mobilmachung u. s. w. für Krieg und Frieden. Die Militair - Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen . " (Art. 61. ) 2. Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden sind und daß Einheit in der Organi sation und Formation , in Bewaffnung und Commando , in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der Qualification der Offiziere hergestellt und erhalten wird. Zu diesem Behufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspectionen von der Verfassung der ein zelnen Contingente zu überzeugen und die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen. " (Art. 63, Alinea 3.) 3. "Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Admini stration , Verpflegung , Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppen theile des Deutschen Heeres sind die bezüglichen künftig ergehenden An ordnungen für die Preußische Armee den Commandeuren der übrigen Contingente durch den Art. 8, Nr. 1 bezeichneten Ausschuß für das Land heer und die Festungen zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzutheilen. " (Art. 63, Alinea 5.) Der vorstehend unter 1

aufgeführten Verfaſſungsbestimmung

gemäß,

welche schon gleichlautend in der Verfassung des ehemaligen Norddeutſchen Bundes enthalten war , ist in den zu lezterem gehörigen Staaten , sowie im ganzen Großherzogthum Hessen auf Grund der (älteren) Militair - Convention vom 7. April 1867, die gesammte Preußische Militairgeſeßgebung mit den zugehörigen Vollzugs-Instructionen, Reglements 2c. bereits im Jahre 1867 in Kraft gesezt worden.

Das formelle Verfahren hierbei war in sofern nicht

ganz übereinstimmend, als Sachſen feiner Verpflichtung in der Weise genügte, daß dort für einzelne Materien Seitens des Landesherrn besondere, den Preußischen Vorschriften entsprechende, aber in formeller Hinsicht den speciellen Sächsischen Verhältnissen angepaßte Verordnungen erlassen wurden ; so nament lich auf dem Gebiete des Militair - Justizwesens 2c. Abgesehen aber hiervon, traten überall die Preußischen Geseze 2c. im Norddeutschen Bunde mit un verändertem Wortlaute und Datum in Kraft. Ein Theil der älteren Preußi ſchen Geſeße 2c. wurde inzwischen in den Jahren 1867 bis 1870 durch Bundes geſeße und zu dieſen erlassene Vollzugs -Verordnungen erfeßt, welche dann bei Errichtung des Deutschen Reiches in den Süddeutschen Staaten auf Grund

28

Militairische Jahresberichte für 1874.

vertragsmäßiger Festsetzungen, *) ebenso in Kraft traten , wie auf Grund des Art. 61 der Verfaſſung die noch geltenden Preußischen Geſeße, Reglements 2c. Eine partielle Ausnahme ist nur für Württemberg zugelassen , indem das 2. Alinea des § 10 der mit dieſem Bundesstaate abgeschlossenen Militair Convention lautet: Ausgenommen sind von der Gemeinsamkeit in den Ein richtungen des Königl. Württembergischen Armee - Corps mit denjenigen der Königl. Preuß. Armee : die Militair-Kirchenordnung, das Militair- Strafgeſeß buch und die Militair- Strafgerichtsordnung, sowie die Bestimmungen über Ein quartierung und Erſaß von Flurbeſchädigungen , worüber in dem Königreich Württemberg die derzeit bestehenden Geseße und Einrichtungen vorerst und bis zur Regelung im Wege der Bundesgesetzgebung in Geltung verbleiben. "

In

Elsaß-Lothringen ſind die militairiſchen Geſeße des vormaligen Norddeut) chen Bundes durch specielle Reichsgeseße in Kraft gesezt worden, während die Ein führung der Preußischen Geseze 2c. auf Grund des Art. 61 der Reichs verfassung auch dort ſelbſtverſtändlich im Verordnungswege erfolgt iſt. Die unter 2 und 3 oben angeführten Bestimmungen des Art. 63

der

Reichsverfassung sind zur Zeit nur noch für das Verhältniß Sachſens und Württembergs, sowie - in beschränkter Weise - Braunschweigs, zum Reiche von practischer Bedeutung .

Rücksichtlich der übrigen Bundesstaaten ist der

Zweck jener Bestimmungen in vollkommener Weise durch Verschmelzung der Contingente derselben mit der Preußischen Armee und durch die Ausdehnung der Preußischen Militair-Verwaltung über jene erreicht worden.

Dies gilt im

Allgemeinen auch von Braunschweig ; da jedoch der Herzog von Braunschweig in Bezug auf die Ergänzung 2c. der Offiziere seines Contingents sich die landeshoheitlichen Rechte noch vorbehalten hat , so regelt sich das Verhältniß des Reichs zu Braunschweig in dieser Hinsicht nach Art. 63 der Verfaſſung d . h. der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu tragen, daß bei den Braunschweigischen Truppen die Offizier- Corps vollzählig und kriegs tüchtig vorhanden sind und in Bezug auf Qualification den allgemeinen An forderungen genügen. Das verfassungsmäßige Inſpicirungsrecht des Kaiſers ist in Bezug auf Sachsen und Württemberg durch Art. 4, bez. 9 der mit dieſen Staaten ab geschlossenen Militair - Conventionen dahin noch näher präcisirt worden , daß der Kaiser die Truppen dieser Staaten „ alljährlich mindestens einmal ent weder Allerhöchstſelbſt inſpiciren oder durch zu ernennende Inspecteure , deren Personen vorher Sr. Majestät dem Könige von Sachsen (Württemberg) be= zeichnet werden sollen , in den Garniſonen oder bei den Uebungen inſpiciren laffen wird.

Die in Folge solcher Inspicirungen bemerkten sachlichen und

*) Art. 10 der Militair- Convention mit Württemberg und Art. 80 der zwischen dem Norddeutschen Bunde einerseits, Baden und Hessen andererseits unter dem 15. Nov. 1870 vereinbarten Bundes- Verfaſſung (B.G. BI. S. 627) . Vergl. auch § 3 des Einführungs Gesezes zur Reichsverfassung vom 16. April 1871 .

29

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

persönlichen Mißſtände wird der Bundesfeldherr dem Könige von Sachsen (Württemberg) mittheilen , welcher seinerseits dieselben abstellen und von dem Geschehenen alsdann dem Bundesfeldherrn Anzeige machen läßt. " Als wesentlicher Mittel zur Beförderung der Gleichmäßigkeit innerhalb des Reichsheeres , speciell innerhalb des Offizier-Corps desselben , müſſen wir an dieser Stelle der in den Art. 3, bez . 12 der Militair - Conventionen mit Sachsen und Württemberg enthaltenen Bestimmungen erwähnen, durch welche als gemeinschaftliche Einrichtungen des Gesammtheeres anerkannt worden sind : die Militair-Bildungs -Anstalten,* ) einschließlich der Kriegsschulen, die Examina tions - Commiſſionen , die militair - wiſſenſchaftlichen und technischen Inſtitute, das Lehrbataillon, die Militair- und Artillerie- Schießschule, die Militair-Reit schule, die Central-Turnanſtalt und der große Generalstab.

Die gleiche Ten

denz, wie diese Bestimmungen, verfolgen die in den Art. 4, bez. 8 der Säch fischen und der Württembergischen Convention getroffenen Vereinbarungen, wo nach zur Beförderung der Gleichmäßigkeit in der Ausbildung und im innern Dienste der Truppen einige Sächsische und Württembergische Offiziere auf ein bis zwei Jahre in die Preußische Armee und dagegen einige Preußische Offi ziere in das Sächsische und Württembergische Armeecorps zur Dienstleistung commandirt werden sollen.

Im Art. 8 der Württembergischen Convention

ist überdies ausgesprochen , daß hinsichtlich etwa wünschenswerther Verſeßung einzelner Offiziere aus Königlich Württembergischen Dienſten in die Königlich Preußische Armee und umgekehrt in jedem Specialfalle beſondere Verabredungen stattfinden sollen. Die hier ins Auge gefaßten Fälle sind bekanntlich bereits vielfach eingetreten. Wer die Preußische Armee genauer kennt, weiß, in wie hohem Maße das innere Wesen und Getriebe derselben durch die Ueberlieferung bestimmt wird . Wir wollen hier nur anführen , daß z . B. die Preußische Armee , wohl ab weichend von allen anderen größeren Armeen, kein allgemeines Reglement für den inneren Dienst bei den Truppen , keinerlei Reglements für den General ſtabs- und Adjutanturdienst, keine Avancements -Vorschriften , nur allgemeine Grundsäge für den Dienst im Felde u . s. w. kennt. Und doch herrscht in der Armee, wie in allen, so auch in diesen Beziehungen Sicherheit und über einstimmendes Princip, lediglich erzielt durch die historische Entwickelung, durch den Einfluß der Vorgeseßten und durch Ideenaustausch. Es ist dies eine charakteristische Eigenthümlichkeit, deren Bedeutung gar nicht hoch genug ver anschlagt werden kann ; die Armee ist dadurch den Gefahren eines starren Schematismus entzogen , den Individualitäten bleibt der erforderliche Spiel raum, sich geltend zu machen, die Selbſtſtändigkeit des Denkens und Handelns wird gefördert, der Geist bildet sich seine Formen innerhalb gewisser Grenzen *) Für Sachsen nur die „höheren“ Militair-Bildungs-Anstalten. In der Württem bergischen Convention sind auch die militair - ärztlichen Bildungs - Anstalten ausdrücklich erwähnt.

30

Militairiſche Jahresberichte für 1874.

selbst und diese schmiegen sich veränderten Anforderungen der Kriegführung leicht an . Es versteht sich hierbei von selbst , daß die Grenzen , innerhalb welcher der freien Entwickelung Spielraum gelassen wird , mit großem Vor bedacht gezogen sind , wie andererseits auch eine hervorragende Strenge und Straffheit in der Ausführung und Ueberwachung der vorhandenen reglemen tarischen Vorschriften unbedingtes Erforderniß des Syſtems ist. Aus dem Gesagten geht aber zur Genüge hervor, daß die durch Art. 61 der Reichsverfassung vorgesehene Uebertragung der gesammten Preußischen Militairgesetzgebung nebst den dazu gehörigen Vollzugs - Instructionen und Reglements auf die übrigen Deutschen Staaten nicht genügen konnte, um, dem inneren Wesen nach, Einheitlichkeit in das Reichsheer zu bringen. Es bedarf hierzu vielmehr einer ununterbrochenen persönlichen Uebertragung und Ausgleichung der Ideen , unmittelbarer und lebhafter Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Gliedern und besonders zwischen den Offizier- Corps der verschiedenen Contingente , wie sie in Bezug auf Sachsen und Württem berg durch die vorgedachten Conventionsbeſtimmungen angebahnt sind. Hoffen wir, daß die Ueberzeugung von der Wichtigkeit dieser Beziehungen sich immer mehr Bahn bricht,

und

daß die

politischen Voreingenommenheiten mehr

und mehr schwinden mögen , welche vielleicht noch hier und da hemmend im Wege stehen ! Großen Erfolg in dieser Richtung versprechen wir uns auch von den intimen Beziehungen, in welchen Truppentheile aller Contingente fich dauernd in Elsaß -Lothringen befinden ; sie werden nicht verfehlen, ihre Rück wirkung , wenn auch nur allmählich , auf das gesammte Reichsheer auszu üben. Wir haben nun noch mit einem Worte der oben unter 3. erwähnten vermittelnden Aufgabe zu gedenken , welche der Art. 63 der Reichsverfaſſung dem Bundesraths -Ausschuß für das Landheer und die Festungen zugewieſen hat, wonach durch denselben die für das Preußische Heer ergehenden Anord nungen, behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit im Reichsheere , den Commandeuren der übrigen Contingente zur Nachachtung mitgetheilt werden sollen. Diese Bestimmung ist niemals praktisch geworden , denn auf diejeni gen Contingente , welche in die Preußische Armee aufgenommen worden sind, findet sie selbstredend keine Anwendung , und für die Beziehungen zwischen Preußen , Bayern , Sachsen und Württemberg ist an Stelle der weitläufigen Vermittelung des genannten Ausschusses der directe Geschäftsverkehr der Kriegs Ministerien dieser Staaten getreten , ―――― für Württemberg durch ausdrückliche Conventionsbestimmung (Art. 15), für Bayern und Sachsen, wie wir hören, durch stillschweigendes Uebereinkommen. Uebrigens muß hervorgehoben werden, daß an Stelle des im Art. 63 der

Reichsverfassung noch als Norm betrachteten mittelbaren Weges zur Er zielung der nothwendigen Uebereinstimmung in den organiſatoriſchen , Dienſt und Verwaltungs- Vorschriften in vielfachen Beziehungen inzwischen der un

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung. mittelbare Weg einheitlicher Verordnungen für das Reichsheer

31 getreten ist .

Denn die Ausführungs - Verordnungen zu den militairischen Reichsgesehen, welche bereits zahlreich ergangen sind , werden selbstverständlich einheitlich für das Reich, und zwar , wie erwähnt , in der Regel von Sr. Majestät dem Kaiſer erlassen ; überdies erläßt Allerhöchstderselbe u. A. auf Grund der §§ 6 und 8 des Reichs - Militairgefeßes vom 2. Mai 1874 unmittelbar für das Reichsheer die Mobilmachungs - Bestimmungen, sowie die Vorschriften über die Handhabung der Disciplin im Heere. Ueber die Bestreitung des Aufwandes für das Heerwesen ent hält die Reichsverfassung folgende Bestimmungen : Art. 62. " Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte Deutsche Heer und die zu demselben gehörigen Einrichtungen sind bis zum 31. De cember 1871 dem Kaiser jährlich sovielmal 225 Thaler, in Worten zwei hundert fünf und zwanzig Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstärke des Heeres beträgt, zur Verfügung zu stellen. Vgl. Abschnitt XII. „ Nach dem 31. December 1871 müſſen diese Beiträge von den ein zelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Be rechnung derselben wird die im Art. 60 interimistisch festgesetzte Friedens Präſenzſtärke *) so lange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz ab= geändert ist. "Die Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt. „Bei der Feststellung der Militair-Ausgabe- Etats wird die auf Grund lage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt. " Art. 67. "! Ersparnisse an dem Militair - Etat fallen unter keinen

Umständen einer einzelnen Regierung , sondern jederzeit der Reichs kaſſe zu . " **) Art. 69.***) Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts - Etat gebracht werden. Letterer wird vor Beginn des Etatsjahres nach folgenden Grundsäßen durch ein Gesetz festgestellt. " Art. 70. 3ur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen. zunächst die etwaigen Ueberschüsse der Vorjahre, sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Poſt- und Tele graphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Inſoweit dieſelben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden , sind sie , so lange Reichs steuern nicht eingeführt sind , durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen , welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. "

*) 1 Procent der Bevölkerung vom Jahre 1867. **) Von dieser Bestimmung ist , außer Bayern , von welchem später die Rede sein wird, nur Württemberg ausgenommen. Vgl. Art. 12 der Convention. Ob aber die Auf rechterhaltung dieser Bestimmung nach dem Aufhören des Pauschquantums im Intereſſe Württembergs liegen würde, erscheint uns sehr zweifelhaft. ***) Die Artikel 69 bis 73 nebst einer Schlußbestimmung, betreffend die Ausgaben für das Bayerische Heer ― s. weiter unten —,- bilden in der Reichsverfassung den XII. Ab schnitt Reichsfinanzen".

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Militairische Jahresberichte für 1874. Art. 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine län gere Dauer bewilligt werden. Während der im Art. 60 normirten Uebergangszeit ist der nach Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrathe und dem Reichstage nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vorzulegen." Art. 72. " Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Ent lastung jährlich Rechnung zu legen. " Art. 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Ueber nahme einer Garantie zu Laſten des Reichs erfolgen. " Hiernach war also dem Kaiser bis zum Schluß des Jahres 1871 ein

firirtes Pauſchquantum bewilligt , aus welchem die Kosten für den Unterhalt des Heeres und aller für die Landesvertheidigung erforderlichen Einrichtungen bestritten werden sollten. In den Grenzen dieses Pauschquantums entwarf die Militairverwaltung ihren Etat selbstständig und unabhängig

von der

Reichsvertretung. Die gleiche Einrichtung hatte bereits innerhalb des Nord deutschen Bundes von 1867 bis 1870 bestanden, und es liegt auf der Hand, daß die dadurch der Militairverwaltung gewährleistete Bewegungsfreiheit der Durchführung der durch die politischen Veränderungen und durch die geſam melten Kriegserfahrungen bedingten Neugestaltung des Heerwesens nur im hohen Maße förderlich sein konnte. Die Rücksicht auf die fortdauernden außer ordentlichen Verhältniſſe führte dazu , durch Reichsgesetz vom 9. December 1871 die Periode des Pauschquantums bis zum Ablauf des Jahres 1874 zu ver längern, und zwar unter Festhaltung der auf 1 % der Bevölkerung von 1867, d. h. auf 401,659 Mann, feſtgeſeßten Normal -Friedensstärke des Heeres, ſowie des Sahes von 225 Thlrn . pro Kopf dieser Friedensſtärke. Diese gefeßliche Vereinbarung hat freilich in Folge der in den Jahren 1872 und 73 eingetretenen ungewöhnlichen Preissteigerungen nicht ohne Be einträchtigung wichtiger militairischer Interessen durchgeführt werden können. Die großen Mehrkosten , welche in allen Zweigen der Verwaltung durch das fortgesette Steigen der Preise für Naturalien, Material und Arbeitslöhne er wuchsen, mußten durch mancherlei unerwünschte Maßregeln, insbesondere durch Ersparnisse an dem Mannschaftsstande gedeckt werden. Man war genöthigt, beträchtliche Manquements an den Etatsstärken einzelner Truppentheile offen zu lassen und die Termine für die jährliche Einstellung der Rekruten weit hinauszuschieben, so daß nach einer dem Reichstage vorgelegten Ueberſicht die durchschnittliche Effectivſtärke des Heeres im Jahre 1872 bis auf 359,173, 1873 auf 357,046 Mann herabsank. Da die Zahl der alljährlich in das Heer einzustellenden Rekruten aus Rücksicht auf die nothwendige Kriegsstärke desselben nicht vermindert werden durfte, so hatte das Zurückgehen der durch schnittlichen Friedensſtärke eine sehr erhebliche Verkürzung der Präsenzzeit der |

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. Mannschaften zur Folge. empfindlich fühlbar ;

Dies

33

machte sich namentlich bei der Infanterie

ein sehr großer Theil der Mannschaften mußte nach

kürzerer als zweijähriger Dienſtzeit beurlaubt werden, und der dritte Jahrgang wurde unverhältnißmäßig schwach, ſo daß die militairische Ausbildung der Mannschaften unter der Verkürzung der Dienstzeit nicht nur unmittelbar, sondern auch noch mittelbar litt , indem diese zugleich die Solidität der Rah men beeinträchtigte, in welchen die jüngere Mannſchaft ihre Erziehung erhalten follte. Die Verminderung der inneren Solidität der Cadres barg überdies auch insofern weitere Gefahren, als dieſelben bei der Deutschen Heeresorgani ſation dazu bestimmt sind , bei eintretender Mobilmachung einen festen Kern für den im Verhältniß zu ihrer Stärke sehr zahlreichen Beurlaubtenſtand zu bilden.

Die Verkürzung der Dienstzeit mußte daher in ihren Folgen, nament

lich auf die Dauer , um so bedenklicher erscheinen, als die Anforderungen an die Ausbildung der Mannschaften auf Grund der neuesten Kriegserfahrungen fich erheblich gesteigert haben, und als jeßt nicht mehr darauf gerechnet werden kann, wie früher, in der Zeit vom Beginn der Mobilmachung bis zum Aus bruch der Feindseligkeiten noch Mängel der Friedensausbildung nachzuholen oder loſe zusammengefügte Truppenkörper fester zusammenzuſchweißen . Unter diesen Umständen ist es als ein Glück für die Armee zu bezeichnen, daß die Periode des knapp bemessenen Pauschquantums mit dem Jahre 1874 ihr Ende erreichte.

Sehr schwierig war freilich die Frage, was an die Stelle

desselben treten sollte. Nach den Art. 69 bis 72 der Reichsverfassung mußte vom Jahre 1875 ab der Militair - Etat alljährlich mit den gejeßgebenden Factoren, d. h. mit dem Bundesrathe und dem Reichstage vereinbart werden. Sollte hierbei alljährlich, wie zur Zeit des Preußischen Militair - Conflictes , die beſtehende Organiſation in Frage gestellt werden können ?

Die Garantien,

welche hiergegen die Bestimmungen des Art. 62 der Reichsverfassung boten, waren gering : denn welches war die auf Grundlage dieser Verfassung ge seßlich feststehende Organisation des Reichsheeres," welche bei Feststellung des Militair-Ausgabe-Etats zu Grunde gelegt werden sollte ? Die Ansichten hier über gingen, je nach den Parteistandpunkten , weit auseinander. Den aus solchen Zweifeln drohenden Gefahren , welche für einen Bundesstaat offenbar größer waren , als sie sich schon für den einheitlichen, straff organisirten Preußischen Staat in der ersten Hälfte der sechsziger Jahre erwiesen hatten, konnte nur auf Einem Wege vorgebeugt werden : es mußte die Frage, was unter der „ geſeßlich feststehenden Organiſation des Reichsheeres " zu verstehen sei , im Wege der Gesetzgebung entschieden und damit eine feste Grundlage für die jährlichen Etatsberathungen gewonnen werden.

Eine solche Grund

lage erscheint um so nothwendiger da , wo die Wehrverfassung dem Lande außer den unvermeidlichen financiellen auch noch große persönliche Opfer auf erlegt, wie dies durch die allgemeine Wehrpflicht geschieht ; denn es iſt menſch lich, daß dort das Streben , diese Opfer auf ein geringeres Maß herabzu 3 Militairische Jahresberichte 1874.

34

Militairische Jahresberichte für 1874.

drücken, namentlich in längeren Friedensperioden, lebhaft hervortritt und das Urtheil über die Erfordernisse für die Sicherheit des Landes leicht verdunkelt. Die Empfänglichkeit für die auf Verminderung der Militairlast gerichteten Wünsche und Versprechungen pflegt im Allgemeinen größer und weiter ver breitet zu sein, als das Verſtändniß für die militairiſchen Bedürfniſſe und für die Gefahren, welche eine unzureichende Befriedigung derselben birgt. Wenn daher die Frage der Friedensstärke und Formation des Heeres derart offen ist, daß dieselbe alljährlich bei den Etatsberathungen unbeschränkt zur Discussion steht , und wenn in Folge dessen von Jahr zu Jahr die Möglich keit sich bietet, durch Druck auf die Regierung bei den Etatsverhandlungen eine erhebliche Verminderung der militairiſchen Laſten zu erzielen , die Regie rung durch Abstriche dahin zu drängen , daß sie schließlich entweder die Zahl der Cadres verringert oder zu umfangreichen Beurlaubungen , welche die Verkürzung der Dienstzeit zur Folge haben , ihre Zuflucht nimmt, - dann liegt die Gefahr nahe, daß die jährlichen Berathungen des Militair-Etats und dadurch die gesammten Heereseinrichtungen der Haupttummelplaß für die Par teien im Parlament werden. Es bedarf deshalb einer feſten , dauernden Grundlage für die jährlichen Verhandlungen über das Militair-Budget des Reiches, und eine solche zu ge winnen, war der hauptsächlichste Zweck des Reichs -Militairgesezes, dessen Ent wurf bereits im Frühjahr 1873 dem Reichstage vorgelegt wurde, welches aber erst im Frühjahr des Jahres 1874, unter ernſten politischen Kämpfen , zum Abschluß kam.

Wir haben uns mit dem Inhalte dieses Gesezes hier nur insoweit zu beschäftigen, als daſſelbe für die Aufstellung des Militair-Etats maßgebend iſt. Dies ist aber der Fall, indem das Geset 1. die Zahl der Bataillone , Escadrons und Batterien , welche im Frieden zu unterhalten sind, beſtimmt feſtſtellt, sowie die allgemeinen Grundſäße angiebt, nach welchen dieſe taktiſchen Einheiten in Regimenter, Brigaden, Divisionen und Armeecorps formirt und welche Offizier 2c. Stellen bei den Truppen und Commando -Behörden etatsmäßig sein sollen ; 2. die Friedens - Präsenzstärke des Heeres an Unteroffizieren und Mann schaften, für deren Unterhaltung die Mittel durch den Etat bewilligt werden müssen, für die nächsten sieben Jahre normirt. Die zu 1. erwähnten Bestimmungen haben dauernde Gültigkeit , d. h. sie können weder durch die Regierung, noch durch die Reichsvertretung einseitig geändert werden, sondern es bedarf hierzu der durch ein Geseß in jedem ein zelnen Falle zum Ausdruck zu bringenden Uebereinstimmung beider Factoren . Hierdurch hat sich der Kaiser in dem Allerhöchstdemselben nach Art. 63 der Reichsverfassung zustehenden Rechte, die Gliederung und Eintheilung der Con tingente des Reichsheeres zu bestimmen , beschränkt , was vom politiſchen und

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung. 35 militairischen Standpunkte aus gewiß nur als unerwünscht bezeichnet werden kann. Indessen trat diese Beschränkung nach Ablauf der Pauſchquantums Periode, auch ohne das Reichs - Militairgeſeß , thatsächlich schon insofern ein, als Aenderungen in der Organiſation der Cadres 2c. in dem mit der Reichs vertretung zu vereinbarenden Budget vorgesehen werden mußten, so daß jenes Recht des Kaisers nur in einem Conflicte mit der Reichsvertretung einseitig hätte zur Geltung kommen können. Immerhin war dasselbe nicht bedeutungs los , und seine ausdrückliche Beschränkung würde gewiß nicht zugelassen sein, wenn diesem Opfer nicht der größere Gewinn gegenüber gestanden hätte , daß nunmehr auch der Reichsvertretung die Möglichkeit genommen ist, die Recht mäßigkeit der beſtehenden Organiſation bei den jährlichen Etatsberathungen in Frage zu stellen. Hierbei ist zu bemerken, daß in Bezug auf die mannig fachen besonderen Formationen des Heeres, wie die Eisenbahntruppen, die ver ſchiedenen Lehrinſtitute u . s. w. , geſeßliche Bestimmungen nicht getroffen worden find, weil die Bedürfnisse des Heeres in dieser Hinsicht naturgemäß einem größeren Wechsel unterliegen. Bezüglich dieser besonderen Formationen be ſtehen daher auch künftighin nur diejenigen Beschränkungen , welche sich aus dem Etatsrecht und aus der geſeßlichen Feststellung der Gesammtstärke des Heeres ergeben. Den Brennpunkt in den Verhandlungen über das Reichs- Militairgeſet Reich stage bildete bekanntlich der § 1, welcher über die Friedens - Präsenz im ftärke des Heeres Bestimmung trifft . Nach der Regierungsvorlage sollte auch die Friedens- Präsenzſtärke derart dauernd festgestellt werden, daß eine Aende rung derselben von der übereinstimmenden Entschließung der Regierung und der Reichsvertretung abhängig bliebe. Nach langen und schweren Verhand lungen, in welche die Bevölkerung aller Gegenden des Reiches durch eine Fluth von freiwilligen Kundgebungen zu Gunsten der Regierungsforde rung eintrat , kam ein Compromiß zu Stande , nach welchem die Friedens Präsenzſtärke in der von der Regierung geforderten Höhe vorläufig auf die Dauer von sieben Jahren gefeßlich festgestellt wurde. Gegenüber dieser That sache beschränken wir uns auf den Ausdruck der Hoffnung , daß die Voraus ficht Derer in Erfüllung gehen möge , welche annehmen, daß die Erfahrungen der nächsten sieben Jahre dahin führen werden , das Widerstreben gegen die dauernde gefeßliche Feststellung der Friedensstärke des Heeres zu brechen ! Zunächst hat das Reichs- Militairgeſetz seine Probe bei den Verhandlungen über den Militair- Etat für 1875 im Herbst des Jahres 1874 vollkommen be ſtanden. Man hatte diesen Verhandlungen früher und ehe ein fester Boden für dieselben gewonnen war, wohl allerseits nicht ohne bange Sorge entgegen= gefehen. Die Erinnerungen an den Preußischen Militairconflict lasteten noch auf den Gemüthern, und da ſeit Beendigung deſſelben die Militairverwaltung im Norddeutschen Bunde und dann im Deutschen Reiche mit den Mitteln des Pauſchquantums frei und ohne Theilnahme der Reichsvertretung gewirthschaftet 3*

36

Militairische Jahresberichte für 1874.

hatte, so fürchtete man nicht mit Unrecht , daß die Verſtändigung über den erſten regelmäßigen Etat auf große Schwierigkeiten stoßen würde. Die Be rathungen dieses Etats find jedoch auf der Grundlage des Reichs - Militair gesetes mit großer Ruhe verlaufen, und das Ergebniß derselben ist ein in jeder Hinsicht sehr befriedigendes.

Es wird Aufgabe des nächsten Jahres

berichtes sein , auf die Einzelnheiten des Etats für 1875 und die Wirkungen desselben näher einzugehen. Für jeßt wollen wir uns mit dem Hinweis darauf begnügen, daß es gelungen ist , durch den Etat für 1875 die großen Unzu träglichkeiten zu beseitigen , welche in den lezten Jahren aus dem knapp be messenen Pauschquantum entſprangen, und die wir oben gekennzeichnet haben . Hierbei können wir uns nicht verhehlen, daß dieses Ziel ohne den Conpromiß über den § 1 des Reichs - Militairgesezes schwerlich schon in diesem Jahre in gleichem Maße erreicht worden sein würde. Hätte die Regierung auf dauernde Feststellung der Friedens - Präsenzſtärke bestanden und ihren Willen , wie wir auch heute noch in diesem Falle für wahrscheinlich halten, durchgefeßt, so hätte sich möglicherweise der Kampf in den Etatsberathungen mit gleicher Lebhaftig keit in der Art fortgeseßt , daß die Reichsvertretung innerhalb des ihr durch das Reichs-Militairgeſeß immerhin noch gelassenen Spielraums den financiellen Forderungen der Militairverwaltung gegenüber eine abwehrende Haltung beobachtet hätte. Erst nach mehrjährigem Ringen würde dann ein normales Verhältniß eingetreten sein. Aber freilich, ob das Vermeiden dieſer Kämpfe ein Gewinn war , darüber werden wir erst nach sieben Jahren endgültig ur theilen können. Trog der erheblichsten Einschränkungen würde übrigens die Militairver waltung nicht im Stande gewesen sein, mit den Mitteln des Pauſchquantums in den vergangenen Jahren ihre Aufgaben zu erfüllen , wenn ihr nicht neben denselben Credite in sehr beträchtlicher Höhe zur Verfügung gestanden hätten. Es ist zunächst selbstverständlich, daß die unmittelbaren und mittelbaren Kosten des Krieges gegen Frankreich nicht dem Pauſchquantum zur Laſt gefallen find . Dieselben haben vielmehr in der von Frankreich gezahlten Kriegskosten - Ent schädigung ihre Deckung gefunden, und ist hierbei der Begriff der mittelbaren Kriegskosten in freigiebiger Weise weit gefaßt worden.

So ist u . A. von der

genannten Kriegskosten - Entschädigung durch Reichsgesetz vom 23. Mai 1873 ein Capital von 187 Millionen Thalern zur Gründung eines Reichs -Invaliden fonds verwandt worden , aus welchem die Pensionen für die Invaliden des Krieges von 1870/71 und für die Hinterbliebenen der in diesem Kriege Ge fallenen zu bestreiten sind, wobei auf eine allmähliche Aufzehrung des Capitals gerechnet ist. Ferner sind aus der Französischen Kriegskosten - Entschädigung der Militairverwaltung folgende extraordinaire Credite eröffnet worden: a) durch Reichsgesetz vom 8. Juli 1872 : Zur Wiederherstellung , Vervoll ständigung und Ausrüstung der in Elsaß-Lothringen gelegenen Festungen, sowie zur Einrichtung der erforderlichen Casernen , Lazarethe und Ma

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

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gazin-Anstalten in den offenen Garniſonen von Elſaß Lothringen . Zur Erweiterung und Herrichtung eines Schieß plages für die Artillerie-Prüfungscommiſſion .. b) durch Reichsgesetz vom 30. Mai 1873 : Zur Um gestaltung und Ausrüstung der Deutschen Festungen c) durch Reichsgeseß vom 12. Juni 1873 : Zur Er wetterung der Dienstgebäude des Kriegsministeriums und Generalstabes in Berlin , sowie der Militair Erziehungs- und Bildungs-Anstalten . . d) durch Reichsgeſetz vom 2. Juli 1873 : Zur Er gänzung der Magazin- , Garniſon- und Lazareth Einrichtungen, sowie zur Vervollständigung der artilleristisch- technischen Anstalten für die Militair verwaltung des vormaligen Norddeutschen Bundes .

40,250,950 Thlr.

1,375,000

"

72,000,000

2,619,000

"

13,241,000

"

106,846,810

"

235,000

"

Zur Wiederherstellung der Kriegsbereitschaft des Heeres , sowie zur Erhöhung der Schlagfertigkeit desselben, aus dem dem ehemaligen Norddeutschen Bunde, Baden und Südhessen zufallenden Antheile an der Französischen Kriegskosten-Entſchädigung • (Darunter zur Beschaffung neuer Gewehre und der zugehörigen Munition ca. 44 Millionen , für neue Geschüße und Artillerie-Munition ca. 21 Mill.

Thaler. ) e) durch Reichsgesetz vom 8. Juli 1873 : Für das Retablissement des Kartenbestandes der Armee . Zur vollständigen Einrichtung der Artillerie-Werk statt in Straßburg . · Summa

300,000 "I 236,867,760 Thlr.

Soweit die Süddeutschen Staaten von den unter c. bis e . aufgeführten Ausgaben unberührt geblieben sind , haben dieselben entsprechende Summen für die gleichen Zwecke aus den auf sie entfallenen Antheilen der Kriegskosten Entschädigung ihren Militairverwaltungen durch Landesgefeße zur Verfügung gestellt, weil die bezüglichen Ausgaben durch die Ereigniſſe vor Errichtung des Deutschen Reichs herbeigeführt worden sind . Endlich ist durch Reichsgesetz vom 11. November 1871 aus der Franzö ſiſchen Kriegskosten - Entschädigung ein „Reichskriegsschat ” von 40 Millionen Thalern in gemünztem Gelde niedergelegt worden , welcher dazu bestimmt iſt, bei eintretenden kriegerischen Verwickelungen die ersten Kosten der Mobil machung des Heeres zu bestreiten. Ueber den Reichskriegsschat verfügt zu dem genannten Zwecke der Kaiser unter vorgängig oder nachträglich einzu holender Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags .

Militairische Jahresberichte für 1874.

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Aber auch für laufende Ausgaben sind der Militair-Verwaltung neben dem Pauschquantum von jährlich 401,659 × 225 = 90,329,275 Thlrn. durch Specialgesete noch besondere Mittel bewilligt worden, und zwar von je 363,938 Thlrn . für die Jahre 1872 bis 1874 zu Gehaltsverbesserungen je 2,139,996

"I

je 3,071,362

"

für die Beamten der Militair-Verwaltung, für die Jahre 1873 und 1874 zur Verbesserung der Lage der Unteroffiziere und für die Jahre 1873 und 1874 zu Wohnungsgeldzu schüssen für Offiziere und Beamte,

sowie endlich die Mittel zur Gewährung extraordinairer Competenzen für die Besaßung in Elsaß-Lothringen. Aus den vorstehenden Angaben geht hervor , daß, wenn das Pausch quantum zu Einschränkungen in den laufenden Ausgaben genöthigt hat, welche bei Fortdauer dieſer Finanzlage zu einer ernſten Beeinträchtigung der Kriegs tüchtigkeit des Heeres geführt haben würden , andererseits doch der Militair Verwaltung für einmalige Ausgaben zur Vervollkommnung der kriegsmäßigen Ausrüstung des Heeres und zur Verbesserung aller Landesvertheidigungs -An stalten neben dem Pauschquantum ungewöhnlich reiche Mittel zur Verfügung gestanden haben.

Die Wirkungen hiervon können erſt jezt allmählich in der

Armee fühlbar werden, je nachdem die Bewaffnung der Infanterie mit neuen Gewehren , die Ausrüstung der Artillerie mit dem neuen Material u. s. w. fortschreitet ; und da dies zuſammenfällt mit Beseitigung des Druckes, welcher auf der Armee durch die Kärglichkeit der laufenden Mittel des Pauſchquan tums lastete , so sind wir Angesichts des in der Armee lebenden Geiſtes zu der zuversichtlichen Hoffnung berechtigt, daß sich im Jahre 1875 überall im Deutschen Heerwesen ein besonders kräftiger Aufschwung bemerkbar machen wird !

Wir haben nunmehr aus der Reichsverfassung noch folgende militairiſch wichtigen Bestimmungen anzuführen : Art. 65. Das Recht, Festungen innerhalb des Bundes gebiets anzulegen , steht dem Kaiser zu, welcher die Bewillung der dazu erforderlichen Mittel , soweit das Ordinarium sie nicht gewährt , nach Abschnitt XII. beantragt. " Zu dieser Verfassungsbestimmung enthält nur der Art. 7 der Württem

bergischen Convention die Erläuterung, daß sich der Kaiser über die Demſelben zustehende Berechtigung , neue Befestigungen innerhalb des Königreichs anzu Legen, eintretenden Falles mit dem Könige von Württemberg vorher in Ver nehmen setzen wird.

Art. 66. c. " Auch steht ihnen d. h. den Bundesfürsten und Senaten das Recht zu , zu policeilichen Zweden nicht blos ihre eigenen Truppen zu verwenden, sondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislocirt ſind, zu requiriren. ' ―――

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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An einheitlichen Normen für die Verwendung des Militairs zu policei lichen Zwecken, bez . über den Waffengebrauch des Militairs, wie sie u. A. in dem Preußischen Gesetz vom 20. März 1837 gegeben sind , fehlt es zur Zeit noch im Deutschen Reiche.

Man wird nicht umhin können , im Hinblick auf

das Dislocationsrecht des Kaiſers, auf die zahlreichen Versetzungen von Offi zieren aus einem Bundesstaat in den anderen, sowie in Anbetracht der Noth wendigkeit , daß eintretenden Falles jeder Militair mit seinen Pflichten und Rechten genau vertraut sei, hierin einen Mangel zu erkennen. Durch die Militair-Conventionen ist diesem Mangel nur in beschränktem Maße abgeholfen. Die Conventionen mit Sachsen und Württemberg enthalten keinerlei Er läuterungen zu Art. 66 der Verfassung, ebensowenig die Militair- Conventio nen mit beiden Mecklenburg , vom 19., bez. 23. December 1872 , in deren Art. 9 vielmehr ausdrücklich ausgesprochen ist, daß u . A. auch die nach Art. 66 der Reichsverfaſſung den beiden Großherzögen in Bezug auf das Contingent zustehenden Rechte unverändert bei Bestande bleiben. Aus der Convention mit Hessen sind hier folgende Bestimmungen anzuführen : „ Se. K. Hoheit der Großherzog üben als Chef der dem Großherzogthum angehörenden Truppen theile neben den bezüglichen Ehrenrechten die einem commandirenden General zustehende Disciplinargewalt aus und erlaſſen in dieser Beziehung Allerhöchſt ihre Befehle direct an die betreffenden Stellen. Ebenso steht Allerhöchſtden selben die freie Verfügung über die im Großherzogthum dislocirten Bundes truppen zu Zwecken des inneren Dienstes zu , und haben in dieser Beziehung die Truppen-Commandeure Allerhöchstdessen Befehlen Folge zu geben. " (Art. 7.) Und weiter beſtimmt Art. 13 ebend.: „Wenn bei Störungen der öffentlichen Ruhe die Policei den Beistand des Militairs in Anspruch nimmt , so ist die fer Requisition durch den betreffenden Befehlshaber Folge zu geben, und geht damit die Leitung der zur Herstellung der Ordnung zu ergreifenden Maß regeln auf Leßteren über.

Selbſtändiges militairiſches Einschreiten ohne vor

herige Requiſition der zuständigen Civilbehörde iſt nicht statthaft , womit jedoch die Zurückweisung von Angriffen oder Widerseßlichkeiten gegen Militairwachen oder Patrouillen nicht ausgeschlossen sein soll ." Gleichlautende Bestim mungen enthält die Militair- Convention mit Baden in den Art. 5, bez. 13, sowie die Convention mit Oldenburg in den Art. 5, bez . 16, mur hat der erste Saß im Art. 5 beider Conventionen folgende Fassung : „ Se. K. Hoheit der Großherzog stehen zu den Truppen" - des Contingents nämlich, nicht - ,,in dem auch der anderen, in ihren Staaten etwa dislocirten Truppen Verhältniß eines commandirenden Generals, üben auch als solcher neben den bezüglichen Ehrenrechten die entsprechende Disciplinar - Strafgewalt aus und erlassen in dieser Beziehung Höchstihre Befehle direct an die betreffenden Abtheilungs = Commandeure. Ebenso steht Höchstdemselben die freie Ver fügung" u. s. w ., wie oben in der Hessischen Convention . Die neuen, im Jahre 1873 mit den Thüringiſchen Staaten , Anhalt und den beiden

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Fürstenthümern Lippe - Detmold und Schaumburg - Lippe abgeschloffenen Conventionen enthalten gleichlautend die Bestimmung , daß die betreffenden Landesherren zu den innerhalb ihres Ländergebietes dislocirten Truppentheilen im Verhältniß eines commandirenden Generals stehen und neben den bezüg = lichen Ehrenrechten die entsprechende Disciplinarſtrafgewalt ausüben. Hieraus ergiebt sich, in welchem Umfange der Art. 66 der Verfassung dort Anwen dung findet.

Für das Verhältniß zwischen Militair- und Civil-Behörden 2c.

bei Störung der öffentlichen Ordnung gelten dort die bezüglichen Landesgefeße und Verordnungen. - Eine ähnliche Bestimmung , wie die vorstehende , ent hält die Walded'sche Convention in Betreff des Verhältnisses des Landes herrn zu den im Fürstenthum dislocirten Truppen ; außerdem aber ist im Art. 4 dieſer Convention bestimmt : „ Den Requiſitionen der betreffenden Civil Behörden zu policeilichen Zwecken ist nach den darüber bestehenden Preußi schen Vorschriften Seitens des Garnison-Befehlshabers unweigerlich Folge zu ―――― geben. " In der Militair - Convention mit Hamburg findet sich im § 4 folgende Vorschrift : „ Dem Senate bleiben alle Ehrenrechte und die freie Ver fügung in Betreff der Verwendung der im Hamburgischen Gebiete dislocirten Bundestruppen zum inneren Dienste vorbehalten. Insbesondere steht dem Senate das Recht zu, die Leßteren sowohl in ihrer Gesammtheit, als in ein zelnen Abtheilungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicher heit, sodann zur Aufstellung ſtändiger oder periodischer Wachen und Wach poſten und, soweit es mit den militairiſchen Intereſſen vereinbar ist, zu Ehren wachen, Ehrenposten und Ordonnanzen zu requiriren." Und im § 7 ebend.: „ Das Einschreiten des Militairs zum Zweck der Aufrechthaltung der öffent lichen Ordnung und Sicherheit ist in der Regel durch die vorgängige Re quifition Seitens der zuständigen Civilbehörde bedingt. Die Militairbehörden und alle Militairs haben den deshalb an sie ergehenden Requiſitionen, sowie den Weisungen der Policeibeamten Folge zu leisten.

Die Fälle und Formen,

in welchen das Militair gegen Civilperſonen einschreiten und von seinen Waffen Gebrauch machen darf, werden durch eine , unter Berücksichtigung der bezüg lichen Preußischen Reglements vom Senate zu erlaſſende Verordnung geregelt.“ ―― Dem Inhalte nach im Wesentlichen gleiche, aber in der Form abweichende Bestimmungen enthalten die Militair-Conventionen mit Lübeck und Bremen . Sollte hiernach der Fall eintreten, daß Truppen plößlich zur Mitwirkung bei Herstellung der öffentlichen Ordnung aus einem Staate in den anderen beordert werden, so würde man sicherlich den Befehlshabern wegen etwaiger Verstöße gegen das in Leßterem bestehende Recht keine Vorwürfe machen können. Das Unheilvollſte aber wäre , wenn Befehlshaber in solchen Fällen sich durch Rechtsscrupel von entschlossenem Handeln abhalten lassen wollten. Für den Fall ernsterer innerer Unruhen giebt übrigens der Art. 68 der Reichsverfassung das Mittel an die Hand , etwaigen Folgen der Rechts unsicherheit bei den Truppenbefehlshabern vorzubeugen .

Derselbe lautet :

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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„Der Kaiser kann , wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundes gebiete bedroht ist, einen jeden Theil deſſelben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraussetzungen , die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851. " Das hier in Aussicht genommene Reichsgeseß ist noch nicht ergangen. Der Erlaß desselben erscheint uns aber auch nicht dringend ; über Schwierig keiten, welche die Anwendung einzelner auf die specifisch Preußischen Verhält niſſe baſirten Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Juni 1851 in anderen Staaten etwa bieten können , würde man eintretenden Falles schon hinweg kommen.

Wir haben in den vorſtehenden Ausführungen zunächſt das Verhältniß, in welchem Bahern zum Reiche in militairischer Beziehung steht, überall außer Betracht gelaſſen, um den Gesammtüberblick nicht zu stören, und wollen nun darlegen , inwieweit dieses Verhältniß von dem der übrigen Bundes ftaaten abweicht.

Die bezüglichen Bestimmungen sind enthalten in dem Ver

trage, betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfaſſung des Deutschen Bundes, d. d. Versailles , den 23. November 1870 , und durch Vorbehalte in der Reichsverfassung - Schlußbestimmungen zum XI. und XII . Abſchnitt selbst als integrirender Theil der Letteren anerkannt. Danach findet zunächſt der im Art. 58 der Reichsverfassung ausgesprochene Grundſaß, daß die Koſten und Laſten des gesammten Kriegswesens des Reichs von allen Bundesstaaten und deren Angehörigen gleichmäßig zu tragen ſind, auch auf Bayern Anwendung ; jedoch hat der genannte Verfassungs - Artikel für Bayern folgenden Zusaß erhalten : „ Der in diesem Artikel bezeichneten Verpflichtung wird von Bayern in der Art entsprochen, daß es die Kosten und Lasten seines Kriegswesens , den Unterhalt der auf seinem Gebiete belegenen festen Plätze und sonsti gen Fortificationen einbegriffen , ausschließlich und allein trägt. " Diese Vertragsbestimmung schließt ſelbſtverſtändlich nicht aus, daß Bayern im Falle eines Krieges an allen gemeinschaftlichen Kosten verhältnißmäßig participirt, da sonst der Grundsaß des Art. 58 der Verfassung verlegt wer den würde. Die Art. 57 und 59 der Verfassung , welche von der Wehrpflicht han deln, sowie der Art. 60, welcher über die Friedens -Präsenzstärke des Reichs heeres Bestimmung trifft , haben auch für Bayern gesetzliche Geltung. kommen auf diese Verfassungsvorschriften noch zurück.

Wir

Die Art. 61 bis 68 der Reichsverfassung finden auf Bayern keine An wendung. An deren Stelle gelten vielmehr nach III. § 5 des Vertrages vom 23. November 1870 folgende Bestimmungen : „I. Bayern behält zunächst seine Militairgesetzgebung nebst den dazu gehörigen Vollzugs - Instructionen , Verordnungen und Erläuterungen ic.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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bis zur verfaſſungsmäßigen Beſchlußfaſſung über die der Bundesgesetz gebung *) anheimfallenden Materien , resp. bis zur freien Verſtändigung bezüglich der Einführung der bereits vor dem Eintritte Bayerns in den Bund in dieser Hinsicht erlaſſenen Gesetze und sonstigen Beſtimmungen. " Hieraus geht hervor, daß alle militairischen Geseze , welche vom Reiche in den hierfür allgemein vorgeschriebenen Formen erlaſſen werden , auch für Bayern unmittelbar verbindliche Kraft haben, sowie andererseits , daß militai rische Gesetze

auch für Bayern nur vom Reiche erlassen werden können.

Selbstverständlich können Reichsgefeße Bestimmungen des verfassungsmäßig sanctionirten Vertrages nicht alteriren, es sei denn, daß Bayern ſelbſt hierzu seine Zustimmung ertheilte und die Geseze unter der für Verfaſſungs -Aende rungen vorgeschriebenen Bedingung zu Stande kämen, d. h. im Bundesrathe nicht 14 Stimmen gegen sich hätten.

Deshalb finden wir bei militairischen

Reichsgesehen , welche in einem oder dem anderen Punkte mit Bayerischen Reservatrechten collidiren , immer die Schlußbestimmung , daß dieselben in Bayern nach näherer Vorschrift des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 Anwendung finden. „ II. Bayern verpflichtet sich, für ſein Contingent und die zu demſelben gehörigen Einrichtungen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie nach Verhältniß der Kopfstärke durch den Militair- Etat des Deutschen Bundes für die übrigen Theile des Bundesheeres ausgesetzt wird. Dieser Geldbetrag wird im Bundesbudget für das Königlich Bayerische Contingent in einer Summe ausgeworfen. Seine Verausgabung wird durch Special- Etats geregelt, deren Aufstellung Bayern überlassen bleibt. Hierfür werden im Allgemeinen diejenigen Etatsansätze nach Verhältniß zur Richtschnur dienen, welche für das übrige Bundesheer in den einzelnen Titeln ausgeworfen sind. " In Verbindung hiermit ist in § 6 des Vertrages festgefeßt ,

daß für

Bayern die Art. 69 und 71 der Reichsverfassung, betreffend die jährliche Fest stellung des Reichshaushalts - Etats , nur nach Maßgabe der Bestimmung des § 5 des Vertrages Anwendung finden, der von der Rechnungslegung handelnde Art. 72 der Verfassung aber nur insoweit gilt , als dem Bundesrathe und dem Reichstage lediglich die Ueberweisung der für das Bayerische Heer er forderlichen Summe an Bayern nachzuweisen ist. Hieraus

ergiebt sich folgendes Verfahren bei Feststellung des Reichs

Militair-Etats : Für die Preußische, Sächsische und Württembergische Militair Verwaltung werden getrennte Special- Etats vom Bundesrath und Reichstage genehmigt , wobei die Ausgaben für die gemeinschaftlichen Einrichtungen in dem Etat der Preußischen Verwaltung ihren Play finden. Der Summe der Ausgabe-Etats dieſer drei Militair-Verwaltungen wird ein dem Verhältniß der Kopfstärke entsprechender Betrag für Bayern hinzugefeßt. An Aufbringung der so ermittelten Gesammtbedarfsſumme für das Heerwesen participiren alle *) Der Vertrag ist vor Errichtung des Deutschen Reiches" abgeschlossen.

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Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

Theile des Reiches gleichmäßig nach den allgemeinen Grundsäßen, welche für die Deckung der Finanzbedürfnisse des Reiches maßgebend sind .

Während

jedoch die drei erstgenannten Militair - Verwaltungen betreffs ihrer Ausgaben an die vom Reiche festgestellten Special-Etats gebunden und dabei unmittelbar der Controle des Reiches unterworfen sind, auch Mehr- oder Minderausgaben ――― derselben durch die Reichskasse beglichen werden, erhält Bayern die für sein Heerwesen bestimmte Summe in Bausch und Bogen überwiesen .

Die

Bayerische Regierung vereinbart sodann die Special - Etats mit der Bayerischen Volksvertretung.

Hierbei darf jedoch die vom Reiche überwiesene Summe

nicht alterirt werden, und für die Special- Etats müssen im Allgemeinen die jenigen Etatsanfäße nach Verhältniß zur Richtschnur genommen werden, welche für das übrige Bundesheer in den einzelnen Titeln ausgeworfen sind. Die weitere Verrechnung der Ausgaben erfolgt mit denen des Bayerischen Staats haushalts , ohne Betheiligung des Reiches . Jedoch dürfen dabei nach dem Wortlaut des Vertrages selbst dann Ersparniſſe nicht gemacht werden , wenn solche etwa am Militair-Etat der übrigen Verwaltungen des Reiches eintreten. Denn Bayern hat sich verpflichtet , für sein Heerwesen einen gleichen Geld betrag zu verwenden , wie nach Verhältniß der Kopfstärke durch den Militair Etat des Reiches für die übrigen Theile des Reichsheeres ausgesetzt ist ; der zu verwendende Geldbetrag ist somit identisch mit dem an Bayern überwiese nen. Die Frage, wie der Ausgleich zwischen dem Reiche und Bayern zu be wirken ist, wenn bei der Bayerischen oder bei der übrigen Deutschen Militair Verwaltung Ueberschreitungen des Gesammtetats eintreten und als gerecht fertigt anerkannt werden , hat in der Periode des Pauſchquantums natürlich eine praktische Bedeutung nicht erlangen können. III. Das Bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestand theil des Deutschen Bundesheeres mit selbstständiger Verwaltung , unter der Militairhoheit Sr. Maj. des Königs von Bayern; im Kriege und zwar mit Beginn der Mobilifirung - unter dem Befehle des Bundes feldherrn" (d. h. des Kaisers). " In Bezug auf Organisation, Formation , Ausbildung und Gebühren, dann hinsichtlich der Mobilmachung wird Bayern volle Uebereinstimmung mit den für das Bundesheer bestehenden Normen herstellen. " Hiernach finden im Frieden Verordnungen und Befehle, welche der Kaiser für das Reichsheer erläßt , auf Bayern nicht unmittelbar Anwendung, auch nicht, wenn es Ausführungs -Verordnungen zu Reichsgesehen sind .

Da

gegen ist der König von Bayern, wenn der Kaiſer Verordnungen oder Befehle in Bezug auf Organiſation , Formation , Ausbildung und Gebühren für das Reichsheer erläßt , verpflichtet , das Entsprechende für das Bayerische Heer zu veranlassen, wie denn auch Bayern alle bezüglichen älteren Preußischen Nor men für sein Heerwesen anzunehmen hatte. Dieser Vertragsbestimmung ist Bayern, soweit es sich um die in Instruc tionen , Verordnungen und Reglements ausgesprochenen Grundfäße und Be

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Militairische Jahresberichte für 1874.

stimmungen handelt , im vollen Umfange und in der loyalsten Weiſe nach gekommen. Ob es auf diesem Wege gelungen ist , die volle Weberein stimmung herzustellen und für die Zukunft zu sichern , darüber fehlt uns leider ein Urtheil aus eigener Anschauung ; mannigfache Anzeichen berechtigen aber zu Zweifeln in dieser Richtung , und wir würden uns nicht darüber wundern , wenn diese Zweifel sich als begründet herausstellen sollten. Wir haben bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, wie sehr das Wesen der Preußischen Heereseinrichtungen in dem Geiste derselben beruht , daß ferner dieser Geist der Natur der Dinge nach in den geschriebenen Instructionen nur theilweisen Ausdruck finden kann, und daß man gerade in Preußen mehr als anderswo sich sorgfältig vor zu weit gehendem Reglementiren gehütet hat. Dariu liegt eine große Schwierigkeit für die Uebertragung der Preußischen Institutionen auf andere Armeen oder Armeetheile , wenn unmittelbare Be ziehungen zwischen den Trägern des Geistes , den Offizier = Corps , fehlen. Sachsen und Württemberg haben diese Beziehungen hergestellt durch längere Commandirung von Offizieren zu Preußischen Truppentheilen, durch vorüber gehende Zulassung Preußischer Offiziere zu ihren Contingenten, und indem fie ihren Offizieren und Offizier-Aspiranten alle technischen und wissenschaftlichen Militair - Bildungs - Anstalten des Preußischen Heeres zugänglich machten. Bayerischerseits ist in dieser Richtung im Jahre 1874 ein erster ſchüchterner Schritt durch Commandirung einiger Generalstabs - Offiziere zum großen Generalstabe , sowie einiger Truppen - Offiziere zur Central - Turn - Anſtalt in Berlin, geschehen. Aber wir nehmen keinen Anstand , unsere Ueberzeugung auszusprechen, daß, wenn diesem Schritte nicht bald entscheidende weitere fol gen, dann die Bayerische Armee , troß des loyalsten Willens , über das Maß des jezt Erreichten in ihrem Streben nach Uebereinſtimmung und gleichmäßi gem Fortschritt mit dem übrigen Reichsheere nicht hinaus kommen wird . Man scheint in Bayern in weiten Kreisen die Schwierigkeit der Aufgabe erkannt zu haben , aber sich noch nicht zu dem allein richtigen Mittel der Lösung ent schließen zu können.

Daß wir ein Aequivalent für Leßteres in dem neuen

Bayerischen Dienst-Reglement nicht zu finden vermögen, so gern wir auch das in demselben sich kund gebende , entschiedene Streben anerkennen , in allen, selbst den geringfügigsten Formen des Dienstes die volle Uebereinstimmung mit dem übrigen Reichsheer herzustellen , bedarf nach dem bisher Gesagten kaum weiterer Ausführung .

Dieses Streben , alle Formen zu reglementiren,

widerſtreitet ja vielmehr dem Geiſte des Preußischen Heerwesens ; will man die rechte Uebereinstimmung mit dem übrigen Reichsheer erzielen , so müßte man vor allem Anderen vermeiden , reglementarische Vorschriften für Gebiete des militairischen Dienstes zu erlaſſen , für welche das Deutsche Heer aus guten Gründen keine Reglements besißt. Aber abgesehen hiervon möchten wir in Bezug auf die zulezt angeführte Vertragsbestimmung wohl die Frage aufwerfen, ob Bayern, wenn es ſich ſei

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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nen Plaz ganz innerhalb des Deutschen Heerwesens mit dem ihm als dann darin gebührenden Einflusse suchte, ob es dabei nicht gewinnen würde im Vergleich zu ſeiner jeßigen Stellung , halb in, halb neben jenem, ohne allen Einfluß auf die Gestaltung der Dinge, soweit diese nicht der Gesetzgebung anheimfällt , aber mit der Verpflichtung stricter und einfacher Nachahmung jeder Aenderung , welche im Reiche in Bezug auf Organiſation, Formation, Ausbildung und Gebühren beliebt wird ? Es giebt gewiß wenige Leute im Deutschen Reiche, die nicht gewillt wären, loyal und ohne jeden Vorbehalt die Bayerischen Reservatrechte in Be zug auf das Heerwesen zu respectiren , so lange dieselben vertrags- und ver faſſungsmäßig bestehen ; aber es giebt hüben und drüben Viele, die den Tag mit Freuden begrüßen werden , an welchem Bayern aus eigenem Antriebe seine militairische Sonderstellung aufgiebt , sich als ein vollberechtigtes Glied dem Ganzen anschließt. Die weiteren Bestimmungen unter III. § 5 III. 23. November 1870 lauten :

des Vertrages

vom

„ Bezüglich der Bewaffnung und Ausrüstung , sowie der Grad abzeichen behält sich die Königlich Bayerische Regierung die Herstellung der vollen Uebereinstimmung mit dem Bundesheere vor. " Die Bayerische Regierung hat inzwiſchen nicht nur in Bezug auf die Gradabzeichen volle Uebereinstimmung hergestellt , sondern auch die Uniformi rung und Ausrüstung der Bayerischen Truppen derjenigen des Bundesheeres wesentlich genähert. „Der Bundesfeldherr hat die Pflicht und das Recht, sich durch Inspec tionen von der Uebereinstimmung in Organisation, Formation und Aus bildung, sowie von der Vollzähligkeit und Kriegstüchtigkeit des Bayerischen Contingents Ueberzeugung zu verschaffen und wird sich über die Modali täten der jeweiligen Vornahme und über das Ergebniß dieser Inspectionen mit Sr. Majestät dem Könige von Bayern ins Vernehmen setzen. " „Die Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobiliſirung ) des Bayerischen Contingents oder eines Theiles desselben erfolgt auf Veran lassung des Bundesfeldherrn durch Se. Majestät den König von Bayern. " Zur steten gegenseitigen Information in den durch diese Ver einbarung geschaffenen militairischen Beziehungen erhalten die Militair bevollmächtigten in Berlin und München über die einschlägigen Anord nungen entsprechende Mittheilung durch die resp. Kriegsministerien. " IV. Im Kriege sind die Bayerischen Truppen verpflichtet, den Be "! fehlen des Bundesfeldherrn unbedingt Folge zu leisten. " Diese Verpflichtung wird in den Fahneneid aufgenommen. " „V. Die Anlage von neuen Befestigungen auf Bayerischem Ge biete im Interesse der gesammtdeutschen Vertheidigung wird Bayern im Wege jeweiliger specieller Vereinbarung zugestehen. " „An den Kosten für den Bau und die Ausrüstung solcher Befestigungs anlagen auf seinem Gebiete betheiligt sich Bayern in dem seiner Bevölke rungszahl entsprechenden Verhältnisse gleichmäßig mit den anderen Staaten

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Militairische Jahresberichte für 1874. des Deutschen Bundes ; ebenso an den für sonstige Festungsanlagen etwa Seitens des Bundes zu bewilligenden Extraordinarien. " " VI. Die Voraussetzungen, unter welchen wegen Bedrohung der öffent lichen Sicherheit das Bundesgebiet oder ein Theil desselben durch den Bundesfeldherrn in Kriegszustand erklärt werden kann , die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung werden durch ein Bundesgesetz geregelt. "

Die weiter gehende Vorschrift des Art . 68 der Reichsverfaſſung, wonach bis zum Erlaß des auch dort in Aussicht genommenen Reichsgeſetzes die be züglichen Vorschriften des Preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 gelten, findet hiernach auf Bayern keine Anwendung.

Mit Rücksicht auf die Bedeutung, welche die Marine , sowie die großen Verkehrs - Anstalten :

Eisenbahnen ,

Telegraphen und

Post für die

Landesvertheidigung haben , dürfen wir schließlich nicht unterlassen , auch die hierauf bezüglichen Bestimmungen der Reichsverfaſſung anzuführen. Ueber die Marine bestimmt der Art. 53 derselben : „Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Ober befehl des Kaiſers. Die Organiſation und Zuſammenſeßung derselben liegt dem Kaiser ob , welcher die Offiziere und Beamten der Marine er nennt, und für welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind. " „Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshäfen. " „ Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zuſammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichs kasse bestritten. " Die gesammte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maſchinenperſonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Land heere befreit, dagegen zum Dienste in der Kaiserlichen Marine verpflichtet. " „Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach Maßgabe der vorhan denen seemännischen Bevölkerung statt, und die hiernach von jedem Staate gestellte Quote kommt auf die Geſtellung zum Landheere in Abrechnung. " Diese Bestimmungen finden ohne Vorbehalt auf das ganze Reich An wendung, so daß also auch Bayern namentlich seinen verhältnißmäßigen An theil an den Kosten der Marine trägt. Vom Eisenbahnwesen handelt der VII. Abschnitt der Reichsverfaſſung ; folgende Bestimmungen desselben sind hauptsächlich von Wichtigkeit für die Landesvertheidigung :

" Art. 41. Eisenbahnen , welche im Interesse der Verthei digung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für nothwendig erachtet werden , können kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder , deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden , unbeschadet der Landeshoheitsrechte , für Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung conceſſionirt und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden. "

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet , sich den An= schluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren ge= fallen zu laſſen. " „ Die gesetzlichen Bestimmungen , welche bestehenden Eisenbahn - Unter nehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Pa rallel- oder Concurrenzbahnen einräumen , werden , unbeschadet bereits erworbener Rechte , für das ganze Reich hierdurch aufgehoben. Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu ertheilenden Concessionen nicht weiter verliehen werden. " Art. 42. Die Bundesregierungen verpflichten sich , die Deutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheit liches Netz verwalten und zu diesem Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und ausrüsten zu laſſen. " „Art. 43. Es sollen demgemäß in thunlichster Beschleunigung über einstimmende Betriebseinrichtungen getroffen , insbesondere gleiche Bahnpolizei- Reglements eingeführt werden. Das Reich hat dafür Sorge zu tragen , daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausrüsten, wie das Verkehrsbedürfniß es erheischt. " „Art. 47. Den Anforderungen der Behörden des Reichs in Betreff der Benutzung der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutschlands haben sämmtliche Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. Insbesondere ist das Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern. " Die Art. 42 und 43 sind auf Bayern nicht anwendbar. „ Dem Reiche steht jedoch auch Bayern gegenüber das Recht zu , im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen für die Construction und Ausrüstung der für die Landes vertheidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen. " (Art. 46 ) . In Bezug auf die Art. 41 und 47 hat Bayern kein Reservatrecht. Das Postwesen und das Telegraphenwesen endlich werden - nach Abschnitt VIII. der Reichsverfassung, Art. 48 bis 52 ― für das Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrsanſtalten eingerichtet und ver= waltet. Dem Kaiser gehört die obere Leitung der Post- und Telegraphen verwaltung an. Die von ihm bestellten Behörden haben die Pflicht und das Recht, dafür zu sorgen, daß Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualification der Beamten hergestellt und erhalten wird. Dem Kaiser steht der Erlaß der reglementarischen Feſt jesungen und allgemeinen administrativen Anordnungen zu . Sämmtliche Be amte der Post- und Telegraphenverwaltung sind durch ihren Dienſteid ver pflichtet, den Kaiserlichen Anordnungen Folge zu leisten . Die oberen Beamten werden vom Kaiser ernannt und leisten Ihm allein den Dienſteid . — Dieſe Bestimmungen finden jedoch auf Bayern und Württemberg keine Anwendung. Beide Staaten haben ihre eigenen Post- und Telegraphen - Verwaltungen be halten. In Bezug auf dieſelben sind zwar dem Reiche, im Interesse des ein heitlichen Verkehrs, erhebliche Rechte reservirt und die obere Leitung des

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Württembergischen Telegraphenwesens, soweit solches für die Kriegszwecke ein gerichtet ist, steht im Kriege dem Kaiſer zu, zu welchen Zwecke bereits während des Friedens die bezüglichen Einrichtungen in Uebereinstimmung mit denjenigen des Norddeutschen Bundes getroffen werden sollen (Art. 11 der Convention). Im Uebrigen aber erstreckt sich die einheitliche Disposition des Reiches über Post und Telegraphie im Interesse der Landesvertheidigung nicht auf die genannten beiden Bundesstaaten.

2. Wehrpflicht. Die Organisation der Deutschen Wehrkräfte beruht auf dem Princip der allgemeinen Wehrpflicht, nach dem Preußischen Muster. Dieses Prinzip hat seinen Ausdruck in den Art. 57 und 59 der Verfassung des Deutschen Reichs gefunden. Die dort gegebenen Grundbestimmungen sind näher erläutert worden durch das, zunächſt für den Norddeutschen Bund erlassene , jeßt aber für das ganze Deutsche Reich, mit Einschluß Bayerns * ), geltende Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867 , sowie durch einige Vorschriften des Reichsmilitairgefeßes vom 2. Mai 1874. Der Art. 57 der Reichsverfassung lautet : „ Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten laffen. " Nach § 1 des Gesetzes vom 9. November 1867 sind von der Wehrpflicht allein ausgenommen die Mitglieder regierender Häuser , sowie die Mitglieder der mediatisirten, vormals reichsständischen und derjenigen Häuser, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zugesichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel zusteht. Die Wehrpflicht wird , soweit sie nicht in der Marine erfüllt wird vergl. den bereits angeführten Art. 53 der Reichs -Verfassung in Anspruch genommen für den Dienst im Heere, welches in das stehende Heer und die Landwehr eingetheilt wird , und in dem Landsturm. im Heere beſtimmt Art. 59 der Reichsverfassung :

Ueber die Dienstpflicht

„Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre lang , in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letten vier Jahre in der Reserve — und die folgenden fünf Lebensjahre der Land wehr an. In denjenigen Bundesstaaten , in denen bisher eine längere als zwölfjährige Gesammtdienstzeit gesetzlich war , findet die allmählige Herabsetzung der Verpflichtung nur in dem Maaße statt, als dies die Rücksicht auf die Kriegsbereitschaft des Reichsheeres zuläßt. " *) In Bayern eingeführt durch Reichsgeseß vom 24. November 1871 , vorbehaltlich der diesem Staate durch den Bündniß Vertrag vom 23. November 1870 unter III. § 5 zu gestandenen Sonderrechte, von welchen hier jedoch nur das Verhältniß Sr. Maj. des Königs von Bayern als Kriegsherr in Betracht kommt. Mit demselben Vorbehalt hat auch das Reichsmilitairgeset in seinem ganzen Úmfange für Bayern verbindliche Kraft.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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In lettgedachter Beziehung hat nach § 18 des Gesetzes vom 9. Nov. 1867 der Kaiser Bestimmung zu treffen.

Eine längere als 12jährige Gesammt

dienstpflicht hat früher nur in den Altpreußischen Landestheilen , sowie in Schleswig - Holstein und Lauenburg, bestanden. Sie betrug dort 19 bez. 16 Jahre und ist nunmehr allmählig bis auf 14 Jahre herabgefeßt worden. Während des leßten Krieges, 1870/71, standen aus den Altpreußischen Landes theilen noch volle 16 Jahrgänge unter den Waffen , jene Landestheile sind daher ungleich stärker in Anspruch genommen geweſen, wie alle übrigen Deut schen Länder, zumal in dem bei Weitem größten Theile der Leßteren die all gemeine Wehrpflicht erst seit wenigen Jahren bestand .

In dem Maße , als

fich jetzt die Landwehr in den Neupreußischen Provinzen und den Bundes staaten von unten herauf ergänzt, wird auch die Reduction der Gesammtdienſt zeit in den Altpreußischen Provinzen erfolgen können .

Die Verluste des leßten

Krieges dürften mit dazu beigetragen haben, daß diese wünschenswerthe Maß regel noch nicht hat zur Ausführung kommen können. Die Wehrpflichtigen können zur Erfüllung ihrer gefeßlichen Dienstpflicht schon nach vollendetem 17. Lebensjahre freiwillig in das Heer eintreten, ſofern fie hierzu geeignet befunden werden ; anderen Falles sind sie vom 1. Januar des Calenderjahres an , in welchem sie das 20. Lebensjahr vollenden , dem regelmäßigen Aushebungs - Verfahren unterworfen.

Bei letterem wird jedoch

nur darüber Entscheidung getroffen, ob und in welcher Weise die Verpflichtung der Einzelnen für den Dienst im Heere in Anspruch genommen werden soll ; die Landsturmpflicht bleibt hiervon unberührt. Die Entscheidung beim Aushebungs -Verfahren kann nun, nachdem zuvor alle zu ein und derselben Jahresklasse gehörigen Militairpflichtigen bezirksweise unter einander gelooft haben, um die Reihenfolge festzustellen , in welcher fie event. zum Dienſt im Heere heranzuziehen sind (§ 13 d . R.M.G.), lauten : 1. Auf Ausschließung vom Dienst im Heere wegen moralischer Un würdigkeit ( §§ 31 u. 34 des Strafgesetzbuches für das Deutſche Reich, vom 15. Mai 1871 , und § 18 des Reichs -Mil.Ges.) ; 2. Auf Befreiung vom Dienst im Heere wegen dauernder Dienst unbrauchbarkeit (§ 15 des R.M.G.) ; 3. Auf vorläufige Zurückstellung vom Dienſt im Heere, und zwar : a) wegen unentwickelten Körpers oder heilbarer Krankheit (§ 17 ebend.), b) mit Rücksicht auf die Verpflichtung zur Unterſtüßung hülfsbedürftiger Familien *) 2c. (§§ 19, 20 sub 1 bis 5, 22 d . R.M.G.), *) In diese Kategorie dürfen nach § 20 des R.M.G. nur gestellt werden : 1. Die einzigen Ernährer hülfloser Familien , erwerbsunfähiger Eltern, Großeltern oder Geschwister ; 2. Der Sohn eines zur Arbeit und Aufsicht unfähigen Grundbesizers , Pächters oder Gewerbetreibenden, wenn dieser Sohn dessen einzige und unentbehrliche Stüße zur wirthschaftlichen Erhaltung des Besites, der Pachtung oder des Gewerbes ist; 3. der nächstälteste Bruder eines vor dem Feinde gebliebenen oder an den erhaltenen Wunden gestorbenen oder in Folge derselben erwerbsunfähig gewordenen oder im 4 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874. c) wegen dauernden Aufenthalts im Auslande (§ 20, 7 ebend .), d) wegen Vorbereitung zu einem Lebensberufe (§ 20, 6 ebend.), e) wegen Ueberzähligkeit nach Maßgabe ihrer Loosnummer, f) wegen Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit, gerichtlicher Untersuchungen oder Strafvollstreckungen (§ 18 ebend.) .

In den unter a, b, c und e verzeichneten Fällen kann die Zurückſtellung jedoch nur zwei Jahre, in dem Falle zu d in der Regel nur zwei Jahre, ausnahmsweise drei Jahre, in dem Falle zu f vier Jahre hinter einander und zwar jedesmal auf die Dauer eines Jahres erfolgen.

Die wegen Ueber

zähligkeit Zurückgeſtellten rangiren bei der Aushebung im nächſten Jahre hinter dem alsdann herangewachsenen Jahrgange, die Zurückgestellteu der anderen Kategorien vor demselben, sofern ihre Loosnummern nicht zwischen denjenigen der überzählig Gebliebenen stehen, in welchem Falle sie mit diesen rangiren. Liegen in den Fällen a, b und e , sowie f die Gründe , welche die Zurück stellung veranlaßt haben , auch im dritten , bez. fünften Jahre noch vor , so erfolgt 4. die Befreiung vom Dienst im Heere für den Frieden.

Diese

Bestimmung wird auch über alle diejenigen Wehrpflichtigen getroffen , welche wegen unheilbarer körperlicher Fehler nur bedingt dienstbrauchbar befunden werden (§ 16 d . R.M.G.), auf welche man deshalb nur im äußersten Nothfalle zurückgreifen , aber die Mühe und Kosten der Friedensausbildung nicht ver wenden will, so lange man so viel vollkommen diensttaugliche Leute hat, als überhaupt in das Heer im Frieden eingestellt werden können . Alle Wehrpflichtigen , welche beim Aushebungsverfahren keiner der vor stehenden Kategorien zugetheilt werden, gelangen, gleich den geeignet befundenen Freiwilligen, 5. zur Einstellung in das Heer , um ihrer Dienstpflicht nach Maß gabe des Art. 59 der Reichsverfaſſung und der dazu ergangenen Ausführungs bestimmungen zu genügen. Sie gehören daher sieben Jahre zum stehenden Heere und können die drei ersten Jahre zu ununterbrochenem activen Dienſt bei der Fahne behalten werden. Die active Dienstzeit wird nach dem wirklich Kriege an Krankheit gestorbenen Soldaten , sofern durch die Zurückstellung den An gehörigen des letteren eine wesentliche Erleichterung gewährt werden kann; 4. Militairpflichtige, welchen der Besik oder die Pachtung von Grundstücken durch Erb schaft oder Vermächtniß zugefallen , sofern ihr Lebensunterhalt auf deren Bewirth schaftung angewiesen und die wirthschaftliche Erhaltung des Besizes oder der Pach tung auf andere Weise nicht zu ermöglichen ist; 5. Inhaber von Fabriken und anderen gewerblichen Etablissements, in welchen mehrere Arbeiter beschäftigt find , sofern der Betrieb ihnen erst innerhalb des dem Dienſt pflichtsjahre vorangehenden Jahres durch Erbschaft oder Vermächtniß zugefallen und deren wirthschaftliche Erhaltung auf andere Weise nicht zu ermöglichen ist. Auf Inhaber von Handelshäusern entsprechenden Umfanges findet diese Vorschrift finn gemäße Anwendung. Außerdem etwa vorkommende Fälle, in welchen dringende Billigkeitsgründe für Zurück stellung sprechen , können nur ausnahmsweise von den obersten Rekrutirungsbehörden be rücksichtigt werden.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung .

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erfolgten Dienstantritt mit der Maßgabe berechnet, daß diejenigen Mannschaften, welche in der Zeit vom 2. Dctober bis 31. März eingestellt werden , als am vorhergehenden 1. October eingestellt gelten (§ 6 des Ges. v . 9. Nov. 1867.) . Junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit selbst be fleiden, ausrüften und verpflegen , und welche die gewonnenen Kenntnisse in dem vorschriftsmäßigen Umfange dargelegt haben , werden schon nach einer einjährigen Dienstzeit im stehenden Heere - vom Tage des Dienſtein tritte an gerechnet -zur Reserve beurlaubt (Einjährig - Freiwillige ; § 11 des Ges. v. 9. Nov. 1867.) . *)

Wenn Soldaten vor erfüllter activer Dienstpflicht dienstunbrauchbar wer den, oder wenn für sie einer der nach § 20 d . R.M.G. zulässigen Reclamations gründe eintritt, so können sie zur Disposition der Ersaßbehörden ent laſſen werden.

Die Letteren entscheiden dann nach den allgemein gültigen Grundſäßen über die fernere Dienſtverpflichtung (§§ 52 bis 55 des R.M.G.) . Auch können Mannschaften vor erfüllter dreijähriger Dienstzeit, bei eintretender Ueberzähligkeit 2c., zur Disposition ihres Truppentheils mit der Maß gabe beurlaubt werden , daß sie bis zum Ablauf ihres dritten Dienſtjahres jederzeit zur Fahne wieder einberufen werden dürfen (§ 60, 5 des R.M.G.). Nach erfüllter dreijähriger , bez. einjähriger Dienstpflicht sind die Mann schaften während des Restes der siebenjährigen Dienstzeit zur Reserve beurlaubt, insoweit nicht die jährlichen Uebungen, nothwendige Verstärkungen oder Mobil machungen des Heeres die Einberufumg zum Dienſt erfordern . Jeder Reservist iſt während der Dauer des Reſerveverhältnisses zur Theilnahme an zwei Uebungen von höchstens achtwöchiger Dauer verpflichtet (§ 6, Alinea 5 und 6, des Gefeßes vom 9. Nov. 1867.). Nach abgeleisteter (ſiebenjähriger) Dienstpflicht im ſtehenden Heere erfolgt der Eintritt in die Landwehr. Die Verpflichtung zum Dienst in der Land wehr ist von fünfjähriger Dauer. Die Mannschaften der Landwehr-Infanterie können während der Dienstzeit in der Landwehr zweimal auf 8 bis 14 Tage zu Uebungen in besonderen Compagnien oder Bataillonen einberufen werden. *) Die Erlangung der Berechtigung zum „ einjährig freiwilligen Dienst“ ist , außer von der moralischen Würdigkeit und dem Nachweis der Mittel zur Selbſtunterhaltung, auf Grund der Bestimmungen der Milit. Ers. Instr. für den Nordd. Bund v. 26. März 1868 (§§ 153-155) im Allgemeinen abhängig von rechtzeitiger Darlegung derjenigen Kenntnisse, welche durch den erfolgreichen einjährigen Besuch der Secunda eines Gymnasiums oder einer Realschule 1. Ordnung erlangt werden. Gesetzliche Regelung der Vorbedingungen für die Zulaffung zum einjährigen Dienst ist im § 14 des R.M.G. vorbehalten. Die zum einjährig Freiwilligendienst Berechtigten sind dem Aushebungsverfahren nicht unterworfen, dagegen, bei Verlust des Anrechts, verpflichtet, sich spätestens zum 1. October desjenigen Jahres , in welchem sie das 23. Lebensjahr vollenden , zum Dienstantritt bei einem Truppentheil zu melden. Ausnahmsweise kann ihnen über diesen Zeitpunkt hinaus Aufschub gewährt werden. Bei ausbrechendem Kriege müssen sich alle zum einjährigen Dienst Berechtigten, welche bereits in das militairpflichtige Alter eingetreten sind, auf öffentliche Aufforderung sofort zum Heeresdienst stellen (§ 14 d . R.M.G.). Die Berechtigung zur Entlassung nach einjährigem Dienste geht für die als einjährig Freiwilligen in das Heer Eingestellten nur bei Versehung in die zweite Klaffe des Sol datenstandes verloren (§ 50, Alinea 4 des R.M.G.) . 4*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Landwehrmannschaften der Jäger und Schüßen , der Artillerie, der Pio niere und des Trains üben zwar in demselben Umfange , wie die der In fanterie , jedoch im Anschlusse an die betreffenden Linientruppentheile.

Die

Landwehr-Cavallerie wird im Frieden zu Uebungen nicht einberufen (§ 7 des Gesezes vom 9. Nov. 1867) . Die Mannschaften der Landwehr- Infanterie werden in besonders formir ten Landwehr-Truppenkörpern zur Vertheidigung des Vaterlandes als Reſerve für das stehende Heer verwandt.

Die Mannschaften des jüngsten Jahrganges

der Landwehr-Infanterie können jedoch erforderlichen Falles bei Mobilmachungen auch in Erſaßtruppentheile eingestellt werden. Die Mannschaften der Land wehr-Cavallerie werden im Kriegsfalle nach Maßgabe des Bedarfs in beſondere Truppenkörper formirt.

Die Landwehrmannschaften der übrigen Waffen wer

den bei eintretender Kriegsgefahr nach Maßgabe des Bedarfs zu den Fahnen des stehenden Heeres einberufen (§ 5 des Gef. v . 9. Nov. 1867) . Die Einberufung der Reserve und Landwehr zu den Fahnen erfolgt auf Befehl des Bundesfeldherrn (Kaiſers). Durch die commandirenden Generale erfolgt die Einberufung nur zu den jährlichen Uebungen , oder wenn Theile des Bundesgebietes in Kriegszustand erklärt sind (§ 8 d . Geſ. v . 9. Nov. 1867). Die Mannschaften der Reserve und Landwehr werden in Jahresklaſſen nach ihrem Dienstalter eingetheilt. Die Dienstzeit in der Reserve und Land wehr wird von demselben Zeitpunkte an berechnet , wie die active Dienstzeit, auch wenn in Erfüllung der letteren eine Unterbrechung stattgefunden hat. Die Verseßung aus der Reserve in die Landwehr , bez . die Entlassung aus der Landwehr erfolgt jedoch nur bei den Herbst - Controlversammlungen des betreffenden Jahres (§ 62 des R.M.G.) . Die gesetzlichen Bestimmungen über die Dauer der Dienstverpflichtung für das stehende Heer und die Landwehr

gelten nur für den Frieden.

Im

Kriege entscheidet darüber allein das Bedürfniß, und werden alsdann alle Ab theilungen des Heeres (und der Marine), soweit sie einberufen sind, von den Herangewachsenen und Zurückgebliebenen nach Maßgabe des Abganges ergänzt ". (§ 14 des Ges. v . 9. Nov. 1867) .

Hiernach findet also nach ausgebrochenem

Kriege namentlich keine Verseßung aus dem stehenden Heere in die Landwehr, ſowie keine Entlassung aus letterer wegen erfüllter Dienstpflicht statt. Die Einberufung der Reserve und Landwehr zu den Fahnen bei noth wendigen Verstärkungen oder Mobilmachungen des Heeres soll, soweit die mili tairischen Interessen es gestatten , nach den Jahresklassen , mit der jüngsten Hierbei können jedoch dringende die Interessen der Reichs-, , sowie Verhältnisse gewerbliche und häusliche Staats-, Communal- und Eisenbahn - Verwaltungen durch einstweilige beginnend, erfolgen (§§ . 63 d . R. M. G.) .

Zurückstellung einzelner Mannschaften nach näherer Bestimmung der §§ 64 und 65 des R. M. G. berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für Personen des Beurlaubtenstandes , welche ein geistliches Amt in einer mit Corpora

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

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tionsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehenden Religionsgesellschaft be= kleiden. Dieſelben werden in keinem Falle zum Dienſt mit der Waffe heran gezogen (§ 65 d. R.M.G.) . Hierbei ist jedoch ausdrücklich daran zu erinnern, daß der Uebertritt in den Beurlaubtenstand immer erst nach erfüllter activer Dienstpflicht erfolgt. Von letterer kann ein Dispens wegen Eintritts in ein geistliches Amt jest nicht mehr, wie es früher statthaft war, erfolgen ; vielmehr ist es Sache derjenigen , welche sich dem geistlichen Berufe widmen wollen, zuvor ihrer activen Dienstpflicht zu genügen, wenn sie eine Heranziehung zum Dienst mit der Waffe nach ihrer Anstellung als wünschen.

Geistliche zu vermeiden

Reichs-, Staats- und Communalbeamte sollen durch ihre Einberufung zum Militairdienſt in ihren bürgerlichen Dienſtverhältnissen keinen Nachtheil erleiden (§ 66 d. R.M.G.). Hülfsbedürftige Familien von Reserve- und Landwehrmannschaften, welche bei nothwendigen Verstärkungen oder Mobilmachungen des Heeres zur Fahne einberufen werden , haben Anspruch auf Unterstüßung durch die Kreiſe 2c. nach näherer Bestimmung des Preußischen, in allen Bundesstaaten, mit Ausnahme Bayerns, geltenden Geſeßes vom 27. Februar 1850. Dieſes Geseß entspricht jedoch in mehrfachen Beziehungen nicht mehr den heutigen Anforderungen, und ist deshalb auch der Erlaß eines entsprechenden Reichs gefeßes bereits in bestimmte Aussicht gestellt. Die Perſonen des Beurlaubtenstandes *) find während der Beurlaubung den zur Ausübung der militairischen Controle erforderlichen Anordnungen unterworfen.

Sie haben geeignete Vorkehrungen zu treffen, daß dienstliche

Befehle ihrer Vorgesezten und namentlich Einberufungsordres ihnen jederzeit zugestellt werden können. Im dienstlichen Verkehr mit ihren Vorgeseßten oder wenn ſie in Militairuniform erſcheinen , find ſie der „militairiſchen Disciplin unterworfen. Bei eintretender allgemeiner Mobilmachung haben alle im Aus lande befindlichen Personen des Beurlaubtenstandes sich unverzüglich in das Inland zurückzubegeben, sofern sie hiervon nicht ausdrücklich dispenſirt worden (§§ 57 und 58 d . R.M.G.). Jm Uebrigen gelten für die Personen des Be urlaubtenstandes die allgemeinen Landesgeſeße und sind dieſelben in der Wahl ihres Aufenthaltsortes im In- und Auslande , in der Ausübung ihres Ge werbes, rücksichtlich ihrer Verheirathung und ihrer sonstigen bürgerlichen Ver

*) Zum Beurlaubtenstande gehören nach § 56 des R.M.G.: 1. Die Offiziere, Aerzte, Beamten und Mannschaften der Reserve und Landwehr ; 2. Rekruten, welche nach ihrer Aushebung, sowie Freiwillige, welche nach definitiver Annahme bei einem Truppentheile vorläufig in die Heimath beurlaubt werden ; 3. die bis zur Entscheidung über ihr ferneres Militairverhältniß zur Disposition der Ersazbehörden entlassenen Mannschaften ; 4. die vor erfüllter activer Dienstpflicht zur Disposition der Truppentheile be urlaubten Mannschaften. Früher gehörten auch die Mannschaften der Ersatz-Reserve 1. Klaffe zum Beurlaubten stande; die Dienstverhältnisse derselben sind jedoch jest anderweitig geregelt (f. unten) .

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Militairiſche Jahresberichte für 1874.

hältnisse Beschränkungen nicht unterworfen (§ 61 des R. M. G.; wegen Aus wanderung f. unten.). -―― Die Militair - Strafbestimmungen kommen auf die Personen des Beurlaubtenstandes nur während der Zeit durchweg zur Anwendung , in welcher ſie ſich im Dienst befinden ;

außerhalb dieser Zeit nur bei Nicht

befolgung einer Einberufungsordre , bei Fahnenflucht , bei Zuwiderhandlungen gegen die zum Zwecke der Aufrechterhaltung der militairischen Controle er theilten Dienſtvorschriften , bei Verstößen gegen die Disciplin in besonderen Fällen , sowie bei Mißbrauch der Dienstgewalt im dienstlichen Verkehr mit Untergebenen oder in Militairuniform .

( Vgl . §§ 6, 68, 69, 113, 126 des

Militair- Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, v . 20. Juni 1872, § 60, 2 und 3 des Reichs-Mil.Gef. und §§ 23 bis 31 der Disciplinar-Strafordnung für das Heer vom 31. October 1872.) . Ueber die Ausübung der militairischen Controle , die Uebungen und die gegen Personen des Beurlaubtenstandes zulässigen Disciplinarſtrafmittel find durch Reichsgesetz vom 15. Februar 1875 einige nähere Bestimmungen ge troffen.

Zu diesem Geſeße sind , ebenso wie zu den die Verhältnisse des Be

urlaubtenstandes betreffenden Vorschriften des Reichs -Militairgeſeßes, noch die vom Kaiser für das Reich zu erlassenden Ausführungs - Verordnungen zu er warten. Inzwischen gelten , soweit sie nicht durch die neueren Geseze modi ficirt worden sind, bezüglich der Controle 2c. des Beurlaubtenstandes diejenigen Verwaltungs - Vorschriften , welche in der Preußischen Verordnung , betreffend die Organisation der Landwehr-Behörden und die Dienſtverhältnisse der Mann schaften des Beurlaubtenstandes, vom 5. September 1867, und in der Preuß. Verordnung über die Dienſtverhältnisse der Offiziere des Beurlaubtenstandes, vom 4. Juli 1868 , enthalten sind. Beide Verordnungen find seiner Zeit in allen Staaten des Deutschen Reiches eingeführt und auch für Bayern find analoge Verordnungen erlaſſen worden. In der Zeit, während welcher sie zum Dienst einberufen sind, unterliegen die Personen des Beurlaubtenstandes (einschl. der Landwehr ) denselben Bestimmungen , wie alle übrigen An gehörigen des activen Heeres . (Vgl . § 38 d . R.M.G.; einige unbe deutende Ausnahmen : §§ 40, 41 u . 43 ebend.) .

Wir haben oben die Fälle bezeichnet , in welchen Wehrpflichtige vom Militairdienst im Frieden befreit werden. der Ersaß - Reserve überwiesen.

Alle dieſe Mannschaften werden

Die Ersaß- Reserve zerfällt in zwei Klassen. Die Dienſtverpflichtung in der ersten Klasse dauert fünf Jahre, vom ersten October des Jahres an ge rechnet, in welchem die Ueberweisung zur Ersaß - Reserve erfolgt ist.

Nach

Ablauf der fünf Jahre werden die Mannschaften in die zweite Klaſſe der

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. Erſaz-Reserve verseßt.

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Die Zugehörigkeit zur Ersaß-Reserve erlischt mit dem

vollendeten 31. Lebensjahre.

(§ 23 d . R.M.G.) .

Die erste Klaſſe der Erſaß-Reſerve dient zur Ergänzung des Heeres bei Mobilmachungen und zur Bildung von Ersaß-Truppentheilen. Derselben find alljährlich so viele Mannschaften zu überweisen , daß mit fünf Jahrgängen der Bedarf für die Mobilmachung des Heeres gedeckt wird . Der erſten Klaſſe werden vorzugsweise diejenigen Perſonen zugetheilt, welche zum Militairdienſt tauglich befunden , aber wegen hoher Loosnummer nicht zur Einstellung ge langt find. (§ 24 ebend.). Die Mannschaften der Ersatz-Reserve 1. Klasse stehen in ähnlicher Weise in der Controle der Militairbehörden, wie die Mannschaften des Beurlaubten ſtandes und werden, wie diese, bei Mobilmachungen und bei beginnender Bil dung von Erſaßtruppen nach Bedarf von den Militairbehörden zur Fahne einberufen. Ihr Verhältniß unterscheidet sich von dem der Mannschaften des Beurlaubtenstandes hauptsächlich nur dadurch, daß, außer im Falle ihrer Ein berufung zur Fahne, die Grundsäße der militairischen Disciplin auf sie nicht Anwendung finden . (§ 69 d . R.M.G.) . Der zweiten Klaſſe der Erfaß-Reſerve werden , außer den Mannschaften, welche nach abgelaufener Zeitdauer aus der ersten Klaſſe in dieselbe eintreten, alle Militairpflichtigen zugetheilt, welche der Ersaß -Reſerve zu überweiſen ſind, aber als ungeeignet oder überschüssig nicht der ersten Klasse überwiesen wer den. Die Mannschaften der zweiten Klaſſe der Erſaß-Reſerve ſind in Friedens zeiten von

allen militairiſchen Pflichten befreit.

Bei ausbrechendem Kriege

können sie jedoch im Falle des Bedarfes durch regelmäßiges Aushebungs verfahren zur Ergänzung des Heeres herangezogen werden . (§§ 26-28 ebend.). Mannschaften, welche aus der ersten oder zweiten Klasse der Ersaß-Reserve zum Dienst eingezogen werden , sind bei Zurückführung des Heeres auf den Friedensfuß wieder zu entlaſſen . Sie treten, wenn sie militairisch ausgebildet find, je nach ihrem Lebensalter zur Reserve oder Landwehr über , und wird dann ihre Dienstzeit in der Reserve und Landwehr so bemeſſen, als wenn ſie in demjenigen Calenderjahre, in welchem sie das 20. Lebensjahr vollendeten, ausgehoben wären. Diejenigen , welche militairisch nicht ausgebildet find, treten in die Ersaßreserve zurück (§§ 29, 50 u . 62 d . R.M.G.) . Den Familien der aus der Erfahreserve zum Dienſt einberufenen Mann schaften stehen, nach dem Geseße des Nordd. Bundes vom 8. April 1868, im Falle der Bedürftigkeit dieſelben Unterſtüßungen zu , wie den Familien der Reserve- und Landwehrmannschaften.

Der § 6 des Reichs-Mil.Gesetzes vom 2. Mai 1874 enthielt die Bestimmung : "„ Die Dienstverhältnisse der Landsturmpflichtigen werden durch

ein Gesetz geregelt. "

Militairische Jahresberichte für 1874.

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Diese Vorschrift war in das Gesez aufgenommen worden an Stelle einer Bestimmung der Regierungsvorlage, welche gelautet hatte : „Kaiserlicher Verordnung bleibt zugleich die Beſtimmung überlaſſen ', in welchem Umfange die für das Heer geltenden Vorschriften auf den Landſturm im Falle feines Zusammentritts Anwendung finden." Dieser letzteren Fassung lag augenscheinlich schon der Gedanke zu Grunde, den Landsturm , wenn außerordentliche Umstände das Aufgebot deſſelben er heischen sollten , soweit als möglich militairiſch zu organiſiren, einerſeits , um denselben nach den Regeln des Kriegsrechtes zu verwenden , ihm dadurch den völkerrechtlichen Schuß zu sichern und dem Feinde das Recht oder den Vor wand zu Repreſſalien zu nehmen ; andererseits aber auch , weil von einem militairisch organiſirten Landſturm unleugbar eine wirksamere Unterſtüßung der kriegerischen Operationen zu erwarten ist, als von ungeregelten und un disciplinirten Massen. Dabei wollte man jedoch keinesweges gänzlich darauf verzichten, äußersten Falles alle Mittel, also auch das der allgemeinen Landes erhebung , in Bewegung zu ſeßen , um das Land von einer etwaigen feind lichen Invaſion zu befreien ; nur sollte die leßtgedachte Maßregel im Intereſſe der Humanität so lange als möglich hintangehalten werden. Von dem gleichen Streben beseelt, veranlaßte Rußland im Sommer 1874 den Zusammentritt einer internationalen Conferenz in Brüssel, auf wel cher der Versuch gemacht werden sollte, feste Grundſäße für das Kriegsrecht und den Kriegsgebrauch zu vereinbaren. Insbesondere war in den Ruſſiſchen Vorschlägen auch der völkerrechtlich bestehende Grundsaß in bestimmte Form gekleidet, daß ein Kriegswiderstand, von bewaffneten Haufen ohne militairische Organisation, Zucht und Uniformirung geleistet , den Gegner zu Repreſſalien berechtigt. Ueber diese Russischen Vorschläge ist bis jezt eine feste Vereinba rung nicht erzielt ; die Verhandlungen dauern fort. Den leßtgedachten Grund ſaß hat aber das Deutsche Reich nicht nur durch seinen Bevollmächtigten, General von Voigts-Rheß, in den Brüsseler Conferenzen, mit besonderem Nach druck vertreten lassen, sondern es hat auch die Consequenzen desselben , ohne die Reſultate der internationalen Verhandlungen abzuwarten, für die eigenen Landesvertheidigungs-Inſtitutionen gezogen. Bereits in der Herbſtſeſſion 1874 wurde dem Deutschen Reichstage , unter Bezugnahme auf § 6 des Reichs Militair-Gesezes , der Entwurf eines Geseßes über den Landsturm vorgelegt, welcher jenen Grundfäßen im vollen Maße Rechnung trug ; derselbe hat zwar im Reichstage und in der Preſſe lebhafte Debatten hervorgerufen , ist aber ſchließlich mit unerheblichen Modificationen zum Geſeß erhoben worden. Wenn man dieses Vorgehen des Deutschen Reiches im Auslande vielfach mit Mißtrauen betrachtet hat , so beruht dies augenscheinlich auf einem Ver kennen der Verhältnisse, wie sie in Deutschland ohne das Landsturmgeſetz gelegen haben würden.

Ohne das Leştere würde nämlich die Deutsche Re

gierung auf Grund der Verfassung und des Gesetzes vom 9. November 1867

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

57

bereits vollkommen in der Lage gewesen sein , eintretenden Falles den Land ſturm ganz in demselben Umfange und in der gleichen Art aufzubieten und zu verwenden , wie dies jezt im Gefeße vorgesehen ist.

Und daß sie dies

gethan haben würde , hat sie wiederholt unverholen ausgesprochen . Somit ist durch das Landsturmgeſeß nur insoweit eine Aenderung des Bestehenden eingetreten , als die Regierung nunmehr gefeßlich verpflichtet ist ,

eintretenden Falles so zu verfahren , wie ſie

ohne das Gesez kraft ihres Verordnungsrechtes zu verfahren gewillt war. Das Gesez über den Landsturin trägt das Datum vom 12. Februar 1875. Da in dasselbe alle älteren Bestimmungen über den Landsturm und insbesondere über die Dienstpflicht im Landsturm aufgenommen sind, so wollen wir seine Vorschriften nachstehend im Wortlaute wiedergeben . Sie Lauten: "§ 1. Der Landſturm besteht aus allen Wehrpflichtigen vom voll endeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahre, welche weder dem Heere noch der Marine angehören. Der Landſturm tritt nur zusammen, wenn ein feindlicher Einfall Theile des Reichsgebietes bedroht oder überzieht. (§ 3 Alinea 2 und § 16 des Gesetzes vom 9. November 1867.) § 2. Das Aufgebot des Landsturms erfolgt durch Kaiserliche Verord nung, in welcher zugleich der Umfang des Aufgebots bestimmt wird. § 3. Das Aufgebot kann sich auch auf die verfügbaren Theile der Erfahreserve erstrecken. Wehrfähige Deutsche , welche nicht zum Dienst im Heere verpflichtet find, können als Freiwillige in den Landsturm eingestellt werden. § 4. Nachdem das Aufgebot ergangen ist , finden auf die von dem selben betroffenen Landsturmpflichtigen die für die Landwehr geltenden Vorschriften Anwendung. Insbesondere sind die Aufgebotenen den Mili tairſtrafgeſetzen und der Disciplinarordnung unterworfen. Dasselbe gilt von den in Folge freiwilliger Meldung in die Listen des Landsturms Eingetragenen. § 5. Der Landsturm erhält bei Verwendung gegen den Feind mili tairische, auf Schußweite erkennbare Abzeichen und wird in der Regel in besonderen Abtheilungen formirt. In Fällen außerordentlichen Bedarfs kann die Landwehr aus den Mannschaften des aufgebotenen Landsturms ergänzt werden , jedoch nur dann , wenn bereits sämmtliche Jahrgänge der Landwehr und die ver wendbaren * ) Mannschaften der Erfahreſerve einberufen sind. Die Einstellung erfolgt nach Jahresklassen, mit der jüngsten beginnend, soweit die militairischen Interessen dies gestatten. § 6. Wenn der Landſturm nicht aufgeboten ist, dürfen die Landſturm pflichtigen keinerlei militairiſcher Controle oder Uebung unterworfen werden. *) ,,Verwendbar " ist hier nicht gleichbedeutend mit " dienstbrauchbar ", sondern es tommt auf die Verwendbarkeit für den jedesmaligen besonderen Zwed an. Soweit also 3. B. Lesterer militairisch bereits ausgebildete Mannschaften erheischt , bleibt die unaus gebildete Ersatzreserve außer Betracht.

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Militairische Jahresberichte für 1874. § 7. Die Auflösung des Landsturms wird vom Kaiser angeordnet. Mit der Auflösung der betreffenden Formationen hört das Militairver hältniß der Landſturmpflichtigen auf. § 8. Die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmun gen erläßt der Kaiser. § 9. Gegenwärtiges Gesetz kommt in Bayern nach näherer Bestim = mung des Bündnißvertrages vom 23. November 1870 (B.-G.-Bl. 1871, G. 9) unter III. § 5 zur Anwendung. Dasselbe findet auf die vor dem 1. Januar 1851 geborenen Elsaß-Lothringer keine Anwendung" (§ 2 des Geſetzes vom 23. Januar 1872). "

Was das Verhältniß der Reichs-

und Staatsangehörigkeit

zur Erfüllung der Wehrpflicht betrifft, so ist im § 17 des Geſeßes vom 9. November 1867 das wichtige Princip vollständiger militairischer Freizügigkeit ausgesprochen. Danach wird jeder Deutsche in demjenigen Bundesstaate zur Erfüllung seiner Militairpflicht herangezogen, in welchem er zur Zeit des Eintritts in das militairpflichtige Alter seinen Wohnsiß — im weiteren Sinne - hat, oder in welchen er vor erfolgter endgültiger Ent scheidung über seine active Dienstpflicht verzieht. Den Freiwilligen steht die Wahl des Truppentheils , bei welchem sie ihrer activen Dienstpflicht genügen wollen, innerhalb des Reiches frei.

Reserve- und Landwehrmannschaften

treten beim Verziehen von einem Staate in den anderen zur Reserve ,

bez .

Landwehr des letteren über. Hierbei iſt ſelbſtverſtändlich nicht ausgeschloffen, daß Mannschaften , welche in einem Staate ausgehoben werden , zur Ein stellung in das Contingent eines anderen Staates gelangen, wenn durch die allgemeine Ersatzvertheilung , welche einheitlich für das Reich alljährlich auf gestellt wird , eine solche Ausgleichung bedingt wird .

Dasselbe gilt bezüglich

der Ausgleichung an Reſerve- und Landwehr-Mannschaften für die Completi rung der Contingente auf den Kriegsfuß. Die Auswanderungs - Befugniß ist durch die Wehrpflicht nur in geringem Maße beschränkt.

Nach §§ 15 ff. des im ganzen Reiche geltenden

Gesetzes vom 1. Juli 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Bun des- und Staatsangehörigkeit wird in Uebereinstimmung mit dem Princip die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit der militairischen Freizügigkeit Jedem ertheilt , welcher nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die Staatsangehörigkeit erworben hat . In Ermangelung dieses Nachweiſes darf sie nicht ertheilt werden : 1. Wehrpflichtigen , welche sich in dem Alter vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 25. Lebensjahre befinden, bevor sie ein Zeugniß der Ersatz-Commission darüber beigebracht haben , daß sie die Entlassung nicht blos in der Absicht nachsuchen , um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere d. h. der activen Dienstpflicht , Reservepflicht kommt hier nicht in Betracht zu entziehen ;

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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2. Militairpersonen , welche zum stehenden Heere gehören ―

d. h. in Er füllung ihrer activen Dienstpflicht begriffen sind , einschließlich der vor läufig in die Heimath beurlaubten Rekruten und Freiwilligen , sowie

der zur Disposition der Truppentheile beurlaubten und der zur Dis position der Ersaßbehörden entlaffenen Mannschaften (vergl. § 60 des R.M.G. ) , ― sowie Offizieren und im Offizierrange stehenden Aerzten des Beurlaubtenstandes und Beamten, bevor sie aus dem Dienste ent laſſen find ; 3. den zur Reserve des stehenden Heeres und der Landwehr gehörigen und nicht als Offiziere angestellten Personen, nachdem sie zum activen Dienſte einberufen sind. Aus anderen als den vorstehend bezeichneten Gründen darf in Friedens zeiten die Entlassung nicht verweigert werden. Es besteht daher insbesondere vollständige Freiheit der Auswanderung für alle nicht zur Fahne einberufenen Mannschaften der Reserve, Landwehr und Ersaß-Reserve , und sind dieſelben nicht einmal verpflichtet, die Erlaubniß der Militair - Behörde zuvor einzu holen.

Dagegen sollen sie , mit Ausnahme der Mannschaften der Ersaß-Re

serve zweiter Klasse, der Militair-Behörde von ihrer bevorstehenden Auswan derung Anzeige machen , — eine Verpflichtung , welche u . A. den Erſaß-Re serviſten 1. Klaſſe durch § 69 , 8 des Reichs- Militair - Gesetzes neuerdings ausdrücklich auferlegt worden ist. Für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr ist jedoch dem Kai ser der Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten. Deutsche , welche sich im Auslande aufhalten , können ihrer Staatsange hörigkeit durch einen Beschluß der Centralbehörde ihres Heimathsstaates ver lustig erklärt werden, wenn sie im Falle eines Krieges oder einer Kriegsgefahr einer vom Kaiser für das ganze Reichsgebiet anzuordnenden ausdrücklichen Auf forderung zur Rückkehr binnen der darin beſtimmten Frist keine Folge leisten. Deutsche, welche das Bundesgebiet verlassen und sich zehn Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten, verlieren dadurch ihre Staatsangehö rigkeit.

Die vorbezeichnete Frist wird unterbrochen durch die Eintragung in

die Matrikel des Bundesconsulats . Die zehnjährige Frist kann durch Staats vertrag bis auf eine fünfjährige vermindert werden . Von dieser geseßlichen Befugniß ist Gebrauch gemacht durch Abschluß eines entsprechenden Vertrages mit den Vereinigten Staaten von Nord-America, vom 22. Februar 1868, in welchem überdies die Bestimmung getroffen ist , daß Deutsche , welche durch fünfjährigen Aufenthalt in Nord -America und Naturaliſation daselbst - ohne daß zum Zweck der letteren die vorgängige Beibringung einer Urkunde über die Entlassung aus der Deutschen Staatsangehörigkeit erfordert wäre — die Deutsche Staatsangehörigkeit verlieren , für das durch die unerlaubte Aus wanderung begangene Vergehen bei Rückkehr in die Heimath daselbst nicht bestraft werden dürfen.

60

Militairische Jahresberichte für 1874. Nimmt man zu allen diesen Bestimmungen noch diejenige des § . 21 des

Gesetzes vom 1. Juli 1870 hinzu, wonach Deutschen, welche durch 10jährigen bez. 5jährigen Aufenthalt im Auslande die Staatsangehörigkeit verloren haben, dieselbe auf Verlangen von jedem Bundesstaate wiederverliehen werden muß, wenn sie sich, demnächst zurückkehrend , in demſelben niederlaſſen , ſo iſt nicht zu verkennen, daß eine so ausgedehnte Auswanderungs-Freiheit mit den mili tairischen Interessen vielfach collidiren muß. Zumal in den periodisch wieder kehrenden Zeiten, wo weite Kreise der Bevölkerung von dem Auswanderungs fieber ergriffen werden - es war dies zuletzt noch in den Jahren 1872 und können die Reihen der Wehrpflichtigen 1873 in hohem Maaße der Fall, sich erheblich lichten . An Rekruten wird es für das Deutsche Heer zwar auch in solchen Zeiten nicht leicht fehlen ; aber der Verlust vieler Tausende von Reservisten und Landwehrleuten , deren militairische Ausbildung mit großen Opfern bewirkt ist , und welche schwer in den Reihen des Heeres zu ersehen ſind, kann ſich empfindlich fühlbar machen. Ueberdies kann es moraliſch nicht günstig wirken , wenn es so leicht gemacht wird , sich den Pflichten gegen das Vaterland zu entziehen , und über dieses Bedenken kann selbst die erfreuliche Thatsache nicht ganz beruhigen , daß bei Ausbruch der lezten Kriege die in großer Zahl im fernen Auslande lebenden Deutschen meistentheils opferbereit und freudig in die Heimath zurückgekehrt sind, um die Waffen für das Vater land zu ergreifen.

Einen höchst demoraliſirenden Eindruck müßte es aber

machen, wenn die Auswanderungsfreiheit dahin gemißbraucht würde, daß ehe malige Deutsche, welche sich durch Auswanderung den militairischen Verpflich tungen entzogen haben, demnächst unbelästigt und aller militairischen Pflichten ledig ihren dauernden Aufenthalt in der Heimath zu einer Zeit wieder nähmen, wo ihre Altersgenossen noch den Pflichten des Heeresdienstes unterworfen ſind. So lange Jene nicht Reichsangehörige sind , können sie zwar policeilich aus dem Reichsgebiet ausgewiesen werden ; aber es ist dies doch keine ausreichende Genugthuung, und überdies haben sie ja nach den oben angeführten Gesezes und Vertragsbestimmungen bei ihrer Rückkehr Anspruch auf Wiederaufnahme in die Staatsangehörigkeit , und dadurch wird alsdann die Ausweisung un anwendbar. Besonders kann auf diese Weise Aergerniß erregt werden durch den so leichten Mißbrauch der Bestimmungen des Staatsvertrages mit Nord America , von welchem wir deshalb auch dringend wünschen möchten , daß er bei seinem Ablauf im Jahre 1878 nicht erneuert werde.

Einige, wenn auch

u . E. nicht ausreichende Abhülfe, ist durch die Beſtimmuungen der §§ . 11 und 68 des Reichsmilitairgefeßes gewährt worden, welche lauten : §. 11. "1 Personen , welche das Reichsgebiet verlassen, die Reichsange hörigkeit verloren , eine andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder verloren haben, sind, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland nehmen , gestellungspflichtig und können nachträglich ausge hoben, im Frieden jedoch nicht über das vollendete 31. Lebensjahr hinaus im Dienst zurückgehalten werden. Dasselbe gilt von den Söhnen ausge

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

61

wanderter und wieder in das Deutsche Reich zurückgekehrter Personen, sofern die Söhne keine andere Staatsangehörigkeit erworben haben. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch Anwendung auf Ausgewanderte, welche zwar eine andere Staatsangehörigkeit erworben hatten, aber vor vollendetem 31. Lebensjahr wieder Reichsangehörige werden." Und §. 68. „Personen des Beurlaubtenstandes, welche nach erfolgter Aus wanderung vor vollendetem 31. Lebensjahre wieder naturalisirt werden, treten in denjenigen Jahrgang , welchem sie ohne die stattgehabte Aus wanderung angehört haben würden, wieder ein. " Denselben Geist der Milde, welcher sich in der Deutſchen Auswanderungs Gesetzgebung zeigt, athmen auch die geseßlichen Bestimmungen über die Bestrafung der Entziehung von der Wehrpflicht. In dieser Be ziehung bestimmt zunächst §. 140 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 : „Wer dem Eintritt in den Dienst des stehenden Heeres oder der Flotte sich dadurch zu entziehen sucht , daß er ohne Erlaubniß entweder das Bundesgebiet verläßt oder nach erreichtem militairpflichtigen Alter sich außerhalb des Bundesgebietes aufhält, wird mit einer Geldstrafe von Fünfzig bis zu Eintauſend Thalern oder mit Gefängniß von einem Monat bis zu Einem Jahre bestraft. Das Vermögen des Angeschuldigten kann, insoweit es nach dem Ermessen des Richters zur Deckung der den Ange schuldigten möglicherweise treffenden höchsten Geldstrafe und der Kosten des Verfahrens erforderlich ist, mit Beschlag belegt werden. " Der Versuch, das Bundesgebiet zu verlassen , um sich dem Eintritt in das stehende Heer zu entziehen, ist nicht strafbar.

In Folge dessen kann ein

Militairpflichtiger seine Habe in der Heimath veräußern , mit der offen aus gesprochenen Absicht, sich demnächst durch Auswanderung dem Militairdienſte zu entziehen : er kann weiter mit derselben Deffentlichkeit die Heimath ver laffen, in eine Hafenſtadt gehen, dort ein Billet zur Ueberfahrt nach America ――― nehmen , aber erst nachdem er das Bundesgebiet verlassen hat , kann der Strafrichter mit einem alsdann natürlich völlig wirkungslosen Verfahren auf Grund des vorſtehenden Geſeßesparagraphen einſchreiten. Um solchen Aergerniß erregenden Vorkommnissen vorzubeugen , hatten die verbündeten Regierungen in den Entwurf zum Reichsmilitairgeſeß (§ . 27) die Bestimmung aufgenommen, daß auch der Versuch des im §. 140 des Strafgesetzbuches bezeichneten Ver gehens strafbar sein sollte. Leider hat dieser Vorschlag die Zustimmung des Reichstages nicht gefunden.

Wenn man auch anerkennen muß , daß bei der

bestehenden vollkommenen Paßfreiheit die von den Regierungen

gewünſchte

Bestimmung nicht sehr häufig zur practiſchen Anwendung gekommen ſein würde, so wäre durch dieselbe doch das erreicht worden , daß dem Gefeße wenigstens nicht offen Hohn gesprochen werden könnte. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich bestimmt ferner : §. 141. " Wer einen Deutschen zum Militairdienste einer ausländischen

62

Militairische Jahresberichte für 1874. Macht anwirbt oder den Werbern der letzteren zuführt , ingleichen wer einen Deutschen Soldaten vorsätzlich zum Desertiren verleitet oder die Deſertion desselben befördert, wird mit Gefängniß von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. " §. 142. Wer sich vorsätzlich durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht oder durch einen Anderen untauglich machen läßt , wird mit Gefängniß nicht unter Einem Jahre bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafe trifft Denjenigen , welcher einen Anderen auf deſſen Verlangen zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht. " §. 143. ??Wer in der Absicht, sich der Erfüllung der Wehrpflicht ganz oder theilweise zu entziehen , auf Täuschung berechnete Mittel anwendet, wird mit Gefängniß bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Dieselbe Strafvorschrift findet auf den Theilnehmer Anwendung. "

Endlich kommt hier die Bestimmung des § . 360 des mehrgenannten Straf gesetzbuches in Betracht : „Mit Geldstrafe bis zu 50 Thalern oder mit Haft wird bestraft : 1. u. s. w. , 3. wer als beurlaubter Reservist oder Wehrmann der Land- oder Seewehr ohne Erlaubniß auswandert. " Die gleiche Strafe trifft nach § . 69, 8 des Reichs - Militair - Geſetzes Ersat-Reservisten 1. Kl., welche es versäumen, von ihrer bevorstehenden Aus wanderung der Militairbehörde Anzeige zu machen. Die Fassung dieser lez teren Bestimmung bezeichnet deutlicher , als die des §. 360, 3 des Reichs Straf-Gefeß-Buches die Absicht des Gesetzgebers ; es handelt sich auch in dem leßteren lediglich um eine Ordnungsſtrafe für die unterlassene Abmeldung, und erklärt sich dadurch die Geringfügigkeit des Strafmaßes .

In dem von den

Regierungen dem Reichstage vorgelegten Entwurfe eines Reichs -Militairgeſetzes ist versucht worden, einer strengeren Auffaſſung Geltung zu verschaffen, indem nach §. 54, 2 deſſelben auf beurlaubte Mannschaften der Reſerve, Landwehr und Ersaß - Reſerve 1. Kl. , welche ohne Erlaubniß auswandern oder auszu wandern versuchen , die Strafvorschriften des §. 140 des Straf - Gesetzbuches Anwendung finden sollten. Aber auch dieser Vorschlag fand nicht die Zu stimmung des Reichstages .

Selbst für den Fall kennt die Deutsche Straf

gesetzgebung keine höhere Strafandrohung als die des § . 360 des Strafgeset buches, wenn Mannschaften der Reserve, Landwehr und Ersatz-Reserve 1. Kl . ohne Erlaubniß auswandern , nachdem der Kaiser auf Grund des §. 17 des Gesezes vom 1. Juli 1870 für die Dauer eines Krieges oder einer Kriegs gefahr die Auswanderungs - Freiheit fuspendirt oder beschränkt hat ― eine Lücke, welche wohl jedenfalls der Ausfüllung bedarf. Dagegen werden nach § . 60, 2 des Reichsmilitairgeſeßes Offiziere und im Offizierrange stehende Aerzte des Beurlaubtenstandes, welche ohne Erlaubniß

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

63

auswandern -- dieselben bedürfen hierzu, wie oben bemerkt, der vorgängigen Entlassung aus dem Militairverhältniß, - mit Geldstrafe bis zu 3000 Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu 6 Monaten bestraft ; und in dem selben Paragraphen ist unter Nr. 3 beſtimmt worden , daß die vorläufig in die Heimath beurlaubten Rekruten , sowie die zur Disposition der Truppen theile beurlaubten und die zur Disposition der Ersaß - Behörden entlaſſenen Mannschaften, wenn sie sich durch unerlaubte Auswanderung, Selbstverstümme= lung 2. der Wehrpflicht entziehen , ebenso zu bestrafen sind , wie die Mann schaften des activen Dienſtſtandes. Schließlich müssen wir erwähnen, daß das Preuß. Gefeß vom 10. März 1856, betreffend das Verfahren gegen ausgewanderte Militairpflichtige und gegen beurlaubte Landwehrmänner , welche ohne Erlaubniß auswandern , das Contumacial - Verfahren regelt. Die Bestrafung der Militairpersonen des activen Dienststandes , welche ſich durch unerlaubte Entfernung, Fahnenflucht, Selbstbeschädigung oder Vor schüßung von Gebrechen ihren Militairdienstpflichten entziehen oder zu entziehen versuchen, erfolgt nach Maßgabe der Bestimmungen im dritten und vierten Abschnitt (§§. 64 bis 83) des Militairſtrafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872. Wir glauben von den dort gegebenen Bestimmungen an dieser Stelle jedoch nur die des §. 68 speciell hervorheben zu sollen, wo nach Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren eine Person des Beurlaubtenstandes trifft, welche nach bekannt gemachter Kriegsbereitschaft oder nach angeordneter Mobilmachung ihrer Einberufung zum Dienst oder einer öffentlichen Aufforderung zur Stellung nicht binnen drei Tagen nach Ablauf der bestimmten Frist Folge leistet. Auf Grund der §§. 69 ff. find Personen des Beurlaubtenstandes, welche sich dem Dienste aus Anlaß einer Kriegsbereit= schaft oder Mobilmachung mit der Absicht , dauernd fern zu bleiben , (durch unerlaubte Auswanderung) nach erfolgter Einberufung entziehen , denselben Strafbestimmungen unterworfen , wie die Personen des activen Dienſtſtandes bei Fahnenflucht (Deſertion) .

Die Bestimmungen der §§ . 68, 69 ff. finden

nach §. 69, 5 des Reichsmilitairgesetzes schaften der Ersatz - Reserve 1. Klaſſe.

auch Anwendung auf die Mann

Nichtbefolgung einer rechtmäßig erlaſſenen Einberufungs -Ordre im Frieden wird an den Personen des Beurlaubtenstandes nach denselben Grundsäßen be straft, wie der Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsachen bei Personen des activen Dienſtſtandes. 3.

(§§. 92 bis 113 des Militair- Straf-Geſeßbuches .)

Stärke und Formation des Reichsheeres .

A. Im Frieden. Der bereits erwähnte § . 1 des Reichsmilitairgefeßes lautet : „ Die Friedens -Präsenzſtärke des Heeres an Unteroffizieren und Mann schaften beträgt für die Zeit vom 1. Januar 1875 bis zum 31. December

64

Militairische Jahresberichte für 1874. 1881 401,659 Mann. Die Einjährig - Freiwilligen kommen auf die Friedens - Präsenzſtärke nicht in Anrechnung. "

Die Zahl der Einjährig - Freiwilligen dürfte durchschnittlich auf etwa 5000 jährlich zu veranschlagen sein. Bisher wurden dieſelben aus Ersparniß Rücksichten bis zur Zahl von fünf bei jeder Compagnie, Escadron und Bat terie auf die Etatsſtärken angerechnet , und dieses Verhältniß soll , nach dem Etat für 1875, bei der Cavallerie auch noch beibehalten werden, — vermuth lich weil für die Cavallerie in der Reserve und Landwehr troßdem erheblich mehr Mannschaften vorhanden sind , als zur Mobilmachung dieser Waffe ge braucht werden , und weil andererseits die Berittenmachung der Einjährigen ohne die Anrechnung derselben auf die Etatsstärke auf Schwierigkeiten ſtoßen würde. Die gesetzliche Friedens - Präsenzziffer ist gleich der Summe der Etats ſtärken aller Truppen-Formationen des Deutschen Heeres. Sie ist daher eine Maximal- und Normal- Ziffer, nicht etwa eine Durchschnittsziffer. Die Effectiv stärke des Heeres an Unteroffizieren und Mannschaften kann unter gewöhn lichen Friedens - Verhältniſſen zu keiner Zeit des Jahres größer sein als 401,659 Mann , vielmehr muß sie immer hinter dieser Stärke etwas zurück bleiben, weil bei den Truppentheilen mannigfacher Abgang durch Tod, Dienſt unbrauchbarkeit u. s. w. unvermeidlich eintritt, zu dessen Ersetzung eine ge wisse Zeit erforderlich ist. Wird überdies angenommen , daß , wie es wohl als Regel betrachtet werden kann, die Rekruten- Einstellung im Herbst erſt vier Wochen nach der Entlassung der Reserven stattfindet, so berechnet sich gegen= über der Normalziffer von 401,659 Mann die Effectivstärke des Heeres im Durchschnitt des Jahres auf prpr. 385,000 Mann. Mannschaften der Reſerve und Landwehr , welche zur Uebung oder aus Anlaß außerordentlicher Umstände zur Fahne einberufen werden ,

kommen

selbstverständlich auf die Friedens - Präsenzſtärke nicht in Anrechnung. Ueber die Zahl der Cadres , die Zusammenstellung derselben zu größeren Truppenverbänden , sowie über die Zahl der Offi ziere, Aerzte und Beamten des Friedensstandes enthält das Reichs Militairgefeß folgende Bestimmungen : "§. 2. Die Infanterie wird formirt in 469 Bataillonen , die Caval lerie in 465 Escadrons, die Feld-Artillerie in 300 Batterien, von welchen je zwei bis vier eine Abtheilung bilden; die Fuß- Artillerie in 29, die Pioniertruppe und der Train in je 18 Bataillonen. Die Bataillone haben in der Regel vier, die des Trains zwei bis drei Compagnien. In der Regel wird bei der Infanterie aus drei Bataillonen , bei der Cavallerie aus 5 Escadrons, bei der Artillerie aus 2 bis 3 Abtheilungen beziehungsweise Bataillonen ein Regiment formirt. " „§. 3. Zwei oder drei Regimenter werden zu einer Brigade , zwei oder drei Brigaden der Infanterie und Cavallerie zu einer Division ver einigt.

65

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

Aus zwei bis drei Diviſionen mit den entſprechenden Artillerie-, Pionier und Train-Formationen wird ein Armee-Corps gebildet, der Art, daß die gesammte Heeresmacht des Deutschen Reichs im Frieden aus 18 Armee Corps besteht. Zwei Armee - Corps werden von Bayern , je eines von Sachsen und Württemberg aufgestellt, während Preußen gemeinschaftlich mit den übrigen Staaten 14 Armee-Corps formirt. Für je drei bis vier Armee- Corps beſteht eine Armee-Inſpection. " „§. 4. In der Regel wird jede Compagnie, Escadron und Batterie durch einen Hauptmann oder Rittmeister mit Hilfe eines Premierlieutenants , zwei oder drei Secondelieutenants und der entsprechenden Anzahl von Unteroffizieren (§ . 1) militairiſch ausgebildet und befehligt. An der Spitze eines jeden Bataillons und einer jeden Artillerieabthei lung steht ein Stabsoffizier; an der Spitze eines jeden Regiments ein älterer Stabsoffizier (Oberst , Oberstlieutenant , Major) . Zu den Regi= mentsstäben gehört außerdem in der Regel noch je ein zweiter Stabs offizier , und zu den Stäben der Regimenter und Bataillone beziehungs weise Abtheilungen je ein Lieutenant als Adjutant, sowie das erforderliche Personal an Aerzten , Zahlmeistern , Roßärzten , Büchsenmachern und Sattlern. Eine Brigade wird in der Regel durch einen Generalmajor, eine Divi An der Spitze eines jeden sion durch einen Generallieutenant befehligt. Armee-Corps steht ein commandirender General ( General der Infanterie 2 . oder General-Lieutenant) . Den höheren Truppencommandos sind die zur Befehlsführung erforderlichen Stäbe beigegeben. Außerdem gehören zum Heere eine Anzahl von Offizieren außer Reih und Glied , als : General- , Flügel- und andere persönliche Adjutanten, Offiziere der Kriegsministerien, des Generalstabes, des Ingenieur - Corps, des Militair- Erziehungs- und Bildungswesens u. s. w. , sowie das ge jammte Heeres - Verwaltungspersonal. Die hiernach im Friedensstande des Heeres nothwendigen Offizier-, Arzt- und Beamtenstellen, sowie die hieran erforderlich werdenden Aende rungen unterliegen der Feststellung durch den Reichshaushaltsetat. " Welcher Theil der gefeßlichen Friedens- Präsenzſtärke auf die Preußische Armee, einſchließlich der in Preußischer Verwaltung stehenden Contingente, sowie auf das Sächsische, Württembergische und Bayerische Contingent entfällt, wie ſich die Friedenspräsenzſtärke überhaupt und in den genannten Armeen bez . Con tingenten auf die verschiedenen Waffengattungen vertheilt , wie viel Offiziere, Aerzte, Beamte, Unteroffiziere u . s. w., sowie Pferde bei denselben etatsmäßig find , endlich wie viele von der gesetzlich festgestellten Zahl von Bataillonen, Escadrons und Batterien zur Preußischen Armee , bez. zum Sächsischen, - ergiebt sich aus Württembergischen und Bayerischen Contingent gehören , —

der nachstehenden

Militairische Jahresberichte 1874.

5

Militairische Jahresberichte für 1874.

66

Uebersicht der Etatsſtärke de

Zahl dei Bezeichnung der Truppen.

14 Garde und Linien-Jäger-Bataillone 2 Jäger- Bataillone . 10 " " Summe I. b. Jäger - 26 Bataillone

c) Landwehr - Bezirks - Commandos. Preußen 209 Landwehr-Bezirks - Commandos " " Sachsen 17 " " " " Württemberg 17 32 Bayern ?! " " Summe I. c. Landwehr-Bezirks - Commandos . Summe I. Infanterie . II.

Unter offiziere

6,700

20,242

351

524

1,571

28

456

1,280

24

916

2,757

48

8,596

25,850

451

308 44 180 532

808 114 570

1,492

432 37 34 67

1,883 135 151 305

1

570

2,474

1

9,698

29,816

478

1,850

5,634

75

150

462

100

308

4

1208

b) Jäger. Preußen Sachsen Bayern

Zahl meifter Aspi ranten.

Offiziere.

6

I. Infanterie. e. a) Linien-Infanteri 115 Garde E und Linien- Infanterie - Regimenter, Preußen darunter 1 zu 2, die übrigen zu 3 Bataillonen Sa. 344 Bataillone - 5 Unteroffizier Schulen und 1 Militair-Schießschule . 9 Garde und Linien - Infanterie - Regimenter Sachsen zu 3 Bataillonen ----- Sa. 27 Bataillone und 1 Unteroffizier- Schule · Württemberg 8 Garde und Linien-Infanterie-Regimenter zu 3 Bataillonen Sa. 24 Bataillone 16 Garde und Linien - Infanterie - Regimenter Bayern zu 3 Bataillonen — Sa. 48 Bataillone und 1 Militair - Schießschule . . 443 Bataillone Summe I. a. Linien-Infanterie

Zahl der

14

26

Cavallerie.

73 Garde- und Linien-Cavallerie- Regimenter zu und 5 Escadrons - Sa. 365 Escadrons 1 Militair Reitinstitut Sachsen 6 Garde und Linien-Cavallerie-Regimenter zu 5 Escadrons - Summa 30 Escadrons • Württemberg 4 Garde und Linien-Cavallerie-Regimenter zu 5 Escadrons — Summa 20 Escadrons 10 Garde und Linien-Cavallerie-Regimenter zu Bayern 5 Escadrons - Sa. 50 Escadrons -- incl. 1 Equitations-Anstalt Summe II. Cavallerie 465 Escadrons • Preußen

12

257

832

11

2,357

7,236

96

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

und Inter Gemeine Gemeine. offiziere.

Ge hülfen.

Defo nomie Hand- Summe. werker.

Büchsenmacher .

Sattl er .

Gefreite Lazareth-

Aerzte .

Spielleute.

Roßärzt e .

. Zahlmeister

Deutschen Heeres im Jahre 1875.

annichaften.

67

Pferde.

ESS

700

TILE

18 1

Jovi

1,732

5,542

167,726

1,394

4,320

201,307

125

438

12,521

110

336

15,129

55

28 -

104

384

10,098

96

288

12,274

48

24

208

768

22,281

576

26,638

96

49

2169

7,132

212,626

1,600

5,520

255,348

6,789 916 4,680 12,385

56 8

172 24 120

8,021 1,090 5,510

64

316

14,621

697 351

350 22286

-

257

-

224

1

24

3,266

1





4,728

1

5,836

274,697

1,664

14 2 10

-

26

98 14 70 182

K

1 -

26

437 4,184

111

3,672 235 289 532

20 52

48

450

|||||

|||||

227,264

11

7,132

2,253

84226

2507

1,788 100 138 227

111

1111

11111

338

14 2 10

111

1111

182 26 130

896 452

3

— 1



3

949 479 - 476

4,369

RES Jont 88 ole

1.174

73

73

54,369

6

6

4,434

20

4

4

2,840

31

10

10

7,625

95 452 5#

93

93

69,268

1,470

51,402

261

3,498

30

120

4,212

16

6

2,216

20

80

2,692

9

4

205

7,192

31

11

415

1,875

I

365

1

96

64

5,981 -

T

163 1,497

320

74 371

42,684

54,379

65,498

317

Militairische Jahresberichte für 1874.

68

Zahl de

Bezeichnung der Truppen.

Zahl der Offiziere.

Unter offiziere.

III. Artillerie. a) Feld -Artillerie . 28 Garde und Linien-Feldartillerie-Regimenter Preußen mit 234 Batt., incl. 38 reitende, und 1 Lehr Batterie der Artillerie- Schießschule 2 Feldartillerie-Regimenter mit 18 Batt., incl. Sachsen · 2 reitende . Württemberg 2 Feldartillerie-Regimenter mit 14 Batt. Bayern 4 Feldartillerie-Regimenter mit 34 Batt., incl. 6 reitende .

1,272

4,042

96 77

307 234

+4

182

608

10

Summe III. a. Feldartillerie — 300 Batt. (incl. 46 reit.) und 1 Lehr-Batt. - •

1,627

5,191

87

b) Fußartillerie. Preußen 10 Fußartillerie - Regimenter zu 2 Bataillonen, 2 besondere Fußartillerie - Bataillone, Stab, Lehr - Compagnie der Artillerie - Schießſchule und 1 Versuchs-Compagnie Sachsen 1 Fußartillerie-Regiment zu 2 Bataillonen Württemberg 1 Fußartillerie-Bataillon . Bayern 2 Fußartillerie - Regimenter zu 2 Bataillonen (incl. Duvriers- und Feuerwerks - Compagnie) Summe III. b. Fußartillerie · 28 Bataillone --

527 43 21

2,132 187 84

24 2 1

90

325

6

681

2,728

33

·

2,308

7,919

120

252 26 18 50

928 66 64 170

346

1,228

183 10 12

746 48 48

Summe III. Artillerie

Sachsen Württemberg Bayern

V. Train. 3 Train-Bataillone zu 3 und 11 Train - Ba taillone zu 2 Compagnien . . 1 Train-Bataillon zu 2 Compagnien . " 1 " 2 2 Train- Bataillone zu 3 Compagnien incl. 1 Sanitäts - Compagnie . Summe V. Train - 18 Bataillone VI.

15 1 1

38

98

2

243

940

19

58

10

31

553 22 45 317

89

937

10

Besondere Formationen .

Preußen incl. 1 Eisenbahn- Bataillon . Sachsen Württemberg Bayern incl. 1 Eisenbahn- Compagnie Summe VI. Besondere Formationen

||

Preußen

IV. Pioniere. 14 Pionier-Bataillone zu 4 Compagnien . 1 Pionier-Bataillon zu 4 Compagnien 1 4 " 2 Pionier-Bataillone "zu 5 Compagnien . Summe IV. Pioniere 18 Bataillone

68

41128

Preußen Sachsen Württemberg Bayern

Zahl meister Aſpi ranten.

Inter offigiere.

und Gemeine. Gemeine.

Ge hülfen.

Defo # 145 nomie Hand Summe. werker.

18,505

235

708

24,070

38 30

1,380 1,064

18 14

54 42

1,802 1,388

102

3,442

16

906

30,702

143

269 89 85724 12

11,480 994 426

Büchsenmacher .

10

12

2,342

87 116

I

16,745

24

221

87



-

4

1

2,650

12,802

11

72

94 —

68

112

Pferde.

64

11

512

69

. Sattler

Gefreite Lazareth-

54

Spielleute.

Aerz te .

Rannschaften.

Roßä rzte .

. Zahlmeister

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

8 7

937 664

1

652

23,599

267

I

Wri

2,102

101

359

15,002

4 31

6 33

834

38

35,160

368

1,265

45,704

174

TIT

5,642 403 364 870

56 4 4 —

6,990 499 458 1,104

7,279

64

168 12 12 30 222

9,051

|||

1112

14

14

36

18

18 1

16 1

15

388 17,133

98 14 7 16

|||||

240

-

29

120 116

4112

182 13 13 32

84

4 29

84443

54

11,561

275 20 9 |||||

221

1,683

38

24 —

111

221

34

182

8,806 760 312

82248

4

884

156 13 13

135

111

354

28/628

6

663

36 211

1,126

3,175

5,051

24

2 19

20

2

11

1

9

991 22 45 598

1

4

21

1,656

3

15

8d212 ids & rosson

6

263916

6

658

8 ||

1.

2

1,902 123 123

||

3,490 225 210

|||

155 10 10510

395 66

3 16

31 2 2

2,406

1 —

10 -

258

11

13 11

-

16 1 1

2,512 162 147

11

TI

8 43

511

31 2 2

11

9inomiy

1

13 23

70

Militairische Jahresberichte für 1874.

Zahl de

Zahl der Offiziere.

Bezeichnung der Truppentheile.

Bahl meisters Aspi ranten.

Nicht regimentirte Offiziere 2c. 1,761 77 52 282

Summe VII. Nicht regimentirte Offiziere Summe der Etatsstärke des Deutschen Heeres ·

· Davon entfallen auf: Preußen Sachsen Württemberg Bayern



|||||

VII. Preußen Sachsen Würtemberg . Bayern

Unter offiziere.

2,172

2

17,213

48,078

741

13,343 1,007 770 2,093

36,968 2,912 2,216 5,982

572 45 35 89

Die Etatsstärke der Linien - Infanterie - Bataillone in Preußen beträgt 18 Offiziere , 59 Unteroffiziere (incl. 1 Bataillons - Tambour und 1 Zahl meister-Aspirant), 491 Gefreite und Gemeine (incl. 16 Spielleute), 12 Hand werker und 4 Lazareth- Gehülfen ; diejenige sämmtlicher Cavallerie-Regimenter 25 Offiziere, 78 Unteroffiziere (incl. 1 Zahlmeiſter-Aspirant), 16 Trompeter (incl. 1 Stabstrompeter), 583 Gefreite und Gemeine, 20 Handwerker, 5 Laza rethgehülfen ; diejenige einer Preußischen Feld-Batterie 4 Offiziere, 17 Unter offiziere, 2 Trompeter, 80 Gefreite und Gemeine, 1 Lazarethgehülfe, 44 Pferde. Die Etatsstärken der nichtpreußischen Truppentheile weichen von vorstehenden Ziffern mehrfach, jedoch nicht erheblich ab ; die Bataillone der 5 älteren Preu ßischen Garde - Infanterie - Regimenter haben eine um 4 Offiziere, 12 Unter offiziere, 104 Gefreite und Gemeine höhere Kopfstärke als die Linien-Infan terie Bataillone.

Die Cavallerie besteht aus 12 Cürassier , 28 Dragoner , 6 Chevaux Legers , 4 Reiter , 18 Husaren- und 25 Ulanen - Regimentern. Preußen stellt zusammen mit denjenigen Staaten , welche ihre Militair Verwaltung auf Preußen übertragen haben , das Garde - Corps , sowie das 1. bis 11 , 14. und 15. Armee - Corps , welch' legterem jedoch , wie erwähnt, auch Truppen von Bayern, Sachsen und Württemberg zugetheilt sind . 12. Armee -Corps wird von Sachsen, das 13. von Württemberg gestellt .

Das Die

beiden Bayerischen Corps führen , so wenig wie die einzelnen Bayerischen Truppentheile, fortlaufende Nummern im Deutſchen Armee - Verbande. Das 1., 5. und 6. Armee-Corps bilden die erſte, das 4., 7. und 9. Armee Corps die zweite, das 8., 14., 15. und 12. Armee- Corps die dritte, das 11. und 13. Armee-Corps die vierte Armee-Inspection ; der letteren sind überdies die beiden Bayerischen Corps zugetheilt.

und Ge Inter offiziere. Gemeine. Gemeine. || hülfen.

Deko nomie, Hand werker.

Summe.

2

170

-

23

Pferde.

2,765 183 166 494

Büchsen macher . 2

3,608 1

3264

|ལུ

二148

I

I

T

2

14 1 2 1

ཚུབབ

1111

11

11

130 8 7 25

. Sattler

Gefreite Lazareth

71

| | ||

Spielleute.

Aerzte .

Mannschaften.

Roßärzte .

Zahlmeister .

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

$137

7,176

327,915

3,182

9,430

401,659

1673

93

96,942

3,982 313 226 616

5,546 438 384 808

254,847 19,740 14,339 38,989

2,334 180 140 628

7,274 580 444 1,132

311,423 24,208 17,784 48,244

1,299 572 496 474 73 96 45 38 39 35 26 32 75 94 52 74 10 203

75,588 5,982 2,033 13,339

746 612 619

Das Garde-Corps, sowie das 12. (Königl. Sächsische) Armee- Corps sind in je zwei Infanterie- Diviſionen und eine Cavallerie- Division eingetheilt. Den Infanterie-Divisionen ist bei diesen Corps im Frieden keine Cavallerie beige geben , so daß sie nur aus je zwei Infanterie ፡ Brigaden bestehen. Die 12. (Königl. Sächsische) Cavallerie - Diviſion iſt in zwei Brigaden , die aus 8 Regimentern bestehende Garde-Cavallerie- Diviſion jedoch in drei Brigaden eingetheilt. Alle übrigen Armee- Corps haben je zwei Divisionen zu 2 Infan terie-Brigaden und einer Cavallerie-Brigade. Dem 11. Armee- Corps ist je doch außerdem die in derselben Weise formirte 25. ( Großherzoglich Hessische) Division beigegeben. Das Reichsheer zählt demnach, einschließlich der beiden Cavallerie- Divi fionen , 39 Divisionen , welche in 112 Brigaden -74 Infanterie- und 38 -Cavallerie - Brigaden — zerfallen. Divisionen und Brigaden des 1. bis 15. Armee-Corps führen im Reichsheere durchlaufende Nummern.

Die Infanterie-Brigaden sind z . 3. aus je zwei Jnfanterie-Regimentern zuſammengefeßt; ausgenommen hiervon ſind nur : die 1. und 3. Garde - Infanterie- Brigade, bestehend aus je 2 Infanterie Regimentern und dem Garde-Jäger-, bez . Garde- Schüßen-Bataillon, die 2. Garde-Infanterie-Brigade, bestehend aus 3 Infanterie-Regimentern, die 54. Infanterie-Brigade (4. Königl. Württemb. ) , welche nur ein Linien Regiment hat,

die Bayerischen Infanterie - Brigaden, welche aus je zwei Infanterie Regi mentern und 1 bis 2 Jäger-Bataillonen bestehen. Außerdem sind im Frieden auch die Landwehr - Infanterie - Regimenter und einzelnen Landwehr - Bataillone den Infanterie -Brigaden der Art zuge theilt, daß der Brigade-Commandeur alle Vorbereitungen für die kriegsgemäße

72

Militairische Jahresberichte für 1874.

Aufstellung derselben überwacht und sie, wenn sie zu Uebungszwecken 2c. 311 sammentreten, unter seinen Befehl nimmt. Von den Cavallerie-Brigaden sind 22 zu 2, 15 zu 3 Regimentern for mirt und eine (die 7. ) hat vier Regimenter. Außer den im Diviſions - Verbande stehenden Truppen gehören zu den Armee Corps noch : a. je ein Jäger-Bataillon beim 1. bis 8. , 10. und 11. Corps, je 2 Jäger Bataillone beim 9. und 12 Corps ; b. je eine Feld-Artillerie-Brigade, beim 15. Armee- Corps jedoch nur ein Feld Artillerie-Regiment; = c. in der Regel je ein Fuß - Artillerie - Regiment oder selbstständiges Fuß Artillerie-Bataillon; d. je ein Pionier - Bataillon zu vier , bei den beiden Bayerischen Corps zu fünf Compagnien ; e. je ein Train - Bataillon zu zwei , beim Garde - Corps , sowie dem 2. und 11. Armee-Corps zu drei Compagnien. Die Feld - Artillerie - Brigaden sind übereinstimmend beim Garde - Corps, dem 1. bis 10. Armee- Corps , sowie den beiden Bayerischen Corps zu zwei Regimentern formirt, von denen das eine aus zwei Abtheilungen à 4 Bat terien, das andere aus drei Abtheilungen, einschließlich einer reitenden, à drei Batterien besteht. Beim 11. Armee =- Corps tritt hierzu noch als drittes Re giment das 25. ( Großherzoglich Hessische), welches in zwei Abtheilungen sechs Batterien, einschließlich einer reitenden, zählt.

Zum 12. Armee- Corps gehören

zwei Feld- Artillerie - Regimenter , von denen jedes 2 Abtheilungen à 4 Bat terien, das eine außerdem eine reitende Abtheilung à 2 Batterien, hat. Beim 13. Armee - Corps besteht das eine Regiment aus 2 Abtheilungen à 4 , das andere aus 2 Abtheilungen à 3 Batterien,

beim 14. Armee-Corps jedes der

beiden Regimenter aus zwei Abtheilungen à 4 Batterien , und unter den 16 Batterien dieses Corps befindet sich eine reitende. Das Feld -Artillerie -Regiment des 15. Armee -Corps hat zwei Abtheilungen zu 4 Batterien. Die Feld- und die Fuß - Artillerie befindet sich bei der Preußischen und bei der Bayerischen Armee in einem doppelten Unterordnungs - Verhältniß, einerseits zu den General - Commandos, andererseits zu den Artillerie-Inspec tionen.

Für die Preußische Armee bestehen 4 Feld- und 2 Fuß - Artillerie

Inspectionen ; jeder Feld - Artillerie - Inspection sind 3 bis 4 Feld - Artillerie Brigaden , jeder Fuß - Artillerie - Inspection zwei Fuß - Artillerie - Brigaden zu drei Fuß- Artillerie - Regimentern zugetheilt.

Die Feld- und Fuß- Artillerie

Inspectionen haben eine gemeinsame Spize in der General - Inspection der Artillerie.

Von der General-Inspection und den Inspectionen ressortiren alle

techniſchen Artillerie-Angelegenheiten und betreffs der Fuß-Artillerie auch alle Commando-Angelegenheiten , so daß die leztere nur in adminiſtrativer und territorialer Beziehung den General-Commandos unterstellt ist. Bezüglich der Feld-Artillerie theilt die General - Inspection ihre Pflichten und Befugniſſe in

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

73

- Jn Bayern Commando-Angelegenheiten mit den commandirenden Generalen. — ſtehen die Feld -Artillerie-Brigaden und die Fuß-Artillerie-Regimenter in ähn licher Weiſe unter einer gemeinſamen Inspection. Das in Mez garnisonirende Sächsische Fuß - Artillerie - Regiment ist den betreffenden technischen Behörden der Preußischen Armee unterstellt.

Dagegen fehlt für das Württembergische

Fuß-Artillerie-Bataillon noch immer jeglicher Anschluß an die größere Waffen gemeinschaft. Auch die Sächsische und Württembergische Feld-Artillerie ressor tiren lediglich von ihren General - Commandos ; doch haben immerhin diese Körper, vermöge ihrer Größe, in sich selbst eine höhere Lebenskraft, als das vereinſamte Württembergische Fuß -Artillerie- Bataillon. In Preußen stehen ferner je drei oder vier Pionier - Bataillone unter einer Pionier-Inspection.

Die letzteren sind mit je zwei Festungs - Inspectionen

zu einer Ingenieur-Inspection vereinigt, und an der Spiße der so gebildeten vier Ingenieur - Inspectionen steht die General - Inspection des Ingenieur Corps und der Festungen.

Von diesen Waffenbehörden ressortiren die Pio

nier-Bataillone bezüglich ihrer taktiſchen und techniſchen Ausbildung, während das Verhältniß der genannten Bataillone zu den General - Commandos dem jenigen der Fuß-Artillerie-Regimenter entspricht.

Die übrigen Pionier- Ba

taillone des Deutschen Heeres entbehren einer ähnlichen einheitlichen Leitung durch höhere Vorgesezte ihrer Waffe. Auch für die Jäger - Bataillone , sowie für die Train - Bataillone besteht in Preußen ein doppeltes Unterordnungs - Verhältniß, einerseits unter die In spection der Jäger und Schüßen bez . unter die Train-Inspection, andererseits unter die General- Commandos. Von besonderen Formationen erwähnen wir schließlich das Preußische Eisenbahn-Bataillon , sowie die Bayerische Eisenbahn- Compagnie , welche be stimmt sind , als Stamm für die im Kriege aufzustellenden Feld - Eisenbahn Formationen zu dienen. Das erstere ist dem Chef des Generalstabes der Armee unterſtellt und in adminiſtrativer Beziehung dem Garde- Corps zugetheilt. Das Lehr-Infanterie-Bataillon, das Militair-Reit-Institut, die Militair Schießschule, die Artillerie- Schießschule mit der Lehr-Batterie und Lehr- Com pagnie, sowie die Central -Turnanſtalt sind gemeinschaftliche Institute für das Reichsheer (excl. Bayern) zur Förderung der Gleichmäßigkeit in der Ausbil dung der Truppen , sowie zur Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte für die be treffenden Dienstzweige.

B.

Im Kriege.

Auf dem Kriegsfuße besteht die Armee aus den Feldtruppen , den Erfaßtruppen und den Besaßungstruppen. Die Friedens-Cadres werden aus dem Beurlaubtenstande auf die Kriegs stärke ergänzt , erhalten die noch erforderlichen Pferde und bespannen ihre Munitions- und Train-Fahrzeuge.

Militairische Jahresberichte für 1874.

74

Für die mobilen Linien-Infanterie-Regimenter und Jäger-Bataillone wird in der Regel die im Frieden bestehende Eintheilung in Brigaden, Divi ſionen und Armee- Corps unverändert beibehalten. Jeder Infanterie-Diviſion wird ein Cavallerie-Regiment zu 4 Escadrons, sowie eine Artilleric-Abtheilung zu 4 Batterien zugetheilt. Die übrigen Cavallerie-Regimenter werden, unter Beigabe von einer oder mehrerer reitenden Batterien , in Divisionen oder selbstständigen Brigaden formirt , den Armee - Corps oder den aus diesen zu bildenden Armeen überwiesen. Diejenigen Batterien, welche nicht den Infan terie- und Cavallerie- Diviſionen einverleibt werden , bilden , unter Aufrecht erhaltung der Regiments- und Abtheilungs- Verbände, die unter dem unmittel baren Befehle des

commandirenden Generals stehende „ Corps - Artillerie " . Die Feld - Artillerie stellt außerdem bei jedem Armee - Corps die planmäßige Anzahl von Infanterie- und Artillerie- Munitions - Colonnen auf. Von den

Pionier-Bataillonen werden je drei Compagnien mobil und mit den erforder= lichen Brücken- und Schanzzeug-Colonnen den Infanterie-Diviſionen bez. der Corps-Artillerie zugetheilt. Aus dem Train-Bataillon werden die Proviant Colonnen für das Armee- Corps gebildet, sowie bei demselben auch die Feld Lazarethe und Sanitäts-Detachements für das Armee- Corps bez. für die Di visionen aufzustellen sind . Jedes Linien-Infanterie-Regiment

bildet

aus Offizieren und Mann

schaften, welche theils von den Linien-Bataillonen abgegeben, theils aus dem Beurlaubtenstande und der Ersaß-Reserve 1. Klaſſe eingezogen werden , ſowie event. aus Rekruten ein Ersaß-Bataillon, jedes Jäger-, Pionier- und Train Bataillon in gleicher Weise eine Ersaß - Compagnie, jedes Feld -Artillerie-Regiment zwei Ersaß- Batterien. Von den Cavallerie - Regimentern , welche nur mit vier Escadrons ins Feld rücken, bleibt die fünfte als Ersaß- Escadron zurück. Außerdem werden an Besaßungstruppen formirt :

293 Landwehr - Ba=

taillone, eine Anzahl von Beſaßungs - Jäger- Compagnien , Reserve-Cavallerie Regimentern und Reserve-Batterien.

Aus den vierten Compagnien der Pio

nier-Bataillone werden je drei Besaßungs -Pionier-Compagnien gebildet . Alle diese Truppen werden , je nach Bedarf, zu Reserve - Corps oder Divisionen vereinigt oder zu Etappenzwecken oder zu Festungs- 2c. Besaßungen verwandt. Die im Frieden vorhandenen Fußartillerie-Bataillone werden auf Kriegs ſtärke augmentirt, und außerdem wird eine entsprechende Anzahl von Land wehr -Fuß- Artillerie in Bataillonen gebildet.

Die Fuß - Artillerie ist haupt

sächlich zur Mitwirkung beim Angriff und bei der Vertheidigung von Festun gen bestimmt. Das in dieser Weise auf den Kriegsfuß gesezte Deutsche Reichs heer hat folgende Stärke *) : *) Nach A. v. Wißleben, Heerwesen und Infanteriedienst des Deutschen Reichsheeres , 14. Auflage, Berlin 1875.

Regimenter.

||||||

||||||

144 36

1181118

Summa 3 Summa 1 nd u ,2 3

Regimenter. || || | | | 293 26

18811188

Bataillone.

Artillerie -BFuß Reserve und atterien

211118

26

Escadrons.

།།Š | | ཀྱི

36 293 26 324 54 144 26 591 148 293 609 129 2550 425

426 71 93

426 71

|| |||||| | ||||| | ||||||

| | ||||| | |||||||

111155 1111155

1 1 !111

││││11

37 37

| | | | | | || |

48 58-481

20

20

54

1112 58 324 54

372 93 1800 300

295 666 961

Mannschaften.

Aerzte und Beamte 2c.

187,532 670 23,994 465 13,261 105 4,950 57 11,522 99 4,051 241,259 1,396

256,744 1,246 22,968 324 54,852 298 8,538 143 2,011 343,102 9,257

6,528 828 1,370 531

5,170 481,720

Fahrzeuge.

2,916 465 340 90 240

863 10,762 2,144 2,286 565 785 216 17,621

Train und Bi o nistra Admi ti 2c . onen

|||| || |

Pioniere

148

Geschüße.

Fuß Artillerie.

Bataillone. 300 1800

11212

Compagnien.

nere .

|| ||| | || |

Colonnen 2c.

Landwehr.

Bataillone. 26

372 93

Batterien. 11111

Bejagungstruppen .3.

Bataillone.

148

148 26 443

26 443 148

Bataillone.

Bataillone. Compagnien.

Ferd Ca Artille vallerie . . rie

11188 1112

Infanterie Cavallerie

Summa 2

Ersagtruppen .2.

111111

Infanterie Cavallerie Artillerie Pioniere Train

Feldarmee .1. Stäbe Höhere Infanterie Cavallerie Artillerie Pioniere Train Administrationen Summa 1

Compagnien. ||| | | | | | |

1902

| | | 8| ||

1511022

11|11|

Offiziere.

Infan Jäger . terie .

35,564 58-12237 30,929 961 1,271,379 24,963 26,769 299,364

2,070 25,380 8,114

1,062 19,716 5,507 20 3,903 30,208

230 5,070 1,876 3,5164 18,95 1,129 59,81 558 48 65,60 78,12 7,824 1,46320 77,43 1,509 86 9,647 20,917 838 12,58 46,01 38,45471 548 16,164 2,826 10,86 687,0618 21,55 26,76 233,5 992

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

1 Rond dicas

| -1 | -1|

4 ||||||

Pferde.

76

Militairische Jahresberichte für 1874. In vorstehender Uebersicht sind nur die planmäßig aufzustellenden Streit

kräfte berechnet. Aus dem im vorigen Abschnitt Geſagten geht jedoch hervor, daß damit die Wehrkraft Deutschlands keineswegs erschöpft ist. Die Zahl der für den Krieg , wenn auch selbstredend nur in zweiter Linie brauchbaren Truppen findet ihre Grenze lediglich in der Zahl der vorhandenen , brauch baren Führer und in der Möglichkeit der Beschaffung kriegsmäßiger Aus rüftung für die Truppen .

Insbesondere ist in obiger Rechnung auch der

Landſturm, deſſen Organiſation nach § 6 des Reichs -Militairgeſeßes der Kaiſer bestimmt, außer Betracht gelassen.

4.

Territorial - Organisation.

Grundzüge der Militair Verwaltungs - Einrichtung.

Die Organisation des Reichsheeres beruht auf territorialer Grundlage. Der § 5 des Reichs -Militairgefeßes beſtimmt : „ Das Gebiet des Deutschen Reichs wird in militairischer Hinsicht in 17 Armee-Corps-Bezirke eingetheilt. Unbeschadet der Souveränetätsrechte der einzelnen Bundesstaaten sind die commandirenden Generale die Militairbefehlshaber in den Armee Corps-Bezirken. Als Grundlage für die Organiſation der Landwehr, sowie zum Zwecke der Heeresergänzung werden die Armee-Corps -Bezirke in Divisions- und Brigade - Bezirke und diese , je nach Umfang und Bevölkerungszahl , in Landwehr-Bataillons- und Landwehr- Compagnie-Bezirke eingetheilt. " Die hier gefeßlich vorgesehene Eintheilung des Reichsgebietes in Militair Bezirke schließt sich naturgemäß , soweit nur irgend möglich, der politiſchen Gliederung des Reiches und , innerhalb der Staaten , Verwaltungs-Bezirke an.

der Abgrenzung der

Im Allgemeinen und soweit nicht besondere Umstände Ausnahmen be dingen, sind die zu jedem Armee - Corps gehörenden Truppen in dem Bezirke desselben Corps dislocirt , rekrutiren sich aus diesem Bezirke und erhalten bei eintretender Mobilmachung aus demselben ihre Completirungs - Mannschaften, und zwar thunlichst diejenigen , genügt haben.

welche bei ihnen ihrer activen Dienstpflicht

Um Lezteres zu ermöglichen, empfangen die Linien-Infanterie

Regimenter im Allgemeinen ihren Erſaß und, bei eintretender Mobilmachung, ihre Completirungs -Mannschaften aus den Bataillons -Bezirken der correſpon= direnden Landwehr-Regimenter und sind, soweit angängig, in der Nähe ihrer Ergänzungs -Bezirke dislocirt. Dieses Territorial- System findet seinen Ausdruck u . A. auch in der Be zeichnung der Truppentheile , indem dieselben , außer der laufenden Nummer, auch Provincial- 2c. Namen führen.

Nach der zeitigen Eintheilung umfassen die Armee- Corps -Bezirke folgende Territorien :

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

1. Armee - Corps :

77

Provinz Preußen , mit Ausnahme der Kreise Conit,

Schlochau, Deutsch-Crone, Flatom, Neustadt, Carthaus, Pr. Stargard und Schweß ; 2. Armee - Corps :

Provinz Pommern , Regierungs- Bezirk Bromberg und

die vorgenannten Kreise der Provinz Preußen ; 3. Armee - Corps : Provinz Brandenburg ; 4. Armee - Corps : Provinz Sachsen , Herzogthum Anhalt , Herzogthum Sachsen = Altenburg , Fürstenthümer Schwarzburg - Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer und jüngerer Linie ; 5. Armee = Corps : Regierungs -Bezirke Posen und Liegniß ; 6. Armee =- Corps :

Provinz Schlesien, außer Regierungs-Bezirk Liegniß ;

7. Armee - Corps :

Provinz Westfalen, mit Ausnahme der südlichſten Kreiſe :

Brilon, Meschede, Arnsberg , Wittgenstein, Siegen, Olpe und Altena ; Regierungs- Bezirk Düſſeldorf, mit Ausnahme der Kreise Kempen, Neuß , Grevenbroich und Gladbach ; Fürstenthümer Lippe - Detmold und Schaumburg -Lippe; 8. Armee - Corps :

Rheinprovinz, mit Ausnahme der zum 7. Armee - Corps

gehörenden Theile des Regierungs-Bezirks Düſſeldorf und außer dem Kreise Weglar ; Oldenburgisches Fürstenthum Birkenfeld ; 9. Armee -Corps : Provinz Schleswig ፡ Holstein und Lauenburg ; Land droſtei-Bezirk Stade ; Großherzogthümer Mecklenburg - Schwerin und Mecklenburg - Streliß ; Oldenburgisches Fürstenthum Lübeck ; die drei Hansestädte ; 10. Armee - Corps : Provinz Hannover , außer Landdroſtei - Bezirk Stade ; Kreis Rinteln , von der Provinz Hessen - Nassau ; Großherzogthum Oldenburg , außer den Fürstenthümern Lübeck und Birkenfeld ; Her= zogthum Braunschweig ; 11. Armee - Corps : Provinz Hessen - Caffel mit Frankfurt a. M. , jedoch außer Kreis Rinteln ; Kreis Wezlar ; die oben genannten, nicht zum 7. Armee - Corps gehörenden Kreise der Provinz Westfalen ; Groß herzogthum

Sachsen ;

Herzogthümer Sachsen - Coburg - Gotha und

Sachsen-Meiningen ; Fürstenthum Waldeck und Pyrmont. Außerdem : Großherzogthum Heſſen, welches jedoch in einigen Be ziehungen , als Bezirk der 25. Diviſion , die Selbſtſtändigkeit eines Armee-Corps - Bezirks hat. 12. Armee - Corps : Königreich Sachsen;

13. Armee - Corps : Königreich Württemberg ; 14. Armee - Corps : 15. Armee - Corps :

Großherzogthum Baden und Hohenzollern ; Elsaß-Lothringen.

Die beiden außerdem im Gesez noch geforderten Armee - Corps - Bezirke Das Preußische Garde - Corps hat keinen bildet das Königreich Bayern. eigenen Territorial-Bezirk, da es ſich aus der ganzen Preußischen Monarchie,

78

Militairische Jahresberichte für 1874.

sowie aus Elsaß-Lothringen ergänzt und completirt ; gleichwohl ist demſelben ein Theil der territorialen Verwaltungs -Befugnisse für Berlin und die nächſt gelegenen Garnisonen des Corps übertragen . Die Militair - Verwaltung ist insofern doppelt gegliedert ,

als

ſie

ſich einerseits an die Commando -Behörden und Truppenformationen, anderer seits an die Territorial - Bezirke anschließt.

Beide Zweige der Verwaltung

haben ihre Spize in den betreffenden Kriegsministerien. Diese sind die obersten Militair- Verwaltungsbehörden, und als solche in allen Verwaltungs Sachen sämmtlichen Militairbehörden vorgeseßt.

Jn Commando - Angelegen=

heiten steht jedoch nach bewährten Preußischen Grundfäßen den Kriegsmini ſterien nur insoweit eine Mitwirkung zu , als es sich dabei um Etatsfragen oder um die Ausführung von Gesezen handelt. Im Uebrigen verkehrt in Commandosachen der oberste Kriegsherr direct mit den commandirenden Ge neralen und General-Inspecteuren , wofür ihm das Militair-Cabinet , ſowie, bezüglich der Truppenführung und der für die Leitung der Operationen im Kriege zu treffenden Anordnungen und Vorbereitungen, der Chef des General stabes der Armee als Organe dienen .

Leßterer disponirt zu diesem Zwecke,

sowie zur Erfüllung der damit in Verbindung stehenden Aufgaben über den „ Großen Generalstab" . Die commandirenden Generale und General-Inſpec teure sind insbesondere für den kriegstüchtigen Zuſtand und die Ausbildung ihrer Truppen dem obersten Kriegsherrn unmittelbar verantwortlich. Jedem commandirenden General steht für Commando- und allgemeine Verwaltungs- Sachen der Commando's , für

Generalstab

und

die Adjutantur des General der Corps ፡ General - Arzt,

die Militair - Krankenpflege

für die Rechtspflege der Corps - Auditeur ,

für die Militair - Kirchen - An

gelegenheiten ein Militair- Oberpfarrer , für das Veterinairwesen ein Corps Roßarzt, für die Dekonomie-Verwaltung aber die Corps - Intendantur zur Seite. Der Chef des Generalstabes vertheilt und leitet die Geschäfte beim General-Commando nach Maßgabe der Instructionen, bez. nach den allgemei= nen Directiven des commandirenden Generals.

Der Corps -Intendantur liegt

es hauptsächlich ob, die Befriedigung der ökonomischen Bedürfnisse der Trup pen zu vermitteln . Sie ist einerseits Verwaltungs - Organ des commandiren den Generals und als solches an die Befehle desselben gebunden, andererseits Provincial-Verwaltungs -Organ des Kriegs -Ministeriums für Verwaltungs Zweige, die aus dem speciellen Ressort des General-Commando's ausgeschie den sind, endlich Rechnungs -Revisions -Instanz für die Truppen und Behör den , soweit die Reviſion nicht den Diviſions -Intendanturen übertragen ist, und für sämmtliche Localverwaltungen im Bereiche des Corps .

In den bei

den letteren Beziehungen ist die Corps - Intendantur direct dem Kriegs - Mi nisterium unterstellt , unbeschadet jedoch des Rechtes und der Pflicht des com mandirenden Generals , auf die Abstellung von Mängeln ,

welche er in den

militairischen Einrichtungen seines Befehlsbereiches wahrnimmt, bei der In

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. tendantur oder dem Kriegs -Ministerium hinzuwirken.

79

Die Reviſion der Rech

nungen wird in letter Instanz allgemein durch den Rechnungshof ausgeübt. Bezüglich der Localverwaltungen bedient sich das Kriegs- Ministerium der Corps-Intendanturen als ausschließlicher Organe für die Garniſon-, Lazareth-, ſowie Proviant- und Fourage-Magazin -Verwaltungen, ebenso für die Mon tirungs - Depots. Anderweitige Zwischenbehörden sind dem Preußischen* ) Kriegs Ministerium für folgende Localverwaltungen unterstellt : a. für die zur Aufbewahrung der Waffen- und Munitions - Vorräthe dienenden Artillerie - Depots - die Fuß- Artillerie - Brigade - Com mandos, — b. für das Festungsbauwesen und die Pionier - Materialiendepots die Festungs-Inspectionen, bez . die über diesen stehenden Ingenieur Inspectionen, c. für die zur Aufbewahrung der Train - Fahrzeuge , der Feldlazareth Ausstattungen 2c. bestimmten Traindepots - die Train-Inspection, d. für die Gewehrfabriken - die Inspection der Gewehrfabriken. Die Remontedepots, sowie die technischen Institute der Artillerie (Artillerie Werkstätten , Geschüßgießereien , Pulver- und Geschoßzfabriken, Feuerwerks -La boratorium) ressortiren unmittelbar von den betreffenden Abtheilungen des Kriegs-Ministeriums. Den Divisions - Commandeuren stehen für Commando und Verwaltung zur Seite : je ein Generalstabs - Offizier , ein Adjutant, ein oder mehrere Di viſions- Auditeure, ein Divisions - Arzt, ein oder mehrere Divisions - Pfarrer und die Divisions-Intendantur. Die Geschäfte sind bei den Diviſionsstäben ähn Die Diviſions - Comman lich vertheilt wie bei den General - Commandos . deure üben jedoch territoriale Pflichten und Befugnisse nur in Militair-Justiz Angelegenheiten aus ; im Uebrigen erstreckt sich die Thätigkeit in Commando auf die zum Divisions - Verbande Demgemäß beschränkt sich auch die Thätigkeit der gehörenden Truppen. Divisions-Intendanturen auf die Befriedigung der ökonomischen Bedürfniſſe der im Diviſions -Verbande stehenden Truppen, sowie auf die Beaufsichtigung und

und Verwaltungs - Angelegenheiten

nur

Revision der Dekonomieverwaltung bei denselben, zu welchem Zwecke sie direct mit den Truppentheilen, bez. mit den Kaſſen- und Bekleidungs- Commiſſionen derselben verkehren. Zu Localverwaltungen tritt die Diviſions - Intendantur nur insoweit in Beziehung , als sie die rechtzeitige und vorschriftsmäßige Be friedigung der Bedürfnisse der Truppen auf dem Gebiete der Garnison-, Lazareth , Proviant

und Fourage-Verwaltung zu überwachen hat.

Die Brigade - Commandeure , zu deren Stabe nur ein Adjutant gehört,

*) In der Sächsischen und Württembergischen Militair - Verwaltung fehlen diese Zwischenbehörden. Bayern ist nach dem Versailler Vertrag nicht zur Annahme der Preu bischen Verwaltungsnormen verpflichtet, hat seine Militair-Verwaltung jedoch im Allgemei nen ähnlich eingerichtet wie Preußen.

80

Militairische Jahresberichte für 1874.

üben über die ihnen unterstellten Truppen die allgemeinen Commando -Pflichten und Befugnisse aus. Auf das Gebiet der Dekonomie- Verwaltung erstreckt sich ihre Thätigkeit nur insoweit , als sie sich mit Rückſicht auf ihre Verant wortlichkeit für den kriegstüchtigen Zustand der Truppen veranlaßt ſehen, auf die Abstellung von Schäden hinzuwirken. Dagegen bilden die Infanterie Brigade- Commandos ein wichtiges Glied in der allgemeinen Heeres -Organi sation, indem sie, unter dem unmittelbaren Befehle der General- Commando's, die Thätigkeit der zu ihrem Bezirke gehörigen Landwehr- Bezirks-Commando's leiten und controliren. Die in den Landwehrbataillons - Bezirken eingeseßten Landwehr - Bezirks Commandos, mit den unter ihnen stehenden , in den Landwehr-Compagnie Bezirken stationirten Bezirks- Feldwebeln , sind das Bindeglied zwischen dem in der Heimath lebenden wehrpflichtigen Theile der Bevölkerung und Heere.

dem

Ihnen liegt in erster Linie die Regelung der militaitairiſchen Dienſt

verhältnisse der Wehrpflichtigen ob, unter der Mitwirkung und Unterstützung der Civilbehörden, welche hierzu durch das Reichs-Militairgeſeß - insbesondere durch die §§ 30, 31 und 70 desselben ausdrücklich verpflichtet sind. Auch haben die Landwehr-Bezirks -Commandos die Formation der Landwehrbataillone ihres Bezirks speciell vorzubereiten und die Ausrüstungs- und Bekleidungs bestände für dieselben zu verwalten. Bei den Truppen liegt die Leitung der ökonomischen Angelegenheiten den verschiedenen hierfür zu bildenden Commissionen , unter Aufsicht und ent sprechender Mitwirkung der Commandeure sowie unter Controle der Inten danturen ob.

Im Uebrigen sind die Truppen - Befehlshaber , jeder in seiner

Sphäre, für den gesammten Dienst bei ihren Truppen verantwortlich. Aus der dargelegten Organiſation ergiebt sich , welche Behörden beim Abmarsch eines Armee- Corps aus seinem Territorial-Bezirk zurückbleiben oder ersetzt werden müssen. Die Landwehr - Bezirks - Commandos und alle Local Verwaltungs-Behörden verbleiben stets im Bezirk ; die General-Commandos, die Infanterie - Brigade - Commandos , die Corps - Intendanturen , der Corps General-Arzt, der Corps - Auditeur und der Ober- Prediger werden durch ſtell vertretende Behörden erseßt. 5.

Ergänzung des Heeres im Frieden und Completirung desselben auf Kriegsstärke. A. Offiziere. a . Offiziere des flehenden Heeres.

Die Ergänzung der Offiziere des stehenden Heeres - d. h. des activen Dienſtſtandes - erfolgt nach den Bestimmungen der Preußischen Verordnung vom 31. October 1861 . Der Beförderung zum Offizier muß die Ernennung zum Portepee-Fähn rich vorhergehen.

Dieselbe erfolgt durch den Allerhöchsten Kriegsherrn auf

81

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

Grund der von den Regiments - Commandeuren und ſelbſtſtändigen Bataillons 2. Commandeuren auf dem Dienſtwege einzureichenden Vorschläge. Zum Portepee-Fähnrich kann jeder Unteroffizier oder Soldat vorgeschla= gen werden , der nach vollendetem 17. und vor zurückgelegtem 23. Lebens jahre mindeſtens 6 Monate gedient , in einer Prüfung seine wissenschaftliche Qualification dargethan und ein von dem Chef und den Offizieren der Com pagnie (Escadron, Batterie) , dem Bataillons- (Abtheilungs-) und dem Regi ments-Commandeur auszustellendes Zeugniß erworben hat, durch welches seine Würdigkeit, im Frieden mit Aussicht auf Beförderung fortzudienen, anerkannt wird . Dieses Zeugniß muß ſich aussprechen über die körperlichen und geiſti gen Eigenschaften des Betreffenden , über seine Führung und Dienst- Applica tion, sowie über den Grad der erworbenen Dienſtkenntniſſe. Die wissenschaftliche Qualification zum Portepee-Fähnrich wird entweder durch den Besitz eines

vollgültigen Abiturienten-Zeugnisses

eines Deutschen

Gymnaſiums oder einer Deutschen Realschule 1. Ordnung nachgewieſen oder durch die Ablegung der Portepee-Fähnrichs -Prüfung vor der Ober-Militair Examinations - Commission dargethan. Die Zulassung zur Prüfung ist jedoch abhängig von der Beibringung eines von dem Lehrer-Collegium eines Deut schen Gymnasiums oder einer Deutschen Realschule 1. Ordnung ausgestellten Zeugnisses der Reife für die Prima der betreffenden Anstalt.

Die Portepee

Fähnrichs-Prüfung kann sowohl vor als nach dem Dienſteintritt abgelegt werden , vor dem Eintritt jedoch nur auf Grund des vorläufigen Annahme Echeines eines Truppentheils.

Wer in der ersten Prüfung nicht besteht, kann

zu einem zweiten und leßten Examen zugelassen werden. Auszeichnung vor dem Feinde befreit von dem Examen zum Portepee Fähnrich. Für junge Leute , welche ihre Erziehung im Cadetten - Corps genossen haben, erfolgt die Prüfung am Schluß des Lehr-Cursus . Diejenigen, welche dieselbe beſtehen , werden , sofern sie nicht behufs ihrer weiteren Ausbildung zum Offizier im Cadetten - Corps zurückbehalten werden, als

charakterisirte

Portepee-Fähnriche den Truppentheilen des Heeres nach Bedarf überwiesen und können Seitens derselben nach Verlauf von 6 Monaten zu wirklichen Portepee-Fähnrichen vorgeschlagen werden. Die Portepee -Fähnriche aller Waffen, bez . die für die Weiterbeförderung geeigneten Offizier - Aspiranten , welche mindestens 5 Monate gedient haben, werden zu ihrer ersten Ausbildung in den Militair-Wiſſenſchaften auf die Kriegs ſchulen commandirt , deren acht für das Reichsheer (excl. Bayern) beſtehen. Der Lehr-Cursus auf den Kriegsschulen ist ein neun- oder zehnmonatlicher. Am Schluß des Lehr- Cursus auf den Kriegsschulen findet die Prüfung zum Offizier vor der Ober-Militair- Examinations - Commission statt. Wer im Offizier-Examen nicht besteht, kann zu einer zweiten und legten Prüfung ver wiesen werden. 6 Militairische Jahresberichte 1874.

82

Militairische Jahresberichte für 1874.

Fortgesettes ausgezeichnetes Benehmen im Kriege befreit von dem Offizier = Examen. Diejenigen Portepee - Fähnriche , welche das Offizier - Examen bestanden haben, werden bei vorhandener Vacanz dem Allerhöchsten Kriegsherrn zum Offi zier vorgeschlagen, nachdem das Offizier- Corps des betreffenden Truppentheils in einem dem Vorschlage beizufügenden Protocoll erklärt hat , daß es den Vorzuschlagenden für würdig erachtet , in seine Mitte zu treten, und nachdem in einem besonderen Atteste bezeugt ist , daß derselbe die einem Offizier nö thige praktische Dienstkenntniß beſißt. Dem Besuche der Kriegsschule wird der einjährige Cursus in der Selecta , bez . Ober-Prima des Cadetten- Corps für diejenigen Cadetten gleich gerechnet, welche nach bestandenem Portepee - Fähnrichs - Examen in besonderer Anerken nung ihrer Führung und Leiſtungen, bez. wegen unvollkommener Körperent wickelung im Cadetten- Corps zurückbehalten werden . Nach bestandenem Offi zier-Eramen werden die Selectaner den Truppentheilen des Heeres als Offi ziere überwiesen ; die Ober- Primaner treten zunächst als Portepee- Fähnriche in die Armee und dürfen erst nach mindeſtens sechsmonatlicher Dienſtleiſtung . zu Offizieren in Vorschlag gebracht werden . Die Portepee-Fähnriche der Artillerie und des Ingenieur-Corps können nach bestandenem Offizier-Examen zunächst nur zu „ außeretatsmäßigen " Lieu tenants vorgeschlagen werden. Zu etatsmäßigen Offizieren ihrer Waffe wer= den sie erst ernannt, nachdem sie einen ein- bis zweijährigen Curſus auf der Artillerie- und Ingenieurschule abſolvirt und am Schluß desselben die Be rufsprüfung abgelegt haben. Behufs ihrer weiteren Ausbildung in den allgemeinen wie in den Be rufswissenschaften werden alljährlich ca. 100 Offiziere aller Waffen zur Kriegs Akademie in Berlin commandirt. Das Commando ist ein freiwilliges. Nur solche Offiziere merden zugelassen, welche mindestens drei Jahre lang zu vol ler Zufriedenheit in der Offiziercharge praktischen Dienst gethan haben und die vorgeschriebene wissenschaftliche Prüfung bestehen. Kriegs-Akademie ist dreijährig.

Der Cursus auf der

Aus denjenigen Offizieren, welche die Kriegs

Akademie mit Erfolg besucht haben, ergänzt sich vorzugsweise der Generalſtab . Die Cadettenanstalten und die Kriegsschulen - diese unter der „ Inspection der Kriegsschulen " als Zwischenbehörde stehen unter der einheitlichen Leitung der " General-Inspection des Militair- Erziehungs- und Bildungs Wesens ". Früher gehörte zum Geschäftsbereich der General-Inspection auch die Ober- Militair - Examinations - Commiſſion , sowie die Kriegs- Akademie. Erstere steht jest jedoch unmittelbar unter dem Kriegs -Ministerium und die Kriegs-Akademie ist dem Chef des Generalstabes der Armee unterstellt worden . Die Artillerie- und Ingenieurschule steht unter der gemeinsamen Aufsicht der General-Inspecteure der Artillerie und des Ingenieur- Corps. Alle genannten Institute sind gemeinschaftliche für das ganze Reichsheer , mit Ausschluß des

83

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

Bayerischen Contingents, welches noch seine eigenen entsprechenden Einrichtungen hat. Sachsen besißt eine eigene Cadetten-Anstalt, jedoch ohne Selecta . Wenn zur Zeit noch nicht alle Offizier- Corps vollzählig sind , so kann dies nach den schweren Verlusten , welche dieselben in den letzten Kriegen er litten haben, und nach der außerordentlichen Erweiterung , welche die Armee, speciell die Preußische seit 1859, erfahren hat, gewiß nicht überraschen.

Unter

Berücksichtigung dieser Umstände müſſen die zur Zeit noch vorhandenen Man quements als verhältnißmäßig gering bezeichnet werden ,

und ist wohl be=

gründete Hoffnung vorhanden , daß es gelingen wird , dieselben nicht nur in kurzer Zeit zu decken, sondern hierfür auch tüchtige junge Kräfte zu gewin nen, worauf mit Recht der Hauptnachdruck gelegt wird, - ist es doch eine unumstößliche Thatsache , daß

die Tüchtigkeit der Armee von

dem Werthe des Offizier - Corps in solchem Maße abhängt , wie keine andere Institution von personellen Kräften ! b.

Offiziere des Beurlaubtenſtandes.

Aus der von uns gegebenen Uebersicht über die Friedens- und Kriegs stärke des Heeres ergiebt sich, daß für die Kriegsformation etwa 12,000 Offi ziere mehr erforderlich, als im Friedensstande vorhanden sind.

Ein verhält

nißmäßig nur geringer Theil des Bedarfs kann durch Reactivirung zur Dis position stehender oder verabschiedeter Offiziere gedeckt werden ; zur Besetzung der übrigen Stellen dienen die Offiziere des Beurlaubtenstandes — Reserve und Landwehr- Offiziere nach näherer Bestimmung der Preußischen, im ganzen Reiche eingeführten *) Verordnung , betreffend die Dienstverhältnisſſe der Offiziere des Beurlaubtenstandes, vom 4. Juli 1868. Dieselben werden von Sr. Majestät dem Kaiser und König , bei den ſelbſtſtändigen Contingenten aber durch den Contingentsherrn ernannt und ergänzen sich hauptsächlich aus denjenigen Einjährig- Freiwilligen und anderen Mannschaften, welche mit dem Qualifications -Attest zum Reserve-Offizier aus dem activen Dienst in den Beurlaubtenstand übertreten. Die militairische Ausbildung der Einjährig - Freiwilligen erfolgt mit besonderer Sorgfalt im Hinblick auf jenen Zweck. Die mit dem Qualifications - Attest versehenen Mannschaften der Reserve, welche eine entsprechende bürgerliche Stellung ein nehmen , werden zunächst behufs ihrer weiteren Ausbildung zu einer sechs bis achtwöchentlichen Dienstleistung bei einem Truppentheile ihrer Waffe ein berufen .

Wenn sie sich während dieſer Dienſtleiſtung weiter bewähren und

den Wunsch, zu Reserve- Offizieren befördert zu werden, zu Protocoll erklären, so erfolgt ihre Beförderung zu Vice - Feldwebeln (Vice - Wachtmeistern) , nach welcher sie Offizierdienste leisten. Nach beendeter Dienstleistung wird über fie ein Attest von den Offizieren der Compagnie (Escadron , Batterie) , dem Bataillons

(Abtheilungs-) und dem Regiments - Commandeur ausgestellt, wel

*) Für Bayern ist eine analoge Verordnung erlassen. 6*

Militairische Jahresberichte für 1874.

84

ches sich darüber ausspricht, ob sie für geeignet zur Beförderung zum Reserve Offizier des Truppentheils erachtet werden. Der Vorschlag zur Beförderung er folgt, nachdem sie zuvor noch dem Offizier- Corps des Beurlaubtenstandes ihres heimathlichen Landwehr-Bataillons -Bezirkes zur Wahl gestellt worden ſind. Außerdem können zu Reserve- Offizieren aller Waffen noch vorgeschlagen werden : felddienstfähige Offiziere des Friedensstandes bei oder nach ihrem Ausscheiden aus dem activen Dienste ; Mannschaften des Beurlaubtenstandes, welche sich durch Tapferkeit vor dem Feinde auszeichnen ; Mannschaften des Beurlaubtenstandes, welche ausnahmsweise das Qualifications -Atteſt zum Re serve-Offizier nachträglich nach ihrer Entlassung aus dem activen Dienste er werben.

Sollen Mannschaften des Beurlaubtenstandes, welche bei einem mo

bilen oder kriegsbereiten Truppentheil im Dienst stehen, zu Reserve- Offizieren vorgeschlagen werden, ſo ſind sie bei dem Offizier- Corps dieſes Truppentheils zur Wahl zu stellen , nachdem zuvor ein Gutachten des heimathlichen Land wehr - Bezirks - Commandeurs darüber eingeholt ist, ob sie mit Rückſicht auf . ihre bürgerliche Lebensstellung zum Reserve-Offizier geeignet erscheinen. Die Reserve-Offiziere tragen die Uniform ihres Linientruppentheils mit dem Landwehrabzeichen an der Kopfbedeckung.

Außer Dienst legen sie jedoch

die Uniform nur bei feierlichen Gelegenheiten an.

Zur Absolvirung der ge

setzlich vorgeschriebenen Uebungen , sowie bei außerordentlichen Verstärkungen oder Mobilmachungen ihrer Truppentheile werden sie in der Regel zu dieſen einberufen. Während der Dauer der Dienstleistung stehen sie zu dem Com mandeur und dem Offizier-Corps des Truppentheils in demselben Verhältniß, wie die Linien - Offiziere. Dagegen haben sie in der Zeit, während welcher sie nicht zum Dienst einberufen sind , keinerlei directe Beziehungen zu ihrem Linientruppentheil.

Ihr Verhältniß regelt sich während dieser Zeit nach den

allgemeinen gefeßlichen Bestimmungen über die Wehrpflicht, nur sind sie dem Ehrengerichte der Offiziere ihres heimathlichen Landwehrbezirkes unterworfen. Die Reserve-Offiziere avanciren, wenn sie zur Beförderung geeignet sind, zu gleich mit ihrem Hintermann im Linientruppentheile. Befinden sie sich zu der Zeit, zu der ihre Beförderung in Frage kommt , nicht im Dienſt bei ihrem Truppentheil, so müſſen ſie ihre Qualification zuvor durch eine freiwillige Dienstleistung darlegen. Jeder Reserve-Offizier tritt nach erfüllter ( ſiebenjähriger) Dienstpflicht im stehenden Heere zur Landwehr über, falls er sich nicht zu dieser Zeit im acti ven Dienst befindet, und wenn sein längeres Verbleiben im Reserveverhältniß nicht von ihm beantragt und von dem commandirenden General genehmigt wird. Die Landwehr-Offiziere sind zur Besetzung von Offizierſtellen bei den Landwehrtruppenkörpern beſtimmt , können aber auch bei Mobilmachungen Verwendung in Linientruppentheilen finden, während andererseits auch Linien Offiziere nach Bedarf zur Landwehr commandirt werden. Die Landwehr - Offiziere ergänzen ſich, außer durch den Uebertritt von

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

85

1 Reſerve - Offizieren zur Landwehr , durch Offiziere , welche aus dem activen Dienst ausscheiden ; durch Mannschaften der Landwehr , welche sich durch Tapferkeit vor dem Feinde auszeichnen ; durch Landwehrmannschaften , welche mit dem Qualificationsattest zum Reserve- Offizier versehen , aber aus irgend welchen Rücksichten nicht zum Reſerve - Offizier befördert worden sind ; durch Feldwebel , Wachtmeister und Unteroffiziere , welche mit dem Qualifications Attest zum Landwehr-Offizier aus dem activen Dienste entlassen sind . Mann schaften der beiden letteren Kategorien können nur zu Landwehr-Offizieren vor geschlagen werden, wenn sie sich zuvor verpflichten, mindestens noch fünf Jahre in der Landwehr zu dienen ; die der vorlegten Kategorie auch erst nach freiwilliger Absolvirung einer mindestens sechswöchentlichen Dienstleistung bei der Linie. Außerdem muß allen Vorschlägen von Landwehrmannſchaften zu Offizieren die Wahl durch das Offizier- Corps des heimathlichen Landwehr-Bataillons oder im mobilen Verhältniß des betreffenden Truppentheils vorhergehen . Die Landwehr - Offiziere tragen die Uniform der Landwehr ihrer Waffe. Bei Einberufungen zum Dienst stehen sie zu dem Commandeur und dem Offizier-Corps des Truppentheils in demselben Verhältniß wie die Reserve Offiziere, nur nehmen sie , wenn sie bei Truppentheilen des stehenden Heeres im Frieden Dienst leisten , an den Offizierwahlen und Ehrengerichten der selben nicht Theil. In der Zeit, in der sie nicht zum Dienst einberufen ſind, gelten für sie dieſelben Bestimmungen , wie für die Reserve-Offiziere.

Für

das Landwehr-Offizier-Corps eines jeden Landwehr -Bataillons -Bezirks ist eine bestimmte Anzahl von Hauptmanns- (Rittmeister-) und Premier-Lieutenants stellen in den einzelnen Waffen vorgesehen. Die Vorschläge zur Besetzung derselben erfolgen nach der Anciennetät im Landwehr - Offizier - Corps und unter Berücksichtigung der Anciennetät im Verhältniß zu dem Offizier- Corps der correspondirenden Truppentheile des stehenden Heeres ; außerdem muß die Qualification zur Beförderung im Frieden durch eine freiwillige Dienſtleiſtung bei der Linie dargethan werden. Hauptleute der Provincial- Landwehr-In fanterie, welche in einem Compagnie-Bezirk ihres Landwehr-Bataillons ihren festen Wohnsit haben , können zu Landwehr- Compagnieführern vorgeschlagen werden , wenn sie sich durch lebhaftes Interesse für den Dienst auszeichnen . und durch ihre bürgerliche Stellung einen erfolgreichen Einfluß im Bezirk aus üben. Die Landwehr-Compagnieführer erhalten eine fortlaufende monatliche Zulage von 30 Mark , dagegen für den Dienst innerhalb des Compagnie Bezirks weder Diäten noch Reisegelder.

Es

ist dies

der einzige Fall , in

welchem Personen des Beurlaubtenstandes außerhalb der Zeit ihrer Einberu fung zum activen Dienst Besoldung empfangen. Nach zurückgelegter zwölfjähriger Gesammtdienstzeit kann jeder Landwehr Offizier um seine Verabschiedung einkommen ; diejenigen , welche nach befohle ner Mobilmachung der Armee im activen Dienste stehen , jedoch nur bei ein getretener Dienstunbrauchbarkeit .

Militairische Jahresberichte für 1874.

86

Unteroffiziere.

B.

Die Unteroffiziere des Friedensstandes ergänzen sich vorzugsweiſe aus Capitulanten, d. h. solchen Mannschaften, welche sich freiwillig zum Weiterdienen über die gesetzliche Dienstzeit hinaus verpflichten, bez. zu dieſem Zwecke aus dem Beurlaubtenstande in den Friedensstand zurücktreten ; im Be darfsfalle aber auch aus solchen geeigneten Mannschaften , welche in der Erfüllung ihrer activen Dienstpflicht begriffen sind. Ein nicht unbeträcht licher Theil der Unteroffiziere geht aus den Unteroffizierſchulen hervor , in welche geeignete Freiwillige nach vollendetem 17. Lebensjahre behufs

ihrer

militairischen Ausbildung und gleichzeitigen Vervollkommnung ihrer Schul kenntnisse mit der Verpflichtung aufgenommen werden , für jedes Jahr des Aufenthalts in der Schule zwei Jahre über die gefeßliche Zeit zu Der Aufenthalt in der Schule gilt als active Dienstzeit. Wie überall, so

dienen.

ist auch in der Deutschen Armee die Ergänzung der

Unteroffiziere in den letzten Jahren auf Schwierigkeiten gestoßen , deren Ur sprung theils in dem ſtarken , durch den Krieg und in Folge deſſelben einge tretenen Abgange, besonders aber in der Veränderung der ſocialen und wirth schaftlichen Verhältniſſe zu suchen iſt. Der ungewöhnliche Aufschwung von Handel und Industrie und die dadurch herbeigeführte reichlichere Bezahlung der freien Arbeit hat die Neigung zum militairischen Berufe paralyſirt, welche in einem kernigen Volke nach großen kriegerischen Erfolgen sonst wohl hervorzutreten pflegt. Die sehr erheblichen Löhnungserhöhungen und sonstigen Maßregeln zur Verbesserung der Lage der Unteroffiziere , welche im Jahre 1873 in Kraft getreten sind, haben wohl dazu beigetragen , dem weiteren Rückgang des Un teroffizier-Corps Einhalt zu thun ; bisher nicht geltend

gemacht.

aber darüber hinaus hat sich der Erfolg

Nun steht zwar zu hoffen, daß die weitere

Durchführung jener Maßregeln allmählich die Neigung für den Unteroffizier Beruf wieder mehr beleben wird, und vor Allem wird der inzwischen allge mein eingetretene, erhebliche Rückgang der Arbeitslöhne in derselben Richtung wirken ; als ein Symptom dafür kann wohl der außerordentliche Andrang zu den Unteroffizierschulen betrachtet werden, welcher gestattet hat, im Jahre 1874 gegen 300 junge Leute über den Etat in diese Schulen einzustellen, während der Etat derselben früher selten erreicht werden konnte, - eine Erscheinung, welche auch dazu geführt hat, die Errichtung einer neuen Unteroffizierschule, in Marienwerder, einzuleiten. Gleichwohl halten wir es für sehr wahrschein lich, daß sich noch weitere Maßregeln

als

nothwendig herausstellen werden,

um das Unteroffizier- Corps nicht nur vollzählig, sondern besonders auch auf der Höhe der Anforderungen der Zeit zu erhalten. In der That zeigen sich die Mängel wohl mehr noch in der Qualität als in der Zahl der Unteroffi ziere.

Die erhöhte individuelle Durchbildung des Soldaten, welche die Taktik

erfordert, kann in einem Heere, das berufen ist, die jungen Leute aller Stände einer hochgebildeten Nation in sich aufzunehmen und in verhältnißmäßig kur

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

87

zer Dienstzeit zu schulen , nicht in der wünschenswerthen Vollkommenheit er reicht werden, wenn die Unteroffiziere vorzugsweise aus den unterſten Klaſſen der Arbeiterbevölkerung entnommen

werden müssen.

Aus dieser Erwägung

sind augenscheinlich bereits diejenigen Maßregeln hervorgegangen , welche im Jahre 1873 getroffen sind, um die dienstliche und sociale Stellung der Unter offiziere zu heben. Aber es wird noch mehr geschehen müſſen, um den beſſe ren Elementen des Bürgerstandes und der Landbevölkerung einen größeren Anreiz zu gewähren.

Die Mittel hierzu liegen , wie uns scheint , nicht auf

dem Wege weiterer Löhnungserhöhungen, da die jeßige Löhnung für ein ein faches und mäßiges Leben , wie der Unteroffizier es führen soll , allenfalls ausreicht ; vielmehr suchen wir die weitere Hülfe vorzugsweise in einer erhöh ten Fürsorge für die Zukunft des Unteroffiziers und behalten uns deshalb vor, in dem Capitel von dem Versorgungswesen hierauf zurückzukommen . An dieser Stelle möchten wir nur noch kurz die Frage anregen , ob nicht ge wichtige Gründe dafür sprechen möchten , die Unteroffizierschulen ganz oder theilweise in der Richtung zu reorganisiren , daß dieselben geeignete junge Leute schon früher als im 18. ,

etwa nach vollendetem 15. Lebensjahre auf

nähmen und sich dann vorzugsweise mit Vervollkommnung der Schulbildung derselben beschäftigten, während ihre praktische militairische Ausbildung in der Hauptsache den Truppentheilen überlassen bliebe , denen sie in der Regel mit vollendetem 17. Lebensjahre zu überweisen wären ? Die körperliche Entwicke lung würde auf der Unteroffizierschule bei entsprechender Pflege schneller und kräftiger gedeihen , wie in dem bürgerlichen Verhältniß , und es scheint uns , daß die jungen Leute auf den Unteroffizierschulen für ihren militairiſchen Beruf wie für spätere Versorgungen im Civildienst bessere Vorbereitung fän den , als wenn sie die Zeit von der Confirmation bis zum 17. Lebensjahre in Lehrlings- oder Arbeiterstellungen zubringen, in welchen sie nicht mit rech ter Lust , weil gegen ihre wahre , dem militairischen Beruf zugewandte Nei gung arbeiten, und daher in erhöhtem Maße Versuchungen und nachtheiligen Einflüssen ausgefeßt sind . Gehen nicht vielleicht gerade in dieſen Jahren der Armee viele gute Elemente verloren oder kommen nach Ablauf derselben ver dorben in die Unteroffizierschulen ?

Wir möchten die Frage hier noch nicht

endgültig beantworten, aber sie scheint uns ernſter Erwägung werth. Bei Completirung der Armee auf Kriegsfuß tritt für dieselbe natürlich auch ein bedeutender Mehrbedarf an Unteroffizieren ein , welcher aus dem Beurlaubtenstande gedeckt werden muß. Für die Ausbildung geeigneter Mann schaften zu diesem Zwecke wird beim stehenden Heere Sorge getragen.

C. Aerzte, Noßärzte, Beamte. Die Militair- Aerzte ergänzen sich, nach näherer Bestimmung der Preußischen „ Verordnung über die Organiſation des Sanitäts -Corps vom 6. Februar 1873 " :

Militairische Jahresberichte für 1874.

88

1. durch Mediciner, welche in den militairärztlichen Bildungsanstalten ― 5. h. dem medicinisch - chirurgischen Friedrich- Wilhelms - Inſtitut und der medicinisch- chirurgischen Militair = Akademie zu Berlin ausgebildet worden sind; 2. durch Mediciner, die in Erfüllung ihrer allgemeinen Dienstpflicht be griffen sind, und zwar im activen Heere als Einjährig-Freiwillige und im Beurlaubtenstande ; 3. durch solche, welche ihre ärztliche Qualification auf Univerſitäten er langt haben und zum Dienst auf Beförderung eintreten. Alle drei Kategorien müſſen zunächſt mit der Waffe dienen, werden dann zu Unterärzten befördert und können später zu Aſſiſtenzärzten im Friedens stande oder Beurlaubtenstande, mit welcher Charge der Offizier-Rang verbun den ist , nach ähnlichen Grundfäßen , wie die für die Beförderung zum Offi zier maßgebenden, vorgeschlagen werden . Die Roßärzte ergänzen sich der Regel nach durch Eleven der Militair

Roßarztschule in Berlin. Jn dieselbe werden nur solche junge Leute aufge nommen, welche die für die Zulassung zum einjährig-freiwilligen Dienst vor geschriebene Schulbildung beſizen und den Hufbeſchlag bereits erlernt haben. Thierärzte, welche die thierärztliche Prüfung bestanden haben , können ihrer Dienstpflicht als ein- oder dreijährig-freiwillige Unter- Roßärzte genügen. Die Ergänzung 2c. des roßärztlichen Personals wird , nach näherer Vorschrift der Bestimmungen über das Militair- Veterinairwesen vom 15. Januar 1874" durch die Inspection des Militair-Veterinairwesens " geleitet. Die Ergänzung der mannigfaltigen Kategorien von Beamten in allen Branchen der Militairverwaltung ist für das Preußische Heer durch so zahl reiche ältere Gefeße und Verordnungen geregelt, daß ein näheres Eingehen auf dieselben den Rahmen der Aufgabe , welche wir uns gestellt haben , weit überschreiten würde. Es sei daher hier nur noch erwähnt, daß für alle Staaten, deren Contingente in Preußischer Verwaltung stehen, auch die Aerzte, Roßärzte und Beamten der Militairverwaltung von Sr. Majestät dem Kaiser Berechnung des jährlichen Rekruten

Truppen Gattungen.

Preußen und die in Preußischer Verwal tung stehenden Contingente.

à 225 = à 190 =

4,950 63,840

Summa 365 Escadr. à 36 = à 30 = 234 Batt. 22 à 165 =

68,790 13,140 7,020 3,630

à 160 = à 175 =

2,400 2,450 3,000

22 Bat. 336

Infanterie . Cavallerie Feld Artillerie . Fuß-Artillerie Pionier u. Eisenbahn Truppen Train Dekonomie-Handwerker Summa ..

15 Bat. 14 z

100,430

Bayern.

58 Bat. 50 Escadr. 34 Batt. 4

2 Bat. 2

à à à à

190 11,020 36 - 1,800 30 = 1,020 165 = 660

à 160 == à 175 =

320 350 400 15,570

89

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

und König, bez. von den Preußischen Behörden ernannt werden, und daß die bezüglichen Preußischen Bestimmungen auch in Sachsen und Württemberg eingeführt sind. Alle Beamte der Preußischen, Sächsischen und Württember gischen Militairverwaltung sind überdies

bezüglich ihrer persönlichen

und

dienſtlichen Verhältnisse dem Reichsbeamtengeset vom 31. März 1873 unter worfen. D. Mannschaften. Der Mannschaftsstand des Heeres im Frieden wird aus denjenigen jun gen Leuten ergänzt, welche zur Erfüllung ihrer activen Dienstpflicht freiwillig eintreten oder ausgehoben werden. Zum Weiterdienen über die gesetzliche Dienstzeit hinaus dürfen nur solche Mannschaften zugelassen werden , welche ſich zu Unteroffizieren eignen ; nur bei der Cavallerie ist es gestattet , Frei willige, auch wenn sie dieser Anforderung nicht entsprechen, bis zu vier Jah ren im Dienst zu behalten, wofür ihnen zwei Jahre der Landwehrpflicht, ſo wie die Reserveübungen erlassen werden. Auf Grund des § 9 des Gesetzes vom 9. November 1867 bestimmt der Kaiser für jedes Jahr die Zahl der in das Heer einzustellenden Rekruten. Nach den Allerhöchsten Bestimmungen sind seit einer Reihe von Jahren von den Kriegsjahren abgesehen - durchschnittlich eingestellt worden : 190 Rekruten, bei jedem Infanterie-Bataillon 36 "I " jeder Escadron 30 Batterie " 11 165 11 " jedem Fuß-Artillerie- Bataillon 160 Pionier-Bataillon it " " 175 Train-Bataillon .• " " auf die stärkeren Bataillone der alten Garde-Infanterie-Regimenter und des Mecklenburgischen Contingents sind jedoch je 225 , auf die Bataillone des Württembergischen Contingents nur je 175 Rekruten zu rechnen , und ergiebt sich hieraus folgende

Bedarfs des Deutschen Heeres.

Württemberg.

Sachsen.

29 Bat. 30 Escadr. 18 Batt. 2 2 1 Bat. 1 2

à à à à

190 5,510 36 = 1,080 30 = 540 165 = 330

à 160 = à 175 =

160 175 200 7,995

24 Bat. 20 Escadr. 14 Batt. 1 1 Bat. 1 .

à à à à

Summa.

175 4,200 36 = 720 30 = 420 165 = 165

89,520 16,740 9,000 4,785

160 175 175

3,040 3,150 3,775

6,015

130,010

à 160 = à 175 =

90

Militairische Jahresberichte für 1874.

Demnach beträgt das jährliche Rekruten - Contingent des 130,000 Mann, Heeres • • 13,000 " Dazu kommen ca. 10 Procent Nacherſat 2,500 " Das Rekruten - Contingent der Marine beträgt ca. Mithin beträgt der jährliche Bedarf für Heer und Marine 145,000 Rekruten. Nachdem

auf Grund der bezüglichen Bestimmungen des Kaisers der

Rekrutenbedarf des Heeres für das laufende Jahr feſtgeſtellt ist, wird derselbe durch den Bundesraths - Ausschuß für das Landheer und die Festungen auf die einzelnen Bundesstaaten nach dem Verhältniß der Bevölkerung vertheilt. Hierbei werden die Freiwilligen und die für die Marine ausgehobenen Mann ſchaften den einzelnen Staaten in Rechnung gestellt.

Vermag ein Staat seinen

Rekrutenantheil nicht aufzubringen , so wird der Ausfall auf die anderen Staaten, und zwar zunächst auf die derselben Militair-Territorial-Einheit an gehörenden , übertragen.

Diejenigen Bundesstaaten , welche besondere Armee

Corps bilden , können , außer in dem leßterwähnten Falle , im Frieden zur Rekrutengestellung für andere Armee- Corps nur in dem Maaße herangezogen werden, als Angehörige anderer Bundesstaaten bei ihnen zur Aushebung ge langen. Im Uebrigen ist für die Zutheilung der auszuhebenden Rekruten an die Truppen des Reichsheeres das

militairische Bedürfniß bestimmend.

(§ . 9 des Ges. vom 9. November 1867 und § . 9 des R.M.G.) Die Untervertheilung des Rekrutenbedarfs auf die Territorial- bez. Aus hebungs- Bezirke erfolgt nach analogen Grundsäßen durch die Ersazbehörden. Alle Wehrpflichtigen, mit Ausnahme derer, welche freiwillig in das Heer eintreten oder die Berechtigung zum einjährig freiwilligen Dienst erworben haben, sind vom 1. Januar des Calenderjahres an , in welchem sie das 20 . Lebensjahr vollenden , der Aushebung unterworfen

( militairpflichtig) .

Eie

haben sich zu diesem Zwecke vor den Ersaßbehörden zu gestellen, bis über ihre Dienstverpflichtung den geseßlichen Bestimmungen gemäß - vergl. unter 2, - endgültig entschieden ist , jedoch höchſtens zwei Mal jährlich. Wehrpflicht(§. 10 des R.M.G.) Jeder Militairpflichtige ist in dem Aushebungsbezirke , in welchem er feinen dauernden Aufenthaltsort oder , in Ermangelung eines solchen , seinen Wohnsig hat, gestellungspflichtig . Wer innerhalb des Bundesgebietes weder einen dauernden Aufenthaltsort , noch einen Wohnsiß hat , ist in dem Aus hebungsbezirke seines Geburtsortes geſtellungspflichtig, und wenn der Geburts ort im Auslande liegt, in demjenigen Aushebungsbezirke des Inlandes , in welchem die Eltern oder Familienhäupter ihren lezten Wohnsitz hatten.

In

dem Aushebungsbezirke , in welchem die Militairpflichtigen sich zu gestellen haben, werden sie auch , unter Anrechnung auf das von demselben aufzu bringende Rekruten - Contingent zum Militairdienst herangezogen. (§. 12 des Reichs-Milit. - Geſ.) Die Grundlage für das jährliche Ersaß - Geschäft bilden die Stamm

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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rollen , in welche alle Wehrpflichtigen beim Eintritt in das militairpflichtige Alter eingetragen werden. Die Stammrollen find unter Aufsicht der Ersaß behörden von den Gemeinden oder gleichartigen Verbänden zu führen , und zwar auf Grund der Civilstandsregister , so wie auf Grund der Meldungen, zu welchen die Militairpflichtigen und (§§. 31 und 32 des R.M.G.)

deren Angehörige verpflichtet sind .

Ueber das Militair - Verhältniß der in die Stammrollen Eingetragenen haben sodann die Ersaß - Behörden mungen zn entscheiden.

nach Maßgabe der geseßlichen Beſtim=

Bezüglich der Zuſammenſeßung der Ersaß - Behörden , sowie des Verfahrens vor denselben enthält der § . 30 des R.M.G. folgende Vor schriften : 1. Die Einrichtung der Ersagbehörden hat sich an die Eintheilung des Reichsgebiets in Militairbezirke anzulehnen. 2. Der Landwehr - Bataillonsbezirk bildet entweder ungetheilt den Aus hebungsbezirk oder zerfällt in mehrere Aushebungsbezirke , deren Um fang und Größe sich nach der Beschaffenheit und Seelenzahl der ent sprechenden Civilverwaltungs - Bezirke bestimmt. 3. Die mit den ständigen Geschäften der Heeresergänzung betrauten Be hörden sind: a) für den Aushebungsbezirk die Ersaß-Commiſſion, bestehend aus dem Landwehr-Bezirks -Commandeur und einem Verwaltungsbeamten des Bezirks, oder wo ein solcher Beamter fehlt, einem besonders zu dieſem Zwecke bestellten bürgerlichen Mitgliede ; b) für den Infanterie - Brigade - Bezirk die Ober - Ersaß - Commiſſion, be stehend aus dem Infanterie - Brigade - Commandeur und einem höhe ren Verwaltungs- Beamten ; c) für den Armee- Corps - Bezirk der commandirende General des Armee Corps in Gemeinschaft mit dem Chef einer Provincial- oder Landes behörde, sofern nicht hierfür in einzelnen Staaten besondere Behörden bestellt sind; d) für die oberste Leitung der Heeres: Ergänzung die zuständigen Kriegs ministerien in Gemeinschaft mit den obersten Civilverwaltungs -Be hörden der einzelnen Bundesstaaten. 4. Zur Entscheidung über die gefeßlich zulässigen Befreiungen und Zurück stellungen wegen häuslicher oder bürgerlicher Verhältnisse , sowie über den Verlust des Anspruches hierauf und über den Verlust der aus der Loosung erwachsenen Berechtigungen in Folge von Verstößen gegen die Rekrutirungs - Vorschriften (§§. 21 und 55 des R. M.G.) , treten den ständigen Mitgliedern der Ersatz- und Ober - Ersaß - Commission andere Mitglieder hinzu, welche aus den Bezirks - Eingesessenen von Communal oder Landesvertretungen gewählt oder , wo solche Vertretungen nicht vorhanden sind, von der Landesverwaltungs-Behörde ernannt werden. Es sollen hiernach bestehen : die verstärkte Ersat - Commiſſion neben den ständigen Mitgliedern aus höchstens noch einem Offizier und aus vier bürgerlichen Mitgliedern ; die verstärkte Ober- Erſaß-Commiſſion neben den ständigen Mitgliedern aus einem bürgerlichen Mitgliede.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

5.

Die Mitglieder der Ersaßbehörden haben gleiches Stimmrecht ; ihre Be schlüsse werden mit Stimmenmehrheit gefaßt. Wo nur die ständigen Mitglieder an der Beschlußfassung Theil nehmen , ist bei Meinungs verschiedenheiten die Angelegenheit der nächsthöheren Instanz zur Ent scheidung vorzulegen. Für unaufschiebbare vorläufige Maßregeln ist bei der Erjat- Commission die Stimme des Civil-Mitgliedes, bei der Ober Ersaß-Commission die Stimme des militairischen Mitgliedes entscheidend. Desgleichen entscheidet bei der Ober- Erſaß- Commiſſion die Stimme des militairischen Mitgliedes über die körperliche Brauchbarkeit der Militair pflichtigen und die Vertheilung der ausgehobenen Mannschaften auf die verschiedenen Waffengattungen und Truppentheile. 6. Bei dem Verfahren vor den Ersatzbehörden sind die Betheiligten berech tigt , ihre Anträge durch Vorlegung von Urkunden und Stellung von Zeugen und Sachverständigen zu unterstützen. 7. Die Ersat - Commiſſion arbeitet der Ober - Erſatz - Commiſſion vor. Sie verfügt die nach dem Gesetze zulässigen Zurückstellungen der Mili tairpflichtigen . Im Uebrigen unterliegen ihre Beschlüsse der Reviſion und endgültigen Entscheidung der Ober- Ersaß- Commiſſion. 8. Gegen die Entscheidungen der Ober - Ersay Commission steht nur den Militairpflichtigen bez. ihren zur Reclamation berechtigten Angehörigen eine Berufung an die höheren Instanzen zu . In Aushebungsbezirken, welche ihren Rekrutenantheil nicht aufzubringen vermögen, kann jedoch gegen die auf Befreiung vom Militairdienst gerichteten Entscheidungen auch Seitens des ständigen militairiſchen Mitgliedes der Ober - Ersatz - Com miſſion Berufung an die höhere Instanz eingelegt werden . Zur Ausführung des unter 7 Bestimmten halten die Erſaß-Commiſſionen alljährlich im Frühjahre Termin ab , in welchem die Militairpflichtigen perſön lich erscheinen und die zur Unterstützung etwaiger Anträge vorhandenen Be weismittel vorführen müssen.

Die Commission stellt den Personalstand der

Militairpflichtigen fest, untersucht dieselben bezüglich ihrer Brauchbarkeit für den Militairdienst im Allgemeinen und für die einzelnen Truppengattungen, Sodann entscheidet sie auf läßt sie loosen und prüft alle Reclamationen. Grund dieser Erhebungen , welche Militairpflichtigen für das laufende Jahr zurückzustellen sind, und beschließt, welche Vorschläge bezüglich der übrig blei benden Militairpflichtigen der Ober- Ersatz- Commiſſion zur Entscheidung unter breitet werden sollen .

Nach Maßgabe dieser Beschlüſſe werden die Aushebungs

listen angelegt. Demnächst halten in der Regel im Sommer die Ober- Erfaß-Commiſſionen in allen Aushebungs - Bezirken Termine ab , in welchen diejenigen Militair pflichtigen, welche nicht Seitens der Erſaß- Commiſſion für das laufende Jahr zurückgestellt sind , gleichfalls persönlich und unter Beibringung etwaiger Be weismittel erscheinen müſſen. Die Ober- Ersaß - Commiſſion prüft die Vor schläge der Ersat- Commission und entscheidet auf Grund derselben. Sie hebt so viele Rekruten aus, als nach der Rekruten - Bedarfs - Vertheilung von dem Bezirke aufzubringen sind, und vertheilt sie auf die Truppentheile, für welche der Ersaß zu gestellen ist . Gleichzeitig wird eine entsprechende Anzahl von

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Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

Militairpflichtigen als Ersaß für etwaige Ausfälle designirt. Die ausgehobenen Rekruten werden in der Regel zunächst wieder in die Heimath beurlaubt, treten als Personen des Beurlaubtenstandes in die Controle der Landwehr-Behörden und werden durch diese zu den vorgeschriebenen Terminen , in der Regel im Herbst, den Truppentheilen des Heeres zur Einstellung überwiesen.

Die in

die Heimath beurlaubten Rekruten bedürfen zur Verheirathung , sowie zur Auswanderung der Genehmigung der Militairbehörden und werden, wenn ſie ſich durch unerlaubte Auswanderung, Selbſtverſtümmelung, Vorſchüßung von Gebrechen 2c. ihrer Dienstpflicht entziehen , nach gleichen Grundsäßen wie die Mannschaften des activen Dienststandes bestraft. (§. 60 des R.M.G.) Alle auf die Heeresergänzung bezüglichen amtlichen Verrichtungen und Verhandlungen , mit Ausnahme der durch strafbare Handlungen bedingten, unterliegen weder einer Stempelgebühr , noch einer Taxe. (§ . 35 d . R.M.G.) Von den Kosten des Rekrutirungsverfahrens sind nur diejenigen auf Reichsfonds zu übernehmen, welche sich unmittelbar aus der Betheiligung von Militairbehörden und Militairpersonen an demselben ergeben.

Den ein

zelnen Bundesstaaten ist die Bestimmung überlaſſen , von wem die übrigen Kosten zu tragen sind.

(§ . 36 ebend.)

Die Heeres -Ergänzungs - Geschäfte werden z. 3. noch nach der, durch das Reichs - Militair-Gefeß nur in wenigen Punkten modificirten „Militair- Erſaß Instruction für den Norddeutschen Bund vom 26. März 1868 " gehandhabt. Dieſe Instruction, an deren Stelle demnächst wohl als Ausführungs -Verord nung zu dem Reichs -Militair- Geſeß eine „ Militair- Erſaß-Inſtruction für das Deutsche Reich" treten dürfte, ist unverändert in Württemberg , Baden und Elsaß-Lothringen eingeführt, während auch für Bayern eine nahezu gleich lautende Instruction ergangen ist. Zuverlässige statistische Nachrichten über die Ergebnisse des Ersaß - Geschäfts für das ganze Deutsche Reich fehlen z . Z. noch. Bei der Berathung des Reichs -Militair- Geseßes ist jedoch dem Reichstage Seitens der Militair-Verwaltung hierfür eine Wahrscheinlichkeits -Berechnung vorgelegt worden, welcher die Resultate des Ersaß - Geschäfts in Norddeutschland vom Jahre 1872 zu Grunde liegen, und worin von der Voraussetzung ausgegangen ist, daß Süddeutschland nach Verhältniß dieselben Ergebnisse liefern wird. Diese Berechnung ergiebt Folgendes : 1.

Alljährlich werden, als in das militairpflichtige Alter eingetreten, in die Rekrutirungslisten eingetragen . Davon gestellen sich an anderen Orten, als an ihrem gesetzlichen Domicil resp. Geburtsorte und werden da her in den Listen doppelt geführt

Bleiben Davon sind verschollen, ohne Consens ausgewandert 2c. Mithin gelangen aus der Klasse der 20jährigen that sächlich alljährlich zur Musterung

502,000 Mann .

96,000

"

406,000 Mann. 42,000 "

364,000 Mann .

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Militairische Jahresberichte für 1874. Transport 364,000 Mann. 2. Davon gehen im ersten Jahre definitiv ab : . 14,250 a) als berechtigt zum einjährigen Dienst 250 • b) als moralisch unwürdig 25,000 c) als dauernd ganz unbrauchbar . d) nicht vollkommen dienstbrauchbar wegen 45,000 5,500 " augenscheinlich unheilbarer Gebrechen . • Bleiben 319,000 Mann. 3. Von den hiernach übrig Gebliebenen werden im ersten Jahre zurückgestellt : 232,000 a) als zeitig unbrauchbar b) in Berücksichtigung häuslicher 2c. Ver 10,600 hältnisse . c) als inhaftirt oder in gerichtlicher Unter 400 suchung befindlich 4. Mithin bleiben zur Einstellung in das Heer übrig · 5. Von den im ersten Jahre zurückgestellten (s. unter 3) werden später noch einstellungsfähig, und zwar: im zweiten Jahre im dritten Jahre und event . später 6. Mithin beträgt alljährlich die Gesammtzahl der ein stellungsfähigen Mannschaften aus allen Jahrgängen Davon gehören zur seemännischen Bevölkerung ca. • • Bleiben für das Heer und die Marinetruppen

243,000 Mann. 76,000 Mann.

50,000 40,000

"1 "

166,000 Mann. 5,000 19 161,000 Mann.

Da der jährliche Rekrutenbedarf für Heer und Marine nur ca. 145,000 Mann beträgt , so wäre also ein Ueberschuß von etwa 16,000 Mann vor handen, welcher das Haupt- Contingent für die Ersaß-Reserve 1. Klaſſe bilden wird.

Daß nicht auch dieſe Mannſchaften zur Absolvirung der Friedens

schule herangezogen werden können , ist sicherlich zu bedauern . Allein es wäre dies, da eine weitere Verkürzung der activen Dienſtzeit für die einzelnen Wehrpflichtigen nicht zulässig ist, nur durch entsprechende Erhöhung der Frie denspräsenzſtärke des Heeres zu erreichen . Wir haben oben die planmäßige Kriegsstärke

des Heeres auf rund

1,270,000 Mann berechnet. Wenn alljährlich, außer dem Nacherſaß, 130,000 Rekruten in das Heer eingestellt werden, so ergiebt dies für die 12 Jahr gänge, welche zum stehenden Heere und zur Landwehr gehören , 1,560,000 Mann , wozu noch die Unteroffiziere 2c. des Friedensstandes , ſowie die nicht zu Offizieren beförderten einjährig Freiwilligen von 12 Jahrgängen kommen würden. Wenn hiernach anscheinend sehr viel mehr ausgebildete Mann schaften vorhanden sein würden , als für die Kriegsformation des Heeres nöthig wären , so ist doch nicht zu übersehen , daß in den 12 Jahrgängen nicht nur ein erheblicher Abgang durch Tod, Dienstunbrauchbarkeit, Auswan derung u. s. w. ſtattfindet , ſondern daß bei eintretender Mobilmachung auch eine namhafte Zahl von Mannschaften des Beurlaubtenstandes durch Krank heit , Aufenthalt im fernen Auslande 2c . an der sofortigen Gestellung ver

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung. hindert sind.

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Immerhin aber wird der Bestand den Bedarf insoweit decken,

daß bei eintretender Mobilmachung alle Truppentheile sofort in der plan mäßigen Stärke aufgestellt werden können.

Und wie hiernach die Friedens

und die planmäßige Kriegsstärke des Heeres im Ganzen zu einander in dem richtigen Verhältniß stehen , so ist die Organisation auch der Art angelegt, daß der Bedarf der einzelnen Waffengattungen an Mannschaften ſeine volle Deckung findet. E. Pferde. Die für die Friedensstärke der Cavallerie und Artillerie erforderlichen Pferde werden in Preußen durch 6 Remonte- Ankaufs - Commiſſionen im Alter von 3 bis 6 Jahren freihändig angekauft , vor ihrer Vertheilung an die Re gumenter jedoch erst auf ein bis zwei Jahre in die hierfür bestimmten 14 Re monte - Depots eingestellt.

Die Cavallerie - Regimenter erhalten auf die ctats

mäßige Friedensstärke von 677 Pferden jährlich nur 63 Remonten , so daß bei ihnen die Dauerzeit eines Pferdes auf 102 Jahr berechnet ist, - An= gesichts der Anforderungen , welche an die Waffe gestellt werden müſſen , wie uns scheint , eine sehr lange Dauerzeit, welche selbst vorzügliche Pferde , bei ſorgſamſter Pflege, nur ausnahmsweise in kriegsbrauchbarem Zustande erreichen werden. Wir wissen sehr wohl , daß der Remontirung des Regiments die Kriegs-Ausrückeſtärke von 602 Pferden mit Rückſicht darauf zu Grunde gelegt wird, daß die ausrückenden Schwadronen einen Theil ihrer schlechteren Pferde gegen beffere der zurückbleibenden fünften Schwadron umtauschen können. Den noch können wir nicht umhin , einer verstärkten Remontirung der Cavallerie dringend das Wort zu reden, und zwar ebensowohl im Interesse der Fric densausbildung , als mit Rücksicht darauf, daß doch im Kriege die zurück bleibende fünfte Escadron den Erſaß an Pferden für die vier Feld-Escadrons liefern muß, - eine Aufgabe , welche sie neben den sonstigen von ihr zu er füllenden Zwecken unter jezigen Remontirungsverhältnissen nur in dürftiger Weise wird lösen können. Bei der Feld-Artillerie, welche im Mobilmachungsfalle einer sehr beden tenden Verstärkung an Pferden bedarf, ohne hierfür

eine Hülfe , wie ſie

immerhin die Cavallerie in ihren fünften Escadrons besißt, zu haben , wird der Remontirung eine neunjährige Dauerzeit der Pferde zu Grunde gelegt. Der Train ergänzt seinen Pferdestand aus den zur Ausrangirung kom menden Pferden der Cavallerie und Artillerie. In Sachsen und Württemberg werden die für die Truppen erforderlichen Pferde volljährig gekauft und gleich als Remonten in die Regimenter einge stellt. In Bayern dagegen wird ähnlich verfahren wie in Preußen ; es be= stehen dort vier Remonte-Depots. Der bei der Mobilmachung der Armee eintretende Mehrbedarf an Pferden wird entweder durch contractliche Lieferungen, durch freihändigen Ankauf oder durch Zwangskauf — s. unter „Kriegsleistungen” – gedeckt.

96

Militairische Jahresberichte für 1874.

6.

Pensionirung und Versorgung.

Für die Pensionirung und Versorgung der Militair - Personen des Reichsheeres , sowie für die Bewilligungen an die Hinterbliebenen solcher Personen gelten , einheitlich im ganzen Reich , die Vorschriften des bezüglichen Reichsgesetzes vom 4. April haben.*)

27. Juni 1871 , welche jedoch durch Reichsgesetz

1874 einige wichtige Abänderungen und

Ergänzungen

vom

erfahren

Jeder Offizier oder im Offizierrange stehende Militairarzt, welcher sein Gehalt aus dem Militairetat bezieht, erhält eine lebenslängliche Pension, wenn er nach einer activen Dienstzeit von wenigstens 10 Jahren zur Fortschung des activen Militairdienstes unfähig geworden ist und deshalb verabschiedet wird. Ist die Dienstunfähigkeit die Folge einer bei Ausübung des Dienstes ohne eigene Verschuldung erlittenen Verwundung oder sonstigen Beschädigung , so tritt die Pensionsberechtigung auch bei kürzerer als zehnjähriger Dienſtzeit ein. Die Pension beträgt, wenn die Verabschiedung vor vollendetem eilften Dienſtjahre cintritt, 20/80 und ſteigt von da ab mit jedem weiter zurückgelegten Dienſtjahre um 80 des pensionsfähigen Diensteinkommens der min 1/so, jedoch höchstens bis zu so destens während eines Dienstjahres innerhalb des Etats bekleideten Charge. Nur wenn die Pensionirung die Folge einer in Ausübung des Dienſtes erlit tenen Beschädigung (Dienstbeschädigung) iſt , ſo wird die Höhe der Pension nach der bei der eintretenden Penſionirung bekleideten Charge auch in dem Falle bemessen , wenn der Pensionair dieselbe noch kein volles Jahr bekleidet. Wenn das pensionsfähige Dienſteinkommen mehr als 12,000 Mark beträgt, so wird von dem überschießenden Betrage nur die Hälfte in Anrechnung ge bracht.

Ist die Invalidität Folge des Krieges, so wird zur Pension, je nach

der Höhe derselben , eine Zulage von 300 bis 750 Mark jährlich gewährt, und zwar der höchste Zulagefaß für Pensionen von 1650 Mark und weniger, der niedrigste für Pensionen von 2700 Mark und mehr. Jeder Offizier, welcher durch den activen Militairdienst , sei es im Kriege oder im Frieden, verstümmelt, erblindet oder schwer und unheilbar beschädigt worden iſt, erhält zu der Pension und event. zu der vorgedachten Zulage

eine fernere Pen

sions - Erhöhung von je 600 Mark jährlich für den Verlust eines jeden Gliedes 2c. Den Wittwen derjenigen Offiziere und im Offizierrange stehenden Mi litairärzte der Feldarmee , welche im Kriege geblieben oder an den erlittenen Verwundungen während des Krieges oder später gestorben oder im Laufe des Krieges erkrankt oder beschädigt und in Folge dessen vor Ablauf eines Jahres nach dem Friedensschlusse verstorben sind, werden, neben der in der Wittwen Penſionskaſſe versicherten Pension, besondere Beihülfen, so lange sie im Witt *) Die Bestimmungen beider Geseke finden auch Anwendung auf die aus dem Beur Laubtenstande zum activen Dienſt einberufenen Militair-Personen.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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wenstande bleiben, gewährt, und zwar den Wittwen der Generale im Betrage von 1500 Mark, denen der Stabsoffiziere im Betrage von 1200 Mark, denen der Hauptleute und Subaltern - Offiziere im Betrage von 900 Mark jährlich. Für jedes hinterlassene Kind der vorgedachten Offiziere wird bis zum vollen deten 17. Lebensjahre eine Erziehungsbeihülfe von 150 Mark und, wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, von 225 Mark jährlich gewährt. Zur Versorgung der Unteroffiziere und

Soldaten übergehend,

wollen wir zunächſt die wesentlichſten der bezüglichen Bestimmungen aus dem Geseze vom 27. Juni 1871 anführen und sodann sehen , welche Modifica tionen dieselben durch das Gesez vom 4. April 1874 erfahren haben. Nach dem Geseze vom Jahre 1871 haben die zur Klaſſe der Unteroffi ziere und Gemeinen gehörenden Personen des Soldatenstandes Anspruch auf Invalidenversorgung, wenn sie durch Dienstbeschädigung ― d. h. durch Ver wundung vor dem Feinde, durch sonstige bei Ausübung des activen Militair dienstes im Kriege oder im Frieden erlittene äußere Beschädigungen oder erhebliche und dauernde, durch die besonderen Eigenthümlichkeiten des activen Militairdienstes veranlaßte Störung der Gesundheit und Erwerbsfähigkeit oder nach einer Dienstzeit von mindestens acht Jahren invalide geworden sind . Haben dieselben achtzehn Jahre oder länger gedient , so ist zur Begründung ihres Versorgungsanspruchs der Nachweis der Invalidität nicht erforderlich. Die Invaliden sind entweder Halbinvalide, d. h. solche, welche zum Felddienst untauglich, aber zum Garniſondienſt noch fähig sind, oder Ganzinvalide, welche zu keinerlei Militairdienst mehr tauglich sind .

Als Invalidenversorgung gelten

Penſion und Pensionszulagen , der Civilversorgungsschein , die Aufnahme in Invalideninstitute, die Verwendung im Garniſondienſt. Die den versorgungsberechtigten Unteroffizieren und Soldaten zu ge währenden Invalidenpenſionen zerfallen für jede Rangstufe in 5 Klassen ; sie betragen monatlich in der 4. 2. 3. 5. 1. Klasse Klasse Klasse Klasse Klasse Mark Mark Mark Mark Mark 42 33 27 21 15 a. für Feldwebel · b. = Sergeanten 21 15 12 36 27

= =

12 9 18 33 24 Unteroffiziere . 21 6 15 9 30 Gemeine . . 11 . 11 Die Invalidenpension der vier ersten Klaſſen wird gewährt a. ohne Nachweis der Invalidität nach einer Dienstzeit von bez . 36, 30, 24, 18 Jahren ;

C. d.

b. den Ganzinvaliden, welche bez . nach 25-, 20-, 15-, 12jähriger Dienſt zeit oder durch Dienstbeschädigung erwerbsunfähig geworden sind , je nach dem Grade der Erwerbsunfähigkeit. Die Invalidenpenſion 5. Klaſſe erhalten Ganzinvalide, welche nach 8jäh riger Dienstzeit oder durch Dienstbeschädigung zu jedem Militairdienſt , ſowie 7 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Halbinvalide, welche nach 12jähriger Dienstzeit durch Dienſtbeſchädigung zum Felddienst untauglich geworden sind. Unteroffiziere und Soldaten, welche durch den Krieg ganz invalide ge worden sind , erhalten eine Penſionszulage von 6 Mark monatlich neben der Penſion , diejenigen , welche durch Dienstbeschädigung im Krieg oder Frieden verstümmelt, erblindet oder schwer und unheilbar beschädigt worden sind, außerdem eine Pensionszulage von je 18 Mark monatlich für den Verluſt eines jeden Gliedes 2c. , so daß z . B. die Penſion für einen Gemeinen, welcher im Dienst beide Füße verliert, im Ganzen 72 Mark monatlich beträgt. Den Unteroffizieren vom Feldwebel abwärts wird vom zurückgelegten 18. Dienſt jahre ab für jedes weitere Dienstjahr bei eintretender Ganzinvalidität eine Pensionszulage von 1/2 Mark monatlich gewährt . Die als verſorgungsberechtigt anerkannten Invaliden erhalten , wenn ſie sich gut geführt haben , einen Civilversorgungsschein.

Die Ganzinva

liden erhalten dieſen Schein neben der Penſion, den Halbinvaliden wird der selbe nach ihrer Wahl an Stelle der Pension verliehen , jedoch nur dann, wenn sie mindestens 12 Jahre gedient haben .

Invalide , welche ihrer durch

Dienstbeschädigung entstandenen Gebrechen wegen zu keinerlei Verwendung im Civildienſt tauglich sind , erhalten, unter der Voraussetzung ihrer Berechtigung zum Civilversorgungsschein, nicht die dem Grade ihrer Invalidität ent sprechende Invalidenpension, sondern, sofern sie nicht schon die Pension der ersten Klasse beziehen , die der nächst höheren Klasse. Die Subaltern- und Unterbeamtenſtellen bei den Reichs- und Staatsbehörden , jedoch ausschließlich des Forstdienstes , werden nach Maßgabe der darüber von dem Bundesrathe festzustellenden allgemeinen Grundsätze vorzugsweise mit Invaliden besett, welche den Civilversorgungsschein beſigen. Erreicht das Dienſteinkommen eines im Civildienst angestellten oder be schäftigten Penſionairs *) nach Abzug des etwa miteinbegriffenen Betrages zu Ausgaben für Dienstbedürfniſſe nicht den doppelten Betrag der Invaliden pension, ausschließlich der Pensions- und Verstümmelungszulagen , oder a. bei einem Feldwebel . nicht 600 Mark, b. " "1 Sergeanten oder Unteroffizier " "1 450 Gemeinen . C. " " "1 300 ?? so wird dem Pensionair, je nachdem es günstiger für ihn ist, die Penſion bis zur Erfüllung des Doppelbetrages oder bis zur Erfüllung jener Säße be lassen. An Stelle der Penſionirung können Ganzinvalide mit ihrer Zustimmung auch durch Einstellung in ein Invaliden-Institut versorgt werden . Den Wittwen derjenigen Militairpersonen der Unterklassen der Feld armee, welche im Kriege geblieben oder an den erlittenen Verwundungen

*) Diese Bestimmung gilt auch für Offiziere.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

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während des Krieges oder später verstorben , oder im Laufe des Krieges er krankt oder beschädigt und in Folge dessen vor Ablauf eines Jahres nach dem Friedensschluſſe verstorben sind, werden besondere Bewilligungen, so lange ſie im Wittwenſtande ſind , gewährt , und zwar den Wittwen der Feldwebel und Unterärzte monatlich 27 Mark, den Wittwen der Sergeanten und Unteroffi ziere monatlich 21 Mark , den Wittwen der Gemeinen monatlich 15 Mark. Für jedes Kind der vorbezeichneten Personen wird bis zum vollendeten fünf zehnten Lebensjahre eine Erziehungsbeihülfe von 10½ Mark und, wenn das Kind auch mutterlos geworden ist oder wird , von 15 Mark monatlich ge währt. Eine Beihülfe von 10½ Mark monatlich erhält der hinterbliebene Bater oder Großvater und die hinterbliebene Mutter oder Großmutter, sofern der Verstorbene der einzige Ernährer derselben war und so lange die Hülfs bedürftigkeit derselben dauert. Das Gesez vom 4. April 1874 hatte nun den Zweck , eine Reihe von Zweifeln, zu welchen die Bestimmungen des Gesetzes vom 27. Juni 1871 Anlaß geboten hatten , besonders

aber die Unzuträglichkeiten zu beseitigen,

welche bezüglich der Civilversorgung aus dem leztgedachten Geseze ent sprungen waren. Auf Grund desselben hatte nämlich der Civilversorgungs schein an eine so große Zahl von Invaliden verliehen werden müſſen , daß nur ein kleiner Bruchtheil derselben in den im Civildienst vorhandenen Stel len Unterkommen finden konnte.

Die durch Verleihung des Civilversorgungs

scheines erweckten Hoffnungen mußten daher für die Mehrzahl der Invaliden unerfüllt bleiben. War diese Wirkung des Gesetzes schon von üblen Folgen, so fiel überdies schwer ins Gewicht, daß durch die Masse der mit dem Civil versorgungsschein versehenen Kriegsinvaliden

den zum Friedensstande des

Heeres gehörenden Unteroffizieren die Aussicht auf Anstellung im Civildienſte auf lange Zeit hin , wenn nicht ganz benommen, so doch in bedenklichem Grade verringert war. Denn den Unteroffizieren , wenn sie nicht mindestens 18 Jahre gedient hatten, stand, wie den Mannschaften, nach dem Gesetz von 1871 der Civilversorgungsschein nur dann zu , wenn sie als versorgungsbe rechtigte Invaliden aus dem Heere schieden. Zwar konnte ihnen auf Grund reglementarischer Bestimmungen beim Ausscheiden nach 12jähriger Dienstzeit, auch ohne daß sie Invaliden waren , der sogenannte „ Civilanstellungsschein" verliehen werden, der ihnen gleichfalls Anſpruch auf Anstellung im Civildienſt gewährte ; aber die Inhaber des Civilanstellungsscheines mußten bei der Con currenz mit Inhabern des Civilversorgungsscheines

gegen die Letteren ſtets

zurückſtehen, weil diesen durch Geseß die Civilstellen vorbehalten waren . Die ſes Verhältniß hatte zwar schon früher bestanden und war mit Unzuträglich keiten nicht verbunden gewesen , weil unter gewöhnlichen Verhältnissen die Zahl der im Civildienst vorbehaltenen Stellen im Allgemeinen für beide Kategorien ausreichte. Nachdem aber mehr als 40,000 Kriegsinvaliden den Civilversorgungsschein erhalten hatten, war natürlich der Civilanſtellungsschein 7*

100

Militairische Jahresberichte für 1874.

nahezu werthlos geworden.

Während die Einrichtung, nach welcher zahlreiche

Stellen in der Civilverwaltung den ehemaligen Militairs vorbehalten waren, ursprünglich lediglich das Interesse der Ergänzung des Unteroffizier- Corps fördern sollte, war der Anspruch auf diese Stellen jetzt vorwiegend in andere Hände übergegangen . Solcher Calamität mußte nothwendiger Weise abgehol fen werden , und dies ist durch das Gesetz vom Jahre 1874 in zweifacher Richtung geschehen , indem die §§ 10 und 11 desselben folgende Bestimmun gen brachten: „ Unteroffiziere , welche nicht als Invaliden versorgungsberechtigt sind, erlangen durch 12jährigen activen Dienst bei fortgesetzt guter Führung den Anspruch auf den Eivil - Versorgungs - Schein. " Ferner: „ Ganzinvaliden, deren Invalidität durch eine im Kriege 1870/71 er= littene Dienstbeschädigung herbeigeführt worden ist , und welche Anspruch auf den Civilversorgungsschein haben, wird nach ihrer Wahl an Stelle des Civilversorgungsscheins eine Pensionszulage von 2 Thlrn. (6 Mark) monatlich gewährt. Das Recht zur Wahl erlischt für die bereits an erkannten Berechtigten innerhalb sechs Monaten nach Eintritt der ver bindlichen Kraft dieses Gesetzes , für die etwa noch später anzuerkennen den Berechtigten innerhalb sechs Monaten nach der erfolgten Anerkennung der Invalidität , bez. durch Annahme des Civilversorgungsscheines ver Ablauf dieser Frist. " Von der in legtgedachter Bestimmung enthaltenen Berechtigung iſt , ſo weit unsere Informationen reichen , wenigstens in solchem Umfange Gebrauch gemacht worden , daß die Zahl der Civilversorgungs -Berechtigten , welche auf Anstellung warten, sich jedenfalls sehr erheblich verringert hat. Endlich ist auch noch durch den § 15 des Gesetzes von 1874 die Zu kunft der Berufs - Unteroffiziere wesentlich verbessert worden, indem dort be stimmt ist , daß die Diensteinkommenfäße , bis zu deren Erfüllung den im Civildienst angestellten oder beschäftigten Pensionairen die Pension belaſſen werden kann , zu erhöhen sind auf 1050 (früher 600) Mark für den Feld webel, 750 (früher 450) Mark für den Sergeanten oder Unteroffizier, 390 (früher 300) Mark für den Gemeinen , auf 1200 Mark aber für Militair Personen des Unteroffizierſtandes, welche sich mindestens 12 Jahre im activen Militairdienst befunden haben. Durch das Gesch vom Jahre 1874 ist somit unverkennbar viel geschehen, um den Berufs - Unteroffizieren wieder eine gute Zukunft zu eröffnen , und verſchiedene Anzeichen sprechen dafür , daß vielleicht noch weitere Maßregeln in gleichem Sinne zu erwarten sind. So ist nach Zeitungsnachrichten bei Berathung des Militair - Etats für 1875 im Reichstage Seitens der Regie rung die Erklärung abgegeben worden, daß, wenn sich die Nothwendigkeit herausstellen sollte, die Finanzen des Reiches zu weiterer Verbesserung der Lage der Unteroffiziere in Anspruch zu nehmen , voraussichtlich vorgeschlagen werden würde, den Unteroffizieren beim Ausscheiden aus dem Mi

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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litairdienst ein Capital in die Hand zu geben. Dadurch würde gewiß am besten die in dem Civilversorgungswesen immerhin noch vorhandene Härte ausgeglichen werden , welche darin liegt , daß die im Civildienst vor läufig diätariſch beschäftigten Militair-Anwärter , welche in der Regel dem Staate schon lange Jahre gedient haben, bei der Concurrenz um etatsmäßige Stellen häufig gegen sehr viel jüngere Civil- Diätarien zurückſtehen müſſen, · ein Mißverhältniß , welches sich ohne Schädigung der Interessen der Civil Verwaltung auf anderem Wege nicht ganz beseitigen laſſen würde. In dem Etat für 1875 finden wir ferner einen Mehransaß von 90,000 Mark für die Preußische Armee und von entsprechender Höhe für die ande ren Contingente,

zur Verbesserung des Unterrichts der Capitulanten" .

wird wesentlich von den Truppen

Es

abhängen , daß diese Gelder zweckent

sprechend verwandt werden. So groß die Unbequemlichkeit ist , welche den Truppen aus dem Unterrichte der Capitulanten oft erwächst, weil der Erfolg nur zum Theil dem militairischen Dienſte zu Gute kommt, so darf doch nicht übersehen werden, daß in der Fürsorge, welche den Unteroffizieren in dieſer Beziehung zugewandt wird, ein starker Antrieb zur Gewinnung tüchtigen Unteroffizier-Ersatzes liegt.

Denn was nühen dem Unteroffizier die Ausſich

ten auf gute Versorgung im Civildienſt, wenn ihm nicht Gelegenheit gegeben wird , die dazu unentbehrlichen Vorkenntnisse zu gewinnen oder zu ergänzen ? Fehlt es den mit dem Civilversorgungsschein ausscheidenden Unteroffizieren an den Vorkenntnissen , welche die Civilbehörden , zumal für die beſſer dotir ten Stellen, zu fordern berechtigt sind und im Intereſſe des Dienstes fordern müſſen , ſo verliert das ganze Civil - Verſorgungswesen den Boden unter den Füßen. Schließlich wollen wir erwähnen , daß die Ausführungs- Verordnungen bezüglich des Civil - Versorgungsweſens, ' mit deren Erlaß der Bundesrath nach Vorschrift des § 77 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 beauftragt iſt, bisher noch nicht publicirt sind , und dürfen wir uns wohl der zu= versichtlichen Hoffnung hingeben, daß diese Verordnungen von demselben Geiste des Wohlwollens für die Armee und speciell für die Unteroffiziere werden dictirt werden , welcher aus den im Jahre 1874 getroffenen Maßregeln her vorleuchtet ! Es bietet sich dabei Gelegenheit zu mancher weiteren Verbeſſe= rung des Bestehenden , insbesondere auch des 3. 3. noch maßgebenden Preußi ſchen „Reglements über die Civilversorgung und Civilanſtellung der Militair Perſonen des Heeres und der Marine vom Feldwebel abwärts vom 20. Juni 1867″, welches nach seiner ganzen Faſſung in den Bundesstaaten nicht ſtricte durchgeführt werden kann und in Folge dessen , wie uns scheint , auch nicht überall mit der rechten Strenge gehandhabt wird. In Württemberg soll so= gar vor nicht langer Zeit die Civilversorgung der Militairpersonen noch gar nicht praktisch verwirklicht gewesen sein. Die Aufrechterhaltung und zweckmäßige Durchführung des

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Civil ፡ Versorgungswesens Armee! ――

ist

aber

eine

Lebensfrage für die

Die Pensionirung 2c. der Beamten der Militair - Verwaltung ist durch das Reichs- Beamten Gesetz vom 31. März 1873 geregelt.

Nur die

Bestimmungen des Gesetzes vom 27. Juni 1871 über Pensions - Erhöhungen und Zulagen bei Invalidität in unmittelbarer Folge des Krieges , für Ver ftümmelungen 2c., sowie über Pensionen für die Hinterbliebenen der im Kriege Verstorbenen finden auch auf sie Anwendung. 7.

Militair - Justizwesen.

Disciplinar - Straf - Ordnung.

Ehrengerichte. Das Militair Justizwesen gehört dem Gebiete der Gesetzgebung an und unterliegt daher einheitlicher Regelung und Beaufsichtigung durch das Reich. Für die einheitliche Regelung iſt jedoch bisher nur das Fundament gelegt durch das Militair - Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872. Dasselbe handelt von den militairischen Verbrechen und Vergehen, während nach §. 3 ebend. strafbare Handlungen der Militairpersonen, welche nicht militairische Verbrechen und Vergehen sind, nach den allgemeinen Straf gesezen — insbesondere also nach dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 - beurtheilt werden. Das Militair-Strafgesetzbuch ist jetzt seit etwa 3 Jahren in Kraft , und diese Zeit ist vielleicht noch nicht ganz ausreichend, um ein endgültiges Urtheil darüber zu gewinnen . Aus diesem Grunde gehen wir auf den Inhalt des ſelben im Einzelnen hier nicht ein , behalten uns dies jedoch für einen der nächsten Jahresberichte vor , da wir nicht bezweifeln , daß eine Reviſion des Militair-Strafgesetzbuches nach Verlauf einiger Zeit auf der Tagesordnung stehen wird. Wir können nicht verhehlen, daß das Verlangen hiernach in der Armee ein lebhaftes ist, und dieses Verlangen halten wir für wohl begründet, wenn auch die Ausstellungen , welche gemacht werden , theilweise übertrieben oder voreilig sein mögen . Die Mängel, welche dem Militair- Strafgesetzbuche vorgeworfen werden, scheinen uns fast durchgehends ein und denselben Ur sprung zu haben , den nämlich , daß der Gesetzgeber zu sehr besorgt geweſen ist, den gebildeten Elementen in der Armee Schuß gegen etwa mögliche Härte der Behandlung zu gewähren. Strafmittel und Strafmaaße, welche für dieſe Elemente in der Regel ausreichend find , genügen aber keinesweges , um die Disciplin in der Armee gegenüber allen darin vertretenen Elementen mit der unbedingt erforderlichen Festigkeit aufrecht zu erhalten . Die Militairſtrafgeſeße müssen die Möglichkeit gewähren, auch die Widerstrebendſten, ſelbſt in ſchwie rigen Verhältnissen, wie sie z . B. im Kriege die Regel bilden, unter die An forderungen der militairischen Disciplin zu beugen und Denen , welchen die Handhabung der Geseze obliegt, muß das Vertrauen geschenkt werden, daß sie von den erweiterten Befugniſſen mit Maaß und Verständniß Gebrauch machen

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. werden.

103

Wir hoffen zuversichtlich , daß , wenn man an eine Reviſion des

Militairſtrafgesetzbuches herantritt, dieselbe in diesem Sinne erfolgen wird. Der Militair- Straf - Proceß hat eine einheitliche gefeßliche Regelung im Reiche bisher nur insoweit erfahren , als die Preußische Militair - Straf Proceß-Ordnung vom 3. April 1845 auf Grund des Art. 61 der Reichsver faſſung in den übrigen Deutschen Bundesstaaten eingeführt worden ist . Hier von sind jedoch Bayern und Württemberg vertragsmäßig entbunden worden ; beide Staaten haben in dieser Beziehung dasselbe Recht , welches sie sich auch gegenüber dem Preuß. Militairſtrafgesetzbuche gewahrt hatten , nämlich ihre Militairſtrafgerichtsordnung beizubehalten bis zur Regelung im Wege der Reichsgesetzgebung . Die Bayerische Militair- Strafgerichts -Ordnung ist vom 29. April 1869, die Württembergische vom 20. Juli 1818 datirt. Sobald die Civil-Proceß -Ordnung für das Deutsche Reich zum Abschluß gekommen iſt, dürfte der Versuch zu einer einheitlichen Regelung derselben Materie auf dem Gebiete der Militair-Justiz gemacht werden, -die Ansichten der Mili tairs auf der einen und der Juristen auf der anderen Seite über die hierbei zu befolgenden Principien scheinen uns freilich noch so weit auseinander zu gehen , daß eine baldige Vereinbarung darüber kaum zu erwarten ist.

Wir

werden daher wohl Veranlassung haben , auch auf diese Frage in einem der nächsten Jahresberichte zurückzukommen. Daß die besondere Gerichtsbarkeit der Militairpersonen durch Reichsgeseß geregelt werden soll, ist übrigens auch im § . 39 des Reichs- Militair- Gesetzes nochmals ausdrücklich ausgesprochen worden . Die Vollstreckung der gegen Militairpersonen durch gerichtliche Erkenntniſſe verhängten Strafen erfolgt nach den Bestimmungen des " Militair - Straf vollstreckungs- Reglements vom 2. Juli 1873 ".

Dasselbe ist zunächst

für die Preußische Armee erlaſſen, ſodann aber auch bei den übrigen Contin genten eingeführt. Nach dem soeben citirten §. 39 des R.M.G. beschränkt sich die besondere Gerichtsbarkeit über Militairpersonen auf Straffachen und haben dieselben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gerichte des Garnisonortes, diejenigen jedoch, welche nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder welche selbst ständig einen Wohnsiß nicht begründen können , nur bezüglich der Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche. Nach §. 8 des R.M.G. werden die Vorschriften über die Handhabung der Disciplin vom Kaiser erlassen. Dies wird insbesondere auch von den Dis ciplinarstrafvorschriften gelten. Die zur Zeit in Kraft bestehende „ Dis ciplinar- Strafordnung vom 31. October 1872 " ist zwar der Form nach eine Preußische Verordnung , aber sie ist nach vorgängiger Vereinbarung ihrem vollen Wortlaute nach und mit gleichem Datum nicht nur in Sachsen und Württemberg, sondern auch in Bayern zur Einführung gelangt. Ebenso ist in den genannten drei Bundesstaaten die unterm 2. Mai 1874

Militairische Jahresberichte für 1874.

104

erlaſſene „ Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere im Preußischen Heere" wörtlich eingeführt worden , und daher an Stelle der durch Art. 61 der Reichsverfassung auf das Reich übertragenen Preuß. Verordnung über die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 getreten . 8.

Natural - Leistungen für das Heerwesen.

Die Regelung der Natural-Leistungen für das Heerwesen hat, soweit sie der Gesetzgebung anheimfällt, mit Anfang des Jahres 1875 einen einheitlichen Abschluß für das ganze Reich gefunden, und zwar durch a. das nunmehr auf das ganze Reich ausgedehnte *) Gesetz des Nord deutschen Bundes über die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868 ; b. das Reichs -Gesetz über die Natural-Leiſtungen für die bewaffnete Macht im Frieden, vom 13. Februar 1875 ; c. das Reichs - Gesetz über die Kriegsleistungen, vom 13. Juni 1873 . Nach dem Quartierleistungs - Geseße ist die Fürsorge für die räum liche Unterbringung der bewaffneten Macht während des Friedenszustandes eine Last des Reiches , deren Naturalleistung nur gegen Entschädigung gefordert werden kann (§. 1 ) . An Wohnungs- und sonstigen Gelaſſen ist auf Er fordern in Garnisonen und Cantonnements von längerer Dauer , soweit die Casernements nicht ausreichen, Quartier für die Mannschaften vom Feldwebel abwärts und Stallung für die Dienstpferde ; bei Cantonnements von kürzerer oder unbeſtimmter Dauer aber, sowie bei Märschen und Commandos Quartier für Offiziere, Beamte und Mannschaften, Stallung für die Dienstpferde und das erforderliche Gelaß für Geschäfts- , Arrest- und Wachtlocalitäten zu ge währen (§. 2) .

Die hierfür zu zahlenden Entschädigungen sind im Geset

festgestellt und zu diesem Zwecke die Ortschaften des Reichs in 6 Klaſſen ein getheilt. Tarif und Klassen - Eintheilung sollen von 5 zu 5 Jahren revidirt werden (§. 3). Der Bund ist berechtigt , gegen Gewährung der geseßlichen Entschädigung die Beschaffung der Quartierleistungen von den Gemeinden zu verlangen und dazu alle benußbaren Baulichkeiten in Anspruch zu nehmen, soweit dadurch der Quartiergeber in der Benußung der für seine Wohnungs-, Wirthschafts- und Gewerbebetriebsbedürfnisse unentbehrlichen Räumlichkeiten nicht behindert wird (§. 4) .

Die Verpflichtung zur Gewährung der Quartier

Leistungen tritt in den einzelnen Fällen in Wirksamkeit : a. in der Garniſon durch Requisition der militairischen Commandobehörde bez . deren Beauftragten ; b. auf dem Marsche , bei Commandos und im Cantonnement durch die von der oberen Verwaltungsbehörde anweisung.

ausgefertigte Marschroute

oder Quartier

Auf Grund des Gefeßes über die Naturalleistungen für die be= *) Zuleht auf Bayern und Württemberg durch die beiden Reichsgefeße vom 9. Fe bruar 1875.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

105

waffnete Macht im Frieden können durch Vermittlung der Gemeinden in Anspruch genommen werden : die Stellung von Vorſpann, die Verabreichung von Natural-Verpflegung und von Fourage (§. 2). ―― Zur Stellung von Vorspann Fuhrwerke, Gespanne, Gespannführer sind alle Besizer von Zugthieren und Wagen verpflichtet. Vorspann kann nur gefordert werden für die auf Märschen , in Lagern oder in Cantonni rungen, befindlichen Theile der bewaffneten Macht, und nur insoweit, als der Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preise durch die Militair Intendanturen nicht rechtzeitig hat sicher gestellt werden können (§ . 3) . Zur Verabreichung der Naturalverpflegung ist der Quartiergeber verpflichtet. Dieselbe kann nur gefordert werden für die auf Märschen be findlichen Theile der bewaffneten Macht (§ . 4) . Zur Verabreichung der Fourage sind alle Besizer von Fouragebeständen verpflichtet. Sie kann nur gefordert werden für die Pferde und sonstigen Zugthiere

der

auf Märschen

befindlichen Theile

der

bewaffneten Macht,

für Heeresabtheilungen mit mehr als 25 Pferden jedoch nur dann, wenn der Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preise durch die Militair Intendantur nicht rechtzeitig hat sicher gestellt werden können. Wenn am Orte des Marſchquartiers Magazin-Verwaltungen oder Lieferungs -Unternehmer der Militair-Verwaltung vorhanden sind, darf die Verabfolgung der Fourage nicht gefordert werden.

Insoweit der Fouragebedarf im Gemeindebezirk nicht vor

handen ist, ist derselbe gegen Gewährung der tarifmäßigen Vorspannvergütung von der nächſten militairiſchen Verabreichungsstelle abzuholen (§. 5). Die Verpflichtung zu den vorbezeichneten Leistungen tritt auf Grund der von den zuständigen Civilbehörden ausgestellten Marschrouten oder auf Grund besonderer Anordnungen dieser Behörden ein.

In dringenden Fällen kann

die zuſtändige Militairbehörde die Leiſtungen direct von der Gemeindebehörde und, wo diese nicht rechtzeitig zu erreichen ist, von den Leistungspflichtigen in der Gemeinde unmittelbar requiriren (§ . 6) . Die Vergütungsfäße (§. 9 ) für die Naturalleistungen sind , gegen= über den in Preußen früher gewährten , nicht unerheblich erhöht worden , bei der Natural-Verpflegung z . B. für die volle Tageskost mit Brod von 50 auf 80 Pfennige. Für Offiziere wird doppelt so viel gezahlt. Wenn cultivirte Grundstücke zu Truppenübungen benußt werden sollen, so sind davon zuvor die betreffenden Ortsvorstände zu benachrichtigen, damit die vorzugsweise zu schonenden Ländereien durch Warnungszeichen kennt lich gemacht werden können. Ausgeschloſſen von jeder Benußung bei Truppen übungen bleiben Gebäude, Wirthschafts- und Hofräume, Gärten, Parkanlagen, Holzschonungen, Dünenanpflanzungen , Hopfengärten und Weinberge , sowie die Versuchsfelder land- und forſtwirthschaftlicher Lehranstalten und Verſuchs stationen (§. 11). Die Beſizer von Brunnen und Tränken sind verpflichtet , marſchi

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Militairische Jahresberichte für 1874.

rende, biwakirende , kantonnirende und übende Truppen, falls die vorhan denen öffentlichen Brunnen und Tränken für die Bedürfnisse der Truppen nicht ausreichen, zur Mitbenutzung der Brunnen und Tränken zuzulaſſen, auch wenn zu diesem Zwecke Wirthschafts- und Hofräume betreten werden müſſen . Jedoch findet diese Vorschrift keine Anwendung auf die Uebungen der Truppen auf ihren ſtändigen Erercier- und Schießpläßen (§ . 12) . Die Besizer von Schmieden sind verpflichtet, marschirende , biwakirende und cantonnirende Truppen zur Mitbenutzung der Schmieden gegen ange= messene Vergütung zuzulaſſen (§. 13) . Alle durch die Benutzung von Grundstücken zu Truppenübungen ent stehenden Schäden werden aus Militairfonds vergütet (§ . 14). Jede Eisenbahn verwaltung ist verpflichtet, die Beförderung der bewaff neten Macht und des Heeres- Materials gegen Vergütung nach Maßgabe eines vom Bundesrathe zu erlassenden und von Zeit zu Zeit zu revidirenden allge meinen Tarifs zu bewirken (§. 15). Von dem Tage ab, an welchem die bewaffnete Macht mobil gemacht wird, tritt die Verpflichtung des Bundesgebietes zu allen Leistungen für Kriegszwecke nach den Bestimmuugen des Gefeßes über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 ein . Diese Leistungen sollen nur insoweit in Anspruch ge= nommen werden , als für die Beschaffung der Bedürfniſſe nicht anderweitig, insbesondere nicht durch freien Ankauf, bez . Baarzahlung oder durch Entnahme aus den Magazinen gesorgt werden kann (§. 2). Dem Reiche gegenüber sind zunächst die Gemeinden zu nachfolgenden Leistungen verpflichtet : 1.

Gewährung des Naturalquartiers für die bewaffnete Macht , einschl. des Heergefolges, sowie der Stallung für die zugehörigen Pferde, beides, ſo weit Räumlichkeiten hierfür vorhanden sind;

2. Gewährung der Naturalverpflegung für die auf Märschen und in Can tonnirungen befindlichen Theile der bewaffneten Macht , einschließlich des Heergefolges, sowie der Fourage für die zugehörigen Pferde ; 3. Ueberlassung der im Gemeindebezirk vorhandenen Transportmittel und Ge spanne für militairische Zwecke und Stellung der in der Gemeinde an wesenden Mannschaften zum Dienst als Gespannführer, Wegweiser und Boten, sowie zum Wege-, Eisenbahn- und Brückenbau, zu fortificatorischen Arbeiten, zu Fluß- und Hafensperren und zu Boots- und Prahmdiensten; 4. Ueberweisung der für den Kriegsbedarf erforderlichen Grundstücke und vor handenen Gebäude, sowie der im Gemeindebezirk vorhandenen Materialien zur Anlegung von Wegen, Eisenbahnen, Brücken, Lagern, Uebungs- und Biwaksplätzen , zu fortificatorischen Anlagen und zu Fluß- und Hafen sperren ; 5. Gewährung des im Gemeindebezirk vorhandenen Feuerungsmaterials und Lagerstrohs für Lager und Biwaks , sowie 6. der sonstigen Dienste und Gegenstände, deren Leiſtung bez. Lieferung das militairische Interesse ausnahmsweise erforderlich machen könnte , insbe sondere von Bewaffnungs- und Ausrüstungsgegenständen, Arznei- und Verbandmitteln (§. 3).

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

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In welchen Fällen und in welchem Umfange die Verpflichtungen einzu treten haben , wird auf Requisition der Militairbehörde durch Anordnung der nach den Landesgesehen zuständigen Civilbehörde bestimmt. Es ist hierbei auf die Leistungsfähigkeit der Gemeinde Rücksicht zu nehmen. In dringenden Fällen kann die zuständige Militairbehörde die Leistungen direct von der Ge meindebehörde und wo diese nicht rechtzeitig zu erreichen iſt, von den Leiſtungs pflichtigen in der Gemeinde unmittelbar requiriren (§. 4). Vergütung für Naturalquartier und Stallung wird Seitens des Reiches nur für die in ihren Garniſonen oder Standorten einquartirten Truppen ge= währt .

Für die Naturalverpflegung erfolgt Entschädigung nach den für den

Friedenszustand geltenden Säßen , für die Fourage nach den Durchschnitts preiſen der lezten zehn Friedensjahre . Die Vergütung für Vorspann erfolgt nach denselben Grundsäßen wie im Frieden, für die Gewährung von anderen Transportmitteln, von Arbeitskräften, von Lagerstroh und Feuerungsmaterial nach den in gewöhnlichen Zeiten ortsüblichen Preisen. Bei Ueberweisung von Gebäuden und Grundstücken wird für entzogene Nußung Vergütung gewährt, wenn sie sich im Gebrauch 2c. befanden , sonst nur für die durch die Be nuşung herbeigeführte Beschädigung und außerordentliche Abnußung , welche im ersteren Falle gleichfalls noch vergütet wird .

Alle anderen Kriegsleistungen

werden nach den am Orte und zur Zeit der Leistung bestehenden Durchschnitts preisen vergütet . Durch Beschluß des Bundesraths kann, falls der Unterhalt für die be waffnete Macht auf andere Weise nicht sicher zu stellen ist, die Lieferung des Bedarfs an lebendem Vieh, Brodmaterial, Hafer, Heu und Stroh zur Füllung der Kriegs- Magazine angeordnet werden (Landlieferungen) . Die Leistung wird den zu bildenden Lieferungsverbänden auferlegt ; diese können sich der Vermittelung der Gemeinden zur Beschaffung der geforderten Leistungen be dienen.

Die Feststellung der Vergütung für geliefertes Vieh erfolgt nach den

im Frieden ortsüblichen Preisen , für alle übrigen Landlieferungen nach den Durchschnittspreisen der letzten zehn Friedensjahre. Ueber die Ansprüche auf Vergütigung der Kriegsleistungen werden Aner

kenntniſſe ausgefertigt, welche auf den Namen desjenigen lauten, der die Vergü Die Einlösung der Anerkenntniſſe erfolgt nach

tung zu beanspruchen hat.

Maßgabe der verfügbaren Mittel ; bis zur Einlösung werden die auf Grund der Anerkenntniſſe zu zahlenden Beträge mit 4 Procent verzinst. Zur Beschaffung und Unterhaltung des kriegsmäßigen Pferde bedarfs der Armee find alle Pferdebefizer verpflichtet, ihre zum Kriegsdienste für taug lich erklärten Pferde gegen Ersatz des vollen, von Sachverständigen unter Zu grundelegung der Friedenspreise endgültig festzustellenden, Werthes an die Militairbehörde zu überlassen (§. 25) . Jede Eisenbahn- Verwaltung ist verpflichtet : 1. die für die Beförderung von Mannschaften und Pferden erforder

100

Militairische Jahresberichte für 1874.

nahezu werthlos geworden.

Während die Einrichtung, nach welcher zahlreiche Stellen in der Civilverwaltung den ehemaligen Militairs vorbehalten waren, ursprünglich lediglich das Interesse der Ergänzung des Unteroffizier-Corps fördern sollte, war der Anspruch auf diese Stellen jetzt vorwiegend in andere Hände übergegangen. Solcher Calamität mußte nothwendiger Weise abgehol fen werden , und dies ist durch das Gefeß vom Jahre 1874 in zweifacher Richtung geschehen , indem die §§ 10 und 11 desselben folgende Beſtimmun gen brachten: Unteroffiziere , welche nicht als Invaliden versorgungsberechtigt sind, erlangen durch 12jährigen activen Dienst bei fortgesetzt guter Führung den Anspruch auf den Eivil - Versorgungs - Schein. " Ferner : „ Ganzinvaliden, deren Invalidität durch eine im Kriege 1870/71 er littene Dienstbeschädigung herbeigeführt worden ist, und welche Anspruch auf den Civilversorgungsschein haben , wird nach ihrer Wahl an Stelle des Civilversorgungsscheins eine Pensionszulage von 2 Thlrn. (6 Mark) monatlich gewährt. Das Recht zur Wahl erlischt für die bereits an erkannten Berechtigten innerhalb sechs Monaten nach Eintritt der ver bindlichen Kraft dieses Gesetzes , für die etwa noch später anzuerkennen den Berechtigten innerhalb sechs Monaten nach der erfolgten Anerkennung der Invalidität , bez . durch Annahme des Civilversorgungsscheines vor Ablauf dieser Frist. " Von der in leztgedachter Bestimmung enthaltenen Berechtigung ist , so weit unsere Informationen reichen , wenigstens in solchem Umfange Gebrauch gemacht worden , daß die Zahl der Civilversorgungs -Berechtigten , welche auf Anstellung warten, sich jedenfalls sehr erheblich verringert hat. Endlich ist auch noch durch den § 15 des Gesetzes von 1874 die Zu kunft der Berufs-Unteroffiziere wesentlich verbessert worden , indem dort be ſtimmt ist , daß die Dienſteinkommensäße , bis zu deren Erfüllung den im Civildienst angestellten oder beschäftigten Penſionairen die Pension belaſſen werden kann , zu erhöhen sind auf 1050 (früher 600) Mark für den Feld webel, 750 (früher 450) Mark für den Sergeanten oder Unteroffizier , 390 (früher 300) Mark für den Gemeinen ,

auf 1200 Mark aber für Militair

Personen des Unteroffizierſtandes, welche sich mindestens 12 Jahre im activen Militairdienst befunden haben. Durch das Gesez vom Jahre 1874 ist somit unverkennbar viel geschehen, um den Berufs- Unteroffizieren wieder eine gute Zukunft zu eröffnen , und verschiedene Anzeichen sprechen dafür , daß vielleicht noch weitere Maßregeln in gleichem Sinne zu erwarten sind. So ist nach Zeitungsnachrichten bei Berathung des Militair Etats für 1875 im Reichstage Seitens der Regie rung die Erklärung abgegeben worden, daß, wenn sich die Nothwendigkeit herausstellen sollte, die Finanzen des Reiches zu weiterer Verbesserung der Lage der Unteroffiziere in Anspruch zu nehmen , voraussichtlich vorgeschlagen werden würde, den Unteroffizieren beim Ausscheiden aus dem Mi

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

101

litairdienst ein Capital in die Hand zu geben. Dadurch würde gewiß am besten die in dem Civilversorgungswesen immerhin noch vorhandene Härte ausgeglichen werden , welche darin liegt , daß die im Civildienst vor läufig diätarisch beschäftigten Militair-Anwärter ,

welche in der Regel dem

Staate schon lange Jahre gedient haben, bei der Concurrenz um etatsmäßige Stellen häufig gegen sehr viel jüngere Civil- Diätarien zurückſtehen müſſen, ein Mißverhältniß , welches sich ohne Schädigung der Interessen der Civil Verwaltung auf anderem Wege nicht ganz beseitigen lassen würde. In dem Etat für 1875 finden wir ferner einen Mehransaß von 90,000 Mark für die Preußische Armee und von entsprechender Höhe für die ande ren Contingente, „ zur Verbesserung des Unterrichts der Capitulanten". Es wird

wesentlich von den Truppen

sprechend verwandt werden.

abhängen , daß diese Gelder zweckent

So groß die Unbequemlichkeit ist , welche den

Truppen aus dem Unterrichte der Capitulanten oft erwächst, weil der Erfolg nur zum Theil dem militairischen Dienste zu Gute kommt, so darf doch nicht übersehen werden, daß in der Fürsorge, welche den Unteroffizieren in dieſer Beziehung zugewandt wird, ein starker Antrieb zur Gewinnung tüchtigen Unteroffizier-Erſaßes liegt.

Denn was nühen dem Unteroffizier die Ausſich

ten auf gute Versorgung im Civildienst, wenn ihm nicht Gelegenheit gegeben wird , die dazu unentbehrlichen Vorkenntnisse zu gewinnen oder zu ergänzen ? Fehlt es den mit dem Civilversorgungsschein ausscheidenden Unteroffizieren an den Vorkenntnissen , welche die Civilbehörden , zumal für die besser dotir ten Stellen, zu fordern berechtigt sind und im Interesse des Dienstes fordern müſſen , ſo verliert das ganze Civil - Versorgungswesen den Boden unter den Füßen. Schließlich wollen wir erwähnen , daß die Ausführungs - Verordnungen bezüglich des Civil - Versorgungswesens, ' mit deren Erlaß der Bundesrath nach Vorschrift des § 77 des Gesetzes vom 27. Juni 1871 beauftragt iſt, bisher noch nicht publicirt sind , und dürfen wir uns wohl der zu = versichtlichen Hoffnung hingeben, daß diese Verordnungen von demselben Geiste des Wohlwollens für die Armee und speciell für die Unteroffiziere werden dictirt werden , welcher aus den im Jahre 1874 getroffenen Maßregeln her vorleuchtet ! Es bietet sich dabei Gelegenheit zu mancher weiteren Verbeſſe rung des Beſtehenden , insbesondere auch des z . 3. noch maßgebenden Preußi schen "1 Reglements über die Civilversorgung und Civilanstellung der Militair Personen des Heeres und der Marine vom Feldwebel abwärts vom 20. Juni 1867", welches nach seiner ganzen Fassung in den Bundesstaaten nicht ſtricte durchgeführt werden kann und in Folge dessen , wie uns scheint , auch nicht überall mit der rechten Strenge gehandhabt wird. In Württemberg soll so= gar vor nicht langer Zeit die Civilversorgung der Militairpersonen noch gar nicht praktisch verwirklicht gewesen sein. Die Aufrechterhaltung und zweckmäßige Durchführung des

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Civil - Versorgungswesens Armee!

ist

aber

eine

Lebensfrage für

die

Die Pensionirung 2. der Beamten der Militair - Verwaltung ist durch das Reichs - Beamten - Gesez vom 31. März 1873 geregelt. Nur die Bestimmungen des Gesezes vom 27. Juni 1871 über Pensions - Erhöhungen und Zulagen bei Invalidität in unmittelbarer Folge des Krieges , für Ver stümmelungen 2c., sowie über Pensionen für die Hinterbliebenen der im Kriege Verstorbenen finden auch auf sie Anwendung. 7.

Militair - Justizwesen.

Disciplinar

Straf - Ordnung.

Ehrengerichte. Das Militair - Juſtizwesen gehört dem Gebiete der Gesetzgebung an und unterliegt daher einheitlicher Regelung und Beaufsichtigung durch das Reich. Für die einheitliche Regelung ist jedoch bisher nur das Fundament gelegt durch das Militair - Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872.

Dasselbe handelt von den militairischen Verbrechen und Vergehen,

während nach §. 3 ebend . strafbare Handlungen der Militairpersonen, welche nicht militairische Verbrechen und Vergehen sind, nach den allgemeinen Straf gesetzen - insbesondere also nach dem Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 - beurtheilt werden. Das Militair- Strafgeſeßbuch ist jetzt seit etwa 3 Jahren in Kraft, und diese Zeit ist vielleicht noch nicht ganz ausreichend, um ein endgültiges Urtheil darüber zu gewinnen . Aus diesem Grunde gehen wir auf den Inhalt des selben im Einzelnen hier nicht ein , behalten uns dies jedoch für einen der nächsten Jahresberichte vor , da wir nicht bezweifeln , daß eine Reviſion des Militair-Strafgesetzbuches nach Verlauf einiger Zeit auf der Tagesordnung stehen wird. Wir können nicht verhehlen, daß das Verlangen hiernach in der Armee ein lebhaftes ist, und dieses Verlangen halten wir für wohl begründet, wenn auch die Ausstellungen , welche gemacht werden , theilweiſe übertrieben oder voreilig sein mögen .

Die Mängel , welche dem Militair-Strafgesetzbuche

vorgeworfen werden , scheinen uns fast durchgehends ein und denselben Ur sprung zu haben , den nämlich , daß der Gesetzgeber zu sehr besorgt gewesen ist, den gebildeten Elementen in der Armee Schuß gegen etwa mögliche Härte der Behandlung zu gewähren. Strafmittel und Strafmaaße, welche für dieſe Elemente in der Regel ausreichend sind , genügen aber keinesweges , um die Disciplin in der Armee gegenüber allen darin vertretenen Elementen mit der unbedingt erforderlichen Festigkeit aufrecht zu erhalten.

Die Militairſtrafgeſeße

müssen die Möglichkeit gewähren, auch die Widerstrebendſten, ſelbſt in schwie rigen Verhältnissen, wie sie z . B. im Kriege die Regel bilden, unter die An forderungen der militairischen Disciplin zu beugen und Denen , welchen die Handhabung der Geseße obliegt, muß das Vertrauen geſchenkt werden, daß ſie von den erweiterten Befugnissen mit Maaß und Verständniß Gebrauch machen.

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung. werden.

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Wir hoffen zuversichtlich , daß , wenn man an eine Reviſion des

Militairſtrafgesetzbuches herantritt, dieselbe in diesem Sinne erfolgen wird . Der Militair- Straf - Proceß hat eine einheitliche gesetzliche Regelung im Reiche bisher nur insoweit erfahren , als die Preußische Militair - Straf Proceß-Ordnung vom 3. April 1845 auf Grund des Art. 61 der Reichsver faſſung in den übrigen Deutschen Bundesstaaten eingeführt worden ist.

Hier

von sind jedoch Bayern und Württemberg vertragsmäßig entbunden worden ; beide Staaten haben in dieser Beziehung dasselbe Recht , welches sie sich auch gegenüber dem Preuß. Militairſtrafgeseßbuche gewahrt hatten , nämlich ihre Militairſtrafgerichtsordnung beizubehalten bis zur Regelung im Wege der Reichsgesetzgebung . Die Bayerische Militair- Strafgerichts -Ordnung ist vom 29. April 1869, die Württembergische vom 20. Juli 1818 datirt. Sobald die Civil-Proceß-Ordnung für das Deutsche Reich zum Abschluß gekommen ist, dürfte der Verſuch zu einer einheitlichen Regelung derselben Materie auf dem Gebiete der Militair-Justiz gemacht werden, die Ansichten der Mili tairs auf der einen und der Juristen auf der anderen Seite über die hierbei zu befolgenden Principien scheinen uns freilich noch so weit auseinander zu gehen , daß eine baldige Vereinbarung darüber kaum zu erwarten ist.

Wir

werden daher wohl Veranlassung haben , auch auf diese Frage in einem der nächsten Jahresberichte zurückzukommen . Daß die besondere Gerichtsbarkeit der Militairpersonen durch Reichsgeseß geregelt werden soll, ist übrigens auch im §. 39 des Reichs - Militair - Gefeßes nochmals ausdrücklich ausgesprochen worden. Die Vollstreckung der gegen Militairperſonen durch gerichtliche Erkenntniſſe verhängten Strafen erfolgt nach den Bestimmungen des „ Militair - Straf vollstreckungs- Reglements vom 2. Juli 1873 ".

Dasselbe ist zunächſt

für die Preußische Armee erlassen, sodann aber auch bei den übrigen Contin genten eingeführt. Nach dem soeben citirten § . 39 des R.M.G. beschränkt sich die besondere Gerichtsbarkeit über Militairpersonen auf Straffachen und haben dieselben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gerichte des Garnisonortes , diejenigen jedoch, welche nur zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen oder welche selbst ständig einen Wohnsiß nicht begründen können , nur bezüglich der Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche. Nach §. 8 des R.M.G. werden die Vorschriften über die Handhabung der Disciplin vom Kaiser erlassen.

Dies wird insbesondere auch von den Dis

ciplinar strafvorschriften gelten. Die zur Zeit in Kraft beſtehende „ Dis ciplinar-Strafordnung vom 31. October 1872 " ist zwar der Form nach eine Preußische Verordnung ,

aber sie ist nach vorgängiger Vereinbarung ihrem

vollen Wortlaute nach und mit gleichem Datum nicht nur in Sachsen und Württemberg, sondern auch in Bayern zur Einführung gelangt. Ebenso ist in den genannten drei Bundesstaaten die unterm 2. Mai 1874

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Militairische Jahresberichte für 1874.

erlassene Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere im Preußischen Heere" wörtlich eingeführt worden , und daher an Stelle der durch Art. 61 der Reichsverfassung auf das Reich übertragenen Preuß. Verordnung über die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843 getreten. 8.

Natural - Leistungen für das Heerwesen.

Die Regelung der Natural-Leistungen für das Heerwesen hat, soweit sie der Gesetzgebung anheimfällt, mit Anfang des Jahres 1875 einen einheitlichen Abschluß für das ganze Reich gefunden, und zwar durch a. das nunmehr auf das ganze Reich ausgedehnte *) Geſeß des Nord deutschen Bundes über die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868 ; b. das Reichs-Geſetz über die Natural- Leiſtungen für die bewaffnete Macht im Frieden, vom 13. Februar 1875 ; c. das Reichs-Geſch über die Kriegsleistungen, vom 13. Juni 1873. Nach dem Quartierleistungs - Gefeße ist die Fürsorge für die räum liche Unterbringung der bewaffneten Macht während des Friedenszustandes eine Laſt des Reiches , deren Naturalleistung nur gegen Entschädigung gefordert werden kann (§. 1 ) . An Wohnungs- und sonstigen Gelaffen ist auf Er fordern in Garnisonen und Cantonnements von längerer Dauer , soweit die Casernements nicht ausreichen, Quartier für die Mannschaften vom Feldwebel abwärts und Stallung für die Dienstpferde ; bei Cantonnements von kürzerer oder unbeſtimmter Dauer aber, sowie bei Märschen und Commandos Quartier für Offiziere, Beamte und Mannschaften, Stallung für die Dienstpferde und das erforderliche Gelaß für Geschäfts- , Arrest- und Wachtlocalitäten zu ge währen (§. 2) .

Die hierfür zu zahlenden Entschädigungen sind im Geset

festgestellt und zu diesem Zwecke die Ortschaften des Reichs in 6 Klaſſen ein getheilt.

Tarif und Klaſſen - Eintheilung sollen von 5 zu 5 Jahren revidirt

werden (§. 3). Der Bund ist berechtigt , gegen Gewährung der gesetzlichen Entschädigung die Beschaffung der Quartierleistungen von den Gemeinden zu verlangen und dazu alle benußbaren Baulichkeiten in Anspruch zu nehmen, soweit dadurch der Quartiergeber in der Benußung der für seine Wohnungs-, Wirthschafts- und Gewerbebetriebsbedürfnisse unentbehrlichen Räumlichkeiten nicht behindert wird (§. 4) .

Die Verpflichtung zur Gewährung der Quartier

Leistungen tritt in den einzelnen Fällen in Wirksamkeit : a. in der Garnison durch Requiſition der militairiſchen Commandobehörde bez . deren Beauftragten ; b. auf dem Marsche, bei Commandos und im Cantonnement durch die von der oberen Verwaltungsbehörde anweisung.

ausgefertigte Marschroute

oder Quartier

Auf Grund des Gefeßes über die Naturalleistungen für die be *) Zuleht auf Bayern und Württemberg durch die beiden Reichsgefeße vom 9. Fe bruar 1875.

105

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

waffnete Macht im Frieden können durch Vermittlung der Gemeinden in Anspruch genommen werden : die Stellung von Vorspann, die Verabreichung von Natural-Verpflegung und von Fourage (§. 2). Zur Stellung von Vorspann ― Fuhrwerke, Gespanne, Geſpannführer sind alle Beſizer von Zugthieren und Wagen verpflichtet. Vorspann kann nur gefordert werden für die auf Märschen , in Lagern oder in Cantonni rungen, befindlichen Theile der bewaffneten Macht, und nur insoweit, als der Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preise durch die Militair Intendanturen nicht rechtzeitig hat sicher gestellt werden können (§ . 3). Zur Verabreichung der Naturalverpflegung ist der Quartiergeber verpflichtet. Dieselbe kann nur gefordert werden für die auf Märschen be findlichen Theile der bewaffneten Macht (§. 4). Zur Verabreichung der Fourage sind alle Beſizer von Fouragebeſtänden verpflichtet.

Sie kann nur gefordert werden für die Pferde und sonstigen

Zugthiere der auf Märschen befindlichen Theile der bewaffneten Macht, für Heeresabtheilungen mit mehr als 25 Pferden jedoch nur dann, wenn der Bedarf im Wege des Vertrages gegen ortsübliche Preise

durch die Militair

Intendantur nicht rechtzeitig hat sicher gestellt werden können. Wenn am Orte des Marschquartiers Magazin-Verwaltungen oder Lieferungs - Unternehmer der Militair-Verwaltung vorhanden sind, darf die Verabfolgung der Fourage nicht gefordert werden.

Insoweit der Fouragebedarf im Gemeindebezirk nicht vor

handen ist, ist derselbe gegen Gewährung der tarifmäßigen Vorſpannvergütung von der nächſten militairiſchen Verabreichungsstelle abzuholen (§. 5) . Die Verpflichtung zu den vorbezeichneten Leistungen tritt auf Grund der von den zuständigen Civilbehörden ausgestellten Marschrouten oder auf Grund besonderer Anordnungen dieser Behörden ein.

In dringenden Fällen kann

die zuständige Militairbehörde die Leistungen direct von der Gemeindebehörde und, wo diese nicht rechtzeitig zu erreichen ist, von den Leistungspflichtigen in der Gemeinde unmittelbar requiriren (§. 6). Die Vergütungsfäße (§ . 9 ) für die Naturalleiſtungen sind , gegen über den in Preußen früher gewährten , nicht unerheblich erhöht worden , bei der Natural-Verpflegung z . B. für die volle Tageskost mit Brod von 50 auf 80 Pfennige. Für Offiziere wird doppelt so viel gezahlt. Wenn cultivirte Grundstücke zu Truppenübungen benußt werden sollen, so find davon zuvor die betreffenden Ortsvorſtände zu benachrichtigen, damit die vorzugsweise zu schonenden Ländereien durch Warnungszeichen kennt lich gemacht werden können. Ausgeschlossen von jeder Benußung bei Truppen übungen bleiben Gebäude, Wirthschafts- und Hofräume, Gärten, Parkanlagen, Holzschonungen, Dünenanpflanzungen , Hopfengärten und Weinberge , sowie die Versuchsfelder land- und forſtwirthschaftlicher Lehranstalten und Versuchs stationen (§. 11). Die Besizer von Brunnen und Tränken sind verpflichtet , marſchi

106

Militairische Jahresberichte für 1874.

rende, biwakirende, kantonnirende und übende Truppen, falls die vorhan denen öffentlichen

Brunnen und Tränken für die Bedürfnisse der Truppen

nicht ausreichen, zur Mitbenußung der Brunnen und Tränken zuzulaſſen, auch wenn zu diesem Zwecke Wirthschafts- und Hofräume betreten werden müſſen. Jedoch findet diese Vorschrift keine Anwendung auf die Uebungen der Truppen auf ihren ständigen Exercier- und Schießpläßen (§ . 12) . Die Besizer von Schmieden sind verpflichtet , marſchirende , biwakirende und cantonnirende Truppen zur Mitbenutzung der Schmieden gegen ange= messene Vergütung zuzulassen (§ . 13 ). Alle durch die Benutzung von Grundstücken zu Truppenübungen ent stehenden Schäden werden aus Militairfonds vergütet (§ . 14). Jede Eisenbahn verwaltung ist verpflichtet, die Beförderung der bewaff neten Macht und des Heeres-Materials gegen Vergütung nach Maßgabe eines vom Bundesrathe zu erlassenden und von Zeit zu Zeit zu revidirenden allge meinen Tarifs zu bewirken (§. 15) . Von dem Tage ab, an welchem die bewaffnete Macht mobil gemacht wird, tritt die Verpflichtung des Bundesgebietes zu allen Leiſtungen für Kriegszwecke nach den Bestimmuugen des Gefeßes über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 ein .

Diese Leistungen sollen nur insoweit in Anspruch ge=

nommen werden , als für die Beschaffung der Bedürfniſſe nicht anderweitig, insbesondere nicht durch freien Ankauf, bez. Baarzahlung oder durch Entnahme aus den Magazinen gesorgt werden kann (§. 2) . Dem Reiche gegenüber sind zunächst die Gemeinden zu nachfolgenden Leistungen verpflichtet : 1.

Gewährung des Naturalquartiers für die bewaffnete Macht , einschl. des Heergefolges, sowie der Stallung für die zugehörigen Pferde, beides , se weit Räumlichkeiten hierfür vorhanden sind ;

2. Gewährung der Naturalverpflegung für die auf Märschen und in Can tonnirungen befindlichen Theile der bewaffneten Macht , einschließlich des Heergefolges, sowie der Fourage für die zugehörigen Pferde; 3. Ueberlassung der im Gemeindebezirk vorhandenen Transportmittel und Ge spanne für militairische Zwecke und Stellung der in der Gemeinde an wesenden Mannschaften zum Dienst als Gespannführer , Wegweiser und Beten, sowie zum Wege-, Eisenbahn- und Brückenbau, zu fortificatorischen Arbeiten, zu Fluß- und Hafensperren und zu Boots- und Prahmdienſten; 4. Ueberweisung der für den Kriegsbedarf erforderlichen Grundstücke und vor handenen Gebäude, sowie der im Gemeindebezirk vorhandenen Materialien zur Anlegung von Wegen, Eisenbahnen, Brücken, Lagern, Uebungs- und Biwaksplätzen , zu fortificatorischen Anlagen und zu Fluß- und Hafen sperren ; 5. Gewährung des im Gemeindebezirk vorhandenen Feuerungsmaterials und Lagerstrohs für Lager und Biwaks, sowie 6. der sonstigen Dienste und Gegenstände, deren Leistung bez. Lieferung das militairische Interesse ausnahmsweise erforderlich machen könnte, insbe sondere von Bewaffnungs- und Ausrüstungsgegenständen , Arznei- und Verbandmitteln (§. 3).

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung.

107

In welchen Fällen und in welchem Umfange die Verpflichtungen einzu treten haben , wird auf Requiſition der Militairbehörde durch Anordnung der nach den Landesgeſeßen zuständigen Civilbehörde beſtimmt. Es ist hierbei auf In dringenden die Leistungsfähigkeit der Gemeinde Rücksicht zu nehmen. Fällen kann die zuständige Militairbehörde die Leistungen direct von der Ge meindebehörde und wo diese nicht rechtzeitig zu erreichen ist, von den Leiſtungs pflichtigen in der Gemeinde unmittelbar requiriren (§ . 4) . Vergütung für Naturalquartier und Stallung wird Seitens des Reiches nur für die in ihren Garnisonen oder Standorten einquartirten Truppen ge= währt.

Für die Naturalverpflegung erfolgt Entschädigung nach den für den

Friedenszustand geltenden Säßen , für die Fourage nach den Durchschnitts preiſen der lezten zehn Friedensjahre. Die Vergütung für Vorspann erfolgt nach denselben Grundsäßen wie im Frieden, für die Gewährung von anderen Transportmitteln, von Arbeitskräften, von Lagerstroh und Feuerungsmaterial nach den in gewöhnlichen Zeiten ortsüblichen Preisen. Bei Ueberweisung von Gebäuden und Grundstücken wird für entzogene Nußung Vergütung gewährt, wenn sie sich im Gebrauch 2c. befanden , sonst nur für die durch die Be nuhung herbeigeführte Beschädigung und außerordentliche Abnußung , welche im ersteren Falle gleichfalls noch vergütet wird . Alle anderen Kriegsleistungen werden nach den am Orte und zur Zeit der Leiſtung bestehenden Durchschnitts preisen vergütet. Durch Beschluß des Bundesraths kann, falls der Unterhalt für die be waffnete Macht auf andere Weise nicht sicher zu stellen ist, die Lieferung des Bedarfs an lebendem Vieh, Brodmaterial, Hafer, Heu und Stroh zur Füllung der Kriegs - Magazine angeordnet werden

(Landlieferungen) .

Die Leiſtung

wird den zu bildenden Lieferungsverbänden auferlegt ; diese können sich der Vermittelung der Gemeinden zur Beschaffung der geforderten Leistungen be dienen. Die Feststellung der Vergütung für geliefertes Vieh erfolgt nach den im Frieden ortsüblichen Preisen , für alle übrigen Landlieferungen nach den Durchschnittspreisen der leßten zehn Friedensjahre. Ueber die Ansprüche auf Vergütigung der Kriegsleistungen werden Aner kenntnisse ausgefertigt, welche auf den Namen desjenigen lauten, der die Vergü tung zu beanspruchen hat.

Die Einlösung der Anerkenntniſſe erfolgt nach

Maßgabe der verfügbaren Mittel ; bis zur Einlösung werden die auf Grund der Anerkenntnisse zu zahlenden Beträge mit 4 Procent verzinſt. Zur Beschaffung und Unterhaltung des kriegsmäßigen Pferde bedarfs der Armee sind alle Pferdebefizer verpflichtet, ihre zum Kriegsdienste für taug lich erklärten Pferde gegen Ersaß des vollen, von Sachverständigen unter Zu grundelegung der Friedenspreiſe endgültig festzustellenden, Werthes Militairbehörde zu überlassen (§ . 25) .

an die

Jede Eisenbahn- Verwaltung ist verpflichtet : 1. die für die Beförderung von Mannschaften und Pferden erforder=

108

Militairische Jahresberichte für 1874. lichen Ausrüstungsgegenstände ihrer halten ;

Eisenbahnwagen vorräthig zu

2. die Beförderung der bewaffneten Macht und der Kriegsvorräthe zu bewirken ; 3. ihr Personal und ihr zur Herstellung und zum Betriebe von Eisen bahnen dienliches Material herzugeben (§ 28) . Für die Bereithaltung der Ausrüstungsstücke der Eisenbahnwagen wird keine Vergütung, für die unter 2. und 3. aufgeführten Leistungen Vergütung nach Maßgabe eines vom Bundesrathe zu erlassenden und von Zeit zu Zeit zu revidirenden allgemeinen Tarifs gewährt.

Die Zahlung der Vergütun

gen erfolgt ebenso , wie für die übrigen Kriegsleistungen , nach Maßgabe der verfügbaren Mittel ;

bis zur Zahlung werden die Beträge mit 4 Procent

verzinst. Die Verwaltungen der Eisenbahnen auf dem Kriegsſchauplage ſelbſt oder in der Nähe deſſelben haben bezüglich der Einrichtung, Fortführung, Einstellung und Wiederaufnahme des Bahnbetriebes den Anordnungen der Militairbehörde Folge zu leisten. Im Falle des Zuwiderhandelns gegen dieſe Anordnungen ist die Militairbehörde berechtigt , dieselben auf Kosten der Eisenbahnverwal tungen zur Ausführung zu bringen (§ 31) . Die Ausführungsbestimmungen zu den beiden legtbehandelten Na turalleistungsgesehen sind noch zu erwarten ; sie werden für das Gefeß über die Naturalleistungen im Frieden vom Kaiser , für das Kriegsleistungsgeſeß durch den Bundesrath erlassen. Dem Gebiete des Naturalleistungswesens gehört auch das schließlich, wenn auch nur kurz zu erwähnende Festungs - Rayon - Gesez vom 21. De cember 1871 an , in welchem die dauernden Beſchränkungen feſtgeſtellt ſind, denen die Benutzung des Grundeigenthums in der nächsten Umgebung der bereits vorhandenen, sowie der in Zukunft anzulegenden permanenten Befeſti gungen im Gebiete des ganzen Reichs unterliegt.

Wir haben in diesem ersten Jahresberichte uns darauf beschränken müſſen, einen Ueberblick über die Kriegsverfassung des Deutschen Reiches zu geben. Künftigen Jahresberichten bleibt es vorbehalten, das Bild zu ergänzen und namentlich auch einen Einblick in das innere Leben der Armee zu eröffnen. Wenn wir es nun aber dem Leser überlassen , eine Parallele zwischen Militair - Verfaſſung Deutschlands von heute und von ehedem zu ziehen, der so sind wir überzeugt, daß es keinen denkenden Militair giebt, der verkennen könnte, wie bedeutend der Zuwachs an militairischer Kraft ist , den Deutsch Land seit 1866 erfahren hat. Ein so großes Werk vollzieht sich freilich nicht, ohne daß an dieser und jener Stelle Interessen und Gefühle verlegt würden ; aus Rücksicht auf den höheren Zweck muß hier und da selbst Bewährtes ge

Entwickelung der Deutschen Kriegsverfaſſung.

109

opfert werden, ohne daß in derselben Richtung sogleich Ersaß geboten werden. könnte , und die Mängel , welche allem Menschenwerke anhaften , werden an jedem Neuen am lebhafteften empfunden.

Wir selbst haben manchen Mangel

aufgedeckt oder angedeutet, deſſen Beseitigung uns erstrebenswerth erscheint, aber die Befriedigung, welche uns der Blick auf die heutige Kriegsverfaſſung Deutschlands im Vergleich zur Vergangenheit gewährt , bleibt davon un berührt ! -

Bericht über das Heerwesen

Bayerns. *)

Die Kgl. Bayerische Armee ist seit den Ereigniſſen des Jahres 1866 in eine Aera der Reformen eingetreten, deren Periode noch nicht als vollſtändig ab geschlossen zu betrachten sein dürfte. Hierbei sind hauptsächlich zwei Zeitabſchnitte zu unterscheiden. Durch die neue Heeresorganisation von 1868, wobei die all gemeine Wehrpflicht eingeführt , wurden eine Reihe neuer Verordnungen her vorgerufen, welche im Allgemeinen den Punktationen der " Stuttgarter Confe renzen” und der „Allianceverträge" zufolge entsprachen.

den Preußischen Institutionen

Aber schon nach den „ Verträgen von Versailles " trat nach 1870 die zweite Periode der Reorganisation ein , denn Bayern verpflichtete sich in Be zug auf Organisation, Formation, Ausbildung, Gebühren und Mobilmachung volle Uebereinstimmung mit dem Deutschen Heere herzustellen , während hin sichtlich Bewaffnung , Ausrüstung und Gradabzeichen die Herstellung voller Uebereinstimmung vorbehalten war. Außerdem wurden durch die Erfahrungen des Französischen Feld- und Festungskrieges mehrfache Neuerungen , besonders in Bewaffnung 2c. hervor gerufen, welche auch für ganz Europa als maßgebende Factoren zu betrach ten find.

Es war im Norden die wohl nicht ganz richtige Meinung verbreitet, daß die früheren Einrichtungen und Reglements hauptsächlich an der minder kriegs tüchtigen Ausbildung 2c. Schuld trugen. Allein bei objectiver Beurtheilung mittel- und kleinſtaatlicher Heeresverhältnisse überhaupt muß man die Alles *) Da Bayern trot seines Eintritts in's Deutsche Reich sich für einzelne Richtungen seiner Heerverhältnisse eine Eigenart bewahrt hat , so folgt hier neben dem Berichte über die allgemeine Entwickelung der Deutschen Kriegsverfassung noch ein Specialbericht über Bayerns Heerwesen .

110

Militairische Jahresberichte für 1874.

dominirenden parlamentarischen Einflüsse sehr in Betracht ziehen, welche durch kurze, nur sechsjährige Dienstzeit und eine ungenügende Präsenzzeit höchſt schädliche Folgen auf die Schlagfertigkeit der Infanterie besonders äußerten. Nicht zufrieden mit diesen Minimalsäßen sollte ja die Dienstzzeit noch auf Jahre herabgedrückt werden, wiewohl 5 Jahre, die Präsenzzeit auf 1-1 die „Schnelldreffur " der Infanterie schon ihren Höhepunkt erreicht hatte. Jeßt , nachdem die mittel- und kleinstaatlichen Contingente unter die schützenden Fittige des Reichsadlers genommen und auf die gleiche günstige Basis mit Preußen gestellt , werden sich auch in Bayern die errungenen emi nenten Vortheile einer längeren Dienst- und Präsenzzeit ,

erhöhten Selbst

ständigkeit der verschiedenen Chefs der taktischen Einheiten geltend machen und die Qualität der Truppe sich steigern können. Erst nach einem unausbleiblichen Uebergangsstadium" mit seinen hem menden Frictionen werden sämmtliche Corps des Deutschen Heeres allmälig das gleiche Gepräge tragen und gleichförmige Anschauungen sich immer mehr geltend machen können , wiewohl schon seit dem Französischen Kriege ein be deutenter Fortschritt auf allen Gebieten in dieser Hinsicht sich fühlbar macht. Durch die im ganzen Reichsheere jezt gleichartigen Vorschriften mußte Bayern mehrere Institutionen aus der ersten Periode der Reorganisation wieder auf geben, da das wichtige politische Moment der „ Militairischen Freizügig feit " , alle anderen Bedenken in den Hintergrund drängte. So mußte das

Wehrgeld " wegfallen, wiewohl es sich schon seit drei

Jahren bestens bewährt , Volk und Armee sich schon daran gewöhnt hatten. Nach Aufgeben der

Stellvertretung " wollte man sich 1868 Capitulanten als

einen Stamm von Berufsunteroffizieren verſchaffen, indem man ſtatt der frü heren Einstandscapitalien durch die Verpflichtung zur Entrichtung des Wehr geldes : „für solche Wehrpflichtige, welche nicht zur wirklichen Ableistung der Dienstzeit in der activen Armee gelangten" -die wünschenswerthen Capitu lationszulagen in Jahresſummen erseßte.

Auch noch andere Factoren wirkten

nachtheilig auf Erhaltung von Capitulanten , denn außer den unliebſam verlorenen Einstandscapitalien lockten auch die neuen Socialgesete durch Er leichterung hinsichtlich Ansässigmachung und Verehelichung.

Während das

neue Wehrgesetz schon nach drei Jahren in der Reserve das Heirathen er laubte, war vor 1868 erst nach vollendeter sechsjähriger Dienstzeit daſſelbe ge stattet.

Schon früher wurde auf volkswirthschaftlichen Congreſſen die wirklich

abgeleistete Dienstpflicht als ein financielles Opfer bezeichnet , denn in jedem Heere waren und werden Zuschüsse von Hause in Gegenwart und Zukunft sehr erwünscht sein. Da die Einstellung

ganzer Jahrescontingente selbst bei den neuesten

Französischen Experimenten auf die Dauer unhaltbar sein dürfte , ſo ſollten doch die von wirklicher Dienstpflicht theilweise oder gänzlich Befreiten nicht auch noch von den financiellen Nachtheilen unberührt bleiben , sondern durch das

111

Heerwesen Bayerns.

Wehrgeld zum Wohle der Armee, „ der Schule des Volkes " , zur Erhaltung geübter Lehrkräfte beitragen . Gleichwohl sieht man in Preußen noch immer theilweiſe in dieſer Inſti tution den Anfang zum Umſturze des idealen Princips der allgemeinen Wehr pflicht und glaubt irriger Weise sogar , sich durch das Wehrgeld von der Dienstpflicht loskaufen zu können, während doch nach den früheren Bayerischen Vorschriften eine Art Wechſelverhältniß zwiſchen wirklich und Wehrgeld ſtattfand .

geleisteter Präsenz

Vielfach wurde ja von den nämlichen Individuen

beiderlei Verpflichtung übernommen , je nach deren zeitweiser Stellung in der activen Armee oder Ersatzmannschaft. Mit Recht waren daher nur von der Wehrsteuer befreit : in der Gendarmerie dienten ,

auf die Dauer der Dienstzeit

Solche, welche in derselben ;

Individuen, welche wegen einer im Dienſte erlittenen Beschädigung vor gänz licher Erfüllung ihrer Dienstpflicht befreit waren. Auch die Dienstuntauglichen, mit Gebrechen behaftet, welche die Erwerbsfähigkeit in hohem Grade beschrän ken, ferner die Vermögenslosen , sowie die von der öffentlichen Armenpflege Unterstüßten wurden nicht zur Entrichtung des Wehrgeldes beigezogen. Wenn man den gewiß richtigen Grundsat anerkennt, daß die persönlich geleistete Dienstpflicht auch financielle Opfer verlangt , und der Friede doch der normale Zustand im Völkerleben, ſo iſt ſchwer einzusehen, warum während der langen Friedenszeit die Wehrſteuer nicht gelten dürfte , denn im Kriege muß ja so die Ersatz- Neserve aufgeboten werden , und die Entrichtung der Steuer natürlicher Weise cessiren.

Aber während der goldenen Friedenszeit

wird der wirklich Eingestellte seinen bürgerlichen Geſchäften mehr entfremdet, muß von seinem oder der Eltern Vermögen zusehen , und in der Reserve oft die Concurrenz mit dem Befreiten und Zurückgestellten in seinem Geschäfte aufnehmen , welcher sich in seinem Berufe unterdessen vervollkommnet , kein Geld in der Caserne zusehen mußte und dem nach zurückgelegter Dienstpflicht heimkehrenden Militair oft noch die besten Stellen wegnimmt. Noch mehr dürfte der „Capitulant” ſeinen Geſchäften entwöhnt werden, daher demselben eine kleine Summe als Nothpfennig sehr wünschenswerth sein wird, denn an passenden Stellen fehlt es doch manchmal , abgesehen davon , daß auch eine verlangte Cautionsstellung eher ermöglicht ist. Selbst bei dem neuen „Land sturm-Geseze" liegt ja die Last nur auf den erercirten gedienten Männern, welche nach der gänzlichen Ausnüßung der Landwehr und der verwendbaren d . h. erercirten Erſaßmannſchaften beigezogen werden sollen , denn bei der modernen rapiden Kriegführung kann man auf rohe unausgebildete Maſſen nicht mehr reflectiren. Es wäre daher zu wünschen , daß allmälig die Vorurth eile gegen das „Wehrgeld " im Deutschen Reiche schwinden, denn das „ Unteroffiziers-Gesetz" mit seinen Vortheilen reicht auf die Dauer allein wohl nicht aus, einen Stamm gedienter Berufschargen bei solchen Anforderungen zu erhalten.

Militairische Jahresberichte für 1874.

112

Da das Wehrgeld in 3 Jahren der Bayerischen Armee zu Capitulations zulagen eine Summe von 676,920 fl. zur Verfügung stellte, wiewohl nur 8 Klassenfäße von 3-100 fl . Wehrgeld jährlich nach dem eingeschäßten Ein kommen normirt waren , so würde sich nach dem jezigen Geldwerthe auf das ganze Deutsche Reich ausgedehnt sicher eine Summe von 4-5 Millionen jähr lich ergeben , welche zur radicalen Lösung der „ Unteroffiziersfrage" wesentlich beitragen möchte. Noch 1868 fand sich das Bayerische Kriegsministerium veranlaßt, aus bei Gerichten deponirten Geldern , Einsteher auf 6 Jahre durch angebotene Einſtandscapitalien von 800 fl. zu gewinnen , was auch gelang , da gediente Chargen den Contract eingingen, so daß also 1874 erst diese eigenthümliche Species aus der Armee verschwand. Da auch 1868 bei noch 6jähriger Dienstzeit die Wehrpflicht statt mit dem vollendeten 21. schon mit dem 20. Jahre begann , so mußten damals zwei Jahrgänge in einem Jahre eingestellt werden , so daß die halbe Kriegsstärke der Compagnie aus Rekruten bestand, deren stramme Ausbildung nicht be sonders gefördert werden konnte , da die Präsenzstärke bei 4 Compagnien 60 bis 70 Mann per Compagnie nicht überſtieg. Von dieser Zeit an fand die Rekruteneinſtellung bei der Infanterie auch im Herbſte ſtatt, während ſonſt die Rekrutenperiode erst im Frühjahre begann und der Detail - Unterricht bis incl. der Compagnie - Schule bei der besseren Jahreszeit Angesichts verſchie dener politischer Constellationen noch nicht vollendet sein konnte. Leider mußte Bayern in Folge der „Versailler Verträge " auch vortreff liche Bestimmungen seiner Ersatz - Instruction von 1868 , von welchen neuer dings wieder mehrere in der neuesten Instruction für das Reichsheer aufge nommen werden, aufgeben. So soll in der neuesten Instruction die theuere „ Regierungs - Erſaß Commission" weggefallen, und der ärztliche Antheil am Erfaß - Geſchäfte der artig modificirt sein, daß wieder 2 Militair-Aerzte wie in den früheren Baye rischen Normen statt nur eines thätig sind.

Troß dieser Vermehrung der

Arbeitskräfte hält man in ärztlichen Kreisen die Schwierigkeiten bei Bewälti gung eines so maſſenhaft zu unterſuchenden Materials noch nicht für beſeitigt, denn die Zeit ist so knapp bemessen, daß genaue ärztliche Untersuchungen auf eract wissenschaftlicher Basis noch nicht ermöglicht sind .

Es überbürdeten bis

jezt zahlreiche nachträgliche „Untauglichkeits- Erklärungen " die Commandos, daher eine ſtreng wissenschaftliche Untersuchung von tiefer moralischer Bedeu tung für die Autorität unserer Institutionen sein dürfte. Vielleicht könnte durch Aggregirung eines Reserve- oder Landwehr- Arztes bei den Brigade- oder Landwehrbezirks - Commandos diesem Uebel mehr abgeholfen werden. Ohne dies als practiſcher Arzt in diesem Bezirke fungirend , müßte derselbe durch Untersuchungen und Beobachtungen innerhalb seines Bezirkes schon im Laufe des Jahres schäzbares Material in übersichtlicher Ordnung für die Aerzte der

Heerwesen Bayerns . Erſag- Commiſſion im Voraus sammeln .

113

Allmälig möchren doch solche ein

gehende Vorarbeiten von ersprießlichen Folgen für das Ersaßgeschäft begleitet sein und die so zahlreichen nachträglichen Untauglichkeits - Erklärungen mehr reduciren. Wiewohl, einzelne Districte

ausgenommen ,

im Ganzen ein kräftiger

Menschenschlag zur Verfügung steht , so leidet der Erſaß zur Infanterie doch in Bayern durch Bevorzugung anderer Waffen bei Auswahl der Rekruten . Abgesehen, daß die zu zahlreichen 10 Jäger-Bataillone, bald / der Ge sammt-Infanterie (10 : 48) , ausgesuchte Mannschaften im Brigadebezirke er halten, hat Cavallerie und Feld-Artillerie auch auf ihre zu großen Leute ver zichtet, so daß der Infanterie der kräftige Mittelschlag , welcher hauptsächlich zum Tornistertragen und Marschiren geeignet, immer mehr entzogen wird.

Sehr

große und kleine Leute in derselben Truppe vereint, wirken nicht vortheilhaft auf die gleichmäßige Leiſtungsfähigkeit , ſo daß man , bei doch gleicher Taktik und Bewaffnung , der Infanterie nicht zu viel brauchbares Material rauben und ernstlich an Aufhebung der vielen Schüßenzüge und Jäger denken sollte. In allen Armeen strebt man durch Aufhebung der Elitecompagnien 2c. immer mehr der nothwendigen Bildung einer „ Einheits -Infanterie" entgegen, da man doch die Rücksichten des verschiedenartigen Pferdeschlages als Hinderniſſe einer auch angestrebten „ Einheits- Cavallerie" nicht auf das Gebiet der modernen Infanterietaktik auch übertragen kann,

um

die fernere Berechtigung von

Grenadieren , Füsilieren , Schüßen und Jägern in so opulenter Weise zu be gründen .

Diese ungleichartig physischen Elemente in der Infanterie haben

auch in ärztlichen Kreisen die Befürchtung erweckt, • daß bei fortgesetter An strengung einer 3jährigen Präsenz, wobei durch das Berittenbleiben der Com pagniechefs bei allen Uebungen der richtige Maßstab zur Beurtheilung der Leistungsfähigkeit von Fußtruppen leicht verloren geht und durch übertriebene Laufübungen 2c. die Keime zu zahlreichen innern Leiden gelegt werden, welche vielleicht erst später in den Reserve- und Landwehrjahrgängen zu Tage treten. Auch im Norden sind ähnliche Meinungen geäußert worden . Entlaſſung, Verabschiedung, Verſorgung, Invalidenweſen. Während die früher vor dem Französischen Kriege Verabschiedeten und Invaliden den Bayerischen Normen unterstellt waren , ist jetzt das „ Reichs Militair-Pensions - Gesetz" geltend .

Noch bestehen zwei Garniſons - Compagnien

in Nymphenburg und Königshofen aus Chargen und Soldaten, welche durch Alter und Gebrechen zum Felddienste untauglich , jedoch nicht ganz dienſt= untauglich sind.

Ein Invalidenhaus befindet sich in Benediktbeuern für die

aus diesen Compagnien oder unmittelbar aus der Linie hervorgehenden Real Invaliden , deren hohes Alter , schwere Wunden oder sonstige bedeutende Gebrechen den Erwerb ihres Lebensunterhaltes unmöglich machen und welche geseßlichen Anspruch auf militairische Versorgung haben . Militairische Jahresberichte 1874.

8

Militairische Jahresberichte für 1874.

114

Vor dem Feinde verwundete invalide Offiziere avanciren noch zwei Grade und rücken nach früheren Bayerischen Normen mit ihren früheren Rang genossen

in

dieſe

Chargen

mit

Charakter

und

den höheren

Pensions

bezügen ein. Für die nach Bayerischen Normen Pensionirten mit längerer Dienstzeit ist Aufbesserung erfolgt. Für Civilanstellung von verabschiedeten Militairbewerbern ist geeignete Sorge getragen , sowohl nach dem früheren Geſeße als nach dem „ Unteroffi ziers-Geſeße". In die Königliche Leibgarde der Hartschiere werden nur ge diente Unteroffiziere eingereiht. Remontirung , Pferdewesen. Zu lange Zeit hat man in Bayern dem falschen Principe gehuldigt, mit dem Verein zur Hebung der Bayerischen Pferdezucht Hand in Hand zu gehen und nur in Bayern zu remontiren . Während der Napoleonischen Zeit unter stüßten hauptsächlich Polnische und Ungarische Pferde die Chevaurlegers in ihren brillanten Affairen, denn das Bayerische Pferd mit seinem langen, weichen Rücken und schwachen Hintertheil kann nur als ein Zug , aber nie als ein gutes Reitpferd betrachtet werden. Jezt werden in vier Remonte Depots nur noch, in Folge bitterer Erfahrungen, Norddeutsche Remonten ein gestellt. Noch stehen alle Racen gemischt in den Escadrons ; die besten ein heimischen sind aus der Pfalz. Erst allmählich wird sich ein besserer Reit schlag fühlbar machen , wie wohl Manöver und neues Reglement mit den schärferen Tempos auf größere Strecken wohl mehr als ein Neuntel, des früheren durchschnittlichen, Abganges erzeugen dürften. Die "! Pferde- Conscription" wurde eingeführt, wobei sich durch Musterung der Mangel tauglicher Reitpferde im Lande herausstellte ; schon 1873 sollen 16,000 Pferde weniger als 1863 vorhanden gewesen sein. Ein General-Major als „ Remonte- Inspecteur" und ein Oberlandstallmeister nebst Landstallmeistern wurden ernannt. Auch in der " Equitation" find Aende rungen eingetreten. Ausrüstung. Das schwarze Lederwerk der Infanterie dürfte der ganzen

Deutſchen

Infanterie empfohlen werden, dagegen das geschwärzte Lederzeug der Cavallerie jenem von Naturleder Plaß machen. Bei der Cavallerie wurden Packtaschen statt des Mantelsackes eingeführt. Die schon längst als zu schwer anerkannten Trainfahrzeuge wurden auf gegeben, zweispännige Compagnie- und Escadrons -Packwagen, neue Truppen Sanitätswagen und leichte Feldlazarethwagen eingeführt, die hölzernen Pontons der Brückenequipagen durch bewährte eiserne ersett ; portatives Schanzzeug u.ſ. w. und neue Kochgeschirre, neue Signalhörner sind jezt im Gebrauche. Das Artilleriematerial ist in voller Umänderung begriffen ; zwei Lehrschmieden wurden errichtet.

Heerwesen Bayerns.

115

Bewaffnung. Infanterie, Jäger und Pioniere sind mit Werdergewehren , Cavallerie mit Werdercarabiner und Werderpiſtole, Fußartillerie einstweilen mit Chaſſepot und Französischer Munition, Landwehr aber noch mit abgeänderten Podewils bewaffnet. Im Französischen Kriege war die Masse der Infanterie noch mit dem abgeänderten Podewils versehen , einem sehr primitiven Rückladungsgewehre, da es auf keine „ Einheitspatrone" Anspruch machen konnte, indem das Zünd hütchen zwar durch eine sinnreiche Einrichtung mittelst eines Bindfadens in der unteren Höhlung der Patrone befestigt war, aber beim Laden vorher auf das Piston aufgesezt werden mußte. Weißenburg in Action .

Das Werdergewehr kam schon bei

Anfangs waren nur vier , dann sechs und ſpäter

zwölf Bataillone damit bewaffnet, wovon aber die zur Verstärkung des Tann ſchen Corps nach dem Loirefeldzuge nachrückenden Pfälzischen Beſaßungs -Ba taillone nicht mehr in's Feuer kamen . So mußte die Bayerische Infanterie dem weit überlegenen Chaffepot gegenüber größtentheils noch mit dem Podewils auftreten. Mit den Resul taten des Werder war man desto mehr zufrieden, denn alle Rapporte lauteten nur sehr günstig. Deſſenungeachtet wird die Aptirung Werders mit nur 4,3 Gr. Ladung auf die Patrone des Gewehrs M. 1871 — 5 Gr. nach ein gehenden Versuchen durch Verlängerung des Laderaumes bei Anwendung des Meher Pulvers stattfinden, da nach den Kriegserfahrungen wohl keine Kriegs waffe mehr unter dieser starken Ladung construirt werden dürfte und die bal liſtiſche Leistung erhöht wird. Doch der Werdercarabiner mit 3,5 Gr. Ladung kann bei seiner schwachen Construction nicht mehr geändert werden, daher wie in Preußen auf die Pa trone des Modells 1871 aptirte Chassepots dessen Stelle einnehmen werden. Der aus Africa via Frankreich importirte „ Yatagan", welcher bekanntlich in Frankreich nur deshalb mit solchem Enthusiasmus begrüßt wurde , weil die früheren compagnies du centre bei dieser Gelegenheit auch Säbel erhielten, joll dort wieder geändert oder gar abgeschafft werden , während sowohl Werder als Modell 1871 ihn trog seiner bekannten Nachtheile adoptirten. Nur die verminderte Traglast des Mannes gab wohl hierbei den Ausschlag, denn aufgepflanzt vermehrt er das Vorgewicht, ruinirt noch die Läufe und im Bajonetkampf, besonders in engen Räumlichkeiten, erseßt derselbe nicht das Stoß bajonet.

Auch zum Wirthschaftsgebrauche war der frühere Säbel praktiſcher,

so daß wohl Handbeile mitgeführt werden müſſen, da dieſe Yatagans leicht beim Holzspalten springen, wie es sich im Felde mehrfach gezeigt. Bei der Artillerie kommt allmälig das neue Deutsche Geschütz zur Ein führung.

Noch bestehen die vier- und sechspfündigen Hinterladungsgeschüße

Preußischen Systems , welche auch im Französischen Kriege

thätig waren .

Bald werden die Zoller'schen Feld- und Liel'schen Festungs - Laffeten den 8*

116

Militairische Jahresberichte für 1874.

eijernen Platz machen und verschwinden.

Noch viele glatte Geschütze stehen

größtentheils in den Festungen , wohin auch die Kartätsch-Geschüße (Mi trailleusen), deren acht sich im Felde nicht bewährt haben, zur niederen Graben bestreichung bestimmt wurden.

Künftig sollen glatte Röhre neben gezogenen

noch zur Grabenbestreichung dienen , auf den Wällen hingegen nur gezogene placirt werden. Es ist daher eine bedeutende Vermehrung schwerer gezogener Geſchüße , welche sowie die bewährten Granatkartätſchen mit Zeitzündern in den bewilligten Militaircredit für 1874 eingestellt wurden, nothwendig. Chevaurlegers find mit gekrümmten Korbsäbeln , Ulanen noch mit Lan zen, welche statt der früheren geringen jezt die Preußische Länge haben, Cui raſſiere mit Pallaſchen und Piſtolen bewaffnet. Die neueste Bewaffnung der Deutſchen Cavallerie wird , wie für die Artillerie, auch bei dieser Bayerischen Waffe künftig maßgebend bleiben, und so den Erfahrungen des Feldzuges auch auf diesem Gebiete geeignete Rech nung getragen. Dem Fußgefechte der Gegenwart gegen weittragende In fanteriegewehre muß um jeden Preis die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden und der Carabiner darf nicht blos zu einem überflüssigen Spielzeuge herabsinken. Die Militair - Etablissements in Amberg und Augsburg liefern auch Bestellungen für das Reichsheer, so 100,000 Gewehre M. 1871 und Geschüße für die Reichsfestungen. Bekleidung. In der Bekleidung hat sich wenig durch die Reorganisation nach dem Französischen Kriege geändert, da der Raupenhelm und die frühere hell- und dunkelblaue und grüne Grundfarbe beibehalten wurden. Doch nahm man die Gradabzeichen und Schärpen der Deutschen Corps an, und es verschwan den die früheren altmodischen Ringkragen. Während die Infanterie die schar lachrothe Egalisirung statt des früheren Farbenspieles mit Wings (Achsel wulſten) erhielt , erseßte bei der Cavallerie der Reitstiefel die frühere schwere Reithose. Die Cuirassiere tauschten die weißen Mäntel gegen dunkelgraue ein; ebenso wurden ihnen die anerkannt hohen unpraktischen Reitſtiefel octroyirt.

Militair- Aerzte und Beamte erhielten statt der früheren verschiede

nen Egalisirung Schwedische Aufschläge, Helme und Degen statt Hüte und Säbel, und sehen in ihrem Anzuge am meisten den Preußischen Genossen ähnlich. Die Mäntel der Fußtruppen werden jezt einreihig statt zweireihig gefer tigt , was beim Rollen allein vielleicht praktischer , aber jedenfalls nicht wär mer ſein dürfte.

Die Waffenröcke der Infanterie, Artillerie und Cuiraſſiere 2.

werden einige Zoll länger, für Reiter aber hierdurch nicht zweckmäßiger. Statt des Bundschuhes werden die praktischen Schaftstiefel eingeführt. Un praktiſch erscheinen die Mützen ohne Schirme. Ganz nach Preußischem Muster ist nur die Feldgendarmerie uniformirt.

117

Heerwesen Bayerns.

Da das frühere Ratensystem fallen mußte , die Abnüßung der Beinklei der bei der Infanterie durch angestrengte Uebungen besonders rasch vor sich geht, so wäre noch die Einführung grauer Beinkleider zu wünschen , da die gleiche Zusammenstellung der hellblauen Farbe von Kopf zu Fuß stets eine sehr heikle Sache war. Auch die Nachtheile des „Raupenhelmes ", welcher das Wasser einsaugt , das Hintergewicht hierdurch noch mehr vermehrt und auf den Kammern ein wahres Reservoir für Insecten bildet , überdies durch öftere Reparaturen theurer kommt als die Metallspiße , sind schon längst so bekannt, da ja genug antiquarischer Staub über dieses Thema aufwirbelte . Jest tragen nur noch die Offizierchargen , Epaulettes, Civil -Beamte Hüte.

Militair - Aerzte und Beamte

Montirungsdepots sind in Ingolstadt und Nürnberg .

Verpflegung 2c. Bei Einführung der Preußischen Gebühren und Gagen gewannen haupt Die Mannschaft steht sich

ſächlich die Chargen vom Compagniechef aufwärts .

nicht mehr ganz so gut, doch durch den Verpflegungszuschuß beſſer wie im Nor den. Die vortheilhafte Menage - Regie wurde beibehalten, doch die Löhnungs nachzahlung, welche nach 1866 als zweckmäßig anerkannt, mußte leider wie der aufgegeben werden . Die Vortheile des „Unteroffizier- Gesezes" fanden auch in Bayern ein sehr reformbedürftiges Gebiet. Für die gegeben.

Feld - Proviantämter " wurde eine neue Dienstordnung aus

An die jest kleineren Heurationen konnten sich die Bayerischen Pferde schwer gewöhnen ; in Preußen hilft man durch Fonds nach , welche erſt in Bayern geschaffen werden müſſen.

Sanitätswesen. Durch die neue Institution der „ Generalärzte" und der

Direction der

Spitäler" ist endlich in ein antidiluvianisches System Bresche geschossen .

Jezt

erst ist der Arzt selbstständiger und verantwortlicher geworden , denn früher war derselbe dienſtlich und adminiſtrativ gehemmt und hatte keine Disciplinar Gewalt gegen lässige Krankenwärter .

Doch wird das „Uebergangsstadium”

in keiner Branche so lange dauern , als in der ärztlichen , da in Folge eines feit Decennien veralteten Systems die Aerzte für ihre respectiven Chargen zu alt und Viele, besonders die nach dem ancien regime der Chirurgie gebildeten Veteranen der Medicin, sehr zurückgeblieben find .

So ist das Sanitäts - Corps

noch bedeutender Reformen fähig, welche bisher nur von unten begannen, da jest Mediciner als Freiwillige 6 Monate mit der Waffe dienen müssen, wäh rend sie früher in den Spitälern ihrer Dienstpflicht genügten. Noch wurde in der

Untauglichkeitserklärung" ein sogenanntes commiſſionelles Verfahren

Militairische Jahresberichte für 1874.

118

beibehalten, deſſen Apparat von Unter- und Ober- Sanitäts - Commiſſionen bald verschwinden dürfte , da in kleinen Garnisonen die untere Commission doch nur aus einem Arzte besteht und nur am Divisionssize befindliche Individuen der oberen Commission vorgestellt werden , daher diese höhere Controlſtelle meist nur über das Gutachten der unteren Commiſſion weiter referirt. Da gegen wäre die Beibehaltung der „ Sanitäts - Compagnien " zu wünschen, denn im Felde haben sie sich im Allgemeinen bewährt und im Frieden liefern sie ein schäßbares Wärterpersonal. Ebenso dürfte der Sanitätsunterricht der „Blessirtenträger", ſtatt bei den Truppentheilen zu erfolgen , rationeller in die Spitäler selbst verlegt werden. Der Gesundheitspflege wurde große Aufmerksamkeit geſchenkt durch ener gische Anordnungen des Kriegs- Miniſteriums z . B. während der Cholera Epidemie, bei den Uebungen hingegen ärztliche Einsprache nicht immer berück sichtigt und z . B. das Marschtempo selbst troß derselben zu sehr erhöht. Da gegen übte das jetzt gestattete Trinken während des Marsches keine nachthei ligen Wirkungen aus .

Ausbildung. Der körperlichen Ausbildung wird durch die neuen Instructionen über Gymnastik und Bajonetfechten besser entsprochen , da jezt das Militair turnen allein mehr betont und rationeller betrieben wird, während früher die Anforderungen troß geringer Präsenz diese Grenzen überschritten .

Zur Ein

führung eines gleichmäßigen Unterrichtsganges find 8 Infanterie - Offiziere in Berlin bei der Central - Turn- und Fechtanstalt während eines Lehrcurſes aggregirt. Auf dem Lechfelde , auf dem die großen artilleriſtiſchen Uebungen ſtatt finden, ist eine Schießschule etablirt. Für Cavallerie und Artillerie besteht eine Equitation , um Reitlehrer heranzubilden. Der Schwimmunterricht wird in jeder Garnison ertheilt. Die Militair erlebt.

Bildungsanstalten

haben verschiedene

Reformen

Das älteste Institut, Cadettencorps , ist seit 1868 mit 6 Klaſſen einem Realgymnasium gleichgestellt. Die Artillerie- und Ingenieur - Schule besteht seit 1857 erst als besondere Lehranstalt , indem fie früher mit dem Cadettencorps vereint war. Die 1858 errichtete Kriegsschule verlor nach dem Französischen Kriege den sogenannten Vorbereitungscurs und besteht jezt als wissenschaftlicher Curs für Cadettencorps , Pagerie und Aspiranten der Truppentheile.

Außerdem eriſtirt noch die erst 1867 gegründete Kriegs

Akademie zur höheren

wissenschaftlichen Ausbildung für Offiziere aller

Waffen , hauptsächlich als Vorschule für den Dienst im Generalstab, in der

Heerwesen Bayerns.

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höheren Adjutantur und zur Heranbildung für das Lehrfach in militair wiſſenſchaftlichen Gegenständen . Da durch die „Versailler Verträge ," Art. XIV. § 4 , „ die Betheiligung Bayerischer Offiziere an den für höhere militairwiſſenſchaftliche und technische Lehranstalten des Reiches specieller Vereinbarung vorbehalten ist " - so dürfte allmälig wohl die sogar unter der Bundes- Misere seit Decennien schon an gestrebte Idee einer Deutschen Kriegs - Akademie ihrer endlichen Ver wirklichung entgegen sehen. Eine gleichzeitige Heranbildung von Schülern und Lehrkräften erlaubt wohl nicht eine günstige Parallele mit der Berliner Akademie zu ziehen, deren längerer Bestand eine Fülle von Lehrkräften ermöglichte , welche Theorie mit Praris verbindet, wodurch das rein doctrinäre Element keinen so überwiegen den Einfluß gewinnt. Die zu starke Ueberfüllung der Räumlichkeiten in Berlin gestattet wohl jezt noch keine weitere Aufnahme. Die durch den Krieg unterbrochenen Studien hatten nachträgliche starke Einberufungen zur Kriegs- und Artillerie - Schule zur Folge , so daß in Parallelcursen mit bedeutender Anstrengung der Lehrkräfte gearbeitet wer den muß. Zur Heranbildung von Zeichnern 2c. und Herstellung des topographischen Atlas von Bayern sind im Topographischen Bureau eine Anzahl Offiziere verwendet ; durch kartographische Arbeiten ist diese Anſtalt rühmlichſt bekannt und zeichnete sich während des Krieges durch eine enorme Thätigkeit hinſicht lich Erzeugung von Kriegskarten für das ganze Reichsheer aus . Das Hauptconservatorium der Armee stellt in liberalster Weise auch außerhalb des Miniſteriums und Generalstabes ſeine werthvolle Bibliothek und Kartensammlung zur Verfügung. Außerdem hat noch jede ſelbſtſtändige Truppenabtheilung ihre Bibliothek ; in Landau und Germersheim wurden früher schon Garnison-Bibliotheken ge gründet. Wiewohl Berathungs - Commissionen für Infanterie, Cavallerie, Artillerie und Genie in Bayern ſelbſt beſtehen , so sind doch noch Bayerische Offiziere bei der Artillerie-Prüfungscommiſſion , Artillerie- Schießschule in Berlin und der Militair- Schießzschule in Spandau zugetheilt , und in neuester Zeit auch solche beim großen Generalstabe aggregirt, um stets in enger Fühlung mit dem Reichsheere zu bleiben. Auch waren Bayerische Genie - Offiziere bei den Festungsbauten in Elsaß Lothringen verwendet. Die 1868 gegründeten Militairischen Gesellschaften in München, Ingolstadt und Würzburg vereinigen die Offiziere zur Besprechung intereſſanter Themas auf allen Gebieten des militairischen Wiſſens. Auch das Kriegsspiel wird häufig benußt, beſonders in München, und ist auch den Artillerie-Offizieren neuestens besonders empfohlen.

120

Militairische Jahresberichte für 1874.

Ueberdies herrscht ein reger Geist auch auf literarischem Gebiete und wird der Militair-Literatur größte Aufmerksamkeit gewidmet.

Nebungen und Manöver. Im verflossenen Jahre ( 1874 ) entwickelte man eine große Thätigkeit. Sowohl Generalstabs -Uebungen unter Leitung des Generalstabs - Chefs als der Stabschefs der Armeecorps fanden statt. Die rühmlichst bekannten Schieß übungen der Artillerie auf dem Lechfelde erhielten durch 6 Batterien neueſten Modells ein erhöhtes Interesse. Auch fanden nach verschiedenen Drillperioden mit 12 Jahrgängen durch das neue Reglement zum ersten Male größere Uebungen mit der Inſtitution des Schiedsrichteramts statt. Jm diesseitigen Bayern manövrirten sämmtliche Truppentheile vom Re giment, Detachement , Brigade bis incl. der Diviſion unter den Augen der General Inspection und der Corps - Commandeure. In der Pfalz war eine combinirte Division von 15 Bataillonen , 5 Escadrons und 4 Batterien zur Inspicirung durch den Deutschen Kronprinzen concentrirt , und hierzu die Bayerische Besaßungs -Brigade in Meß herangezogen, während das in Elsaß Lothringen garnisonirende Chevaurleger-Regiment an den Cavallerie- Manövern bei Hagenau Theil nahm. Besonders lobte man die Ausdauer und Gewandtheit der Infanterie ; auch die Cavallerie zeigte erfreuliche Fortschritte, namentlich im Recognoscirungs dienste des Mannes. Reich an Erfahrungen für Führer und Mannschaften schloß dieſe ſtrenge Friedensschule, deren Frictionen durch Erlernung der neuen Reglements auch von den Preußischen Inspecteurs in vollem Maße gewürdigt wurden. Durch das Preußische Infanterie-Reglement wurde die normale 2 Glieder Stellung mit 4 Zügen leider wieder abgeschafft und die 3 Glieder-Formation angenommen , welche im Gefechte bekanntlich 3 Züge zu 2 Gliedern formirt.

Es dürfte diese Tagesfrage doch endlich ihre Erledigung finden, mehrere über flüssige Evolutionen wegfallen und das ganze Reglement mit Ausmerzung vieler Fremdwörter eine Umarbeitung bald erfahren. Nur die fragliche Ver längerung der Marschcolonne bei der 2 Glieder- Stellung kann noch für Bei behaltung der 3 Glieder sprechen. Im Gefechte selbst dürften die Züge der jeßigen Schwärmtaktik entſprechend ſtark und gegliedert sein. So sind ja die speciell zum zerstreuten Gefechte bestimmten Preußischen Jäger auch nur in 2 Gliedern formirt, und da diese Fechtart die Gesammt-Jnfanterie als Haupt gefechtsform annehmen muß, so sollte sie doch auch in dieser Art nur noch rangiren ; jedenfalls wäre nur eine einzige Rangirungsart wünſchenswerth. Die Anwendung der neueren ,, Gefechtsformationen " 2c. ist als ein tak tischer Fortschritt anzusehen. Neue Exercir - Reglements für Infanterie, Cavallerie und Artillerie, neue

121

Heerwesen Bayerns.

Dienst = Reglements , Verordnungen über Ergänzung des Offizier - Corps , des Beurlaubtenstandes , neue Organisation der Landwehr-Behörden , neue Ersatz Instruction, Deutſches Militair- Strafgesetzbuch, neue Kriegsartikel, Disciplinar straf-Ordnung und Militair-Strafgerichts-Ordnung kamen allmählich zur Ein führung. Noch hat in Berlin die gemischte Militair - Juſtiz - Commiſſion ihre Thätigkeit nicht abgeschlossen. Einstweilen hat Bayern mit erweiterter Com petenz der Untergerichte seinen theuern Apparat von 5 Militairbezirks - Ge richten

auf nur 3 reducirt.

Ob Preußen

diese Militair - Schwurgerichte

adoptirt , ist zweifelhaft , da sich dort Stimmen für Militair - Schöffengerichte geltend machen, und auch in Bayern gegen das noch bestehende Syſtem bei Juristen und Militairs Bedenken sich zeigen. Die neueste Verordnung über die Ehrengerichte mit der Institution des ständigen „ Ehrenrathes "

aus Vertrauensmännern muß

wichtiges Moment bezeichnet werden .

als

ein höchſt

Früher , als die Aerzte noch nicht dem

Offiziercorps als so naheſtehend angesehen wurden, waren dieſelben doch auch den

Ehrengerichten" unterstellt , ohne aber selbst Beisißer sein zu können.

Jezt sind die Aerzte aber nicht mehr dieſer Jurisdiction theilhaftig, was sehr peinlich überraschen mußte.

Da nur die ärztliche Praris als die wesentlichſte

Ursache dieses Ausschlusses angesehen werden kann , so wäre doch gerade ein Ehrenrath für Aerzte am Size der Division oder des Corps , aus Aerzten bestehend, sehr wünschenswerth, um verschiedenen Velleitäten vorzubeugen, denn die Praxis selbst kann man wohl nicht verbieten , daher eine Controle am Platz sein dürfte. Schlußbetracht u n g e n. Da die Kgl. Bayerische Armee in dem kurzen Zeitraum von 7 Jahren zwei Perioden der Reorganiſation erleben mußte, so herrschte in den Bureaus und bei allen Truppentheilen begreiflicher Weise die größte Thätigkeit . Nach dem unglücklichen Kriege von 1866 eröffnete das neue Wehrgeset mit der allgemeinen Wehrpflicht den stürmischen Reigen der neuen Social- Gefeße und hatte die heftigsten Kämpfe gegen die Ultramontanen zu bestehen, welche auch dieser Neuerung den erbittertſten Widerstand entgegenseßten. Doch war Bayern im Stande, bei nur 6jähriger Dienstzeit im stehenden Heere und 5jähriger Landwehrpflicht schon im Französischen Kriege mit viel bedeutenderer Kraft aufzutreten, als vier Jahre vorher. Da nämlich von der früheren Legion die ledigen Männer bis zum 32. Jahre in die neue Land wehr treten mußten, was enorme Heirathslust zur Folge hatte, konnte Bayern 1870/71 doch 32 Procent seiner Bevölkerung zu den Waffen rufen : 91,000 M. active Armee in 4 Jahrgängen, 47,000 M. Reserve " 3 11 19 " 5 35,000 M. Landwehr worunter 133,000 M. Infanterie, 11,000 M. Cavallerie, 22,000 M. Artillerie,

122

Militairische Jahresberichte für 1874.

Train 2c . Die Landwehr war vielfach zur Completirung der Feldarmee ein gestellt, besonders bei der Artillerie. Allmählich waren 130,000 M. nach Frankreich gesendet : 58 Feld- und 8 Landwehr - Bataillone, 41 Escadrons, 38 Feld , 5 Park- und 13½ Festungs- Batterien, 10 Genie Compagnien. Die Landwehr konnte damals erst 16 combinirte Bataillone formiren ; die Einjährigen Freiwilligen erlaubten bereits schon den starken Verlust an Chargen, besonders beim Tann'schen Corps, zu decken, aber noch fehlten damals Landwehr-Offiziere bei der Artillerie, welche eine so starke Vermehrung erhielt. Fühlbar war das noch mangelnde 7. Dienstjahr bei den Ersatz-Bataillonen, so daß nur schnell dressirte Erfagmannſchaften die Lücken wieder füllen konnten. Nach dem Französischen Kriege verzögerte die Annahme des 7. Dienſt jahres die Landwehr - Organiſation durch einen verspäteten Uebertritt aus der Reserve, so daß erst jezt die 32 Landwehr-Bataillone ihre volle Stärke haben. So ist Bayern nach den älteren Preußischen Provinzen wohl am meiſten in seiner Heeres - Organiſation vorgeschritten und kann die allgemeine Wehr pflicht als schon eingelebt bezeichnet werden . Während des leßten Septenniums hat die Armee die drei Stadien der Heeresergänzung mit Stellvertretung, der allgemeinen Wehrpflicht mit und ohne Wehrsteuer durchleben müssen , so daß in allen Richtungen reiche Er fahrungen zu Gebote stehen, welche im Norden nicht immer im entsprechenden Maße gewürdigt werden. Ungeachtet der neuesten Reorganisation hat sich der Formations - Stand wenig geändert, denn nur 2 reitende Batterien wurden neu formirt, die voll ſtändige Trennung der Feld- und Festungs -Artillerie durchgeführt. Beim In genieur-Corps wurden die Ingenieur-Directionen auf 2 für Garniſonbauten und 3 für Festungen reducirt,

wobei mehrere Chargen überzählig wurden

und trot Pensionirungen eine Stockung im Avancement eintrat. Die 2 Pionier Bataillone zu 5 Compagnien formirten sich aus dem Genie : Regimente ; außerdem wurde eine Eisenbahn- Compagnie neu formirt. Die 2 Train-Bataillone formirten sich zu je 3 Compagnien aus früheren Fuhrwesen-Abtheilungen, und wurden denselben die 4 Sanitäts - Compagnien,

Verpflegs- und Handwerker-Abtheilungen einverleibt. Die Festungen Neu - Ulm , Ingolstadt und Germersheim muß Bayern, sowie auf Reichskosten angelegte Befestigungen, in vollkommen vertheidigungs fähigem Zustande erhalten. Für Ingolstadt wurden im Festungsgesetze zum weiteren Ausbau als großen Depotplaß und Brückenkopf mit verschanztem Lager 4 Mill. Thaler genehmigt. Die Verhältnisse von Ulm wurden dahin geregelt, daß Bayern das Festungs - Commando jezt für Neu- und Alt Ulm giebt und die große Festung endlich als einheitlicher Deutscher Plaz gilt.

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Heerwesen Bayerns.

Nach vollendeter Reorganisation besteht die Bayerische Armee in 2 Armee Corps , 4 Jufanterie- Diviſionen , 4 Cavallerie - Brigaden , 2 Feld -Artillerie-, 1 Fuß-Artillerie-Brigade, mit 48 Bataillonen Infanterie, 10 Jäger-Bataillonen, 2 Cuiraſſier- , 2 Ulanen- , 6 Chevaurleger-Regimentern , 4 Feld - Artillerie-, 2 Fuß-Artillerie-Regimentern, 2 Pionier-, 2 Train-Bataillonen, 1 Eisenbahn Compagnie, 32 Landwehr- Bataillonen und sonstige Landwehrformationen. Sehr auffallend ist das starke Verhältniß :

% Jäger und schwerer Ca

vallerie, zur Gesammt- Infanterie und Cavallerie, daher eine Umänderung von 6 Jäger-Bataillonen in 2 Infanterie-Regimenter und Umwandlung der Cui rassiere als wünschenswerth erscheinen dürfte. Nach Abzug von 4 Regi mentern Divisions - Cavallerie restiren nur noch 2 Regimenter Chevaurlegers, 2 Ulanen und 2 Cuirassier - Regimenter , so daß Ablösung der Diviſions Cavallerie und Streifcorps etwas schwierig sein möchte. Auch die Errichtung eines Cavallerie- Diviſions - Commando wird noch angestrebt , behufs gleich mäßiger Ausbildung der Cavallerie. Vielleicht wäre die Formation ähnlich der Artillerie mit 1 Brigade per Armee - Corps unter einem Divisions - Com mando auch für die anderen Deutschen Corps zweckmäßiger, so daß je 2 Corps immer 1 Cavallerie- Diviſion formiren, da nach Abzug der Diviſions - Cavallerie doch statt 4 Brigaden nur 2 ins Feld rücken . Jedenfalls ist die Kgl. Bayerische Armee nach gleichmäßiger Organiſation noch mehr denn früher als ein wichtiger Theil des Reichsheeres zu betrachten, deſſen treue Waffenbrüderschaft mit den anderen Deutschen Corps auf den Schlachtfeldern Frankreichs die Feuerprobe bereits glänzend bestanden. Ende December 1875. H.

Bericht über die Entwickelung und die Fortschritte des Preußischen Militair - Sanitätsweſens.

Das Militair - Sanitätswesen findet bereits seit einigen Jahren in der Deutschen militairärztlichen Zeitung und in den Jahresberichten über die Leistungen und Fortschritte der gesammten Medicin eine eingehende Darstellung aus bewährten Federn. Es könnte somit vermeſſen erscheinen, an dieser Stelle ein gleiches Werk zu unternehmen , wenn nicht die Umgebung, in die daſſelbe eingefügt werden soll , wesentlich andere Gesichtspunkte der Darstellung vor aussette. Die oben genannten Berichte sind ihrer Natur und Form nach für Aerzte berechnet und enthalten demnach Einzelheiten , die nur für den Sach

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Militairische Jahresberichte für 1874.

verſtändigen von Bedeutung sind .

Allein es liegt im Intereſſe ſowohl des

Sanitätswesens , wie der Armee im Allgemeinen , wenn auch der Offizier , der vielleicht einst in die Lage kommen kann, als Befehlshaber sich auch die ses Factors zu bedienen , durch eine , das für ihn Wesentliche enthaltende, Uebersicht in Stand gesezt wird, sowohl den Tagesfragen auf diesem Gebiete der Militairwiſſenſchaften , als auch den lediglich durch das Bedürfniß be gründeten Forderungen und angestrebten Verbesserungen seine Aufmerkſamkeit zu schenken. Der vorliegende Versuch hat daher zunächst den Zweck, den nicht fachwissenschaftlich gebildeten Leser dadurch in die Sache einzuführen, daß er ihm ein gedrängtes Bild der allmählichen Entwickelung des Preußi schen Militair-Sanitätsweſens entwirft, und schließlich eine Bilanz des bereits Erreichten und noch zu Erstrebenden zieht. Die letzten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts bieten das eigenthümliche Schauspiel dar, daß eine neue, weltbewegende Macht aus langem Schlummer erwacht und die Fesseln bricht , in welche eine Jahrtauſende alte Ueberliefe rung sie schlug. Es sind dies die Naturwissenschaften. Es giebt in der Ge schichte keinen Aufschwung, der sich dem ihren vergleichen ließe an Höhe und Schnelligkeit.

Früher von ihren Schwestern , namentlich der Theologie und

Philoſophie, hochmüthig als nicht gleichberechtigt zurückgewieſen , erkämpfte diese neue Wiſſenſchaft sich ihre Anerkennung , und schon macht sie jenen die beſten Köpfe abtrünnig. Selbst das blödeste Auge kann sich gegen die von ihr angebahnten Fortschritte nicht mehr verschließen , und sie wird dereinst berufen sein, mehr, als sich jezt vorausahnen läßt, auf das ganze Volks- und Staatsleben bestimmend einzuwirken. Als Gesundheitslehre, Hygiene, z . B. greift fie in alle Phasen deſſelben ein, und wenn unsere höchste irdische Glück seligkeit nur die möglichste Abwesenheit von Uebeln ist , wird sie mehr als irgend eine andere Wissenschaft zu diesem Ziele beisteuern. Auch die Medicin ist nur ein Theil dieses Wissens vom möglichſt gesundheitsgemäßen Leben und das Militair- Sanitätswesen nichts weiter, als die auf das Wohl und Wehe des Soldaten angewandte Natur wissenschaft. Es gab eine Zeit , und ihre Vertreter ragen noch in die Reihe des jezi gen Geschlechts hinein, in die man es als die alleinige Aufgabe der Medicin an sah, die Krankheiten und Gebrechen zu heilen. Zu der viel wichtigeren Frage, wie man der Entstehung dieser Uebel vorzubeugen habe, wurde der Arzt nicht herangezogen , theils aus Indolenz derjenigen , welche die Frage hätten stellen sollen , nicht weniger aber vielfach aus mangelhaftem Wiſſen derer, die sie beantworten mußten , der Aerzte selber.

Denn Viele derselben

überholte die raſtlos, aber auch erbarmungslos über veraltete Irrthümer fort schreitende Wissenschaft, und Mancher, der im Wettlauf zurückblieb , zog es vor, stehen zu bleiben, statt langsam nachzufolgen. schneller veraltet, als medicinische Bücher und

So kommt es, daß Nichts Aerzte. Es kann daher

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätsweſens .

125

nicht Wunder nehmen , daß bei uns in Deutschland nicht blos die amtliche Gesundheitspflege, sondern die ganze civile Staatsarzneikunde den Fortschritten der Wiſſenſchaft durchaus nicht entsprechend entwickelt worden ist , daß wir uns England gegenüber , was sanitäre Einrichtungen betrifft , in einem be schämenden Zustande befinden. Daher gährt in der Gesammtinedicin der Kampf gegen eine bis auf's Aeußerste getriebene Erhaltung haltloser Einrich tungen , der Arzt verlangt seinen berechtigten Antheil an der Gestaltung des öffentlichen Lebens , er will als einzig Sachverständiger da vernommen werden, wo nur er entscheiden kann. Der bloße Beirath, den man ihm hochmüthig gestattete und bald nach Belieben befolgte, bald nicht achtete, genügt ihm nicht mehr.

Er will selbst die Maßregeln, die für das Gesammtwohl nöthig sind,

bezeichnen, ihre Ausführung selbst beaufsichtigen und schnell da eingreifen, wo rasche Hilfe Noth thut ; er muß dies Alles verlangen , weil er nur so durch Selbstbethätigung nach allen Richtungen in die Lage kommt, Erfahrungen zu sammeln und dadurch wieder die Wissenschaft zu fördern.

Wie oft scheitern

jezt noch seine besten Absichten an der Gleichgültigkeit der Menge !

Denn

nirgend tritt die Urtheilslosigkeit der Nichtsachverständigen anmaßender , ab sprechender auf, als in der Medicin. Jeder glaubt davon etwas zu verstehen, und es ist geradezu ergößlich, mit welcher Leichtigkeit sich der Laie die Erklärung medicinisch - naturwissenschaftlicher Räthsel zurecht macht, an denen die besten Köpfe und Kenner noch rastlos grübeln und arbeiten. Die Schuld dieses Gebahrens aber trifft zum Theil die Aerzte selber, weil sie all' und jede ihnen vorgelegte Frage beantworten zu müssen glaubten , statt zu gestehen : „ Wir wissen das noch nicht." Ja , sie belogen sich selbst mit wiſſenſchaftlich klingenden , metaphysisch angehauchten Betrachtungen , statt ſich der Waffen der neueren Forschung zu bedienen : der strengen Beobachtung und des scharfsinnig durchdachten und durchgeführten Versuchs. — Kann man es daher dem Laien verargen, daß er dieselben Redensarten wiederholt und daß selbst die Höchstgebildeten aller Stände noch von einer Unmenge verrotte= ter medicinischer Anschauungen beherrscht werden ? - So stehen Vorurtheil, Gleichgültigkeit und Unwiſſenheit im Bunde gegen die bestgemeinten Bestre bungen auf dem Gebiete der staatlichen Medicin , und man ist weit davon entfernt , dem Arzt als Staatsdiener das zu gewähren , was er im Intereſſe des Gemeinwohls braucht : Initiative und Executive. Für die Hygiene der Gemeinde ist leider noch immer das Urtheil einer Persönlichkeit maßgebend, der oft die elementarsten Kenntnisse des Bau's und der Functionen des menschlichen Körpers abgehen. Aber während hier der Streit noch lange nicht ausgekämpft scheint, iſt auf dem entsprechenden Felde der Militair-Medicin die Entscheidung bereits ge fallen, wenn auch noch nicht alle Consequenzen gezogen sind. Wir können ohne Ueberhebung sagen , daß die sanitären Heereseinrichtungen die Staats arzneikunde weit hinter sich gelassen haben.

Wir verdanken diesen Vorsprung

126

Militairische Jahresberichte für 1874.

der besonderen Obhut , welche von jeher das Haus der Hohenzollern seinem Heere widmete , und somit jenem erleuchteten Herrscherblick , der , alle Zweige des Kriegswesens in seiner Fürsorge umfassend , überall da die richtige Ab hilfe zu schaffen wußte , wo Mängel zu Tage traten. Nicht , daß jezt jeder Kampf der Meinungen ruht, auch fielen die reifen Früchte nicht von ungefähr in den Schooß : Jahrhunderte lang dauerte es, ehe überhaupt der Boden für den Bau der Jeztzeit vorbereitet werden konnte, aber jedenfalls ist der Grund stein gelegt, auf dem wir nun weiter bauen können , und dieser Grundstein birgt in sich ein Königswort. - Es war nicht blos das Bewußtsein der Mängel, welche gebieterisch eine Verbesserung der Militairſanität forderten. Wir werden ſehen , daß in der Vergangenheit die Gebrechen unserer Einrich tungen viel schroffer, nackter zu Tage traten, als während der leßten Kriege. Es war vielmehr der persönliche Ausdruck einer erhabenen Humanität, welche erkannte , daß die höchsten Anforderungen an die Person des Bürgers im Kampfe für das Vaterland nur getragen werden durch die höchsten Gegen leistungen für das Wohl desselben , daß kein Menschenleben unnüß geopfert werden darf: so ist der Entwickelungsstand des Militair - Sanitäts Wesens der Maßstab für die Werthschäßung , dessen sich das Leben des Individuums im sittlichen Staate zu erfreuen hat. — Ein besonderes Glück aber war der Umstand , daß die Militair-Medicin ein Theil jenes großen Ganzen ist , wo man zum Zweck einer Verbesserung kein Bedenken trägt, das Unhaltbare rückhaltlos fallen zu laſſen. - Die Reform des Militair-Sanitäts -Weſens iſt der Ausfluß deſſelben Geistes, der die ganze Heeres-Reorganiſation ſiegreich durchseßte , und der früher durch die Neu bewaffnung mit dem bespöttelten Zündnadelgewehr die Umwälzung der älte ren Kriegskunst einleitete. Auch hierbei brach man mit ehrwürdigen Ueber ――― Ein daß es geschah, kann nur kleine Geister beunruhigen . lieferungen anderer Umstand in der Organisation des Militair-Sanitäts -Weſens verdient aber als besonders fördernd für seine ganze bisherige

und künftige Ent

wickelung maßgebend betont zu werden : die Leitung desselben durch eine wirklich sachverständige

Spiße , einen Arzt , die in Preußen

bereits so lange beſteht, daß ſie thatsächlich eine Altpreußische Tradition iſt. -Doch zur Sache ! Es liegt , entsprechend der Knappheit des bemeſſe= nen Raumes, nicht in der Absicht, eine vollständige Entwickelung des Sanitäts wesens des Preußischen Heeres im Einzelnen zu geben.

Wer sich für Einzel

heiten auf diesem Gebiete intereſſiret , findet einen reichen Stoff in dem be kannten Buche von Richter : „ Geschichte des Medicinalwesens der Königlich Preußischen Armee ".

Ich muß mich darauf beschränken , unter Verwerthung

der thatsächlichen Angaben desselben , in meiner Darstellung an gewiſſe Ent wickelungsphasen anzuknüpfen, wie ſie in einer Reihe uns erhaltener reglemen tarischer Bestimmungen firirt sind , und dabei eine kurze Uebersicht des jewei ligen Standes der Vertreter des Sanitätsdienstes zu geben.

Nur insoweit

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätsweſens .

127

die Vergangenheit zum Verſtändniß der erreichten Ziele und der Bestrebungen der Jehtzeit dient, soll sie herangezogen werden. In erster Linie wird es immer der Sanitätsdienst im Felde sein, welcher das Interesse des Offiziers in Anspruch nimmt, und den jedesmaligen Stand punkt des Sanitätswesens kennzeichnet. Die Entwickelung desselben war im 18. Jahrhundert eine so außerordentlich niedere, daß es sich kaum verlohnen würde, darauf hier einzugehen.

Selbst ein Geiſt, wie der des großen Friedrich,

dem die Mängel der damaligen Einrichtungen vollkommen bewußt waren, ver mochte hier nichts Wesentliches zu bessern. Es fehlte vor Allem an einem ge= eigneten Perſonal , aus dem sich etwas machen ließ. Es war eben , wie sich der König nach den traurigen Erfahrungen des Bayerischen Erbfolgekrieges, dessen Mißerfolge er wesentlich den ſanitären Einrichtungen zuschrieb , herbe genug ausdrückte , ein großer Theil dieses Personals „nur lauter unbrauch bares und unwissendes Zeug". *) ― Die Lage der Verwundeten und Kranken war bis dahin entſeßlich gewesen .

Der erste Schritt zu einer huma

neren Geſtaltung dieſer Verhältniſſe geſchah durch das Königlich Preußische Feld -Lazareth - Reglement vom 16. September 1787. Wir finden nach demselben an der Spitze des Militair - Sanitäts- Dienstes ein Haupt Feld -Lazareth - Collegium , bestehend aus einem „einſichtsvollen , recht ſchaffenen und thätigen " Stabsoffizier als Lazareth - Director , dem General ſtabsmedicus und erstem General- Chirurgus . Ersterem waren die ökonomischen Beamten, dem ersten Arzte die Aerzte und Apotheker, dem ersten Chirurgen die Wundärzte untergeordnet.

Unter Umständen trat noch dazu ein Rath des

Feldkriegscommissariats mit Sitz und Stimme. Umgekehrt waren auch die beiden Mediciner wirkliche Mitglieder dieser Behörde, und sollten ihre Forde rungen in Lazarethangelegenheiten vorzüglich berücksichtigt werden. - Gleiche, aber dem genannten untergeordnete Collegien standen an der Spiße der deta Hirten Feldlazarethe . Die ökonomische Seite leitete ſelbſtſtändig ein Deko nomie- Director , dem mehrere Lazareth - Lieutenants oder Oberinspectoren zur Verfügung standen.

Man unterschied im Kriege stehende und bewegliche

Feldlazarethe; erstere mußten möglichst in größeren Städten errichtet werden, lettere sollten dem Heere folgen.

Man rechnete auf 100,000 Mann 10,000

Kranke, eine Zahl, die aber „nach Beſchaffenheit der Epidemien und Bataillen fich auf 20 und mehre Tausend belaufen kann". (a. a. D. p. 52.) Nach Anordnung und Vorschrift des Arztes und Wundarztes mußte der Dekonomie Director die Krankenhäuser wählen und einrichten. Wir finden in jener alten Instruction sehr verständige Winke in Betreff der zu beobachtenden Gesichts punkte. So wird namentlich eine gute Ventilation empfohlen. Für dieselbe wurden eigene Ventilationsröhren aus Blech mitgeführt, um sie durch die Wände der Zimmer zu leiten.

Die Luft mußte dreimal täglich durch Oeffnen derselben

*) Preuß, Friedrich der Große, Bd. IV. p. 234 ff.

128

Militairische Jahresberichte für 1874.

gereinigt werden .

-

Zu demselben Zwecke wurde befohlen , alle Defen in

Camine zu verwandeln, Löcher in die Wände zu machen u . s . w. Kurz, man sieht, der Verfasser hatte sich die Erfahrungen der früheren großen Kriege wohl zu Nuße gemacht . In dem Entwurf war auch die Verpflegung reichlich bedacht, Wein wird als Stärkungsmittel empfohlen , und die Rubriken der „ Speise -Tabelle " weisen Bier, Kaffee, Tabak und Schnupftabak auf. Weiterhin gab es bewegliche Feldlazarethe , welche für die erste Aufnahme der Verwundeten berechnet waren . Sie erhielten ihre Befehle vom ersten Befehlshaber oder der Adjutantur.

Der General - Chirurgus , den wir

bereits als Mitglied der Haupt-Feld -Lazareth- Direction kennen gelernt haben, führte die Aufsicht über diesen Körper. Letterer war durch zahlreiches Per sonal und Material ganz entsetzlich schwerfällig . Er zählte allein 80 Unter wundärzte, 50 Krankenwärter u. s. w. Das Lazareth hatte sich beim Ver pflegtrain zu halten, um Alles für die Verwundeten Nöthige bei der Hand zu ―― Die bei den Truppen befindlichen Regimentswundärzte mußten

haben.

die Leichtkranken zunächſt in den Krankenzelten behandeln, nicht in die Lazarethe schicken .

und durften ſie

Für den Transport der Schwerkranken gab

es bei jedem Regiment einen eigenen , verdeckten , auf 8 Mann berechneten Krankenwagen, über den der Wundarzt allein verfügte. wundete sollten

auf Brod- und Proviantwagen

Leichtkranke und Ver

befördert werden.

Das

Sanitätspersonal des Heeres sezte sich aus ganz verschiedenen Elementen zu sammen. Aerzte im heutigen Sinn gab es überhaupt noch nicht. - Es be stand nämlich in der medicinischen Wissenschaft der damaligen Zeit eine scharfe Trennung zwischen eigentlichen Aerzten (Medici) , die sich lediglich mit den inneren Krankheiten und den theoretischen Fächern befaßten, und deren Bildung allein eine gelehrte im Sinne der damaligen Zeit war , und zwischen bloßen Chirurgen oder Wundärzten.

Von letteren entwirft A. v . Gehema im Jahre

1690 eine Schilderung , die man ergöglich nennen könnte, wenn sie nicht so traurig wäre.

Noch nach 100 Jahren paßte dieselbe vollkommen auf die Ver

hältnisse im Preußischen und in andern Heeren. Seitdem nämlich auf dem Concil zu le Mans im Jahre 1247 den Mönchen die Ausübung der Chirurgie untersagt war , wurde diese Kunſt ein Theil des Barbier- und Baderhandwerks ,

welches Jahrhunderte lang nicht

einmal als ehrlich galt , während die eigentliche (innere) Medicin Gegenſtand einer gelehrten Univerſitätsbildung ward und blieb. - Bis zum Jahre 1811 bestand diese Vereinigung von Bader- und Chirurgenthum, welche den Auf schwung der Chirurgie auf Jahrhunderte gehemmt hat. Früher mußte Jeder, der als Chirurg practiſiren wollte , gleichzeitig eine Barbierstube halten. Mit dem Aufgeben letzterer ging er seiner Gerechtsame verlustig .

Diese Barbier

stuben waren die Bildungsstätten der künftigen Militair - Chi rurgen. Nach Gehema's Darstellung verstanden solche Lehrlinge nach mehr jähriger Lehrzeit, während deren sie auch zu den häuslichen Geſchäften , wie

Entwickelung und Fortschritte des Preuß . Militair-Sanitätswesens.

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Waſſerholen , Kinderwiegen u . s. w. herangezogen wurden , nur barbieren, Pflaster streichen und lügen. Jedenfalls war ihr Bildungsgrad nicht an näherud der eines jezigen Lazarethgehülfen.

Ein solches Geschlecht verſorgte

die Armee mit dem Sanitätsperſonal, und nur die Spißen waren gebildete Leute, wirkich studirte „ Mediker " . Allein selbst die höchsten Chirurgen, welche neben ihnen an der Spiße des Sanitätswesens standen , hatten alle, zwar nicht von der Pike , wohl aber vom Barbierbecken an gedient. - Es wurden nämlich seit 1727 den Begabteren unter den Feldscheeren eine beson dere Weiterbildung zu Theil , indem sie die Vorlesungen des im Jahre 1724 zu Berlin errichteten Collegium medico - chirurgicum besuchten und im Charité-Krankenhaus als „ Pensionäre " praktische Erfahrungen sammelten und operiren lernten. Mit ihnen fast ausschließlich wurden die Regiments -Feld scheer- Stellen beseßt. Leßtere nahmen dann wieder Lehrlinge in's Haus, und wurden diese nach längerem Unterricht als Compagnie - Feldscheerer angestellt. - Von den außerordentlich geringen Anforderungen, wie sie diese Verhältniſſe zeigen, mußte man im Kriege noch Abstand nehmen, blos um den Bedarf zu decken. Man stellte dann allerlei zusammengelaufenes Gesindel des In- und Auslandes als Feldscheer an. - Uebrigens darf nicht vergessen werden , daß aus der bevorzugten Schule der Pensionäre bedeutende Männer hervorgingen, von denen ich nur Theden, Mursinna, Görcke und Wiebel nennen will. Dieser persönliche Entwickelungsgang selbst der höchsten Spißen des Sanitätswesens der Vergangenheit dürfte aber für die Erklärung mancher Eigenheiten und Erscheinungen der sachlichen Entwickelung nicht ohne Bedeutung gewesen sein . Außer den Deutschen gab es noch eine Anzahl Französischer Pensionäre, die, durch Friedrich II. aus Paris verschrieben , später nicht wieder ergänzt wurden, weil sie den Erwartungen nicht entsprochen hatten . Die für die mobile Armee nothwendigen „Feldärzte” endlich wurden theils den befoldeten Garniſonmedici entnommen , theils vom Collegium medico chirurgicum gestellt, welches schon im Frieden eine Anzahl tüchtiger Aerzte bereit zu halten verpflichtet war. Beim Ausmarsch hatte das Heer 4 Stabs medici und 18 Feldärzte, erstere als dirigirende Aerzte der detachirten ſtehen den Lazarethe. Die Feldärzte hatten die innerlich kranken Soldaten zusammenzulegen und zu behandeln. Auf Jeden derselben rechnete man 300 Kranke und 6 bis 8 Unterwundärzte. Die Gesammtzahl der Leßteren im Heere betrug 600. — Daß ein solches Personal keine geachtete Stellung im Heere genoß , liegt auf der Hand . Die Feldscheere konnten bis 1788 die Fuchtelstrafe erleiden. Selbst die bedeutendsten Männer an der Spiße des Standes waren dem Offizier gegenüber macht- und rechtlos , ohne soldatiſchen Rang und ohne Selbstständigkeit. So waren die Zustände, als die Rheincampagne begann.

――――――― Der ganze

schwerfällige und durch die complicirte collegiale Verwaltung gehemmte und 9 Militairische Jahresberichte 1874.

Militairische Jahresberichte für 1874.

130

beengte Zuschnitt des Feldlazarethweſens war für die bedächtige, streng ſyſte= matische Kriegsführung der Fridericianischen Zeit berechnet. Er zeigte sich der neuen Kriegführung der Französischen Revolutionsheere mit ihren raschen Be wegungen nicht gewachsen . - Der Mißerfolg war vollständig.

Das Preußische

Heer litt mehr durch Krankheit und schlechten Sanitätsdienst , als durch den Feind. ―― Als Lichtpunkt des grauenvollen Bildes menschlichen Elends er scheinen nur die heroischen Bemühungen des General- Chirurgus Görcke , der überall der Noth mit Rath und That abzuhelfen suchte. — Nach Beendigung des Krieges wandte dieser bedeutende Mann zunächſt sein Augenmerk auf die Perſonalfrage. Es mußte die Bildung der Militair ärzte gehoben werden. - Schon Gehema hatte vor 100 Jahren auf die Nothwendigkeit einer Vereinigung der Chirurgie mit der Medicin aufmerksam gemacht. Erst Görcke vermochte die Verwirklichung dieses Ge dankens durch Errichtung der „ Pépinière" zu Berlin im Jahre 1795 anzu bahnen. Aufgabe dieser Anstalt war die Bildung brauchbarer Medico - Chi rurgen für das Kriegsheer, Vervollkommnung der bereits im Heere dienenden Chirurgen und Bereithaltung eines Stammes für den Krieg. - Ihre Er richtung war einer der erfolgreichsten Schritte für die Hebung und Entwickelung der gesammten Medicin in Deutschland. - Einem Militairarzt war es somit vorbehalten , mit scharfem Blick die Vereinigung zweier bisher getrennter Zweige derselben Wiſſenſchaft zu einer Zeit als noth wendig zu erkennen, wo selbst bedeutende Gelehrte, wie Hufeland , dieſen Schritt für unausführbar erklärten . Es lag auf der Hand , daß die segensreiche Wirkung dieser Maßnahme nicht sofort zu Tage trat.

Lange Jahrzehnte erhielt sich ein Rest der früher

bis in die höchsten Stellen des Sanitätspersonals durchgeführten Scheidung in den erst 1852 zu Grabe getragenen Compagnie - Chirurgen. - Auch ent sprach die allgemeine Vorbildung der durch diese Schule gegangenen Militair ärzte anfangs noch nicht derjenigen, die man als Vorbedingung der Universi tätsbildung ansah, indem die Zöglinge nur die untern Klassen eines Gymna ſiums oder einer Bürgerschule beſucht zu haben brauchten. Der Feldzug 1806-1807 zeigte noch keine Fortschritte im Gebiete des Sanitätswesens.

In der Schlacht bei Jena war den ganzen Tag über kein

Preußisches Feldlazareth zu sehen , ebenso auf dem Marsche Blücher's

nach

Lübeck. Wahrhaft schrecklich waren die Folgen der Schlacht von Eylau .

Alle

Verwundeten , mehr als 18,000 an Zahl , wurden nach Königsberg geſchafft, verheerende Epidemien waren die Folgen, und allein 276 Dekonomie -Beamte fielen als Opfer. *) Mit Jena war das alte Heer zusammengebrochen. Auch das Sanitäts wesen nahm an der Neugestaltung seinen, wenn auch bescheidenen , Antheil.

*) Richter, Geschichte des Medicinalwesens der Kgl. Preußischen Armee, p . 344.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß . Militair- Sanitätswesens.

131

Wichtig ist zunächst die Aufhebung der Haupt- Feld - Lazareth - Direction. In der Person des bewährten General - Stabs - Chirurgus Görde vereint sich so mit zum ersten Mal die technische Leitung des Sanitätswesens, die er bisher mit den Vertretern anderer Dienstzweige theilen mußte. -Für die im Jahre 1809 nur 42,000 Mann starke Armee wurden , entsprechend der Zahl der Brigaden, 6

fliegende " Feldlazarethe errichtet , an deren Spiße ein

Regiments - Chirurg mit dem Titel Oberstabschirurgus stand.

Außerdem gab

es für jede Division ein Hauptlazareth mit einem General- Chirurgus als Leiter. - Diese ärztliche Leitung - und darin liegt der wesentliche Fort schritt, ― bezog sich nicht blos auf die ärztliche und pharmaceutische Seite, sondern auf Alles , was das Lazareth betraf, auch auf Verpflegung , Rech nungswesen und , ausdrücklich bemerkt , auf die Disciplin. - Es muß auf fallen, daß dieser Grundsaß, der also schon im Beginn unseres Jahrhunderts anerkannt wurde, in späteren Jahren keine Weiterentwickelung gefunden hat. Daß der Versuch mit der Durchführung desselben im Jahre 1813 nicht zu friedenstellende Erfolge zeigte , konnte nicht gegen das Princip selbst sprechen, da dem Perſonal damals die Vorbedingungen zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht gegeben waren.

Dies erklärt, warum man in jenem Jahre wieder von

dieser Neuerung Abstand nahm . Es wurden daher jedem fliegenden Feld lazareth ein, und jedem Hauptlazareth drei Offiziere mit dem Titel Comman= danten beigegeben, die jedoch nur über die Disciplin zu wachen hatten . Die Verwendbarkeit der Lazarethe als solche war dadurch, wie die nächsten Jahre erwiesen, keineswegs gehoben. Die enormen Anforderungen, welche die Freiheitskriege an die Zahl des Sanitätsperſonals stellten, nöthigten abermals zur Aufnahme von allerlei Elementen, deren wissenschaftliche Leistungen und Bildung durchaus unzu reichend war. Ein vierzehntägiger Unterricht über Verbandgegenstände, Salben und Pflaster genügte, um eine Anstellung als Lazareth- Chirurgus zu erhalten. - Viele aus dem civilärztlichen Stande zogen es vor , statt ihre Kenntniſſe der Krankenpflege zu widmen, mit dem Schwert in der Hand zu kämpfen so wenig gesucht war eine auch nur zeitweise Zugehörigkeit zu dem zuſammen gewürfelten Sanitätsperſonal der damaligen Zeit. Es bedurfte eines eigenen Erlasses des Kriegs - Departements vom 16. Juli 1813 , um den kämpfenden Aerzten diese nicht minder wichtige und verdienstvolle Thätigkeit an's Herz zu legen *) --*) Publicandum , Haude- und Spener'sche Berliner Nachrichten 2c. vom 12. Auguſt (Nr. 96.) „Mit dem braven Willen , für König und Vaterland , kann jeder Jüngling ſich „durch eine kurze Vorbereitung zum Vertheidiger, zum activen Krieger geschickt machen . " Aber weit längere Vorbereitungen , weit mehr Mühsamkeit und Zeit, „selbst natürliche Anlagen gehören dazu , wenn junge Leute sich zu dem ehrenvollen „ Beruf ausbilden wollen, dem kranken und verwundeten Krieger Leben und Gesundheit ,,zu erhalten. Ein gleiches Verdienst , wie der tapfere Krieger selbst, er „wirbt sich unstreitig der Mann , welcher den tapfern Krieger von den Pforten des 9*

1813.

132

Militairische Jahresberichte für 1874.

Sehr wichtig für die Entfaltung des Reſervelazarethweſens war die Er richtung von Provinciallazarethen mit nicht militairischen Aerzten und Be amten, in die Verwundete und Kranke aus den fliegenden und Haupt - Laza= rethen evacuirt wurden.

Ende des Jahres 1814 standen dem mit der Ober

aufsicht dieser Lazarethe betrauten Gräfe bereits 124 derselben zur Verfügung. Zum ersten Male organisirte sich auch die freiwillige Hülfe in Frauen vereinen und Wohlthätigkeitsanstalten aller Art. - Kurz, es geschah das Möglichste.

Troßdem hat das Feldfanitätswesen , als organisches Ganze be

trachtet , kein glänzendes Blatt in der Geschichte der Freiheitskriege. — Es fehlte an einheitlicher Leitung, an hinreichender Beweglichkeit und Schnelligkeit der Lazarethe ; ebensowenig genügte ihre Anzahl , denn was vermochten neun fliegende Lazarethe bei 180-200,000 Mann ? - Vor Allem ermangelten die nöthigen Transportmittel , wie Krankentragen und dergl. Ebensowenig gab es eigene Trägercompagnien. -An der ersten Hülfe auf dem Schlacht felde waren die Lazarethe wegen ihres schwerfälligen Vorrückens nicht bethei ligt, dieselbe fiel lediglich den Truppenärzten zur Last , die vereinzelt , nicht auf Verbandplägen vereint,

ohne jedes Material, da die Medicinwagen faſt

nie zur Hand waren , den Verhältnissen ohumächtig gegenüber standen.

So

mit können die Schilderungen des entsetzlichen Jammers nach der Schlacht bei Leipzig nicht befremden , welche uns Reil, Gneisenau und Stein hinter lassen haben. *) Die unverwischbaren Eindrücke des Looses der Verwundeten nach der Völkerschlacht veranlaßten den Prinzen August von Preußen zu dem Vorschlag, Kranken - Transport - Compagnien zu errichten .

Man schritt zur

Verwirklichung dieſes Gedankens, indem im Januar 1814 die Errichtung von 12 solcher Compagnien zu je 120 Köpfen angeordnet wurde. Wieder war es Görcke, auf deſſen Rath die Ausrüstung mit Tragen, Tragfeſſeln, Krücken und Bandagenbeuteln stattfand. Eigenes Fuhrwerk wurde erst in Aussicht genommen. ― Allein noch ehe diese Einrichtungen vollendet waren , geschah der Einmarsch in Paris und die Beendigung des Krieges . In Folge deſſen wurde bereits am 22. Juli desselben Jahres die Auflösung dieser Truppen körper befohlen. So war die Geschichte des Feldsanitätsweſens um ein trauriges Blatt reicher. Seinen Vertretern blieb nur der Trost, daß dieses Mal lediglich die „Todes zurückruft, ihm Gesundheit und den Gebrauch seiner Glieder wiedergiebt, ihn ,,dem Staate und seinen Angehörigen erhält. Auch geschieht dies nicht selten mit „Aufopferung seiner eigenen Gesundheit , wie die Sterbelisten darthun, welche die „Todesfälle so mancher wackeren Aerzte und Wundärzte in den Hoſpitälern anzeigen. „Seine Majestät haben Allerhöchst diese gleichen Ansprüche aner „kannt u. s. w . u. s. w. *) Stein schreibt : (Leben , B. III . p. 436) „Tausende erlagen den Qualen der Wunden, dem Hunger und Durst bei Tage , dem Frost der kalten Octobernächte , ehe es gelang, fie in eilig geschaffene Spitäler zu bringen. Und weit entfernt, gerettet zu sein, waren sie hier für namenlose Leiden aufgespart." Von Preußischen Lazarethanstalten betheiligte sich, soweit bekannt , nur ein ein ziges , das fliegende Feldlazareth Nr. 3, am Tage von Leipzig. (Richter, a. a. D. p . 362.)

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätsweſens.

133

Mängel der Einrichtungen und Dispoſitionen die Schuld trugen, nicht die un genügende Leiſtung des Einzelnen. Namentlich die Truppenärzte zeigten sich der höchsten Anerkennung würdig. *) Nicht wenige derselben besiegelten ihre Treue mit ihrem Blute. ――――― Es trug daher kein Commandeur Bedenken , den Aerzten , deren gleiche Ansprüche mit den tapfern Kriegern ausdrücklich ausgesprochen war, **) die eherne Medaille für Combattanten auszuhändigen. - Allein 1815 wurden die so Geehrten genöthigt, dieselbe wieder abzulegen, und mit der neugestifteten eisernen Medaille für Nichtcombattanten zu ver tauschen, welche selbst diejenigen erhielten, die 1815 nur an den Rhein marſchirt waren, ohne den Feind gesehen zu haben. ***) Neben den Leistungen der Truppenärzte verdienten auch die der Provin ciallazarethe eine ehrende Anerkennung, freilich nur die Norddeutschlands, wo bei die opferfreudige Begeisterung der Bevölkerung schwer in die Wagschaale fällt. Nach Gräfe starben in den seiner Obhut anvertrauten Lazarethen nur 8 Procent, während nach Dorow im Herbst 1813 in Süddeutschen Spitälern der dritte und vierte , ja in einzelnen der zweite Mann starb . Somit war das Krankenhaus dort etwa 4-5 mal mörderischer, als eine Schlacht. ****) - Das Jahr 1815 sollte ebenfalls kein glückliches für das Feldsanitätsweſen sein.

Der Krieg brach wieder aus, als die Mehrzahl der Preußischen Laza

rethe in der Auflösung begriffen war . Bei Ligny und Waterloo wiederholten sich die traurigen Bilder völlig unzureichender ärztlicher Hilfe ―――― wieder traten auch hier lediglich die Truppenärzte rettend ein.

Nur nach der Schlacht von

Waterloo war ein fliegendes Feldlazareth thätig , indem es gegen 1000 bei Ligny Verwundete sammelte und rückwärts schaffte. ―――― Troß der heroischen Anstrengung der Aerzte blieben, wie Kieser mittheilt, viele Schwerverwundete nach dem Kampfe des 18. Juni 6 bis 8 Tage ohne den ersten Verband. Nach Beendigung der Freiheitskriege finden wir überall die Zeichen der Erschöpfung - auch im Militair - Sanitätswesen ist lange Jahre nichts von Bedeutung zu verzeichnen .

Das neue Reglement vom 14. April 1831 war

eher ein Rückschritt , indem es , statt die Lazarethe einer einheitlichen Leitung zu unterstellen, die commiſſariſche Dreieinigkeit beibehielt und sämmtliche La zarethe dem betreffenden Intendanten des Armee- Corps unterordnete.

Das

*) Am 2. August 1814 hielt Fürst Blücher die Festrede am Stiftungstage der Pépi miere, worin er den Preußischen Militairärzten und Görcke das reichste Lob spendete. Zwei Jahre später wiederholte er bei der gleichen Gelegenheit seine warme Anerkennung in den herzlichsten Worten. (cf. Preuß. Das Königl. Preuß. med. chir. Friedr.-Wilh. Institut 2c. Berlin 1819, p. 105 ff. und 112 ff.) **) cf. Aufruf vom 16. Juli 1813. Anmerkung auf S. 131. *** Dagegen erhielten die Truppenärzte der Freiheitskriege das eiserne Kreuz am schwarzen Bande. Dem Compagnie Chirurgus Lange (22. Infant. - Regiment) wurde für persönliche Tapferkeit das eiserne Kreuz 1. Kl. zu Theil. (Richter. a. a. D. p. 160.) ****) In einem Lazareth auf der Plassenburg bei Bayreuth starben angeblich von 1151 Kranken 442 , (über 38 Procent) , in Bamberg von 2412 Kranken 707 (29 Pro cent). ---- Namentlich entsetzlich waren die Lazarethe in Nassau. Die dortige Hospitalver waltung wird „ruchlos und elend“ genannt. (Richter, a. a. D. p. 359.)

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Perſonal stand dabei , entsprechend ſeiner Zuſammenſeßung , vollkommen ge trennt unter besonderen Befehlsinstanzen : dem Corpscommandeur, dem General Arzt und dem Intendanten. Im Jahre 1834 erschien ein neues Reglement :

„ Vorschriften über den

Dienst der Krankenpflege im Felde bei der Königlich Preußischen Armee". Neu ist darin die Schöpfung eines „Feldlazareth- Stabes " bei jedem Arinee Corps , welchem je drei leichte und drei schwere Lazarethe unterstellt waren. Derselbe bestand aus drei Mitgliedern :

dem Capitain , dem Oberſtabsarzt,

dem Ober-Feldlazareth-Inspector. Der Hauptfehler einer vielköpfigen Spite wurde also nur weiter entwickelt und bestand im Kleinen bei jedem Lazareth fort. Die leichten Feldlazarethe sollten sich an die 1. und 2. Infanterie-, sowie an die Cavallerie - Diviſion anschließen , das 1. schwere Lazareth aber dem Corps so folgen, daß es nur einen Tagemarsch von dem ihm attachirten leichten zurückblieb . nachfolgen.

So bald als möglich sollten dann die beiden übrigen

Die leichten Lazarethe zerfielen wiederum in eine fahrende Ab

theilung und in ein Depot ; erstere sollte unmittelbar auf dem Schlachtfelde wirksam sein , lezteres in der Nähe sich etabliren und die Verwundeten bis zur Ankunft des ablösenden schweren Lazareths behandeln. Die Ausstattung mit schweren , unpraktisch gebauten Wagen und einem Material, dem Nothwendiges fehlte und viel Unnüßes hätte fehlen können, war der ganzen, übrigens von Nichtſachverständigen ausgegangenen Schöpfung entsprechend. ― Im Jahre 1844 wurden wiederum die drei schweren Feld Lazarethe in ein Hauptlazareth vereinigt , sonst aber nichts Wesentliches ge ändert. Die nun folgenden Kriege in Schleswig und Baden bewegten sich in zu kleinen Verhältnissen, um als Probe für die Organiſation des Sanitätsweſens dienen zu können. Im ersten Dänischen Feldzuge (1848) wurde überhaupt kein Feldlazareth mobil gemacht . Doch gebot bald die Noth eine schleunige Sendung von Aerzten und Lazarethperſonal und Material.

Auf diese Weise,

sowie durch Betheiligung civiler Kräfte konnte man der Verhältniſſe Herr werden. Im zweiten Feldzuge (1849) finden wir ein einziges mobiles Preußisches Feldlazareth , daneben aber eine große Thätigkeit der Hannover schen und Schleswig-Holsteinſchen Aerzte. Noch weniger geltend machte sich der amtliche Preußische Sanitätsdienst in Baden. Dennoch sollte der Dänische Krieg von großer Bedeutung sein : es schreibt diejenige, sich von daher gewissermaßen eine neue Zeit der Kriegschirurgie welche auf eine möglichste Erhaltung des zerschmetterten Gliedes gerichtet ist. Erster Vertreter derselben war Langenbeck, indem er die Gelenkreſectionen für die Kriegsverletzungen nußbar machte. ―― Im Jahre 1848 trat zu Berlin eine Commission zusammen , um die Reform des Militair -Medicinalwesens zu berathen. Irgend welchen Einfluß auf das Fortschreiten der Entwickelung hatten zunächst ihre Vorschläge nicht.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß . Militair-Sanitätswesens .

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Die Mobilmachung 1850 brachte viele Mängel zu Tage : die Fahrzeuge, zum Theil noch aus den Freiheitskriegen stammend, waren alt und unbrauch bar, die Trainfahrer , entsprechend der damals so mangelhaften Organiſation des Fuhrweſens, völlig unerfahren und oft körperlich nicht leiſtungsfähig, die Krankenwärter ein nicht aus dem Soldatenstande, sondern aus der Heefe des Volks hervorgegangenes gemiethetes Geschlecht , vor dessen Hülfe bewahrt zu sein, man nur Jedem wünschen konnte . An hülfsärztlichen Kräften fehlte es durchaus. Wesentlich für das Sanitätswesen war daher die Umgestaltung des Trains durch die Cabinetsordre vom 12. April 1852 und die vom 29. April 1852 ſtammende Ordre, daß nunmehr jährlich für jedes Armeecorps zwanzig dienstpflichtige Soldaten als militairische Krankenwärter ausgebildet werden ſollten. Ehe wir diese Zeitperiode verlassen, müssen wir noch einen Rückblick auf eine Reihe von Veränderungen werfen , die einen wesentlichen Fortschritt des Sanitätswesens in den Jahren nach den Freiheitskriegen bezeichnen, sich aber vorwiegend auf das Personal deſſelben beziehen. Zunächst wurden allmählich die Anforderungen an die Qua lification der Aerzte gesteigert. Die Folgen der Freiheitskriege waren nämlich für die Ergänzung des ärztlichen Personals nicht glücklich gewesen. Während sich in der Gesammtwiſſenſchaft die Vereinigung der Medicin mit der Chirurgie nur langsam vollzog , blieb in dem Heere die schroffe Schei dung zwischen oberen und unteren Chargen in Betreff der Bildung und Er gänzung fortbestehen .

Die Compagniechirurgen bildeten ein selbst im Volke

berüchtigtes Proletariat des Heeres ; fie galten als die Vertreter Unwissenheit, Liederlichkeit und Gemeinheit".

der größten

Um nämlich nur den Bedarf

zu decken , hatte man sich genöthigt gesehen , ein rohes und ungebildetes Per ſonal aus allen Deutschen Gauen als Compagniechirurgen anzustellen.

Ein

Theil war nothdürftig auf den im Jahre 1822 errichteten Provincial-Chirur genschulen abgerichtet worden. ― Während also hier zunächst die Ansprüche an die Bildung des Unter personals nicht gesteigert worden waren - eher das Gegentheil - sehen wir bei den aus der Pépinière hervorgegangenen , für die obermilitairärztlichen Stellen bestimmten Aerzten einen höheren Maßstab der wiſſenſchaftlichen Bil dung und Vorbildung angelegt. Die Anstalt selbst , nunmehr medicinisch፡ chirurgisches Friedrich - Wilhelms - Institut genannt, hatte mit der Zeit fortschreiten müssen , um neben der im Jahre 1809 errichteten Univerſität zu Berlin bestehen zu können ; allmählich vollzog sich in ſofern eine Vereinigung beider, als keine besonderen Lehrkräfte für das Inſtitut mehr berufen wurden, ſondern die der Univerſität gleichzeitig von den Militairzöglingen und Civil studenten benutzt wurden. Die Vorbedingungen für die Aufnahme der Zög linge wurden eben so gesteigert, wie die für die Beförderung der Pensionär

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Militairische Jahresberichte für 1874.

ärzte zu Stabsärzten des Heeres ; Erstere mußten Abiturienten eines Gyin nasiums, Lettere promovirte Doctoren der Medicin sein. Durch die Cabinetsordre vom 28. Juni 1825 und die dadurch sanctio nirte Claſſification des ärztlichen Perſonals , sowie das Prüfungsreglement vom 1. December 1825 fiel endlich jede Schranke der wissenschaftlichen Vor bildung für Civil- und Militairärzte.

Es gab keinen „ Curfus für die Armee"

mehr, wodurch früher junge Leute von zweifelhafter Bildung als Compagnie chirurgen abgerichtet wurden. Wohl aber bildeten die civilen Chirurgenſchulen immer noch Wundärzte 1. und 2. Klaſſe weiter. Erst im Jahre 1852 wur den auch diese aufgehoben. Die Aerzte , deren Bildungsgang nach jener Zeit begann , gleichgültig , ob dem Civil- oder Militair stande angehörig , haben somit mit dem zu Grabe getragenen „ Schellenthum “ absolut nichts mehr gemein - fie find promovirte Aerzte *) und haben sämmtlich nach 4- bis 5jährigem Univerſitätsſtudium ihre Staatsprüfung gemacht. Schon 4 Jahre früher, 1848, hatte das Justitut der Compagniechirurgen nach 200jährigem Bestehen sein Ende gefunden. Die Cabinetsordre vom 25. Juli 1848 schied das hülfsärztliche Personal in Aſſiſtenz- und Unterärzte und bahnte, indem von nun an nur promovirte Aerzte als erstere angeſtellt wurden , die völlige Verschmelzung des ärztlichen Sanitätsperso nals au, die sich in den weiteren Jahren durch den allmählichen Abgang der noch überkommenen niederen Elemente vollzog. Die wenigen Unterärzte, welche seitdem nicht blos vorübergehend in der Armee Verwendung fanden, waren nur solche Zöglinge der militairärztlichen Bildungsanstalten , die bei den Prüfungen Schiffbruch gelitten und der Dienstverpflichtung nachzukom men hatten, welche sie durch die Erziehung auf den militairärztlichen Bildungs Anstalten auf sich genommen . So war der folgenschwerste Schritt für die Hebung des Gesammtſtandes und die spätere Organiſation eines einheitlichen Offiziercorps geschehen - ein unvergeßliches Verdienst des Mannes , deſſen Vorschläge der Allerhöchsten Entschließung zu Grunde lagen. Ermöglicht wurde die Beseitigung der Compagniechirurgen nur dadurch, daß ein Unterpersonal für den niederen Theil des Sanitätsdienstes herangebildet war, der mit der Thätigkeit eines Heilgehülfen zuſammenfällt. Dies geschah durch die Schöpfung des Standes der Lazarethgehülfen. **) Es wurden

* ) Erst in Folge des neuen Gewerbegesezes ist die Promotion zum Doctor medi cinae nicht mehr obligatorisch, sondern facultativ für den ausübenden Arzt. Nur die Staatsprüfung blieb ersteres. Einen besondern Werth hat ſomit dieser Titel für den Arzt nicht mehr, indem damit nicht eine höhere wissenschaftliche Befähigung , son dern nur die formelle Anwartschaft auf die meist nicht eingeschlagene Docentenlaufbahn gegeben ist. Die Militairärzte könnten diesen Titel um so eher entbehren , je herkömm licher es in der Armee ist , im und außer Dienst nur den militairischen Rang zur Anrede zu benußen. Die Anrede „ Herr Doctor" kann unter Umständen wie eine Belei digung klingen. **) Cabinets -Ordre vom 17. April 1832.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens .

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dazu besonders geeignete Personen aus dem activen Dienſtſtande ausgewählt und durch einen von Militairärzten ertheilten Unterricht , sowie durch den praktischen Dienſt in den Lazarethen soweit herangebildet, daß sie als ärztliche Handlanger brauchbar waren. Dieses Corps stellt somit im Grunde genom men das dar , was in anderen Heeren consequenter Weise als Sanitäts soldat bezeichnet wurde ; es hat sich als durchaus entwickelungsfähig erwiesen, dürfte aber seinen Höhepunkt erst in der Zukunft erreichen. Doch davon weiter unten. Nicht minder wichtig war die Errichtung von je einer Krankenträger Compagnie für jedes Armeecorps im Fall eines Krieges . *)

Die Mann

ſchaften sollten der Reserve und dem ersten Aufgebot entnommen werden, die Compagnie aus 1 Hauptmann oder Rittmeister, 3 Lieutenants , 3 Aſſiſtenz ärzten, 203 Mann einschließlich 17 Unteroffizieren u. s. w . bestehen und 45 Tragbahren erhalten. Eine Dreitheilung , entsprechend den drei Diviſio nen des Armeecorps , war vorgesehen. Die ganze Organiſation wurde dem Commandeur des Trainbataillons untergestellt , doch sollte der Führer der Krankenträger den Requisitionen der Feldlazareth - Commissionen unbedingt Folge leisten. Eine besondere Instruction regelte den Unterricht durch die Aerzte und die praktischen Uebungen. Weiterhin suchte man eine militairärztliche Reserve für den Kriegsfall dadurch zu schaffen, daß den Civilärzten die Ableistung ihrer allgemeinen Dienst verpflichtung durch drei

oder einjährigen Dienſt als Aerzte gestattet wurde. ** )

Noch manche Veränderungen und Verbesserungen verdienten wenigstens erwähnt zu werden , wenn sie nicht zu sehr ins Beſondere gingen . Nur die Abschaffung eines Uebelstandes kann ich nicht übergehen , weil er die mora lische Stellung der Militairärzte hob und weil die Reform hier aus der Mitte der Letteren selbst hervorging . Es ist die Aufhebung des Medicingroſchens ”. So wie nämlich früher die Capitains gegen eine bestimmte Summe für die Verpflegung und Bekleidung ihrer Compagnien selbst zu sorgen verpflichtet waren, erhielt bis zum Jahre 1829 jeder Regimentsarzt u. s. w . monatlich, entsprechend der Kopfzahl des Truppentheils , einen Geldzuſchuß , für welchen er die Arznei den Kranken zu liefern hatte. Es ist erklärlich, zu welchen Mißſtänden eine solche Einrichtung führte und wie leicht daraus die schwer sten Verdächtigungen gegen die ärztliche Behandlung erwuchsen. Den un eigennützigen Bemühungen des Regimentsarztes Dr. Balz seit dem Jahre 1819 ist die Abschaffung dieses Mißbrauches zu danken , die eine bedeutende Ein nahmequelle der Aerzte vernichtete. ***) Cabinets -Ordre vom 21. December 1854. **) Cabinets Ordre vom 7. Auguſt 1820. ***) Unter Friedrich II. betrug diese Einnahme für einen Regiments-Feldscheer der Infanterie ca. 82, später sogar 106 Thaler monatlich. Diese Summe steigerte sich sogar noch 1808 und wurde z . B. während der Feldzüge 1813-1815 ausgezahlt , obgleich Ver wundete und Kranke auf Kosten des Staates in den Feldlazarethen Verpflegung fanden (Richter a. a. D. S. 170) .

Militairische Jahresberichte für 1874.

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Nach dieser Uebersicht der Fortschritte will ich nur doch kurz als Schluß stein der ganzen Periode das Reglement erwähnen , welches den damaligen Standpunkt bezeichnet : „Vorschriften über den Dienst der Kranken pflege im Felde " 2c. vom Jahre 1855 (ſanctionirt durch die Cabinets Ordre vom 31. Mai) . Das Hauptfeldlazareth wird darin beibehalten und ihm die dauernde Behandlung und Pflege der Kranken und Verwundeten angewiesen. Mittlerweile befand sich das Sanitätswesen der größeren Europäischen Staaten in einem, dem Preußischen entsprechenden, Zuſtande sehr langſamen Fortschreitens und theilweiser Stagnation. Da eröffneten die beiden Kriege in der Krim (1854-1856) und in Italien (1859) zum ersten Male nach langem Frieden einen schrecklichen Blick in die Folgen , welche diese Vernach lässigung der ſanitären Einrichtungen mit sich führte.

Die der Vernichtung

nahe Lage, in die das Franzöſiſche Heer durch diese Unterlassungsfünden ge rieth, ist zu allgemein bekannt, um hier näher darauf einzugehen . Mehr als der dritte Theil des Heeres erlag. *) Es steht fest, daß die wesentliche Schuld eine durchaus unfähige und allmächtige Verwaltung (die Intendance ) traf, der auch das Sanitätsweſen als völlig unfelbft ständige " Branche" untergeordnet war. Noch furchtbarer wurde die Englische Armee mitgenommen.

Hätte die

anfängliche, nach amtlichen Duellen berechnete Sterblichkeit so fortgedauert , so wäre das ganze Heer in 10 %, Monaten aus gestorben. ** ) Erst als die grauenhaften Zustände im Parlamente zur Sprache kamen, schritt man zu thatkräftiger Abhilfe und schnell besserte sich der Gesund heitszustand des Heeres . Den vereinten Bemühungen, an deren Spiße ein edles Weib, Miß Nightingale, stand, gelang es, die Sterblichkeit von 23 Pro cent auf 4 Procent zu vermindern. ***)

Daß die Aerzte in diesem Kriege ihre

Pflicht thaten , so weit es ihnen ihre unglücklich gebundene Stellung ermög lichte, dürfte aus ihren Verlusten hervorgehen : diese waren , procentariſch be rechnet , für die Französischen Aerzte größer als für die Offiziere. Dasselbe fand in der Russischen Armee statt, in der während des Feldzuges 382 Aerzte als Opfer ihrer Treue erlagen. — 11a Die Schreckensscenen wiederholten sich im Italienischen Feldzuge mentlich entseßlich war das Loos der Verwundeten . Unter dem mächtigen und frischen Eindruck dieser Erfahrungen entstand in Preußen das verdienstreiche Werk einer im Jahre 1860 berufenen gemiſch ten Commiſſion :

Reglement über den Krankendienst im Felde vom

*) Es fielen in den Schlachten 10,240 , während ca. 72,000 an verschiedenen Seuchen (Cholera, Typhus 2c.) starben. **) Cfr. Efert, Die Humanität im Kriege, S. 49. ***) Pirogoff, Bericht über die Besichtigung der Militair-Sanitäts-Anſtalten, 1871, S. 24.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß . Militair Sanitätsweſens .

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17. Mai 1863. - Diese Instruction bezeichnet einen wesentlichen Fortschritt in der Organiſation des Militair- Sanitätswesens .

Zunächst nahm die schwer

fällige commissarische Verwaltung und Leitung der Feldlazarethe ein Ende. Zwar blieb die Aufsicht über die verschiedenen Dienstzweige, aus deren Vereini gung die Wirsamkeit des Lazareths hervorgeht, eine getrennte , wie dies ja auch natürlich ist. Somit hatte der Corpsarzt den ärztlichen Dienst , der Corpsintendant die Dekonomie und Kaſſenverwaltung , das Traincommando, den Traindienst zu controliren.

Allein die einheitliche Leitung des

Ganzen zum Zweck des Krankendienstes wurde in die Hände eines „ Chefarztes " gelegt. Derselbe hatte den ganzen Dienstbetrieb beim Lazarethe anzuordnen und zu leiten.

Seine Anordnungen sollten für das

ganze Personal unbedingt maßgebend sein. Er hatte alle allgemeinen Dis positionen bei der Etablirung, Evacuirung, dem Aufbruch und den Bewegungen des Lazareths , sowie die Bestimmungen über die innere Lazarethordnung zu treffen und war als Dirigent für den prompten Geschäftsbetrieb verantwort lich (§. 21 ) . Unter seiner Direction (§. 17) war dem Lazareth-Train offizier der Befehl über den Train und die Handhabung der militairischen und policeilichen Ordnung übertragen.

Dem Chefarzt, dem Trainoffizier und

dem Lazareth-Inspector war die Disciplinargewalt über ihre speciellen Unter gebenen verliehen (§. 36), dem erſteren alſo nur die über Aerzte und Pharma ceuten. Leider hatte somit der Chefarzt, ganz abgesehen vom Trainperſonal, auch nicht über die Lazarethgehülfen und militairischen Krankenwärter irgend welche Disciplinargewalt , *) sondern mußte sich jedesmal zum Zweck einer Bestrafung dieses Personals oder der Kranken mit seinen Requiſitionen an den mit der Disciplinargewalt eines detachirten Bataillonscommandeurs aus gestatteten Trainoffizier wenden.

Wer die oft bedenklichen Elemente kennt,

aus denen das untere Personal der Lazarethe zusammengesezt ist, wird be greifen , wie nachtheilig eine solche Stellung der Aerzte auf ihre Autorität zurückwirkt. — Die Ressortverhältnisse waren in der Art geordnet, daß die Feldlazarethe eines Armeecorps unter dem Befehl des commandirenden Generals, und zwar die drei leichten zunächst unter dem betreffenden Divisionscommandeur ſtanden. Leider blieb gegenüber dieser scharfen Präcifirung der Befehlsinstanz noch eine Unklarheit beſtehen , indem die Befehle des Generals den Lazarethen entweder durch den Intendanten oder den Corpsarzt zugehen konnten. Die beiden lez teren mußten sich außerdem bei allen Maßregeln , welche beide Ressorts ge meinschaftlich berührten, erſt verſtändigen. Es gab je drei leichte (Diviſions-) und drei schwere (Corps-) Lazarethe.

*) Es ging dies Verhältniß hervor aus der Stellung der Aerzte als Beamte mit beſtimmtem Militairrang , als welche sie nicht zu den Personen des Soldaten standes zählten. Lettere aber Beamten zu unterstellen , widerspricht den Gebräuchen des Preußischen Heeres.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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Erstere zerfielen wiederum in fahrende Abtheilung ( Detachement) und Depot ; ihre Aufgabe blieb die früher bereits bezeichnete. Die schweren Lazarethe sollten die Kranken vom Depot oder auch direct von den Truppen übernehmen, indeß auch nur als Nothbehelfe für die Behandlung dienen (§. 12), und sich möglichst durch Rückwärtssendung der Kranken und Verwundeten (Evacuation) entlasten, damit sie rasch , eventuell unter Zurücklaffung einer der drei Sec tionen, in die sie theilbar waren, dem vorrückenden Heere folgen könnten. Neu ist die Stelle eines Feldlazareth- Directors zur Unterſtüßung des Intendanten und Corpsarztes , namentlich bei den als etablirt zurückge bliebenen und somit der unmittelbaren Einwirkung Jener entzogenen Laza rethen. Hier stellte der Lazareth- Director gewissermaßen den Vertreter des Corpsarztes dar. Das ärztliche Personal dieser 6 Sanitätskörper betrug für jedes Armee corps 7 Oberstabs- , 21 Stabs- und 54 Aſſiſtenzärzte , welche sämmtlich be ritten waren. Jedes Divisionslazareth war zur Aufnahme von 200 , jedes schwere für 4-600 Kranke und Verwundete eingerichtet. Dies ist in großen Zügen die Organisation des Feld - Sanitätsweſens, welche durch den Dänischen Krieg 1864 alsbald ihre Probe beſtehen sollte. Gleichzeitig aber machte sich ein neuer Factor auf dem Gebiete Krankenpflege geltend.

der

Die beredten Darstellungen eines Chenu, Dunand und

Appia von dem furchtbaren Elend der Verwundeten gaben nämlich den An stoß dazu, daß man auch in nicht militairischen Kreisen, von Mitleid bewegt, sich der Frage annahm, wie dem Loose der verwundeten und kranken Krieger abzuhelfen sei. Damit begann die Organisation und Thätigkeit eines neuen Factors Hülfe im Felde, -- dessen Entwickelung später dar freiwilligen der gestellt werden wird. *) Werfen wir, ehe wir die Ereignisse weiter verfolgen , einen Rüblick auf das Personal, welches für diese Einrichtungen zur Verfügung stand. - All mählich hatte sich Manches seit der Umgestaltung des Jahres 1852 gebessert. Allein je mehr die alten Elemente der unteren Chargen ausstarben , desto größer ward der Mangel an Aſſiſtenzärzten.

Von 477 Stellen waren Ende

des Jahres 1862 nur 311 beſeßbar geweſen. Darunter befanden sich noch 107 Wundärzte 1. Klasse, so daß es nur 204 Aſſiſtenzärzte der neuen Gene ration gab. -- Ein Uebertritt aus dem Civil fand nur ausnahmsweise statt. Noch hatte die militairärztliche Laufbahn wenig Verlockendes für Männer, die an das Leben höhere Anforderungen stellen zu können glaubten , als sie ihnen hier geboten wurden .

*) Schon während der Freiheitskriege bethätigte sich die Opferwilligkeit des Preußi schen Volkes auch nach dieser Seite. Die oben erwähnten Provincial - Lazarethe sind ein beredter Beweis dafür. Neu aber ist die Vorbereitung dieser Hülfe schon im Frieden durch eine entsprechende Organiſation, die einen internationalen Charakter trägt.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens .

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Der junge Assistenzarzt stand gewissermaßen verloren zwischen den übrigen militairischen Elementen. Die Unsicherheit in den dienstlichen und auch gesellschaftlichen Formen - denn es fehlte jede militairische Erziehung, das für jede feinfühlige Natur

drückende Bewußtsein einer unglücklichen

Zwitterstellung, die Unmöglichkeit, ein Standesbewußtsein zu nähren, wo noch ein großer Theil der Standesgenossen einer niederen Bildungs- und Gesell ſchaftssphäre angehörte , zwang dem jungen Arzt , der seine Kenntnisse dem Heeresdienst widmen wollte , eine reservirte Haltung auf, die ihren Schwer -und Stüßpunkt außerhalb seines militairischen Berufs suchen mußte. Der Militairarzt fand denselben in seiner civilen Thätigkeit als praktischer Arzt , der er den weitaus bessern Theil seiner Kräfte widmete. So entstand ein noch jest vertretenes Geschlecht ehrenwerther Praktiker , denen alles mili tairische Formenwesen eine Last war. Die Uniform, die im Dienst zu tragen, der Arzt meist nicht nöthig hatte , für den Offizier ein Ehrenkleid , erinnerte ihren ärztlichen Träger nur zu oft an die unfelige Halbheit seiner Stellung . Je feinfühliger er war, um so lieber mied er sie.

Die Empfindung der Un

sicherheit wurde dadurch noch gesteigert , daß er gegenüber den Mannſchaften, mit denen dienstlich zu verkehren doch sein täglicher Veruf war , ohne jede Autorität und Machtbefugniß dastand - er war nicht ihr Vorgesetter. So blieben auch kleine Kränkungen von unten her nicht aus . — Dazu eine ge fellige Stellung , die jedesmal erst auf den Trümmern von Vorurtheilen ge wonnen werden mußte ; beim Offizier trug und hob der Stand ſelbſt die weniger in denselben passende Persönlichkeit , beim Arzt mußte umgekehrt die Person den Stand heben. Kurz, es war kein Glück , und nicht einmal „ein glänzendes Elend ", Militairarzt zu sein. Nicht minder drückend war die ökonomische Lage, bedingt durch die färg lichste Besoldung, selbst der obern Chargen, und durch eine Beförderung, die nur traurige Perspectiven eröffnete. Mit dem Jahre 1857 war einem großen Theil, nicht blos der Wundärzte , sondern auch der approbirten Aerzte, jede über den Stabsarzt hinausgehende Laufbahn abgeschnitten, indem als Vorbe dingung für die Ernennung zum Oberstabsarzt mit Recht die Ablegung der Prüfung als Kreisphysikus aufgestellt ward. Viele ältere Praktiker, nament lich in den kleineren Garnisonen , wo wissenschaftlich - literarische Hülfsmittel ihnen nicht zu Gebote standen , fühlten sich diesen Anforderungen zu genügen nicht im Stande, namentlich auch aus Mangel an Zeit , sich vorzubereiten . So entstand ein Sie verzichteten damit auf jede weitere Beförderung. ―― Stamm alter, oft hochbetagter Stabsärzte mit Premier - Lieutenants - Rang und einem Gehalt, das nur für die älteren 20 Stellen 600, für weitere 38 500 Thlr. betrug . 77 erhielten 400 und 70 Stabsärzte 300 Thlr .; ja noch bis zum Jahre 1859 gab es Stabsärzte der Landwehrbataillone mit 240 Thlr. Gehalt! Da ein Abgang der höheren Gehaltsklassen faſt nur durch den Tod eintrat, gingen lange Jahre vorüber , che jene erreicht wurden , und

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Mancher starb, entsprechend der bekanntlich so kurzen mittleren Lebensdauer der Aerzte, darüber hin. Man war somit, wollte man überhaupt leben, auf die Privatpraxis an = gewiesen . Allein auch in Bezug auf dieſe hatten sich die Verhältniſſe durch aus geändert. Die zahlreichen Neuformationen und der damit verbundene Garnisonwechsel warf die Militairärzte vielfach umher , und mit jeder Ver sehung ging der Betreffende seiner Haupterwerbsquelle verlustig, seine Familie gerieth in die drückendste Noth. Es bedurfte neuer Anstrengungen, um ſich einen neuen Wirkungskreis zu schaffen. Oft ohne jeden Erfolg. Nament lich die westlichen Provinzen zeigten wenig Zutrauen zu den meist Altpreußi schen Militairärzten, von denen sie Sitte und religiöses Bekenntniß schied. Es muß Wunder nehmen, und spricht für die Ehrenhaftigkeit des Standes, daß die drückende Lage Vieler nicht tief demoraliſirend wirkte , zumal es an Verlockungen nicht fehlte. Auch in den alten Provincen war der Militairarzt als Praktiker nicht mehr, wie früher, gesucht. Auch hier griff der häufige Wechsel, die lange all jährige Abwesenheit auf Ersaßgeschäft, Manöver und dergl. , ja die in den Jahren politischer Kämpfe sehr entwickelte Abneigung gegen Alles , was dem Militair angehörte, höchst nachtheilig in die praktische Thätigkeit der Militair ärzte ein. Es war vielleicht für die Auffassung der bedrängten Lage der Meisten an maßgebender Stelle ein Unglück, daß man immer nur die relativ günstig gestellten Aerzte einzelner Garde- Garnisonen im Auge hatte. - Dieſe waren wenig oder nicht durch den Garnisonwechsel berührt worden, und ſind noch jezt von manchen Störungen ihrer Privatthätigkeit, wie Erſaßgeschäft 2c. befreit. Wirkliche Anziehungskraft für die militairärztliche Laufbahn bot nur die Möglichkeit, es bis zum Oberſtabsarzt zu bringen. Für Viele war dies , wie gesagt, nicht erreichbar , für Andere erst in vorgerücktem Alter , und nur die jenigen hatten ein verhältnißmäßig schnelles Fortkommen , welche , als Ober ärzte zu den militairärztlichen Bildungsanſtalten commandirt, nicht ſtreng nach der Altersstufe zu Oberstabsärzten befördert wurden. Es waren dies gewiſſer maßen die " Springer" in der militairärztlichen Laufbahn . Mit der Erlangung dieser Stellung war für die überwiegende Mehrzahl der Aerzte jede weitere Beförderung zu Ende und eine Dienststufe erreicht , in der gewöhnlich die active Dienstthätigkeit beschlossen wurde.

Der Rang war der eines Haupt

manns 1. Klaſſe, das Gehalt ſchwankte zwiſchen 700 bis 1200 Thlr.

General

ärzte (mit Majorsrang und 1500 Thlr.) gab es im Ganzen zwölf, endlich einen Generalstabsarzt mit Obersten- resp. Generalmajors -Rang und 2500 Thlr. Gehalt. Dies war die Lage der Militairärzte im Beginn der Sechziger Jahre und zum Theil noch bis zur Reorganiſation des Jahres 1868. Die Probe, welcher der Feldzug von 1864 das Personal und die neuen

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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Einrichtungen des Sanitätswesens unterwarf, konnte keine sehr entscheidende sein. Der Krieg spielte sich vorwiegend als ein Belagerungskampf auf be schränktem Gebiet ab ; die wenigen Divisionen, welche zur Verwendung kamen, waren außerordentlich reichlich mit ärztlichem Personal , namentlich auch aus der Reserve , ausgestattet ; es fehlten die großen Verhältniſſe mit ihren uner warteten Wendungen. - Soviel ließ sich sagen , daß troß der Neuheit der Einrichtungen , troß des Mangels jeder Vorübung, im Allgemeinen das Per jonal und die Einrichtungen den Erwartungen entsprachen. Man verschloß ſich aber nicht der Einsicht , daß noch schwerere Proben bevorstanden , und sammelte zur weiteren Reform die gemachten Erfahrungen. Krieg von 1866 aus. -

Da brach der

Ich muß in Betreff der ausführlichen Darstellung der Leiſtung und der Mängel des Sanitätswesens während dieses Krieges auf das bekannte Werk des unvergeßlichen Loeffler verweisen : „ Das Preußische Militair - Sanitäts wesen und seine Reformen " , und beschränke mich auf eine kurze Wiedergabe der Hauptpunkte . Wieder muß obenangestellt werden , daß die persönliche Leistung der Mehrzahl der Aerzte die vollſte Anerkennung verdiente , die ihr auch nament lich von Seiten Sr. Majestät des Königs zu Theil wurde. Allein als Ganzes betrachtet , war , troß aller Bemühungen , die ärztliche Hülfe unzu reichend und genügte nicht den Anforderungen , welche man , ohne Rückſichts nahme auf unvollkommene Einrichtungen, an sie zu stellen berechtigt ist. Eine Reihe unglücklicher Umstände vereinte sich, um die Aufgabe außer ordentlich zu erschweren. -Der Sieger mußte die Sorge für die Verwun deten des Gegners mitübernehmen, da Oesterreich sich der Genfer Convention nicht angeschlossen hatte. Die rohe Landesbevölkerung nahm an dem Ret tungswerk ihrer eigenen Landsleute keinen Antheil , ja sie erschwerte daſſelbe durch feindseliges Verhalten. Unmittelbar auf die siegreichen Entscheidungs schlachten folgten die riesigen , unaufhaltſamen Märsche ; und der Kampf mit dem furchtbaren Würgeengel der Cholera forderte immer neue Anstrengungen. Auf die erste Woche des Feldzuges fielen außer kleineren Begegnungen 10 größere Kämpfe, welche 13,331 Preußische Verwundete in die Hände des Sanitätsdienstes lieferten , dazu mindestens 15,000 verwundete Desterreicher, — also 28,000 Verwundete in 8 Tagen ! Dazu kommt ferner eine Zahl von 57,989 Kranken , welche in den drei Monaten des Feldzuges den Lazarethen überwiesen wurden, unter ihnen etwa 12,000 Cholerakranke. Fragen wir nach den Gründen, weshalb der Sanitätsdienst dieſen enor= men Anforderungen nicht überall gleichmäßig genügte , so tritt zunächſt der Umstand hervor , daß sowohl die Organiſation , wie die Disposition desselben eine unvollkommene war. Namentlich mangelhaft gestaltete sich wieder die erste Hülfe auf dem Schlachtfelde.

Dieser Mangel wird erklärlich, wenn wir

erfahren, daß z . B. das V. Corps bereits beim Ueberschreiten der Grenze die

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Hälfte seiner Lazarethe eingebüßt hatte, weil dieselben durch den Cantonne ments-Lazarethdienst im Inlande von vornherein gefesselt wurden . Sie waren also genöthigt gewesen , für einen Dienst einzutreten, der gar nicht den mo bilen Lazarethen, sondern den Provincial -Lazaretheinrichtungen zufallen mußte. Die Instruction vom 22. Mai 1866 „über die Evacuation der Feldlazarethe” hatte freilich die Errichtung von stehenden Kriegs -Reserve- und Etappen - Laza rethen angeordnet , allein es scheint , daß die dazu nothwendige Vorbereitung noch nicht überall genügte. Ein weiterer Grund für das Ausfallen der Thätigkeit manchen Feld lazareths auf dem Schlachtfelde lag augenscheinlich darin, daß sie nicht immer zweckentsprechend in die Marschordnung eingereiht waren. *) Für viele wurde es somit unmöglich , rechtzeitig aus den oft verfahrenen Traincolonnen her ausgefunden und herangezogen zu werden , zwischen denen ihnen ihr Stand punkt angewiesen war.

Manche irrten auch planlos umher, weil ihnen nicht

rechtzeitig ein Befehl zuging, oder weil in der Unruhe und Aufregung täglich bevorstehender Kämpfe die Truppenführer durch wichtigere Dispositionen in Anspruch genommen waren. - Man muß bedenken, daß die Benutzung der Sanitätsanstalten und

Truppen nicht im Frieden durch Manöver vorgeübt

wird , sondern plöglich im Kriege als eintritt.

ein neuer Factor in die Rechnung

Aber selbst der Weg eines streng militairisch geordneten Befehlinstanzen ganges war unvollkommen . Es fehlte schon in höchster Instanz, wie Loeffler sagt, an dem einheitlichen Organe , in welchem Ueberblick und Verfügung über alle für Militairſanitätszwecke brauch- und verfügbare Kräfte und Mittel des Staates dauernd concentrirt sind," **) Existirte ein solches Centrum, wurde es durch den Chef der Armeeverwaltung , soweit es zu seiner Drien tirung nothwendig war, von dem strategischen Plan unterrichtet , so konnten rasch die nothwendigen Dispositionen getroffen werden , um die Aufgabe zu lösen. Statt deſſen ressortirte das Preußische Militair - Sanitätswesen von drei Centralpunkten : vom allgemeinen Kriegsdepartement , dem Militair Dekonomiedepartement und dem Medicinalstabe der Armee. Zwischen dem

Corpsarzte ***) und den Diviſionslazarethen , sowie den

Truppenärzten fehlte die nothwendige Zwischeninſtanz.

Dem ersteren ist es

unmöglich, während einer großen Action das Gefechtsfeld so vollkommen zu

*) Um dem Mißverständniß zu begegnen , als habe überhaupt eine Thätigkeit der leichten Feldlazarethe auf dem Schlachtfelde nicht stattgehabt , verweise ich auf die genaue Zusammenstellung der Verwendung dieser Sanitätskörper während der Schlacht von König. gräß in dem Buch von Loeffler. B. II., p. 84 ff. **) Loeffler, das Preuß. Milit .-Medic.-Weſen u. seine Reform p. 42. ***) Die Stellung des Corpsarztes war nicht besezt bei 5 Armeecorps (3., 4., 7. , 8. und Cavallerie Corps) . Es fehlte also hier jede einheitliche , durch eine ärzt liche Spize bedingte Leitung des Sanitätsdienstes . - Zum Theil wurde diese Lücke durch die Armeeärzte ausgefüllt , deren die I. , II. , Elb- und West - Armee je Einen besaß. (cf. Loeffler a. a. D. Beilage IV . A- D .)

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens.

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überblicken, daß er , etwa wie ein Taktiker , die Sanitätsanstalten hier und dorthin werfen kann. Die Stellung von Diviſionsärzten, die für die einheit liche Disposition diefer Anstalten im Kampfe wichtiger , als die des Corps arztes ist, existirte aber noch nicht. — Noch minder, als die Verwendung der Lazarethe, genügte die der Trup penärzte.

Es fehlte an einer Inſtruction, die dieſelbe regelte.

Die 90 Aerzte

und 140 Lazarethgehülfen , welche bei einem mobilen Preußischen Armeecorps regimentirt sind, können, wenn sie auf Nothverbandpläßen vereint find, unter ſtüßt durch Hülfskrankenträger aus den Truppen * ) , und im Besiß des ver einigten Materials der Medicinkarren, gewiß Bedeutendes leisten ; statt dessen wurde ihre Leistung einfach verzettelt , indem sie, bei ihren Truppentheilen verbleibend, als Einzelne ohnmächtig waren . Einen weiteren, nur scheinbar geringfügigen Mangel bezeichnet Loeffler in dem Fehlen von Ordonnanzen , um überhaupt die Lazarethe zu be nachrichtigen : gewiß „ eine der verhängnißvollſten Ursachen der Unzulänglichkeit des Sanitätsdienstes im Gefechtsverhältniß ” (p . 49) . Was die eigentliche Organisation der Lazarethe betrifft, so zeigte sich die Zusammensetzung der leichten Feldlazarethe aus fahrender Abtheilung und Depot mit verschiedenem Wirkungskreise unpraktisch, indem das Ganze dadurch so schwerfällig wurde, daß es der Division nicht überall hin schnell zu folgen vermochte. Auch verloren beide Abtheilungen, einmal getrennt, leicht die Füh lung mit einander. Dabei lasse ich dahingestellt sein , ob die Organisation. als solche Schuld an diesen Mängeln war, oder die nicht richtige Disposition über dieſelben. Der Dualismus der Befehlsführung erwies sich zweifellos nach manchen Richtungen als lähmend auf die Verwendbarkeit der Lazarethe. Namentlich die dem Chefarzt nicht zustehende Disciplinargewalt über das nicht rein ärztliche Personal seines Lazareths wurde schwer empfunden. Dieser Umstand und die Unklarheit der gegenseitigen Stellung führte zu häufigen Conflicten zwischen dem Chefarzt und dem Trainoffizier. Ich will auf dieſe heikle Sache nicht näher eingehen , glaube aber zur Erklärung dieser Erschei nung beizutragen , wenn ich erwähne , daß die Trainoffiziere der Lazarethe . meist den jüngeren Offizieren der Reserve und einer Stellung entnommen waren, die jedenfalls in civilen Verhältnissen zu keiner Prärogative dem ärzt lichen Stande gegenüber berechtigte. Diese Offiziere, zum ersten Male in einer relativ selbstständigen soldatiſchen Thätigkeit, besaßen hinsichtlich ihrer Macht befugnisse nicht die Sicherheit des Linienoffiziers, und hielten somit die Grenzen Die daraus sich ergebenden Uebergriffe und derselben nicht immer inne. Kränkungen altgedienter , activer Militairärzte sind als peinliche Erinnerung Jedem gegenwärtig, der die Feldzüge 1864-1866 als Arzt eines Lazareths mitgemacht hat, und namentlich litten Diejenigen unter den unerquicklichen *) Für jedes Bataillon waren dazu 1 Unteroffizier und 10 Mann beſtimmt. (Armee befehl vom 1. Juni 1866.) 10 Militairische Jahresberichte 1874.

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Verhältnissen , die gewohnt waren, während des Friedens in Mitten eines liebenswürdigen und gebildeten Offiziercorps eine geachtete Stellung einzu nehmen. *) ――― Nicht minder, als der persönliche Verkehr , litt darunter der Dienst, indem die Autorität des Chefarztes gegenüber dem Perſonal oft durch dieſe Conflicte und die dabei zu Tage tretende Ohnmacht des ersteren unter graben wurde. Weiterhin erwiesen sich die Corpslazarethe als viel zu schwerfällig . Auch trat ihrer rechtzeitigen Verwendung der Umstand hindernd entgegen , daß ſie nicht einer bestimmten Diviſion angehörten , sondern direct vom Corpscom mando abhingen. ――― Alle diese Mängel und noch manche andere, die hier anzuführen ,

der

Raum nicht gestattet, wurden nach Beendigung des Feldzuges der Gegenstand sorgfältiger Verhandlungen einer am 18. März 1867 zu Berlin zuſammen ― berufenen Militair- Sanitäts - Conferenz. Die Ergebnisse und Vorschläge der= selben wurden in einem Immediatbericht der Beschlußnahme Sr. Majeſtät unterbreitet. Sie bilden die Grundlage der Reform vom Jahre 1868. Zunächst war die Commission darüber einig , daß der Militairarzt vor Allem aus der unglückseligen Zwitterstellung zwischen Beamten und Offizier zu erlösen sei , wenn er überhaupt seine volle Leiſtung entfalten solle. gab nur zwei Wege :

Es

entweder man machte ihn zum reinen Beamten nach

Art der Intendantur, oder zum Soldaten.

Ersteres war mit der dienstlichen

Stellung, die der Arzt seinem Hülfsperſonal, das zu den Soldaten zählt, gegen über einnehmen muß , wenn er überhaupt erfolgreich wirken will , nicht ver einbar.

Es widersprach der Preußischen Tradition , Soldaten in ein Sub

ordinationsverhältniß zu Beamten zu stellen.

Da gerade dieses Verhältniß

als erste Forderung einer vollen Entfaltung der ärztlichen Leistung gestellt werden mußte , blieb nichts weiter übrig , als den Arzt selber zum Soldaten zu machen. Dazu kam, daß in Frankreich , wo man den Arzt zum reinen Beamten gemacht hatte, sich diese Einrichtung als die Quelle des furchtbarsten Un heils erwiesen hatte, wie ich bereits oben andeutete. Gegenüber der Ver urtheilung, welche dieses System von Seiten aller Einsichtigen erfahren hatte, ließ der Americanische Bürgerkrieg das entgegengesette Princip im glänzend sten Lichte erscheinen. Hier hatte man die Aerzte von jeder Bevormundung befreit und ihnen die volle und verantwortliche Leitung ihres Dienstzweiges in die Hand gelegt. Der Gedanke einer technischen Waffe in Gestalt eines Sanitätscorps mit einem Offiziercorps an der Spite war dort rücksichtslos -verwirklicht worden und hatte die herrlichsten Früchte getragen . Während in Preußen bis zum Feldzuge 1864 und 1866 der Sanitätsdienst nur ein mehr weniger dunkles Blatt in der Kriegsgeschichte füllt, *) cf. Ochwadt. Kriegschir. Erfahrungen, S. 152. Löwenhardt. Skizzen über die Einrichtungen des Sanitätsdienſtes 2c., S. 11.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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tanden die Leistungen desselben Dienstes in der Americanischen Armee für alle Zeiten als ein glänzendes Muster und Beispiel da , und überflügelten bei Weitem Alles , was je im alten Europa in dieser Hinsicht erreicht worden war. Ich verweise zur näheren Begründung dieses Ausspruches nur auf die warme Anerkennung, welche noch in jüngster Zeit Major Scheibert in ſeinem intereſſanten Buch: " Der Bürgerkrieg in den Nordamericanischen Staaten " ――― dem Americanischen Sanitätswesen zollt. (Cap . 7.)

Es ward der Commission nicht schwer, für welches dieser beiden Prin cipien sie sich zu entscheiden hätte. Die weiteren Vorschläge ergaben sich daraus von selber : Errichtung eines den technischen Waffen entsprechenden eigenen Sanitätscorps, beſtehend aus Mannſchaften (Lazarethgehülfen, Kranken trägern 2c.) und Offizieren, welche in Betreff ihrer Rangverhältniſſe und Macht befugnisse, sobald sie sich auf die Befehlsführung in ihrem Corps bezogen. den übrigen Offizieren völlig gleichzustellen wären . Ferner: Einseßung einer einheitlichen Centralbehörde , von wel cher alle den Sanitätsdienst des Heeres betreffenden Angelegenheiten , soweit dabei nicht andere Dienstzweige in Frage kommen, direct ressortirten , in Gestalt einer Abtheilung des Kriegsministeriums. Endlich: Um formung aller Sanitätsanstalten nach dem Grundsaß einheitlicher und techni scher Leitung durch den zunächst berufenen Sachverständigen, den Arzt. Die Verordnung über die Organiſation des Sanitätscorps vom 27. März 1868 bezeichnet den Wendepunkt und die neue Bahn , auf der nun fortgeschritten werden sollte. Diese Verordnung schuf zunächst ein Sanitätscorps , dessen Mitglieder Personen des Soldatenstandes (also keine Beamten) waren. Diejenige Gruppe desselben, welche dem Offiziercorps der verschiedenen Waffengattungen entspricht, erhielt noch keine Bezeichnung als solche, dagegen wurden ihnen in Betreff ihrer Competenzen diejenigen Rechte zugestanden , welche sonst dem militairischen Range, den sie bekleideten , entsprachen.

Die Militärärzte im

Offizierrang wurden die Vorgesezten der Lazarethgehülfen und Militair Krankenwärter , des pharmaceutischen , Wärter- und Beamten - Personals der Lazarethe. *) Als Vorbedingung der Ernennung zum Aſſiſtenzarzt, die nunmehr, ent

*) Ein_helles Schlaglicht auf die ganze bisherige Stellung des Arztes dürfte folgende Thatsache werfen: Im Anfang des Jahres 1868 erklärte zu Berlin ein Lazarethgehülfe, daß er seinem Doctor" keinen Gehorsam schulde , und weigerte sich beharrlich , den An ordnungen desselben nachzukommen. Derselbe konnte auch nicht wegen Ungehor sams bestraft werden , weil die Aerzte als keine Personen des Soldatenstandes auch nicht Vorgeseßte der dem Soldatenstande angehörigen Lazarethgehülfen waren . Es wurde das Auskunftsmittel gewählt, den Betreffenden wegen Unfolgsamkeit" doch wenigstens nicht ganz straflos hingehen zu lassen. Wie wenig förderlich solche Vorkommnisse für die prompte Ausübung des Dienstes sein mußten, brauche ich Offizieren nicht erst auseinander zusehen. 10*

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sprechend den Offizieren, durch ein Patent erfolgte, wurde eine Wahl durch die Aerzte der Diviſion aufgestellt, als Bedingung für die Ernennung zum Ober ſtabsazt aber die Ablegung eines specifiſch militairärztlichen Eramen , wäh rend die bis dahin bestehende Phyſikatsprüfung in Wegfall kam. Die Uniform, welche früher, entgegen dem sonst im Heere herrschenden Gebrauch, wesentliche Unterschiede in den verschiedenen Chargen zeigte, wurde eine gleichmäßige, an der die verschiedenen Rangstufen nur durch dieselben Abzeichen gekennzeichnet werden, wie sie sonst bei Offizieren üblich sind. — Die Erlaubniß, im Dienſt Civil zu tragen, wurde aufgehoben, und nur auf die außerdienstliche Thätig keit beschränkt. ―― Die allgemeine Dienstpflicht blieb , wie bisher , die als einjährig frei williger Arzt. Der wichtige Schritt zu einer einheitlichen Centralbehörde sollte alsbald nachfolgen. Durch Kriegsministeriellen Erlaß vom 28. September 1868 wurde beim Kriegsministerium versuchsweise eine Militair - Medicinal - Abthei lung errichtet und ihr speciell folgende Geschäfte übertragen : Wahrnehmung der Militair-Hygiene, die Sanitätspolizei und Sanitäts statistik der Armee , die ärztlich - technische Superarbitrirung der Ersatz-, Aushebungs- und Invalidensachen, die Versorgung der Armee mit Arz neien , Verbandmitteln und chirurgischen Instrumenten, das gesammte Friedens , Feld- und Belagerungs -Lazarethwesen, die Angelegenheiten des Sanitäts - Corps , der militair - ärztlichen Bildungsanstalten , der Bade Institute, der Militair - Pharmaceuten , Lazarethgehülfen und Kranken wärter." Dem Ressort des allgemeinen Kriegs - Departements verblieb dagegen: die Bearbeitung der rein militairischen Angelegenheiten der Militair-Aerzte , ins besondere hinsichtlich der Verhältnisse des Sanitäts - Corps zu den Truppen und der Stellung der Militairärzte in der Armee, sowie in Bezug auf deren allgemeine Dienst-, Disciplinar- und Rangverhältnisse, sowie auch die Bear Schon aus dieser beitung der Trainangelegenheiten der Feldlazarethe. Zusammenstellung geht hervor, daß für die Weiterentwickelung des Sanitäts corps die Entschließungen des Allgemeinen Kriegs- Departements von maß gebendem Einfluß sein müſſen , da gerade die wichtigsten organiſatoriſchen Fragen in dem Ressort dieser Behörde zum Austrag kommen. ―― Die Instruction über das Sanitätswesen der Armee im Felde vom 29. Mai 1869 führt die eben besprochenen, in der Allerhöchsten Ver ordnung niedergelegten Grundsätze auch in die Gestaltung des Feldsanitäts wesens ein. Die wesentlichen Veränderungen gegen die frühere Instruction find folgende : 1. die fahrende Abtheilung der leichten Feldlazarethe wird von dem Depot getrennt und mit je einer Krankenträgercompagnie zu einem organischen

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair Sanitätswesens.

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"1 Sanitäts - Detachement " * ) vereinigt. Jedes mobile Armeecorps erhielt 3 derselben , welche in fortlaufender Nummer nach den Armeecorps bezeichnet werden. Jeder Infanterie

Ganzen unter dem Namen :

Division wird ein Sanitäts - Detachement dauernd untergestellt, das dritte bleibt zur Disposition des commandirenden Generals , und wird der Corps-Artillerie zugetheilt. - Das Sanitäts- Detachement ist so orga niſirt, daß es in zwei getrennten Sectionen Verwendung finden kann. Die den Divisionen zugetheilten Detachements folgen den Truppen unmittelbar auf das Gefechtsfeld, dort errichten sie den Verbandplay, die Krankenträger suchen die Verwundeten auf und führen sie der ärzt lichen Hülfe auf jenem zu . 2. Jeder Division wird ein Oberstabsarzt als Divisionsarzt beigegeben. Derselbe soll in der Regel

als Organ des Divisionscommandeurs " den Detachements die Befehle über die Bewegung, den Ort der Etablirung des Verbandplages u. s. w. übermitteln . Auf dem Hauptverbandplay hat der Corpsgeneralarzt, beziehungsweise der Diviſionsarzt den ärztlichen Dienst zu leiten. 3. aus den 3 Depots der früheren leichten Lazarethe und den 9 Sectionen der 3 schweren (Corps-) Lazarethe wurden für jedes Armeecorps zwölf völlig gleich ausgerüstete , bewegliche Feldlazarethe formirt.

Dieſelben

find zur Aufnahme, Behandlung und Pflege der von den Verbandplägen oder direct von den Truppen kommenden Verwundeten und Kranken be stimmt, und auf je 200 Mann eingerichtet.

Sie werden ebenfalls in

fortlaufender Nummer nach ihren Armeecorps bezeichnet .

Auch ihre

Organiſation läßt eine Zweitheilung zu . **) Ein Theil der Feldlazarethe wird durch den commandirenden General den Diviſionen zugetheilt, ein anderer in Reserve gehalten.

Beim Vorrücken der Armee nach einer

Schlacht haben lettere an Stelle der zur Verwendung gekommenen und etablirten Lazarethe den Truppen zu folgen. - Der früher jedem Feld lazarethe beigegebene Trainoffizier fällt fort , und hat nunmehr der Chefarzt die volle, selbstständige und verantwortliche Lei tung des Ganzen, wobei er sich in rein militairischen Dingen des Trainwachtmeisters bedient. *) Das Sanitäts- Detachement besteht aus 3 Offizieren ( ein Rittmeister 2. Klaffe als Commandeur), 1 Zahlmeister, 1 Feldwebel, 4 Sergeanten, 8 Unteroffiziere, 136 Ge freiten, Hornisten und Krankenträgern, 2 Stabsärzten, 5 Assistenzärzten, 1 Feldapotheker, 16 Lazarethgehülfen und Militair - Krankenwärtern , 6 berittenen Trainsoldaten , Unteroffi zieren und Gefreiten , 23 Trainsoldaten. Es führt 6 zweispännige Wagen für Schwer verwundete mit je 2 Tragen, 2 zweispännige Wagen zur Unterbringung von Medicamen ten 2c., 2 zweispännige Gepäckwagen für Kasse 2c., außerdem 30 Krankentragen incl. drei Räderbahren. **) Der Etat eines Feldlazareths beträgt : 1 Oberstabsarzt als Chefarzt, 1 Stabsarzt, 3 Aſſiſtenzärzte, 9 Ober- resp. Lazarethgehülfen, 1 Feldapotheker, 1 Apothekenhandarbeiter, 1 Inspector, 1 Rendant, 12 Militair-Krankenwärter, 1 Koch, 25 Mannschaften incl. Wacht meister , Policeisergeant 2c. Dazu gehören 3 vierspännige Dekonomie Utensilienwagen, 2 zweispännige Sanitätswagen. Sämmtliche Aerzte und Beamte sind beritten.

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Die Feldlazarethe haben so lange durch entsprechende Zurücklaſſung von Aerzten u . s. w . den Krankendienst für die in ihre Obhut gefallenen Kranken und Verwundeten zu sichern, bis eine Auflösung oder Ablösung erfolgt. Für die letztere dient das sogenannte Lazareth - Reserve- Personal , * ) welches unter dem Befehl der General - Etappen - Inspection steht. Hat die Ablösung stattgefunden, so heißt das durch die Feldlazarethe etablirte Lazareth nunmehr stehendes Kriegslazareth," und ist der General - Etappen - Inſpection, weiterhin aber , wenn auch leßtere, vorgeschoben, dem General - Gouvernement weicht, diesem unterstellt. Das abgelöste Perſonal der Feldlazarethe rückt dann , nachdem es ſeine Bestände möglichst vervollſtändigt hat , seiner Diviſion wieder nach , und ſteht nach Erreichung des Anschlusses dieser von Neuem zur Verfügung. Unmittelbar hinter der mobilen Armee soll sich eine entsprechende Reſerve von Lazarethgegenständen befinden, zu welchem Zweck für jedes mobile Armee corps ein Lazareth - Reserve - Depot **) errichtet und der General-Etappen Inspection derjenigen Armee unterſtellt wird , zu welcher die betreffenden Armeecorps gehören. Jeder General - Etappen - Inspection ist ferner ein Etappen - General Arzt beigegeben. Erwähnenswerth find ferner die bei der Ausrüstung der Detachements und Feldlazarethe in Anwendung gekommenen bedeutend in ihrem Bau ver beſſerten Utenſilienwagen. Namentlich die Vertheilung und Verpackung der Medicamente und Verbandgegenstände , sowie der Instrumente war ein gegen die früheren Einrichtungen wesentlicher Fortschritt, und ermöglichte eine viel raschere Verwendung bei der Etablirung. Uebrigens war es selbst im Feld zuge 1870/1871 noch nicht möglich, alle Lazarethe 2c. mit dieſen neuen Mo dellen der Fahrzeuge zu versehen . Wesentlich zweckentsprechender wurde weiterhin der Wirkungskreis des Feldlazareth - Directors festgestellt. Je Einer für jedes Armeecorps, wurden dieselben nunmehr der General - Etappen - Jnspection der betreffenden Armee zugetheilt und erhielten durch diese einen bestimmten Compler etablirter Lazarethe zur Bereisung, Inspection 2c. überwiesen. Sie treten somit an die Stelle der Corpsgeneralärzte , sobald diese , mit ihrem Armeecorps vorgerückt, nicht mehr auf die zurückgebliebenen und in Thätigkeit getretenen Feldlazarethe einzuwirken vermögen. Soweit die mobilen Lazaretheinrichtungen. ― Gleichzeitig werden im In

*) Der Etat des Lazareth-Reserve-Personals beträgt : 3 Stabsärzte, 9 Assistenzärzte, 3 Feldapotheker, 3 Lazareth- Inspectoren, 3 Rendanten, 3 Unteroffiziere als Schreiber, 9 Oberlazarethgehülfen, 18 Lazarethgehülfen, 36 Krankenwärter, 3 Köche, 7 Trainſoldaten . Diesem ganzen Personal fehlen bisher alle Transportmittel , da es auf re quirirte Fahrzeuge angewiesen ist. **) Auch die Lazareth - Reserve - Depots entbehrten jeder eigenen Transport mittel, und wurden auf requirirten Fahrzeugen befördert.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair Sanitätswesens.

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lande, namentlich an Orten, die an großen Verkehrsstraßen gelegen und mit tüchtigen Aerzten versehen sind , zahlreiche Reservelazarethe (Provincial lazarethe) errichtet. Sie stehen unter militairischer Leitung und Controle, die darin verwendeten Aerzte sind aber dem Civilstande entnommen. Mehrere an einem Ort errichtete Reservelazarethe ſtehen unter einem Arzt als Lazareth Director, dieser unter dem Provincial - Generalarzt ; die leßte Instanz bildet die (nicht mobile) Militair - Medicinal - Abtheilung des Kriegsministeriums . Den Reservelazarethen schließen sich weiterhin die aus privaten Mitteln errichteten Vereinslazarethe an , welche unter der militairischen Aufsicht des Commiſſars der freiwilligen Krankenpflege stehen. Wichtig für die Aufrechterhaltung der Verbindung zwiſchen mobilen und heimathlichen Lazarethen behufs einer geregelten Krankenüberführung aus jenen in diese sind die den Krankentransport als solchen, namentlich auf Eisen bahnen, leitenden Instanzen. Leider hatte die im Jahre 1867 erschienene neue „ Organiſation des Etappenwesens zur Zeit des Krieges ", die sogenann ten Krankentransportcommiſſionen , welche 1866 während des Feld zuges bestanden , als nicht nothwendig abgeschafft , und in die Hände der Etappencommandeure auch diesen Dienstzweig gelegt. -- Wir werden unten ſehen, daß ſich dieſes Verfahren gleich im Beginn des Krieges 1870/71 als ein Fehlgriff erwies, dem durch schleunige Wiedererrichtung jener Behörden unter dem Namen : „ Evacuations commissionen " abgeholfen werden mußte. Als weiterer Bestandtheil der

Instruction für das Sanitätswesen 2c. "

finden wir eine neue Regelung des so äußerst wichtigen Krankentransports auf Eisenbahnen auch in materieller Hinsicht.

So wird namentlich die

Ausrüstung der Güterwagen mit Tragbahren auf Blattfedern angeordnet, und die Ausstattung der erst in geringer Zahl vorhandenen Personenwagen 4. Kl. mit Tragen in Gummiaufhängeringen zu demselben Zweck in Aussicht ge nommen. Mit dieſen Einrichtungen hatte man bereits vorher sehr zufrieden stellende Versuche gemacht. Die Thätigkeit der sogenannten confultirenden Generalärzte ward ferner geregelt und das Institut selbst etatisirt. Es wurden dazu hervor ragende Größen auf dem Gebiete der Chirurgie in Aussicht genommen, welche, für die Dauer des Krieges der Armee mit dem Rang und den Competenzen eines Generalarztes beigegeben, den Aerzten der Lazarethe mit Rath und That zur Seite stehen sollten . Endlich wurde der Factor der freiwilligen Krankenpflege in den allgemeinen Rahmen einer militairischen Organisation eingefügt. So sehen wir nach allen Richtungen hin die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit auf das sorgfältigste verwerthet, und eine Organiſation des Feldsanitätswesens geschaffen, deren Plan und Grundsäße sich als durchaus richtig erweisen sollten, wenn auch einzelne Mängel noch zu beseitigen blieben. Lettere bezogen sich aber nicht auf das Grundprincip , sondern nur auf Un

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Militairische Jahresberichte für 1874.

vollkommenheiten der Ausrüstung , Unklarheiten der Befehlsinstanzen und der gegenseitigen Verbindung. Die wesentlichen Veränderungen , welchen diese Instruction bei der demnächst zu erwartenden Umarbeitung noch entgegenharrt, stehen in engstem Zusammenhang mit der mittlerweile vollkommen umgearbei teten Instruction des Etappenwesens, und werden somit durch diese bedingt. Auch die ärztliche Instruction für den Unterricht der Krankenträger-Com pagnien vom Jahre 1860 wurde einer Revision unterworfen , und durch eine neue, vom 27. Januar 1869, crſeßt. Ueber diese Einrichtung nur wenige Worte :

Preußen beſißt bisher noch

nicht eine Friedensformation , welche als besonderer Truppenkörper der Aus bildung von Krankenträgern oder im weiteren Sinne von Sanitätssoldaten in der Art dient, wie die Train- oder Eisenbahn -Bataillone dies für ihre be sondere Waffe thun. ― Ja , die Krankenträger zählen in Preußen resp. Deutschland noch nicht einmal zum Sanitätscorps , obgleich fie doch gerade eine Sanitätstruppe im wahren Sinne des Wortes darſtellen und bei den meiſten fremden Armeen mit entwickelter Sanitätsorganiſation Bis jetzt werden , um für den Feldbedarf die er

dazu gerechnet werden.

forderliche Anzahl zu gewinnen , bei jeder Infanterie- und Jäger- Compagnie alljährig 2 Mann des 2. Dienstjahres während der Wintermonate durch eigens dazu

commandirte

Aerzte

(,,in

Gegenwart von Offizieren") zu Kranken

trägern ausgebildet und demnächst im darauf folgenden Frühjahr oder Sommer zu einer 10tägigen Uebung beim Trainbataillon zuſammengezogen. *) ---- Der Unterricht erstreckt sich auf die zu leiſtende erſte Hülfe bei Verwundeten und sonst Verunglückten , auf den Transport derselben und das Aufschlagen des Verbandzeltes, den praktischen Uebungen des Aufladens auf die Trage, der Anlegung von Nothverbänden, des Gebirgsschritts, des Auf- und Abladens in und aus den Transportwagen geht ein theoretischer Unterricht voraus . Derselbe umfaßt die Elemente des menschlichen Körperbaues, der verschiedenen im Kriege vorkommenden Verlegungen, die ersten Hülfeleistungen und die dazu nöthigen Verband- und Transportmittel , das Rettungsverfahren bei Schein todten , endlich Anweisungen über das Begraben der Leichen - also lauter Dinge, die ſpecifiſch dem Sanitätsdienst, der Verwundeten- und Krankenpflege, zugehören. Die Veränderungen des Militair- Sanitäts -Wesens , welche ich soeben in aller Kürze dargestellt habe, sollten alsbald eine Probe zu beſtehen haben, wie sie schwieriger wohl Niemand erwartete, den Feldzug von 1870/71 . Noch besißen wir keine zusammenhängende Geschichte des

Sanitätsdienſtes

*) Leider sind die zu diesen Uebungen commandirten Offiziere meist nicht in der Lage gewesen, der Instruction während des Winters beizuwohnen und sich so selbst zu inſtruiren. Auch hier zeigt sich die auf der noch nicht überwundenen Halbheit der Stellung des Arztes begründete Erscheinung, daß man dem letteren wohl zumuthet, den technischen Dienst ein zuüben und zu lehren , zur Leitung deſſelben Dienstes aber rein militairische Elemente für geeigneter hält.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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während desselben, es ist mir somit unmöglich, eine Darstellung der Leistungen dieses Dienstes auch nur in allgemeinen Umrissen zu geben. Allein die vor handenen Veröffentlichungen und eigenen Erfahrungen gestatten es bereits , wenigstens die Haupterſcheinungen auf dieſem Gebiete, welche als epochemachend und werthvoll für die Zukunft während des Krieges zu Tage traten, hier zu besprechen, und im Allgemeinen der Mängel zu gedenken , welche sich in ein zelnen Einrichtungen herausgestellt haben. Zunächst muß betont werden, daß die neugeschaffenen Ein richtungen sich im Princip bewährt haben. Daß die Maschine nicht gleich immer glatt functionirte , beruht in der ungünstigen Lage des Feld fanitätswesens, den verschiedenen Waffengattungen gegenüber. Seine Forma tionen sind nämlich im Frieden nicht vorgebildet, und eine ähnliche Vorübung im Friedensdienst, in Manövern und dergleichen, wie sie jeder andern Truppen formation und jeder andern Commandoſtellung zu Theil wird, fällt für die Sanitätsanstalten und ihre Leiter weg. Selbst die 10 tägigen Uebungen der Krankenträger- Compagnien reichen in dieser Beziehung nicht aus, und nament lich haben dieselben keine Gelegenheit, im Verbande mit andern Truppen das Gefechtsverhältniß zu üben. *) Ein weiterer Uebelstand, der mit dieſem Mangel einer Friedensformation zusammenhängt, ist der, daß die Mehrzahl der Aerzte sich beim Beginn des Krieges in Stellungen sehen , deren praktischer Dienstbetrieb ihnen durchaus neu ist. *)

Der neuernannte Chefarzt hat vielleicht nie vorher ein Lazareth

geführt (die Friedenslazarethe wurden nämlich bis 1873 noch commiſſariſch verwaltet) , der Etappen- Generalarzt nie mit dem Etappenwesen zu thun ge habt , der Feldlazareth-Director nie eine entsprechende Friedensstellung einge= nommen.

Namentlich gilt dies für den neugeschaffenen , so außerordentlich

wichtigen Posten des Diviſionsarztes .

Während des Friedens nur als Vor

fißende bei der Wahl der Aſſiſtenzärzte thätig, traten ſie mit der Mobilmachung *) In Sachſen und Bayern finden übrigens derartige Uebungen bereits ſtatt, und ſind die Sanitätsdetachements 2c. während der Manöver in Thätigkeit. *) Ein einfaches Rechenexempel wird die Umwälzung zeigen , welche das Sanitäts personal der Truppen allein unter den Oberstabsärzten bei einer Mobilmachung erleidet, wenn die Neuformationen alle mit dem zugehörigen Perſonal beſeßt ſein ſollen. Die 14 Armeecorps , die das Heer, nach Abzug von den Bayerischen , Württembergi ſchen und Sächſiſchen Corps zusammenseßen, erfordern für je 12 Feldlazarethe im Ganzen : 168 Oberstabsärzte als Chefärzte, 14 Feldlazareth- Directoren, 29 Divisionsärzte, 3 Etappengeneralärzte, 3 Chefärzte der Krankentransportcommiſſionen, 14 Provincial- Generalärzte. Summa 231 Oberſtabsärzte. Der Friedensetat beträgt 247, wovon noch einzelne nicht abkömmlich sind (Invaliden haus und Cadettenhaus zu Berlin). Es bleiben also für die sämmtlichen mobilen Truppentheile nur 16 Oberstabsärzte des activen Dienststandes übrig ! Dazu würden noch die 24 der Landwehr angehörigen Oberſtabsärzte kommen, wenn sie alle verwendet werden können.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

in einen völlig neuen und umfangreichen Wirkungskreis. Die Vorschriften der Instruction waren a priori gegeben , da ihnen bestimmte praktische Er fahrungen nicht zu Grunde gelegt werden konnten .

Die Unmöglichkeit, für

alle Lagen bestimmte Anhaltspunkte zu geben, führt aber nur zu leicht zu einer sehr allgemeinen Fassung von Dienſtvorschriften, die dem ängstlichen Charakter keine Anhaltspunkte für seine Entschließungen und Handlungen gewähren, während der entschlossene, klare Kopf auch ohne sie im Moment der Gefahr das Richtige findet. Es ist wohl anzunehmen , daß gerade bei der Hand habung des diviſionsärztlichen Dienstes solche Verhältnisse obwalteten , und daß dadurch namentlich im Beginn des Krieges dieſe Thätigkeit nicht zur vollen Entfaltung kam. — Vergessen darf man aber ferner nicht, daß alle diese Feld formationen auch für den Truppenführer, insbesondere den Divisionscomman deur, neue, bisher in den militairischen Organismus, deſſen Seele er iſt, nicht eingefügte Organe darstellten, die er selbst erst richtig gebrauchen lernen mußte. ――― Es kann nicht Wunder nehmen, daß somit die Räder des neu zuſammen gefeßten Uhrwerks nicht immer gleich zweckentsprechend in einander griffen, und daß erst ein längerer Betrieb dazu gehörte , ehe alle Unebenheiten abge ſchliffen waren und das Ganze ohne Reibung arbeiten konnte. Auch muß berücksichtigt werden, daß der Sanitätsdienst eine gewisse Voll endung anderer Dienstzweige vorausseßt, deren er zur Erreichung seiner Ziele bedarf.

Dahin gehört namentlich das Etappen- und Eisenbahnwesen.

Daß

dieses nicht nach allen Richtungen den Anforderungen entſprach, beweist die mittlerweile erfolgte völlige Umwandlung desselben durch die Instruction, betreffend das Etappen- und Eisenbahnwesen und die obere Leitung des Feld Intendantur-, Feld - Sanitäts-, Militair-Telegraphen- und Feldpoſt-Wesens im Kriege" vom Jahre 1872. Endlich aber darf man nicht Unbilliges weder von dem Sanitätsdienst, noch für ihn verlangen. - Dem Truppenführer geht die Leistungsfähigkeit seiner Armee über Alles . dienen :

Die Verkehrswege müssen zunächst diesem Zwecke

Nachschübe, Material, Proviant, Munition müſſen und können ge

legentlich die Forderungen des Krankentransports in den Hintergrund drängen. Es wäre anmaßend und eine Phrase, in einem so ausgesucht inhumanen Dinge, wie der Krieg es ist, die Humanität als erstes Ziel oben anzustellen. Das Sanitätswesen ist gewiß die edelste Blüthe derselben, im Auge des Feld herrn ist es aber nur ein Mittel zum Zweck der möglichsten Erhaltung der Schlagfertigkeit seiner Truppen , und muß es zunächst nur sein. Die größte Humanität ist die, den Krieg durch alle erlaubten Mittel möglichst rasch zu Ende zu führen. Sehen wir nun von den rein wiſſenſchaftlichen Veröffentlichungen ab, welche der Krieg von 1870/71 bisher auf dem Gebiete des Sanitätsdienstes zu Tage gefördert hat, so dürfte kein Gegenstand eine reichhaltigere Literatur

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens .

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zur Folge gehabt haben, als die Evacuation , der Krankentransport auf Eisenbahnen , die Kranken- und Sanitätszüge. ―― Ich glaube somit nicht fehlzugreifen , wenn ich in diesen Einrichtungen die wesentlich sten Fortschritte sehe , die im letzten Kriege zur Geltung gekommen sind. ――― Es ist das große Princip der Krankenzerstreuung , welches durch diese Mittel seine Triumphe gefeiert hat, und das für jeden späteren Feldzug un bedingt maßgebend auf die gesammte Organisation des Sanitätsdienstes ein wirken muß. Dieses Princip beruht darin, jede dichtere Anhäufung von Ver wundeten und Kranken nach Möglichkeit zu verhüten , und der überwältigen den Menge des zuströmenden unbrauchbar gewordenen Materials an Menschen dadurch Herr zu werden , daß man sie durch geeignete Verkehrseinrichtungen in möglichst viele Einzelströme auflöst , deren Endziel weit vom eigentlichen Kriegsschauplaß in den heimathlichen Lazarethen und Pfleganſtalten liegt . Der Anlaß zu diesem Syſtem iſt die durch zahlreiche furchtbare Lehren theuer er kaufte Erfahrung, daß jede längere Anſtauung Kranker und Verwundeter nicht nur für diese, sondern auch für den gesunden Theil des Heeres verderben bringend wirkt, und die verheerendsten Epidemien im Gefolge hat. Es hängt eben auch das Wohlergehen des Heeresorganismus wesentlich von der schnellen Beseitigung seiner Abfälle , der Kranken und Verwundeten, ab. In der Regelung dieses Rückstroms liegt eine der Haupt aufgaben der modernen Feldfanität. -Aber nicht minder wohlthätig wirkt die Krankenzerstreuung auf die Leidenden selbst ein.

Hier feiert die

Menschlichkeit, deren Priester der Arzt sein soll, ihre herrlichſten Triumphe. Nur wer, selber ſiech oder verwundet, der leichendunſtgeſchwängerten Umgebung der Schlachtfelder und dem dürftigen Lager der überladenen Lazarethe ent rückt, in dem behaglichen Wagen eines Sanitätszuges der Heimath und der Pflege der Seinen zugedampft ist, vermag den vollen Werth des Kranken zerstreuungsſyſtems zu schäßen, deſſen beste Seite er freilich kennen gelernt hat, ohne unter der namentlich im Beginn des leßten Krieges ſehr trüben Kehrſeite zu Aber gerade diese lettere galt es zu überwinden, und sie in jedem

leiden.

künftigen Kriege zu überwinden , ist das Ziel der Krankenevacuation . Man hatte bei der Regelung des Etappenwesens vor dem Feldzuge von 1870/71 den Fehler begangen, eigner Behörden für die Regelung des Kranken transports auf Eisenbahnen zu entrathen , und diese Aufgabe in die Hände der Etappenbehörden zu legen , denen zu diesem Zweck ein militairärztlicher Beirath zur Seite stand . Allein schon die Folgen der ersten beiden Schlachten von Weißenburg und Wörth sollten beweisen, wie nothwendig eine anderwei tige Regelung dieſes Dienstzweiges war. Wir verdanken namentlich der Feder Pelzer's, *) der als Stabsarzt des Etappenhauptorts Mannheim sich der un *) Ueber_Evacuation , Krankentransport und Krankenzüge im Kriege gegen Frankreich (Deutsche militairärztl. Zeitung 1872 pag. 355). Ferner: die deutschen Sanitätszüge und der Dienst als Etappenarzt 2c. Berlin 1872.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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lösbaren Aufgabe gegenüber sah , in dieſem Wirrwar endloser Verwundeten züge Ordnung und Hülfe zu schaffen, eine bewegliche Schilderung des Elends, welches dabei zu Tage trat. Auch der Schreiber dieses vermochte seine Schilderungen nur zu beſtä ― Vom 1. Septembèr 1870 an wurden daher eigene Behörden zu

tigen . *)

dem Zwecke zusammengefeßt, den Krankentransport auf Eiſenbahnen für eine bestimmte Bahnlinie zu ordnen , und die Sorge für die an ihrem Standort vorbeipaſſirenden Verwundeten und Kranken nach allen Richtungen zu über nehmen. Diese Behörden, Evacuations commiſſionen genannt, wurden je eine in Weißenburg und Saarbrücken errichtet, nachdem bereits vorher eine Com mission den Transport der bei Sedan Verwundeten über Belgien von Aachen aus geleitet hatte. Aus Aerzten , Beamten , zahlreichen Krankenpflegern (über 100 Mann) zuſammengefeßt, von Delegirten der freiwilligen Hülfe that kräftig unterſtüßt ,

mit Lagerungs- ,

Verband-

und Lebensmitteln

ausge

rüstet , ordneten dieſe Commiſſionen die anlangenden Züge und vertheilten die Transporte in entsprechende Einzelgruppen. Lettere dirigirte die Com mission dann in ebensoviele heimathliche (Reserve- ) Lazarethe, die zu diesem Zweck ihr zur Verfügung gestellt waren, und deren Belegſtärke ihr ――――――――― durch regelmäßige Rapporte bekannt war. Im November 1870 wurde noch eine dritte Commiſſion zu Epernay errichtet, und durch die vereinte Thätigkeit dieser Organe, in Verbindung mit den Etappenärzten , ein möglichst regel mäßiger und continuirlicher Rückstrom der Evacuirten auf den Bahnstrecken Lagny- Chalons — Nancy- Weißenburg ( Ars-sur-Moſelle- Nancy —Weißen burg) und Remilly —Forbach-Saarbrücken hergestellt. Von der Größe der Aufgabe zeugen die Ziffern der beförderten Kranken und Verwundeten. Die selben betragen für Weißenburg rund 147,000 , für Forbach-Saarbrücken 65,017, für Aachen 6,193, Summa 218,210 Mann ! Schon frühzeitig hatte sich herausgestellt , daß die bloße Lagerung der Verwundeten auf Stroh und Matraßen in Güterwagen , wie sie die In struction vom 29. April 1869 vorgesehen hatte, für schwerere Fälle nicht aus reichte. Auch hierin war America vorangegangen. Dort hatte man während des Bürgerkrieges eigene Hospitalwagen ausgerüstet , in denen in 2 bis 3 Etagen 16 Personen gelagert werden

konnten , während Arzt , Pfleger,

Apotheke und Küche noch in demſelben Wagen Plag fanden**) .

Bayern ***)

Die Evacuationscommiſſion zu Weißenburg 2c. (Deutſche *) Dr. Rabl-Rückhard. militairärztl. Zeitung 1874 pag. 402.) ** ) Cf. Esmarch, Verbandplat und Feldlazareth. S. 34 ff. ***) In Bayern ward durch Erlaß des Kriegsministeriums vom 18. Juli 1870 zuerſt die Herrichtung von Sanitätszügen verfügt. Am Tage von Weißenburg stand in Carls ruhe ein ebenfalls mit Bahren und Lagern ausgerüsteter Zug bereit , mußte aber wegen Versperrung der Bahn unverrichteter Sache umkehren. (Cf. die freiwillige Hülfsthätigkeit im Großherzogthum Baden 2c.) Die ersten officiellen Preußischen Sanitätszüge waren die der Weißenburger Evacuations commiſſion , deren erster am 17. October 1870

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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und Württemberg hatten zuerst diese Idee mit der Abänderung verwirklicht, daß sie eine Reihe solcher Wagen zu einem organischen Ganzen vereinigten und der Küche und Apotheke besondere Abschnitte in diesem Compler an wiesen. ― Dadurch, daß die benußten Wagen durch ihre an den schmalen Seiten angebrachten Thüren und durch Ueberbrückung der Koppelung eine Communication auch während der Fahrt gestatteten , entstand gewissermaßzen ein zuſammenhängendes , auf Schienen gestelltes , ambulantes Lazareth , der Sanitätszug. Es liegt nicht in meiner Absicht , hier näher auf die Einrichtung dieser Anstalten einzugehen . Bereits haben dieselben eine außerordentlich reichhaltige Literatur hervorgerufen , deren Inhalt auch nur kurz wiederzugeben Bogen füllen würde.

Allen diesen Zügen ist die Einrichtung gemeinsam , daß ent

weder in besonders construirten und aufgestellten Verschlägen und Betten oder durch Tragbahren , die in den verschiedensten Aufhängevorrichtungen , wie Gummiringen , Spiralen oder Gurten schweben , eine Anzahl bequemer und den Erschütterungen der Fahrt nicht ausgesetzter Lagerstätten errichtet ist, auf denen selbst Schwerverwundete und Kranke ohne Gefahr für ihren Zustand längere Eisenbahnfahrten ertragen können.

Diese Krankenwagen waren meiſt

durch Wasser- oder Ofenheizung erwärmbar , und standen mit einem Küchen wagen, der es gestattete, während der Fahrt die Koft für die Kranken zu be reiten , sowie dem ärztlichen Wagen , der gleichzeitig die Apotheke enthielt , in einer in oben besprochener Weise auch während der Fahrt ermöglichten Ver bindung. Aerzte , Krankenpfleger , kurz ein ganzes Lazarethpersonal schaltete in diesen Räumen wie in einem feststehenden Krankenhause, und man hat die ganze Einrichtung mit Recht als ein zugleich auf Schienen etablirtes und marschirendes Feldlazareth bezeichnet. Dieses Grundprincip war in der mannigfachsten Weise verwirklicht, und kann ich Denjenigen, welcher sich für diese Einzelheiten interessirt, nur auf die unten angegebenen Veröffentlichungen verweisen . *) Es unterliegt keinem Zweifel, daß keine Erscheinung auf dem Felde des Militair- Sanitätswesens ein solches Aufsehen erregt hat , wie diese Sanitäts abgelaſſen wurde. Der erste der in Berlin ausgerüsteten heizbaren 9 Züge dieser Art pasirte Weißenburg bereits am 17. Nov. 1870 , der 2. am 21. Nov. , der 3. am 3. Dec., der 4. am 12., der 5. am 15., der 6. am 24. Dec. (Cf. Rabl - Rückhard , Die Evacuations commiſſion zu Weißenburg 2c ) Somit befindet sich Professor Billroth (Hiſtoriſche und kritische Studien über den Transport 2c. S. 35) im Irrthum, wenn er angiebt, daß sich erst Ende Januar 1871 das Preußische Kriegsministerium ermannt“ habe , Lazareth züge zu bauen. *) Virchow , Der erste Sanitätszug des Berliner Hülfsvereins 2c. 1870. Sigel, Die Württembergischen Sanitätszüge . 1871 . Wasserfuhr, Vier Monate auf einem Sanitätszuge (sehr werthvoll für Preußische Verhältnisse). Pelzer, Die Deutschen Sanitätszüge und der Dienst als Etappenarzt 2c. Hirschberg , Die Bayerischen Spitalzüge 2c. Schmidt, Ueber Lazarethzüge aus Güterwagen 2c. 1873. Bonnefond , Model d'un train sanitaire etc. 1873.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

züge.

Sie sind gewiſſermaßen die Schoßkinder der auf die möglichste Ver

vollkommnung der Verwundetenpflege im Felde gerichteten Bestrebungen ge= worden, allein ich fürchte , man unterschäßt die Schwierigkeiten , welche sich einer immer prompten Verwendung derselben auf den Bahnlinien im Kriege entgegenstellen werden . Uebrigens bedürfen noch manche derselben, selbst die Preußischen , die in vieler Hinsicht alle Anerkennung verdienen , wesentlicher Verbesserungen. Denjenigen Offizieren , die sich für die Sache intereſſiren , empfehle ich vor Allem den citirten Auffah von Wasserfuhr. (Anmerk. auf Seite 157) instructiv.

Auch ist das Buch von Billroth

Erwähnen will ich endlich nur noch , daß während der Zeit vom 30. Septbr. 1870 bis zum 7. Juli 1871 allein über Weißenburg 14,149 Kranke und Verwundete auf Sanitätszügen in 98 Fahrten befördert wurden. *) Kaum minder bedeutungsvoll als die Sanitätszüge tritt eine andere Er scheinung auf demselben Gebiete zum ersten Male in Europa während dieſes Krieges auf : die Krankenbehandlung in Baracken . Man hatte bereits früher die Erfahrung gemacht, daß die Heilung Schwerverwundeter und Kranker sich in luftigen , offenen Räumen viel günstiger und schneller gestaltete , als in dicht gebauten , eigentlichen Krankenhäusern .

Augenscheinlich kamen dabei

zwei Hauptursachen zur Geltung : einerseits der in solchen unvollkommen ab geschlossenen Räumen ohne Unterbrechung stattfindende lebhafte Luftwechsel, welcher eine Verunreinigung der Umgebung der Kranken durch allerlei Aus dünstungen und eine Anhäufung verderblicher Ansteckungsstoffe verhindert ; andererseits die durch zahlreiche kleinere Räumlichkeiten an Stelle eines großen Gebäudes mit mehreren Stockwerken ermöglichte Vertheilung der Kranken in einzelne, von einander getrennte Gruppen.

Diesen Grundsäßen entsprechend,

kommen hauptsächlich zwei Unterkunftsorte für Verwundete 2c. in Betracht : das Zelt und die aus dem offenen Schuppen hervorgegangene Holzbarađe. Die Zeltbehandlung war schon lange geübt worden. Finden wir doch schon in dem von mir besprochenen Reglement vom Jahre 1787 Bestimmungen darüber, sowie den Ausspruch, daß Leichtkranke , in Zelten behandelt, raſcher genesen , als im Hospital. Auch die Feldzüge der letzten Jahrzehnte führten zu einer häufigen Benußung des Krankenzelts, aber auch zu der Ueberzeugung, daß dasselbe nur von bedingtem Werth sei , indem es namentlich nicht einen. hinreichenden Schuß gegen die Unbilden der Witterung gewährte.

Wollte man

diesen durch festen und dichten Verschluß erzielen, so litt wieder ein anderer, äußerst wichtiger Umstand : der nothwendige Luftwechsel. Somit kam man mehr und mehr von den Krankenzelten ab, und hat namentlich von Deutscher Seite im Französischen Kriege wenig Gebrauch davon gemacht.

Man sucht

noch jezt nach einem Zelt , deſſen Bau und Einrichtung allen Anforderungen

**) Cf. Rabl - Rückhard a. a. D. S. 429.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens.

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genügt , und es läßt sich vielleicht erwarten , daß später , wenigstens für die beſſere Jahreszeit und mildere Klimate , das Zelt wieder mehr zur Verwen dung kommt. Anders gestalteten sich die Verhältnisse für die Baracke.

Es scheint, als

wenn die Ruſſen die Ersten waren, welche Holzbaracken im Krankendienſt ver wandten. Wenigstens fanden sich solche bereits in den dreißiger Jahren im Lager von Krasnoë-Zelo. schiedenen Orten errichtet.

Andere wurden während des Krimm krieges an ver Gleichzeitig bauten die Engländer große Feldlazarethe

zu 26 Baracken bei Sebastopol , Balaklava 2c. , die mit Ventilationsvorrich tungen versehen waren , während diese den Französischen fehlten . Allein erst der Americanische Krieg sollte auch hier die großartigsten Verhältnisse ent wickeln. Unter dem Einfluß der Englischen Erfahrungen, namentlich auch des bekannten Buchs der Miß Nightingale (Notes on Hospitals) entstanden als So wurden mit großer bald in America zahlreiche derartige Bauten . Schnelligkeit Lazarethe errichtet, in denen alle Anforderungen der Hygiene im vollsten Maße erfüllt waren , die in Betreff der Räumlichkeit , Lüftung , der Reinlichkeit , der Pflege und Ordnung wenig zu wünschen übrig ließen , mit einem Worte : Muster-Hospitäler im weitesten Sinne des Wortes " *) . Man baute diese Baracken in der Eile aus Brettern, versah sie mit einer ausreichenden natürlichen Ventilation (ſogenannte Dachfirſtlüftung) und ver einigte eine Anzahl derselben zu verschiedenartig

angelegten Gruppen

als

General Hospitäler , welche gleichzeitig in besonderen Gebäuden die Wirth schafts-, Vorraths 2c. Räume und die Wohnungen des Lazareth- Perſonals enthielten.

In Europa war man bis 1866 noch zu ſehr für die Zeltbehand

lung eingenommen, um den praktiſchen Versuch mit der Americaniſchen Holz baracke anzustellen.

In der Zwischenzeit bis 1870 machte sich aber ein Um

schwung der Meinung geltend , es wurden in zahlreichen größeren Kranken anstalten Baracken errichtet und riefen durch die günstigen Ergebnisse der Krankenbehandlung , die man in ihnen erzielte , eine wahre Begeisterung für diese Neuerung hervor. So kam es, daß namentlich von Deutscher Seite die Barackenbehandlung während des Krieges 1870/71 im ausgedehntesten Maße angewandt wurde.

Freilich muß bemerkt werden, daß dabei nicht Alles, was

man Baracke nannte , dieſen Namen im strengen Wortsinn verdiente.

Eine

Baracke Americanischer Art ist immer ein einstöckiger, auf erhöhtem Unterbau ruhender, mit Dachfirſtventilation versehener hölzerner Pavillon. Wir finden dagegen in Deutschland die verschiedensten Formen angewandt : vom primi tiven, seitwärts offenen Schuppen , dessen Pfosten mit Brettern verschlagen find, während das Tageslicht durch den freigelassenen obern Theil der Seiten wand, unmittelbar unter dem Dachvorsprung, eintritt, bis zur eleganten, mit aller Bequemlichkeit, ja mit Verschwendung ausgestatteten Baracke , wie wir

*) Esmarch, a. a. D. S. 101.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

sie bei Berlin auf dem Tempelhofer Felde errichtet sahen. Eine reichhaltige Literatur ist über diesen Gegenstand seitdem erschienen, die freilich vorwiegend nur das Interesse der Aerzte und Bauverständigen erregt.

Hier , wo es mir

nur darauf ankommt, die hervorragenden Erscheinungen auf dem Gebiete des Sanitätswesens in kurzen Zügen zu kennzeichnen , ist nicht der Ort , nähere Schilderungen dieser Einzelheiten zu geben. Immerhin haben sich durch die Erfahrungen manche Uebelstände des Barackenbaus ergeben, die namentlich auch die Schwierigkeit der Heizung be treffen. Dies, und die notorische Kostspieligkeit solcher Bauten vollendeter Art, veranlaßten den berühmten Russischen Chirurgen Pirogoff zu dem Vorschlage, nach Art der Südrussischen Bauernhäuser Lehmhütten für den Zweck der Verwundetenpflege zu errichten. Die einfachste Form wird durch eingegrabene oder auf Gestellen befestigte Eichenstämme dargestellt , deren Zwischenräume durch ein mit Häcksel und Lehm beworfenes einfaches oder doppeltes Reiſig geflecht ausgefüllt werden.

Eine weitere Vervollkommnnung ist das Fachwerk

(Preußisches Gemäuer, Pisébau ) : kurze hölzerne Bohlen zwischen Standpfäh len, dazwischen in Lehm getauchte Strohbüschel als Füllung, an deren Stelle endlich auch Ziegel treten können.

Die Bedachung soll aus Stroh , Lehm ,

Rasen oder Ziegeln bestehen.

Pirogoff schlägt nun vor , im Kriege in der = Nähe von Eisenbahnen und Landstraßen ganze Dörfer solcher Lehm

hütten zu erbauen, und so gewissermaßen Verwundeten - Colonien zu schaffen, die eine zweckentsprechende Krankenzerstreuung und Unterkunft für geringe Kosten gestatten. Für die 250,000 Thaler, welche die Berliner, nur für 1500 Kranke berechneten Baracken kosteten , will er schnell auf diese Art Lazarethe für 10-11000 Mann (3000 Lehmhütten zu 3—4 Betten) herſtellen * ) . Im Som mer hält er dabei eine Zeltbehandlung für das Beste.

Jedenfalls verdient

dieser Vorschlag Berücksichtigung , wenn auch zunächst nur für ein dünn. bevölkertes Land. Nach dieser Uebersicht der als neu während des letzten Feldzuges zu Tage getretenen Erscheinungen können wir mit Recht unser Gesammturtheil dahin abgeben, daß das Sanitätswesen sich redlich bemüht hat, auf der Höhe seiner Aufgabe zu stehen, und daß seine Vertreter mit einiger Genugthuung auf ihre Leistungen zurückblicken können . ― Am meisten Mängel haben sich noch beim Krankendienſt im Rücken der Armee herausgestellt. Namentlich ist es die Ab Lösung der etablirten Feldlazarethe durch das Lazareth-Reserve-Personal, wo wesentliche Verbesserungen noth thum.

Dieses Personal sollte so früh wie

möglich zur Stelle sein, um aus den Händen der Aerzte 2c. der Feldlazarethe die Krankenpflege zu übernehmen , ja selbst noch neben denselben einzutreten, wo die Arbeitslast für jene zu überwältigend ist. Andererseits sollte auch bei den Befehlen an die Feldlazarethe, wieder zur Division zu stoßen, berückſichtigt *) Pirogoff , Bericht über die Besichtigung der Militair - Sanitäts - Anſtalten 20., Seite 131 ff.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair Sanitätswesens.

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werden, daß diese da am nöthigsten sind , wo sie vollauf Beschäfti gung gefunden haben , ohne abgelöst werden zu können. Die schon entwickelte Thätigkeit an Ort und Stelle zu Gunsten einer eventuellen weiter vorwärts zu vertauschen, ist immer bedenklich, und manches Feldlazareth kam nicht zur vollen Verwendung , weil es immer auf kommende Ereigniſſe bereit gehalten wurde. - Die Vorwürfe, daß Lazarethe zahlreiche Verwundete ohne genügende Hülfe verlaſſen mußten, um der Division zu folgen, sind für die Vertreter der amt lichen Krankenpflege um so schmerzlicher, je unschuldiger sie selber an diesen Thatsachen waren, die man zu gern zu ihren Ungunſten ausbeutet. Was das Lazarethreſerve- Perſonal betrifft , so wird dasselbe um so eher auf dem Felde der Action erscheinen können , je mehr seine Ausrüstung und Zusammensetzung ein schleuniges Vorschieben ermöglicht.

Bis jetzt ist diese

leider der Art , daß es sogar an etatsmäßigen Fuhrwerken fehlt , und das Perſonal für sein Gepäck auf Requiſitionsfuhren angewiesen ist, während man ihm selber zumuthet, zu marſchiren.

Und das zu einer Zeit, wo die Etappen,

kaum errichtet, mit der furchtbarsten Noth und Verwirrung zu kämpfen haben, wo an einen genügenden Fuhrpark noch nicht zu denken ist, und der Etappen offizier mit jedem Wagen geizt. Es kann nicht Wunder nehmen , daß unter solchen Umständen dem frühzeitigen und rechtzeitigen Eintreffen des Reserve perſonals die größten Schwierigkeiten entgegenstehen , daß es nicht aufzufinden ist, ohne Befehle umherirrt u. s. w. Eine bedeutende Vergrößerung dieses Perſonals, und die Beseitigung der Beförderungsschwierigkeiten würden weſent lich günstigere Verhältnisse schaffen. Gerade die Behandlung und Pflege in den stehenden Kriegslazarethen ist von wesentlichem Einfluß auf die günstigen Heilerfolge der Verwundeten. Es bedarf daher für dieſe Anstalten um so mehr eines möglichst tüchtigen und erfahrenen ärztlichen und Wärterperſonals, und ist jeder unnöthige Wechsel in demselben zu vermeiden .

Allein dieses

Personal vermag nur überhaupt etwas zu leisten , wenn ihm die für die Krankenpflege nothwendigen Verbandgegenstände , Medicamente und Instru mente zur Hand find. Diese befinden sich aber , getrennt vom Lazareth-Re serve-Personal, bei dem Lazareth - Reserve - Depot. - Es muß also gleich zeitig auch ein rasches Eintreffen des lezteren ermöglicht werden .

Jin lezten

Kriege hatte das seine großen Schwierigkeiten, weil dieſes Depot ebenfalls auf Vorspann angewiesen war , was allgemein als ein bedeutender Mangel der Organisation empfunden wurde. *) Ebenso nothwendig erweist sich für jeden kommenden Feldzug die Etati firung der Evacuationscommissionen, die um so sicherer zu erwarten steht, als die mittlerweile umgearbeitete Etappen -Instruction derselben als „ Kranken transportcommissionen " bereits erwähnt.

Dasselbe gilt von den Sani

*) Sehr lehrreich ist in Bezug auf das Besprochene ein Aufsatz des Oberstabsarzt Dr. Löwer: Der feldärztliche Dienst auf der Landetappe (Deutsche Militairärztl. Zeit. 1872, Nr. 8, S. 339) , auf den ich Jeden verweise, der sich von den erheblichen Uebelſtänden der bisherigen Einrichtungen dieser Art überzeugen will. 11 Militairische Jahresberichte 1874.

Militairische Jahresberichte für 1874.

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tätszügen , die mit der Mobilmachung zuſammengestellt werden müſſen, um so -Gerade auf diese Errungenschaft des früh wie möglich zur Stelle zu sein. lezten Feldzuges hat die öffentliche Meinung ihr Auge gerichtet , und wird nach der Vollkommenheit des Verwundetentransports in erster Linie die Leistungen des Militair- Sanitätswesens beurtheilen.

Nichts erregt im In

lande mehr das Mitleid mit den unglücklichen Opfern und die Erbitterung gegen die für den Transport verantwortliche Behörde, als blutende Verwun dete mit zerschossenen Gliedern in nackten Güterwagen, die nach tagelanger Fahrt, mehr todt als lebendig , die erste Kunde von der „ Kehrseite der Medaille " in die Heimath tragen. Schwer geschädigt werden endlich die Intereſſen des Feldſanitätsdienstes durch den durchaus mangelhaften Ersatz des zahlreichen Personals , welches während des Krieges durch Krankheit und Tod in Abgang kommt. Es ist dringend nothwendig ,

daß für

das

Sanitätspersonal mit

der

Mobilmachung eine Ersaßabtheilung formirt werde , ganz analog denen jeder Waffengattung. Dieser Abtheilung wären alle bei den mo bilen Formationen nicht verwendeten dienstpflichtigen Mannschaften, sowie die Ersabreservisten einzureihen , welche als Krankenpfleger und Heilgehülfen ver werthbar sind.

Ob, wie Löwer (a . a. D. p . 353) vorſchlägt, auch die frei

willige Krankenpflege dieser Formation einzureichen ist , lasse ich dahingestellt sein. Meines Erachtens ist die Erſaßabtheilung immer nur eine halbe Maß regel, und eine völlig genügende Vorbereitung für alle Anforderungen des Krieges nur durch eine dem Eisenbahnbataillon entsprechende Friedensformation des Sanitätscorps ermöglicht. Ich stelle mir die Sache so vor , *) daß , womöglich schon beim Erſaß geschäft, eine Anzahl brauchbarer Individuen , denen gewiſſe kleinere körperliche Gebrechen , ähnlich wie den Trainmannschaften , anhaften können , mit der ausdrücklichen Bestimmung

für

den

Sanitätsdienst

ausgehoben

werden . Diese Mannschaften werden zunächst behufs ihrer rein militairiſchen Ausbildung bei den verschiedenen Truppentheilen eingestellt , und nach Voll endung derselben der Sanitätsabtheilung überwiesen, in welcher ihre tech nische Weiterbildung durch Sanitätsoffiziere stattfindet.

Je nach ihrer Be

fähigung werden sie zu einfachen Sanitätssoldaten (Krankenträgern und Pflegern) oder zu den dem Unteroffizierſtande angehörigen Lazarethgehülfen herangebildet. Da für eine möglichst gründliche Ausbildung derselben große Lazarethanstalten nöthig sind, müßte jede Sanitätsabtheilung am Drte eines General - Commandos formirt werden.

Nach längerem Lehrcurs daselbst und

einer praktischen Durchbildung im Lazareth würden die Lazarethgehülfen dann wieder den Regimentern 2c. zugetheilt werden. Indem man dort die Capitulation derselben in ganz entsprechender Weise, wie die tüchtiger Unteroffiziere, durch die *) Eine ganz ähnliche Einrichtung von Sanitätsfriedensformationen beſteht bereits bei verschiedenen Heeren , und ist namentlich in lezter Zeit auch in der Schweiz weiter entwickelt.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens .

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Möglichkeit, den Rang des Feldwebels zu erlangen, und durch spätere Civilver sorgung begünstigte , erhielte man ein durch langen Dienst in der Kranken pflege wohl geschultes und zuverlässiges Corps von Lazarethgehülfen , d . h. wahren Gehülfen des Arztes .

Beim Fehlen einer solchen Friedensorganisation ist man jest genöthigt, bloß um den Bedarf im Kriegsfall durch eine möglichst zahlreiche Reserve zu decken , nur Wenige der als Lazarethgehülfen ausgebildeten Mannschaften zur Capitulation zuzulaſſen, damit die etatsmäßige Stelle , die sie bekleideten, wieder von Andern, neu ausgebildeten, besezt werden kann . *) Es kann, glaube ich, nur wünschenswerth sein, die Mehrzahl der Lazareth gehülfen- Stellen im Falle einer Mobilmachung mit alt gedienten und routi nirten Leuten dieser Art auszufüllen. Das , was für jezt aus der Reserve herangezogen ist , dürfte , nach dem Urtheil vieler Fachgenossen , nicht immer brauchbares Material sein , denn das relativ Wenige , was solche Individuen in ihrer zweijährigen Ausbildungszeit während des activen Dienstes von der Krankenpflege u . s. w. gelernt haben, geht meist in der Zwischenzeit, während der sie ihrem Civilberuf wiedergegeben sind , aus ihrem Gedächtniß verloren . Wenn es ermöglicht wird, durch solche Sanitätsabtheilungen und die da mit verbundenen Lazarethgehülfenschulen einen genügenderen und mehr durch gebildeten Ersatz zu gewinnen , würde auch der Stand der Aſſiſtenzärzte in direct gehoben werden , indem der Lazarethgehülfe für manche Dienſtverrich tungen als völlig ausreichend eintreten könnte , die jezt als eine schwer ―――――― So namentlich die Be empfundene Last dem Assistenzarzt obliegen. gleitung zu Schwimm- , Schieß- und anderen Uebungen , **) nicht minder aber ein Lazarethwachdienst , der in manchen , namentlich größeren, Garnisonen die wenigen vorhandenen Hülfsärzte auf das Härteste trifft. Gerade die Aussicht, einen Tag um den andern, oder vielleicht alle 3 Tage das Lazareth nicht verlassen zu dürfen , und somit 4 bis 6 Monate des Jahres in einem Zustande der Gebundenheit zubringen zu müſſen *** ) , wie man ihn weder dem Offizier , noch irgend einem höheren Be amten zumuthet , schreckt nächst der ungünstigen Beförderung , wie ich aus Vieler Mund gehört habe , den jungen Civilarzt ab , nach abgelegter freiwilliger Dienstzeit sich der militairärztlichen Laufbahn zu widmen . — Durch ein gründlicher vorgebildetes Hülfsperſonal der unteren Chargen könnte auch hier Abhülfe geschaffen werden . *) Es darf in jedem Armeecorps nur die Hälfte der etatsmäßigen Lazarethgehülfen stellen durch Capitulanten, und nur 15 Procent der etatsmäßigen Stellen durch Capitu lanten von mehr als 7jähriger Dienstzeit besezt werden. (Verf. des Kriegsministeriums vom 23. Juni 1873.) **) Zu diesen wurden bereits in den meisten Garnisonen nur Lazarethgehülfen com mandirt. ***) Es ist sogar vorgekommen , daß ein und derselbe Aſſiſtenzarzt Monate lang täg lich nur eine Stunde das Lazareth verlassen durfte , um wenigstens Mittag essen zu können. 11*

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Auch ist , meines Erachtens , eine Untersuchung auf gewiſſe ansteckende Krankheiten sehr gut , unter Aufsicht eines Arztes , von einem in dieser Be ziehung vorgebildeten Lazarethgehülfen auszuführen, und somit auch diese Scene weniger peinvoll für ersteren zu machen. - Uebrigens geschieht auch dies bereits in einigen Garnisonen, ohne Schaden für die Sorgfamkeit der Untersuchung. Bemerken will ich bei dieser Gelegenheit , daß bis jezt überhaupt der dienstlichen Thätigkeit des Assistenzarztes manche Erbschaft des alten Com pagniechirurgenthums anklebt , die sich mit seiner so viel mehr gehobenen Stellung nicht wohl mehr verträgt. Es kann nur erwünſcht ſein, wenn der Assistenzarzt, was seine rein ärztliche Thätigkeit bei der Krankenbehandlung 2c. betrifft, so selbstständig wie möglich gemacht werde. So nothwendig eine rein dienstliche Unterordnung des Aſſiſtenzarztes ist , so wenig verträglich erscheint es mit der Würde eines gründlich gebildeten jungen Arztes, gelegent lich gegen seine bessere Ueberzeugung bei der Behandlung von Kranken dem Befehl eines Andern Folge leisten zu müssen. Wenn sich nun der höher durchgebildete Lazarethgehülfe schon in dieſen Beziehungen als ein nothwendiges Desiderat bezeichnen läßt , wäre er endlich auch für den Truppendienst im Felde von nicht geringerer Bedeutung. Dann würde der Compagnie-Chef in seinem erfahrenen, die Leute ebenso gründlich, wie er und der Feldwebel kennenden altgedienten Oberlazarethgehülfen eine wesentlichere Stüße für das Zusammenhalten der Mannschaften beſißen, als in dem diesen ganz fern ſtehenden Aſſiſtenzarzt, * ) den die Compagnie mit drei andern theilen muß. - Ich glaube nicht , daß durch die Weiterbildung der Lazarethgehülfen, wie sie hier gedacht wird, eine Rückkehr zu dem glücklich beseitigten Compagnie- Chirurgenthum zu befürchten ist. Durch die jest ge schaffene gegen früher gänzlich veränderte Stellung des Arztes ist eine für das Unterpersonal unübersteigbare Schranke gefeßt .

Man darf nicht vergessen,

daß die alten Compagnie - Chirurgen darum so wenig geachtet wurden , weil sie nicht Aerzte und ebensowenig Soldaten waren.

Die Lazareth

gehülfen, die, was gewisse Functionen betrifft, ja zweifellos eine der ihrigen ähnliche Thätigkeit auszuüben hätten , schüßt vor der jenen zu Theil gewor denen Geringschäßung ihre klare Stellung als Personen des Soldaten standes und als Vorgesetzte der Gemeinen. Wenn man sie namentlich in Betreff der Rangbezeichnungen mit den übrigen Unterchargen ganz gleich ſtellt (Sanitäts-Unteroffizier, Sergeant , Feldwebel** ), sehe ich nicht ein, weshalb *) Man würde zu diesem Zweck jeder Compagnie möglichst ihren bisherigen etats, mäßigen Oberlazarethgehülfen auch während des Krieges lassen müſſen, und den Be darf für die Kriegsformationen (Detachements , Feldlazarethe) den Sanitätsabtheilungen selbst entnehmen können. **) Da mit dem Namen „Feldwebel“ ſich ein ganz bestimmter hiſtoriſcher Begriff, der das Verhältniß zur Compagnie in specifischer Weise kennzeichnet , verbindet , würde sich statt dieser Bezeichnung vielleicht eher die des Oberlazarethgehülfen resp. „ Sanitäts -Ober gehülfen" (mit Feldwebelrang) empfehlen. Die Bezeichnungen der anderen Chargen sind aber besser rein militairisch zu wählen.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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- Nach entsprechender Dienst fie weniger Achtung einflößen sollen, als diese. Versorgungsberechtigten mit Vorliebe die Laza zeit aber würde man aus den rethbeamten wählen können, die ſomit die ganze technische Schule des Kranken Es ist aber ein großer Unterschied, dienstes selbst durchgemacht hätten . *) ob man 8-12 Jahre als Unteroffizier zc. dient und eine ehrenwerthe Be= amtenlaufbahn in Aussicht hat , oder als überall zurückgesetter Compagnie Chirurgus ein hoffnungsloses Dasein zu fristen verurtheilt war. Dies wären die Gedanken und Betrachtungen , welche sich unwillkürlich Wir haben an die Erfahrungen des letzten großen Krieges anschließen . seitdem noch wichtige organisatorische Neuerungen zu verzeichnen, die aber nur mehr ein Ausbau des bereits vor dem Feldzuge durch die Reorganiſation des Jahres 1868 Begründeten , als wirklich fundamentale Aenderungen sind. Bemerkenswerth ist zunächst die Umgestaltung , welche das Feldſanitäts wesen durch die " Instruction , betreffend das Eisenbahn- und Etappenwesen u . s. w. vom 20. Juli 1872 " erleidet. Dieselbe trennt, um mich der kurzen Schilderung des Generalarztes Dr. Roth zu bedienen **, „von den Geschäften des Generalstabs- Chefs im Großen Hauptquartier sämmt liche Verwaltungszweige und stellt sie unter ein besonderes Organ , den Ge= neral Inspecteur des Etappen- und Eisenbahnwesens , welcher dieselben nach den Anweisungen des Chefs des Generalstabes leitet. Derselbe ist mithin gewissermaßen ein mobiler Kriegsminister , dessen Thätigkeit am besten durch die Bezeichnung „ Feld - Verwaltungs - Inspecteur " gekennzeichnet wird. Die Spigen der einzelnen Dienstzweige haben aber mit eigener Ver antwortung den gesammten Dienstbetrieb derselben zu dirigiren und für dessen Uebereinstimmung mit den Anweisungen des General- Inspecteurs Sorge zu tragen." - Diese Spizen sind : der Chef des Feldeisenbahnwesens , der General - Intendant der Armee , der Chef des Feldsanitätsweſens , der Chef Somit ist zum ersten der Militair-Telegraphie , der Feld-Oberpostmeister. Male das geschaffen, was bisher in jedem Kriege vermißt wurde : eine zum Großen Hauptquartier in unmittelbarer Beziehung stehende ärztliche Oberleitung des gesammten Feld - Sanitäts - Dienstes . Dieſer Chef hat „ einheitliche Gesichtspunkte für die Unterbringung , Pflege und Evacuation der Kranken aufrecht zu erhalten und daher hauptsächlich die *) Im Englischen Heere beſtand bis vor Kurzem ein ähnliches Institut alter, durch langjährigen Dienst vortrefflich eingeschulter Unteroffiziere, welche eine wesentliche Stüße der Aerzte bildeten und sogar zu gewissen Beobachtungen (metereologischen 2c.) verwendbar waren, die nur eine vorherige Einübung und Gewissenhaftigkeit erheiſchen. Wer, wie Schreiber dieses , in Univerſitätslaboratorien bekannt ist , wird sich einer ganzen Anzahl von sogenannten Gehülfen entsinnen, die es durch jahrelange Uebung ge wisser beschränkter Functionen dahin gebracht haben , als einfache Handlanger dem Pro fessor nicht minder werthvoll zu sein , als der gelehrte Aſſiſtent. In ähnlicher Weise denke ich mir eine Heranbildung der Lazarethgehülfen möglich und wünschenswerth , und stehe mit diesem Wunsch nicht allein da. **) Roth: Ueber Evacuations- und Etappenwesen im Kriege. Deutsche Militairärztl. Zeitung 1873, S. 354.

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Krankenbewegung zu leiten. " Erſteht mit den betreffenden Kriegsministerien in ununterbrochener Verbindung und hat seine Requisitionen an diese zu richten, während er vom General- Inspecteur die Anweisungen und Mittheilungen erhält, deren er zur Ueberwachung und Leitung des Krankendienstes bedarf." Ihm ist sowohl das Personal der kämpfenden Armee, wie der Etappe unterstellt. Für den Dienst bei der ersteren treten die Armee- General-Aerzte ein , über deren Stellung und Befugniſſe noch eine Anweisung mangelt , für den Dienst bei der Etappe aber die Etappen - Generalärzte , die sich bei den betreffenden Etappen - Inspectionen aufhalten.

Diese leiten den Lazarethdienſt

u. s. w. innerhalb ihrer Rayons mit Hülfe der ihnen untergebenen Feld Lazareth-Directoren.

Unter diesen wiederum stehen die Chefärzte der etablirten Den Etappen

Lazarethe, sobald sie von ihren Divisionen abgetrennt sind .

find Etappenärzte beigegeben , die namentlich auch für die Einrichtung von Unterkunftsorten für die vorüberpaſſirenden, nach rückwärts evacuirten Kranken zu sorgen haben. Für die eigentliche Krankenbewegung aber , soweit diese sich der Bahn strecken bedient, treten sogenannte Kranken - Transport - Commissionen ein , deren specielle Aufgaben , Zuſammenſeßung und Dienstbetrieb noch durch eine Instruction zu regeln sind . Vorläufig werden sie als Behörden bezeichnet, die für "! das Detail der Krankenzerstreuung " eingesetzt sind, und die weiteren Entsendungen der ihnen zugeführten Krankenzüge an diejenigen Orte bewirken , welche zur Aufnahme der Kranken vorbereitet sind , d. h. in die heimathlichen Reserve- oder die weiter vorn im besetzten Feindesland errich teten Kriegslazarethe. Die Vertheilung der Transporte nach den einzelnen Lazarethen seines Rayons führt der betreffende Linien- Commandant auf Re quisition der genannten Behörde aus. Sehr wesentlich ist schließlich, daß künftig dem Lazareth- Reserve - Depot eine Colonne von 20 Wagen beigegeben wird , so daß ein schnelleres Vor schieben desselben, als im leßten Kriege, ermöglicht wird. So sehen wir das Evacuationswesen in klarer Weise vorbereitet und geordnet. - Nicht völlig genügend dürfte dabei der Etappen-Generalarzt mit Transportmitteln ausgerüstet sein , indem er zu seinen häufigen Rundreisen und den Acten eines Dienstwagens benöthigt ist. Jedenfalls kann er mit zwei Reitpferden und einem unberittenen Pferdewärter nicht auskommen. — Auch der Stab des Chefs des Feldsanitätswesens (1 Oberstabsarzt , 1 Aſſi stenzarzt) scheint etwas spärlich bedacht , denn die Arbeitslaſt muß eine ganz enorme und von so Wenigen kaum zu bewältigende sein. Soviel über die durch die neue Etappen-Instruction bedingten Verände rungen im Feldsanitätswesen. Ein weiterer Fortschritt ist durch die „ Einführung von Chefärzten in die Friedenslazarethe vom 1. Januar 1873 ab " bezeichnet. Es treten damit Militairärzte , welche gleichzeitig eine etatsmäßige Stelle als

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätsweſens .

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Truppen- und Garniſonärzte einnehmen , an den Plaß der bisherigen Laza rethcommiſſionen, bleiben aber den betreffenden Behörden in gleicher Weise wie lettere untergestellt. Der Chefarzt führt den Befehl über das Lazareth, und ist der Vorgeseßte des gesammten für den Dienst darin bestimmten Personals .

Da , wo keine

cautionsfähigen Beamten vorhanden sind , trägt der Chefarzt auch die volle Verantwortung für die Verwaltung , während da , wo sich solche befinden, eine verantwortliche Kaffen- und Dekonomieverwaltung für die eigentlichen. Verwaltungsangelegenheiten besteht, die aber den Anordnungen des Chefarztes unbedingt Folge zu leiſten hat. Somit sehen wir die Einrichtungen , welche sich bereits bei den Feld Lazarethen bewährt hatten, auch auf die Friedensverhältnisse übertragen, und den Militairärzten die Gelegenheit eröffnet, sich für die selbstständige Stellung, der sie im Kriege als Chefärzte unbedingt benöthigt sind , durch eine ent sprechende Friedensthätigkeit nach allen Richtungen hin vorzubereiten. Im Uebrigen war die Einführung der Chefärzte nur eine rechtzeitige Verwirklichung des in der Gesammtmedicin allgemein zur Anerkennung ge langten Grundsages , daß der Arzt zugleich auch der Leiter einer Krankenanstalt sein muß, weil alle Maßregeln und Einrichtungen einer solchen , mögen sie scheinbar dem beschränkten

ärztlichen Beruf des bloßen

„ Eurirens " noch so fern liegen , nur auf das Wohl des Kranken Bezug haben und hinarbeiten müssen. Daher können sie auch nur von Demjenigen angegeben und in ihrer Durchführung beaufsichtigt werden, welcher ein sach verständiges Urtheil über das hat, was den Kranken noth thut. --- Mit einer bloßen begutachtenden Stellung des Arztes ist in solchen Dingen erfah rungsgemäß nie etwas wahrhaft Gutes erreicht worden, denn es kommt ganz auf die nicht ärztliche Direction eines Krankenhauses an, ob sie solchen Rath schlägen, und wären sie noch so wohlgemeint , ein Ohr schenken will oder nicht. - In vielen Fällen vermag aber auch der beste Wille der nicht ärzt lichen Leitung nichts, weil das nothwendige Verständniß fehlt. Endlich_han delt es sich aber oft um rasch zu treffende Maßregeln , die durch jede nicht einheitliche Handhabung nur verschleppt werden würden. Wir können es somit auch im Militairſanitätswesen nur mit Freuden begrüßen , daß durch Ein führung der Chefärzte dem Sachverständigen sowohl der Anstoß, wie auch die Durchführung der für das Wohl der Kranken ebenso, wie die bloße ärzt liche Behandlung , nöthigen Verwaltungsmaßregeln im weitesten Sinne ge wahrt ist. Es ist schon jest nicht zu verkennen , daß sich die chefärztliche Stellung auch als ein wesentliches Erziehungsmittel und eine Vorbereitung für die so schweren und verantwortlichen Aufgaben des Feld - Lazareth - Chefs immer mehr herausstellt. Auch in rein wissenschaftlicher Beziehung wurde für die Weiterbildung und Kriegsbereitschaft der Militairärzte gesorgt, indem man ihnen die Gele

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Militairische Jahresberichte für 1874.

genheit gab , sich immer wieder von Neuem mit den ſo raſchen Fortschritten der Wiſſenſchaft in den für sie wichtigsten Fächern bekannt zu machen . Na mentlich muß ja der Militairarzt ein geübter Operateur sein , allein die Friedensverhältnisse und die gewöhnliche Praxis bieten in dieser Beziehung nicht genügende Gelegenheit zur Weiterbildung. Um diesem Uebelstande ab zuhelfen, werden seit dem Jahre 1873 alljährig je 30 Oberſtabs- und Stabs ärzte zu beſonderen Lehrcursen nach Berlin commandirt. Während der Dauer derselben (3 Wochen) beschäftigen sich die Theilnehmer unter Leitung

be

währter Univerſitätslehrer mit topographischer Anatomie, Operationsübungen an der Leiche und Augenheilkunde. Aehnliche, nur viel ausgedehntere Curse traten in Sachſen bereits 1871 in Wirksamkeit.

Entsprechend der längeren

Dauer

vom 1. October

bis

1. Februar, konnte hier der Stundenplan reichlicher bemessen werden ; nament lich finden die Gesundheitspflege und die daran sich knüpfenden praktiſchen Uebungen eine wohlverdiente Berücksichtigung , während auch die rein mili tairische Seite der Ausbildung durch Reitunterricht und Vorträge über Train wesen, Pferdekenntniß 2c. vertreten ist *) . Bis jetzt dienen diese Einrichtungen in Deutschland noch als ein Noth behelf für etwaige , später zu erstrebende Lehrinstitute.

Es kann nämlich für

Denjenigen, welcher das Militair- Sanitätswesen nach allen seinen Richtungen überblickt , kein Zweifel obwalten , daß die bloße Ausbildung zum praktiſchen Arzt, welche bis jetzt das Universitätsstudium, beziehungsweise die Pflanzſtätte der künftigen Militairärzte zu Berlin, das früher erwähnte Friedrich-Wilhelms Institut und sein Anhang, die Akademie, gewähren, für den Militairarzt nicht mehr ausreicht. Freilich hat der lettere , indem er erst nach einer ein jährigen praktischen Thätigkeit als Unterarzt in der Charité seine Prüfungen besteht , dadurch einen gar nicht hoch genug anzuschlagenden Vorſprung vor dem jungen Civilarzt , von denen die überwiegende Mehrzahl ohne jede gründliche Kenntniß des praktischen Krankendienstes in's Leben tritt **).

Allein dieses Uebergewicht des Militairarztes genügt nicht für

den militairischen Sanitätsdienst.

Letterer erfordert Kenntniſſe in einer An

zahl von Fächern , die meist gar nicht an den Universitäten gelehrt werden, oder mit denen sich zu befassen die knappe Studienzeit nicht ausreicht.

Dahin

gehört in erster Linie die Geſundheitspflege (Hygiene) , schon jezt von einem solchen Umfange, daß sie nicht mehr ein Zweig , sondern ein Complex von Wissenschaften genannt werden muß , mit ihren zahlreichen mühsamen prakti schen Untersuchungen der Luft, des Wassers, des Bodens, der Nahrungsmittel. *) Roth, Die militairärztlichen Fortbildungscurse 2c. Deutsche militairärztl. Zeitung 1872, S. 3 ff. **) Ich nehme natürlich hier die wenigen Assistenten an Universitäten und Kranken häusern aus, denen eine bevorzugte Ausbildung durch diese Stellung gewährt wurde. Die so wichtige Einrichtung , daß Niemand seine Prüfung als praktischer Arzt beſtehen darf, ehe er nicht den Nachweis geliefert hat , daß er ein Jahr lang in einem großen Kranken hauſe praktiſch thätig war, beſteht leider in Preußen nicht.

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens .

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Ferner die Kriegs -Heilkunde und Kriegs -Chirurgie, die ebenfalls eine besondere Beschäftigung von Seiten des Militairarztes vorausseßt , die Augen- und Chrenheilkunde, im Univerſitätsstudium stiefmütterlich bedacht ; dann die mehr militairärztlichen Aufgaben : die Untersuchung Wehrpflichtiger und die dabei in Frage kommenden ſo ſchwer zu entdeckenden Täuſchungen, die nicht minder schwierige Invalidiſirung, die dazu nöthige Kenntniß der Gefeße und Bestim = mungen, endlich die Dienstkenntniß der Friedens- und Feldlazareth - Einrich tungen und ihrer Verwaltung, des Kranken-Transportwesens mit seinen zahl reichen Fuhrwerken und Tragmitteln, die Thierarzneikunde 2c.

Alle diese Dinge

muß der Militairarzt kennen , und erwirbt sich vorläufig ihre Kenntnisse zum Theil erst durch jahrelangen Dienſt. Es wird daher der Wunsch immer lauter, die genannten Lehrgegenstände in einer Art Akademie vereinigt zu sehen, die in ähnlicher Weise , wie die Artillerie- und Ingenieurschule eingerichtet , zunächst von jedem jüngeren Militairarzt beſucht werden müßte, ehe derselbe durch ein besonderes Facheramen seine Befähigung zum Ober-Militairarzt nachwieſe *) . Wir haben für eine derartige Einrichtung ein vortreffliches Vorbild in der Army -medical - school der Engländer zu Nettley bei Southampton, die 1860 errichtet, seit 1863 ſich an dieſem Orte befindet. Hier erhalten sämmt liche Engliſche Sanitäts - Offiziere, nachdem sie ihre Staatsprüfungen als Civil ärzte vollendet, erſt ihre militairärztliche Ausbildung in viermonatlichen Curſen. Vorzügliche Lehrkräfte , eine beneidenswerth reichliche Ausstattung mit Lehr mitteln und Sammlungen vereinigen sich, um diese Anstalt als eine Muster einrichtung hinzustellen . Gleichzeitig wird aber durch das gemeinschaftliche Zuſammenleben der dahin commandirten Aerzte ein Corpsgeist unter denselben entwickelt und genährt. Zum Schluß dieser Betrachtung über die wissenschaftliche Entfaltung des Militair-Sanitätswesens sei noch darauf aufmerksam gemacht , daß auch der ſchon lange in den militairärztlichen Kreiſen gehegte Wunsch nach einem Fach journal durch das Erscheinen einer neuen, „ der Deutſchen militairärzt= lichen Zeitschrift , " vom 1. Januar 1872 an erfüllt wurde. Dieses Organ zeichnet sich durch seine gediegenen Leistungen und durch einen von jeder ge= reizten Polemik freien Ton vortheilhaft aus , und erfreut sich selbst im Aus lande der verdienten Achtung. Es bleibt mir nunmehr noch übrig , über den leßten bedeutenden Fort schritt in der Entwickelung des Militair - Sanitätswesens zu berichten , mit welchem zunächst die Reform ihren Abschluß gefunden hat.

Es ist dies die

*) Ober- Stabsarzt Dr. Schmidt- Ernsthausen entwickelt dieselbe Idee, die übrigens jezt shon Gemeingut der meisten Militairärzte geworden , in seinen verdienstvollen „ Stu dien über das Feld - Sanitätswesen" in etwas anderer Weise , indem er die „ Sanitäts Lehrabtheilung" in den Organismus der Kriegsakademie eingeschoben wünscht. Bei dem Verdacht, mit dem man jede auf eine Verschmelzung mit den eigentlichen Waffengattungen gerichtete Bestrebung des Sanitätswesens von mancher Seite ansieht, würde ich ein solches Project schon aus diesem Grunde nicht befürworten , ohne der sachlichen Gegengründe zu gedenken.

Militairische Jahresberichte für 1874.

170 „ Verordnung

über die Organisation

des

Sanitätscorps

vom

6. Februar 1873 ," ein abermaliger Beweis des Allerhöchsten Vertrauens, welches " das Sanitätscorps ," wie die Worte lauten , in dem legten glorreichen Kriege auf eine anerkennungswerthe Weise gerecht fertigt hat." Diese Verordnung schafft nunmehr ein Sanitäts - Offiziercorps , bestehend aus den im Offizierrange stehenden Militairärzten, welches „ in Be tracht seiner Rechte und Pflichten neben dem Offizier Corps der Armee resp. der Marine steht. "

" Innerhalb desselben finden die für die speciellen Rang

und Dienſtverhältnisse der Offiziere gültigen Vorschriften 2c . eine entsprechende Anwendung, nicht aber hinsichtlich der zu den Offizieren der Armee beſtehenden dienstlichen Verhältnisse. " Die Verordnung

bestimmt ferner die Ernennung von Divisions -

ärzten in der Person des rangältesten , im Stabsquartier garniſonirenden Ober- Stabsarztes

der Division.

Derselbe ist der technische Rathgeber des

Divisions-Commandeurs und . leitet den Sanitätsdienst nach Maßgabe der er lassenen Instruction , verbleibt aber gleichzeitig in seinen regimentsärztlichen Functionen.

Somit ist diese wichtige Zwischeninſtanz auch in die Friedens

formation, freilich vorläufig nicht als eine etatsmäßige Charge, eingefügt. Die Rangverhältnisse der Ober- Stabsärzte blieben dieselben, doch wurde ausdrück lich eine Vermehrung der Klasse der Ober- Stabsärzte mit Majorsrang in Aussicht genommen .

Es würde aber der volle Nußen dieser Zwischenstufe

der Divisions - Aerzte auch für den Friedensdienst erst dann zu Tage treten, wenn man dieselbe zu besonderen etatsmäßigen Stellen erhöbe, und mit ihren bisherigen Functionen die eines Chefarztes der großen Garnison - Lazarethe verbände. Der Regimentsdienst, den bisher der Di viſions-Arzt mit verſieht , und für den der Chefarzt eines größeren Lazareths jezt kaum mehr in Frage kommt, würde dann wieder seinem besonderen Vertreter, dem betreffenden Ober- Stabsarzt, zurückgegeben werden, und nur dabei gewinnen. Eine weitere Folge dieser wichtigen Verordnung ist die Bestimmung, daß die Sanitäts- Offiziere Vorgesezte der Unteroffiziere und Mann schaften sind , ferner in den Lazarethen Vorgesetzte des pharmaceutiſchen, Wärter- und Beamten-Personals .

Auch die sonstigen dienſtlichen Verhältniſſe

wurden in analoger Weise wie bei den übrigen Offizier-Corps der Armee ge ordnet , nur daß noch einige Lücken gelassen wurden, von denen der Mangel der Ehrengerichte am tiefſten empfunden wird . In zweiter Linie ist zu nennen : die Beibehaltung von den der Beamten analogen Feldachſelſtücken*), die Nichtge währung von Rationen an die Ober-Militairärzte**), sowie der Tischgelder 2 .

*) Im Sächsischen (Königlich XII . ) Armee- Corps, werden von den Sanitäts-Offizieren consequenter Weise auch die entsprechenden Offizier-Achselstücke getragen. **) Die Vorenthaltung von Rationen führt zu sehr mißlichen Lagen für die Ober

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens .

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Besonders herorzuheben ist der veränderte Modus in der Ableistung der Dienſtverpflichtung der jungen Mediciner. Dieſelben müſſen sämmtlich , ehe ſie als Unterärzte beim Truppentheil angestellt werden , sechs Monate mit der Waffe gedient haben , und zwar bedürfen diejenigen jungen Leute, welche den militairärztlichen Bildungsanstalten angehören, nach Ablauf dieser Dienstzeit eines

vom

militairischen Vorgesezten ausgestellten Dienst

zeugnisses , in welchem ausgesprochen wird , „ daß sie nach ihrer Führung, Dienſtapplication , Charakter und Gesinnung würdig , sowie auch nach dem Grade der erworbenen Dienstkenntnisse für qualificirt erachtet werden, dereinst die Stellung eines militairischen Vorgeseßten im Sanitätsdienst zu bekleiden." Nach Ablauf der Studienjahre und Prüfungen treten sie als Unterärzte in die Armee zurück, und können nach dreimonatlicher Dienstleistung daselbst zur Wahl als Aſſiſtenzärzte , die der betreffende Diviſionsarzt leitet, und die durch sämmtliche Aerzte der Division stattfindet , zugelassen werden. In ent sprechender Weise ist auch die Dienstverpflichtung derjenigen Mediciner geregelt, die nicht Staatszöglinge sind ; sie können die sechs Monate mit der Waffe zu jeder Zeit ihres Studiums abdienen , und die weiteren sechs Monate je nach Belieben entweder in derselben Weise oder später , nach abgelegter Staats prüfung, als einjährig freiwillige Aerzte. Ich werde weiter unten auf die Vorzüge dieser Einrichtungen für die Durchbildung der Militairärzte noch mit einigen Worten eingehen. Erwähnen will ich hier nur, daß namentlich die Civilärzte aus dem Grunde für die Einführung der Dienstpflicht mit der Waffe dankbar sein sollten , weil auf diese Weise eine lange bestandene , schwer auf den Aerzten des Beurlaubten standes lastende Ungleichheit der Dienstverpflichtungen, allen anderen Stän den gegenüber, beseitigt ist. Die Unmöglichkeit nämlich , vor Beendigung der Staatsprüfung , also vor dem 25. Jahre im Durchschnitt , ihrer Dienſt pflicht zu genügen , erhielt die Aerzte in ein viel höheres Lebensalter hinein Landwehrpflichtig als jezt , wo ihre Gesammtdienstzeit bereits mit dem erſten Etudiensemester beginnt , falls sie in diesem als einjährig Freiwillige mit der Waffe eintreten.

Sie treten somit jetzt mit 31-32 Jahren in den Land

sturm über, nach dem früheren Modus erst mit ungefähr 40 Jahren . Jeder Krieg beraubte den Arzt somit in einem Alter , in welchem alle anderen Stände längst ihrer Dienſtverpflichtung ledig waren , der für ihn und ſeine Familie nothwendigen Existenzmittel, die ihm die Praxis gewährte. So sehen wir denn durch die eben besprochene Verordnung und das , was

Militairärzte, namentlich während der Manöver. Man kann es Männern in einem vorge rückten Alter nicht als Mangel an körperlicher Dienstfähigkeit anrechnen, wenn sie nicht mehr im Stande sind, tagelang den manövrirenden Truppen zu Fuß zu folgen, ganz abgesehen von dem Eindruck , den es macht , wenn ein Ober - Stabsarzt mit Majorsrang auf diese Weise für sein Fortkommen zu sorgen hat. Vor Allem kann unter solchen Umständen von einer zweckentsprechenden und prompten Verwendung des Arztes, die doch der Haupt zwed seiner Theilnahme am Manöver ist , kaum die Rede sein.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

ihr vorausging, eine Organiſation des Militair- Sanitätswesens geschaffen, die auf der Höhe der Zeit steht und manchen anderen Heeren zum Vorbild dient. Daß es sich dabei nicht gleich um die vollen Consequenzen handelt, daß noch Manches zu erstreben übrig bleibt, kann nicht befremden , wenn man bedenkt, daß der Preußische Heeresorganismus seine durch Jahrhunderte feſtgeſtellten Einrichtungen und Besonderheiten hat, mit denen jede Neugestaltung rech nen muß. Die Entwickelung des Militair - Sanitätswesens war und ist daher eine allmälige und langsame : gerade darin liegt aber auch die Bürgschaft , daß sich kein Schritt der eingeschlagenen Bahn zurückthun läßt , weil jeder der selben aus der Ueberzeugung der Nothwendigkeit geschah.

Wir haben nach

Revolutionen Rückschläge zu erwarten , nicht aber nach langsam gereiften Re organisationen ―― da wäre jeder Rückschlag ein unverzeihlicher Rückschritt. Dies mögen die Gegner der jezt durch die Allerhöchste Entschließung zur Geltung gekommenen Richtung bedenken !

Leider fehlt es , gestehen wir

offen , nicht an solchen , wenn sie auch unter den Militairärzten nur in einer Minderzahl vorhanden sind . Ich weiß nicht , ob damals , als man die Be amten, welche bis dahin den Artillerie- und Ingenieurdienſt leiteten, zu Offi zieren machte , nicht auch Manche unter denselben sich befanden , denen die neuen Rechte durch die vermehrten Pflichten zu theuer erkauft schienen. Jeden falls haben jene in die neue Organiſation ſich nicht zurechtfindenden Elemente nicht vermocht , den glänzenden Aufschwung dieser Waffen zu hemmen. Die Zeit ist über sie zur Tagesordnung gegangen. Hoffen wir dasselbe von den wenigen Gegnern der jeßigen Entwickelung des Sanitätswesens . Es liegt mir ferne, mit ihnen deshalb zu rechten.

Sie sind nur das geblieben , wozu sie

früher eine unbehagliche dienstliche Stellung und Thätigkeit machte.

Es waren

vielleicht nicht die schlechtesten Köpfe, welche damals ihre Befriedigung in einer Thätigkeit als bloßer praktischer Arzt suchten und fanden. Wohl möglich, daß diese sich in der Ausübung ihrer Praris durch die vermehrten Aufgaben und Pflichten, die nunmehr an den Militairarzt herantreten , beeinträchtigt fühlen, weil sie dadurch gezwungen werden , sie sonst nur nebenher waren. sein, ob darum auch verwerflich ?

das

jezt

ganz zu sein ,

was

Unbequem mag ihnen die neue Richtung

Die Generation der Gegenwart und Zu

kunft antwortet mit einem entschiedenen Nein !

Diese Generation ist sich

bewußt, daß Preußen durch das Pflichtgefühl seiner Offiziere und Beamten, durch unabläſſige Arbeit groß geworden ist, und daß erſt die Uebernahme von Pflichten auch Rechte verleiht. Wir haben nicht nach der Stellung eines Offiziers getrachtet des äußeren Glanzes wegen, nicht, weil wir uns für etwas Besseres hielten, als die Beamten, sondern weil wir die Ueberzeugung hatten, daß wir nur auf diese Weise unserer schweren Aufgabe gewachsen werden. Wohl wußten wir, daß eine reine Beamtenstellung viel angenehmer und einträglicher für uns gewesen wäre, als eine Laufbahn, die bis jezt, was

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens .

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Rang- und Gehaltsverhältnisse betrifft, wie ich durch Zahlen beweisen kann , die ungünstigste in der ganzen Armee ist. wie früher Jahre und Jahrzehnte.

Allein wir hoffen auch hier,

Wir haben es ferner als einen wesentlichen Fortschritt begrüßt, daß nunmehr der Arzt durch seine Waffendienstzeit zum Cameraden des Sol daten gemacht ist, daß ihm dadurch Gelegenheit geboten wird, alle die Dienst kenntnisse zu sammeln, deren er für seine spätere Thätigkeit, für die Beurthei lung der Leistungsfähigkeit der Mannschaften 2c. bedarf. Wenn man als Vor bedingung für die Laufbahn eines Auditeurs und höhern Intendantur-Beamten die Dienstzeit mit der Waffe und die Stellung als Reserve - Offizier hin stellt , wie viel näher liegt es , dies vom Arzt vorauszuseßen , der, täglich im nächſten Verkehr mit dem Soldaten, inmitten des Truppendienstes, sein Leben zubringt , und bei dem soldatische Eigenschaften , wie Gehorsam, rascher Entschluß, Ruhe in der Gefahr nicht minder nothwendig sind, als seine wissenschaftlichen Kenntniſſe ? Und, um einen andern Punkt zu berühren, wie peinlich war früher für den jungen Militairarzt der Moment , wo er , ohne jede Kenntniß des Dienstes, ja der einfachsten militairischen Formen und Ge bräuche, seine Laufbahn antrat, um erſt allmählich durch Beobachtung Anderer und unerwartete zurechtweisungen, nicht durch Inſtruction und Vorbereitung, kennen zu lernen, was ihm noththat ! Wenn weiterhin gegen die jezt zur Geltung gekommene Richtung einge wendet wird , daß sich militairisches Wesen mit der Thätigkeit eines Mannes der Wiſſenſchaft nicht vereinigen lasse, so vergessen Diejenigen, welche dies be haupten , daß der Offizierſtand der Preußischen und Deutschen Armee nicht wenige Männer aufzuweisen hat, welche den vollen Anspruch auf den Namen . Gelehrte machen können und dabei nicht minder tüchtige Soldaten sind .

Ist

nicht gerade der Generalstab eine glänzende Vereinigung des Soldatenſtandes mit der Wiſſenſchaft ? Und hat etwa die wissenschaftliche Leistung der Militair ärzte unter der Reorganiſation von 1868 und 1873 gelitten? Nun, noch nie ist so viel in der Militair-Medicin gearbeitet worden, wie in den lezten Jahren, noch nie ist das Streben reger gewesen , würdig an dem edlen Wettkampf theilzunehmen , welcher im Deutschen Heere unausgesezt zwischen den ver schiedenen Waffengattungen herrscht , und nicht zum Wenigsten das raſtlose Fortschreiten derselben bedingt. Ueberhaupt sollte man aber aufhören, immer mit einem gewiſſen geistigen Hochmuth den Arzt speciell als „ Mann der Wissenschaft" (eine beliebte Be zeichnung Englischer Sensationsromane) hinzustellen . Der gewöhnliche Praktiker ist dies ebenso wenig, wie der Kreisrichter, Rechtsanwalt oder irgend ein aus den studirten Ständen hervorgegangener, im praktischen Dienst seine Wiſſen schaft verwerthender Beamter. Es ist ja sicher , daß gerade die Medicin gelegentlich durch die Praktiker bereichert wurde und wird : darum sind sie aber noch keine gelehrten Vertreter der Wissenschaft. Wir besißen eine Anzahl berühmter

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Praktiker, die Jeder mit Achtung nennt : die Wissenschaft aber schweigt von ihnen, weil sie keine einzige wiſſenſchaftliche Leiſtung von ihnen zu verzeichnen hat. Ja, der Praktiker fühlt es selbst heraus, daß die Pflege der Wiſſenſchaft nicht seine Aufgabe sein kann, und daß es dazu besonderer Berufsthätigkeit bedarf, die sich sogar mit einer ausgedehnten Praris nicht verträgt * ) . Soviel von den Gegnern unter den Aerzten. Allein nicht blos im eigenen Lager , auch unter den Nichtärzten beſißt das Militair- Sanitätswesen seine Widersacher. Bei der großen Unwissen heit , die in Deutschland selbst unter den Gebildeten über die Aufgabe des Arztes herrscht, kann es nicht Wunder nehmen, daß Viele die Thätigkeit eines Militairarztes nach der ihres Haus- oder Badearztes beurtheilen, indem sie in dem Glauben leben , jener habe nichts weiter zu thun , als Recepte zu verschreiben und gelegentlich Arme und Beine abzuschneiden. Von dem amt lichen Wirkungskreis des Militairarztes, der über diese Verrichtungen hinaus greift, als Organisator, Verwalter, Befehlführender, haben sie keine rechte Vor ſtellung und ſehen seine Bestrebungen, sich darin Geltung zu verschaffen, als An maßung an. — Vielleicht spukt auch in manchem Kopf die Jugenderinnerung an den Compagniechirurgus.

Wer da weiß, wie fest solche Eindrücke haften,

und wie ein falfcher Begriff die Quelle einer ganzen Reihe unrichtiger Vor stellungen ist, wird sich damit Manches erklären. Soll man darum dem Laien zürnen? ― Nun, es giebt ja auch Petrefacten unter den Anschauungen , die dem denkenden Beobachter nicht minder interessant find , als die aus dem Schooß der Erde gegrabenen. Wer sich als Militairarzt gelegentlich an solchen Versteinerungen ſtößt, der grabe nur weiter nach, und er wird in der Vergangenheit ähnliche Er scheinungen finden und sich damit trösten : Es gab eine Zeit, wo der ge wappnete Ritter stolz auf das Fußvolk herabblickte.

Dann kam eine andere,

wo Beide das artilleristische Beamtencorps mit seinen Provincialcommiſſaren, die nicht Offiziere waren , ** ) als nicht ebenbürtig zurückwieſen . Auf dem Gebiet des Ingenieurwesens ferner dasselbe Ringen gegen Vorurtheil und Unterschätzung. Vergleicht man mit dieſen jahrelangen Kämpfen, welche der Anerkennung der technischen Waffen vorangingen , die Leichtigkeit , mit der jüngst eine ausschließlich techniſche Bethätigung, das Eisenbahnbauweſen, als Eisenbahn bataillon in den Rahmen der Armee eingefügt wurde , so muß man darin ein erfreuliches Zeichen der vorgeschrittenen Bildung unserer Zeit sehen , die dem Wissen und Können nicht mehr die gebührende Achtung verſagt. *) Daß aus dem militairärztlichen Stande auch wirkliche Männer der Wiſſenſchaft her. vorgegangen sind, beweisen die Namen : Helmholk , Virchow , Reichert, Leyden, Fischer (in Breslau) , Winkel, Nothnagel, Schmidt (Marburg) und manche Andere, die in der Medicin als Forscher und Univerſitätslehrer einer hohen Achtung genießen. **) cf. Die Bedeutung des Marschalls Vauban für die Artillerie (Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine, B. XII. Heft 2 u. 3, Seite 333 u. folg.)

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair- Sanitätswesens.

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Ueberhaupt wird ja die Theilung zwischen technischer und nicht techniſcher Waffe immer schwieriger, da jede Waffe, die sich auf der Höhe der Entwicke lung halten will , für ihre wirklich brauchbaren Vertreter eine mehr weniger technische Vorbildung vorausseßt. So ist auch der Uebergang zum Sanitäts weſen nur ein gradweiſer. Nur dann wird das leßtere ſeine volle Wirksamkeit entfalten, wenn es immer mehr nach Art einer technischen Waffe orga= nifirt und durchgebildet wird. Daß diese eine Schuhwaffe ist, macht keinen Denn indem sie als Schild gegen die von wesentlichen Unterschied aus. allen Seiten, nicht blos durch Stahl und Blei , sondern durch Seuchen und Elend , drohende Vernichtung den Leib des Heeres schirmt , ermöglicht ſie erſt dem Schwerte , rücksichtslos und wuchtig zu treffen. Und wenn ihre Ver treter die geschlagenen Wunden heilen und in Mitten verheerenden Siechthums und des unsichtbaren Feindes der Ansteckung still ihre schwere Pflicht erfüllen, dann üben sie dasselbe ritterliche Amt, wie die Besiedler unserer Ostgrenze, die Begründer des Preußischen Namens , der Deutsche Orden . - Auch er

" hatte eher Spital , als Ritterschaft " , *) aber man hielt ihn darum der letteren nicht für unwerth, weil er ersterem in Bescheidenheit diente. — „Der Tradition, welche dem Berufe der Krankenpflege in der Armee das Gepräge der Unebenbürtigkeit gab , steht verjüngt eine ältere gegenüber , welche ihn ――――― adelt . " **) Zum Schluß noch die Bemerkung, daß man in früheren Zeiten und in anderen Heeren die schroffe Scheidung der Aerzte von den Combattanten über haupt nie kannte, und daß die Zugehörigkeit der Aerzte zu den Offizieren sich 3. B. in Sachsen bis zur jüngsten Zeit durch die Gemeinsamkeit der Aus zeichnungen u. f. w. erhalten hat. Somit hätte ich denn meine Aufgabe, in kurzen Umrissen ein Bild der Entwickelung des Preußischen Militair- Sanitäts -Wejens zu entwerfen, zu Ende geführt. Ich hoffe, dadurch zum Verſtändniß der Bestrebungen beizutragen, die sich auf diesem Gebiete geltend gemacht haben und noch geltend machen, indem ich durch die geschichtliche Darstellung zeigte, daß diese Bestrebungen nicht von willkürlichen Voraussetzungen anmaßlicher Ueberschätzung ausgingen, ſondern sich als nothwendige Folgen der Erkenntniß des allein richtigen Weges zur Erfüllung der Aufgabe des Militair- Sanitätswesens ergaben. Es bleibt mir aber zum Schluß noch eine Pflicht, der ich mich nicht entziehen kann, so gern ich es thäte : nämlich die, auf die Gefahr aufmerksam zu machen, welche dem Fortschreiten dieſes Dienstzweiges, namentlich aber seiner Leiſtungsfähig keit in einem künftigen Kriege entgegensteht : nämlich der mangelhafte Er ſaß an Sanitätsoffizieren. Derselbe findet bis jetzt überwiegend durch die Zöglinge statt, welche auf den militairärztlichen Bildungsanstalten zu

*) cf. Guſtav Freytag. Bilder aus der Deutſchen Vergangenheit , Bd . II. Abth. 1 , pag. 181. **) Löffler. Das Preuß. Militairſanitätswesen und ſeine Reformen. B. II . S. 2.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Berlin ihr Studium auf Staatskoſten absolvirt, und damit eine 4-8jährige Dienstverpflichtung übernommen haben. Allein diese decken den Bedarf so wenig, daß von 696 Assistenzarzt- und Unterarztstellen zur Zeit nur circa 429 *) beſeßt werden können. Noch hat die militairärztliche Laufbahn an sich (sofern sie nicht jenes freie Studium einschließt), nichts Verlockendes für -den jungen Civilarzt, und findet ein Uebertritt dieser nur vereinzelt ſtatt. Der Grund liegt auf der Hand, und muß leider von den Militairärzten ſelbſt als richtig zugestanden werden. Es sind die ungünstigen Rang- und Beförderungsverhältnisse , die bisher immer noch den strebsamen Civilarzt von dieser Laufbahn zurückschrecken . - Es ist ein staats wissenschaftlich anerkannter Grundsaß, daß, je geringer in irgend einer staat lichen Laufbahn die Möglichkeit ist , eine verhältnißmäßig hohe und gut be foldete Stufe zu erlangen, die mittlere Durchschnittsstellung, zu der die über wiegende Mehrzahl der Aſpiranten überhaupt nur gelangt , um so befriedi gender dotirt und um so eher erreichbar sein muß. - Es muß alſo die unterste Stufe der so früh zum Abschlußz kommenden Laufbahn um so schneller durchmessen werden. Diesem elementaren Grundsaß widerspricht bis jezt das Militair - Sanitätswesen. Bei der so geringen Zahl höherer Stellen**) sind die Chancen , in dieſelben hinaufzurücken , außerordentlich ge ring. - Dazu kommt , daß dieses Aufrücken an sich mit jedem Jahre lang samer und nur streng nach der Altersstufe erfolgt. - Der Ehrgeiz, welcher die Triebfeder im Offizierſtande ist, indem sich ihm eine rasche Beförderung außer der Tour eröffnet , erscheint für den Militairarzt als eine unnüße Leidenschaft, mit der er gut thut , frühzeitig sich auseinanderzufeßen. Es iſt aber eine vielfach bewährte Erscheinung, daß jeder Stand , der auf die Be friedigung dieser menschlichen Leidenschaft verzichtet , oder ihr nicht materielle Entschädigung bietet, nur zu leicht der Stagnation anheimfällt. Wie stellt sich nun jezt die Beförderung der Militairärzte ? Je mehr die Zahl der alten, zu einer solchen nicht mehr zugelaſſenen Aſſiſtenz- und Unter ärzte, die aus dem Compagniechirurgenthum herstammten, sich minderte, desto langsamer mußte nothwendiger Weise das Aufrücken der jüngeren Aſſiſtenz *) Von diesen gehen noch mindestens 60 Unterärzte ab, die in die nicht zum Militairetat gehörigen Stellen in der Charité , und behufs Ableistung der Staatsprüfung nach Berlin abcommandirt sind. Es bleiben also für den Truppendienst zc. in Wirklichkeit nur 369 Assistenzärzte verfügbar. **) Der Etat für die 14 Armeecorps beträgt : 1 Generalstabsarzt mit Generalmajors -Rang (der jezige hat den eines Generallieutenants) , 16 Generalärzte (4 mit Oberst , 12 mit Oberstlieutenantsrang), 60 Oberstabsärzte 1. Klasse (mit Majorsrang und 1600 Thalern Gehalt), 187 Oberstabsärzte 2. Klasse (mit Hauptmannsrang und 1200 Thalern Gehalt), 339 Stabsärzte (mit Hauptmannsrang und 720 Thalern Gehalt), 256 Assistenzärzte 1. Klasse mit Premierlieutenantsrang und Gehalt) , 440 Assistenzärzte 2. Klasse mit Secondelieutenantsrang 2c.). Summa 1309 Sanitätsoffiziere.

1

Entwickelung und Fortschritte des Preuß. Militair-Sanitätswesens .

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ärzte der neuen Aera sich gestalten. - Jezt, wo lettere bereits alle überhaupt beſeßten Stellen, bis auf 11, innehaben, wird die Stockung immer empfind licher. Der Premierlieutenantsrang wird dem Assistenzarzt erst nach unge fähr 5jähriger Dienstzeit verliehen , d . h. , da der Militairarzt erst mit dem 25. Jahre im Durchschnitt in das Heer als solcher eintritt, nicht vor dem 30. Lebensjahr. - Wenn, was doch nur wünschenswerth, die noch nicht beſeßten ca. 267 Stellen einmal sich ausfüllen ließen, würde diese Frist zweifellos noch um einige Jahre fich verlängern. Der Rang des Stabsarztes wird für die nicht älteren Jahrgänge der Aſſiſtenzärzte künftig frühestens mit 35 Jahren erreicht sein. Bis dahin also reicht eine unsichere , unſelbstständige , kärglich dotirte Existenz : fürwahr, jeder tüchtige Civilarzt kann es bis dahin zu einer einträglichen Praxis und geachteten Stellung gebracht haben , ohne sein per sönliches Selbstbestimmungsrecht , was Aufenthalt 2c. betrifft , aufgeben zu Mit dem Uebertritt aber der brauchen, wie es doch der Militairarzt muß. ―― schlechteren Elemente aus dem Civilstande, die in den Paar Hundert Thalern nur einen Nothbehelf für ihren Lebensunterhalt sehen, ist dem Stande der Sanitätsoffiziere wahrlich nicht gedient. Nicht minder ungünstig stellt sich schon jezt die Beförderung zum Ober stabsarzt. Die Generation, die jetzt etwa im 36. Lebensjahr steht, wird, da die lezten Jahre, abgesehen von den neugeschaffenen Stellen der Artillerie 2c., nur ein Durchschnittsavancement von 10 Pas ergeben, *) bis zu ihrem 40. Lebensjahre warten müſſen , ehe sie den Rang eines Hauptmanns 1. Kl. er reicht. - Für die Jüngeren gestaltet sich die Aussicht , für jedes Jahr ihrer Dienstzeit weniger, immer um einige Jahre schlechter, so daß sie vor dem 46. bis 48. Jahre nicht rechnen dürfen, Oberstabsärzte zu werden.

Den Majors

rang zu erlangen, dürfte dereinſt nur besonders langlebigen Naturen vergönnt sein .

Für die 16 Generalärzte könnten noch relativ jüngere Aerzte

in Betracht kommen, da diese nicht streng nach der Anciennität beſeßt werden. Das Schlimmste ist, daß diese traurigen Aussichten nicht eine vorüber gehende Conjunctur , sondern normale Verhältnisse sind. **) - Wenn Im Jahre 1870 erfolgte z. B. eine einzige Ernennung zum Oberstabsarzt. **) Bis jetzt findet bei den ältern Chargen der Obermilitairärzte ein entsprechendes Ausscheiden durch Pensionirung , wie bei dem Offiziercorps der verschiedenen Waffen, nicht statt, indem ein überwiegender Theil der älteren Aerzte möglichst lange im Genuß seiner Stellung bleibt. Troßdem sind die Penſionsbedingungen für den Arzt eben so leicht erfüllbar wie für den Offizier (Halbinvalidität nach mehr als 10jähriger Dienstzeit), allein man muß bedenken, daß die penſionsfähige Dienstzeit immer um etwa 6 Jahre kürzer ist, als beim Offizier gleichen Alters (wegen des späteren Eintritts der Aerzte), und daß die Pensionssäße in Anbetracht der relativ niedren Charge, die erreicht ist , nicht genügen tonnen. Schmidt - Ernſthauſen (a. a. D. p. 59) ſchlägt daher vor , für die pensionsberech tigten ausscheidenden Militairärzte von genügender Rüstigkeit eine Art Civilversorgung Die Idee ist einzuführen, indem man dieselben als CivilMedicinal - Beamte anstellt. gewiß sehr beachtenswerth , doch dürfte ihre Durchführung den betheiligten nicht militai rischen Behörden gegenüber nicht ebenso gut gelingen, wie die Anerkennung der Civilver sorgung der Militairperſonen überhaupt. Natürlich setzte dieser Modus die Wiederein führung des Physikatseṛamens für Oberstabsärzte voraus , während das jezt beſtehende Facheramen am besten die Vorbedingung für die Ernennung zum Stabsarzt würde. 12 . Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

schon, wie ſtatiſtiſch nachweisbar, ſeit 1866 die Zahl der sich der Civil-Medicin widmenden jungen Leute mit jedem Jahre mehr abnimmt, kann es ſomit nicht befremden , daß die Meldungen für die Aufnahme in die militairärztlichen Bildungsanstalten und somit für die militairärztliche Laufbahn immer spar famer einlaufen , und daß man, blos um die Zahl der Zöglinge voll zu haben, nicht mehr so wie früher die Auswahl besonders befähigter Perf ön keiten hat. — Manchem ist es nur um das freie Studium zu thun, und solche kehren nach Ableistung ihrer Verpflichtung, der militairärztlichen Laufbahn eiligſt den Rücken. Diese Uebelstände liegen auf der Hand und werden von den zunächſt betheiligten Behörden nicht unterschäßt.

Wie ihnen abzuhelfen sei , iſt nicht

schwer zu sagen, aber die Ausführung der bestgemeinten Pläne wird ohne die Gewährung der Mittel unmöglich bleiben. — Unser Nachbar jenseits der Vogesen scheint , was den Etat für das Militairsanitätswesen betrifft , in einer ungleich günstigeren Lage , auf die man nicht ohne einen gewiſſen Neid hinüberblicken kann. *) - Aber, weit entfernt von einem etwaigen Ge fühle der Bitterkeit, sind wir überzeugt, daß, wie im letzten glorreichen Kampfe, so auch in einem etwaigen späteren Kriege der Deutsche Militairarzt seinem Französischen Cameraden , wenn auch an Rang und äußerem Glanze , doch nicht an Opferfähigkeit, Kenntniß und Leistungen nachſtehen wird ! Dr. R.-R.

Bericht über das Heerwesen

Dänemarks.

Der Krieg des Jahres 1864 zeigte die völlige Unbrauchbarkeit der da maligen Heeresordnung Dänemarks , worauf nach einem langen peinlichen Zwischenzustande im Jahre 1867 die jeßige Organisation, die damals ziemlich ungetheilten Beifall fand , eingeführt wurde. Die Grundzüge dieſer Organi sation sind folgende : *) Nach dem Gesehentwurf , welcher im Jahre 1874 der Französischen Nationalver, sammlung unterbreitet ist, hat künftig das Sanitätscorps 10 Inspecteurs mit Brigadegeneralsſtellung, 40 Principaux 1. Kl . (Oberſt), 60 Principaux 2. Kl. (Oberstlieutenant), 240 Medecin Majors 1. Kl. (Major), 427 Medecin Majors 2. Kl. (Hauptmann), 368 Aide Majors 1. Kl. ( Premierlieutenant), 100 Aide Majors 2. Kl. (Secondelieutenant). Summa 1245 Aerzte.

Heerwesen Dänemarks.

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Die allgemeine Wehrpflicht ist auf das Strengste durchgeführt ; Ausnah men von derselben finden durchaus nicht statt ; nur die völlig zum Dienst Untauglichen sind ausgeschlossen, während die minder Tauglichen als Militair arbeiter verwendet werden. Die Verpflichtung zum Dienst dauert 16 Jahre, nämlich vom vollendeten 22. bis zum 38. Jahre ; in der Regel stehen die Leute 4 Jahre in der Linie, 4 Jahre in der Reserve und 8 Jahre in der Verstärkung. Die eigentliche active Dienstzeit ist sehr kurz und beträgt durch schnittlich 6 Monate (bei der Cavallerie 91/2), welche ausschließlich zur ersten Ausbildung der Leute verwandt werden ; nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil bleibt dann bei den Truppentheilen zur Ausführung des Garniſondienſtes zu rück. Später werden die beurlaubten Leute wiederum einige Male zu Waffen übungen eingerufen, welche im Ganzen 120 Tage dauern. Der Ersag an Unteroffizieren geschieht theils durch den Zugang von den Zöglingen der Unteroffiziers - Elevenschule, welche das Abgangsexamen beſtehen, theils durch wehrpflichtige Unteroffiziere ( Corporale ) , die bei den Truppen theilen ausgebildet sind und sich zum festen Dienst anwerben lassen. Die wehrpflichtigen Unteroffiziere gehen aus denjenigen Untercorporalen oder Ge meinen hervor , welche nach Beendigung der ersten Ausbildungszeit die Cor poralschule durchgemacht haben ; auch sie können, in der Regel für 1—2 Jahre, im Dienst verbleiben . Die Offiziere gehen sämmtlich ohne Ausnahme aus der Offizierschule her vor, in die sie nur aufgenommen werden können, wenn ſie die militairische Aus bildung der gemeinen Soldaten erhalten haben und zu Corporalen avancirt find. Wenn die jungen Leute das Abgangsexamen aus der nächſtunterſten Klasse der Schule bestehen, werden sie zu Seconde- Lieutenants ernannt, ohne daß dies eine weitere Verpflichtung zum Dienen nach sich zieht ; auch brauchen sie den Besuch der Schule nicht fortzusehen ; treten sie aber in die nächſtoberſte Klaſſe ein, so erhalten ſie nach beſtandenem Examen das Recht, zum Premier Lieutenant ernannt zu werden , sobald eine Stelle frei wird . Die oberſte Klasse dient zur weiteren Ausbildung der Offiziere, namentlich für die Special waffen und den Generalstab. Für die Beförderung vom Premier - Lieutenant zum Capitain ist in der Regel die Länge der Dienstzeit das Maßgebende, während für jede dritte Be förderung dem Kriegsministerium die Wahl freisteht. Für alle höheren Grade gilt ausschließlich das Wahlsystem. Der Premier Lieutenant, welcher 42 Jahre, und der Capitain, welcher 52 Jahre alt wird , kann nicht weiter befördert werden und seinen Abschied mit Penſion verlangen ; nach Ablauf von weiteren 3 Jahren erhält der Betreffende seinen Abschied ; ein Gleiches geschieht mit dem Stabsoffizier, der sein 65. , und mit dem General , der sein 70. Lebensjahr erreicht hat. Für die Pensionirung der Offiziere gelten die allgemeinen , für alle Staatsbeamten aufgestellten Regeln . Wer in Folge oder bei einer Dienſt= verrichtung dienstunfähig wird, erhält eine Invaliditätszulage. 12*

180

Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Unteroffiziere verpflichten sich immer für die Dauer eines Jahres ; will man sie nicht länger behalten , so muß ihnen dies drei Monate vorher angekündigt werden . Die Unteroffiziere , welche ihr 55. Jahr erreicht haben, können ihren Abschied mit Pension verlangen , und erhalten denselben nach Vollendung des 60. Jahres . Für die Pensionirung der Unteroffiziere, sowie für die Invalidenversorgung derselben und der Gemeinen gelten besondere Be stimmungen. Die Remonten für die Cavallerie und Artillerie werden von einer Re monte-Commission angekauft ; nur ein Theil der Remonte (die Stammpferde) verbleibt , wenn sie zum Dienst dreſſirt sind, bei den Truppentheilen (bei der gesammten Cavallerie z . B. nur 800 von 2222) , während die übrigen (die Districtspferde) bei Landwirthen in Verpflegung gegeben werden. Ueber die Pferdeanschaffung im Fall einer Mobilmachung ist noch keine Bestimmung ge troffen , obgleich im Heergeseß eine solche in Aussicht gestellt ist . Es müßten also in einem solchen Falle die nöthigen Pferde einfach gekauft werden. Was die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee anbetrifft , ſo führt die Infanterie seit 1867 das Remingtongewehr, welches sich in jeder Beziehung als vorzüglich bewährt hat. Dasselbe ist mit dem Haubajonet ver sehen, welches , wenn es nicht aufgepflanzt ist , in einer ledernen Scheide ge tragen wird ; jeder dritte Mann der Infanterie ist mit dem Linnemann'schen Spaten versehen. Die ziemlich großen aber leichten Tornister sind aus ſtarker Leinwand mit ledernen Kanten und lederner Unterfläche gefertigt ; die Außen seiten sind schwarz lackirt ; außerdem haben die Leute einen Brodbeutel und eine Trinkflasche von Glas mit Lederüberzug, aber kein Kochgeschirr. Bei der Cavallerie, welche nur aus Huſaren und Dragonern besteht, find alle Regimenter in gleicher Weise bewaffnet und ausgerüstet ; die Leute führen einen Korbsäbel und einen Carabiner nach dem Remingtonsystem, die Unteroffiziere und Spielleute sind mit einer Revolverpistole versehen . Vor Kurzem ist die übrige Ausrüstung möglichst erleichtert worden und namentlich ſind bei der Zäumung die Vorder- und Hinterzeuge fortgefallen. Die Feldartillerie hat noch Vorderlader nach dem Lahitte - System ; es sind dies die alten gußeisernen sechspfündigen Röhre , welche mit Zügen ver sehen worden sind. Die Festungsartillerie , sowie auch die Ingenieure, sind mit dem Remington - Carabiner bewaffnet ; erstere jedoch nur für den Kriegsfall. Die Bekleidung des Dänischen Soldaten ist im Allgemeinen einfach, aber gut und dauerhaft.

Sämmtliche Kleiderstoffe kommen

aus der dem

Staat gehörigen Usheros'schen Tuchfabrik. Die Löhnung des Dänischen Soldaten ist nur klein und beträgt im - mit Ausnahme Ganzen 5 % Silbergroschen täglich, wofür der Mann sich von Brod vollkommen selbst verpflegen muß. Es wird gegenwärtig in Reichstag um eine Soldzulage verhandelt.

Diejenigen Leute , welche länger

Heerwesen Dänemarks .

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als 6 Monate dienen , erhalten eine tägliche Zulage von 1 Silbergroschen . Der größte Theil der Truppen ist in Caſernen untergebracht, wo sich Marke tendereien befinden , aus denen die Leute ihre Kost entnehmen können ; die Meisten ziehen es aber vor , in Speisewirthschaften zu essen , weil das Essen in den Marketendereien verhältnißmäßig sehr theuer ist. Es wird übrigens beabsichtigt, Menagen einzuführen. Naturalverpflegung wird nur während der Uebungslager verabreicht. Wie schon oben bemerkt, wird die ganze erste Dienstzeit sämmtlicher Leute als eigentliche Ausbildungs- oder Rekrutenzeit betrachtet ; die Waffen übungen bei den späteren Einberufungen sieht man in Betreff der Soldaten nur als Wiederholungsübungen an, wohingegen der Garniſondienst , an dem nur ein Drittheil der Leute Theil nimmt , nicht als eigentliche Fortbildung dienen soll. Ein sehr großes Gewicht wird auf die Turnübungen gelegt, welche auch zu Anfang der Rekrutenzeit dem täglichen Exerciren voranzugehen pflegen. Im Allgemeinen erlangen die Dänischen Soldaten eine bedeutende Fertigkeit im Turnen und Bajonetfechten .

Mit Ausnahme der Instructionen

im Felddienst, in der Waffenlehre , im Garnisondienst und den eigentlichen Dienstpflichten werden mit den Leuten keine theoretischen Uebungen angestellt . Jene Instructionen - namentlich die im Felddienst - werden aber in der Weise vorgenommen , daß man möglichst das Denkvermögen der Leute zu wecken sucht und daß man bestrebt ist, ihnen ein wirkliches Verständniß von den Unterrichtsgegenständen beizubringen. Die jüngeren Unteroffiziere besuchen im Laufe des Winters die bei den Truppentheilen errichteten Sergeantschulen, ―― während den älteren einige leichte taktische Aufgaben meiſtens mit Hinzu ――――― fügung eines Croquis zur Lösung aufgegeben werden. Die Lieutenants haben gleichfalls während des Winters einige taktiſche Aufgaben auszuarbeiten, welche ihnen meiſtentheils von den Capitains gestellt werden.

Regelmäßige

Zuſammenkünfte der Offiziere zu wissenschaftlichen Zwecken finden nur in Kopenhagen Statt, wo im Militairverein allwöchentlich Vorträge gehalten werden. Das Kriegsspiel hat in Dänemark bis jezt keine Stätte gefunden. Die eigentlichen Uebungen der Truppen werden in der Rekrutenzeit vom 25. April bis zum 25. October , sowie in der Lagerzeit vom 15. Juni bis Ende Juli vorgenommen. Brigade- und Divisions - Manöver werden aus ſchließlich während des Uebungslagers , in der lezten Periode desselben abge= halten.

Nur ganz ausnahmsweise werden die Truppen der Kopenhagener

Garnison zu Manövern zusammengezogen. Im Winter beansprucht der Gar nison- und Arbeitsdienst der Truppen den größten Theil der Zeit , während fie zugleich als Uebungsapparat für die Offizierſchule , die Unteroffiziers Zöglingsschule und die eigentlichen Truppenſchulen dienen. Nach der gegenwärtigen Organisation besteht die Infanterie aus 21 Linien-Bataillonen , 10 Reserve-Bataillonen und 13 Verstärkungs - Batail lonen, von denen jedes auf dem Kriegsfuß 857 Köpfe ( ohne Offiziere) zählen

182

Militairische Jahresberichte für 1874.

soll. Die Cavallerie enthält 5 Regimenter zu je 2 Linien- und 1 Reserve Escadron, deren Kriegsstärke zu je 120 Mann angesetzt ist ; außerdem soll im Kriege eine Ordonnanz - Escadron gebildet werden. Die Feldartillerie bes steht aus 2 Regimentern , von denen das

erste 6 Linien- und 2 Reserve

Batterien , das zweite 3 Linien- und 1 Reserve - Batterie zu je 8 Geſchüßen enthält. Die Festungsartillerie hat 2 Bataillone, das eine zu 4 Linien und 2 Verstärkungs - Compagnien, das andere zu 2 Linien- und 1 Verstärkungs Compagnien, wozu noch 2 Verstärkungs - Compagnien der Kopenhagener Wehr kommen.

Das Ingenieurcorps beſteht aus 1 Linien- und 1 Reſerve -Ba

taillon ; das erstere hat im Frieden 4 Compagnien, welche sich im Kriege zu 9 entwickeln sollen ; lezteres ist im Kriege 4 Compagnien ſtark, und ſind dieſe zu nächst zum eigentlichen Arbeitsdienst bestimmt. Einen selbstständigen Train giebt es nicht, sondern es ist bei jedem Artillerie - Regiment eine besondere Train - Abtheilung errichtet.

Der Generalstab , für den keine eigentliche

Schule beſteht , sondern nur in der ältesten Klaſſe der Offizierschule ein be sonderer Generalstabs - Curſus eingerichtet ist , zählt im Ganzen 25 Offiziere und

17 Unteroffiziere (Guiden) .

Die Offiziere werden aus

dem ganzen

Offizier-Corps der Armee ausgewählt und treten — mit Ausnahme der höch ſten Chargen - nach einer gewissen Dienstzeit wieder zu ihren Truppen theilen zurück. Was die seit 1867 resp . 1870 in der Organisation und Adminiſtration der Armee vorgenommenen Veränderungen betrifft , so sind davon ungemein wenige zu verzeichnen, weil einer Bestimmung des Heergesetzes von 1867 zu folge, nach 5 Jahren eine Reviſion dieses Gesetzes stattfinden sollte, und man deshalb jede wesentliche Veränderung bis zu diesem Zeitpunkt aufsparte. Nun geschah jene Revision aber nicht im Jahre 1872 und ist auch bis zu dieſem Moment nicht erfolgt, so daß das Heerwesen ungefähr in demselben Zustande geblieben ist, wie zuvor . In Sachen der Organisation ist nur die Veränderung geschehen, daß eine Seeminen-Abtheilung errichtet ist , welche dem Ingenieurcorps unterſtellt wurde. In Betreff der Bekleidung ist man zum System der Selbstverwaltung der Truppentheile übergegangen, wovon jedoch das Garde - Bataillon und die Ingenieurtruppen

ausgenommen

sind .

Jede

Compagnie,

Escadron und

Batterie verwaltet ihr Bekleidungswesen felbstständig und bezieht die ihr noth wendig erscheinenden Gegenstände durch den Truppentheil von der Intendantur. Für jeden Mann (so lange er im Dienst ist) werden täglich

14 Pfennige

(Reichsmünze ) und für jeden Unteroffizier monatlich 5,6 Reichsmark dem Truppentheil gutgeschrieben. Die Unteroffiziere und Mannschaften können auch durch Erlegung der vorschriftsmäßigen Bezahlung ihre Bekleidungsgegen= ſtände vom Truppentheil selber beziehen , wofür ihnen dann wiederum die obenerwähnte Vergütung berechnet wird.

Heerwesen Dänemarks.

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An neuen Uebungen , sowie Veränderungen der bestehenden Reglements ist in den letzten Jahren Folgendes hinzugekommen : Seit 1871 sind Generalstabs - Reisen nach Preußischem Muster vor genommen worden , an denen auch Offiziere , die nicht zum Generalſtab ge hörten, Theil genommen haben. Damit auf die Ausbildung der Jufanterie im zerstreuten Gefecht ein genügendes Gewicht gelegt werden könne , ist im Jahre 1874 beſtimmt worden , daß die im Erercir- Reglement der Infanterie vorgeschriebenen Evo lutionen, nämlich : der Contremarsch, Abbrechen und Aufmarsch, Frontverände rungen mit der in Linie entwickelten Compagnie (Bataillon im Feuer) , Ba jonetangriffe mit der Bataillons - Colonne und das Bataillons - Carré bei Jn spicirungen nicht mehr durchgemacht werden dürfen , was also so viel heißen will, als daß auf ihre Einübung kein besonderer Fleiß verwandt werden soll. Bei der Artillerie wurde im Jahre 1871 ein jährlicher Schießcurſus (Schießschule) eingerichtet , mit einem Obersten als Chef und zwei Capitains oder Premier-Lieutenants als Lehrer. Zöglinge der Schule sind alle bei der Artillerie neu eingetretenen Offiziere und Unteroffiziere , sobald sie die sonsti Dieselben besuchen die Schule so viele gen Schulen durchgemacht haben. Jahre hintereinander (in der Regel 2-3) , bis sie an sämmtlichen dort an= gestellten Uebungen Theil genommen haben. Die Uebungen umfaſſen : Scharf schießen mit Feldgeschüßen auf bekannten und unbekannten Entfernungen, Scharfschießen mit Festungs- und Belagerungsgeſchüßen, sowohl bei Tage wie bei Nacht, Scharfschießen mit Küſtengeſchüßen, Wurffeuer aus Mörsern, Ein schießen einer Kanone und Aufstellung von Schußtafeln, welches Lettere aber später in Wegfall gekommen ist. Für jeden Zögling werden 75-100 Pfd . Pulver berechnet. Den Uebungen sollen einige Capitains und Lieutenants des Ingenieurcorps als Zuschauer beiwohnen. Die Bejagung der Seeforts bei Kopenhagen ist jährlich im Seeminen dienst zu unterweiſen , und zwar sollen zu diesem Behuf so viele der dort befindlichen Chargen, welche im täglichen Dienst zu entbehren sind, im Laufe des Monats Mai jedes Jahres den Uebungen der Seeminenabtheilung bei wohnen, um namentlich in der Anbringung von Kaliumsminen um die Forts und in der Bedienung der Torpedoböte ausgebildet zu werden .

Später ſollen

dann jene Chargen im Laufe des Sommers so viele Leute der Besaßung, wie die Umstände erlauben, in jenem Dienstzweig ausbilden. Die Zöglinge der ältesten Abtheilung der gymnaſtiſchen Schule sollen jährlich im Monat October einen Cursus im Signaldienst durchmachen. Zu diesen Uebungen wird das erforderliche Lehrperſonal von der Telegraphen Compagnie des Ingenieur-Bataillons abgegeben. Der Unterricht soll derartig getrieben werden, daß die Zöglinge es verstehen, selbst Depeschen zu empfangen und abzusenden, und daß sie im Stande find , Andere in diesem Dienste so weit auszubilden, daß sie bei einer Signalstation verwendet werden können.

184

Militairische Jahresberichte für 1874.

Im Jahre 1872 wurde, den Bestimmungen des Heergeſeßes gemäß, von dem Kriegsminister der Entwurf zu einer Revision des Heerwesens dem Reichstage vorgelegt.

Statt die einzelnen Punkte aufzuführen , in denen die

bestehende Heerordnung einer Abänderung bedurfte, enthielt jener Entwurf eine vollständige Reform desselben , und zwar kaum eine sehr glückliche.

Der in

der Zweiten Kammer in dieser Angelegenheit eingesetzte Ausschuß , der über wiegend aus Mitgliedern der Opposition bestand, befaßte sich denn auch weniger mit dem kriegsministeriellen Entwurf, als mit der Ausarbeitung ſelbſtſtändiger Vorschläge, von denen mehrere als annehmbar , viele dagegen als höchſt un praktisch angesehen werden mußten. Damit verging die Reichstagsfession und es kam zu eigentlichen Verhandlungen über die Reviſion nicht. Im nächsten Jahre legte der Kriegsminister abermals denselben Entwurf ohne die geringste Abänderung vor ; derselbe Ausschuß nahm die Sache vor,

gab aber nicht einmal ein Gutachten ab, denn die Aufmerksamkeit des Reichs tags war durch andere Dinge zu sehr in Anspruch genommen. Dem jezigen Reichstag hat der neuernannte Kriegsminister (im December 1874) einen ganz neuen Entwurf vorgelegt. Derselbe weicht nicht so radical von der bestehenden Heerordnung ab, wie der frühere , indessen sind doch manche wesentliche Veränderungen vorgeschlagen. Eine der wichtigsten ist die Herabseßung der Zeit der ersten Ausbildung um durchschnittlich einen Monat, während die Zeit des Garnisondienstes von 9 Monaten auf 1 Jahr erhöht worden ist. Der Opposition wird diese Veränderung ein willkommener Anlaß sein, jene Herabsetzung anzunehmen , ohne die Verlängerung des Garnison dienſtes einzuräumen, da sie denselben überhaupt als überflüssig ansieht. Die Infanterie soll nach dem Entwurf in Regimenter formirt werden , was jezt nicht der Fall ist, indem zwischen der Brigade und dem Bataillon kein Mittel glied besteht. Die Regimenter sollen je 3 Linien- und 1 Verstärkungs Bataillon erhalten , während das Garde-Bataillon selbstständig bleibt und im Kriege mit seinem Verstärkungs -Bataillon verbunden wird. Statt der jetzigen 5 Brigaden soll es deren nur 4 geben, von denen 2 je 3, und die beiden anderen je 2 Regimenter enthalten. Zu den zwei Ba taillonen der Kopenhagener Wehr soll noch ein drittes errichtet werden, welche zusammen ein Regiment bilden sollen. Die Zahl der Bataillone (bisher 44) wird also um 1 erhöht. Gleichzeitig soll die Kriegsstärke der Compagnien auf 250 Mann , die des Bataillons auf 1000 M. gebracht werden , wodurch also die Kriegsstärke der Infanterie (mit den Chargen) von 38,000 auf 48,000 M. erhöht würde. Die Cavallerie soll aus 4 Regimentern zu je 4 Escadrons bestehen , deren Kriegsstärke um 20 M. erhöht wird ; dieselbe würde also auf dem Kriegsfuß 2240 M. , statt jest 1800 M. zählen.

Die

Feldartillerie soll 1 Brigade bilden, welche 4 Regimenter und 1 Trainabthei lung enthält, jedes Regiment aus 3 Linien- und 1 Reserve - Batterie ſowie 1 Regimentspark bestehen , die Trainabtheilung 2 Compagnien zählen .

Die

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Heerwesen Dänemarks.

Artillerie würde somit um 4 Batterien vermehrt werden und im Ganzen 128 Geschüße erhalten.

Die Festungsartillerie soll aus 2 Linien-Bataillonen

(zu je 4 Compagnien), 1 Verſtärkungs -Bataillon und 1 Bataillon der Kopen hagener Wehr bestehen ; die Stärke der Festungsartillerie würde demnach von 11 auf 16 Compagnien erhöht werden. Das Ingenieurcorps soll aus 1 Re giment zu 6 Linien- und 3 Reſerve - Compagnien bestehen.

Rücksichtlich der

Ausbildung ist die Veränderung vorgeschlagen, daß der Ersaß jährlich zweien von den drei zu einem Regiment gehörigen Bataillonen zugetheilt wird, wäh rend jezt die beiden zu einer Halbbrigade (dieſe Inſtanz existirt nur nominell) gehörigen Bataillone den für die Halbbrigade bestimmten Ersag wechselweiſe ausbilden. Statt der sechswöchentlichen Lagerübungen sollen vierwöchentliche Manöver angestellt werden . Die wehrpflichtigen Seconde - Lieutenants sollen bei den Truppentheilen ausgebildet werden und also nicht mehr zum Beſuch der Offizierschule gebunden sein. Die übrigen vorgeschlagenen Veränderungen sind unwesentlich.

Obgleich

die meiſten Bestimmungen, welche der Entwurf enthält, sehr zweckmäßig sind, ist es doch sehr die Frage , ob sie bei dem gespannten Verhältniß , welches gegenwärtig zwischen der Regierung und der Zweiten Kammer herrscht , in größerem oder kleinerem Umfange zur Durchführung gelangen werden. v. S.

Bericht über das Heerwesen

Frankreichs.

Einleitung.*) Wer die Gesammtlage der Französischen Armee um die Jahreswende 1874/75 darlegen will , ist genöthigt , zurückzugehen auf die Entwickelung unmittelbar nach dem Kriege , auf jenen Zeitpunkt , als die Truppen *) Allgemeine Literatur: Duc d'Aumale : Les institutions militaires de la France. Bruxelles 1867. Hauptm. Max Jähns : Das französische Heer von der großen Revolution bis zur Gegenwart. Eine kulturhiſtoriſche Studie. Leipzig 1873. Hauptm. Pfister: Das französische Heerwesen. Kaffel 1867-1870. Prm.-Lieut. v . Buſſe: Die Heere der franzöſiſchen Republik 1870-1871 . Han nover 1874. Hauptm. Mar Jähns : Die Reorganisation der französischen Armee seit dem Frieden. (Kölnische Zeitung 1874. I. Quartal Nr. 51—82). Das Französische Heer in seiner Neugestaltung. Leipzig. Luckhardt. 1874. Hauptm. v. Gizycki : Die Französische Armee im Frühjahre 1874. (Auszug aus einem in der milit. Geſellſchaft zu Berlin gehaltenen Vortrage. Jahrbücher für die Deutſche Armee und Marine. Band XI.)

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Militairische Jahresberichte für 1874.

trümmer der von der Commune aus Paris verdrängten Heeresmacht vor der Hauptstadt lagen. Damals war nahezu tabula rasa ; es galt , eine neue Französische Armee zu schaffen . Möglich war eine solche Neuschöpfung in dem Umfang und in der Schnelligkeit, wie sie thatsächlich vor sich gegangen ist, nur durch zwei Um

stände: erstlich durch die Gunst des Deutschen Kaisers , der es , angesichts der finsteren, die Commune beherrschenden Mächte, gestattete, die Armee vor Paris weit über das vertragsmäßig festgesezte Maß zu verstärken, und zweitens durch die Möglichkeit, die aus Deutschland heimkehrenden Kriegsgefangenen , welche seit den Capitulationen von Sedan und Met ja ganze Heere ausmachten, unmittelbar wieder zu verwenden. Dieser Umstand war um so günstiger, als die außerordentliche Menge von Offizieren , welche aus der Gefangenſchaft zurückkehrte, es gestattete, sogleich neue Cadres zu formiren . Die Herstellung der alten 100 Linien - Regimenter hätte zuviel Zeit ge kostet ; man formirte daher provisorische Regimenter, in welche man, je nach ihrer Ankunft , die Truppen eintreten ließ, und stellte außerdem fünf neue Marschregimenter und zwei neue Marsch - Jägerbataillone auf. Zugleich wurden alle Truppen der Loire- und der Nordarmee, welche unmittelbar ver wendbar schienen, nach Versailles berufen. Anfangs April 1871 verfügte man, abgesehen von 2 Gendarmerie-Regi mentern, über 8 Divisionen und 1 Brigade und formirte hieraus die „ Armee von Verſailles ," welche unter des Marschalls Mac Mahon Oberbefehl aus 3 Armeecorps bestand, und die „ Reserve - Armee" des Generals Vinoy . Bald darauf wurde die Armee von Versailles noch durch 2 Corps verstärkt, von denen das eine, welches Ducrot bei Cherbourg formirt hatte , unter Douay's Commando trat , während das andere von Clinchant befehligt wurde , der es auch bei Cambray hergestellt hatte. Nach der Einnahme von Paris gingen der Präsident Thiers und sein Kriegsminister de Cissey eifrig an eine geordnete Neugestaltung des Heeres. Es handelte sich um eine Riesenaufgabe von unvergleichlicher Schwierig keit. Hunderttausende von Nationalgarden , großentheils ungediente Leute, er füllten das Land, und viele von ihnen bewiesen bei der tiefen politischen Auf regung , welche sie beherrschte , wenig Luft , die Waffen niederzulegen.

Die

jenigen Offiziere, die von Gambetta ernannt und befördert worden waren, er hoben weitgehende Ansprüche, auf welche unten noch näher eingegangen werden wird und so galt es, ebenso entſchloſſen als vorsichtig zu Werke zu gehen. Es ist ein großes Verdienst Thiers', daß ihm dies gelang, daß im December 1871 sämmtliche Nationalgarden entwaffnet und entlassen waren und die neue Armee in ihren Hauptformationen gebildet war. Bei deren Herstellung ging man folgendermaßen vor : Die "! mobilisirte Nationalgarde " trat über in die ,, Garde na tionale sédentaire", wurde mit dieser entwaffnet und entlassen, und in der

187

Heerwesen Frankreichs . selben Weise erloschen die Freicorps und fremden Legionen. garde " wurde aufgelöst und zur Armeereserve geschrieben.

Die „Mobil

Aus den Marsch -

regimentern wurden die ausgedienten Leute entlassen ; die noch Dienstpflichti gen (meist die jüngeren Jahrgänge der 2me portion ) wurden theils in die vorhandenen Cadres aufgenommen , theils zu Neuformationen verwendet. — Was die ehemalige Kaiser - Garde betrifft , so waren deren Mannschaften zumeist in die während des Commune- Krieges gebildeten provisorischen Regi menter eingestellt worden, von denen definitiv 20 beibehalten wurden ; andere wurden in der neuen republikanischen Garde" verwendet ; den Rest zer ſtreute man. Auf solche Weise waren bis Herbst 1872 formirt :

126 Linien - In

fanterie - Regimenter, 30 Jäger-Bataillone , 4 Zuaven - Regimenter , 3 Regi menter Algierischer Tirailleurs ( Turcos ) , das Fremden - Regiment und 3 Bataillone leichter Africanischer Infanterie (Zephyrs ), die bereits vor Kriege bestanden. Danach zählte die Armee an Infanterie 442 active ― 127 Depot-Bataillone nebst 74 Depot Compagnien ein Mehr gegen

die dem und die

Zeit vor dem Kriege von 70 activen, 24 Depot-Bataillonen und 15 Depot Compagnien. Bei der Cavallerie wurden ganz wie bei der Infanterie die neufor mirten Marschregimenter mit den alten Linien-Regimentern verschmolzen und die Regimenter der Garde in solche der Linie umgestaltet. Die Lanciers schaffte man ab und errichtete an ihrer Stelle 7 Dragoner-, 1 Chaſſeur- und 1 Husaren -Regiment , so daß von den 63 Reiter-Regimentern 12 Cüraſſier-, 20 Dragoner , 10 Husaren- und 18 Chasseur-Regimenter waren . Was die Artillerie anlangt , so ging die der Nationalgarde und der Mobilgarde ein , und die Marschbatterien wurden theils mit den früheren Linien-Batterien fusionirt, theils bestanden sie unter neuem Namen fort. Mannschaft der Garde sah sich vertheilt.

Die

So stellte man bis zum Herbste

1872 allmälig auf: 240 Batterien montés , 45 Batterien zu Pferde , 30 zu Fuß: im Ganzen 285 Feld-Batterien mit 1710 Geſchüßen. Batterien .)

(Dazu 30 Festungs

In ähnlicher Weise wie die Truppentheile der Hauptwaffen errichtete man 1 Regiment Sappeurs -Pompiers, 3 Genie- und 2 Train-Regimenter. Alle diese Gestaltungen waren indeſſen nur vorbereitende und einleitende, die erst nach Erlaß eines Reorganiſations - Geſeßes zu endgültigen Normen führen konnten. Ein solches konnte jedoch erst ausgearbeitet werden nach Erlaß eines Rekrutirungsgesetzes . ― Die Herstellung dieses, sowie die großen Prin

cipienfragen , welche in ihm ihre Beantwortung finden sollten, nahmen denn nun auf Jahr und Tag alle Interessen und Arbeitskräfte der Betheiligten leidenschaftlich in Anspruch.

1

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Militairische Jahresberichte für 1874. Die militairiſche Gesetzgebung seit dem Jahre 1872.

Nachdem vor den ruhigen Blicken einſichtiger Militairs die phantaſtiſchen Irrthümer verflogen waren, in denen die Franzosen zuerst Beruhigung über ihre unerhörte Niederlage gesucht, fing man an, die eigenen Heereseinrichtungen mit denen Deutschlands zu vergleichen , und erkannte in der Inferiorität der ersteren die wahre Ursache des Unglücks . Zuerst ſah man ein, daß zur Auf rechthaltung der prätendirten Stellung in Europa eine weit stärkere Armee gehöre als man bisher gehabt ; dann gestand man sich, daß die militairiſche Bildung sowohl des Offizier -Corps als der Mannschaft nicht auf der Höhe der Zeit sei , und endlich schärfte sich der Blick auch für die schweren Fehler der bisherigen Organiſation : für jenes Nichtübereinstimmen von Friedens- und Kriegsformation , jene maßlose Reibung bei der Mobilmachung , jene bedenk liche Hyper - Centraliſation , jene Verwahrlosung der Festungen - und mit Eifer und Energie ging die aus 45 Mitgliedern zuſammengesette ,, Commission pour la réorganisation de l'armée" an das umfassende Werk einer voll ständigen legislatorischen Neubegründung des Französischen Kriegs wesens. Sechs organische Geseze ſollten die Grundlagen der Reorganiſation bilden : 1 ) das Rekrutirungsgeset, 2) das Armee - Organiſationsgeſeß, 3) das Cadres - Gesez,

4) das Gesetz über die Stäbe (Generale und Generalstab), 5) das Armee - Verwaltungsgeseß, 6) das Avancements - Geſeß. Während der Jahre 1872 bis 1874 find von diesen Gefeßen nur die beiden ersten erlaſſen worden , und ihrer Würdigung müſſen wir vor Be trachtung des thatsächlichen Zustandes der Armee zunächst unsere Aufmerk samkeit zuwenden. Von allen das wichtigste , das

am tiefsten in das Gesammtleben der

Nation eingreifende dieser Geseze , war natürlich das über die Rekrutirung der Armee. Von allen das Wichtigste , das am tiefſten in das Gesammtleben der Nation eingreifende dieser Geseze , war natürlich das über die Rekrutirung der Armee.

I. Das Rekrutirungs-Beſet. (Loi sur le recrutement de l'armée) *) Bom 27. Juli 1872. Wenn man von geringeren Strömungen absieht, so traten die Männer, welche ihre Gedanken der Reorganisation des Heeres widmeten , einander in *) Loi du 27. juillet 1872 sur le recrutement de l'armée . Texte offi ciel, annoté, avec tables méthodiques et alphabetiques . Paris. Dumaine. - Frank reich und die allgemeine Wehrpflicht. " ( Milit.- Wochenbl. 1871 Nr. 131.) — Das

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Heerwesen Frankreichs. zwei großen Gruppen gegenüber.

Die eine Partei erstrebte eine Art Berufs

armee mit sieben- bis achtjähriger Präsenz bei der Fahne und unter Bei behaltung der Stellvertretung. Wenig Werth legte man in dieser Gruppe auf das Vorhandensein starker ausgebildeter Reserven ; denn der von der Fahne entlassene Franzose sei zu allen Zeiten nur höchst widerwillig einer Neuberufung gefolgt. Mit größerem Vortheil als solche ausgebildete Mannschaft des Be urlaubtenstandes werde man in wahrhaft ſolide Cadres Krümper und Rekruten einreihen. - Auf der andern Seite begeisterte man sich dagegen für die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht. Kurze Dienstzeit (als deren Minimum allerdings fast durchweg 3 Jahre angenommen wurde ) sollte die vollständige Einstellung aller Wehrpflichtigen ermöglichen, und die Leiſtung des persönlichen Waffendienstes sollte zugleich das Hauptmittel werden für die moralische und politische Wiedergeburt der Nation. Zwischen diesen einander widersprechenden Anschauungen zu vermitteln, fiel nun als eine wahrlich keineswegs leichte Aufgabe den Verhandlungen in und mit der Nationalversammlung zu . Schon im Juni 1871 verlautete , daß die „ Commission pour la ré organisation de l'armée" einstimmig die obligatorische Dienstpflicht für alle Franzosen im Principe angenommen habe , und am 19. August verlas Herr v. Chaſſeloup-Laubat als Referent der Nationalverſammlung die Fundamental artikel des neuen Militairgefeßes , welche die allgemeine Wehrpflicht procla= mirten und mit lebhaftem Beifall begrüßt wurden . Erst im Mai 1872 war jedoch die weitere Ausarbeitung des Gefeßes derart gefördert , daß der Com miſſionsentwurf der „ Loi sur le recrutement de l'armée" zur Discussion gestellt werden konnte.

Am 22. Mai begann die General - Debatte mit einer

Sigung voll äußerst leidenschaftlicher Scenen . in die Special- Debatte ein.

Drei Tage später trat man

Der I. Titel des Gesetzes umfaßt in 7 Artikeln die

Allgemeinen Be

stimmungen", welche den Kern des ganzen Gesetzes enthalten . Sie lauten : Art. 1. Jeder Franzose ist zum persönlichen Kriegsdienſt verpflichtet. Art. 2. Engagements gegen Geld oder Geldeswerth sind in der Franzöſiſchen Armee unstatthaft. Art. 3. Jeder Franzose, der nicht für völlig dienstuntauglich erklärt ist , kann, nach Maßgabe der geseßlichen Bestimmungen, vom 20. bis zum 40. Lebensjahre zum activen Heer und zur Reserve einberufen werden. Art. 4. Die Stellvertetung ist aufgehoben. Die vom Geset näher erläuterten Dis pense schließen keine definitive Dienstbefreiung in sich. Art. 5. Die unter den Fahnen stehenden Mannschaften nehmen an keiner Wahl Theil. Art. 6. Jedes bewaffnete , in Dienst gestellte Corps ist den Militairgesehen unter worfen, gehört der Armee an und ist dem Kriegs- oder dem Marine Miniſterium unterſtellt. Art. 7. Der Eintritt in das Französische Heer ist nur den Franzosen geſtattet. Französische Wehrgeset. Entwurf. (Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine. 1872. Nr. 9.) — (Major Blume) : Das neue Französische Wehrgefeß. Beiheft zum Militair Wochenblatt. 1872. Berlin. E. S. Mittler u. Sohn.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Ausgeschlossen sind vom Kriegsdienste 1 ) die Personen , welche zu schimpflichen Strafen verurtheilt geweſen ſind, 2) die Personen, welche zu einer Correctionsſtrafe von 2 Jahren Gefängniß an, Stellung unter Policeiaufsicht und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ver urtheilt worden sind. Die Artikel 1-4 wurden fast ohne Discussionen angenommen. Die

Artikel 5 und 6 sind wesentlich politischer Natur.

Jener soll der politiſchen

Agitation im Heere vorbeugen, dieser hebt eo ipso die Nationalgarde auf und verbietet solche selbstständige Geſellſchaften , wie sie Deutſchland in ſeinen Schüßengilden, Wehr- und Veteranen-Vereinen besigt. Den

speciellen Theil " des Wehrgesetzes bilden die Titel II bis V.

Titel II regelt das Rekrutirungsverfahren.

Er enthält in ſeinem

1. Theile die Beſtimmungen über die Vorarbeiten der Rekrutirung in den Cantons , also über Aufstellung der Stammrollen und der Loojungsliſten. (Art. 8-15.) ― Der 2. Theil beschäftigt sich mit den Eremtionen, Dispens fationen und Zurückstellungen.

(Art. 16-27 .)

Die Gründe für eigentliche

Dienstbefreiung aus Familienrücksichten sind nicht so wesentlich von den in Deutschland geltenden verſchieden , daß ihre Aufzählung geboten schiene. Art. 23, welcher von den Gestellungsaufschüben ( sursis) handelt, erregte eine lebhafte Debatte , und Gambetta seßte ihn in einer Form durch, welche eine so eingehende und milde Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse , wie sie in Deutschland stattfinden kann, zu einer geſeßlichen Unmöglichkeit macht. - Der 3. Theil regelt das eigentliche Rekrutirungsgeschäft ( Art. 27—32 ) und der 4. handelt von den Departements - Matrikeln. (Art. 33-35.) - Das ganze Rekrutirungsverfahren trägt einen mehr ſummariſchen Charakter als in Deutsch land, der sich auch darin äußert , daß der Mann nur einmal ärztlich unters sucht wird. Titel III präcisirt die Militair - Dienstpflicht. - Artikel 36 stellt die Fristen der Dienstleistungen des Einzelnen fest und entwickelt daraus die große Gesammtgestalt der Französischen Kriegsmacht. Er lautet : " Jeder Franzose , welcher nicht für jeglichen Militairdienſt untauglich erklärt ist, gehört 5 Jahre zur activen Armee , 4 Jahre zur Reserve der activen Armee, 5 Jahre zur Territorial - Armee und 6 Jahre zur Reserve der Territorial Armee." "... Die Territorial-Armee und die zweite Reserve werden diſtrictweise durch Ver waltungsreglement formirt werden. Zu ihr gehören alle Wehrpflichtigen , welche ihren Wohnsitz im Bezirk haben.“ Dieser hochwichtige Artikel führte eine bedeutungsvolle Debatte herbei. Am nachdrücklichsten trat General Trochu gegen die fünfjährige Präsenz zeit auf. Er erklärte einen so langen Dienst bei der Fahne für unvereinbar mit der allgemeinen Wehrpflicht.

Er brachte ein Amendement für nur drei

jährige Präsenz ein, wies auf die schwerbelasteten Finanzen hin und rief der Nationalversammlung zu : „ Benutzen Sie die Friedenslage zu dem ungeheuren Werke der gleichzeitigen Reorganisation der Nation , der militairiſchen Grundeinrichtungen und der Armee, zu dieser gleichzeitigen Reorganisation

Heerwesen Frankreichs .

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und nicht, wie Sie dahin zu neigen scheinen, lediglich zur Organiſation der Armee!" Mit diesen Worten hatte Trochu den Kernpunkt der ganzen Frage klar gelegt! Die fünfjährige Präsenzzeit war wesentlich daran Schuld gewesen, daß unter dem Kaiserrreiche eine nur so sehr geringe Jahreseinstellung er= folgen konnte ; denn die Finanzen keines Landes der Welt gestatten es , eine Friedensarmee von fünf validen Jahrescontingenten aufzustellen. Nun ſollte jene Dienstzeit abermals gefeßlich eingeführt und damit auf's Neue die militairiſche Ausbildung der Nation, dieſes wichtigſte Resultat der allgemeinen Wehrpflicht, verhindert werden ! - Schwerlich verschloß die Regierung vor so ernstem Nach theile das Auge ; schwerlich war sie selbst überzeugt von den veralteten Theo rien, welche sie zu Gunsten ihres Geſetzvorschlages verfocht ; aber sie wagte es wohl nicht, eine aus allen Lebenskreisen rekrutirte Armee von nur dreijähriger Dienstzeit in einem Lande aufzustellen, das ohne dynastischen Mittelpunkt, von Parteien zerrissen war und über kein anderes Offiziercorps verfügen konnte, als eben über jenes , das schon in sich durch sehr verschiedenartige Vergangenheit gespalten, auch in seinen politischen Sympathien nach weit auseinanderliegen= den Schwerpunkten gravitirte. So trat denn Thiers mit der größten Ent schiedenheit für das alte System, für die fünfjährige Dienstzeit, in die Schran ken. Nicht das Preußische System habe das Französische, sondern die Preu ßische Regierung habe die Französische geschlagen, und indem er zu Gunsten der fünfjährigen Präsenz ſogar die Cabinetsfrage stellte und drohte, für den Fall der Ablehnung sein Amt niederzulegen, sette er es durch, daß die Natio nalversammlung den Artikel 36 in allen seinen Theilen annahm . Die Artikel 37 bis 40 enthalten

Specialien der Dienstpflicht

Bestimmungen , von denen nur bemerkenswerth , daß Art. 38 zufolge der Uebertritt zu Reserve und Landwehr (bezüglich der Austritt aus dem Heeres verbande) auch in Kriegszeiten Statt findet. Es entspricht das Altfranzöſiſcher Sitte, während man in Deutschland dies Herüberziehen einer dem Söldner wejen entstammenden Einrichtung in das moderne Heerwesen nicht kennt. Von hoher Wichtigkeit und als unmittelbare Ergänzung des Artikels 36 erscheint aber Artikel 40. Derselbe lautet : Nach einem einjährigen Dienſte der jungen Leute werden unter den Fahnen nur noch ſo viele Mannſchaften gehalten , als der Kriegsminister jährlich beſtimmt. Diese werden nach der Reihenfolge der Nummern im 1. Theil der Rekrutirungs liſte jedes Cantons und in einem vom Minister festgesetten Verhältnisse genommen. Abgesehen davon , daß dieser Artikel dem Kriegsminister eine hohe dis cretionaire Gewalt verleiht , begründet er einen auf dem Zufall der Loos nummer beruhenden Unterschied zwischen Soldaten , welche fünf und solchen, welche nur ein Jahr dienen.

Nun aber bestimmt Art. 41 , daß

jeder Soldat, welcher seiner Loosnummer zufolge nach einem Jahre entlaſſen. werden würde, indessen noch des Lesens und Schreibens unkundig sei oder

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Militairische Jahresberichte für 1874.

gewissen Prüfungen nicht genüge, noch während eines zweiten Jahres bei der Truppe behalten werden könne. Solche Leute dagegen, welche derselben Loos kategorie wie jene angehörend , die erwähnten Bedingungen erfüllen , dürfen schon nach sechs Monaten entlassen werden. ――― Damit ist der Will für der Offiziere ein großer Spielraum vergönnt , und zugleich ergeben sich peinliche Gegenfäße. Fünfjährige Dienstzeit bei allgemeiner Wehrpflicht, das ist eine Forderung, die sich mit dem modernen Leben ebenso wenig verträgt wie mit der Rücksicht auf die Staatsfinanzen .

Einjährige Präsenz reicht aber , nach allgemeinem

Urtheil, wieder nicht aus, um die schwierige Erziehung des modernen Soldaten zu vollenden, wenn er nicht von vornherein ausnahmsweise Bildung mitbringt. Auf der einen Seite wird also zu viel , auf der andern zu wenig verlangt. - Die auf nur ein Jahr eingestellte Hälfte des Contingentes entspricht nun ganz und gar der früheren deuxième portion , und die Möglichkeit, einen Theil derselben bereits nach 6 Monaten zu entlassen , seht für diesen sogar die Dienstzeit auf das alte Krümpermaß hinab. - Nun sind diejenigen Ein gestellten , welche Schulkenntnisse mitbringen , in der Hauptmaſſe dieſelben, welche über gewiſſe Geldmittel gebieten und sich früher frei zu kaufen pflegten. Soweit diese Leute der deuxième portion angehören , ist ihre Leistung der jenigen vor dem Kriege 1870/71 also gefeßlich bereits fast gleich, und somit ist ein bedeutungsvoller Schritt dazu geschehen , die besser fituirte Minderheit auch künftig in Bezug auf die Ableistung der Dienstpflicht zu begünſtigen, ganz abgesehen davon, daß sich thatsächlich, wie wir weiter unten entwickeln werden, die neuen Verhältnisse den alten noch viel mehr nähern als geſeßlich bereits angebahnt ist. Und welche bedenklichen Chancen geben die durch Art. 41 den Offizieren anvertrauten weitgehenden Befugnisse der etwaigen unreinen Speculation?! Falls sich mit

der Zeit vielleicht einzelnen Compagnie - Chefs

oder Regi

ments - Commandeuren gegenüber eine Art Freikaufssystem einnistete, so wäre das weit schlimmer , als wenn die Eroneration noch allgemein zu Recht be stände. - Daß ein Theil der Deputirten die Gefahren erkannte , welche den Artikeln 40 und 41 entspringen, bezeugte die sehr heftige Discussion, die den abermals ein unmittelbares Eingreifen des Präsidenten Thiers zu Gunsten der Vorlage herbeiführte.

Ihr verdankte sie die Annahme.

Die Schlußartikel des Titels behandeln das Verhältniß der Beurlaubten und die Uebungen der Reserve (zwei Uebungen von je höchstens vier Wochen). Art. 45 lautet : „ Specielle Geseke bestimmen die Grundlagen der Organisation der activen Armee, der Territorial -Armee und der Reserve.“ Titel IV. handelt von den Capitulationen und den bedingten Capitulationen.

Der 1. Theil des Titels (die Artikel 46-52) regelt das

Verhältniß der Freiwilligen und Capitulanten.

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Heerweſen Frankreichs.

Der Freiwillige muß 18 Jahr alt ſein , leſen und schreiben können und darf bei guter Führung und Ausbildung ſchon nach einjähriger Dienstzeit zur Disposition beur laubt werden. (Art. 47.) - Engagements sind auf höchſtens 2 Jahr zuläſſig und dürfen nur im Laufe des ersten Dienſtjahres abgeschlossen werden. Eine Erneuerung kann für Soldaten und Corporale nur bis zum 29. , für Unteroffiziere bis zum 32. Lebensjahre stattfinden. Diese Bestimmungen schränken das Rengagement gegen früher wesentlich ein und wahren die Möglichkeit , eine größere Anzahl gedienter Leute unter den Fahnen zu halten, ohne doch die Truppen wie bisher zu nöthigen, Tauge nichtse und gescheiterte Existenzen zu friſten . Der 2. Theil (Art. 53-58) handelt von den

einjährig Frei

willigen. " Ein bestimmtes Anrecht auf die Begünstigung , mur ein Jahr zu dienen , wird nur denen gewährt, die (um in unserer Sprache zu reden) das Abiturientenexamen eines Gym nasiums oder einer Realschule 1. Ordnung abgelegt haben, sowie den Schülern einer kleinen Zahl höherer Kunst- und Fachschulen. Außerdem kann der Kriegsminister in jeder Region einen bestimmten Procentſaß von Militairpflichtigen zum Dienſt als Einjährig-Freiwillige zulassen, wenn sie den von ihm gestellten Anforderungen genügen. Entsprechen dieſen Sedingungen mehr junge Leute, als jener Procentsatz beträgt, so haben die Ueberschießen den dennoch fünf Jahre zu dienen. Diese Bestimmungen sind befremdend.

Sie erheben auf der einen Seite

übergroße Anforderungen an die wissenschaftliche Bildung , geben auf der andern Seite der Willkür des Miniſters völlig beliebigen Spielraum. - Am Schluß des Jahres haben die Freiwilligen Dienſtprüfungen abzulegen und der nicht Genügende kann noch ein zweites Jahr bei der Fahne behalten werden ; während ein Bauernjunge , der nur lesen und schreiben kann, falls er der 2me portion angehört und ein nicht gar zu arger Tölpel ist, nach 6 Monaten entlassen werden kann. Titel V. des Gesetzes enthält die Strafbestimmungen. Sie sind durchweg strenger als die des Deutschen Reiches .

(Art. 59-68 .)

Dies also sind die 68 Artikel der Loi sur le recrutement, so wie sie von der Nationalversammlung votirt wurden.

Völlig durchgeführt, d . h. auf

20 Jahrgänge der Dienstpflichtigen seit Erlaß des Geſches angewandt, würde dies Gesetz unter Abrechnung des regelmäßigen Abganges eine active Armee nebst Reserve von 1,305,000 Mann , eine Territorial - Armee von 1,200,000 Mann , im Ganzen also die formidable Heeresstärke von 2 Millionen 505 Tausend Mann ergeben. Und zwar würde sich diese Armee folgendermaßen zuſammenſeßen : 1. Active Armee. 120,000 Mann, Stamm an Offizieren, Unteroffizieren u. s. w. " 5 Jahrgänge zu 150,000 unter Abzug von 10 Proc. Abgang 675,000 Zusammen : Militairische Jahresberichte 1874.

795,000 Mann.

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194

Militairische Jahresberichte für 1874.

Transport 795,000 Mann. 2. Reserve der activen Armee. 4 Jahrgänge zu 150,000 unter Abzug von 15 Proc. Abgang 510,000 Mann, *) 3. Territorial - Armee. 5 Jahrgänge zu 150,000 unter Abzug von 20 Proc. Abgang 600,000 " 4. Reserve der Territorial - Armee. " 6 Jahrgänge zu 150,000 unter Abzug von 331/3 Proc. Abgang 600,000 Gesammtſumme : 2,505,000 Mann. Aber diese Ziffern würden erst nach zwanzigjähriger ununterbrochener, sich stetig gleichbleibender Arbeit erreicht werden , deren Durchführung denn doch in hohem Grade zweifelhaft , ja angesichts des historischen Gebahrens der Französischen Nation und auch aus anderen Gründen höchſt unwahrschein lich ist. Denn abgesehen von dem Umstande, daß die Einführung einer auf richtigen allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich und im Jahre 1872 ſchwieriger ist als in dem Preußen vom Jahre 1807 , wo die socialen Verhältniſſe ſo sehr viel einfacher waren, und daß ihre Durchführung nicht dadurch erleichtert werden kann , daß die Gesammtwehrpflicht der Franzosen auf 20 Jahre fest gesezt ist, während die der Deutſchen nur 12 Jahre beträgt ; abgeſehen ferner davon, daß alle einzelnen Beſtimmungen des Franzöſiſchen Geſeßes den bürger lichen Verhältnissen durchweg weniger Rechnung tragen als die Deutsche ― Wehrverfassung →― so sind es schon die financiellen Ansprüche des Gesezes, die deſſen vollständige Durchführung als nahezu unmöglich erscheinen laſſen. Bereits im December 1873 erklärte der Kriegsminister, daß ihm zur Einſtel lung der deuxième portion kein Sou übrig bleibe ; er hoffe sie in den Jahren 1875 und 1876 nachträglich einstellen zu können . Und als die Nationalver jammlung, unwillig über diese eilige Lahmlegung des kaum beschlossenen Ge sebes, auf der Einstellung der 2 me portion der Klasse von 1872 bestand, konnte dies nur dadurch ermöglicht werden , daß man für dieſen Zweck einen besonderen Credit bewilligte, die einjährige Einstellung sofort in eine nur ſechs monatliche verwandelte , die 1 re portion derselben Klaſſe um zwei Monat später einstellte als ursprünglich beabsichtigt war und die 2 me portion nicht complet auszurüsten beschloß. So erscheint denn dieser zweite Theil des Contingents als für den Kriegsfall nur bedingt in Anschlag zu bringen. ―――――― Freilich, selbst wenn man diese Krümpermaſſe außer Rechnung stellt und auch Alles das ausschließt, was vermuthlich an die Depots abgegeben würde, so ergiebt sich immer noch eine active Armee nebst Reserve von 715,000, eine Territorial-Armee nebst Reserve von 720,000 Mann, im Ganzen eine Kriegs macht von 1,435,000 Mann . - Den Zweck, eine weit stärkere Armee auf zustellen , als Frankreich sie im Jahre 1870 besaß, erreicht das neue Geſeß also unbedingt, und auch in sofern kennzeichnet es sich als ein entschiedener *) Der Bericht des Marquis de Chaffeloup - Laubat berechnet diese Zahlen höher, nämlich die active Armee auf 824,720 , deren Reserve auf 510,380 Mann , die gesammte Operationsarmee auf 1,335,000 Mann.

195

Heerwesen Frankreichs.

Fortschritt, als durch Aufhebung der Stellvertretung bedeutend mehr Rekruten zur jährlichen Einstellung gelangen als früher und viele gute Elemente, die ſonſt nur in den Listen der Mobilgarden figurirten, thatsächlich in die Armee auf genommen werden. Ueberdies verfügt der Miniſter ſtatt wie sonst über 9 Jahres contingente, jezt über deren zwanzig.

Diese 20 Jahrescontingente würden ihm

allerdings, wenn sie aus dem Geſeße hervorwachsen sollten, soweit wir es bis her mitgetheilt, erst nach 20 Jahren zur Disposition gestanden haben , ein Verhältniß, das für die Schöpfer einer Revanche- Armee natürlich ganz außer Frage stand.

Denn angesichts der energischen, opferheischenden Militairgeſetz

gebung des heutigen Frankreich darf man nie vergessen, daß die ganze Nation vor allen Dingen die nächste Zukunft im Auge hat und darf überhaupt nicht verkennen , daß es sich grade nach Ansicht der maßgebenden Persön lichkeiten nicht sowohl um eine generationsweise allmähliche Heranbildung der Französischen Jugend handelt, als vielmehr um die einfache Ueberführung der bisherigen Nationalgarden und Mobilgarden in die für sie verfügten neueren Formen. Diese Tendenz tritt denn auch unverhüllt hervor in dem Anhange des Rekrutirungsgesetzes . Nach vier Artikeln " besonderer Bestimmungen " von geringer Wich tigkeit machen nämlich unter dem Titel von "I Uebergangsbestimmungen " den Beschluß des Gesetzes , sieben Artikel (74—80) , welche insofern von der höchsten Bedeutung sind, als sie dem Franzöſiſchen Rekrutirungsgeseße eine faſt absolut rückwirkende Kraft verleihen , derart , daß Hunderttausende , die längst endgültig aus jedem Militairverhältnisse entlassen waren, plößlich wieder für dienstpflichtig erklärt sind . Und faſt alle die durch jene „ Uebergangsbe ſtimmungen” für dienstpflichtig erklärten Mannſchaften, nämlich die Contingente von 1863-1871 (1 re und 2 me portion), sowie sämmtliche Mannschaften der Klaſſen 1867-1870, welche, als nicht in das Heer eingestellt, der Mobilgarde angehörten , haben während des leßten großen Krieges wirklich gedient und stellen eine Menschenmasse von etwa einer Million dar, deren Kern die altge= gediente Kaiserliche Armee von 1870 bildet. Da nun auch die Territorial Armee , welcher nach Art. 77 der „ Uebergangsbestimmungen " alle körperlich brauchbaren Mannschaften bis zum 40. Lebensjahre angehören , schleunigst formirt werden soll , so ist nicht erst die Frist von 20 Jahren abzuwarten, um die Wirkung des neuen Gesezes

in ganzem Umfange hervortreten zu

lassen, sondern Frankreich findet sich seit der am 27. Juli 1872 erfolgten Veröffentlichung des Rekrutirungsgeseßes bereits thatsächlich nahezu im Voll besize der durch dasselbe angestrebten Waffenmacht . Bei Erlaß des Gesezes ergab eine Zuſammenstellung der durch daſſelbe betroffenen Jahrescontingente das nachstehende Tableau :

13*

Militairische Jahresberichte für 1874. 196

Leute

1819

1848

1817

1846

1834 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845

1870

1869

1868

1867

1866

1854 1855 1856 1857 1858 1859 1860 1861 1862 1863 1861 1865

1855 1856 1837 1858 1859Einbegriffen oder nicht 1860einbegriffen in diese durch die Klassen 1861 gebildeten Contingente 1862 1863 1864 1865 1866 Einbegriffen das in active 1867 Contingent einbegriffen Nicht. Einbegriffen das in active 1868 Contingent Frühere Mobile in fen Einbegrifdas ( 1874 30.1.t. Juni Juli 1869 active 1869 Contingen Frühere Mobile. in( das Einbegriffen 1875) 30.1. 1870 Juni Juli active 1870 Contingent. Mobile Frühere Einbegriffen das in( 1870 1876 Juni 1871 Juli 30. active oder Contingent Mobile. 1871 Frühere Einbegriffen das in( Juni 1877 1872 Juli 30. 1. active 1872 Contingent. einbegriffen Nicht.

Bur Theile Klaffe 2008Verschiedene des ziehung Contingents gelangt

1850

1871

geboren von

1851

Active Armee

von

1873 31. 1867 Dec. Jan. 1. — 1873 3uni 30. 1868 Juli 1. --

-

bis

-

Territorial Armee-

von

bis

von

derTerritorial Armee

Januar 1. 1873

"1 " n " "P 1873 Juli 1.

Reserve

bis

30. Juni 1873

30. 1888 Juni id.

bi8

1873 Juni 30.

Juli 1883 1. id.

1889 Juni 30. id.

von

Reserve activen Armee der

1873 Jan. 1.

1882 Juni 30. id.

Juli 1883 1. id.

1890 30. Juni id.

"1 1874 " 1875 " 1876 " 1877 "1 1878 " 1879 " 1880 " 1881 ?? 1882 " 1883 " 1884

Juli 1877 1. id.

Juni 1883 30. id.

1. Juli 1884 id.

Juni 1891 30. id.

" 1874 " 1875 " 1876 P 1877 " 1878

1878 Juli 1. id.

30. 1884 Juni id.

1885 Juli 1. id.

Juni 1892 30. id.

"1 1874 " 1875 " 1876 " 1877 " 1878

Juni 1877 30. id.

1879 Juli 1. id.

Juni 1885 30. id.

Juli 1886 1. id.

" " 18 " "

1. 1873 Juli 1873 1. Januar

30. 1878 Juni id.

1880 Juli 1. id.

Juni 1886 30. id.

"1 1885 id.

1. Juli 1874 1873 1. Januar

Juni 1879 30. id.

id.

" 1879 id.

1875 Juli 1. 1873 Januar 1.

30. Juni 1880 id.

Juli 1881 1.

"1 1879 id.

1. Juli 1876 1873 1. Januar

Juni 1881 30. id.

1874 Jan. 1. id.

1877 Juli 1. 1872 Juli 1.

Heerwesen Frankreichs .

II.

197

Das Armee Organiſations - Gesek.

(Loi relative à l'organisation de l'armée.) *) Vom 24. Juli 1873. Während das Rekrutirungsgeset debattirt und angenommen wurde, be schäftigte sich eine von der Militaircommiſſion der Nationalversammlung niedergeseßte Subcommiſſion mit Abfaſſung eines Organisationsgeſehes und hatte diese Arbeit fast vollendet , als die Regierung plößlich zu Anfang des Jahres 1873 mit einer abgeschlossenen Gesetzesvorlage über denselben Gegen stand hervortrat, welche die Einrichtung von 12 Armee- Corps verlangte und in der Hauptsache, d . h . in der Regional- und Rekrutirungsfrage, gegenüber den Verfechtern des Deutschen Provincialſyſtems die Altfranzösische Einrich tung der Rekrutirung durch das ganze Reich entschieden aufrecht erhielt. **) „Um das Preußische Syſtem nachzuahmen“ - so hieß es in den Motiven des Gesezes 1ll müßten wir nichts Geringeres thun , als unsere Sitten , unsere Gebräuche ändern und besonders auf die größten Gedanken der Revolution von 1789 verzichten . Wenn wir jenes System nachahmten, so würden wir Armeen haben von Bretagnern, Pro d. h. furchtbare vençalen , Burgundern , Champagnern , Languedocern und Flamändern Der Französischen Revolution graus'te es angesichts der Aussichten auf Bürgerkrieg ! aufständischen Vendée, des belagerten Lyon vor der Eintheilung Frankreichs in Provincen, und sie beschloß, die Nationaleinheit durch die Armee zu begründen. Sie verfügte, daß alle Franzosen ohne Unterschied in die Regimenter eingereiht würden , damit so das Regi ment das Ideal der Französischen Einheit verwirkliche!“ Der Entwurf stieß auf sehr lebhafte und allgemeine Opposition und wurde denn auch nach dem Rücktritte Thiers' und seines Kriegsministers de Ciffey von der Regierung des Marschalls Mac Mahon nicht aufrecht erhalten. Vielmehr gelangte am 5. Juli 1873 ein neuer Geſetz- Entwurf an die Ver sammlung, der offenbar nach einer Vermittelung des Franzöſiſchen Centrali ſations- Systems und des Deutschen Provincial - Systems strebte. Der Ent wurf hatte die Zustimmung des Kriegsministers du Barail und wurde durch den Bericht des Generals Chareton eingeführt. Titel I. handelt von der Gebietseintheilung und der Zusammen sezung der Armee - Corps . Er ist der bei weitem wichtigste und muß deshalb artikelweise wiedergegeben werden. 1. Art. Ganz Frankreich wird behufs Organiſation der activen Armee und ihrer Reserve , sowie der Territorial - Armee und deren Reserve in 18 Regionen und diese wieder in Subdiviſionen eingetheilt, welche je nach der Ergiebigkeit der Rekrutirung und den Forderungen der Mobiliſirung durch Decrete geseßlich bestimmt werden sollen. *) Etude militaire sur la division de la France en régions territoriales. ( Loi du 24. juillet 1873.) Difficultés, que présente la nouvelle organisation de l'armée et moyens de les resoudre. Paris. Das Gesetz über die Organisation der Fran zösischen Armee (Organ des Wiener militairwiſſenſchaftlichen Vereins . 7. Band. 3. und 4. Heft 1873.) - Das neue Organiſationsgeseß der Französischen Armee. (Alg. Militair Zeitung. 48. Jahrgang. Nr. 33-35 .) **) Examen critique du projet de loi sur l'organisation de l'armée active , pré senté par le gouvernement le 30 janv. 1873. Paris, Tanera.

198

Militairische Jahresberichte für 1874.

2. Art. Jeder Region wird ein Armee - Corps zugewieſen , das in derselben gar nisonirt. Außerdem wird ein (19.) Armee-Corps in Algerien stehen. 3. und 4. Art. Jede Region und jede Subdivision wird ihre besonderen Zeug , häuser und Magazine haben. 5. Art. In jeder Subdivision werden ein oder mehrere Rekrutirungsbureaus eingerichtet , in denen die durch Art. 33 des Rekrutirungsgeseßes vorgeſchriebenen Aus hebungs- und Gestellungslisten für die active Armee und deren Reſerve geführt werden, sowie die Controle über diejenigen Mannschaften der Territorial - Armee ausgeübt wird, welche innerhalb der Subdiviſion wohnen. Jedes Jahr haben die Bureaus ein Verzeich niß der für die Armee etwa verwendbaren Pferde, Maulthiere und Fahrzeuge des Bezirks aufzustellen und liſtenmäßig den Armee-Corps zuzuweisen. 6. Art. Jedes Armee - Corps beſteht aus : 2 Infanteriedivifionen zu 2 Infanteriebrigaden, 1 Cavalleriebrigade, 1 Artilleriebrigade, 1 Geniebataillon, 1 Trainescadron, nebst einem Generalstabe und den nöthigen Adminiſtrationen. Die detaillirte Zuſammenſeßung der Armee-Corps, Diviſionen, Brigaden, ſowie der Cadres aller Waffen , auf dem Friedens- , wie auf dem Kriegsfuß , wird durch ein Specialgesek geregelt werden. 7. Art. Im Frieden sind die Armee - Corps nicht permanent zu einer Armee ver einigt. 8. Art. Leute solcher Dienstzweige , welche schon im Frieden vollständig formirt find (Eisenbahnen, Telegraphen) , können im Kriege zu Specialcorps zusammengestellt werden und mit der activen oder der Territorial-Armee vereint operiren. Die Formation solcher Specialcorps wird durch ein Decret beſtimmt, und ſind dieſe Corps allen Obliegen heiten des Militairdienſtes unterworfen ; sie genießen alle Rechte der Kriegführenden und stehen unter dem Völkerrechte. 9. Art. Jedes Armee- Corps ist in permanenter Weise in Diviſionen und Bri gaden eingetheilt ; das Armee- Corps, sowie alle Truppentheile, aus denen es besteht, sind jederzeit mit den Commando- Behörden , Generalſtäben , Verwaltungs- und Hülfsbranchen und dem Materiale versehen , deren es im Felde bedarf. Das rollende Material iſt mit Rädern versehen, aufzubewahren . 10. Art. Mit Ausnahme der im Art. 8 erwähnten Corps dürfen keine Neufor mationen geschaffen, noch dürfen Abänderungen in der Organiſation der bestehenden oder in deren Bewaffnung und Uniformirung vorgenommen werden, es sei denn auf Grund eines Gesezes. 11. Art. Die active Armee rekrutirt sich aus dem ganzen Territorium Frankreichs. - Im Falle einer Mobilmachung werden die verschiedenen Truppentheile durch die Dispositionsmannſchaften und Reservisten ihrer Region complettirt ; nur im Falle diese nicht ausreichen, durch die Mannschaften gleicher Kategorien aus den benach barten Regionen. Zu diesem Zwecke haben diejenigen jungen Leute, welche in Folge ihrer Loosnummer länger als 1 Jahr bei den Fahnen behalten werden , bei ihrem Uebertritt zur Reserve zu erklären, in welcher Region sie ihren Wohnsih nehmen wollen. Sie wer den in den Listen des dort stehenden Armee - Corps geführt und unterrichtet, wo sie sich im Falle der Mobilmachung zu stellen haben. Dasselbe gilt von den nach einer ein- oder halbjährigen Dienſtleiſtung zur Disposition beurlaubten Mannſchaften (vergl. Art. 40-42 des Rekrutirungsgesehes). 12. Art. In besonderen Liſten werden die nach Art. 26 des Rekrutirungsgeseßes vor

Heerwesen Frankreichs.

199

läufig zurückgestellten oder vom Dienst befreiten Leute geführt , um über ſie im Kriegsfalle nach Umständen verfügen zu können. 13. Art. Alle bei der Mobilmachung anzustellenden Beamten , sowie die Auxiliar Offiziere (Art. 36 und 38 dieſes Geſeßes ) und die zur Reserve entlaſſenen Unteroffiziere find so weit als möglich schon im Frieden genau über die Stellung , resp. die Truppe zu unterrichten, für welche sie im Kriege eingezogen werden. In der am 15. Juli beginnenden Debatte über diesen ersten Titel des Reorganisationsgefeßes traten die Legitimisten (was sehr charakteristisch ist) durch die Stimme des ehemaligen Artillerie-Capitain Brunet für das Regional ſyſtem mit allen seinen Consequenzen ein.

Die Verſammlung ſtimmte dem

jedoch nicht zu, und General Chareton sprach sich noch einmal ganz entschieden dahin aus, daß das Regionalſyſtem für die active Armee nicht statthaft und nur für die Reserve (armée mobilisable) zulässig sei. Die Debatte über Titel I. endete am folgenden Tage mit der Annahme desselben. Titel II. bezieht sich auf das Commando und die Verwaltung. (Commandement - Administration. ) (Artikel 14 bis 19.) 14. Art. Der commandirende General eines Armee-Corps befehligt die activen Etreitkräfte der Region und ihre Reserve ; außerdem sind ihm die Territorialtruppen und deren Reserve, sowie die verſchiedenen Dienstzweige und die militairiſchen Etabliſſements unterstellt. Diejenigen Einrichtungen jedoch, welche sich auf die allgemeine Landesverthei digung beziehen (Festungen, Häfen u. s. w.), reſſortiren direct vom Kriegsministerium. In Friedenszeiten darf kein Offizier das Commando eines Armee- Corps länger als vier Jahre behalten. Nach dieser Frist erlischt es von selbst und kann nur durch ein Decret des Minister- Conseils erneuert werden. Höhere Rechte als die seines Grades gewährt die Inhaberschaft des Corps -Commando's keinem General. 15. Art. Bei zeitweisen Abcommandirungen einzelner Truppentheile in andere Corpsbezirke treten dieſelben unter das Commando des Generals, in deſſen Region fie detachirt sind. 16. bis 19. Art. Der Generalstab des commandirenden Generals , sowie der der Artillerie , des Genies und der Branchen zerfällt in zwei Sectionen , deren eine im Falle der Mobilmachung mit den Truppen marſchirt , während die andere ſtets in ihrer Region zurückbleibt (section active und section territoriale). Ein höherer Offizier der Territo rial- Section des Generalstabs wird vom Kriegs - Minister mit der Gesammtleitung der Rekrutirung in der Region beauftragt. Andere delegirte Offiziere stehen derselben in der Subdivision vor. Diese Offiziere sind zugleich mit dem ganzen Controlwesen der Reserven u. s. w . beauftragt und haben alle sechs Monate die detaillirteſten Liſten über den Mannschaftsstand einzureichen. Die Administration und den Gesundheitsdienst wird ein Special - Geset regeln. Bei der geringeren principiellen Wichtigkeit des II . Titels war auch die Debatte der National -Verſammlung über denselben eine minder lebhafte und eingreifende als die über den ersten Titel , und die betreffenden Artikel wur den ohne wesentliche Aenderung angenommen. Titel III. handelt von der Rekruteneinstellung und der Mobil : machung (Incorporation Mobilisation). (Art. 20—28 .) Die auf mehr als ein Jahr einzuſtellenden Mannschaften werden von den Bureau's

200

Militairische Jahresberichte für 1874.

der Subdiviſion, in welcher sie wohnen, den Truppentheilen zugesendet, für welche sie be ſtimmt sind und welche in jedem beliebigen Theil von Frankreich oder Algier stehen kön nen. Die nur auf ein Jahr einzustellenden Leute dienen dagegen in demjenigen Armee Corps , welches innerhalb der Region ſteht , welcher ihr Wohnort angehört. Die Mo# bilmachung , resp. die Einberufung der Kriegsreserven wird fortan (ganz nach Preußi ſchem Muſter) durch Mobilmachungsordres erfolgen , welche das Bureau der Subdiviſion an jeden einzelnen Mann mit namentlicher Ausfertigung sendet und welche beständig bereit gehalten werden. - Pferde- und Wagen - Gestellung geschieht auf Requiſition des Präsidenten der Republik. Ein Special - Geseß wird den Modus dieser Requiſition bestimmen. Die Eisenbahn- und Telegraphenlinien werden durch die Mobil machung zur Verfügung des Kriegs -Ministers gestellt. Die jährliche Ausbildungsperiode soll mit Brigade , Diviſions- und unter Umständen auch mit Corps-Manövern abgeſchloſſen werden. Titel IV. beschäftigt sich mit dem Wesen der Territorial - Armee (Armée territoriale)- (Art. 29–35 .) Art. 29 ordnet an , daß dieſe Armee stets „gehörig geordnete" Cadres aufweisen soll; ihr Effectivbeſtand aber hat nur das für die Verwaltung nothwendige Perſonal zu umfaſſen, dem es eintretenden Falles obliegt, die zur Territorial-Armee gehörigen Mann schaften einzuberufen. 30. Art. Gebildet wird die Territorial - Armee durch in der Region wohnhafte Personen, welche nicht der activen Armee angehören. Die Reserve der Territorial Armee wird nur dann einberufen, wenn die vorhandenen Streitmittel nicht ausreichen. 31. Art. Die Cadres der Territorial - Armee beſtehen aus Offizieren und Be amten , welche ihre Entlassung aus dem activen Dienste erlangt haben; ferner aus den jenigen Einjährig - Freiwilligen und denjenigen ehemaligen Unteroffizieren der Reserve, welche in Folge eines bestandenen Examens durch den Präsidenten der Republik zum Grade eines Sous -Lieutenants in der Territorial-Armee ernannt sind. Die Unteroffiziere werden durch den Armeecorps - Commandanten ernannt. Das Avancement in der Terri torial-Armee wird durch ein Special - Gesek geregelt werden. 32. und 33. Art. Für die Infanterie findet die Formation der Truppen theile innerhalb der Subdiviſionen , für die anderen Waffen innerhalb der ganzén Region statt. 34. Art. Die Truppentheile der Territorial - Armee können als Garnisonen von Festungen, zur Besehung der Etappenlinien und zur Vertheidigung der Küsten und strategisch wichtigen Punkte verwandt werden; auch können sie zur Bildung von Brigaden, Divisionen und Armee- Corps dienen, um ins Feld zu rücken ; endlich ist es zulässig, sie zu detachiren und zu Bestandtheilen der activen Armee zu machen. 35. Art. Wenn die Territorial-Armee mobiliſirt ist, tritt sie in allen Beziehungen vollständig in dieſelben Bedingungen wie die active Armee. Die Titel III. und IV. wurden fast gar nicht in der National- Verfamm lung beanstandet. Titel V. bringt

einige

besondere Bestimmungen

(Dispositions

particulières). (Art. 36-41 .) Die Eleven der polytechnischen Schule und die der Forstschule (école forestière) , die das Schlußexamen bestanden haben und nicht im öffentlichen Dienst an gestellt worden sind , erhalten ein Patent als sous -lieutenant auxiliaire oder eine ent sprechende Commiſſion und bleiben je nach ihrem Alter in der Reserve der activen Armee oder in der Territorial - Armee disponibel. ― Die Einjährig I Freiwilligen , welche im Dienst Unteroffiziere geworden sind , treten als solche in dasselbe Verhältniß ; wollen

201

Heerwesen Frankreichs.

fie das Brevet als sous - lieutenant auxilaire erwerben, ſo müſſen ſie entweder noch ein zweites Jahr im activen Heere dienen oder ein Jahr lang eine vom Kriegs -Miniſter be zeichnete Militairſchule beziehen. Uebrigens steht es ihnen frei , wenn sie wollen , nach Ableistung ihrer einjährigen Wehrpflicht noch vier weitere Jahre bei der Fahne zu bleiben. Während der persönlichen Dienſtleiſtung werden die Auxiliair - Offiziere und die Offiziere der Territorial- Armee als in Activität betrachtet , können jedoch nicht Anspruch darauf machen, mit ihrem Grade in die active Armee überzutreten.

Den Schluß des Gesetzes bilden (Dispositions transitoires).

die Uebergangs- Bestimmungen

(Artikel 41-43 .)

Die Offiziere der bisherigen mobilen Nationalgarde können , so weit sie in die betreffenden Altersklaffen gehören , vorläufig und unter der Bedingung, nachträglich ein Eramen zu machen , als Auriliair- Sous -Lieute nants in die Reserve der activen Armee , resp. als Offiziere der Territorial Armee aufgenommen werden. Verwaltungs - Reglements und Ministerial Erlasse werden die Ausführung des neuen Gefeßes regeln .

Alle Bestimmun

gen früherer Gefeße, die ihm widersprechen, sind aufgehoben . Am 18. Juli wurde das Gefeß in zweiter, am 24. Juli in dritter Lesung angenommen und am 7. August 1873 publicirt. Es beruht offenbar auf dem Preußischen Vorbilde. Diesem entnommen ist die feste Eintheilung des Landes gebietes in Regionen (Corpsbezirke), die Zuſammenſeßung der Armeecorps aus nur zwei Infanterie- Diviſionen, die Vertheilung des Kriegsmaterials auf die Zeughäuser und Magazine der einzelnen Bezirke. -Abweichend dagegen von den Preußischen Einrichtungen und ganz im Sinne der Altfranzösischen An schauung ist die Vertheilung der jährlich eintretenden Rekruten über das ge= sammte Frankreich und Algier , und wie bisher seht sich im Frieden jedes Regiment aus Kindern aller Landestheile zusammen . Die Einberufung der Reserven jedoch erfolgt , um die Mobilmachung zu beschleunigen , für jedes Regiment aus der Region, in welcher das Corps garniſonirt, dem es angehört . Die Territorialarmee soll ausschließlich bezirksweise formirt werden. Am 28. und 29. September 1873 wurden die im Artikel 1 des Reorga= nisationsgefeßes in Aussicht genommenen Ausführungsdecrete erlaſſen. Die reorganisatorischen Maßregeln , welche durch dieselben veranlaßt wur den, bestanden der Hauptsache nach in folgenden vier Punkten : 1. Die bisherigen höheren Truppenverbände , nämlich : die Armee von Verſailles, die Armee von Lyon , die Infanterie - Diviſion im Lager von St. Avor und 2 im Süden zuſammengezogene Infanterie - Brigaden wurden auf gelöst. 2. Um die für 18 Armee - Corps erforderlichen Cadres an Infanterie, Cavallerie und Artillerie zu gewinnen , wurden neu formirt :

a) Die Linien

Infanterie-Regimenter Nr. 127-144. b) Die Dragoner-Regimenter Nr. 21 bis 26. c) Die Chasseurs = Regimenter Nr. 15 bis 20. d) Die Husaren Regimenter Nr. 11 und 12.

e) Die Artillerie-Regimenter Nr. 31 bis 38.

3. Die 18 Armee- Corps wurden formirt, indem deren Commandeure er

202

Militairische Jahresberichte für 1874.

nannt, ihre Stäbe beſeßt und ihnen die betreffenden Truppen zugewieſen wur den. Auch die Stäbe der den Armeecorps angehörenden Divisionen und Bri gaden wurden beſeßt. 4. Eine Dislocation der Truppentheile im Sinne der in Aussicht genom menen Eintheilung des Territoriums in die 18 Corpsbezirke wurde angeordnet. Bei Abgrenzung der Armee - Corps war zunächſt die Dichtigkeit der und dann die Richtung der Haupt - Eisenbahnen maßgebend. Die Längenausdehnung der einzelnen Corpsbezirke fällt meist mit den großen Eisenbahnlinien zusammen. Nach Deutschland hin liegt zunächst der Bezirk

Bevölkerung

des 6. Corps mit dem Hauptquartier Chalons ; weiter rückwärts schließen ſich dann die Bezirke des 1., 2., 5., 7. und 8. Corps an . ―― In Paris und Lyon stoßen die Bezirke von je 4 Corps zusammen . Die Absicht dabei ist die, die Garnison dieſer großen Städte häufig wechseln und die in der Reſerve dienstpflichtigen Theile der Bevölkerung derselben auf je 4 Corps vertheilen zu können. Jedes der 18 Armee - Corps hat abgesehen von den techniſchen Trup pen und Branchen eine Sollstärke von acht Regimentern Linien-Infanterie, zwei Jäger-Bataillonen, einer leichten Cavallerie-Brigade von zwei Regimentern und zwei Regimentern Artillerie. Es fehlen zur Zeit noch : die zweiten Jäger Bataillone bei den Corps Nr. 9, 10, 11, 12, 16 und 18, und vom 12. Corps find vier Infanterie - Regimenter und ein Jäger - Bataillon nach Algier ab commandirt.

Von den 70 Cavallerie - Regimentern sind 36 in 18 Brigaden

den Armee Corps zugetheilt.

Die übrigen 34 Cavallerie - Regimenter bilden

17 Brigaden Reserve - Cavallerie. 6 Cavallerie-Divisionen vereinigt.

12 dieser Brigaden sind

wieder zu

Durch Decret vom 6. Auguſt 1874 wurde dann in Gemäßheit des Artikels 1 des Organisationsgesetzes das Territorium Frankreichs (ab gesehen von den Departements der Seine und Seine - et - Oise und abgeſehen von der Stadt Lyon und 4 Cantons des Rhone - Departements (Lager von Sathonay und Valbonne ) in 144 subdivisions de region getheilt ; 8 für jedes Armee- Corps . *) Im Hauptort jeder Subdiviſion befindet sich ein bureau de mobilisation , von dem die dienstpflichtigen Mannschaften der Subdiviſion ſammt und ſonders reſſortiren. Außer diesen 144 Mobiliſirungsbureaus beſtehen noch die folgenden: 4 im Departement der Seine (für das 2., 3., 4. und 5. Corps), 1 in Etampes für das 4. und 5. Corps, 1 in Versailles für das 2. und 3. Corps, 1 in Lyon für die Stadt und die Cantons des Rhone-Departements, 1 in Digne als Anner des Bureau der Subdiviſion von Air. Die Gesammtzahl der Mobiliſirungsbureaus beträgt also 152. Die Bestimmung des Artikels 2 des Organisationsgefeßes , wonach die Regimenter , welche ein Armee - Corps bilden , im Territorialbezirk deſſelben garnisoniren sollen, ist bisher nur theilweise zur Durchführung gekommen. Es *) Distribution régionale de la France.

(Le Moniteur de l'armée. 1874 No. 46.

Heerwesen Frankreichs.

203

begründet sich das durch die vorläufig noch für nothwendig erachtete Versamm lung großer Truppenmaſſen bei Paris und Lyon, durch die Detachirung von Linien-Regimentern nach Algerien, zu deſſen Beſeßung die bezüglichen Special Truppen nicht ausreichen , und endlich durch den bisherigen Mangel an Casernement in den westlichen Provincen.

III.

Das Cadre- Gesek.

(Loi sur les cadres et les effectifs des armées active et territoriale.) Am 2. December 1874 wurde in der Nationalversammlung die erſte (lediglich formelle) Lesung eines Gefeßes über die Cadres und Bestände der activen und der Territorial - Armee vorgenommen , über welches der General Chareton als Berichterstatter fungirte. Vom 11. bis 20. Januar 1875 geschah dann die zweite Lesung. - Das Gesez behandelt in 3 Titeln die active Armee, die Territorial - Armee und die Uebergangsbestimmungen *) und gab zu lebhaften Discussionen und mannigfachen Amendements Anlaß, zumal die Ansichten des Berichterstatters und die des Kriegsministers in meh reren wesentlichen Punkten auseinandergingen. In einigen dieſer Punkte , ſo namentlich in denen über die Eintheilung der Bataillone in vier , statt wie bis her sechs Compagnien ist das Reſultat der zweiten Lesung wohl als endgültig zu betrachten ; in andern, wie z . B. die Anstellung zweier Hauptleute bei jeder Com pagnie dürfte die dritte Lesung vielleicht Aenderungen herbeiführen.— Aus dieſem Grunde und weil die Würdigung des Cadre- Geſeßes überhaupt eigentlich in die Betrachtung des Jahres 1875 gehört, deſſen Namen es tragen wird, verzichten wir an dieser Stelle auf die Darlegung und Besprechung desselben , werden aber im Verlaufe unserer Schilderung des Heeres neben den Daten über den gegenwärtigen Zuſtand der einzelnen Inſtitutionen, Truppen u. ſ. w. jedes mal das in der zweiten Lesung des Cadregesetzes gewonnene Resultat an geben, um auf dieſe Weiſe in jedem einzelnen Falle die Möglichkeit des Ver gleiches darzubieten. Immer wird man dabei im Auge zu behalten haben, daß diese Reſultate vor der Schlußannahme des Cadre - Gefeßes in dritter Lesung noch nicht als definitive zu betrachten sind. **)

*) Les Cadres et les Effectifs des armées active et territoriale. Rapport du Général Chareton. Paris. Libr. du Moniteur universel. 1 fr. Ueber die in der 2. Lesung angenommene Form des Gesezes vergleiche : Projet de loi relatif à la constitution des cadres et des effectifs de l'armée active et de l'armée territoriale. Rédaction adoptée en seconde délibération, le 20. jan. 1875. (Le Mo niteur de l'armée. 1 févr. 1875.) **) Während des Druckes dieses Jahresberichtes hat die dritte Lesung stattgefunden. und das Cadre- Gesez ist am 13. März 1875 von der Nationalversammlung angenommen, am 28. März vom Präsidenten der Republik verkündet worden. Da die endgiltig festge stellte Fassung des Geseges in mehren wesentlichen Punkten von den Resultaten der zweiten Lesung abweicht, so soll auf die wichtigsten Unterschiede noch in Anmerkungen kurz hinge wiesen werden. Eine ausführliche Darstellung des Cadre-Gesezes und der Debatten, aus denen es hervorgegangen, bleibt dem nächsten Jahresberichte vorbehalten.

204

Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Kriegsmittel Frankreichs.

I. Perfonelle Streitkraft. 1. Stand der Bevölkerung.

Die Einwohnerzahl Frankreichs betrug annähernd : unter den Valois 19-20 Millionen ; um die Mitte der Regierung Ludwigs XV. 22-23 Mil lionen ; furz vor der Revolution 24-25 Millionen.

In Folge Consular

Verordnung wurde im Jahre 1800 die erſte regelmäßige Zählung ausgeführt. Sie wies für die Territorien , welche dem „Königlichen Frankreich" ent 1861 zählte man (einschließlich Savoyen und sprachen, 27 Millionen nach. Nizza) 372 Millionen Franzosen. Die 27 Millionen von 1801 hatten sich also bis dahin um 9 Millionen, d. h. um ein Drittel (34 %) vermehrt. Die Bevölkerung Großbritanniens (ohne Irland) hatte sich dagegen in derselben Zeit von 10 auf 28 Millionen gehoben , obgleich etwa 6 Millionen in die Colonien gegangen. War indessen die Vermehrung der Franzosen keine schnelle, so blieb sie doch wenigstens constant und ein Rückschritt war zu keiner Zeit vorgekommen , so lange man das Gesammtbild Frankreichs im Auge behält. Dieses Verhältniß hat sich neuerdings und zumal ſeit dem Frieden von Frank furt verändert. Bekanntlich waren es gerade die Elsaß-Lothringiſchen Diſtricte mit vorwiegend Deutschen Bewohnern, deren Statistik ein rasches und stetiges Anwachsen der Bevölkerung zeigte und dadurch den auffälligen Rückgang der südlichen und weſtlichen Departements äußerlich verdeckte. Wie bedeutend dieſer Rückgang thatsächlich ist, weiſen die seit der Abtrennung jener Deutschen Ge bietstheile in Frankreich vorgenommenen officiellen statistischen Erhebungen nach. Die Bevölkerung Frankreichs in seinem jeßigen Umfange be trug im Jahre 1866 nämlich 36,469,836 Seelen, 1872 nur noch 36,102,921 - eine Verminderung von 366,915 . — Nach diesem Resultat der Volks zählung bildet gegenwärtig Frankreich die numerisch schwächste Macht von den Großſtaaten des Europäischen Continents, während dasselbe vor hundert Jahren bei einer Bevölkerung von 24 Millionen den andern Großstaaten , nämlich Rußland (17 Millionen), Desterreich ( 18 Millionen ) und Deutschland ohne Da das Europäiſche Ruß Oesterreich (15 Millionen) weit überlegen war. land heute 72 Millionen, das Deutsche Reich 41 Millionen zählt, und Dester reichs Bevölkerung, die nach der leßten Volkszählung von 1869 auf 35,905,000 Einwohner berechnet war, jest gewiß auf 36½ Millionen in runder Sumine angewachsen ist, so nimmt Frankreich den vierten Plaß ein. Die Verminderung der Bevölkerung in dem Zeitraum von 1866 bis — abgesehen von den 1872 entspricht einer Abnahme von 12 pro Mille 1½ Millionen, welche mit Elsaß- Lothringen an Deutſchland gefallen find. Dieses Verhältniß ist nun allerdings wohl zu nicht geringem Theile als eine Folge des Krieges anzusehen und wird nicht dauern ; aber schon 1866

Heerwesen Frankreichs.

205

stellte Duval im „ Journal des Débats " Betrachtungen darüber an , daß in Frankreich jährlich nur ungefähr eine Million Kinder geboren würden und 800,000 Menschen stürben.

Der Jahreszuwachs betrüge also knapp 200,000,

ſo daß 200 Jahre nöthig wären, die Bevölkerung zu verdoppeln, während in England 50 Jahre dazu ausreichen. -- Frankreich nimmt, was die Fruchtbar keit der Ehen und die Zahl der Geburten betrifft, den niedrigsten Play in Europa ein.

In Preußen ergeben 100 Ehen im Durchschnitt

Frankreich nur 300 Kinder.

460 , in

In Preußen entfallen auf je 100 Einwohner

jährlich 3,98, in Frankreich nur 2,55 Geburten.

In Preußen übersteigt die

Zahl der Geburten jene der Todesfälle im Jahre in dem Verhältnisse von 13,300 Individuen auf jede Million Einwohner, in Frankreich nur im Ver hältnisse von 2,400 auf jede Million .

Die Folge davon ist natürlich eine

außerordentliche Differenz in der jährlich zuwachsenden Rekrutenquote.

Schon

1866 berechnete ein Französischer Gelehrter, daß in Nord- und Süd-Deutsch land (natürlich ohne Elsaß- Lothringen) jährlich 1,200,000 Kinder geboren würden und 383,000 junge Männer im Alter von 20 bis 21 Jahren er gäben, während Frankreich (noch unter Anrechnung von Elsaß - Lothringen) nur 314,000 junge Männer producirte. *) Die Differenz betrug also schon vor Wiedereinverleibung der Reichslande jährlich 69,000 Mann.

Dieses Er

matten der Lebenskraft auf Französischer Seite ist ein entscheidendes Moment, sobald man die große Frage kriegerischer Volksleistung nicht nur vom speciell technischen, sondern aus dem höheren Standpunkte weltgeschichtlicher und völker psychologischer Entwickelung betrachtet.

Hier berühren sich die socialen und

ethischen Grundlagen des Volksthums auf's innigste mit denen des Heerwesens. In dem Jahrzehnt von 1858 bis 1868 , sowie im Jahre 1871 waren im Ganzen in die Erfahregiſter 3,775,504 Mann eingeschrieben , von denen nahezu 33 pCt., nämlich 1,245,000 Mann eingestellt wurden. Untereinander wiesen die Jahrgänge große Unterschiede auf; das Marimum ergab das Jahr 1866 (d. h. die Klasse von 1865 , welche 1845 geboren war) mit 326,564. Die Klaſſe von 1867 bestand aus nur 293,164 Eingeschriebenen , weil 20 Jahre vorher, 1846-1847, ein Noth- und Hungerjahr gewesen und weil im Revolutionsjahre 1848 mehr Kinder von einem Jahre und im Cholerajahre 1849 mehr ältere Kinder starben. Also die Nothjahre, die Emeuten, die Er schütterung des Besizes während der Revolution und die Epidemien hatten ein bedeutendes, für den bald folgenden Krieg nachtheiliges Deficit der Jahr gänge 1867, 1868 und 1869 erzeugt. **)

*) Descaines: Les progrès de la dégéneration de la France. Vortrag in der medicinischen Akademie zu Paris . **) L'armée française en 1873. Par le général Vinoy. Etude sur les ressources de la France et les moyens de s'en servir. Paris. H. Plon . 1873. Das neue Re krutirungsgeseß wird demnächst auch in Algier , deſſen Bewohner bisher von der Militair pflicht befreit waren , eingeführt werden ; doch sollen die Ausgehobenen nur bei in der Colonie stationirten Truppenkörpern eingestellt werden.

206

Militairische Jahresberichte für 1874. 2.

Refrutirung. *)

Die Aushebung , welche im Jahre 1872 stattfand, geschah noch nicht auf Grund des neuen Rekrutirungsgesetzes und es wurde bei ihr (obgleich doch auch das Gesetz von 1867 die beiden portions unterschied) zwiſchen diesen Theilen des Contingentes fein Unterschied gemacht. Es sollte im Jahre Von diesen sollte 1873 die Zahl von 105,000 Rekruten eingestellt werden . die Marine 3300 , die Landarmee 101,700 erhalten , und zwar bei letterer die Infanterie 65,610 , die Cavallerie 13,840 , die Artillerie 16,770 , Genie Die früheren 2200, Train 2080, die Adminiſtrationstruppen 1200 Mann. Bestimmungen wegen der Größenverhältnisse blieben maßgebend ; bei den der Cavallerie zuzuweisenden Rekruten sollte jedoch weniger auf die Größe als auf Bei den sonstiges Geeignetsein für den Cavalleriedienst gesehen werden. jenigen Rekruten , welche reiten können oder mit der Pferdewartung vertraut ſind , konnte ein Mindermaß bis zu zwei Centimetern unter dem Normalmaß statt finden. **) Die Aushebung des Jahres 1873 (Klaſſe von 1872, Einstellung vom März 1874) ist die erste, welche auf Grund des neuen Rekrutirungsgefeßes geschah und bietet deshalb ein ganz besonderes Intereſſe_dar. ***) Den Vorschriften des Art. 8 des Geſeßes vom 27. Juli 1872 entſprechend, wurden die Zählungslisten der Klaſſe 1872 von den Communen am 1. Januar 1873 aufgestellt, und die Prüfung derselben geschah vom 20. Februar bis 21. April. Am 22. Auguſt wurden nach Vollzug der Arbeiten der Reviſions räthe die Liſten geſchloſſen. In ihnen waren 303,810 junge Leute verzeichnet, und persönlich vor den Revisionsrath gefordert worden. 10,717 waren nicht erschienen ; doch wurde, gemäß Art. 28 des Gefeßes , gegen sie verfahren, als ob sie zugegen seien. Von den 303,810 jungen Leuten wurden Erimirt (untauglich erkannt zu jedem activen oder Hülfsdienste) .

. .

30,433 †)

*) Manuel pratique du recrutement de l'armée selon la loi du 27. juillet 1872 par Solivet, ancien souspréfet, ex-intendant militaire de 3. classe. 3 vol. Paris. 1873. **) Aus den Berichten , welche im Kriegsministerium eingelaufen, geht hervor, daß von ungefähr 305,000 Conscribenten , welche vor den Revisions - Commiſſionen erſchienen waren, 7700 nur lesen und 69,000 weder lesen noch schreiben konnten. Also können nur 74 pCt. lesen und schreiben , 3 pCt. nur lesen und 23 pCt. oder 1 von 4 befinden sich in der größten Unwissenheit. - Und einer solchen Statistik gegenüber verweigert man den Franzosen den obligatorischen Unterricht. ***) Compte rendu de l'exécution pendant l'année 1873 de la loi du 27. juillet - Vergleiche den mit 1872 sur le recrutement. (Journal officiel vom 17. Mai 1874.) werthvollen Anmerkungen versehenen Auszug dieses Rechenschaftsberichtes im Militair Vergl. auch „ La classe 1872." (L'avenir mili Wochenblatt 1874, Nr. 68, 79 u. 82. taire 1874. No. 189), sowie „ Rekrutirung in Frankreichs Altersklaſſe 1872“ (Organ d. Wiener militair wissenschaftl. Vereins. 1873. 7. Bd . 5. Hft.) , endlich Recrutement du departe ment de la Seine. (Le Moniteur de l'armée. 1874. No. 60. ) †) Darunter wegen Augenkrankheiten 1879, Verlust eines Auges 1325, Taubheit 691, Stottern 529, Scropheln 1328, Herzleiden 735, Schwindsucht 522, Bruchleiden 1942, Harn krankheiten 1365, Verlust eines Gliedes 1883, Verstümmelung der Finger 1034, Adertropf 818, Klumpfuß 1232, Rückgratsverkrümmung 1548, Cretinismus und Idiotismus 1322, allgem. Körperschwäche 4299.

207

Heerwesen Frankreichs.

Transport 2569 Dispensirt als älteste von vater- und mutterlosen Waisen Als einzige oder älteste Söhne oder Schwiegersöhne , einzige 20,124 oder älteste Enkel einer Wittwe u. s. w. . . 252 Als älteste von 2 Brüdern, die an der Loosung Theil genommen · 18,085 Als Brüder von schon dienenden Militairs Als Brüder von gefallenen oder ihrer Wunden wegen entlassenen, 7041 resp. invaliden Militairs • Im Ganzen Zurückgestellt: wegen Mindermaaß " allgem. Körperschwäche

48,071

6856 14,166 21,022

Im Ganzen Rotirt als schon unter den Fahnen stehend : Schüler der polytechnischen und der Forſtſchule *) Einjährig Freiwillige der Klaſſe 1872 . Junge Leute, die in Folge freiwilligen Engagements oder als Angestellte im Heere dienen Eingetragene Seeleute Jm Ganzen Bedingungsweise dispensirt : **) Professoren der Collegien und Lyceen und Schüler der Normal schule zu Cluny Profeſſoren an Taubſtummen- und Blindeninſtituten Pensionäre der école des chartes und der Schule für orienta lische Sprachen . Mitglieder und Novizen der dem Unterricht gewidmeten religiösen Genossenschaften und ähnlichen von Laiengesellschaften gegrün deten Schulen .. Errichter von Lehrinstituten, sowie deren Gehülfen und Semina riften . Zöglinge und Studirende des geistlichen Standes Im Ganzen

Total aller Erimirten und Dispensirten

30,433

137 5808 11,375 3530 20,820

107 1 3

534 1496 1908

4,049 124,395.

Nach Abzug dieser Ausgesonderten verblieben noch 179,415 Mann des Contingents . Die Gesammtmasse des Contingents , abzüglich der 30,433 wegen Körpergebrechen Erimirter, wurde nun (Art. 31 des Geſeßes ) in folgende Ka tegorien getheilt . *) Beide Schulen sind militairiſch organisirt und die Schüler werden mit der Waffe ausgebildet; der Staat kann also auch bei denjenigen unter ihnen , die etwa nicht als Offiziere eintreten, sich mit der erlangten militairischen Ausbildung begnügen und sie direct in den Beurlaubtenstand übertreten lassen; er sieht in ihnen ein vorzügliches Material zur Completirung des Offiziercorps und des Beamtenpersonals im Mobilmachungsfalle. Be stehen die Zöglinge das Schlußeramen der Anstalt nicht , so tritt die Verpflichtung zum wirklichen Heerdienst für sie wieder in Kraft ; doch wird ihnen die in den Schulen ver brachte Zeit als Dienstzeit berechnet. **) D. h. falls sie sich zu 10jährigem Dienste in ihrem Berufe verpflichten und so lange als sie dies Versprechen halten.

208

Militairische Jahresberichte für 1874.

1. Leute, die zum activen Dienſt geeignet ſind und in keine der nach stehenden Kategorien gehören . . 2. Bedingunsweiſe Dispenſirte und unter den Fahnen Stehende . 3. Hülfsdienstzweige (services auxiliaires) in Garnisonen, Werkstätten, Magazinen 2c. 4. Zurückgestellte

151,039 24,869 28,376 21,022.

Nunmehr schritten die Revisionsräthe zu einer Bezeichnung derjenigen Leute der 1. Kategorie, welche als „Familienstüßen " zur Dispositionsstellung in Vorschlag gebracht waren, oder einen Aufschub ihrer Einberufung begehrten. Die Zahl der ersteren belief sich auf 5317 ; die Zahl der gewährten Gestellungs aufschübe betrug nur 649, zuſammen 5966 Mann. Den Vorschriften des Artikel 40 des Gesetzes vom 27. Juli 1872 ent: sprechend, wurde dann am 24. September 1873 durch das Kriegsminiſterium der erste Theil der Rekrutirungsliste in folgende zwei Portionen getheilt: Première portion , mit der Verpflichtung fünfjährigen Dienſtes bei der Fahne :

See-Heer . Land-Heer

5,023 Mann, 90,132 " 95,155 Mann.

Deuxième portion , die nach einjährigem oder nur halbjährigem Dienst entlassen werden kann, 55,884 Mann . Zusammen, wie schon früher angegeben, 151,039 Mann. *) Die 95,155 Mann, welche die première portion der einzuziehenden jungen Soldaten bilden, sind in nachstehender Weise auf die verschiedenen Truppentheile repartirt worden : Armée de mer. 4,439 Mann. Marine Infanterie 8 " Flotten-Bemannung (équipages de la flotte) . 558 Marine-Artillerie-Regiment 18 Artillerie-Handwerker der Marine Armée de terre. 52,272 Infanterie (incl. 5985 nonvaleurs) Cavallerie 13,510 Artillerie 16,100 "" Genie " 2,450 3,070 " Equipages militaires 2,730 " Noministrationstruppen

Gesammt- Summa : 95,155 Mann. Das Contingent für das See - Heer wurde am 5. Januar 1874 ein Die Einziehung (mise en route) der première portion des Cons tingentes des Land-Heeres konnte jedoch in Folge von budgetären Rückſichten

gestellt.

*) Auffallenderweise ist hier die oben näher erläuterte Summe von 5966 Mann, welche als Familienstüten zur Disposition gestellt wurden oder Gestellungsaufſchübe er hielten, nicht in Abzug gebracht ; wahrscheinlich befinden sie sich unter den 5985 Nonvaleurs der Infanterie.

209

Heerwesen Frankreichs.

erst am 1. März 1874 erfolgen. Am 1. Juli geschah endlich die schon oben erwähnte Einstellung der deuxième portion , welche bis zum 31. December, also ein halbes Jahr lang, bei den Fahnen blieb. folgendermaßen auf die Waffen : Infanterie (incl. 2681 nonvaleurs) Artillerie (und zwar nur der train d'artillerie) • Equipages militaires

Dieselbe vertheilte sich

• 49,247 Mann. 2,917 " 3,720 " Summa · • 55,884 Mann.

statt.

Die Aushebung der Klasse 1873 fand vom 9. April bis 9. Juni 1874 Sie unterschied sich dadurch von der vorhergehenden , daß zum ersten

Male über eine größere Zahl von ajournés (die wegen Mindermaß oder Körperschwäche auf 1 Jahr zurückgestellten Mannschaften der Klaſſe 1872 ) mit entschieden ward. — Von ihnen wurden 6938 als einstellbar bezeichnet, und kamen, in Folge ihrer Loosnummer vom vorigen Jahre, 3875 auf die erste, 3063 auf die zweite Portion. Von der Jahresklasse 1873 wurden 152,381 Mann als diensttauglich und von Rechts wegen abkömmlich in die Listen eingetragen. Der Kriegs miniſter hatte als erste Portion des Contingentes für den 5jährigen Dienst 85,375 Mann gefordert, die Marine (welche nur Leute der 1. portion erhält) 7700 Mann. Da die Zurückgestellten der Klaſſe 1872 sämmtlich zur Land armee kommen und ihre 1. portion 3875 Mann zählt , müßte somit die Klasse 1873 der Landarmee 81,500 Mann zur 1. portion stellen. In Rück sicht auf die wahrscheinliche Zahl der Nonvaleurs wurde jene Summe jedoch auf 89,030 Mann erhöht.

Und da bei der Marine (abgesehen von den see

fahrenden Matroſen) 1644 Freiwillige eingetreten waren, reducirte sich deren Anforderung auf 6056 Mann. Im Ganzen stellt sich die Aushebung also wie folgt : nonvaleurs. Wirkliche Einstellungen von 1873. RI. 72. KI. 73. --Marine 6,056 6,056 7530 85,375 89,030 Landheer 3875 7530 3875 91,431 95,086 Abgesehen also von den ſeefahrenden Matrosen , sowie den Einjährigen und fünfjährigen Freiwilligen stellt die Klaſſe 1873 zu fünfjährigem Dienſte 91,431 Mann in Heer und Marine. In den Listen bleiben sonach 57,295 Mann , oder nach Abrechnung der vermuthlichen Nonvaleurs und Hinzurechnung der 2. portion der Klaſſe 1872, etwa 56,000 Mann als deuxième portion zu halbjähriger Ausbildung. Das Gesammtergebniß der Aushebung von 1874 stellt sich somit auf ca. 147,000 Mann ohne die Freiwilligen. Gefeßlicher Anfangstermin der Dienstzeit war der 1. Juli 1874. Die

thatsächliche Einstellung erfolgte im Januar 1875. Es läßt sich nicht verkennen , daß mit der Durchführung dieſer Rekru tirungen , die im Wesentlichen als normal bezeichnet werden können , die 14 Militairische Jahresberichte 1874.

-

210

Militairische Jahresberichte für 1874.

Franzosen der Mehrzahl jener Prophezeihungen , welche das übrige Europa an die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich geknüpft, vor läufig fiegreich entgegen getreten sind . Die Rekrutirung iſt geſeßmäßig durch geführt worden. Die Zeit wird lehren, ob dies auch auf die Dauer möglich ist , ob es namentlich die Financen gestatten werden , auch die deuxième portion regelmäßig einzustellen , und welchen Werth die so flüchtig aus gebildeten Krümper für den Dienst gewinnen werden. Zunächst wirkt noch die Revanche - Anspannung mächtig mit ; sollte diese kurz über lang in der einen oder andern Weise zur Abspannung führen , so dürften die Bedenken, welchen wir oben bei unseren Betrachtungen über das Rekrutirungsgeset Ausdruck gaben, wahrscheinlich wieder zu ihrer vollen Geltung kommen.

3. Reserve. Am 9. November 1873 erfolgte eine Zählung der Reserve der activen Armee mit Hülfe der von den Rekrutirungsdepots gemachten An gaben , die von der Gendarmerie an Ort und Stelle berichtigt und ergänzt wurden. Diese Zählung bezog sich auf Mannschaften der Klaſſen 1867 bis 1871. Die Reservisten der Klaſſe 1867 haben zum Theil in der Armee, zum Theil in der Mobilgarde gedient , die der Klassen 1868 und 1869 in der Mobilgarde , die von 1870 haben die Kriegszeit bei der activen Armee zugebracht ; diejenigen der Klaſſe 1871 endlich waren nicht zur Activität be ---rufen worden. Die Feststellung dieser massenhaften , aber zerstreuten und ungewissen Elemente gestattete nun zu ihrer Vertheilung an die verschiedenen Truppentheile nach dem System vorzuschreiten , das durch die Geseze vom 27. Juli 1872 und vom 24. Juli 1873 festgestellt ist. Im Jahre 1873 haben 116,664 junge Leute ihre active Dienstzeit beendet. 52,108 davon wurden auf die Control Listen der Reserve der activen Armee eingetragen, 64,556 Mann, welche entweder auf Grund sieben jähriger Engagements (nach dem alten Rekrutirungsgefeß von 1832) dienten, oder zur Klasse 1866 gehörten , traten direct in die Territorialarmee über. (Entsprechend den Dispositions transitoires des Geſeßes vom 27. 7. 72.) 1181 Mann , welche auf Grund des alten Rekrutirungsgeseßes von 1832 dispensirt waren und die Bedingungen des Dispenses erfüllt hatten, wurden von jeder militairiſchen Verpflichtung losgesprochen.*)

II. Remontirung. Seit längerer Zeit war bekannt, daß die Remontirung der Französischen Armee nicht genügend gesichert sei . Am 10. Februar 1874 erstattete der Marquis von Mornay , eine Autorität in Sportsachen, der Nationalverſamm

* ) Repartition des hommes de la réserve de l'armée active et de la disponibilité. (L'Avenir militaire. IV. Année 1874, No. 204.)

Heerwesen Frankreichs.

211

lung einen Bericht , der zu einer gründlichen Umgestaltung des Remonte wesens aufforderte . * ) Am 15. Februar ward in den Gemeinden eine allgemeine Zählung der Pferde und Maulthiere abgeschlossen , wobei sich an Pferden die Summe von ungefähr 3 Millionen ergab .

Die Französische Armee besißt nach den

Angaben des Budgets für 1875 : in Frankreich 84,807 Pferde, in Algerien 13,065 "" und nach Abrechnung der 15,000 Gendarmerie- Pferde und Hinzurechnung von 7000 an Landwirthe ausgeliehene Thiere, rund 90,000 Stück. **) Nimmt man eine Mobilmachung der gegenwärtigen Französischen Armee auf Grund der bisherigen Etats an und berechnet die mobilen Feld-Schwa- . dronen zu 150, die Depot- Escadrons zu 200 Pferden, so ergiebt sich für die Französische Feld-Armee, einschließlich der zugehörigen Erfaßtruppen, folgen der Pferdestand :

Cavallerie . 61,600 Artillerie , Parks und Pontonniere . 110,000

· 5,000 Genietruppen . Eigentlicher Train • • 40,000 · 7,000 Stäbe, Verwaltung

Auf die ganze Summe von 223,000 Pferden kommt der verfügbare Friedensstand von 90,000 in Anrechnung, so daß für die Feldtruppen, ein schließlich der Ersaßtruppen , 133,000 Pferde , darunter etwa 40,000 Reit pferde, zu beschaffen wären. - Die Franzosen berechnen den Gesammtbedarf für die mobile Armee in ihren officiellen Auslassungen noch höher, nämlich auf 250,000, ſo daß 160,000, oder sogar (wohl unter Zurechnung eines Theils der Territorial - Armee) nahezu 180,000 Pferde zur Completirung nöthig wären. Dies sind die Verhältnisse , auf Grund deren der Abgeordnete Bocher am 29. Mai 1874 in seinem Berichte über das Geset ,, sur les haras et les remontes" der National - Versammlung darlegte, wie das Land der Forderung der Militairverwaltung , welche im Mobilmachungsfalle 176,000 Pferde bedürfe, nur einen Gesammtbestand von 219,000 brauchbaren Pferden entgegenstellen könne , was bei den sonstigen Anforderungen des öffentlichen Verkehrs natürlich ungenügend sei. ***) Diese Darlegung

mußte

um

so

ernstere

Erwägungen

veranlaſſen,

*) Mornay constatirte u. A., daß Frankreich, in Folge der ganz ungenügenden An käufe im Frühjahr 1870, beim Kriegsausbruch statt 2370 Geschüße deren nur 1700 zu bespannen vermocht habe, weil statt 51,000 Pferden nur 32,000 zur Verfügung gestanden hätten. **) Hauptmann von Gizycki berechnet den Friedenspferdestand auf 88,900 Pferde, nämlich: 7000 Cavallerie 40,000 Eigentlicher Train 5000 Stäbe, Verwaltung . Artillerie, Parks, Pontonniere 28,000 900 8000 Ausgeliehen auf dem Lande Genietruppen Die ***) Les remontes de l'armée. (L'Avenir militaire 1874. No. 229-230.) Sterblichkeit der Pferde in der Französischen Armee. (Allg. Schweiz . Milit. Ztg . 1874. Nr. 5. ) 14*

212

Militairische Jahresberichte für 1874.

als zugleich die Pferde ausfuhr Frankreichs bisher nicht unbedeutend war. *) Die National-Versammlung hat durch zwei Geseße zu helfen gesucht. Das Gejet sur les haras et les remontes ſoll die Pferdeproduction heben, das Geſeß sur les conscriptions des chevaux das vorhandene Material der Militair verwaltung für den Bedürfnißfall in ausgiebigſter Weise zu Gebote stellen. Das Gesez sur les haras et les remontes vom 29. Mai 1874 verfügt erstens , daß die Gestütsverwaltung ihren jest 1087 Hengſte aufweisenden Beſtand jährlich um 200 zu vermehren habe, bis die Geſammt zahl von 2500 erreicht sei. Zweitens erhöht es (abgesehen von den für Beförderung

der Rennen

ausgeworfenen

Summen)

die Preisgelder für

Prämiirung von Zuchtstuten und Zuchthengsten im Privatbesig. Die bisher ausgeworfene Summe von 683,000 Francs soll durch jährliche Steigerung um 100,000 Francs auf 1,500,000 gebracht werden. Endlich ist durch Wiedererrichtung des Gestüts zu Pompadour die etwas zurück gegangene Production von Arabischem Blute neu belebt worden. Gleichzeitig hat das Remontewesen eine neue Regelung empfangen und beſtehen nunmehr 17 Remonte Depots , welche auf 4 Bezirke ver theilt sind. Die wichtigsten Bestimmungen des Gesezes sur la conscription des chevaux vom 1. August 1874 ** ) sind folgende : Alljährlich zwischen dem 1. und 15. Januar wird durch den Maire jeder Gemeinde eine Zählung (recensement) aller 6jährigen und älteren Pferde und aller 4jährigen und älteren Maulthiere veranstaltet. Dann laſſen die commandirenden Generale das Material an Ort und Stelle durch eine Commiſſion untersuchen und das brauchbar befundene nach den im Budget festgesetten Kategorien claſſificiren. — Auf Grund dieser Resultate wird im Kriegsministerium eine möglichst regional gehaltene Repartition vorgenommen, die jedoch erst im Mobilmachungsfall bekannt gegeben wird. Bei der Mobilmachung requirirt die Abnahme - Commiſſion die vom Kriegsminister befohlene Anzahl , nachdem durch Loosziehung oder eventuell Subſtitution bezw . Zurückſtellung das Material endgiltig festgestellt iſt.

III. Kriegsmaterial. 1. Revision von 1872-73. Das ,,Journal officiel de la République francaise" hat in den Num mern vom 5. bis 10. Juni 1873 den Bericht veröffentlicht, welchen die zur

*) Im Jahre 1874 ſollen bis Mitte November nur 6536 Stück: 350 Hengſte, 3663 Wallache , 1890 Stuten und 633 Füllen von Osten her eingeführt worden sein. Die Ausfuhr betrug dagegen 22,940 Stück, nämlich 451 Hengſte, 10,973 Wallache, 10,466 Stuten und 1050 Füllen. Der größte Theil derselben ging nach England und Belgien. **) Loi relative à la conscription des chevaux. (Le Moniteur de l'armée. 1874. No. 45 ) Das Gesetz zur Beschaffung der für die Französische Armee im Kriegsfalle er forderlichen Mobilmachungspferde. " (Ztschrft. d. Kgl. Preuß . ſtatiſt. Bureaus . 1874. S. 345.)

Heerwesen Frankreichs .

213

Revision des Kriegsmaterials im Mai 1872 eingefeßte Commission abgefaßt hat. Der Bericht, welcher in jeder Beziehung überaus lehrreich und inter eſſant ist , giebt in klaren Uebersichten : 1 ) den Bestand des Französi schen Kriegsmaterials

am

1. Juli

1870 ;

2 ) die während des

Krieges 1870-71 durch Deutschland eingebüßten Bestände des selben; 3) den Bestand des Kriegsmaterials am 12. August 1872 ; 4) das zur kriegsmäßigen Ausrüstung einer Armee von 1,200,000 Köpfen noch zu beschaffende Material .

Es kann an dieser Stelle nur auf die beiden lezteren Punkte einge gangen werden. Trotz der colossalen Material - Verluste während des Krieges ergab die Revision der Bestände vom 12. August 1872 in Folge der zahlreichen Neu beschaffungen Ziffern , welche , was die Waffen anbetrifft , nur unbedeutend hinter denen vom Juli 1870 zurückſtehen. Das vorgefundene Material wurde nach den drei Rubriken claſſificirt : Waffen nach den in Geltung befindlichen Modellen , also sofort brauchbar ; Erwerbung während des leßten Krieges, wie z. B. Remington-Gewehre , bei Gelegenheit nüßlich und deßhalb einstweilen aufzubewahren ; ganz unverwend bares Material. Die vorhandenen brauchbaren Bestände erwiesen sich als über raschend groß.

So war in der Artillerie außer zahlreichem, nicht probe

mäßigem aber brauchbarem Material das zu 382 completen gezogenen Feld batterien vorhanden ; also gegenüber dem Bestande bei Ausbruch des Krieges nur ein Minus von 14 Feldbatterien.

Noch günstiger stellte sich die Zahl

der Chassepot- Gewehre heraus , deren 1,123,242 gezählt wurden , dar unter nur 417 unbrauchbar. Auch in den Vorräthen anderer Art zeigten sich meist nur geringe Differenzen, oft sogar zu Gunsten der Bestände vom vorigen Jahre. Allein das Train 3 Material ist wesentlich hinter den Beſtänden vom Juli 1870 zurückgeblieben , was für die Schlagfertigkeit der Armee allerdings schwer ins Gewicht fällt. Im lezten Capitel werden die Retablissementskosten berechnet. Während vor dem Kriege jedoch eine Armee von 600,000 Köpfen als Grund lage für die Vorräthe diente, wird jezt auf Grund des neuen Wehrgefeßes die active Armee und deren Reſerve — ausschließlich der Territorial-Armee, deren noch gar nicht gedacht ist - in einer Stärke von 1,200,000 Köpfen nebst 250,000 Pferden supponirt.

Im

Speciellen sind

in dieser Ziffer

850,000 Mann Infanterie, 80,000 Mann Cavallerie und pro 1000 Mann vier Feldgeschüße angenommen. Für den Infanteriſten ſoll eine dreifache Ausrüstung mit Chaſſepots vorräthig gehalten, die Artillerie mit durchweg neuem Material versehen und ein Belagerungs - Train von 1000 Geſchüßen formirt werden.

214

Militairische Jahresberichte für 1874. Bei diesen Annahmen wurde der noch zu beschaffende Bedarf an

Waffen auf 3380 Feldgeschüße und 3,200,000 Gewehre geschäßt. Der Gesammtwerth des zur completen Ausrüstung einer so starken Armee gehörenden Materials ist mit 1,409,066,274 Francs berechnet wor den ; das im August 1871 in der Armee eristirende Material ſoll einen Werth von 378,604,406 Fr. gehabt haben, so daß also , um die Franzöſiſche Armee von 1,200,000 Köpfen nebst 250,000 Pferden mit allem für den Krieg Erforderlichen auszurüſten, ein Material im Werthe von 1,030,461,868 Francs noch zu beschaffen blieb.

Damit aber sind die Retablissementsanforderungen noch nicht erschöpft, vielmehr ergeben sich ferner als nothwendig : 15 Millionen für Artillerie und Adminiſtrations - Etabliſſements , 35 Millionen zur Errichtung großer Magazine, 10 Millionen zur Verbindung dieſer Magazine durch Eiſenbahnen, 9 Millionen für Artillerieſchulen , 95 Millionen für Bauten (Caſernen 2.) und 140 Millionen für die Befestigungen, so daß sich die Gesammt summe der erforderlichen Retablissements - Ausgaben - ab gesehen von der Ausrüstung der Territorial - Armee - beläuft auf 1,370,000,000 Francs ! Wenn man fragt , wieviel denn nun seit Erstattung des Commissions Berichtes thatsächlich für Herstellung von Kriegsmaterial geschehen sei , ſo läßt sich das nur in Bezug auf das Waffenwesen und das Festungswesen mit einiger Sicherheit beantworten.

2.

Bewegliches Kriegsmaterial .

Was die Handfeuerwaffen anlangt, ſo besaß Frankreich (dem Siecle zufolge) im Sept. 1874 : 1,800,000 Chaſſepot - Gewehre. wird nur noch als beschränkt kriegstüchtig betrachtet.

Aber diese Waffe

Während des großen

Krieges hatten sich Verschluß und Patrone des Chaſſepot so mangelhaft er wiesen , daß eine Verbesserung dringend nothwendig erschien , und ließ sich dieſe nur auf dem Wege des Uebergangs zur Metallpatrone bewerkstelligen. Die engere Wahl war neben dem System Gras auf dasjenige des Hol ländischen Ingenieur Beaumont ( Conſtructeur des Niederländischen Infanterie gewehres) gefallen ; beide Systeme wurden seitens einer unter Leitung der Generale Douay und Dumont zu

Vincennes

eingehenden Versuchen unterworfen

und

gebildeten Commiſſion ſehr

demnächst zur weiteren Prüfung

an drei Infanterie - Regimenter, ein Cavallerie- und ein Artillerie -Regiment ausgegeben. Vorsiz

Die Entscheidung wurde Aufgabe einer anderen unter dem

des Marschall

Canrobert

zusammengetretenen

Commiſſion.

Die

Leiſtungsfähigkeit beider Concurrenz - Gewehre hatte sich als nahezu gleich erwiesen ; den Ausschlag zu Gunsten der Construction von Gras gab die Rücksicht auf dessen leichtere Fabrication und angeblich länger dauernde Gebrauchs

215

Heerwesen Frankreichs. fähigkeit.*)

So wurde das System Gras mit 5 gegen 4 Stimmen (und

zwar gegen die der Infanterie- Generale) angenommen. Das Gras - Gewehr gibt eine Anfangsgeschwindigkeit von 420 Meter, eine Feuergeschwindigkeit von 12 gezielten Schüssen in der Minute. Die Trag weite beträgt über 2000 , die Visireinrichtung reicht bis auf 1200 Meter. Das Caliber ist 11 Millimeter ; das Gewicht des Gewehrs wird mit auf gestecktem Yatagan zu 4,68 Kilo angegeben. Die verschiedensten Nachrichten ſtimmen darin überein , daß dieſes Gewehr eine überaus tüchtige Kriegswaffe sei. Alle drei Waffengattungen werden es künftig führen. Die Neu - Fabrication nach dem System Gras (M. 1874) wurde durch Ordre vom 7. Juli 1874 sofort befohlen , und zwar sollte dieselbe nur in den Staatsfabriken stattfinden ; die Privatindustrie hat an dem Unternehmen keinen Theil.

Man berechnet ,

daß binnen einem Jahre ungefähr

Million neue Gewehre angefertigt sein kann.

Erst dann wird

eine

die neue

Waffe den Soldaten der activen Armee in die Hand gegeben und auch die Reserve und Landwehr darin geübt werden. Die Chassepots sollen dann aus dem Dienste zurückgezogen und nach dem System Gras umgewandelt werden. Diese Umwandelung wird ebenfalls ein Jahr in Anspruch nehmen, ſo daß der Kriegsminister, wenn man noch 200,000 Gewehre mitrechnet, die inzwiſchen fabricirt sein werden , Ende 1876 drei Millionen Gras’ſche Ge wehre mit einer Ausrüstung von 250 Metallpatronen pro Gewehr zur Ver fügung haben wird.

Von da ab wird die Fabrication in normalen Grenzen

nach Maßgabe der ordentlichen Hülfsquellen des Kriegsbudgets fortgesezt werden.**) Hinsichtlich der Artillerie ist man ebenfalls nicht unthätig gewesen. Die leitenden Geister sind hier die Colonels Reffye und Berge sowie der Major Pothier. Das vorläufig angenommene Syſtem iſt das der Reffye Kanone. Es ist dies ein Bronce-Geſchüß, welches schon 1867 versucht wurde, im Feldzuge von 1870 und 71 vielfach zur Verwendung kam und Mitte 1873 in 2400 Exemplaren in den Depots vorhanden war. Das Caliber dieser älteren Reffye- Geschüße war 8,5 cm. Das Kanon besaß 14 Keilzüge und war im Verschlußtheil und dem hintern Ladungsraum mit Stahl gefüttert. Die Anfangsgeschwindigkeit betrug 278 m., die totale Schußweite 5500 m. Die Leistungs- und Wirkungsfähigkeit dieses Geschüßes erwiesen sich jedoch als so gering, daß bis auf die neueste Zeit selbst Französischerseits vielfach dessen ausreichende Kriegstüchtigkeit bezweifelt wurde. Alle früheren Mängel ſollen fich jedoch durch die neuerdings von dem Obersten Reffye eingeführten Ver besserungen in das Gegentheil umgewandelt und ihm volle Ebenbürtigkeit mit dem neuen Deutschen Krupp'schen Gußſtahlgeschüß gesichert haben. That sächlich jedoch vermag diese Waffe , obgleich der Kriegsminister jüngst noch *) Revue d'artillerie. 1874. Décembre. **) Siècle. 18 septembre 1874.

216

Militairische Jahresberichte für 1874.

ausdrücklich dem Obersten Reffye ſeinen Dank für die jezt allen Ansprüchen genügende Leistungsfähigkeit derselben ausgesprochen hat, doch wohl kaum für etwas anderes, als für einen geeigneten Nothbehelf gelten. Nennen es doch sogar Französische Stimmen nur ein 19 armement provisoire de sureté."*) Es ist denn auch bereits thatsächlich bestimmt worden, daß ein Erſat und Austausch der Reffye- Geschüße eintreten soll, sobald die Fabrication der neuen Stahlgeschüße nach dem System Lahitolle, welches man bisher noch äußerst geheim hält, so weit vorgeschritten sein wird, um bei jedem der 18 Französischen Armeecorps je acht Batterien mit denſelben ausrüſten zu können , wozu also 144 Batterien erforderlich sind . — Auch für die Erzeu gung von Stahlgeschüßen reichen die Versuche in Frankreich bis 1867 oder eigentlich bis 1857 zurück, doch lieferten bis auf die neueſte Zeit die fertig gestellten und in Probe genommenen Französischen Stahlgeſchüße nur durch aus ungünstige Ergebnisse. Ob nach so üblen Erfahrungen den Franzosen jezt die Bewältigung dieser so lange und so eifrig erstrebten Aufgabe wirk -lich gelungen sein sollte, muß abgewartet werden. Die Stahlwerke , in welchen das Material für diese neuen Geſchüße hergestellt wird , befinden sich zu Creuzot. Bis zum Ausgange des Jahres 1875 hofft man 494 Feldbatterien zu 6 Geschüßen des Reffye - Systems in zwei Calibern zu 5 und 7 Kilo (canon de cinq und de sept) durchgehends mit eisernen Laffeten fertig ſtellen zu fönnen. Jede Französische Feldbatterie wird künftig einen Inſtrumentenkaſten mit führen, dessen Inhalt ein großes Fernrohr, ein Entfernungsmesser und eine Boussole bilden. Dieser Kasten wird an einem Munitionswagen befestigt. Was die Ausstattung des Trains betrifft , so wird in den Werk ſtätten des Staates wie der Privat-Induſtrie eifrig gearbeitet und die im Organiſationsgeſeße vorgesehene territoriale Vertheilung des Materials überall vorbereitet. 3. Unbewegliches Kriegsmaterial. Mit der Casernirung ist man noch nicht weit vorgeschritten. -

Wenn

man auch das Barackenſyſtem endgiltig aufgegeben zu haben scheint, ſo iſt doch über das Muster für die Casernen noch nichts beſtimmt , aus dem Grunde, wie es heißt, weil man vor Erlaß des Cadre = Gesetzes außer Stande war, festzustellen , wieviel an Mannschaften, Pferden und Material in einer Caſerne unterzubringen sei.**) Das Befestigungssystem Frankreichs geht einer großartigen Um gestaltung entgegen .

Das Land zählte vor dem lezten Kriege 23 Festungen

Liberté vom 18. September 1874. L'Avenir militaire 1874. No. 202.

Heerwesen Frankreichs.

217

erſter, 36 zweiter, 29 dritter und 47 Pläße vierter Klaſſe. Man beabsichtigt nun einige der unbedeutenderen Festungen der Nordgrenze gegen Belgien ganz aufzugeben und dafür theils die wichtigsten Pläße, den heutigen An forderungen entsprechend , zu erweitern, theils eine große Anzahl Neu-Anlagen zu machen. Als solche werden in erster Reihe genannt : Reims, Epernay , Nogent sur Seine, Epinal, drei Forts an der Obermosel , Befestigung des Mont Bar bei Montbéliard, Blamont und Pont de Roise, Dijon, Chagny, Albertville und Chamousset in Savoyen.

Die Berathung der Reorganisation

liegt in der Hand der Commission de défense, welcher außer dem Kriegs miniſter 7 Generale des Generalstabes resp . der Infanterie, 4 der Artillerie und 3 des Geniecorps angehören.

Für den technischen Theil der Vorar

beiten besteht das comité des fortifications , für die Küstenvertheidigung ein besonderer Ausschuß. Die Ende des Jahres 1873 geschaffene Eintheilung in 27 Genie directionen schließt sich der Territorialeintheilung in Corpsbezirke derart an, daß die östlichen Grenzbezirke, sowie die südlichen und westlichen Küsten bezirke je zwei, die übrigen Corpsbezirke und Paris je eine Genie-Direction bilden. Die großen Gesichtspunkte der Landesvertheidigung , über welche anscheinend Einigung erzielt ist, dürften die folgenden sein : die beiden natürlichen Anmarschlinien der Deutschen : Mez - Paris und Straßburg Paris - sollen in doppelter Weise vertheidigt werden, nämlich einmal durch eine Reihe von Sperrpunkten und Abschnitten und dann durch forti ficatorische Flankirung beider Anmarſchlinien.

Als eigentliche Centralſtellung

ist dann Paris gedacht, das durch einen Fortgürtel von 16 bis 17 Deutschen Meilen im Umfange befestigt werden soll. Ein Gesez vom 27. März 1874 bewilligte 60 Millionen Francs für die fortificatorische Verstärkung der Hauptstadt, ein anderes vom 17. Juli 1874 881½ Million für die Reorganiſation der Befestigungen der Oſtgrenze. In Ausführung dieser Geseze sind bereits vielfach Terrainankäufe ge macht, aber außer im Norden und Süden von Paris , sowie bei Toul, Ver ――― dun, Belfort und Besançon kaum wirkliche Bauten begonnen worden. Auf die Projecte im Einzelnen einzugehn, verbietet der Raum dieser Blätter und verweisen wir daher auf eine ausführliche Darstellung, welche demnächſt unter dem Titel „ Das Festungs- und Eisenbahnnez Frankreichs " mit einer kartographischen Beilage im 5. Jahrgang der „Regiſtrande der geographiſch-ſtatiſtiſchen Abtheilung des großen Generalstabes " erscheinen wird.*)

*) Berlin. E. S. Mittler u . Sohn.

Militairische Jahresberichte für 1874.

218

IV. Derkehrsmittel. 1. Eisenbahnen. Durch Decret vom 14. November 1872 wurde eine Ober - Kriegs eisenbahn - Commission aus

einer Anzahl von Generalen und höheren

Offizieren, einem Abtheilungs - Chef im Ministerium der öffentlichen Arbeiten und mehreren Betriebsdirectoren gebildet , aus der erforderlichenfalls nach Deutſchem Vorbilde eine „ Executiv-Commiſſion" auszuscheiden iſt. Vorſizen Zur Aus der dieser Commiſſion iſt zur Zeit der Divisionsgeneral Saget. bildung einer Eisenbahntruppe nach der Art des Preußischen Eisenbahn Bataillons ist zwischen dem Kriegs -Minister und den sechs Franzöſiſchen Eisenbahn-Gesellschaften eine Uebereinkunft abgeschlossen worden, nach welcher der Kriegsminister jedes Jahr den sechs großen Bahnkörpern 400 den Eisen bahn-Compagnien des Genie-Corps angehörige junge Soldaten , die schon ein Jahr unter den Fahnen gewesen, zusenden wird , damit sie dort unter richtet werden. - Außerdem soll auch die Militarisirung des Personals der Eisenbahnen praktisch ins Werk gesezt werden. Man hat gefunden, daß dieſes Perſonal ſich auf mehr als 110,000 Mann beläuft ; man will daraus zunächst fünf große Compagnien als Depots für Eisenbahn-Bataillone bilden und die höheren Beamten sollen Offiziere derselben werden. Die Ingenieure, Zugführer, Stationschef, Locomotivführer 2c. sollen die Cadres bilden. Feststehend ist von diesen Absichten jedoch noch keine, und in Abgeordneten kreisen findet der Plan viel Widerstand , weil er angeblich eine zu große Bevorzugung enthalte.

des

Eisenbahnpersonals

vor

den

anderen

Wehrpflichtigen

Das Cadregesez unterscheidet den militairischen Eiſenbahndienſt dies seits der Operationsbasis und den Dienst jenseits derselben. Der erstere iſt nach Artikel 26 des Organisationsgeseßes durch die gewöhnlichen Hülfsmittel der einheimischen Bahnen gesichert. Die Oberkriegs-Eiſenbahn- Commiſſion, Linien- und Etappen-Commissionen werden ihn leiten.* ) — Den Dienſt jen seits der Operationsbasis soll bei jeder Armee eine Militairdirection der Feldeisenbahnen leiten , welche über eine Anzahl von Feldeiſenbahn-Com miſſionen, die Etappen-Commandos und ein Ausführungspersonal verfügt. ** ) Zusammensetzung und Befugnisse aller dieser Behörden und Personale ſollen durch besondere Decrete geregelt werden . 2. Telegraphie. Der Dienst im Innern ist durch Art. 27. des Organiſationsgefeßes ge regelt.

Den Dienst im Felde werden, dem Cadregeſeße nach, Directionen der

*) Les stations d'étape sur les chemins de fer français (L'Avenir militaire 1873. No. 161. ) **) Guide pour la préparation des transports de troupes par les chemins de fer en temps de guerre par Le Pippre, chef d'escadron d'état major. Avec carte et planches. Evreux. 1874.

219

Heerwesen Frankreichs .

Feldtelegraphie leiten , welche bei jeder Armee unter der Oberaufsicht des Chefs des Generalstabs eingerichtet werden.

Unter diesen Directionen werden

Marschfectionen und Etappenſectionen stehn, deren Zuſammenſeßung und Be fugnisse durch besondere Decrete geregelt werden sollen. Das Personal wird schon im Frieden bei den Generalftäben der Armee- Corps deſignirt ſein ; das Material soll ebendaselbst aufbewahrt und controlirt werden .

V. Beldmittel. 1. Allgemeine Finanzlage. Die Finanzlage Frankreichs wird wesentlich bestimmt durch die erlittenen Kriegsschäden und die Opfer für die Herstellung der Streitkräfte und Kriegsmittel. Die Totalsumme der öffentlichen Schuld Frankreichs beträgt 23 Milliarden, 293 Millionen Francs . - *) Die Unkosten , welche der Krieg verursachte , belaufen sich auf 9,820,463,000 Francs , welche durch verschiedene Anleihen gedeckt worden. Die jährlichen Unkosten für diese Anleihen betragen 631,791,704 Francs . Andere jährliche Ausgaben für die öffentliche Schuld und für die Dotationen haben sich um 71,638,533 Francs und die Ausgaben der verſchie denen Ministerien um 257,780,328 Francs vermehrt. Dazu kommen noch die 66,390,000 Francs Steuern, welche Frankreich durch das Abtreten von Elsaß-Lothringen verlor , und so mußte man 841,502,365 Francs neuer Steuern finden. Von diesen 8412 Millionen bewilligte die Kammer bis jet 668,507,000 Francs. Da die alten Steuern während der lezten vier Jahre um 50,383,000 Francs mehr als veranschlagt abgeworfen, so betragen die Mehr einnahmen 718,890,000 Francs . Der Rest muß also noch aufgebracht werden. Das Budget von 1874 schließt mit einem Deficit von 51,815,202 Francs ab, während das Deficit von 1872 : 142,150,148, das von 1873 : 46,836,079, und die den Eisenbahnen geschuldeten Zinsen 71,000,000 be trugen, so daß das ganze Deficit Ende 1874 : beträgt.

311,860,599 Francs

Das Budget von 1875 schließt voraussichtlich mit einem Deficit

von 64,210,482 Francs ab. Was das Budget von 1876 anbelangt, welches der Kammer noch nicht vorgelegt ist, so gibt das officielle Journal die Aus gaben auf 2,616,602,924 Francs

an, mithin eine Mehrausgabe von

31,845,170 Francs, die hauptsächlich auf die öffentliche Schuld und das Kriegs - Ministerium kommen. Die Einnahmen für 1876 sind zu 2,528,200,877, d. h. 3,740,253 Francs mehr als 1875, angegeben, so daß ein Deficit von 88,482,047 Francs für 1876 zu erwarten ſteht. **) Man muß gestehn, daß dies beständig wachsende Deficit ein für die kriegerische Kraft Frankreichs nicht unbedenkliches Symptom iſt. *) Vergl. Gothaisches genealog. Taschenbuch 1875. **) Journal officiel. 8. Januar 1875.

Militairische Jahresberichte für 1874.

220

2. Militair-Budget. Das Kriegsbudget betrug im Jahre 1871 : 371,551,177 Francs , im Jahre 1872 : 431,000,000 Francs , ohne Supplemente und Pensionen.

Zu

dieſem regelmäßigen Budget trat aber noch die Liquidirung von Kriegs lasten, nämlich 165 Millionen zur Entschädigung des Landes für erlittene Schäden und 379 Millionen für Reorganisation des Kriegsmaterials, eine Summe, die allerdings fast um eine Milliarde zurückbleibt gegen die oben entwickelten Forderungen des Commiſſions -Berichts und seiner Consequenzen. Der Credit von 379 Millionen Retabliſſementsgeldern soll vertheilt werden auf 5 Jahre, und wurden für das Jahr 1872 : 65,350,000 Francs bewilligt, so daß sich das Total des Militairbudgets auf 496,350,000 Francs ſtellte. Das Budget für 1873 ſette sich folgendermaßen zuſammen : Ordinarium 431,023,300 Francs . 9,835,760 " Supplementarcredit . 6,416,280 !! Beköstigungszuschuß .

59,393,000

Militairpenſionen

"

506,670,340 Francs. • 191,600,000 Francs. Für das Retabliſſement Total: 698,270,340 Francs. Für das Jahr 1874 ergaben sich folgende Ziffern : Ordinarium 466,509,226 Francs. 59,400,000 " Militairpensionen rund 525,909,000 Francs. Die wichtigsten Poſten des Ordinariums waren : Sold, Verpflegung und Bekleidung

aller Waffen 351,339,696 Francs ,

Gendarmerie 39,611,483

Francs, Generalität, General-, Artillerie-, Genie- und Plazcommando-Stah 24,504,090 Francs, Remontirung und Beschirrung 9,368,787 Francs, Genie 8,761,000 Francs , Artillerie 7,385,245 Francs, Bildungsanstalten 5,459,732 Francs, Invalidenverſorgung 1,072,464 Francs. Das Gesammtbudget für 1874 betrug 2,532,689,922 Francs ; das Militairbudget nahm alſo (ganz abgeſehn von den Ausgaben für die Marine - 130 Millionen und ebenso abgesehn von den eigentlich auch hierher gehörigen Supplementardotationen der Ehrenlegion - 14 Millionen -) nahezu den vierten Theil der Gesammteinnahme des Staates in Anſpruch. Hierzu kommt aber noch das Extraordinarium für das Retabliſſement mit 162,800,000 Francs, so daß sich die Gesammtforderung für das Heer im Jahre 1874 auf 688,709,000 Francs stellte. *) Das Gesammtbudget für 1875 , welches durch Geſetz vom 5. Auguſt 1874 bekannt gemacht wurde, schließt mit folgenden Ziffern ab : *) Le budget de la guerre en 1874. Année. 1873.)

(Bulletin de la réunion des officiers. 3e

221

Heerwesen Frankreichs . Ausgabe . Einnahme .

2,584,452,831 Francs 2,588,900,624

"1

Somit „ officieller" Ueberschuß von 4,447,793 Francs . Thatsächlich steht bereits ein Deficit von mehr als 64 Millionen feſt. Von den Ausgaben, welche gegen das Vorjahr um 61 Millionen ge stiegen sind , fallen auf Zinsen der Staatsschuld , Dotationen

u. s. w.

1,223,199,474 Francs, so daß für die verschiedenen Ministerien übrig bleiben : 1,361,253,357 Francs. Von dieser Summe beanspruchte das Kriegsminiſterium ursprünglich 482,088,236 Francs ; es wurden jedoch 11,688,065 Francs mehr bewilligt, um die Competenzen der Unteroffiziere mit 9 Millionen auf zubessern,

800,000 Francs für die erhöhten Remontepreise verwenden zu

können u. s. w . Somit stellte sich das Kriegsbudget ( abgeſehen vom Marine budget, von den Militairpenſionen u . s. w. und abgesehen von dem Reta blissementscredit, dessen Höhe noch nicht feststeht) auf 493,776,321 Francs - also auf mehr als ein Drittel derjenigen Summe, welche für sämmtliche Ministerien bewilligt ist. *) In Folge des Cadre-Gesezes ſteht noch eine Erhöhung von einigen 20 Millionen bevor. Fragt man sich nun, wie das Kriegsministerium die ihm zugewieſenen 379 Millionen für Reorganisation des Kriegsmaterials verwendet hat, so ergibt sich, daß davon bis Ende 1874 ungefähr 275 Millionen ver wendet worden sind, und zwar : 1. für Bewaffnung, Ausrüstung, Schulen, Bau von Schuppen, Baracken u. f. m.

163,785,000 Francs .

2. an das Genieweſen für Casernen und Befestigungen 3. Verpflegung · 4. Lazarethe .

5. Pferde-Ausrüstung . 6. Bekleidung und Campement .

71,150,000

"

4,500,000 3,500,000

" "

3,500,000

"

29,000,000

"1

274,935,000 Francs. Geseßlich sind von den bisher vereinnahmten Summen auch noch zu bezahlen ungef. 55 Millionen, einſchließl. 53 Millionen für die Befestigungen von Paris , ſo daß alſo die wahre Ausgabe auf das Conto des Liquidationsfonds für Herſtellung des Kriegsmaterials schon am Schluß d. J. 1874 nicht weniger als ca. 330 Millionen betrug und somit nur etwa 49 Millionen übrig blieben. - Da nun aus den bisherigen Veröffentlichungen weder genau zu ersehen, wie die Gelder verwendet, noch was erreicht worden, so ist die Unruhe be greiflich , welche über diese Angelegenheit in weiten Kreisen herrscht.

Gern

möchte man wiſſen, ob die yoch nothwendigen Summen wirklich die von Riant *) Le budget de la guerre pour 1875.

(Le Moniteur de l'armée 1874. No. 44. )

222

Militairische Jahresberichte für 1874.

(f. oben S. 214) berechnete Höhe erreichen oder nur - wie. Thiers be hauptete ―― etwa 600 Millionen betragen werden, ob also eine abermalige Anleihe geboten ist, oder nicht. Das eine aber ist sicher : die 379 Millionen werden mehr als erschöpft ſein, wenn es gilt, die Befestigung der Ostgrenze ernstlich in Angriff zu nehmen ; und die Fortification von Paris allein wird ja auf wenigstens 60 Millionen berechnet. „Man sagt ― so bemerkt ein Artikel des Avenir militaire* ) - daß

wir den größten Theil unserer Einnahmen auf die Anlage von Befestigungen verwenden ; man will sogar behaupten, daß dieselbe auf Kosten der Präsenz stärke stattfinde, daß unsere Compagnien, Escadrons und Batterien ebenso schwach seien wie unter dem Kaiserreiche, und daraus folgert man, daß das Heer gerade so viel an seinem Werthe einbüße, als das Land an Festungen gewinne. - Wir wollen daran nicht glauben : aber - unsere Bewaffnung ist noch nicht erſeßt , die Ausrüstung nur zum Theil ; die Magazine ſind nicht gefüllt, die Casernen nicht gebaut ; unsere Feldarmee ist nicht vollständig und die Millionen des und die Territorialarmee noch gar nicht errichtet" ― compte de liquidation sind verbraucht. Die Armee nach ihren Bestandtheilen. I. Oberfte Leitung und Verwaltung. 1. Kriegsministerium. Minister: Divisionsgeneral de Ciſſey . Cabinet des Miniſters. Großer Generalstab **) (Etat-major général du ministre.) Chef: Brigadegeneral Gresley. Sous Chef: Brigadegeneral Blot. Personal von etwa 60 großentheils von den Truppen abcommandirten Offizieren. 1. Bureau : Allgemeine Organiſation und Mobiliſirung der Armee. Garnisonirung und Stärkeverhältnisse. Chef: Colonel Fay (Verfasser des „ Journal d'un offic. de l'armée du Rhin). 2. Bureau : Militairſtatiſtik, Studium fremder Heere; zugl. hiſtoriſches Bureau. Lt. Col. Vanson. (Für die Militairſtatiſtik u. ſ. w. ſind 25 Offiziere aller Waffen, für historische Arbeiten 4 Generalstabsoffiziere verwendet.) 3. Bureau : Militair. Operationen und allgemeine Inſtruction der Armee. Lt. Col. Haillot. 4. Bureau : Etappen- und Eisenbahndienſt, Ausführung der Truppenbewegungen und Transport der Truppen auf Eisenbahnen und zu Waſſer. -- Col. de Cools. 5. Bureau: Dépôt de la guerre. - Col. Saget. Techniſcher Dienſt (Topographie und Kartographie.) ***) Sammlungen, Material und Generalkasse. *) 1874. Nr. 202. **) Decret vom 29. März 1874 und Erlaß vom 1. Juni deſſ. Jahres. ***) Vergl.: Le dépôt de la guerre et les ingénieurs - géographes. (Le spectateur militaire. 15 Avr. 1874.)

Heerwesen Frankreichs.

223

Allgemeines Kriegs - Departement. ") (Direction générale du personnel et du matériel . ) General Director : Divisionsgeneral Renson. 1. Service : Colon. de Boucheman. - Diese Abtheilung zerfällt , abgesehen von dem allgemeinen Corresſpondenz -Bureau, in 4 Bureaus, in welchen folgende Gegenstände bearbeitet werden: Generalstäbe , Verwaltungsperſonal, Militair schulen -- Infanterie - Rekrutirung - Reserven und Territorialarmee . 2. Service : Brigadegeneral de Gressot. - Hier werden in 3 Bureaus bearbeitet: Cavallerie - Remontirung - Militair Justiz und Gendarmerie. Service de l'artillerie : Colon . Berge. Zwei Bureaus : Personal der Ar tillerie und des Trains, Material der Artillerie und des Trains. Service du génie : Divisionsgeneral Seré de Rivières . Zwei Bureaus : Personal des Genies - Material des Genies . Services administratifs : Sous-Intendant militaire Mony. — Drei Bureaus : Verpflegung, Heizung, Fourage - Hoſpitäler, Invaliden, Lits militaires Allg. Transporte, Bekleidung, Lagerwesen. Militair-Dekonomie - Departement **) (Direction générale du contrôle et de la comptabilité. ) General-Director : Intendant général inspecteur Guillot . 1. Service M. Neunez. ― Vier Bureaus : Controle der Ausgaben, Competenz conflicte, allgemeine Budgets Liquidation der Armee-Dotation, Kaſſe (agence comptable) ――― Rechnungsfachen (comptes matières) - Löhnung , Revuen, Reisegelder. 2. Service : M. Arbory de Mamony. Drei Bureaus : Pensionen und Unter stübungen --- Archive - Innerer Dienst***). Historiograph: M. Camille Rousset von der Academie françaiſe. Das Kriegs -Ministerium hat troß vieler Klagen, welche vor und nach dem Kriege 1870/71 laut geworden sind, seinen alten Charakter unverändert bewahrt.

Noch immer absorbirt es, in ungewöhnlicher Weise centraliſirend,

jede Selbstständigkeit der direct unter ihm stehenden Behörden ; Abſolutismus und Verwaltungs-Mechanismus beherrschen die Armee ; die Generale haben wenig zu thun ; denn die Allmacht des Kriegs-Miniſteriums und seiner bureau kratischen Administration macht die Divisions- und Brigade-Generale zu ein flußlosen Durchgangsbehörden , während sie dadurch daß das Ministerium direct mit den einzelnen Truppentheilen verkehrt, den Regiments- Commandeur mit Geschäften überhäuft und von ihm jede Verantwortung fordert. So geschieht es, daß der Oberst von Detail-Arbeit fast erdrückt wird, besonders jezt, wo die Armee fast täglich mit neuen kriegsministeriellen Verordnungen und Instructionen überschwemmt wird . monatlich , zweimonatlich ,

Täglich, wöchentlich, halbmonatlich,

vierteljährlich,

jährlich hat

er Rapporte und

Situationsberichte an die Generale und an das Ministerium einzusenden. Da die Form des Brevimanu- Geschäftsverkehrs in Frankreich nicht einge

*) Decret vom 4. Oct. 1874. **) Ebendas. *** Vergl. über das Kriegsministerium : Gén. Favé : M. le Duc d'Audiffret-Pasquier et la réforme administr. du départ. de la guerre. 100 p . Paris, Dumaine.

224

Militairische Jahresberichte für 1874.

führt ist, so nimmt bei der Neigung der Franzosen zu Pedanterie und Formenwesen die Bureaukratie, die Schreiberei, der Einflnß der Subalternen beständig zu.

Deßhalb beſteht noch immer lebhafte Unzufriedenheit in der

Armee, und deßhalb ist troß allen Eifers seit dem Kriege im Wesentlichen Alles beim Alten geblieben. Die Obersten überschicken den Generalen ihre Berichte über die Leistungen des Regiments mit höflichen Begleitschreiben ; dann gehen dieſelben mit neuen Schreiben an das Ministerium, wo kaum irgend Jemand den ungeheuren Stoß von Papieren liest. Und doch soll von der Centralstelle, dem Kriegs ministerium, jede Initiative ausgehen, sowie denn auch nicht die Generale als solche, d. h. als Truppenbefehlshaber, sondern das Miniſterium durch Jn specteure (delegirte Generale) die Art der Ausbildung, der Verwaltung x. im Detail anordnet und überwacht. In unmittelbarer Verbindung mit dem Ministerium steht eine Reihe von Comités und Commiſſionen ; vor Allem der oberste Kriegsrath (Conseil supérieur de la guerre) . Dem Organiſationsdecret zufolge hat dieser Rath die Aufgabe, alle Gesammtmaßregeln zu prüfen , welche auf die Armee und auf die verschiedenen Gesichtspunkte des Personals , des Materials , der Be waffnung, der Verwaltung und der Lieferung Bezug haben. -- Dieser oberste Kriegsrath, dessen Präsident der Kriegsminister ist, beſteht aus dem Marschall Canrobert und den Divisionsgeneralen Ladmirault, Herzog von Aumale, Deligny, Lallemand , Canu (Artillerie) und Renſon ( Director des allgem. Kriegs -Departements). Außerdem sind demselben noch zugetheilt : der Prä sident des Sanitäts - Comités Cazalès , der Intendanz - General - Inspecteur Wolf (Präsident des permanenten Verwaltungs - Comités ), der Vice-Admiral de la Roncière le Noury, der Staatsreferendar des Rechnungshofes Bouchand, ein Finanz - Inspecteur , der General - Director der Brücken , Chausſeen und Eisenbahnen Franqueville, ein Staatsrath des Ackerbaues und des Handels Ozenne, der Intendanz - General-Inspecteur, Director des Militair -Dekonomie Departements im Ministerium Guillot , der General -Finanz - Inſpecteur Maintenant und der Chef des großen Generalstabes General Gresley. Dem Oberkriegsrath zur Seite steht das Comité de défense , welchem ebenfalls der Kriegsminister präsidirt.

Ihm gehören außer dem Marschall

Canrobert die Divisionsgenerale Herzog von Aumale,

Chabaud la Tour,

Frossard, Forgeot, Douay, Ducrot, Bataille, Lebrun, Frébault, Susane, Clinchant, Berckheim und Séré de Rivières an. Als Secretair fungirt der Geniehauptmann Langlois . Von den Comités , welche der Annuaire von 1874 in unmittelbarer Verbindung mit dem Kriegsministerium aufführt ,

ist das wichtigste die

Classifications - Commission bei der Beförderung zu höheren Graden, gesondert für Generalstab, Gendarmerie, Infanterie, Cavallerie, Artillerie ,

Genie ,

Administrationsbeamte , Sanitätsoffiziere und Militair

Heerwesen Frankreichs.

225

Veterinairärzte. Außerdem bestehen die commission de hygiène hippique (Präsident: Divisionsgeneral Reiſſayre), die commission mixte des travaux publics (Sectionspräsident Aucoc) , die commission de défense des côtes (vacat) und das Comité supérieur de la caisse des offrandes nationales . Eine Neubildung der jüngsten Zeit ist die Commission für die Orga nisation der Territorial - Armee , deren Vorsitzender, General Berthaud, als ein besonders befähigter Arbeiter gerühmt wird. 2.

Generalität.

(État major général de l'armée .) *) Die Rangliste der Generalität zählt im Annuaire von 1874 vier Marschälle auf, nämlich Baraguey d'Hilliers , Canrobert , de Mac Mahon Duc de Magenta und le Boeuf, ferner im activen Dienste 101 Divisions und 201 Brigade-Generale, während die Liste vom Jahre 1870 7 Marschälle, 84 Divisions- und 160 Brigade - Generale enthielt.

Die Generalität der

Reserve zählt 74 Divisions- und 165 Brigade-Generale. Das Cadregeseß beſtimmt, daß die Zahl der Marschälle von Frankreich, ſowie die Bedingungen ihrer Ernennung, durch ein Specialgesch geregelt werden soll. Im Uebri gen theilt es die Cadres der Generale in zwei Sectionen. Die erste (100 Diviſions- und 200 Brigade Generale) beſteht aus den activen oder zur Verfügung stehenden Generalen, die zweite Section umfaßt diejenigen Divisions - Generale, welche älter als 65 , und die jenigen Brigade - Generale, welche älter als 62 Jahre sind und daher zur Reserve über getreten sind , falls sie nicht , in Folge einer Vergünstigung für ausgezeichnete Dienste, ausnahmsweise bis zum 70. Jahre in der 1. Section verbleiben dürfen. - Die Zahl solcher Generale (der „ Unſterblichen ,“ wie Gen. Guillemaut ſich ausdrückt) beträgt in der Rangliste von 1874 17 , von denen 6 diese Ehre ihrer Mitwirkung bei der Vertheidigung von Paris verdanken. Die Generale Herzog von Nemours und Herzog von Aumale sind im Budget als außerhalb der Cadres stehend verzeichnet und beziehen keinen Sold — ein Verhältniß, welches beſonders unter einer republicaniſchen Regierung befremden muß. Bei den Betrachtungen über das Kriegsministerium ist bereits darauf hingewiesen worden , wie nachtheilig die Allgewalt der Centralbehörden auf die Selbstständigkeit der höheren Truppenführer wirkt. Eigentlich zur Gel tung kommt die Generalität nur bei den sogenannten ,,inspections géné rales"; aber auch bei diesen gelten die Generale nicht um ihrer selbst willen, nicht als Commando - Inhaber , sondern als Delegirte des Kriegsminiſters ; denn dieser wählt die Generale aus , welche die Inspicirungen vornehmen sollen und bindet ihnen außerdem noch durch eine genaue Instruction die Hände. Die anderen Generale, welche nicht als Inspecteurs fungiren, gelten wenig; man sieht sie auch nicht. Desto gefürchteter ist der Inspecteur général ; denn von dem Urtheil dieses einen Mannes, der das Regiment nur wenige Tage sieht, hängt Alles ab. Bei den lezten Inspectionen soll man ungefähr einen Tag mehr als *) Annuaire spécial de l'état-major général de l'armée. 140 p . Paris, Leautey. 15 Militairische Jahresberichte 1871.

226

Militairische Jahresberichte für 1874.

sonst gebraucht und die Unteroffiziere genauer examinirt haben. -

Bei den

„ Prüfungen" der Offiziere waren an die Stelle der historischen oder geo, graphischen Fragen solche über die Taktik und Heeresorganiſation der Deutschen getreten, - im Grunde hatte sich nichts geändert, und mit Unmuth sprechen sich Französische Offiziere über die Haltung dieser vom Ministerium neutralisirten Generalität aus. Schwerlich werden ihre Vorstellungen Gehör finden , denn zu tief wurzelt die Neigung zur Centraliſation in den leitenden Kreisen Frankreichs .

Schon

das bescheidene Zugeständniß , welches die Inspections - Instruction von 1874 an die Commandos der Armeecorps machte , daß nämlich die Referate der Inspicirenden bei den Generalcommandos eingereicht und zusammengestellt und dann von dieſen an das Ministerium weitergegeben werden sollten, hat den Zorn der Eiferer erregt. „ Die Inſpicirenden“, so behaupten ſie, „ ſind missi dominici der Centralgewalt und dürfen ihre Berichte nur dem Mi niſter erstatten ! Die General - Inspicirungen sind die Verhöre der Armee durch den Minister. Die Mittheilung ihrer Berichte an die Generalcommandos widerstreitet daher dem Zweck und selbst der Autorität des Kriegsministers, welche durch jene neue Auffaſſung herabgeſegt wird , um die schon zu starken und zu unabhängigen Behörden noch mehr zu kräftigen. Denn die Bildung der Armeecorps hat in Frankreich bereits 18 absolute Souverainetäten entstehen lassen ! "*) Im Ganzen umfaſſen (Annuaire von 1874) die höheren Stäbe 562 Per jonen. Die Gehaltsverhältnisse sind in den oberen Chargen noch immer glänzende.

Der jezige Marschall-Präsident bezog als Commandant en chef

der Verſailler Armee 70,000 Francs festes Gehalt , 30,000 Francs Reprä ſentationskosten und 10,000 Francs Bureaukosten, ohne von einer prachtvollen Dienstwohnung und sonstigen Annehmlichkeiten zu sprechen.

Der Gouverneur

von Paris, General Ladmirault, ist mit einem Gehalte von 50,000 Francs, 7000 Francs Bureaukosten und 25,000 Francs Repräsentationsgeldern bedacht. Jeder Corpscommandant hat 35,000 Francs Gehalt, 12,000 Francs Repräsentationsgelder, 2400 Francs Bureaukosten und freie Wohnung. Die Divisionscommandeure beziehen 19,800 Francs Gehalt und Wohnungsent ſchädigung und dazu 9800 Francs Bureaukoſten und Repräsentationsgelder. 3. Generalstab.

(Corps d'état-major.)**) Der Generalstab besteht nach dem Annuaire von 1874 aus 35 Obersten, 43 Oberstlieutenants, 116 Escadrons - Chefs , 300 Capitains und 43 Lieute *) Spectateur militaire. 1874, Août. Chronique mensuelle. Vergl. auch : In spections générales de 1874. (L'Avenir militaire 1874, No. 227.) **) L'État major (L'Avenir milit. 1873, No. 161.) – Der Franzöſiſche Generalstab. (Streffleur's Desterr. milit. Zeitschr. 1874, 7. u. 8. Heft.)

227

Heerwesen Frankreichs. nants

(statt der normalmäßigen Zahl von 100) .

Generalstab

(Ann . von

682 Personen.

1874)

einſchließlich

3m Ganzen zählt der

der 40 Militair-Dolmetscher

Die große Zahl der Etatsstellen des Generalstabs erklärt

sich daraus , daß die gesammte Adjutantur in der Armee bis einschließlich des Brigade-Adjutanten mit General- Stabsoffizieren besett ist. Die Stabs Chefs bei den Armee - Corps sind gewöhnlich Generale , welche aus dem Generalstabe hervorgegangen ; die Obersten und Oberstlieutenants werden meist als Stabs - Chefs bei den Divisionen oder als Sous - Chefs bei den Armeecorps verwendet. Das Cadregesek mindert die Stärke des Generalstabs außerordentlich , näm lich auf 40 Obersten , 40 Oberst - Lieutenants , 120 Escadrons - Chefs und 200 Capitains. Daneben sollen abcommandirte Offiziere der Truppen beim Generalſtabsdienſte mitwirken. Außerdem zählt das Gesetz zum Generalstabe : 24 Capitains als Archiv Secretaire bei den Generalſtäben der Armeecorps , der Divisionen in Algier und der beiden großen Militair-Commandos in Frankreich. — Dazu kommen 22 Sectionen General stabs - Secretaire , je eine für jedes Corps und eine besondere für Paris u. s. w. Sie stehen unter dem Befehl des Capitain-Secretair des General Commandos und beſtehen in Friedenszeiten aus 5 Sergeanten (wobei ein Zahlmeiſter) , 10 Corporalen und 10 Sol daten. Die dem Algierischen Corps zugetheilte Section ist stärker. Endlich rechnen zum Generalstabe 40 Dolmetscher und 35 Hülfsdolmetscher , welche sämmtlich für Algerien be stimmt sind. Die Ergänzung der Generalstabsoffiziere geschieht aus

der „ École

d'application d'état major " zu Paris , deren Commandant der Bri gadegeneral Balland ist. Die Eleven sind aus denen der Ecole militaire und der Ecole polytechnique durch Concurs ausgewählt. Der Curſus iſt zweijährig, und diejenigen Offiziere, welche das Schlußeramen beſtehen, treten als Lieutenants in den Generalstab. Im Jahre 1874 befanden sich 50 Eleven in dieser Generalstabsschule.

13 militairische und 5 bürgerliche Professoren

tragen vor über Militairverwaltung, Topographie, Geographie und Statiſtik, Kunst und Geschichte des Krieges , Fortification, Artillerie, Maschinenkunde, Reitkunst, fremde Sprachen, Zeichnen und Fechten. Neuerdings ist die Auf lösung dieser Schule zu Gunsten einer École supérieure de la guerre in's Auge gefaßt, deren Studienplan eine durch Verfügung vom 19. Mai 1874 gebildete Commission berathen soll und deren Vorbild die Berliner Kriegs akademie werden dürfte. * ) Man kommt damit Wünschen entgegen , welche innerhalb wie außerhalb der Armee stets auf's neue laut wurden , denn in weiten Kreisen betrachtet man die ausschließliche Ergänzung des Generalſtabes aus der école d'application als unheilvoll. Jene Schule sollte vielmehr, auch nach Anschauung vieler Franzöſiſcher Fachmänner, eine neue Art Facultät der Militairwissenschaft sein, ihr Besuch aber nicht an und für sich zur Ver wendung im Stabe berechtigen.

Der Generalstab ist gewiß eine Specialität ;

allein diese besteht nicht darin , sich in einen bestimmten engen Kreis einzu *) Vergl. Liberté v . 16. Mai 1874. Als Siz der Schule soll das wieder aufzu bauende Schloß von St. Cloud ins Auge gefaßt sein. 15*

228

Militairische Jahresberichte für 1874.

schließen, sondern in der Kunst , die verschiedenen Elemente, welche in Thä tigkeit zu sehen sind, in paſſende Verbindung mit einander zu bringen. Dazu gehört nun freilich als Vorbereitung ein sehr eingehendes theoretisches Studium ; allein dieses an sich ist durchaus nicht genügend , sondern es ist praktische Dienstkenntniß erforderlich. Der Generalstab soll deßhalb nicht als ein von vorn herein abgeschlossenes Corps auftreten , sondern in beständiger Verbindung mit der Armee bleiben. Dem Französischen Generalstabe wirst man wohl mit Recht vor, zu exclusiv zu sein, die Prätention zu haben, nicht sowohl die Fähigkeiten zu benußen, sondern sie zu schaffen, und somit endlich den fast nur theoretisch gebildeten Offizieren Functionen zu übertragen, welche eine militairiſche Erfahrung erfordern, die ihren Trägern abgeht, so daß solche Offiziere sich vieler Mißgriffe in der Praxis schuldig machen. Eine andere Folge dieser exclusiven Bureau - Ausbildung der General stabsoffiziere ist die , daß auch sie in den Fehler verfallen , durch den das Kriegsministerium so excellirt : in Vielschreiberei und Pedanterie. Der Chef des Generalstabes der Rhein-Armee z . B., General Jarras, ſaß am 18. Auguſt 1870 ( ) mit seinen sämmtlichen Generalstabsoffizieren und Adjutanten im Bureau und redigirte Befehle und stellte Rapporte und Listen zusammen. Angesichts dieser Französischen Unfitte begreift man das Wort Napoleons I.: „ Man hat so lange keine wahre Armee ,

als man nicht jene schreckliche

papierverwüstende Verwaltung über den Haufen wirft, welche das Heer ver schüttet." Gegenwärtig ist die Reorganisation des Generalstabes ernstlich in's Auge gefaßt und der Kriegsminister wünscht , daß aus der neu zu errichtenden école supérieure zwei Arten von Generalstabsoffizieren hervorgehen sollen : brevetés, d . h. dauernd als Generalstabsoffiziere Angestellte, und solche, die nur in Kriegszeiten zu dieser Stellung berufen werden sollen. Die öffentliche Meinung will aber einen entschiedeneren Bruch mit den bisherigen Einrich tungen , ja das allgemeine Verlangen geht sogar dahin , das corps d'état major gänzlich abzuschaffen und durch einen service , d . h. durch von ihren Truppentheilen abcommandirte Offiziere zu erseßen, ohne besonderen Verband . Durch wiederholte Versehungen von einer Waffe zur andern mit entsprechender praktischer Dienstleistung soll den Gefahren des Bureaudienstes vorgebeugt werden. Auch die Generalstabsreisen *) sollen nach Deutschem Vorbilde eingeführt werden, was von der öffentlichen Meinung mit patriotiſchem Eifer lebhaft gebilligt wird . **) Was die im großen Generalstabe arbeitenden Offiziere angeht, so ist die kartographische Abtheilung des Dépôt de la guerre mit rühmlichem Eifer und großem Erfolge für eine reichlichere und billigere Ausstattung der Armee mit Karten thätig. Die geschichtliche und die militair-statistische Abtheilung Voyages d'état major. (Bulletin de la réunion des officiers, 1874. Juillet. ) **) **) Vergl. „ Opinion nationale" v . 7. Aug. 1874.

229

Heerwesen Frankreichs. find u . A. beschäftigt ,

elementar verfaßte Denkschriften zusammenzustellen,

welche eine genaue Darlegung der Organiſation, der Manöver und der Ge schichte der fremden Heere, vorzugsweise der Deutschen Armee, enthalten sollen . Von diesen zahlreich in Druck zu gebenden militairischen Schriften soll jede Regiments-Bibliothek mindestens fünf Exemplare erhalten.

Endlich erscheint

unter der speciellen Oberleitung des Kriegsministeriums eine Reihe von Neu Publicationen der hervorragendsten kriegsgeschichtlichen Werke. 4. Militair Intendantur. (Intendance militaire.) Der Armee-Adminiſtration ist in Frankreich ein unverhältnißmäßig großer Wirkungskreis zugewiesen. Außer der Intendanz unterſtehn ihr der Train, die troupes de l'administration und das gesammte Medicinalwesen. Von der Militair Intendanz führt der Annuaire von 1874 auf : erstens als activ 8 General Inspecteure (Indendants généraux inspecteurs) , 30 Militair Intendanten (Intendants militaires) , 150 Unter - Intendanten , 90 Inten danten-Adjoints , und zweitens : 3 General-Inspecteure und 40 Militair-Inten danten in der Reserve.

Die Adminiſtrationsbeamten, welche zuweilen, z . B.

als Vorſteher von Militair-Etabliſſements, bedeutende Cautionen ſtellen müſſen, haben einen beſtimmten Offizierrang , der im Vergleich ihres Dienſtalters zu dem der entsprechenden Klasse von Offizieren meist zu hoch ist und dieſen Verwaltungsbeamten ein unnatürliches Uebergewicht verleiht. „Die in der Krim und in Italien gemachten traurigen Erfahrungen haben bewiesen, daß der größte Feind Französischer Soldaten nicht die Kugeln der Gegner, sondern die Fehler der Verwaltung sind, deren Reform bis jetzt nicht hat erreicht werden können. "

Diese nur zu begründeten Worte wurden am

17. Juli 1870 auf der Tribüne des gesetzgebenden Körpers vom Deputirten Ordinaire gesprochen.

Die Mängel der Organiſation der Verwaltungszweige

der Französischen Armee haben sich aber in dem letzten Feldzuge in einer noch ungleich empfindlicheren Weiſe geltend gemacht, als in den vorhergehen den Campagnen.

Sie lassen sich in wenig Worten charakterisiren durch :

Verwirrung in der Organiſation der Dienstzweige, Unfähigkeit zur Befriedi gung der Bedürfnisse und derartige Ueberbürdung , daß der Armee die Be weglichkeit geraubt wurde. Die Gründe dieser Uebelſtände liegen auf der Hand. Die Französische Militair-Administration ist in ganz Europa nämlich die einzige, welche nicht auf dem Grundprincip beruht, daß die Verwaltung der Leitung des Truppenführers unterſtellt ist; die einzige, welche, von dem Truppencommando getrennt , eine selbstständige Existenz führt , zum Schaden der Armee. Ebenso selten aber wie dieses Verhältniß dürfte sich auch jene andere Einrichtung der Französischen Adminiſtration wieder finden, daß nämlich die ausführende und die controlirende Behörde geradehin zusammen fallen. Französischen Stimmen nach *) wäre allerdings die Ueberzeugung *) L'administration de l'armée française. Paris 1870.

230

Militairische Jahresberichte für 1874.

von der Nothwendigkeit einer Trennung dieser Behörden ſeit langer Zeit in Frankreich vorhanden und hätte in verschiedenen. Einrichtungen Ausdruck ge wonnen ; (nach dem Geseß von 1844 z . B. sollen alle Branchen des Staats haushalts durch ,,la cour des comptes" controlirt werden) ; thatsächlich sei jedoch in der Militair -Adminiſtration Alles beim Alten geblieben! - Das Recht der Intendanz auf die Controle sei also illegal ; es sei aber auch un ausführbar. Schon im Frieden werde die Controle unterlassen , im Kriege sei sie so wie so unmöglich. Diese Anschauungen sind weit verbreitet , und auch der Herzog von Audiffret-Pasquier hob in seiner Rede vom 18. Juni 1873 die Unausführbarkeit einer wahren Controle durch die Intendantur selbst scharf hervor.

Im Jahre 1822 ," sagte er ,

hatten wir bei einem

Kriegsbudget von 200 Millionen 267 Intendanten ; unter dem Kaiserreich gab es für ein Budget von 1370 Millionen nur 213 Intendanten ; und gleichwohl hatte das Effectivmaterial inzwiſchen bedeutend zugenommen. So übersteigen die Controlaufgaben der Intendantur das Maß ihrer physischen Kräfte. Es gilt also vor Allem , die Reform dieses Verwaltungszweiges . " Unter dem Vorsiße des Herzogs Audiffret wurde dann auch der am 18. Juli 1874 der Nationalversammlung seitens des Kriegsministers vorge legte Gefeßentwurf berathen , welcher die Französische Heeresverwaltung neu gestalten soll. Dieser Entwurf hat offenbar das Preußische Vorbild im Auge.

Dem Kriegsminister direct bleiben alle diejenigen Anstalten und

Etablissements verantwortlich , welche der allgemeinen Landesvertheidigung oder allgemeinen Heereszwecken dienen. Die Verwaltung in den Bezirken der Armee - Corps ist den commandirenden Generalen unterſtellt in allem , was Personal, Material und Baulichkeiten der activen wie der Territorial Armee betrifft, so daß die Intendantur also dem General zu gehorchen hat. Im Kriegsministerium soll dann ein besonderes Inspectionscorps ange stellt werden , welches nicht zu Verwaltungszwecken , sondern lediglich zur Controle verwendet und ausschließlich aus Offizieren (Capitains , die ſich freiwillig dazu melden) zusammengesetzt werden soll.

Es bleibt abzuwarten,

ob es gelingen wird , dieſen Entwurf zum Gesetz zu erheben. Mit ſeiner An nahme wäre allerdings eine entschiedene Reform der Verwaltung ermöglicht. Einer solchen widersehen sich bisher jedoch die Beamten ſelbſt auf das entschiedenste, weil ihnen die bestehende Organisation bedeutende persönliche Vortheile bietet.

Ganz neuerdings (October 1874) ist durch die Neuorga

nisation der direction générale du contrôle et de la comptabilité im Kriegsministerium ein, wie es scheint , ernsthafter Schritt zu der nothwen digen Aenderung der Administration im Sinne des Entwurfs geschehen. Ob derselbe Folge haben wird, muß die Zukunft lehren . — Artikel 10 des Cadre - Gesezes creïrt ein besonderes Corps de l'inspection de l'admini stration de la guerre und stellt ein Special- Gesez über die Cadres der Armee

231

Heerwesen Frankreichs .

Verwaltung in Aussicht. *) ――――

Nach dem Annuaire von 1874 zählt die #

Intendanz im Ganzen 278 Personen. Die Services d'administration zählen fünf Sectionen. Die Bureaus der Militair - Intendanz verwenden 500 Offiziere , die Militair-Spitäler 325, die Magazinverwaltung 350. Das Bekleidungs- und Lager-Wesen beansprucht 80 Offiziere.

Das Cadregesetz erhöht diese Zahlen noch.

Die gesammte oberste Leitung und Verwaltung der Armee nimmt (ab gesehen von den Generalstäben der Artillerie und des Genie Corps ) nach dem Annuaire von 1874 : 3317 Personen in Anspruch.

II.

Die Truppen. 1. Gendarmerie.

Republicanische Garde. Diese Truppe, welche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Paris bestimmt ist, besteht seit Anfang October 1873 aus einer Legion zu drei Bataillonen Infanterie von je acht Compagnien und sechs Escadrons Cavallerie in 3 Diviſionen. Ihre Totalstärke ist auf 4014 Köpfe und 757 Pferde festgesett. Die mobile Gendarmerie Legion von Versailles, welche zum Schutz der Nationalversammlung formirt ist, besteht aus einem Bataillon Infanterie zu acht Compagnien und einer Escadron Cavallerie, im Ganzen 1203 Köpfe und 206 Pferde.

¿

Außerdem existiren an Gendarmerie : 26 Legionen oder Departemen tal - Compagnien von 2, 3 oder 4 Compagnien (zusammen 87 Compagnien) mit 20,735 Mann und 13,500 Pferden ; eine Africanische Legion (4 Com pagnien) mit 900 Mann und 621 Pferden.

Endlich 5 Compagnien und

4 Detachements Colonialgendarmerie. Feldgendarmerie.

Für den Sicherheitsdienst auf den Schlachtfeldern

und innerhalb der Cantonnements wird in der Französischen Armee eine Feldgendarmerie aus dem Mannschaftsstand der Gendarmerie-Legionen for mirt, wofür gegenwärtig zunächst die mobile Legion von Versailles Verwen dung finden dürfte. Die Gesammtsumme der Gendarmerie beträgt 7 Escadrons . 2. Infanterie.

128 Compagnien und 144.3

144 Linien - Regimenter zu drei activen und einem Depot-Bataillon. /> Jedes Bataillon zählt 6 Compagnien.

Die Gesammtzahl der activen Ba

taillone ist also 432, die der activen Compagnien 2592 , die der Depot- Com pagnien 432. — Die Stärke einer Compagnie ist nach dem Budget für 1875 nur 67 Mann , die eines Regimentes 1550 Mann . zählen 225,111 Mann.

Alle 144 Regimenter

*) Vergl. Le projet de loi sur l'administration de l'armée. (Le spectateur milit. 15 Sept. 1873 und L'Avenir milit. 1874 No. 224.) „Zur Reorganisation der Franzöfifchen Heeresverwaltung." ( Blätter für Kriegsverwaltung. I. Jahrg. Nr. 7) und „Der neue Französische Armeeverwaltungs Gesezentwurf." (Ebendas. II. Jahrg. Nr. 10.)

232

Militairische Jahresberichte für 1874.

30 Jäger - Bataillone zu sechs activen und zwei Depot- Compagnien , also 180 active und 60 Depot-Compagnien. Im Ganzen 18,889 Mann . 4 Zuaven- Regimenter zu vier activen Bataillonen zu je sechs Com pagnien ; außerdem zwei Depot - Compagnien per Regiment. 16 Bataillone = 96 Compagnien ; dazu 8 Depot- Compagnien. 12,000 Mann.

Also activ : Im Ganzen

1 Regiment Sapeurs - Pompiers von Paris in 2 Bataillonen zu sechs Compagnien = 12 Compagnien = 1572 Mann. 3 Bataillone leichter Africanischer Infanterie ( Zephirs ) zu sechs Compagnien = 18 Compagnien = 3000 Mann. 1 Fremden- Regiment zu drei activen und einem Depot - Bataillon = zu je sechs Compagnien 18 activen und 6 Depot-Compagnien = 3000 Mann. 3 Regimenter Algierischer Tirailleurs (Turcos) zu vier activen Bataillonen zu je sechs Compagnien , außerdem zwei Depot-Compagnien per Regiment. Also 12 active Bataillone , 72 Compagnien und 6 Depot - Com pagnien = 9000 Mann. 3 Füsilier- und 2 Pionierstrafcompagnien = 1000 Mann. Summa 496 Feldbataillone (2976 Feldcompagnien) und — ein 529 Depot Compagnien. Im Ganzen

schließlich der Sapeurs -Pompiers 273,572 Mann Infanterie.

Die Zahl der Linien - Regimenter hat sich seit 1870 (100 Linien- und ſieben Garde-Regimenter) um 37 Regimenter , die Zahl der Chaſſeurs -Ba taillone um neun vermehrt. Zu den drei Zuaven - Regimentern des Jahres 1870 ist noch eins hinzugekommen ; die drei Bataillone leichter Africanischer Infanterie und die drei Regimenter Turcos sind nicht vermehrt worden. Die 144 Linien - Regimenter bestanden bisher und beſtehen thatsächlich noch jezt aus je 3 activen Bataillonen zu 6 Compagnien und einem Depot von nur 3 Compagnien, eine Zuſammenſeßung, die dadurch entstanden ist, daß man die 18 neuen Infanterie- Regimenter mit möglichst geringem momentanem Koſtenaufwand formiren wollte und dies bewerkstelligte , indem man jedem der früheren 126 Linien-Infanterie-Regimentern drei Compagnien nahm, und die von je sieben Regimentern entnommenen Compagnien zu einem achten Regiment zusammenzog. (Decret vom 29. September 1873. Siehe Journal officielle vom 30. September 1873. ) Das Cadregesek beſtimmte nun in zweiter Lesung, daß die Infanterie aus 144 Re gimentern zu drei Bataillonen von je vier Compagnien beſtehen und überdies 3 Depot, Compagnien haben sollte. Der Etat der Compagnie sollte zwei Capitaines, 1 Lieute nant, 1 Sous-Lieutenant, 14 Unteroffiziere und Corporale , 2 Spielleute und 90 Mann umfaſſen , von welchen ein Viertel Soldaten 1. Klaſſe. Der Etat eines Regiments stellte sich sonach auf 6 Stabsoffiziere , 67 Hauptleute und Lieutenants , 312 Unteroffiziere und Spielleute, 1268 Soldaten = 1653 Köpfe und 26 Pferde. - In dritter Lesung wurde aber hiervon abgegangen, und die Linien - Infanterie soll nun künftighin beſtehen aus : 144 Regimentern zu 4 Bataillonen von je 4 Compagnien ; dazu 2 Depot-Compagnien.

Heerwesen Frankreichs.

233

Jede Compagnie wird zählen : 1 Capitain , 1 Lieutenant , 1 Sous -Lieutenant, 14 Unteroffiziere, 2 Spielleute, 66 Soldaten. Das Regiment zählt künftig also : 8 Stabsoffiziere , 22 Hauptleute , 43 Lieutenants , 388 Unteroffiziere und hommes de cadre, 1188 Soldaten. Gesammtſtärke : 1641 Mann. Was die Jäger - Bataillone anbetrifft , so würde die Ausstattung jedes Armee- Corps mit zwei Bataillonen die Errichtung von noch sechs Ba taillonen verlangen. Der Entwurf des Cadregesehes sah jedoch davon ab und wollte die Jäger auf 21 Bataillone reduciren , eins für jedes Armeecorps und 6 Gebirgsjäger - Bataillone , die sich in den Berglanden rekrutiren und dieselben vertheidigen sollten. Die National - Ver2 jammlung blieb jedoch bei der hergebrachten Zahl von 30 Jäger-Bataillonen stehen, welche fernerhin aber nur 4 active und 1 Depot Compagnie zählen werden. Was die Algierische Infanterie betrifft , so werden auch die Bataillone der Zu aven und Turcos künftig nur 4 Compagnien und 1 Depot - Compagnie zählen. Die légion étrangère wird zunächſt auch in 4 Bataillonen zu 4 Compagnien formirt ; doch stehen dem Präsidenten der Republik Modificationen zu . Die Zahl der Compagnien der Zephirs wird der Kriegsminister bestimmen. Von den 5 Strafcompagnien ſoll künftig nur eine Pionier Compagnie sein. Das Regiment der Sapeurs- Pompiers von Paris führt das Cadregeset nicht mehr bei der Infanterie auf, beſtimmt vielmehr , daß ihre Compagnien einen Theil des Genies der Territorialarmee bilden sollten. Eine kriegsministerielle Commiſſion unter Vorsiz des Generals Montaudon iſt be schäftigt, das Exercier - Reglement der Infanterie einer Reviſion zu unterziehen. Die Infanterie- Regimenter führen nach neuer Bestimmung im zweiten Bataillon , wie bisher, die tricolore Fahne , während die anderen Bataillone nur Exercierflaggen haben. Dieſe find zweifarbig diagonal geschnitten, und zwar beim ersten Bataillon dunkelblau und weiß, beim dritten Bataillon gelb und weiß. Die Bewaffnung der Französischen Infanterie befindet sich wegen der Einfüh rung des System Gras , bez. wegen Umgestaltung der Chassepotgewehre nach jenem System im Uebergangsproceß. Auf den Bericht des Artillerie - Comités hat der Kriegsminister im Journal militaire" unter dem 27. Juni 1872 auf eine größere Sorgfalt bei der In standhaltung des Gewehrs, sowie auf eine gründliche Inſtruction an demselben hingewiesen. Nach allgemeinem Urtheil ist der Schießunterricht unzureichend , und zwar für alle Grade der Militair-Hierarchie. Ihm ſoll nun mehr Zeit und Sorgfalt gewidmet und die ganze Wichtigkeit beigelegt werden , welche er verdient. Zu Gunſten deſſen hat der Mi nister am 19. November 1872 eine neue Schießinstruction erlassen. Unter Leitung des Marſchalls Canrobert hatte eine aus 33 Generalen bestehende Com mission die Vorschläge auf Abänderungen der Bekleidung und Ausrüstung der Fuß truppen zu prüfen und hat dieſe umfangreiche Arbeit ſo weit vollendet, daß demnächſt die formulirten Commiſſionsanträge an das Kriegsministerium gelangen sollen. 3. Cavallerie. 12 Regimenter Cürassiere = 8352 Mann. 26 Regimenter Dragoner = 18,096 Mann. 20 Regimenter Chaſſeurs = 13,920 Mann. 12 Regimenter Husaren = 8352 Mann. 4 Regimenter Chasseurs d'Afrique = 3812 Mann. 3 Regimenter Spahis = 2134 Mann. Summa 77 Cavallerie - Regimenter = 61,416 Mann. Außerdem: Cavallerie - Schule = 275 Mann .

234

178

Militairische Jahresberichte für 1874. 6 Compagnien cavaliers de remonte de l'interieur 4000 M. 3 Compagnien cavaliers de remonte de l'Algérie Die Cavallerie bestand 1870 aus 63 (incl. 6 Garde-) Regimentern ; ſie

zählt gegenwärtig 77 Regimenter , so daß nicht nur die durch den Ausfall der 6 Garde-Cavallerie-Regimenter entstandene Lücke wieder ausgefüllt, son dern ein Mehr von 14 Regimentern geschaffen worden ist. Diese neuen Cavallerie - Regimenter sind in der Weise entstanden , daß jedem der 56 bisherigen Linien-Regimenter von ihren sechs Escadrons eine genommen wurde, deren 4 zu einem neuen Regiment zusammengetreten sind. (Decret vom 29. September 1873.) Auf solche Weise kam es , daß zur Zeit 56 Cavallerie-Regimenter je 5, 14 Regimenter je 4 Escadrons haben. Nach dem Cadregeseke werden die 70 Regimenter des Innern sämmtlich 5 Schwa dronen zählen, von denen eine voraussichtlich als Depot dient. Die Zahl der Remontereiter Compagnien des Innern wird auf 5 herabgeſeht : je eine für jeden der 4 Remontekreiſe und die 5. in den Schulen. Die Regimenter der Chaſſeurs d'Afrique und Spahis zählen je 4 active und 2 Depot- Escadrons und werden, dem Cadre- Geſeß gemäß, dieſe Formation auch künftig beibehalten. Die Spahi-Regimenter sind mittelst Decret des Präsidenten im Februar 1874 reorganiſirt worden. Dabei wurde das System der Smalas (Acker bau-Colonien) aufgegeben , und die Cadres der Escadrons , welche von nun an so wie jede andere Cavallerie garniſonirt wurden , erfuhren wesentliche Aenderungen . *) Im Ganzen zählt die Französische Cavallerie zur Zeit 364 Feld- und 14 (African.) Depot - Escadrons ; es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, daß die Linien-Regimenter im Falle der Mobilmachung je eine Escadron zur Aufnahme der unrittigen Pferde im Lande zurücklassen würden. Der Etat einer Cavallerie - Escadron beträgt 135 Köpfe und 106 Pferde. (Etat von 1875.) Das Regiment zählt alſo 696 Mann, und die gesammte Cavallerie 58,941 Mann. Das Cadregeset hat , abgesehen von der Erhöhung der Zahl der Schwadronen innerhalb eines Theils der Regimenter, auch noch die Errichtung von 19 Escadrons freiwilliger Blänkler (Éclaireurs volontaires) für den Escorte und Recognoscirungs dienſt angeordnet. Es würde also im Kriegsfalle für jedes Armeecorps eine solche Es, cadron formirt werden. Den Etat einer Französischen Escadron stellt das Cadregeſet feft auf 6 Offiziere (2 Capitains, 2 Lieutenants, 2 Sous -Lieutenants) und 150 Unteroffiziere und Reiter. Der Etat eines Regiments ist festgestellt auf 5 Stabsoffiziere, 40 Capitains und Lieutenants , 175 Unteroffiziere , 610 Reiter = 830 Köpfe. - Die Afrikanischen Regimenter weichen in ihrer Zuſammenſeßung nicht unbedeutend ab : Die Chaſſeurs d'Afrique haben einen Friedensſtand von 6 Stabsoffizieren, 53 Capitains und Lieutenants, 246 Unteroffizieren , 732 Reitern , die Spahis von 4 Stabsoffizieren , 51 Capitains und Lieutenants, 324 Unteroffizieren und 780 Reitern. *) Décret portant réorganisation des régiments de spahis . (Le Moniteur de l'armée. 1874, No. 6. ---- Vergl. auch Bull. de la réun. des officiers. 1873, No. 31.)

Heerwesen Frankreichs.

235

Die Cürassiere tragen Stahlcüraß und Stahlhelm, mit schwarzer, über das Genick herabfallender Mähne ausgerüstet , und sollen schwere Normännische Pferde reiten, ſind aber gegenwärtig großentheils mit Engliſchen und Deutschen Pferden beritten . Die Dragoner tragen Meſſinghelme , bei denen ebenfalls eine schwarze Mähne hinten bis über das Genick herabfällt, und sollen mittelschwere Pferde von Morbihan und Limouſin reiten , ſind aber gegenwärtig großentheils mit Deutschen und Ungarischen Pferden beritten. Die Chasseurs tragen Pelzmüßen und ſollen leichte einheimische Pferde (von Tar bes) oder Berber-Pferde (aus Algerien) reiten, ſind indeß vielfach mit Ungarischen Pferden beritten. Die Chasseurs d'Afrique tragen Tuchkäppis und sind mit leichten Berber - Pferden (aus Algerien) beritten. Die Spahis tragen den Turban und sind mit Berber-Pferden beritten. Die Remonte - Abtheilungen sind aus den beſten Reitern aller Cavallerie - Regi menter zuſammengesetzt, tragen Schirmmüßen und sind mit Pferden verschiedenen Schlages beritten, da sie die für die gesammte Cavallerie beſtimmten Remonten zu dreſſiren haben. Als blanke Waffe führen die Cüraſſiere den Pallaſch, einen schweren, vorzugsweise zum Stich geeigneten Degen mit Korb, die Dragoner und Chasseurs den Cavallerieſäbel, der zu Hieb und Stich geeignet und ebenfalls mit Korb versehen ist. Der Türkische Säbel, den die Spahis führen , ist wegen seiner stark gekrümmten Klinge nur zum Hieb geeignet und nicht mit Korb versehen. Als Schußwaffe der Cavallerie mit Ausnahme der Cüraſſiere dient der Chaſſepot Carabiner, mit deſſen Herstellung die Waffenfabrik zu St. Etienne beschäftigt iſt. Außer dem ist nicht nur für die ganze Cavallerie , sondern auch für die Offiziere und Unter offiziere der Infanterie und Jäger ein Revolver eingeführt worden , und zwar nach dem System Galand. Auch die Cavallerie-Regimenter sollen auf die Schießübungen besonderen Werth legen, und es soll denselben mehr Zeit als bisher gewidmet werden. In den Franzöſiſchen Zeitungen wird immer auf's Neue darauf hingewieſen, daß die Französische Cavallerie vielfacher Umgeſtaltungen bedürfe. Namentlich wird der Umſtand als höchst nachtheilig hervorgehoben , daß bei der Aushebung stets die größten und stärksten Leute der Reiterei zugetheilt werden. 4. Artillerie. Die Artillerie, die bevorzugte Waffe des Französischen Heeres, hat eine ganz besondere Stellung im Organismus der Armee. Sie zerfällt in Be hörden, Truppen und Anstalten.

Behörden und Anstalten. Die Artillerie besißt ihren eigenen Stab ,*) dessen Personal gleichzeitig zur Beſegung der Stellen in den vielen Anstalten , als Werkstätten , Gieße reien 2c. , beſtimmt ist. Dieser Special - Generalstab umfaßt nach dem Etat für 1875 : 1500 Köpfe und besteht nach dem Cadre - Gefeße aus 37 Obersten, 37 Oberstlieutenants, 98 Escadronschefs , 112 Capitains 1. Klaſſe. Dazu 514 Garden sowie ein Werkmeister- und Controleur - Personal von 260 Köpfen.**)

So weit die Offiziere und Beamten des Stabes

*) Vergl. „ Les états-majors particuliers de l'artillerie et du génie. (Bull . de la réun. des offic. 1874, No. 4.) **) Alle diese Garden u. s. w. haben dem Cadre- Gesez zufolge Offiziersrang. Auch die aus der Artillerieſchule tretenden Unter - Lieutenants werden zum Stabe der Artillerié gerechnet.

236

Militairische Jahresberichte für 1874.

nicht im Stabe der Armee - Corps oder in den festen Pläßen Verwendung finden, sind sie beschäftigt: im Artillerie = Comité, im Central = Depot der Artillerie zu Paris, bei den 25 Directionen, in den Waffenfabriken, Pulver magazinen, oder bei der Kriegs-Feuerwerkerei. Das Artillerie - Comité wurde im Juli 1872 neu organiſirt. Das selbe besteht aus den activen Divisions - Generalen der Artillerie und einem Artillerie-General der Marine und Colonien.

Das Comité hat alle artille

ristischen Fragen zu bearbeiten , welche ihm vom Ministerium zugehen , darf von Offizieren aus der Armee Renseignements einfordern , ist aber nicht er mächtigt, Befehle zu erlassen. Die in jedem Jahre nach den Anträgen der General Inspecteure auszuführenden artilleristischen Arbeiten hat das Comité zu classificiren. - Das Central- Depot der Artillerie ist dem Comité bei Bearbeitung der zu erledigenden Fragen zur Disposition gestellt. Den Artillerie- Directionen ist eine Anzahl (meiſt feſter) Pläge unterstellt, um Aufbewahrung und Verwaltung des dort niedergelegten Ma terials zu überwachen. Die Direction besteht aus einem Oberst und einem Major, und zerfällt in Arrondissements, deren jedes einen Play oder mehrere zu einander gehörige Forts umfaßt und dem ein Major oder Capitain vor steht. Einem Theil der Directionen sind die in ihrem Bezirk liegenden Artillerie-Werkstätten attachirt. Das Centraldepot der Artillerie zu Paris enthält außer dem Archiv eine Samm 2 lung von Karten und Plänen, eine Bibliothek, eine Modellsammlung der modernen Ar tillerie , ein chemiſches Laboratorium und Ateliers zur Prüfung des Artillerie- Materials und der Handfeuerwaffen. Auch das gegenwärtig im Invaliden-Hôtel befindliche Artillerie Muſeum wird dieſem Centraldepot überwiesen. Außer dem Centraldepot bestehen an Artillerie- Etabliſſements 20 Artillerie - Arſenale, 3 Pulverfabriken , zu Le Bouchet , Le Ripault und St. Chamas , 3 Waffenfabriken , zu Châtellerault , St. Etienne und Tulle , 5 Eiſenhämmer, zu Mézières , Rennes , Besançon, Nevers und Toulouſe , 1 Geſchüßgießerei , zu Bourges. Außerdem beſtehen 4 Artillerie Versuchscommissionen, zu Bourges , Calais, Tarbes , Gavre, und eine gemischte Commiſſion zur Prüfung der Waffen und Kriegsmittel. Große Artillerie - Werkstätten befinden sich in Paris , Bourges , Rouen , Besançon , Douay , La Fere, Lyon , Toulouse , Tarbes und Algier. Die Construction aller Fahrzeuge und Ausrüstungsstücke ist neuerdings der Artillerie überwiesen worden , und dieſerhalb sind auch die Conſtructions -Werkstätten des Genies und Trains nebſt den bezüglichen Handwerker-Compagnien den Artillerie- Directionen unterstellt. Das Material der Ponton Colonnen ist in Avignon niedergelegt , die Fahrzeuge einer Ponton Colonne befinden sich in Algier.

Truppen. Die Artillerie besteht aus 38 Regimentern . - Zur Neuformation der Truppen haben die 30 alten Regimenter die zur Formirung von 8 neuen Regimentern erforderlichen Batterien abgegeben. (Journ. off. 30. Sept. 73. ) In Folge der Umformungen, welche einzelne Batterien hierbei erlitten haben, zählt die Französische Artillerie :

Heerwesen Frankreichs.

237

31 Batterien à pied , 6 Batterien de montagne , 266 Batterien montées und 57 Batterien à cheval. Diese Batterien vertheilen sich auf 19 Regimenter Divisions- und 19 Regimenter Corps -Artillerie. Und zwar bestehen : 12 Regimenter Diviſions - Artillerie zu 8 Batterien montées und 2 Batterien à pied. 6 Regimenter Divisions -Artillerie zu 8 Batterien montées, 1 Bat terie à pied und 1 Batterie de montagne. 1 Regiment Divisions -Artillerie zu 8 Batterien montées und 1 Bat terie à pied. 19 Regimenter Corps -Artillerie zu 6 Batterien montées und 3 Bat terien à cheval. Je ein Regiment Divisions - Artillerie bildet mit einem Regimente Corps Artillerie eine Brigade. Die Berg-Batterien find sämmtlich nach Algier abcommandirt. Jede Batterie hat 6 Geschüße. Der Etat einer Batterie montée be trägt 114 Köpfe und 54 Pferde , der einer Batterie à cheval 119 Köpfe, 70 Pferde. Die Durchschnittskopfstärke eines Regiments ist also 1112 Mann , und alle 38 Artillerie- Regimenter umfassen 42,558 Mann. Das Cadregesek formirt jedes Regiment aus 13 Batterien und zwar : das 1. Regt. zu 3 Batt. à pied, 8 montées , 2 de dépôt et de sections de munition , , 2 D " 2. ,,, 3 , à cheval, 8 " "" Der Regimentsstab zählt 16 Offiziere und 37 Mann ; eine batterie montée hat 2 Ca pitaines, 2 Lieutenants, 102 Mann und 59 Pferde. (Die Fußbatterie hat nur 1 Capitain und nur 4 Pferde, die reitende hat 134 Pferde.) Das 1. Regt. zählt also 1406 Mann und 635 Pferde. " 1437 " " " 2. " " " 878 Auch in der Folge sollen die 38 Regimenter in 19 Brigaden formirt bleiben , welche sämmtlich in Frankreich ſtationirt und je einem Armeecorps (resp. dem Militair-Commando von Paris) zugetheilt sind . Der Artilleriedienſt in Algier wird durch Detachirungen gesichert. Hierzu kommen noch : ein Pontonier - Regiment zu 14 Compagnien und ein Depot

1877 Mann, 10 Compagnien Artillerie-Handwerker und 5

Compagnien Feuerwerker 2215 Mann , zwei Regimenter Artillerie-Train zu 22 resp . 26 Compagnien und eine Depot-Compagnie = 3870 Mann. Die Kopfzahl der gesammten Artillerie beträgt 52,025. Die beiden Artillerie - Train - Regimenter (zu 24 mobilen Com pagnien) beſeßen die Munitions -Colonnen der Diviſions-Parks, Armeecorps Parks und des mobilen Theiles des Armee-Reserve-Parks mit Fahrſoldaten Die Munitions = Colonnen enthalten eine zweite Feld

und Bespannung .

Chargirung für sämmtliche Feld - Batterien , der mobile Theil der Armee Reserve Parks enthält eine dritte Feld - Chargirung. - Zwei mobile Com pagnien der Artillerie-Train-Regimenter bespannen die Ponton-Colonnen der

238

Militairische Jahresberichte für 1874.

Armee - Corps , zu deren Bespannung je eine Pontonier - Compagnie bei den Artillerie-Reserven der Corps vorhanden ist. 5. Genie. Als Organ des

Kriegs - Miniſters für das

Geniewesen besteht die

Direction des Genies unter einem Brigade-General, welche eine Abthei lung (Service) des Ministeriums ausmacht. Außerdem giebt es ein berathen des Comité der Befestigungen , das dem Minister sowohl aus eige nem Antriebe als auf dessen Verlangen Vorschläge macht , aus sämmtlichen Diviſions - Generalen des Genies zusammengesezt ist und durch Brigade Generale, welche der Kriegs-Miniſter heranzieht, ergänzt werden kann. Das Genie - Corps theilt sich in den Geniestab, die Truppen und die Anstalten. Der Geniestab findet ſeine Thätigkeit bei dem Befestigungs - Depot, den Genie-Commandos der Armee-Corps, den Genieschulen, den Directionen der Befestigungsarbeiten und der festen Pläge u. s. w. Er besteht zur Zeit aus : dem Etat - Major : 462 Offiziere ; den Garden : 570 Mann , und den etatsmäßigen Arbeitern . Das Cadre - Gesez erhöht diesen Etat auf 33 Obersten, 33 Oberstlieutenants , 124 Bataillonschefs , 296 Hauptleute , 570 Adjoints und über 200 Werkmeister und Wächter. Die Truppen sind in drei Regimenter formirt, jedes zu zwei Mineur Compagnien, 14 Sapeur - Compagnien und einer Sapeur - Conducteur - Com pagnie (Genie -Train). Zusammen 15 Compagnien = 9000 Mann. Das Cadregeset befiehlt die Einrichtung von 4 Regimentern unter dem Namen „ Sapeurs-Mineurs " . Jedes Regiment soll bestehen aus 5 Bataillonen zu 4 Compagnien, ſowie 1 Depot-Compagnie, 1 Compagnie Eisenbahn-Arbeitern und 1 Compagnie Sapeurs Conducteurs. Jedem der 19 Armeecorps entspricht ein Bataillon „ Sapeurs - Mineurs“, welches auch deſſen Nummer führt. Zugetheilt iſt es demſelben jedoch nur im Falle des Krieges oder des Manövers oder auf besonderen Befehl des Miniſters. Der beſtändige Geniedienst in Algier wird von detachirten Compagnien versehen. 6. Train. Vier Regimenter train des équipages militaires zu 3 Escadrons, die 1. Escadrons zu 6 Compagnien, die 2. und 3. Escadron zu 5 Compagnien ; 4 Compagnien d'ouvriers constructeurs des équipages militaires. 3m Ganzen 8000 Mann. Die vier Train - Regimenter (zu 24 mobilen Compagnien) sind mit Cavallerieſäbel und Revolver (die Fußmannschaften mit Chaſſepotcarabinern mit Yataganbajonet) bewaffnet und beſeßen die Ambulancen , Verpflegungs und Bagage-Trains der Divisionen und Armee- Corps . Das Fuhrwesen - Werkstatt- Corps von vier Compagnien bewirkt in vier Constructions - Parks die Reparaturen der Fahrzeuge und Ausrüstungsſtüce

des großen Trains der mobilen Armee.

Heerwesen Frankreichs.

239

Das Cadregesek formirt den Train in 20 Escadrons , je eine für jedes in Frankreich ſtehende Armeecorps und zwei für den allgemeinen Dienst der Armeen. Jede Schwadron wird aus 3 Compagnien bestehen. Eine gewisse Anzahl gemischter Compagnien sollen den Dienst in Algier thun , adminiſtrativ jedoch von ihren Schwadronen in Frank reich abhängen. Außer den Rittmeistern an der Spiße der Schwadronen soll das Train corps noch 1 Oberst und 3 Oberſt- Lieutenants zählen , zur einheitlichen Leitung des Dienstes bei den Generalquartieren der Armeen. Im Frieden stehen diese Stabs offiziere zur Verfügung des Kriegsministers .

7. Administrations - Truppen. 25 Sections d'ouvriers militaires d'administration, 20 Sections des commis aux écritures des bureaux des états -majors, 25 Sections d'infirmiers militaires (Krankenwärter). Die Anfertigung der Bekleidung wird für die gesammte Armee in großen Werkstätten (Privat- Etabliſſements) unter staatlicher Controle bewirkt ; Repa raturen und Abänderungen besorgen die bei den immobilen Depots aller Waffengattungen formirten Handwerker-Abtheilungen .

III. Verwaltungszweige. 1. Militair - Sanitätsweſen .*) An Oberärzten (médecins militaires) zählt die Armee : 7 inspecteurs, SO médecins principaux, 560 médecins major, 500 médecins aide major . Militair-Apotheker sind 159 vorhanden. An Militair-Lazarethen bestehen 83, und außerdem werden kranke Soldaten in 6 Civil-Hoſpitälern behandelt.

Die

künftige Zuſammenſehung des Perſonals der Sanitätsdienste wird das Specialgeset über die Heeresverwaltung regeln. Der Thier s Arzneidienst zählt nach dem neuen Cadregeseße , 10 vé térinaires principaux , vtrinaires .

294 Thierärzte 1. und 2. Klaſſe und 115 aides

Das gesammte ärztliche Personal der Armee wird auf 1684 Köpfe berechnet .

2. Militair Gerichtsbarkeit. Der Militair-Gerichtsdienst bezieht sich auf die Gerichte und die Straf anstalten. Nach der bisherigen Beseßung nahmen dieſe Stellungen 42 officiers und 8 greffiers in Anspruch. Für jede Territorial - Division bestanden ein bis zwei Gerichtshöfe , zu deren jedem ein Referent und ein Regierungs Commissar gehörten. Außerdem bestanden bei jeder Territorial - Division Revisionshöfe .

*) Annnaire spécial du corps de santé de l'armée de terre. 1874, Paris. Dumaine. Statistique médicale de l'armée pendant l'année 1872. 4. 224 p . Paris , Impr. nationale. Le recrutement des maréchaux ferrants. (L'Avenir militaire 1874. No. 234.)

Militairische Jahresberichte für 1874.

240

Militair straf- Anstalten (Pénitentiaires militaires) beſtehen im Fort Bicêtre, in Avignon, und an drei Orten Algiers . Militair - Arreste (prisons - giebt es 30 in Frankreich und 12 in Algier. militaires) - Arbeitshäuser 3. Geistlicher Dienst. Der Feldgeistlichendienſt iſt durch das Gesez vom 20. Mai 1874 geordnet, das ganz von ultramontanem Geiste beseelt ist. IV.

Belammt - Uebersicht. Etats.

Oberste Leitung und Verwaltung der Armee und · Generalstäbe der Pläße (620) Infanterie . Cavallerie

1,864 273,572



58,941

Train

52,020 10,038 8,000

Intendanz, Adminiſtrationstruppen und Branchen Gendarmerie .

27,014

Total-Summe .

442,014

Artillerie Genie

·

10,565

Diese Truppen vertheilen sich auf Frankreich mit 381,507 Mann und 84,807 Pferden, 60,507 "! " 13,965 "! auf Algerien "1

Mannschafts- Klaſſen und Rangßtufen. I. Die ,, fünfjährig Freiwilligen " und die Capitulanten. * ) Die Zahl der „, engagements volontaires " auf 5 Jahre , welche im Jahre 1873 auf Grund Artikels 46 des Rekrutirungsgeseßes bei Fran zösischen Truppentheilen abgeschlossen wurden , belief sich auf 16,987 und zwar :

13,564,

für die Landarmee für das Seeheer ·

3,423.

An sonstigen Engagements (d. h . also für nicht eigentlich Franzöſiſche Truppentheile) wurden abgeschlossen : für das Fremden-Regiment



1183,

für die Regimenter der tirailleurs indigènes (Turcos) . für die Spahis -Regimenter

Summa

268, 126.

1577.

*) Nach dem Compte rendu de l'exécution de la loi sur le recrutement.

241

Heerwesen Frankreichs .

Capitulationen (Rengagements) wurden in Anwendung des Artikel 51 des Gesezes in den Truppentheilen 5504 unterschrieben, und zwar : auf 2 Jahre .. 3105 Rengagements , = 3 = • 763 = 4 = = 603 = 5 = 1033 Die meisten der Capitulanten gehören zur Klaſſe der Unteroffiziere. dienen nämlich davon als Eigentliche sous- officiers . 2866 Mann

Corporale und Brigadiers Soldaten

Es

= =

688 1950

Das nachstehende Tableau giebt eine Uebersicht der im Jahre 1873 zum ersten Male abgeschlossenen Rengagements .

Von Von Von CorpoUnter Soldaten Zusammen ralen offizieren Brigadiers )

Truppentheile (Corps )

Der Infanterie Der Cavallerie Der Artillerie . Der Genie - Waffe Des Militair- Fuhrwesens Der Administration . Summa

II.



511 210 135 43 36 81

35 25 10 1

1016

75

43 50 14

9 4 116

589 285 159 44 45 85

1207

Die einjährig Freiwilligen. * )

Der Französische Kriegsminister hat wiederholt erklärt , mit dem In stitut der einjährig Freiwilligen - Engagements conditionels d'un an (obgleich es doch Gefeß geworden) lediglich einen „ Verſuch " zu machen. Es sei noch einmal kurz an die allgemeinen Vorschriften erinnert : Die freiwillig auf ein Jahr Eintretenden müssen nach den Bestimmungen des Wehrgeseßes ihre Diplome als bachelier ès lettres etc. oder Zeugnisse über das bestandene für einjährig Freiwillige angeordnete Examen beibringen, außerdem den allgemeinen Vorschriften über Größe und Körperconſtitution genügen. Sie müssen eine vom Kriegsminister zu bestimmende Summe, welche für das Jahr 1873 auf 1500 Francs festgestellt war , einzahlen, brauchen aber nichts nachzuzahlen , wenn sie etwa den geseßlichen Bestim mungen gemäß auch über ein Jahr hinaus im Dienst zurückgehalten werden. Der Kriegsminister bestimmt die Zahl der einzustellenden einjährig Frei willigen für die einzelnen Truppentheile. *) Volontaires d'un an . (L'Avenir militaire. IV. Année, 1874. No. 188 et 230.) Das neue Wehrgeset und die Einjährig Freiwilligen in Frankreich. (Streffleur's Desterr. Milit. Zeitschrift. XIV. Jahrg. III. Bd . IX. Heft. 1873.) 16 Militairische Jahresberichte 1874.

242

Militairische Jahresberichte für 1874. Die Einzahlung der 1500 Francs soll die Unterhaltungskoſten

des Mannes repräsentiren ; bedenkt man aber, daß diese Kosten bei der In fanterie, d . h. bei der in den meisten Fällen gewählten Waffe , in Wirklich feit nur 514 Fr. pro Jahr betragen, daß die Equipirung eines Cavalleristen sammt seinem Pferde vom Staate auf 1265 Fr., die eines Artilleriſten auf 1350 Fr. berechnet wird und daß endlich die Freiwilligen allem Anschein nach im Durchschnitt erheblich weniger als ein Jahr bei der Fahne behalten werden , so sieht man , daß der Staat an jedem Einjährigen mindeſtens 500 Fr. verdient

Nun ist allerdings dem Geseze die Bestimmung eingefügt,

daß mittelloſen jungen Leuten, welche sich in dem Freiwilligen- Examen aus zeichnen, die gedachte Summe erlaſſen werden darf. Soll diese Bestimmung einen Sinn haben, so kann sie doch nur eine auf die höhere Bildung gesezte Prämie bedeuten.

Consequenter Weise sollte man also annehmen , daß die

jenigen , welche , wie z . B. die Studenten , in Folge eines gewiſſen Grades von Schulbildung von dem Examen überhaupt befreit sind , den ersten An spruch auf Erlaſſen jener Summe haben müßten ; aber davon ist keine Rede ; das Gefeß schließt sie aus , so daß viele dieſer höher Gebildeten an der Loosung theilnehmen müſſen, weil sie die 1500 Fr. nicht aufbringen können. Eine Interpellation über diese Verhältnisse wies der Miniſter lediglich durch Hinweis auf seine frühere Erklärung ab , wonach die Einzahlung der Ein jährigen deshalb so hoch angesezt sei, um den Instructeurs der Freiwilligen besondere Remunerationen zufließen lassen zu können (!) und um den Staat schadlos zu halten für die Kosten eines eventuell zweijährigen Aufenthaltes solcher Freiwilligen unter der Fahne, welche wegen ungenügender Dienſt kenntniß zurückgehalten werden. Bei Gelegenheit der Besprechung des Rekrutirungsgeſehes wurde bereits erörtert , wie sehr die Französische Einrichtung zu ihrem Nachtheil von der Deutschen abweicht.

Ein Hauptunterschied liegt aber darin, daß in Deutſch

land das Minimalmaß der geforderten Kenntnisse für den Wiſſens nachweis durch beigebrachte Schulzeugniſſe daſſelbe ist , wie für den durch besonders abzulegende Prüfungen , während in Frankreich die titres univer sitaires eine verhältnißmäßig ſehr hohe Wissenstufe repräsentiren, die in dem besonderen Examen geforderten Kenntnisse dagegen ungemein niedriger Natur find .

Allerdings haben in Frankreich nur die Beſizer jener Diplome ein

Recht auf den einjährigen Dienſt ; aber bisher hat das Kriegsministerium von seiner Befugniß, die Zahl der einjährig Freiwilligen, welche das kleine Examen bestehen , einzuschränken , noch keinen Gebrauch gemacht , und so er scheinen denn die Freiwilligen de droit gegen die Examinanden nach jeder Richtung hin im höchsten Grade benachtheiligt. Das Examen im December 1872 bestand im einfachen Nachschreiben eines Dictats, ſo daß ſelbſt Franzosen dieſe Prüfungen ,,un peu illusoires “ nannten und meinten, daß man eigentlich kaum sähe , wer sich die Berech

Heerwesen Frankreichs.

243

tigung nicht verschaffen könnte, wenn nicht von dem Freiwilligen die Erlegung Journal des Das einer Summe von 1500 Francs gefordert würde. Débats " versicherte sogar im Sommer 1874 : " Bis jest wußte die größere Hälfte der einjährig Freiwilligen kaum zu lesen und zu schreiben ; ungefähr 3000 hatten nur einen ganz elementaren Unterricht erhalten , nur ca. 1000 besaßen die unerläßlichsten Kenntniſſe, die man von Unteroffizieren verlangen So bestätigen sich also von Jahr zu Jahr die trüben Voraus muß." jagungen , denen schon im December 1872 Regulus im ,, Spectateur " be redten Ausdruck gab , indem er behauptete , daß der einjährig freiwillige Dienst in der Gestalt , wie er in Frankreich eingeführt sei , die Gleichheit vor dem Geſeße aufhöbe und die allgemeine Wehrpflicht fälsche. Das im Februar 1873 erlassene Reglement über den Dienst der einjährig Freiwilligen klingt übrigens sehr rigoros. Die Einjährigen dürfen sich den Truppentheil, in welchem sie dienen wollen, nicht selbst aus suchen, sogar die Waffe nur in beschränkter Weise wählen ; keiner von ihnen darf an seinem Wohnorte eingestellt werden, ja, nicht einmal innerhalb seines Departements .

Sie werden in den Casernen einquartiert und dürfen nur

die ihnen gelieferten Montirungsstücke tragen.

Urlaub, länger als 24 Stun

den, soll ihnen nur bei dringender Veranlaſſung gewährt werden. Zu ihrer Ausbildung , welche der Oberstlieutenant besonders zu überwachen hat, werden sie bei jedem Truppentheil in besondere Abtheilungen zusammen gestellt.

Alle drei Monate werden sie von einer Commission geprüft.

Die

Schlußprüfung am Ende des Dienstjahres findet im Beisein des Brigade Generals statt. Im Allgemeinen soll der Freiwillige sich Fähigkeiten eines guten Unteroffiziers angeeignet haben ; außerdem aber werden noch besondere Kenntnisse in der Militairverwaltung , Befestigungskunst und Topographie, sowie Fertigkeit im Kartenlesen erfordert. Diejenigen Freiwilligen , welche allen Anforderungen genügen, erhalten ein dem entsprechendes Dienstzeugniß. Diejenigen , welche nicht genügen oder sich renitent erwiesen haben , können ein zweites Jahr oder kürzere Zeit im Dienst zurückbehalten werden. *) In der That diese Bestimmungen klingen streng - aber sie werden nicht gehalten.

In wie hohem Maße das sogenannte

"1 Erträglichmachen " des

Dienstes betrieben wird , davon sind die Französischen Blätter voll. Die „ Correspondenz Havas " berichtete z . B. im October 1874 , daß ein Theil der Freiwilligen im Lager von Avor binnen 7 Monaten mindestens 61 Tage Urlaub gehabt. (!) Im Jahre 1873 haben zwei Einberufungen von Engagés con ditionels d'un an stattgefunden. Die erste umfaßte junge Leute, welche in dem Zeitraum vom 1. Januar 1852 bis 9. März 1855 geboren waren. Sie bildeten also eigentlich die

Klasse 1872 " und ihre Einstellung war eine

*) Vergl. „ Das Reglement für die Einjährig-Freiwilligen in Frankreich.“ (Allg . Milit. 3tg. 1873. Nr. 33.) 16*

Militairische Jahresberichte für 1874.

244

durch äußere Schwierigkeiten verzögerte, nachträgliche .

Die Zwanzigjährigen,

d. h. Dienstpflichtigen , machten die Hauptmaſſe dieſes premier appel aus, der zum 10. März einberufen wurde. ――――― Die zweite Einberufung um faßte die in den Jahren 1853 bis 1855 geborenen Jünglinge , alſo das regelmäßige Jahrescontingent von 1873 und war auf den 1. November anberaumt. Die Zahl der Freiwilligen des I. Appels belief sich auf 7519, von denen 2474 auf Grund höherer Unterrichtszeugniſſe, 5045 nach beſonders abgelegter Prüfung eintraten. Von den mit Diplomen als Bacheliers oder dergl. versehenen jungen Leuten erhielten 802 einen Gestellungsaufſchub zur Vollendung ihrer Studien. - Die 5045 Geprüften zerfielen in 1391 Acer bauer, 2573 Handeltreibende und 1081 Industrielle .

117 dieser jungen Leute,

welche das Examen mit „ sehr gut" beſtanden hatten und ein Armuthszeugniß beibrachten, wurden von der Geldleistung der 1500 Francs ganz oder theil weise befreit. Diese 7519 Freiwilligen des ersten Appels wurden folgendermaßen vertheilt: Infanterie 6350 , Cavallerie 615 , Artillerie 264 , Genie 233, Militair-Fuhrwesen 46 , Krankenwärter- Sectionen ( Mediciner, Apotheker) 11 . Der zweite Appel , der sich auf die Klaſſe von 1873 ſelbſt bezog , er gab 8493 Freiwillige, von denen 2057 auf Grund eines Unterrichtszeugniſſes, 6436 auf Grund des Eramens eintraten. - Von den Bacheliers 2c. erhiel ten 606 einen Gestellungsaufschub. - Die Eraminirten waren 2186 Acker bauer, 2985 Handeltreibende, 1265 Induſtrielle.

In 116 Fällen wurde völli

ger oder theilweiser Nachlaß der Geldleistung bewilligt. Der zweite Appel vertheilte sich folgendermaßen auf die Armee : In fanterie 7307, Cavallerie 793, Artillerie 176, Genie 166, Militair-Fuhrwesen 36, Krankenwärterſectionen 15. Die Contingents -Zahlen der Einjährig - Freiwilligen sind weit unter der Erwartung geblieben. Die Regierung hatte auf ein Jahrescontingent von mindestens 15,000 gerechnet , und nun kamen , troß der nahezu nichtssagen. den Prüfung : 7500 und 8500.

Es scheinen viele Durchstechereien statt

zufinden. Was soll das heißen , " ruft Amedie Le Faure, der militairische Berichterstatter der „France" aus , ,,der Minister theilt uns mit, daß von 10,000 Einjährigen die Hälfte nicht einmal die Elementarbildung hat und daß nur 1000 von ihnen das Baccalaureatsexamen gemacht . . .

Bekannt

lich verlassen nun aber 4000 junge Leute jährlich die Lyceen ; wo bleiben also die noch übrigen 3000 , die sich nicht stellen ?! " - Dazu wur den auch die veranschlagten Verhältnißzahlen für Cavallerie , Artillerie und Train in keiner Weise erreicht, was um so merkwürdiger ist , als bei diesen ganz oder theilweise berittenen Waffen irgend welche besonderen Kosten durch den Dienst nicht erwachsen konnten , da der Freiwillige ja vollständig in die Verpflegung des Truppentheils tritt.

Fast alle jungen Leute meldeten ſich

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Heerwesen Frankreichs .

zur Infanterie , und wenn sie auch kein geseßliches Anrecht auf Wahl der Waffe hatten, so wurde doch ihren Wünschen thatsächlich nachgegeben. Auch darin hatte man sich getäuscht , daß die Einjährigen der Armee ein reiches Personal von künftigen Auxiliar-Offizieren zuführen würden , wo bei gefeßliche Vorausseßung die freiwillige Uebernahme eines zweiten Dienſt jahres ist.

Von den 7500 jungen Leuten , deren Dienstzeit im März 1874

beendet war , erklärten sich nur 300 bereit , ein Jahr länger zu bleiben. Allerdings werden die jungen Leute, welche mit dem Brevet als Hülfsunter offiziere ausscheiden, in der Stille denken , daß ihnen im Kriegsfall bei dem großen Offiziermangel der Territorial-Armee eine Lieutenantsstelle doch nicht -entgehen werde. Die Einjährig - Freiwilligen von der Cavallerie , die sich dazu verſtanden, ein zweites Jahr zu dienen (es waren nur einige 20), wur den nach der Schule von Saumur gesandt, um dort ihre weitere Ausbildung zu erhalten.

Der Versuch mißlang aber !

Die jungen Leute wurden gute

Reiter, lernten aber den praktischen Dienst nicht , und man hat deshalb be schlossen , sie künftig bei ihren Regimentern zu lassen und ihnen dort den Unterricht zu ertheilen . Die Freiwilligen der Artillerie verblieben bei ihren Regimentern ; diejenigen der Infanterie wurden meist einer vom General Ducrot im Lager von Avor errichteten Freiwilligenſchule überwiesen. Von den 8500 Einjährigen , welche im November 1874 entlassen wur den, find 5 bis 6 auf ein Regiment , also insgesammt 700 bis 800 wegen zu großer Unregelmäßigkeiten im Dienste noch für ein Jahr zurückgehalten worden . Die Einstellung der Einjährig - Freiwilligen des Jahrgangs 1874 er folgte am 5. November , nachdem in der zweiten Hälfte des September die Prüfungen stattgefunden hatten. Strenge empfohlen. *)

Den Examinatoren war

etwas " größere

Die Zahl derer , welche bestanden haben , ist 11,450

(3000 mehr als im vorigen Jahre) ; 2178 fielen durch. Die bisher so wenig günstigen Erfahrungen mit den Einjährig-Frei willigen haben ihnen im Offiziercorps eine große Gegnerschaft erweckt, welche auch in den öffentlichen Blättern stark hervortritt. -- ,,Der einjährig Frei willigendienst , wie er heute besteht ," schreibt die „ Union " vom 8. October 1874, ist weiter nichts als die Stellvertretung, jene famose Stellvertretung, über welche man so viel geschimpft hat. - Die frühere Stellvertretung war nur schlecht wegen der Zuſammenſegung der Combattanten ; das neue Sy stem greift aber die unteren Grade an, und wenn es einige Jahre fortgesett wird, so werden wir keine Elemente mehr für die Instructoren und Unteroffiziere haben.

Lassen wir zu, daß sich unter den 7-8000 Frei

willigen wirklich 2000 befinden, welche die Bedingungen für das Volontariat in Wahrheit erfüllen, so werden wir in fünf Jahren 25-30,000 Mann

*) Les volontaires d'un an.

(Le Moniteur de l'armée. 1874, No. 60.)

246

Militairische Jahresberichte für 1874.

verloren haben , die als Unteroffiziere hätten dienen können . Die Armee hat 50-60,000 Unteroffiziere ; wir verlieren alſo die Hälfte derselben durch eine falsche Auslegung des Gesezes . Das Institut der einjährigen Freiwilligen, wie es heute besteht, hat in der Armee keine hundert Vertheidiger. Eben so unbeliebt bei den Offizieren wie bei den Soldaten , beeilen sich die „ Fünfzehnhunderter " (wie man sie wegen der 1500 Francs Eintrittsgeld nennt), bald möglichst ihre bürgerlichen Beſchäfti gungen wieder zu ergreifen und das Wenige zu vergessen, was sie vom mili tairischen Handwerk gelernt haben.

Es wäre jedenfalls beſſer , wenn man

diese Leute gar nicht in die Armee aufnähme. "

III.

Die Unteroffiziere.

In den Armeen von ganz Europa erscheint die Unteroffizierfrage zur Zeit als eine in hohem Grade ernste und schwer zu lösende , nirgends aber hat sie sich so peinlich zugeſpißt als in Frankreich , wo zu all' den vielen, sämmtlichen Heeren gemeinsamen Schwierigkeiten , noch jener unruhige Ehr geiz und jene Avancementsſucht hinzukommen, welche der ungemein ſchädlich wirkenden Vermischung des Unteroffizierſtandes mit dem Offizierſtande ent ſpringen. Fast die Hälfte der Lieutenants und Capitains iſt aus dem Stande der Unteroffiziere hervorgegangen, und obgleich vor diesen Herren diejenigen Unteroffiziere, welche selbst ihren ehemaligen Cameraden in die Offiziercharge nachzufolgen hoffen , nicht viel Reſpect zeigen , so drängt der Ehrgeiz jeden Einzelnen doch mit großer Gewalt vorwärts . Dadurch aber , daß die be fähigtſten Unteroffiziere in so großer Zahl zu Offizieren avanciren, wird das Unteroffiziercorps in seiner Gesammtheit geschädigt ; es verliert seine beſten Elemente. Namentlich bei der Artillerie und dem Genie erwachsen eigen thümliche Uebelſtände daraus , daß man , um dem Grundjag der Gleichheit zu huldigen , auch bei diesen Specialwaffen an dem Avancement der Unter offiziere festhält. Ein tüchtiger Wallmeister oder Zeugwart ist kaum noch zu finden. "! Und all diese Mängel nimmt man nur deshalb in den Kauf, um dem unverständigen Eigensinn der öffentlichen Meinung gerecht zu werden, die sich doch durchaus nicht erhißt , wenn sich z . B. der älteste Geselle dem jüngsten Meister fügen muß, der zufällig vermögender war als er , oder die keinen Anstoß nimmt , wenn auf anderen Gebieten des Staatsdienstes die dargelegte wissenschaftliche Befähigung die schärfſten Grenzen zieht." Unteroffizierschulen, wie sie in der Preußischen Armee bestehen, giebt es im Franzöſiſchen Heere nicht, dafür hat man in jedem Bataillon zwei Schulen für Gefreite : eine, in der sie Unterricht im Lesen , Schreiben , Rechnen er halten, eine zweite, in der sie praktisch im Exerciren , in den Tirailleur übungen 2c. zum Unteroffizier ausgebildet werden. Beide Schulen werden. von Offizieren geleitet. Aus der Zahl dieser Gefreiten werden von dem Offizier, der den Unter

+ •

Heerwesen Frankreichs.

247

richt derselben geleitet hat, bei eintretenden Unteroffiziervacanzen im Bataillon die tüchtigsten, brauchbarsten Leute ausgewählt, dem Bataillons -Commandeur namhaft gemacht und von diesem in Uebereinstimmung mit den Capitains dem Regiments - Commandeur zur Beförderung vorgeschlagen.

Ebenso wie

dem Regiments- Commandeur das Recht der Beförderung , so steht ihm auch das Recht der Degradation der Unteroffiziere von dieser Charge zu. Nach dem Kriege von 1870/71 war der Mangel an Unteroffizieren , der theils durch die colossalen Verluste , theils durch das Ausscheiden aus dem Dienſte hervorgerufen war , so groß , daß man sich genöthigt sah, das Gesez, dem zufolge ein Soldat erst nach dem vierten Dienstjahre zum Unter offizier avanciren konnte, abzuändern und zu gestatten , daß bereits nach sechs Monaten die Ernennung zum Corporal , nach weiteren sechs Monaten, also nach einem Dienstjahre, die Beförderung zum wirklichen Unteroffizier ein treten könne. Ja, dieſes neue Geſeß geht so weit, daß es sogar erlaubt, ge eignete Unteroffiziere nach nur zweijähriger Dienstzeit, die vielleicht noch mehr verkürzt werden wird, zum Offizier in Vorschlag zu bringen , wenn diese Leute nur 18 Jahre alt sind und die vorgeschriebenen Eramina bestanden haben. Ob wohl mit solchen Werkzeugen feſter Halt in einer Truppe erreicht werden kann ? Neuerdings ist nach dieser Richtung hin insofern eine Aenderung ein getreten , als die Regierung die Einrichtung von Unteroffizierschulen der Infanterie befohlen hat , mit der Bestimmung , daß nur diejenigen Unteroffiziere, welche den vorgeschriebenen Curſus an einer solchen Schule ab solvirt haben , zu Offizieren befördert werden dürfen. *) Für die Ar= tillerie bestehen dergleichen Anstalten bereits seit längerer Zeit in den Brigade-Schulen, deren sich bei jedem Armee- Corps eine befindet. Nach abgelaufener Dienstzeit der Unteroffiziere können bei guter Füh rung Rengagements für zwei , drei , vier oder fünf Jahre abgeſchloſſen werden ; es soll jedoch dabei darauf geſehen werden , daß Corporale und Soldaten das Alter von 29 Jahren , Sousoffiziere das von 35 Jahren im Dienst nicht überschreiten. Der Etat einer Compagnie an Unteroffizieren ist nach dem Etat von 1875 : 1 Sergeant · major , 1 Sergeant - fourrier , 4 Sergeants (chefs de 2 section) , (chefs d'escouades) .

1 Sergeant instructeur de tir ,

8 Corporaux

Für den geringen Mannschaftsstand der Compagnie ist die Zahl der Unteroffiziere, welcher dem einer Deutschen Compagnie entspricht, verhältniß mäßig hoch gegriffen.

Unteroffiziere im eigentlichen Sinne sind übrigens

in Frankreich nur die dem Feldwebel entsprechenden Chargen und die Ser geanten ; der corporal , bei der Cavallerie brigadier genannt , ist eine *) Journal officiel v. 10. Decbr. 1874.

248

Militairische Jahresberichte für 1874.

Zwischenstufe zwischen dem Gemeinen und dem Unteroffizier, welche etwa der jenigen der Obergefreiten der Deutſchen Artillerie entſpricht. Eine Stellung, die der der Deutschen Gefreiten nahe kommt, nehmen in Frankreich die Sol daten erster Klaſſe ein, die ursprünglich aus den aufgelöſten Elite-Compagnien hervorgegangen sind und seitdem in beschränkter Zahl fortwährend neu er nannt werden. Um ihre Autorität und ihr Ansehen zu heben , isolirt man die Unter offiziere in ihrem außerdienſtlichen Leben ganz von der Mannschaft.

Sie

haben per Compagnie ihr eigenes Wohn- und Schlafzimmer ; für die Zube reitung ihrer Mahlzeit hat die Cantinière des Bataillons zu sorgen; auch speisen sie in einem besonderen Raum und tragen die Kosten für die Me nage selbst. Nach ihrer Ernennung erhalten die Unteroffiziere noch weiteren Unter richt , theoretisch sowohl als praktiſch, um denjenigen nachzuhelfen , die noch nicht correct Französisch schreiben und lesen können, und sie zu den Prüfungen vorzubereiten, die sie vor ihrer Beförderung zu Offizieren abzulegen haben. Diese Beförderung bei eintretenden Vacanzen ( in handenen ) hängt größtentheils

% der überhaupt vor

von dem General ab ,

der alljährlich die

Truppe inspicirt; ihm werden die Expectanten vom Regiments -Commandeur vorgeschlagen, er prüft sie, theoretisch wie praktisch, und reicht dann die Vor schlagslisten mit seinem Urtheil an den Kriegs- Miniſter und den Präsidenten der Republik ein , welcher die definitive Ernennung vollzieht. Eine Wahl von Seiten des Offiziercorps des Regiments findet nicht statt. Um dem außerordentlichen Mangel an Unteroffizieren entgegen zutreten, reservirt das Gesez vom 24. Juli 1873 in ähnlicher Weise wie das

in Deutſchland geſeßlich vorgeſchrieben ist , Civildienststellen für aus gediente Unteroffiziere. Und zwar werden seitens der Centralbehörden jährlich folgende Stellen zur Verfügung gestellt : Juſtizminiſterium 1 , Kanzler der Ehrenlegion 1 , Miniſterium des Innern 169 , Re gierung von Algerien 45, Finanzministerium 1097, Kriegsministerium 121, Marineministe rium 139, Unterrichtsminiſterium 18, Handelsminiſterium 20, Miniſterium der öffentlichen Arbeiten 286, Präfectur des Seine- Departements 256, Policei-Präfectur zu Paris 50 im Ganzen 2203. Außerdem werden eine erhebliche Anzahl von Stellen bei definitiver Organisation der Territorial-Armee mit ausgedienten Unteroffizieren besezt werden. Die Wirkung dieses Gesetzes auf die Neigung zur Annahme von Unter offiziersstellen erscheint , nachdem es nun 12 Jahre functionirt , überaus gering.

Vielleicht waren die Anforderungen an die Versorgungsberechtigten

zu hoch gestellt, vielleicht haben die Behörden wenig Entgegenkommen gezeigt - genug , die Zahl derer , welche durch jene Aussichten auf künftige Civil verſorgung zu zwölfjährigem Dienſt bei der Fahne angelockt wurden , war ganz ungenügend. Wir haben oben bei Besprechung der „ Capitulanten" eine Tabelle aus dem Rechenschaftsbericht des Kriegsministers über die Rekrutirung mitgetheilt,

Heerwesen Frankreichs .

249

welche beweist, wie sehr begründet die Klagen über das Verschwinden wirklich tüchtiger, altgedienter Unteroffiziere sind . Die Französische Infanterie zählt (ungerechnet die 82 Depots ) 494 Bataillone; in diesen haben sich im Jahre 1873 nicht mehr als 511 Unteroffiziere, 35 Corporale und 43 Soldaten, also wenig mehr als 1 Mann pro Bataillon , zum Weiterdienen über die geſetz lichen fünf Jahre hinaus verpflichtet , und nicht besser steht es bei den an deren Waffen . Ein Artillerie-Regiment z . B. zählte unter 94 Unteroffizieren einen, der 20 Jahre, einen, der 7, drei, die 5, vier, welche 4, und fünf, die 3 Jahre Unteroffizier waren ; außer diesen 14 , die man ältere Unter offiziere nennen kann , standen alle anderen , also 80 Mann , innerhalb ihrer gefeßlichen Dienstzeit oder innerhalb eines ersten Engagements . 11 Unter offiziere bekleideten ihren Grad seit zwei Jahren , 14 seit einem Jahre, und 55 Unteroffiziere waren erst im Laufe des lezten Jahres selbst zu dieſer Charge ernannt worden. Und mit dieſen Leuten , welche zum Theil jünger als ihre Untergebenen sind, soll nun die neuformirte Armee geschult werden. Die beſſere Ausbildung auch schon des Corporals ist aber nach den An fichten Französischer Autoritäten gerade in Frankreich um so nöthiger , da er als Chef der Corporalschaft , Stubenältester , Wachcommandant 2c. nicht nur zu befehlen, sondern auch das Recht hat, Disciplinarſtrafen (salle de police ― et consigne ) zu verhängen offenbar eine sehr übertriebene Ausstattung mit Machtbefugniß —, weit beſſer ſei die Einrichtung ,,de lui laisser le rôle effacé, qu'il a dans l'armée allemande , et de faire agir un peu plus les sous-officiers" - wenn man sie nämlich hat ! Sie werden aber noch ſeltener werden, als bisher , da die neue Einrichtung , die Rekruten bei den activen Truppentheilen selbst , statt wie bisher in den Depots auszubilden, sehr viel größere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Front- Unter offiziere stellen und eine mühsame Arbeit bedingen wird, zu der gewiß nicht eben Viele Luft zeigen dürften. Angesichts dieses Standes der Dinge entschloß man sich zum Erlaß des Gesezes vom 10. Juli 1874 über die Verbesserung der Lage der Unteroffiziere. Sein Hauptinhalt ist Folgendes : Art. 1. Vom 1. Januar 1875 werden folgende (erhöhte) Tageslöhnungen gezahlt : Adjutanten (d. i. Feldwebel - Lieutenant ) bei der Infanterie 2 Frs . 30 Cts . , bei der Artillerie 3 Frs . 25 Cts .; bei den anderen Waffen nach dazwischen liegenden Säßen. Sergeant Majors ( Feldwebel ) der Infanterie 1 Frc. 40 Cts . , Wachtmeister der Artillerie (Maréchaux de logis chefs) 2 Frs . Die anderen Waffen nach mittleren Säßen. Sergeants der Infanterie 1 Frs. 10 Cts. , Maréchaux de logis der Artillerie 1 Frc. 35 Cts. Die anderen Waffen nach mittleren Säßen. *) *) Hierbei sind kleine Zuschüsse nicht berechnet, die sich beim Unteroffizier der In fanterie auf 11 Cts. pro Tag (3 Frs. 30 Cts. pro Monat) belaufen und somit noch nicht die Hälfte des niedrigsten Ansaßes Deutscher Unteroffizier Verpflegungszuschüsse erreichen. Brod wird wie in Deutschland besonders geliefert.

250

Militairische Jahresberichte für 1874. Art. 2 bestimmt , daß die Unteroffiziere , welche sich neu anwerben lassen , sofort eine Tageszulage ( haute paye ) von 30 Cts. erhalten. Nach zehnjährigem Dienſte tritt eine weitere Zulage von 20 Cts. hinzu , die das monatliche Einkommen eines Sergeants dann auf 48 Frs . bringt * ). Art. 3. Die Unteroffiziere, welche ihr 35. Lebensjahr vollendet haben (bis zu welcher Altersgrenze das Gefeß ihr Verbleiben im Heere nur gestattet) erhalten eine nach Dienstjahren und Feldzügen berechnete Pension , welche neben der Civilversorgung bezogen werden kann , wenn Penſion und Gehalt zuſammen nicht die Summe von 1200 Frs. (320 Thlr. ) überschreiten. Geſchieht dies, ſo fließt der Mehrbetrag der Pension in die Staatskaſſe zurück. Unteroffiziere, welche in die Gendarmerie über treten, behalten ihre Zulage und können dabei eine weitere haute paye erwerben. Art. 4. Jeder Unteroffizier , welcher mit Anspruch auf Civilverſorgung abgeht , em pfängt vom Tage seiner Entlassung bis zu dem Zeitpunkt , wo er wirklich in die ihm zugedachte Stelle eingeſeßt wird, täglich eine Entschädigung von 1 Frs. 50 Cts. Im lezten Halbjahr des Dienſtes sind Beurlaubungen in die betreffenden Civil stellungen zulässig. Die weiteren Artikel sind nicht von allgemeinerem Intereſſe. Ob das neue Französische Unteroffiziergeſet dem Mangel abhelfen wird,

ist sehr fraglich. Die Stimmen der Französischen Tagespresse klingen keines wegs vertrauensvoll. „ Niemals " - so ruft Saint - Genest im Figaro" vom 23. October 1874 aus ――― „ niemals hat man mehr Worte und weniger Thaten erlebt.

Unter dem Kaiserreich hat die Regierung in einer einzigen

Nacht das Gesetz über die Unteroffiziere zu Stande gebracht, und schon am nächsten Tage ließen sich zehntausend Wachtmeister und Sergeanten wieder anwerben.

Jezt hat man drei Jahre gebraucht , um das Geseß über die

Unteroffiziere auszuarbeiten, und alle treten aus, kein einziger bleibt. "

IV.

Das Offizier - Corps. 1. Active Armee.

Selten hat wohl ein Offizier - Corps eine so eigenthümliche und ver wickelte Reorganisation durchzumachen gehabt, als das Franzöſiſche nach dem Kriege von 1871. Die Offiziere der alten Kaiserlichen Armee und die, welche von Gambetta ernannt waren, standen sich als zwei große, gleich an spruchsvolle Parteien gegenüber, deren jede ihren Plaß zu behaupten suchte. Vergleicht man die neuen Französischen Monats - Löhnungsfäße mit den Deutschen, so ergiebt sich Folgendes : 42 Frs ., Französischer Feldwebel 75 " Deutscher Feldwebel 60 Mark 33 Französischer Sergeant . 45 " Deutscher Sergeant 36 Mark . Die Löhnung des Corporals ist nicht aufgebessert ; er empfängt ein in zwei Klaffen zahlbares Tagesgehalt von durchschnittlich 581/2 Cts., monatlich also 17 Frs. 55 Cts. , d. h. 4Frs. 5 Cts . mehr , als der unseren Gefreiten entsprechende Soldat 1. Klaſſe, und 5 Frs. 55 Cts . mehr als der gemeine Mann. (Journal militaire offic. Edit. refondue tome III. p. 657.) Der Deutsche Unteroffizier steht also mit seiner Löhnung von monatlich 24 Mart = = 30 Frs. fast doppelt so gut als der Franzöſiſche Corporal und erhält 17 Frs. ( 131½ Mark) mehr als der Gefreite und 18 Frs. 75 Cts . (15 Mark) mehr als der Gemeine. *) Der Deutsche Vice- Feldwebel erhält 60 Frs.

Heerwesen Frankreichs .

251

Am 1. August 1871 einigte sich eine von der National - Versammlung be ftellte „ Commission betreffend die Abschaffung des Decrets der Delegation von Tours " über das Avancement in der Armee mit dem Kriegs-Minister dahin, daß die General-Inspecteurs , welche eben ihre Rund reise machten , den Fall eines jeden auf Grund von Gambetta's Decreten avancirten Offiziers prüfen und dann eine Commiſſion von Abgeordneten in Letter Instanz entscheiden solle, ob er den gewonnenen Grad behalten dürfe oder nicht.

Eine solche Maßregel war von der Nothwendigkeit dringend ge

boten ; zählten doch einzelne Regimenter bis zu 60 Offizieren à la suite , welche eigentlich keine Stellung hatten, aber Anspruch auf eine solche machten, und deren Beschäftigungslosigkeit ihrer Unzufriedenheit beständig in die Hände arbeitete. Klar war es freilich, daß, da für jede Stelle am Ende doch nur ein Inhaber im Amt bleiben konnte, entweder die Männer der regelmäßigen Armee oder die Treibhauspflanzen der Gambetta'schen Aufgebote vor den Kopf gestoßen werden mußten . Natürlich entschied man sich für das Leştere. Aber in welches Wespennest stieß man gleich bei den ersten Maßregeln zur "1 Retrogradation " der compromittirten oder überschnell beförderten Generale.

Wir erinnern nur an den General Nansouty , der in den Ruhe

stand versezt wurde , weil er das Schlachtfeld von Sedan ohne Befehl ver lassen hatte, und der nun in einem unverschämten Schreiben der Regierung förmlich den Fehdehandschuh hinwarf.

Die Angelegenheit des Ehrenwort

bruchs gegen Deutschland , welche ebenfalls von der Commiſſion geprüft werden sollte , wurde wunderbar leicht genommen. General Barral , der wortbrüchig geworden und zum Diviſions - General befördert war, ist einfach in seine frühere Stellung als Brigade-General zurückgetreten, als wenn ihm gar nichts weiter vorzuwerfen wäre. Und in dieser Disponibilitätsstellung beſteht überhaupt die einzige und schärfste Ahndung des Ehrenwortbruches , und zwar auch nur höheren Offizieren gegenüber. Bei Subaltern-Offizieren ſollte nur dann Gewicht auf den Bruch des Ehrenworts gelegt werden, wenn sie auch schon aus anderen Gründen zur Entlassung vorgeschlagen seien. *) Die Commission über die Revision der Grade , deren Vorsitz General Canrobert führte, erstattete erst im April 1872 ihren Bericht. Die Gesammt summe der Offiziersstellen, über welche zu entscheiden war, betrug über 8000 . Beispielsweise sei erwähnt , daß von 85 Generalen einer zum Haupt mann, einer zum Fregatten-Capitain, einer zum Lieutenant herabgesezt wurde, und daß von 47 Infanterie - Colonels , über die zu bestimmen war, 34 in ihrem Rang belaſſen , 11 zum Oberstlieutenant , einer zum Bataillons - Chef und einer zum Capitain herabgesezt wurden ; von den Oberstlieutenants wurden 32 zu Bataillons - Chefs und acht zum Capitain retrogradirt.

Im

*) Nach dem Temps. Dieses Blatt berechnet die Zahl der aus der Gefangenschaft entwichenen Offiziere auf reichlich 1800 ; jedoch nur ( ! ) 600 sollen ihr ausdrücklich gegebenes Ehrenwort, nicht wieder gegen Deutschland zu kämpfen, gebrochen haben.

252

Militairische Jahresberichte für 1874.

Generalstabe wurde von sieben Obersten nur einer bestätigt ; von 101 Bas taillons - Chefs wurden 56 zu Hauptleuten herabgefeßt ; 300 Offiziere ver schiedenen Ranges wurden "1 dem bürgerlichen Leben wiedergegeben ", 300 andere in den Unteroffizierrang zurückverseßt.

Man ließ den Offizieren,

welche ihre Epauletten zu verlieren hatten, die Wahl zwiſchen der Entlaſſung und den Treffen des Unteroffiziers und gab ihnen im ersteren Falle ein Monatsgehalt als Entlaſſungs -Entschädigung.

Die ältesten der beibehaltenen

Offiziere behielten reſp . übernahmen das Commando, alle außeretatsmäßigen wurden à la suite gestellt ; auch wurden vorläufig so lange keine Feldwebel ernannt, bis die Vacanzen die Hälfte der etatsmäßigen Stellen überſtiegen. Nach dem Journal ,,L'armée française illustrée" betrug das geſammte Französische Offizier-Corps zu Anfang des Jahres 1873 : 23,990 Offiziere bei den Truppen, darunter 5 Marschälle, 199 Diviſions- und 382 Brigade Generale, 3030 Intendantur , Sanitäts- und Verwaltungs -Offiziere, daruntec 12 Divisions- und 85 Brigade- Generale ; insgesammt also 27,020 Offiziere. Nach der Rangliste von 1874 ergeben sich folgende Zahlen : Gendarmerie: 15 Oberſte , 16 Oberſt-Lieutenants , 102 Escadronschefs , 310 Tapi tains, 314 Lieutenants und 69 Unter-Lieutenants. Infanterie : 136 Oberſte, 156 Oberſt-Lieutenants, 722 Bataillonschefs , 4086 Capi tains , 336 Lieutenants , 3755 Unter - Lieutenants und etwa 40 anderen Titeln dienende Offiziere. Die ältesten Hauptleute haben Patente vom 12. Auguſt 1875. Die Zahl der Französischen Infanterie - Capitains allein iſt größer als die Zahl der Hauptleute und Rittmeister aller Waffen der Deutschen Armee. Dennoch wollte das Cadregesek , als es die Zahl der Compagnien des Bataillons von 6 auf 4 reducirte, in zweiter Lesung eine Vermehrung der Hauptmannsstellen um die Hälfte eintreten laſſen, in dem jede Compagnie mit 2 Capitains ausgestattet werden sollte. In dritter Leſung wurde davon allerdings abgegangen und dafür die Zahl der Bataillonschefs um 144 vermehrt. Cavallerie : 66 Oberste, 77 Oberſt-Lieutenants , 302 Escadronschefs, 1068 Capitains, 759 Lieutenants, 1322 Unter-Lieutenants und etwa 60 eingeborene Africaner. Artillerie: 65 Oberste, 73 Oberſt-Lieutenants, 286 Escadronschefs, 908 Capitains , 792 Lieutenants, 218 Unter-Lieutenants. Die Offizier Corps der Artillerie ſind noch sehr unvollständig. Es fehlen noch Dreiviertel der Hauptleute 2. Klaſſe und die Hälfte der Lieutenants. - „Wie man sieht — bemerkt hierzu der kundige militairiſche Berichterstatter des " Gaulois“ - werden mehrere Jahre nöthig sein, um die Artillerie vollständig herzu stellen , was aber die Heeres - Commiſſion nicht bewegen wird , die Generalſtäbe der Ar tillerie und des Genies auch nur im Geringſten einzuschränken. Die Hülfsmittel Frank reichs sind so unerschöpflich, daß man nie zu viel unnüße Aemter bezahlen kann.“ Das Genie , der Train , das Sanitäts - Corps , die Verwaltungsdienste wer den durch das Cadregesek ſo eingehend umgestaltet, daß das Jahrbuch von 1874 hinſichtlich dieser Corps schon ein ganz untergeordnetes Intereſſe bietet. Nur bezüglich des Genie Corps sei erwähnt, daß daſſelbe 35 Obersten, 33 Oberſt-Lieutenants, 145 Bataillonschefs, 356 Capitains, 121 Lieutenants und 65 Unter-Lieutenants zählt. Im Ganzen beſteht das Franzöſiſche Offizier - Corps (abgesehen von Gene ralität und Generalstab) aus 283 Obersten, 360 Oberſt-Lieutenants, 1575 Bataillons- oder Escadronchefs, 6525 Capitaines, 5450 Lieutenants und 5582 Unter-Lieutenants. Waffen weise geordnet zählt die Gendarmerie 826, die Infanterie 12,191 , die Cavallerie 3640, die Artillerie 2342, Genie 755 , der Train 357 Offiziere.

Heerwesen Frankreichs .

253

Das Cadre-Geſet wird durch seine Neuaufstellung der Etats der einzel nen Truppenkörper das Verhältniß der Chargen vielfach verschieben und damit Beförderungen und Versehungen in so großer Zahl zur Folge haben, daß bis zum Abschluß dieser Bewegung ein regelrechter Zustand kaum ein treten kann. Was die Ausbildung der nicht aus dem Unteroffizierſtande hervorgehenden Offiziere betrifft, so geschieht diese auf dem militai rischen Prytaneum , auf der Militairſchule von St. Cyr oder auf der poly technischen Schule. *) Die Prytanée militaire à la Flèche ist zur Erziehung der Söhne unbemittelter Offiziere und auf dem Felde der Ehre gebliebener Unteroffiziere beſtimmt. Die Zahl der vom Staate ganz oder zum Theil unterhaltenen Eleven beträgt 400. Doch werden auch Penſionaire aufgenommen (850 Frs .) . Die Zöglinge können in der Prytanée bis zum Ende des Schuljahrs bleiben , in dem sie 19 Jahre alt werden. Das Etabliſſement iſt eine Art Cadettencorps mit dem wissenschaftlichen Charakter einer Realschule. **) Die École spéciale militaire à St. Cyr bildet Offiziere für Infanterie und Cavallerie aus. Die eintretenden Candidaten find 17–20jährig, oder, falls es Leute aus der Armee sind, welche 2 Jahre gedient haben, 20—25jährig. Diese Schule entspricht im Allgemeinen den Deutschen Kriegsschulen. Im Jahre 1874 wurde statt der vorschriftsmäßigen Zahl von 300 Eleven die von 400 zugelassen. Diese Maßregel ist zweckmäßig , da es Infanterie- Regimenter giebt, die auf 38 Offiziere nur 5 haben , welche die Militairſchule durchgemacht. In bedeutender Anzahl rekrutirt sich jetzt das Schülerperſonal aus dem Jesuiten Collegium zu Paris. Während 1859 z. B. nur 5 junge Leute aus dieser Anſtalt nach St. Cyr kamen , waren 1869 unter 57 Abiturienten des Collegiums 49 , die nach St. Cyr übergingen. Man sieht, daß die ehrwürdigen Väter dem Offizier-Corps ihre Sorge mit steigender Vorliebe zuwenden. Die Ecole polytechnique unterrichtet ihre Zöglinge für die verschiedensten Zweige des praktischen Staatsdienstes und unter Anderm auch für den Generalstab , sowie für Land- und Seeartillerie. Der Eintritt erfolgt auf Bewerbung zwischen dem 16. und 20. Lebensjahre der Candidaten ; die Pension beträgt 1000 Frs . , der volle Lehrcursus 2 Jahre. Für die Fortbildung der Offiziere beſtehen die folgenden Anſtalten : Die École normale de tir , welche Offiziere als Schießlehrer ausbildet , denen dann später allein die Schieß-Ausbildung der Mannschaften im Regiment obliegt. Die École normale de gymnastique, Turnschule zu Vincennes . Die École de cavalerie de Saumur gewährt höhere Ausbildung in der Reitkunſt und der Betreibung des Cavalleriedienstes, welcher durch das Reglement vom August 1873 besondere Wichtigkeit beigelegt wurde. ***) Die École d'application de l'artillerie et du génie, früher zu Mez, ist proviſoriſch in Fontainebleau eingerichtet. Sie ähnelt der Artillerie- und Ingenieurſchule zu Berlin. Das Avancement geschieht in dem Offizier Corps der Französischen Armee theils à la tour , theils au choix , und zwar findet das Aufrücken bei Vacanzen in den Lieutenants- und Hauptmannsstellen nur mit einem Dritttheil nach der Tour, zu zwei Dritteln au choix statt. Hinsichtlich des • *) Education in the French Army. (Army and Navy Gazette. 1874, No. 740.) **) Prytanée militaire de la Flèche. (L'Avenir militaire, 1874. No. 236.) ***) École de cavalerie de Saumur. (Le Moniteur de l'armée. 1874, No. 56.)

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Avancements zum Stabsoffizier gilt dagegen als Regel, daß nur die Hälfte aller offenen Stellen durch nach der Anciennetät Aufrückende beset wird, und vom Oberstlieutenant auf verbleibt die Verleihung aller höheren Grade ausschließlich der Wahl der Regierung, welche in Kriegszeiten ihr Recht auch für die niederen, Stellen in noch ausgedehnterem Maße übt.

Daneben besteht

die Bestimmung, daß, bevor Jemand in eine höhere Charge aufrückt, derselbe eine gewisse Zeit in der nächſtniederen Charge zugebracht haben muß. Die Avancements der außer der Tour zu Befördernden werden durch die commissions de classement des candidats aux grades supérieurs begutachtet (vergleiche oben Seite 224).

Dieſe Commiſſionen ſind eine ganz

eigenthümliche Franzöſiſche Einrichtung. Dieselben vereinigen sich nach Been digung der Inspicirungen (im December), um die Candidatenliste für das Avancement des nächsten Jahres aufzustellen.

Die Vorschläge erfolgen in

der vom Minister festgesezten Zahl, welche sich wieder nach den zu erwarten den Abgängen in den betreffenden Chargen richtet. Die Reihenfolge in der Liste richtet sich lediglich nach der Qualification jedes Candidaten , so daß vielleicht der jüngste Nr. 1 und damit die Anwartſchaft auf die erste Beför derung erhält.

Die Liste wird im „ Journal milit . off. “ veröffentlicht und

jeder auf derselben Figurirende kann der Hoffnung leben, befördert zu wer den, falls in demselben Jahre wirklich so viel Stellen des höheren Grades frei werden, als Candidaten vorhanden. - Sind aber z . B. 10 Regimenter frei geworden und 15 Candidaten auf der Liste , so concurriren die lehten fünf im nächsten Jahre mit den neuen Candidaten , und es kann sich er eignen, daß diese, wenn sie beſſer empfohlen sind , die erſten, jene die leßten Nummern erhalten , ohne moralisch gezwungen zu sein , ihren Abschied zu nehmen. Ziemlich eng gezogen sind die Grenzen des Lebensalters, innerhalb deren

Einer den nächsthöheren Grad erreichen kann. Nicht Sitte und Individua lität , ſondern das Gesez entscheidet dabei , und da jeder Offizier sehr bald weiß, ob er in der Tour aufrücken müſſe oder Aussicht auf raschere Beför derung habe, so ergeben sich schon hierdurch zwei scharf unterschiedene Klaſſen von Offizieren innerhalb derselben Charge, deren Intereſſen auseinandergehen. Wer sich früh sagen muß, daß er unter allen Umständen, er möge ſo tüchtig sein wie er wolle, für höhere Chargen zu alt werde (und in diesem Falle find fast alle ehemaligen Unteroffiziere), den beseelt gewiß felten feuriger Eifer. Uebrigens arbeitet augenblicklich eine Commission von 34 Divisions Generalen unter Vorsiz des Marschall Canrobert ein neues Geſeß über das Avancement aus , und der Kriegsminister hat bereits verfügt , daß von jezt ab jeder Lieutenant, welcher zum Avancement außer der Tour in Vorſchlag gebracht wird, vorher ein Examen über seine Kenntnisse in der inneren Ver waltung, besonders einer Compagnie, Escadron oder Batterie abzulegen habe. Nach dem Kriege hatte man, der ungeheuren Verwirrung wegen, die in

255

Heerwesen Frankreichs .

Bezug auf die Zuſammenſeßung der Offizier-Corps nach Lebensalter, Dienst zeit und Anciennetät herrschte , ein Gesetz (vom 5. Januar 1872) erlassen, welches auch bei Infanterie und Cavallerie das Avancement im Regimente aufhob und es durch das in der ganzen Waffe erseßte .

Im Mai 1874

kündigte der Kriegsminiſter der Nationalversammlung an, daß er wieder zu dem alten Modus zurückzukehren gedenke , der für die Hebung des Corps geistes von segensreichen Folgen sei ; die Assemblée jedoch beschloß, wohl unter dem Eindruck eines sehr lebhaften Principienkampfes in der Militair Journalistik, ihre Entſcheidung hierüber erst nach Erledigung aller anderen militairischen Organisationsfragen zu treffen.

Der Interimszustand wird

also noch lange andauern , und um die Frist zur Klärung der Ansichten zu benußen , hat der Minister von allen Truppen = Commandeuren die Beant wortung folgender drei Fragen eingefordert : 1. Soll man auf das Gefeß von 1832 zurückgreifen , das Avancement bis zum Ta pitain also regimenterweise stattfinden lassen ? 2. Soll man die Beförderung durch die ganze Waffe festhalten, wie sie das Geseß vom 5. Januar 1872 feststellt? 3. Soll nur das Avancement au choix im Regiment, das nach der Tour jedoch waffen weise stattfinden? In der Militair- Literatur wird übrigens der Gedanke laut, man ſolle das ganze Offizier - Corps Frankreichs zu einem einheitlichen geſtalten , das Avancement durch die ganze Armee gehen und Offiziere , die zu höheren Stellungen ersehen sind, durch sämmtliche Waffen hindurchgehen laſſen. Ein Specialgeset vom 5. Januar 1872 hatte provisoriſch die zur Pen sionirung berechtigende Dienstzeit von 30 auf 25 Jahre herabgesezt, wobei wohl die Hoffnung mitwirkte, sich auf diese Weise eine größere Anzahl von Offizieren

zur Disposition " für Mobilmachungszwecke zu schaffen.

Nun

aber liefen die Abschiedsgesuche so massenhaft ein, daß jede Erwartung überſtiegen wurde. L'avenir militaire" sucht die Erklärung dieſer Erſcheinung darin, daß die Offiziere, meiſt mit 17 Jahren eingetreten , nun Capitains und Ritter der Ehrenlegion seien und mit 42 Jahren im bürgerlichen Leben um so leichter in eine neue Laufbahn treten könnten , als ihnen 2-3000 Francs Pension helfend zur Seite ständen. Dem Minister aber konnte mit solchem Maſſenaustritt keineswegs gedient sein , und daher erließ er am 31. Januar 1874 eine Verfügung , daß bei den revues trimestrielles , bei denen alle persönlichen Angelegenheiten sämmtlicher Rangſtufen ihre Erledi gung finden, nur solche Offiziere auf Grund ihrer Dienstzeit zur Verab schiedung vorgeschlagen werden dürfen , deren Abgang das Interesse des Dienstes dringend erheiſcht.

Damit ist denn allerdings dem Mißbrauche des

Gesezes vom Januar 1872 ein Riegel vorgeschoben worden. Was den Dienstbetrieb betrifft , so fehlt es nicht an gutem Willen in dem Offizier-Corps .

Viele, sogar ältere Offiziere, sollen sich mit Energie

an ihre eigene Ausbildung gemacht und dabei erfreuliche Reſultate erreicht

256

Militairische Jahresberichte für 1874.

haben; allein den Truppen bleiben noch bedeutende Schwierigkeiten zu über winden, ehe sie zu einem wahrhaft gedeihlichen Ziele gelangen können . Ueber die eingeschränkte und überlastete Stellung des Regiments Commandeurs habe ich bereits bei Besprechung der Verhältnisse des Kriegs Ministeriums zu den Truppen einige Andeutungen gemacht und gezeigt, wie sehr das Uebermaß der Centralisation den Obersten schädigt. - Seit das System der permanenten Divisionen wieder eingeführt ist, wird die Autorität des Obersten systematisch durch den Brigade-Commandeur zu beeinträchtigen gesucht. Der Oberst revanchirt sich gleichsam dafür , indem er jede Selbſt ständigkeit der Regimentsoffiziere annullirt. Die Stabsoffiziere , sowie die Capitains haben in Frankreich auch nicht annähernd die Selbstständigkeit, wie in der Deutschen Armee. Es hat das seinen Grund hauptsächlich in der übertriebenen Theilung der Arbeit. Sogar die Ausbildung der Rekruten geschah bis vor Kurzem nicht bei der Compagnie, sondern entweder beim Depot des Regiments oder unter Leitung eines besonders dazu commandirten Stabsoffiziers . Allerdings hatten hierdurch die Cadres während des Winterhalbjahres einen ziemlich bequemen Dienst; es konnte jedoch die Ausbildung der Compagnie nicht so aus Einem Guß sein, es konnte sich nicht zwischen den Rekruten und ihren nächſten Vor gesezten das enge Verhältniß entwickeln, als wenn die Capitains, von ihren Offizieren und Unteroffizieren unterſtüßt , die militairische Erziehung der Rekruten vom ersten Tage an übernehmen, wie das in Deutschland geschieht. Man hat dies eingeſehen und in neuerer Zeit angeordnet, daß die Rekruten ausbildung, soweit sie sich auf den einzelnen Mann bezieht , inner halb der Compagnie stattfinden soll , eine Neuerung , welche indeſſen wenig Beifall findet. - Auch nach Einstellung der Rekruten in die Compagnie hat deren Hauptmann bei Weitem nicht den Einfluß wie in Preußen ;

er hat

dieſen nie gehabt ; aber unter dem Kaiserreiche sind die Attribute des Com pagnie - Commandeurs aus politischem Mißtrauen noch mehr als früher be schränkt worden - ein Verhältniß, das bis jezt noch nicht wieder geändert worden ist. So ist die Ausbildung der Unteroffiziere dem Capitain-Ad jutant- Major (Bataillons - Adjutant) anvertraut, der also 36 Unteroffiziere, 48 Corporale und eine große Zahl (80 bis 100) Eleven zu instruiren hat, was gründlich gar nicht möglich ist.

So wird das Schießen , Turnen und

Fechten bei der Infanterie , das Reiten bei der Cavallerie , das Reiten und Fahren bei der Artillerie nicht, wie in Deutschland, unter der ausschließlichen Leitung und Verantwortung der Capitains betrieben, sondern bei jedem Re giment oder Bataillon ist ein Capitain oder Lieutenant mit der Oberleitung dieses Dienstes beauftragt, und hat dieser, wenn auch nicht gleichzeitig alle Mannschaften, doch einen großen Theil derselben in dieſem Dienstzweige aus zubilden. Sogar der innere Dienst wird in vielen Hinsichten beim ganzen Regiment in ähnlicher Art concentrirt. Nicht die Capitains haben die Ueber

Heerwesen Frankreichs.

257

wachung und Verantwortlichkeit bei den merkwürdig vielen Appells (deren im Winterhalbjahr täglich wenigstens zwei sind und welche selbstverständlich für alle Compagnien gleichzeitig statt finden) , so wie bei dem sehr ausge dehnten Rapportwesen, der Casernenordnung, dem Lebensmittelempfang, dem Baden u. s. w. , sondern die für das ganze Regiment zum service de se maine commandirten Offiziere (ein chef de bataillon oder d'escadron, ein adjutant-major, ein capitaine), welche dem officier de semaine jeder Com pagnie vorgesezt sind.

Weit entfernt, hierdurch Leistungssteigerungen zu er

zielen , gewährt diese auf die Spite getriebene Theilung der Arbeit schäd licher Routine Vorſchub und macht allgemeine und allſeitige Ausbildung der Offiziere unmöglich. Die ganze Ausbildung wurde bisher in die kurze Zeit vom 1. April bis zum Anfang der Inſpection zuſammengedrängt, und in dieſer dreimonatlichen Frist eine bedeutende Anstrengung gefordert. Nach Beendigung der Inspec tionen ward dann der vierte Theil der Effectivſtärke ein halbes Jahr auf Urlaub geschickt.

Der Rest mußte Garniſondienst verrichten und erhielt theo,

retische Instructionen ; die praktiſchen Uebungen beschränkten sich auf Uebungs märsche. Das Cadre - Geseß , macht dieſen langen Beurlaubungen , welche von den Französischen Offizieren selbst als der „Ruin der Armee " bezeichnet wurden, ein Ende. Es verfügt : „Der gemeine Soldat erhält keinen halbjährigen Urlaub. Mit Ausnahme von Krank heits- und Genesungsfällen darf ſein Urlaub die Dauer von 30 Tagen nie überschreiten und nur der Kriegsminister iſt ermächtigt , diesen Zeitraum auf Antrag des Corps - Com mandanten zu verlängern. Auf Unteroffiziere und Capitulanten beziehen sich diese Be stimmungen jedoch nicht." Neben dem praktischen Dienst kommen für die Offiziere noch die „, confè rences militaires" in Betracht , welche indessen meist ganz stereotyper Art und schwerlich von wirklichem Nußen sind. Eine einflußreiche Stellung in Bezug auf die militairwiſſenſchaftlichen Bestrebungen der Französischen Offizierkreise hat ſich dagegen die „ Réunion des officiers" errungen, welche, nach dem leßten Feldzuge in Paris errichtet, sich seitdem in Zweigvereinen und durch Gründung von Provincialbibliotheken über ganz Frankreich verbreitet hat. Sie zählt augenblicklich über 2500 Mit glieder, hat eine eigene Jahreseinnahme von 40,000 Frcs . und eine Staats unterſtüßung von 10,000 Frcs . , welche ihr die Nationalversammlung auf Antrag des Generals Loyſel als Anerkennung bewilligt hat. Von beſonderem Nugen sind die von ihr veranstalteten Vorlesungen für die zu den Examen einberufenen Offizier-Aspiranten der Territorialarmee, und während sie durch Einführung des Kriegsspiels auf die Offizier - Corps wirkt , sucht ſie durch inſtructive militairische Wochenblätter , die für 1 Sou an die Soldaten ver kauft werden, auch bei dem gemeinen Manne militairische Intereſſen zu er wecken. 17 Militairische Jahresberichte 1874.

Militairische Jahresberichte für 1874 .

258

Sehr wenig erfreulich sind die Urtheile über Gesinnung und Hal tung der Französischen Offiziere und die Spiegelbilder ihres Lebens, denen man nicht selten in der militairiſchen Preſſe Frankreichs ſelbſt begegnet. Manches mag übertrieben sein ; übereinstimmend aber wird der Mangel an Begeisterungsfähigkeit und wiſſenſchaftlichem Sinne gegeißelt , die Herrschaft der Routine gekennzeichnet und der Mangel echter Cameradschaft und ſitt licher Solidarität hervorgehoben. Einen eigenthümlichen Eindruck macht es, daß jezt von Zeit zu Zeit in den öffentlichen Blättern officielle Listen von Offizieren mitgetheilt werden, welche sich in ihrem Berufe durch Lösung wichtigerer Aufgaben ausgezeichnet haben. In Frankreich bestanden bisher für die Offiziere keine Vereinigungs locale ; daher die Cameraden sich nur im Dienst oder in den Cafés zu ſehen bekamen. Da, wo die Offiziere gemeinsam speisten , geschah dies nur ge trennt in den einzelnen Chargen eines Truppentheils .

Der Kriegsminiſter

Ciſſey hatte den General - Inspecteuren aufgetragen , ihr Augenmerk auf die Einrichtung besonderer Offizier- Caſinos , namentlich in den größeren Garni jonen, zu richten, um auf diese Weise die Cameradschaft zu heben. Bisher scheint der Erfolg dieser Bestrebungen gering zu sein ,

obgleich z. B. die

Prinzen der Häuſer Orleans und Bonaparte Gelegenheit nahmen, in Dota tionen für die Ausstattung der Pariſer Offizierclubs zu wetteifern . (März 1874.) Die Cameradschaft im engeren Sinne , das treuherzige Verhältniß der Alters- und Chargengenossen leidet unaussprechlich an der Verschiedenheit der Avancementsaussichten , der Bildung und Herkunft , eben so wie an der der politischen Ansichten und an dem übertriebenen sentiment individuel zu Deutsch: Eigenliebe. Ein entschiedenes Hemmniß für die gesellschaftliche Entwickelung der Französischen Offiziercorps ist die allzugeringe Besoldung namentlich der mittleren Chargen, welche wieder bedingt ist durch die allzugroße Zahl der Offizierſtellen .

„ Unſere Offiziere, " sagt Wachter im „ Gaulois " trachten vor

Allem nach goldenen Treſſen, dann nach Beförderung und der Sold kommt zulezt.

Die einander ablösenden Regierungen bedürfen alle der Armee : um

dem Mißvergnügen zu steuern, schaffen sie stets neue Aemter, deren Titulare in reichbetreßten Müßen einhergehen und einen lächerlichen Sold beziehen. So hat ein Infanterie-Bataillonschef, ein Grad, der nach 20 jähriger Dienſt zeit erklommen wird , 350 Frcs. monatlich, woraus er in Friedenszeit den Ankauf eines und in Kriegszeit zweier Pferde bestreiten muß. Die Lieute nants und Unterlicutenants der Infanterie verbringen zehn bis zwölf Jahre ihrer Existenz mit einem zwischen 154 und 170 Frcs . variirenden Solde. Ein solches Elend ist wahrlich nicht dazu angethan, gebildete und intelligente junge Leute zu verlocken. Bald wird das Corps der Offiziere nur noch aus demjenigen der Unteroffiziere refrutirt werden können."

259

Heerwesen Frankreichs.

Wenn diese lettere Voraussagung sich bewahrheiten sollte, so wäre das doppelt schlimm nach Einführung des neuen Rekrutirungsgeseßes ; denn im Heere der allgemeinen Wehrpflicht kann der Offizier die volle Autorität, deren er bedarf, nur dann behaupten, wenn er an Bildung nicht hinter den gebildetsten Klaſſen des Volkes zurücksteht. Muß doch überhaupt seine Ver antwortung, ſeine Bedeutung viel größer werden , als in der Conscriptions armee.

Wie verschieden war bisher das Leben und Wirken des Preußischen

Offiziers von dem des Französischen ! - Um Jahr aus, Jahr ein Soldaten zu erziehen , welche , kaum ausgebildet , schon wieder neuen Rekruten Plaz machen, dazu gehört ein Ernst und eine Selbstverleugnung, welche der Fran zösische Offizier bisher nicht gekannt hat. Eine ,, Danaiden-Arbeit, un travail décourageant" hat Marmont diese Thätigkeit genannt. Wird es den Franzöſiſchen Offizieren gelingen , sich auf den Deutschen Standpunkt zu stellen, von dem aus jene sich alljährlich wiederholenden Mühen nicht als Danaidenarbeit, sondern als die wackere Thätigkeit des Landmannes erscheinen, der alle Jahre auf's Neue den Boden pflügt, auf's Neue Samen ausstreut in das fruchtbare Land !? Und noch andere Aufgaben fallen dem Offizier-Corps im Heer der allgemeinen Wehrpflicht zu : „ in schnellem Wechsel gehen die Mannschaften durch die Schule der Armee ; in ihrer Mitte fehlt der feste Kern , in welchem sich der militairische Geist vererben könnte.

Die Offiziere sind das einzige stabile Element, die Träger der ſol

datiſchen Tradition, deren Einwirkung auf die Truppe so stark sein soll, daß die während der Dienstzeit empfangenen Eindrücke in der langen Urlaubszeit ungeſchwächt weiter leben. " Wird das Französische Offizier - Corps in der zerrissenen Verfaſſung , in die es das Parteitreiben versezt hat , dieſer Auf gabe gewachsen sein? Was die Reserve - Offiziere der activen Armee (Souslieutenants auxiliaires) betrifft, so haben wir uns über den geringen Zuwachs, welchen diese Klaſſe der Offiziere aus den Reihen der Einjährig - Freiwilligen erhält, bereits oben ( Seite 245 ) ausgesprochen.

Auch die Bezugquelle aus

der Polytechnischen und der Forstschule ist nicht sehr ergiebig . Von den Schülern der école polytechnique, welche nicht in den Staats dienſt traten, erhielten im Jahre 1874 dreißig das Brevet als Hülfs -Unter lieutenant, von denen, die in den außermilitairischen Staatsdienst traten, er hielten es 19 , und diesen sichert das Gesez sogar das Avancement in der militairischen Charge zu, das mit ihrem Aufsteigen auf der Civilstufenleiter gleichen Schritt halten soll. Am 13. Juli 1874 wurde das Programm des Examens veröffentlicht, auf Grund deſſen diejenigen Offiziere der ehemaligen Mobilgarde , welche ihrem Lebensalter gemäß der Reserve der activen Armee überwiesen.

17*

Militairische Jahresberichte für 1874.

260

sind , das Brevet als Hülfs = Unterlieutenant erhalten können .*) - Das Examen soll vor einer Commission von Stabsoffizieren unter Vorsitz eines Brigade-Generals abgehalten werden.

Der commandirende General beſtimmt

die Zahl dieser Commissionen nach dem Gesichtspunkte, daß etwa 100 Era minanden von einer derselben zu prüfen sind . Das Examen zerfällt in den theoretischen und den praktischen Theil. Ersterer wird lediglich mündlich abgehalten, und handelt es sich in seiner ersten Hälfte um die Kenntniß einer Reihe von Capiteln aus den Reglements sur le service en campagne und sur le service des places ,

um einige Begriffe von der paſſageren

Befestigung und die einfachsten Grundzüge der Artillerie , Topographie, Militairverwaltung und Gefeßgebung . In der zweiten Hälfte ſind die An forderungen waffenweiſe gesondert und die Capitel der verschiedenen Dienſt reglements namhaft gemacht , auf deren Inhalt sich das Examen erstrecken --soll. Der praktische Theil der Prüfung bezieht sich bei allen Waffen auf die Thätigkeit der Lieutenants auf dem Exercirplage.

2. Territorial - Armee. Dasselbe Examen, welches die Hülfs -Lieutenants der Reserve der activen Armee zu bestehen haben, gilt auch für diejenigen ehemaligen Unteroffiziere und als Unteroffizier ausgeschiedenen Einjährig-Freiwilligen, welche bei ihrem Uebertritt zur Territorial-Armee zu Unterlieutenants in der Lesteren beför dert werden wollen. Nur bei der Artillerie werden etwas geringere Anfor derungen gestellt.

Auf derselben Grundlage können auch Prüfungen zum Lieutenant und zum Capitain abgelegt werden. Für Stabsoffiziere Die Wahl solcher und Commandeure findet ein Examen nicht statt. Führer soll sich vor Allem auf ehemalige Offiziere der activen Armee richten. Kommen doch Offiziere der Auxiliar - Armee, d . h. der Mobilgarde, mobili ſirten Nationalgarde u. s. w. , zum Vorschlag, so haben die Commiſſionen ein Special - Gutachten über die betreffenden Persönlichkeiten , namentlich über deren Verhalten während des Krieges abzugeben. Die Einreihung früherer Offiziere der activen Armee sowie der zur Territorial - Armee übertretenden Hülfs -Offiziere der activen Armee wird übrigens laut Artikel 31 des Organiſationsgeſeßes als Hauptquelle für den Offizier-Ersaß der Territorial-Armee betrachtet. Die Meldungen zur Aufnahme geschehen bei den commandirenden Generalen , welche indessen keinesweges gehalten sind , Jeden anzunehmen. Abweisungen , welche auf Grund ungünstiger Berichte über die Persönlich keiten der Candidaten beschlossen sind , sollen jedoch dem Kriegsminister zur Kenntniß gebracht werden.

Daß solche Abweisungen auch wegen der poli

*) Les officiers auxiliaires. (L'Avenir militaire, 1874. No. 196.) - Les examens de l'armée territoriale. (Ebend. Nr. 224.)

261

Heerwesen Frankreichs .

tischen Haltung der Candidaten geschehen , hat jüngst ein vielbesprochener Erlaß des Generals Ducrot öffentlich zur Sprache gebracht. Die erste der Prüfungen für Auxiliar- und Territorial-Offiziere war zum 15. November 1874 angeseßt, und war den Examinanden gestattet, den Herbstmanövern der Truppen als Zuschauer beizuwohnen , wozu sie die alte Uniform der Mobilgarden oder mobiliſirten Nationalgarde anlegen durften, ohne jedoch Honneurs beanspruchen zu können . Auch in den Garnisonen wurde den Candidaten Gelegenheit geboten, dem Exerciren beizuwohnen und eine kleine Schießübung mitzumachen, wobei eigenthümlicher Weise ein Circular die Commandeure bevollmächtigte , alle Perſonen zurückzuweisen , von denen zu fürchten sei, daß ihre Anwesenheit jenen Uebungen den ,, sérieusen " Cha rakter nehmen könnte oder deren Reichthum die activen Offiziere zu unnüßen Ausgaben (dépenses plus qu'inutiles) verleiten könnten ; ,,alors que nous avons tant de peine à leur procurer les moyens de satisfaire aux né cessités de l'existence la plus modeste. " Eine zweite Prüfung war zum 15. Januar 1875 angeseßt.

Das officielle

Resultat beider ist noch nicht veröffentlicht worden ; doch soll man im Allge meinen mit demselben zufrieden sein.

Man hofft, daß die praktische Kriegs

schule , welche die meisten der Bewerber 1870 und 1871 durchgemacht , die ja allerdings nur mäßigen theoretischen Kenntnisse unterſtüßen werde. Ganz unzureichend ist übrigens bisher die Zahl der Meldungen zu Offizierstellen in der Territorial - Armee ; nicht mehr als 800 penſionirte Offiziere sollen sich bisher haben notiren lassen und von „,geweſenen Militairs " (worunter wohl viele, die nur Mobilgardiſt geweſen) haben ſich 6200 gemeldet, von denen jedoch nur ein sehr kleiner Theil selbst den bescheidensten Anfor forderungen genügen dürfte. -Man glaubt nicht, daß in der nächsten Zeit mehr als die Hälfte der Cadres der Territorial-Armee errichtet werden kann.

Die Armee nach Gruppirung und Dislocation. I.

formation und Dislocation der activen Armee am 1. Januar 1875 * ) .

Vorbemerkung : Außer den hier aufgeführten Truppentheilen stehen bei jedem Armeecorps : 1 Section Commis aux écritures des Generalstabs-Büreaus, 2 bis 5 Compagnien Gendarmerie, 1 bis 3 Sectionen Commis und Arbeiter der Militair - Verwaltung , 1 bis 3 Sectionen Krankenwärter. *) Nach: Répartition et emplacement des troupes de l'armée française. 1 No vembre 1874. Imprimerie nationale. Fortgeführt bis Jahresanfang 1875. - Notiz: Die eingeklammerten Ortsnamen bezeichnen die von dem Ministerium bestimmten , that sächlich jedoch noch nicht bezogenen Garnisonen. Die nicht eingeklammerten Namen be deuten den wirklichen Standort, der da, wo kein eingeklammerter Name danebensteht , mit der vom Minifterium angewiesenen Garnison übereinstimmt. — Der Standort des Depots ist nur da besonders angegeben, wo er mit der Garnison des Regiments nicht zuſammenfällt.

Militairische Jahresberichte für 1874.

262

I. Armee Corps. Divis. General Clinchant. - Lille. 1. Region: Nord und Pas de Calais . 8 Subdivisionen mit den Hauptorten : Lille, Valenciennes , Cambrai , Avesnes, Arras, Béthune, St. Omer, Dünkirchen. 1. Infanterie - Division. Gen. Lecointe. Lille. 1. Infanterie-Brigade. Lille. 25. Jäger Bat. 43. Linien - Negt . } Lille.

.1

127. Linien - Regt. Valenciennes. 2. Infanterie-Brigade. Cambray. 1. Linien-Regt. Cambray. 84. Linien-Regt. Maubeuge. Depot : Avesnes. 2. Infanterie- Division. Gen. Veron, gen. Bellecourt. Arras . 3. Infanterie-Brigade. Arras. 1. Jäger Bat. St. Omer. 33. Linien- Regt. Arras . 73. Linien-Regt. Aire. Depot : Bé thune. 4. Infanterie Brigade. (St. Omer.) Calais. 8. Linien-Regt. Calais . Depot : St. Omer. 110. Linien- Regt. Dunkerque. 1. Cavallerie - Brigade. Lille. 19. Chasseur-Regt. Lille. 5. Dragoner-Regt. St. Omer. 1. Artillerie - Brigade. Douai. Artillerieſchule Douai. 15. Artillerie-Regt. Douai. 27. " " 3. Comp. Art. - Train. (Douai) . St. Omer, Lille, Bayonne. Genie. 2 Comp. 3. Regts. Arras . Train. 3 " Lille. 3. "

(Das I. Armee Corps steht ganz inner halb seiner Region.) Außerdem stehen in der 1. Region ohne zum I. Corps zu gehören : 3. Cürassier-Regt. Maubeuge. 3. Dragoner - Brig. Valenciennes. 14. Dragoner-Regt. Valenciennes. 16. Cambray. " " 3. Genie-Regt. 5. Comp . Artillerie-Handwerker.

II. Armee Corps. Div.-Gen. Montaudon. Amiens. 2. Region: Aisne , Dise , Somme , Seine

et Dise [Arrond. de Pontoise] und Nord Sector des Seine-Departements . - 8 Sub divisionen mit den Hauptorten: Beauvais , Amiens, Soissons , St. Quentin, Abbeville, Laon, Compiègne, Peronne. 3. Infanterie - Division. Gen. Grenier. Amiens. 5. Infanterie-Brigade. ( Soiſſons.) Paris . 2. Jäger-Bat. Amiens. 67. Linien-Regt. Soiffons. 87. " " (St. Quentin.) Ba ris. Depot: Ham. 6. Infanterie-Brigade. (Beauvais .) Paris. 51. Linien Regt. (Beauvais.) Paris . 72. " "! (Amiens .) 4. Infanterie - Diviſion. Gen. Lt. Pajol. Paris. 7. Infanterie Brigade. Paris. 12. Jäger-Bataillon. Paris. Depot : Soissons. 54. Linien-Regt. Paris . Depot : Com piègne. 128. Linien-Regt. Paris. Depot : Abbe ville. 8. Infanterie-Brigade. Paris . 45. Linien-Regt. Paris . Depot : Laon. 120. Linien-Regt. Paris . Depot : Pe ronne. 2. Cavallerie - Brigade. Compiègne. 3. Chasseur-Regt. Abbeville. 13. Dragoner Regt. Compiègne. 2. Artillerie - Brigade. La Fere. Artillerieſchule La Fère. 17. Art.-Regt. La Fère. 29. " (La Fère.) Laon. " 3 Comp. Art.-Train. (La Fére.) Vin cennes und Bayonne. Genie. 2 Comp. 3. Regts . Arras . 3. " Train. 3 " (Amiens.) Paris.

(Vom II. Corps stehen also gegenwärtig nur Cavallerie, Artillerie, Genie und Train, von der Infanterie dagegen nur 1 Regt. in der betreffenden Region. Die jest in Paris stehenden 3 Regimenter der 3. Division kehren später zurück; die 4. Infant.- Division bleibt aber dauernd detachirt nach Paris .) Außerdem stehen in der 2. Region, ohne zum II. Armee-Corps zu gehören : 6. Cürassier -Regt. Senlis . 10. Comp. Art. -Handwerker. La Fére.

Heerwesen Frankreichs .

III. Armee Corps. Div. Gen. Lebrun. Rouen. - 3. Re gion: Calvados, Eure, Seine infer., Seine und Dise [Arrond. Mantes und Versailles], West-Sector des Seine Departements . 8 Subdivisionen mit den Hauptorten : Bernay , Evreux , Falaise, Suzieur, Rouen (für 2 Subdiviſ.), Havre, Caen. 5. Infanterie - Diviſion. Gen. Jolivet, Paris. 9. Infanterie-Brigade. General Dumont. Paris. 39. Linien Regt. Paris. Depot: Bernay. 74. Linien B Regt. Paris . Depot: Evreux. 10. Infanterie-Brigade. Paris. 36. Linien-Regt. Paris. Depot : Fa laiſe. 129. Linien - Regt. Paris. Depot : Lisieur. 6. Infanterie - Diviſion. Gen. de Brauer. Rouen. 11. Infanterie-Brigade. Rouen. 20. Jäger-Bat. 24. Linien-Regt. Rouen. 28. " " 12. Infanterie-Brigade. Caen. 5. Linien- Regt. Caen. 119. " " Le Havre. 3. Cavallerie - Brigade. Evreux. 12. Chasseur-Regt. Rouen. 21. Dragoner-Regt. (Evreux. ) Com piègne. 3. Artillerie - Brigade. Verſailles. Artillerieſchule Verſailles. 11. Art.-Regt. 22. " " Versailles. 3 Comp. Art.-Train Eine Train-Comp. steht noch in Bayonne. Genie. 2 Comp. 3. Regts. Arras. Train . 3 Comp. 3. Regts . Vernon. Eine Comp. steht noch in Rouen. (Vom III. Corps ſtehen also zur Zeit in der betreffenden Region die 6. Jnfant. - Di vision und ein Cavallerie - Regiment. Das zweite Cavallerie- Regiment soll später dort hin zurückkehren; dauernd detachirt bleiben die 5. Infant. Diviſion und die Artillerie.) Außerdem stehen in der 3. Region, ohne zum III. Armee- Corps zu gehören : 1. Comp. Remontereiter. Caen .

263

3. Train Regt. Vernon. 2 Comp. Militair-Handwerker. Vernon. 3. Comp. Art.-Handwerker. Verſailles.

IV. Armee Corps. Le Mans. Div.-General Deligny . 4. Region: Eure und Loire, Mayenne, Orne, Sarthe, Seine und Oiſe [Arrond. Rambouil let], Süd-Sector des Seine Departements. — 8 Subdivisionen mit den Hauptorten Mayenne, Laval, Mamers, Le Mans, Dreux, Chartres, Alençon und Argentan. 7. Infanterie- Division. Gen. Dupleſſis. Le Mans . 13. Infanterie Brigade. (Laval. ) Paris. 17. Jäger-Bat. Alençon. 101. Linien Regt. (Laval.) Paris. 102. " (Mayenne. ) Paris . " Depot: Laval. 14. Infanterie-Brigade. Le Mans . 103. Linien- Regt. ( Mamers .) Paris . Depot: Alençon. 104. Linien-Regt. (Le Mans .) Paris . 8. Infanterie - Division. Gen. Garnier. Paris . 15. Infanterie-Brigade. Paris. 9. Jäger-Bat. Paris . ( Depot nach Chartres .) 124. Linien-Regt. Paris. (Depot nach Dreux.) 130. Linien- Regt. Paris. (Depotnach Chartres .) 16. Infanterie-Brigade. Paris. 115. Linien-Regt . Paris. ( Depotnach Alençon.) 117. Linien-Regt. Paris . ( Depotnach Argentan.) 4. Cavallerie - Brigade. Chartres. 20. Chasseur Regt. (Chateaudun. ) Ram bouillet. 2. Dragoner-Regt. Chartres. 4. Artillerie - Brigade. Le Mans. Artillerie-Schule Le Mans. 26. Art.-Regt. (Le Mans.) Verſailles. 31. Art. Regt. Le Mans . 2 Comp. Art. Train. Le Mans. Genie. 2 Comp. 1. Regts. Verſailles. 4. " Train. 3 "" (Chartres.) Chateaudun. (Vom IV. Corps stehen zur Zeit nur ein Cavallerie- und ein Artillerie-Regiment inner halb der betr. Region. Der Rest der Ca

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Militairische Jahresberichte für 1874.

vallerie und Artillerie, sowie die 7. Infant. Diviſion kehren ſpäter dorthin zurück; die 8. Div. bleibt dauernd nach Paris detachirt.) Außerdem steht in der 4. Region, ohne zum IV. Armee Corps zu gehören: 4. Train Regt. Chateaudun. V. Armee Corps. Div.-General Bataille. - Orleans. 5. Region: Loiret, Loire und Cher, Seine und Marne, Yonne, Seine und Dise [Arrond. Corbeil und Etampes. ] Ost- Sector des Seine Departements . - 8 Subdivisionen mit den Hauptorten : Sens, Fontainebleau, Me lun, Coulommiers, Aurerre, Montargis, Dr leans und Blois.

Brigade und ein Art.- Regt. Später folgt der Rest der 10. Inf. 2 Div. und der Art. Brigade, während die 9. Jnf. - Div. dauernd nach Paris detachirt bleibt. ) Außerdem stehen in der 5. Region, ohne zum V. Armee Corps zu gehören : 4. Cavallerie- Division. Gen. Halna du Fretay. Melun. 3. Huſaren-Brigade. Fontainebleau . 3. Husaren-Regt. Melun. 8. " " Fontainebleau. 4. Dragoner-Brigade. Meaux. 22. Dragoner-Regt. Provins. 23. Meaux. " "

9. Infanterie - Division. Gen. de Co lomb. Paris . 17. Infanterie-Brigade. Paris. 4. Jäger Bat. Paris. Depot : (Paris.) Melun. 82. Linien-Regt. Paris . Depot: Sens . 85. " " " Fon tainebleau.

VI. Armee Corps. Div. Gen. Douay. -- (Chalons) Lager von Chalons . 6. Region: Ardennes, Aube, Marne, Meurthe und Moselle, Meuſe, Vosges. — 8 Subdivisionen mit den Hauptorten: Nancy, Toul, Neufchateau, Ver dun, Mézières, Reims, Troyes , Chalons. 11. Infanterie- Division. Gen. Abba tucci. Nancy .

18. Infanterie Brigade. Paris. 113. Linien Regt. Paris . Depot : Melun. 131. " Cou " " " lommiers. 10. Infanterie- Diviſion . Gen. Berthaut. Orleans . 19. Infanterie-Brigade. (Auxerre.) Paris . 18. Jäger-Bat. Romorantin. Paris . 46. Linien- Regt. (Auxerre.) 89. " " (Montargis.) 20. Infanterie-Brigade. Blois . 31. Linien-Regt. Blois. 76. " " (Orleans.) Paris. 5. Cavallerie - Brigade. Vendôme. 10. Chaſſeur-Regt. Vendôme. 4. Dragoner Regt. Joigny. 5. Artillerie - Brigade. Orleans. Artillerie-Schule Orleans. 30. Art. Regt. Orleans . 32. " " (Orleans.) Vincennes. 2 Comp. Art.-Train. (Orleans.) Mon toire. Genie. 2 Comp. 1. Regts. Verſailles und Fontainebleau . Train. 3 Comp . 4. Regts . (Vendôme.) Paris . (Vom V. Corps stehen gegenwärtig in der Region ein Inf. Regt. , die Cavallerie

21. Infanterie-Brigade. Nancy. 10. Jäger-Bat. Saint-Dié. 26. Linien Regt. Nancy. 69. Depot: Toul. " " " 22. Infanterie -Brigade. Verdun. 37. Linien Regt. Epinal. Depot : Neuf chateau. 94. Linien-Regt. Verdun. 12. Infanterie - Diviſion. Reims. 23. Infanterie-Brigade. (Mézières.) Reims. 26. Jäger-Bat. Epernay. 91. Linien Regt. (Mézières.) Charle ville. 132. Linien-Regt. Reims. 24. Infanterie Brigade. Troyes. 79. Linien-Regt. Troyes. 106. " Bar le Duc. Depot: Chalons. 6. Cavallerie - Brigade. Verdun. 6. Chasseur- Regt. Sedan. 12. Dragoner Regt. Verdun. 6. Artillerie - Brigade. Chalons. Artillerie Schule Chalons. 8. Art. Regt. 25. " Chalons . " 2 Comp. Art. * Train Genie. 2 Comp . 3. Regts . Toul und Lager von Chalons.

Heerwesen Frankreichs . Train. 3 Comp . 2. u . 3. Regts . (Cha lons.) Eine Comp. in Paris. (Das VI. Corps ſteht ganz in der betr. Region.) Außerdem stehen in der 6. Region, ohne zum VI. Armee- Corps zu gehören : 2. Cavallerie = Division.- de France. Luneville. 2. Chasseur-Brigade. Luneville. 7. Chasseur-Regt. 11. " } Luneville. 2. Dragoner Brigade. Luneville. 8. Dragoner Ź Regt. Luneville. 9. " } de Mon 5. Cavallerie Division. taigu . - Nancy. 2. Huſaren-Brigade. Nancy. 2. Husaren-Regt. Nancy. 4. " " 1. Cüraſſier-Brigade. Commercy. 1. Cürassier-Regt. Commercy. 5. St. Mihiel. " " 1. Chasseur-Regiment. Epinal. 5. Compagnie Remontereiter. Sampigny.

VII. Armee Corps. Dir. Gen. Herzog von Aumale. - Be jançon. 7. Region : Ain, Doubs, Jura, Haute- Marne , Haut -Rhin , Haute- Saône, Rhône [Nordost - Sector]. - 8 Subdivi sionen mit den Hauptorten Belfort, Lan gres , Besançon , Lons- le-Saulnier , Bourg und Amberieu. 13. Infanterie - Division. Gen. Jeannin gros. Langres. 25. Infanterie-Brigade. Belfort. 21. Jäger-Bat. Montbéliard. 35. Linien- Regt. Belfort. 42. " " 26. Infanterie-Brigade. (Chaumont.) Lan gres. 21. Linien Regt. Langres. 109. „ " (Chaumont.)Langres. 14. Infanterie - Division. General de Maussion. Besançon. 27. Infanterie- Brigade. (Lons-le- Saulnier.) Besançon. 3. Jäger Bat. Besançon. 44. Linien-Regt. Lons -le-Saulnier. 60. " Besançon. " 28. Infanterie Brigade. (Lyon.) Lons - le Saulnier. 23. Linien-Regt. Lyon. Depot : Boury.

265

133. Linien-Regt. ( Lyon. ) Besançon. Depot: (Belley). Pierre-Châtel . 7. Cavallerie - Brigade. Vesoul. 9. Husaren-Regt. Vesoul. 1. Dragoner-Regt. (Gray.) Dôle. 7. Artillerie 2 Brigade. Besançon. Artillerie-Schule Besançon. 4. Artillerie-Regt. 5. " Besançon. " 2 Comp. Art.- Train Genie. 2 Comp. 3. Regts . Langres und Belfort. Train. 3 Comp . 2. u. 3. Regts . (Dôle .) Paris u. Gray. (Vom VII. Corps stehen gegenwärtig in der betr. Region: die 13. Infanterie-Div. und zwei Regimenter der 14. Div . , ferner die Cavallerie, Artillerie, Genie und Train. Später verläßt die Region das 133. Regt., um nach Lyon zu gehen, wohin die 28. Jnf. Brigade dauernd detachirt bleibt. ) Außerdem stehen in der 7. Region, ohne zum VII. Armee- Corps zu gehören: 15. Chasseur Regiment. Belfort. 4. Comp. Art.-Handwerker. Besançon.

VIII. Armee Corps. Div. Gen. Ducrot. - Bourges . 8. Region: Cher, Côte d'Or, Nièvre, Saône und Loire, Rhone ( Arrond. Villefranche). 8 Subdivisionen mit den Hauptorten: Dijon, Auronne, Chalon, Mâcon, Bourges, Cosne, Autun, Nevers . 15. Infanterie - Division. Gen. Goze. Dijon. 29. Infanterie-Brigade. (Dijon.) Chalon. 5. Jäger-Bat. Dijon. 56. Linien- Regt. Auronne. 134. " Dijon. 30. Infanterie-Brigade. Lyon. 10. Linien-Regiment. Lyon. Depot: Chalon. 27. Linien-Regiment. Lyon. Depot : Mâcon. 16. Infanterie - Division. Gen. Frabou let Kerléadec. Bourges . 31. Infanterie-Brigade. (Bourges .) Camp d'Avor. 15. Jäger-Bat. Camp d'Avor. 4. Linien-Regt. Camp . d'Avor. 95. " (Bourges. ) Camp. " d'Avor.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

32. Infanterie-Brigade. Nevers . 13. Linien # Regt. ( Autun. ) Camp d'Avor und le Creuzot. 29. Linien-Regt. Nevers. 8. Cavallerie Brigade. Dijon. 18. Chasseur-Regt. Auronne. 10. Dragoner-Regt. Dijon. 8. Artillerie - Brigade. Bourges. Artillerie-Schule 1. Artillerie-Regt. Bourges. 37. " " 3 Comp. Art.- Train 1 Art.-Train-Comp. in Perpignan. Genie. 2 Comp. 3. Regts . Camp d'Avor und Arras. Train. 3Comp . 1. u . 2. Regts . (Auxonne.) 2 Comp. noch in Bourges und Paris. (Vom VIII. Corps ſtehen zur Zeit in der betr. Region die 29. Jnf.-Brig. , die 16. Jnf. Divis. , die Cavallerie und Artillerie. Die 30. Jnf.-Brig. bleibt dauernd nach Lyon de tachirt.) Außerdem ſtehen in der 8. Region, ohne zum VIII. Armee- Corps zu gehören: 6. Comp. Art .- Handwerker Bourges. 1. " Feuerwerker IX. Armee Corps. Div. Gen. du Barail. - Tours. 9. Region : Maine und Loire, Indre und Loire, Indre, Deux - Sèvres , Vienne. 8 Subdivisionen mit den Hauptorten: Issoudun, Chateauroug, Chatellerault, Tours, Angers, Cholet, Poitiers und Parthenay. 17. Infanterie - Division . Gen. Metman. (Chateauroux.) Sedan. 33. Infant. Brigade. (Chateauroux.) Givet. 68. Linien-Regt. (Issoudun.) Givet. Dep. (le Blanc. ) Issoudun. 90. Linien-Regt. (Chateauroux.) Givet. Dep. Chateauroux. 34. Infanterie-Brigade. (Paris .) Sedan. 114. Linien Regt. (Paris.) Dep. (Par thenay.) Sedan. 125. Linien- Regt. (Paris.) Dep . (Poi tiers.) Sedan. 18. Infanterie : Division. Gen. Fauvart Baſtoul. Tours. 35. Infanterie-Brigade. Tours . 13. Jäger-Bat. Tours. 32. Linien Regt. (Tours, Dep. Cha tellerault.) Angers .

66. Linien-Regt. Tours. 36. Infanterie-Brigade. (Angers.) Camp de Chalons. 77. Linien-Regt. (Angers.) Camp de Chalons. 135. Linien-Regt. (Cholet.) Camp de Chalons. 9. Cavallerie - Brigade. Tours. 2. Chasseur-Regt. Tours. 9. Artillerie - Brigade. Poitiers. Artillerie-Schule. 20. Art. -Regt. Poitiers. 33. " " 2 Comp . Art.-Train. (Poitiers.) Saint Maixent. Genie. 2 Comp. 1. Regts . Verſailles u. Paris . Train. 3 Comp. 1. Regts. Chateauroux. (Vom IX. Corps stehen ſonach in der be treffenden Region : die 35. Jnf. -Brig. , die Cavallerie und Artillerie. Die 33. u. 36. Jnf. Brigaden kehren später zurück, die 34. Brig. verbleibt in Paris .) Außerdem stehen in der 9. Region, ohne zum IX. Armee-Corps zu gehören : 5. Cürassier - Brigade. Niort. 7. Cürassier- Regt. Niort. 10. Angers. " " 1. Train- Regt. Chateauroux. 3. Comp. Feuerwerker. Le Ripault. 1. Comp. Militair-Handwerker. Chateau roux.

X. Armee Corps. Divis. Gen. Forgeot. - Rennes. 10. Region: Côtes du Nord, Manche, Jlle und Vilaine. 8 Subdivisionen mit den Hauptorten : Guingamp , St. Brieuc, Rennes, Vitré, Cherbourg, St. Malo, Gran ville und St.-Lô. 19.Jnfanterie- Division. Gen. Lacretelle. (St. Brieuc.) Paris . 37. Infanterie- Brigade. (St. Brieuc.) Paris. 19. Jäger- Bat. (Rennes .) Paris . De pot: Rennes . 48. Linien-Regt. (Guingamp.) Paris. Depot: St. Brieuc. 71. Linien-Regt. (St. Brieuc.) Paris. Depot: St. Brieuc. 38. Infanterie-Brigade. (Rennes.) Paris.

Heerwesen Frankreichs. 41. Linien-Regt. ( Rennes. ) Paris. Depot: Rennes. 70. Linien-Regt. (Vitré.) Paris . De pot: Vitré. 20. Infanterie - Diviſion. Gen. de Sonis . Saint-Servan. 39. Infanterie-Brigade. Cherbourg. 25. Linien-Regt. Cherbourg. 47. St. Malo. " " 40. Infanterie-Brigade. Paris . 2. Linien-Regt. Paris . Depot : Gran ville. 136. Linien-Regiment. Paris. Depot : Saint-Ló. 10. Cavallerie - Brigade. ( Dinan. ) Roc quencourt. 12. Husaren-Regt. (Dinan.) Rocquen court. 24. Dragoner Regt. (Dinan.) Rocquen court. 10. Artillerie - Brigade. Rennes . Artillerie -Schule. 7. Art.-Regt. Rennes. 10. "1 " 2 Comp. Art.-Train. Genie. 2 Comp. 1. Regts. St. Cloud u. Bersailles. Train. 2Comp . 2. u . 3. Regts. Fougères. (Vom X. Corps stehen also zur Zeit in der betr. Region : die 39. Jnf.-Brig. und die Artillerie. Später folgt die 19. Jnf. -Diviſ. und die Cavallerie, während die 40. Jnf. Brig. dauernd in Paris bleibt.) Außerdem stehen in der 10. Region, ohne zum X. Armee Corps zu gehören : 8. Comp. Art.-Handwerker. Rennes.

XI. Armee - Corps. Div. Gen. Lallemand. - Nantes. 11. Region: Finistère , Loire - Inférieure, 8 Subdivisionen Morbihan , Vendée. mit den Hauptorten Brest, Lorient, Ancenis, La Roche-sur- Yon, Nantes, Fontenay, Van nes, Quimper. 21. Infanterie- Division. General Le Poittevin de la Croix. 41. Infanterie- Brigade. (Nantes.) Paris . 22. Jäger- Bat. (Morlaix.) 64. Linien-Regt. ( Nantes.) Paris . 65. " " (Ancenis.) 42. Infanterie-Brigade. (La Roche-sur-Yon.) Nantes.

267

93. Linien-Regt. La Roche-sur-Yon. 137 . " " (Fontenay.) Nantes. 22. Infanterie - Division. Gen. Faron. (Breſt.) Nantes. 43. Infanterie-Brigade. Paris . 116. Linien-Regt. Paris . Dep.: Vannes. 118. " " Quimper. !! "! 44. Infanterie-Brigade. Lorient. 19. Linien-Regt. Brest. Lorient. 62. " " 11. Cavallerie - Brigade. Pontivy. 6. Husaren Regt. Pontivy . 25. Dragoner-Regt. (Nantes.) St. Ger main. 11. Artillerie Brigade. Vannes. Artillerie-Schule. Vannes . 28. Art. Regt. (Vannes.) Rennes. Nantes. 35. " " " 2 Comp. Art. Train. Vannes. (Vom XI. Corps stehen in der betr. Re gion : die 42. und 44. Jnf.-Brig. und je ein Cavallerie- und ein Artillerie - Regiment. Später folgen die 41. Inf. - Brig. und der Rest der Cavallerie und Artillerie. — Dauernd detachirt bleibt eine Inf.-Brig. in Paris.) Außerdem stehen in der 11. Region, ohne zum XI. Armee Corps zu gehören: 2. Comp. Remontereiter. Fontenay.

XII. Armee Corps. Div. Gen. de Lartigue. — Limoges. 12. Region : Charente, Corrèze , Creuse, Dordogne , Haut - Vienne. 8 Subdivi sionen mit den Hauptorten : Limoges, Magnac- Laval, Guéret, Tulle, Angoulême, Bergerac, Périgueux, Brives. 23. Infanterie - Division. Gen. Liébert. (Limoges .) Constantine. 45. Infanterie-Brigade. Limoges. 23. Jäger-Bat. (Bellac. ) Algerien. Depot: Limoges . 14. Linien Regt. Limoges . 138. "! " Depot : " Magnac-Laval. 46. Infanterie-Brigade. (Paris .) Bône. 78. Linien-Regt. (Paris. Dep.: Gué ret.) Algerien. Depot : Guéret. 80. Linien-Regt. (Paris . Dep.: Tulle.) Algerien. Depot : Tulle. 24. Infanterie - Diviſion. Gen. Dargent. Périgueur. 47. Infanterie Brig. (Angoulême. ) Algier.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

50. Linien Regt. (Périgueur.) An tibes . Depot : Périgueux. 107. Linien-Regt. (Angoulême.) Alge rien. Depot : Angoulême. 48. Infanterie-Brigade. (Brives .) Marseille. 63. Linien-Regt. ( Brives. ) Depot : (Marseille.) Périgueur. 108. Linien-Regt. (Bergerac.) Arles. Depot: Bergerac. 12. Cavallerie - Brigade. (Limoges .) St. Germain. 17. Chasseur- Regt. (Limoges .) St. Ger main. 20. Dragoner Regt. Limoges. 12. Artillerie - Brigade. (Angoulême.) La Rochelle. Artillerie-Schule. Angoulême. 21. Art.-Regt. Angoulême. La Rochelle. 34. " " " Toulouse. 2 Comp. Art.-Train. Angoulême. Genie. 2 Comp . 1. Regts . Verſailles u. St. Cloud. Train. 2 Comp . 1 Regts . Limoges. (Vom XII. Corps stehen in der betr. Re gion also die 45. Jnf.- Brig. und ein Ca vallerie-Regiment ; ſpäter folgen die 24. Jnf. Divis., der Rest der Cavallerie und die Ar tillerie. Dauernd detachirt bleibt die 46. Inf. Brig. in Paris .) Außerdem stehen in der 12. Region, ohne zum XII. Armee- Corps zu gehören : 4. Comp. Remontereiter. Guéret.

XIII. Armee Corps. Div. Gen. Picard . Clermont. 13. Region : Allier, Loire, Puy de Dôme, Haute-Loire, Cantal und der Südost-Sector des Rhone- Departements . ― 8 Subdivi sionen: Riom, Montluçon, Clermont, Au rillac, Le Puy , St. Etienne, Montbrison, Roanne. 25. Infanterie . Division. Gen. Tixier. Lyon. 49. Infanterie-Brigade. Lyon. 11. Jäger-Bat. Lyon. Depot: Billom. 16. Linien-Regt. Lyon. Depot : Riom. 38. " Mont " " Luçon. 50. Infanterie Brigade. Lyon. 86. Linien-Regt. Lyon. Depot : Cler mont. 92. Linien- Regt. Lyon. Dep.: Aurillac.

26. Infanterie - Division. General de Bretteville. St. Etienne. 51. Infanterie-Brigade. St. Etienne. 16. Jäger-Bat. Clermont. 98. Linien-Regt. Le Puy. 121. " St. Etienne. " 52. Infanterie Brigade. Roanne. 105. Linien-Regt. St. Etienne. Depot : Montbrison. 139. Linien-Regt. (Clermont.) Pont du Chateau. Depot : Roanne. 13. Cavallerie - Brigade. Moulins. 16. Chasseur-Regt. Moulins. 19. Drag. Regt. (St. Etienne. ) Moulins. 13. Artillerie - Brigade. Clermont. Artillerie-Schule. 16. Art.-Regt. Clermont. 36. " " 3 Comp. Art.-Train. 1 Art.-Train-Comp. Perpignan. Genie. 2 Comp . 2. Regts. Montpellier. Train. 3 " 1. " (Moulins. ) Lyon. (Vom XIII. Corps befinden sich alſo in der Region : die 26. Jnf. 20 Div. , sowie die ge ſammte Cavallerie u. Artillerie. Die 25. Jnf. Div. bleibt dauernd nach Lyon detachirt.)

XIV. Armee Corps. Div. Gen. Bourbaki , Gouverneur von Lyon. ――― Lyon. - 14. Region: Hautes Alpes, Drôme, Jſère, Savoie, Haute-Savoie, Südost-Sector des Rhone-Departements. 8 Subdivisionen: Grenoble, St. Marce lin, Annecy , Chambéry , Vienne , Romain, Montélimar, Gap. 27. Infanterie P Division. Gen. Cam briels. Grenoble. 53. Infanterie-Brigade. Grenoble. 14. Jäger Bat. Chambéry. 52. Linien-Regt. Grenoble. 140. " Depot: " " (La Tour du Pin.) Grenoble. 54. Infanterie Brigade. Chambéry. 30. Linien-Regt. Annecy. 97. " Chambéry. " 28. Infanterie - Diviſion. Gen. Mar mier. Lyon. 55. Infanterie-Brigade. Lyon. 6. Jäger - Bat. Embrun. Depot: Mont-Dauphin. 75. Linien-Regt. Lyon. Dep.: Vienne. 96. " " ?? " Romans .

Heerwesen Frankreichs. 56. Infanterie-Brigade. Gap. 99. Linien-Regt. Montélimar. 22. " " Briançon. Dep.: Gap . 14. Cavallerie - Brigade. Vienne. 5. Chasseur-Regt. Vienne. 6. Dragoner-Regt. Chambéry. 14. Artillerie - Brigade. Grenoble . Artillerie - Schule. 2. Artillerie-Regt. Grenoble. " 6. " 3 Comp . Art. Train. Genie. 2 Comp . 2. Regts . Valbonne und Sathonay. Train : 3 Comp. 1. Regts . (Vienne.) Lyon. (Vom XIV. Corps ſtehen in der Garniſon : die 27. Jnf. - Div. und die 56. Jnf. -Brig., die Cavallerie und Artillerie. Dauernd ver bleibt die 55. Jnf.-Brig. detachirt in Lyon.) Unter den Befehlen des commandirenden Generals des XIV. Corps als Gouverneur von Lyon steht ferner : 6. Cavallerie Divison. Gen. du Preuil. Lyon. 4. Husaren Brigade. Lyon. 5. Husaren Regt. 10. " " } Lyon. 6. Cürassier Brigade . Lyon. Lyon. 11. Cüraffier Regt. 12. " " } 7. Comp. Art.-Handwerker. 25. Sect. Adminiſtr. - Truppen. Lyon. 25. " Krankenwärter In Lyon stehen jezt: Bom VII. Corps : 28. Jnf. - Brig. (Regt. Nr. 133 provisorischinBe sançon . ) " VIII. "! 30. Inf.-Brig. " XIII . " 25. Jnf.-Div. 料 XIV . " 55. Jnf.-Brig. " XVII. " 33. Jnf. 2 Div. und vonder 34. Jnf. Div. von jeder Brigade 1 Regt. Die Truppen des XVII. Corps kehren später in ihre Region zurück. Die definitive Besazung von Lyon wird dann betragen : 10 Regt. Infanterie, 4 Regt. Cavallerie (die 6. Cav.-Div .). Keine Artillerie.

XV. Armee Corps. Div. Gen. Espivant de la Villes boisnet. - Marseill e. 15. Region :

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Basses 2 Alpes , Alpes - Maritimes , Ardèche, Bouche du Rhône , Corse , Gard , Var und Vaucluse. - 8 Subdivisionen : Nizza, Toulon , Air, Nimes , Avignon , Privas, Pont-St. Esprit, Ajaccio. 29. Infanterie - Division. Gen. Courson de la Villeneuve. Nice. 57. Infanterie-Brigade. Toulon. 7. Jäger-Bat. Digne. 61. Linien-Regt. Toulon. 111. " " Nice. Depot: Ville franche. 58. Infanterie Brigade . Bastia. 112. Linien-Regt. Aix. 40. Linien- Regiment. Bastia. Depot: Ajaccio. 30. Infanterie - Division. Gen. Marti neau-Deschesnez . Avignon. 59. Infanterie Brigade. Nimes. 24. Jäger-Bat. Marseille. 3. Linien-Regt. Nimes. 141. " " Avignon. 60. Infanterie-Brigade. Privas. 55. Linien-Regt. Marseille. Depot : Privas. 58. Linien-Regt. Marseille. Depot : Mont- St. Esprit. 15. Cavallerie - Brigade. Marseille. 4. Chasseur-Regt. Marseille. 26. Dragoner-Regt. Tarascon. 15. Artillerie - Brigade. Valence . Artillerie- Schule 19. Art. Regt. Valence . 38. " " 3 Comp . Art.-Train. (Valence) Mar seille, Toulon, Avignon. Genie. 2 Comp . 2. Regts . Montpellier. Train. 3 Comp. 4. u. 2. Regts . (Nimes) Tarascon u. Paris . (Das XV. Corps steht ganz in der be treffenden Region.) Außerdem stehen in der 15. Region, ohne zum XV. Armee- Corps zu gehören: Regt. Artillerie Pontonniers. Avignon. 9. Comp. Art. Handwerker. Toulon. 4. " Feuerwerker. Saint - Chamas.

XVI. Armee Corps. Div . Gen. Baron Aymard. Mont pellier. - 16. Region : Aude , Aveyron, Hérault, Lozère, Tarn , Pyrénées - Orien tales. 8 Subdivisionen : Béziers,

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Montpellier, Mende , Rodez , Albi , Nar bonne, Carcassonne, Perpignan. 31. Infanterie- Division. Gen. Brin court. Montpellier. 61. Infanterie-Brigade. Montpellier. 17. Linien Regt. Cette. Depot : Bé ziers. 122. Linien Regt. Montpellier. 62. Infanterie-Brigade. (Rodez) Toulon. 12. Linien-Regimt. (Mende) Toulon. Depot: Mende. 81. Linien- Regimt. (Rodez) Toulon. Depot: Rodez. 32. Infanterie - Division. Gen. Barry. Perpignan. 63. Infanterie Brigade. (Perpignan) Car cassonne. 27. Jäger Bat. Perpignan. 100. Linien - Regt. (Perpignan) Nar bonne. 142. Linien-Regt. Perpignan. 64. Infanterie-Brigade. (Albi) Perpignan. 15. Linien-Regt. (Castelnaudary) Per pignan. 83. Linien Regt. Albi. 16. Cavallerie - Brigade. Carcassonne. 8. Chasseur-Regt. Béziers. 17. Dragoner-Regt. Carcaſſonne. 16. Artillerie - Brigade. Castres. Artillerie-Schule 3. Art.-Regt. Castres. 9. "? "! 3 Comp. Train d'Artillerie (Caſtres) Perpignan. Genie. 2 Comp. 2. Regts . Montpellier. (1 noch Médéah.) Train. 3. Comp. 4. u . 2. Regts . Lunel (1 noch Paris.) (Vom XVI. Corps ist zur Zeit nur die 62. Infanterie-Brigade detachirt , die indessen später aus der 15. Region zurückkehren soll.) Außerdem stehen in der 16. Region, ohne zum XVI. Armee- Corps zu gehören : 1. Regt. Artillerietrain. Perpignan. 2. Genie- Regiment. Montpellier.

XVII. Armee.Corps. Div. Gen. de Salignac-Fénelon. 17. Region : Arriège, Haute Toulouse. Garonne, Gers, Lot, Lot-et- Garonne, Tarn et-Garonne. - 8 Subdiviſionen : Cahors,

Agen, Montauban , Marmaude, Mirande, Foir, St. Gaudence, Toulouſe. 33. Infanterie- Diviſion. Gen. Micheler. Montauban. 65. Infanterie Brigade. (Agen) Lyon. 29. Jäger-Bat. (Caſtelsarrasin) Lyon. Depot: Montauban. 9. Linien Regt. (Agen) Lyon. Depot : Agen. 20. Linien-Regt. (Montauban) Lyon. Depot: Montauban. 66. Infanterie Brigade. (Cahors ) Lyon. 7. Linien-Regt. (Cahors) Lyon. 11. , " (Montauban) Lyon. 34. Infanterie- Diviſion. Gen. Lapaſſet. Toulose. 67. Infanterie-Brigade. Toulouse. 8. Jäger-Bat. Toulouſe. 59. Linien-Regt. Toulouse. 126. (Pamiers. Depot: " " Foir) Lyon. 68. Infanterie-Brigade. Auch. 88. Linien-Regt. (Auch. Depot : Wi rande) Lyon. 143. Linien-Regt. Toulouse. 17. Cavallerie -Brigade. Montauban. 14. Chasseur Regt. Auch. 11. Dragoner Regt. Montauban. 17. Artillerie - Brigade. Toulouse. Artillerie- Schule 18. Art. Regt. Toulouse. 23. " " 3 Comp. Art.-Train. Toulouſe, 1 in Perpignan. Genie. 2 Comp. 2. Regts. Montpellier. Montauban. 2 Train. 2 " 2.

(Vom XVII. Corps stehen in der Region: von der 67. u. 68. Infant.-Brig. je 1 Re giment; ferner die Cavallerie u. Artillerie. Die detachirten Truppen kehren später alle aus Lyon zurück. ) Außerdem stehen in der 17. Region, ohne zum XVII. Armee-Corps zu gehören: 2. Comp . der Artillerie - Handwerker. Toulouse . XVIII. Armee . Corps. Div. Gen. De Grimaudet de Noche bouet. Bordeaux. - 18. Region: Charente 3 Inférieure , Gironde , Landes, Baſſes-Pyrénées und Hautes -Pyrénées. 8 Subdivisionen : Saintes , Bordeaux,

Heerwesen Frankreichs .

Libourne, La Rochelle, Mont de Marsan, Bayonne, Pau, Tarbes. 35. Infanterie Division. Gen. Conseil Dumesnil. Bordeaux. 69. Infanterie Brigade. La Rochelle. 6. Linien-Regt. Rochefort. Depot: Saintes. 123. Linien-Regt. La Rochelle. 70. Infanterie-Brigade. Bordeaux . 57. Linien-Regt. Bordeaux. Depot : Libourne. 144. Linien-Regt. Bordeaux. 36. Infanterie- Division. Gen. Pourcet. Bayonne. 71. Infanterie-Brigade. (Mont de Marsan) Bayonne. 28. Jäger-Bat. Day. 34. Linien- Regt. (Mont - de - Marsan) Bayonne. 49. Linien-Regt. Bayonne. 72. Infanterie-Brigade. Pau. 18. Linien-Regt. Pau. 53. Bayonne. Depot: " " (Tarbes) Pau. 18. Cavallerie - Brigade. Libourne. 7. Husaren Regt. Bordeaux. 15. Dragoner-Regt. Libourne. 18. Artillerie - Brigade. Tarbes. Artillerie-Schule Larbes. 14. Art.-Regt. 24. " " 3 Comp. Train d'Art. Tarbes, 1 in Bayonne. Genie. 2 Comp. 2. Regts . Montpellier. 2. " Bordeaux. Train. 2 " (Das XVIII. Corps steht ganz in seiner Region.) Außerdem stehen in der 18. Region, ohne zum XVIII. Armee- Corps zu gehören : 2. Regt. Art.-Train. Bayonne. 5. Comp. Feuerwerker. Tarbes. 3. Remontereiter. "

XIX. Armee Corps. General-Gouvernement von Algerien. *) Div . Gen. Chanzy. — Algier. - (Pro vincen Algier, Oran, Conſtantine.) Division Algier. Gen. Wolff. -— Algier. 1. Zuaven Regt. Coléah. 4. " "! Algier.

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2. Bat. leichter Africanischer Infanterie. Boghar. 1. Comp. Fusiliers de discipline. Dr léansville. 2. Comp. Pionniers de discipline. Bou çâada. 1. Regt. Algierischer Tirailleurs. Blidah. 1. Regt. Chasseurs d'Afrique. Blidah. 1. Comp. Africanischer Remonte-Reiter. Blidha. 1. Regt. Spahis . Médéah. 1 Comp. Militairhandwerker. Mustapha.

Diviſion Constantine. Gen. Liébert. Constantine. 3. Zuaven Regt. Philippeville. 3. Bat. leicht. Afric. Infanterie. Biskra. 2. Comp. Fusiliers de discipline. Souk Ahras. 1. Compagnie Pionniers de discipline. (Guelma) Bougie. 3. Regt. Algier. Tirailleurs. Conſtantine. 3. Comp. African . Remontereiter. Con ſtantine. 3. Regt. Spahis . Batna. Oran. Diviſion Dran. Gen. Osmont. 2. Zuaven-Regt. Oran. 1. Bat. leicht. Afric. Infanterie. Sidi bel-Abbės. 3. Comp. Fusiliers de discipline. Tiaret. 2. Regt. Algierischer Tirailleurs . Mosta ganem.. Fremdenregiment . Mascara. 2. Regt. Chasseurs d'Afrique. Tlemcen. Mascara. 4. " " 2. Comp. Afric. Remontereiter. Mosta ganem. 2. Regt. Spahis . Sidi-bel-Abbès. 19. Artillerie - Brigade. Vincennes. Artillerie- Schule Vincennes. 12. Art -Regt. 13. " " 2. Comp. Art.- Train. Paris. 1. Husaren - Brigade. 1. Husaren Regt. Sétif. Orléanville. 11. " "! Train. 3 Comp. 4. Regts. Paris . Außerdem stehen in Algier: 3 Comp. Sapeurs du Genie. 12 Batterien Artill. (3 z . F., 3 montées, 6 Berg-)

*) Algieriſche Truppen. (Neue milit. Blätter, 1874. 5—6 . Hft. )

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Militairische Jahresberichte für 1874.

1 Comp. Pontonniers. Art.-Train. 2 " 12 " Train. 3 Sect. Adminiſtrations - Truppen. 3 " Krankenwärter. Was die Algierischen Angelegen heiten (affaires indigènes) betrifft, ſo um fassen diese dem Cadregeset zufolge die Arabischen Büreaus und die Kreis Commandos. Das Personal der ersteren besteht aus 5 Bataillons- oder Escadrons Chefs und 70 Hauptleuten , welche außer halb der Cadres stehen, und einer größeren Zahl von Offizieren, welche je nach Bedürf niß von den Truppentheilen detachirt wer den. Die Kreiscommandos sind lediglich mit abcommandirten Offizieren bejezt. Militair Gouvernement von Paris. Div. # Gen. de Ladmirault, Gou verneur. 1. Cavallerie - Division. Gen. Ameil. Versailles. 1. Dragoner-Brigade. Versailles . 7. Dragoner-Regt. Rocquencourt. 18. " Versailles . " 2. Cürassier Brigade. Paris . 2. Cürassier- Regt. } Paris . 8. " " 3. Cavallerie- Division. Gen. Bonne mains. Paris . 3. Chasseur-Brigade. Paris. 9. Chaffeur- Regt. Paris. 13. " 4. Cürassier-Brigade. Versailles .

4. Cüraſſier- Regt. } Verſailles. 9. "! " Ferner: 6. Comp. Remontereiter. Paris. 1. Genie Regt. Versailles. Regt. Sapeurs - Pompiers . Paris. 2. Train-Regt. Verſailles. 1. Comp. Art.-Handwerker. Vincennes. 2. " Feuerwerker. Le Bouchet. Uebersicht der Besakung von Paris. Infanterie. Gegenwärtig stehen in Paris: Vom II. Corps : 1 Regt. der 5. u. d. 6. Inf. Brigade.

Vom II. Corps : die 4. Infant.-Diviſion. " " " " 5. " III. "! " IV. " "! 7. " " " 8. "1 " " 9. " V. "1 " 19. Inf.-Brig. und ein Reg. d. 20. Brig. " 19. Inf. Division. " X. " " 40. Inf.-Brigade. " 21. Jnf.-Division. " XI. " " 43. Jnf.-Brigade. Später treten an Infanterie hinzu : Vom IX. Corps : Die 34. Jnf.-Brigade. " 46. "! " " XII. Dagegen tehren in die Regionen zurück: Vom II. Corps die 11, Brig. d. 3. Jnf.-Div. " 7. Inf. Division. " IV. " " 11/ 2Brig.d . 10. Jnf. -Div. " V. " X. " 19. Jnf.- Diviſion. " ! " ,, " 41. Jnf.-Brigade. " XI. " Es verbleiben mithin später als de finitive Garnison: Je 1 Division vom II., III., IV. V. Corps. Je 1 Brigade vom IX., X., XI. XII. Corps. Cavallerie. Jezige Garnison : 1. u. 3. Cavallerie-Diviſion. 5 Regimenter vom IV., X., XI. und XII. Corps. Definitive Garnison : 1. u. 3. Cavallerie-Diviſion. Artillerie. Jezige Garnison: Artillerie-Brigaden des III. und XIX. Corps. Je 1 Regt. von den Brigaden des IV. und V. Corps. Definitive Garnison: Artillerie-Brigaden des III. und XIX. Corps. Summe der späteren definitiven Garnison von Paris : 24 Regmtr. Infant. , 8 Regtr. Cavall., 4 Regtr. Artillerie. *)

*) Vergl. über Regionen und Armeecorps folgende Arbeiten: Emplacements territoriaux des forces militaires de la France. In - plano , I p. Paris, Impr. Plon et Cie. Création de 18 corps d'armée à l'intérieur. (Le Moniteur de l'armée, 1873. No. 54.) Nouvelle organisation de l'armée française ; tableau de 18 régions militaires entre

Heerwesen Frankreichs .

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II. Organisation der Territorial-Armee. Die Organisation der Territorialarmee ist noch in weitem Felde. Anfangs März 1874 befahl der Kriegsminister die Aufstellung von Listen seitens der Gemeinden, in welche alle diejenigen aufzunehmen seien, die den Altersklaffen 1855 bis 1866 angehörten, wobei jedoch von vornherein verlautete, daß man an keine Einziehung der Klassen von 1855 bis 1859 denke, diese vielmehr nur als Landsturm (Reserve der Territorial-Armee) notiren wolle. - Die Gesammt Die Ein ſumme der 12 Klaſſen veranschlagte man auf 1,800,000 Mann. schreibungsfrist wurde mit wiederholter Verlängerung bis zum 15. Mai er Das Resultat war ein nach den Gegenden sehr verschiedenes ; be sonders günstig fiel es in Paris aus . Hier ließen sich allein 211,363 Mann einschreiben,*) also ungefähr die Hälfte der Wähler. Stellte sich das gleiche Verhältniß in ganz Frankreich heraus, so würde die Territorial-Armee auf dem Papiere aus 42 Millionen Mann bestehn, da Frankreich über 9 Millionen ein geschriebene Wähler hat. ―― Thatsächlich stellt sich die Gesammtsumme bedeutend niedriger, wenn auch immerhin noch hoch genug, nämlich auf 2,400,000 Mann. Von diesen gehören 1,500,000 Mann der Territorial-Armee, 900,000 Mann der Reserve derselben an. - Von den 12 Millionen des ersten Bans haben 800,000 in der activen Armee oder in der Mobilgarde gedient, 700,000 sind ohne jede militairiſche Instruction oder Erfahrung.**) In der Provinz und auf dem Lande ist die Bildung der Territorial Armee höchst unpopulär , was sich besonders bei der im November 1874 vorgenommenen Revision der Einſchreibungen zeigte. In den verschiedensten Gegenden, so in Rougé (Loire-inférieure) in Chateaubriant, in Saint-Loup (Haute- Saône) in Annecy u. s. w. kam es zu Unruhen und Thätlichkeiten gegen die Behörden. Was die Formation der Territorial - Armee betrifft, so ordnet das Cadre gesetz für jede Subdivision die Errichtung eines Infanterie-Regimentes an. (Für die S.-D. Air deren 2) . Außerdem soll jede der 18 Regionen 1 Artillerie-Regiment, ― 1 Genie - Bataillon und 1 Train - Escadron aufstellen. Danach dürften sich folgende Truppentheile ergeben : 145 Infanterie-Regimenter zu 3 Bataillonen mit je 4 activen u. 1 Depôtcompag. 18 Artillerie-Regimenter "I 13 Batterien nebst Artill. -Train. 18 Genie-Bataillone "! 4 Compagnien, 3 Dep . - Comp . u. s. w. 18 Train-Escadrons " 4 Compagnien. Die Frage nach der Organisation der Cavallerie der Territorial Armee ist noch ganz offen. Vorschläge wie derjenige, den Nr. 44 des Bulletin de la réunion des officiers (31. Oct. 74. ) macht und der darauf hinaus läuft, jene Reiterei durch die größeren Grundbesitzer und die jeunesse dorée zu bilden, sind doch nur als Phantasien zu betrachten. Das Cadregeset beschränkt sich auf die Verfügung, daß in jeder Region Reitergeschwader aufgestellt werden sollen, deren Zahl sich nach dem Pferdeftande zu richten habe. lesquelles le territoire de la France est divisé. ( L'Avenir militaire , 1873. No. 159. ) Les régions des corps d'armée. (L'Avenir militaire, 1873. No. 161 ff.) Les 18 corps d'armée au point de vue géographique , statistique et militaire. (Bulletin de la réunion des officiers, 1873. No. 33.) Eine Stimme über die permanenten Garnisonen in Frankreich. (Milit. Wochenbl. 1874. Nr. 98.) *) „Pays" vom 25. October 1874. **) Ebd. 18 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Bildung der Territorialtruppen für das Algieriſche Armee- Corps scheint zunächſt noch nicht beabsichtigt zu ſein.*) Die ständige und besoldete Administration für die Landwehr um faßt : 1 Capitaine-Major , 1 Lieutenant , 1 Unteroffizier für jedes Infanterie Regiment, 1 Capitaine- Major, 1 Lieutenant und 2 Unteroffiziere für sämmt liche andere Truppentheile. ― Es ist schwer einzusehn , wie dies überaus schwache Personal Herr der Geschäfte werden soll. ―― Rekrutiren wird es sich aus activen oder ausgetretenen Offizieren von mehr als 29 Jahren und aus Armee-Unteroffizieren, welche 12 Jahr gedient haben. Es ist anzunehmen, daß nach Erlaß des Cadregesetzes die Organisation der Territorial - Armee mit Ernst gefördert werden wird. Schon jetzt sind be deutende Bestellungen von Ausrüstungsgegenständen erfolgt, bei denen allerdings zunächst nur ein Maximalſtand von 400,000 Mann in's Auge gefaßt sein ſoll.**) Was die Uebungen der Territorial- Armee betrifft , so können dieselben nicht wohl früher beginnen als bis die Cadres gebildet und für Ausrüstung und Bewaffnung Sorge getragen ist. Der bisher genannte Termin (Herbſt 1875) dürfte zu nahe gesteckt sein. Die Contingente sollen stets in Lägern oder Städten mit starken Garnisonen versammelt werden, und in keinem Fall soll die In struction einer Abtheilung an dem Orte stattfinden, woselbst sie rekrutirt ist. M. I.

Bericht über das neue Feftungsſyſtem und

das Heerweſen

der Niederlande.

Am 11. März 1874 wurde vom gesetzgebenden Körper in den Nieder landen ein Gesetz angenommen hinsichtlich der Organisation und Vervollkomm nung des Festungssystems. Demzufolge wird das neue Festungssystem um fassen: a. die neue Holländische Wasserlinie; b. die Stellung des Gelderländischen Thales mit der in der Nieder-Betuwe; c. die Stellung des Holländischen Diep und des Volkerak ; d . die Stellung an den Mündungen der Maas und des Haringvliet ; e . die Stellung des Helder ; f. die Werke zur Deckung der Flußübergänge und Aufnahme von Truppen an der Yssel, Waal und Maas ; g. die Stellung von Amsterdam; h. die im Süden liegende Wasserlinie von der Maas oberhalb St. Andries bis zu dem Amer unterhalb Geertruidenberg, und i. die Werke an der Schelde. *) ,,Avenir militaire" vom 1. Septbr. 1874. **) Vergl. übrigens : L'organisation de l'armée territoriale. No. 229.) und The French Territorial Army (Army and No. 773). - Rôle de l'armée territ. en temps de guerre No. 236) - De l'uniforme de l'armée territoriale. (Ebd. 1874

(L'Avenir milit. 1874. Navy Gazette. 1874. (L'Avenir milit . 1874. No. 280. )

Festungssystem und Heerwesen der Niederlande.

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Alle genannten Werke müssen innerhalb der Zeit von acht Jahren , mit dem Anfangstermin des 1. Januar 1875 , vollendet sein. Die für die Aus führung dieser Werke erforderliche Summe , ursprünglich auf dreißig Millionen Gulden N. C. geschätzt, wird jezt schon auf das Doppelte dieses Betrages ver anschlagt. a. Die neue Holländische Wasserlinie. Es giebt wenig Länder in Europa, welche eine so große natürliche Stärke, eine so tüchtige Vertheidigungs fähigkeit besigen, als die Niederlande, deren Boden größtentheils gebildet ist von dem Schlamm des Meeres und der großen Flüſſe, die in zahlreichen Ver zweigungen sich in's Meer ergießen. Zu jeder Zeit hat Holland bei seiner Ver theidigung in dem Wasser einen kräftigen Bundesgenossen gefunden. Die Ver theidigungsart der permanent verstärkten Terrains trägt einen eigenthümlichen Charakter. Wenn der Feind sich nähert , werden um die zur Vertheidigung geeigneten Gebiete breite Wassergürtel gezogen , indem das Wasser der Flüsse aufgeſtaut oder das Meerwasser durch Schleusen eingelassen wird. Die nach hinten gele genen Stellungen können dann nur erreicht werden auf den Wegen und Dämmen, welche sich über jene Inundationen erheben. Auf diesen schmalen Zugängen, meistentheils durch Erdwerke , Batterien oder Forts abgeschlossen , ist es dem Vertheidiger leicht , einem überlegenen Angreifer das Vordringen zu verwehren. Derjenige Theil der Niederlande , welcher die Provinzen Nord- und Süd holland , Zeeland und einen Theil der Provinz Utrecht bis an die Vechte um faßt , ist sowohl von Natur als auch durch Kunst ausgezeichnet zu einer hart näckigen Vertheidigung geeignet gemacht ; jener Theil wird beschützt von der Zuydersee, der Nordsee, den Zeeuwischen Strömen und dem „ Holländischen Diep" ; während derselbe an der Ostseite, in dem Raume zwischen dem Biesbosch und der Zuydersee sich an die Neue Holländische Wasserlinie anlehnt. Der Zweck dieser Linie ist , ein fortwährendes Terrainhinderniß zu bilden , um die actiren Streitkräfte in Stand zu setzen, den Zugang zu dem Innern des Landes, sogar einem überlegenen Feinde gegenüber, zu verhindern. Das Terrainhinderniß wird hauptsächlich durch Inundation einer Strecke Landes erhalten , welche sich von der Zuydersee bei Naarden und Muiden bis zu der Bakkerskil erstreckt die meist östlich gelegenen vielen Flußbetten und Fahrwaſſer (Killen), welche in dem Biesbosch gefunden werden wird also von der Lek und Waal in drei Theile getrennt. Da dieser Streifen Landes fast ausschließlich Thonboden und niedrige Moore enthält und obendrein noch von zahlreichen Gräben durchschnitten wird, so ist eine sehr geringe Bedeckung mit Wasser dort hinreichend, das Terrain unzugänglich zu machen. Die Inundation verliert sich an der Ostseite gegen höhere Gelände, während die Verbreitung des Waſſers über das niedrige Terrain westwärts durch Dämme verhütet werden muß . Der nördliche Theil , welcher zur Kriegszeit wahrscheinlich der wichtigste ist , erhält sein Wasser aus der Zuydersee und dem Lek , der mittlere Theil aus diesem Fluffe , der Linge und der Waal, der südliche aus der Maas und der Bakkerskil. Da das Terrain des nördlichen Theiles von Norden nach Süden sich beträchtlich erhebt , so ist die Inundation durch Inundationskaie in mehrere Becken eingetheilt. Die ver schiedenen Inundationsbassins , welche vom Feinde weder abzulassen noch zu durchwaten sind , können , selbst bei mittlerem Wasserstande , in einigen Tagen vollendet werden ; auch hat man ein Mittel ausfindig gemacht , die ausgedehnte Wasserfläche bei starkem Froste offen zu erhalten. Außerdem befindet sich die Linie, bei ihrer gegenwärtigen Einrichtung, vom ersten Tage der Kriegserklärung 18*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

in gutem Vertheidigungszustande, ſo daß auch anhaltende Trockenheit oder niedriger Wasserstand für die Vertheidigung nicht mehr überwiegende Schwierigkeiten dar bieten. Die verschiedenen Zugänge sind , in so weit es Noth that, verstärkt durch Forts , die, in gegenseitiger Verbindung angelegt , den neueren Anforderungen völlig entsprechen ; die Mehrzahl dieser Werke ist sturmfrei und reichlich mit gezogenen Mörsern von schwachem Caliber bewaffnet ; sie besitzen einen großen inneren Raum und geräumige bombenfreie Locale für das Unterkommen der Bejagung. Von Norden nach Süden liegen, in der zweiten Linie , an der Vechte, die Festung Muiden, die Forts Uitermeer, Weesp , Hinderdam , Nieuwer sluis u. s. w., dann die Forts im ersten Kreise um Utrecht herum , nämlich das Fort Voffegat und die Lunetten auf der „Houtenschen Fläche ", dann , an dem Vaartschen Rhein, Fort Jutphaas und das Werk bei Vreeswyk; südwärts von dem Lek, die Batterien längs des „ Zederikkanaal“ und die Festung Gorcum ( Go rinchem) . Mehr nach vorn , in erster Linie , liegen noch , nach angegebener Reihenfolge: die Festung Naarden, die Forts Kykuit, Spion, die Werke auf den „Voordorpschen und Ruigheckschen " Deichen , die Forts Blaauwkapel , Vechten, Rynauwen, Honswyk, Everdingen, Asperen und Buren. Die Zugänge zu dem jüd lichen Theile der Linie werden von der Festung Worcum (Woudrichem), dem Fort Altena mit zugehörigen Batterien und dem Fort an der Neuen Merwede beherrscht. b. Die Stellung im Gelderländischen Thale mit der in der Niederen Betuwe. Die Grift und die Eem ergießen sich in ein Thal, welches an der Oſtſeite von der Fortsetzung der Veluwschen , an der Weſtſeite von den Stichtschen Hügeln begrenzt wird. Diejenigen niedrigen Terrainstreifen , welche den Namen Geldrisches Thal tragen , nehmen im Süden ihren Anfang am Niederen Rhein bei dem Weiler die Grebbe, und gehen weiter nordwärts , längs den genannten Flüßchen bis an die Zuydersee bei Spakenburg . Diese Terrainsenkung ist benutzt zur Herstellung einer Vertheidigungslinie, deren Defenſivkraft wie bei den Niederländischen Linien erhöht werden kann durch das Hervorrufen einer Ueberschwemmung. Diese Linie , welche größten theils aus einer Brustwehr von Erde mit einem Canale von geringen Dimen fionen besteht, vor welchen hier und da Batterien oder Schanzen liegen, befindet sich in sehr zerrüttetem Zustande. In der Absicht, einer Umgehung im Süden vorzubeugen, ist die Linie dort verlängert , und eine verschanzte Linie angelegt von dem Specs am Niederen Rhein bis an das Dorf Ochten an der Waal. Die Stellung ist hierdurch in zwei Theile geschieden, nämlich : den Theil in der Niederen Betuwe, welcher durch die Linie Ochten - Spees gebildet wird und die eigentliche Grebbelinie, welche rom Nieder-Rhein bis an die Zuyderſee reicht. Bei dem niedrigen Terrain vor der Linie Ochten- Spees ist der Boden thonhaltig und nach starkem Regen fast unwegsam. Daſſelbe beſteht größtentheils aus Ackerland und Wiesengrund, mit einzelnen zerstreut liegenden Bauernhöfen ; nur unweit des Waaldeiches trifft man mehrere Häuſer und Gebüsche an. Die Gräben ziehen sich in einer ansteigenden Richtung auf die Linie hin, ſo daß sie einem Angreifer für seine Operationen hinderlich sind. Das Terrain rer der eigentlichen Grebbe - Linie, meistens moorig und sehr durchschnitten , wird dann und wann durch Hügel mit leichten Abhängen unterbrochen ; diese höheren Strecken sind stark angebaut und mit dichtem Gebüsch besetzt. Ungeachtet des zerrütteten Zustandes der Werke werden vorläufig auf diese Linie keine großen Summen verwendet werden, weil noch zu viel an den übrigen

Festungssystem und Heerwesen der Niederlande.

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Defensions-Linien zu verbessern ist , deren Vollendung dringlicher erscheint ; und ferner , weil der geringen Bedeutung der Grebbe- Stellung ungeachtet , der Ver theidiger innerhalb oder in der Nähe der Linie ausgezeichnete Stellungen findet, in denen seine Armee den Feind erwarten und ihm eine Schlacht liefern kann, in welcher der Angreifer von seiner Uebermacht keinen Nutzen zu ziehen vermag, da er größere Truppenmengen nicht wohl verwenden kann. Man behauptet, ein guter Heerführer, gleichviel ob die Yssel vertheidigt werde oder nicht, werde sich mit dem Holländischen Heere nicht sogleich hinter die Neue Holländische Linie zurückziehen, sondern erst seine Position vorwärts davon nach der Seite der Grebbelinie behaupten, dort den Feind erwarten, ihm eine Schlacht liefern und jemit Zeit gewinnen und den Muth der Armee beleben. Der Rückzug von dort nach der Neuen Holländischen Linie bleibt gesichert und ist nicht beschwerlich. c. Die Stellung an dem ,,Hollandsch Diep " und Volkerak. d. Die Stellung an den Mündungen der Maas und des Haring = vliet, und e. Die am Helder. Diese drei Positionen bilden die festen Theile im System der Küstenver theidigung. Ein Angriff von der Seeseite gehört für die Niederlande, welche, im Verhältniß ihrer Größe, eine sehr entwickelte Küstenlinie und sehr bedeutende Flußmündungen besitzen, zu den Wahrscheinlichkeiten. Bei einem solchen Angriff wird sich die Hauptmacht des Vertheidigers in der Provinz Holland aufstellen müssen, um eine Landung des Feindes an der Küste dieser Gebiete zu verhüten, injofern die Marine zur Verhinderung einer solchen nicht ausreichend sein sollte. Ist es in diesem Falle ausschließlich die Aufgabe der Armee, durch die Verthei= digung der Flußmündungen und überhaupt der Küstenbefestigungen dem Feinde gegenüber zu treten , so wird doch zwischen den Bejagungen der Küstenbefeſti gungen und den dort postirten Kriegsschiffen ein angemessenes Zuſammenwirken stattfinden müſſen. Auf diese Cooperation wird rücksichtlich der Vollendung der Küstenbefestigungen gerechnet. Nicht alle Seehäfen und Flußmündungen aber kommen bei der Vertheidigung des Landes in Betracht. Bei der Nothwendigkeit , auch an der Meerseite die Vertheidigung nicht weiter auszudehnen als durchaus erheischt wird, werden nur diejenigen Meerbusen zur Defenſion eingerichtet werden , welche den Zugang zu dem Innern des Landes vermitteln. Man wird sich demnach auf die Befeſti gung der Mündungen der Maas , des Haringvliet und des Volkerak, sowie ferner auf die der Stellung des "Helder" und die der Maas-Zugänge nach Amsterdam bejchränken. Man glaubt ſich zu der Hoffnung berechtigt, daß , wenn in dieſer Weise die Vertheidigung an der Seeseite auf das ſtrict Nothwendige beschränkt iſt, bei einer geeigneten Zuſammenwirkung zwischen See- und Landmacht und bei einer einsichtsvollen Anwendung der Sperrungen und Torpedo's es einem Feinde nicht leicht gelingen wird, mit einem Landungs -Corps die Niederländischen Provinzen zu erobern. Die Werke zur Vertheidigung der Maasmündungen und der Fahrwaſſer, welche zu dem Hollandsch Diep " Zutritt gewähren , stellen ein Ganzes dar. bilden Die beiden Maasmündungen - der Scheur und der Brielsche Diep wichtige Zugänge nach dem Innern des Landes . Nach der Vollendung des neuen Wasserweges von Rotterdam nach dem Meere hin und nachdem dieser Canal am Eingange durch zwei Forts gesperrt sein wird, wird der Scheur ab gedämmt werden. So lange diese Abdämmung noch nicht stattgefunden hat, kann dieſes Fahrwasser, auch ohne permanente Vertheidigungswerke, leicht mittels

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Sperrungen und Torpedos geschützt werden. Das „ Brielsche Diep “, welches nur für Fahrzeuge von sehr geringem Tiefgang schiffbar ist , wird durch die Festung ,,Brielle" mit der dabei gelegenen Hafenbatterie abgeſchloſſen. An dem Haringvliet , dem nördlichen Zugang zu dem „ Hollandsch Diep", hat man jetzt nur das Fort Hellevoetsluis. Zur beſſeren Vertheidigung dieſes wichtigen Fahrwaſſers wird südostwärts der genannten Festung, an den Hoornschen Hafendämmen , noch ein Werk angelegt werden. Wenn dieses Werk vollendet und gleichwie die Festung Hellevoetsluis ausreichend mit schwerem Küstengeschüt armirt sein wird und außerdem die erforderlichen Versperrungen und Torpedes angeordnet jein werden , ſo iſt , nach unſerem Dafürhalten , wenig Chance für einen Feind vorhanden, hier vorzudringen. Zwar könnte der Feind versuchen, nachdem er auf der Westküste der Insel Voorne gelandet ist, zwiſchen den Forts Brielle und Hellevoetsluis vorzudringen oder sich der letzteren zu bemächtigen und auf diese Weise den Zugang längs des Canals von Voorne zu gewinnen . Zu dem Zwecke, jeden derartigen Verjuch zu vereiteln , dient die Inundationsstellung im Lande von Voorne, für welche die beiden genannten Forts die Stützpunkte bilden, während sie außerdem von meh reren anderen Batterien geschützt wird. Der südliche Zugang zu dem „ Hollandſch Diep“, Volkerak, wird jezt durch die Forts Prinz Friedrich und de Ruyter vertheidigt. Die Feste Prinz Friedrich auf der Insel Overflakkee gehört zu der Position von Doltgensplaat und umfaßt eine Schanze mit drei Redouten , augenscheinlich in der Absicht , dem Angreifer, der auf dieser Insel festen Fuß gefaßt hat, die Einnahme des Forts Prinz Friedrich zu erschweren. Das Fort de Ruyter auf dem Nordbrabantischen Wall gehört zu den detachirten Forts der Feste Willemstad. Die Stellung Willemstad wird mit Recht als der Schlüssel der Vertheidigung des Landes betrachtet. Die Seefronten der Festung bestreichen im Verein mit dem an der gegenüberliegenden Seite , zu Numansdorf, zu erbauenden Fort, den eigentlichen Eingang des ,,Hollandsch Diep" , während die Landfronten die Enceinte für eine Reihe vor geschobener Forts bilden, welche einem Angreifer den Zugang von Süden her zu dem Hollandsch Diep" versperren sollen. Um eine Zeit lang Herr der neu erbauten Eisenbahnbrücke über dieſes Fahrwaſſer bleiben zu können, wird an dem Moerdyk ein ijolirt liegendes Fort angelegt werden. Die Flotille , welche in diesem Theile zu der Vertheidigung beizutragen hat , zählt 7 Monitors , ven denen 4 mit einer Ramme versehen sind , ferner 2 gepanzerte schwimmende Batterien und 12 Dampfkanonenboote . Im Norden des Landes sind die bedeutendsten Fahrwaſſer die Zugänge bei dem ,,Helder" und die längs der Flieströme. Während die Vertheidigung der letteren gänzlich der Mannschaft des schwimmenden Materials überlassen wird, welches hier 5 Rammschiffe , 4 Monitors und 8 Kanonenboote umfassen wird, liegen erstere vollſtändig unter dem bestreichenden Feuer der Küstenbatterien an dem Helder. Die Poſition an dem Helder wird auch an der Landſeite von einer Reihe detachirter Forts und einer Ueberschwemmung gedeckt. Dieser Stellung wird eine große Wichtigkeit beigelegt, weil man glaubt, dieſelbe ſei ſehr bedeutjam für die Vertheidigung der Hauptstadt des Reiches. Wenn nämlich ein feindliches Heer, nachdem es sich der Neuen Holländischen Linie bemächtigt hat , vor der Amsterdamer Linie gelagert ist , würde die Frage über die dauernde Erhaltung dieser Linie ſich wesentlich zu der Frage zuſpitzen, ob totale Einſchließung möglich sei. Jene Einschließung wird für unmöglich gehalten, so lange der Vertheidiger dessen Armee in jener Periode der Vertheidigung ungefähr 70,000 bis

Festungssystem und Heerwesen der Niederlande.

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80,000 Mann , Miliz und Bürgergarde, stark sein wird - hinter dem Canale von „Holland op zyn Smalſt“*) Stand halten, das Ueberschreiten dieſes Canals verhindern und somit jeden Versuch des Feindes , die Nordseite von Amsterdam zu erreichen, vereiteln kann. Hierbei ist vorausgesetzt, daß der Canal zur Ver theidigung eingerichtet ist. Sobald aber Helder in des Feindes Macht ist, könnte er von dort mit dem Landungscorps südwärts marſchiren, seiner Haupt armee die Hand reichen, das Niederländische Heer vertreiben und die Hauptstadt gänzlich einschließen. f. Die Werke zur Deckung der Flußübergänge und Aufnahme der Truppen an der Yssel , Waal und Maas. Je nach der Menge des Wasserzuflusses ist die Yssel ein großer Strom , ein kleiner Fluß oder zuweilen sogar ein nur an einigen Orten kaum durchwatbarer Bach. Ihre Länge beläuft sich von dem Kopfe bei Pannerden bis an ihre Ausmündung in's Meer an Kampen vorbei auf mehr als 22 Tagemärsche. Da die Gegend , durch welche dieser Fluß strömt , für einen Vertheidiger durchaus nicht günſtig ist , troydem ihn unter Anderem der Umstand begünstigt , daß häufig , wenigstens bis unweit von Zutphen, das linke Ufer erhabener ist, als das rechte, und letzteres beherrscht, so hat diese Terraintrennung keinen absoluten, sondern nur einen relativen Werth. Steht das Wasser der Yssel niedrig und ist dieselbe deshalb leicht zu durchwaten, ist die Zeit zur Kriegsvorbereitung nur von kurzer Dauer und ist der Angreifer sehr überlegen, so will man die Yssel nicht vertheidigen, sondern die Armee mehr vorwärts der Neuen Holländischen Wafferlinie Stellung nehmen lassen. Dagegen der will man die Affel vertheidigen, wenn - wie es häufig vorkommt Wasserstand hoch ist, so daß der Fluß den großen und schnellfließenden Strömen zugerechnet werden kann; ferner wenn das angreifende Heer nicht sehr überlegen ist , oder wenn geraume Zeit zur Vorbereitung disponibel war. Die Yssel ist man daher geneigt dergestalt einzurichten, daß man dieselbe eventualiter verthei digen könne , aber zu der Vertheidigung uicht gezwungen ist . Man will ihre Vertheidigung von den Umständen , von den Ansichten des Befehlshabers , von seiner Gewandtheit und Geschicklichkeit abhängig machen. An der Yssel verlangt man deswegen keine Festungen , die permanent besetzt und vertheidigt werden müssen , sondern nur feste Punkte , die man zeitweise, so lange dies opportun ist, besehen kann und die man gänzlich verläßt, sobald die Lage sich ändert. Die Yssel ist daher nicht als permanente Linie in das Befestigungsſyſtem aufgenommen worden. Im Zusammenhang damit wird die Verstärkung der „ Oberen Waal" sich jetzt auf die Erbauung von Sperrforts beschränken und zwar: eines Forts auf dem Hauptdamm bei Pannerden und dreier Forts bei Nymwegen, nämlich auf dem rechten Ufer: eins ober- und eins unterhalb des Dorfes Lent, und auf dem linken Ufer des Forts Krayenhoff. Außerdem werden noch Maßregeln unterhalb und bei Nymwegen in der Absicht getroffen werden, zeitweise im Besize der Eisenbahnbrücke zu bleiben , welche dort über die Waal zu erbauen ist. An der Yffel selbst werden die jetzigen Werke bei Doesborgh zur Aufnahme - Stellung für Truppen , die eventuell vor jenem Flusse auftreten sollen, eingerichtet, während die Hauptübergänge jenes Flusses durch die Anlage dreier Kuppelforts, nämlich: eins bei Zwolle, eins bei Zutphen und eins bei Westervoort gesperrt werden. Gleichwie die Stellung im Gelderschen Thale, sind diese Werke als Anner der neuen Holländischen Wasserlinie zu betrachten ; sie sollen nöthigenfalls lediglich dazu dienen , dem Angreifer für eine Weile die *) Der neue Wasserweg von Amſterdam nach der Nordsee.

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Benutzung der Brücken über die Hauptzugänge an der Ostseite zu verwehren, und dadurch seinen Aufmarsch und die Anfuhr von Belagerungsmaterialien ver zögern. Gleichwie nach dem angenommenen Gesetze die Yssel aufhört , permanente Vertheidigungslinie zu sein, so soll auch die heutige Position Groningen- Delfzyl aufgegeben und die Schleifung der Werke im Norden des Landes bewirkt werden. Nach der Ansicht Vieler ist hierdurch ein Befestigungssystem ins Leben gerufen, das keine Entwickelung der eigenen Kräfte nach außen gestattet. Dieſe Stimmen verlangen , daß wenigstens noch eine Poſition an der unteren Yſſel permanent Zwei befestigt werden müßte zur Ermöglichung eines offensiven Auftretens. Volksvertreter, die bei ihren Mitgliedern als geschickte militairische Specialitäten gelten, schlugen, um eine solche Stellung zu erlangen, ein Amendement zu dem Gesetze vor. Diese Stellung würde das Kampereiland und den Polder Maſten broeck umfassen und von der Zuydersee , der unteren Yssel bis Katerveer , der Wilhelmsfahrt und dem Schwarzen Wasser begrenzt werden. Sie würde ihrer Natur nach ziemlich stark sein und in ihrer Stärke durch Inundation beträchtlich erhöht werden können , so daß nur das hohe Terrain südlich und östlich ven Zwolle offen bliebe. Auf dieſem Terrain ſollten zwischen Yſſel und Vechte vor wärts und in großer Entfernung von Zwolle drei Forts gebaut werden, während kleinere Werke auf dem linken Yſſelufer und längs des Schwarzen Waſſers die Stellung vollenden sollten. Die Anlage der Position wurde durch folgende Gründe motivirt : 1 ) würde sie jetzt, da alle übrigen Befestigungen im Norden und Osten des Landes auf gegeben werden, wenigstens noch einen Zufluchtsort bilden , in welchem die Be wohner jener Gegenden mit ihrer fahrenden Habe Schutz finden könnten; 2 ) würde sie als Sammelplatz für die Bürgergarden jener Theile des Landes dienen, während sonst diese Communalgarden bei einem plötzlichen Angriff für die Ver theidigung verloren gehen könnten ; 3) würde man durch dieselbe festen Fuß in den östlichen Provinzen behalten und dadurch die Möglichkeit besigen , über die Bewegung des Feindes besser orientirt zu sein ; 4) würde man durch dieselbe den Feind verhindern , von diesem Theile der Küfte der Zuyderſee aus Unter nehmungen gegen die Küstenplätze von Nord -Holland und gegen den linken Flügel der Neuen Holländischen Linie zu organisiren , wozu die bei Zwolle zusammen laufenden Eisenbahnen, die Städte Zwolle, Kampen, Haſſelbund, Genemuiden und die Overysselschen und Drentischen Canäle sonst eine ausgezeichnete Gelegenheit darbieten; 5) würde sie ein angreifendes Heer, das sehr leicht ein kleines Corps sein könne, zwingen , sich zu theilen , da kein Feind , der nach der Neuen Hol ländischen Waſſerlinie zieht , dieſe Poſition bei Zwolle in seinem Rücken laſſen könne, ohne dieselbe an der Landseite einzuschließen ; 6) würde der Vertheidiger, so lange er der Zuydersee Herr bleibt, von dieser Poſition aus zu einem Angriff übergehen und also nicht nur eine rein passive , sondern auch eine active Ver theidigung führen können, wozu die mannigfachen Eisenbahn- und Straßenwege, welche aus der Stellung nach außen führen , gute Gelegenheit gewähren. Schließlich wurde zu Gunsten der Stellung angeführt , daß man auf die Hülfe ron Bundesgenossen rechnen müsse und den Einfluß, den der Besiß dieser Position auf die Friedensunterhandlungen ausüben könnte , nicht gering anschlagen dürfe. Das Amendement, vom Kriegsminiſter nicht unterstüßt , wurde verworfen. Dennoch nährt man die Hoffnung , jene Stellung früher oder später in's Be festigungs-System aufgenommen zu sehen. Aus diesem Grunde erschien es ge rechtfertigt, dieselbe hier zu erwähnen.

Festungssystem und Heerwesen der Niederlande.

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g. Die Stellung von Amsterdam. Durch das angenommene Gesetz ist vorläufig nur festgesetzt , daß eine Position von Amsterdam gebildet werden soll, was nach dem in jenem Gesetze dargelegten System gleichbedeutend ist mit : „ Amsterdam soll mit Inundationen umgeben und möglichst befestigt werden, um als letztes Reduit der Landesvertheidigung dienen zu können". Die Einzelnheiten der Ausführung werden erst bei der Berathung der Gesetzentwürfe bezüglich der Forderung der dazu erforderlichen Gelder zur Sprache kommen . Die Hauptprincipien , von denen man bei der Befestigung der Hauptſtadt des Reiches ausgehen zu wollen scheint, stützen sich auf Folgendes : Erstens will man das Centrum der Position , die Hauptstadt selbst , gegen Bombardement schützen. Demzufolge sollen an der Nordseite Monnichendam, Edam und Pur merend, sowie auch die volkreiche und wohlhabende Zaangegend in die Defenſions grenze hinein gezogen werden. Zweitens beabsichtigt man die Vertheidigung der Amsterdamer Stellung sich an diejenige von Holland op zyn Smalſt anschließen zu laſſen , ſo daß eine gänzliche Einſchließung zu Lande , weder nach einer ge lungenen Landung des Feindes in Nord -Holland, noch nach solcher Landung in Süd-Holland , stattfinden könne. Im Süden soll die Linie sich östlich an die Neue Holländische Wasserlinie anlehnen. Auf diese Weise werden die wahr= scheinlichen inneren Grenzen der Inundationen an denjenigen Theilen, welche sich nächst der Hauptstadt befinden, noch wenigstens zwei Stunden entfernt liegen. Innerhalb des Wasserkreises wird also die Stadt an der Landseite überall von nicht inundirtem Terrain umgeben bleiben , deſſen Oberfläche vermuthlich einige Tausend Morgen Landes enthalten wird. Das Terrain um die Hauptstadt herum liegt überall sehr niedrig und bietet einem angreifenden Feinde nirgendwo irgend welchen Anhaltspunkt zum Bau der Batterien, zur Herstellung von Deckungen u. s. w. Aus dieser Ursache ebenjo wohl wie wegen des Umfanges der Stellung wird eine ordentliche Belagerung oder sogar nur eine Einschließung für einen Angreifer mit großen Schwierig keiten verbunden sein. Gegen einen Angriff von der Zuydersee, der , wie man behauptet , wegen des Wasserstandes der Fahrwasser, welche den Zugang bilden, wohl nicht anders geschehen könne, als mit ungepanzertem Material oder mit gepanzertem Material höchstens nach dem Modell der Niederländischen Monitors , muß die Hauptstadt außer von den Küstenbefestigungen noch vertheidigt werden von einem Theile der Niederländischen Seemacht , welche aus 4 Monitors , von denen 2 mit einer Ramme verschen, 8 Dampfkanonenbooten und 3 schwimmenden Batterien besteht. Auch bezüglich der Annäherung von Amsterdam aus der Nordsee , ist man der Ansicht, daß selbst nach der Vollendung des Canals ,,von Holland op zyn Smalſt“, man wenig zu fürchten hat, weil der enge Hafenmund und der Canal , ver mittelst Torpedos und des Baues einiger Batterien, sehr leicht dergestalt zur Vertheidigung einzurichten sind , daß keine feindlichen Schiffe sich hinein wagen werden. Die jetzigen Werke und Forts, welche die Hauptstadt umgeben, und welche nach Vieler Ansicht einem angreifenden Feinde wenig Hoffnung geben , sich der Stadt Amsterdam zu bemächtigen, werden höchst wahrscheinlich später die zweite oder innere Defenſionslinie zu bilden berufen sein. h. Die Süder -Wasserlinie von der Maas oberhalb St. Andries bis zu dem Amer unterhalb Geertruidenberg. Außer der Inundation im Lande von Altena , welche zur Deckung des rechten Flügels der Neuen Hol ländischen Waſſerlinie dient, und also einen Theil derselben bildet, und derjenigen

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von Willemstad , glaubt man, daß im Süden des Landes, als permanente Linie, die Inundation sich nur zu erstrecken brauche von der Maas östlich von St. Andries bis Geertruidenberg. Diese Inundation soll den Zugang zu dem Lande von Altena und somit bis zu den füdlichen Ufern der Maas und Mer wede mit Loevestein, Worcum (Woudrichem) u. s . w., und ferner bis an die Kehle der Neuen Holländischen Wasserlinie und bis an den Bommelerwaard, der Insel, welche durch den Zusammenfluß der Maas und Waal gebildet wird, verhindern. Auch für die rückgängigen, sowie für die offensiven Bewegungen der Kriegs macht des Vertheidigers kann diese Stellung von großer Wichtigkeit werden, weil durch dieselbe nicht nur die Landstraße längs Geertruidenberg auf Gercum (Gorinchem) für ihn offen bleibt , sondern im Zuſammenhange damit ihm auch die durch Inundation gedeckten Wege südwärts der Merwede nach den militai rischen Brücken hin , welche zur Kriegszeit zu Worcum (Woudrichem) über die Maas und zu Loevestein über die Waal erbaut werden sollen und ausschließlich für diese Bewegungen bestimmt sind, zur Verfügung bleiben. Von dieser Ueber schwemmung, die Süder Wasserlinie genannt, bildet die Festung Geertruidenberg den rechten Stützpunkt. Die Werke zwischen dieser Festung und Heusden ſind hauptsächlich in der Absicht angelegt, dem Heere des Vertheidigers , welches in Nord-Brabant auftritt , auch den Rückzug längs der Hauptstraße von Tilburg nach Heusden zu sichern. Die Stellung von Heusden schließt sich an die Maas und an diesem Flusse liegen hier noch die Forts Crevecoeur und Neu St. Andries . Die zwei lettgenannten Werke müssen zugleich zum Schutze des Bommeler waard im Verein mit einem bei Bommel auf jedem der beiden Waalufer an zulegenden Brückendamm dienen. Der südliche Brückendamm sell zur Deckung des Rückzuges der Vertheidiger aus jenem Waard nach der Betuwe , der nörd liche dazu dienen , um den Angreifer , der bis in die Betuwe vorgedrungen iſt, zu verhindern, sich sofort des Bommelerwaard zu bemächtigen. An diesem Flusse werden die i. Werke an der Wester Schelde. Festung Neuzen und das Fort Ellewoutsdyk beibehalten. Die Gründe zur Er haltung dieser jetzt gänzlich iſolirt liegenden Festen im Südwesten des Reiches scheint man darin suchen zu müssen, daß jene Werke gewissermaßen eine Ver bindung von Antwerpen mit dem Meere und mit den Niederlanden bilden. Man scheint sich die Möglichkeit vorbehalten zu wollen, die Wester-Schelde wenn nicht offen zu halten, so doch zeitlich abschließen zu können. Neuzen be streicht dazu das füdliche, Ellewoutsdyk das nördliche Fahrwasser. Die Feſtung Neuzen ist, wenn nicht ein Knotenpunkt, so doch ein Endpunkt wichtiger Eiſen bahn-, Land- und Wasserwege und für die Durchfuhr und den Belgischen Handel vorzüglich im Winter, wo Antwerpen von der Meerseite weniger zugänglich wird -von Wichtigkeit. Die Zahl der activen Streitkräfte, welche zu der Besetzung aller besprochenen Linien erfordert wird, soll sich nach der Angabe der Niederländischen Regierung auf 50,000 Mann belaufen, wobei man für die Poſition von Amſterdam 10,000 Mann berechnet hat. Da diese Stellung ihre Besatzung aus derjenigen der verlassenen Linien bekommen soll , so ist man der Ansicht , daß man rücksichtlich der Be satzungstruppen sich vorläufig nur mit der Sorge für 40,000 Mann zu be schäftigen habe. Die Niederländische Feldarmee muß daneben auftreten können mit 36 Bataillonen Infanterie (1000 Mann per Bataillon) , 4 Regimentern Die erwünschte Cavallerie und 18 Batterien Feld- und reitender Artillerie. numerische Stärke will die Regierung sich durch die Einverleibung des 1 . ,,Bans "

Festungssystem und Heerwesen der Niederlande.

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der dienstthuenden Nationalgarden (der meistgeübten) in die Besaßungstruppen und zwar unmittelbar beim Ausbruche eines Krieges verschaffen und hierzu die Milizstärke um 7000 Mann vermehren. Außer der Annahme des neuen Festungs - Systems sind für die Niederlande die nachfolgenden militairisch wichtigen Thatsachen der neuesten Zeit zu ver zeichnen. Eine 12 cm. broncene Hinterladungskanone mit ſtählernem Liderungsringe ist angenommen worden und hat im Kriege gegen Atjeh große Dienſte geleistet. Das Geschütz soll in die Reserve der Festungen und Forts eingestellt werden. Seine Laffete erhält eine Lagerhöhe von 1,8 Meter , indem die bestehenden Laffeten mit einem festen Aufsatz versehen werden. Die neu zu fertigenden Lafſeten sollen nach einem jetzt vorliegenden Projecte mit beweglichen Aufsätzen auf die genannte Lagerhöhe gebracht werden. Ferner ist ein broncener 8 cm. Hinterlader mit stählernem Liderungsringe eingeführt worden, mit dem die Batterien der Feld- und reitenden Artillerie im Anfange des Jahres 1875 ausgerüstet werden sollen, nachdem bereits einige Exemplare zu ausgedehnten Prüfungen ( namentlich Fahrversuchen) denselben über geben waren. Die Verausgabung ist längere Zeit durch umfassende Versuche mit kupfernen Liderungsringen , die sich nicht bewährt haben , verzögert worden ; diese Versuche sollen aber , trotzdem stählerne Liderungsringe adoptirt worden, wieder aufgenommen werden, da man sich von der Anwendung kupferner Ringe Vortheile verspricht. Das Rohr liegt in einer Y Laffete ; für den Transport der Munition in dem Protkasten ist die Holzverpackung angenommen. Behufs Gewinnung eines den Ansprüchen entsprechenden Percussionszünders haben mehrfache Vergleichsversuche stattgefunden, bei denen der Preußische Per cussionszünder, der verbesserte Schweizerische Zünder ( Grüslie- Stahel) , der vom Artilleriecapitain J. C. Alting construirte Zünder und der vom Artilleriecapitain C. L. W. Moorees vorgelegte Zünder Parallelversuchen unterworfen wurden. Der lettgenannte Percussionszünder hat sich bei der Verwendung auf den 8cm. Granaten vortrefflich bewährt und daher die meiste Aussicht, definitiv angenommen zu werden. Für die 15 cm. Hinterlader ist eine Laffete nach dem Systeme Labrouſſe (Verschwindungs- oder Tauch- Laffete) verfertigt und hat bei den Prüfungen günſtige Ergebniſſe geliefert ; doch ist über ihre Einführung noch kein endgültiger Beschluß gefaßt worden. Die Röhre dieses Calibers , welche bisher gefertigt wurden, sollen in Zukunft durch stählerne Ringröhre ersetzt werden. Mit der 8 cm. Kanone sind Versuche gegen Panzerplatten von der Stärke derjenigen, welche auf den gepanzerten Flußschiffen vorkommen können, angestellt, doch sind diese Proben noch nicht zum Abschlusse gediehen. Ausgedehnte Versuche mit den Mitrailleusen von Wimborg-Palmcrantz, von Christophe- Montigny und von Gatling mit Gewehrläufen kleinen Calibers find zur Ausführung gekommen , in Folge deren der Mitrailleuse von Chriſtophe Montigny der Vorzug gegeben wurde. Die Einführung derselben ist jedoch noch nicht ausgesprochen. Ein Krankenwagen neuen Modells ist zur Annahme gelangt. Die Sorge für die lebenden Streitkräfte hat sich auf einige wenig belang= reiche Maßregeln beschränkt, hauptsächlich zu dem Zwecke, den fühlbaren Mangel an Freiwilligen und am Cadre zu vermindern. In dieser Absicht ist eine ge= ringe Erhöhung der Gehälter der Offiziere und des Tractaments der unteren Chargen, so wie eine bedeutende Vergrößerung der Prämie für die Capitulation

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Militairische Jahresberichte für 1874.

der nicht verheiratheten Militairs im Alter von 26 bis 34 Jahren eingetreten. Außerdem sind die Bedingungen für die Beförderung zum Corporal und Unter offizier für die in den Dienst tretenden jungen Leute von 18 bis 20 Jahren günstiger gestellt. Der Kriegsminister hält sich an das Votum der zweiten Kammer der Ge neralstaaten vom Jahre 1873 gebunden , durch welches die Einführung der all gemeinen persönlichen Wehrpflicht verworfen wurde ; es wird daher das den gesetzgebenden Kammern bald vorzulegende Milizgesetz sich darauf beschränken, eine Vermehrung des jährlichen Contingents, welches während der letzten Jahre 11,000 Mann betrug, zu fordern . Von der in 62 Blättern bestehenden topographischen Karte der Niederlande im Maßstabe von 1 : 50,000 , welche unausgesetzt nach den officiellen Angaben der Ingenieure des allgemeinen Dienstes und des Waſſerſtaats und nach den militairischen Recognofcirungen berichtigt wird, ist seitens des Kriegsminiſteriums eine billige Ausgabe für die Offiziere der Armee veranstaltet worden . Die Bearbeitung der Karte von Java und Madura ist mit der der Refi denzen Fagal- Jupara und Krawano fortgesetzt worden. Die Original zeichnungen werden im Maßſtabe von 1 : 20,000 gefertigt und auf den von 1 : 100,000 reducirt. Die Herstellung geschieht mittelst einer Combination von Aehung (Proceß Eckstein) , Stich und Typographie im Haag und erwarben sich die Karten auf der Wiener Weltausstellung das Epitheton "1 wunderbar schön " . Die Karte vom Wasserstaat , welche im Maßstabe von 1 : 50,000 auf Grundlage der topographischen Karte von Ingenieuren des Wasserstaates bearbeitet und im Farbendruck in der militairisch-topographischen Druckerei hergestellt wird, ist durch die Lieferungen Sneek (2 Blatt) , Leeuwarden (4 Blatt) und Hulst (2 Blatt) vermehrt worden. Herausgegeben wird sie ebenso wie die folgende vom Ministerium des Innern. Die Flußkarte, von Ingenieuren des Wasserstaates auf Grund von Trian gulationen und Nivellements längs den Flüssen bearbeitet, ist durch die 4 Blatt : Nymwegen , Leeuwen , Tiel und Schenkenschans vermehrt worden. Sie wird durch lithographischen Trockendruck hergestellt, damit die mathematische Genauigkeit nicht leide.. Die Umgegend des Kraton , welche den Hauptschauplatz der zweiten Expe dition gegen Atjeh bildet, ist von der Recognoscirungs - Brigade aufgenommen worden und wird die betreffende Karte im Haag in Farben vervielfältigt. Die Zeichnungen des Materials der Artillerie sind durch 6 Blatt über den bespannten 8 cm. Hinterlader vermehrt worden , welche durch Photographie und Actzung erzeugt sind . Ferner sind durch Typo-Autographie in Farben 3 Blatt Abbildungen des 8 cm. und 14 Blatt über die Belagerungsübung bei Graudenz hergestellt worden.

Bericht über das Heerwesen

Norwegens .

Im Jahre 1817 erhielt die gesammte Norwegische Armee eine neue Orga niſation, welche seitdem nicht durch eine andere vollſtändig ersetzt worden ist, wenn auch später zu verschiedenen Zeiten in den meisten Theilen der Heerordnung

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Heerwesen Norwegens.

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sehr wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden. Die gegenwärtige Orga niſation des Heeres, welche wahrscheinlich noch längere Zeit Bestand haben wird, schildern wir kurz in Nachstehendem: Die Norwegische Infanterie besteht aus 5 Brigaden und 1 Jägercorps . - Jede Brigade hat 4 Linienbataillone, von denen 4 Jäger- und die übrigen Musketierbataillone find. Irgend ein Unterschied, außer in der Uniform, zwischen diesen zwei Arten von Bataillonen findet durchaus nicht statt. Jede Brigade hat ferner einen Stab und ein aus zwei Compagnien beſtehendes Depot, welches aus Freiwilligen zuſammengesetzt und zur Ausbildung der Chargen , sowie zur Bestreitung des Garnisondienstes bestimmt ist. Jedes Bataillon hat 4 Com pagnien , welche aus der ausgehobenen Mannschaft bestehn und in der Regel nur während der kurzen Uebungszeiten zum Dienst präsent sind. Außerdem hat die Brigade 8 Landwehrdivisionen, von denen je zwei den Bataillonen beigegeben sind. Nur in einem Kriege innerhalb der Grenzen Norwegens treten diese Divisionen factisch in den Verband der Bataillone, welche dann 6 Compagnien stark werden. Das aus 2 Compagnien bestehende Depot zählt 16 Offiziere, 32 Unteroffiziere und 192 Mann. Jedes Bataillon zählt 23 Offiziere, 88 Un teroffiziere und ca. 360 Mann, welche die eigentliche Friedensstärke ausmachen ; auf dem Kriegsfuß haben die Bataillone eine Stärke von 750 Mann. Der größte Theil der Chargen ist im Frieden beurlaubt. Eine Landwehrdivision zählt 4 Offiziere , 22 Unteroffiziere und eine unbeſtimmte Anzahl Gemeine (die Hälfte der von den betreffenden Bataillonen zur Landwehr Uebergetretenen) ; nur ein sehr kleiner Theil der Chargen ist stets zum Dienst. Das Jägercorps be ſteht aus 6 Compagnien und zählt 27 Offiziere , 91 Unteroffiziere und 408 Mann als Friedensstärke. Im Kriege treten dazu noch die der 4. und 5. Altersklasse angehörigen Unteroffiziere und Gemeine. Das Corps dient als Ausbildungsschule für Unteroffiziere höherer Grade und zur Verrichtung des Gar nijondienstes in Christiania. Die Gesammtstärke der Norwegischen Infanterie würde auf dem Kriegsfuß in 21 Bataillonen etwa 16,000 Mann betragen. Die Cavallerie hat noch die alte Organisation von 1817. Sie besteht aus 1 Brigade von drei reitenden Jägercorps, welche ganz verschieden organiſirt sind. Das erste Corps hat eine geworbene und vier wehrpflichtige Escadrons , das zweite vier und das dritte zwei, sämmtlich wehrpflichtige Escadrons . Die geworbene Escadron, die zur Ausbildung der Chargen dienen soll, hat 4 Offiziere, 9 Unteroffiziere und 70 Gemeine , während die übrigen Escadrons 3 Offiziere, 8 Unteroffiziere und 100 Mann (worunter 11 Gefreite) zählen. Die Ge ſammtstärke der Norwegischen Cavallerie beträgt jonach etwa 1250 Mann. Die Artillerie wurde 1826 reorganisirt und besteht aus 5 Bataillonen mit zusammen 11 Batterien und 1 Feuerwerker- und Handwerker-Abtheilung. Die drei ersten Bataillone haben je 2 Batterien, das vierte hat deren drei, und das fünfte zwei Festungs- und Bergbatterien. Der größte Theil der Batterien ist fahrend, während einige derselben reitende sind. Jede Batterie zählt 8 Ge schütze. Die Friedensstärke der Batterien ist je nach den Garnisonorten ver schieden, und besteht aus 4 Offizieren, 5-6 Unteroffizieren , 5–8 Gefreiten und 20-40 geworbenen Artilleristen, wozu dann im Fall einer Mobilifirung noch 5-6 Unteroffiziere und 90 Artilleristen kommen . Ingenieurtruppen eristiren in Norwegen nicht ; es giebt nur 20 Jn genieuroffiziere und 8 " Bediente", welche zusammen die Ingenieurbrigade bilden und in 6 Detachements getheilt sind. Der Train besteht im Frieden aus 4 Depots, mit sehr geringer dienſt

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thuenden Mannſchaft. Zum Train gehören die Leute, die zum eigentlichen Kriegsdienst untauglich sind. Der Generalstab besteht (oder bestand vielmehr bis 1873) aus der Ab theilung für die Commandojachen des Heeres und der strategisch-kriegshistorischen und topographischen Abtheilung. Eine genau bestimmte Stärke hat der Ge neralstab nicht, sondern es richtet sich dieselbe nach dem vom Storthing in jedem Jahre zu diesem Behuf bewilligten Mitteln. Meistens verrichten 10-12 Offiziere Dienst im Generalstab. Die Kriegsstärke des Norwegischen Heeres, die außerhalb der Landes grenzen gebraucht werden darf, kann zu 18,000 Mann angeschlagen werden. In Norwegen herrscht in Folge des Wehrpflichtsgesetzes vom 12. Mai 1866 die allgemeine Wehrpflicht , wenn auch nur im Princip, denn nach der sehr nothdürftigen Rekrutenausbildung kann ein Jeder sich durch Erwerbung eines Stellvertreters für seine Dienstzeit in der Linie und Reſerve befreien ; dahin gegen muß ein Jeder den Dienst in der Landwehr persönlich ausführen, was soviel heißt, als daß jeder im wehrpflichtigen Alter stehende diensttüchtige Mann im Fall eines Krieges zum Dienst herangezogen werden kann. Die gesetzliche Dienst zeit beginnt in Norwegen mit dem vollendeten 22. Jahre und dauert im Ganzen 10 Jahre. In den ersten fünf Jahren gehören die Leute der Linie an und kommen dann für die Leiden nächsten Jahre in die Reserve. Für die Cavalleristen ist damit die ganze Dienstzeit beendet, die den übrigen Waffengattungen Ange hörigen stehen dann noch drei Jahre in der Landwehr. Sofort in die Reserve, aber für sieben Jahre , treten Diejenigen über, welche sich bei den jährlichen Aushebungen freiloosen; sie haben dann nur die kurzen Rekrutenübungen sowie eine spätere Waffenübung durchzumachen. Die Anzahl derjenigen, welche in die Linie treten sollen, wird jährlich festgesetzt und zwar nach Maßgabe des Bedarfs, der erforderlich ist, um die Linie in der gesetzlichen Stärke von 10,000 Mann zu erhalten. Wie oben bemerkt, wird der ganze Garnisondienst in der Regel durch Freiwillige (Angeworbene) bestritten ; sie werden auf 5 Jahre engagirt, jedoch werden sie gewöhnlich schon nach drei activen Dienſtjahren beurlaubt. Nach Ablauf der fünf Jahre sind sie gänzlich vom Militairdienst befreit, aus genommen in Kriegszeiten, in welchem Falle sie drei Jahre lang in der Land wehr dienen. Die Unteroffiziere werden in festangestellte und nicht feftangestellte getheilt. Beide Kategorien ergänzen sich aus den freiwillig eintretenden Gemeinen, welche Lust und Anlage zum Avanciren haben. Die nicht festangestellten Unteroffiziere werden bei den Brigadedepots ausgebildet, und zwar beziehentlich innerhalb 6 und 10 Wochen , je nachdem sie zu Corporalen oder Sergeanten ausgebildet werden sollen. Diejenigen jungen Leute, welche festangestellte Unteroffiziere zu werden wünschen, müssen sich als Gemeine anwerben lassen, worauf sie die Re krutenſchule durchmachen und sechs Monate hindurch Dienſt thun. Sie werden dann , wenn sie sich dazu eignen, zu Corporalen ernannt. Um den Grad eines Sergeanten zu erreichen , müssen die Corporale einen zweijährigen Curſus an einer Unteroffizierschule durchmachen. Diese Schulen befinden sich in Christiania, und zwar eine für jede der drei Waffen. Die Offiziere zerfallen ebenso wie die Unteroffiziere in zwei Klassen; in dessen giebt es nur bei der Infanterie nicht festangestellte Offiziere. Um diesen Grad zu erreichen, müſſen die Aspiranten einen viermonatlichen Curſus an der Instructionsschule in Christiania durchmachen ; um in derselben Aufnahme zu finden , müssen die Betreffenden entweder das Antrittsexamen zur Univerſität

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oder zur Kriegsschule bestanden haben oder sich einer besonderen Prüfung unter werfen. Nach bestandenem Abgangsexamen werden sie zu Secondelieutenants ernannt und müssen nun noch sechs Monate Dienst verrichten. Sie verpflichten sich für 5 Jahre zum Dienſt ohne Gehalt, werden aber im Frieden nur zu den jährlichen Waffenübungen einberufen. Die Ausbildung der festangestellten Offiziere findet auf der Königlichen Kriegsschule statt. Zur Aufnahme ist die Ablegung eines Examens erforderlich. Die Schule besteht aus zwei Abtheilungen, deren jede einen zweijährigen Cursus hat. Nach Bestehung des Abgangsexamens müssen die Aspiranten noch die Un teroffiziersgrade durchmachen und zwar je 15 Tage als Fourier, als Sergeant und als Commandirsergeant (Feldwebel). Dann erst werden sie zu Seconde lieutenants ernannt und verpflichten sich nun zu einem fünfjährigen Dienst. Diejenigen Offiziere, welche in die Artillerie, ins Ingenieurcorps oder in den Generalstab zu treten wünschen, müssen die Königliche Militairhochschule durch machen; dieselbe besteht aus zwei Abtheilungen, einer untersten mit einjährigem , und einer oberſten mit zweijährigem Cursus . Während zweier Sommermonate ist die Schule geſchloſſen, und es nehmen die Zöglinge in dieser Zeit an prak tijchen Uebungen Theil. Um in den Generalstab zu gelangen, müſſen die Aſpiranten nach Ablegung des Hochschuleramens zwei Jahre bei den Waffen, die ihnen noch fremd waren, und dann ein Jahr beim Generalstab selber Dienst thun. Ein regelmäßiger Wechsel im Dienst beim Generalstab und in den verschiedenen Waffen findet für die Generalstabsoffiziere nicht statt, sondern es hängt ein solcher Uebertritt in jedem Fall von besonderen Umständen ab. Was die Entlassung aus dem Kriegsdienst betrifft, so kann kein Offizier bis zum Regimentschef ohne seinen Willen verabschiedet werden, es sei denn in Folge eines kriegsgerichtlichen Urtheils , das beim höchsten Gericht appellirt werden kann. Die höheren Offiziere können ohne Weiteres entlassen werden. Bestimmte Geſetze für Pensionirung bestehen nicht , sondern der Storthing (Reichstag) sett in jedem einzelnen Fall die Pension fest. In der Regel be trägt dieselbe (ohne Rücksicht auf die Dauer der zurückgelegten Dienstzeit) 2/3 des zuletzt bezogenen Gehalts ; hatte der Betreffende sich während seiner militairischen Laufbahn besondere Verdienste erworben , so wird ihm auch wohl seine volle Gage als Pension eingeräumt ; wohingegen dem Betreffenden, wenn man Grund zu Mißvergnügen über ihn hatte, nur die Hälfte der Gage bewilligt zu werden pflegt. Unteroffiziere welche 20-24 Jahre gedient haben, sind zu Pensionen berechtigt. Unteroffiziere welche 6 Jahre lang Garniſondienſt verrichtet haben oder über haupt 12 Jahre lang im Dienst standen, haben Aussicht zur Anstellung in gewissen Civilposten. Unteroffiziere und Gemeine, welche im Dienste eine andauernde Beſchädigung erlitten haben, erhalten eine Pension aus der Kriegshospitalkaſſe. Was die Remontirung für die Cavallerie und Artillerie betrifft , ſo werden die zu diesen Waffen gehörigen Pferde in Stamm- und Districtpferde eingetheilt. Die Zahl der ersteren, welche immer im Dienst sind, ist ganz un gemein Klein; es hat nämlich die Cavallerie deren nur 80 , die sich sämmtlich bei der geworbenen Escadron befinden, und die Artillerie hat gar nur 24 Stamm pferde. An Districtpferden hat jede Escadron 118 (die Cavallerie im Ganzen alje 1180) und die Artillerie deren im Ganzen 1007.

Diese Pferde werden

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von den sogenannten Cavalleriedeputationen angekauft, dann für die Cavallerie in 60, für die Artillerie in 30 Tagen zugeritten und darauf in gewiſſen Land districten bei Landleuten in Verpflegung gegeben. Die Offiziere erhalten kein Dienstpferd , sondern nur eine Ration ; da diese sehr knapp bemessen ist, werden von den Offizieren nur im äußersten Nothfall wirklich Pferde gehalten, und die Armeeverwaltung sieht hier durch die Finger , ja sie verschafft den Offizieren, wenn sie Pferde gebrauchen sollen, solche leihweise. Die Bewaffnung der Norwegischen Infanterie bildet das Remingtonge wehr mit Säbelbajonet. Dieses Gewehr ist mit dem Schwedischen identisch, weicht aber sowohl in der inneren Einrichtung , als auch im Caliber von dem Dänischen ab. Die Cavallerie führt außer dem Säbel den Carabiner und die Revolverpistole ; mit ersterem sind die Gefreiten und Gemeinen, mit letzterer die Offiziere, Unteroffiziere und Spielleute ausgerüstet. Die fahrenden und reitenden Batterien der Norwegischen Artillerie haben gußeiserne Vorderlader von 22 zölligem Caliber ; die beiden Bergbatterien haben dreizöllige Geschütze gleicher Construction, die berittene Mannschaft der Artillerie ist mit der Revolverpistole versehen. Eine Eigenthümlichkeit in der Ausrüstung der Norwegischen Infanterie bes steht darin, daß sie mit Schutzzelten versehen ist. Die Verpflegung der Norwegischen Soldaten ist im Allgemeinen ziemlich karg bemessen, wenn auch in letzterer Zeit nicht unerhebliche Soldzulagen ſo wohl den Gemeinen als auch den Chargen zugestanden worden sind. Casernen sind in Norwegen fast gar nicht vorhanden und der größte Theil des Militairs ist daher bei den Einwohnern untergebracht; bei den Truppenübungen werden theils Barackenlager, theils Biwaks bezogen , oder es werden die Truppen end lich in den benachbarten Dörfern und Gütern einquartiert. Eigenthümlich ist es, daß ein großer Theil der Bataillons- und Compagniechefs der sogenannten nationalen Truppentheile, (deren Mannschaft nicht aus Freiwilligen besteht) ein kleines Landgut zur Nutnießung hat. Eine gemeinschaftliche Menage findet bei den Norwegischen Truppen in letzterer Zeit stets bei den Truppenübungen ſtatt, zu welchem Behuf Naturalverpflegung geliefert wird. Die Ausbildung der Norwegischen Soldaten findet durch Rekruten- und spätere jährliche Waffenübungen statt. Die Rekrutenzeit dauert für die In fanterie und die Festungsartillerie 42, für die übrige Artillerie und Cavallerie 90 Tage, nach welcher Zeit die ausgehobenen Mannschaften wieder beurlaubt werden. Jedes Jahr findet eine vierundzwanzigtägige Waffenübung mit der ge sammten zur Linie gehörigen (in den fünf ersten Dienstjahren stehenden) Mann schaften statt. In der Regel knüpfen sich daran größere Manöver, zu welchem Behuf eine oder mehrere Brigaden zusammengezogen werden. Diese Manöver dauern 8 bis höchstens 14 Tage und werden die erwähnten Waffenübungen dem entsprechend verkürzt.

Von Veränderungen in der Organisation und Administration der Nor wegischen Armee, welche in den letzten vier Jahren durchgeführt wären, iſt faſt durchaus Nichts zu verzeichnen. Die einzige in dieſem Zeitraum vorgenommene Reform von einiger Bedeutung ist die Reorganisation des Generalstabs im Jahre 1872. Nach der neuen Ordnung soll das Personal deſſelben im Frieden bestehen aus : 1 Chef (General oder Oberst), 4 Oberstlieutenants, 6 Capitains,

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Heerwesen Norwegens.

6 Adjoints (Premierlieutenants oder Capitains) und 5 Stabsfergeanten (Fahnen junkern). Im Kriege soll das Personal den Bedürfnissen entsprechend vermehrt werden ; jede Brigade soll dann vom Generalstabe einen Stabschef und einen Adjutanten und jede Division einen Stabschef und 2-3 Adjutanten haben. Der Generalstab zerfällt in zwei Abtheilungen, nämlich in die General quartiermeister- und die Topographische Abtheilung; in der ersteren befin den sich : 1 Oberstlieutenant, 2 Capitains, 2 Adjoints, 3—4 Aſpiranten und 1 Stabsjergeant, in der letzteren: 1 Oberstlieutenant, 2 Capitains, 2 Adjoints, 1-2 Aſpiranten und 2 Stabsfergeanten. Außerdem sind beim Armeecommando angestellt: 2 Oberstlieutenants als Chefs der Expeditionsabtheilungen, 1 Capitain, 2 Adjoints, 2 Aspiranten und 2 Stabsfergeanten; und endlich ist der Direction der Militairhochschule ein Capitain beigegeben, welcher als Inspectionsoffizier an derselben und zugleich als Büreauchef beim Director fungirt. Die General stabsoffiziere werden in den Brigaden, aus denen sie in den Stab versetzt wur den, überzählig geführt. Zu Oberstlieutenants werden vorzugsweise solche Offi ziere ernannt, die früher im Generalstabe gedient haben; jedoch müssen sie wenigstens 1 Jahr eine Unterabtheilung (Compagnie , Escadron 2c. ) geführt haben. Die Capitains dürfen nur 6 Jahre im Generalstab Dienst thun; in der topographischen Abtheilung jedoch 8 Jahre. Zu Capitains können frühere Adjoints ernannt werden , wenn sie vorher eine praktische Prüfung zufrieden stellend durchgemacht haben. Die Adjoints werden auf 4-6 Jahre zum Dienst im Stabe beordert und müssen vorher Generalſtabsaſpiranten gewesen sein. Jährlich werden zwei Generalstabsaspiranten angenommen. Dieselben müſſen das Generalstabsexamen an der Militairhochschule bestanden , sowie dann bei irgend einem Truppentheil ein Jahr Offizierdienst gethan haben , auch eine Empfehlung ihres Brigadechefs beibringen. Die Aspiranten machen beim Stabe einen vierjährigen Cursus durch ; in den beiden ersten Jahren nehmen sie an den Sommerübungen der Waffengattungen Theil, bei denen sie bisher noch nicht gedient hatten; im letzten Jahre betheiligen sie sich an den topographischen Messungen. Zum Behuf der praktischen Generalstabsprobe, welche die Adjoints abzulegen haben , werden diesen drei Aufgaben gegeben, deren Lösung von einer speciellen Commission beurtheilt wird. Jährlich soll eine Generalstabsübung ab gehalten werden, wozu das Storthing die erforderlichen Mittel ( 1500-2000 Pr. Th.) jedes Mal bewilligen muß. Jm März 1872 wurde beim Storthing von der Regierung ein Geſetzvor schlag eingebracht , welcher die Stellvertretung und die Reserve aufzuheben be zweckte. Die Dienstzeit sollte wie bisher 10 Jahre dauern, die erste Ausbildung der Infanteristen und Festungsartilleristen sollte statt in 42, in 60 Tagen ge schehen, während die Ausbildung der übrigen Waffengattungen, wie früher, in 90 Tagen stattfinden sollte. Dieser Vorschlag ist bis jetzt nicht angenommen worden . Im Jahre 1874 wurde die Gesammtzahl der geworbenen (freiwilligen) In fanteristen von 1550 auf 1380 Mann herabgesetzt, wofür die Zahl der festan gestellten Sergeanten auf 240 erhöht wurde.

v . S.

Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Bericht über das Heerwesen Desterreich - Ungarns.

Militairische Chronik des Jahres 1874. In den Beginn des Jahres 1874 flangen noch die letzten Accorde eines erhebenden Nationalfestes hinüber, das die Völker Desterreich-Ungarns zur Jubel feier der fünfundzwanzigjährigen Thronbesteigung Sr. Majestät des Kaiſers und Königs Franz Josef I. am 2. December 1873 vereinigt hatte. Schwere und harte Kämpfe - die Feldzüge in der Lombardei und in Venetien 1848 , 1849, 1859 und 1866, die Insurrectionskämpfe in Ungarn 1848 und 1849, die De cupation der Donaufürstenthümer 1854 und 1855 , der Feldzug in Schleswig Holstein 1864, der Krieg gegen Preußen 1866 und der Aufstand in Süd Falmatien 1869 - füllen die Regierung des Monarchen aus. Den mächtigen Empfindungen, welche an diesem Gedenktage die Armee bewegten , gab bei der Vorstellung der Deputation des Heeres und der Flotte der erste und höchste Offizier der Monarchie , der Feldmarschall Erzherzog Albrecht , der Leu von Novara , der Sieger von Custozza , in einer ergreifenden Ansprache an Seine Majestät beredten Ausdruck. Um den Mitgliedern der k. k. Armee und Flette, die an den kriegerischen Ereignissen dieser Epoche betheiligt waren , ein Erinne rungszeichen zu gewähren , stiftete der Allerhöchste Kriegsherr bei dieser Feier die Kriegsmedaille. Dieselbe gelangte in den ersten Monaten des Jahres 1874 zur allgemeinen Vertheilung. Das bedeutendste Ereigniß im abgelaufenen Jahre 1874 bildete der Wechsel im Reichs-Kriegsministerium. Mittels Allerhöchsten Handschreibens d. d. Schön brunn , 14. Juni, wurde der bisherige Reichs - Kriegsminister Feldzeugmeister Franz Freiherr von Kuhn in Gnaden seiner Stellung enthoben und als com mandirender General nach Graz versetzt. An seine Stelle trat der Statthalter von Böhmen und Commandirende in Prag , General der Cavallerie , Alerander Freiherr von Koller. In Verbindung hiermit stand die gleichzeitige Veränderung in der Leitung des Generalstabes. Dessen bisheriger Leiter , Feldmarschalllieutenant Jesef Gallina, wurde als Truppen- Divisions-Commandant nach Lemberg versetzt, und der Commandirende in Graz , Feldzeugmeister Franz Freiherr von John , zum „ Chef" des Generalstabes ernannt. Von den übrigen Veränderungen, welche dieser Personen- und Systemwechsel in den höheren Kreisen im Gefolge hatte, ist die Ernennung des Generalmajors Stransky von Dresdenberg zum Vorstande des Präsidialbüreaus und des Generalmajors Baron Catty zum Stellvertreter des Chefs des Generalstabes hervorzuheben. Kuhn und Gallina schieden aus dem Amte , nach einer mehr als sechs jährigen Wirksamkeit , mit allen Zeichen Kaiserlicher Huld und Gnade. Das gesammte Heerwesen der Monarchie wurde unter der Aegide dieser Männer auf neue Grundlagen gestellt. Neben dem stehenden Heere wurde anläßlich der Ein führung der allgemeinen Wehrpflicht eine Landwehr (Honvéd), in Tirol und in Ungarn überdieß der Landsturm in's Leben gerufen. Bei der Begründung des

Heerwesen Desterreich- Ungarns .

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Wehrsystems war die schwierige Aufgabe zu bewältigen , der dualiſtiſchen Neu gestaltung des Habsburger Völkerreiches Rechnung zu tragen, ohne die eine stramme Einheit in der Gliederung und Verwaltung der Armee erheijchenden militairischen Interessen zu verletzen. ― Die Militairgrenze , eine noch aus den Zeiten drohender Türkengefahren in die Gegenwart hineinragende überlebte In stitution, wurde aufgelöst und das bisher unter der Militairverwaltung gestandene Gebiet Ungarn und Croatien einverleibt. Den Truppen, den höheren Comman den und Stäben, sowie den militairischen Behörden und Anstalten wurde eine neue Organisation gegeben und die Offiziercorps der einzelnen Waffengattungen und Branchen in eigenen Concretualſtänden vereinigt. Die Verwaltung und das Rechnungswesen wurden vereinfacht und erleichtert, die Gebühren theilweise er= so weit dies eben von den haushaltenden Delegationen zu erlangen war höht, das Militairbildungswesen — in den Anstalten wie bei der Truppe reformirt, neue Reglements für alle Waffengattungen verfaßt, die Vorbedingungen einer raschen Mobilifirung geschaffen und auch die Bewaffnung der Fußtruppen und der Reiterei , die Bekleidung und Ausrüstung ergänzt und vervollkommnet, endlich das Sanitätswesen in einer , die gesteigerten Ansprüche der Wiſſenſchaft berücksichtigenden Art geregelt. Kein Zweig des Heerwesens blieb unberührt von den Wirkungen des Umbildungsprozesses. Bei der Großartigkeit eines solchen Reconstructionswerkes war aber der Bruch mit so manchen, der Armee theueren Ueberlieferungen und Anschauungen, die Verletzung mehrseitiger Interessen , und in einigen Dingen selbst auch eine Ueberstürzung und ein unvermittelter Uebergang zu Neuerungen von zweifelhaftem Werthe nur schwer zu vermeiden. Die unselbstständige Stellung des General stabes, der lediglich als Hülfsorgan des Ministeriums fungiren konnte; eine Be förderungsvorschrift , welche vielleicht zu hohen Werth auf theoretisches Wissen legte und in dieser Richtung so überaus strenge Forderungen für ein außertour liches Avancement in die höheren Chargen stellte, daß ältere Hauptleute (Ritt meister) und Stabsoffiziere, die ihre vollen Kräfte dem Dienste widmeten, auf eine raschere Beförderung verzichten und sich durch Jüngere in einer Weise über gehen lassen mußten, die das militair-hierarchische Verhältniß mit der Zeit förm lich zu verschieben drohte; die allgemeine Stockung im Avancement, namentlich in jenem der Infanterie und der Jäger, zwar nur eine Folge der Auflösung der Grenzregimenter, des Marine-Infanterieregiments und der Reduction der Gens darmerie, die aber um so empfindlicher wurde, als durch die Beförderungsver schrift im Wege der Prüfungen es so Manchem geglückt war, unverhältnißmäßig rasch Carrière zu machen; eine neue Richtung des Militairbildungswesens , die in dem Streben , den humanistischen und philosophischen Disciplinen Rechnung zu tragen, theils eine Ueberbürdung der Zöglinge, theils aber auch eine Beſchrän kung der rein fachlichen Gegenstände im Gefolge hatte; das Alles drängte in seinem Zusammenwirken zu einem theilweisen Wechsel der leitenden Gesichts punkte, durch den wohl auch die Personalveränderungen in den höchsten Armee kreisen bedingt sein mochten. In wiefern diese, erst vor Kurzem stattgefundenen Veränderungen jetzt schon die Einrichtungen des Heeres beeinflußten, wird in den folgenden Capiteln erörtert werden. Hier bleibt nur das Eine noch zu erwähnen, daß bei dem ersten halbjährigen Avancement unter dem Regime Keller - am 1. November - die Infanterie, welche wie vorhin schon angedeutet — unter sehr ungünstigen Beförderungsverhältnissen litt, in einer Weise bedacht erschien, die nicht ohne Einfluß auf Geist und Stimmung dieser Waffe blieb und die Hoffnung auf eine beffere Zukunft in ihr wachrufen mußte. 19*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

In den Monat September fiel ein Ereigniß , das zwar an und für sich ein Triumph wissenschaftlichen Forschens und Strebens ist , das aber insofern auch unmittelbar die Armee berührte, als Glieder derselben hierbei eine hervorragende Rolle gespielt haben: es ist dies die Rückkehr der Oesterreichisch - Unga rischen Nordpol - Expedition. Dieselbe war am 14. Juli 1872 mit dem aus Privatmitteln ausgerüsteten Schiffe „ Tegetthoff" aus dem Hafen von Tromsöe abgesegelt. Linienschiffs - Lieutenant Carl Weyprecht , ein Zögling der . . Marine- Akademie, und Ober - Lieutenant Julius Payer des Tiroler Jäger Regiments , commandirt im Geographischen Institute, ein Zögling der Wiener Neustädter Militair - Akademie , waren die Leiter der Expedition ; zwei Marine Offiziere , ein Honvéd - Regimentsarzt und eine größere Anzahl Mitglieder der Kriegs- und Handelsmarine waren deren Theilnehmer. Nachdem schon seit mehr als zwei Jahren alle Nachrichten über das Schicksal der Expedition ausgeblieben waren und mancherlei Besorgnisse um sich griffen, traf am 4. September 1874 aus Vardöe an der Nordküste Norwegens die telegraphische Nachricht von der durch Russische Fischer bewirkten Rettung der gesammten Bemannung ein. Am 25. September hielten die muthigen Männer ihren Einzug in Wien . Zu den großen Manövern im Herbste 1874 wurden - mit Ausnahme der Garnijonen in Dalmatien und im Militaircommando Linz die Truppen der verschiedenen Territorialbezirke vereinigt. Das Uebungslager in Bruck a. 2. hatten theils die Truppen der Garnijon Wien, theils die zunächst befindlichen Truppen des Ungarischen Generalates — im Vereine mit Abtheilungen der beiden Landwehren ― vom Monate Mai bis September bezogen. Den Reigen der Schlußmanöver , denen Se. Maj . der Kaiser und der Feldmarschall Erzherzog Albrecht beiwohnten , eröffnete das Cavallerielager bei Totis in Ungarn; die großen Uebungen der daselbst vereinigten zwei Cavallerie - Diviſionen dauerten vom 25. August bis 5. September. - Vom 9. bis 12. September fanden bei Brandeis in Böhmen die Kaisermanöver der im Generalate Prag dislocirten Truppen in der Stärke von zwei Armeccorps statt; am 15. und 16. September folgten die Schlußmanöver in Bruck a. L. Unmittelbar von da begab sich Se. Majestät zu den großzen Waffenübungen der Königlich Ungarischen Landwehr bei Bicske-Alcjuth, von hier wieder nach Arad in Süd-Ungarn und endlich zurück nach Budapeſt zu den Schlußmanörern der daselbst concentrirten drei Diviſionen.

Die Todten des Jahres 1874. Vom Activstande: Feldmarschall - Lieutenant Ludwig Baron Piret de Bihain, Truppen-Divisions- und Militair- Commandant von Kaschau, verunglückte bei einem Sturze aus dem Wagen, als die Pferde bei der Rückkehr vom Früh jahrs -Wettrennen in Budapest plötzlich scheu wurden. Die Armee verlor in Piret einen General von ausgezeichneten Eigenschaften und seltener Energie. Von den übrigen Offizieren , die durch ein frühes Ende den Reihen des Heeres entrissen wurden, mögen noch genannt werden: der Oberst - Brigadier zu Budweis , Conrad Suppanzigh Edler von Haberkorn , der Generalmajor und Playcommandant von Budapeſt Josef Ritter von Anzenberger ; die Neustädter Akademie verlor zwei ihrer hervorragendsten Lehrkräfte : den Major Franz Putschner von Ehrenstreben, Professor der höheren Mathematik und der prak

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tischen Meßkunst , und den Major Theodor Andres , Professor der höheren Geodäsie und Astronomie , Beide im schönsten Mannesalter und tief betrauert von ihren dankbaren Schülern , ihren Cameraden und den zurückgebliebenen Familien. Vom Ruhestande: Der General der Cavallerie Ludwig Freiherr von Gablenz . Der Name Gablenz geht der Geschichte an und die dankbare und stolze Erinnerung an dessen Träger wird fortleben, so lange Soldatenherzen unter dem Desterreichischen Waffenrocke pochen. Am 19. Juli 1814 zu Jena geboren, in der Ritter-Akademie (Cadettencorps ) zu Dresden herangebildet, trat er 1831 in Sächsische und zwei Jahre später in Desterreichische Dienste. Hier diente er in der Infanterie , Cavallerie und im Generalstabe. Im Jahre 1848 kämpfte er in Italien und im nächsten Jahre fungirte er als Generalstabschef des aus Galizien über die Karpathen nach Ungarn eingerückten Schlick'schen Corps . Hier bewährte er seine Talente und seinen kühnen Offensivsinn auf das Glänzendste und begründete damit seine Carrière. Für das siegreiche Treffen bei Kaſchau am 4. Januar 1849 ward ihm die höchste militairische Auszeichnung zu Theil: das Ritterkreuz des Maria-Theresienordens . Im Jahre 1854 bereits zum Ge neralmajor und Brigadier avancirt, stand er bei der Occupationsarmee in Jaſſy ; 1859 kämpfte er abermals mit Bravour bei Magenta , Solferino und Volta. Im Jahre 1863 als Feldmarschall - Lieutenant zum Commandanten des in die Elbherzogthümer bestimmten Oesterreichischen Armeecorps ernannt , erkämpfte er sich in dem siegreichen Gefechte von Deverjee das Commandeurkreuz des Theresien ordens. Zwei Jahre später führte er bei Trautenau die Fahnen Oesterreichs abermals zum Siege. Nach der Schlacht bei Königgräß — am 4. Juli 1866 – traf ihn die Sendung in das Hauptquartier des Königs von Preußen zu Horciß, um über einen Waffenstillstand zu unterhandeln. Am 10. Juli erſchien er zum zweiten Male im Preußischen Hauptquartier zu Zwittau mit derselben Aufgabe, die aber wieder ungelöst blieb. - Nach dem Friedensschlusse kam Gablenz als commandirender General nach Agram in Croatien, und 1869 nachdem er ein Jahr vorher zum General der Cavallerie ernannt worden in gleicher Eigen schaft nach Budapest ; 1871 zog er sich aus dem activen Dienste zurück und lebte fortan in Wien. Ende Januar 1874 fuhr er nach Zürich, wo er in einer Stunde des Trübfinnes Hand an sich legte. Zerrüttete Vermögensverhältniſſe dürften ihm die Pistole in die Faust gedrückt haben ; die wirthschaftliche Kata strophe des Jahres 1873, welche so viele Familien in's Elend und Verderben stürzte, zog auch diesen Mann, der eine so hervorragende Rolle in der Zeit geschichte gespielt , in ihren verhängnißvollen Bannkreis. Er hinterließ eine Wittwe, eine geborene Baronin Eskeles, und zwei trauernde Söhne. - Baron Gablenz war eine kräftige, echte Soldatennatur, eine ideale militairische Erschei= nung. Ein geborener Führer, beherrschte er die Maſſen durch sein imponirendes Auftreten , und durch sein flammendes Wort am entscheidenden Ort riß er die Truppe zum Enthusiasmus und zu Thaten fort. Der Zauber seines Wesens war bestrickend ; er überzeugte den Gebildeten und die Masse wußte er zu ge= winnen und zu begeistern, wie kaum ein Anderer ! Von den Opfern , die der Tod forderte , mögen noch genannt werden : der durch seine Thätigkeit als vormaliger Vorstand des Präsidialbureau im Reichs Kriegsministerium bekannte Generalmajor Heinrich Schrott von Rohrberg , Feld marschall - Lieutenant Adolf Baron Schiller und Generalmajor Franz Sachse von Rothenburg .

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Wehrpflicht

Ergänzung

Affentirung

Entlassung.

Die im Jahre 1868 in's Leben gerufenen Wehrgesetze , welche die allge meine Wehrpflicht zum obersten Principe erheben, bilden die Grundlage der Ergänzung des Heeres ; auf den Wehrgesehen beruht die Organiſation des Heeres , deren Reform das letzte Lustrum ausfüllte und zu Ende des Jahres 1874 nahezu ihren Abschluß gefunden hat. Mit gerechter Genugthuung kann Oesterreich auf das Geſchaffene zurück blicken und soll in dem Nachfolgenden ein , wenn auch gedrängtes , doch über sichtliches Bild des mit Ende des Jahres 1873 thatsächlich Bestehenden ge= geben werden. Die gesammten Streitkräfte Desterreich -Ungarns. Die bewaffnete Macht gliedert sich : I. in das stehende Heer und in die Kriegs-Marine, II. in die Landwehr, III. in die Ersatz-Reserve, IV. in den Landſturm (in den Ländern der Ungarischen Krone , in Tirol und Vorarlberg). Den obersten Befehl über die bewaffnete Macht der Gesammt - Menarchie führt Seine Majestät der Kaiser und König. Das stehende Heer und die Kriegs - Marine zur Vertheidigung der Gesammt-Monarchie gegen äußere Feinde und zur Aufrechthaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern bestimmt ist in jeder Beziehung dem Reichs-Kriegs miniſterium und beziehungsweise der Marine- Section deſſelben untergeordnet. Die Landwehr ist im Kriege zur Unterstützung des stehenden Heeres und zur inneren Vertheidigung, im Frieden ausnahmsweise auch zur Aufrechthaltung der inneren Ordnung und Sicherheit bestimmt. Die Landwehr steht im Frieden in administrativer Beziehung unter dem Landesvertheidigungs -Minister, in militairischer Beziehung unter dem Landwehr Ober-Commandanten ; im Kriege in adminiſtrativer Beziehung unter dem Lan desvertheidigungs-Minister, in militairischer Hinsicht unter dem von Se. Majestät bezeichneten Feldherrn. Ueber den Stand, die Ausbildung, Disciplin, Ausrüftung und Dislocation der Landwehr ist der Reichs -Kriegsminister in steter Kenntniß. Die Ersatz-Reserve dient als Ersatz für die während eines Krieges im stehenden Heere (Kriegs-Marine) auf die festgesetzte Kriegsstärke sich ergebenden Abgänge. Der Landsturm . Dessen Aufruf und Organisirung geschieht auf Befehl des Kaisers und Königs Seitens des Landesvertheidigungs- Ministers in jenem Maße und in so weit, als das Land durch einen feindlichen Einfall unmittelbar bedroht ist. Der Landsturm ist daher bestimmt zur Unterstützung des stehenden Heeres und der Landwehr in der Abwehr des Feindes , wenn er in das Land einzudringen verſucht , und in der Bekämpfung deſſelben , wenn er bereits einge drungen ist. Die thatsächliche Verwendung des Landſturmes erfolgt durch den von Se. Majestät bezeichneten Militairbefehlshaber.

Das Wehrfyftem . I.

Die Wehrpflicht.

Die Wehrpflicht ist eine allgemeine und umfaßt die Pflicht zum Dienſte im stehenden Heere, in der Kriegs- Marine , Ersatz - Reserve und Landwehr , und muß von jedem wehrfähigen Staatsbürger persönlich erfüllt werden .

Heerwesen Desterreich- Ungarns.

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Von der Erfüllung der Wehrpflicht gänzlich befreit sind nur jene Wehr pflichtigen , welche mit zum Kriegsdienste für immer untauglich machenden Gebrechen be haftet sind ; die Befreiten haben ſodann eine ihrem Vermögen entsprechende Militair-Taxe für die Militair-Invalidenverſorgung zu entrichten. Wehrpflichtige, die zwar nicht zum eigentlichen Kriegsdienste , wohl aber zu sonstigen Dienstleistungen für Kriegszwecke , welche ihrem bürgerlichen Berufe entsprechen , geeignet ſind, können im Kriegsfalle zu solchen herangezogen werden. Zeitlich befreit von der Wehrpflicht ſind : 1 ) der einzige Sohn eines erwerbsunfähigen Vaters oder einer verwittweten Mutter (in Ungarn in Ermangelung eines Sohnes auch der einzige Eidam). 2) Nach dem Tode des Vaters der einzige Enkel eines erwerbsunfähigen Großvaters oder einer verwittweten Großmutter, wenn sie keinen Sohn haben. 3) Ein Bruder ganz verwaiſter Geschwister. Es hat jedoch nur derjenige einzige Sohn , Enkel , Eidam oder Bruder auf die Be freiung Anspruch , welcher ein ehelicher und leiblicher ist , wenn von dessen Befreiung die Erhaltung seiner Eltern, Großeltern oder Geschwister abhängt und er diese Verbindlichkeit erfüllt. Einem unehelichen Sohne kommt die gleiche Befreiung zu , wenn von ihm die Er haltung seiner unehelichen Mutter abhängt und er diese Verbindlichkeit erfüllt. Unter derselben Voraussetzung wird gleich einem einzigen Sohne , Enkel oder Bruder auch Derjenige behandelt, deſſen einziger Bruder oder übrige Brüder: a. in der Linien- oder Reserve- Dienſtverpflichtung stehen, b. jünger als 18 Jahre, oder c. wegen unheilbarer, geistiger oder körperlicher Gebrechen zu jedem Erwerbe unfähig find. Die zeitliche Befreiung besteht jedoch nur in so lange , als die vorangeführten Be freiungstitel in Rechtskraft bestehen und der zeitlich Befreite die Bedingungen erfüllt. Wehrfähigkeit. Zum Eintritte in das stehende Heer und die Kriegs Marine wird gefordert: 1) Die Staatsbürgerschaft in einer der beiden Reichshälften, oder in Ungarn das Recht der bleibenden Niederlaſſung. 2) Die nöthige geistige und körperliche Eignung , bei einer Körpergröße von mindestens 59 Zollen. Die für das Heer nothwendigen Profeſſioniſten, Matrosen, Schiffshandwerker werden ohne Rücksicht auf ihr Maß auf genommen. 3) Ein Alter von wenigstens 17 und von höchstens 36 Jahren. Die Stellungspflicht, d. h. die Pflicht zum Eintritte in das stehende Heer, Ersatzreserve oder Landwehr beginnt mit 1. Januar des Calenderjahres, in welchem der Wehrpflichtige das 20. Lebensjahr erreicht und endet mit 31. December desjenigen Jahres, in welchem er 22 Jahre alt wird. Wer seiner Stellungspflicht aus irgend einem Grunde nicht nachgekommen ist, bleibt bis zum vollendeten 36. Lebensjahre zur Nachholung dieses Verjäum nisses verpflichtet. Wer aus der 1. oder 2. Altersklasse in die Ersatzreserve eingetheilt wird, ist dennoch in der 2. oder 3. Altersklasse stellungspflichtig , kann eventuell in das stehende Heer eingetheilt werden . Eingewanderte, welche in einem Alter, in welchem sie als wehrpflichtig an zusehen sind, das Staatsbürgerrecht in einer der beiden Reichshälften erwarben, haben nach ihrem Lebensalter jene Art der Wehrpflicht zu leisten, welche nach dem Wehrgesetze jedem Staatsbürger zu leisten obliegt , ohne Rücksicht , ob und welche Militairdienste sie etwa in ihrem vormaligen Heimathſtaate geleistet haben. Die Gesammtdienstpflicht dauert zwölf Jahre und zwar drei Jahre in der Linie, sieben Jahre in der Reserve, zwei Jahre in der Landwehr.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Dauer der Dienstpflicht in der Landwehr ist jedoch verschieden , je nachdem der Wehrpflichtige nach vollstreckter Dienstzeit aus dem stehenden Heere, beziehungsweise aus der Ersatzreserve dahin versezt , oder bei der Aſſentirung unmittelbar in die Landwehr eingereiht worden ist. Sie dauert zwei Jahre für Diejenigen, welche nach vollstreckter Dienstzeit im stehenden Heere oder aus der Ersaß - Reserve in die Landwehr versetzt wurden und zwölf Jahre für die unmittelbar in die Landwehr eingereihten Wehr pflichtigen. Die im organischen Verbande der Kriegs - Marine Dienenden sind von der Landwehrpflicht enthoben. Die in den Stand der Ersatz - Reserve bleibend eingetheilten Wehr pflichtigen sind bis zum vollendeten 30. Lebensjahre für den Dienst im stehen den Heere gewidmet , werden sodann wie früher erwähnt - mit einer zweijährigen Dienstpflicht in die Landwehr eingereiht. Ausgenommen von dieser 3jährigen Linien-, 7jährigen Reſerve-, 2jährigen Land wehr Dienstpflicht sind: 1) Ausländer und die sogenannten Desterreichisch-Ungarischen Unterthanen de facto in der Türkei , welche in der Levante geboren und keinem inländiſchen Gemeinde Verbande angehören. 2) Die in den Stand der Ersatz- Reserve bleibend eingetheilten Wehrpflichtigen — wenn sie freiwillig in das stehende Heer oder in die Kriegs Marine eintreten. 3) Inländer, welche nach vollstreckter Dienstpflicht im ſtehenden Heere , in der Kriegs- Marine oder Landwehr freiwillig wieder eintreten. Die in 1, 2, 3 Bezeichneten sind nur zu einer 3jährigen Dienstzeit verpflichtet. 4) Einjährig-Freiwillige, welche innerhalb der Gesammt Dienstzeit von 10 Jahren nur zu einem einjährigen Linien-Dienſte verpflichtet ſind. 5) Stellungsflüchtige, Selbstbeschädiger, welche mit einer Linien-Dienstzeit-Verlängerung von 1-2 Jahren eingereiht werden. Assentjahrgang. Alle vom 1. Januar bis 31. December eines Jahres geborenen jungen Männer bilden zusammen eine Altersklasse , welche nach dem Geburtsjahre bezeichnet wird. Präsenzdienstpflicht. Alle in das stehende Heer Eingereihten sind während der ihnen obliegenden Liniendienstzeit zum ununterbrochenen Präsenz dienste oder , wenn sie aus Standesrücksichten etwa vor deren Beendigung be urlaubt wurden, verpflichtet, dem Rufe der Militair-Behörde zum activen Dienſte jederzeit zu folgen. Ausgenommen sind : 1) Die Candidaten des geistlichen Standes jeder gesetzlich anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft, auch für die Dauer des Krieges. 2) Die Lehramts -Candidaten. 3) Die Eigenthümer von ererbten Landwirthschaften. 4) Offiziere, welche als solche mindestens ein Jahr activ gedient haben, insofern sie auf ihr Ansuchen gegen Einstellung der ſtändigen Gebühren in die Reserve versezt werden. Jedem, Freiwillige Fortsetzung der activen Dienstleistung. welcher die gesetzliche Dienstzeit im stehenden Heere oder bei den activen Land wehrstämmen activ vollendet hat, und dessen Beibehaltung für den Dienst vor theilhaft erscheint, wird gestattet, an Stelle des Uebertrittes in die Reserve und über die Dauer der Reservepflicht hinaus , die active Dienstleistung von Jahr zu Jahr freiwillig fortzusehen. Die Unteroffiziere erhalten nach den Chargengraden verschieden bemessene, halbmonatlich ausbezahlte Zulagebeträge. Unteroffiziere , welche 12 Jahre darunter wenigstens 8 Jahre als Unteroffizier - im stehenden Heere oder activen Landwehr präsent gedient haben , erlangen bei guter Conduite den An

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spruch auf die Verleihung von Anstellungen im öffentlichen Dienste oder bei den vom Staate subventionirten Eisenbahn-, Dampfschiff- und anderen Unter nehmungen. Reserve-Dienstpflicht. Nach beendeter 3jähriger Linien- Dienstpflicht findet alljährig mit Ende December die Versetzung in die Reserve statt. Die Reserve kann theilweise oder ganz nur auf Allerhöchsten Befehl zur Ergänzung des ſtehenden Heeres und der Kriegs - Marine auf den Kriegsstand einberufen werden. Die Reserve - Mannschaft ist während ihrer Reservepflicht zu 3 Waffen übungen in der jedesmaligen Dauer von längstens 4 Wochen verpflichtet. Jede Einberufung zur activen Dienstleistung gilt für eine Uebung. Die Waffenübungen der Landwehr sind durch das Landwehrgesetz geregelt. Controls - Versammlungen. Für die zur Waffenübung nicht einbe rufenen Reserve- und Landwehrmänner findet jährlich nach der Ernte die Con trols - Versammlung , für die Reserve- und Landwehr- Gagisten (Offiziere, Militair- Geistliche) der Haupt-Rapport statt , welche nicht mehr als einen Tag in Anspruch nehmen dürfen. Alle im Auslande abwesenden Offiziere und die Mannschaft der Reserve und Landwehr haben die Verpflichtung, sobald sie im Wege der Oeffent lichkeit Kenntniß erlangt haben müssen , daß die Monarchie von einem Kriege nahe bedroht und die Einberufung der Reserve und Landwehr erfolgt ist , un rerweilt in die Heimath zurückzukehren und sich zur Verfügung zu stellen, ohne die specielle Einberufung abzuwarten. Gerichtsbarkeit. Die Urlauber - Reserve- und nicht activen Landwehr - Offiziere und Mannschaften stehen in allen ihren bürgerlichen Ver hältnissen , sowie in allen straf- und policeilichen Angelegenheiten unter den Eirilgerichten und Behörden. Die in activer Dienstleistung Stehenden unterliegen den militairischen Straf- und Disciplinargesehen; hinsichtlich ihrer bürgerlichen, mit dem militairischen Dienste nicht in Beziehung stehenden Ver hältniſſen ſtehen sie jedoch unter den bürgerlichen Gesetzen und Behörden . Die Dienstzeit zählt : für die innerhalb der regelmäßigen Stellungs periode und bis zum 1. October im Wege der Nachstellung assentirten Wehr pflichtigen vom 1. October des Stellungsjahres, für die außerhalb dieser Periode Eingereihten und die Freiwilligen vom Tage der Afsentirung , für die aus den Militair-Bildungs-Anstalten Austretenden vom Tage des Austrittes . Die Einreihung begreift die Instandnahme des assentirten Rekruten und bezeichnet den Zeitpunkt, von welchem die Dienstpflicht des Rekruten be ginnt. - Als regelmäßiger Einreihungstag ist der 1. October feſtgeſetzt. In der Dienstesverhältniß der uneingereihten Rekruten. Intercalar-Zeit von der Stellungsperiode bis zu der mit 1. October erfolgenden ―――― sind die Einreihung während welcher die Rekruten uneingereiht sind selben für den Dienst im Heere und in der Landwehr nicht verfügbar und bleiben in ihren bürgerlichen Verhältnissen. Versetzung in die Reserve und Landwehr. Die regelmäßige Versehung aus der Linie in die Reserve und aus der Reserve in die Landwehr nach Ablauf der drei-, beziehungsweise zehnjährigen oder strafweise verlängerten Dienstzeit erfolgt mit 31. December jeden Jahres. Die Reserve-Versetzung der Einjährig-Freiwilligen erfolgt mit dem 30. Sep tember jeden Jahres ; die Offiziere , welche im Frieden die Versetzung in die

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Reserve oder Landwehr anstreben , treten mit dem Tage der Einstellung ihrer Gebühren in dies Verhältniß . Im Kriegsfalle wird die Versetzung in die Reserve und Landwehr auf geschoben und wird der Zeitpunkt des Eintritts derselben von Sr. Maj. dem Kaiser befenders bestimmt. Ablegung der Offizierscharge. Jeder Offizier , gegen welchen weder eine straf- noch ehrengerichtliche Untersuchung anhängig ist , kann seine Charge freiwillig aufgeben , jedoch wird er hierdurch von der Erfüllung der ihm gejez lich noch obliegenden Dienst- und Wehrpflicht ebenso wenig befreit, als der jenige Offizier , welcher im straf- oder ehrengerichtlichen Wege seiner Charge entkleidet wird. Die im Verbande des stehenden Heeres oder Landwehr stehenden Beamten des Staates , der Allerhöchsten Privat- , Familien- und Aritical Fondsgüter , die Beamten der öffentlichen Fonds , der Landes- und Bezirks Vertretungen und der mit der politischen Verwaltung betrauten Gemeinden, ferner die Angestellten im Post- , Telegraphen- und Eisenbahndienste , ferner Professoren und Lehrer können , unter festgesetzten Bedingungen, im Falle eines Krieges in der zur Handhabung des Verwaltungsdienstes und zum Unterrichte unentbehrlichen Anzahl mit Bewilligung des Kaiſers in ihren Anſtellungen be lassen werden. II. Ergänzung der bewaffneten Macht. a. An Mannschaft. I. Das stehende Heer. Stärke. Die zur gemeinsamen Vertheidigung der Gesammt - Monarchie erforderliche Kriegsstärke ist für die Zeit von 1868-1878 auf 800,000 Mann festgestellt. Die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder stellen hierzu 470,368 Mann, die Länder der Ungarischen Krone 329,632 Mann. *) Zum stehenden Heere gehören alle Wehrpflichtigen , welche in der Linien oder Reservedienstpflicht stehen. Ergänzung . Das stehende Heer ergänzt sich: 1 ) Durch die Einreihung der Zöglinge aus den Militair-Bildungs- Anſtalten; 2) durch den freiwilligen Eintritt ; 3) durch die Stellung von Amtswegen; 4) durch die regelmäßige Stellung; 5) im Kriegsfalle durch Einreihung der zur Ersaßreserve Vorgemerkten, welche das 30. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. 1. Die Einreihung der Zöglinge aus den Militair -Bildungs Anstalten. Der in einer Militair - Bildungs - Anstalt herangebildete Zögling hat für jedes auf einem ganz freien Militair- oder auf einem Stiftungsplate zugebrachte oder auch nur begonnene Jahr ein Jahr und für jedes auf einem Halbfreien Militairplatze zugebrachte oder begonnene Jahr ein halbes Jahr über die dreijährige Linien- Dienstpflicht präſent zu dienen, wobei in keinem Falle das Maximum der Präsenzdienstdauer von 10, beziehungsweise 7 Jahren überschritten werden darf. 2. Der freiwillige Eintritt und der dreijährige freiwillige Liniendienst. Freiwillig kann jeder Inländer , welcher den Bedingungen der *) Dieses Contingent kann vor Ablauf des Jahres 1878 nur dann in Frage kommen, wenn der Kaiser die Vermehrung oder Verminderung für nothwendig erachten ſollte.

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Wehrfähigkeit entspricht und sich im Vollgenusse der bürgerlichen Rechte be findet , auf die gesetzliche Dienstzeit zu einer zur Aufnahme von Freiwilligen berechtigten Truppe oder Heeres - Anstalt des ſtehenden Heeres nach eigener Wahl eintreten ; die Aufnahmbewilligung ertheilt der Truppen-Commandant. Die Wehr pflichtigen, die nach ihrer Altersklaſſe zur regelmäßigen Stellung bereits berufen find, können während der Stellungsperiode nicht freiwillig eintreten. Der freiwillige Eintritt als Cadet. Zur Aufnahme der unmittelbar aus dem Civil als Cadetten in das Heer eintretenden Inländer sind die Truppen körper ermächtigt. Nach der sodann bei dem General- Commando nachzujuchen den Bewilligung zur Ablegung der Cadettenprüfung erfolgt , wenn der Aspirant den wissenschaftlichen Anforderungen und den allgemeinen Bedingungen der Wehr fähigkeit entsprochen hat , vom Reichs- Kriegsministerium die Ernennung zum Cadetten. Ausländer , welche in das stehende Heer einzutreten wünschen , haben ihre Auf nahmsgesuche unmittelbar an das Reichs -Kriegsministerium zur Einholung der Aller höchsten Bewilligung Sr. Majeſtät des Kaiſers einzusenden. Wird die Aufnahme als Cadet angestrebt, so sind beizubringen : 1) Der Tauf- (Geburts-) schein, 2) die Studienzeugniſſe, 3) das von der politischen oder Policeibehörde des Aufenthaltsortes ausgestellte Zeugniß über das makellose Vorleben, 4) die schriftliche , ohne jeden Vorbehalt gegebene Bewilligung der heimathlichen Re gierung zum Eintritt in das ſtehende Heer, 5) die eingeholte Zusicherung des betreffenden Truppenkörpers , in welchen der Aſpi rant einzutreten wünscht. Diejenigen Ausländer , welche die Aufnahme , jedoch nicht als Cadet, nachsuchen, haben nur die zu 1 , 3, 4, 5 bezeichneten Documente beizubringen. Von der hierauf von dem Kaiser ertheilten Aufnahms - Bewilligung wird der Aspirant Seitens des Reichs -Kriegsministeriums durch den Truppenkörper, welcher ihm die Aufnahme zugesichert, verständigt ; wird die Aufnahme als Cadet angestrebt, so hat sich der Aspirant bei einem beliebigen General Commando zur Ablegung der Cadettenprüfung zu melden und erfolgt sodann wenn er die Prüfung bestanden und in Bezug auf Alter, geistige und körper -- die Aſſentirung als Cadet. liche Eignung den Bedingungen der Wehrfähigkeit entsprochen hat — Unter Vorausseßung der Erfüllung der geseßlichen Erforderniſſe der Wehrfähigkeit erfolgt auch die Aſſentirung derjenigen Ausländer , welche die Aufnahme nicht in der Eigenschaft als Cadetten anstreben. Der einjährige freiwillige Liniendienst . Zweck der Institution der Einjährig-Freiwilligen ist : aus den gebildeten Elementen derjenigen Wehr pflichtigen , welche sich nicht den Wehrſtand als Lebensberuf wählen , raſch brauchbare Reserve-Offiziere und Unteroffiziere , Reserve-Aerzte und Beamte zur Deckung des Mehrbedarfs im Kriege mit möglichster Schonung der volkswirth schaftlichen Intereſſen vorzubereiten. Inländer , welche den Bedingungen der Wehrfähigkeit entsprechen und einen solchen Bildungsgrad besitzen, der den absolvirten Studien an einem Ober Gymnaſium, einer Ober-Realschule oder einer derselben gleichgestellten Lehranstalt entspricht und sich hierüber mit Zeugnissen oder durch eine vor einer hierzu be stellten gemischten Commiſſion abzulegende Prüfung ausweisen, freiwillig in das Heer eintreten , werden im Frieden schon nach einer einjährigen activen Dienstleistung in die Reserve versetzt und sind , im Falle sie ihre Studien fortsetzen, zur Wahl der Garnison sowie des Präsenzjahres bis zum 25. Lebens jahre berechtigt. Sie werden, wenn sie die Kosten der eigenen Wohnung tragen, nicht casernirt. Der Einjährig - Freiwilligen - Dienst kann entweder auf eigene Kosten , in welchem Falle der Freiwillige während seiner Dienstzeit aus eigenen Mitteln

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sich bekleiden, ausrüsten und verpflegen (bei der Cavallerie auch beritten machen - oder auf Kosten des ge und für den Unterhalt des Pferdes sorgen) muß meinsamen Heeresbudgets abgeleistet werden , in welch letzterem Falle die Mittellosigkeit nachgewieſen ſein muß. Den Aspiranten steht es nach Wahl und Befähigung frei, ihrem Präſenz dienste entweder a. im streitbaren Stande, b. als Arzt, c. als thierärztlicher Praktikant, d. als Pharmaceut oder e. im Verpflegsdienst zu genügen. Die Aufnahmebewilligung für Mediciner, Veterinaire und Pharma ceuten auf eigene Kosten bewilligt die Militair-Territorialbehörde, auf Staats kosten das Reichs -Kriegsministerium , für Aſpiranten zum Militair-Fuhrweſen Corps und die Sanitäts- Truppe das k. k. Reichs -Kriegs -Miniſterium , für alle anderen Truppenkörper der Commandant. Die Präsenzdienst - Periode der Einjährig - Freiwilligen beginnt mit dem 1. October und endet mit dem 30. September des folgenden Jahres. Während des Präsenzjahres ist den Studirenden die Fortsetzung der Studien gestattet. Im Kriege erlischt das Recht bezüglich des Aufschubes des Präsenz dienstes, der Wahl der Garnison und es treten die Einjährig- Freiwilligen sofort in ärarische Verpflegung. Die Reserve - Versetzung der Einjährig -Freiwilligen erfolgt immer mit dem 30. September ; jedem Freiwilligen ist es nach beende tem einjährigen Dienste gestattet , mit Bewilligung des Commandanten von Jahr zu Jahr activ weiter zu dienen, in welchem Falle er ganz in die ärariſche Verpflegung tritt. Die im streitbaren Stande durch ein Jahr gedienten Einjährig-Freiwilligen , welche die Reserve-Offizier-Prüfung mit gutem Erfolge abgelegt haben, werden nach Maßgabe des Bedarfes zu Reserve - Offizieren , die Aerzte zu Re serve - Ober- Aerzten , die thierärztlichen Praktikanten zu Reserve - Unter Thierärzten , die Pharmaceuten zu Reserve - Medicamenten- Accesfiften , die im einjährigen Verpflegsdienste gestandenen zu Reserve - Verpflegs Accessisten ernannt. Die Reserve-Offiziere der Landmacht werden innerhalb ihrer weiteren Wehr pflicht zu drei Waffenübungen herangezogen und sind innerhalb von 9 Jahren je nach Bedarf im k. k. Heere oder in der Landwehr , nach 9 Jahren in der Landwehr zu verwenden. Der Uebertritt von Reserveoffizieren in die dauernde active Dienstleistung findet nur ausnahmsweise, nach Ablegung einer Ergänzungs prüfung , und nur mit Allerhöchster Bewilligung statt; die Reserve-Oberärzte und Beamten bedürfen diesfalls der Bewilligung des Reichskriegs-Ministeriums. 3. Die Stellung von Amtswegen. Die Stellung von Amtswegen erfolgt in folgenden Fällen : a) gegen Stellungsflüchtlinge , b) gegen Selbstverstümmler, c) gegen Stellungspflichtige, welche sich vor dem Austritte aus der 3. Altersklaffe ohne Bewilligung verehelichen. d) In Ungarn gegen solche in der 1., 2., 3. Altersklasse stehenden Wehrpflichtigen, welche ohne Bewilligung ins Ausland reisen und sich hierdurch der Stellung ent ziehen. Der von Amtswegen Gestellte verliert das Loosungsrecht, den Vortheil der Stel lung nach der Altersklasse und wird im Falle der Diensttauglichkeit unbedingt auf das Rekruten-Contingent affentirt.

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4. Die regelmäßige Stellung (wird in einem besonderen Abschnitte „Aſſentirung“ behandelt) . 5. Ergänzung im Kriegsfalle durch Einreihung der Erſaß Reserve (wird unter „ Ersatz-Reserve" besonders behandelt). II. Die Landwehr. Die Landwehr wird ergänzt : 1) Durch die Einreihung der Reſervemänner nach ihrer vollendeten Heeresdienstpflicht. 2) Durch die Einreihung der zur Ersay- Reserve Vorgemerkten, welche das 30. Lebens jahr überschritten haben. 3) Durch unmittelbare Eintheilung Wehrpflichtiger. 4) Durch Freiwillige, welche ihrer Stellungspflicht genügt haben, nicht landwehr pflichtig, aber noch kriegsdiensttauglich sind. Die Landwehr besteht demnach aus gedienten und jungen Soldaten , ver eint daher Erfahrung und Jugendkraft. Die Gesammtstärke der Landwehr richtet sich nach der Zahl der Landwehr pflichtigen. Die im Reichsrathe vertretenen Länder zählen: 80 Bataillone Infanterie und Schützen, ; außerdem Tirol und Voralberg: 25 Escadrons Cavallerie 10 Landesschüßen-Bataillone zu je 4 (bis 6) Feld -Compagnien und einer Ergänzungs - Compagnie, 2 Landesschützen-Compagnien zu Pferd. Die Länder der Ungarischen Krone zählen: 92 Bataillone Infanterie, 40 Escadrons Cavallerie, 20 Mitrailleusen-Batterien -. Die Distinction und Militair - Abzeichen , die Ausrüstung und Bewaffnung , sowie die Dienst- und Erercir - Vorschriften der Landwehr sind jenen des Heeres gleich. Die Einberufung zum activen Dienste und die Mobilmachung der Landwehr erfolgt nur auf Allerhöchsten Befehl. Die Einberufung zu den gesetzmäßigen, periodischen Waffenübungen erfolgt durch die Landwehr-Behörden. Die Waffenübungen der Landwehren finden nach der Ernte statt. Jedes zweite Jahr sind 3wöchentliche Bataillonsübungen , während welcher die Ba= taillone abwechselnd an den größeren Uebungen der Heeresförper theilnehmen. In den Jahren , in welchen die Bataillonsübungen entfallen, sind 14tägige Compagnie-Uebungen. III. Die Ersatz -Reserve. Die Ersatz-Reserve wird für die Infanterie und die Jäger-Truppe bestimmt. In den Stand der Ersatz - Reserve werden eingetheilt: 1) Bei der regelmäßigen Stellung das gesetzmäßig festgestellte Rekruten- Con tingent. 2) Nachmänner, welche in Folge der Stellung ihrer Vormänner in die Er jay-Reserve entlassen werden. Das im Wege der Gesetzgebung für beide Reichshälften jährlich festgestellte Ersay - Reserve - Contingent beträgt immer den zehnten Theil des Re fruten-Contingentes . Die bleibend in die Ersatz-Reserve eingetheilten Wehrpflichtigen sind bis zum vollendeten 30. Lebensjahre, die zeitlich Eingetheilten bis zur nächsten Stellung für den Dienst im stehenden Heere bestimmt, werden im Frieden in ihren bürgerlichen Verhältnissen belassen , erst im Kriegsfalle assentirt und auf

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Allerhöchsten Befehl zum Dienſte einberufen, wo sie dann bei den Ergänzungs förpern militairisch ausgebildet und als Ersatz für die im Laufe eines Feld zuges auf den vorgeschriebenen Kriegsstand sich ergebenden Abgänge verwendet werden. Nach beendetem Feldzuge werden die Ersatz - Reservemänner wieder in ihr früheres Verhältniß rückverjetzt. Nach vollendetem 30. Lebensjahre werden die Ersatz-Reservemänner in die Landwehr eingereiht. IV. Der Landsturm. Landsturmgesetze bestehen für die Länder der Ungarischen Krone und für Tirol und Vorarlberg. Der Landsturm , welcher als integrirender Theil der bewaffneten Macht unter völkerrechtlichen Schutz gestellt ist, wird in Tirol und Vorarlberg aus allen in Tirol zuständigen , weder dem stehenden Heere noch den Landesschüßen angehörenden, waffenfähigen Männern vom vollendeten 18. bis zum vollſtreckten 45. Lebensjahre gebildet. Die Landsturmverpflichtung wird in zwei Aus zügen geleistet. Der erste umfaßt die Altersklassen vom 18. bis 39. , der zweite jene vom 40. bis 45. Lebensjahre. In Ungarn wird der Landsturm aus Freiwilligen gebildet, die weder dem Heere noch der Landwehr angehören; die Finanzwache und die bewaff neten Sicherheitsorgane sind verpflichtet, wenn es die Kriegsverhältnisse erheijchen, bei Einstellung ihres speciellen Dienstes sich dem Landsturme anzuschließen. In Tirol werden Landsturm - Compagnien und Bataillone formirt. In Tirol und Ungarn gehen die Landsturm - Offiziere und Unter offiziere aus der Wahl der Sturmmänner hervor. Die Angehörigen des Landsturmes erhalten besondere Abzeichen. b. Ergänzung an Unteroffizieren. Die Ergänzung des stehenden Heeres an Unteroffizieren erfolgt : 1 ) durch Zöglinge des praktischen 2jährigen Lehreurjus in Güns ; 2) durch Zöglinge der militair - technischen Schule in Mährisch -Weißzkirchen, welche jedoch nur der Artillerie überwiesen werden. Die vorzüglichen Zöglinge dieser Anstalt treten in die technische Militair-Akademie ein; 3) durch Einjährig- Freiwillige, welche nach Ableistung des Präsenzdienstes für die Erlangung der Unteroffizier- Charge würdig erachtet werden ; 4) durch geeignete Personen des Mannschaftsstandes. Zur Heranbildung der Unteroffiziere bestehen bei den Truppenkörpern die Unteroffizier - Bil dungs - Schulen. Das Recht der Beförderung, welche an eine chargenweise firirte Minimal Dienstzeit gebunden ist, steht den Truppen- Commandanten zu die Er nennung zu Cadetten verfügt das Reichs - Kriegs- Ministerium. Ehemalige, wegen entehrender Verbrechen degradirte Soldaten , dürfen nur auf Grund der Bewilligung des Reichs - Kriegs - Ministeriums in Unteroffizierchargen befördert werden. Beförderungen dürfen nur auf wirklich erledigte Stellen, unter genauer Einhaltung des Standes und nur innerhalb der Truppe vorgenommen werden. Um dem Heere einen Stamm gedienter Berufsunteroffiziere zu erhalten, werden diejenigen, eine wirkliche Charge bekleidenden Unteroffiziere des Soldaten standes, welche die ihnen gesetzlich obliegende oder freiwillig übernommene Linien beziehungsweise Präsenzdienstpflicht vollstreckt haben und sich freiwillig verpflich ten , statt des Uebertrittes in die Reserve oder Landwehr, oder nach gänzlich ― vollendeter Dienstpflicht statt der Entlassung , ein weiteres Jahr im Präsenz dienste zu verbleiben , ferner diejenigen , welche aus dem Reserve-Verhältnisse

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freiwillig zum Activdienste einrücken , mit der Unteroffizier- Dienstes= Prämie betheilt. Die Unteroffizier Dienstes Prämie ist nach den Chargeng raden verschieden bemessen und wird den Anspruchsberechtigten in halbmonatlichen Raten poſtnumerando ausbezahlt. Die Dienstes - Prämie beträgt : für den Feldwebel und die gleichgestellten Chargen monatlich 17 fl. oder jährlich 204 fl., für den Zugsführer und die gleichgestellten Chargen monatlich 14 fl. oder jährlich 168 fl., für den Corporal und die gleichgestellten Chargen monatlich 9 fl 50 kr. oder jährlich 114 fl. Diese einjährige Dienstverpflichtung beginnt immer mit 1. Januar und endet mit 31. December desselben Jahres. In der Landwehr erfolgt die Ergänzung an Unteroffizieren : 1 ) durch diejenigen Unteroffiziere , welche nach im Heere vollstreckter 10jähriger Dienstzeit in die Landwehr eingereiht werden, 2) durch geeignete Personen des Präsenzſtandes der Cadres . In der f. t. Landwehr wird der Mannschaftsstand der Infanterie-Cadres durch sich zum Präsenzdienst freiwillig Meldende, oder wenn deren Zahl zur Deckung des Bedarfes nicht ausreicht, durch die Heranziehung von in die Landwehr direct eingereihten Landwehrmänner gedeckt ; die beim Cadre zuge brachte Dienstzeit wird ihnen auf ihre Landwehrdienstpflicht dreifach gerechnet. Unteroffiziere, die nach einjähriger activer Dienstleistung beim Cadre oder nach zurückgelegter Heeresdienstpflicht in der Landwehr freiwillig fortdienen , erhalten die Dienstes - Prämie in gleichen Beträgen wie im Heere ; den prä miirten Unteroffizieren wird die im Activdienſte zugebrachte Zeit zur Landwehr pflicht nur doppelt gerechnet. Bei der Infanterie der k. Ungarischen Landwehr ist in der Bataillons Stabsstation immer eine stehende Compagnie formirt. Der präſente Stand wird von den ausgebildeten Rekruten nach Bedarf des Dienstes rückbehalten. Ebenso sind schon im Frieden Cadres für die Cavallerie- Escadrons und die Mitrailleusen - Abtheilungen aufgestellt. Bezüglich des Empfanges der Unteroffizier -Dienstes - Prämie bestehen die für die k. k. Landwehr gel tenden Bestimmungen. Das Recht der Beförderung in die Unteroffizier schargen üben in beiden Landwehren die Truppen- (Bataillons-) Commandanten aus, die Ernen nungen zu Cadetten sowie zu Landwehrbezirks- ( Stabs- ) Feldwebeln verfügen die Landes -Vertheidigungs -Ministerien -.

c. Ergänzung an Offizieren, Die Ergänzung an Offizieren im stehenden Heere erfolgt: 1) Durch die Ernennung der aus der Wiener Neustädter und techniſchen Militair-Akademie austretenden Zöglinge. 2) Durch die Beförderung der Cadetten, wenn sie wenigstens die Mi nimal-Dienstzeit ( 1 Jahr) im Präsenzſtande zurückgelegt haben. 3) Durch die Beförderung der Einjährig-Freiwilligen , welche nach Ab dienung des Präsenzjahres zu Reserve - Lieutenants ernannt werden, wenn sie die vorgeschriebene Reserve- Offizier-Prüfung bestehen und die Standesverhältnisse diese Beförderungen mit Rücksicht auf das Kriegs erforderniß zulässig erscheinen lassen. Zu Reserve- Offizieren können auch Unteroffiziere , welche die Reserve = Offizierprüfung ablegen, befördert werden. Endlich im Kriege: 4) Durch Unteroffiziere , welche mit Nachsicht der bei der Cadetten

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Prüfung geforderten theoretischen Kenntniſſe im Mobiliſirungsfalle zu Offizier- Stellvertretern, im Kriege zu Lieutenants ernannt werden. Dieselben müssen ledigen Standes, in Bezug auf Charakter, Verwend barkeit und Bildung schon im Frieden einer solchen Berücksichtigung würdig bezeichnet worden sein. Die Beförderung dieser Unteroffiziere findet überhaupt erst für den Fall statt, wenn der Abgang in der Lieute nantscharge durch die unter 1, 2, 3 bezeichneten Personen nicht mehr gedeckt werden könnte. Ergänzung durch Zöglinge aus den Militair - Bildungs - An stalten. Die Militair - Akademie zu Wiener Neustadt bildet Offiziere für die Infanterie, Jäger , Cavallerie und für das Pionier - Regiment , die technische Militair-Akademie zu Wien Offiziere für die Artillerie, Genietruppe und das Pionier-Regiment aus. - Jede Akademie zählt 4 Jahrgänge. Die Zöglinge der beiden Akademien treten als Lieutenants in das Heer —, sobald sie die vorgeschriebene Schluß-Prüfung gut abgelegt haben. Ergänzung durch Cadetten. Für die Heranbildung der Cadetten be stehen Vorbereitungs- und Cadettenschulen ; erstere bezwecken, junge Leute ; die Vorbe für die Aufnahme in die Cadettenschulen vorzubereiten reitungsschulen sind von den Cadettenschulen abgetrennt und mit 2 Jahrgängen bei den Infanterie- Truppen- Diviſionen aufgeſtellt. In der Artillerie-, Genie- und Pionier-Cadettenschule sind die Vorbereitungs curse mit den Cadettenschulen vereint. Es bestehen: 12 Cadettenschulen mit 2 Jahrgängen für die Infanterie, Jäger, Ca vallerie, das Militair-Fuhrweſen- Corps und die Sanitäts -Truppe, 1 Artillerie- Cadettenschule mit 2 Jahrgängen für die Artillerie, 1 Genie-Cadettenschule mit 3 Jahrgängen für die Geniewaffe, 1 Pionier-Cadettenſchule mit 4 Jahrgängen für das Pionier-Regiment. In diese Schulen werden junge Leute, welche ihre Befähigung zum Ein tritte durch eine Prüfung dargethan haben, aufgenommen. Die Frequen tanten bestehen aus theils schon aſſentirten Soldaten, theils aus Truppen Eleven, das sind Jünglinge , welche noch vor Erlangung des wehrfähigen Alters (vor dem zurückgelegten 17. Lebensjahre) in diese Schulen eintreten. Die Cadettenschul- Frequentanten sind gehalten, für jedes in der Schule wirklich zugebrachte oder auch nur begonnene Jahr über die gesetzliche 3 jährige Linien-Dienstpflicht hinaus ein Jahr im Präsenzstande activ nachzudienen. Nach Absolvirung der Cadettenschule und Ablegung der diesfalls vorge schriebenen Prüfung, werden die Betreffenden vom Reichskriegs -Ministerium zu Cadetten , und sobald sie ihre praktische Verwendbarkeit dargethan, rem Truppen-Commandanten zu Offiziers - Stellvertretern ernannt. Ergänzung durch Reserve - Offiziere. Für die auf Reserve-Offizier stellen aspirirenden Einjährig - Freiwilligen bestehen in jedem Truppenkörper Schulen , in welchen den Aspiranten während des Präsenzjahres der theoretische und praktische militairische Unterricht in den Gegenständen ertheilt wird , deren Kenntniß bei der Ablegung der Reserve-Offizier-Prüfung gefordert wird. Ergänzung durch Unteroffiziere. Für die Unteroffiziere, welche zu der Erlangung der Offiziercharge im Kriegsfalle, in Rücksicht ihrer praktiſchen, militairischen Tüchtigkeit und ihres Betragens würdig erkannt werden, bestehen keine besonderen Fachschulen , da bei diesen Unteroffizieren von der Able gung der theoretischen Prüfung abgesehen wird. Diese Unteroffiziere werden schon im Frieden in Evidenz geführt.

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Makellose Grundbestimmungen der Beförderungs - Vorschrift. Vergangenheit , die physische und nachzuweisende geistige Befähigung , ſind die Grundbedingungen zur Erlangung der Offizier-Charge. In den Offizier chargen ist die Beförderung nur in die nächst höhere Charge gestattet. Be förderungen erfolgen in der Regel innerhalb des Concretual - Statuts der eigenen Waffengattung. Die Beförderungen sind entweder tourliche oder außertourliche ; letztere Beförde ſind jedoch gleichfalls an eine bestimmte Reihenfolge gebunden. rungen außer der Rangstour müssen durch die Erfüllung bestimmter, die all gemeinen Forderungen überragende Bedingungen begründet werden. Außertour liche Beförderungen in Folge besonders hervorragender Leistungen vor dem Feinde sind an keine Reihenfolge gebunden. Im Frieden kann die Be förderung erst dann eintreten, wenn der Betreffende eine bestimmte Dienst zeit in der innehabenden Charge zurückgelegt hat. Die Beförderung zum Lieutenant ist ferner von der zustimmenden Erklä rung des Offizier-Corps, welches sich über die Würdigkeit des Aſpiranten in Bezug auf Charakter, Benehmen und Bildung auszusprechen hat, abhängig. Die tourliche Beförderung vom Lieutenant bis einschließlich Oberst er folgt auf Grund der Qualificationslisten. Die Beförderung zum Major ist überdies von dem Nachweise der nothwendigen theoretischen Kenntniſſe vor einer Prüfungs-Commission abhängig. Die für eine außertourliche Beförderung geforderten Kenntnisse und die sonstige vorzügliche Befähigung werden theils durch die Qualificationsliste, theils durch besondere commiſſionelle Prüfungen nachgewieſen. Die Beförderung zum General - Major geschieht im Frieden in der Rangstour ; die Beförderung zum Feldmarschall - Lieutenant und in höhere Generals - Chargen ist an eine Rangstour nicht gebunden. Im Kriege entfallen in Betreff der Beförderung die festgesetzten Bedin gungen der Minimaldienstzeit, sowie alle Gattungen von Prüfungen und es entscheidet bei tourlichen Beförderungen die sonst zuerkannte Eignung für die unter der gleichen höhere Charge, während außertourliche Beförderungen Voraussetzung nur in Folge besonders hervorragender Leistungen vor dem Feinde stattfinden . In der Beförderung können Cadetten und Offiziere wegen zeitlicher oder gänzlicher Nichteignung mit oder ohne Vorbehalt des Ranges übergangen werden. Die Beförderung in alle Offizier-Chargen erfolgt auf Vorschlag des Reichs- Kriegs-Ministers durch den Kaiser. Die Verleihung von Commandos wird je nach Wichtigkeit und Art derselben, entweder von Sr. Maj. verfügt , oder ist dem Reichs -Kriegs-Minister, beziehungsweise dem Truppen- Commandanten, überlaſſen. Im Kriege werden den Armee- Commandanten rücksichtlich der Beförde rung und der Commando -Verleihungen besondere Vollmachten übertragen. Landwehr. Bei der ersten Aufstellung der Landwehr wurde das Offizier-Corps derselben gebildet : a. aus geeigneten Offizieren des Pensions- (Ruhe-) Standes, b. aus mit Beibehalt des Militair- Charakters ausgetretenen Offizieren, insofern sie nicht, ihrer Wehrpflicht nach, die Eintheilung als Reserve-Offiziere in das ſtehende Heer erhielten, c. aus anderen Personen, welche der Heeresdienstpflicht nicht unterliegen, die Ernen nung zu Landwehroffizieren anstrebten und geeignet befunden wurden, 20 Militairische Jahresberichte 1874.

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d) aus Unteroffizieren der Landwehr, welche die Offizierprüfung befriedigend abgelegt haben und auch ſonſt zum Offizier geeignet waren. Die normale Ergänzung des Landwehroffizier- Corps erfolgt : durch Uebertritt activer Offiziere aus dem stehenden Heere, b) durch Reserve Offiziere, welche ihre Heeresdienstpflicht vollendet haben und in die Land wehr eingetheilt, oder durch solche, welche noch dem Verbande des stehenden Heeres angehören und nur aushülfsweise der Landwehr zugewiesen werden, c) durch stufenweise Beförderung innerhalb der Landwehr nach den für das Heer be stehenden Grundsäßen, daher entweder auf Grund der Qualificationslisten, oder nach abgelegter Prüfung, oder ohne diese, durch Belohnung für Auszeichnung vor dem Feinde unter der Bedingung der ſonſtigen Eignung. Die Landwehr- Offiziere werden von Sr. Maj. ernannt , die etwa erfor derlichen Generale und die Stabsoffiziere nach Anhörung des Landes -Vertheidi gungs- Ministers unmittelbar ; die Oberoffiziere im Frieden auf Vorſchlag des Landes - Vertheidigungs - Miniſters , im Kriege auf Vorschlag desjenigen höchsten Commandirenden , unter dessen Befehl die Landwehr gestellt ist. Die Land wehr -Offiziere sind in ihren Chargen denen des stehenden Heeres gleich gestellt. Bei gleichem Range in einer Charge gehen die Offiziere des stehenden Heeres den Landwehr- Offizieren vor. Bildungs - Anstalten der Landwehr. Bei der k. k. Landwehr be stehen zur . Heranbildung des Offizier - Nachwuchses Offizier- Aspiranten Schulen. Bei der k. Ungarischen Landwehr ist die Ludovica- Akademie die oberste Militair-Bildungsanſtalt und beſtehen drei Lehrcurſe : 1) Ein Vorbereitungscurs für Soldaten, nachdem sie der 8wöchentlichen Rekruten-Ausbildung unterzogen waren. 2) Ein allgemeiner Offizier-Bildungscurs , in welchen vornämlich die abſol virten Zöglinge des Vorbereitungscurſes aufgenommen werden. 3) Ein Offiziercurs , in welchem höhere militairische Lehrgegenstände vorge tragen werden.

III.

Die Aſſentirung .

Heeres - Ergänzungsbezirke. Zur Durchführung der regelmäßigen Ergänzung des stehenden Heeres und der Kriegsmarine ist die Oesterreichisch Ungarische Monarchie in 84 selbstständige Ergänzungs - Bezirke eingetheilt. Jedem der 80 Infanterie-Regimenter , ferner dem Tiroler-Jäger-Regimente ist ein solcher Bezirk zur Ergänzung zugewiesen. Für die Ergänzung der Kriegsmarine sind drei Ergänzungsbezirke bestimmt. Die übrigen Truppenkörper und die Heeresanſtalten, zum Theil auch die Kriegsmarine sind mit ihrer regel mäßigen Ergänzung an alle Ergänzungsbezirke, mit Ausschluß jenes des Tiroler Jägerregimentes , gewiesen. Die einzelnen Truppenkörper, mit Ausnahme der Infanterie-Regimenter und des Tiroler Jäger-Regimentes, dann die Heeresanſtalten beziehen diese Ergänzung aus einem oder aus mehreren , möglichſt aneinander grenzenden Ergänzungsbezirken. Von den vorher angegebenen 84 Ergänzungsbezirken entfallen auf die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder : 39 Ergänzungsbezirke der Infanterie-Regimenter, der Ergänzungsbezirk des Tiroler Jäger-Regiments, dann 2 Marine-Ergänzungsbezirke ; auf die Länder der k. Ungarischen Krone: 41 Ergänzungsbezirke der Infanterie-Regimenter, und 1 Marine-Ergänzungsbezirk.

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Jeder Ergänzungsbezirk zerfällt in eine Anzahl Stellungsbezirke. Die Landwehr entnimmt ihre Rekruten den betreffenden Landwehr Bataillens -Bezirken. Ergänzungs - Behörden. Diese theilen sich in: die Ergänzungs - Behörden erster Instanz ; das sind die Ergänzungsbezirks Commanden und die politischen Bezirksbehörden, welche als gemischte Stellungs Commissionen amtiren; die Ergänzungs - Behörden zweiter Instanz oder die Mittel-Instanz bestehen aus den politischen Landesstellen und den General (Militair ) Commandos ; die Ergänzungs - Behörden letter Instanz oder Ministerial Instanz bestehen aus dem Landes - Vertheidigungs - Ministerium des betreffenden Staates und dem Reichs Kriegsministerium. Die Vorarbeiten zur Ausführung der regelmäßigen Stellung bestehen namentlich: a. in der Verzeichnung der Stellungspflichtigen der 1. Altersklaſſe durch die Ma trikenführer; b. in der Loosung, welche die Reihenfolge beſtimmt, nach welcher die Stellungspflich tigen innerhalb ihrer Altersklassen zur Einreihung in das stehende Heer , Ersag Reserve oder Landwehr gelangen; c. in der Contingents - Repartition , welche Seitens der Miniſterial - Instanz erfolgt ; d. in der Activirung der Stellungs - Commissionen. Repartition des Rekruten- und Ersatz - Reserve - Contingentes. Das erforderliche jährliche Rekruten - Contingent für das stehende Heer und die Ersatzreſerve wird durch die Legislative festgestellt und von der Mini sterial- Instanz auf die einzelnen Königreiche und Länder nach dem Verhältnisse der in denselben vorhandenen Bevölkerung vertheilt; die weitere Repartition auf die einzelnen Stellungsbezirke erfolgt durch die Ergänzungsbehörden zweiter Instanz. Die nach Deckung des Bedarfes für die Specialwaffen (Anstalten ) innerhalb der Contingentsziffer erübrigende Zahl Eingereihter werden zum zu ständigen Ergänzungsbezirks -Regimente eingetheilt. Altersklassen. Zur Stellung werden drei Altersklaſſen aufgerufen, daher tie 20 , 21 , 22jährigen Männer; die 20jährigen bilden die 1. Alterskasse. In jedem Stellungsbezirke erfolgt die Stellung der zuständigen Wehrpflichtigen nach der Reihe der Altersklassen und in jeder Altersklasse nach der Loosreihe. Die einzelnen Contingente. Zuerst wird das Jahres -Contingent für das stehende Heer, dann jenes für die Ersaß- Reserve aufgebracht , die dann noch vorhandenen kriegsdiensttauglichen Wehrpflichtigen der ersten drei Altersklassen eines jeden Stellungsbezirks werden unmittelbar in die Land wehr eingereiht. Stellungs - Periode. Die regelmäßige jährliche Stellung dauert in den Ländern der Ungarischen Krone vom 15. Januar bis 15. März , in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern vom 1. April bis Ende Mai. Die Stellungs - Commission besteht aus politischen Beamten , Aerzten und Militairs (Offiziere des stehenden Heeres und der Landwehr, Militairärzte) . Das Geschäft der Stellung beginnt mit den von Amtswegen einzureihenden Wehrpflichtigen, dann werden die Nachmänner vorgestellt , hierauf erst beginnt - Eine weitere die regelmäßige Stellung mit dem Aufrufe der 1. Altersklasse. Obliegenheit der Stellungs - Commiſſion besteht in der Prüfung und Entscheidung der eingebrachten Gesuche um zeitliche Befreiung und um Enthebung von dem Präsenzdienste . Nachmänner. Wenn in der Loosreihe der Stellungspflichtigen einer derselben abwesend ist , so wird auf den in der Stellungsliste zunächst folgenden übergegangen; diesen nennt man Nachmann; die Nachmänner werden vom 20*

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Tage der Einreihung ( in Ungarn vom Schluſſe der Stellungsperiode) an gerechnet auf vier Monate beurlaubt; rückt bis zu diesem Zeitpunkte der Vormann ein, jo wird der Nachmann entlassen ; wenn nicht, wird letzterer zum Activdienste einberufen . Nachstellung. Die von der regelmäßigen Stellung aus irgend einem Grunde Ausgebliebenen , werden der Nachstellung unterzogen und insofern sie nicht zu den von Amtswegen zu Aſſentirenden gehören , nach der Loosreihe gestellt. Ueberprüfung. Stellungspflichtige, deren Annahme zum Dienst ven militairischer Seite verweigert wird , können auf Antrag der politiſchen Com miſſionsmitglieder einer gemischten Ueberprüfungs - Commission zur Ent scheidung vorgestellt werden ; ebenso sind dieser Commission jene bereits dienenden Soldaten vorzustellen, welche in Ungarn 4 Monate, vom Tage ihrer Stellung ge rechnet, in der anderen Reichshälfte bis zum Schluffe des Stellungsjahres , zur Entlassung beantragt werden. IV. Die Entlaſſung. Eintheilung der Entlassungen. Die Entlaſſungen zerfallen in die regelmäßige und in die außergewöhnliche. Der Zeitpunkt für die erstere ist jährlich der 31. December , mit welchem Termine alle jene Soldaten , welche in dem betreffenden Jahre ihrer 12jährigen oder nach Umständen längeren Wehrpflicht genügt haben, entlassen werden. Die außergewöhnliche Entlassung erfolgt : a. wenn die Stellung eine gesezwidrige war ; b. bei unbehebbarer Dienſtuntauglichkeit ; c. wegen Familien - Rücksichten, wenn der Soldat in den Anspruch auf zeitliche Be freiung gelangt ; d. bei Nachmännern, deren Vormänner in das Heer eingereiht wurden ; e. zum Zwecke der Auswanderung. Die Entlaſſung zum Zwecke der Auswanderung kann einem liniendienstpflichtigen oder einem Reserve-Mann ertheilt werden ; erſterem jedoch nur dann, wenn beide Elterntheile auswandern. Legitimations - Documente. Den aus dem Heeres-Verbande tretenden --Soldaten werden je nach der zurückgelegten Dienstzeit - Abschiede oder Certificate verabfolgt. Renderungen im Wehrſyſtem und der Ergänzung im Jahre 1874. Von den auf das Wehrsystem und die Ergänzung des Heeres bezug nehmenden in das Jahr 1874 fallenden Aenderungen wären chronologijch geordnet zu verzeichnen: Rekruten - Repartition , Rekruten - Contingent. Das Rekruten-Con tingent, welches zur Sicherstellung des 800,000 Mann betragenden Kriegsstandes des Heeres und der Kriegsmarine im Sinne der Wehrgesetze entfällt, wird zufolge der Provincialiſirung des letzten Theiles der Militairgrenze, namentlich der Grenzregimenter Nr. 1 , 2, 3, 4, 7, 8, 9, 10 und 11 wie folgt festgesetzt : für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder . auf die Stärke von 457,012 Mann, für die Länder der Ungarischen Krone auf die Stärke von 342,988 Mann. Das Rekruten-Jahres-Contingent für das stehende Heer, die Kriegsmarine und Ersatzreſerve für das Jahr 1874 wurde votirt und zwar : für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder mit 54,541 Mann für das stehende Heer und die Kriegsmarine, mit 5454 Mann für die Ersatzreserve;

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für die Länder der Ungarischen Krone mit 40,933 Mann für das stehende Heer und die Kriegsmarine, mit 4093 Mann für die Ersatz-Reserve. Im Jahre 1874 waren zur Aſſentirung berufen : die in den Jahren 1854 ( 1. Altersklasse) , 1853 ( 2. Altersklasse) , 1852 ( 3. Altersklasse) geborenen jungen Männer. Die Enthebung vom Präsenzdienste wurde auch den an der Hoch schule für die Wissenschaft des Judenthums zu Berlin ihre Ausbildung erlan genden Oesterreichischen Staatsangehörigen und zwar unter denselben Modalitäten und Beschränkungen zugestanden, wie sie für die am jüdisch-theologischen Seminar zu Breslau Studirenden festgesetzt wurden. Die Waffenübungen der Reservemänner haben im Jahre 1874 theilweise vor , theilweise nach der Ernte stattgefunden und wurden die Reserve männer der Aſſentjahrgänge 1865, 1867 , 1869 einberufen . Waffenübungen wurden bei der Infanterie, den Jägern, der Artillerie- , Genie , Pionier , Sanitätstruppe und bei dem Militair- Fuhrwesen - Corps ab = gehalten. Die Landesvertheidigung in Tirol , Schießstands - Ordnung. In dem Gesetze betreffend das Institut der Landesvertheidigung in Tirol und Vor arlberg wurden einige Abänderungen vorgenommen und zwar formiren die Landesschützen: a . im Frieden 10 Landes -Bataillone zu je 4 Landes- Compagnien, b. zwei Escadrons . Die Landes - Bataillone führen außer der Nummer die Bezeichnung des Landestheiles , aus welchem sie sich vorzugsweise ergänzen. Im Kriege werden aus den 10 Landes-Bataillonen 10 Feld- und ebenso viele Reserve-Bataillone, dann 10 Ergänzungs - Compagnien formirt. Die Schießstands - Ordnung hat im Allgemeinen den Zweck , ohne militairische Organisation die Elemente der Landesvertheidigung vorzubereiten und auszubilden , im Besonderen aber der Landsturm - Organisation als Stütze zu dienen. Die Oberleitung kommt der Landesvertheidigungs- Oberbehörde zu. Durch die Vereinigung von wenigstens 20 Schüßen ein und deſſelben Ortes eder benachbarter Orte, entsteht eine Schüßen - Gesellschaft. Die Schützen Gesellschaften heißen, insofern sie einen bestimmten Schieß-Uebungsplatz haben, k. k. Schießstände , die Mitglieder derselben : Standschüßen. Die Schießstände fördern das gesammte Schießwesen und sind zugleich die Mittelpunkte und Sammelplätze für die Zuzüge des Landsturmes . Der Ein tritt in eine Schützengeſellſchaft ist ein freiwilliger und geschieht durch Ueber nahme der gesetzlichen Verpflichtungen der Mitglieder und zwar: Erfüllung der Vorschriften der Schießſtands-Ordnung, der jährlichen Theilnahme an wenigstens 3 Schießübungen und der Obliegenheit , bei den Schießübungen der eigenen Gesellschaft wenigstens 30 Schüsse zu machen. Jeder Tiroler und Vorarlberger kann nach vollendetem 16. Lebensjahre , insofern derselbe moralisch unbescholten ist, in eine Schüßengeſellſchaft eintreten. Die Mitglieder der Schützengeſellſchaft haben den Anspruch auf den Bezug der Munitionsgegenstände für den Erzeu gungs - Preis , dann auf die Schützengaben und Beste , endlich ist ihnen das Tragen einer weiß-grünen Cocarde gestattet. Jedes Mitglied kann freiwillig aus treten, kann aber auch aus besonderen Gründen ausgeschlossen werden. Das Gesellschaftsvermögen , welches einer Verrechnung unterliegt, bildet sich durch die von dem Kaiser, vom Staatsschate, aus den Landesfonds, Stiftungen

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oder von den Gemeinden verabfolgten Geldern. Den Uebungen auf den Schieß stätten und Schießübungsplätzen werden auch die zu den Schießübungen in der Gemeinde verpflichteten . k. Landesschüßen und Sturmmänner bei gezogen. Die Artillerie - Cadettenschule wurde durch Errichtung eines Vorbe reitungs (ersten) Jahrganges in 2 Parallel - Klaſſen , auf drei Jahrgänge erweitert. Rücktritt aus der Landwehr in das k. k. Heer. Nachdem die Fer mation der Landwehrkörper durchgeführt ist, wird den aus der activen Dienst leistung im k. k. Heere zu den Landwehren übertretenden Offizieren der Rück tritt nicht mehr gewährt. Die Ergänzungsbezirks - Commandos . Die erſchienenen organiſchen Bestimmungen für die Ergänzungsbezirks - Commandos enthalten keine besonderen Aenderungen des Beſtehenden , sondern faſſen nur die seit dem Erscheinen der Wehrgesetze ergangenen diesfälligen Bestimmungen in ein Ganzes zuſammen. Beförderungs - Vorschrift. Außertourliche Beförderungen dürfen bis zum Inslebentreten neuer Normen nur dann in Antrag gebracht werden, sobald der Betreffende nach völlständiger Erfüllung aller Bedingungen , bereits seiner Rangstellung nach , in die rangs ältere Hälfte der für die betreffende Charge systemisirten Anzahl im Concretualstande vorgerückt ist, wenn ferner die Vorzüglichkeit in jeder Beziehung einstimmig constatirt erſcheint. Mitrailleusen - Abtheilungen der K. Ungarischen Landwehr. Die Mitrailleusen sind nach dem Systeme Montigny construirt. Je 4 Piecen der selben , mit den dazu gehörigen Fuhrwerken , bilden eine Mitrailleusen - Ab theilung. Die 20 Mitrailleusen- Abtheilungen sind im Frieden bei den Land wehr-Districts-Commandos, im Kriege bei den Infanterie-Truppen- Diviſionen eingetheilt. Die bei den Districten eingetheilten Mitrailleusen - Abtheilungen werden insgesammt Districts - Mitrailleusen - Division genannt. Sm Frieden bildet jede Diſtricts -Mitrailleuſen- Diviſion, im Kriege jede Mitrailleuſen Abtheilung einen selbstständigen Körper unter Commando eines Offiziers. Veränderungen in der Organisation der K. Ungarischen Land wehr. Bei der Infanterie: Die K. Ungar. Landwehr- Infanterie bildet districtsweise aus je 2 Infanterie-Brigaden bestehende Infanterie-Truppen-Divi sionen. Anstatt der bisher bestandenen 22 Brigaden werden 14 Infanterie Brigaden à 6-7 Bataillone formirt, und diese in je zwei Halbbrigaden, à 3 bis 4 Bataillone, eingetheilt. Die Cavallerie und die Mitrailleusen - Abtheilungen werden aus dem Ver bande der Infanterie-Brigaden ausgeschieden. Im Principe wurde festgesetzt , daß bei der Landwehr - Infanterie seinerzeit die Regiments - Organisation (das Regiment zu 2-3 Bataillonen) ins Leben trete. Jm Mobilisirungsfalle errichtet jedes Bataillon eine oder zwei Ergänzungs - Compagnien. Bei der Cavallerie : Die bisherigen K. Ungarischen Cavallerie- Diviſions Commandes wurden aufgehoben und statt derselben K. Ungar. Landwehr Cavallerie - Regiments - Commandos " errichtet. Das Landwehr- Cavallerie Regiment besteht aus 2 Cavallerie- Divisionen, jede Cavallerie-Division vorläufig aus 2 Escadrons. Jedes Cavallerie - Regiment stellt im Kriegsfalle divisionss weise je eine Ergänzungs - Halb - Escadron auf. Schließlich ist die erfreuliche Thatsache zu constatiren , daß der Andrang von jungen Leuten zur Aufnahme als Truppen - Eleven in das k. k. Heer im

Heerweſen Deſterreich-Ungarns .

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Jahre 1874 ein sehr zahlreicher war, daß ferner die Zahl der gegen Erhalt der Dienstes - Prämie im Präsenzstande verbliebenen Unteroffiziere eine bedeutende Höhe erreicht hat.

Grundzüge der Organiſation der bewaffneten Macht. Die Militair · Hierarchie. Die zum k. k. Heere gehörenden Personen sind, gleich den Staatsbeamten, Diätenklassen - eingetheilt, von welchen die erſte in zwölf Rangſtufen die höchste ist. Die Personen des t. f. Heeres werden nach ihrem Rang- und Dienst Verhältnisse eingetheilt : A. in Bersonen des Soldatenstandes . a. Offiziere. 1) Generale, 2) Stabs-l Offiziere. 3) Ober b. Unteroffiziere. c. Soldaten. B. Militair- Geistliche. C. Auditore. D. Militair - Aerzte. E. Truppen - Rechnungsführer. F. Militair - Beamte. G. Aufsichts - Personal in den Militair - Straf - Anstalten . H. Sanitäts - Hülfs - Personal. I. Technisches Hülfs B Personal. K. Armee Diener. Gliederung. Seemacht.

Desterreich - Ungarn verfügt über eine Land- und eine

Die Landmacht. Die Landmacht zerfällt : I. in den Allerhöchsten Oberbefehl und die Oberleitung der bewaffneten Macht ; II. in die Truppen ; III. " " Heeres - Anstalten ; IV. "! !! Garden; ར . " !! militairisch organisirten Körper, die dem Reichs -Krieg sministerium nicht in jeder Beziehung unterstehen; VI. in die Landwehren. I. Oberbefehl und Oberleitung gliedert sich: 1. in die Centralleitung. a. Allerhöchster Befehl Sr. Majestät des Kaisers und Königs . Zur Vermittlung des Dienstbetriebes zwischen dem Allerhöchſten Ober befehle und dem Reichs -Kriegsministerium ist die Militair - Kanzlei be rufen; b. der General - Inspector des k. k. Heeres iſt zur Ueberwachung der Aus bildung und Manövrirfähigkeit der Truppen und Leitung der größeren Waffenübungen bestimmt ; c. das Reichs- Kriegsministerium mit der Marine - Section (welche die Angelegenheiten Sr. Majestät Kriegs -Marine besorgt), besteht aus 4 Sectionen, dem Präsidial-Büreau und 14 Abtheilungen.

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Der oberste Militair - Justiz - Senat bildet eine eigene Geschäfts gruppe im Innern des Reichs - Kriegsministeriums . Bei dem Reichs- Kriegsministerium concentrirt sich die Leitung des Heeres sowohl in rein militairischer, als auch in militair. - administrativer und ökonomischer Beziehung. Hülfs - Organe des Reichs-Kriegsministeriums find: 1) Der Chef des Generalstabes. 2) Der General - Artillerie 3) Der General - Genie = 4) Der General Cavallerie = Inspector. 5) Der General - Fuhwesen= und Remontirungs 6) Der Sanitäts - Truppen - Commandant. Dem Reichs-Kriegsministerium find ferner direct untergeordnet : das Apostolische Feld - Vicariat des k. k. Heeres, das technisch - administrative Militair - Comité. Dasselbe hat die Bestimmung, die Fortschritte der Wiſſenſchaft und Technik in Beziehung auf das Artillerie-, Genie-, Intendanz- und Pionierwesen zu verfolgen, das Militair - Appellationsgericht , das Militair- Sanitäts - Comité , die Fach- Rechnungs - Abtheilung , die Universal- Militair - Depositen - Administration , das Universal - Militair - Zahlamt , die Militair- Medicamenten - Regie - Direction.

2. in die Militair - Behörden. a. die General- ( Militair- ) Commmandos sind zur Leitung des militairischen und administrativen Dienstes der in ihrem Territorium dislocirten Truppen und stabilen Heeres -Anstalten bestimmt. Es bestehen 16 Militair-Terri torial-Behörden, die nach der Größe ihres Wirkungkreiſes General- oder Militair Commandos heißen. Hülfsorgane der Militair - Territorial - Behörden sind : 1) der Artillerie - Director (Chef), 2) der Genie- Chef, 3) der Militair -Pfarrer, 4) der Justiz =- Referent, 5) der Militair - Sanitäts- Chef. b. Militair-, Stations- , Platz- , Festungs - Commandos. Diese be stehen in den offenen Garnisonsorten, beziehungsweise in den befestigten Plähen und haben die Bestimmung zur Leitung des rein localen Festungs -Dienstes. c. Die Ergänzungsbezirks - Commandos vermitteln die Heeres- Er gänzung; es bestehen 84 Ergänzungsbezirks - Commandos. 3. Besondere Militair - Verwaltungszweige. a. Die Militair - Seelsorge hat die Bestimmung zur Ausübung der mili tair- geistlichen Jurisdiction im Heere. Zu diesem Zwecke ist die Monarchie in 16 Militair- Seelsorge- Bezirke eingetheilt, welche räumlich mit den Militair Territorial - Bezirken zusammenfallen. Als oberste geistliche Behörde im Heere fungirt das Apostolische Feld - Vicariat. b. Die Militair- Justiz ist in drei Instanzen organisirt und zwar bil

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den die erste Instanz : die Brigade- Gerichte , die Garnisons- Gerichte und das Militair- Akademie - Gericht in W. Neustadt ; die zweite JInstanz: das Mili tair-Appellationsgericht ; die dritte Instanz: der oberste Militair-Juſtiz - Senat. Zur Ausübung des Dienstes sind Auditore (Offiziere) berufen. c. Die Militair- Intendanz ist zur Leitung und Controle des ökono misch administrativen Dienstes im Heere berufen und zwar im Reichs -Kriegs ministerium durch die ökonomische Section , bei den General- und Militair Commandos durch die denselben beigegebenen Militair- Jntendanzen ( 16 ). Die Militair- Intendanzbereiche fallen mit den territorialen Abgrenzungen der General (Militair- ) Commandos überein. Zur Ausübung des Dienſtes sind Militair-Beamte berufen. d. Militair-Sanität. Die Militair - Sanität umfaßt : 1 ) das militairärztliche Offiziercorps und die militairärztlichen Eleven, 2) die Sanitäts - Truppe (zählt zu den Truppenkörpern), 3) die Militair - Sanitäts - Anstalten, 4) die Militair-Medicamenten - Anstalten, } zählen zu den Heeres -Anstalten. Der Militair-Sanitäts -Dienſt begreift : die Gesundheitspflege , das Heilgeſchäft, die gerichtliche Medicin , die Leitung und Verwendung des ärztlichen und Medica menten- Personals. e. Militair-Veterinair - Wesen. Der militair - thierärztliche Dienst mit Einschluß des Hufbeſchlages wird durch Militair- Thierärzte (Militair-Beamte) und Militair-Kurſchmiede (Unteroffiziere) besorgt ; die oberste Leitung aller thier ärztlichen Angelegenheiten führt das Reichs - Kriegsministerium. f. Militair Kassenwesen. Die Gebahrung und Verrechnung der zur Deckung des Heeres Aufwandes bestimmten Gelder besorgen das Univer fal-Militair- Zahlamt in Wien , die Militair - Kassen und die an deren Stellen fungirenden Civilstaatskassen. Außerdem besteht noch in Wien die Universal - Depositen - Administration , welche die Militair - Stiftungs fends -Capitalien, Heiraths- und Dienstes -Cautionen und sonstige Werth- Effecten verwahrt. Bei der Armee im Felde werden Operationskassen errichtet. Den Kassen-Dienst versehen Militair-Beamte. g. Rechnungs- Controle und Truppen - Rechnungs - Dienst. Die Rechnungs-Controle im k. k. Heere wird vom Reichs - Kriegsministerium und im übertragenen Wirkungskreise von den Militair- Intendanzen ausgeübt. Zu diesem Zwecke besteht: a. im Reichs-Kriegsministerium und bei jeder Militair-Intendanz eine Rechnungs - Abtheilung. b. die Fach- Rechnungs - Abtheilung als Central- Organ des Reichs Kriegsministeriums ; sie beſorgt die Fach-Censur der Materialien-Be schaffung und der auf deren Verwendung bezugnehmenden Rechnungen. Im Kriege gelangt die Kriegs - Rechnungs - Abtheilung zur Auf stellung. Der Dienst wird von Militair-Beamten versehen. Zur Ausübung des ökonomischen und Rechnungsdienstes bei den Truppen körpern und Heeres - Anstalten sind die Truppen - Rechnungsführer be stimmt, welche Offiziere sind. 4. Das Hülfsämter - Personal ist zur Besorgung des Manipulations- , Kanzlei- Dienstes bei den Militair-, den Justiz- und den Intendanz-Behörden be stimmt. Das Hülfsämter-Perſonal besteht aus Offizieren, Militair-Beamten und Hülfsarbeitern (Unteroffizieren).

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II. Truppen. 1. Höhere Commandos und Specialſtäbe. a. Die commandirenden Generale und Militair - Commandan ten. Die commandirenden Generale sowie die Militair-Commandanten in Jns bruck, Hermannstadt, Zara sind die höchsten Befehlshaber in ihren Militair-Ter ritorial-Bezirken und unterſtehen direct dem Reichs-Kriegsministerium. Die übrigen Militair - Commandanten sind - unbeschadet ihres Wirkungskreises als selbst ständige administrative Behörden - in militairischer Beziehung den comman= direnden Generalen untergeordnet . b. Die Infanterie - Truppen - Divisions - Commandos. Die mobilen Truppenkörper sind in Infanterie- Truppen- Divisionen eingetheilt; die Cavallerie Truppen (Brigaden) sind im Frieden den Infanterie-Truppen- Diviſionen zuge theilt. Die Truppen- Divisions- Commandanten führen den militairischen Beschl über ihre Truppen und find den General- (Militair-) Commandos untergeordnet. c. Die Brigade - Commandos. Im Frieden bilden zwei Regimenter ein und derselben Waffe eine Brigade ; den Brigade-Commandanten ſind zur militairischen Inspicirung auch Reserve- und Ergänzungskörper , und Heeres Anstalten zugewiesen. Die Brigade-Commandanten überwachen die militairiſche Ordnung, den Dienstbetrieb, die kriegstüchtige Ausbildung, sowie die schlagfertige Ausrüstung der Truppenkörper und find den Juf. - Truppen- Divisionen unterge ordnet. d . General- und Flügel - Adjutanten. Diese versehen den Perſonal Adjutanten-Dienst bei Sr. k. u. t. Apostolischen Majestät, beim Reichs -Kriegs Minister, bei den Feldmarschällen und im Felde auch bei den Armee - Com mandanten. Den commandirenden Generalen, selbstständigen Militair - Commandanten, dann im Felde den Armee- Corps -Commandanten sind Personal - Adjutanten beigegeben. e. Der General- Stab besorgt den operativen Dienst im . k. Heere und bei der Armee im Felde. Bureaus des Generalstabes : 1) das Directions - Bureau, 2) Bureau für die militairische Beschreibung des Inlandes, 3) Bureau für die militairische Beschreibung des Auslandes, 4) Bureau für Eisenbahn-, Dampfschiff- und Telegraphenwejen, 5) Bureau für Kriegsgeschichte, 6) Bureau für Evidenthaltung fremder Heere. Unter dem Chef des Generalstabes steht ferner noch das Kriegs - Archiv. Der Personalstand des Generalstabes wird eingetheilt : a. in General stab soffiziere, b. in dem Generalstabe zugetheilte Offiziere, c. in com mandirte Offiziere, d . in Ordonnanz - Offiziere (nur im Kriege). Zu Generalstabsoffizieren werden Stabsoffiziere, Hauptleute und Ritt meister ernannt , welche zur außertourlichen Beförderung nach der 2. Kategorie qualificirt ſind , dann jene Oberlieutenants, welche den Bedingungen der außer tourlichen Beförderung zu Hauptleuten (Rittmeiſtern) genügt haben. f. Der Artillerie- Stab ist in seiner Gesammtheit Hülfsorgan für die Leitung des Artillerieweſens und besteht aus Offizieren der Artillerie. g. Der Genie - Stab ist in seiner Gesammtheit Hülfsorgan für die Leitung des Geniewesens und besteht aus Offizieren der Genie- Waffe. Die Leitung des Genie - Dienstes in festen Plätzen besorgen die Genie

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Directionen, während die Verwaltung der zu Heereszwecken gewidmeten, nicht fortificatorischen Gebäude und Grundstücke den Militair - Bau - Directionen obliegt. 2. Truppenkörper. a. Die Infanterie. Die Infanterie ist in 80 Regimenter jedes zu 5 Feld- und ein Ergänzungsbataillon formirt, welch letzteres im Frieden en cadre gesezt ist. Jedes Feldbataillon zählt 4, das Ergänzungsbataillon 5 Com pagnien. Der Oberst-Regiments- Commandant führt den Befehl über alle Theile des Regiments. Das 4. und 5. Feldbataillon und der Ergänzungsbataillons Cadre ſind unter dem Befehle eines Oberſten oder Oberstlieutenants vereiniget und führt das von diesem Stabsoffiziere geführte Commando im Frieden die Bezeichnung : „Reserve - Commando", im Kriege , während dessen ihm nur das 4. und 5. Feldbataillon unterſtehen , „ Reserve - Infanterie - Regiment" mit dem gleichen Namen und der gleichen Nummer des Stamm -Regiments. Im Frieden führt der Reserve- , im Mobilifirungsfalle der Commandant des Er gänzungsbataillons und nach dem Ausmarsche des letzteren mit 4 Compagnien der Commandant der 5. Ergänzungs- Compaguie das Ergänzungsbezirks -Com mando. b. Jäger. Die Jägertruppe besteht aus dem Tiroler - Jäger - Regimente und 33 ſelbſtſtändigen Feldjäger - Bataillonen. Das Jäger - Regiment zählt 7 Feldbataillone zu 4 Compagnien , 7 Reserve-Compagnien und ein Ergänzungs bataillon zu 7 Compagnien (im Frieden en cadre) — ; jedes Feldjäger - Ba taillon hat 4 Feld-, 1 Reserve- und eine Ergänzungs -Compagnie, welch ' letztere im Frieden en cadre gesetzt ist. Aus den 40 Reserve-Compagnien der Jäger truppe werden im Falle einer Mobiliſirung 10 Reſerve - Jäger - Bataillone for mirt und können auch aus den 40 Ergänzungs- Compagnien weitere 10 Reſerve Jäger-Bataillone zusammengestellt, im Kriegsfalle demnach über 60 Jäger Bataillone verfügt werden. Der Regiments - Commandant des Tiroler-Jäger Regimentes ist zugleich Ergänzungsbezirks - Commandant für Tirol und Vor arlberg. c. Cavallerie. Die Cavallerie besteht aus 41 Regimentern u. z . aus 14 Dragoner , 16 Husaren- und 11 Ulanen - Regimentern. Jedes Regiment zählt im Frieden 6 Feld - Escadrons und den Ergänzungs - Cadre ; im Kriege tritt an die Stelle des letzteren die Ergänzungs- Escadron und hiezu noch die Reserve-Escadron. Je drei Feld - Escadrons formiren eine Division . Die im Kriege zur Aufstellung gelangenden Reserve Escadrons werden entweder als Stabs Cavallerie oder als Besatzungstruppe in Festungen oder endlich — zu 2-4 Escadrons vereint - als selbstständige Divisionen oder Regimenter ver wendet. Die Ergänzungs-Escadrons marſchiren nicht aus. d. Artillerietruppe. Die Artillerietruppe besteht aus : 13 Feld Artillerie - Regimentern und 12 Festungs - Artillerie - Bataillonen. Jedes Feld Artillerie-Regiment gliedert sich in: 4 vierpfünder Fuß-Batterien, 3 vierpfünder Cavallerie-Batterien, 6 achtpfünder Fuß-Batterien, ferner in den Cadre zur Aufstellung einer achtpfünder Fuß- (Batterie Nr. 14) und eine Ergänzungs Batterie im Kriege. Bei den Feld- Artillerie-Regimentern Nr. 1 bis 6 befindet sich außerdem der Cadre zur Aufstellung von 5 , bei den Feld - Artillerie-Regi mentern Nr. 7 bis 13 der Cadre zur Aufstellung von 6 Munitions - Colonnen. Jedes Festungs-Artillerie-Bataillon besteht aus 6 Compagnien, von welchen die 6. im Frieden en cadre gesetzt ist. In den Stand des 9. Festungs Artillerie - Bataillons gehören überdies 3, in jenen des 11. und 12. Festungs

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Artillerie - Bataillons je eine Gebirgs - Batterie ; im Kriege wird die Zahl dieser Gebirgsbatterien verdoppelt. Die Feld-Artillerie-Regimenter werden von Obersten, die Festungs - Artille rie - Bataillone von Majors , Oberst - Lieutenants oder Obersten commandirt. Den Stabsoffizieren der Feld -Artillerie - Regimenter ist eine gewisse Anzahl von Batterien zur Inspicirung zugewiesen. Bei der Armee im Felde erhalten die Feldbatterien ihre Eintheilung entweder als Divisions - Artillerie , oder bei der Armeecorps - Geschüßreserve oder eventuell bei der Armee - Ge schüßreserve; die Munitions-Colonnen entweder beim Divisions - Muni tionspark , oder beim Armee corps- oder Armee- Munitionspark. Die Compagnien der Festungs -Artillerie-Bataillone sind zur Vertheidigung der eigenen und zum Angriffe feindlicher Festungen bestimmt. Die Artillerie - Reserve - Anstalten bei der Armee im Felde gliedern fich : In der ersten, beziehungsweise vorderen Linie : a. Gebirgsbrigade- oder Gebirgsdiviſions-Munitionspark. b. Divisions-Munitionspark. c . Armee-Corps -Munitionspark. In der 2. Linie: In der 1. Gruppe : d. Armee -Munitionspark. In der 2. Gruppe : e . Armee-Munitions - Reservepark. In der 3. Gruppe: f. Armee-Munitions -Felddepot. g. Belagerungs- Artilleriepark. e . Genie- Truppe. Die Genietruppe beſteht aus 2 Regimentern . Jedes dieser Regimenter iſt in 5 Feldbataillone zu 4 Compagnien, in 8 Reſerve-Com pagnien und in 1 Ergänzungsbataillon zu 5 Compagnien gegliedert. - Die Reserve Compagnien und das Ergänzungsbataillon sind im Frieden en cadre gesetzt. Die Genietruppe versieht den technischen und fortificatorischen Dienſt bei der Armee im Felde und können die Reserve - Compagnien dieselbe Bestim mung wie die Feld Compagnien erhalten. 4 Compagnien des Ergänzungs bataillons können im Kriege zur Dienſtleiſtung in Befestigungen verlegt werden. Die Genietruppe stellt weiter die Mineur = Detachements für die Feld Eisenbahn- Abtheilungen , dann ferner die Detachements für die Ofenbau Abtheilungen, endlich Schanzzeug - Colonnen für den Armee - Schanz zeugpark und für den Genie -Hauptpark. f. Pioniertruppe. Die Pioniertruppe besteht aus dem Pionier Regimente , welches im Frieden in : 5 Feldbataillone , jedes derselben zu vier Feld - Compagnien, einer Reserve - Compagnie, einer Zeugs - Reserve und dem Pionier- Detachement einer Feld - Eisenbahnabtheilung gegliedert ist. Zum Ver bande des Pionier-Regiments gehört ferner das Pionier - Zeugsdepot , welches zu den Militair-Verwaltungsanstalten zählt. Im Kriege wird außerdem für jedes auf den Kriegsfuß gesetzte Feld- Ba= taillon eine Ergänzungs - Compagnie errichtet und die erforderliche Zahl von Abtheilungen für den Feld-Eisenbahn- und Feld- Telegraphen-Baudienst formirt. Die im Frieden aufgestellten 5 Feld - Eisenbahnabtheilungen (Nr. 1-5) dienen als Cadre für die im Kriege zur Aufstellung weiter gelangenden 10 Feld-Eisen bahnabtheilungen. Der Dienst des Pionier - Regimentes im Felde umfaßt ver

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nämlich den Bau von Kriegs- , Noth- und halbpermanenten Brücken , jedoch fällt dem Pionier-Regimente auch die Ausführung sonstiger technischer Arbeiten zu. Jedem Pionier - Bataillon ſind in administrativer Beziehung 8 Kriegs Brücken- Equipagen zugewiesen, deren jede das Material für eine 28 Klafter lange Brücke enthält. Zu diesen technischen Verrichtungen können die Feld- und Reserve - Com pagnien gleichmäßig verwendet und die Ergänzungs - Compagnien in Festungen, Brückenköpfe verlegt werden. Die Zeugsreserven besorgen die Materialver waltung. g. Die Sanitätstruppe. Die Sanitätstruppe besteht aus : a. dem Sanitäts - Truppen - Commando und P. aus 23 Sanitäts - Abtheilungen. Hierzu treten im Kriege: r. Feld - Sanitäts- Abtheilungen. Die Sanitätstruppe ist im Frieden wie im Kriege zur Pflege der Ver wundeten und Kranken bestimmt ; im Kriege hat sie überdies den niederen Sanitätsdienst im Lager, Biwak , in Cantonirungen , während des Marsches, Gefechtes und auf den Hülfs- und Verbandplätzen zu versehen. Im Frieden wird die Sanitätstruppe in denjenigen Garnisonspitälern verwendet , in deren Stand ihre Abtheilungen gehören. Den militairischen Befehl über die Sanitäts truppe führt ein Oberst in der Eigenſchaft als Sanitäts -Truppen-Commandant ; derselbe ist Hülfsorgan des Reichs -Kriegsministers. h. Militair- Fuhrwesen - Corps. Das Militair- Fuhrwesen - Corps besteht im Frieden aus : dem General - Fuhrwesen - Inspector (ist Hülfs organ des Reichs-Kriegsministers) , 6 Landes - Fuhrwesen - Commandos , die selben sind zur Ausübung und Ueberwachung des praktischen Fuhrwesendienstes be rufen ; 36 Fuhrwesen - Feld - Escadrons nebst 36 Cadres für die im Kriege aufzustellenden Reserve - Escadrons ; erstere versehen den Fuhrwesen - Loco - Dienst. 6 Fuhrwesen - Ergänzungs - Escadrons , welche mit dem Evidenz geſchäfte betraut, im Kriege die Nachsendung der Ergänzungen zu vermitteln haben. Zum Verbande des Militair-Fuhrwesen-Corps gehören ferner : 6 Fuhrwesen- Material- Depots , welche zu den Militair-Verwaltungs Anstalten zählen. Hiezu treten im Kriege: a. als leitende und überwachende Organe: 1) für jede Armee ein Armee -Fuhrweſen - Commando , 2) für jedes Armee - Corps ein Armee - Corps - Fuhrwesen -Com mando , b. als Fuhrwesen-Abtheilungen : 1 ) die Führwesen - Reserve - Escadrons , welche außer den im Frieden bestehenden 36 Feld- Escadrons noch zur vollständigen Aus rüstung der Armee nothwendig werden, 2) die erforderlichen Tragthier - Escadrons für Armeekörper, welche für den Gebirgskrieg ausgerüstet werden, 3) die Fuhrwesen - Chargen - Cadres zur Führung und Beauf sichtigung der aus gedungenen und ſonſtigen Landesfuhren formir ten Wagen-Colonnen, 4) Die Ersatzabtheilungen für die ausmarschirten, schon im Frie den bestehenden Feld- und für die im Kriege zur Errichtung gelan genden Reserve- Escadrons .

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Im Kriege vermittelt das Armee - Fuhrwesen - Ergänzungsdepot die Aufnahme und Absendung der Ergänzungen an Mann und Pferd. Im Frieden versieht das Militair- Fuhrwesencorps (speciell die Fuhrwesen Feld -Escadrons ) den Fuhrwesen - Locodienst , im Kriege besorgt das Fuhrwesen . den Transport der Kriegsbedürfnisse und führt und überwacht den ganzen Armee-Train oder Theile desselben. III. Heeres Anſtalten. 1. Militair - Bildungs - Anstalten. I. Militair - Erziehungs- und Bildungsanstalten. Das Ober Erziehungshaus zu Güns mit dem 2jährigen praktischen Lehrcurſe iſt in der Reform begriffen ; die den praktischen Lehrcurs absolvirten Zöglinge treten je nach ihrer Classification als Unteroffiziere oder Soldaten in das Heer. Die militair- technische Schule als Vorbereitungsschule für die technische Militair- Akademie und für die Artillerie -Cadettenschule, beziehungsweise zur Heranbildung von Artillerie-Unteroffizieren. Der Curs dauert 3 Jahre. Militair - Collegium als Vorbereitungsschule für die Militair-Akademie. Der Curs dauert 2 Jahre. Militair - Akademien und zwar jene zu Wiener Neustadt und die technische Militairakademie , beide zur Heranbildung von Offizieren ; - mit 4jährigem Curje. II.

Fachbildungs - Anstalten.

Die Kriegsschule hat 2 Jahrgänge, ist die Vorbereitungsschule für den Generalstab, in welche vorzüglich qualificirte Offiziere aufgenommen und für die höhere Truppenführung oder für die angestrebte Verwendung in dem General stabe fachwissenschaftlich ausgebildet werden. Artillerie Curs mit je 2 Jahrgängen zur höheren Aus Höherer Genie bildung von Artillerie- und Genie- Offizieren in den technischen Fächern und Kriegswissenschaften. Vorbereitungsschule für Stabs- Offizier - Aspiranten der Ar tillerie mit der Artillerie - Schießschule mit einem Jahrgange. Central- Infanterie-) Curs ; zur Vorbereitung der Stabs - Offizier Cavallerie-/ Aspiranten der Infanterie, Jäger und Cavallerie mit je einem Jahrgang. Intendanz - Curs mit zwei Jahrgängen zur Heranbildung von Militair Intendantur-Beamten. Artillerie - Central - Equitations - Curs . Dieser hat die Bestimmung, Lehrer für die Regiments- Equitationen der Feld - Artillerie auszubilden und das durch die Verbreitung des Reit- und Fahrunterrichts nach übereinstimmenden Grundsäßen in der Artillerie-Waffe zu sichern. Der Eurs dauert ein Jahr. Medicinisch - chirurgische Josefs - Akademie hat die Bestimmung zur Heranbildung von Militair - Aerzten ; die Auflassung dieser Militair - Bildungs Anstalt ist im Zuge. Militair - Thierarznei - Institut hat in erster Linie die Bestimmung zur Heranbildung von Thierärzten für das Civil und das k. k. Heer, sowie von Militair -Kurschmieden für den Bedarf des letzteren. Als Thierspital hat es ferner die Bestimmung, kranke Hausthiere jeder Art auf den Kliniken zu behan deln. Für die Hufbeschlagsschmiede dauert der Curs 6 Monate, für Militair Kurschmiede 2 Jahre, für den thierärztlichen Lehrcurs 3 Jahre.

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Weibliche Erziehungs - Anstalten. Das Offiziertöchter - Institut hat den Zweck, Offiziertöchter zu Erzieherinnen der weiblichen Jugend auszubilden und sie hierdurch in den Stand zu sehen, sich ihren Sebensunterhalt zu verſchaffen. Das Institut hat 4 Jahrgänge. Mannschaftstöchter - Erziehungs - Institute bestehen zwei ; selbe haben den Zmed zur Erziehung und Heranbildung von Soldatentöchtern zu Kindermädchen und Köchinnen. 2. Das Militair - Geographische -Institut. Dieſem liegt die Ausführung der geodätischen und astronomischen Ver meſſungen , der Mappirung , die Erzeugung und Vervielfältigung von Karten und die Lieferung geographischer und topographischer Behelfe für Staatszwecke cb. Den Dienst versehen Offiziere und das technische Personal. 3. Die Militair- Transporthäuſer. Dieselben vermitteln die Absendung beziehungsweise Weiterbeförderung der ihnen zur Absendung übergebenen Mannschaft. Die Militair - Transporthäuser zerfallen: a. in Garniſon- Transporthäuser , welche in größeren Garniſonen ſtabil aufgeſtellt sind und ein eigenes Adminiſtrations Personal haben; b. in Truppen Transporthäuser , welche in der Abhängigkeit eines Truppenkörpers stehen und zumeist in den Ergänzungsbezirks -Stationen aufgestellt sind. Zur Vermittelung der bei der Armee im Felde ab und zugehenden Transporte werden für die mobile Armee Feld - Transporthäuser errichtet. Den Dienst in den Transporthäusern versehen Offiziere und Mannschaft. 4. Militair- Verwaltungs - Anstalten. a. Die Militair - Verpflegs - Magazine. Dieselben haben die Bestim= mung, für den Bedarf des Heeres an Naturalien und eventuell auch an Brenn- und Beleuchtungs-Materialien , dann an Victualien als Verlagsanstalten zu dienen. Die Monarchie ist im Frieden in Verpflegsbezirke eingetheilt und iſt jedem Verpflegs - Magazin ein bestimmter Dienst - Rayon zugewiesen. Bei der Armee im Felde gelangen die Feld - Verpflegs - Anstalten zur Aufstellung. Diese theilen sich: 1 ) in Verpflegs - Colonnen mit einem viertägigen, 2) in Feld-Verpflegs-Magazine mit einem zwölftägigen Vorrath , endlich 3) in Reserve - Verpflegs - Magazine , welche im Rücken der operirenden Armee aufgestellt sind. Der Dienst wird durch Militair - Beamte und durch die Verpflegs - Mann schaft besorgt. b. Die Militair - Betten - Magazine. Denselben liegt die Vorrath haltung der Betten - Erfordernisse mit Ausschlußz des Bettenstrohes — und die Verabreichung an die Bezugsberechtigten ob. Die Militair-Betten-Magazine sind entweder als selbstständige Heeres - Anstalten aufgestellt oder sie sind mit den Verpflegs - Magazinen vereinigt . Der Dienst in den Betten- Magazinen wird durch Militair-Beamte und Mannschaft versehen. c. Die Montur - Verwaltungs - Anstalten. Dieselben haben die Be stimmung , für den Bedarf des Heeres an Montur, Mannes- und Pferde Rüstungen, Feld- und Sanitäts - Requisiten, Bettenjorten und ärztlichen Er ferdernissen als Verlags - Anstalten zu dienen. Es bestehen Montur - Depots und außerdem Montur - Filial - Depots. Im Kriege werden nach Bedarf Montur-Feld- Depots aufgestellt. Der Dienst in den Montur - Depots wird durch Offiziere und Mannschaft versehen. d. Anstalten des Artillerie - Zeugwefens. Denselben liegt die Er

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zeugung des Artillerie - Materials , der Handfeuerwaffen , Munition , dann der blanken Waffen und die Verwaltung dieser Sorten , insofern sie nicht im Ge brauche der Truppen sind, ob. Die Anstalten sind : 1 ) Die Artillerie - Zeugfabrik als Haupt- Erzeugungsplaß für das Artillerie- und sonstige Waffen-Material. Das Artillerie - Zeugdepot im Artillerie - Arſenale in Wien zur Magazinirung und Evidenthaltung des Materials jeder Gattung. Die Artillerie Zeugcompagnie , welche das für den Dienſt in den Werk ſtätten und Magazinen nöthige Arbeitsperſonal beiſtellt. Die Uebernahme Commission , welche die Untersuchung aller gefertigten Gegenstände, Zeugsorten und Materialien besorgt. 2) Die Pulverfabrik zur Erzeugung des Pulvers. 3) Die Artillerie - Zeugdepots und Artillerie - Zeug - Filialdepots zur Verwaltung und Instandhaltung der dort deponirten Waffen , Sorten , Pulver Vorräthe und eventuell für Neu- Erzeugungen. 4) Die Artillerie - Laboratorien welche in verschiedene Klaffen eingetheilt sind ― besorgen die Erzeugung der Munition. Im Kriege kommen noch hiezu die Feld - Zeugabtheilungen und Com pagnien , welche den Ersatz der verbrauchten Sorten , sowie Reparaturen am Artillerie-Material bei der Armee im Felde zu bewirken haben ; endlich werden in festen Pläßen auch Kriegs - Laboratorien errichtet. Bei den Anstalten des Artillerie - Zeugwesens wird der Dienſt durch die tech niſche Artillerie beſorgt. e. Fuhrwesen - Material- Depots. Die Fuhrwesen - Material- Derets bilden einen integrirenden Theil des Militair-Fuhrweſen-Corps und liegt ihnen die Erzeugung , Instandhaltung und Vorrathhaltung des Train - Materials für die Ausrüstung des Heeres , ferner die Ausbildung von Profeſſioniſten der Zn fanterie , Jäger, Cavallerie , Genietruppe behufs Verwendung zur Inſtand haltung des Truppen-Trains ob. Der Dienst in diesen Verwaltungs-Anſtalten wird durch Offiziere und durch das technische Hülfspersonal versehen. f. Pionier-Zeug - Depot ist zur Erzeugung und Nachschaffung der ge ſammten Kriegsausrüstung des Pionier - Regimentes mit Kriegsbrücken- Material, zur Verwaltung der Reserve -Kriegsbrücken - Equipagen , im Kriege insbesondere zur Deckung des Materialbedarfes beſtimmt. Den Dienſt verſehen Offiziere und Mannschaft des Pionier-Regiments . g. Die Militair - Bau - Directionen. Die bestehenden Militair - Ban Directionen sind mit der Verwaltung der zu Heereszwecken gewidmeten ärariſchen oder dauernd gemietheten, nicht fortificatorischen Gebäude und Grundstücke beauf tragt. Den Dienst versehen die Militair = Bauverwaltungs- Offiziere , ferner Militair-Beamte. 5. Militair - Sanitäts - Anstalten. Dieselben sind sowohl im Frieden wie im Kriege zur Aufnahme erkrankter oder verwundeter Personen des f. f. Heeres bestimmt. Die im Frieden bestehenden stabilen Militair- Sanitäts -Anstalten gliedern sich: a. in 23 Garnisonspitäler nebst ihren Filialen, b . in die Truppenspitäler, c. in die Marodenhäuser, d. in die Militair-Heilanſtalten der verschiedenen Kurorte. Hiezu treten im Kriege die zur Errichtung gelangenden Feld - Sanitäts Anstalten , und zwar: e . die Divisions - Sanitäts - Anstalten, f. die Feldspitäler, g. die Feld-Marodenhäuser, h. die Kranken-Haltstationen, i. die Feld-Sanitäts - Reserve-Anstalten.

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Von den Feld - Sanitäts - Anstalten gehören die sub e. angeführten in die erste, alle übrigen in die zweite Linie der Anstalten bei der Armee im Felde. Zu den Feld-Sanitäts -Reserve-Anstalten gehören : a. Das Sanitäts -Material-Felddepot sammt seinen Filialen, b. die aus Anlaß der Kriegs- Eventualitäten zur Errichtung kommenden stabilen Kriegs-Heilanstalten, c. die von patriotiſchen Vereinen oder Privatperſonen etwa zur Errichtung gelangenden derlei Spitäler, d. die stabilen Garnison- und Truppen-Spitäler. Zu den Militair- Sanitäts -Anstalten zählen ferner die Militair - Medica menten- Anstalten, deren Bestimmung ist, die für den Gebrauch des k. k. Heeres und seiner Sanitäts-Anstalten nöthigen Heilmittel zu beschaffen. Es bestehen: Die Militair- Medicamenten - Regie - Direction, das Militair- Medicamenten - Depot, die Garnisonspital - Apotheken, die Garnison - Apotheken, eine Invalidenhaus - Apotheke. Für jede operirende Armee wird ein Medicamenten - Feld depot auf gestellt. In den Militair- Sanitäts -Anstalten wird der Dienst durch Militair-Aerzte, Rechnungsführer, Militair-Beamte und das niedere Sanitäts -Perſonal versehen . 6. Militair - Verſorgungs - Anſtalten. Dieselben haben die Bestimmung zur Unterbringung und Versorgung jener invaliden Offiziere und Mannschaften , welche wegen ihrer Gebrechen einer be sonderen Pflege und Wartung bedürfen . 7. Militair - Straf- Anstalten. Dieselben haben die Beſtimmung, die Untersuchungs- Arreſtanten und Straf gefangenen zu verwahren. Es bestehen: Festungs - Strafhäuſer (für schwere Ver brechen), Garnison - Arreste (bei den Garnison - Gerichten) und Brigade - Arreste (bei den Brigade - Gerichten). Bei der Armee im Felde sind Feldarreſte auf gestellt. Zu den betreffenden Dienstleistungen ist das Arreſtanten - Aufsichtspersonal bestimmt . IV. Die t. f. Garden. Die . . Garden haben die Bestimmung , zur nächsten Bewachung der Allerhöchsten Personen Ihrer Majeſtäten, zur Umgebung und Begleitung Allerhöchstderselben, besonders bei feierlichen Gelegenheiten, ferner zur Aufrechthaltung der Sicherheit in den k. k. Schlössern und den sonstigen k. . Hoflagern, zu dienen. Die Garden bestehen aus : a. Der ersten Arcièren - Leib garde , b. der . Ungarischen Leibgarde. Die Garden werden dem Stande der Ober-Offiziere, die Chargen dem Stande der Stabs-Offiziere und Generale entnommen. c. Die Trabanten - Leibgarde. Die Garden bestehen ebenso wie bei der d. Leibgarde - Reiter - Escadron und e. der Hofburgwache aus Unteroffizieren. Von der Leibgarde-Reiter-Escadron wird bei der Armee im Felde eine Abthei lung im Hauptquartier verwendet. V. Militairisch organisirte Körper, die dem Reichs-Kriegsministerium nicht in jeder Beziehung unterſtehen. 1. Die Sicherheits - Truppen , zu welchen zählen: a. Die Gendarmerie - nur für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und 21 Militairische Jahresberichte 1874.

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Länder , für Croatien , Slavonien und für Siebenbürgen beſtehend - ist zur Auf rechthaltung der Ruhe, Sicherheit und Ordnung bestimmt. - Dieselbe steht mittelst des Gendarmerie-Inſpectors unter dem k. k. Miniſterium für Landes - Vertheidigung, beziehungsweise dem Reichs-Kriegsministerium. — Die Gendarmerie ist in 16 Landes Gendarmerie- Commandos, dieſe wieder in Abtheilungs - Commandos gegliedert. b. Das Serezaner Corps ist zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Croatien und Slavonien bestimmt und iſt durch das General-Commando in Agram dem Reichs-Kriegsministerium unterſtellt. c. Die Militair - Policei - Wach corps - Abtheilungen in Lemberg und Krakau versehen daselbst den Local Policeidienst. d. Das Militair - Wachcorps für die Civilgerichte in Wien ist für den Sicher heitsdienst bei den k. k. Juſtiz-Behörden Wiens beſtimmt , unterſteht in dienſtlicher und ökonomischer Beziehung dem . . Justizministerium. 2. Gestüts -Branche. a. Die Militair- Abtheilungen der Gestütsbranche in den . . Staats -Hengsten- Depots . Ihnen liegt die Erhaltung der zur Hebung der Landespferdezucht bestimmten ärarischen Beschälhengſte, ſowie die Dienſtleiſtung in Landespferdezucht - Angelegen heiten ob. Zur Versehung des Dienstes sind bei dieſen Staatsanſtalten Militair - Abthei lungen eingetheilt , welche in Pferdezucht und in ökonomisch administrativen An gelegenheiten durch den „Militair-Inſpector“ unter dem k. k. Ackerbau-Ministerium stehen. b. Die Militair - Abtheilungen der Gestütsbranche in den 1. Ungarischen Pferdezucht - Anſtalten. Die k. Ungarischen Anstalten zur Hebung der Pferdezucht theilen sich : in Staats Gestüte und in Staats -Hengsten - Depots . Für den Dienst in diesen Anstalten sind Militair - Abtheilungen eingetheilt, welche durch den Militair Inspector unter dem k. Ungarischen Ministerium für Landwirthschaft, Induſtrie und Handel ſtehen. VI. Die Landwehr ist bei der Darstellung der Ergänzung des Heeres bereits besprochen und erscheint hier nur die am Ende des Jahres 1874 bestehende Organiſation überſichtlich zuſammengefaßt: a) Die k. k. Landwehr. Behörden: 1 ) das Ministerium für Landesvertheidigung als oberste Behörde der f. t. Landwehr; 2) das k. k. Landwehr - Ober - Commando führt den militairischen Ober befehl; 3) sechs Landwehr- Commandos sind die Mittelstellen zwischen dem Ministerium für Landesvertheidigung beziehungsweise dem Landwehr-Ober Commando und den Landwehrtruppen. Die General-Commandos in Wien, Brünn, Grak, Prag, Lemberg und das Militair-Commando in Zara sind zugleich Landwehr-Commandos. Für Tirol und Vorarlberg dessen Landesvertheidigung durch ein bejen deres Landesgesetz geregelt ist besteht kein Landwehr-Commando, sondern die Landesvertheidigungs - Oberbehörde als Mittelbehörde zwischen dem Mi nisterium für Landesvertheidigung beziehungsweise dem Landwehr- Ober-Commando und den Landwehrtruppen . Truppen. Die k. k. Landwehr zerfällt in die Landwehr- Infanterie und in die Landwehr - Cavallerie. Zur Landwehr- Infanterie gehören : die Landwehr - Infanterie - Ba

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taillone , die Landwehr - Schüßen - Bataillone à 4 Feld- , 1 Reserve und 1 Ergänzungs - Compagnien. Im Frieden en cadre . Zur Cavallerie zählen: die Dragoner- und Ulanen - Escadrons , ſowie die Abtheilung berittener Schüßen in Dalmatien. Die Landwehr-Infanterie beſteht aus 80 Bataillonen , die Cavallerie aus 25 Escadrons und einer Abtheilung berittener Schüßen in Dalmatien. Außerdem zählt das Institut der Landesvertheidigung in Tirol und Vorarlberg : im Frieden 10 Landes -Bataillone zu je vier Landes-Compagnien en cadre , zwei Escadrons mit einem gemeinsamen Cadre; im Kriege 10 Feld- und ebenso viele Reserve - Bataillone, sowie 10 Ergän zungs-Compagnien, zwei Escadrons mit einem gemeinſamen Cadre. b) Die k. Ungarische Landwehr.

Behörden: 1 ) das Landesvertheidigungs - Ministerium als oberste Behörde der f. Ungarischen Landwehr ; 2) das Landwehr - Ober - Commando führt den militairischen Oberbefehl; 3) sieben Landwehr- Districts - Commandos als Mittelstellen zwischen dem Landesvertheidigungs - Ministerium beziehungsweise dem Landwehr - Ober Commando und den Landwehrtruppen. Truppen. Infanterie: 7 Infanterietruppen- Diviſionen à 2 Infanterie-Brigaden, 14 Infanterie-Brigaden à 6–7 Bataillone, 92 Bataillone Infanterie zu je 4 Compagnien. Jm Mobilisirungsfalle werden, je nach dem Stande der Bataillone , Ba= taillone 2. Linie und überdies bei jedem Bataillon noch ein Ergänzungskörper zu 1 oder 2 Compagnien errichtet. Cavallerie: 10 Cavallerie-Regimenter, jedes zu 2 Divisionen, diese wieder zu je 2 Escadrons. Mitrailleusen- Abtheilungen : 20 Mitrailleusen - Abtheilungen zu je 4 Piècen und 4 Munitions-, 2 Reserve- und 3 Armee- Fuhrwerken. Die Armee im Felde. Die mobilen Commandos , Behörden , Truppen und Anstalten der bewaff neten Macht bilden in ihrer Gesammtheit im Kriegsfalle die „ Armee im Felde. " Im Falle einer allgemeinen Mobilifirung wird die ganze bewaffnete Macht des Staates (also das stehende Heer, die Ersatz-Reserve und die Landwehr), in eine oder mehrere Armeen eingetheilt; in dem Falle, daß mehrere Armeen auf ein und demselben Kriegsschauplatze zu operiren bestimmt sind, gelangt das Armee Ober - Commando zur Aufstellung . Gliederung. Die Armee im Felde gliedert sich nach den verschiedenen Kriegsverhältnissen in nachstehende Armeekörper und zwar: I. in Truppen - Divisionen ; II. in Armee - Corps ; III. in Armeen. Die Truppen-Diviſionen scheiden sich nach ihrer Zuſammenſetzung in Jn fanterie- und Cavallerie- Truppen- Divisionen. I. Truppen - Division. Die Infanterie- Truppen- Division besteht aus : a. Truppen: Dem Truppen- Divisions-Commando, 2 Infanterie-Brigade 21*

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Commandos , 2 Jäger - Bataillonen , 12 Bataillonen Infanterie , 2 bis 4 Escadrons Cavallerie, 3 Batterien als Divisions-Artillerie, 1 Genie Compagnie. b. Anstalten : Diviſions - Munitions - Park, Feld - Sanitäts - Anstalt , Ver pflegs-Colonne. Hierzu : eine Fuhrweſen-Feld- Escadron und die Stabstruppe. Zur Besorgung des operativen Dienstes ist die Generalstabs- Abthei lung , für den Verwaltungsdienst die Divisions - Intendanz berufen. Die Cavallerie-Truppen- Diviſion besteht aus : a. Truppen: Dem Truppen = Divisions = Commando , 2-3 Cavallerie Brigade - Commandos , 4-6 Cavallerie - Regimentern , 2-3 Cavallerie Batterien als Diviſions -Artillerie. b. Anstalten: Munitionswagen, Feld- Sanitäts -Anstalt, Verpflegs - Colonne. Hierzu: eine Fuhrwesen-Feld- Escadron und die Stabstruppe. Brigaden. Zur Erleichterung der taktischen Führung werden die Haupt waffen einer Truppen-Diviſion in Brigaden getheilt, welche aus 6 Bataillonen Infanterie, beziehungsweise aus 2 Cavallerie - Regimentern , beſtehen. - Die taktische Gruppirung und Verwendung der Truppen einer Division während der Operationen wird, dem Gefechtszwecke entsprechend, durch fallweise Dispositionen des Truppen-Divisions - Commandanten geregelt. II. Armee- Corps . Ein Armee - Corps wird in der Regel formirt aus: a. Truppen: Dem Armee =- Corps - Commando , 3 Infanterie - Truppen Divisionen , einer Cavallerie - Brigade , event. einer Cavallerie- Division, der Corps-Geſchütz-Reserve (3—6 Batterien) , der erforderlichen Anzahl von Abtheilungen der Pioniertruppe und Kriegsbrücken- Equipagen sammt Bespannungen (1 Compagnie mit 2 Equipagen , 2 Fuhrwesen-Bejpan nungszüge). Jedem Armee - Corps wird ein Cavallerie - General mit einem Brigadestabe zugewiesen, welcher zu besonderen Unternehmungen , eventuell zur Uebernahme des Commandes über die im Bedarfsfalle in eine Brigade zu vereinigende Cavallerie der Infanterie-Truppen- Divisionen bestimmt ist. b. Anstalten: Corps -Munitons - Park, Verpflegs-Colonne, Operationskaſſe. Hierzu eine Fuhrwesen-Feld- Escadron und die Stabstruppe. Das Armee = Corps - Hauptquartier gliedert sich in die Generalstabs Abtheilung und in die Armee - Corps - Intendanz. III. Die Armee. In der Regel gliedert sich eine Armee in: a. Truppen : Das Armee- Commando einschließlich der Armee-Intendanz, die nach der Ordre de bataille firirte Anzahl von Armee - Corps oder Truppen-Divisionen, die eventuell aufzustellende Armee- Geſchütz- Reſerve, die nöthige Zahl von Genietruppen, Pionier-Abtheilungen und bespannten Kriegsbrücken-Equipagen. b. Anstalten : Für jedes Armee - Hauptquartier und für jede Armee Intendanz eine Verpflegs - Colonne. Das Armee-Hauptquartier gliedert sich : 1. In die Generalstabs - Abtheilung , bestehend aus der Operations und der Detail-Abtheilung (Kanzlei) . 2. In die Armee - Intendanz , bestehend aus der Militair- und der Verwaltungs -Abtheilung. Dem Armee-Hauptquartier sowie der Armee-Intendanz ist eine Fuhrweſen Feld-Escadron und die nöthige Stabstruppe beigegeben.

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Hülfs - Organe und Reſerve - Anſtalten. Hülfsorgane. Für die Leitung des Artillerie- , Genie- , Sanitäts- und Justizwesens und der Militair - Seelsorge sind den Truppen- Divisionen, Armee Corps und Armeen die nöthigen Hülfsorgane beigegeben. Die Reserve- Anstalten der Armee im Felde haben die Bestimmung, den Abgang an Kriegs - Material zu decken , beziehungsweise den Kranken und Verwundeten die erste Hülfe zu leisten, andererseits als Nachschub- und Aufnahme Anstalten zu dienen. Die bei den Truppen-Divisionen und Hauptquartieren einge theilten Reserve-Anstalten bilden die erste, alle übrigen von der Armee-Intendanz dependirenden, im Rücken der Armee aufgestellten, bilden die zweite Linie. Zu den Reserve-Anstalten erster Linie zählen: 1) Die Artillerie-Reſerve-Anstalten der ersten, beziehungsweise vorderen Linie. 2) Die Feld-Verpflegs- Anstalten (Proviant- Colonnen der Truppen und die Verpflegs Colonnen). 3) Die Feld-Sanitäts -Anſtalten (Diviſions-Sanitäts -Anſtalten). 4) Die Monturs- und die Train-Material-Reſervevorräthe der Truppen. Zu den Reserve-Anstalten zweiter Linie zählen : 1) Die Artillerie- Reserve- Anstalten der zweiten Linie. 2) Die Feld-Verpflegs -Magazine. 3) Der Armee- Schanzzeugpark, eventuell der Belagerungs-Geniepark. 4) Das Monturs - Feld - Depot. 5) Das Sanitäts -Material-Feld-Depot. Das Medicamenten - Feld- Depot. Die Feld - Sanitäts -Anstalten ( Feldspitäler, Feld - Marodenhäuser, Kranken - Halte stationen). Haupt-Feld -Depots und Feld - Sanitäts - Reserve - Anstalten. Zur Erzeugung beziehungsweise Anſammlung und zum Nachschub aller Kriegsbedürf niſſe für die Armee im Felde werden nebst den vorerwähnten mobilen Reſerve Anstalten überdies die im Rücken der Armee gelegenen stabilen Heeres-Anstalten gleicher Art als „ Haupt - Depots " , beziehungsweise " Sanitäts - Reſerve Anstalten " bestimmt, nach Bedarf erweitert und eingerichtet. Feld - Gendarmerie , Feld- Post-, Feld - Telegraphen- , Feld = Eisenbahn - Abtheilungen. Bei der Armee im Felde werden ferner ver wendet : a. Die Feld - Gendarmerie; dieselbe wird entweder den Generalstabs organen zum Hülfsdienst beigegeben, oder für den Feldpolicei-, den Courier und Ordonnanzdienst verwendet und schon im Frieden für diese Zwecke ausgebildet. b. Die Feld -Post vermittelt den Post - Verkehr von und zu den mobilen Armeetheilen ; jedem Armeecorps wird eine Feldpost-Leitung, dem Armee Hauptquartier, jeder Armee - Intendanz , jeder Truppen - Division eine Feldpost-Expositur beigegeben. c. Der Feld- Telegraph besorgt die Herstellung der für militairische Zwecke nöthigen Telegraphen = Leitungen und versieht den Apparatdienst ; jedes Armee-Commando erhält eine Feld-Telegraphen-Erpositur. = d. Die Feld Eisenbahn - Abtheilungen haben die Aufgabe der Zer störung und Wiederherstellung von Eisenbahnstrecken , eventuell auch den Betrieb hergestellter Strecken selbst zu besorgen. Der Armee - Train hat die Bestimmung , der Armee die erforderlichen Bedürfnisse jeder Art, soweit sie von Mann und Pferd nicht getragen werden, zuzuführen. Jener Theil des Armee - Trains , welcher die unmittelbar zu der Truppe gehörigen Fuhrwerke und die Reserve - Anstalten erster Linie umfaßt, gliedert sich:

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Militairische Jahresberichte für 1874. 1. In den Gefechts - Train , auf welchem die Bedürfnisse verladen ſind, welche der Truppenkörper in dem Gefechte oder unmittelbar nach dem selben bedarf. 2. In den Bagage - Train, der denjenigen Theil des Trains umfaßt, welcher zwar in und unmittelbar nach dem Gefechte nicht nöthig , aber auf längere Zeit nicht entbehrlich ist und bei der Truppe bleiben muß. 3. Der Verpflegs - Train (Proviant - Train) wird aus den Verpflegs Anstalten erster Linie gebildet. Der vereinte Gefechts- und Bagage - Train heißt kleiner Train ; aus der Vereinigung des Bagage- und Proviant - Trains entſteht der große Train , aus jener aller drei Truppen der ganze Train.

Aenderungen in der Organisation des stehenden Beeres im Jahre 1874. Instruction für den Cavallerie - Inspector. Die im Jahre 1869 publicirte Inſtruction für den Cavallerie- Inspector wurde im Jahre 1874 durch eine neue ersetzt. Der General - Cavallerie - Inspector ist ein Hülfsorgan des Reichs-Kriegsministers , nach dessen Weisungen und Intentionen derselbe zu handeln hat , und an welchen er in allen Fällen direct gewieſen ist. Der Ge neral-Cavallerie-Inspector überwacht die einheitliche und kriegstüchtige Ausbildung der ganzen Cavallerie, überzeugt sich von der Schlagfertigkeit der Cavallerie Regimenter , sowie von der Kriegstüchtigkeit des ganzen Ausrüstungsmaterials und inspicirt daher die Cavallerie - Regimenter rücksichtlich ihrer militairiſchen, taktischen und feldmäßigen Ausbildung und Verwendbarkeit. Der General Cavallerie-Inspector wohnt allen Waffenübungen, zu welchen größere Cavallerie körper herangezogen werden , bei , führt nach Umständen auch das Commando einzelner Heerestheile und ist gleichsfalls zur Abgabe seines Urtheiles bei allen die Cavallerie betreffenden Versuchen berufen. Artillerie Batterie - Divisionen. In Uebereinstimmung mit der Ordre de bataille für die Armee im Felde wurde die entsprechende taktische Gliederung der Batterien der Feld - Artillerie in Batterie - Divisionen schon im Frieden durchgeführt und hierdurch bei jedem der 13 Feld-Artillerie-Regimenter die Stelle eines dritten Majors jammt Adjutanten und Divisions-Trompeter schon im Frieden systemiſirt. Vor dieser Reform war jedem der 3 außer dem Oberſt Regiments Commandanten systemisirten Stabsoffizier ( 1 Oberst - Lieutenant, 2 Majors) , im Frieden nach den Dislocationsverhältnissen , eine entsprechende Anzahl von Unterabtheilungen des Regimentes zur Jnspicirung zugewiesen, während nunmehr die Batterien jedes Feld-Artillerie-Regimentes in vier Bat jede unter dem Befehl eines Stabsoffiziers (Batterie terie- Divisionen ――――――― zusammengestellt sind. Divisions-Commandanten) Jede Batterie - Diviſion beſteht in der Regel aus 3 Batterien und zwar gehören in die: I. Batterie-Diviſion : 2 4-Pfünder- und eine 8-Pfünder-Fußbatterie; II. Batterie-Division : eine 4-Pfünder-Fuß-, eine 4-Pfünder- Cavallerie- und eine 8-Pfünder-Fußbatterie ; III. Batterie- Division: eine 4-Pfünder-Fuß-, eine 4-Pfünder- Cavallerie- und eine 8-Pfünder-Fußbatterie ; IV. Batterie-Division : drei 8-Pfünder-Fußbatterien. Die 4-Pfünder-Cavallerie-Batterie Nr. 7 wird in der Regel der IV., jenſt, gleichwie jede der übrigen Unterabtheilungen des Regiments , nach Maßgabe der Dislocationsverhältnisse irgend einer Batterie- Division zugetheilt.

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Generalstab. In die ſyſtemiſirte , jedoch bisher nicht bejezte Stelle des Generalstabschefs wurde Feldzeugmeister Freiherr von John - 1866 Ge neralstabschef der unter der Führung des Feldmarschalls Erzherzog Albrecht siegreichen Süd - Armee , später Kriegsminister, zuletzt commandirender General in Grazz ernannt. Außerdem wurde die Stelle eines Stellvertreters des Chef des Generalstabes creirt. Medicinisch - chirurgische Josefs - Akademie ; militair - ärztlicher Curs. Die zur Heranbildung von Militairärzten bestandene medicinisch chirurgische Josefs - Akademie wurde mit Ende des Schuljahres 1873-74 aufgelaſſen und gleichzeitig die Errichtung eines militair- ärztlichen Curſes in Wien verfügt. Militair Sanitätswesen. Die organischen Bestimmungen für die freiwillige Unterstügung der Militair - Sanitätspflege im Kriege durch den Deutschen Ritter Orden weisen diesem: 1) die Unterstützung der Feld-Sanitäts -Anſtalten erster Linie in ihrer Wirksamkeit auf dem Kampfplake ; 2) die Unterſtüßung der Feld -Sanitäts -Anſtalten zweiter Linie zu. ad 1 ) Die vom Deutschen Ritter Orden unter Mitwirkung der Kriegsverwaltung auf zustellenden Feld - Sanitäts - Colonnen - je eine bei jeder Infanterietruppen Division der Armee im Felde – haben die Beſtimmung zur Unterſtüßung des amtlichen Sanitäts dienstes auf und zunächst dem Schlachtfelde. Die Feld- Sanitäts- Colonnen des Deutschen Ritter Ordens bilden einen integrirenden Theil der Feld-Sanitäts -Abtheilungen. Die für erstere erforderliche Sanitäts- und Train-Mannschaft, sowie die Zugpferde stellt die Kriegs verwaltung, die Colonnen- Commandanten, das gesammte Train- und Ausrüstungsmaterial der Deutsche Ritter Orden und beſorgt dieser außerdem aus seinen Mitteln die Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Mannschaft. Die Commandanten der Feld-Sanitäts - Colonnen werden, wo thunlich, militairische Chargen bekleiden und sind ohne Rücksicht auf dieſe, dem betreffenden Diviſions-Sanitäts Abtheilungs- Commandanten in allen militair-dienstlichen und militair-policeilichen, - dem Divisions Sanitäts - Chef in der Ausübung des Sanitätsdienstes untergeordnet. Das gesammte Personal der Ordens -Feld-Sanitäts -Colonnen trägt unterhalb der vor geschriebenen Armbinde , an diese anschließend , eine zweite, 11/2 Zoll breite, aus gleichem Stoffe bestehende, weißtuchene Binde, auf deren Außenseite in der Mitte das Mariannen Kreuz aus schwarzem Tuche aufgesteppt ist. ad 2) Der Deutsche Ritter-Orden wird, sofern es die Mittel des Spitalfonds erlauben, nochdurch Errichtung von Blessirten Transport - Colonnen , welche den Zweck haben, an Tagen nach den Gefechten an der Perlustrirung des Schlachtfeldes theilzunehmen, sowie durch Etablirung von Feldspitälern freiwilligen Sanitätsdienst leisten. Militair-Unter- Realschule in Güns. Das bisher bestandene Militair Ober-Erziehungshaus zu Güns wurde in eine den vier unteren Klaſſen der Realschule entsprechende Militair - Bildungsanstalt unter dem Titel „ Militair Unter - Realschule " umgestaltet und im November 1874 aufgestellt. Zweck diejer Militair - Bildungsanstalt ist die Heranbildung eines in jeder Beziehung entsprechenden Nachwuchses an Zöglingen für die militair- technische Schule in Mährisch - Weißkirchen , aus welch letzterer die Zöglinge nach vorzüglich ab selvittem dreijährigem Curse in die technische Militair-Akademie zu Wien über treten. Der Normalstand der Militair - Unter - Realschule ist auf 200 Zöglinge festgesetzt. Bei vorhandener phyſiſcher Eignung werden Zöglinge auf ganz- und halbfreie Militair-Zöglings-, dann auf Stiftungs- und Zahl- Plätze aufgenommen. Bei der Aufnahme werden Waisen oder solche Aspiranten , welche eine Schule mit Deutscher Unterrichtssprache nicht besuchen können , zunächst berücksichtigt. Das Beköstigungs -Pauschale für einen Zahlzögling oder Stiftling ist mit 300 Gul den, für einen halbfreien Platz mit 150 Gulden festgesetzt. Der Lehrplan ist im Allgemeinen jenem einer Unter - Realschule gleich und erfolgt die Aufnahme nach vier gut zurückgelegten Klaſſen der Volksschule und auf Grund einer günstig

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abgelegten Aufnahmsprüfung. Aspiranten werden nach vollendetem 10. , jedoch nicht überschrittenem 13. Lebensjahre in den ersten Jahrgang aufgenommen. Bei dem Bedürfnisse nach niederen Militair - Bildungsanstalten war der Andrang an Aspiranten für die Militair-Unter-Realschule ein sehr bedeutender. Ausbildung von Kurschmieden. Von nun an werden auch am k. Un garischen Thierarznei - Institute zu Budapest Soldaten des k. k. Heeres und der Gestütsbranche, welche Ungarischer Nationalität und des Schmiedehand werkes kundig sind , zu Beschlags- und Kurschmieden ausgebildet , und ist der Unterricht nach dem gleichem Lehrplane, wie selber für das k. k. Militair-Thier arznei-Institut in Wien besteht, geregelt. Geschäfts - Eintheilung des Reichs - Kriegsministeriums. Bis jezt wurden in dem Reffort der 5. ( Generalstabs-) beziehungsweise 7. (Artillerie-) und 8. (Genie-) Abtheilung des Reichs -Kriegsministeriums auch sämmtliche auf die Vorbereitungs- und Cadettenschulen der verschiedenen Waffen bezug nehmenden Agenden besorgt ; diese Geschäfte sind nunmehr an die 6. Abtheilung (Militair - Bildungs - Anstalten) übergegangen und von letterer die Verleihung von Stiftungen für Militair-Bildungs-Anstalten behandelnden Angelegenheiten an die 9. Abtheilung (Invaliden- und Versorgungswesen) übertragen worden. Militair - Kaſſenwesen. Die Militair - Kasse in Agram wurde auf gelassen und die militairischen Kassen- Geschäfte der dortigen Königlichen Staats Hauptkasse überwiesen, es bestehen nunmehr noch 2 Militair-Kaffen. K. Ungarisches Staats - Hengsten - Depot. Mit 1. October 1874 iſt die Militair - Abtheilung des k. Ungarischen Staats - Hengsten - Depot zu Debreczin activirt worden. Versorgung. - Invalidenwefen. Das seit dem 1. Januar 1856 für die Personen des Gagistenstandes in Wirksamkeit stehende Pensions - Normale bemißt die Pension auf Grundlage der letztgenossenen Activitäts - Gage und nach den zurückgelegten Dienſtjahren des Be treffenden, wobei die vor dem Feinde erlittenen Verwundungen und die mitge machten Feldzüge bei der Zählung der Dienstjahre beſonders in Betracht kommen. - Der Pensionssatz erhöht sich von fünf zu fünf Jahren nach einem bestimmten Verhältnisse derart, daß bei den Generalen und Gleichgestellten mit dem Beginne des 51., bei den Chargen vom Oberſten abwärts und Gleichgestellten mit dem Anfange des 41. Dienstjahres der Pensionsbetrag den vollen Betrag der lezt genossenen Gage erreicht, über welchen ein Steigen der Pensionsgebühr nicht mehr stattfindet. Gegenwärtig wird bei der Penſionsbemeſſung nur auf die Gage beträge reflectirt, wie sie vor der mit 1. Januar 1870 stattgehabten Regulirung bezogen wurden. Bei dem beantragten neuen Militair-Versorgungsgesetze, welches Ende 1874 im Desterreichischen Herren- und Abgeordnetenhause bereits durchberathen, in der Ungarischen Legislative jedoch im Plenum noch nicht zur Verhandlung gekommen, bilden ebenfalls die anrechnungsfähigen Dienſtjahre und die letztbezogene Activitäts gebühr die Grundlagen bei Bemessung der Pension. Nach dem Antrage beträgt die Pension nach vollstreckten 10 Dienstjahren 1/3 , mit dem Beginne des 16. Dienstjahres 3% der leztbezogenen Gage; zu dieser Quote werden sodann bei jedem weiteren Dienstjahre 2 % Procent der Gage zugerechnet. Generale, Stabs- und Oberoffiziere und Gleichgestellte sollen mit dem Beginne des 40. Dienst jahres die letztbezogene Gage als Ruhegehalt erhalten. Dieses Geſetz beantragt, auch die Unteroffiziere, welche eine Reihe von Dienstjahren zurückgelegt haben, zur Betheiligung mit lebenslänglichen Pensionen.

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Durch die Gesetze vom Jahre 1872 und 1873 ist den durch 12 Jahre activ gedienten Unteroffizieren die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Ver sorgung auf Civilpoſten rechtlich gesichert. Die erledigten, durch Anſpruchsberechtigte zu besetzenden Dienstposten werden mittels der Concursblätter veröffentlicht. Zu den besonderen , reglementarisch festgestellten Gebühren der invaliden Mannschaft zählen auch die Zulagen , Unterſtüßungen und Aushülfen aus den für die Invaliden überhaupt bestehenden milden Stiftungen. - Im Jahre 1874 find dem Militairſtande 15 neue Stiftungen gewidmet worden, und bestehen demnach selbe gegenwärtig in folgender Zahl : 176 Stiftungen für Angehörige der Truppenkörper, 430 Stiftungen für Invalide, 100 Stiftungen für Militair-Wittwen und Waiſen, 100 Stiftungen für Militair-Beamte , ehemalige Militair- Parteien , sowie mit anderweitiger Widmung . -Remontirung. Pferdewefen. Die Beschaffung und Standes - Ergänzung der Dienſtpferde für die Truppen körper des k. k. Heeres erfolgt : 1) im Wege der Remontirung und zwar : a. durch Ankauf mittels der stabilen und der zeitlich activirten Remonten Affent Commissionen, b. durch Handeinkauf Seitens der Truppenkörper ; 2) durch Zuweisung von in Folge Auflösungen oder Standes - Herabſeßungen überzählig gewordenen Dienstpferden, welche für die betreffende Waffengattung als vollkommen geeignet classificirt werden; 3) Durch Eintheilung solcher hierzu geeignet classificirten Pferde , welche aus dem beschränkten Eigenthum der Stabs- und Oberoffiziere disponibel entfallen; 4) durch Eintheilung von im Kriege erbeuteten, für die Militair- Dienſtleiſtung geeigneten feindlichen Pferden ; endlich 5) durch Stellung vom Lande. Die Deckung des Bedarfes an Pferden bei einer Mobiliſirung durch zwangsweise Stellung vom Lande wurde durch die in beiden Reichshälften zu Stande gekommenen , auf gleichen Grundsätzen beruhenden Gesetze geregelt. Nach diesen Gesetzen ist jeder Pferde - Eigenthümer verpflichtet , bei einer Mobilifirung seine kriegsdiensttauglichen Pferde gegen angemessene Entſchädigung dem Staate zu überlassen, wobei jedoch besondere Ausnahmen gestattet sind. Der Gesammtbedarf an den über den Friedensstand zur kriegsmäßigen Ausrüstung der bewaffneten Macht erforderlichen Pferden wird jährlich festgestellt und im Verhältnisse auf beide Staatengebiete vertheilt. Die Anzahl der Pferde, welche auf die einzelnen im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder einerseits , auf die Stellungsbezirke der Länder der Ungarischen Krone andererseits entfällt , wird nach Maßgabe deren Leistungsfähigkeit von den be treffenden Ministerien vertheilt. Im westlichen Staatsgebiete erfolgt die weitere Repartition auf die Aushebungsbezirke durch die politischen Landesbehörden im Einvernehmen mit den General- (Militair-) zugleich Landwehr- Commandos. Zur Ermittelung der Leistungsfähigkeit haben die politischen Behörden unter Mitwirkung der Gemeinden alljährig Ausweise über die Zahl und Qua lität der in den Bezirken befindlichen Pferde vorzulegen. Für jeden Aushebungsbezirk werden Assentpläge beſtimmt. Die Aus hebung und Assentirung der Pferde geschieht durch gemischte Commissionen , die zu Anfang jedes Jahres tagen. Jene Pferde , welche am 1. Januar des Stellungsjahres vier Jahre überschritten haben , werden durch die Assent

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commiſſion untersucht und ihrer Qualität entsprechend als Reit- , Zug- oder Tragpferde besonders classificirt. Von den claſſificirten Pferden werden zuerſt jene assentirt , deren Besitzer dieselben für den festgesetzten Remontenpreis frei willig zu überlassen bereit sind ; der Rest wird durch die der Aushebungscom mission beigegebenen Schätzleute abgeschätzt und werden zuerst die am mindeſt bewertheten Pferde aſſentirt. Ueberſteigt die Zahl der tauglichen Pferde das für den Aushebungsbezirk repartirte Contingent, so kann kein Besizer von mehr als Einem Pferde zur Abgabe von mehr als der Hälfte seines ganzen Pferdeſtandes verhalten werden. Vergütungsbetrag für Dienstpferde und Remonten. Für das Jahr 1874 und 1875 wurde der Vergütungsbetrag für jedes an anſpruchsberech tigte Stabs- und Oberoffiziere in das Eigenthum übergehende Dienstpferd oder Remonte mit 250 Gulden festgesetzt. Ausrüftung und Bekleidung. Mit der mit Schluß des Jahres 1869 erfolgten Auflaſſung der zur Erzeugung der Monturs- und Rüstungsstücke bestimmt geweſenen Monturs - Commiſſionen iſt die Beschaffung der für die Bedürfniſſe des Heeres nothwendigen Monturs- und Bekleidungsstücke an die Privatindustrie übergegangen und von dem Conſortium Skene übernommen worden. Da jedoch das Reichs-Kriegsministerium für die Be schaffung der Heeres- Erfordernisse die Erlangung günstigerer Bedingungen — als fie das erwähnte Consortium bot - anstrebte, wurde diesem der mit Ende des Jahres 1874 abgelaufene Vertrag gekündigt und mit vertrauenswürdigen Firmen aus der Großzindustrie, die sich unter sich in drei großze, die verschiedenen Lieferungs gruppen darstellende Confortien vereinigt haben, Lieferungsverträge auf den Zeit punkt mehrerer Jahre abgeſchloſſen ; diese Maßnahme bietet auch volkswirth schaftliche Vortheile, indem die Fabriken dieser Gesellschaften fast über alle größeren Provincen des Reiches zerstreut sind und dem Kleingewerbe Beschäfti gung geben. Für den Kriegsbedarf ist ausreichend gesorgt und die Leistungsfähigkeit der den Consortien gehörenden Fabriken ist eine so bedeutende, daß auch der Ersatz für die Kriegsabnußung in kürzester Zeit beschafft werden kann. In Desterreich - Ungarn liegt demnach die Beschaffung der Monturs- und Rüstungsstücke in den Händen der Privatindustrie, und sind die bestehenden 4 Monturs - Verwaltungs - Anstalten nur als Ueberuahme- und Verlags - Anstalten anzusehen. Die Vorräthe, welche dieselben halten, sind entweder bewegliche, das sind jene, welche für die Friedens- und Kriegsbekleidung und Ausrüstung an die Truppen ausgegeben und für welche Vorräthe der Erja eingeliefert wird, und feste , welche die Monturs-Depots immer zu deponiren haben, jo die Waaren- Caution der Heeres - Ausrüstungs - Gesellschaften und die Vorräthe für einige erst im Kriege zur Aufstellung gelangende Heereskörper. Dieſe feſten Vorräthe werden der Conſervirung wegen durch Zurückbehaltung der neu einge lieferten und Ausgabe der bereits aufbewahrten Stücke aufgefrischt. Die Verwaltung und Verrechnung der Bekleidung , Ausrüstung und des Reitzenges bei den Truppen beruht auf dem Portionensystem. Jeder Soldat tritt vollkommen bekleidet und ausgerüstet in die Bekleidungsgebühr ; diese besteht in einem kopfweise und monatlich mit Bedacht auf die Dauerzeit der Stücke bemessenen Pauschale, das die für die gesammte Bekleidung und Ausrüstung ent fallende Abnutzung umfaßt. Die Jahresabnuzungsbeköstigung wird in Rech nungseinheiten oder Portionen zu 5 fr. zerlegt, welche das durchschnittliche Ge

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bührsäquivalent der Abnutzungsbeköstigung darstellen . Auf diese Grundlage hin ist mit Rücksicht auf die Adjustirungsunterschiede und die sonstigen , die Ab nutzung bedingenden Verhältnisse das Gebührsschema entworfen. Bezüglich der im Jahre 1874 im Bekleidungs- und Ausrüstungs wesen vorgekommenen Veränderungen wären zu verzeichnen: Aerarische Bekleidung beim Austritte aus dem Präsenzdienste. Die zur activen Dienſtleiſtung einberufenen Soldaten haben die Verpflichtung , in ihren eigenen Kleidern zur Truppe einzurücken und werden auch nur diejenigen Unter offiziere und Soldaten bei dem Austritte aus dem Präsenzdienste mit Militairmontur be theilt , welche ununterbrochen durch 3 Jahre im Activdienſte ſtanden. Nachdem durch die im Jahre 1873 durchgeführte Erhöhung des Präsenzstandes (bei den 4. und 5. Feld bataillonen der Infanterie und den Reservecompagnien der Jägertruppe) die 3jährige Präsenz allgemein Regel ist während die Soldaten früher nach oft kürzerer Zeit beur laubt wurden entfielen die Motive für die früher erwähnte Ausnahmebestimmung und erhalten nunmehr nur diejenigen Unteroffiziere und Soldaten bei ihrem Austritte aus der Präsenz Militairmontur, welche vier (4) Jahre ununterbrochen activ gedient haben. Offizierfeldküche. Für den Feldgebrauch, dann auch für den Gebrauch im Frieden bei größeren Marschmanövern und in Uebungslagern , wurden Offizierfeldküchen eingeführt. — Für jedes Infanterieregiment wurden 11 , für jedes Jägerbataillon 2 , jedes Cavallerieregiment 4, für jede Batterie, Mu nitionscolonne, Genie- , Pionier-Compagnie und für jede Führweſenescadron je 1 Stück bemeſſen. Die vollkommen brauchbare Erhaltung der im Laufe der nächsten Jahre successive zur Anschaffung gelangenden Offizier- Feldküchen liegt im Frieden den Truppenkörpern selbst ob, während die anlässig einer Mobili firung vorkommenden Reparaturen das Aerar übernimmt. Artillerie - Feld - Ausrüstungs - Normen. Für die Artillerie sind neue Normen für die Feld-Ausrüstung in Wirksamkeit getreten, welche dadurch bedingt wurden , daß die Verwaltung des Artillerie- Ausrüstungsmaterials rvn den Zeug Depots auf die Artillerie-Truppen übergegangen ist. Monturs-Beköstigungs- und Gebühren - Tarif. Mit 1. Januar 1874 ist die Einführung eines neuen Portionen-Beköstigungs- und Gebühren Tarifes über Montur, Rüstung , Feldgeräthe und Cavallerie -Reitzeug und die damit verbundenen, höher systemisirten Portionen - Gebühren in Wirksamkeit Während nach dem alten Tarife beispielsweise für jeden Mann der Deutschen Infanterie monatlich 345/10 Monturs- und 1 Rüstungs-Portion als Gebühr entfielen , stellt sich die Gebühr jetzt auf 35/10 Monturs- und 1/10 Rüstungs-Portionen. Der Einheitspreis einer Monturs- , Rüstungs- und Reit zeugs-Portion beträgt auch nach dem neuen Tarife fünf Kreuzer. Gebühren an Geld und Naturalien. ―― Naturalverpflegung. Den budgetmäßig für die Erhaltung des Heeres gewidmeten Mitteln liegt ein bestimmtes , theils durch die Leistung , theils durch das Erforderniß des Dienstes bedingtes Maß zu Grunde, die Gebühr , in der dem Wesen nach sich drei Mo mente unterscheiden laſſen: Der Gebührssaß , welcher sich theils als ein mit der Ziffer begrenztes Ausmaß , theils durch ein durch die Ziffer nicht auszu drückender Anspruch darstellt , die Gebührlichkeit, welche die Bedingungen des Anspruches festjet , die Gebührserfolgung , welche die Bezugs -Modalitäten normirt. 1. Gebühren an Geld und Naturalien. Die Geld- und Natural Gebühren für die Personen des Heeres theilen sich in: a. die chargemäßigen Gebühren , welche entweder in Form fester , monatlicher , oder in Form tagweise bemessener Bezüge verabfolgt werden. Die Geld- Grundgebühr

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bildet für die Offiziere, Militair- Geistlichen, Militair-Beamten, für das Aufsichts und Hülfspersonal und die Armeediener , die nach den Chargenabstufungen ver schieden bemessene monatlich erfolgende Gage, für die Unteroffiziere und Sol daten die im Frieden fünftägig , im Kriege zehntägig zur Auszahlung gelangende Löhnung ; b. die Gebühren für bestimmte Dienststellen und Verhältnissſe ; c. die Gebühren für den Fall beſtimmter Veränderungen in den dienſtlichen oder per sönlichen Verhältnissen der Gebührsberechtigten . Als weitere Gebührsarten sind noch anzuführen : a. die Futtergebühren der Thiere; b. die Servis-Gebühren ; c. die Pauschal- Gebühren; d. Gebühren an Reise- und Transportmitteln bei Dienst - Reiſen und Marschbewe. gungen; e. die fallweisen und f. die Bereitschafts- und Kriegsgebühren. 2. Die Natural - Verpflegung. Die Natural - Verpflegung umfaßt die Versorgung des Heeres mit den für dessen Ernährung und zur Benutzung der Unterkünfte bemessenen , sonach zur Subsistenz unbedingt erforderlichen , ge= bührsmäßigen Bedürfnissen. Diese Versorgung wird entweder von den Truppen selbst durchgeführt, in welchem Falle diese Selbstbeschaffung auf Grund der zur Verfügung gestellten Geldmittel den Truppen ermöglicht wird , oder es kommt die Naturalverpflegung durch die ökonomische Verwaltung zur Durchführung. Die Kostgebühr. Alle im Löhnungsgenusse stehenden Unteroffiziere und Soldaten haben Anspruch auf Empfang der Kostgebühr , welche nach den be sonderen dienstlichen Verhältnissen, in welchen sich die Bezugsberechtigten befinden, auch verschieden verabreicht wird, und zwar entweder: 1 ) als Menagegeld oder 2) als Durchzugsverpflegung, 3) als Schiffskost oder 4) als Natural-Verpflegung . In der Regel wird die Kostgebühr in Form des tagweise bemessenen Me nagegeldes welches vom Reichs-Kriegsministerium monatlich festgesezt wird — verabreicht. Das Menagegeld ist zur Anschaffung der menagemäßigen Kost portion bestimmt. Die Truppen besorgen den Einkauf der Menage- Artikel im Großen , durch welchen Beschaffungsmodus die Verpflegung des Mannes sowohl in quantitativer, als qualitativer Beziehung unläugbar Vortheile gewinnt. Die Truppencommandanten treffen die nöthigen Vorkehrungen unter Heranziehung einer aus Offizieren und Soldaten zusammengesetzten Menagecommiſſion. Auch bietet sich durch diese Geldmanipulation im Großen die Möglichkeit , dem Sol daten eine Frühsuppe zu verabreichen. Die Durchzugsverpflegung kommt während der Marschbewegungen, die Schiffskost auf die Dauer der Einschiffung , endlich die Naturalver pflegung bei großen Truppen - Transporten und in einigen Heeresanſtalten in Anwendung. Das Brot wird entweder in eigener Regie erzeugt , oder im Subarrendi rungswege beigestellt ; ebenso wird der Hafer, das Heu, der Strohbedarf und der Service entweder in eigener Regie oder durch Subarrendatoren an die Truppen abgegeben. - Die Reluirung der Brotportion darf nur im Frieden, und nur in einem bestimmt firirten Maße stattfinden. Der Limito Rauchtabak wird aus den ärarischen Verlägen ausgefaßt. Die Etappen- Verpflegung. Mit dem Beginne der Operationsmärsche tritt bei den mobilen Heereskörpern die Etappen- Verpflegung ein. Bei dem

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Eintritt dieser Kostgebührsart erhält jeder Unteroffizier und Soldat täglich Eine Etappen Portion und kann in außerordentlichen Fällen auch den im Gage bezuge stehenden Perſonen der unentgeltliche Bezug der Etappenportion bewilligt werden. Die Vorräthe bei den Truppen der Armee im Felde umfassen: 1 ) den currenten Bedarf an Mundverpflegung in der Regel ein 2tägiger, unter Umständen ein 3-4tägiger Bedarf welchen die Mannschaft selbst fortbringt. Für den Bedarf von 3 Tagen wird das Schlachtvieh nachgetrieben ; 2) den vorgeschriebenen eisernen Vorrath , bestehend aus 2 , unter Verhält nissen auch aus 4 Portionen , welche im Tornister unterzubringen sind, nur laut höherer Ermächtigung conſumirt, aber sogleich ergänzt werden ; 3) die auf den Proviantwagen der Truppe verladene Rejerveverpflegung auf 2, nach Umständen auf 3-4 Tage reichend. Die Verpflegs - Colonnen führen in der Regel einen vier-, die Feld Verpflegs - Magazine einen zwölftägigen Vorrath mit sich . ―― Medicinalwefen. Gefundheitspflege. Die Sorge für die Erhaltung der Gesundheit welche für die unbehinderte -――― Ausübung jedes Berufes die sicherste Gewähr bietet ist dem Soldaten und dem Vorgesetzten zur reglementmäßigen Pflicht gemacht. Die ſtreng militairiſche Ausbil dung ist vom hygienischen Standpunkte geregelt und gewähren die Reglements und Vorschriften den verantwortlichen Commandanten in dieser Beziehung hinlänglichen Spielraum . So ordnen allgemeine Verfügungen an, daß bei zu großer Hiße oder Kälte die Uebungen beschränkt oder ganz eingestellt werden, daß bei Märschen die Aufbruchstunde nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse festgesetzt, daher in der Regel nicht vor Tagesanbruch ausmarschirt und auch darauf Bedacht genommen werde, daß die Truppe das Marschziel vor Einbruch der Nacht, in heißer Jahreszeit aber wenn möglich vor dem Eintreten der Mittagshiße erreiche. Gegen die Unbill der Witterung schützt sich der Soldat durch die Capuze, Leibbinde, die Wachposten im strengen Winter überdies noch durch den Wachmantel ― und durch Filzschuhe. Die Nahrung des Soldaten unterliegt der unab lässigen Sorge und Ueberwachung der Vorgesetzten; bei der Wahl der Nahrungs mittel wird nicht nur den Neigungen der Mannschaft , sondern vorwiegend auch den mit Rücksicht auf die sanitären Verhältnisse gestellten Anträgen der Militair Aerzte Rechnung getragen. Die Bereitung des Brotes wird strenge überwacht und dasselbe vor der Vertheilung in Bezug auf die Beschaffenheit durch Sach verständige stets untersucht. Die Güte des Fleisches , Mehls , der Gemüse und der sonstigen zur Bereitung der Menage dienenden Victualien wird durch die Menage- Commission untersucht. Für das Mittagessen ist , wo es nur immer angeht , dem Manne eine ein bis zweistündige Ruhe eingeräumt. Wenn es die sanitären Verhältnisse erheiſchen, erhält die Mannschaft Subſiſtenzzulagen in Form von Brot- oder Weinzubußen. Erstere, welche bis zu einem gewiſſen Grade dem Ermessen des Truppen - Commandanten anheimgegeben , sind für solche Soldaten bestimmt, welche in der körperlichen Entwickelung begriffen, mit der gewöhnlichen Brotportion ihr Auslangen nicht finden. Die Weinzubuße wird nur in besonderen Fällen , wie bei Epidemien, bei massenhaftem Auftreten von Wechselfieber verabreicht. An Luftraum bieten die Normal- Casernen pro Kopf 24-22 Cubik Klafter.

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Das Dienst-Reglement schärft dem Soldaten die Erhaltung der Reinlich keit besonders ein. Im Sommer werden die Truppen zum Baden geführt; in großen Garnisonen ist in der kälteren Jahreszeit die Benutzung der zu Heil zwecken bestimmten Bade- Anstalten auch den Gesunden ermöglicht. — In den Unterkünften wird für den normalmäßigen Belag der wohl nur bei den Concentrirungen zu den größeren Waffenübungen beengter wird , ferner für die ausgiebige Versehung mit Trink- und Nutzwaſſer (zum Kochen und Waschen), für die Lüftung und tadellose Reinlichkeit gesorgt. Die Turnübungen erhöhen die Muskelkraft und Gelenkigkeit , härten den Körper ab und tragen zur Erhaltung der Geſundheit wesentlich bei. Eine besondere Aufmerksamkeit wird der Pflege der Füße bei der Mann schaft gewidmet, da Fußzübel die Dienstesverrichtungen des Soldaten, namentlich seine Marschfähigkeit im Kriege namhaft behindern. Es bestehen 15 Größengattungent vou Schuhen und Halbſtiefeln, die Num mern von 1-12 sind wieder in je 2 Größengattungen untertheilt, z . B. 11 a., ― 11b. Hierdurch und bei dem Umstande, daß statt der fertigen Schuhe einiger Größengattungen auch das Material bezogen werden kann , ist es den Unter abtheilungen möglich , jeden Soldaten mit passender Fußbekleidung zu verschen und ihn bei einer rationellen Wirthschaft vor Schuhdruck zu bewahren. Die Militair- Sanitäts - Anstalten ( Garnison - Truppenspitäler , Heils Anstalten in den Eurorten) bieten die dem Heilzwecke gemäße und denselben fördernde Verköstigung und Wartung der Kranken und Verwundeten , dann die entsprechende Einrichtung dazu. Bei der ärztlichen Behandlung läßt das Sanitätsweſen den Militairärzten vollkommen freies Wirken. Bei der Ausscheidung jener Elemente , deren Kriegsdiensttauglichkeit in Frage kommt, tritt entweder die Beurlaubung oder die Entlaſſung des Soldaten im Wege der Superarbitrirung ein. Mit dem definitiven Ausscheiden der zum Kriegsdienste nicht Geeigneten schließt die Wirksamkeit des Sanitätswesens ab und tritt der Betreffende - je nach seinen Ansprüchen in die Militair Versorgung. Die für die Krankenpflege nöthigen Medicamente erzeugt die Heeres-Ver waltung in eigener Regie; die Militair- Pharmakopöe wurde im Jahre 1872 neu redigirt und dem metrischen Syſteme angepaßt. Für den Bedarf im Frieden wird kein bestimmter Vorrath an Medicamenten unterhalten , dagegen sind für den Fall der Mobilifirung die Arzneibestände genau normirt. Für die ärztlichen Requisiten (Verbandmaterial , Spitals-Requisiten) ist von der Heeresverwaltung für Frieden und Krieg gesorgt und haben die ins Leben gerufenen patriotischen Vereine die Aufgabe übernommen, die Heeresverwaltung im Kriege reichlichst zu unterstüßen. Auf das Sanitätswesen bezugnehmende Aenderungen im Jahre 1874: Statt der gewöhnlichen Feldtragen wurden die 4. und Feldtragen. 5. Feld -Bataillone der Infanterie, ferner alle Bataillone der Jägertruppe mit verbesserten Feldtragen, unter Beibehaltung der alten Tragegurte, ausgerüstet. Als Behelf Refractions - Anomalien , Ohr- Instrumenten - Etuis .

zur Beurtheilung des Sehvermögens bei Assentirungen und Superarbitrirungen wurde die gemeinfaßliche Darstellung der Refractions - Anomalien mit Rücksicht

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auf Affſentirung und Superarbitrirung" veröffentlicht. Ferner wurden zur Unter suchung der Wehrpflichtigen „ Ohr - Instrumenten - Etuis für Affentplätze" ein geführt und jedem Ergänzungs -Bezirks - Commando in der für die ständige Assent Commission, ferner für die während der Stellungsperiode gleichzeitig fungirenden Affent-Commiſſionen nothwendigen Anzahl zugewiesen. Diese Etuis enthalten : einen Ohr - Reflector (Concavspiegel von 6 Zoll Brennweite) ; drei Ohr- Trichter von Neufilber und eine Ohr- Pincette. Sie sind bei den Ergänzungs-Bezirks Commandes verwahrt. Militairgerichtswefen . Strafgelet. Das Militairgerichtswesen ist in der Reform begriffen und können die end gültigen Feststellungen des Juſtiz -Verfahrens nach der neuen Strafprozeß- Ordnung erst nach den erzielten Vereinbarungen der Gesetzes - Bestimmungen durch beide Legislativen erfolgen. Die durch die neuen Wehr-Inſtitutionen unaufſchiebbar nothwendig gewordenen Aenderungen im Militair- Justizwesen sind jedoch sofort zur Einführung gelangt. Als die wesentlichste derselben muß die Bestimmung verzeichnet werden , daß Alles , was die privatrechtlichen Verhältnisse der Heeres-Personen betrifft , den Civilgerichten überwiesen wurde , und den Militairgerichten nur die Strafrechtspflege zufällt. Diese wird in erster Instanz durch die Brigade- und Garnisonsgerichte ausgeübt. - Die gerichts herrlichen Rechte übt der Brigadier, beziehungsweise der Militair - Stations (Festungs- ) Commandant, in denjenigem Umfange aus , wie ihm diese Rechte vom commandirenden General oder Militair-Commandanten übertragen werden. Straf-Urtheile werden durch von Perſonen verschiedener Chargen zusammengesetzte Kriegsrecht- Asseforien gefällt. Das Standrecht findet im Kriege, aus nahmsweise auch im Frieden, jedoch nur dann Anwendung , wenn bei einreißen den Verbrechen ein schleuniges und abschreckendes Verfahren aus disciplinairen Gründen nothwendig ist. Das beim Reichs -Kriegsministerium zusammengesetzte Militair- Apellations gericht entscheidet in Straffällen als zweite , der oberste Militair - Juſtizſenat als dritte Instanz. Der Militairgerichtsbarkeit in Straffachen unterſtehen : 1 ) Die in activer Dienstleistung stehenden Militairpersonen. 2) Alle Personen, welche sich im Gefolge einer auf Kriegsfuß gesetzten oder außerhalb der Grenzen der Monarchie stehenden Heeres - Abtheilung be finden. 3) Die Kriegsgefangenen und Geißeln. 4) Die eingebrachten Seeräuber. Die Offiziere , welche mit Beibehalt des Militair - Charakters ausgetreten find, sowie die Reserve- Offiziere bleiben bei Militairverbrechen und Vergehen, falls sie bei der Verübung einer derartigen strafbaren Handlung eine militairiſche Uniform getragen haben, unter der Militairgerichtsbarkeit. Ebenso sind sie zur Zeit, wo sie die militairische Uniform tragen, den Militair- Disciplinarvorschriften unterworfen. In bürgerlichen Rechtsangelegenheiten stehen alle Militairpersonen. unter den Civilgerichten. Im Disciplinarwege werden nur Uebertretungen der Militair - Dienst vorschriften und Vergehen - insofern letztere nach dem Strafgesetze nicht im gerichtlichen Wege behandelt werden müssen - geahndet. Unter der Disciplinar - Strafgewalt stehen: 1) Die in activer Dienstleistung stehenden oder kurz beurlaubten Militairperſonen .

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2) Die mit Beibehalt des Militair = Charakters ausgetretenen Offiziere, Militairpensionisten, Reserve-Offiziere, wenn sie bei Verübung der straf baren Handlung die Militair-Uniform trugen. 3) Die Urlauber und Reservemänner während der periodischen Waffenübung und Control-Versammlung, endlich die früher unter 2 und 3 bezeichneten Personen. Für gerichtliche Straffälle ist das Strafgesetzbuch vom Jahre 1855, für Disciplinar- Straffälle sind die Bestimmungen des Dienst - Reglements maß gebend. Im militair strafgerichtlichen Wege können verhängt werden: die Todes , Kerkers, Arreststrafe, die Caſſation, Entlaſſung (dieſe beiden nur bei Offizieren und Gleichgestellten), endlich die Degradirung (bei Unteroffizieren). Im Disciplinarwege. Gegen Offiziere: Verweise, Stations-, Zimmer-Arreſt. Gegen Offizier Stellvertreter , Feldwebel , Cadetten : Verweise , Ordnungs - Arreststrafen , Degradirung ; lettere nur gegen Feldwebel auf Grund des Warnungs- Constitutes. Vom Zugführer abwärts : Verweise, Ordnungsstrafen (unter diesen Schließen in Spangen oder Anbinden, letteres jedoch nicht gegen Chargen), Arreſtſtrafen , Degradirung auf Grund des Warnungs- Constitutes. Für die Militairbeamten, das Aufsichtsperſonal der Militair-Strafanſtalten, das tech. nische Hülfspersonal und für die Armeediener beſteht eine besondere Disciplinar Straf Vorschrift. Ueber den Umfang und die Ausübung der Militair - Strafgerichtsbarkeit, ferner über die Erweiterung des Disciplinar- Strafrechtes der Commandanten der Armee im Felde bestehen besondere Vorschriften. Einer besonderen Erwähnung bedarf hier das ehrenräthliche Verfahren. Dieses erstreckt sich auf alle Handlungen und Unterlassungen, welche zwar nicht nach den Strafgeſetzen der gerichtlichen Behandlung unterliegen, jedoch dem An sehen des Offiziers widerstreiten und es daher in Frage steht, ob der Beschuldigte ohne Schädigung des Standesdecorums in seiner Charge verbleiben könne. Dem ehrenräthlichen Verfahren unterliegen die Offiziere und Cadetten. Zur Aufnahme der Vorverhandlung besteht in jedem Truppenkörper ein aus Offizieren zujam mengesetzter Ausschuß in Ehrensachen. Ob die Einleitung des ehrenräth lichen Verfahrens höheren Orts beantragt werden soll , entscheidet die Offizier Versammlung. Zur Durchführung der Verhandlung ist der aus Offizieren zu sammengesetzte Ehrenrath , welcher bei jeder Infanterie- Truppen- Division ― besteht berufen. Wenn der Beschluß des Ehrenrathes auf Verlust der Charge des Betreffenden nicht mit Einstimmigkeit, sondern nur mit Mehrheit der Stim men gefaßt wurde , so steht dem Beschuldigten die Berufung frei , in welchem Falle die beim Reichs -Kriegsministerium zusammengesezte Berufungs - Com mission endgültig entscheidet. Im Justizwesen sind im Jahre 1874 keine Aenderungen eingetreten. Belohnungen, Orden, Ehrenzeichen. Vorzügliche Dienstleistungen und hervorragende Thaten werden von Seiner Majestät durch Beförderung , Belobung oder Verleihung von Decorationen ge würdigt. Diese Auszeichnungen sind der Ausfluß eines Gnadenrechts des Monarchen und können deshalb durch ausgezeichnete Leistungen wohl erworben, nicht aber gleich einer Gebühr beansprucht werden. Nur bei der Bewerbung um den Maria-Theresien-Orden ist das persönliche Einschreiten des Betreffenden

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- den. Statuten gemäß - zulässig. - Zur Annahme eines Ordens einer frem den Macht ist zuvörderst die Allerhöchste Bewilligung einzuholen. Nach den Bestimmungen des Dienstreglements vom Jahre 1810 mußte jede als Verdienst vor dem Feinde geltend gemachte Waffenthat durch ein vom Vor gesetzten, von Cameraden und Untergebenen bestätigtes Tapferkeits -Zeugniß begründet ――― werden. Durch das im Jahre 1874 erschienene Dienst-Reglement (2. Theil) erscheint diese Bestimmung aufgehoben ; es werden nach jedem Gefechte die Offi ziere, beziehungsweise die Unteroffiziere versammelt, deren Aussagen über die be merkten verdienstlichen Thaten zu Protocoll genommen und auf deren Grundlage die entsprechenden Anträge vom Truppen-Commandanten im Dienstwege gestellt. Im Laufe des Jahres 1874 gelangte die Kriegs - Medaille , welche Kaiser ―――― Franz Joseph seiner treuen Krieger stets liebevoll gedenkend am Tage ――――――― des 25jährigen Regierungs- Jubiläums zu stiften geruhte für alle unter den Fahnen Oesterreichs im Felde Gestandenen zur Vertheilung. Der Act der Ver theilung fand im Heere überall in feierlicher Weise statt , und auch die bereits aus dem Heere Geschiedenen nahmen diesen Beweis Kaiserlicher Huld zum An laſſe, in ihren Veteranen-Vereinen den Tag der Decorirung festlich zu begehen. Die aus Bronce erzeugte, an einem schwarz und gelb gerippten Bande in Medaillenform getragene Denkmünze trägt auf der Vorderseite das Bildniß des Kaisers und Königs mit der Umschrift des Allerhöchsten Namens , auf der Rückseite die von einem Lorbeer- und Eichenkranze umschlungene, den Stiftungs tag bezeichnende Inschrift : „2. December 1873. " Den Anspruch auf die Kriegs Medaille haben alle diejenigen Personen ohne Unterschied des Ranges und der Stellung, welche einen der Feldzüge 1848 , 1849, 1859, 1864, 1866 und 1869 mitgemacht haben , und denen die Anrechnung eines Feldzugsjahres zukommt. Die Kriegs-Medaille ist Eigenthum des damit Betheilten, kann weder durch ge richtliche Verurtheilung noch durch irgend eine andere Veranlassung verwirkt werden und ist nach dessen Tod den Erben zu überlassen.

Bewaffnung.

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A. Blanke und Schuhwaffen. Das Säbelbajonet , bei den mit dem Werndl - Infanterie- und Jäger gewehr ausgerüsteten Fußtruppen . Das Haubajonet , bei denjenigen Landwehr-Bataillonen, welche mit dem Wänzl-Jägerstuben versehen sind. Das Stichbajonet , zu dem nach System Wänzl umgestalteten Jn fanterie- und Extra-Corpsgewehre gehörig, mit welchem bis zur allgemeinen Ein führung des Werndigewehres noch ein Theil der Infanterie, die technischen Trup pen , die Landes - Gendarmerie und eine Anzahl Landwehr - Bataillone ausge rüstet sind. Der Pioniersäbel. Denselben führen : die Mannschaft der Genie-Truppe und des Pionier - Regiments , die Bedienungs- und Fahrmannſchaft der Feld artillerie - Regimenter, die Mannschaft der Festungs- und technischen Artillerie vom Führer abwärts , die Mannschaft der Sanitäts - Truppe , die Fahrsoldaten des Fuhrweſen-Corps , endlich die Tambours, Horniſten und Pioniere, die Fahr soldaten, Blessirten- und Bandagenträger der Infanterie und Jäger. Der Infanteriesäbel. Mit demselben sind betheilt: die Unteroffiziere der mit Hinterladgewehren nach dem System Wänzl bewaffneten Infanterie und die Mannschaftskategorien, welche kein Gewehr haben. Militairische Jahresberichte 1874.

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Der Gendarmeriesäbel , bei der Mannschaft der Landes- Gendarmerie. Der Infanterie - Offizierfäbel , bei der Generalität und bei allen Offizieren und Cadet - Offizier - Stellvertretern aller Waffen und Branchen, mit Ausnahme der Cavallerie und Artillerie . Der Cavalleriesäbel , bei sämmtlichen Offizieren , Cadetten und Unter offizieren der Cavallerie , Feldartillerie und des Militair- Fuhrwesen , den Offi zieren und Feuerwerkern der Festungs- und techniſchen Artillerie, bei allen Sol daten der Cavallerie und den Bataillons -Hornisten der Jäger-Truppe. Die Lanze, bei sämmtlichen berittenen Soldaten der Ulanen - Regimenter, mit Ausnahme der 32 mit Hinterladungs - Carabinern ausgerüsteten Soldaten jeder Ulanen-Escadron. Zu den blanken Waffen gehören außerdem noch die in einigen Festungen vorhandenen Sturmpicken und Sturmsensen. Als Schutzwaffen für die Genie-Truppen werden Caskets und Güraffe vorräthig gehalten. B. Handfeuerwaffen. In der Desterreichiſch-Ungarischen Armee sind zur Zeit folgende zwei Gat tungen von Handfeuerwaffen eingeführt: 1. Handfeuerwaffen des kleinen Calibers (5 ) . Zur Bewaffnung der gesammten Infanterie- und Jäger - Truppen des stehenden Heeres und der Landwehren dient das Infanterie- und Jägergewehr mit Werndlver schluß ; zur Bewaffnung der Cavallerie: der Carabiner mit Werndlver schluß; zur Bewaffnung der techniſchen Truppen : das Extra - Corps gewehr mit Werndlverschluß ; zur Bewaffnung der Cavallerie und der berittenen Chargen der Artillerie und des Militair - Fuhrwesen : der sechsschüssige Gasser'sche Revolver. Die Landes - Gendarmerie in den Desterreichischen Ländern und die berittenen Landesschützen in Tirol sind mit dem Fruhwirth schen Repetirgewehr bewaffnet. 2. Umgestaltete Handfeuerwaffen ( Caliber 6 ) . Die früher im Gebrauche gestandenen Vorderladgewehre wurden nach dem Jahre 1866 in Hinterlader nach dem System Wänzl umgestaltet und befinden sich solche Ge wehre gegenwärtig noch bei einem Theile der Infanterie, der techniſchen Truppen und der k. k. Landwehr im Gebrauche. In dem Maße , als die Neuerzeugung der Werndlgewehre die Betheilung der Truppen mit dieser Waffe gestattet, wer den die umgestalteten Gewehre eingezogen und als Reservevorrath für den Noth fall deponirt. Die Bewaffnung der Infanterie mit dem Hinterladgewehre nach dem System Werndl war am Schlusse des Jahres 1874 bereits so weit gedichen, daß für das Ende des laufenden Jahres 1875 die Durchführung der einheitlichen Bewaffnung der gesammten Fußtruppen mit vollem Grunde in Aussicht genommen werden kann, so daß dann das Gewehr nach dem System Wänzt gänzlich aus dem Gebrauche gekommen sein wird. Die einheitliche Bewaffnung der Jäger truppe mit dem Werndlgewehre ist schon seit drei Jahren eine vollendete That sache. Im praktiſchen Gebrauche dieser Waffe hat sich die Möglichkeit einer Ver vollkommnung des Verschlußmechanismus und damit einer ganz wesentlichen Steigerung der Tragweite und Treffsicherheit ergeben. In Folge dessen erschien am 10. Februar 1874 eine Kaiserliche Verordnung, welche für die künftige Er zeugung von Infanterie- und Jägergewehren mit dem Verschluß Werndl ein neues Modell ſanctionirte.

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Schließlich ist noch das Zimmergewehr zu erwähnen, eine Uebungswaffe behufs Vorbereitung zum Scheibenschießzen. Am Schluffe des Jahres 1874 waren noch Versuche mit einem ver änderten Gaſſer'ſchen Revolver im Zuge. Die neue Construction wurde vom technischen und administrativen Militair- Comité im Vereine mit dem Wiener Fabricanten Gasser festgestellt. Der Vorzug des wahrscheinlich demnächst zur Annahme gelangenden Revolvers besteht im leichteren Ertrahiren der abge schossenen Patronenhülse , ſowie im schnelleren und leichteren Laden der neuen Patronen. C.

Feldartillerie - Material. 1. Geschüßröhre.

Die Röhre nach dem System vom Jahre 1863 find aus Bronce gegossen, gezogen und für die Vorderladung eingerichtet. Es giebt vier- und achtpfündige Feldkanonen. 2. Munition. Für diese sind Schuß- und Wurfpatronen im Gebrauche, und zwar be trägt die Schußladung beim Vierpfünder 30 Loth , beim Achtpfünder 53 Loth, die Wurfladung beträgt beim Vierpfünder 10,5 Loth, beim Achtpfünder 15,5 Loth. Die Geschosse der Feldartillerie sind Hohlgeschosse , Shrapnels , Brand geschosse und Büchsenkartätschen.

Die Fortschritte auf dem Gebiete der Geschützfabrication und die Er fahrungen der letzten Kriege haben die Nothwendigkeit einer Vervollkommnung des Feldartillerie-Materials nahe gelegt. Namentlich mußte sich in den berufenen. Kreiſen die Ueberzeugung festsetzen, daß die gegenwärtigen Feldgeschütze mit einer Artillerie , welche mit Krupp'schen Ringſtahl - Kanonen auftritt, nicht zu rivali firen vermag. Die zweijährigen unter den Auspicien des technischen und ad miniſtrativen Militair- Comités vorgenommenen praktischen Versuche führten nun mehr zu dem Schluſſe, daß , insofern es sich um rasche Einführung neuer Ge schüße handeln würde, mit um so mehr Beruhigung das 8,7 Cent. beringte Gußſtahl - Rohr anzunehmen wäre , als im Laufe der Versuche mehrere Verein fachungen und Verbeſſerungen erzielt wurden. Dieser Beschluß erfuhr aber vor der Hand noch keine Verwirklichung, weil jeit April 1874 die ganze Angelegenheit in eine neue Phaſe getreten ist , über welche im Beginne des Jahres 1875 officiös in dem Organe des Militair-Comités folgende Mittheilungen erschienen sind: „Der Commandant der k. k. Artillerie-Zeugsfabrik, General-Major Ritter v . Uchatius , hatte in Anregung gebracht, zur Erzielung einer homogeneren Materie die Bronce-Geſchüße in Coquillen zu gießen, wie dies schon seit längerer Zeit in anderen Artillerien geschieht, und nebſtdem die Bohrungswände durch Comprimirung zu härten , um dadurch den Ge schüßen eine sehr bedeutende Widerstandskraft zu verleihen. „Alle Bedenken unterdrückend , beschloß das Militair - Comité ohne Zögern , die Pro positionen des General Uchatius zur probeweisen Erzeugung solcher Geschüßröhre höheren Crts zur Annahme zu empfehlen , da ja im Falle des Gelingens hieraus ganz außerordentliche Vortheile für das t. t. Heer und für den Staat er wachsen müßten denn abgesehen davon , daß die Möglichkeit der Verwerthung eines großen Theiles des schon vorhandenen Rohmaterials ein nicht zu unterschäßender pecu niärer Vortheil wäre , würde die Kriegsverwaltung hierdurch sowohl vom Auslande, wię auch selbst von der inländischen Privat-Induſtrie hinsichtlich der Rohrerzeugung vollkommen unabhängig werden. 22 *

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„Das Militair-Comité konnte sich jedoch andererseits durch die Bestrebungen des ge nannten Generals ebenso wenig, wie durch die angebahnten Versuche einzelner inländischer Eisenwerke zur Herstellung von beringten Gußſtahl - Kanonen in der Fortsehung der Experimente mit den krupp'schen Kanonen , beziehungsweise in der vollständigen Aus bildung dieses Geſchüß-Syſtems für die Verhältnisse der Desterreichischen Artillerie beirren laſſen , weil es ſich ſonſt dem nur zu berechtigten Vorwurfe ausgesezt haben würde , daß es die Feldgeschütz- Frage auf noch nicht realiſirte Hoffnungen hin in unverantwortlicher Weise verzögert hätte. „Auch heute ist das Militair - Comité noch nicht in der Lage , beſtimmt zu erklären, daß das vom General Major Ritter von Uchatius eingeschlagene Verfahren für die künftige Erzeugung neuer Feldgeschütz-Rohre geeignet sein wird , da von den Bronce- Rohren nach Uchatius' Methode erſt Ein Exemplar dem Schießverſuche unterzogen werden konnte. ,,Allerdings hat dieses Eine Kanonenrohr bereits über 2000 Schuß ausgehalten, ohne daß es an seiner den Krupp'schen Geschüßen völlig gleichen Schußpräcision viel eingebüßt hätte, doch kann selbst die sanguiniſcheſte Auſfaſſung dieſer mit Einem Rohre erzielten, ohne Zweifel überraschenden Reſultate noch keinen Beſchluß für die künftige Beſchaffung eines neuen Feldartillerie Materials zulassen. „Es unterliegt keinem Zweifel , daß die Uchatius'sche Methode zur Erzeugung von widerstandsfähigen Bronce- Geschüßen nach den bisherigen Erfahrungen zu guten Hoff nungen berechtigt ; allein es bleibt noch immer zu constatiren , ob es möglich sein wird, eine große Anzahl von Geschüßen gleichmäßig und ebenso widerstandsfähig zu erzeugen, wie das versuchte Proberohr, — ob ferner die auch bei dieſen Bronce Röhren nach wenigen Schüssen zum Vorschein kommenden Ausbrennungen stets in solcher Weise auftreten wer den, daß sie wie bei dem Einen Proberohre die Schußrichtigkeit nicht wesentlich alteriren, und ob endlich überhaupt die Kosten der Erzeugung , einschließlich der für lettere noth wendigen Einrichtungen, in einem richtigen Verhältnisse zu dem gelieferten Producte stehen." Nach dem augenblicklichen Stande der Dinge ist die endgültige Entſchei dung erst dann zu gewärtigen , wenn die vom Kriegsministerium angeordnete Fabrication von 10 Probe- Stahlbroncegeschützen vollendet und die Röhre ter mentirt sein werden. D. Gebirgs-Artilleriematerial. Dasselbe besteht aus der 3-pfündigen gezogenen Kanone, die im Wejent lichen dem 4- Pfünder gleicht, nur leichter ist und nebst Laffete, Munition und Requisiten auf Tragthieren in Packjätteln transportirt werden kann . E. Festungs- und Küſten-Artilleriematerial. Dasselbe ist sehr mannigfaltig und entstammt theilweise noch einer älteren Zeit. Man findet broncene Belagerungskanonen, eiserne Granatkanonen, broncene Batteriehaubitzen, eiserne Cöhorn-, broncene Bomben- und eiserne Steinmörjer, ferner 48-pfündige Küstenkanonen, 60-pfündige Bomben- und Steinmörjer vem Jahre 1859 , 6- , 12- und 24 -pfündige Hinterladungsbatteriekanonen vom Jahre 1861 , endlich eine größere Anzahl Krupp'scher 9-zölliger stählerner Hinterladungsküſtenkanonen zur Vertheidigung der Istrischen und Dalmatiniſchen Häfen.

F. Mitrailleuſen. Zur Bewaffnung der Desterreichisch-Ungarischen Armee sind auch die Mi trailleusen zu rechnen, welche bei einem ausbrechenden Kriege entweder in Batterien vereiniget, eine Verſtärkung der Corps-Artillerie bilden, oder ein zelnen Truppenkörpern, z . B. den Jägern, als Bataillonsgeschütze zugewiesen, oder endlich bei der Armirung von festen Plätzen verwendet werden dürften, wo ſie als Flanken- und Grabengeschütze vortheilhaft wirken würden. Vorläufig ist nämlich nur das Mitrailleusenmaterial vorhanden ; über die

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Organiſation und Zuſammenstellung ist aber, soweit dies das ſtehende Heer be trifft, noch kein endgültiger Entſchluß gefaßt. Die Ungarische Landwehr, welche ebenfalls Mitrailleusen ( System Mon tigny) beſißt, hat dieselben in Batterien zu 4 Geſchützen organisirt. Außerdem hat die Ungarische Landwehr auch zehn Stück zehnläufige Gatling-Kanonen vom Caliber zu 5 Linien. Die Dienst- Verhältnisse. Die gewaltigen Umwälzungen, welche das öffentliche Leben in Oesterreich Ungarn seit 2 Decennien beinahe in jeder Richtung erfahren hat, namentlich aber die allgemeine Wehrpflicht und die Regulirung der Verfassungsverhältnisse in beiden Reichshälften, mußten die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse im Heere in tiefgreifender Weise alteriren . Daher wurden im Verlaufe dieser Zeit die Dienſtvorschriften mannigfachen Veränderungen im Verordnungswege unter zogen und so das Dienstreglement, welches im Jahre 1851 auf Grund des rom unsterblichen Erzherzog Carl verfaßten Reglements geschaffen wurde, in vielen seiner Theile hinfällig. Die Heeresleitung und mit ihr das ganze Heer, sahen sich in der üblen Lage, für den täglichen Dienst, welcher die Grund lage der Erziehung des Soldaten als auch der Disciplin im Heere bildet, keine ſtrict gültige Vorschrift zu besitzen. Doppelt nachtheilig mußte dieser Umstand unter den obwaltenden politiſchen Verhältnissen wirken, welche gleichzeitig die Ursache waren, daß die Heeresleitung dieſem Uebelstande nicht sogleich abhelfen konnte. So lange nämlich eine Conſo lidirung der Verfassungsverhältnisse nicht eingetreten, wenigstens vorauszusehen war, konnte dem Heere mit einer Dienſtvorschrift, welche neue Aenderungen erwarten ließ, nicht gedient sein ; erst bei dauernden Zuständen durfte die Heeresleitung daran denken, eine Vorschrift endgültig auszuarbeiten, welche Ge jegeskraft hat, die Stellung des Heeres im Reiche regelt und wichtige persön liche und öffentliche Verhältnisse eines großen Theiles der Bevölkerung in und außerhalb des Heeres berührt. Der zu Ende des Jahres 1873 erlassene I. Theil des Dienst-Reglements trägt den politischen und civilrechtlichen Verhältnissen in beiden Reichshälften Rechnung, ohne darum den traditionellen Aufbau des Heeres nachhaltig zu alteriren. Dieses Reglement bemüht sich, mehr als das frühere, den Dienſt gang des Heeres zu präciſiren und so viel wie möglich den eigenmächtigen Ein führungen einzelner Truppen-Commandanten vorzubeugen. Diese Vorschrift, einerseits von dem humansten Geiste getragen, strebt anderseits einen strammen Dienstgang an, und sucht diesen in vielen Richtungen zu vereinfachen. Wir müssen uns mit der Charakterisirung deſſelben begnügen, weil es zu weit führen würde, Details hervorzuheben oder den Dienstgang überhaupt zu beschreiben. Denjenigen , welche die früheren Dienstverhältnisse des Dester reichischen Heeres kannten , möge nur gesagt sein, daß dieselben keine durchgrei fenden Veränderungen erfahren haben und daß sich die eingetretenen Aende rungen in drei Richtungen bewegen: 1. der durch die Staatsgrundgeseze beider Reichshälften ausgesprochenen Gleichheit aller Confefſionen im Staate wurde in entsprechender Weise Rechnung getragen. 2. Die Dienst-Pflichten und Rechte der außer dem Heere stehenden, aber diesem durch Charakter oder Wehrpflicht angehörigen Individuen mußten gegenüber ihren staatsbürgerlichen Rechten ge regelt werden. 3. Mehrfachen Wünschen des Heeres, welche sich sowohl im

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Dienstwege, als auch durch die Publicistik geltend gemacht hatten, wurde in thunlichster Weiſe entsprochen. Das Dienstreglement hat für beide Landwehren Geltung. Der zweite Theil des Dienstreglements , herausgegeben im Jahre 1874, enthält die Vorschriften des Felddienstes ; der in der Ausarbeitung begriffene 3. Theil wird die speciellen Dienstpflichten der einzelnen Chargen unter Be achtung der verschiedenen Waffengattungen und Branchen enthalten. Die praktische Ausbildung. Entsprechend der allgemeinen Richtung, welche die Fortschritte der Taktik einschlugen, wurde auch in Oesterreich-Ungarn das Schwergewicht der Beftre bungen und Veränderungen in die taktiſche Ausbildung der Infanterie gelegt. Dies umjomehr, da die Cavallerie im Ganzen von den Umwälzungen nicht direct berührt wurde, da die Artillerie bereits vor den Ereignissen, welche diese Umwälzungen bedingten, eine Taktik befolgte, welche die neuesten Erfahrungen bestätigte. Die Neuerungen der letzten Friedensjahre betrafen endlich die Infan terie hauptsächlich, da sie viel nachzuholen und durch den Umstand, andere Armeen sich voraus zu wissen, zu großer Thätigkeit angespornt wurde. Wird die Infanterie bezüglich ihrer Ausbildung beurtheilt, so muß man sich stets følgende Umstände vor Augen halten : die einseitige Taktik bis nach dem Kriege des Jahres 1866 ; den raschen Wechsel von 3 Bewaffnungssystemen ; den tief eingreifenden Uebergang von langdienenden Soldaten zur 3jährigen Prä senz-Dienstzeit, bei dem Mangel an Berufs -Unteroffizieren ; endlich die nicht zu unterschätzende Bedeutung der geringen financiellen Mittel, welche dem Dester reichischen Heere zu Gebote stehen. Bei Beachtung dieser Momente muß man den gegenwärtigen Ausbildungs zustand der Desterreichischen Infanterie erstaunlich finden. Die gegenwärtige Ausbildungs -Methode und Taktik wurde nicht mit einem Sprunge erreicht, sondern die blutigen Bahnen der eigenen Nichterfolge, als auch die Lehren, welche aus dem Deutsch- Französischen Kriege hervorgingen, konnten sich nur ſucceſſive Anerkennung erringen. Dies sprach sich sowohl in dem Erſcheinen von 3 Reglements, als auch in dem Widerstreite der Ansichten des Offizier corps aus . Ganz besonders in letzterer Hinsicht machte sich leider das natur gemäße Schwanken in Extremen geltend. Diese Erscheinung, welche auf allen Gebieten des Fortschrittes lähmend wirkt, und wonach man geneigt ist, mit dem Gutheißen einer Sache das Gegentheil gänzlich zu verwerfen und einem nach theiligen Principe allein den Mißerfolg aufzubürden , verleitete unmittelbar nach dem Kriege 1866 , die Stoßkraft der Infanterie gänzlich zu verwerfen und den stehenden Feuerkampf als Hauptmittel zum Siege anzusehen. Weil Desterreich diese extreme Anschauung in keinem Kriege zu erproben hatte, brachte sie eine ent schieden wohlthätige Wirkung für die Ausbildung hervor, da die Infanterie, welche früher die Feuertaktik und das Schießwesen ungenügend pflegte, nun mehr in dieser Richtung mit ganzer Kraft das Fehlende nachzuholen strebte. Die Bemühungen der Wissenschaft, sowie die Lehren des Krieges 1870, brachten jene klaren Anschauungen zur Anerkennung, nach welchen nicht mit einem speciellen Mittel oder mit einer besonderen Methode der Sieg zu erringen ist, sondern durch die Anwendung aller Formen des Kampfes zur rechten Zeit und am rechten Orte. Die Reglements der Jahre 1867 und 1868 legten das Schwergewicht des

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Kampfes in das Feuer der geschlossenen Ordnung, strebten zur Ergänzung des selben eine minutiöse Ausbildung der Tirailleure mit einer mäßigen Anwendung der zerstreuten Fechtart an, und gaben dem Bajonet-Kampf insofern Raum, als ihn der gute Soldat nicht zu scheuen hat. Im Schießwesen ordneten sie die eingehendste Ausbildung an. So wurde die Ausbildung im Sinne dieser Reglements eine gründliche Vorbereitung für jene Taktik, welche nach dem Kriege 1870-71 in den Anschaungen und litera rischen Kämpfen des Offiziercorps und endlich im Reglement des Jahres 1874 zum Ausdrucke kam. Dieses Reglement kennt nur eine Kampfart der Infanterie, d . h . keine ausschließliche Verwendung einer Form, sondern die, den Verhältnissen ent sprechend zusammengefeßte Anwendung jeder Art. Es stellt den Bajonetkampf als den entscheidendsten, wenn auch nicht immer stattfindenden oder nothwendigen Schlußact des Kampfes dar, während die eigentliche Durchführung des Gefechtes und oft an sich entscheidende Vorbereitung zum „ Sturme" im Feuerkampfe, und zwar mit der Schwarmlinie liegt. Die geſchloſſene Ordnung wird nur im untergeordneten Maße als Kampfform u. z . zur Steigerung der Wirkung des Schwarmgefechtes angenommen, während seine eigentliche Bestimmung ist : die Truppe geordnet zum Kampfe zu bringen und in ihr eine disciplinaire Er leichterung für die Vertheilung der Kräfte zu finden. Ein Reglement, welches sein Schwergewicht in der Anwendung des Schwarm gefechtes sucht , kann ſelbſtverſtändlich in geringerem Maße beſtimmte Formen und Hülfen anordnen , sondern muß sich auf eine allgemeine Angabe taktischer Anhaltspunkte beschränken und so der freien Auffassung der Offiziere Vieles über laſſen. Obgleich dieses Reglement einige, durch die Erfahrungen festgestellte Formen und Regeln präciser darstellen könnte, so ist es doch, voll der freiesten Auffassung der neuen Taktik, sicherlich eines der besten aller Infanterie- Regle ments und brachte, insoweit es opportun erſchien , eine Vereinfachung der For men, welche der kurzen Ausbildungszeit des Infanteristen Rechnung trägt. Es ist klar, daß bei den Offizieren, nach dem vorangegangenen Widerstreite der Meinungen in der Auffaſſung des Reglements und in der Anwendung seiner Vorschriften einige Verschiedenheiten walten ; das stramme Dienſtleben des Heeres wird jedoch in kurzer Zeit die Einheit des Verständnisses anbahnen. Man darf nicht vergessen, welch großer Unterschied zwiſchen der modernen Kampfweiſe und der früheren besteht. Während einst die scharf präcisirten, mechaniſchen Formen der geschlossenen Ordnung eine Deutung der Vorschriften kaum zuließen, so liegt der richtigen Anwendung der jetzigen Kampfart vor Allem das Verständniß der Taktik und der Bedeutung ihrer Mittel zu Grunde. Man darf nicht vergeſſen, daß die frühere Kampfart bei dem Offizier der niederen Grade nur in geringem Maße das Studium der Taktik beanspruchte, daher werden noch gegenwärtig wesentliche Lücken des Wiſſens, welches für die moderne Kampfart unentbehrlich ist, empfunden. Das neue Reglement legt in die Ausbildung des einzelnen Soldaten bereits die Grundelemente des Kampfes, indem es verlangt, daß dieser als Plänkler mit Rücksicht auf den Gebrauch des Gewehres und der Deckungsmittel ausgebildet werde. Hierdurch wird eine rationelle Erziehung des Infanteristen für seine wichtigste Aufgabe angebahnt und je nach der Tüchtigkeit der Chargen - Cadre für die Gesammtleistung der Truppe der Grund gelegt. Da es sich nur aus nahmsweise ergiebt , daß ein einzelner Soldat allein zur ersten Ausbildung ge

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langt, sondern da er mit Rücksicht auf die Zahl der Rekruten und Chargen bei nahe immer in einem Gliede seine erſte Ausbildung erhalten muß, so wurde die beſondere Ausbildung des Gliedes eliminirt und zur Ausbildung des Zuges über gegangen. In dieser wird der Kampf mit den kleinsten Einheiten erlernt, näm lich Schwarm gegen Schwarm , mit 2 Schwärmen , endlich der Gebrauch des Zuges als Unterstützung der Schwarmlinie, wobei die Anwendung der geſchloſſe nen Ordnung als Kampfform zur Geltung kommt. In diesem Theile gelangt auch die Charakterisirung der Kampfart zur vol len Anschauung . Man erkennt dabei folgende Principien : Dichte Schwarm linien bis zur Aneinanderreihung der Plänkler in einem Gliede (der Gebrauch der Schwärme zu Einleitungs- und Sicherungs - Zwecken findet nicht genügend Erwähnung) ; die Unterstützungen folgen der Schwarmlinie innerhalb 100 Schrit ten, indem sie sich im wirksamen Schußbereiche einzeln, rotten-, schwarm- oder zugsweise aufgelöst in die vor oder rückwärtige Stellung sammeln ; die Unter stützungen treten entweder in die Schwarmlinie geschlossen, Salven- oder Einzel feuer gebend oder werden zur Verdichtung (wobei der Verband der Schwärme Das Feuer der gelöst wird) und Verlängerung der Schwarmlinie benut. Schwärme soll auf weite Distancen von den Schützen, endlich von allen Plänk lern überhaupt gegeben und in gewissen Richtungen durch den Schwarmführer rereinigt werden , wodurch , wenn auch nicht präcis ausgesprochen, das Feuer überhaupt in das Schüßenfeuer , ein allgemeines Feuer , und in die Schwarm jalve zerfällt. Auf die Feuerdisciplin wird entsprechendes Gewicht gelegt. Der Bajonet-Angriff wird von den Schwärmen , gefolgt von der Unter ſtügung, als „ Anlauf”, nachdem sich der Gegner entzogen, oder planmäßig als ,,Sturm ", nach genügender Vorbereitung und Annäherung an den günstigsten Angriffspunkt, ausgeführt. Bei der Ausbildung der Compagnie wird principiell unterschieden von einer ſelbſtſtändig und einer im Verbande größerer Truppenkörper kämpfenden Ab theilung. Im letzteren häufigeren Falle tritt die Auflösung der Compagnie als Schwarmlinie und in Unterstützungen ein. Bei den Auflösungsarten unter scheidet man die zugweiſe und , mit Rücksicht auf die spätere Verdichtung , die flügelweise (Halbzug- Schwarmlinie und Halbzug-Unterſtüßung) Auflöſung. Die Vertheidigung gegen Reiterei findet den Umständen gemäß aus der Schwarmlinie oder in geschlossener Ordnung durch das Salvenfeuer der ent wickelten Linie, der Colonnentêten oder im Carré statt. Die Unterscheidung der Anwendbarkeit dieser Formen ist Sache der Uebung. Mit vieler Sorgfalt werden treffliche Vorschriften für Uebungen mit Gegen seitigkeit und auf Kriegsstärke gegeben. Vom Bataillon aufwärts gilt noch das Exercir - Reglement vom Jahre 1868 und es ist das Erscheinen einer neuen Vorschrift als zweiter Theil des veröffent lichten neuen Exercirreglements , I. Theil , noch im Winter 1874-75 zu ge wärtigen. Voraussichtlich dürfte für das Bataillon die Grund- Gefechtsstellung aus 2 Compagnien in erster (Schwarmlinie und Unterstützung) und 2 Compagnien in zweiter Linie bestehen. Als Ergänzung der taktischen Ausbildung der Infanterie werden Uebungen mit dem ?? Infanterie - Spaten " (System Linnemann) , mit welchem das

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2. Glied ausgerüstet ist , vorgenommen; sie bestehen in dem Aufwerfen von Schüßengräben. Dieser Spaten hat auch eine vielfache Verwendbarkeit im Lager dienste, da er zur Aushebung der Kochheerde, als Hacke und Säge dient. Die Schieß-Instruction von 1873 hat im Vergleiche zu der früheren Vor schrift einen noch größeren Nachdruck auf die Ausbildung des Schießwesens gelegt und die Scheibengeſtaltung und Aufzeichnung der Reſultate wesentlich ver einfacht. Die Mannschaft wird in 3 Schießzklassen eingetheilt , von denen nach Er füllung von Bedingungen die beste oder 3. Klasse zu Schützen mit Auszeichnung ernannt wird. Das feldmäßige Schießen mit den Formen des Kampfes be schließt den jährlichen Unterricht. Von Bedeutung für die taktische Ausbildung war das Erscheinen des 2. Theiles des Dienst-Reglements, speciell für die Ausübung des Felddienstes , wodurch ein langdauerndes Proviſorium geſchloffen wurde. Dieses Reglement beschränkt sich darauf, alle Formsachen und zweifellosen Pflichten als Vorschrift hinzustellen, das eigentliche Studium des Felddienstes hingegen dem Fleiße des Einzelnen zu überlassen ; Rathschläge und Ansichten werden , als einem Regle ment nicht angehörig , beinahe ganz bei Seite gelassen. Es setzt zur Verein fachung der Marschdisposition die Normal - Marschordnung aller Truppen körper, innerhalb der Division und die normale Stärke und Gliederung der Sicherungs-Truppen fest , mit der Bestimmung, nur dann einen besonderen Be fehl zu erlassen, wenn triftige Gründe vorhanden sind, von den normalen Vor schriften abzuweichen. Normalformen , welche für die regelmäßigen und häufi geren Kriegserscheinungen berechnet sind , haben mannigfache Vortheile. Sie zwingen den Disponirenden, welcher von der normalen Form abweicht, dies auf Grund der vorliegenden Umstände vor seiner Ueberzeugung zu rechtfertigen ; ſie bringen mit sich , daß andererseits die normalen Vorschriften wieder in Kraft treten, sobald die Umstände eine Abweichung nicht mehr rechtfertigen. Dieser 2. Theil des Dienst-Reglements hat den Feld-Dienst des Heeres nicht sehr verändert , weil er im Allgemeinen die durch die frühere provisorische Vorschrift für den Felddienst aufgestellten Principien festhielt. Jm Vorposten Dienst ist das „ Gruppen- System " aufrecht erhalten , wonach Hauptpoſten mit Feldwachen umgeben , zur Beobachtung der wichtigsten zum Feinde führenden Communicationen mit einer allgemeinen Vorposten - Reserve aufgestellt werden und mittelst , größere Lücken ausfüllende, Zwischenposten den Raum gegen den Feind abschließen. So sehen wir die Vortheile des Kettensystems mit jenen des Gruppensystems vereinigt , da mit Hülfe der Zwischenposten und Vermeh rung der Hauptposten eine vollkommene Abschließung gegen den Feind erreicht werden kann, und der Schonung der Truppe, wenn durch vorgeschobene Cavallerie oder durch größere Entfernung vom Feinde die Sicherheit gewährleistet ſcheint, durch bloße Beobachtung der wichtigsten Communicationen Genüge geschehen fann . Hinsichtlich der Märsche muß erwähnt werden , daß das Exercirreglement, 1. Theil, die Schwarmkolonne in beschränktem Sinne eingeführt hat. Es haben sich so viele Stimmen für die Vorzüge dieſer Colonne erhoben ; es scheint , als wollte die Heeresleitung mit dieser Einführung den Wünschen des Heeres eine Concession zu machen. Da den Commandanten freigestellt wird , sowohl die Doppelreihen , als auch die Schwarmcolonne anzuwenden , wird man Gelegen

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heit haben zu erfahren , in welchem Maße sich diese Voraussetzungen bewähren und die Truppen geneigt sind, von ihr Gebrauch zu machen. Eine der wichtigsten Einführungen seit der Reorganiſation des Heeres iſt die Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit jedes Commandanten für die Ausbildung und Erziehung seiner Abtheilung innerhalb der ihm zugewiesenen Periode. Der größte Vortheil dieser Verfügung liegt in ihrer moraliſchen Be deutung , da sie den Einzelnen anspornt , in der Tüchtigkeit seiner Abtheilung seinen Ehrgeiz und seine persönliche Werthſchägung zu finden. Man kann in diesem Princip eine der wichtigsten und wohlthätigsten Neuerungen begrüßen. Sie liegt so sehr in der Natur der modernen Kriegführung , daß man fast be haupten kann, daß ohne die Selbstständigkeit des Einzelnen in der Ausbildung der ihm zugehörenden Abtheilung eine durchgreifende Erziehung undenkbar ist. Die moderne Taktik mit ihrem sorgfältigen Anschmiegen an das Terrain und Ausnüßen der Individualität der Kämpfer bedarf des selbstständigen Wirkens . Es ist daher innerhalb gewisser Schranken , welche Wissenschaft und Ordnung verzeichnen , ein Erziehungsmoment , die Selbstständigkeit nicht blos walten zu Lassen, sondern auch zu entwickeln. Wie bei allen Neuerungen, so ging es auch anfangs in der Auffassung der nothwendigen Selbstständigkeit ; es entstanden Schwankungen der Ansichten , welche einerseits allen Einfluß als schädlich hin ſtellten, andererseits im Triebe nach der der Ordnung nothwendigen Gleichmäßig keit die Selbstständigkeit feindselig betrachteten und dem Principe Mißtrauen ent gegenbrachten. Gegenwärtig beginnt bereits eine richtige Ansicht über die neth wendige Selbstständigkeit , den das Allgemeine regelnden Einfluß und die noth wendige Ueberwachung zu herrschen . Durch die " Instruction für die praktischen Uebungen aller Waffen" wird den verschiedenen taktischen Körpern der Infanterie ein Zeitraum feſtge setzt, innerhalb welchem dem betreffenden Commandanten die selbstständige Aus bildung seiner Abtheilung überlaſſen bleibt. Die Compagnie- Ausbildungs -Periode dauert von der Einreihung der Rekruten im Herbste bis Ende Juni ; in dieser Zeit muß also die praktische und theoretische Ausbildung der Mannſchaft und Chargen in gewissem Sinne vollendet sein. Der Monat Juli gehört dann der Bataillons- und der August der Regiments - Ausbildung und den kleinen Nebungen mit gemischten Waffen. Diese letzteren haben den Zweck , Hauptleute und jüngere Stabsoffiziere mit der Führung und dem Charakter aller drei Waffen bekannt zu machen. Das neue Exercir - Reglement strebt ganz besonders die Ausbildung von Abtheilungen auf Kriegsstärke an. In Folge des schwachen Friedensstandes und noch schwächeren Ausrückungsstandes schlägt die Durchführung dieser An ordnung , mit Bezug auf die Vorschriften der obigen Instruction , verschiedene Wege ein. Entweder werden in der Compagnie - Periode durch freiwillige oder angeordnete Zusammenziehung von Abtheilungen Compagnien auf Kriegsstärke formirt oder der Bataillons - Commandant bildet aus seinem Bataillon 2 Com pagnien und läßt sie gegenseitig üben. Etwas Aehnliches ordnet auch der Re giments-Commandant für das Bataillon an u. dergl. m. Hierdurch werden aber die verschiedenen Ausbildungsperioden und wird auch einigermaßen das Princip der Selbstständigkeit alterirt und es dürfte wohl alsbald eine Verordnung ers scheinen , welche die Ausbildungsperioden mit der nothwendigen Formirung auf Kriegsstärke und den Uebungen mit Gegenseitigkeit , bei Wahrung der Selbst, ständigkeit, in Einklang bringt.

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Die Ausbildung von Mann und Pferd bei der Cavallerie wird nach dem im Jahre 1870 erschienenen Abrichtungs- und Exercir - Reglement auf eine die Kriegsmäßigkeit allein anstrebende Weise ausgeführt. Dieses Reglement erfreut sich bezüglich seiner Einfachheit und der großen Manövrirfähigkeit , die es an strebt, eines hohen Rufes. Es wäre räthlich gewesen, dessen klassische Einfachheit in den Formen, Wechsel derselben und Bewegungsmitteln für die Infanterie zu accep tiren. Es herrscht aber die Ansicht, daß der Infanterie eine gewiſſe Complicirt heit der Formen und nicht die Ungezwungenheit der Cavallerie, aus disciplinairen Die Zukunft wird vielleicht lehren , daß bei der Rücksichten , nothwendig sei. Kürze der Dienstzeit nur kriegsgemäße Formen gefordert werden dürfen, daß im Gefechte die moralischen Factoren jede complicirte Bewegung unmöglich machen und die Schnelligkeit im Wechsel der Formen die Grundlage der Manövrirfähig keit ist, daher auch die Disciplin nicht in der Eckigkeit der Formen, sondern in der Verläßlichkeit des einzelnen Individuums gesucht werden muß. Die Ausbildung der Cavallerie strebt die Abhärtung des Mannes , seine Un erschrockenheit als -Reiter und den steten Gehorsam des Pferdes an. Dieses System stellt an Mann und Pferd bedeutende Anforderungen, und da hierbei die Pferde ihr gutes Aussehen gewöhnlich verlieren, so hatte es unter den Cavalleristen mannigfache Gegner. Wie es gewöhnlich mit neuen Maßregeln geht, wurde mehrfach des Guten zu viel gethan und die Schonung des Materials zu sehr in den Hintergrund gestellt. Die gleichartige Ausbildung wird durch die Einrichtung des Central Cavallerie-Curses, den schon der größte Theil der Rittmeister besucht hat, ferner durch die Einwirkung des Cavallerie - Inspectors wesentlich vermittelt und eine irrige Auffassung des Reglements, Negation seiner Principien oder Uebertreibung derselben verhindert. Die gegenwärtige Tüchtigkeit der Cavallerie ist dem ehe maligen Inspector, General der Cavallerie Baron Edelsheim- Gyulai, zuzuschrei ben , welcher mit feltener Energie alte Vorurtheile auszurotten und consequent auf das richtige Ziel hinzuarbeiten verstand. Das Dienstalter dieses Generals entführte ihn seiner früheren Bestimmung auf die Stelle eines commandirenden Generals für Ungarn ; an seine Stelle kam Generalmajor Graf Pejacewich, wel cher die Richtung des früheren Inspectors festhält und dessen Streben dahin geht, ihre Tüchtigkeit in dem weitaus wichtigsten Dienste der Cavallerie durch ein gehende Pflege des Sicherheits- und Nachrichtendienstes zu steigern. Die großen Armeen der Gegenwart führten zu dem Principe eines großen Aufklärungsraumes vor der ſtrategiſchen Front, und der Deutſch-Franzöſiſche Krieg zeigte auf Deutscher Seite die Wichtigkeit dieser Maßregel. Da jedoch die Franzosen dieses Princip nicht zur Geltung brachten, so unterblieben jene großzen Cavallerie kämpfe, zu welchen unausbleiblich ein nächster Krieg führen wird. Da Uebungen mit großen Cavalleriekörpern vom Jahre 1853 bis zur jüngsten Zeit nicht stattgefunden , weil administrative Rücksichten die Vereini gung solcher Körper verhinderten , so war es höchste Zeit, sich über die Ver wendung solcher Körper klar zu werden und die Generale hierfür auszubilden. Zu diesem Zwecke wurden im Jahre 1874 in dem Lager bei Totis 5 Cavallerie Regimenter und 16 Geschütze vereinigt, um Uebungen in der Cavallerietruppen Division vorzunehmen. Diese Manövers, bei welchen auf Grund des Reglements endgültige Ansichten über die Verwendung eines solchen Körpers gewonnen wer den sollten , führten zum gewünschten Resultat , klärten mehrfach die Ansichten und bildeten ein schätzenswerthes Material für die Normalformen der Cavallerie Division. Von hoher Bedeutung für die Ausbildung war der im Jahre 1870

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durch die Vertretungskörper genehmigte Antrag der Erhöhung des Etats aller Cavallerie-Regimenter auf den Kriegsstand (der Combattanten) , in Folge dessen die Uebung der Reservisten entfällt und der raſche Uebergang zu den Kriegs formationen gesichert erscheint.

Bei der Artillerie ergaben sich seit der Einführung des Reglements rom Jahre 1872 keine wesentlichen Veränderungen. Der Zwiespalt der Ansichten über die Entfernungen , auf welche der wirksame Schlachtenkampf geführt wird (durch Arkolay herbeigeführt), hat sich schon lange ausgeglichen und die Artillerie strebt eine Taktik an, welche die Erfahrungen des Deutsch-Französischen Krieges gutgeheißen haben. Diese ist: möglichst ununterbrochene Thätigkeit der gesammten Artilleriekräfte und Wechsel des Zieles je nach der taktischen Situation des Gefechtes. Hingegen ergaben sich hinsichtlich der Bewaffnung wesentliche und tief ein greifende Fragepunkte. Wenn auch eine Enquête - Commission im Jahre 1870 zu dem Schlusse gelangte , daß die Bewaffnung der Desterreichischen Artillerie den Kampf mit jener der anderen Mächte aufnehmen könne, was auch bei der bewährten Tüchtigkeit dieſer Waffe zur Ueberzeugung der Armee wurde, jo drängte sich doch immer lebhafter die Nothwendigkeit auf, ein Geschützſyſtem einzuführen, welches nicht bloß dem aller anderen Artillerien ebenbürtig , sondern womöglich noch überlegen gegenüber gestellt werden kann . Mehrfache Zweifel erwachten, ob das Menschenmaterial die intellectuellen Eigenschaften besize, welche für eine so fubtile Waffe, wie sie das Hinterlade - Geschütz ist , nothwendig sind. taktischen Standpunkte wurde ferner bestritten, daß der präcise Schuß bedeutungs roller als die Zufallstreffer seien, welcher Irrthum mit allen Mitteln der Theorie groß gezogen, aber auch wieder bekämpft wurde ; doch bald griff die Wahrheit kräftig durch und die Neubewaffnung der Oesterreichischen Artillerie mit dem besten Hinterladesystem ist eine beschlossene Sache. Wenn auch diese Neubewaff nung auf die taktische Verwendung von keinem tiefen Einflusse ist, so wird dech die Ausbildung der Artillerie, um der Complicirtheit der Behandlung des Feld geschüßes willen, eine Vereinfachung der Anforderungen an die Mannschaft her beiführen müssen. Mit Rücksicht auf die Vertheilung der Artillerie bei den Truppen-Diviſionen war eine taktische Gliederung der Regimenter geboten ; daher würden die durch die Stabsoffiziere bisher ausgeübten Inspectorate aufgehoben und dafür die Theilung des Regimentes in 3 Divisionen zu 3, 4 und 5 Batterien eingeführt, wodurch die Dotirung der Diviſions - Artillerien , Corps - Geſchüß - Reſerven und eventuell einzelner Armee- Geschütz-Reserven organisationsmäßig angebahnt wurde. Hand in Hand hiermit geht die Ausbildung dieser kleinen Artilleriekörper, was für die Präciſion und Raschheit der Entwickelung größerer Feuerlinien , dieſem Grundelement der modernen Artillerietaktik, von hoher Bedeutung ist.

Durch die bereits erwähnte Instruction für die praktischen Truppenübungen wurden zum Schlusse der Jahresübungen Divisions - Concentrirungen ein geführt, wozu sich die Abtheilungen einer Truppen- Division an einem mit Rück sicht auf die administrativen Verhältnisse günstigen Punkt zusammenfinden und

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in organisationsmäßiger Weise mit Cavallerie, Artillerie , Feldjanitäts -Anstalten, Feldsignal-Abtheilungen ausgerüstet sind. Es werden Instructions -Uebungen eines bestimmten Gefechtsabschnittes von einer Truppen - Division gegen markirte Gegner und Feldübungen von Brigade gegen Brigade vorgenommen. Die letzten Tage dieser Concentrirung finden Schlußmanöver mit feldmäßigen Märschen und Biwaks statt , wobei im Heere abwechselungsweise auch eine Division gegen die andere manövrirt. Wenn auch diese Uebungen Anfangs nur den Zweck zu haben schienen, die höheren Truppen führer auszubilden und aus früherer Zeit der Glaube überkommen war , daß sie die Bemühungen der Detail =- Ausbildung , besonders die Präcision und die minutiöse Ausübung der einzelnen Obliegenheiten schädigen , so kam man doch bald zum Bewußtsein , daß in diesen Uebungen , richtig geleitet und mit Ver ständniß erfaßt, der Schlußstein für die kriegsgemäße Ausbildung der Abtheilun gen liege. Dem niederen und höheren Abtheilungs - Commandanten , kurz dem Offizier werden hier Raum- und Zeitverhältnisse vor Augen geführt, deren Erkenntniß und Verwerthung bei den einseitigen Verhältnissen von selbstständigen Uebungen nie erwachen kann. Die Infanterie besonders lernt dabei jene Momente in's Auge faſſen, welche bei der Verstärkung der erſten Linie, bei der Bewegung derselben in langen Fronten die Störung des taktischen Verbandes herbeiführen können, sie lernt unter Berücksichtigung von Neben- Abtheilungen das Terrain ausnützen, namentlich aber den Wechsel der Ziele und die verschiedene Stärke des Feuers anwenden und so die Feuer- Disciplin kräftigen. Die Cavallerie kommt zum Bewußtsein ihrer Bedeutung als Kampfmittel und ihrer hohen Aufgaben im Sicherheitsdienst während des Gefechtes. Die Artillerie lernt mit Rücksicht auf den allgemeinen Kampfzweckt ihr Feuer concentriren und mit Hinblick auf die Bewegung der anderen Waffen und ihre Eintheilung in der Gefechtsfront Positionen nehmen. Die Genietruppe kommt zum Bewußtsein ihrer Aufgabe, in jeder Gefechtsform Punkte zu verstärken , wo die Defensive dies verlangt und eine Dekonomie mit der Kraft herbeiführt. Kurz, die Wechselwirkung der Waffen, ihr Gefüge im Kampfe und die Erweckung der Gewohnheit bei den Truppen führern, mit allen Elementen zu rechnen, sind die Errungenschaften dieser regel mäßigen Uebungen in großen Körpern. Wenn auch in dieser Richtung noch Vieles besserungsfähig ist, so zeigt sich doch allenthalben das Streben , diese Momente zu erfassen. Mit der gleichen Absicht wurden im Jahre 1874 sämmtliche unter dem General-Commando zu Prag stehende Truppen in der Umgebung von Brandeis zu viertägigen Manövern concentrirt. Diese sollten unter der Ober leitung des Heeres -Inspectors, Sr. Kaiserl. Hoheit des Feldmarschalls Erzherzog Albrecht , eine Probe sein, wie die durch das Reglement des Jahres 1874 für die Infanterie eingeführten Gefechtsformen in großen Körpern zur Geltung gelangen. Wenn auch dieses Reglement erst im Mai 1874 ausgegeben wurde, wodurch die Truppen in ihrer regelmäßigen Ausbildung theilweise unterbrochen, sich ganz der Erlernung desselben zuwenden mußten, so zeigte sich doch, daß einerseits diese Vorſchrift den richtigen Weg betreten hat, und andererseits , daß bei den Truppen jenes Verständniß herrschte, welches eine baldige Vollkommenheit in der Durchführung des Gefechtes verbürgt. Zu diesen Manövern und den Diviſions - Concentrirungen wurde die k. k. Landwehr zugezogen, welche sich , mit Rücksicht auf ihren Zweck, ihre kurze Aus bildungsdauer, ihren Mangel an Offizieren dem stehenden Heere als tüchtige Unterstützung zur Seite stellte.

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Die k. Ungarische Landwehr wurde mehrfach zu Divisions- Concentrirungen herangezogen und hat theilweise ganze Truppenkörper, ausgerüstet mit Cavallerie und Mitrailleusen , bei Activirung des Trains und der Anstalten concentrirt, wobei auch dieser integrirende Theil des Heeres die besten Zeugnisse seiner Tüchtig feit lieferte. Gleichen Schritt mit dieser Ausbildung des Linienheeres und der Landwehr haltend, werden bei den Reserve - Abtheilungen der Infanterie , Jäger , Artillerie und des Genie die Reservisten mit den Veränderungen der taktischen Ausbildung bekannt gemacht und ihre erlernten Fertigkeiten in vierwöchentlichen Waffen übungen, wozu der Mann jedes zweite Jahr einzurücken hat, im Gange erhalten. So wird das Desterreichisch-Ungarische Heer unter dem das einheitliche Streben hebenden Einflusse des allen Theilen des Heeres die unermüdlichste Aufmerksamkeit zuwendenden Armee- Inspectors , Erzherzog Albrecht , in kurzer Zeit alle Bürgschaften des Sieges in sich tragen , in soweit diese in dem Eifer des Heeres für seine Aufgabe liegen können.

Die geistige Ausbildung. Als die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde , rechnete man auf eine wesentliche Hebung des geistigen Elementes im Heere und hoffte, jene Bevölke rungsklasse zahlreicher demselben zuströmen zu sehen, welche durch ihre Vorbildung einen entsprechenden Nachwuchs an Unteroffizieren und Offizieren bieten würde. In dieser Erwartung wurde man einigermaßen getäuscht, denn es gelangten nicht nur nicht mehr intelligente Individuen zur Assentirung, sondern es wurden auch noch die, in einigen Provincen nicht stark vertretenen intelligenten Leute theilweise durch die Einführung des Einjährig - freiwilligen Dienstes dem Heere entzogen. Rechnet man noch die Umstände hinzu , welche durch die Afsentirung für die Landwehr dem stehenden Heere einen Abbruch zufügen, jo kann man wehl ohne Uebertreibung sagen, daß gegenwärtig weniger befriedigendes Material zum Heere gelangt , als vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Die Ursachen dieses Mangels an intelligentem Material sind zunächst socialer Natur, über welche der Heeresleitung keine Macht zuſteht und gegen welche sie gebunden durch die ge sezmäßige Thätigkeit der Vertretungskörper keine genügenden Maßregeln erlaſſen kann. Der um sich greifende Materialismus und das Lucrative anderer Be schäftigungen bei oft untergeordneten Vorkenntnissen im Vergleich zu denjenigen, welche für den Offizierſtand gefordert werden, machte die Jugend und ihre Rath geber von dem Heeresdienste abwendig. In der Hoffnung, jener nicht eingetretenen Erfolge der allgemeinen Wehr pflicht, und besonders gedrängt durch die zur Ersparung mahnenden Vertretungs Körper, löste die Heeresleitung den größten Theil der Elementar-Bildungs- An stalten, welche für den Unteroffizier-Nachwuchs und als Vorbildung für die Akademien dienten, auf. Es sah sich daher die Heeresleitung später veranlaßt, Maßregeln zu ergreifen, welche ihr den so nothwendigen Offizier-Nachwuchs bieten sollten. für jede Division errichteten Cadetten-Schulen zeigte sich in kurzer Zeit, daß sich zu wenig Individuen fänden , welche die genügende Vorbildung zur Aufnahme in diese Anstalten hatten. Auch die in jedem Truppenkörper bestehenden Vorbereitungs-Schulen hatten keine genügende Zahl Frequentanten aufzuweiſen. Da aber diese sowie die Cadetten- Schulen ein großes Lehrpersonal beanspruchten, so wurden von letztern nur je eine an den Sizen der Territorial-Behörden etablirt und bei jeder Truppen- Division nur eine Vorbereitungs- Schule eingerichtet. Als

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die volkswirthschaftliche Krise des Jahres 1873 der früher erwähnten ſocialen Richtung einen Umschwung gab, fanden sich alsbald auch genügende Aspiranten für diese Anstalten und die Zahl der Truppen-Eleven ist gegenwärtig in steter Zunahme begriffen . Vor dem Jahre 1866 wurde in den Militair-Bildungs - Anstalten das Schwergewicht der Thätigkeit auf die militairischen Fachkenntnisse gelegt und die Humaniora mit einem geringeren Claſſifications -Werth und mäßiger Aufmerkſam keit bedacht. Die Reorganisation dieſer Anstalten hatte die Pflege des allgemeinen Wissens als Grundbedingung des Fachwissens angestrebt. Die aus solchen Anstalten hervorgehenden Offiziere mochten wohl ein reiches Wiſſen mitbringen, welches für ihre spätere Verwendung von unläugbarem Werthe ist, ihrem unmittelbaren Zweck als Truppen- Offiziere entsprachen sie aber weniger. Dieß führte zu mehrseitigen Klagen , daher beabsichtigt die Heeresleitung das Programm der Bildungsanſtalten mit mehr Rücksicht auf deren Zweck und ihre unmittelbare Aufgabe umzugestalten. Die noch zu Recht bestehende Beförderungs - Vorschrift setzt den Uebergang vom Hauptmann zum Stabsoffizier als jene Stufe feſt, auf der für die spätere Verwendbarkeit eine theoretische und praktische Prüfung abgelegt werden muß. Um dem zu genügen , besteht in Wien ein Central- Infanterie- Curs , ein Vor bereitungscurs für Artillerie- Stabsoffiziers -Aspiranten und der Central-Cavallerie Curs . Diese Einrichtungen haben die besten Erfolge, indem sie bei den Stabs offizier Aspiranten , wie die Thatsachen beweisen , einen regen Eifer für die Erweiterung ihres militairischen Wiſſens erzeugen. Bei der Kriegsschule hoffte man durch Vermehrung der Hörerzahl einen geistigen Nutzen für das Heer im Allgemeinen zu erreichen , jedoch die Forde rungen, um in dieſe Schule zur Aufnahme zu gelangen, sind der Art , daß die Zahl der Hörer eine beschränkte blieb; anderseits muß diese Anstalt jedenfalls den Ersatz für den Generalstab liefern , welcher mun thatsächlich bei dessen Standesverhältnissen kaum genügenden Nachwuchs aus der Kriegsschule findet. Der Charakter der Kriegsschule näherte sich daher wieder dem einer Fachschule für den Generalstab. Die geistige Ausbildung bei der Truppe selbst regelt die Instruction für die Truppen- Schulen. Hienach liegt die geistige Ausbildung der Mannschaft und Chargen in den Händen der selbstständigen Compagnie- Commandanten und nur dort, wo der Nachwuchs an Unteroffizieren gering ist, werden zur Erlernung der Dienstsprache in Wort und Schrift Unteroffizier-Bildungsschulen regimenterweiſe er richtet. Nach jener Instruction hat auch jeder Truppenkörper ferner noch Schulen für die Blessirten- Träger, Truppen-Pioniere und für den Feldsignal- und Mani pulations-Dienst. Die praktische Ausbildung der Truppen-Pioniere findet brigade weise im Sommer statt , und bei den Divisions- Commandos sind Gurse für Feldgensd'armen und für die Feldsignal-Abtheilungen der Divisions -Commandos errichtet. Diesen und andern speciellen Ausbildungszweigen , für welche jene Instruction Vorschriften giebt, wird vielfache Aufmerksamkeit zugewendet , wobei durch Prüfungen und Berichte an die höheren Stellen das Ergebniß überwacht wird . In der gleichen Instruction ist für die Fortbildung des Offiziercorps mehrfach vorgeforat. Diese besteht: 1. In taktischen Jahresthemas , welche der Charge des betreffenden Offiziers angepaßte Aufgaben enthalten und nach einer schriftlichen und mündlichen Kritik durch die unmittelbaren Vorgesetzten sowohl in Offizierschulen als auch im Terrain zu einem wesentlichen Instructions- und Beurtheilungsmittel werden.

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2. Jn Vorträgen , welche zunächst in der Erklärung der Reglements und über Taktik von höheren Offizieren und über militairische Gegenstände überhaupt von hierzu sich freiwillig meldenden Offizieren gehalten werden. 3. In Recognoscirungs-Uebungen , welche jährlich , 8-10 Tage dauernd, von abwechslungsweise hiefür beſtimmten Offizieren unter Leitung eines höheren, diesen Gegenstand beherrschenden Offiziers unternommen werden und in der taktischen Beschreibung gewisser Marschrouten bei zu Grundelegung einzelner Kriegsfälle, bestehen. Das im Allgemeinen rege geistige Leben des Heeres äußert sich in mannig fachster Weise, sowohl durch das Intereffe, welches den militairischen Streitfragen entgegen gebracht wird , als auch durch die wesentliche Hebung der Militair Literatur. Diese hat zu einer erheblichen Vermehrung der periodischen Fach schriften geführt und in Brochüren, Studien und Lehrbüchern von manchmal allseits anerkannter Vorzüglichkeit seinen Gehalt manifeſtirt. Die ersprießliche Thätigkeit des militair-wiſſenſchaftlichen Vereines in Wien, welcher eine Centrale der geistigen Thätigkeit dieser Garnison wurde , regte zur Errichtung von 15 anderen solchen Vereinen in den wichtigsten Garnisjonerten des Reiches an, welche dem wissenschaftlichen Leben die nöthigen Anhaltspunkte, aber auch die nöthigen Impulse geben sollen. Das Kriegsspiel , welches bisher nur in einzelnen Militairkreisen betrieben wurde, da für das allgemeine Intereſſe die nothwendigen Bedingungen, wie Verbreitung seines Werthes , Bekanntschaft mit der Leitung desselben und entsprechende Localitäten in den meisten Garniſonen, fehlten , dürfte durch die militair-wiſſenſchaftlichen Vereine einen wesentlichen Aufschwung nehmen. In das Programm dieser Vereine gehört speciell die Betreibung des Kriegsspieles. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Errichtung der Vereine nicht bloß dem geistigen Leben, sondern auch dem patriotischen und echt cameradschaftlichen Wejen von Nugen sein wird . Es bedarf wohl kein Heer so sehr der einheitlichen Leitung in jeder Richtung und des wechselseitigen Verkehrs, wie das Oesterreichiſch -Un garische. Vertheilt in den vielsprachigen Provincen des Reiches, umgeben von den verschiedenartigsten Bestrebungen, ist es naheliegend, daß der Offizier leicht die Fühlung mit dem Ganzen verlieren könnte, wenn ihm nicht Anhaltspunkte geboten werden , welche die Kräfte für Einen Zweck vereinen laſſen. Der Beurtheiler darf eben nie diejenigen Elemente aus dem Auge verlieren, aus welchen das Heer hervorgeht und von welchen es umgeben ist. Bedenkt er die schmerzlichen Ereignisse, welche den Anstoß zu den Oesterreichischen Reformen gegeben haben, bedenkt er mit dem weitsehenden Blick des Geschichtskenners, wie wenig der Zustand eines Heeres in gutem und bösem Sinne demselben allein zuzuschreiben iſt, ſo wird er die Verdienstlichkeit des geistigen Strebens im Heere anerkennen müſſen , welches trotz der mehrseitigsten bittern Beschuldigungen , trez aller decentralisirenden Bestrebungen, welche die Lösung der Aufgaben des Heeres erschwert haben, in lobenswerthem Eifer für die Sache thätig ist und proſperirt. Ven ergreifender Wirkung und im wahrhaften Sinne einigend, alle pessi mistischen Anschauungen verscheuchend, dem geistigen Leben den unentbehrlichen Hauch der patriotischen Begeisterung einflößend, wirkte die Feier des 25jährigen Regierungs - Jubiläums des geliebten Kriegsherrn und Kaisers . Man lausche nur den Zeichen, welche sich in den Empfindungen und Aeußerungen der Heeres Mitglieder in Wort und Schrift beurkunden , so wird man erkennen , wie von jenem Zeitpunkte an die geistige Thätigkeit mit erhöhten Kräften dem großen Zwecke des Vaterlandes entgegenstrebt.

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Moral, Disciplin, Subordination . "! Niemals haben sich die Völker Desterreichs größer gezeigt , als im Un glücke!" Dieser Satz aus dem historischen Manifeste Sr. Majestät des Kaisers und Königs Franz Joseph I. hat wohl doppelte Geltung bei dem Theile des Volkes, der in Waffen dem Vaterlande dient : bei der Armee , die auch in bösen Tagen ihren inneren Gehalt und gesunden Kern bewährte. Es wäre wohl eitel Bemühen, leugnen zu wollen, daß, wenn über eine Armee schwere Katastrophen hereinbrechen , wie jene der Jahre 1859 und 1866 , die allgemeine Erschütterung auch den moralischen Elementen sich mittheilen muß. In der Stimmung des Offiziercorps, in dem Widerstreite der Meinungen über die Ursachen des Geschehenen und über die Mittel zur Beſſerung, in den Aeuße rungen der militairischen Presse, der von der obersten Heeresleitung eine Unab hängigkeit und ein Freimuth in der Sprache gewährt wird, wie in keinem zweiten Lande des Continents , trat die Bewegung der Geister nur zu offen zu Tage. Ja, einzelne Erscheinungen im Laufe der letzten Jahre hätten den ferner ſtehen den Beobachter selbst zu dem Schluffe verleiten können , daß die eingetretenen Mißgeschicke nicht ohne nachtheilige Rückwirkung, auf das ethische Wesen des Heeres geblieben seien. Wer aber tiefer blickte, wer es verstand, der Armee an den Puls zu fühlen und ihren Herzschlag zu behorchen , dem ward es offenbar , daß alle diese im Strome der Tagesereigniſſe über die Oberfläche getragenen Gebilde ihren Ursprung lediglich in dem großartigen und tiefgreifenden Umgestaltungsproceffe hatten, dem Desterreichs Kaiserheer durch die Macht höherer Gewalten unterworfen worden. Und ist dabei in der k. k. Armee so Manches anders geworden in • Formen und in Anschauungen , so hat sie doch das Vermächtniß einer sechs hundertjährigen schlachtendurchfurchten Tradition unversehrt in die Gegenwart herüber gebracht: die sittliche Grundlage ihrer Eristenz und deren stützende Säulen, Kaiſertreue, Vaterlandsliebe, Pflichtbewußtſein. Auf diesem selbst in den Stunden schwerer Bedrängniß und im Kampfe auseinandergehender Ansichten unbetasteten Boden vollzog sich denn auch die Neugestaltung des Heeres , das heute ein anderes Gepräge trägt , als ehedem, an innerem Werthe aber den Armeen der ruhmreichsten Epoche der Oesterreichi schen Geschichte sich anzureihen strebt. Die Leichtlebigkeit und der muntere Ton, die vormals das k. Offiziercorps charakterisirten, sind dem Ernste und der Arbeit gewichen. Selten mag wohl der Geist des Strebens zu einer so unermüdeten, mitunter selbst nervösen Thätigkeit angeregt haben , als in der gegenwärtigen Periode, deren vornehmste Signatur in der äußersten Anspannung aller phyſiſchen und intellectuellen Kräfte im Heere zu finden ist. Die Erkenntniß dessen , was noch nachzuholen, hat zuweilen Aeußerungen der Selbstverkleinerung laut werden laſſen, andererseits aber auch die läuternde Kritik geweckt, die Ideen geklärt, das Zielbewußtsein gefördert und zu einer Thätigkeit aller Glieder geführt , die zu den besten Hoffnungen berechtigt. Die materielle Richtung der Zeit und der wirthschaftliche Aufschwung in der Periode, die der Wiener Weltausstellung voranging , hatten theilweise auch einen vermehrten Austritt der Offiziere aus dem Heeres - Verbande zur Folge. Es ergab sich wohl für diesen Abgang ein numerischer Erſatz durch die vermehrten Bewerbungen der Söhne des hohen Adels und des wohlhabenden Bürgerthums um das Öffizierportepée. Durch die allgemeine Wehrpflicht zu den Fahnen berufen , bleiben sie jetzt in vielen Fällen mit Vorliebe im Dienste zurück øder 23 Militairische Jahresberichte 1874.

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sie stellen doch in der Reserve und im Urlauberstande der Landwehr ihre Kräfte für den Fall ernster Ereignisse bereitwillig zur Verfügung. Auch die disciplinairen Zustände der Mannschaft bewegen sich in viel ebeneren Bahnen, als nach der schon vor sechs Jahren erfolgten Abſchaffung der körper lichen Strafen und Einführung milderer Strafmittel von mancher Seite erwartet worden. Der Mangel an älteren Unteroffizieren — eine Folge der kurzen Präsenszeit – und die bisweilen nicht ganz gefestete Haltung und Autorität der jungen Chargen bedingen zwar eine vermehrte Thätigkeit der Offiziere, eine erhöhte Wachjamkeit derselben und ein unmittelbares Eingreifen in das Getriebe des inneren Dienstes . Dank dieser Thätigkeit gelang es aber auch, nennenswerthe Lockerungen der disciplinairen Bande zu vermeiden , und die bei keinem Truppenkörper aus dem Rahmen ganz normaler Verhältnisse heraus tretenden periodischen Strafausweise geben die Gewähr, daß die milderen Straf mittel ihren Zweck vollkommen erfüllen. Bei den Regimentern , welche ihre Ergänzung aus Bezirken erhalten, die auf einer höheren Stufe der Cultur und des Wohlstandes stehen , durfte man in dieser Richtung von vornher beruhigt sein; bei den Mannschaften aus den culturärmeren Gegenden des Reiches kom men aber, wie es sich nun zeigt , durchweg die Gutmüthigkeit und Lenksamkeit dieser Volksstämme , und schon nach kurzer Dienstzeit eine hingebende Anhäng lichkeit der Leute an den Offizier , der Aufrechthaltung der Disciplin fördernd zu Statten. Grobe Subordinationsverletzungen gehören daher allenthalben zu den Seltenheiten , und die in der Periode des Uebergangs vom Conscriptions zum Volksheere der allgemeinen Wehrpflicht zuweilen aufgetauchten und durch die Umtriebe einer die unteren Volksschichten aufhetzenden demagogischen Preſſe genährten Besorgnisse für die Erhaltung einer strammen Disciplin , haben sich bis zur Stunde unbegründet erwiesen.

Bericht über das Heerwesen

Rußlands .

Wie in allen Staaten Europas von je her, vor Allem aber in den lehten Jahren, das Streben nach einer größeren Entfaltung der Wehrkraft in hier noch beabsichtigten , dort im Werden begriffenen oder schon zum Abschluß ge kommenen Reformen zum Ausdruck kommt, so auch in dem mächtigen Rußland, das jetzt bei einer Einwohnerzahl von über 80 Millionen einen Flächeninhalt von 400,227 D. - Meilen, rechnet man die Asiatischen Besitzungen hinzu, umfaßt. Hier beginnt ein solches Streben mit Peter dem Großen, welcher aus seinen "Potiäjchnyje" die ersten regulairen Truppen Rußlands schuf, und der Be gründer der Russischen Macht ist. Bald mit größerem , bald mit geringerem Erfolge gekrönt , je nachdem dasselbe auf mehr oder weniger richtigen Grund sätzen basirte, führte es dazu, daß aus den 180,000 Mann Peters des Großen beim Beginn des Krymkrieges eine Armee von 1,151,319 regulairen und 245,850 irregulairen Truppen geworden war. Wenn sich diese Macht im Ver laufe des Krieges auch noch steigerte, sie konnte Rußland vor dem Unterliegen

Heerwesen Rußlands.

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doch nicht bewahren, sie beruhte abgesehen von all den anderen mitwirken den Umständen nicht auf einer zweckentsprechenden ,་ den Verhältnissen voll ständig Rechnung tragenden Grundlage. Gleich nach Beendigung des Krym Krieges juchte man die am Meisten in die Augen springenden Mängel in der Organisation der Armee abzustellen ; der Anfang der durchgreifenden Reformen fällt aber erst in das Jahr 1862 , in welchem Kaiser Alexander II. neue , von den bisherigen wesentlich abweichende Organisations - Principien aufstellte. Sie hatten den Zweck , die Abtheilungen der activen Truppen , die Divisionen , Ne gimenter, Bataillone und Batterien so zu vermehren, daß sie auf geringem Friedensetat stehend genügende Cadres für die auf den Kriegsfuß gesetzte Armee abgeben könnten. Die Differenz an Mannschaften zwischen dem Frie dens- und Kriegsetat sollte beurlaubt sein, um nöthigen Falls die Cadres sofort completiren zu können. Bestimmten Reservetruppen sollte die Ausbildung der Das Corps der Rekruten im Frieden und im Kriege überwiesen werden. inneren Wache sollte aufgelöst werden, sowie überhaupt eine Reorganisation der Localtruppen und eine Verminderung der großen Anzahl der Nicht- Combattanten eintreten. Kaum war nun auf dieser Basis die Reorganisation der Armee im Jahre 1869 zu einem gewissen Abschlusse gekommen, als der Deutsch - Französische Krieg, epochemachend auch in der Organisation der Streitkräfte, seinen Einfluß nicht minder auf die Russische Armee ausübte. Die schnelle Mobiliſirung der Deutschen Armee war es besonders, welche den Kaiser Alexander II. überzeugte, daß die Jehtzeit noch ganz andere Anforderungen an die Construction der Armeemaschine stellt , wie die Kriege bis zum Jahre 1854 , auf deren Er fahrungen das Wesen der noch nicht einmal zu Ende geführten Reformen be So zeigt denn das Jahr 1870 schon wieder die ersten Anfänge einer Reorganisation , die, jezt im vollen Werden begriffen , in nicht allzulanger Zeir die Russische Armee auf eine weit höhere Stufe der Entwickelung , wie dies nach den Principien von 1862 der Fall sein konnte , bringen und sie den Armeen der anderen Europäischen Großmächte mindestens ebenbürtig an die Seite stellen wird . Bevor jedoch diese neueste und zweifellos wichtigste Epoche der Russischen Armee besprochen werden kann , möchte es zum vollen Verständniß derselben unbedingt nothwendig sein , wenigstens die Organisation der Armee des Jahres 1869 in kurzen Zügen zu skizziren , auf welcher sich die Armee der Zukunft aufbaut, die ihrer Form und ihrem Wesen nach eine fast vollständig andere zu werden scheint.

Die Armee des Jahres 1869 in organisatorischer Beziehung. Das Russische Landheer bestand wie auch heute noch aus regulairen und irregulairen Truppen und aus der Reichswehr (Opoltschenie) , welche nur in ganz außerordentlichen Fällen einberufen wurde. Die alljährlich durch Aushebungen ergänzten regulairen Truppen zerfielen - abgesehen von den ver schiedenen Waffengattungen : Infanterie, Cavallerie, Artillerie und Ingenieure in Feld- und Localtruppen. -- Während erstere, die Feldtruppen, zu den Opera tienen im Felde bestimmt waren, und eine dem entsprechende Organisation und Stärke hatten , sollten die Localtruppen den Zwecken des Dienstes im Innern des Landes dienen: Instructoren und Rekruten ausbilden, die Vertheidigung der Festungen übernehmen und den Localdienst im Allgemeinen thun. 23*

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Die irregulairen Truppen bestanden , wie dies auch noch jetzt der Fall ist , aus den Kasaken - Woijskos und den Kaukasischen und Transkaukasischen Milizen. Eine leichte Reiterei bildete damals wie jetzt ihre Hauptstärke , eb wohl sie auch Infanterie- und Artillerie- Abtheilungen aufstellten. Die Reichswehr (Opoltſchenie) schließlich hatte keine ständige Organi ſation und wurde nur im ganzen Reiche oder in einzelnen Theilen einberufen, wenn eine außergewöhnliche Kraftanstrengung zur Vertheidigung des Vater landes nöthig wurde. Completirung und Organisation der regulairen Truppen , der Local- Inftitutionen und Militair-Lehranstalten. A. Die Completirung. Die regulaire Ruſſiſche Armee completirte sich bis zum Frühjahr 1874 durch wehrpflichtige Leute oder durch Freiwillige. Die Ergänzung durch Wehrpflichtige geschah durch die im Reiche stattfindenden Rekruten - Aushebungen , deren Zeit und Stärke je nach dem Ab gange bei der Armee und den sonst maßgebenden Verhältnissen jedes Mal speciell durch ein Manifest des Kaisers festgesetzt wurde, indem dasselbe in Bezug auf die Stärke die Zahl der von jedem Tausend männlicher Seelen aus zuhebenden Rekruten normirte. Nach dieser Norm unterschied man gewöhn = liche , wenn nicht über 6 , verstärkte , wenn 7-10 , und außergewöhn liche Aushebungen , wenn über 10 Rekruten von jedem Tausend Seelen zum Dienst herangezogen wurden. Wehrpflichtig waren nur die Revisionsjeelen, d. h. die Angehörigen derjenigen Klassen , welche an die Staatskasse eine Korf oder eine andere dem entsprechende Abgabe zahlten : die Bürger, die ehemaligen Krons- und Apanage-Bauern, die ehemaligen Leibeigenen und andere, denen in dieser Beziehung keine besonderen Vorrechte zuerkannt waren. Ausgenommen von der Verpflichtung zum Dienste waren im Reiche im Königreich Pelen bestand ein besonderes Rekrutirungsgesetz ― die Edelleute , die Kaufleute beider Gilden , die Bürger , welche Wahlämter bekleideten oder dreimal 3 Jahre ver wurfsfrei bekleidet hatten, gewisse Gemeindebeamte, Colonisten auf Grund ihnen gewährter Privilegien , die Sivirischen Fremdvölker , mochten sie nun angeſeſſen sein oder nomadiſiren , die Ruſſiſchen Bewohner Kamchatka's , des Jakutſtiſchen Oblasſti , und einzelner Bezirke des Irkutskischen , Jeniſſeiſkiſchen , Tanſkiſchen und Tobolsschen Gouvernements , die Samojeden im Gouvernement Archangelsk, und noch eine große Anzahl von Bevölkerungsgruppen und einzelner Perſonen auf Grund gewisser ihnen gewährter Rechte und Privilegien. Hierher gehören 3. B. die Bewohner Bessarabiens , welche auf eine gewisse Zeit von der Ab leistung der Wehrpflicht befreit waren. Ferner wurden zur Rekrutirung nicht herangezogen: die aus dem steuerpflichtigen Stande hervorgegangenen Schüler der Akademien und Gymnasien und die Studenten , die Lehrer an den Staats und Gemeinde - Lehranstalten , überhaupt verschiedene für bestimmte Zwecke aus gebildete Leute; dann die einzigen Arbeiter in den Familien , sowie die ältesten Brüder von minderjährigen Waisen. Schließlich konnte der Wehrverpflichtung auch durch Einzahlung von gewissen Summen - abgesehen von dem eigent lichen Loskauf, der weiter unten behandelt werden wird ― Genüge geleistet werden. So zahlten z . B. alle Städte und Dörfer des Gouvernements Archangelsk mit wenigen Ausnahmen für jeden zu stellenden Rekruten je 300 Rubel , die Leparen und die Korelen in gewissen Districten je 150 Rubel. Ueberhaupt erreichten die Ausnahmen von der Dienstverpflichtung eine

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solche Höhe, daß von der circa 30 Millionen ſtarken männlichen Bevölkerung des Reiches , Polen und Finnland ausgenommen , nur etwa 24 Millionen refrutenpflichtig waren. Bringt man dann auch noch diejenigen, welche ihrer Wehrpflichtigkeit durch Geldeinzahlungen oder durch Loskauf genügten, in Rech nung, so wächst die Zahl der Ausnahmen so, daß fast / der Bevölkerung vom Militairdienste frei war. Die Militairlast lag somit mit ihrer ganzen Schwere auf dem unvermögenden Bürger- und Bauernstande, einem immerhin kleinen Theile des Volkes. Um das für die Armee nöthige Contingent an Rekruten auf die der Re krutirung unterworfenen Stände vertheilen zu können, wurden in jedem Gouver nement oder Oblaſſtj Bezirke abgegrenzt, welche je nach den verschiedenen Ständen auch verschieden waren. So bildete z . B. im Allgemeinen in jeder Stadt die „ Bürgergemeinde " , in den Dörfern der ehemaligen Krons- , oder der früher Leibeigen gewesenen Bauern der Wolojst", in den Dörfern der früheren Apa nage-Bauern der „ Okrug " einen solchen Bezirk. Wieviel Rekruten jeder dieser Bezirke stellte, richtete sich nach der dort vorhandenen Anzahl der wehrpflichtigen männlichen Revisionsseelen. Diese Anzahl wurde mit der in dem bezüglichen Manifeste angegebenen Zahl , wieviel Rekruten von je 1000 Seelen auszuheben seien , multiplicirt und dann durch 1000 dividirt ; das Ergebniß war die von dem bezüglichen Bezirke zu stellende Rekrutenquote. Erhielt man eine Bruchzahl, so kam diese auf die nächste Aushebung mit in Anrechnung. Nunmehr handelte es sich um die Auswahl der Rekruten , welche auf zwei verſchiedene Arten erfolgen konnte, einmal nach einer gewissen Reihenfolge ( Otcherednoi porjadok ") oder durch das Loos ( Jerebjewoi porjadok") . Ob das eine oder andere stattfinden sollte, war - wenn auch hier und da ge jetzlich normirt ― in nicht wenigen Fällen in das Belieben der Gemeinden gestellt. Erfolgte die Rekrutirung nach einer gewissen Reihenfolge ", so lag eine bestimmte Liste zu Grunde, in welche alle Familien des Rekrutirungsbezirks nach der Anzahl ihrer rekrutenpflichtigen Mitglieder hinter einander eingetragen waren. Diejenigen Familien , in welchen die vorhandene Arbeiterzahl die größte war, mußte zuerst Rekruten stellen, diejenigen dagegen, welche nur einen Arbeiter zählten , sowie diejenigen, in welchen der Vater mit einem Sohne , der Großvater mit einem Enkel , und der Onkel mit einem Neffen nur arbeiten konnten, kamen für die Rekrutirung nicht mit in Anrechnung. Dasselbe Princip, die Familien mit wenigen Arbeitern den Familien gegenüber, welche über viele Arbeitskräfte zu verfügen hatten , zu schonen , kam auch bei der anderen Nekru tirungsmethode zur Geltung. Entschied nämlich das Loos, so wurden vorab die wehrpflichtigen 21jährigen Leute in 3 Kategorien getheilt. Zur ersten gehörten diejenigen, in deren Familien über 4 Arbeiter waren, sowie die einzeln Stehenden, welche keine selbstständige Wirthschaft hatten ; zur zweiten diejenigen , welche zu Familien mit 3 Arbeitern gehörten ; zur dritten endlich die Angehörigen von Familien mit nur einem Arbeiter. War die zu stellende Rekrutenquote kleiner als die Zahl der zur ersten Kategorie gehörigen , so entschied das Loos die Einstellung inter diesen ; war sie größer, so unter den zur zweiten resp . dritten Kategorie zählenden Leuten. Die Leute , welche Seitens der Bezirke als Rekruten gestellt wurden, durften nicht jünger als 21 und nicht älter als 30 Jahre sein , und mußten die Größe von 2 Arschin 21, Werschok (4,38 Fuß) bis 2 Arschin 3 Werschok (4,4 Fuß) haben. Leute , welche mit ansteckenden Krankheiten behaftet oder in Untersuchung waren, durften nicht als Rekruten gestellt werden.

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Um etwaigen Ausfall zu decken , mußten Ersatzmänner vorhanden sein , jo wie auch die Gemeinden für die durch bestimmte Vorschriften festgesetzte Ein kleidung, für den Proviant auf 3 Monate und das Gehalt von 90 Kopeken pro Rekrut zu sorgen hatten. Um die zur Aushebung bestimmten Leute an dem durch das Manifest fest gesetzten Zeitpunkte den Militairbehörden zu übergeben , wurden Leute , die „Otdattichiki" gewählt, welche mit den Rekruten und Erſahleuten, den nöthigen Geldern 2c . an den bezüglichen Uebergabeorten erscheinen mußten. Hier in allen Gouvernements- und Kreisstädten wurden beſondere Rekrutirungs Commiſſionen gebildet , welche die vorgestellten Leute auf ihre Tauglichkeit , ihr Alter zu untersuchen und zu controliren hatten, ob sie auch nach der Reihenfolge und den Loojungslisten zur Gestellung gekommen seien. Die durch die Com miſſion angenommenen Refruten traten dann unmittelbar unter die Aufſicht des militairischen Rekruten- Empfängers und wurden vereidigt. Die Gelder wurden eingezahlt und der Otdattichik erhielt sowohl über diese wie über die abgegebenen Rekruten Quittung. Aus diesem hier kurz skizzirten Verfahren bei der Rekru tirung möchte hervorgehen, daß solches hauptsächlich in den Händen der Ge meinden lag. Diese wohl durch gesetzliche Bestimmungen gebunden - hatten aber dennoch Gelegenheit genug, Einflüssen nachzugeben, die oft zu den größten Ungerechtigkeiten bei der Auswahl der als Rekruten zu gestellenden Leute führten, und so die Ableistung der Wehrpflicht noch mehr, als schon durch das Wehrgejez bedingt war, zu einer schweren Last für die davon betroffenen Stände machten. Für das Königreich Polen bestand ein besonderes Wehrgesetz, das unter dem 3. März 1859 bestätigt wurde, und wonach alle Einwohner, welche im Alter von 20-30 Jahren standen und mindeſtens 2 Arschin und 3 Werschek (4,4 Fuß) Größe hatten, wehrpflichtig waren . Ausgenommen von der Wehrpflicht waren aber die adligen Russen, gewisse adlige Polen, Ausländer, auch wenn sie naturalisirt waren, und deren Söhne, welche vor der Naturaliſirung geboren wurden, die Mennoniten und andere. Für eine gewisse Zeit waren die Beamten im Gerichts- und Civil-Ressort, die Professoren, Lehrer, Aerzte, Apotheker, Feldscheerer, Thierärzte , Ingenieure, Feldmesser , die Ruſſiſchen Kaufleute, so lange sie in diesen verschiedenen Ständen thätig waren, die Studenten der Uni versitäten und Akademien, die Zöglinge von Instituten, Gymnasien und gewiſſen Schulen, als solche und auch andere Personen auf Grund gewisser Familien verhältnisse von der Ableistung der Wehrpflicht befreit. Zum Zwecke der Aushebung zerfiel jeder Kreis in Conscriptions - Bezirke und zwar in landschaftliche (semßkije) , städtische und jüdische. Die wehrpflich tigen Leute looſten und wurden in 4 Kategorien getheilt. Zur ersten Kate gorie gehörten die 20-22 jährigen, zur zweiten die 23 30 jährigen Wittwer, Junggesellen und Verheiratheten , sofern sie keine Kinder hatten ; - zur dritten die 23-30jährigen Verheiratheten mit Kindern, aber ohne Grundbesitz von einer gewissen Größe ; zur vierten alle übrigen , welche das conſcriptionsfäbige Alter hatten. Die Gouvernementsbehörden bestimmten auf Grundlage des bezüglichen Manifestes , wieviel Rekruten jeder Bezirk stellen sollte , welche Kategorien und welche Jahrgänge der Conscribirten an der Loojung betheiligt waren. Zuerst wurde die 1. Kategorie herangezogen; wenn diese nicht ausreichte , d. h. wenn nicht 6 zu dieser Kategorie gehörige auf einen zu stellenden Rekruten kamen, griff man auf die 2. Kategorie und zwar auf die jüngste Altersklasse, dann auf die nächstfolgende u. s. w. und schließlich auf die 4. Kategorie zurück.

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Dienstzeit der Leute des Dienststandes . Die im Reiche und in Polen ausgehobenen Mannschaften hatten das Recht, sofern sie vor dem 8. September 1859 eingetreten waren , nach 20 Jahren - waren sie nach dem genannten Datum in den Dienst gekommen, nach 15 Jahren entlassen zu werden. Der Krieg bildete natürlich einen Ausnahmezustand. Nach 13 Jahren indessen konnten die vor dem 8. September 1859 zum Dienst herangezogenen Mann schaften auf unbestimmte Zeit beurlaubt werden, während die später eingetretenen Mannschaften dies Urlaubsrecht schon nach 10jähriger Dienstzeit erwarben. Schließlich konnte das Kriegsministerium bereits nach 8jähriger vorwurfs freier Dienstzeit eine Beurlaubung eintreten lassen, sofern nach den für die Truppen festgesezten Etats übercomplete Mannschaften vorhanden waren. Sowohl die auf unbeſtimmte wie auf bestimmte Zeit beurlaubten Mannschaften zählten zur Reſerve (Sapaß) der Armee , und konnten wieder zum activen Dienst ein gezogen werden. Loskauf und Stellvertretung . Um die Ableistung der Wehrpflicht zu erleichtern, war sowohl der Loskauf wie auch die Annahme von Stellver tretern gestattet. Von dieser Erlaubniß konnten nicht nur Leute, die erst wehr pflichtig wurden, sondern auch solche, die bereits im Dienst standen, Gebrauch machen. Das alljährlich publicirte Rekrutirungs -Manifest sette die für das be zügliche Jahr geltende Loskaufssumme fest, von welcher 70 Rubel für die An ſiedelung entlaſſener und beurlaubter Mannſchaften, der übrige Theil aber für die Annahme von Stellvertretern Seitens der Regierung verwandt wurden. Hauptsächlich wurden von Letterer Leute als Stellvertreter engagirt, welche be reits ihrer Wehrpflicht genügt hatten und freiwillig sich zum Weiterdienen ver pflichteten. Für jede Aushebung warf das Kriegsministerium soviel Rekruten quittungen aus , wie seit der letzten Rekrutirung Stellvertreter eingetreten waren. Dazu kamen denn noch die sogenannten „ Abrechnungs-Quittungen", d . h. die Documente, welche den Besitzern das Recht geben, bei den später stattfindenden Rekrutirungen in Abrechnung gebracht, also vom Dienste befreit zu werden . Die Rekruten wie auch die Abrechnungsquittungen wurden auf die Gouverne ments- und Rekruten-Bezirke vertheilt, und hier den Bewerbern zur Disposition gestellt. War die Zahl der Letteren größer als die der Ersteren, so hatten die Verheiratheten den Vorzug vor den Unverheiratheten; bei den Uebrigen entschied das Loos. Diejenigen, deren Wunſch, ſich loszukaufen, nicht befriedigt werden konnte, durften selbst für einen Stellvertreter sorgen. Der freiwillige Eintritt in die Armee stand jedem Ruſſen, wes Standes er auch war , frei. Diejenigen, welche sich als Stellvertreter an= werben ließen, mußten den an die Rekruten gemachten Anforderungen entsprechen, sich nicht in Untersuchung befinden und sich gut geführt haben. Sie konnten fich für 15, 10 und 5 jährige Dienstzeit verpflichten und wurden zu jeder Jahreszeit angenommen. Auch Leute des Dienstständes konnten Stellvertreter werden, sofern sie gewissen gesetzlich festgesetzten Bedingungen entsprachen. Die jenigen, welche als Freiwillige also weder als Stellvertreter noch als Ausgehobene in die Armee traten, und welche hauptsächlich den Offizier Erjat lieferten, konnten allen Ständen angehören, mußten aber mindestens 16 Jahre alt sein. Junge Leute der steuerpflichtigen Stände mußten aus ihren Gemeinden entlassen sein. Die Freiwilligen konnten sowohl als Com battanten, wie auch als Nichtcombattanten eintreten, je nach den vorhandenen Vacancen resp . nach der etatsmäßigen Anzahl von Nichtcombattanten. Die Freiwilligen bei der Garde und der Cavallerie mußten sich selbst unterhalten.

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Die Annahme und die Rechte der Freiwilligen richteten sich nach dem Grade ihrer Bildung oder nach ihrer Herkunft. Die Leute , welche die höheren und mittleren Lehranstalten absolvirt hatten, traten bei allen Truppen theilen ohne Examen sofort als Unteroffiziere ein, und mußten - hatten sie eine höhere Lehranstalt absolvirt- bis zu ihrer Beförderung zum Offizier 2 Monate - hatten sie nur den Curſus der mittleren Lehranstalten durchge macht mindestens 1 Jahr bis dahin dienen. Die nur auf Grund ihrer Her kunft eintretenden Freiwilligen wurden sofort Unteroffiziere, sofern sie das be zügliche Aufnahme- Eramen bestanden ; war dies nicht der Fall, wurden ſie als Gemeine eingestellt und erst nach Ablauf eines Jahres für Auszeichnung im Dienste oder nach dem Bestehen eines Examens zu Unteroffizieren befördert. Ob sie früher oder später nach 2 , 4 oder 6 Jahren den Offizierrang erhielten, Alle Freiwilligen hing von den genau festgesetzten Standesvorrechten ab. hatten das Recht, jeder Zeit aus dem Militair-Dienste entlassen zu werden, nur die Polen mußten 10 ( die Adligen) resp . 15 Jahre (die übrigen Stände) dienen. Das Werbegeset in Finnland. Für das Großfürstenthum Finnland besteht das Werbegesetz vom Jahre 1802, ſo daß dort eine gesetzliche Dienſt verpflichtung bis jetzt noch nicht eristirt. Die Completirung der bis zum Jahre 1867 dort bestehenden angesiedelten Finnischen Schüßen -= Bataillone, welche auf Kosten der Finnischen Staatskasse unterhalten wurden, erfolgte durch Anwerbung von 16-40 jährigen Finnen auf 3 bis 12 Jahre. Vertheilung der Rekruten auf die Truppen. Unmittelbar von dem Gestellungsplatze aus wurden die neu ausgehobenen Mannschaften in Commandos zu den Reserve-Truppentheilen (Reserve-Bataillonen, Batterien, Escadrons) ab gesandt. Hier empfingen sie ihre erste Ausbildung und wurden dann erst von hier aus auf die activen Truppentheile vertheilt. Freilich reichten auch schon damals die Reserve- Abtheilungen zu genanntem Zwecke nicht mehr ganz aus, so daß ein Theil der Rekruten direct den activen Truppen zugewiesen wurde. B. Die Organiſation der regulairen Truppen. a) Die Feldtruppen mit den Trains und mobilen Colonnen. Die Infanterie bestand aus 12 Garde- , 16 Grenadier- und 160 Armee Infanterie-Regimentern ; jedes Regiment hatte 3 Bataillone, nur die der Kau kasischen Grenadier-, 19., 20. und 21. Infanterie-Division, welche auch heute noch im Kaukasischen Militair-Bezirk dislocirt sind , hatten 4 Bataillone. Diese Bataillone zerfielen in 4 Linien- und 1 Schüßen-Compagnie mit je 2 in zwei Gliedern rangirten Zügen. Die Regimenter standen entweder auf Cadreetat : 16 Rotten per Zug und pro Compagnie 8 Mann ohne Waffen, - oder auf ge wöhnlichem Friedensetat: 24 Rotten per Zug und pro Compagnie 12 Mann ohne Waffen, oder auf verstärktem Friedensetat : 32 Rotten per Zug und pro Compagnie 16 Mann ohne Waffen, — oder endlich auf Kriegsetat : 42 Rotten pro Zug und 20 Mann ohne Waffen pro Compagnie. Zu dem Stabe eines jeden Regiments gehörte die Nichtcombattanten-Compagnie, die je nach den verschiedenen Etats 114, resp. 123, resp. 153, resp . 154 Mann zählte. Ferner bestand bei den Garde- und den Kaukasischen Regimentern ein Invaliden-Commando resp . eine Invaliden- Compagnie. Nur die Garde-Re gimenter und die ersten Regimenter der Grenadier- uud Armee-Divisionen hatten ein Musik-Corps, wie dies auch jetzt noch der Fall ist. An Schützen-Bataillonen waren 30 vorhanden, nämlich 3 Garde-, 1 Leib

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Garde-Finniſches , 4 Grenadier- und 22 Armee- Schüßen-Bataillone, welche, zu 4 Compagnien formirt, auf dem gewöhnlichen Friedens-, verstärkten Friedens eder Kriegs-Etat der Stärke der Infanterie-Compagnien entsprachen, — ein auch jezt noch zutreffendes Princip. Für das Leib - Garde-Finniſche Schüßen Bataillon bestand jedoch nur der verstärkte Friedens- oder der Kriegsetat. Jedes Schützen-Bataillon hatte ein Nichtcombattanten-Commando, die Garde und die Kaukasischen Schüßen-Bataillone außerdem noch ein Invaliden-Com mando resp. / Invaliden-Compagnie. Je 4 Infanterie-Regimenter waren ohne Brigadeeintheilung zu einer Di vision vereinigt. Es bestanden also 3 Garde-, 4 Grenadier- und 40 Armee Infanterie-Diviſionen. Den 3 Garde-, 4 Grenadier- und den ersten 21 Armee Infanterie-Divisionen waren ferner noch je 1 Schützen-Bataillon zugetheilt; mur das Leib-Garde- Finnische und das Turkestanische Schützen-Bataillon waren selbstständig. Die Cavallerie zählte 4 Cüraffter-, 20 Dragoner-, 16 Ulanen- und 16 Husaren-Regimenter, welche damals wie jezt in 10 (2 Garde-, 1 Kauka sische und 7 Armee- ) Cavallerie- Divisionen eingetheilt waren. Während die 1. Garde-Cavallerie-Diviſion aus den 4 Cüraſſter- und dem Leib - Garde_com binirten Kajaken-Regiment zusammengesetzt ist, bestehen die 2. Garde- und die 7 Armee-Cavallerie- Diviſionen aus je 6 (2 Dragoner-, 2 Ulanen- und 2 Hu jaren-), die Kaukasische aus 4 Dragoner-Regimentern. Alle Cavallerie-Regi= menter haben 4 active Escadrons à 4 Züge und stehen entweder auf dem Friedens- oder Kriegsetat ; im ersteren Falle haben sie 14, im letzteren Falle 16 berittene Rotten pro Zug. Jedes Regiment hat ferner eine Nichtcombat tanten-Compagnie, die Garde-Regimenter außerdem noch ein Invaliden-Com mando. Die Artillerie theilt sich jetzt, wie auch 1869, in Fuß- und reitende Artillerie. Erstere bestand aus 47 Brigaden, den 47 Infanterie - Divisionen entſprechend, der Turkestaniſchen Artillerie-Brigade, der Ostsibiriſchen Artillerie Brigade und der Westsibirischen Fuß- Batterie. Jede Brigade hatte 3, die Kaukasische Grenadier , 19., 20. und 21. 4 Batterien. Die 47 im Euro päischen Rußland dislocirten Brigaden hatten 1 neunpfündige und 2 resp. 3 vierpfündige Batterien, die Turkestanische außerdem noch 2 unbespannte Gebirgs geschüße, die Ostsibiriſche Brigade 1 neun- , 1 vierpfündige und 1 Gebirgs Batterie, die Westsibirische Fuß -Batterie hatte 4 Pfdr. Jede Batterie hatte wie auch heute 8, die Westsibirische nur 4 Geſchüße und pro neunpfündiges Ge schütz je 3, pro vierpfündiges Geschütz je 2 Munitions -Karren . Auch für die Fuß- Artillerie bestanden 4 Etats : auf Kriegsetat hatte die Batterie Bedienungsmannschaften für 5 Züge, und alle Geschüße, Munitions karren und den Artillerie-Train bespannt, - auf dem verstärkten Friedens etat: Bedienungsmannschaften für 4 Züge, Pferde für 8 Geschüße und 8 Mu nitionskarren , ― auf dem gewöhnlichen Friedensetat : Bedienungsmann schaften für 4 3üge , Pferde für 4 Geschütze und 2 Munitionskarren (die Garde und die Kaukasischen Batterien Pferde für 4 Munitionskarren), — und endlich auf dem Cadreetat: Bedienungsmannſchaften für 4 Züge, aber nach einer niedrigeren Norm, Pferde für 2 Geschüße und 2 Munitionskarren. Die 9pfündigen Geschütze hatten eine Bespannung von 6, die 4 pfündigen eine solche von 4, die Munitionskarren eine solche von 3 Pferden. Die Reitende Artillerie, mit 4 - Pförn. ausgerüstet, bestand aus 4 Garde Reitenden Batterien und 7 Reitenden Artillerie-Brigaden à 2 Batterien. Wie

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die Cavallerie hatten sie nur einen Kriegs- oder Friedensetat. Standen ſie auf ersterem, so waren die Bedienungsmannschaften für 5 Züge , die Pferde für 8 Geschütze und 16 Munitions -Karren und den Artillerie- Train, — standen sie auf letzterem, so waren die Bedienungsmannſchaften für 4 Züge, die Pferde für 8 Geschütze und bei der Garde für 8 , bei der Armee für 2 Munitions-Karren vorhanden. Die Geschütze waren mit 6 Pferden bespannt. Alles dies über die Reitende Artillerie Gesagte trifft heute noch vollständig zu . Die Ingenieur - Truppen bildeten 5 Sappeur - Brigaden von ungleicher Stärke, und zwar die combinirte , 1., 2., 3. und die Kaukasische. Die com binirte Brigade umfaßte das Garde-, Grenadier- und 7. Sappeur - Bataillon ; die 1. , 2. und 3. Brigade war je 2 Sappeur- und je 2 Pontonnier- Halb Bataillone stark , die Kaukasische Brigade bestand aus 2 Sappeur - Bataillonen. Ferner gehörten zu der combinirten , der 2. , 3. und Kaukasischen Brigade noch je 1 Reserve- Sappeur - Bataillon , zu der 1. , 2. und 3. Brigade 2 Feld- und 2 Belagerungs- Ingenieur - Parks ( siehe unten) . Außerdem bestand noch die Turkestanische Sappeur-Compagnie. Die Sappeur-Bataillone hatten, wie heute, 4 Compagnien und auf Kriegsetat 52 Rotten pro Zug und 17 Mann ohne Waffen pro Compagnie, auf Friedensetat 36 Rotten pro Zug und 6 Mann ohne Waffen pro Compagnie. Die Pontonnier - Halb - Bataillone hatten damals und jetzt je 2 Compagnien, zu je 360 Gemeinen (240 Pontonniere, 10 Mann ohne Waffen) und 120 Fahrern auf Kriegsetat , und zu je 300 Gemeinen auf Friedensetat. Bei dem Leib - Garde - Sappeur - Bataillon befindet ſich ein In validen-Commando , bei allen Bataillonen und Halb-Bataillonen eine Nichtcom battanten - Abtheilung. Jede Sappeur - Brigade , die Kaukaſiſche ausgenommen, hat ein Musikcorps . Der Train der Feldtruppen bildet , wie dies auch 1869 der Fall war, keine selbstständige Truppe, wie z . B. in der Deutschen Armee. Vielmehr find sowohl die Truppen-Fahrzeuge, wie auch der Train zu den "! Woiffkowoi-Obes" eines jeden Truppentheils resp. Stabes vereinigt. Hierzu gehören die Fahrzeuge für die Kaffe und Acten, die Proviantwagen für Brod oder Zwieback, die Zahl meisterwagen für Bekleidungs- und Ausrüstungs - Gegenstände, die Lazarethwagen für Lazarethsachen, die Werkzeug -Wagen für das Handwerk zeug, die Patronen Karren für die Patronen und für die Compagnie - Kessel , die Lineiken für die Kranken , die Apotheker - Plattformen und Karren für Medicamente, die Wagen für Arznei für die Pferde , die Feldschmieden , die Fahrzeuge für die Schreiber, die Fahrzeuge für die Feldkirchen; letztere haben nur die ersten Regimenter der Divisionen. Nöthigenfalls erhalten die Truppen, z . B. im Kaukasus , auch noch Zeltwagen. In Gebirsgegenden sind Packpferde , in den Steppen Aſiens Ka meele zur Fortschaffung der Bagage etatsmäßig. Ferner ist gestattet , daß die Truppen auch noch einige Artelj -Fahrzeuge ( die Compagnie, Escadron, Batterie 2 einspännige Wagen ) mit sich führen können. Die Offiziere schaffen ihre Bagage im Frieden nach eigenem Ermessen fort ; im Kriege soll dafür eine be sondere Festsetzung getroffen werden. Außer diesem Truppen - Train besteht ferner noch ein technischer Train für die Artillerie- und Ingenieur-Abtheilungen . Die 2 Feld-Ingenieur - Parks sind auch jezt noch zum Transport einer Reserve an Handwerkszeug für die Sappeur - Bataillone bestimmt. Der Train eines Parks besteht aus dreispännigen Fahrzeugen und aus Feldschmieden , für welche die Bespannungen in der Stärke von 176 Pferden aber erst bei ein tretender Mobilmachung angekauft werden. Im Kriege gehört zu jedem aus

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= 2 Abtheilungen bestehenden Feld - Ingenieur = Park 1/2 Park Compagnie zu 117 Gemeinen, für welche im Frieden nur ein Stamm von 36 Gemeinen vor handen ist. Die 2 Belagerungs - Ingenieur - Parks sollen auch jetzt die zur Be lagerung einer Festung bestimmten Truppen mit dem nöthigen Handwerkszeug versehen. Jeder Park theilt sich in 4 Abtheilungen, deren jede für die Belage rung einer Festung ausreicht. Im Frieden sind sämmtliche zu den Parks ge hörigen Stücke , sowie der Train von je 24 Fahrzeugen und 4 Feldschmieden vorhanden, während die zur Beſpannung nothwendigen 370 Pferde erst im Be darfsfalle angekauft werden. Zu jedem Parke gehört eine Park-Compagnie, die im Kriege 200 , im Frieden nur 60 Gemeine zählt. Die Feld- Artillerie - Parks haben ihre damalige Bestimmung, zur Er gänzung der Infanterie- , Cavallerie- und Artillerie- Munition im Kriege zu dienen, behalten. Sie bildeten 1869 im Frieden 8 Park-Brigaden zu je 3 Ar tillerie- und 1 reitenden Artillerie-Park; nur bei der 6. und 8. Brigade fehlte Der Kaukasische Militair - Bezirk hat speciell 4 Artillerie- und der lettere. reitende Artillerie-Parks , der Finnische Militair-Bezirk 1 fliegenden Park, 1 der Ostsibirische Militair-Bezirk 1 beweglichen Halb-Park. Auf dem Kriegsetat find sämmtliche Mannschaften und Pferde vorhanden , auf dem verstärkten oder gewöhnlichen Friedensetat nur ein größerer oder geringerer Stamm an Mann schaften. Sowie die Parks auf den Kriegsstand gesetzt wurden , formirte jeder Ar tillerie- Park einen beweglichen Park mit vierrädrigen Fahrzeugen , und einen fliegenden mit Munitions -Karren , vollständig von einander unabhängig. Erstere sind auch jetzt zur Formirung einer mobilen Hauptreſerve an Munition bestimmt, während die fliegenden Parks die Truppentheile direct mit Munition versehen sollen. Auch die Kaukasischen Parks verdoppelten sich im Kriege ; hier wurden aber nur fliegende Parks formirt. Die 2 Belagerungs - Artillerie- Parks sollen vor wie nach im ge gebenen Falle die Geſchüße und Munition zur Belagerung einer Festung an Ort und Stelle schaffen. Jeder Park theilte sich in 4 Abtheilungen: die 1. und 2. befand sich in Riga , die 3. und 4. in Nowogeorgiewsk , die 5. und 6. in Terespol , die 7. und 8. in Kiew. Außerdem bestand noch eine besondere Belagerungs - Abtheilung in Tiflis und je eine Reſerve - Belagerungs - Abtheilung in Kiew und Petersburg. Im Frieden war nur ein geringer Stamm von Mannschaften präſent. Die 3 mobilen Artillerie - Arsenale , ganz oder theilweiſe in der Nähe der Ope rations -Armee placirt, waren für Reparaturen der Artillerie im Kriege beſtimmt. Die mobile Artillerie - Werkstätte hatte den Zweck, in unmittelbarer Nähe der Truppen Geschüße und Waffen zu repariren , sofern hierzu eine complicirte und längere Arbeit erforderlich war. Provisorische Büchsenmacher -Werkstätten wurden an solchen Punkten einge richtet, wo zufällig sich eine größere Quantität von Waffen angehäuft hatte. Die vordere Artillerie Reserve war zur sofortigen Completirung der Artillerie mit Leuten und Pferden , sowie zur Ergänzung und Auswechselung der Geschüße , de Fahrzeuge, Zubehörstücke und Pferdeausrüstung in den Batterien bestimmt. Die provisorischen Militair - Hospitäler , für welche die folgenden Organisations-Principien jezt noch zu Recht bestehen, werden im Kriege formirt, folgen einige Märsche hinter der Armee und werden auf Befehl des Ober- Com mandirenden in mehreren Linien hintereinander etablirt, je nachdem sich die Armee von der Operations-Basis entfernt. Die provisorischen Militair -Hospi täler der ersten Linie sind die nächsten an der Armee. Von den 84 Hospitälern

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kann ein jedes 30 Offiziere und 600 Soldaten aufnehmen. Sie sind zur Fort schaffung der Materialien und behufs Evacuirung der Kranken mit einem Train versehen. Die Materialien und der Train befinden sich im Frieden in den In tendantur-Depots ; Leute und Pferde sind nicht präsent. Die mobilen Divisions - Lazarethe bestehen auch heute in der Zahl von 24 nur im Kriege. Sie folgen den Truppen unmittelbar, dienen zur Auf nahme der Verwundeten auf dem Schlachtfelde und der Erkrankten auf dem Marsche und transportiren sie zu den provisorischen oder ständigen Hospitälern. Je zwei können zu einem mobilen Hospital zuſammengesetzt werden, zu deſſen Etat Aerzte, Beamte, ein Train, Zelte, Hospital- wie Verbandsachen 2c. gehören. Jedes mobile Hospital hat Stellen für 12 Offiziere und 320 Mann. Krankenträger-Compagnie in der Stärke von 400 Mann wird demselben attachirt. Im Frieden sind weder Mannschaften noch Pferde präsent , das Material wird in den Intendantur-Depots afſervirt. Die Feldlazarethe befinden sich vor wie nach bei den Regimentern, selbstständigen Bataillonen , Batterien und Parks . Sie nehmen die auf dem Marsche Erkrankten auf, leisten ihnen die erste Hülfe und transportiren sie zu den nächsten Hospitälern. Die mobilen Feld - Apotheken werden jetzt wie 1869 auf der Tre rations -Basis errichtet , um die Arzneimittel bei den Truppen und den Hospi tälern zu ergänzen. Bei jeder mobilen Apotheke befindet sich ein Train aus rerſchiedenartigen Fahrzeugen mit der entsprechenden Anzahl von Pferden. Im Frieden ist nur das Material vorhanden. Der Intendantur - Transport soll , nach den jetzt noch maßgebenden Grundsätzen, der Armee mit einem Vorrath von Proviant folgen, denselben all mählig aus den hinter der Armee befindlichen Magazinen den Truppen zuführen, auch in andere Magazine schaffen , und selbst Kranke und Verwundete trans portiren. Der Transport wird gleichzeitig mit der Bildung von Armeen formirt und besteht aus mit Pferden oder Ochsen bespannten Wagen. Je 350 Wagen bilden eine Abtheilung , an deren Spite besondere Commandeure stehen. Den felben sind je 1 Ober-Offizier und mehrere berittene Gensdarmen oder Kajaken Unteroffiziere zur Unterstützung beigegeben. Die einzelnen Abtheilungen können auf die Corps und Detachements vertheilt werden. b. Die Localtruppen mit den Hülfsabtheilungen. Zu den Localtruppen gehörten nach dem Organisationsentwurse des Jahres 1862 : 1 ) Truppen, welche noch Gefechtszwecken dienten, ohne doch Feldtruppen zu sein, 2) die Reservetruppen , bei welchen die Rekruten die erste Ausbil dung erhielten , ― 3) die für den Dienst im Innern des Reichs beſtimmten ―――― Truppen, 4) die Lehrtruppen und 5) Hülfsabtheilungen. 1. Die kampffähigen Truppen. Die Festungs - Infanterietruppen bildeten die Garnisonen der Festungen und waren so ausgebildet, daß sie in einer belagerten Festung auch die Be dienung der Festungsgeschütze und die Ausführung von Armirungsarbeiten mit übernehmen konnten. Es gab 4 Festungs- Regimenter zu 3 , und 4 zu 2 Ba taillonen, außerdem noch 5 selbstständige Bataillone und 3 Festungs-Commandos. → Jedes Festungs-Bataillon hatte 4 Compagnien, auf Kriegsetat 900 und auf Friedensetat 256 Gemeine, welche Etatssätze jedoch nicht überall zutreffend waren. Die Linien - Bataillone, in dem Kaukasischen, Orenburgischen, Ost und West - Sibiriſchen und Turkestanischen Militair - Bezirk als Garnisonen von

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Städten und befestigten Punkten dislocirt , werden neben ihren Functionen als Localtruppe auch zu Operationen im Felde, besonders in Mittel-Asien, verwandt. Im Jahre 1869 gab es 48 Linien-Bataillone, und zwar 24 im Kaukasischen, 2 im Orenburgischen, 12 im Turkestanischen, 4 im West- Sibirischen und 6 im Ost-Sibirischen Militairbezirke. Sie sind wie die Infanterietruppen organisirt, haben 4 Linien- und 1 Schützen- Compagnie und ſtehen entweder auf dem Kriegs-, verstärkten oder gewöhnlichen Friedensetat, mit einer den Feld-Infanterietruppen gleichen Stärke. Nur in der Anzahl der Bataillone sind jezt Aenderungen eingetreten. Die Festungs - Artillerie , zur Bedienung der Festungsgeschütze beſtimmt, bestand aus Compagnien und Viertel - Compagnien. Hierher gehörten auch die Festungs - Artillerie - Verwaltungen , je nach der Dotirung mit Offizieren und Beamten sich in 3 Klassen scheidend , sowie die Verwaltungen der Artillerie Depots. 2. Die Reservetruppen . Die Reservetruppen waren speciell zur Ausbildung der neuausgehobenen Rekruten bestimmt, welche dann als junge Soldaten" zu den activen Truppen übertraten. Es gab 72 Infanterie und 10 Schüßen - Reserve Bataillone. Jedes Ba taillon bestand aus einem Stamm : dem Lehr- und Wirthschaftsperſonal , und einem Lehrcommando : den auszubildenden Rekruten. Die Infanterie Bataillone hatten 96 , die Schüßen Bataillone 106 Inſtructeure , während das Lehrcommando etwa 1000 Rekruten umfassen sollte. Die 56 Reserve - Cavallerie - Escadrons (eine pro actives Cavallerie-Regiment) welche als Truppe jezt noch vorhanden sind, haben die Namen ihrer Regimenter, von denen die Garde ausgenommen fie aber getrennt sind. Die Armee Reserve - Escadrons einer jeden Armee-Cavallerie-Diviſion ſind zu einer Reserve- Cavallerie-Brigade vereinigt, was bei den Kaukasischen Reserve Escadrons indessen nicht der Fall ist. Während die Garde - Reserve - Escadrons pro Zug 60 berittene Gemeine hatten, war der Stamm der Armee : Reserve - Escadrons 100 Instructeure und 180 Reitpferde stark. Die Stärke des Lehrcommandos wurde bei jeder Aushebung speciell festgesezt. Die Reserve - Batterien bildeten 4 Reserve-Fuß und 2 Reserve-Reitende-Artillerie Brigaden, erstere zu je 3, lettere zu je 2 Batterien. Die Fußbatterien hatten auf Kriegs etat : Bedienungsmannschaften für volle 4 Züge, Pferde für 4 Geschüße und 2 Munitions karren; auf Friedensetat: Bedienungsmannschaften für 4 Züge , nach dem Minimum be: rechnet, Pferde für 2 Geſchüße und 2 Munitionskarren. - Die reitenden Batterien, welche jezt noch nicht aufgelöſt ſind , haben auf Kriegsetat : Bedienungsmannſchaften für 12, Reitpferde für 8, Bespannung für 4 Geschüße und 4 Munitionskarren ; auf Friedensetat : Bedienungsmannschaften für 4 Züge und Reitpferde für 4 Geſchüße mit 4 resp. 2 bespannten Geschüßen resp. Munitionskarren. Die Reserve- Sappeur - Bataillone, 4 an der Zahl , hatten nur im Kriege die Bestimmung, Rekruten auszubilden. Im Frieden sind sie auch jezt den Sappeur Brigaden eingefügt und haben mit den activen Sappeur-Bataillonen gleiche Organiſation, im Frieden aber nur eine Stärke von 200 Mann. 3. Die Truppen zum Dienst im Innern des Reiches. Die Gouvernements う Bataillone , sowie die Kreis- und Local - Commandos bestanden, um den Localdienst zu versehen, während die Etappen- und Convoi - Com mandos die Begleitmannschaften für den Transport von Arrestanten und Mannschaften gaben. Die Zahl der Gouvernements - Bataillone betrug 70, welche zu 4 resp . 2 Compagnien mit sehr verschiedenen Etats formirt waren. Das Altaische Hüttenwerks - Bataillon , 920 Gemeine stark , stand dem Chef des Altaischen Hüttenwerkes zur unmittelbaren Verfügung. Das Corps der Gendarmen , unter einem besonderen Chef, umfaßt eine Haupt-, dann Bezirks , Gouvernements und Kreis-Verwaltungen; ferner die Policei-Verwaltungen der Eisenbahnen, 1/2 Garde Gendarmen- Escadron, 3 Gendarmen Diviſionen (in Petersburg, Moskau, Warschau), reitende und Fuß-Commandos bei den Verwaltungen. 4. Die Lehrtruppen. Das Lehr - Infanterie - Bataillon iſt zu 5 Compagnien , einer Muſik- und einer

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Nichtcombattanten - Compagnie formirt und beſteht aus einem Stamme und einem Lehr commando. Die Cavallerie - Lehr - Escadron hat einen Stamm mit einem besonderen Remonte commando und einer Nichtcombattanten Compagnie, und ein Lehrcommando, aus Offizieren, Unteroffizieren, Trompetern und Gemeinen bestehend. Die Lehr- Fuß und Reitende - Batterie hat je 4 bespannte Geſchüße mit einem Munitionskarren als Stamm. Das Lehrcommando besteht aus von den Truppen abcom mandirten Offizieren und Mannschaften. Die Lehr - Compagnie bei der techniſchen Galvaniſchen Anſtalt hat eine Stärke von 220 Gemeinen. Die Lehr-Kaukasische - Compagnie soll speciell für den Kaukaſiſchen Militair Bezirk die Zwecke des Lehr-Bataillons erfüllen . Die Lehr- Kasaken - Artillerie - Division steht bei den Lehr-Batterien und ist speciell für die Ausbildung von Lehrern im Artilleriedienſte für die irregulairen Truppen geschaffen. 5. Hülfsabtheilungen. Die Compagnie der Schloß - Grenadiere iſt zum inneren Dienst im Winterpalais bestimmt, steht unter dem Befehle des Haus-Ministeriums und ergänzt sich aus Veteranen. Die Feldwebel haben Lieutenants-, die Unteroffiziere Fähnrichsrang. Das Leib - Garde - Garnison - Bataillon ergänzte sich aus den Untauglichen der 1. Klaſſe der Gardetruppen, und war in 4 Compagnien getheilt. Die Garde - Invaliden, 51 Offiziere, 88 Unteroffiziere und 1049 Gemeine sind bei den Stäben der Regimenter und sonstigen Abtheilungen der Garde als Commandos vertheilt. Local- Artillerie - Commandos bestehen bei den Local- und Waffen - Arsenalen, bei den Depots des Artillerie- Ressorts , bei den ſelbſtſtändigen Depots und Parks, bei den Waffen- und Pulverfabriken. Zu den Local - Ingenieur - Verwaltungen und Commandos gehören die Festungs-Ingenieur-Verwaltungen 1. und 2. Klaſſe , je eine bei den Festungen des Euro päischen Rußlands (Nikolajew ausgenommen) ; die Festungsbauverwaltungen von Kronstadt und Kertsch; die Ingenieur Distanzien 1., 2. und 3. Klaſſe , welchen die Directionen der Militairgebäude außerhalb der Festungen unterstellt sind ; die Verwaltungen der Gebäude, welche nicht zu den Festungen oder Distanzien gehören ; die Handwerks-Commandos zu Kronstadt, Warschau, Nowogeorgiewsk, Brest - Litewsk, Jvangorod , Kertſch uud in Turkeſtan in einer Stärke von 67-207 Mann; die Militairarbeiter-Compagnie Nr. 1-6 , welche in einer Stärke von je 200 Mann im Kaukasus bestanden, und endlich das Local-Ingenieur Arſenal mit einer Arſenal - Compagnie zu 240 Mann in Dünaburg zur Anfertigung von Pontons, des Ingenieurtrains, von Handwerkszeug 2c. Die 2 Arbeiter - Brigaden in einer ungefähren Stärke von 2000 Mann, mit Aus nahme der Offiziere und Unteroffiziere, zu den Strafsoldaten gehörig, beſtanden im Lande der Don Kasaken und im Kaukasus , wo sie zu Eiſenbahn- und Wegebauten verwandt wurden. Die Hospital Commandos sind bei den Hospitälern resp. Halb-Hospitälern vor handen und bestehen aus Untauglichen 1. Klasse. Das Local Commando der Kaukaſiſchen Mineralbäder in einer Stärke von 112 Mann. Die Militair- Besserungs - Compagnien (16) bestehen mit Ausnahme des Auf sichtspersonals aus Mannschaften, welche gerichtlich zur Einstellung in dieselbe verurtheilt sind ; sie haben einen Normaletat zu 700, 400 oder 200 Arrestanten. Civil- Arrestanten - Compagnien beſtehen noch zu Nowogeorgiewsk und Jvangorod in einer Stärke von 100 reſp. 500 Mann. C. Local-Juſtitutionen der Artillerie, der Ingenieure, des Medicinal-Reſſorts und der Intendantur. Die Local - Artillerie - Arsenale je eins zu Petersburg, Briansſt und Kiew ſind vor wie nach zur Anfertigung von Geschüß-Zubehörstücken, von Train- und solchen Gegen ständen bestimmt, welche zur Ausrüstung der Artillerie und Armirung der Festungen noth wendig sind. Auch werden hier Bronce - Geschüße gegossen. Die Militair Bezirks - Artillerie Arsenale sollten die Reparaturen derFeſtungs geschüße, sowie sonstige Artillerie-Materialien ausführen. Die Laboratorien hatten den Zweck, Geschosse und Patronen anzufertigen.

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Die Local- Artillerie - Parks waren zur Ergänzung der Vorräthe der beweglichen und fliegenden Parks bestimmt. Die Gewehrfabriken zu Tula, Sestroriäzk und die Jjewsſkiſche am oberen Ji (Gouvernement Wiatka, Ssarapulskischer Kreis) . Die Pulverfabriken zu Ochta, Kaſan und die Michael- Schosſtensſkiſche (in der Nähe von Gluchowo, Gouvernement Moskau). Die Zündhütchenfabrik zu Ochta und die Schosstensskische. Die Nicolaus Raketenfabrik zu Petersburg. Die Patronenfabrik zu Petersburg. Die Geschüß- und Munitions- Niederlagen waren theils selbstständig , theils befanden sie sich bei der Festungs- Artillerie; einzelne enthielten Geschüße und Geſchüß munition , andere Geschüße und Handfeuerwaffen oder nur Handfeuerwaffen , noch andere mur Gewehrmunition. Im Ganzen bestanden 30 derartige Depots. Die ständigen Militair Hospitäler , in deren Organisation sich nichts geändert hat, sind zur Aufnahme von erkrankten Militairpersonen und deren Familien bestimmt und werden in vier Klaſſen eingetheilt. Zur 1. Klasse gehören die Hospitäler mit 207 (7 für Offiziere), zur 2. die mit 415 ( 15 für Offiziere), zur 3. die mit 695 (45 für Offiziere) und endlich zur 4. die mit 1160 und mehr Stellen (60 für Offiziere). In einzelnen Hospitälern find noch Abtheilungen für die Frauen der Soldaten eingerichtet. Die ständigen Sani täts - Anstalten, welche weniger als 100 Krankenstellen haben , werden „Halb - Hoſpitäler“ genannt. Magazine für Medicamente und Apotheker- Materialien befinden sich in Petersburg, Moskau, Lubni, Cherson, Warschau, Stawropol, Tifliss, Orenburg, Omsk und Jrfußt, was auch jetzt noch zutrifft. Die Fabrit chirurgischer Instrumente zu Petersburg versorgt , ohne daß eine Aenderung stattgefunden hat, die Truppen und Sanitäts - Anstalten , auch wohl die nicht militairischen , mit Instrumenten , Apparaten , Bandagen und zinnernen Apothekergeräthen. In den Intendantur- Depots werden Bekleidungsvorräthe, welche zur Veraus gabung beſtimmt sind oder zur Kategorie der unberührbaren oder der außerordentlichen gehören, ―afservirt. Durch die ersteren werden die Bekleidungs- Competenzen der Truppen gedeckt; die unberührbaren Vorräthe enthalten die Bekleidungsgegenstände für die Kriegsaugmentation des größeren Theiles der Truppen , während die außerordentlichen Vorräthe für etwa neu zu formirende Truppen Abtheilungen bestimmt sind. Lettere sollen für - 100,000 Mann und ſpeciell noch für 16,000 Mann der Kaukaſiſchen Armee ausreichen. Wenn auch das eben Gesagte jetzt noch zutreffen mag , so werden doch über kurz oder lang Reformen eintreten. Intendantur- Depots find in Petersburg, Dünaburg, Warschau, Moskau und Tambow, Woronej und Krementschug, Kiew, Kaſan und Sſimbirssk, Orenburg, Stawropol, Petrowsſt, Tifliss , Omsk, Jrkusk, Taschkent vorhanden. Die Montirungs - Werkstätten sollen eigentlich die unberührbaren Vorräthe“ stets complet erhalten. Indirect aber sorgen sie auch für die Bekleidung der Armee, indem vollständige Bekleidungen aus den Vorräthen in Rücksicht auf ihre Auffriſchung an die Truppen verausgabt werden. Die Werkstätten befinden sich zu Petersburg , Moskau , Dünaburg, Brest Litewsk, Kiew und Tifliss. Die Proviantmagazine enthalten Verpflegungsvorräthe dreierlei Kategorie. Die erste ist zum Umsat bestimmt und wird an die Truppen verausgabt. Die zweite umfaßt ein für jedes Jahr speciell festgesettes Quantum für unvorhergesehene Fälle. Die dritte kategorie, die sogenannten „unberührbaren Vorräthe“ sollen die Verpflegung der Truppen im Falle eines Krieges und speciell die Verproviantirung der Festungen sicher stellen. Je nach den in den Proviantmagazinen enthaltenen Quantitäten von Vorräthen theilt man fie in vier Klassen. Die der 1. klasse enthalten mindestens 50,000 Tschetwert (104,800 Hektoliter), die der 2. mindestens 10,000 (20960 hektoliter), die der 3. über 5000 (10,480 Hektoliter) und die der 4. mindestens 5000 (10,480 Hektoliter). Train -Werkstätten befinden sich in Petersburg, Moskau , Wilna , Warschau, Kiew und Kaſan und sind zur Anfertigung der Trains neuer Conſtruction bestimmt. D. Die Militair - Lehr · Anstalten. Außer den Schulen , welche sich unter dem Namen von Lehr - Commandos bei den Truppen befinden und den Zweck haben, Kenntniſſe in der Armee zu verbreiten , speciell aber Mannschaften zu Unteroffizieren vorzubereiten , verfügt das Militair - Ressort über eine Reihe von Lehranstalten , welche mittelbar oder unmittelbar junge Leute zu Offizieren resp . Unteroffizieren der techniſchen Truppen

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erziehen sollen. So find „ Militair-Vorbereitungs - Anstalten, ” „Mittlere Militair Lehr-Anstalten, " "Höhere Militair - Lehr- Anstalten" und „ Special- Unteroffizier Schulen" zu unterscheiden. 1 ) Zu den Militair - Vorbereitungs - Anstalten , welche die Vorbereitung für die eigentlichen Militair-Lehr-Anstalten übernehmen, gehören : Die "! Militair - Gymnasien ," deren es damals 12 (2 in Petersburg, 2 in Moskau, 1 in Plozk, Nijni-Nowgorod, Orel, Poltawa, Woronej , Kiew, Orenburg und Omsk) gab. Sie bereiten die Kinder von Adligen , welche im Militair dienste stehen, in einem sechsjährigen Cursus zum Eintritt in die Kriegsschulen vor. Die Lehrgegenstände sind etwa die der Realschulen. - Zu dem Militair Gymnasien kann auch noch die Vorbereitungs - Pension für die Nikolaus Cavallerie- Schule gerechnet werden. Die Militair-Progymnasien zu Petersburg, Moskau, Pikow, Jaroslaw, Jelissawetgrad, Wolsk, Perm, Orenburg, Omsk und Irkutk bereiten die Schne von Offizieren und Militairbeamten für den Eintritt in die Junkerschulen ver eder entlassen sie direct zum Dienst als Unteroffiziere. Der Curſus dauert vier Jahre und beschränkt sich nur auf Elementargegenstände, Geschichte, Geographie und die Anfänge der Mathematik. - Die Militair - Elementarschule zu Tifliss hat einen gleichen Cursus und Zweck wie die Militair- Progymnasien. Die Schulen der Soldatenkinder bei den Regimentern der Garde und die Freischulen der Soldatenkinder bei der Pulverfabrik zu Ochta und in Reval sind reine Elementarschulen und bilden ihre Schüler zu Musikern, Schrei bern u. s. w. aus . Das Lehrer- Seminar des Militair - Refforts zu Moskau hat den Zweck, in einem dreijährigen Curſus Lehrer und Erzieher für die Militair-Pre gymnasien heranzubilden. 2) Die mittleren Militair- Lehranstalten umfassen die Kriegsschulen und die Junkerschulen. In die ersteren, die Kriegsschulen , treten solche junge Leute ein, welche eine allgemeine Bildung in den mittleren Lehranstalten genoſſen haben. Die Vortragsgegenstände sind deshalb rein militairischer Natur und werden die Zöglinge Junker ――― nach absolvirtem Curjus auch als Unter Lieutenants entlaſſen . ―――――― Die Junkerschulen dagegen completiren sich durch Leute, welche sich erst eine sehr mangelhafte allgemeine Bildung erworben haben. Die Vortragsgegenstände scheiden sich deshalb hier in allgemein wissenschaftliche und rein militairische. Die Zöglinge, auch hier Junker genannt , treten nach abjel rirtem Gurjus als Fähnriche in die Infanterie und als Cornets in die Cavallerie. Zu den Kriegsschulen gehören: Die Paul- und Konstantin - Kriegsschule in Petersburg und die Alexander -Kriegsschule in Moskau , welche Offiziere hauptsächlich für die Infanterie und nur zum Theil für die Specialwaffen ausbilden sollen. Jede der drei Schulen formirt ein Bataillon , das in vier Compagnien getheilt ist. Der Lehrcursus dauert , 2 Jahre. Die etatsmäßige Anzahl der Junker beträgt für jede Schule 300, so daß jährlich etwa 400 Offiziere aus denselben hervorgehen. Die Nikolaus - Cavallerieschule in Petersburg bildet speciell Gavallerie Offiziere aus. Für die Erercitien formirt sie eine Escadron. Der Curſus dauert 2 Jahre; die etatsmäßige Anzahl der Junker beträgt 200 , von denen jährlich 100 zur Entlassung kommen. Die Michael- Artillerie- und die Nikolaus - Ingenieurschule sind speciell zur Ausbildung von Artillerie- resp . Ingenieur-Offizieren in einem drei jährigen Cursus bestimmt. Erstere ist zu einer Batterie, letztere zu einer Com

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pagnie formirt. Der Etat für die Michael-Artillerieſchule beträgt 160, für die Nikolaus- Ingenieurschule 126 Junker, so daß gegen 50 resp. 40 jährlich zur Entlassung kommen. Die Militair - Topographen - Schule in Petersburg hat den Zweck, Dirigenten für die topographischen Aufnahmen und Geodäten auszubilden. Topographen des Unteroffizierstandes treten nach einem abzulegenden Examen, junge Leute, welche den Curſus der mittleren Lehranstalten abſolvirt haben, ohne Gramen in dieselbe ein. Von den 40 Topographen werden jährlich gegen 20 nach abſolvirtem 2jährigen Curſus entlaſſen. Das Pagen- Corps Sr. Kaiserlichen Majestät bezweckt, den Söhnen verdienter Personen eine Erziehung und militairische Ausbildung zu geben, welche für den Dienst in der Garde nothwendig ist. Um die 5 allgemeinen und 2 Special-Klassen zu absolviren, ist ein 7jähriger Cursus eingeführt. Während der Unterricht in den allgemeinen Klassen dem Unterrichte in den Militair Gymnasien entspricht, nehmen die 2 Special-Klaſſen die Stelle der Kriegsschulen ein. Von den etatsmäßigen 120 Zöglingen kommen jährlich etwa 10 nach absolvirtem Cursus zur Entlassung. Das Finnische Cadetten - Corps ſoll den Adligen des Großfürſtenthums Finnland die Mittel an die Hand geben, ihre Söhne erziehen und militairiſch ausbilden zu lassen. Um die 5 allgemeinen und die 3 Special-Klassen durchzu machen , dauert der Cursus 8 Jahre , und vereinigt in sich die Eurſen der Militair-Gymnasien und der Kriegsschulen. Nach absolvirtem Curſus treten jährlich etwa 10 von den etatsmäßigen 120 3öglingen aus. Zu der Kategorie der Junkerschulen gehören: Die 12 Infanterie - Junker Schulen zu Warschau , Moskau , Kiew , Kasan , Tschugujew zu je 300 , zu Petersburg, Riga, Wilna, Odessa und Tifliß zu je 200, zu Helsingfors zu 90 und zu Orenburg zu 80 Junkern ; die 2 Cavallerie - Junkerschulen zu Twer und Jeliſſawetgrad mit 90 resp. 150 Zöglingen ; die 2 Uriadniks- *) Junkerschulen zu Nowotscherkask und Stawropol mit je 120 Uriadniks, und schließlich die Uriadniks - Abtheilungen bei den Infanterie-Junkerschulen zu Orenburg, Warschau und Wilna mit 120 resp . 50 resp. 25 Uriadnits . Alle diese Anstalten haben den Zweck, Infanterie-, Cavallerie- und Kajaken-Junkern, Unteroffizieren und Uriadniks, mögen sie nun Freiwillige oder Leute des Dienst ſtandes sein, die den Offizieren nöthige allgemeine wie auch militairische Bildung zu geben. Vor Eintritt in die Schule muß jeder eine gewisse Zeit, deren Länge jich je nach der Herkunft und Bildung des Betreffenden richtet, mindestens aber 3 Monate beträgt, gedient haben. Nach Absolvirung eines 2jährigen Gurjus erhalten die Junker je nach den Eramen-Resultaten das Recht, befördert zu werden, und zwar die Einen selbst dann, wenn keine Vacancen vorhanden sind, die Anderen aber nur für den Fall , daß Stellen offen sind . Bei der etats mäßigen Anzahl von 3345 Junkern und Uriadnits kamen jährlich etwa 1500 zur Entlassung, die nach und nach zu Offizieren avancirten. In die Kategorie der mittleren Militair-Lehranstalten gehören noch zwei Anstalten in Petersburg, welche gewisse Civil-Beamten für das Militair-Reſſort ausbilden, nämlich : Die Militair- Juristen - Schule zur Vorbildung von Beamten für das Militair-Gerichts-Reffort ; die 3 Klassen werden in einem dreijährigen Eurjus absolvirt, so daß von den 100 Zöglingen, welche vorher eine mittlere Lehranstalt *) Uriadnik d. h. Kaſaken - Unteroffizier. Militairische Jahresberichte 1874.

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besucht haben müssen, jährlich etwa 30 als Gouvernements- Secretaire und Collegien-Registratoren zur Entlassung kommen können, — und Die Garde-Bereiter - Schule zur Erziehung von Bereitern für die Garde- und Armee-Cavallerie. Der Cursus dauert 2 Jahre; von den 40 Zög lingen treten aber gewöhnlich weniger als 20 als ausgebildet zu der Armee über. 3. Zu den höheren Militair - Lehranstalten gehören die Militair Akademien zu Petersburg, in welchen die Offiziere eine höhere Special-Ausbil dung erhalten sollen. So dient Die Nikolaus- Generalstabs- Akademie zur Ausbildung von General stabsoffizieren, und in der zu ihr gehörenden Geodätischen Abtheilung – von Geodäten. Der Eintritt hängt von dem Beſtehen eines Examens und von der Bedingung ab, daß die Offiziere, welche die Akademie besuchen wollen, mindestens 4, diejenigen, welche in der geodätischen Abtheilung Ausbildung suchen, mindestens 2 Jahre bei den Truppen Dienst gethan haben. Der Eurſus in der Akademie ist ein 21/2, der in der geodätischen Abtheilung ein 4jähriger. Das letzte halbe resp . die letzten 2 Jahre sind ausschließlich zu praktischen Uebungen bestimmt. Es werden jährlich in der Akademie 50, in der geodätischen Abthei lung 10 Offiziere aufgenommen ; nach absolvirtem Curſus verlaſſen die Anſtalt etwa 45 resp. 8 Offiziere. Die Michael- Artillerie - Akademie giebt Artillerie- Offizieren, welche 3 Jahre - sind es Zöglinge der Michael-Artillerie- Schule oder Candidaten der mathematischen Facultät 2 Jahre - bei der Truppe Dienst gethan haben, eine höhere artilleristische Ausbildung. Nach etwa 2½jährigem Curjus , von denen das letzte halbe Jahr ausschließlich praktischen Uebungen gewidmet ist, treten von den 30 zum Besuch der Akademie zugelassenen Offizieren etwa 25 nach bestandenem Entlassungs -Examen zu den Truppen zurück. Die Nikolaus - Ingenieur - Akademie verfolgt denselben Zweck für Ingenieur-Offiziere, wie die ebengenannte für Artillerie-Offiziere. Hier dauert der Cursus für die zur Truppe zurücktretenden Offiziere aber nur 2 Jahre, während die Offiziere, welche sich speciell zu Technikern ausbilden wollen, einen 21½jährigen Curſus abſolviren müssen. Es werden jährlich 35 Offiziere auf genommen und etwa 30 verlassen als ausgebildet die Akademie. Die militair- juristische Akademie nimmt 25 Stabs- und Ober offiziere, welche ein bezügliches Examen bestanden und mindestens 4 Jahre in der Front gestanden haben, auf und bezweckt in einem 2jährigen Curſus deren Ausbildung zum Dienst in der Militair- Gerichtsbranche. Etwa 20 treten als ausgebildet jährlich dorthin über. Die Kaiserliche medicinisch - chirurgische Akademie sorgt für die Ausbildung von Militair-Aerzten , Pharmaceuten und Veterinairen. Junge Leute aller Stände, welche das bezügliche Examen beſtanden oder Zeugniſſe über den erfolgreichen Besuch einer mittleren Lehranstalt beigebracht haben , werden zur Aufnahme zugelassen. Der Cursus in der medicinischen Abtheilung ist auf 5 , in der Veterinair- und der pharmaceutiſchen Abtheilung auf 4 reſp . 3 Jahre normirt. Die mit Stipendien bedachten Leute müssen für jedes bezügliche Jahr 12 Jahr im Militair-Ressort dienen . Die Anstalt ist mit allen möglichen Lehrmitteln ausgestattet : die therapeutiſche, chirurgiſche 2. 2. Klinik, sowie das große klinische Militair-Hospital für 600 Kranke möchten besonders hervor zu heben sein. Die Akademie besuchen gegen 900 Zuhörer, von denen jährlich etwa 150 nach Abſolvirung des Curſus entlaſſen werden .

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4. Als Special - Unteroffizierschulen sind endlich aufzuführen : Die technische und pyrotechnische Schule in Petersburg. Erstere bildet tech. nische Werkmeister und Zeichner, lettere Oberfeuerwerker für die Artillerie-Verwaltungen und Anstalten aus. Die Zahl der etatsmäßigen Zöglinge beträgt in jeder Schule 100, welche einen 3jährigen Cursus durchmachen müssen und ein 4. Jahr bei der Schule praktiſch beſchäftigt werden. Die Aufnahme erfolgt nach Bestehen eines Examens . Die Zöglinge werden als im activen Dienst stehend betrachtet. Die Büchsenmacher - Schulen bei den Gewehr-Fabriken zu Tula und Jjewski sollen Büchsenmacher für die Truppen , Verwaltungen und Anstalten vorbilden. Erstere hat eine etatsmäßige Anzahl von 120, leştere von 100 3öglingen, welche vor ihrer Auf nahme ein Examen beſtehen müſſen. Der vorwiegend theoretiſche Curſus dauert 3 , der rein praktische 1 Jahr. Die Militair- Feldscheerschulen zu Petersburg , Kiew und Moskau, welche lettere aber nach dem bezüglichen Befehle des Jahres 1869 , erst 1870 resp . 1871 in Thätigkeit getreten ſind, bilden in einem dreijährigen Cursus Feldscheerer (Lazarethgehülfen) für die Truppen aus. Completirung*) und Organiſation der irregulairen Truppen. Die irregulairen Truppen sehen sich jetzt noch aus dem Don-, Kuban-, Terek-, Asstrachan-, Orenburg-, Ural-, Sibiriſchen- , Sſemiriätſchenskischen-, Trans baikalischen und Amur- Woissko " (Heer) zuſammen. Im Jahre 1869 bestanden noch das Irkutsſkiſche und Jeniſſeisstische Regiment , die jetzt umgeformt sind , und damals wie jest waren noch besondere Abtheilungen vorhanden. Die Kajaken-Bevölkerung stellt als Contingent für die bewaffnete Macht des Reiches ihre eigenen Abtheilungen : Regimenter , Bataillone , Batterien, Escadrons, Sotnien und verschiedene Commandos. Im Kriege werden von den Woisskos (Heeren) mehr Abtheilungen gestellt, als im Frieden. Die in jedem Woissko Dienstpflichtigen bilden die „ Dienst-Klaſſe" , aus welcher die im Dienst stehenden Kajaken- Abtheilungen completirt werden. So lange der Kajak der Dienst-Klasse angehört , ist er zum Felddienst in den bezüglichen gewöhnlich außerhalb des Woissko befindlichen Abtheilungen resp . zum Dienst innerhalb des Woissko verpflichtet. Zur Dienstklasse werden im Allgemeinen die physisch oder moralisch Untauglichen , die Handelsleute bei einer jährlichen Abgabe von 57 Rubel 15 Kopeken , die bei der inneren Woissko-Verwaltung Angestellten nicht gerechnet. Zeitweise Befreiungen finden bei außergewöhnlichen Unglücksfällen und Familienverhältnissen halber statt. Bei Brandunglück und bei Uebersiede lungen sind selbst ganze Stanizen von der Gestellung der Kajaken zum Dienſt befreit. Im Don-, Kuban- und Terek-Woissko dauerte bisher die Dienſtver pflichtung 15 Jahre für den äußeren und 7 Jahre für den inneren Dienst. Für die übrigen Weisskos war 1869 noch eine 22jährige Verpflichtung zum äußeren , und eine 3jährige zum inneren Dienst festgesetzt. Der Kasak diente bisher in irgend einer Abtheilung 2-3 Jahre , dann wurde er abgelöst und ging auf 4-6 Jahre nach Hause; nach Ablauf dieser Zeit, nöthigenfalls auch früher, konnte er von Neuem auf 2–3 Jahre eingezogen und dann wieder nach Hause entlassen werden und so fort, bis die 15 Jahre Felddienst und 7 Jahre innerer Dienst abgedient waren. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen halten sich die Kasaken ihre eigene Bekleidung , Bewaffnung resp. Pferde zum Dienst. Nur wenn sie in den vom Weissko aufgestellten Abtheilungen activen Dienst thun, werden sie aus der Staatskaffe unterhalten. *) Da seit dem Jahre 1869 der Completirungs-Modus faſt aller Kaſaken-Abtheilungen fich wesentlich modificirt hat, und derselbe nach den bis dahin geltenden Regeln sehr complicirt war, so mögen hier nur die Hauptgrundprincipien deſſelben ganz im Allgemeinen hervorgehoben werden. 24*

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Die einzelnen Weisskos stellten folgende Regimenter 2c. zum Dienst auf: Das Don- Woissto : Das Leib - Garde - Kajaken- und das Leib - Garde Atamanische Regiment des Großfürsten Thronfolger , 64 Don-Feld- Kajaken Regimenter und das Don-Kajaken-Lehr-Regiment zu Nowotscherkask , die Leib Garde-Don-Batterie und 13 reitende Artillerie-Batterien. Von den 2 Garde Kajaken - Regimentern à 3 Diviſionen à 2 Escadrons war im Frieden nur je 1 Division im Dienst , welche alle 2 Jahre durch eine andere abgelöst wurde. Von den 64 Feld-Regimentern à 6 Sotnien waren nur 16 Regimenter, deren Ablösung alle 3 Jahre erfolgte, activ. Die Leib- Garde-Don-Batterie bestand aus 3 Divisionen à 4 Geschützen , nur 1 Division war im Dienst; die Ab lösung hatte jährlich zugweiſe ſtatt. Die Zahl der von den 13 reitenden Batte rien von, je 2 Divisionen à 4 Geschütze, activ vorhandenen schwankte sehr. Zm Kriege traten sofort alle Regimenter und Batterien zusammen. Das Kuban - Woissko war 28 Reiter - Regimenter à 6 Sotnien, 1 Lebr Division, 14 Fuß-Bataillene à 4 Compagnien , 5 reitende Artillerie- Batterien à 2 Divisionen à 4 Geschütze stark. Die Regimenter Nr. 10-21 bildeten zu je zweien 6 Brigaden , die Batterien eine Brigade. Außer der Escadron zum Convoi Sr. Majestät des Kaiſers waren im Frieden noch 28/4 Bataillone, 50 Reiter- Sotnien und 5 Artillerie- Divisionen zum äußeren Dienste commandirt. Das Terek -Woissko bestand aus 10 Reiter- Regimentern à 4 Setnien und 2 reitenden Artillerie-Batterien à 2 Diviſionen. Die Regimenter bildeten 5 Brigaden. 30 Setnien und 2 Artillerie - Divisionen standen außer der Escadron für den Convoi Sr. Majestät des Kaisers im Dienst. Das Astrachan- Weissko formirte nur 1 Reiter - Regiment à 4 Sotnien, von denen jedoch nur 3 im Dienſt waren. Das Orenburger Woisiko stellt vor wie nach 15 Reiter - Regimenter à 6 Sotnien, 9 Fuß -Bataillone à 4 Compagnien, 1 reitende Artillerie-Brigade à 3 Batterien à 8 Geschütze und 1 Lehr - Sotnie auf. Im Frieden sind aber mur 40 Sotnien , 3 Bataillone und 2 Batterien im Orenburger und Turkeſta niſchen Militair-Bezirk und im Permſchen Gouvernement im Dienſt. Das Ural-Woissko hatte eine Stärke von 1 Escadron, welche, als Leib Garde- Ural-Kajaken - Escadron der 1. Garde - Cavallerie- Division zugetheilt, in Petersburg garnijonirte, — und 12 Reiter -Regimenter à 6 Setnien. Nur 23 Sotnien befanden sich aber als einzelne Commandos im Dienſt. Das Sibirische Woissko war 8 Reiter - Regimenter à 6 Sotnien, 1 Lehr- Sotnie, 3 Fuß - Commandos und 1 reitende Artillerie - Brigade zu 2 reitenden Batterien à 8 Geschütze stark. Zum inneren und Cordon -Dienst waren 17 Sotnien, 3 Fuß-Commandos und 2 Batterien activ. Das Ssemiriätschenstische Weiste hat wie auch jetzt 2 Reiter-Regi menter à 6 Sotnien und ist dem Truppen- Commandeur des Turkestanischen Militair-Bezirks zur Disposition gestellt. Im Dienst stehen nur 4 Setnien. Das Transbaikalische Weissko bestand aus 6 Reiter - Regimentern à 6 Sotnien , 12 Fuß - Bataillonen und 2 reitenden Artillerie - Batterien. Zur Bewachung der Chinesischen Grenze, zum Wachtdienst in den Städten und auf den Hütten- und Bergwerken waren 9 Sotnien, 22 Bataillone und 2 Batte rien präſent. Das Amur -Woissko : Von den 2 reitenden Regimentern à 4 Setnien, den 2 Fuß - Bataillonen und einer reitenden Sotnie standen 4½ Sotnien und 3½ Compagnien zum Cordondienſt am Amur und Uſſuri im Dienst, was auch jezt noch der Fall ist.

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Ferner sind noch für das Jahr 1869 an Kajaken-Truppen aufzuführen : Das Irkutskische und Jenisseisstische reitende Kajaken - Regi jedes 6 Sotnien stark – eine Brigade bildeten und in giment, welche dem Irkutskiſchen und Jeniſſeisſkiſchen Gouvernement den Grenzdienſt verſahen. Die Commandirung zum Dienst wurde so gehandhabt , daß jeder Kajak 1 Jahr im Dienst und mindestens 1 Jahr beurlaubt war. Das Jakutskische Stadt - Fuß - Regiment steht auch nach heutigen Normen unter dem Befehl des Civil-Gouverneurs des Jakutskischen Gouver nements und thut Wach- und Etappen- Dienste. Das Kamtschatkaische Kasaken - Commando ist, wie jetzt noch, 2 Sotnien stark, steht zum Theil in Petropawlowsk und giebt Commandos nach Ochotsk, Kolymsk, Werchojansk und anderen Städten. An stehenden Milizen, die ihre damalige Organisation behalten haben, sind schließlich noch zu nennen : das Dagesstan'sche reitende irregulaire Regiment, das sich aus Bewohnern von Dagesstan completirt und das Kutaiß'sche reitende irregulaire Regiment, das sich aus Eingeborenen von Imeretien , Mingrelien , Abchasien 2c. ergänzt ; die Gru sinische Fuß- Drujina bildet 1 Bataillon zu 4 Sotnien ; die Guriisskische Fuß- Sotnie und endlich die Dagesstan'sche , die Kuban'sche und Terek'sche ständige Miliz, welche lez tere sich aus den bezüglichen Stämmen completiren und zum Localdienste im Kaukaſiſchen Militair- Bezirke beſtimmt sind.

Organisation der Militair-Verwaltungs- und Commando-Behörden . Se. Majestät der Kaiſer iſt der oberste Kriegsherr. Die Befehle deffelben, welche sich auf das Landheer beziehen, werden durch das Kriegsministerium als Centralbehörde vollzogen. Sämmtliche Truppen, die Militair-Verwaltungen und Militair- Anstalten sind letterem unterstellt. Direct unter dem Kriegs Ministerium stehen als Executivbehörden die Militair - Bezirks - Verwal tungen , unter welchen bisher als nächste Instanzen die Diviſions- resp. Brigade- Verwaltungen für die Feldtruppen , die Bezirks - Verwaltungen der Localtruppen und die Gouvernements - Truppen - Chefs — für die Localtruppen- und die Local - Kajaken - Verwaltungen für die irregulairen Truppen functionirten. Außerdem giebt es auch noch Militair- Local - Verwal tungen , welche in gewissen Gegenden die Militair- und Civil - Verwaltung in sich vereinigen. Die Administration der Feld-, Local- und irregulairen Truppen liegt in den Händen der Commandeure der Regimenter resp. der selbstständigen Bataillone und Batterien. Im Kriege tritt an die Stelle der Friedens- Organisation die Feld - Ver waltung der Truppen. I. Kriegs-Miniſterium. An der Spitze des Kriegs - Ministeriums * ) steht der Kriegs -Mi nister. Alle Truppen und Militair - Anstalten stehen nicht nur unter seiner Administration , sondern sind ihm auch , was die Executive betrifft , unter geordnet. Er ist nur dem Kaiser verantwortlich und kann selbst in dringenden Fällen aus eigener Machtvollkommenheit Befehle erlassen, sofern er gleichzeitig Sr. Majestät Bericht erstattet. Er hat das Recht , die Truppen zc. jeder Zeit • selbst zu inspiciren , oder durch von ihm Bevollmächtigte inspiciren zu laſſen. Er führt in dem Kriegsrathe den Vorsiz , ist aber in ökonomischen Angelegen heiten und in wichtigen , den Zustand der Truppen 2c. betreffenden Fragen an dessen Entscheidungen gebunden. *) In der Organisation des Kriegsministeriums hat sich nichts geändert.

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Das Kriegs-Ministerium bilden 12 Haupt-Abtheilungen: 1. Das Kaiserliche Hauptquartier und die Militair - Feldkanzlei Sr. Majestät unter dem Commandirenden des Kaiserlichen Hauptquartiers. Zu ersterem gehören alle General - Adjutanten , Generale à la suite , Flügel Adjutanten und andere Chargen des Feldstabes Sr. Majestät. Auf Reisen hat der Commandirende des Hauptquartiers für die Unterbringung und Verpflegung desselben zu sorgen und ist - befindet sich der Kriegs - Minister nicht mit in dem Gefolge -die vermittelnde Instanz zwischen diesem und dem Kaiſer. Zum Hauptquartier gehört die Verwaltung und der Convoi Sr. Majeſtät. Die Militair-Feldkanzlei functionirt auf Reisen , oder wenn der Kaiser sich bei der Armee befindet. 2. Der Kriegsrath ist das oberſte Collegium zur Begutachtung neuer Einrichtungen , neuer Reglements und Bestimmungen , Verbesserungen von Ge setzen, Etats, Creditforderungen, Entwürfen wichtiger Verwaltungsmaßregeln im Gebiete der irregulairen Truppen 2c. Er steht unmittelbar unter dem Kaiser, welcher die 18 Mitglieder ernennt und entscheidet in Plenar- oder Commiſſions sitzungen , ohne dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Bei dem Kriegsrathe bestehen noch 5 berathende Comité's : Das Haupt- Militair Codifications - Comité zur Bearbeitung des Militair - Coder , und zur Ver berathung von legislatorischen Fragen , bevor sie im Kriegsrathe zur Verhand lung kommen ; das Haupt - Comité für die Organisation und Aus bildung der Truppen ; das Haupt - Militair - Unterrichts - Comité zur Berathung von Fragen, welche sich auf den pädagogischen Theil der Militair Lehr-Anstalten beziehen; das Haupt- Militair- Hospital - Comité zur Be gutachtung von die Militair-Medicinal-Anſtalten und die Militair-Medicinal Verwaltung betreffenden Fragen und schließlich das Haupt - Militair - Ge fängniß - Comité zur Beaufsichtigung der Militair - Gefängniſſe und Begut achtung von Verbeſſerungs-Vorschlägen. 3. Das Haupt- Militair - Gericht ist die Revisions- und Appel lations - Instanz. Legislatorische Entwürfe in Betreff der Militairgerichts Angelegenheiten werden hier begutachtet. Der Vorsitzende und die Mitglieder werden durch den Kaiser ernannt . 4. Die Kanzlei des Kriegs - Ministeriums besorgt die Geschäfte, welche unmittelbar vom Kriegs -Minister ressortiren , sowie die des Kriegsrathes und die der Emeritalkaſſe. An der Spitze der Kanzlei steht ein Chef, welcher die Arbeiten auf die " Geschäftsführer" vertheilt. Zu derselben gehört noch eine Journal-, executoriſche und Kaſſenſection und das Archiv. 5. Der Hauptstab (glawnyi schtab) vereinigt in sich alle Geschäfte, welche sich auf die Landtruppen des Reiches sowohl in Bezug auf die Truppen wie auf die Inspectorats - Angelegenheiten beziehen , leitet die Perſonalien ſowie die Arbeiten des Generalstabes (generalnyi schtab) und das Topograpben Corps. An der Spitze steht der Chef des Hauptstabes mit zwei Gehülfen (Pamoſchtſchniki) . Von den 6 Abtheilungen bearbeitet die erste die Organi sation , die zweite die Dislocation und den Transport , die dritte die Com petenzen , die vierte die Dienst - Angelegenheiten der Offiziere, die fünfte die Rekrutirungen und Dienst-Angelegenheiten der Unteroffiziere und Mannſchaften, die sechste Belohnungen , Pensionen und Unterstützungen. Zum Hauptſtabe ge hören ferner noch die Asiatische und Gerichts - Section , die Militair - Druckerei, das allgemeine Archiv und die Kanzlei mit der Buchhalter - Section. — Dem Hauptstabe sind attachirt die militair- topographische Abtheilung mit der carto

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graphischen Anstalt und der Militair - Topographen - Schule ; das Comité für Truppen-Transporte auf Eisenbahnen und Wasserwegen; das militairwiſſenſchaft liche Comité , um die wissenschaftliche Beschäftigung des Generalstabes und das Topographen - Corps zu dirigiren und um überhaupt Bildung in der Armee zu verbreiten ; in der Kanzlei des militairwiſſenſchaftlichen Comité's werden militair statistische Nachrichten über die fremden Reiche und Armeen gesammelt. — Unter dem Chef des Hauptstabes steht der Generalstab, das Topographen= Corps , die Nicolaus - Akademie des Generalstabes , alle Chargen , welche weder zum Truppen noch zum Verwaltungs - Etat gehören und endlich das Feld jäger-Corps . 6. Die Haupt - Intendantur - Verwaltung dirigirt und controlirt alle Intendantur - Angelegenheiten und steht unter dem " Haupt - Intendanten des Kriegs- Ministeriums ", welchem 2 Gehülfen zur Seite stehen. Die erste Ab= theilung bearbeitet die Beschaffung der Bekleidung und Ausrüstung , die zweite die Versorgung der Truppen damit , die dritte die Proviant - Verpflegung , die vierte die gerichtlichen Angelegenheiten, die fünfte die Anweisungen und die sechste die Rechnungslegung. Außerdem gehört dazu das „ technische Bureau", welches Fragen in Betreff der Aſſervirung und Eigenschaften der Intendantur sachen begutachten soll , und das "Museum", in welchem Modelle der früheren und gegenwärtigen Bekleidung und Ausrüstung des Ruſſiſchen wie fremder Heere aufbewahrt werden. 7. Die Haupt - Artillerie - Verwaltung ist dem General- Feldzeug meiſter unterſtellt und besteht aus der ersten Abtheilung für Personalien , der zweiten für die Organiſation und Unterhaltung der Arſenale , der dritten für die Festungs- Artillerie , der vierten, fünften und sechsten für die Waffen-, Pulver- und Rechnungs- Angelegenheiten, sowie aus einer Kanzlei, einem Archiv und einer Gerichtssection. Zu dem Etat der Verwaltung gehört noch das Artillerie - Comité , das in 8 Sectionen über Fragen der Ballistik, Anfertigung von Waffen und Munition , Construction von Laffeten und Fahrzeugen , Aus rüstung und Verwendung der Artillerie, blanken und Feuerwaffen 2c. zu berathen hat. - Die Michael - Artillerie - Akademie und die Michael - Artillerieſchule reſſortiren von der Haupt-Verwaltung. 8. Die Haupt - Ingenieur- Verwaltung unter dem General-Inspecteur des Ingenieurwesens hat in Betreff der Ingenieur- Angelegenheiten denselben Geschäftskreis wie die ebengenannte Haupt - Verwaltung für die Artillerie - Ange legenheiten. Die erste Abtheilung bearbeitet die Personalien, die zweite den Bau und die Unterhaltung der Festungen , die dritte den Bau und die Unterhaltung der Casernen und überhaupt der Militairgebäude, die vierte die Rechnungs Angelegenheiten. Zu der Verwaltung gehört eine Kanzlei, ein Archiv und eine juristische Section, ferner das Ingenieur - Comité , das für die bezüglichen An gelegenheiten einen gleichen Wirkungskreis hat, wie das Artillerie - Comité. Die Nikolaus - Ingenieur - Akademie und die Nikolaus - Ingenieurſchule find der Verwaltung unterſtellt. 9. Die Haupt- Militair - Medicinal - Verwaltung ist die Aufsichts behörde für das ganze Militair - Medicinalwesen der Armee und des bezüglichen Personals . Chef ist der Haupt-Militair-Medicinal-Inspector, dem ein Gehülfe beigegeben ist. Sie zerfällt in die persönliche , ärztlich - praktische , ökonomische und Apotheker- Revisions - Abtheilung. ―― Eine Kanzlei , ein Archiv und eine juristische Section gehören zu der Verwaltung, wie auch das militair-mediciniſch wissenschaftliche Comité, das sich sowohl mit rein wissenschaftlichen Fragen,

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wie auch mit den darauf basirten Verwaltungsmaßregeln zu beschäftigen und die Ausbildung der Eleven der Kaiserlichen medicinisch-chirurgischen Akademie zu überwachen hat. Letztere steht unmittelbar unter der Central -Medicinalbehörde. 10. Die Haupt - Verwaltung der Militair - Lehr - Anstalten , welcher das Pagencorps und alle nicht den Specialwaffen angehörenden Militair- Lehr Anstalten unterstellt sind, hat Abtheilungen für die Personalien, die Unterrichts und die ökonomischen Angelegenheiten, wie eine Kanzlei, ein Archiv, eine Buch ― halter- und eine gerichtliche Section. Das von ihr ressortirende pädagogische Comité sorgt dafür, daß der wissenschaftliche Standpunkt der Militair-Bildungs Anſtalten auf der Höhe der Zeit bleibt. Die Verwaltung steht unter einem Chef mit einem Gehülfen. 11. Die Haupt - Verwaltung der irregulairen Truppen unter einem Chef mit einem Gehülfen leitet die Militair- und Civil - Verwaltung der Kajaken-Länder und Weisskos und hat je eine Abtheilung für die Truppen- und Dienst- Angelegenheiten , für die Gesetzgebung, die ökonomischen Angelegenheiten, Vermessung und Statistik und für die Justiz , ferner eine Secretariats- Section und ein Archiv. Das Comité für die irregulairen Truppen prüft namentlich die Gesetzgebungsfachen und die Opportunitätsfrage bei vorzunehmenden Aende rungen. 12. Die Haupt- Militair - Gerichts - Verwaltung ist die Kanzlei für die Abwickelung der Angelegenheiten , welche dem Haupt- Militair - Gerichte vorliegen. Sie ist dem Haupt- Militair- Procurator unterstellt und besteht aus einer Kanzlei und 4 Abtheilungen; die erste bearbeitet die legislatorischen , die zweite , dritte und rierte die Militairgerichts- Angelegenheiten. Die militair juristische Akademie und die Militair-Juristenſchule ressortiren von ihr. Dem Kriegs-Ministerium sind noch attachirt : Die Verwaltung des General- Inspecteurs der Cavallerie , die des Inspecteurs der Schüßen - Bataillone und das Comité in Betreff der Verwundeten. Letzteres sorgt für die verabschiedeten und noch im Dienst befindlichen verwundeten Offiziere , Unteroffiziere und Mannſchaften , ſo fern der Unterhalt derselben nicht durch eigene Mittel gesichert ist. Zu dem Ende vergiebt dasselbe gewisse Stellen , sorgt für die Unterkunft in Kranken häusern, giebt Unterstützungen , Pensionen und stellt Bescheinigungen für Ver abfolgung von Quartieren aus . Das Comité verfügt über gewiſſe Capitalien und Gelder, die ihm zur Vereinnahmung angewiesen sind. Da der Generalstab, das Topographen- und Feldjäger- Corps vom Kriegs Ministerium ressortiren und speciell dem Chef des Hauptstabes unterstellt sind, so möchte hier der Platz sein, um ihre Organiſation zu besprechen. Der Generalstab hat keinen bestimmten Etat. Die durch Generalſtabs Offiziere etatsmäßig zu besetzenden Stellen sind durch den Etat der bezüglichen Verwaltungen und Stäbe bestimmt. Eine Liste sämmtlicher Generalstabs Offiziere wird auf dem Hauptstabe geführt. Danach gehören dem Generalstabs Offizier-Corps an : 1. Die Chefs der Militair-Bezirksstäbe und die bei den Truppen und Verwaltungen in etatsmäßigen Generalstabs -Offizierstellen befindlichen Offiziere; 2. die Militairagenten im Auslande', die Profefforen und Adjunct-Profeſſoren der 3 Militairakademien, die Chefs der Kriegs- und Junkerschulen; 3. die Flügeladjutanten Seiner Majestät des Kaiſers , die Adjutanten der Mitglieder der Kaiserlichen Familie oder die zu deren Person commandirten Öffiziere ; die Adjutanten bei den Obercommandirenden und dem Kriegsminister oder die zur persönlichen Verwendung commandirten Offiziere;

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4. die in etatsmäßigen Stellen bei den Hauptverwaltungen des Kriegsministeriums stehenden und die zu anderen Miniſterien oder zu Kriegs- und Junkerſchulen zeitweise oder permanent abcommandirten Offiziere, wenn sie mindestens 3 Jahre im Generalstabe Dienſt gethan haben ; 5. die Offiziere in hohen Stellen der Militairverwaltung , wie die Commandeure der Truppen in den Militairbezirken, die Commandeure der Diviſionen, die Chefs der Haupt verwaltungen im Kriegsministerium, die Directoren der Militairgymnasien , sowie auch Offiziere in hohen Stellen außerhalb des Militairreſſorts , ſofern ein specieller Kaiserlicher Befehl anordnet, daß ſie in den Liſten des Generalſtabes geführt werden ſollen. Die Uniform des Generalstabes tragen jedoch nur alle zum Generalstabe zählende Generale und diejenigen Stabs- und Oberoffiziere, welche unter 1. und 2. aufgeführt sind, sowie auch diejenigen, welche zeitweise zu andern Miniſterien, zu Kriegs- und Junkerschulen abcommandirt sind. ―― Alle übrigen zum Gene ralstabe zählenden Stabs- und Oberoffiziere tragen die Uniform ihrer bezüglichen Stelle, wie die Uniform des Kriegsministeriums, der Militair-Lehranstalten 2c. Ein Chef des Generalstabes, der ausschließlich die Arbeiten und Ausbildung der Generalstabsoffiziere wie der Chef des Generalstabes der Armee in Preußzen - zu leiten hätte , existirt in Rußland nicht, und ist diese Function dem Chef des Hauptstabes mit übertragen. Ebensowenig besteht dort ein „ Großer Generalstab", und sind die Arbeiten desselben nimmt man den Großen Ge neralstab der Preußischen Armee als Muster www.coc so vertheilt , daß der Truppen transport auf Eisenbahnen und Wasserwegen , der Entwurf der Disposition für die Vertheilung der Truppen auf den verschiedenen Kriegstheatern , die Aufbe wahrung der Kriegstagebücher der 2. Abtheilung des Hauptstabes zufällt , wäh rend die !! Ansammlung militair-statistischer Nachrichten über Rußland und die anderen Staaten" Sache der Kanzlei tes militair-wiſſenſchaftlichen Comités ist. In dem Archiv des letzteren werden dann alle Bearbeitungen , Documente, wie überhaupt alle Materialien, welche sich auf Kriegsgeschichte, Geographie, Admi nistration und Statistik beziehen, asservirt. In dem Etat des Kriegsministeriums find für Generalstabsoffiziere 8 etats mäßige Stellen ausgeworfen. Bei den Truppen fungiren Generalstabsoffiziere in den Stäben der Militairbezirke , der Infanterie- und Cavallerie- Divisionen und bei den Stäben der Localtruppen in den Militairbezirken. Auf die ein zelnen Functionen derselben wird bei der Organisation der bezüglichen Behörden näher eingegangen werden ; hier sei nur erwähnt , daß der Truppengeneralstab einen Etat von 17 Generalen, 133 Stabsoffizieren und 110 Oberoffizieren *) hat. Speciell noch hervorzuheben sind die schon im Frieden als „ Dirigenten des Truppentransportes auf Eisenbahnen und Wasserwegen" functionirenden Gene ralstabsoffiziere. Jedem derselben ist ein bestimmter District zugewiesen , in welchem ihm Eisenbahnen resp . Waſſerſtraßen in militairischer Beziehung unter stellt sind. Der Generalstab ergänzt sich lediglich aus den Zöglingen der Nikolaus Generalstabsakademie . Die Centralstelle für das Topographen - Corps ist die militair-topo graphische Abtheilung des Hauptstabes . Sie steht unter einem besonderen Chef und führt alle astronomischen, geodätischen, topographischen und kartographischen Arbeiten aus , und zerfällt in die geodätische Section mit dem Instrumental Cabinet , der kartographischen Anstalt, der Kanzlei , dem militair-topographischen *) Nach durchgeführter Organisation der Corpseintheilung wird sich der Etat des Truppen: Generalstabes erhöhen, da jede Corpsverwaltung 2–3 etatsmäßige Generalstabs offizierstellen hat.

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Depot und dem Karten-Verkaufsmagazin. Der Etat des Corps umfaßt 6 Ge nerale , 187 Stabs- und Oberoffiziere, 170 Klaſſen-Topographen, 240 Topo graphen-Unteroffiziere und 40 Topographenschüler, welche bei der Centralſtelle, der Topographen- Schule , bei den astronomischen und topographischen Arbeiten be schäftigt sind. Die als Geodäten functionirenden Offiziere ergänzen sich aus solchen, welche den geodätischen Curjus der Generalstabs- Akademie durchgemacht ―――――― und beim Observatorium zu Pulkowa gearbeitet haben. Die Topographen Offiziere gehen aus den Topographen des Unteroffizierstandes hervor, welche nach Absolvirung der Militair - Topographenschule nach den Resultaten des Examens der 1. und 2. Kategorie zugetheilt wurden. Die 3. Kategorie ſtellt ein Contingent für die Klaſſen - Topographen. Die Unteroffizier - Topographen rekrutiren sich aus Freiwilligen und Zöglingen der Militair-Zeichenſchule. Das Feldjäger - Corps besteht nach dem gewöhnlichen Etat aus 2 Stabs und 46 Oberoffizieren, nach dem verstärkten Etat aus 2 Stabs- und 54 Ober offizieren und ist zu Courierdiensten beſtimmt.

II.

Die Militair-Bezirke.

Um die Verwaltung Rußlands in militairischer Beziehung zu decentra lisiren, wurde das mächtige Reich Anfangs in 15 Militairbezirke eingetheilt, welche sich im Jahre 1870 — wie hier vorweg bemerkt wird — um einen verminderten , indem der Rigaer Militair - Bezirk aufgehoben wurde. Estbland kam zum Petersburger, Liefland und Kurland zum Wilnaer Militairbezirk. Diese 14 Militairbezirke der Petersburger , Finnische , Wilnaer , War schauer, Kiewer, Odessaer, Charkower, Moskauer, Kaſaner, Kaukasische, Orenburger, West- Sibirische , Ost- Sibirische und Turkestanische - find an Größe sehr un gleich , indem sie je nach der Stärke der dort dislocirten Truppen mehr oder weniger (aber immer ganze) Gouvernements umfaſſen. Die Behörden für dieſe Militairbezirke heißen Militairbezirks - Verwaltungen, *) welche gleichmäßig nach Analogie des Kriegsministeriums organisirt , aber je nach der Größe ter Bezirke mit mehr oder weniger Offizieren, Beamten 2c. dotirt sind . An der Spitze einer jeden Militairbezirks -Verwaltung steht der Comman dirende oder Obercommandirende der Truppen in dem Militairbezirke, welchem alle Truppen und Militairanstalten in dem Bezirke unterstellt sind. Ihm find Offiziere zu besonderen Aufträgen, in einzelnen Bezirken auch noch ein besonderer Gehülfe (Pamoſchtſchnik) beigegeben. Unter den Offizieren zu beſonderen Auf trägen befindet sich mindestens ein Generalstabsoffizier. Der Militair- Bezirksrath , die oberste Behörde des Bezirks in ökone mischer Beziehung, besteht aus dem Commandirenden, als Vorsitzenden, den Chefs der 6 Abtheilungen der Militairbezirks - Verwaltung, dem Gehülfen des Comman direnden und einem Deputirten des Kriegsministeriums. Im Allgemeinen werden die Angelegenheiten nach der Ansicht der Majorität entschieden. Die Haupt Function des Militair - Bezirksraths besteht in der Abschließzung von Contracten in Betreff der Lieferungen jeder Art für den Militairbezirk , wobei er selbst ständig verfährt, so lange dabei die Summe von 25,000 Rubel nicht über schritten wird; anderen Falls ist er an die Directiven des Kriegsraths gebunden. Der Bezirksstab , die Verwaltungsbehörde für die Feld- und Local truppen des Bezirks, steht unter dem Chef des Stabes, welcher direct vom Com mandirenden seine Befehle erhält und welchem ein Gehülfe zur Seite steht. *) Die Organisation derselben ist noch jezt zutreffend .

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Der Stab besteht aus der Abtheilung für Truppenangelegenheiten (Strojewoje), welche Dislocirung, Transport, Dienst und Ausbildung der Truppen bearbeitet ; der Abtheilungs - Chef und ein Sections - Chef sind Generalstabsoffiziere ; aus der Inspectoratsabtheilung für Etats und Personalien ; und aus der ökonomischen Abtheilung , welche die Competenzen der Truppen bearbeitet. Zu dem Stabe gehört die Kanzlei, die Justiz- Section und das Archiv. Die Bezirks - Intendantur - Verwaltung unter dem Bezirks - Inten danten mit seinem Gehülfen, umfaßt die 3 Abtheilungen für die Bekleidung und Ausrüstung , für die Naturalverpflegung und für die Geldverpflegung . Zu der Bezirks- Intendantur gehört noch ein Secretariat und eine Bezirksrentei. Alle im Bezirk vorhandenen Depots und Proviantmagazine sind derselben unterſtellt . Unter der Bezirks - Artillerie - Verwaltung stehen die Local-Artillerie Truppen und die Artillerie-Anstalten , mit Ausnahme der Pulver- und Waffen Fabriken. Sie steht unter dem Chef der Artillerie des Bezirks, welcher einen Ge hülfen hat. Die Personalien , die Front- , wiſſenſchaftlichen und Unterrichts Angelegenheiten bearbeitet die Inspectorats- Abtheilung, die Ausrüstung der Truppen und Festungen mit Artillerie - Materialien die ökonomische und die Militair Gerichtsangelegenheiten die Justizabtheilung. Die Bezirks - Ingenieur - Verwaltung ist die vorgesetzte Behörde für die Festungen, Militair- Gebäude, Wasserbauten, und die Distanzien. Die Feld Ingenieur-Truppen und die Parks sind ihr nicht unterstellt ; ebensowenig die Festungsbauten, die Ingenieur-Arsenale, die technische und galvanische Anstalt, welche direct von der Haupt - Ingenieur - Verwaltung reſſortiren. Die Bezirks Ingenieur-Verwaltung steht unter dem Chef der Ingenieure des Bezirks , welchem ein Gehülfe beigegeben ist, und hat eine Inspectorats-, eine ökonomische, Bau und Rechnungs -Abtheilung . Zu der Bezirks - Militair - Medicinal - Verwaltung gehören , außer dem Bezirks -Militair-Medicinal-Inspector, deſſen beide Gehülfen, der Veterinair Arzt und die Kanzlei. Es reſſortiren von ihr alle hygieniſchen und ſanitäts policeilichen Maßnahmen bei den Truppen des Bezirks. Der Bezirks - Inspector der Hospitäler ist der directe Vorgesetzte aller ständigen Militair-Hospitäler des Bezirks, deren Chefs ihm unterstellt sind. Gewöhnlich ist aber die Stelle des Bezirks -Inspectors mit der des Chefs der Localtruppen des Bezirks verbunden. Wenn die im Vorstehenden klargelegte Organisation der Militairbezirks Verwaltungen auch die normale ist , so ist doch in einzelnen Militairbezirken dieje oder jene Verwaltung nicht vorhanden, während in anderen neue zugefügt find. So besteht im Kaukasischen Militairbezirke noch eine Kaukasische Verwaltung der Bergvölker, eben dort wie auch im Warschauer Militair bezirk noch die Verwaltung des Feld - Atamans , welcher die in dem Bezirke befindlichen Kasakentruppen unterstellt sind. Bei der Verwaltung des Kauka= sischen, Orenburger, Turkestanischen , Ost- und West- Sibirischen Militairbezirkes eristiren noch Militair - Topographen - Abtheilungen. III.

Commando-Behörden der Feldtruppen.

Direct unter den Militairbezirks - Verwaltungen standen bis vor Kurzem als höchste Commandobehörden der Feldtruppen im Frieden die Ver waltungen der Divisionen und Brigaden, und zwar erstere bei der Infanterie und Cavallerie, letztere -- 1869 - nur bei der Artillerie und den Ingenieuren. Die Infanterie- und Cavallerie - Divisionen sind Divisions- Com

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mandeuren unterstellt , welche noch unlängst bei der Infanterie einen , bei der Cavallerie zwei Gehülfen hatten, die zu besonderen Aufträgen oder ev. auch zur Stellvertretung des Commandeurs bestimmt waren resp . es bei der Garde noch sind. Der Stab der Diviſion beſteht aus einem Chef des Stabes ( Oberſt oder Oberstlieutenant des Generalstabes) , 2 älteren Adjutanten , von denen der eine (Generalstabsoffizier) an der Spiße der Abtheilung für Truppenangelegenheiten steht , der andere die Administrationsabtheilung leitet , einem Divisionsarzte und einem Kapellmeister. Im Kriege tritt noch ein Divisions- Intendant hinzu . Die Commandeure der Sappeur- Brigaden haben in Bezug auf die ihnen unterstellten Truppen dieselben Rechte, wie die Commandeure der Infanterie Divisionen. Die Brigade - Verwaltung besteht aus einem älteren Adjutanten, dessen Gehülfen, einem Thierarzte und einem Kapellmeister. Die Artillerie - Brigade steht unter dem Brigade - Commandeur, der jeinerseits dem Chef der Artillerie des Militairbezirks wie auch dem Divisions Commandeur untergeordnet ist. Die Commandeure der reitenden und Park Brigaden, sowie auch der Ostsibiriſchen Brigade sind gleichzeitig auch die Com mandeure einer der Batterien resp . Parkes dieser Brigaden. Der Brigade Adjutant, der Brigade - Zahlmeister, welcher auch Quartiermeister ist, 2 Aerzte, ein Thierarzt und in den reitenden Brigaden ein Bereiter gehören zu der Bri gadeverwaltung. An der Spitze eines Regiments steht der Regiments- Commandeur (bei der Garde Generalmajor, bei der Armee Oberst), welchem damals noch ein Gehülfe für die Leitung der ökonomischen Angelegenheiten zur Seite ſtand. Zum Regiments - Stabe gehören auch jetzt noch : der Regiments -Adjutant, welcher die Truppen-Angelegenheiten und die Personalien bearbeitet, der Regiments Zahlmeister für die Bearbeitung der Competenzen des Regiments an Geld, Sachen und Artillerie =- Materialien, der Regiments-Quartiermeiſter für die Unterbringung und Verpflegung, ―― der Gerichtsoffizier, der Waffenver walter, der Commandeur der Nichtcombattanten- Compagnie, welchem außer dieser Compagnie auch noch die Handwerksstätten und der Train unterſtellt ſind, ein älterer Arzt und schließlich der Regiments = Geistliche. Außer den beiden Letztgenannten stehen in diesen Stellen nur Offiziere. - In den Garde-Re gimentern, wo die Regiments-Oekonomie schon damals durch ein Oekonomie-Co mité geleitet wurde, existirte kein Gehülfe des Regiments -Commandeurs, sondern ein Präses und ein Geschäftsführer des Comité's. In den Cavallerie-Regi= mentern sind 2 Gehülfen vorhanden , einer für die Oekonomie-, der andere für die Truppen-Angelegenheiten. Ebenso sind hier noch ein jüngerer und ein Ve terinair-Arzt etatsmäßig . Der Stab eines selbstständigen ( Schützen- , Sappeur- ) Bataillens ist ebenso zusammengesetzt wie der Stab eines Regiments. Der Commandeur hat die Rechte eines Regiments -Commandeurs . Das Bataillon im Regiments - Verbande ist nur als taktische, nicht aber als administrative Einheit anzusehen. Sein Stab besteht aus dem Com mandeur und dem Bataillons - Adjutanten , event. gehört auch noch ein jüngerer Stabsoffizier und ein jüngerer Arzt dazu . Die Compagnie steht unter einem Capitain oder Stabs-Capitain als Compagnie-Commandeur, welcher für den guten Zustand derselben in allen Be ziehungen verantwortlich ist. In Bezug auf die Verpflegung übt er jedoch nur eine Controle, da die Mannschafter hier im Wesentlichen selbstständig sind. Ihm

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unterſtellt sind die Compagnie-Offiziere, der Feldwebel, der Capitaindarmes, die älteren und jüngeren Unteroffiziere. Die Escadron entspricht vollſtändig der Compagnie ; der Feldwebel heißt hier älterer Wachtmeister, die älteren Unteroffiziere jüngere Wachtmeister. Die Batterie steht dem Bataillon gleich, ist aber in ökonomischer Be ziehung selbstständig. Der Batterie = Commandeur, ein Oberst (bei der Garde) oder Oberstlieutenant (bei der Armee), die Diviſions- und Zugcommandeure bilden das Offizier = Corps, die älteren und jüngeren Feuerwerker das Unter offizier-Corps . — IV. Local Militair-Verwaltungen. Zu den Local - Militair - Verwaltungen gehört: Die Verwaltung der Local - Truppen , welche 1874 wesentliche Aenderungen er fahren hat, und deren frühere. Organiſation_deshalb hier nur kurz berührt werden wird. Die Local Truppen, also 1869 die Festungs-Regimenter, Bataillone und Commandos, die Reserve Bataillone, die Gouvernements : Bataillone, die Kreis-, Local-, Etappen- und Convoi-Commandos, sowie auch die in dem bezüglichen Bezirk zum Localdienst bestimmten Kajaken-Abtheilungen standen in jedem Militair-Bezirk unter dem Chef der Local Truppen des Bezirks, welcher die Rechte eines Diviſions- Commandeurs hatte, und nächſt dem Cbercommandirenden der Truppen des Bezirks die oberste Instanz war. Sein Stab bestand aus einem Gehülfen, einem Chef des Stabes und 2 oder mehrerer Adjutanten. Der Chef des Stabes und ein älterer Ádjutant waren Generalstabs-Offiziere. Unter dem Chef der Localtruppen des Bezirks war der Gouvernements - Truppen Chef in jedem Gouvernement der directe Vorgesezte der dort dislocirten Localtruppen. Außerdem lagen demselben noch bei den Rekruten Aushebungen Functionen ob ; er hatte die Aufsicht über die in seinem Gouvernement befindlichen auf bestimmte und unbeſtimmte Zeit Beurlaubten, hatte für den Transpórt der Arreſtanten zu sorgen u . s. w. Der Kanzlei des Gouvernements-Truppen- Chefs ſtand ein Dirigent vor. Als Local-Militair-Verwaltungen sind ferner noch zu erwähnen, die Mi litair - Gouverneure und Commandanten. Erstere, die Militair- Gouver neure, sind zur Verwaltung eines Gouvernements , Oblassti's , einer Stadt oder Festung, und im Kriege zur Verwaltung eines occupirten Gebiets beſtimmt. Damals, wie auch jetzt, ist diese Stellung einigen Chefs von Gouver nements im Kaukasus und einigen Oblasstj-Chefs im Orenburgischen, Tur kestanischen, Ost- und West- Siviriſchen Militair-Bezirke verlichen. Sie ver einigen in sich die Militair- und Civil - Adminiſtration. — Commandanten existiren in einzelnen Städten und in allen Festungen. V. Die Local -Kaſacken-Verwaltungen. Die Central-Behörde für die Kajaken sowohl in militairischer wie in civiler Be ziehung ist wie schon erwähnt die Haupt-Verwaltung der irregulairen Truppen im Kriegs-Ministerium. Ataman der Kajaken- Truppen ist Seine Kaiserliche Hoheit der Großfürft-Thronfolger. Jedes Woissko hat dann aber noch speciell ſeinen Stellvertretenden (nakasnyi) Ataman und seine Regierung (prawlenije), in welcher die Civil- und Militair-Verwaltung vereinigt ist. Für die Civil Verwaltung steht demselben eine Woisske-Verwaltung, in militairischer Be ziehung ein Woissfo - Stab zur Seite. In territorialer Beziehung sind die Ka= jaken-Länder in Districte oder Bezirke eingetheilt, welche wieder ihre speciellen 1 Verwaltungen haben. Die Bezirke endlich zerfallen in Stanizen. In dieser Weise gliedert sich im Allgemeinen die Local-Verwaltung der Kajaken-Woisſkos , was aber nicht ausschließt, daß hier und da mehr oder weniger wesentliche Abweichungen vorkommen, deren Aufzählung hier wohl zu weit führen möchte. VI. Die Feld-Verwaltung der Truppen im Kriege ist auch heute noch maaßgebend , wenn auch durch jüngst eingetretene organiſa torische Aenderungen die eine oder andere Bestimmung geändert werden möchte.

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Die Truppen, welche zu den Operationen im Felde beſtimmt sind, bilden eine oder mehrere Armeen. Jede active Armee zerfällt in Corps , deren An zahl und Stärke sich je nach den Umständen richtet. An der Spike jeder Armee steht der Obercommandirende , unter deſſen Befehlen alle Verwal tungen und alle zur Armee gehörigen Offiziere, Beamten und Mannſchaften, die Bezirke, in welchen die Truppen dislocirt sind, sowie auch die occupirten feind lichen Districte stehen. Demselben ist eine ausgedehnte Vollmacht gegeben ; er kann aus eigener Machtvollkommenheit einen Waffenstillstand schließen, hat das Recht, alle ihm Untergebenen von ihren Stellen zu entsegen und aus der Armee zu entfernen ; er ernennt selbst die General - Gouverneure für die occupirten Districte, die Militair - Gouverneure, die Detachements- und Regiments-Com mandeure ; er befördert bis zum Capitain einschließlich und verleiht die unteren Klassen der Orden ; in administrativer Beziehung hat er die Rechte des Kriegs raths und kann außerdem Requisitionen und Contributionen ausschreiben ; bei wichtigen kriegsgerichtlichen Fällen hat er das Bestätigungsrecht. Dem Obercommandirenden persönlich sind Generale , Stabs- und Oberoffiziere zu besonderen Aufträgen und Adjutanten, der Feld-Ataman, der Adlatus (tawa rischtsch) des Ober-Militair- Procurators, welcher die Stelle des Procurators des Feld-Obermilitair- Gerichts versieht, ein Beamter des Ministeriums des Aeußern für diplomatische Angelegenheiten und bei Operationen in einem verbündeten Lande ein Ober-Landschafts- Commissar beigegeben. Die Feld - Verwaltung der Armee besteht aus dem Feldstabe derselben, in welchem sich die Arbeiten für Unterbringung , Märsche resp. Transporte, Operationen, Personalien der Truppen der Armee concentriren. Der Stab be steht aus den Abtheilungen für Truppen-, Inspectorats- und ökonomische An gelegenheiten, aus der Kanzlei der Militair-Topographischen Abtheilung und dem Stabsoffizier, welcher den Führern (wojatyje) vorgesezt ist. Ferner befinden sich bei dem Stabe Offiziere für besondere Aufträge, eine topographische und lithographische Anstalt. Während dem Gehülfen des Chefs des Stabes die Leitung der Arbeiten in den Abtheilungen obliegt, dirigirt der Chef des Stakes selbst den allgemeinen Geschäftsgang bei der Verwaltung überhaupt. Kanzlei , die militair-topographische Abtheilung, der die Führer befchligende Stabsoffizier, sowie die Verwaltung des Commandanten, der Inspector der Hoſpitäler der Armee, die Feldmilitair- Medicinal- Verwaltung, der Inspector der Militair-Communicationen, die Feldpost-Verwaltung, der Feld- Obergeistliche sind dem Chef des Stabes direct unterstellt. Derselbe steht dem Obercommandi renden am nächsten, trägt ihm alle Angelegenheiten vor, sorgt für die Aus führung seiner Anordnungen und ist bei den Vorträgen der übrigen Chefs der Abtheilungen der Feldverwaltung der Armee zugegen. Er hat das Recht, leytere zu Berathungen zu versammeln und präsidirt denselben. Ist der Ober-Comman dirende krank, so führt er die Armee in seinem Namen; stirbt derselbe, so verſicht er dessen Stelle, bis ein anderer ernannt ist. Die Feld - Intendantur - Verwaltung der Armee sorgt unter dem In tendanten der Armee für die Verpflegung , Löhnung , Bekleidung der Truppen und für alles Nöthige für die Local- und provisorischen Militair- Hoſpitäler, welche sich in dem Rayon der Armee befinden. Die Kanzlei steht direct unter dem Gehülfen des Armee - Intendanten und zerfällt in die Abtheilung für Ver pflegungs-, Geld- und Materialien-Angelegenheiten und in das Secretariat. Die Corps-, Detachements- und Diviſions-Intendanten und der Chef des Intendantur Transports gehören zur Feld-Intendantur-Verwaltung.

Heerwesen Rußlands.

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Die Feld - Artillerie - Verwaltung steht unter der Leitung des Chefs der Artillerie der Armee ; ihr Wirkungskreis erstreckt sich auf die zur Armee gehörige Artillerie, sie hat aber auch solche Anordnungen zu treffen, daß ſowohl die Armee selbst, wie die auf dem Kriegsschauplatze liegenden Festungen mit den zum Artillerie-Ressort gehörigen Gegenständen versehen werden. Sie besteht aus der Kanzlei, welche dem Gehülfen des Chefs der Artillerie unterſtellt ist, und in die Abtheilungen für Truppen- und Dekonomie-Angelegenheiten zerfällt, aus dem Chef der Artillerie- Parks und aus Offizieren und Beamten für besondere Auf träge. Unter dem Chef der Artillerie stehen alle Bezirks -Artillerie-Verwaltungen der von der Armee besetzten Militair-Bezirke, die im feindlichen Lande formirten Local - Artillerie - Verwaltungen und alle bei der Armee befindlichen Artillerie Anstalten. Die Feld - Ingenieur - Verwaltung erstreckt ihre Thätigkeit auf alle bei der Armee befindlichen Ingenieur - Truppen, Parks und auf dem Kriegsschauplat liegenden Festungen und sorgt für die Versorgung der Truppen und Festungen mit allen Gegenständen des Ingenieur-Refforts . Sie steht unter dem Chef der Ingenieure der Armee. Die Kanzlei wird in ihren beiden Abtheilungen für Truppen- und ökonomische Angelegenheiten von dem Gehülfen des Chefs der Ingenieure geleitet. Stabs- und Öber - Offiziere stehen für besondere Aufträge zur Disposition . Alle Bezirks - Ingenieur - Verwaltungen auf dem Kriegsschau plate und alle jenseits der Grenze errichteten Local-Ingenieur-Verwaltungen sind dem Chef der Ingenieure untergeordnet. Bei jeder Armee wird ein Feld - Hauptkriegsgericht und bei Ueber schreitung der Grenze außerdem noch ein Feld - Kriegsgericht errichtet. Was die Corps - Verwaltungen betrifft , so ist die Verwaltung eines tetachirten Corps der einer Armee analog , wenn sie auch einen beschränkteren Wirkungskreis und einen geringeren Etat hat. Ein Corps im Armee - Verbande wurde von dem Corps - Commandeur mit den Rechten des Commandirenden der Truppen in einem Militair - Bezirke be fehligt. Die Corps - Verwaltung besteht aus dem Corpsstabe und der Ver waltung des Chefs der Artillerie des Corps . Ein Corpsarzt und ein Corps - Intendant wurde ihr damals nur unter gewissen Verhältniſſen zugetheilt. Der Stab wird von dem Chef des Stabes geleitet und besteht aus den Abtheilungen für Truppen - Angelegenheiten und Perſonalien. Die Verwaltung des Chefs der Artillerie des Corps hat den Zweck, für die Ar tillerie des Corps zu sorgen und alle Abtheilungen des Corps mit Artillerie Material zu versehen. Die Führung der Artillerie des Corps in der Schlacht wird dem Chef der Artillerie nur unter besonderen Verhältnissen übertragen, da sie unter den Befehlen der bezüglichen Infanterie - Diviſions Commandeure steht.

Die Reformen, welche in den Jahren 1870-1874 in der Armee Rußlands Atattgehabt haben. War in dem Vorhergehenden versucht worden, wenigstens in den Grundzügen die Completirung und Organisation der Russischen Armee klar zu legen, wie sie nach dem Reorganiſations - Entwurfe des Jahre 1862 sich gestalteten und im Jahre 1869 im Allgemeinen zum Abschluß gekommen waren, soll das Folgende Tarthun , welche weitere Reformen in dem Heerwesen in den Jahren 1870-74 nothwendig geworden und zur Ausführung gekommen sind .

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Schon in der Einleitung wurde darauf hingewiesen , daß das wesentlichste Motiv zu der im Jahre 1870 angebahnten neuesten Reorganiſation der Armee des mächtigen Zaren - Reiches der Deutsch - Französische Krieg in seinen Schluß folgerungen für die Organisation der modernen Heere war, wenn auch überhaupt die Ereignisse der Jahre 1866 und 1870, welche die politische Situation Europa's so mannigfach verändert haben und von einer mächtigen Entwickelung des Heer wesens der Staaten begleitet waren , schon darauf hingewiesen hatten, daß ein Stillstand in dieser Beziehung auch für Rußland einem Rückschritte gleichbedeutend sein mußte. Durchdrungen von der Wahrheit dieses Satzes säumte Se. Majestät der Kaiser Alexander II. in dem steten Streben, ſein Volk in allen Beziehungen auf die Höhe der Zeit zu bringen, keinen Augenblick, auch die Wehrkraft deſſelben auf einer neuen Basis zu entwickeln und zu vervollkommnen. Schon am 4. November 1870 hieß Er auf den Bericht einer mit der Reviſion des damals beſtehenden Completirungsmodus der Armee betrauten Commiſſion die Grund principien der projectirten Reorganiſation gut und beauftragte den Kriegsminister Miljutin, welcher schon seit dem Jahre 1862 diejen für das Wohl einer Armee so hochwichtigen Posten inne hat , mit der Abfassung eines bezüglichen Pro memorias , das am 25. November 1870, als vom Kaiser genehmigt , publicirt wurde. Durch einen Befehl rom 17. November 1870 waren bereits 2 Commiſſionen, die eine zur Berathung der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die andere zur Berathung der Organisation der Truppen eingesetzt worden. Sie begannen ihre Arbeiten, jenes Promemoria als Directiven benutzend , unverzüglich und setzten dieselben bis zum Mai 1873 fort, um welche Zeit sie nach Beendigung derselben durch Se. Majestät den Kaiser aufgelöst wurden. Wie weit nun jetzt die beſchloſſenen Reformen schon publicirt resp. thats sächlich durchgeführt sind, wird das Folgende ergeben. Dabei muß aber bemerkt werden , daß eine Menge Aenderungen in dem Heerwesen , welche in den lehten Jahren stattgefunden haben und somit hier aufgenommen werden müſſen , gar nicht oder doch nur zum Theil als Resultate der Berathungen jener Commiſſionen gelten können. Wohl aber ist das neue Rekrutirungs-Reglement , das nunmehr zunächst besprochen werden wird, eins der wichtigsten Ergebnisse jener Berathungen.

Renderungen in Bezug auf die Completirung und Organisation der regulairen Truppen, der Local Inftitutionen und Militair . Lehranstalten.*) A.

Aenderungen in der Completirung.

Unter dem 1. ( 13.) Januar 1874 erließ Se. Majestät der Kaiser Aleran der II. das neue Gesetz über die Wehrpflicht , deſſen Publicirung von einem Allerhöchsten Manifeste und einem Ukas an den dirigirenden Senat begleitet war. Das Gesetz hat bindende Kraft für das ganze Reich und das Königreich Polen, **) findet aber keine Anwendung auf die Bevölkerung der Kajaken-Woisskos , welche *) In Bezug auf die äußere Anordnung des im Folgenden zu behandelnden Stoffes möchte hervorgehoben werden müssen, daß es zur größeren Uebersichtlichkeit geboten er scheint, auch hier die Einzelnheiten so aufeinander folgen zu lassen, wie diese dem voraus gegangenen Abschnitte eingefügt sind , wenn auch die historische Reihenfolge der Reformen dadurch hier und da nicht inne gehalten wird. Ferner wird der nunmehr folgende Ab schnitt noch sechs Theile enthalten , welche folgerichtig auch im erledigten Abschnitt zu behandeln gewesen wären , wenn es der zur Disposition gestellte Raum ermöglicht hätte. **) Für Finnland hat dasselbe vorläufig noch keine Gültigkeit; das Project liegt viel mehr erst der Finnischen Legislative vor.

Heerwesen Rußlands .

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ihrer Wehrpflicht in eigenartiger Form genügen , auf die Völkerschaften des Transkaukasischen, des Turkestanischen , des Küsten- und Amur - Gebietes , ferner nicht auf einzelne Districte des Jakutsskischen Oblassti , der Gouvernements Jenisseisſk, Tomsk und Tobolsk, und schließlich eben so wenig auf die bis dahin gänzlich von der Rekrutenpflicht befreit gewesenen Völkerstämme des nördlichen Kaukasus , des Gouvernements Astrachan, des Turgai- und Ural - Gebietes und aller Gouvernements und Gebiete West- und Ost- Sibiriens . Für alle hier lebenden Russischen Unterthanen werden je nach den territorialen Verhältnissen besondere Anordnungen über die Ableistung der Wehrpflicht erlassen werden, so fern dies nicht schon - wie für die Baschkiren - geschehen ist. Die Rußnaken , welche 1854 nach Rußland gekommen sind , fremde Colo nisten, Mennoniten und die Bürger einzelner Städte sind unter gewiſſen Bedin gungen von der Militairpflicht entweder ganz oder theilweise auf eine bestimmte Reihe von Jahren befreit. Ebenso sollen von den Familien der im letzten Polnischen Aufſtande für den Thron Gefallenen je drei Glieder und zwar zunächſt der Sohn der Verstorbenen, dann aber auch deren leibliche Enkel nicht zur Ab= leistung der Wehrpflicht herangezogen werden. Das Gesetz über die Wehrpflicht baut ſich auf dem einen Saße auf: „ Die Vertheidigung des Thrones und des Vaterlandes ist heilige Pflicht eines jeden Russischen Unterthanen. Die männliche Bevölkerung ohne Unterschied der Stände ist wehrpflichtig. Loskauf von der Wehrpflicht durch Geldzahlung und Ersat " durch einen Freiwilligen sind nicht zulässig. Da nun aber, wie aus dem früheren Completirungsmodus der Armee her vorgeht, wohl anzunehmen war, daß sich noch eine Menge Rekruten-Anrechnungs Quittungen in den Händen Wehrpflichtiger befinden würden , bedurfte es hier einer Uebergangsmaßregel , um nicht die Besitzer in ihren Rechten zu schädigen und doch einem die Durchführung des Gesetzes problematisch machenden Miß brauche zu steuern. Es wurde somit bestimmt , daß die bezüglichen Quittungen bis zum 1. October 1874, sollen sie nicht ihre Gültigkeit verlieren, den Behörden verzuzeigen und auf den Namen einer bestimmten Person zu schreiben sind, während dann ein Besizwechsel nur innerhalb der engsten Familien gestattet ist. Will der nunmehrige Inhaber von dem ihm durch die Quittung nach wie vor gewährten Rechte der Befreiung von der Wehrpflicht keinen Gebrauch machen, so kann er sie an die Krone gegen 485 Rubel zurückgeben. Eintheilung der bewaffneten Macht. Die bewaffnete Macht besteht ― aus den stehenden Truppen und der Reichswehr (Opoltſchenie). Die stehenden Truppen zerfallen in die Land- und Seemacht. (Von letzterer wird hier ganz abstrahirt). - Die stehende Landmacht gliedert sich in die Armee, welche durch jährliche Aushebungen aus dem ganzen Reiche ergänzt wird ; in die Reserve (japaß) der Armee, welche zur Completirung der Truppen bis auf den Kriegs etat dient und sich aus Urlaubern zusammensetzt ; in die Kajaken-Truppen und in die Truppentheile, welche aus den Fremdvölkern formirt werden. Ergänzung der Armee. Die Zahl der Mannschaften , welche jährlich zur Ergänzung der Armee nothwendig sind, wird alljährlich im Wege der Geſetz gebung bestimmt. Die Loosung entscheidet den Eintritt in die Armee. Per jonen, welche einen gewissen Grad der Bildung nachweisen , brauchen nicht an einer solchen Theil zu nehmen und können als Freiwillige ihrer Wehrpflicht genügen. - Wer die bürgerlichen Ehrenrechte verloren hat, ist unwürdig in der Armee zu dienen. Die Aushebungen finden im Europäischen Rußland in der 25 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Zeit vom 1. November bis 15. December , in Sibirien aber vom 15. October bis 31. December statt. Im dienstpflichtigen Alter befinden sich diejenigen jungen Leute, welche bis zum 1. Januar desjenigen Jahres , in welchem die Aushebung stattfindet, bereits das 20. Lebensjahr zurückgelegt haben. Die Dienstzeit. Die Gesammtdienstzeit der Leute des Dienſtſtandes bei den Truppen , welche nicht im Turkestaniſchen Militair - Bezirke und nicht im Semipalatinssker , Transbaikalischen , Jakutskiſchen , Amur- und dem Küsten Gebiete dislocirt sind, beträgt 15 Jahre, und zwar 6 Jahre activ und 9 Jahre in der Reserve. Der Kriegsminister hat aber das Recht , noch vor Ablauf der 6jährigen activen Dienstzeit Beurlaubungen eintreten zu lassen. Ebenso find auch Beurlaubungen bis zur Dauer eines Jahres während der ganzen Dienst zeit statthaft. Die Leute des Dienſtſtandes , welche bei den in den oben genannten Districten stehenden Truppen eingereiht sind , haben eine Gesammt Dienstzeit von nur 10 Jahren zu absolviren , indem sie 7 Jahre zur activen Armee und 3 Jahre zur Reserve gehören. Die Reserven können nur durch einen Allerhöchsten Befehl an den dirigiren den Senat zum Dienst wieder einberufen werden. Zu den 6wöchentlichen Uebungen indeß, welche für jeden Reservisten zweimal stattfinden , ist dieser Einberufungs modus nicht nothwendig. Die zum Kriegsdienst tauglichen Leute, welche sich freigelooft, und diejenigen, welche ihre Gesammt - Dienſtzeit bereits absolvirt haben, zählen als Wehrleute (Ratniki) bis zum 40. Jahre zur Reichswehr. Die Letztere zerfällt in zwei Kategorien: zu der 1. gehören die vier jüngsten Jahrgänge ; sie ist sowohl zur Formirung der Reichswehr- Abtheilung, wie auch zur Verstärkung und Ergänzung der stehenden Truppen , wenn die Reserve nicht ausreicht , bestimmt. Die 2. Kategorie umfaßt alle übrigen Jahrgänge und wird lediglich zur Formirung von Reichswehr- Abtheilungen verwandt. Während die 1. Kategorie der Reichs wehr schon durch einen Allerhöchsten Befehl an den dirigirenden Senat einbe ordert werden kann, muß zu gleichem Zwecke für die 2. Kategorie ein Allerhöchstes Manifest erlassen werden , was selbstredend nur unter außerordentlichen Verhält niſſen, die die Anspannung aller Kräfte nothwendig machen, geschehen wird. Wenn auch, wie oben hervorgehoben, das neue Wehrgesetz auf dem Principe der allgemeinen Wehrpflicht beruht, so ist doch eine stricte Durchführung des selben - abgesehen von allen anderen Gründen - bei einer Friedensstärke des Heeres von circa 780,000 Mann ein Ding der Unmöglichkeit. Bringt man selbst nur eine vierjährige Dienstzeit , unter Berücksichtigung der vom Kriegs ministerium etwa decretirten früheren Beurlaubung in Rechnung , so können immer nur jährlich 200,000 Rekruten eingestellt werden, während doch das jährliche Contingent an 21Jährigen in Rußland zwiſchen 650,000 und 680,000 schwankt. Es werden somit Befreiungen und Erleichterungen zur Nothwendigkeit. Befreiungen von der Ableistung der Dienstpflicht und Erleichterungen bei derselben finden, abgesehen von den schon angeführten Völkerſchaften 2c., auf welche das Gesetz sich nicht erstreckt, in folgenden Verhältnissen ihre Begründung : 1. Körperliche Untauglichkeit befreit von der Militairpflicht, sofern sie nicht absichtlich herbeigeführt ist. Ist letzteres der Fall, so tritt unter allen Umständen die Einstellung ein. Das Mindermaß für die Annahme Ausgelooster ist auf 2 Arschin 212 Werschok (4,38 Fuß) normirt. Körperlich noch nicht genug entwickelte, oder momentan kranke Leute, können auf 1 Jahr , und zwar zwei

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Mal hintereinander, zurückgestellt werden, wird es zum 3. Male nothwendig, so tritt Dienstbefreiung ein. 2. In Rücksicht auf Familienverhältnisse sind 3 Kategorien von Vergünſti gungen festgestellt: Zur 1. Kategorie gehört der einzige arbeitsfähige Sohn der einzige eines arbeitsunfähigen Vaters oder einer verwittweten Mutter, arbeitsfähige Bruder von vater- und mutterlosen Waisen, — der einzige arbeits fähige Enkel eines Großvaters oder einer Großmutter, die keinen arbeitsfähigen Sohn haben, und überhaupt der einzige Sohn einer Familie, auch wenn der Vater arbeitsfähig ist ; zur 2. Kategorie: der einzige arbeitsfähige Sohn eines ebenfalls arbeitsfähigen Vaters , selbst bei vorhandenen Söhnen, die noch nicht 18 Jahre alt sind ; zur 3. Kategorie : junge Leute , die ihrem Alter nach un mittelbar auf Brüder folgen, welche als einberufen im activen Dienst stehen oder hier gestorben sind. -- Alle 3 Kategorien sind vom Dienst befreit, sofern genug Gestellungspflichtige vorhanden, welche körperlich tauglich sind und Ansprüche auf Befreiung haben. Ist das nicht der Fall , so wird zuerſt auf die 3., dann auf die 2. und schließlich auf die 1. Kategorie zurückgegriffen. Als arbeitsfähig gelten alle im Alter von 18-55 Jahren stehenden Leute , so fern sie nicht verstümmelt oder andauernd krank ſind , nicht zu den Verschickten gehören, oder 3 Jahre verschollen sind oder bei den Landtruppen oder in der Flotte im activen Dienste stehen. Die Eristenz der Familie ist somit vollständig gesichert , da immer wenigstens eine arbeitsfähige Kraft vorhanden sein wird. Sollte aber dennoch eine Familie irgendwie ihre Stütze verlieren, so kann nach Wahl des ältesten Familiengliedes ein Angehöriger , welcher im Dienste steht, beurlaubt werden, nur nicht während eines Krieges oder zur Zeit der Uebungen . Ja im Intereſſe der Familie ist selbst noch in gewiſſer Beziehung eine Stellver tretung zulässig , indem ein Bruder oder Vetter für den andern eintreten oder denselben sogar aus dem Dienste ablösen kann , sofern er nicht unter 20 und nicht über 26 Jahr alt ist , selbst nicht zu dienen braucht und sich nicht im Reserveverhältniß befindet. — Kategorie 1. und 2. geht aber der Dienstbefreiung rerlustig , wenn anerkanntermaßen eine Unterstützung der Familie durch die betreffenden Personen nicht stattfindet. Angenommene Kinder müſſen vor dem 10. Jahre adeptirt sein, sollen sie als Söhne gelten. 3. Zur Regelung von Vermögensverhältnissen können die militairpflichtigen Besitzer von liegenden Gütern, Fabrik- und Handels -Etablissements, den Schank handel en detail ausgenommen , welche persönlich ihre Angelegenheiten leiten, zwei Jahre Ausstand erhalten. Als Uebergangsmaßregel ist in dieser Beziehung ferner festgesetzt, daß Personen, welche zu Familien gehören, die auf einen Gilde oder Gewerbeschein eine Fabrik, einen Handel (den Detailhandel mit Spirituosen ausgenommen) oder ein Gewerbe betreiben , während der ersten 5 Aushebungen die Ableistung ihrer Dienstpflicht auf 4 Jahre hinausschieben können, sofern sie nicht Brüder haben, die über 16 Jahre alt sind . 4. Auf Grund des Berufes oder der Beschäftigungsart werden von der Behrpflicht gänzlich befreit: die Geistlichen aller christlichen Confeffionen ; — die griechisch- orthodoren Psalmenfänger, welche den Cursus in den geistlichen Akademien oder Seminaren oder in geistlichen Schulen beendet haben. Die Angehörigen folgender Berufsklassen werden, haben sie sich festgelooft, im Frieden zwar auch vom activen Dienste befreit , zählen aber 15 Jahre zur Reserve: die Aerzte , Pharmaceuten und Veterinaire 2c. (die auf Staatskosten die Pensionaire ausgebildeten dienen dagegen die dafür bedingte Zeit ab) ; — der Kaiserlichen Akademien der Künste , welche auf Kosten der Krone zur Ver 25*

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vollständigung ihrer künstlerischen Ausbildung ins Ausland geschickt worden; das gesammte Lehrerperſonal der Krons - Lehranſtalten sowie ſpeciell bezeichneter Schulen 2c. Dieſe Personen müſſen jedoch während der 6 Jahre, die sie eigent lich zu dienen verpflichtet wären, amtlich nachweisen, daß sie ihrem Berufe noch obliegen, andern Falls werden sie zur activen Dienstpflicht ihrem Bildungsgrade gemäß herangezogen. 5. Ein gewisser Bildungsgrad giebt schließlich folgende Vortheile bei der Erfüllung der Wehrpflicht. Die Zöglinge bestimmter Lehranstalten werden zwar, wenn sie in das wehrpflichtige Alter treten , gleich allen Uebrigen eingezogen, können aber zur Vollendung ihrer Ausbildung ihren Eintritt nach gezogenem Loose, wenn sie sich dazu melden, hinausschieben und zwar bis zum 22. Jahre: die Schüler der mittleren Lehranstalten , die Zöglinge gewisser Kunstakademien resp . Conservatorien , der Lehrinstitute , Seminarien und Lehrerschulen; — bis zum 24. Jahre: die Zöglinge der geistlichen Seminare und der Navigations schulen; bis zum 25. Jahre: die Zöglinge gewisser Kunſtanſtalten unter speciell festgesetzten Bedingungen ; - bis zum 27. Jahre : die Studirenden der höheren Lehranstalten; die Personen, welche nach Beendigung des Univerſitätscurſus zur Vorbereitung für ein Lehramt erwählt worden, und die Studirenden der Musik unter gewissen Bedingungen ; bis zum 28. Jahre endlich: die Zöglinge der geistlichen Akademien ; die Personen , welche nach Beendigung des Universitäts cursus zur Vorbereitung für eine Professur erwählt worden , und unter gewiſſen Bedingungen die Zöglinge der Kaiserlichen Akademien der Künſte. Allen Personen, welche die eben genannten Anstalten besuchen, steht es frei, entweder 2 Monate vor ihrer Einberufung zu erklären, daß sie nach Beendigung ihrer Studien als Freiwillige eintreten , oder nach Erreichung des 21. Lebens jahres an der Loojung Theil nehmen wollen. Abgesehen von dem Rechte , den Diensteintritt hinauszuschieben , werden aber sowohl diesen Perſonen wie über haupt allen, die einen gewissen Bildungsgrad nachweisen , auch noch Vergünſti gungen zu Theil , die in der Abkürzung der Dienstzeit bestehen. Um wieviel die Dauer der Dienstzeit verringert wird , richtet sich zunächst nach dem nad gewiesenen Bildungsgrade, und ferner danach, ob der Betreffende ohne die Rechte eines Freiwilligen oder mit den Rechten eines solchen eintritt. Für die Wehr pflichtigen, welche nicht als Freiwillige eintreten und somit an der Loojung Theil nehmen , ist die Dienstzeit auf 6 Monat bei den activen Truppen , und auf 14 Jahre 6 Monate in der Reserve festgesetzt, wenn sie den Curſus einer Uni versität oder einer anderen höheren Lehranstalt absolvirt oder ein dem entsprechen des Examen bestanden haben; auf 1 Jahr und 6 Monate activ und 13 Jahre und 6 Monat in der Reserve, wenn die Betreffenden den Cursus von 6 Klaſſen der Gymnasien oder der Realschulen oder der Lehranstalten 2. Kategorie durch gemacht oder die bezüglichen Kenntnisse in einem Examen nachgewiesen haben; auf 3 Jahre activ und 12 Jahre in der Reserve, wenn sie den Curjus der Lehranstalten 3. Kategorie beendet oder das bezügliche Eramen gemacht haben; endlich auf 4 Jahre activ und 11 Jahre in der Reserve , resp. auf 6 Jahre activ und 4 Jahre in der Reserve bei den Truppen in Turkestan 2c., wenn die Dienstpflichtigen ein Zeugniß über die Kenntnisse beibringen , welche in einer Elementar - Volksschule oder in einer Lehranstalt 4. Kategorie erworben werden. Treten die Dienstpflichtigen aber als Freiwillige ein, so beträgt die active Dienſt zeit für die 1. Kategorie nur 3 Monate , für die 2. Kategorie nur 6 Monate und für die 3. Kategorie nur 2 Jahre, und die Dienstzeit in der Reserve für alle 3 Kategorien 9 Jahre.

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Das Recht, als Freiwillige der Dienstpflicht zu genügen, haben die Personen, welche mindestens 17 Jahre alt, körperlich brauchbar sind, je nach den 3 Kate gorien ihre wiſſenſchaftliche Qualification und schließlich die Genehmigung der Eltern resp. Vormünder zum freiwilligen Eintritt nachweisen können. — Den Freiwilligen steht im Allgemeinen die Wahl des Truppentheils frei. Die bei der Garde und der Cavallerie Eintretenden müssen sich selbst erhalten ; den übrigen kann es gestattet werden, und steht ihnen dann das Recht zu, in Privat quartieren zu wohnen. Den Freiwilligen, denen als Abzeichen eine weiß -orange schwarze Schnur um die Achselklappen verliehen ist , treten als Gemeine ein, und werden nach bestandener Prüfung nach 2, resp . 4, resp. 12 Monaten , je nachdem sie zur 1. , 2. oder 3. Kategorie gehören, zu Unteroffizieren - nach 3, reſp. 6, resp. 36 Monaten je nach den Kategorien zu Offizieren befördert. Zu letterer Beförderung ist aber noch erforderlich , daß die Betreffenden eine volle Lagerübung mitgemacht haben. — Bildung der Einberufungs - Bezirke. Ein Kreis oder ein Theil eines Kreises bildet einen Einberufungs-Bezirk, indem ein solcher 8000-20,000 männ liche Seelen umfassen soll. Aus Städten mit mindestens 5000 männlichen Seelen können, mit mindestens 10,000 männlichen Seelen müssen besondere Bezirke gebildet werden. In jedem Einberufungs- Bezirke wird ein Ort, der von den entlegensten Wohnstellen nicht über 50 Werst abliegen darf, zur Ein berufung und zur Annahme der wehrpflichtigen Perſonen beſtimmt. Von den Institutionen für die Ableistung der Wehrpflicht . In jedem Gouvernement oder Gebiete besteht eine " Gouvernements- oder Gebiets Commission in Sachen der Wehrpflicht" unter dem Vorsitze des Gouverneurs eder Gebietschefs aus dem Gouvernements - Adelsmarschall, dem Präsidenten des Gouvernements =- Landschaftsamtes , einem Mitgliede dieses Amtes nach dessen Wahl, dem Gouvernements - Truppenchef oder deſſen Stellvertreter und dem Pro curator des Bezirkgerichts oder deſſen Collegen. In jedem Kreise oder Districte besteht eine „ Kreis- oder Bezirks - Commission in Sachen der Wehrpflicht" unter dem Vorsitze des Kreis -Adelsmarschalls , aus einem Offizier (Kreis - Truppenchef), dem Kreis- Jsprawnik oder einer diesem Amte entsprechenden Person und einem Mitgliede des Landschaftsamtes nach dessen Wahl. Während der Thätigkeit dieser Commission tritt noch ein städti sches Mitglied resp. ein von der Kreis-Landſchaftsversammlung auf 3 Jahre zu wählender Einwohner des Bezirks hinzu . Die vorstehende Zusammensetzung beider Commissionen ist als die normale anzusehen, läßt aber je nach den localen Verwaltungsverhältnissen größere oder geringere Abweichungen zu. Während der Gouvernements - Commiſſion die Con trole zufällt , ist die Kreis = Commission die ausführende Behörde. Zu beiden Commiſſionen treten für die Zeit ihrer Thätigkeit noch je ein Militair- und ein Civilarzt, und zu der Kreis- Commiſſion noch ein Offizier als Rekrutenempfänger. Die Repartition der jährlichen Ersatzquote erfolgt durch das Kriegs ministerium auf die Gouvernements und Gebiete, nach Maßgabe der Zahl der in jedem derselben vorhandenen Militairpflichtigen . Die Subrepartition auf die Einberufungs-Bezirke jedes Gouvernements und Gebiets stellen die Gouverne ments- und Gebiets - Commiſſionen auf. Die Aushebung selbst erfolgt , wie schon erwähnt , durch die Kreis Commissionen, welche die Einberufung der Dienstpflichtigen, die Loosung, körper liche Untersuchung ins Werk zu setzen haben. Die zum Militair- Dienst tauglich befundenen und die in die Zahl der vom Bezirk geforderten Mannſchaft tretenden

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Personen werden als in den Dienst angenommen betrachtet und sogleich in das Annahmeregister eingetragen. Nach Beendigung der Annahme der Mannſchaften zum Dienst in der ſtehenden Armee zählt die Kreis- oder Diſtricts-Commiſſion nach der Loosungs - Liste alle übrigen Personen , die zur Erfüllung der Wehr pflicht einberufen waren , der Reichswehr zu. Die Thätigkeit der Kreis-Com miſſion wird hinsichtlich der Einberufung und Annahme in den Bezirken, mit Verlesung des Verzeichnisses der zum Dienst bei den stehenden Truppen Ange nommenen und der Vereidigung derselben geschlossen. Die Neuausgehobenen können zeitweilig in die Heimath beurlaubt werden und wird ihnen der Wieder gestellungs-Termin und Ort bekannt gemacht, um dann zu den Truppen abzu gehen. Nach dem Prikaſe vom 19. März 1874 werden auch noch außer den Mannschaften des Dienststandes und den Freiwilligen solche Leute zum Dienst bei den Truppen angenommen , welche sich aus Neigung (po odjótiä) zum Eintritt melden. Sie heißen Ochotniki" und entsprechen in gewiſſer Weise der Institution der Dreijährig -Freiwilligen der Deutschen Armee. Nur überhaupt zum Militair-Dienste nicht verpflichtete Leute, welche höchstens 30 (im Kriege 40) Jahre alt, und sonst in allen Beziehungen zu Soldaten taugen , können als Ochotniki eintreten. Im Frieden gehen sie mit ihrem Dienst-Eintritt die Verpflichtung ein , eben so lange , wie die Leute des Dienſtſtandes , im activen Dienst und in der Reserve zu verbleiben. Im Kriege dagegen müſſen ſie während der ganzen Dauer activ sein , werden dafür aber nur auf eigenen Wunsch später der Reserve zugezählt. Die Ochotniki können bei allen Truppen theilen, Militair-Verwaltungen und Anstalten als Gemeine , sowohl als Gem battanten, wie auch als Nichtcombattanten, eintreten und werden wie die Leute des Dienſtſtandes verpflegt und bekleidet. Auch steht ihnen das Recht zu , je nach dem von ihnen event. dargethanen Bildungsgrade die damit verbundenen Vortheile zu genießen. Der Dienſt der Ochotniki , die Beförderung zu Unter offizieren und Offizieren ist in derselben Weise wie für die Mannschaften des Dienststandes geregelt. Die schon oben erwähnte specielle Vorschrift über die Ableistung des Dienstes durch die Baschkiren ist unter dem 6. Juli 1874 bestätigt und auf ein Jahr probeweiſe eingeführt. Danach steht den Baschkiren des Orenburger Gouvernements , welche zu dem aufgelösten Baschkiren-Kaſaken-Woissko gehörten, das Recht zu, bei der eigends für sie in Orenburg errichteten Baschkiren-Escadron ihrer Dienstverpflichtung zu genügen , wenn sie sich selbst die Pferde und deren volle Ausrüstung stellen. Thun sie das nicht, oder erweisen sich die gestellten Pferde mit Ausrüstung als nicht tauglich, werden sie nach den allgemein gültigen Bestimmungen auf die regulairen Truppen vertheilt. Was die Completirung der einzelnen Truppentheile : der Garde, Cavallerie, Specialtruppen und Grenadiere, sowie die Auswahl der Rekruten für dieselben betrifft, so erging schon unter dem 26. December 1873 eine bezüg liche Vorschrift, welche bereits für die letzte nach alten Principien im Frühjahr 1874 stattgehabte Rekrutirung Platz gegriffen hat. Nach dieſem Befehle ſollen zur Garde die Mannschaften der Armee versetzt werden, welche sich durch Tapfer keit und gute Führung ausgezeichnet haben und den physischen Anforderungen, welche an die zur Completirung der Garde bestimmten Leute gemacht werden, entsprechen. Die Garde completirt sich ferner aus denselben Rayons , welche für die Armee-Truppen bestimmt sind , durch die kräftigsten, schönsten und mindeſtens 2 Arſchin und 6 Werschok (4,53 Fuß) großen Leute. Für die Armee-Cavallerie werden 2 Arschin 5 Werschok (4,49 Fuß) große, zum Reiten geschickte Leute ausgesucht. Die Feld- und Festungs-Artillerie und die

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Artillerie-Parks sollen Leute erhalten , welche bei einer Größe von mindeſtens 2 Arschin 5 Werschok (4,49 Fuß) kräftig und gewandt sind, - wenn möglich - Die Sappeur - leſen und schreiben können und ein Handwerk verstehen. Truppen erhalten 2 Arschin 3-5 Werschok große Leute, die möglichst lesen und schreiben können und Zimmerleute oder Schmiede sind. Eben so groß , kräftig und gewandt sollen die für die Schüßen-Abtheilungen bestimmten Rekruten sein, welche außerdem noch gute Augen haben müssen. Für die Grenadier- Divisionen nachdem der Bedarf für die Garde, sollen die Leute genommen werden, welche Cavallerie und Artillerie gedeckt ist , bei einer Minimalgröße von 2 Arschin 5 Werschot (4,49 Fuß) ein ansehnliches Aeußere haben. abweichend von dem früheren Die Ausbildung der Rekruten erfolgt ― Verfahren - bei den Truppentheilen selbst, für welche sie bestimmt sind . Hierbei muß noch besonders hervorgehoben werden, daß der Prikas vom 26. Auguſt 1874 bestimmt, daß jedes Infanterie- Regiment - die Garde ausgenommen einen beſtimmten Rayon erhält, woraus es sich sowohl mit Rekruten , wie auch - was hier vorgreifend bemerkt werden mag mit Reserven ergänzt. Polen, die Ostseeprovinzen und Finnland geben aber keine vollen Ergänzungs-Bezirke für bestimmte Truppentheile, sondern die hier ausgehobenen Rekruten und event. die Reserven werden auf die ganze Armee vertheilt, so daß jeder Truppentheil etwa 80 pCt. National-Ruſſen und 20 pCt. Polen, Finnen, Letten, Kurländer, Liefländer, Esthländer als Ergänzungsquote erhält. Es ist dies eine Maßregel, die gegen den früheren Completirungsmodus , wo die Mannschaften aus dem ganzen Reiche , anscheinend ganz ohne Principien , auf die Truppen vertheilt wurden, für alle Verhältnisse schwer wiegende Vortheile in sich birgt. B. Aenderungen in der Organisation der regulairen Truppen. a. Die Feldtruppen mit den Trains und mobilen Colonnen. Die Infanterie - Regimenter sollen laut Befehl vom 1. Auguſt 1874 um 4 Armee-Infanterie-Regimenter vermehrt werden, indem im Kaukasischen Militair Bezirk eine 41. Jnfanterie- Division neu formirt wird. In Folge deſſen werden nach Vollziehung dieser Ordre 12 Garde-, 16 Grenadier-, 164 Armee-Infanterie Regimenter vorhanden sein. Derselbe Befehl ordnet an, daß alle im Kaukasischen Militair-Bezirk dislocirten Infanterie-Regimenter, nämlich die der Kaukasischen Grenadier , der 19., 20. , 21., 38., 39. und 41. Jnfanterie-Division , sich auf je 4 Bataillone à 4 Compagnien zu setzen haben. Zur Formation der 4 Regimenter der 41. Division sollen im Allgemeinen die bereits bestehenden 4. Bataillone der Kaukasischen Grenadier-, 19., 20. und 21. Infanterie- Division verwandt, während die per Regiment überzählig werdenden 5 Compagnien dieser Divisionen zu den 4. Bataillonen neu vereinigt werden. Zu den neu zu formirenden 4. Bataillonen der Regimenter der 38. und 39. Infanterie Division werden 6 Linien- , ein Gouvernements- und ein Festungs-Bataillon verwandt. Für sämmtliche Infanterie-Regimenter der Armee ist durch den Befehl vom 6. Januar 1874 angeordnet, daß sie sich per Zug auf 24 Rotten, also auf den gewöhnlichen Friedensetat, sezen sollen. Nach einem Circulair des Hauptstabes vom 16. März 1874 ist ferner angeordnet, daß die Regimenter, welche bisher auf Cadre-Etat standen, per Compagnie 8, diejenigen, welche schon den gewöhn lichen Friedensetat hatten, per Compagnie 10 Unteroffiziere behalten sollen und die Manſchaften ohne Waffen über den Etat zu führen sind. Es scheinen dieſe Anordnungen jedoch nur provisoriſche bis zur Feſtſeßung neuer Etats zu ſein,

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und hauptsächlich nur zur Berechnung der Manquements und der überzähligen Mannschaften bis zur Ausgleichung der Jahrgänge in den Compagnien dienen zu sollen. Eine genaue Stärkeangabe der Infanterie- Regimenter möchte sich somit jetzt bis auf Weiteres nicht aufstellen lassen. Die bei den Regimentern der Kaukasischen Grenadier-, 19. , 20. und 21 . Infanterie- Division bis dahin beſtehenden Invaliden- Compagnien ſind aufgelöſt. Die Schüßen - Bataillone wurden durch den Befehl vom 31. Auguſt 1870 durch 2 neu formirte Bataillone auf 32 vermehrt, schieden aus den Infanterie Divisionen aus und wurden in 8 selbstständige Schützen-Brigaden à 4 Bataillone eingetheilt. Somit bestehen jetzt eine Garde-, eine 1. - 5., eine Kaukaſiſche und eine Turkestanische Schützen-Brigade. Nach dem Befehle vom 6. Januar resp. 1. Auguſt 1874 stehen sämmtliche Schützen-Bataillone auf gewöhnlichem Frie densetat , und sind die bei den Kaukasischen Schützen-Bataillonen bis dabin bestehenden 1/4 Invaliden- Compagnien aufgelöſt. Standen bis jetzt die 4 Regimenter einer Division direct unter dem Divisions -Commandeur, so ist durch den Prikas vom 30. August 1873 die Brigade als Zwiſchen-Behörde eingeführt, so daß jede Division in eine 1. , die beiden ältesten Regimenter umfassend , und in eine 2. Brigade mit den beiden jüngsten Regimentern zerfällt. Die Cavallerie ist -- in Folge des Prikajes vom 12. Juni reip. 16. Juli 1874 - um eine Krym- und eine Baſchkiren - Escadron vermehrt. Erstere soll die nach dem neuen Wehrgesetz zum Dienst heranzuziehenden Tataren der Krym einstellen , und ist im Odessaer Militair-Bezirk dislocirt. Lettere completirt sich -―― wie schon erwähnt - aus den Baschkiren , welche eigene Pferde mit eigener Ausrüstung mitbringen. Sie steht in Orenburg. Beide Formationen sind ins Leben gerufen , um beiden dem Militair- Dienſte sehr abgeneigten Völkerschaften ihre Dienstpflicht zu erleichtern. Auch bei der Cavallerie ist unter dem 30. Auguſt 1873 resp . 1. Auguſt 1874 die Eintheilung der Divisionen in Brigaden befohlen. Alle Cavallerie Diviſionen zerfallen in 2, nur die 2. Garde-Cavallerie-Diviſion in 3 Brigaden. Während jede Brigade einer Armee- Cavallerie- Division aus 1 Dragoner , 1 Ulanen , 1 Husaren- und wo vorhanden aus 1 Kajaken-Regiment besteht, und jede Brigade der 1. Garde-Cavallerie und der Kaukasischen Dragoner- Division 2 Garde- Cürassier- resp. 2 Dragoner-Regimenter umfaßt, beſteht die 1. Brigade der 2. Garde-Cavallerie- Diviſion aus dem Leib- Garde-Reitenden-Grenadier- und dem Leib- Garde-Ulanen-Regimente ; die 2. aus den Leib- Garde- Dragoner-, dem Leib-Garde-Hujaren- Seiner Majestät und dem Leib- Garde- Combirten-Kajaken Regimente , und die 3. aus dem Leib- Garde-Ulanen Sr. Majestät und dem Leib- Garde- Grodnoſchen Husaren-Regimente. Die Artillerie hat seit dem Jahre 1869 mannigfache Umformungen, dabei aber eine wesentliche Vermehrung erfahren. So wurde unter dem 8. Auguſt 1870 die Umformung der beiden reitenden Artillerie-Batterien der Sibirischen Kajaken-Truppen in die 2. Turkestanische Artillerie-Brigade mit 2 vierpfündigen und einer Gebirgs -Batterie befohlen. Nach dem Prikaje vom 10. August 1870 wurden bei allen activen Fuß-Artillerie-Brigaden 4 Batterien, welche 8 Mitrail leusen und Anfangs 8, später 16 Munitions-Karren führten, formirt. Schließlich trat eine ganz neue Organisation der Fuß-Artillerie auf Grund der Befehle vom 22. Januar , 5. August 1873 , 14. April und 22. August 1874 ein. Danach jellen jetzt von den im Europäischen Rußland stationirten Fuß-Artillerie Brigaden 44 aus 3 neunpfündigen (Nr. 1 , 2 , 3) 2 vierpfündigen (Nr. 4 u. 5)

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und 1 Mitrailleuſen- (Nr. 6) Batterien bestehen. 4 Brigaden (die 20. , 21. , 39. und 41. ) haben anstatt der Mitrailleusen-Batterien , Gebirgs -Batterien. Der Cadre-Etat ist durch Befehl vom 10. Auguſt 1870 in Wegfall gekommen . Die Etatsverhältnisse der in Europa stehenden Fuß-Artillerie sind durch Befehl rom 5. Auguſt 1873 resp . 27. August 1874 dahin geregelt, daß 7 Artillerie Brigaden ( 1., 2. Garde, die 3. Garde- und Grenadier-, die 1. Grenadier-, 23. , 38. und 39. ) auf verstärkten , und die übrigen 41 Brigaden auf gewöhn lichen Friedens- Etat stehen. Da sich in den Etats der Batterien nichts geändert hat, so ergiebt die Friedensstärke der Fuß-Artillerie, excl. der in Asien dislocirten, 288 Batterien mit 1320 bespannten Geschützen (die 4- Pfünder sind im Frieden mit 4, im Kriege mit 6 Pferden bespannt) und 876 bespannten Munitions farren. In der Organisation der reitenden Artillerie hat sich nichts geändert. Nur erhielt die Garde - Reitende - Artillerie durch Befehl vom 17. August 1870 den Namen „ Garde-Reitende- Artillerie-Brigade " . Die Friedensstärke der reitenden Artillerie beträgt 18 Batterien mit 144 bespannten Geschützen und 60 be spannten Munitionskarren. Die Kriegsstärke der gesammten Artillerie ergiebt folgende Uebersicht : 48 Fuß- Artillerie-Brigaden mit 288 Batter. , 2304 Geschützen, 5760 Mun. -Karr. 18 " 8 Reit. 144 288 !! "! " " 3 Art.-Brig. u. 1 Batterie, welche in Asien statio 216 104 13 nirt sind ་་ " " " Summa

319 Batter., 2552 Geschützen , 6264 Mun. -Karr.

Bei den Ingenieur- Truppen sind durch den Befehl vom 31. Auguſt 1870 6 Feldtelegraphen- Parks mit je 35 Werst Drahtlänge formirt, welche im Frieden in dienstlicher und ökonomischer Beziehung zu je 2 den Commandeuren der Combinirten, 1. und 3. Sappeur-Brigade unterstellt sind, und in technischer Beziehung von der Haupt- Ingenieur-Verwaltung ressortiren. Im Kriege stehen sie unter dem Inspector der Militair- Communicationen. Der Friedensetat für jeden Park beträgt 4 Offiziere, 36 Mann, 2 Pferde; - der Kriegsetat 4 Offi ziere, 96 Mann, 45 Pferde und 10 Wagen. In Bezug auf den Train sind keine Aenderungen zu regiſtriren , und ist somit das im Vorhergehenden an der bezüglichen Stelle Gesagte auch heute noch zutreffend. Dasselbe gilt von den 2 Feld - Ingenieur- und den 2 Belagerungs Ingenieur- Parks. Wesentliche Aenderungen werden aber die Feld - Artillerie - Parks durch die unter dem 13. Juli 1872 bestätigte Reorganisation erfahren. Demnach werden nämlich : im Europäischen Rußland 41 fliegende, 17 reitende und 41 bewegliche Artillerieparks, im Kaukasus 6 fliegende , 4 reitende und 6 fliegende Artillerieparks, welche lettere die beweglichen ersetzen sollen , formirt . Während die fliegenden Parks zur Ergänzung der Munition der Batterien und überhaupt der Feld truppen während der Schlacht oder doch unmittelbar nach der Schlacht bestimmt find, scheiden die beweglichen Parks aus den Park-Brigaden aus und treten im Frieden mit ihrem ganzen Material (Train , Pferdeausrüstung , Munition und jonstigen Vorräthen) unter die Aufsicht der Chefs der Bezirks- Artillerie - Depots .

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Einen Stamm an Mannschaften im Frieden für die beweglichen Parks zu halten, wird nicht beabsichtigt. Sie entsprechen somit den Reserve- Munitions -Colonnen der Deutschen Armee. Die Artilleriepark - Brigade wird im Kriege aus 4 oder mehr Parks be stehen, je nach der Anzahl der Divisionen eines activen Corps . An Fahrzeugen sind festgesetzt : für den fliegenden Artilleriepark 198 Munitionskarren, 6 Parkfahrzeuge, 3 Feldschmieden, für den reitenden Artilleriepark 40 Munitionskarren, 2 Parkfahrzeuge, 1 Feldschmiede, für den beweglichen Artilleriepark 72 Fahrzeuge für Munition, 2 Park fahrzeuge, 1 Feld- Schmiede und für den fliegenden Park an Stelle eines beweglichen 104 Munitions karren, 2 Fahrzeuge, 1 Feld-Schmiede. Jeder fliegende Artillerie-Park ist im Kriege 649, jeder reitende Artillerie Park 135 Pferde stark. Für die Belagerungs- Artillerie - Parks ist durch Prikas vom 25. Mai 1871 eine neue Organisation angeordnet, wonach die Belagerungs -Artillerie aus 2 Belagerungs-Parks und 1 Halb -Park für den Kaukasus bestehen soll. Jeder Park wird in 3 Hauptabtheilungen , nämlich in den Park zur Cernirung mit 2 Sectionen, den Haupt-Park mit 8 Sectionen und den Reserve-Park mit 2 Sectionen, eingetheilt. Die mobilen Artillerie - Arsenale , die mobile Artillerie - Werk stätte , die provisorischen Büchsenmacher - Werkstätten und die Vordere Artillerie - Reserve sind durch den Befehl vom 15. August 1872 durch im Kriege zu formirende Feld - Artillerie - Reserven , mobile Ar tillerie -Werkstätten und Laboratorien ersetzt. Zu den ersteren, den Feld Artillerie - Reserven im Kriege gehören: 1) die Vordere Feld - Artillerie - Reserve der Armee. Sie soll die in Action befindliche Artillerie mit Pferden, Leuten und Material — Munition ausge nommen - ergänzen und auch den sonstigen Truppen der Armee für schachaft gewordene Waffen 2c. Ersatz leisten. Für jedes Kriegstheater wird nur eine Vordere Artillerie-Reserve etablirt , deren Stärke an Leuten und Pferden , sowie in Betreff der mitzuführenden Handfeuerwaffen, blanken Waffen, Geschüße, Fahr zeuge, Zubehörstücke und Pferdeausrüstung von dem Obercommandirenden bes ſtimmt wird. An der Spitze steht ein specieller Chef direct unter dem Chef des Artillerie-Parks der Armee ; 2) die Munitions - Depots der activen Armee , aus welchen die Feld Artillerie-Parks der Armee ergänzt werden. Auch ihre Stärke und Zahl wird von dem Obercommandirenden der Armee festgesetzt. Alle Munitions-Derots der Armee sind unter speciellen Chefs dem Chef des Artillerie-Parks der Armee unterstellt. 3) die provisorischen Depots an Handfeuerwaffen , welche zur Ergänzung des bezüglichen Abgangs bei denjenigen Truppen bestimmt sind, welche mit der vorderen Artillerie-Reserve nur schwer in directe Verbindung treten können.

D Die vordere Feld -Artillerie-Reserve und die Munitions- Depots , welche sich beim Beginn der Campagne auf der Operationsbasis befinden , heißen Depets der 1. Linie. Entfernt sich die Armee im Laufe der Operationen weiter von ihrer Basis , so können Zwischen - Depots errichtet werden , welche sich dann

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zwischen der Armee und den Depots der 1. Linie befinden. Zur Formirung der letzteren wird das nöthige Material aus den Bezirks -Artillerie-Depots genommen, wo es bereits im Frieden vorräthig gehalten wird. Der Transport des Ma terials aus den Zwischendepots und den Depots der 1. Linie zu den Truppen erfolgt entweder per Eisenbahn oder Dampfschiff, oder mit Transportmitteln der Artillerie oder auf requirirten oder gemietheten Fahrzeugen , oder endlich durch den Intendantur- Transport. Die mobilen Artillerie - Werkstätten sollen Geschütze, Handfeuer- oder blanke Waffen , welche schadhaft geworden sind , wieder in Stand setzen , wenn die Truppen selbst nicht im Stande dazu sind. Die mobilen Laboratorien find zur Anfertigung von Munition, speciell bei der Belagerung von Festungen, bestimmt. Die mobile Artillerie-Werkstatt wird der vorderen Artillerie-Reserve, das mobile Laboratorium dem Munitionsdepot der Armee überwiesen. Beide können aber auch nach dem Ermessen des Obercommandirenden selbstständig auftreten. Im Frieden wird das Material der mobilen Werkstätten und Laboratorien bei den Werkstätten der Bezirks - Artillerie-Depots asservirt , während die Pferde für den Train erst bei der Mobilmachung beschafft werden. Der Transport erfolgt mit eigenen Transportmitteln, wenn nicht mittels der Eisenbahn. In der Organisation der mobilen Sanitätsanstalten und des Inten dantur- Transports haben keine Aenderungen stattgefunden. b. Die Localtruppen mit den Hülfsabtheilungen. Die Localtruppen haben zum Theil durch den Befehl vom 26. August 1874 eine vollständig andere Organiſation erhalten, indem für die Festungs -Infanterie Truppen, die Gouvernements - Bataillone , die Kreis- , Local- , Etappen- und Convoi- Commandos wesentlich andere Principien aufgestellt sind , und die For mirung von bis dahin nicht bestehenden Ersatz- und Reserve-Infanterie-Truppen für den Krieg festgesetzt ist. Bevor jedoch auf dieſe in directem Zuſammenhange mit dem neuen Wehrgesetz stehenden Reformen näher eingegangen wird , möchte noch die Auflösung der Reserve- Truppen, zur Ausbildung der Rekruten bis dahin bestimmt, erwähnt werden müssen , welche die vollständige Reorganiſation der Localtruppen vorbereitet hat. Durch Befehl vom 8. September 1870 wurden zuerst 2 Reserve Schüßen- Bataillone zur Neuformirung zweier activen Schüßen-Bataillone verwandt, während die übrigen 8 in Reserve - Infanterie - Bataillone um geformt wurden. So bestanden seit dem Jahre 1870 80 Reserve - Infanterie Bataillone. Am 24. Juli 1873 erging der Befehl, daß auch diese aufzulösen ſeien, und die Ausbildung der Rekruten bei den Feldtruppen stattzufinden habe. Ebenso find die 4 Reserve- Fuß - Artillerie - Brigaden durch Prikas vom 5. August 1873 resp . am 27. August 1874 als solche aufgelöst und zur Neuformirung von activen Batterien verwandt , welchen letzteren nunmehr auch die Ausbildung der Rekruten zugefallen ist. Jetzt bestehen an Reserve-Truppen nur noch die 56 Reserve - Caval lerie- Escadrons , die 2 Reserve - Reitenden - Artillerie - Brigaden und die 4 Reserve - Sappeur - Bataillone, welchen aber keineswegs mehr die Ausbildung der Neuausgehobenen allein obliegt , da auch die bezüglichen activen Truppentheile Rekruten einstellen. - Die Reserve - Escadrons werden voraus sichtlich als 5. Escadrons den activen Regimentern zugetheilt werden und dann wahrscheinlich dieselbe Rolle übernehmen , wie die 5. Escadrons der Preußischen

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Cavallerie-Regimenter. Die Reserve- Sappeur-Bataillone waren bisher überhaupt schon streng genommen nicht mehr zu den Reserve-Truppen zu rechnen , da sie nur im Kriege für die Ausbildung von Rekruten zu sorgen hatten. Die beiden reitenden Reserve - Artillerie - Brigaden werden wohl bei einer zu erwartenden Reorganisation der reitenden Artillerie Verwendung finden. Im Princip find also die Reserve-Truppen dieser Art als aus der Armee ausgeschieden zu betrachten. Die jüngst befehlene Umformung der Localtruppen verwirklicht einen Theil des Reorganisationsprojects , das in der oben erwähnten Denkschrift des Kriegsministers die erste Grundlage fand. Im Falle eines Krieges die Feid= truppen ganz disponibel zu haben , sie womöglich noch durch Neuformationen von Reserven zu verstärken und vor Allem eine ſchnelle, gesicherte Mobilmachung zu ermöglichen , das möchten die Hauptzwecke dieser Reform sein. Da aber ihre endgültige Durchführung wesentlich von der Dislocation der Feldtruppen abhängt und diese in Rücksicht auf die Communicationsverhältnisse des Reiches zu ändern beabsichtigt wird , so trägt diese Verordnung noch den Charakter eines Provisoriums. Der Zweck der Localtruppen besteht darin , daß sie auch in Zu kunft den Dienst im Innern des Reiches thun, dann aber auch die Mittel zur Formirung der Ersatz- und Reserve-Bataillone im Kriege verstärken. Demgemas werden in Zukunft folgende Localtruppen beſtehen: 1 ) Local ( Cadre- ) Bataillone à 4 Compagnien und 400 Gemeinen, welche im Kriege zu Local-Regimentern à 4 Bataillone werden . Sie erhalten ihre Garnisonen in den Städten Petersburg, Wilna, Niga, Warschau, Treffa, Moskau und nach einiger Zeit auch in Kiew und Kajan. Da gleichzeitig hier auch Feldtruppen dislocirt sind , so brauchen die Localtruppen hier im Frieden weniger stark zu sein. Im Kriege dagegen vervierfacht ſich die Anzahl der Compagnien , da ihnen dann der gesammte Localdienst nach dem Ausrücken der Feld-Regimenter allein obliegt. 2) Local- Bataillone mit vollem Etat von 1000 , 900 , 800, 700 und 600 Gemeinen in 4 Compagnien formirt, und in einer Stärke ren 500 und 400. Gemeinen zu 2 Compagnien werden nach Archangelsk, Petrejawediit, Wologda, Wjatka, Perm, Sſimbirſſk, Sjamara, Aſtrachan, Ufa, Orenburg, und provisorisch nach Kiew, Kajan und Sjaratow dislocirt. Da hierdie previs jorischen Garnisonen ausgenommen auch im Frieden keine Feldtruppen stehen, so muß die Stärke der Bataillone gleich so bemeſſen ſein , daß sie allein den Localdienst versehen können. 3) Local ( Cadre- ) Commandos , welche im Kriege zu Local Bataillonen werden , zu 250 Gemeinen in Ljublin , Sfiädlez , Charkow und demnächst in Ssaratow ; zu 100 Gemeinen in denjenigen Gouvernementsſtädten, in denen im Kriege ein Bataillon zu 4 Compagnien in der Stärke von 600 bis 800 Gemeinen zum Localdienst erforderlich ist; zu 64 Gemeinen in allen übrigen Gouvernementsstädten , in welchen zu gleichem Zwecke Bataillone , 400 bis 500 Mann stark, in 2 Compagnien formirt , ausreichen. Die Motive für die Formirung der Local-Cadre- Commandos ſind dieselben , wie die für die Er richtung von Local-Cadre-Bataillonen. 4) Local- Commandos mit einem permanenten Etat , die, je nach den Erfordernissen des Localdienstes , von ungleicher Stärke sind und den Local Bataillonen mit vollem Etat entsprechen , in den Kreis- und anderen Städten, in denen jetzt Kreis- , Local- und Etappen- Commandos stehen. Zu denselben gehören noch 7 Commandos, welche, 250 Mann stark, im Warschauer Militaire bezirke in Suwalki, Lomja, Plozk, Kaliſch, Petrokow, Kiälez und Radom gar

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nijoniren werden. Hier Local - Cadre - Commandos zu formiren , und in Folge deſſen Depots von Waffen und Bekleidungen für die Completirungsmannſchaften etabliren zu müssen , würde wegen der Nähe der Grenze nicht zweckmäßig sein. Diese Local-Commandos, welche die Stärke einer Kriegs -Compagnie haben, sollen bei einer Mobilmachung den Festungs- oder den Feldtruppen zugewiesen werden. 5) Die Begleit - Commandos , zum Transport von Arrestanten bestimmt, werden an die Eisenbahnen , Wasserstraßen und die Haupttracte für die Ver schickten dislocirt und behalten ihre jezige Organisation. Die Completirung der Localtruppen erfolgt nach denselben Principien wie die der Feldtruppen durch Rekruten ; durch Einziehung von Reservisten resp . durch Wehrleute der Reichswehr 1. Kategorie werden sie auf die Kriegsstärke gebracht. Waren die Infanterie - Festungstruppen , welche in letzter Zeit 25 Ba taillone (und zwar 6 selbstständige Bataillone, 1 Regiment à 4, 3 Regimenter à 3, 3 Regimenter à 2 Bataillone) zählten, bis dahin bloß zum Besatzungsdienst beſtimmt , ſo ſollen sie nach der Verordnung über die Reorganisation der Local truppen jest ev. auch mit im Felde verwandt werden. Im Frieden bestehen dieselben aus selbstständigen Cadre - Festungs - Infanterie - Bataillonen à 4 Compagnien. Ihre Normalstärke beträgt 24 Rotten per Zug oder 400 Gemeine per Bataillon incl. der Mannschaften ohne Waffen. Im Kriege completirt sich jede Compagnie der Cadre - Bataillone zu einem Ba= taillone, ſo daß dann Festungs - Infanterie - Regimenter à 4 Bataillone à 900 Gemeine (oder 52 Rotten per Zug) entſtehen. Die Anzahl der Festungs Bataillone ist im Frieden auf 29 normirt. Jm Kriege sind also 29 Festungs Regimenter oder 116 Bataillone mit vollem Etat vorhanden. Ist die Reor ganisation, welche allmählig erfolgen soll , durchgeführt, so beträgt die Friedens stärke der Festungs- Infanterie- Truppen 841 Stabs- und Oberoffiziere und Klassenbeamte, 13,282 Combattanten ercl. der Freiwilligen, 1653 Nichtcombat tanten, die Kriegsstärke: 2465 Stabs- und Oberoffiziere und Klassenbeamte, 115,826 Combattanten excl. der Freiwilligen, 4176 Nichtcombattanten. Die Regimenter können zu Brigaden oder Divisionen vereinigt werden, für welchen Fall man dann die betreffenden Stäbe formirt. Sollen sie zu Ope= rationen im Felde oder zum Etappendienst mit verwandt werden, wird die For mirung von Trains speciell befohlen. Die vollständige Kriegsaugmentation an Bekleidung, Bewaffnung und Ausrüstung ist schon im Frieden bereit zu stellen. Die bei weitem wichtigste Stelle in der Reorganisations - Verordnung für die Localtruppen nimmt aber der bis auf das Kleinste festgestellte Formations modus der Ersatz - Bataillone im Kriege ein. Bis dahin war die Bildung von Ersastruppentheilen gar nicht in Aussicht genommen, von so großer Wich tigkeit sie auch im Falle eines Krieges ſind. - Ihr Zweck besteht in der Com= pletirung der Feldtruppen während des Krieges. Für jedes active Infanterie Regiment und jede Schützen-Brigade ( die Turkeſtanische ausgenommen) wird ein Ersatz-Bataillon formirt, also im Ganzen 12 Garde-, 16 Grenadier- und 164 Armee-Infanterie- , 1 Garde- und 6 Armee- Schüßen-Erſatz-Bataillone, welche indeß wie besonders hervorgehoben werden muß in gar keinem directen Zusammenhange mit den Feldtruppentheilen stehen. Die Garde-, Grenadier- und Schützen-Ersatz-Bataillone haben dieselbe Organisation wie die Armee-Infanterie Erſatz-Bataillone. Die Formirung derselben wird aber noch durch eine bis jetzt noch nicht publicirte Verordnung geregelt werden. Jedes Armee - Infanterie - Ersatz - Bataillon hat 4 Compagnien und beſteht

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aus dem ,, Stamm" , welcher das Ausbildungspersonal umfaßt , und aus einem ,,wechselnden Commando " , aus welchem die Marschcommandos zur Ergänzung des Abganges bei den Feldtruppen entjandt werden. Ohne im Frieden bestehende Cadres wird das Bataillon theils aus Offizieren , Unteroffizieren und Mann schaften, welche (1 Stabsoffizier als Bataillons - Commandeur , 4 Oberoffiziere als Compagnie - Commandeure, 1 Capitaindarmes und 2 Schreiber) von den nächst gelegenen Feld- oder Localtruppen abzugeben sind , theils aus Reservisten und ev. aus Wehrleuten der Reichswehr 1. Kategorie formirt. Die bezüglichen Listen sind bereits im Frieden vollſtändig aufgeſtellt und werden stets current gehalten. Um die Mobilmachung zu beschleunigen , erfolgt die Formirung der Bataillone compagnieweise möglichst im Mittelpunkte der bezüglichen Ergänzungs bezirke mit besonderer Rücksichtnahme auf die besten und bequemſten Communi cationen. Im Warschauer Militairbezirke, sowie im Gouvernement Kowno, Wilna und Bessarabien werden, ihrer erponirten Lage wegen , in den Gouverne ments Archangelſſk, Olonez , Perm , Ufa, Orenburg , Aſtrachan , Stawropol und in einem Theile des Gouvernements Wologda und Wiatka, sowie in den Kajaken Districten werden ihrer Entfernung halber keine Formationspunkte für Erjak Bataillone bestimmt. Die nothwendige Bekleidung und Ausrüstung und die nöthigen Waffen liegen bereits im Frieden an den Formationspunkten der Erjat Compagnien bereit, so daß dieselben eingekleidet und bewaffnet nach dem Ba= taillons- Formationsorte abrücken können. Die Gesammtstärke der zu formirenden 199 Erjat-Bataillone wird unmittelbar nach deren Aufstellung 5771 Offiziere, 398 Klassenbeamte und 257,307 Unteroffiziere und Mannschaften betragen, wovon 220,000 Mann zur Deckung des Abganges bei den Feldtruppen für die erste Zeit beſtimmt ſind. Schließlich nimmt die bezügliche Verordnung auch noch die Formirung ven Reserve-Infanterie- Truppen in Aussicht , welche die active Infanterie verstärken und solche eventuell auf dem Kriegsschauplatze ersetzen sollen . Auch für diese Truppen bestehen im Frieden keine Cadres. Die Bataillone werden durch Abgabe von Offizieren , Unteroffizieren und Mannschaften von den Feld und Localtruppen einerseits, durch Einziehung von Reſerven andererseits gebildet. Sie werden den Feldtruppen vollständig analog , auch in Betreff ihrer Organi ſation, formirt. Die Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung wird im Frieden vollständig bereit gehalten. Die Anzahl der zu formirenden Reserve-Bataillone richtet sich vorläufig noch nach den disponibel bleibenden Reserven , nachdem die Ersatz-Bataillone fertig aufgestellt, die übrigen Truppen completirt sind. In Zukunft, wenn die nöthigen Reserven vorhanden sein werden, ist die Formation von 164 Reserve - Bataillonen beabsichtigt. Dieſelben werden zu Reserve - Bri gaden oder zu Reserve- Divisionen vereinigt und werden dann in einer Gesammt stärke von ppr. 3772 Offizieren und Beamten und 179,272 Unteroffizieren und Mannschaften auftreten. Im Anschluß an die eben besprochene Reorganisations - Verordnung ist die unter dem 6. März 1873 befohlene Formirung des Cadre - Bataillons des Leib - Garde - Reserve - Infanterie - Regiments , zu welcher das bis dahin bestehende Leib- Garde- Garnison-Bataillon verwandt wurde , zu erwähnen. Das Cadre-Bataillon besteht im Frieden aus 4 Compagnien und zwar aus 3 Linien und einer Schüßen-Compagnie. Jeder Zug hat 24 Rotten und demgemäß die Compagnie 96 Gemeine als Combattanten mit Gewehr und außerdem 8 Ge meine ohne Gewehr. Der Etat des Bataillons beträgt 21 Stabs- und Ober offiziere, 529 Unteroffiziere und Gemeine, Combattanten , 3 Klaſſen - Beamte,

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36 Nichtcombattanten. Im Kriege wird jede Compagnie des Cadre-Bataillons durch Einziehung von Reserven auf 1000 Mann gebracht , so daß aus jeder Compagnie ein Bataillon , und somit aus dem Čadre - Bataillon das Leib Garde Reserve - Infanterie - Regiment zu 4 Bataillonen entsteht. - Jeder Zug hat eine Stärke von 54 Rotten , und die Compagnie eine solche von 216 Gemeinen mit Gewehr und 10 Gemeinen ohne Waffen. Der Etat des Regiments beträgt 1 Generalmajor , 62 Stabs- und Oberoffiziere , 4081 Com battanten, 7 Klassenbeamten , 1 Geistlichen , 83 Nichtcombattanten. Ueber die Bestimmung dieses Regiments steht noch eine besondere Verordnung in Aussicht. Die Linien- Bataillone haben ihre Organisation und Bestimmung be halten. In Betreff ihrer Zahl sind jedoch Aenderungen eingetreten , welche auf den Befehlen vom 3. März 1872 , 4. Januar 1873 und 1. August 1874 be ruhen, so daß jezt 7 Bataillone im Kaukasischen, 3 im Orenburgischen, 12 im Turkestanischen, 4 im Westsibirischen und 6 im Ostsibirischen Militairbezirk dis locirt sind. Ihre augenblickliche Zahl beträgt ſomit 32 . Die Festungs - Artillerie hat seit dem 11. August 1870 eine vollständig neue Organisation bekommen und ist jetzt nicht mehr zu Compagnien und Viertel Compagnien auf die verschiedenen Festungen vertheilt , sondern nur als volle Compagnien zu 150 , 200 , 250 und 300 Mann , welche auf eine Kriegsstärke ren 300 oder 400 Mann gebracht werden können. Außerdem werden aber auch noch für den Kriegsfall in einzelnen Festungen mehr Compagnien auf Kriegs stärke formirt, zu welchen die Friedenscompagnien die Cadres abgeben. So sind im Frieden die Festungen mit je 2 oder 3, oder 4, oder 6 oder 8 Compagnien, im Ganzen mit 55 Festungs- Artillerie - Compagnien besetzt , welche im Kriege auf 63 Kriegscompagnien vermehrt werden. Das Altaische Hüttenwerks - Bataillon ist durch Befehl vom 8. Juli 1871 aufgehoben. Die einzige bei den Lehrtruppen eingetretene Veränderung ist die Herabſeßung der Lehr- Kasaken - Artillerie Division auf einen Lehr - Kaſaken - Artillerie - Zug, welche durch Befehl vom 8. August 1870 angeordnet wurde. Von den Hülfs - Abtheilungen ist das Leib - Garde - Garniſon - Bataillon wie schon erwähnt durch Befehl vom 6. Mai 1873 in das Cadre-Bataillon des Leib-Garde Reserve-Regiments umgeformt. Ferner sind von den Local Ingenieur - Commandos die Militair - Arbeiter Compagnien Nr. 1, 4 und 6, welche im Kaukasus standen, durch Befehl vom 29. März 1873 aufgelöst, während die Nr. 2 , 3 und 5 in die Ingenieur-Handwerker- Commandos Nr. 1-3 umgeformt sind. Ebenso existirt die Arsenal - Compagnie bei dem Local- Ingenieur - Arsenal zu Dünaburg nicht mehr , indem dieselbe nach dem Befehl vom 14. Auguſt 1872 durch frei angenommene Arbeiter ersezt ist. Die 2 Arbeiter - Brigaden werden jezt in Kertſch und im Kuban - Oblaſſtj ver wendet. Die Militair Besserungs - Compagnien haben sich um 2 vermehrt, indem durch Befehl vom 12. August 1870 und vom 22. Januar 1873 eine solche in Schlüsselburg resp . Irkutsk errichtet wurde. C. Aenderungen in der Organiſation der Local Institutionen der Artillerie, Ingenieure, des Medicinal Reſſorts und der Intendantur. Durch die bezüglichen Befehle vom 14. August 1873 sind die Militair Bezirks - Artillerie - Arsenale und die Laboratorien aufgehoben; an ihre Stelle sind nunmehr die Militair-Bezirks-Werkstätten , welche sich bei den Mi litair-Bezirks-Artillerie- Depots befinden, getreten. Die Local- Artillerie - Parks sind zu Militair-Bezirks - Artillerie- Depots geworden, welche letztere jetzt auch den Zweck der Geschüß- und Munitions -

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Niederlagen mit erfüllen. Nach der neuen Verordnung werden zur Auf bewahrung von Waffen, Geschützen, Munition 2c. ein oder mehrere Militair Bezirks - Artillerie - Depots in den Militair-Bezirken etablirt. Der Befehl vom 31. August 1874 sett fest , daß Bezirks- Artillerie- Depots etablirt werden sollen in Petersburg (mit mobiler Werkstatt und Laboratorium Nr. 1), in Tawassthuß , in Dünaburg und Bobruisst, in Brest - Litewsk , Warschau und Nowogeorgiewsk (mit mobilem Laboratorium Nr. 2) , in Kiew (mit mobiler Werkstatt und Laboratorium Nr. 3) , in Krementschug und Rosstow am Don (mit mobiler Werkstatt und Laboratorium Nr. 4) , in Kursst mit Abtheilungen in Brianssk und Schosstka, in Moskau mit einer Abtheilung in Tula, in Kajan und in Orenburg. Jedes Artillerie- Depot zerfällt in die Artillerie- Abtheilung (Geschütze mit Zubehör , Pferde-Ausrüstung , Batterie-Fahrzeuge 2c.) , in die Abtheilung für Handfeuer- und blanke Waffen und in die Abtheilung für Munition. Bei jedem Militair-Bezirks - Artillerie- Depot befindet sich eine Ar tillerie-Werkstatt und ein Laboratorium. Liegt das Depot nicht in einer Festung, so ist bei demselben ein Local-Artillerie- Commando etatsmäßig. Die Militair-Bezirks - Werkstätten sollen Arbeiten ausführen , welche eine Mitwirkung der technischen Artillerie- Anſtalten nicht erfordern. Nach der Art der auszuführenden Arbeiten sind die Bezirks -Werkstätten in eine „ Artillerie Werkstatt" und ein „Laboratorium" getheilt. Erstere hat es mit der Um arbeitung und Ausbesserung von Waffen und selbst mit der Neuanfertigung minder wichtiger Theile derselben zu thun; in letzterem werden Munitions Arbeiten ausgeführt , wozu gewöhnliche Arbeiter nicht gebraucht werden können. Das Personal besteht aus Civilarbeitern. Nach der Verordnung vom 15. August 1872 über die technischen Ar tillerie Anstalten gehören zu denselben die drei Gewehr- Fabriken zu Sjesstroriäzk, Tula, Jjewsſki, die Patronen-Fabrik zu Petersburg , die Pulver Fabriken zu Ochta, Kajan und die Michael- Schosstenskische * ), die Local-Arsenale zu Petersburg , Brianssk und Kiew ; die Geschütz-Fabrik zu Petersburg , als Abtheilung des Petersburger Local-Arsenals verwaltet, und die Nikolaus- Raketen Fabrik zu Petersburg . Der Befehl vom 14. August 1872 publicirt eine Verordnung über Ingenieur - Depots , welche , als bis dahin noch nicht bestehend , erſt durch genannten Befehl neu organisirt wurden. Demgemäß bestehen jetzt Bezirks Ingenieur- Depots in Petersburg, Moskau, Dünaburg, Brest-Litewsk, Kiew und Tiflis. Aus denselben wird das Schanzzeug der Truppen erneuert_rejp. ergänzt ; Festungs - Ingenieur- Depots in den Festungen des Warschauer Militair-Bezirks und in der Festung Bender, wo eine Schanzzeug-Rejerve aſſervirt wird ; das Central - Depot in Bobruisst zur Ergänzung des Schanzzeuges und Materials sowohl bei den Truppen wie auch in den Feld und Belagerungsparks im Kriege; Ingenieur - Depots bei den Sappeur Brigaden, um die Ingenieur-Truppen mit dem Nothwendigen für die prakti schen Arbeiten zu versehen. Durch den Befehl vom 24. October 1872 ist die Menge des vorräthig zu haltenden Schanzzeuges für jedes Depot detaillirt an gegeben. In Betreff der Sanitäts - Anstalten haben keine Aenderungen statt gefunden. Die Intendantur - Depots heißen jezt Sachen - Depots , die Pre viant-Magazine Verpflegungs - Magazine. *) Die als eine Abtheilung derselben verwaltete Schosstenſkiſche Zündhütchenfabrik ist aufgelöst.

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D. Aenderungen in der Organiſation der Militair-Lehr-Anſtalten. Die Militair- Gymnasien sind um 3 vermehrt , indem ein drittes in Petersburg, ein drittes in Moskau und ein neues in Ssimbirsst errichtet wurde. In dem dritten Petersburger und dem Sſimbirsskischen finden Söhne aller Stände Aufnahme. - In allen dieſen Anstalten ist eine 7. Klaſſe errichtet und dauert somit der Cursus jezt 7 Jahre. (Befehl vom 8. März 1873.) An Militair - Progymnasien sind jetzt nur 9 vorhanden , indem das Progymnasium zu Irkutsk durch Befehl vom 31. März 1872 in eine Junker Durch Befehl vom 24. Juni 1872 ist das Pro jchule verwandelt ist. gymnasium in Perm geschlossen und dafür ein solches in Ssimbirsst errichtet. Was die Junkerschulen betrifft , so hat sich hier seit 1869 das Bedürf niß herausgestellt, einmal die bestehenden mehr oder weniger zu erweitern, dann aber auch noch neue zu eröffnen. Jest bestehen 11 Infanterieschulen und 2 Abtheilungen für 3310 Junker, nämlich : für 400 Junker die Schulen zu Moskau, Warschau und Kiew, " 300 " " Wilna, Tschugujew, Kasan und Tiflis, " " " 200 " " " Helsingfors, Odeſſa, Riga und Petersburg, 80 " " die Abtheilung in der Schule zu Orenburg, " 30 " Irkutsk; " " " " 2 Cavallerieschulen und 1 Abtheilung zusammen für 450 Junker, nämlich : für 300 Junker die Schule zu Jelissawetgrad, "" 150 " " Twer, " 30 " " die Abtheilung der Schule zu Stawropol ; 4 Kasaten-Junkerschulen und 2 Abtheilungen zusammen für 510 Junker, nämlich : für 120 Junker die Schulen zu Orenburg und Nowotſcherkasſk, 90 " " " Schule zu Stawropol, 60 Irkutsk, " " 85 die Abtheilung der Schule zu Warschau, " " 35 " " " " Wilna. " " " wenn kein Da der Curſus ein zweijähriger ist , so können jährlich Ausfall stattfindet -2135 Junker mit der Qualification zum Offizier ent lassen werden; in dem Cursus 1873-74, wo die Junkerschule in Irkutsk noch nicht eröffnet war, bestanden thatsächlich 1500 das Offizier- Examen . Seit dem 1. Januar 1874 haben in dem Modus , die Armee mit Offizieren zu com pletiren, wesentliche Aenderungen stattgefunden und wurde dieser Moment für geeignet erachtet, Maßnahmen zu treffen , um den Bildungsgrad der Offizier Aſpiranten überhaupt zu erhöhen. Zu dem Ende wurde durch den Befehl vom 10. October 1874 ein neuer, allerdings erst mit dem 1. September 1875 in Kraft tretender Lehrplan für die Junker schulen erlassen, wonach in der jüngſten Klaſſe: Religion (2 Stunden) , Ruſſiſche Sprache (5 Stunden), Algebra, Geometrie und die Anfänge der Trigonometrie (7 Stunden), Phyſik und Chemie (2 Stunden), geometrisches und topographisches Zeichnen (2 Stunden), Geo graphie (3 Stunden) , Geschichte (4 Stunden), Reglements (2 Stunden) ; in der ältesten Klasse: Russische Sprache (2 Stunden), Taktik (6 Stunden) , Reglements ( 2 Stunden), Topographie ( 2 Stunden), Feld-Fortification (3 Stunden), Waffenlehre (4 Stunden), Mi litair: Administration (3 Stunden), Militairgerichtswesen (3 Stunden), Anleitung zur Aus bildung der Mannschaften (1 Stunde), Militair-Hygienie (1 Stunde) und Pferdekunde (3 Stunden) als Lehrgegenstände aufgeführt sind. Sonstige Veränderungen haben bei den Militair - Lehranstalten nicht statt gefunden und bleibt das an der bezüglichen Stelle früher Gesagte auch heute noch zu Recht beſtehend. Aenderungen in der Completirung und Organiſation der irregulairen Truppen. Während die bis dahin gültigen Grundprincipien der Completirung der irregulairen Truppen auch heute noch maßgebend sind , wurden doch seit dem Jahre 1869 mannigfache abändernde Verordnungen erlassen , die hauptsächlich 26 Militairische Jahresberichte 1874.

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den Zweck haben , die Dienstverpflichtung der Kajaken - Bevölkerung den für die übrigen Bewohner des Reichs aufgestellten Normen in Betreff der Wehrpflicht näher zu bringen und vor Allem eine eventuelle Mobilmachung zu erleichtern und zu beschleunigen. In diesem Sinne ist unter dem 31. October 1874 eine neue Verordnung über den Militairdienst der Kajaken des Don - Woissko erlassen , welche mit dem 1. Januar 1875 in Kraft tritt. Danach zerfällt die Dienſtklaſſe des selben in die vorbereitende ", zum " Frontdienst verpflichtete" und „Reserve Kategorie". In die „vorbereitende Kategorie " treten alle 18jährigen Kajaken. Während dieselben im ersten Jahre zu keinerlei persönlichem oder materiellem Dienste verpflichtet find, und nur für die Beschaffung ihrer Dienſtausrüstung zu sorgen haben , beginnt im Herbst des 2. Jahres ihre Ausbildung auf den Stanizen, welche sich im 3. Jahre fortsetzt und durch eine monatliche Gon centrirung an bestimmten Punkten gewissermaßen ihren Abſchluß erhält. Nach diesem dreijährigen Verbleib in der vorbereitenden Kategorie treten die Kajaken auf 12 Jahre in die zum Frontdienst verpflichtete Kategorie" über, welche im Frieden zur Completirung der im activen Dienſt befindlichen Abtheilungen, sowie der Local-Commando's, im Kriege zur Completirung aller von dem Woissko aufgestellten Truppen bestimmt ist. In diese Zeit fällt die Ableistung der activen Wehrverpflichtung , welche ca. 3 Jahr dauert und bei den von dem Weissko im Frieden aufgestellten Abtheilungen stattfindet. Hat der Kajak derselben Genüge geleistet , so kann er außer zu Uebungen nur für den Fall eines Krieges wieder eingezogen werden. Aus der zum Frontdienſt verpflich teten Kategorie treten die Kajaken auf 5 Jahre in die „Reserve" , wo sie von allen Commandos und Uebungen im Frieden befreit , im Kriege nur zur Er gänzung des Abgangs bei den activen Abtheilungen und zur Formirung specieller Abtheilungen und Commandos bestimmt sind. Jeder der 5 Militair- Districte des Don-Woissko stellt im Frieden 4, im Kriege 20 Armee -Reiter-Regimenter , und zwar completirt sich jedes Regiment möglichst aus ein und demselben Bezirke des Districts. Die Garde-Regimenter - Zur Com und Local- Commandos ergänzen sich aus dem ganzen Woissko. pletirung der Artillerie ist das Territorium des Weissko in 2 Rayons getheilt: aus dem 1. Rayon ergänzen ſich die Garde- und 6 Armee-Batterien und aus dem zweiten die übrigen 9 Armee-Batterien. Die Repartirung für den Dienst er folgt durch den Ataman des Diſtricts auf Grund der von dem Woisſkoſtabe aufgestellten Nachweisungen und der von den Stanizen-Verwaltungen einzu reichenden Reihenfolge-Listen , welche lettere bestimmen , in welcher Reihenfolge die Kajaken zum Dienst heranzuziehen sind. Nach den jetzt gültigen Verordnungen beruht die Ableistung der Dienſt pflicht in den andern Woisskos im Allgemeinen auf folgenden Grundjäßen : Die Stärke der zum Felddienst bestimmten Kategorie" der Dienstklasse jedes Woisskos wird durch das wirkliche Bedürfniß an Mannſchaften bedingt , welche zur Completirung der für den äußern und inneren Dienſt aufgeſtellten Ab theilungen nothwendig sind. Die Minimalgrenze wird durch das Kriegs Ministerium festgesetzt. Der Dienstklasse gehört der Kajak 22 Jahre an, ren welcher er 15 Jahre zum Felddienst, und 7 Jahre zum inneren Dienst rer pflichtet ist. Die Completirung der Dienstklasse erfolgt durch jährliche Ein berufung derjenigen Kajaken , welche am 1. Januar des auf die Einberufung folgenden Jahres 19 Jahre alt sind. Vor allen treten aber diejenigen 19- bis 25jährigen Kajaken , welche sich freiwillig zum Dienſte melden , in die Dienst

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klasse über. Ist hierdurch der Bedarf noch nicht gedeckt, so werden die 19 jähri gen event. nach erfolgter Loosung herangezogen. Diejenigen Kasaken, welche sich freiloosen , werden für ihre Person vom Dienst befreit , müssen aber dafür eine Geldabgabe an das Woissko zahlen. Die Commandirung zum activen Dienst erfolgt nach einer gewissen Reihenfolge. In den verschiedenen Woisskos gelten schließlich bestimmte Festsetzungen , nach welchen Kajaken trotz ihrer körperlichen Brauchbarkeit nicht zur Dienstklaſſe gerechnet werden. Näher auf dieselben ein zugehen dürfte zu weit führen. Nach den bis zum Schluß 1874 erlaſſenen Beſtimmungen ist die Stärke der einzelnen Woisikos folgendermaßen normirt : Das Don - Woissko (Befehl vom 31. October 1874) . Garde - Regi menter sind das Leib- Garde-Kajaken-Regiment Seiner Majestät und das Leib Garde-Atamansche Seiner Kaiserlichen Hoheit des Großfürſt- Thronfolgers mit je 6 Escadrons, von denen aber im Frieden nur die ersten Diviſionen, als Leib Garde-Combinirtes- Don-Kajaken-Regiment, im Dienſte ſind . Die übrigen Divi sionen sind beurlaubt. Die Mannschaften des Leib- Garde- Combinirten-Kajaken= Regiments werden nach Ablauf der activen Dienstzeit durch junge Kajaken ab gelöst. Die zum Etat der beurlaubten Garde-Diviſionen gehörigen Mannſchaften müssen jederzeit zum Abrücken bereit sein und beständig Reitpferde halten. Die Leib - Garde - Don - Batterie Seiner Kaiserlichen Hoheit des Groß fürsten-Thronfolgers mit 8 Geschützen ; im Frieden ist nur die 1. Division mit 4 Geschützen in Petersburg im Dienst, woselbst sich aber auch das ganze Material der andern beurlaubten Division befindet. Die Mannschaften der 1. Division werden regelmäßig durch junge Kajaken abgelöst ; die 2. Division ist beurlaubt, und zwar sind die Mannschaften derselben stets zum Ausrücken fertig. Zu Uebungszwecken befinden sich auch am Don noch 4 bespannte Geschütze , welche im Kriege zur Formirung einer Reserve-Batterie bestimmt sind. An Armee = Regimentern stellt das Weissko 60 mit je 6 Sotnien (14 Rotten per Zug) auf, welche sich in 3 Abtheilungen zu je 20 Regimentern gliedern: die 1. Abtheilung ist im Frieden im Dienst , die beiden andern sind beurlaubt. Die Ablösung der ausgedienten Mannschaften der Regimenter der 1. Klasse erfolgt durch junge Kajaken. - Die beurlaubten Mannschaften der 2. Klasse der Regimenter sind vollständig ausgerüstet und beritten , die der 3. Klasse nur vollständig ausgerüstet. Von den 15 Armee - Reitenden - Batterien mit je 8 Geschützen sind im Frieden 5 Batterien mit 8 bespannten Geschützen und 2 bespannten Muni tionskarren im Dienst , und wird deren Mannschaft , je nach dem sie ihre Zeit abgedient hat, durch junge Kajaken abgelöst. Die Mannschaften der 10 beur laubten Batterien müssen ihre Bekleidung , Ausrüstung , Bewaffnung und ihre Reitpferde in steter Bereitschaft halten. Ebenso sind bei diesen beurlaubten Batterien im Don - Gebiet je 4 bespannte Geschütze, je 4 Munitionskarren, ein Theil des Artillerietrains und der ganze Intendanturtrain mit allem Zubehör und der Munition für die volle Zahl der Geschütze, der Munitionskarren und des Trains vorhanden. Die übrigen Geschütze, Munitionskarren und ein Theil des Trains befinden sich bei dem Arsenale in Kiew. Bei den Armee-Regimentern der 2. und 3. Kategorie ist ein Bestand von 150 Kajaken, welche im Eisenbahndienste ausgebildet sind, vorhanden. Diese Leute werden zuerst auf ein Jahr in die Armee-Regimenter der 1. Kategorie eingestellt und dann auf 2 Jahre zu Eisenbahnen commandirt, um hier aus gebildet zu werden. 26*

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Die Local - Commandos endlich sind zum Dienſte innerhalb des Oblasſtj des Don -Woissko beſtimmt , und wird der 4jährige Dienſt bei denſelben dem Dienste bei den Truppentheilen gleich gerechnet. Das Kuban - Woissko (Befehl vom 8. Auguſt 1870) . Im Frieden be stehen 2 Leib - Garde - Kuban - Kaſaken - Escadrons Seiner Majestät Convoi; — 10 Reiter-Regimenter à 6 Sotnien ; - 2 Fuß-Plasſtunskiſche*)-Bataillene à 5 Sotnien; ―――― 5 reitende Artillerie - Batterien à 4 Geschütze. Im Kriege oder auf ſpeciellen Allerhöchsten Befehl kann die Anzahl der Reiter - Regimenter und der Fuß-Bataillone oder ihr Etat durch die Einziehung von noch nicht im Dienst stehenden Kasaken erhöht werden. Die reitenden Batterien haben dann 8 Ge schüße. Die Completirungsmannſchaften ſind in 3 Touren getheilt, so daß die wirklich vorhandene Anzahl derselben 3 Mal so groß ist , als der gewöhnliche Etat erfordert. Das Terek- Woissko (Befehl vom 8. August 1870) . Jm Frieden sind 1 Leib-Garde-Terek-Kajaken- Escadron Seiner Majestät Convoi ; 5 Reiter-Regi menter à 4 Sotnien , und 2 reitende Artillerie - Batterien à 4 Geschüße vor handen. Ebenso wie im Kuban-Woissko wird auch hier die Anzahl der Regi menter im Kriege durch die Einziehung von nicht im Dienst befindlichen Kajaken erhöht, während die Batterien auf einen Etat von 8 Geschützen gebracht werden. Das Astrachan - Woissko (Befehl vom 30. April 1872) . Im Frieden stellt dasselbe 1 Reiter-Regiment, im Kriege 3 Reiter-Regimenter à 4 Cotnien. Das Orenburger -Woissko hat seine frühere Organiſation behalten. Das Ural-Woissko (Befehl vom 30. März 1874) ist im Frieden die Leib-Garde-Ural-Kajaken-Escadron , die Lehr - Sotnie in Uralssk und 3 Reiter Regimenter à 6 Sotnien ſtark. Im Kriege erhöht sich die Zahl der Reita Regimenter auf 9. Das Sibirische - Woissko (Befehl vom 23. October 1871 ) . Im Frieden sind nur Truppen - Abtheilungen und Commandos , welche alljährlich durch den Commandeur der Truppen im West- Sibirischen Militair - Bezirk commandirt werden, dann die Lehr- Sotnie in Omsst und ein beständiges Commande von 30 Pferden bei der Garde-Cavallerie im Dienst. Im Kriege werden 9 Reiter Regimenter à 6 Sotnien, eventuell die ganze Kajaken - Bevölkerung des Weissko aufgestellt. Das Semiriätschensſkiſche Woissko hat keine Veränderungen in ſeiner Organisation erlitten. Das Transbaikalische Woissko (Befehl vom 19. Juni 1872). Jm Frieden sind reitende und Fuß- Abtheilungen und Commandos , deren Zahl und Etat alljährlich festgesetzt und von dem Ober-Commandirenden des Ost-Sibiri ---schen Militair-Bezirks bestätigt wird, ferner eine Lehr-Reitende- Diviſion, — ein ―― Lehr-Fuß-Bataillon, eine reitende Artillerie-Brigade im Dienst. Im Kriege dagegen oder auf besonderen Allerhöchsten Befehl zieht das Woissko alle beur laubten Mannschaften ein und stellt dann 6 Reiter - Regimenter zu 4 Setnien, 9 Fuß- Bataillone zu 5 Sotnien und 2 reitende Artillerie - Batterien à 8 Ge ſchüße auf. *) Die „Plasſtunii “ (Freiſchüßen) führen ihren Ursprung auf jene Zeiten zurüd, wo die „Saporogen" aus Beßarabien und Podolien nach dem Lande der Tschernomoren versezt, hier angesiedelt wurden und noch unbeweibt waren. Nahmen die Saporogen nun später Frauen, so blieben die Plasſtunii ihrer früheren Sitte getreu , und bildeten eine Genossenschaft , in welche aufgenommen zu werden körperliche Geſchicklichkeit , Ausdauer, gutes Schießen 2c. berechtigten.

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Das Amur- Woissko hat in seiner Organiſation nichts geändert. Die Irkutskischen und Jenisseischen Kasaken - Reiter - Regimenter sind durch Befehl vom 20. Juli 1871 aufgelöst. An ihre Stelle ist die Jr kutskische und Krassnojarsstische Sotnie in einer Stärke von 143 resp. 99 Kajaken getreten, welche die regulairen Localtruppen bei Ausübung des inneren Dienstes in den Gouvernements Irkutsst und Jenisseissk unterstützen. Die Beobachtung der Chinesischen Grenze fällt ihnen speciell zu. Die übrigen Kasaken-Abtheilungen : das Jakutsſkiſche Stadt- Fuß -Regiment, das Kamtschatkaische Kajaken - Commando , und die stehenden Milizen haben die früher angegebene Organisation bis jetzt nicht geändert. Aenderungen in der Organisation der Militair-Verwaltungs- und Commando-Behörden. Das Kriegsministerium und das unmittelbar damit im Zuſammenhange stehende Corps der Generalstabs - Offiziere, Topographen- und Feld jäger - Corps haben ebensowenig Aenderungen erfahren , wie die Militair Bezirks - Verwaltungen , und ist das über die Organiſation dieſer Inſtitu tionen früher Gesagte auch jetzt noch vollständig zutreffend . Nur wird sich die reffortmäßige Thätigkeit der Bezirks -Artillerie- und Ingenieur-Verwaltung durch die Einführung des Corpsverbandes in etwas modificiren, worüber noch specielle definitive Festsetzungen zu erwarten sind. Der Corpsverband ist durch die Verordnung vom 11. August 1874 für einen Theil der regulairen Feldtruppen definitiv auch im Frieden eingeführt. "In den unter dem 8. April 1873 bestätigten Hauptgrundlagen für die neue Organisation der Truppen" - heißt es im Eingange dieser Verordnung „war unter Anderem festgesetzt, daß, um die Truppen im Frieden besonders in den Grenzbezirken für den Kriegsfall in größerer Bereitschaft zu halten , alle drei Waffen zu Corps vereinigt würden. Jedes derselben sollte aus 2 oder 3 Infanterie-Divisionen mit der entsprechenden Cavallerie und Artillerie bestehen. Im Kriege sollte jedes Corps durch Sappeure und andere Abtheilungen ergänzt werden. " Auf dieser Grundlage ist , ohne schon die Zahl und Zusammensetzung der Corps definitiv zu bestimmen , durch jene Verordnung eine Instruction für die Verwaltung des Corps publicirt. Ehe darauf aber näher eingegangen wird , möchte noch speciell darauf hingewiesen werden müssen , daß in den Bezirken, in denen die Truppen zu Corps vereinigt werden, der Ober-Commandirende øder Commandirende der Truppen des Bezirks die Verpflichtung und das Recht behält, diese Truppen entweder persönlich zu inspiciren, oder durch den Chef des Bezirks stabes oder seinen Gehülfen inspiciren zu lassen. Es bleibt ferner seine Pflicht, den Dienst der Truppen zu beaufsichtigen , für ihre Versorgung mit allen Ver pflegungsgegenständen , ihre Completirung und Herstellung von Vorrätheu für ihre Mobilifirung zu-sorgen. - In den Militair-Bezirken dagegen, deren Truppen nicht zu Corps vereinigt werden , fallen dem Ober - Commandirenden auch noch jene Obliegenheiten zu, welche durch die neue Verordnung den Corps- Comman deuren übertragen werden. In der Person des Corps - Commandeurs vereinigt sich — auf Grund der Verordnung Alles , was sich auf die Ausbildung und die Commandirung der Truppen des Corps bezieht. Der Hauptzweck des Corpsverbandes ist , der Ausbildung aller Waffengattungen mehr Zusammenhang, mehr Einhei . zu geben. In diesem Sinne bestimmt der Corps -Commandeur alljährlich das bungs

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programm der Truppen , erläßt die etwa nöthig werdenden Instructionen, und sest fest , welche Truppen in Corps-, Divisions- oder Detachements-Lagern zu Uebungszwecken zusammengezogen werden sollen , und event, die Concentrirung von Regimentern in enge Quartiere bis zur Dauer eines Monats . Er inspicirt die Truppen alljährlich zu einer von ihm selbst zu bestimmenden Zeit und macht dem Overcommandirenden des Militair-Bezirks über den Ausfall der Inspici rungen, und speciell darüber Meldung, in wie weit alles auf die Mobilmachung Dem Corps Bezügliche von den Truppen zur Ausführung gekommen ist. Commandeur ſteht, außer seinen beiden Adjutanten ( Oberoffiziere), der Corps Derselbe besteht im Frieden aus 1 Chef des Stabes stab zur Seite. (1 Generalmajor oder Oberst), 2 älteren Adjutanten (Oberoffiziere event. 1 rom Generalstabe), 1 Stabsoffizier und 1 Oberoffizier vom Generalſtabe zu beſonderen — Im Kriege Aufträgen, 1 Corps -Arzt und einem Unterpersonal zu 24 Mann . treten noch 1 Generalstabsoffizier zu besonderen Aufträgen , 2 Topographen, 1 Corps-Intendant , 1 Corps -Commandant (Major oder Oberstlieutenant), 1 Führer des Trains (Major oder Oberstlieutenant) und ein Gendarmerie Commando hinzu , während das Unterpersonal dann 33 Mann beträgt. Der Chef des Corpsstabes - gewöhnlich ein Generalstabsoffizier , der bereits ein Regiment commandirt hat - ist der nächste, welcher die Anordnungen des Corps-Commandeurs ausführt, demselben über alle bezüglichen Angelegenheiten Vortrag hält, und den Geschäftsgang im Corpsſtabe leitet. Er kann alle zum Corps gehörigen Truppen auf Befehl des Corps-Commandeurs_inspiciren . Die Leitung der Mobilmachung des Corps liegt ihm besonders ob. Der Corpsarzt ist der Chef der medicinal-pharmaceutischen und Veterinair- Angelegenheiten. Die Dienstobliegenheiten und Rechte des Corps - Commandanten , des Führers des Trains im Corps und der Chargen des Gendarmerie - Commandes werden durch eine besondere, noch nicht publicirte, Verordnung festgesetzt. Eine specielle Abtheilung des Corpsstabes sowohl im Frieden wie im Kriege ist die Verwaltung des Chefs der Artillerie im Corps . Sie jezt sich aus 1 Chef der Artillerie ( Generallieutenant), 2 älteren Adjutanten (Ober offizieren), 1 Gehülfen derselben (Artillerie-Beamten) und 11 Mann Unterperſonal zusammen. Der Chef der Artillerie im Corps hat im Frieden das Commando über alle Artillerie- Abtheilungen , welche zum Corps gehören , sorgt für deren rationelle Ausbildung, und wacht über den guten Zustand des ganzen Materials. Im Kriege kann dagegen der Chef der Artillerie im Corps über die Divisions Batterien und die Artillerie-Reserve des Corps *) nur auf speciellen Befehl des Corps-Commandeurs verfügen, und beschränkt sich seine Thätigkeit dann haupts sächlich auf die Ausrüstung sämmtlicher Truppen mit Gegenständen des Artillerie Ressorts und auf den Munitions- und Waffen- Erjah nach der Schlacht. Durch denselben Befehl, welcher den Verwaltungsmodus des Corps regelt, ist auch eine Instruction über die Verwaltung der Division erlaſſen, indem durch die Einführung von Corps auch im Frieden eine neue Abgrenzung der Pflichten und Rechte des Diviſions -Commandeurs nöthig wurde. So ist derselbe jetzt dem Corps-Commandeur unterstellt , und nur dann , wenn die Division zu keinem Corps gehört, steht er unmittelbar unter der Militair Bezirksverwaltung. Zum Ressort des Divisions- Commandeurs gehört die Be fehlführung, sowohl was die Stärkeverhältnisse und Personalien, den materiellen *) Nach dem Handbuch der Taktik von Lewizki , Oberst im Russischen Generalſtake, 2. Auflage 1873, wird die Artillerie-Reserve des Corps durch Abgabe von 2 neunpfündigen Batterien einer jeden 6 Batterien zählenden Artillerie-Brigade formirt.

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guten Zuſtand derselben, wie, was ihre Ausbildung, Dislocirung und Inſpici rung betrifft. Auch ist er für die ordnungsmäßige Uebergabe der ihm unter stellten Truppenabtheilungen bei einem eintretenden Wechsel der Commandeure verantwortlich. Die zur Division gehörige Artillerie-Brigade steht ebenfalls unter seinem Befehle. Der Etat der Divisions -Verwaltungen ist, der der Garde ausge nommen, durch den Befehl vom 30. August 1873 resp . 1. August 1874 dahin modificirt, daß die Stellen der Gehülfen der Commandeure der Grenadier- und Armee-Infanterie- und Cavallerie- Diviſionen aufgehoben wurden. Ebenso wie zwischen den Militair-Bezirks -Verwaltungen und dem größten Theile der Divisionen die Instanz der Corps eingeschoben ist , so auch -- wie ſchon oben erwähnt — durch die eben angezogenen Befehle die der Brigaden zwischen Divisionen und Infanterie- und Cavallerie- Regimentern. Doch hat der Brigade - Commandeur , analog den Corps -Commandeuren , haupt sächlich es nur mit der Ausbildung und der taktischen Führung der ihm unterstellten Truppen zu thun. In administrativer Beziehung beschränkt sich seine Macht-Befugniß nur auf die allgemeine Aufsicht über die Ausführung der bezüglichen Anordnungen der competenten Behörden, der Ober- Commandirenden der Truppen in den Militair-Bezirken und der Divisions - Commandeure. In den Garde-Infanterie- und Cavallerie-Divisionen commandirt die Brigade der älteste der betreffenden Regiments - Commandeure. In den übrigen Divisionen find specielle Brigade- Commandeure ernannt. Die Infanterie- und Cavallerie Brigade-Verwaltung hat als Etat 1 Brigade-Commandeur ( Generalmajor), 1 Brigade-Adjutanten ( Oberoffizier aus den bezüglichen Truppen - Offizieren genommen) und 5 Mann Unterperſonal. Die Organisation der übrigen früher aufgeführten Commandobehörden der Feldtruppen ist dieselbe geblieben. Die Verwaltung der Local - Truppen ist durch die bezügliche Verord nung vom 26. August 1874 eine wesentlich andere geworden. Während bisher die den Local-Truppen vorgesetzten Behörden die „ Gouvernements -Truppen-Chefs " und die „ Chefs der Local- Truppen in den Militair-Bezirken " waren , ist jetzt noch der Kreis- Truppen- Chef" als neue Instanz hinzugekommen . Der Wir kungskreis der drei genannten Behörden scheidet sich in folgender Weise: Der Kreis - Truppen - Chef ist der directe Commandeur der mit ihm in derselben Garnison stehenden Local-Abtheilungen, obwohl die in dem bezüglichen Kreise sonstdislocirten Localtruppen auch unter seinem Befehle stehen. Er ist Mitglied der Kreis-Aushebungs- Commiſſion und als solches für die Auswahl der Rekruten für die verschiedenen Truppen persönlich verantwortlich. Die Listenführung über die in dem Kreise vorhandenen Reservisten und der Wehrleute der Reichswehr 1. Kategorie, sowie über die Reſerve- Offiziere und Mannſchaften, welche zu den Cadres der Reserve- und den Stämmen der Ersatz-Bataillone abgegeben werden, liegt ihm ob. Auf Grund der Listen des Hauptstabes hat er die Vertheilung der Reservisten auf die Truppen , sowie die Instradirung derselben zu leiten. Die bezüglichen Vorarbeiten sind in steter Bereitschaft zu halten. Der Kreis truppen- Chef ist ferner für die Sachen- Depots der in dem bezüglichen Kreiſe zu formirenden Ersatz- und Reserve - Bataillone verantwortlich. Zu seinen Functionen gehört dann auch die Anjammlung von Nachrichten und ſtatiſtiſchen Daten, welche für einen guten Verlauf der Mobilmachung in dem Kreiſe noth wendig sind, und sich hauptsächlich auf die Dislocation, Verpflegung der Truppen, die vorhandenen Communicationen und Transportmittel im Kreise erstrecken sollen. Im Kriege setzt der Kreistruppen-Chef die Einberufung und Absendung

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der Reservisten zu den Truppen, und die Completirung der ihm unterstellten Local-Truppen ins Werk. Er formirt die bezüglichen Reserve- und Erſaß Compagnien und instradirt sie nach den Formationspunkten der bezüglichen Ba taillone. Er sorgt schließlich für einen geregelten Verkehr der Kranken- und Verwundeten-Transporte, sowie für die Ausführung des Pferdegeſtellungs - Geſeķes *) Seitens der Bevölkerung des Kreiſes. Während so dem Kreis - Truppen-Chef lediglich die Erecutive zufällt , ist der Gouvernements - Truppen- Chef schon mehr der Repräsentant der Ueber wachungs-Behörde. Ihm sind vor Allem jämmtliche im Gouvernement stehenden Localtruppen unterstellt. Er ist Mitglied der Gouvernements - Aushebungs Commission. Abgesehen von der Controlirung der Kreis -Truppen-Chefs ist er für die Führung der namentlichen Liſten der Reserve- Offiziere im Gouvernement, sowie für die allmonatlich den vorgesetzten Behörden einzureichende summarische Nachweiſung sämmtlicher Reservisten, welche sich dort aufhalten, verantwortlich. Zu seinen Functionen gehört ferner die persönliche Inspicirung der Sachen Depots innerhalb seines Gouvernements. Die Vorarbeiten für die Mobilmachung, soweit solche von ihm reſſortiren, sind von ihm auf das Genaueſte festzustellen und in steter Bereitschaft zu halten. Im Kriege überwacht der Gouvernements Truppen-Chef die Formation der bezüglichen Reserve- und Ersatz-Bataillene, sorgt für deren Ausrüstung und Bewaffnung , und inſpicirt ſolche unmittelbar nach ihrer Formirung . Für die rechtzeitige Marschfertigkeit der neu formirten Truppentheile ist er verantwortlich. Der Chef der Localtruppen in dem Militairbezirke hat die Ver waltung aller in dem Bezirke befindlichen Localtruppen unter sich und ist sowohl im Frieden wie auch im Kriege die oberste Aufsichtsbehörde für die Gouverne ments- und Kreistruppen-Chefs. Die Etats der Verwaltungen der Chefs der Localtruppen und der Verwal tungen der Gouvernements - Truppen- Chefs sind gegen die bisherigen bedeutend vermindert, indem die ganze Executive in die Verwaltungen der Kreistruppen Chefs übergegangen ist. So ist die Verwaltung eines Chefs der Localtruppen in einem Militairbezirke folgendermaßen zusammengesetzt: 1 Chef der Localtruppen, zugleich auch Inspector der Militair-Hospitäler (Generallieutenant), 1 Chef des Stabes (Oberst) , 1 Stabsoffizier für besondere Aufträge ( Oberstlieutenant oder Major), 3 - im Petersburger, Kiewer , Odeſſaer Militairbezirke -- resp . 2 Ober offiziere als ältere Adjutanten , 22 resp . 17 Mann , im Kriege 28 resp. 33 Mann Unterpersonal. Die Verwaltungen der Gouvernements- und Kreistruppen-Chefs ſind in Bezug auf ihren Etat in 4 verschiedene Kategorien getheilt, je nachdem die Verhältnisse in dem bezüglichen Gouvernement oder Kreise ein größeres oder geringeres Personal beanspruchen. Der Gouvernements -Truppen-Chef ist in der 1. und 2. Kategorie ein Generalmajor, in der 3. ein Oberst oder Generalmajer, in der 4. ein Oberst. Während in der 4. Kategorie nur 1 Oberoffizier als älterer Adjutant fungirt , sind in den 3 ersten Kategorien 2 vorhanden. Das Unterpersonal ist in der 1. Kategorie 17 , in der 2. 15 , in der 3. 12 , in der 4. 8 Mann stark, und wird solches im Kriege noch um 6, resp. 5 , resp. 4, resp. 3 Mann verstärkt. Der Kreistruppen-Chef ist in den ersten beiden Ka tegorien ein Oberst oder Oberstlieutenant , in der 3. ein Oberstlieutenant oder Major, in der 4. ein Major oder Capitain. In der Verwaltung der ersten *) Die Publicirung dieſes Geſeßes ist in kurzer Zeit zu erwarten.

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beiden Kategorien ist noch ein Capitain oder Stabscapitain und ein Lieutenant, in den 3 ersten Kategorien noch ein Geschäftsführer etatsmäßig. Das Unter personal ist 11 resp. 9, resp. 7 , resp. 5, im Kriege 15 resp. 12, resp . 9, resp . 6 Mann stark. Für den Petersburger, Moskauer, Warschauer, Kursker und Nijni-Nowgoroder Kreis sind die Verwaltungen außerdem noch durch Geschäfts führer und Unterpersonal verstärkt. Alle drei eben aufgeführten Instanzen der Local- Militair - Verwaltungen fungiren nur in dem Petersburger, Wilnaer, Warschauer, Kiewer, Odessaer, Charkower, Moskauer und Kasaner Militairbezirke. In dem Finnischen Mi litairbezirke, den Gouvernements Ufa und Orenburg des Orenburger Militair bezirks und dem Don-Oblaſſtj beabsichtigt man , die Functionen aller oder ein zelner der genannten Behörden anderen schon bestehenden Local-Militair-Ver waltungen zu übertragen, da hier nur wenige Localtruppen dislocirt sind . Die Local- Militair - Verwaltungen der Militair - Gouverneure und Commandanten , sowie die Local - Kasaken - Verwaltungen haben keine wesentlichen Aenderungen ihrer Organisation erfahren. Die Feldverwaltung der Truppen im Kriege wird dagegen in Rück ſicht auf die in vorstehend hervorgehobenen mannigfachen Reformen in der Or ganisation der Truppen neu redigirt werden müſſen. Officiell publicirt iſt dar über noch nichts. Die Bekleidung, Ausrüftung und Bewaffnung. In den 6 Central-Werkstätten zu Petersburg, Dünaburg, Moskau, Brest Litewsk, Kiew und Tiflis werden die unberührbaren Vorräthe", d. h. die Vor räthe für die Kriegsaugmentation angefertigt. Jede Werkstatt kann jährlich 25,000 complete Bekleidungen liefern. Davon wurden aber bis dahin die Mäntel , Waffenröcke , Tuchhosen , Sommerhosen, Halstücher , Käppis nur halb fertig, und nur die Baſchliks und Stiefeln ganz fertig gestellt. Tritt eine Ver stärkung der Arbeitskräfte ein, so steigert sich die Leistungsfähigkeit jeder Werk statt so, daß 45,000 Stück angefertigt werden können. Die Anfertigung der Bekleidung für die Präsenzſtärke der Truppen haben letztere selbst in der Hand , indem sie jährlich nur eine bestimmte Quantität Leinewand , Leder 2c. von der Intendantur angewiesen erhalten , und die Roh stoffe durch eigene Handwerker verarbeiten laſſen. Die Sachen, welche an die Leute Seitens der Truppentheile verausgabt werden, zer fallen in solche, welche eine einjährige Tragezeit haben : 2 Hemden (für das dritte werden 25 Kopeken gezahlt) , 2 Paar Schuhe , Sohlen und 1 Paar Schäfte (bei der Garde 2 Schäfte), das Halstuch, 2 Unterbeinkleider, die Sommerhosen; ferner in die Montirungs stücke: Waffenrock mit 2- (bei der Garde 112-) jähriger Tragezeit, Winterhosen, Kittel, Tuchkäppi mit derselben Tragezeit, Reithofen mit ein , Baschlik mit 6jähriger Tragezeit ; dann in die Ausrüstungsstücke : der Sultan (Busch) am Käppi , Koppel , Tornister mit 10jähriger, Patrontasche mit 12jähriger Tragezeit u. s. m.; schließlich in solche, für welche eine bestimmte Tragezeit nicht festgesezt ist ; hierher gehören die küpfernen, eisernen Sachen ebenso die Waffen. Haftet auf den Montirungsstücken keine Tragezeit mehr, so bekommt sie der Mann, welcher nach seinem Gefallen damit verfahren kann. Der Waffenrock mit den Tuchhosen und Käppi jedoch geht erst in das Eigenthum der Leute über , wenn die zweite Tragezeit abgelaufen ist. Während der ersten Tragezeit werden genannte Sachen den Leuten nur bei Besichtigungen und Paraden in die Hand gegeben , erst nach Ablauf derſelben dürfen fie bei jedem Dienst getragen werden. Von den mannigfachen Aenderungen in der Bekleidung, was Form und Schnitt be trifft, können nur die hauptsächlichsten hier hervorgehoben werden. So wurden durch Befehl vom 8. Januar 1872 die bis dahin bestehenden Waffenröcke mit 2 Reihen Knöpfen in solche mit nur 1 Reihe abgeändert.

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Der Befehl vom 14. December 1873 ordnete ferner an, daß die ganze Garde-Infan terie, die Schüßen Bataillone und die Garde-Invaliden ausgenommen , die Garde-Fuß und reitende Artillerie , das Leib- Garde- Sappeur-Bataillon , das Leib- Garde- Dragoner Regiment anstatt der Tuchkäppis Helme (nach Preußischem Modell) tragen sollen. Gang durchgeführt ist dieſe Maßregel indeß noch nicht. Wie oben erwähnt, lagerte bisher ein großer Theil der Montirungsstücke nur im halb fertigen Zustande in den Depots , und bedurfte es somit bei einer Mobilmachung noch immer längerer Zeit und ziemlich bedeutender Kräfte , bis dieſe ſoweit fertig waren , um von den Truppen in Gebrauch genommen zu werden. Um diesem großen Uebelstande ab zuhelfen, und somit die Mobilmachung zu beschleunigen , sind unter dem 4. Mai 1874 folgende Bekleidungsänderungen befohlen, welche für alle Truppen, die Garde, Grenadiere, Cavallerie und reitende Artillerie ausgenommen, demnächst in Kraft zu treten haben : 1. Die Käppis des Modells 1862 sind ohne farbigen Rand und ohne die oben ein genähte Kante anzufertigen. Ersterer wird durch einen Besaß von einem wollenen Bande, lettere durch eine aufgenähte wollene Schnur erſeßt. 2. Die Waffenröcke werden als eine Art von Blouſen ohne Taille gearbeitet. 3. Die verkürzten Tuchhosen erhalten keine Bieſen. Außerdem wurde festgesetzt : Die Kragenpatten, welche mit dem Kragen eine gleiche Breite haben und bis zum hinteren Rande der Achselklappen reichen , erhalten bei den Grenadier- und Armee Infan terie Regimentern dieselbe Farbe , welche jezt die Regimentsnummer in der Division hat, nämlich das 1. Regiment in der Division erhält rothe, das 2. hellblaue und das 3. weiße Kragenpatten (bei dem 4. Regimente fehlen wie früher die Patten) . Bei den Kaukaſiſchen, Orenburgischen und Turkestanischen Linien-Bataillonen werden die Kragenpatten roth, bei den West- und Oſtſibiriſchen hellblau , und bei den Militair- Gefängniß-Commandos wie früher himbeerfarben getragen. Die Schüßen Bataillone, die Artillerie, Ingenieurtruppen und alle Localtruppen ſollen Kragen ohne Patten haben . Die Kragen der Mäntel aller Truppen-Abtheilungen und Verwaltungen ohne Aus nahmen werden um einen Zoll kürzer; die Patten behalten ihre früheren Dimenſionen und erhalten die der Rockkragenpatte resp. die dem Rockkragen entsprechende Farbe. Die Farbe des Wollenbandes an den Käppis soll der der Mantelkragenpatten ent sprechen. Die Achselklappen werden in den Grenadier-Regimentern gelb , und zwar in der 1. Grenadier- Diviſion mit rothem, in der 2. mit hellblauem , in der 3. mit weißem Bor stoße (in der Kaukasischen Grenadier-Diviſion haben die Achselklappen keinen Vorstoß) , bei den Armee 5 Infanterie- Regimentern der 1. Brigaden werden die Achselklappen roth , bei denen der 2. weiß. Die Kaukasischen Linien-Bataillone erhalten weiße , die Turkeſta nischen hellblaue , die Orenburgischen dunkelgrüne mit rothem Vorstoß , die Westſbirischen weiße und die Ostsibirischen dunkelgrüne Achselklappen mit rothem Vorstoße. Die Festungs Regimenter und Bataillone bekommen rothe, alle übrigen Localtruppen dunkelgrüne Achſel klappen mit rothem Vorstoß. In Betreff der Ausrüstungsgegenstände ist besonders hervorzuheben, daß_durch Prikas vom 1. August 1874 bei allen Garde und Armee-Fußtruppen der bisher bestehende Tor nister aus Kalbfell durch einen solchen aus wasserdichtem Segeltuch ersezt werden soll. Derselbe erhält oberhalb ein Futteral zum Tragen der Stiefeln oder überhaupt von Schuhwerk. Außerdem ist noch ein Sack, welcher über die linke Schulter getragen wird, zur Unterbringung von 3 Pfd . Zwieback eingeführt. Anstatt der bis zum Jahre 1870 gebräuchlichen eisernen Kochkeſſel find kupferne nach demselben Modell, für einen Mann bestimmt, in Gebrauch genommen. Ein neues Modell der Patrontaschen ist im Jahre 1870 für alle mit Gewehren nach dem System Krnka resp. Berdan bewaffneten Truppen eingeführt. Diese neue Patrontasche faßt 30 Metallpatronen für Gewehr Berdan , 24 für Gewehr Krnka. Der Mann hat 2 Patrontaschen. Nach Prikas vom 13. März 1873 ist ein Modell einer Patrontasche zu 20 Patronen für den Berdan Carabiner , und ein solches für die Patrontasche zu 18 Patronen für den Revolver festgeseßt. Ferner ist noch der Befehl vom 23. August 1874 , durch welchen die Ausrüstung der regulairen Truppen der Infanterie , Cavallerie und Artillerie (die Linien - Bataillone , In genieure und Reserve- Escadrons der Armee-Cavallerie ausgenommen) mit Schanzzeug feft gestellt ist, wichtig. Danach hat jede Infanterie-, Linien- und Schüßen-Compagnie 10 Schaufeln, 24 Beile, 3 Kreuzhauen, 3 Spaten , 1 Brecheisen ; jede Escadron (leichte , schwere und Dragoner)

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8 Schaufeln, 8 Beile ; jede 9 und 4pfündige Batterie , jeder mobile und fliegende Park 16 Schaufeln, 16 Beile, 4 Kreuzhauen, 4 Spaten, 2 Brecheisen; jede Mitrailleusen-Batterie die Hälfte der Anzahl der leztgenannten Schanzzeug-Stücke. Während das Schanzzeug bei der Infanterie , Artillerie und den Parks auf den Pa tronen , Munitionskarren und anderen Fahrzeugen fortgeschafft wird , hat die Cavallerie die Beile am Sattel befestigt ; die Schaufeln werden aber auch von ihr auf den Munitions karren mitgeführt. Was die Bewaffnung der Infanterie betrifft , so ist schon im Jahre 1870 festgesetzt, daß - bis die ganze Armee mit Gewehren nach dem System Berdan bewaffnet werden kann - provisorisch alle Truppen im Europäischen Rußland mit Sechslinien - Schnellfeuernden Gewehren nach dem System Krnka " , die Truppen in dem Kaukasischen , Orenburgischen , den beiden Sibirischen und dem Turkestanischen Militairbezirk mit „ Sechslinien- Schnellfeuernden Gewehren nach dem System Karle" bewaffnet werden sollen. - Dieser Plan ist jetzt schon so weit verwirklicht , daß alle Schützen - Bataillone und zwei Garde - Infanterie Divisionen Berdan, alle übrigen Truppen im Europäischen Rußland Krnka Gewehre haben und schließlich der Rest mit Karle- Gewehren bewaffnet iſt. Die Bewaffnung der Cavallerie, der Dragoner mit Berdan- Gewehren , der übrigen Regimenter mit Berdan- Carabinern resp. mit Revolvern schreitet vor wärts , doch liegen keine officiellen Nachrichten vor, wie weit die Truppen die bezüglichen Waffen bereits in Händen haben. In der Bewaffnung der Artillerie hat sich nichts geändert : sie ist mit 9- resp . 4pfündigen Hinterladungs - Geschützen aus Gußſtahl resp . Bronce, mit 3pfündigen Berggeschüßen und mit Mitrailleusen nach dem Syſtem Gatling ausgerüstet. Alle Feldgeschütze haben eiserne Laffeten. Die Geldverpflegung, Naturalverpflegung, Unterbringung. Das eigentliche Gehalt sowohl für Offiziere, Unteroffiziere und Mann schaften wird auch jetzt noch im Großen und Ganzen nach den Sätzen des Jahres 1859 gezahlt. Der Unterschied in den Offizier- Gehältern ist ein sehr geringer , indem das Gehalt eines vollen Generals das eines Fähnrichs nur um etwa das Sechsfache übersteigt. Wurde auch eine Ausgleichung dieses Miß verhältnisses dadurch angestrebt , daß mit den Commandostellen theils bestimmte Zulagen, theils Tischgelder verbunden wurden , so entsprachen doch bald die Geldcompetenzen speciell der Offiziere keineswegs mehr den jetzigen Zeitverhält nissen ; es mußte eine Abhülfe geschaffen werden. Dies ist durch den Befehl vom 1. Januar 1873 geschehen , durch welche die Säße der Tischgelder für alle Generale , Stabs- und Oberoffiziere der Feld- und Localtruppen , welche bis dahin solche etatsmäßig erhielten , erhöht wurden. Gleichzeitig ist für die höheren Befehlshaber noch eine besondere Zulage zu den Tischgeldern getreten, während die Subalternoffiziere allmonatlich Portionsgelder erhalten, sofern ihnen keine Tischgelder competiren. Nach den neuen Normen betragen z. B. die Tischgelder für einen Divisions-Commandeur 2400 , für einen Regiments - Com mandeur 1500 , für einen Bataillons -Commandeur 600, für einen Compagnie Commandeur 300 , für einen Bataillons -Adjutanten 180 Rubel jährlich. Die den höheren Commandeuren bis zu den mit den Rechten eines Regiments Commandeurs beliehenen Personen incl. gewährte besondere Zulage hat für den Divisions -Commandeur eine Höhe von 1500 Rubel, während der niedrigste Satz (z. B. für den Commandeur eines Sibirischen Linien - Bataillons ) 60 Rubel beträgt. Die Portionsgelder endlich werden in einer Höhe von 96 (in Ost sibirien von 108 resp . 216) Rubeln pro Jahr neben dem etatsmäßigen Gehalt

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und sonstigen Competenzen gewährt. Befindet sich der betreffende Offizier aber krankheitshalber in einem Hospital oder auf Urlaub , so verliert er den An spruch darauf. Nach Erhöhung der Competenzen sind aber verschiedene bis dahin be willigte extraordinaire Zulagen fortgefallen, so auch die jedem Armee -Infanterie Regiment unter dem 20. März 1868 zugebilligte Summe von 1200 Rubeln jährlich , aus welcher bedürftigen Offizieren Unterstützungen gezahlt wurden. Diese Summe soll vielmehr zur Einrichtung von Regiments-Bibliotheken, Regis ments-Hülfskaffen zc. verwandt werden. Eine weitere bemerkenswerthe Reform liegt in der Anordnung , daß jezt bereits seit dem 1. Januar 1873 den Offizieren die Geldcompetenzen , monat lich und nicht, wie früher, alle 4 Monate, allerdings aber noch postnumerando gezahlt werden . Während in den Gehaltscompetenzen der Mannschaften keine Aenderungen eingetreten sind, sie vielmehr noch immer ihr äußerst geringes Gehalt (4 Rubel 5 Kepeken für einen Garde-, 2 Rubel 70 Kopeken für einen Armee - Infante risten jährlich) trimesterweise postnumerando beziehen, hat wenigstens eine Ge haltsaufbesserung für die Unteroffiziere durch den Befehl vom 1. Auguſt 1870 stattgefunden , so daß jetzt ein älterer Unteroffizier der Garde - Infanterie 24, ein älterer Unteroffizier der Armee-Infanterie 18 Rubel jährlich bezieht. Neuerdings , durch den Befehl vom 17. September 1874 , ist ferner feit gesetzt, daß die Capitulanten- Unteroffiziere eine Zulage erhalten , und zwar die Feldwebel und älteren Wachtmeister 84, die übrigen Unteroffiziere 60 Rubel jährlich. Dagegen ist die frühere Zulage für Capitulanten , welche - obwohl sie sich alle 3 Jahre um die ganze resp. halbe Jahreslöhnung steigerte - doch bei Weitem nicht die Höhe der jetzt normirten Zulage erreichte, in Wegfall ge kommen. Die Natural -Verpflegung der Unteroffiziere und Mannschaften iſt durch die Verordnung vom 18. August 1871 geregelt. Danach erhält der Mann pro Tag entweder 2 Pfd. 251 Solotnik (929 Gramm ) Mehl, oder 3 Pfd. ( 1,23 Kilogramm) gebackenes Brod und 32 Solotnik ( 137 Gramm) Grüße. Zur Anschaffung von Fleisch, Salz, Gemüse 2c. erhalten die Trupren Zuspeisegelder. Diese bestehen nach dem gewöhnlichen Sate pro Mann und Tag in 1 Kopeken für Gemüse , Salz , Butter oder Fett , Pfeffer und Weizen mehl und in dem Werthe für 1/2 Pfd . Fleisch. Letzterer wird alljährlich für die Gouvernements und Oblasſti festgesetzt. Diese Zuſpeiſegelder fließen in die Menagekasse der Compagnie , Escadron oder Batterie. Die monatlichen Ueber schüsse bilden ein Reserve - Capital für etwaige Mehrausgaben in anderen Me naten und soll solches 1 Rubel 50 Kopeken pro Mann der etatsmäßigen Stärke betragen. Der am Ende des Jahres diese Summe übersteigende Ueberschuß fließt in die Wirthschaftskasse des betreffenden Truppentheils und soll nach Be fehl vom 8. März 1872 unter Anderem zu Belohnungen für Schneider, Schub macher und andere Handwerker, auch für Unteroffiziere, die sich in ihren Dienst obliegenheiten besonders hervorthun , verwandt werden. Die hierzu verfügbare Summe wird so bemessen, daß nach der Etatszahl pro Kopf 15 Kopeken jähr lich ausgeworfen werden . Im Anschluß hieran möchte auch noch des Befehls vom 21. December 1871 Erwähnung geschehen müssen , wodurch die Dekonomie- Verwaltung der Truppen neu geregelt ist. Sie ist maßgebend für alle Infanterie- und Cavallerie- Regi menter der Garde und Armee, für die Schüßen- und Linien-Bataillone und die

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Ingenieur-Truppe , für das Lehr-Infanterie-Bataillon und die Lehr- Cavallerie Escadron. Die Haupt-Principien dieser Verordnung sind folgende : Der Com mandeur jeder selbstständigen Truppen-Abtheilung hat auch die Verwaltung der Dekonomie der ihm anvertrauten Truppe zu leiten. Die unmittelbare Aufsicht jedoch wird einem der Stabsoffiziere oder einem der Compagnie reip. Esca= drons-Commandeure übertragen. Dieser Offizier wird aus dem Etat des be züglichen Truppentheils von dem Commandeur ernannt , höheren Orts bestätigt und heißt „Dekonomie-Verwalter" . Die Verwaltung der einzelnen Zweige der Dekonomie liegt : in den Regimentern dem Zahlmeister , dem Quartiermeister und dem Commandeur der Nicht- Combattanten- Compagnie, in den selbstständi gen Bataillonen , Halb-Bataillonen und Escadrons dem Zahlmeister und Quar tiermeister ob. Für das Listen- und Rechnungswesen wird ein besonderer Offizier oder auch wohl Beamter als „ Geschäftsführer " ernannt. Der Ge schäftsführer, Zahlmeister, Quartiermeister und Commandeur der Nicht - Com battanten-Compagnie können bei der Infanterie die Chargen vom Fähnrich bis incl. Stabscapitain, bei der Armee- Cavallerie bis incl. Rittmeister bekleiden. Sie müssen alle mindestens 2 Jahre in ihren Functionen bleiben. Durch den Befehl vom 2. Auguſt 1872 wurde eine neue Verordnung, welche den bis dahin stattgehabten Medus in Betreff der Servis - Angelegen heiten der Offiziere aufhebt, und am 1. Januar 1873 in Kraft treten sollte, publicirt. Hiernach hörte die Gestellung des Quartiers in natura und die Auszahlung von Geldern aus den städtischen Fonds für Generale, Stabs- und Oberoffiziere und Klaſſenbeamten in den Städten aller Militairbezirke - den Kaukasischen , Warschauer , Turkestanischen und Finnischen Militairbezirk, sowie die beiden Residenzstädte Petersburg und Moskau ausgenommen auf. An= statt der Gestellung des Quartiers in natura und der Auszahlung von Quar tiergeldern aus städtiſchen Fonds erhalten die bezüglichen Offiziere und Beamten Quartiergelder aus der Staatskasse. Zu dem Ende wurden alle Städte , in welchen diese neue Verordnung zur Anwendung kam, in 4 Klassen getheilt und danach die Sätze der Quartiergelder normirt , welche monatlich postnumerando gezahlt werden. Die Offiziere , welche Quartiergelder erhalten , haben keinen Anspruch auf Beheizung und Beleuchtung. Wenn Offiziere in irgend einer Stadt nicht im Stande sind , sich für die ihnen competirenden Quartiergelder ein Quartier zu verschaffen , so übergiebt der Commandeur der Truppe die qu . Summe der Stadt, welche nunmehr ihrerseits verpflichtet ist , ein solches in natura zu stellen. Diese Verordnung wurde durch Befehl vom 2. August 1874 mit der Ab änderung bestätigt, daß 5 Servisklassen eingeführt wurden und das Gesetz auch auf die Städte Petersburg und Moskau Anwendung finden sollte. Außerdem ist noch festgesetzt , daß die Geſtellung von Naturalquartieren auch für Unter offiziere und Gemeine unter Ausdehnung jener Ausnahmen für Offiziere auch auf die Mannschaften — mit dem 1. Januar 1875 aufhören soll. Dieſe will man in Cafernen oder in anderen passenden Unterkunftsräumen unter bringen. Eine Einquartierung von Offizieren und Mannschaften findet in Zu hunft nur noch statt im Kriege oder in Seitens der Regierung in Kriegszustand erklärten Städten, bei Märschen, sofern der Aufenthalt an einem und demselben Erte nicht länger als 3 Tage dauert, und schließlich für die ersten 3 Tage nach) Ankunft der Truppen in neuen Garnisonen.

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Das Militair Gerichtswefen. Das Militair- Gerichtswesen ist noch immer in einer Umformung begriffen, indem das neue durch den Befehl vom 15. Mai 1867 angeordnete Militair Gerichtsverfahren noch nicht im ganzen Reiche zur Einführung gekommen, ſondern erst für den Militair-Bezirk Petersburg und Moskau ſeit 1867, Charkow und Odeſſa ſeit 1868, Wilna und Kiew seit 1869, Kaukasus seit 1870, Kajan ſeit 1871 , Finnland und für die Truppen des Don-Woissko seit 1872, und schließlich für den Warschauer Militair-Bezirk erst 1874 rechtskräftig geworden iſt. Die Grundlagen der Militair- Gerichts-Reform bestehen darin , daß jeder selbstständige Truppentheil sein eigenes Gericht hat. Dann ist für jeden Militair Bezirk ein Militair-Bezirks- Gericht als 2. Instanz eingerichtet , während die Caſſations-Instanz das Haupt-Militair-Gericht in Petersburg bildet. Außer diesen stehenden Militair- Gerichten functioniren auch noch zeitweise eingejekte Kriegs-Gerichte. So treten z. B. für eine Operations-Armee im Auslande ein Feld-Haupt-Kriegsgericht und ein Feld-Kriegsgericht in Function. Die Regiments- , Brigade , Batterie- 2c. Gerichte bestehen bei denjenigen Truppentheilen, deren Commandeure mit den Rechten eines Regiments Commandeurs beliehen sind. Sie setzen sich aus einem Stabsoffizier als Vor sitzenden, 2 Oberoffizieren als Mitgliedern und 1 Oberoffizier als unterſuchungs führenden Offizier zusammen. Der Regiments - Commandeur ernennt die ver genannten Offiziere, und zwar den Vorsitzenden auf 1 Jahr, die Mitglieder auf 6 Monate und den Untersuchungsführenden auf 2 Jahre. Die Sigungen des Regiments- Gerichtes haben gewöhnlich bei dem Regimentsstabe statt. Zu seinem Reffort gehören die Vergehen aller mit gewissen Rechten versehenen Unteroffiziere und Mannſchaften, welche nicht den Verlust dieser Rechte nach sich ziehen, und die Vergehen aller keine besonderen Rechte besitzenden Unteroffiziere und Mannschaften, welche nicht die Abgabe in eine Militair-Besserungs - Compagnie und keine schweren Bestrafungen bedingen. Die Untersuchung und die Verkandi gung des Urtheils ist öffentlich, die Berathung des Gerichts geheim . Die Militair- Bezirks - Gerichte sind aus ständigen Mitgliedern : dem Vorsitzenden und den Militair-Richtern , ―――――― und aus auf 6 Monate von den Truppen commandirten 2 Stabsoffizieren und 4 Oberoffizieren zusammengejezt. Außerdem sind noch je 1 Militair-Procurator mit seinen Gehülfen und Secretairen und eine gewisse Anzahl von Militair-Unterſuchungsrichtern angestellt. Bei einer Gerichtssitzung müssen mindestens 1 Militair-Richter, die 6 commandirten Mit glieder, eine Persönlichkeit der Procurats-Aufsicht und ein Secretair oder deſſen Gehülfe zugegegen sein. Vor das Forum der Militair-Bezirks- Gerichte gehören alle Strafsachen der Offiziere , und die der Unteroffiziere und Mannschaften, welche die Strafgewalt der Regiments - Gerichte überschreiten. Die Gerichts verhandlungen sind öffentlich mit Ausnahme derer , welche Majestätsverbrechen, sehr schwere Verbrechen gegen die Disciplin und noch einige andere speciell festgestellte Fälle zum Gegenstande haben. Der Angeklagte vertheidigt sich selbst, eder wählt sich einen Vertheidiger oder läßt sich einen solchen gestellen. Die Urtheile der Militair-Bezirks- Gerichte bedürfen in gewissen Fällen der Bestätigung des Kaiſers.

Die Beförderung zu Unteroffizieren und Offizieren, das Avancement der Offiziere. Unter dem 19. Juli 1874 sind specielle Vorschriften über die Beförderung der Leute des Dienststandes , welche an der Loojung Theil genommen haben, erlassen, deren Grundprincipien folgende sind : Die Beförderung zum Unter

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offizier darf nur dann stattfinden, wenn der Betreffende in Rücksicht auf seine Führung und Dienstkenntniß von seinen nächsten Vorgesetzten für vollständig dazu würdig erachtet wird. Dabei muß aber der zur Beförderung zum Unter offizier in Vorschlag gebrachte Mann bei einer 6 resp. 7jährigen Verpflichtung zum activen Dienst, 2 Jahre, bei einer 4jährigen 2 Jahre, bei einer 3jährigen 1 Jahr, bei einer 11/2jährigen 6 Monate, bei einer 6monatlichen 3 Monate als Gemeiner gedient haben. Ferner muß derselbe bei der Infanterie und Cavallerie ist er 6, 7 oder 4 Jahre zum activen Dienst verpflichtet einen Curſus in dem Lehr-Commando des betreffenden Truppentheils durch machen ; hat er aber nur eine 3 , 12jährige oder 6monatliche active Dienstverpflichtung , eine specielle Unteroffizier-Prüfung ablegen. Letzteres gilt auch bei allen übrigen Truppen. Die Freiwilligen werden nach den bereits oben erwähnten Friſten zu Unter offizieren über den Etat befördert , sofern sie ein bezügliches Eramen bestehen. Die eben erwähnten Lehr - Commandos bestanden bis 1873 nur bei der Infanterie und Cavallerie, ſind aber durch Befehl vom 23. Auguſt reſp. 9. Sep tember 1873 auch bei der Artillerie und den Ingenieur- Truppen eingeführt. Bei der Infanterie und Cavallerie befindet sich das Lehr-Commando bei dem Stabe des Regiments resp . selbstständigen Bataillons. Von jeder Compagnie resp. Escadron werden 4-5 Mann je nach dem voraussichtlichen Abgange an Unteroffizieren zu dem bezüglichen Stabe abcommandirt, um hier einen 2jährigen Ausbildungs - Cursus durchzumachen , welcher so organisirt ist , daß immer nur die Hälfte der commandirten Mannschaften zu ihren resp. Compagnien und Escadrons zurückkehrt und durch neue ersetzt wird. Die zu commandirenden Mannschaften müssen wenigstens schon 1 Jahr gedient haben und die nöthigen Fähigkeiten bei guter Führung besitzen. Als Aufsichts- und Instructions - Offiziere werden per Infanterie-Regiment 3, per selbstständiges Bataillon und Cavallerie Regiment 2 Offiziere commandirt, welchen ebensoviel Unteroffiziere als Gehülfen beigegeben sind . Bei der Artillerie existiren nach denselben Principien außer den Batterie-, Park- und Compagnie-Lehr- Commandos , auch noch Brigade- und Festungs -Lehr Commandos . Erstere bereiten auf lettere vor, und dienen gleichzeitig zur Aus bildung von Leuten zu Bombardieren , Laboranten und Zielern. Der Eurjus dauert ohngefähr von einer Lager- Uebung zur anderen. Die Brigade und Festungs-Lehr-Commandos bilden in einem 2jährigen Cursus commandirte Leute zu Feuerwerkern (Unteroffizieren) aus. Bei den Ingenieur- Truppen haben die Bataillons-Lehr- Commandos den Zweck, Mannschaften zur Unteroffizier-Charge vorzubereiten, während die Brigade Lehr-Commandos zur Heranbildung der Lehrer für jene, sowie überhaupt zur Aus bildung von im Ingenieur-Wejen mehr unterrichteten Unteroffizieren dienen sollen. Hier dürfte der Platz sein, um der Verordnung vom 17. September 1874, die Capitulation von Unteroffizieren betreffend , Erwähnung zu thun. Die selbe beruht auf folgenden Hauptprincipien : Jeder Unteroffizier , welcher in Bezug auf Dienstkenntnisse und Führung von seinen Vorgesetzten würdig be funden ist, kann sich zum Weiterdienen jedesmal auf 1 Jahr verpflichten, oder, sofern er nicht länger als 1 Jahr der Reserve angehört hat , wieder activ werden. Diese somit längere active Dienstzeit , zu welcher der Betreffende sich verpflichtet hat , kommt auf die Gesammtdienstzeit voll zur Anrechnung . Die Capitulation kann alljährlich erneuert resp. von Seiten des Truppentheils bei schlechter Führung des Capitulanten gekündigt werden. Den Capitulanten sind besondere Vorrechte gewährt: sie dürfen in dem 1. Jahre nach abgeschlossener

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Capitulation, in der Zeit zwischen Beendigung der Sommerübungen und Ein ſtellung der jungen Soldaten im Europäiſchen Rußland auf 2 , bei den Truppen im kaukasischen Militair-Bezirk auf 3, und endlich in West- und Ost- Sibirien auf 4 Monate mit Gehalt beurlaubt werden ; gewissen Capitulanten-Unteroffizieren wird - wie schon erwähnt ― eine Zulage von 84 resp. 60 Rubeln gewährt; sie dürfen nicht mit strengem Arreſt* ) bestraft werden. Ferner werden den Capitu lanten-Unteroffizieren folgende äußere Abzeichen zugebilligt : Bei der ersten Capitulation erhalten sie ein silbernes Chevron auf dem linken Aermel ; nach einer Capitulationszeit von 5 Jahren ein goldenes Chevron ; nach 10jähriger Capitulation eine auf der Brust zu tragende silberne Medaille am Bande des Annen-Ordens, und endlich nach einer noch längeren Dienstzeit eine um den Hals zu tragende goldene resp. silberne Medaille, betreffs deren weitere Feſt setzungen erlassen sind . Diejenigen Unteroffiziere , welche bei guter Führung eine 5jährige oder längere Capitulationszeit hinter sich haben , sind bei ihrer Ueberweisung zur Reserve resp . ihrer Entlassung berechtigt, von der Commando Behörde besondere Empfehlungs-Zeugnisse für Stellen im Militair- und Civil reffort" zu erhalten. Die specielle Regelung dieser letteren Angelegenheit ist noch einer verheißenen späteren Verordnung vorbehalten, ebenso wie auch die bereits ausgesprochene Absicht , den Capitulanten-Unteroffizieren , welche nach längerer oder kürzerer Dienstzeit abgehen, lebenslängliche oder zeitweise Beihülsen bei der Verabschiedung zuzuerkennen. Während für die Beförderung der Freiwilligen zum Offizier die bis dahin bestehenden bezüglichen Vorschriften bis zum Erlaß besonderer Verfügungen bestehen bleiben , und nur eine bestimmte Dienstzeit für dieselben - wie schen oben angegeben normirt ist , sest bereits die erwähnte Verordnung rem 19. Juli 1874 den Beförderungsmodus der auf Grund der Loosung eingetretenen Mannschaften zum Offizier fest. Sämmtliche Unteroffiziere und Gemeine des Dienſtſtandes haben nach Ableistung ihrer respectiven activen Dienſtpflicht das Recht, zu Offizieren befördert zu werden, sofern sie dazu würdig sind. Zu dieser Beförderung werden zugelassen : Bei der Infanterie und Cavallerie diejenigen, welche auf den Junker- resp. Kriegsschulen die Abgangsprüfung bestanden; bei der Artillerie und den Ingenieuren, welche, nach einem Special- Programm geprüft, die bezüglichen Kenntnisse nachgewiesen haben. Zur Ableistung des Offizier-Examens bei den Kriegs- resp. Junkerschuleu werden nur Unteroffiziere nach Ableistung ihrer gesetzlichen Dienstpflicht zugelassen , wenn sie bei einer 6 resp. 7jährigen activen Dienstpflicht schon 2 Jahre, bei einer 4jährigen schen 1 Jahr Unteroffiziere gewesen sind. Bei einer 3- , 12jährigen resp . 6 monat lichen activen Dienstzeit ist, um das Offizier-Examen machen zu können , keine bestimmte Dienstzeit erforderlich . — Zur Erlangung der für das Offizier-Eramen nothwendigen Kenntnisse können Unteroffiziere zum Besuch der Junkerſchulen nach Absolvirung der bezüglichen Dienstzeit als Gemeiner und Unteroffizier wie nach dem Bestehen eines Aufnahme- Eramens zugelassen werden. Sämmtliche Unteroffiziere , welche den Cursus der Junkerschulen beendet und hier resp . bei den Kriegsschulen das Offizier Examen bestanden haben, werden zu Porteree Junkern ernannt , können dann aber erst nach Ableistung der Reservedienstzeit verabschiedet werden. In dem Avancementsmodus der jüngeren Offiziere hat sich im Großen und Ganzen nichts geändert , doch ist für die Besetzung der Commandeurſtellen *) Dieſer entspricht dem Mittelarrest des Preußischen Strafverfahrens.

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bei der Infanterie, Cavallerie und den Schützen-Bataillonen unter dem 14. Aug. 1872 ― eine Verordnung erlassen, auf die ihrer Wichtigkeit halber - wohl etwas näher eingegangen werden muß. Auf Grund dieser Verordnung ist nämlich der Begriff "1 Candidat " für die Stelle eines Regiments - Commandeurs z . B. ein geführt, wodurch eine Persönlichkeit bezeichnet wird, die nach Erfüllung gewiffer Anforderungen zu jener Stellung befördert werden kann. So können als Can didaten für die Stelle eines Commandeurs eines Infanterie = Regiments unter Anderen* ) nur Obersten aufgestellt werden. Die Obersten der Garde-Infanterie müſſen mindestens ein Jahr eine Compagnie und eben so lange ein Bataillon, die des Generalstabes die gleiche Zeit entweder eine Compagnie oder ein Ba taillon commandirt haben, wozu für Erstere noch die Bedingung tritt, daß sie mindestens 3 Jahre Oberstlieutenant gewesen sind ; die Obersten als Comman deure selbstständiger Bataillone müſſen in dieſer Function 1 Jahr gestanden haben. Zu den Candidaten für die Commandeurstellen eines selbstständigen (nicht Schützen-) Bataillons können gezählt werden: Obersten und Oberst= lieutenants (letztere müssen schon 3 Jahre dieser Charge angehört haben) der Grenadier- und Infanterie-Regimenter , welche mindeſtens ein Jahr eine Com pagnie und mindestens dieselbe Zeit ein Bataillon commandirt haben , jüngere Stabsoffiziere bei den Linien-Bataillonen 2c. , wenn sie besondere Bedingungen erfüllen. Die Obersten der Garde, Obersten und Oberstlieutenants des General stabes, die Adjutanten und die für besondere Aufträge bestimmten Offiziere wer den nicht als Candidaten für die Commandeurstellen selbstständiger Bataillone aufgestellt. Als Candidaten für die Commandeurstellen der Schüßen-Bataillone können geführt werden : die jüngeren Stabsoffiziere der Garde - Schüßen Bataillone , die jüngeren Stabsoffiziere der Armee- Schützen-Bataillone (nachdem lettere zu Oberstlieutenants befördert find) und wenn erstere wie letztere minde stens 1 Jahr eine Compagnie commandirt haben , die Oberstlieutenants der Grenadier- und Infanterie-Regimenter, welche mit Auszeichnung mindestens ein Jahr Commandeure eines Bataillons und mindeſtens dieselbe Zeit Commandeure einer Schützen-Compagnie gewesen und persönlich dem Inspecteur der Schüßen Bataillone bekannt ſind. Für die Commandeurstelle eines Cavallerie-Regiments können nur Oberſten als Candidaten auftreten : der Garde-Cavallerie, wenn ſie mindestens 2 Jahre eine Escadron und 1 Jahr eine Division , oder 3 Jahre nur eine Escadron commandirt haben und dabei wenigstens 3 Jahre Obersten sind ; die Commandeure der Armee =Reserve - Escadrons, wenn sie als solche wenigstens 1 Jahr functionirt haben ; ―――― die Obersten in Armee - Cavallerie Regimentern, wenn sie mindestens 2 Jahre Commandeure einer Escadron waren. Die Generalstabs- Offiziere , Adjutanten 2c. müssen vor ihrer endgültigen Ein rangirung in die Kategorie der Candidaten für Cavallerie-Regiments - Comman deurstellen zu Cavallerie-Regimentern commandirt werden und hier eine Escadron oder eine Division mindestens 1 Jahr commandiren. Alle Vorschläge für die Candidatenstellen der Commandeure selbstständiger Abtheilungen gelangen im Allgemeinen an den Kriegsminister zur Vorlage Aller höchsten Orts : für die Infanterie (die Schützen - Bataillone ausgenommen) und für die die Cavallerie durch die Ober-Commandirende der Militair-Bezirke ; Schützen-Bataillone durch den Inspecteur der Schützen-Bataillone. In Betreff der Vorschläge für die Cavallerie steht aber auch dem General- Inspecteur dieser Waffe noch eine Entscheidung zu. Gleichzeitig mit den Vorschlägen für die *) Es werden nur die wichtigsten Bestimmungen hervorgehoben. Militairische Jahresberichte 1874.

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Candidatenstellen werden auch die Vorschläge für Streichung aus der Candidaten liste eingereicht, wenn Personen in ihrem weiteren Dienste das Zeugniß des Vor gesetzten, welcher sie zu Candidaten vorschlug, nicht bestätigt haben, sowie Krank heits- und anderer Gründe halber. Ist die Allerhöchste Bestätigung erfolgt , so werden die betreffenden Personen in die beim Hauptstabe geführte allgemeine Candidatenliste eingetragen oder in derselben gestrichen , und erfolgt nach dieser Liste auf Grund beſonderer Vorschriften die bezügliche Ernennung. Ausbildung der Mannſchaften und Offiziere. Daß der ganze Ausbildungsgang der Truppen in letzter Zeit ein anderer geworden sein muß , geht schon aus der bereits oben erwähnten Auflöſung der Reservetruppen hervor. Die Neueinführung des Princips , die Rekruten auch bei den Truppentheilen auszubilden, bei welchen sie ihrer activen Dienſtverpflich tung genügen sollen , mußte den bisherigen Gang der Ausbildung wesentlich modificiren. Da früher die Rekruten-Aushebungen im Januar und Februar stattfanden, die ausgehobenen Mannschaften dann bei den Reservetruppen im Laufe des März zur Einstellung gelangten, und hier einen sechsmonatlichen Ausbildungscursus durch machen mußten, so fiel der Moment ihres Uebertritts zu den Feldtruppen durch schnittlich in den Monat September , also gegen den Schluß der Lagefübungen. In dem Jahre 1874, in welchem zum ersten Male alle Rekruten direct bei den Feldtruppen 2c. eingestellt wurden, der bisherige Termin der Aushebungen aber noch innezuhalten war , konnte die Ausbildung der Rekruten ebenfalls erſt im März begonnen werden , so daß solche , da bereits im April die Uebungen der Compagnie , Escadron , Batterie beginnen , äußerst kurz bemessen war. Diesem Uebergangsstadium folgt mit dem Jahre 1875 der normale Ausbildungsgang, indem die im December im Europäischen Rußland ausgehobenen Mannschaften bereits im Laufe des Januar bei ihren Truppentheilen in Dressur genommen werden. Im April beginnt nach Einstellung der Rekruten das Compagnie-, Escadron-, Batterie - Exerciren. Die nicht cajernirten Truppen werden, ſofern die Disloca tionsverhältnisse dies erfordern , bei den Regiments resp. Bataillons - Stabs quartieren zuſammengezogen. Diese „partiellen Concentrationen" dauern circa 12-2 Monate und wird bereits in dieser Zeit zu den Bataillons- , auch zu den Regiments - Exercitien übergegangen ; während derselben beginnen auch, An die „par soweit es die localen Verhältnisse gestatten, die Schießübungen. tiellen Concentrationen" schließen sich im Allgemeinen , sofern die klimatischen Verhältnisse es nicht anders erfordern, die " Gemeinschaftlichen Zuſammenziehungen" in den Lagern an, die 2—3 Monate dauern und während welcher meiſtentheils alle 3 Waffen vereinigt sind. In diese Periode fallen die Uebungen in den größeren Verbänden (Regimentern, Brigaden) , die Uebungen mit gemischten Waffen, wie auch die Schießzübungen der Infanterie und Artillerie hier ihren Abschluß finden. Nach den "1 Gemeinschaftlichen Zusammenziehungen" beginnt mit einer kurzen Pauſe , in welche die Arbeitsbeurlaubungen fallen , der Winterdienst. Die Aus bildung der Mannschaften im Detail , im Turnen und Fechten , im Lesen und Schreiben , Vorübungen zum Schießzen , Marschübungen und die Heranbildung des Personals für die Rekrutendressur füllen dieſe Dienstperiode aus. Ist dies im Großzen und Ganzen der Ausbildungsgang der Truppen , je muß noch besonders hervorgehoben werden , daß speciell in den letzten Jahren Seitens der Obercommandirenden in den Militairbezirken durch sehr eingehende und sachgemäße Instructionen , festere Principien , wie dies wohl bis dahin der

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Fall war, für die Ausbildung selbst gegeben sind . Detailausbildung unter Ver antwortlichkeit des Compagnie , Escadrons- , Batterie = Commandeurs soll die Grundlage bilden, auf welcher der ganze Ausbildungsgang basiren soll. Für die Uebungen im zerstreuten Gefecht , im Vorposten- und Patrouillendienst werden dann speciell in diesen Instructionen Directiven gegeben , die werden sie im Sinne der Commandirenden befolgt -die Truppe entschieden zu einer kriegstüchtigen machen müſſen. Nicht weniger hat die Heeresleitung es sich angelegen sein lassen , für die tüchtige Ausbildung der Offiziere zu sorgen , und zwar sowohl theoretisch wie auch praktisch. Hierher gehört vor Allem der Erlaß vom 4. November 1874, welcher die Gründung von Offizier- Caſinos, um die in Preußen geläufige Bezeich nung zu gebrauchen, obligatoriſch macht. Es wird diese Anordnung gerade für das Russische Offizier- Corps , dem ein gemeinschaftlicher Halt bis dahin wohl noch abging , von wesentlich wohlthuenden Folgen sein, die sich auch im Dienſtbetrieb bald bemerkbar machen werden. Abgesehen von den bedeutenden materiellen Vertheilen, die den Offizieren durch die Gründung eines gemeinschaftlichen Mit tagstisches , eines ihnen stets zugänglichen Locals , in welchem sie zu mäßigen Preisen Speisen und Getränke finden, erwachsen, abgesehen von den Folgen für die Heranbildung eines Corpsgeistes, dessen Fehlen das Bestehen eines Offizier Corps überhaupt nicht zuläßt , eröffnet sich hier dem Offizier das Mittel , ſich selbst fortzubilden. Es sollen hier, wie dies übrigens in den letzten Jahren schon fast in allen größeren Garnisonen der Fall war, wissenschaftliche Vorträge gehalten werden , Uebungen mit dem Kriegsspiel ſtattfinden und Journale und Bücher in der zu errichtenden Bibliothek zur Disposition stehen. Die Grün dung der „ Offizier- Gesellschaften" hat eine wesentliche Lücke ausgefüllt. Zur Ausbildung der Offiziere kamen dann schon im Jahre 1872 General stabsübungsreisen zur Ausführung , an welchen Generalstabsoffiziere , sowie Offiziere aus der Front, Aerzte und Intendantur-Beamte Theil nahmen. Sie haben sich seitdem jährlich wiederholt. Im Herbst des Jahres 1874 hat man auch ferner mit einer Uebungsreise, zu welcher speciell nur Frontoffiziere commandirt wurden , den Anfang gemacht. Diesmal nur für die Garden und die Truppen des Petersburger Militairvezirks rersuchsweise befohlen , sollen dergleichen Reisen auch in den anderen Militair bezirken stattfinden. Ihr Zweck ist , das Niveau der taktischen Kenntnisse der Offiziere zu erhöhen und das Verständniß, dergleichen Kenntnisse bei Operationen im Felde anzuwenden, zu vergrößern" . Von jedem Infanterie- und Cavallerie Regimente, jeder Artillerie - Brigade , jedem Sappeur- und Schüßen -Bataillon wurde je 1 Offizier commandirt , und diese Anzahl in 2 Partheien getheilt. Jeder Parthei war ein Stabsoffizier (Regiments - Commandeur) vorgesetzt, welcher 1-2 Generalstabsoffiziere zu seiner Disposition hatte. Als Oberleiter sollte ein Divisions- oder Brigade- Commandeur fungiren. Die Dauer der Reise war auf chngefähr 10 Tage normirt. Die ersten Tage sollten der Lösung von Elementar Aufgaben im Felde gewidmet sein, und somit auch die Leiter über die Kenntniſſe der ihnen unterstellten Offiziere orientiren. In den letzten Tagen sollten die beiden Partheien unter ihren Leitern, die das Öbercommando über die durch die Barthei repräsentirte Truppe zu übernehmen hatten , gegen einander , oder neben einander gegen einen supponirten Feind manövriren. Die Reise hat, wie gesagt, nach diesen Principien stattgefunden , doch werden diese Reisen voraussichtlich, che sie für die gesammte Armee adoptirt werden, zu modificiren sein. Schließlich hat man auch mit der Lösung von praktischen Offizier- Aufgaben, 27*

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wie sie in der Preußischen Armee üblich sind, den Anfang gemacht. Es liegen allerdings nur Nachrichten aus dem Militairbezirke Warschau vor; hier gehören dergleichen Aufgaben aber schon seit dem Jahre 1871 mit zu den Herbstübungen der Truppen. In Betreff der Ausbildung in speciellen Dienstzweigen ist noch zu er wähnen , daß Mannschaften der Infanterie und Cavallerie, und zwar per Regi ment 1 Offizier , per Bataillon resp . Division 1 Unteroffizier , per Compagnie resp. Escadron 5 Gemeine, in der Geschützbedienung (an hölzernen Geschützen) durch Artilleristen in den Regiments - Stabsquartieren während der Winterübungs periode ausgebildet werden. Auch Krankenträger-Uebungen finden in dieser Zeit statt. Während der Sommerübungen werden dann Mannschaften der Infan terie und Fuß-Artillerie (1 Offizier per Regiment resp. Brigade, 1 Unteroffizier per Bataillon resp . Brigade, 2 Gemeine per Compagnie resp . Batterie) bei den Sappeur-Brigaden 1½ -2 Monat im Sappeur-Dienſt unterwieſen. Auch der Ausbildung im Eisenbahndienste widmet man schon seit 1869 eine große Sorgfalt. Offiziere sollen den Dienst auf den Stationen in einem 2jährigen Commando kennen lernen. Die Unteroffiziere und Mannſchaften, deren Gejammtzahl auf allen Bahnlinien 1000 Mann nicht übersteigen jell, werden von allen Truppentheilen, 1/4 ihrer Zahl speciell von den Sappeur Bataillonen, commandirt, müſſen Zimmerleute, Schmiede oder Schloſſer ſein oder doch lesen und schreiben können. Sie scheiden vollständig aus dem Etat ihrer Truppentheile und stehen in Bezug auf ihre Ausbildung im Eisenbahndienſt unter den als Linien-Commiſſare commandirten Offizieren, in allen übrigen Be ziehungen aber unter den Gouvernements- Truppen- Chefs. Die Vertheilung der commandirten Leute auf den verschiedenen Bahnlinien, sowie die Oberleitung ihrer Ausbildung reſſortirt von dem Comitee für den Transport der Truppen auf Eisenbahnen und Wasserstraßen. Zur eigentlichen Ausbildung überweist man die Mannschaften den bezüglichen Eisenbahn - Directionen. Jeder Mann jell 2 Specialitäten auf das Genaueste kennen lernen . Während der 2jährigen Ausbildungszeit werden die Commandirten vollständig als Eisenbahn-Bedienstete betrachtet und erhalten neben ihrem Gehalt noch ziemlich bedeutende Zulagen von den Eisenbahn - Geſellſchaften. Nach Ablauf ihres Commandos werden die Mannschaften ganz nach den sonst in der Armee geltenden Principien beurlaubt resp . zur Reserve geschrieben. In den Verwaltungen der Gouvernements Truppen- Chefs , wie auch beim Hauptstabe werden genaue Verzeichnisse über dieſe Leute geführt , um sie im Falle eines Krieges sofort zur Formirung der Kriegs-Eisenbahn- Commandos einberufen zu können. Die Beurlaubung, Entlassung, Versorgung, das Invalidenwefen. Nach dem neuen Wehrgeſetze hat das Kriegsministerium — wie schen an anderer Stelle erwähnt das Recht, eventuell vor Ablauf der gesetzlichen 6jährigen Dienstpflicht Ordre-Beurlaubungen eintreten zu laſſen. Nach welchen Fristen dies geschehen kann, ist jedoch noch nicht festgesetzt, und sind die bezüg lichen Normen noch zu erwarten. -- Daß die Capitulanten in dem erſten Jahre nach Abschluß der Capitulation durch die bezügliche Verordnung das Recht er halten haben, auf längere oder kürzere Zeit mit Gehalt beurlaubt zu werden, ist schon an der betreffenden Stelle bemerkt worden . Hier bleibt mur noch übrig, den sogenannten „ Arbeitsurlaub " kurz zu be rühren. Gleich nach den Lagerübungen treten nämlich ziemlich ausgedehnte Beurlaubungen von Mannschaften ein , die bis gegen Ende October dauern.

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Der Zweck derselben ist , den Leuten Gelegenheit zu geben , durch Uebernahme von Privatarbeiten einerseits sich selbst zu ihrer knappen Löhnung etwas zu rer dienen , andererseits aber auch in financieller Beziehung dem Staate eine Er leichterung zu verschaffen. Damit letzteres eine Grenze findet, besteht die Vor schrift , daß mindestens die Hälfte der „ erarbeiteten Gelder" den Leuten selbst verbleibt , und sogar die ganze Summe , wenn der Wirthschaftsfond , in welchen der dem Staate zukommende Theil der genannten Gelder sonst fließt , die Höhe von 600 Rubeln erreicht hat. — In einzelnen Militairbezirken - wenigstens ― scheint die Verordnung keine allgemeine zu sein hat man, um eine gewisse Gleichmäßigkeit bei diesen Beurlaubungen zu erzielen, befohlen, daß die Leute in möglichst geschlossenen Commandos unter Unteroffizieren Privatarbeiten über nehmen, sich nicht auf den Straßen oder Märkten zur Arbeit anbieten , täglich entweder von der Compagnie oder von den Arbeitgebern eine warme Mahlzeit bekommen, nach 10 Uhr wieder in dem Quartier sind und dergleichen mehr. Wann der Uebertritt der Mannschaften zur Reserve erfolgt, ist in dem Wehr gejete festgesetzt und hat bei der Besprechung deſſelben seine Erledigung ge= funden. Hier soll nur noch auf die Verordnung in Betreff der Einberufung der Reſerviſten zum activen Dienst , welche durch Befehl vom 25. September 1870 publicirt wurde, hingewiesen werden. Die bezügliche Verordnung ist aller dings jetzt noch zu Recht bestehend , wird aber voraussichtlich einer neuen bald Plaß machen müſſen , da die Baſis , auf welcher sich die Mobilmachung jetzt vollzieht, doch wesentlich modificirt iſt. Ueber die Unteroffiziere und Mannschaften, welche dienstuntauglich geworden. sind , sowie über die Beurlaubung von Unteroffizieren und Mannschaften zur Wiederherstellung der Geſundheit sind bereits Verordnungen officiell angekündigt, deren Publicirung jedoch noch nicht erfolgt ist. Auch das Versorgungs- und Invalidenwesen der Unteroffiziere und Mann schaften dürfte bald Modificationen erfahren , wie schon durch den Befehl vom 17. September 1874 das bisherige Pensionsgesetz für Capitulanten aufgehoben und der Erlaß neuer Bestimmungen in Aussicht gestellt ist. Ebenso sollen nach §. 34 des Wehrgesetzes die Familien der Angehörigen des Soldatenstandes, welche im Kriege gefallen oder verschollen , oder an den im Kriege erhaltenen Wunden gestorben sind, auf Grund einer besonderen Verordnung versorgt werden . --Die Sorge für die Familien der in Kriegszeiten zum activen Dienst einbe rufenen Reservisten fällt nach §. 35 des Wehrgesetzes den Landschaften (ſemſtwo) wie den Stadt- und Landgemeinden, in deren Mitte sie leben, zu. Die Versorgung der verabschiedeten Offiziere erfolgt , um die bis dahin gültigen Grundprincipien wenigstens hervorzuheben : Durch die Pension , deren Höhe sich nach dem Range des Betreffenden richtet und die als voller oder halber Pensionsbetrag nach vollendetem 35. resp. 25. Dienſtjahre gezahlt wird ; — für Verwundete und Kranke bestehen besondere Normen für die zu gewährenden Pensionssäte ; durch das Invaliden - Gehalt , das nur an Stabs- und Ober- Offiziere gezahlt wird, welche ohne Anrecht auf Pension verabschiedet und ohne Existenzmittel sind ; ―――――― durch die Emerital -Kasse, deren Mitglied jeder Offizier der Landarmee zu sein verpflichtet ist : es werden den Verabschiedeten Pensionen oder einmalige Beihülfen gezahlt ; und schließlich durch das Comitee für die Verwundeten, dessen Fürsorge die Verwundeten und die im Kriege oder sonst bei Ausübung des Dienstes Verstümmelten unterliegen. Der Thätig= keit des Comitees ist bereits oben Erwähnung geschehen.

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Militairische Jahresberichte für 1874. Schlußbemerkungen.

Wenn die Aufgabe, einmal für weitere Bearbeitungen der Russischen Armee eine Basis zu legen, dann die in dem Heerwesen bis zum Schluß des Jahres 1874 eingetretenen Veränderungen in ihrem Zusammenhange darzustellen, in dem Vor stehenden gelungen sein sollte , möchte es kaum noch nöthig sein, zum Schluß darauf hinzuweisen, wie gerade Rußland in militairischer Beziehung sich bereits mächtig entwickelt hat und sich noch mächtiger entwickeln wird. Die Reformen des Kaisers Alexander vollziehen sich stetig, erstrecken sich bis in das Innerste des Heeresorganismus und schaffen eine Armee, die den Anforderungen der mo dernen Zeit wohl gerecht werden dürfte, wenn sie aus dem Provisorium in das Definitivum getreten sein wird. Wann dies der Fall, möchte sich von hier aus wohl schwer übersehen laſſen, zumal noch viele Verordnungen, die officiell bereits angekündigt , der Publicirung harren , und andere aus dem inneren Zuſammen hange der bereits eingetretenen Reformen als bevorstehend sich ableiten lassen. Zu den ersteren gehören die Erlaſſe über die Garde- und Grenadier-Infan terie- und über das Garde- und die Armee- Schützen- Ersatz-Bataillone, — über ― das Garde-Reserve-Regiment, über den Dienst der Convoi-Commandes, über die Formation der Abtheilungen der Reichswehr, über die Ausführung der Pferdegestellungspflicht, — über die Nachweisung der Mannschaften der Re jerve, der Armee und Flotte, sowie der Wehrleute der 1. Kategorie der Reichs: wehr, über die Einberufung der Reſerviſten zum Dienſt und den Uebungen, über den Transportdienst und den Marsch von nicht etatsmäßigen Comman dos, über die dienstuntauglich gewordenen Unteroffiziere und Mannschaften, - über die Beurlaubung derselben zur Wiederherstellung der Geſundheit, über die Ausbildung der Unteroffiziere und Mannschaften der Festungs - Infanterie Truppen , über die Evacuirung der Kranken und Verwundeten vom Kriegs Schauplatze, über die Afſervirung und Auffrischung der Intendantur- und Ar tillerie- Sachen der im Frieden nicht bestehenden Ersatz- und Reserve- Truppentheile. Zu den letzteren ist vor Allem die Aufstellung neuer Etats für die Truppen zu rechnen, dann die Organisation der Infanterie-Regimenter zu 4 Batail lonen mit 4 Compagnien , analog der jüngst für die Regimenter im Kaukajus befohlenen, die Formirung der 7. und 8. Batterie , die Reorganiſation der w die For reitenden Artillerie, der Ingenieur- Truppen, der Festungs - Artillerie, — mirung der Ersatz-Truppentheile für Cavallerie und Artillerie, die Aenderung der Dislocation der Feldtruppen und damit im Zuſammenhange stehend die Ein theilung derselben in Corps. Diese Aufzählung kann jedoch keineswegs einen Anſpruch auf Vollſtändig keit erheben , soll vielmehr nur im Großen und Ganzen zeigen , was noch zu thun bleibt , trotzdem schon so viel zur Ausführung gekommen oder doch zur K. Ausführung vorbereitet ist.

Bericht über das Heerwesen

Schwedens.

Die noch jest geltende Schwedische Heerverfaſſung ist von allen anderen Europäischen völlig abweichend. Aus der Zeit Karls XI. stammend, ist sie im Laufe von zwei Jahrhunderten keinen oder nur geringen Veränderungen unterworfen

Heerwesen Schwedens .

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worden. Will man sie mit einigen Worten charakterisiren , so kann man sie als eine Heerordnung bezeichnen , welche aus einer gewissen Anzahl von In fanterie- und Cavallerie- Regimentern besteht , deren Mannschaft auf Lebenszeit oder bis zur Dienstuntauglichkeit von den Bauern angeworben und unterhalten wird , während sich die jährliche Dienstzeit dieſer Truppe, nach einer ein- oder zweimaligen Ausbildungszeit von 42 Tagen, auf 3-4 Wochen beschränkt. Diese Einrichtung ist lange in und außer Schweden als das Muster einer tüchtigen , wohlfeilen und die Bevölkerung wenig drückenden Heerordnung an gesehen worden. Der Schwediſche „ Bauernſoldat " , der zu Karls XII . Zeiten Wunder der Tapferkeit verrichtet hatte, sollte noch immer , trotz seiner höchst mangelhaften militairischen Ausbildung, das Material für eine der besten Truppe der Welt abgeben, es sollte ein ganz besonderer Verlaß auf diese Leute sein und namentlich setzte man von ihnen voraus , daß sie gegen einen ins Land eindringenden Feind ihren Heerd" mit ungewöhnlicher Energie vertheidigen würden. Nun ist diese Truppe seit Karls XII . Zeiten nur während der Kriege mit Rußland um Finnland auf eine ernstliche Probe gestellt worden, und besonderen Waffenruhm haben die Schwedischen Truppen in jenen Kriegen eben nicht ge-. erntet, obgleich sich gegen die persönliche Bravour der Leute gewiß nichts sagen läßt. Bernadotte sorgte dafür, daß das Schwedische Hülfscorps in den Jahren 1813 und 1814 möglichst weit vom Feinde gehalten wurde, und Lorbeeren sind von den Schweden in jenen Feldzügen keine errungen worden. Seit jener Zeit hat Schweden sich eines ununterbrochenen Friedens zu erfreuen gehabt und nur 1848 durchzuckte das Land eine kurze , kriegerische Strömung , die in der Ab sendung eines kleinen Beobachtungscorps nach Dänemark ihren Ausdruck fand . In der neuesten Zeit hat man doch aber auch in Schweden erkannt , daß die jetzige Heerordnung völlig veraltet sei und durch eine andere ersetzt werden müſſe, die mehr zeitgemäß sei. Von den Bestrebungen, die in dieser Beziehung gemacht sind , wird weiter unten die Rede sein , während wir hier die augen blicklich noch bestehende Heeres-Organisation in kurzen Zügen schildern wollen. Das Schwedische Heer zerfällt in zwei Theile , welche zusammen den "Stamm" bilden , in den die Bewehrung , d. h. die wehrpflichtige Mannschaft, im Alter vom 21. bis 25. Jahre, im Fall eines Krieges eingefügt werden soll (eine Maßregel , welche wegen der Ungeübtheit der Leute, wenigstens was die Specialwaffen betrifft, factisch völlig unausführbar gewesen wäre). Der kleinere Theil des Stammes besteht aus den von der Krone geworbenen Truppen , der bei Weitem größere aber, der eigentliche Kern der Armee, aus den eingetheilten Truppen, deren Mannschaft von den Bauern angeworben und unterhalten wird. Die geworbenen Truppentheile sind : 2 Garde-Infanterie-Regimenter, 1 Jäger - Regiment , 1 Garde - Cavallerie - Negiment, 1 Husaren - Regiment, 3 Artillerie - Regimenter und 2 Bataillone Ingenieur - Truppen. Die In fanterie -Regimenter haben je 2 Bataillone zu 4 Compagnien ; das Garde Cavallerie-Regiment hat 4, das Hujaren-Regiment 6 Escadrons, die Artillerie Regimenter (worunter 1 reitendes und 2 fahrende) haben je 6 Batterien zu 8 Geschützen (das eine Regiment hat außerdem noch eine Fußbatterie zu 6 Ge schüßen); die Ingenieur-Bataillone bestehen je aus 3 Compagnien. Die ganze Stärke dieser geworbenen Truppe beträgt zwischen 5-6000 Mann. Die eingetheilte Armee enthält nur Infanterie und Cavallerie. Infanterie zählt sie 2 Grenadier-Bataillone , 19 Infanterie-Regimenter zu 2 Bataillonen und 3 Jäger-Bataillone, zusammen 43 Bataillone. Die Stärke

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dieser Truppentheile ist ganz ungemein verschieden, da bei manchen Gelegenheiten "„ Nummern " eingezogen worden sind und andererseits viele derselben nicht bejezt gehalten werden ; im Durchschnitt kann man die Stärke der bei den Bataillenen effectiv vorhandenen Mannschaften auf 4-500 anschlagen. An Cavallerie hat die eingetheilte Armee 3 Husaren- und 2 Dragoner-Regimenter , sowie ein reitendes Jägercorps ; letzteres hat 2 Escadrons ; von den Regimentern haben 3 je 5 und 2 je 10 Escadrons ; im letzteren Falle bilden die Regimenter 2 Bataillone. Die ganze Stärke der eingetheilten Armee beläuft sich auf etwa 20,000 Mann. Die Bewehrung , welche aus der ganzen 21 bis 25jährigen dienst tüchtigen Mannschaft besteht, ist dazu beſtimmt, die Truppentheile der geworbe nen und der eingetheilten Armee auf die Kriegsstärke zu completiren. Die beiden ersten Jahrgänge der Bewahrung werden jährlich 15 Tage hindurch in den Waffen geübt und werden in Friedenszeiten ſonſt nicht zum Dienſt heran gezogen. Was die Rekrutirung für den Stamm der Schwedischen Armee betriſſt, so geschieht dieselbe, wie gesagt, durch Anwerbung ; dieselbe gilt bei den eigent lich geworbenen Truppentheilen in der Regel auf 6 Jahre, bei der eingetheilten Armee aber auf Lebenszeit oder doch bis zu eintretender Dienstunfähigkeit. Die Ausbildung von Unteroffizieren geschieht in den sogenannten ver bereitenden Unterbefehlshaber- Schulen und in den eigentlichen Unterbefehlshaber Schulen. Die ersteren sind an die Stelle der früheren Corporalschulen getreten und werden nach den Sommer-Uebungen bei jämmtlichen Truppentheilen der Zn fanterie und Cavallerie eingerichtet. Diejenigen Aſpiranten, welche sich phyſiſch und geistig für den Unteroffizierſtand zu eignen scheinen , werden dann im October zu den Unterbefehlshaber- Schulen commandirt, von denen jährlich eine für die Infanterie in der Festung Karlsborg und eine für die Cavallerie in Stockholm eingerichtet wird . Der Cursus dauert bis zum April des nächsten Jahres; dann haben die Zöglinge ein Examen abzulegen , worauf diejenigen , die das selbe bestehen zu ihren Truppentheilen zurückkehren und nun bei eintretender Vacanz zu Unteroffizieren befördert werden. Zur Ausbildung von Unteroffizieren der Artillerie und des Ingenieurcorps werden gleichfalls besondere Schulen ein gerichtet. Die Offiziere der Schwedischen Armee werden ohne Ausnahme in dem Cadetten-Institut in Karlsborg ausgebildet ; Niemand kann in derselben Auf nahme erhalten, der nicht an einer höheren Lehranstalt das Maturitäts-Gramen zur Universität abgelegt hat. Der Curſus an dem Cadetten - Inſtitut iſt ein zweijähriger , nach dessen Vollendung eine Prüfung zu beſtehen ist , von deren Ausfall die Ernennung zum Unterlieutenant ohne Gehalt abhängt. Dann müſſen die jungen Leute zunächst die verſchiedenen Grade durchmachen, als Ge meiner, Corporal und in den übrigen Unteroffizierchargen, was stets bei einem geworbenen Truppentheil geschehen soll (da bei den eingetheilten Truppen nur eine kurze Zeit des Jahres ein geregelter Dienstgang stattfindet) und wozu bei der Infanterie und Cavallerie mindestens 6 Monate, bei der Artillerie 1 Jahr und bei den Ingenieuren fast zwei Jahre verwandt werden. Zur höheren Aus bildung der Offiziere ist die höhere Kriegsschule zu Marienborg bestimmt. Die Offiziere der Artillerie und des Ingenieurcorps sollen diese Schule besuchen, nachdem sie zwei Jahre bei ihrer Waffe gedient haben. Den übrigen Offizieren ist es freigestellt , ob sie die Schule besuchen wollen oder nicht. Der Curſus an der Schule ist ein zweijähriger, nach deſſen Abſolvirung die Zöglinge fich

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einem Examen zu unterwerfen haben , von dessen Bestehen für die Artillerie und Ingenieuroffiziere die Beförderung zum Premier-Lieutenant abhängt. Auch kann kein Offizier beim Generalstab als Aspirant Aufnahme finden , der nicht das Examen bestanden hat. Entlassen werden können die Schwediſchen Offiziere nicht , bevor sie ihr 60. Lebensjahr zurückgelegt haben und auch dann nur auf Grund eines ärzt lichen Attestes , das sie für dienſtuntauglich erklärt. Sonst können Offiziere nur in Folge eines Richterspruches aus ihrer Stellung entfernt werden und er halten in dieſem Falle keine Penſion . Nach 30jähriger Dienstzeit können die Offiziere ihren Abschied mit Pension verlangen. Was das Pferdewesen der Schwedischen Armee betrifft , so geschieht die Remontirung der geworbenen und eingetheilten Cavallerie nach ganz verschiedenen Grundsätzen. Bei der ersteren werden die erforderlichen Pferde von der Remonte Commission angekauft. Nur ' während der drei Monate dauernden Exercirzeit befinden sich alle Pferde bei den Regimentern ; in der übrigen Zeit des Jahres werden dort nur so viel Pferde gehalten, als für die Rekruten und für die bei den Escadrons zum Dienst verbleibenden Leute (40-50 Mann) nothwendig sind. Die übrigen Pferde werden bei Landleuten in Verpflegung gegeben , von denen sie nur zum Reiten gebraucht werden dürfen. Bei der eingetheilten Gavallerie werden nur die Offizier- und einige Unteroffizierpferde durch die Remonte-Commission angeschafft, die übrigen aber werden von den sogenannten Rusthaltern, d . h . Bauern, die zur Stellung von Leuten und Pferden verpflichtet find, geliefert, und bleiben mit Ausnahme der kurzen Sommerübungen im Besitz jener Bauern . Die Pferde der Artillerie werden angekauft , und diejenigen , die nicht zum Dienst erforderlich sind, in derselben Weise, wie die Cavalleriepferde, in Verpflegung gegeben. Die Bewaffnung der Infanterie bildet das Remingtongewehr mit Säbel bajonnet. Eigenthümlich ist es , daß die eingetheilten Soldaten ihr Gewehr jewie auch ihre ganze sonstige Ausrüstung, wenn sie beurlaubt werden , mit aufs Land nehmen. Es finden allerdings zuweilen Besichtigungen der Sachen durch Offiziere statt, allein es liegt doch auf der Hand , daß den Waffen auf diese Weise nicht jene Sorgfalt gewidmet werden kann , als wenn sie bei den Truppentheilen aufbewahrt würden. Die Schwedische Infanterie ist wie die Norwegische mit Schutzzelten versehen. Die Cavallerie führt Säbel und Revolver pistole. Die Geschütze der Feldartillerie haben drei verschiedene Caliber ; das der schweren fahrenden Batterien beträgt 3,24 Schwedische Zoll (mit 13pfün digem Geschoß), das der leichten fahrenden und reitenden Batterien macht 2,58 Zoll (mit Spfündigem Geschoß ) ; und das der Fußbatterien 2,25 Zoll aus. Sämmtliche Geschüße sind gußeiserne Vorderlader , construirt nach dem System Lahitte. Die Führung der Geschosse im Rohr wird durch 12 Zapfen bewirkt. Von der Nothwendigkeit zu einem mehr den Anforderungen der Jehtzeit ent sprechenden System überzugehen, hat man sich in Schweden bis jetzt nicht über zeugen können. Was die Verpflegung der Schwedischen Soldaten betrifft , so ist dieselbe bei den geworbenen und den eingetheilten Truppen eine durchaus verschiedene. Die ersteren sind sämmtlich in sehr geräumigen Casernen untergebracht , wo zugleich für ihre volle Verpflegung ausreichend gesorgt wird ; an Sold erhalten die Leute nur eine Kleinigkeit täglich , den sogenannten Tabaksschilling. Die eingetheilten Soldaten dagegen erhalten von der „ Rote ", d. h. dem Grundstück, das zu ihrer Unterhaltung verpflichtet ist, ein Häuschen mit einem Stück Land

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angewieſen und außerdem gewiſſe Naturalleiſtungen. Die Rote hat überdieß den Mann zu bekleiden und auszurüſten , wobei die rückſichtlich des Stoffs und der Form gegebenen Vorschriften natürlich zu beachten sind . Es ist gerade dieſe Einrichtung, welche der eingetheilten Armee ihr eigenthümliches Gepräge giebt. Nach und nach ist dieselbe, mit dem stets steigenden Werth der Grundstücke und der Arbeitskraft, für den Landbesitzer eine sehr drückende Last geworden. Man pflegt dagegen wohl einzuwenden , daß diese Last, wie jede Reallast, in Geld angeschlagen und daher beim Uebergang der Grundstücke von einer Hand in die andere mit berechnet werden könne. Das ist nun allerdings wohl wahr, allein die Werthverhältnisse des Landbesitzes haben sich erst in letzterer Zeit und zwar verhältnißmäßig schnell so sehr verändert und darum sind die jetzigen Bester grade so hart von der Last betroffen. Dazu kommt noch ein anderer Umstand, der für den eingetheilten Soldaten selber sehr lästig ist. Bei der ursprünglichen Einreihung des Eintheilungswerks erhielt in der Regel jeder der Rotebauern seinen Mann, den er zu unterhalten hatte, zugewiesen, oder es waren doch nur zwei Bauern zusammen dazu verpflichtet. Im Verlauf der Zeiten aber sind die bäuerlichen Grundstücke in bedeutendem Maße zerstückelt worden , so daß jezt sehr häufig 3-4 Bauern an dem Unterhalte eines Mannes sich zu betheiligen haben; ja es kommen sogar Fälle vor, daß diese Laſt auf 7-8 Bauern vertheilt ist, wovon dann wieder die Folge ist, daß die Feldarbeiten , welche die Rote bauern für ihre Soldaten auszuführen haben, in der unregelmäßigſten und unzuſammenhängendsten Weise ausgeführt werden, indem beispielsweise die Bauern zu einem viertel- oder halbstündlichen Pflügen verpflichtet sind. Es ist daher wohl zu verstehen, daß sich die Bevölkerung danach sehnt, diese völlig veraltete und unzweckmäßige Institution endlich aufgehoben zu sehen. Die Offiziere der eingetheilten Armee , welche das Jahr über nur eine je geringe active Dienstzeit durchzumachen haben, erhalten nur einen sehr kleinen Sold, und sind daher darauf angewiesen, sich auf die eine oder die andere Art einen Nebenverdienst zu verschaffen. Sie stehen also ungefähr in dem Verhältniß von Landwehroffizieren. Die Compagniechefs dagegen haben bis in die neueſte Zeit hinein die Nutznießung einer Bauernstelle gehabt , deren Erträgniß nach ihrer Lage, Bodenbeschaffenheit und Bewirthschaftung natürlich eine äußerst ver schiedene sein mußte. Bei eintretenden Vacancen sollen diese Güter jezt von der Krone eingezogen werden , worauf ein festes Gehalt an die Stelle jenes Emoluments tritt. Die Ausbildung der Schwedischen Rekruten geschieht nicht bei den Com pagnien, Escadrons u. s . w. , denen die Leute nachher angehören sollen, sondern es werden bei den Truppentheilen besondere Rekruten-Commandos mit der nöthigen Chargenanzahl gebildet. Bei den geworbenen Truppen werden die Rekruten Anfang Mai eingezogen und bis zum Herbst in den Rekruten- Commandos aus gebildet, worauf sie bis zum Mai des nächsten Jahres beurlaubt werden, um dann an den Sommerübungen der Truppentheile , bei denen sie nun eingeſtellt werden, theilzunehmen. Bei den Truppentheilen selber bleibt nach Beendigung der Sommerübungen nur die zur Bestreitung des Garniſondienſtes und der nothwendigen Arbeiten erforderliche Mannschaft zurück. In der Zeit , welche durch jene Dienstleistungen nicht ausgefüllt wird , werden Turnübungen und theoretische Instructionen mit den Mannschaften vorgenommen . Wenn man in Schweden beim Gebrauch der Waffen und bei der Aus führung von Evolutionen auch nicht jene Präcision und Gleichmäßigkeit verlangt, welche man an anderen Orten für nothwendig hält, ſo muß man doch im Allge

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meinen jagen, daß die Ausbildung der geworbenen Truppen Schwedens eine gute ist, und daß die militairische Haltung der Leute wenig zu wünschen übrig läßt. Sehr viel trägt hiezu freilich das vortreffliche Menschenmaterial bei, aus welchem die geworbenen Truppentheile zuſammengeſetzt ſind. Da aber die Stärke der geworbenen Armee eine so verschwindend kleine ist, kann die Beschaffenheit der selben kaum zur Charakterisirung der Schwedischen Armee im Ganzen dienen, sondern man muß sie als ein Elitecorps betrachten, welches, was seine militai rischen Eigenschaften betrifft, inmitten des übrigen Heeres ziemlich isolirt daſteht. Bei der eingetheilten Armee werden Rekruten , die in Folge der bei den Truppentheilen vorgekommenen Abgänge haben angeworben werden müssen , bei der Infanterie im Mai, bei der Cavallerie im März zur ersten Ausbildung herangezogen. Diese dauert bei der ersteren 6 Wochen, bei der letzteren 6 Monate. Die Infanterierekruten werden dann das nächste Jahr zu einer zweiten ähnlichen Uebung herangezogen, und wenn sie sich für den Dienſt tauglich erwieſen haben, werden ſie „ approbirt " . Die Leute nehmen dann jährlich nur an den 3–4 Wochen dauernden Regimentsübungen Theil. Größere Truppenübungen finden in der Regel jährlich in etwa achttägiger Dauer ſtatt ; die Stärke der daran betheiligten Truppen ist eine sehr verschiedene, doch kann sie im Durchſchnitt zu 10,000 M. angeschlagen werden. Im Jahre 1874 fand eine solche größere Uebung vom 30. Juni bis zum 7. Juli ſtatt, und es waren dazu commandirt : 10 Infanterieregimenter, 2 Huſarenregimenter und 2 Escadrons der Leibgarde zu Pferde, 5 fahrende und 1 reitende Halbbatterie (4 Geschütze), die Feldsignal compagnie und das Cadettencorps . Für die militairische Fortbildung der Schwedischen Offiziere kann schon des Umstandes halber, daß die meisten Truppentheile und Offiziercorps während des größeren Theils des Jahres factiſch aufgelöst sind , von Oben her nur wenig gethan werden. Trotzdem aber steht das Schwedische Offiziercorps , namentlich was seine geistige Ausbildung betrifft , auf einer verhältnißmäßig hohen Stufe, wozu namentlich eine gewisse geistige Regsamkeit und ein lebhaftes Ehrgefühl, welche den höheren Ständen Schwedens im Allgemeinen eigen sind , sehr viel beitragen. Großen Nutzen gewähren auch die militairischen Vereine, von denen jeder der fünf Militairdistricte einen enthält. Es werden dort vortreffliche Vor träge gehalten, welche namentlich darauf abzielen, die Mitglieder über alle Fort schritte auf dem Gebiet des Militairwejens in den verschiedenen Ländern Europas zu unterrichten. Das Kriegsspiel ist bis jetzt in jenen Vereinen noch nicht cultivirt worden. Schon im Jahre 1849, als einige Regimenter aus Anlaß des ersten Deutsch Dänischen Krieges mobilisirt wurden, um als Besetzung auf Fünen und später in Schleswig zu dienen , traten die Mängel der Schwedischen Heerorganisation grell zu Tage , allein damals waren die Forderungen , die an ein schlagfertiges Heer gestellt wurden, noch ziemlich bescheiden, und wenn man auch in Schweden den Wunsch hegte, das Heerwesen zu verbessern, so wurden doch noch gar keine Anstalten dazu gemacht. Erst nach dem Italienischen Kriege , als bei den an gesehenſten Armeen Europas sich große Gebrechen herausstellten , trat es immer mehr als eine Nothwendigkeit hervor, auch das Schwedische Heerwesen den An forderungen der Neuzeit anzupassen. Es wurde deshalb im Jahre 1861 eine Commission eingesetzt, welche Vorschläge zur Reorganisation der Armee machen sollte. Der Bericht dieser Commission wurde erst im Jahre 1865 vollendet ; derselbe ging eigentlich nur auf eine Verstärkung des Heeres aus , während die

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Organisation im Wesentlichen unverändert gelaſſen wurde. Der Reichstag, dem der Entwurf vorgelegt wurde , ließ sich auf eine Discussion desselben gar nicht ein , sondern wies ihn einfach ab. Es wurden nun später mehrere neue Ent würfe ausgearbeitet , welche mehr oder weniger die bestehende Heerordnung als Grundlage annahmen. Eben darum aber fanden sie nie die Billigung des Reichstages. Dieser nämlich , und zwar hauptsächlich die zweite Kammer dess selben , in welcher die Landmannspartei eine sehr bedeutende Majorität hat, wünschte vor allen Dingen die Aufhebung der eingetheilten Armee oder doch eine wesentliche Umgestaltung derselben, während die Regierung , in der Beſorgniß, keine neue „ Stammtruppe " zu erhalten, ängstlich an der alten Inſtitution feſt hielt. Die zweite Kammer ging sogar so weit, die Aufhebung des Eintheilungs werkes ohne eine entsprechende Vergütung seitens des dabei betheiligten Bauern ſtandes zu fordern . Vergebens appellirte die Regierung zu verſchiedenen Malen sehr eindringlich an den Patriotismus der Repräsentation, indem sie hervorheb, daß ohne eine genügende Lösung der großzen vaterländischen Frage " das An sehen und die Sicherheit des Landes nicht können aufrecht erhalten werden ; der Reichstag zeigte sich aber unerbittlich und wollte nicht einmal die ihm vorgelegten Entwürfe einer Erwägung unterziehen. Endlich trat im Jahre 1873 eine Aenderung in dieſer Beziehung ein. Die Regierung hatte in diesem Jahre ausnahmsweise keinen Reorganisationsentwurf vorgelegt und nun ergriff der Reichstag die Initiative. In beiden Kammern, und zwar in der zweiten mit großer, in der ersten nur mit geringer Majerität, ward der Beschluß gefaßt, die Regierung zu ersuchen , ſie möge einen neuen Entwurf ausarbeiten lassen, der auf eine ausgedehnte Wehrpflicht begründet ſei und in Folge dessen das Eintheilungswerk nach und nach aufgehoben würde. Weil aber das Inſtitut der Grundsteuern so eng mit der Eintheilung zusammen hängt, so beantragte man, daß gleichzeitig mit der Aufhebung der letteren auch die Grundsteuern abgelöst werden möchten, wobei zugleich ein Modus hierfür vorgeschlagen wurde. Die Regierung beeilte sich , dem Wunsch des Reichstages nachzukommen, und ließ Commissionen zur Ausarbeitung der erforderlichen Ent würfe zusammentreten. Der Vorschlag zur Reorganisation des Heeres wurde schon im vorigen Jahre ( 1873 ) fertig , aber nicht früh genug , um noch dem Reichstag vorgelegt werden zu können . Dies ist denn nun in diesem Jahre (1874) geschehen, und obgleich die Aussichten für die Annahme des Entwurfs durch den Reichstag keine besonders großen sind, weil wie dies an manchen Orten im Lande schon ausgesprochen ist die den Einwohnern in Folge der neuen Organisation aufzuerlegenden persönlichen und pecuniairen Lasten zu unbedeutend sind, und auch der jetzige Finanzminister erklärt hat, daß das Land die dadurch veranlaßten schweren Opfer nicht würde tragen können, jo glauben wir dennoch hier eine kurze Uebersicht über den neuen Entwurf zur Reorganisation des Hecres geben zu müssen. Nach dem Entwurf besteht das Heer aus Linien- und Landwehrtruppen, sowie dem Landsturm, welcher nur Infanterie enthält. Die Infanterie besteht aus 26 Regimentern , von denen 21 je 2 Linien- und 2 Landwehr-Bataillone enthalten ; 4 Regimenter beſtehen nur aus 1 Linien- und 2 Landwehr - Ba taillonen und 1 Regiment (auf der Insel Gothland) hat nur 1 Linien- und 1 Landwehr-Bataillon. Zuſammen macht dies 100 Bataillone aus. Jedes Ba taillon hat 4 Compagnien und im Fall einer Mobiliſirung wird bei jedem Re giment ein Depot gebildet. Die Cavallerie zählt 11 Regimenter zu je 5 Linien Escadrons. Wenn das Heer auf den Kriegsfuß gesetzt wird, bleibt eine Escadron

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jedes Regiments als Depot zurück; außerdem werden bei jedem Regiment 1 bis 2 Landwehr - Escadrons errichtet , die hauptsächlich zur Bedeckung des Trains und zum Gendarmeriedienst bestimmt sind. Die Artillerie besteht aus 6 Regi mentern von sehr verschiedener Organisation ; zusammen enthalten sie 50 Bat terien (worunter 2 reitende) zu je 6 Geschützen , 8 Festungs - Compagnien und 1 Feuerwerker - Abtheilung ; von den 48 fahrenden Batterien gehören 11 der Reserve an. Im Mobiliſirungsfall wird bei jedem Regiment ein Depot er richtet. Das Ingenieurcorps (Fortification genannt) besteht aus dem Fortifica tionsſtabe und den Ingenieurtruppen ; lettere bilden 2 Regimenter , von denen das eine 5, das andere 4 Compagnien und 1 Feldeisenbahn-Abtheilung enthält. Bei einer Mobilifirung bildet jedes Regiment ein Depot und die nöthigen Ar beiterabtheilungen. Der Train besteht aus 3 Bataillonen zu je 2 Compagnien. Beim Uebergang des Heeres zum Kriegsfuß wird von jedem Bataillon ein Depot gebildet. Die Kriegsstärke der Truppentheile ist festgesetzt: bei einem Bataillon zu 900, bei einer Escadron zu 125, bei einer Batterie zu 140-175, bei einer Festungs - Compagnie zu 300 und bei einer Ingenieur - Compagnie zu 2-300 Mann an Unteroffizieren und Gemeinen. Das ganze Heer ist in 6 Divi ſionen getheilt, welche eine sehr verſchiedene Zuſammensetzung haben ; als Durch schnitt ist in dieser Beziehung zu bezeichnen: 4 Infanterie-, 2 Cavallerie-Regi menter, 1 Artillerie-Regiment, 1 Ingenieur- und 1 Train-Compagnie. Jeder waffenfähige Schwede ist vom 18. bis zum 40. Jahre dienstpflichtig. Mit dem 21. Jahre beginnt der Dienst in der Linie, welcher 6 Jahre dauert ; dann treten die Wehrpflichtigen in die Landwehr, in welcher sie gleichfalls 6 Jahre (die Cavalleristen nur 4 Jahre) stehen. In der übrigen Zeit ihrer Dienstpflicht gehören sie dem Landsturm an. Das ganze Land ist in 49 Aushebungsdistricte getheilt, welche 49 ") Land wehrbataillonsbezirken entsprechen. Die zur Garde (der Svea-Leibgarde zu Fuß und der Leibgarde zu Pferde ; das zweite Garderegiment wird aufgehoben) be ſtimmten Mannſchaften werden allen Bezirken entnommen. Jeder Landwehr bataillonsbezirk wird in vier Compagniebezirke getheilt. Von der zum Kriegs dienst tauglichen Mannschaft werden 600 Mann zum Gardeinfanterieregiment, 150 zu jedem Cavallerieregiment, 50 zu jeder Linienbatterie, (zu den 7 Batte rien des Norrländischen Regiments und zur Batterie auf Gothland nur 40) , 70 zu jeder Festungscompagnie und 125 Mann zu jeder Traincompagnie ausge hoben ; der Rest des Ersatzes geht zu den Infanterieregimentern , und zwar zu jedem von diesen die überschießende Mannschaft aus den betreffenden Landwehr Bataillons -Bezirken. Wenn sich für die Ergänzung der übrigen Truppentheile nicht die zu den verschiedenen Diensten tauglich erscheinenden Freiwilligen in er forderlicher Anzahl melden, so soll der Rest durch Losung unter allen Wehr pflichtigen beschafft werden. Sämmtliche Rekruten für die Cavallerie werden. am 1. Mai , die Rekruten für die Artillerie und Ingenieurtruppen am 1. No vember und der übrige Ersatz wird zu zwei Drittheilen am 1. November und zu einem Drittheil am 1. Mai einberufen. Die active Dienstzeit beim Truppentheil beträgt bei der Cavallerie 17 Mo nate , bei der Garde zu Fuß , der Artillerie und den Ingenieuren 12 und bei der Infanterie und dem Train 1012 Monate. Die dritte und vierte Jahresklasse der Linienmannschaft wird jährlich zu *) Weshalb nicht 51 Districte genommen sind, welche den 51 Landwehrbataillonen entſprechen würden, vermag nicht constatirt zu werden.

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einer 30tägigen Waffenübung eingezogen und die beiden jüngsten Jahrgänge der Landwehr machen eine 10tägige Bataillonsübung durch. Die zur Linie und Landwehr gehörige Mannschaft, die nicht zu Uebungen im Laufe des Jahres herangezogen wird, ist compagnie- oder kirchspielsweise zu muſtern. Der Landsturm wird in Landsturmabtheilungen formirt, zu denen alle zum Landsturm gehörige Mannschaft eines Landwehrcompagniebezirks gehört ; dieje Abtheilungen zerfallen wieder in Kirchspielsabtheilungen. Die drei jüngsten Jahresklassen des Landsturms können sich freiwillig an Schießübungen bethei ligen, die zu diesem Zweck angestellt werden. Bei der Infanterie ist jeder Regimentschef Oberſt , und es befindet sich beim Stabe noch ein Major ; jedes Linienbataillon enthält: 1 Oberstlieutenant oder Major, 6 Capitains, 9 Lieutenants, 8 Unterlieutenants, 4 Fähnriche, 40 Sergeanten, 60 Corporale , 60 Gefreite und 20 Spielleute ; jedes Landwehr bataillon enthält an festangestelltem Personal : 1 Oberstlieutenant oder Major, 4 Compagniechefs , 4 Lieutenants , 4 Fähnriche, 4 Sergeanten und 4 Spiel leute. Bei jedem Cavallerieregiment befinden sich: 1 Oberst, 1 Oberstlieutenant, 1 Major, 7 Rittmeister, 1 Regimentsquartiermeiſter, 11 Lieutenants, 10 Unter lieutenants, 6 Fähnriche, 40 Sergeanten, 40 Corporale, 80 Gefreite und 16 Trompeter. Das Chargenpersonal der Artillerie ist bei den sechs Regimentern ein sehr verschiedenes, außer einem Chef, der Oberst ist, befinden sich bei den jelben 1-3 Oberstlieutenants , 2-4 Majors , 15-25 Capitains, 20-30 Lieute nants, 11-18 Unterlieutenants, 17-25 Stückjunker, 60-96 Sergeanten, 60 bis 96 Constabler, 60-112 Gefreite und 18-28 Trompeter. Jedes der bei den Ingenieurregimenter hat 1 Oberst, 1 Oberstlieutenant oder Major, 7 Ea pitains, 11 (12) Lieutenants, 7 (5) Unterlieutenants, 8 Fähnriche, 68 Ser geanten, 68 Corporale, 68 Gefreite und 18 (15) Spielleute. Außerdem ge hören zum Ingenieurcorps noch : 1 Oberst, 2 Oberstlieutenants, 4 Majors , 11 Capitains, 11 Lieutenants, 10 Unterlieutenants und 16 Fähnriche. Bei jedem Trainbataillon befinden sich: 1 Major, 4 Capitains, 13 Lieutenants, 3 Fahn riche, 20 Sergeanten, 30 Corporale, 30 Gefreite und 6 Trompeter. Die Generalität besteht aus : den 6 Divisionsgeneralen , dem Cavallerie inspecteur, dem Generalfeldzeugmeister , dem Fortificationsgeneral und dem Chef des Generalstabs. Der Generalstab besteht aus : 1 Chef, 1 Oberst, 3 Oberst= lieutenants, 10 Majors, 16 Capitains und 8 Lieutenants. Das geistliche Corps besteht aus 48 Regimentspastoren, von denen je Einer einem Regiment oder selbstständigem Bataillon beigegeben wird . Das Auditeur corps besteht aus 35 Auditeuren, die je nach der Anzahl der Garnisonsorte und den localen Verhältnissen bei den Divisionen vertheilt sind. Das ärztliche Per sonal besteht aus : 1 Oberfeldarzt, 6 Feldärzten (1 bei jeder Division), 45 Re gimentsärzten, 51 ersten und 36 zweiten Bataillonsärzten und 80 Extraärzten. Das Rosarztcorps besteht aus 18 Regiments , 22 Bataillons- und 10 Extra roßärzten. Die Intendantur besteht aus 7 Feldintendanten (1 bei jeder Division und 1 bei dem Armeevorrath in Karlsborg) , 1 Regimentsintendanten bei dem Armeevorrath in Stockholm und 9 Ausgebeverwaltern , sowie aus dem bei den Truppentheilen befindlichen Personal (bei jedem Regiment ein Vorrathsverwalter und außerdem bei jedem Infanterieregiment ein Regimentsintendant) . An Pferden (Stammpferden) soll jedes Cavallerieregiment 600 , jede rei tende Batterie 62, jede fahrende Linienbatterie 36, jede Ingenieurcompagnie 15 und jede Traincompagnie 20 haben. Die Pferde der Artillerie, des Ingenieur corps und des Trains sind immer zum Dienst, sämmtliche Pferde der Cavallerie

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aber nur bei den jährlichen Repetitionsübungen ; in der übrigen Zeit des Jahres werden nur die zum Dienst erforderlichen Pferde bei den Regimentern behalten, nämlich 300 vom 1. October bis zum 1. Mai und 400 in den andern 4 Mo naten. Die übrigen Pferde werden in besonderen Depots untergebracht. Zu den jährlichen Waffenübungen (30 Tage) werden noch für jede reitende Batterie 36 und für jede fahrende Batterie 30 Pferde (im Ganzen 2182 ) , sowie für die Ingenieurtruppen 250 Pferde gemiethet. Die Art und Weise der Beschaffung der bei einer Mobilifirung noch erforderlichen Anzahl von Pferden soll näher durch ein besonderes Gesetz festgestellt werden. Mit Bezug auf die Unterweisungsanstalten des Heeres ist bestimmt , daß bei jedem Regiment und Trainbataillon eine Schule zur Ausbildung von Unter offizieren und bei jedem Regiment eine Schule für die Ausbildung wehrpflich tiger (nicht festangestellter) Offiziere einzurichten ist. Außerdem sollen errichtet werden: ein Instructionsbataillon, eine Instructionsescadron, eine Instructions batterie, eine Schießschule für die Infanterie und die Cavallerie und eine Reit schule. Die feftangeſtellten Offiziere werden in der Kriegsschule ausgebildet. Zur weiteren Ausbildung im Artillerie- und Ingenieurfach soll die Artillerie und Ingenieurschule dienen , und höhere militairiſche Bildung können sich Offi ziere aller Waffen in der Kriegshochschule erwerben. Wer als Unteroffizier angenommen werden will, muß wenigstens 18 Monate bei einem Truppentheil gedient und das Unteroffizierexamen abgelegt haben. Diejenigen, welche ein vollständiges Maturitätseramen bestanden haben , können schon nach einer Dienstzeit von 8 Monaten zu Unteroffizieren befördert werden, wenn sie in dieser Zeit das Unteroffiziersexamen bestanden und die sonstigen Qualificationen besitzen, die zum Offiziergrad erforderlich sind. Zur Beförde rung zum Unterlieutenant ist der Besuch der Kriegsschule und das Bestehen des Offizierexamens nöthig, worauf die Betreffenden noch 3 Monate als Unter offiziere dienen müſſen, um darzuthun, ob sie sich zum praktischen Dienst eignen. Für die Beförderung zu den höheren Offiziergraden werden besondere Bestim mungen gegeben werden. Um zu wehrpflichtigen (nicht festangestellten) Offizieren befördert zu werden , müssen die Betreffenden das Maturitäts eramen abgelegt und wenigstens 10 Monate gedient haben, in welcher Zeit sie zu Unteroffizieren befördert worden sein müssen; sie haben dann noch ein Offiziereramen zu be stehen, deſſen Einrichtung näher bestimmt werden wird . Was die in den letzten vier Jahren in der Organiſation der Schwediſchen Armee factisch durchgeführten Veränderungen betrifft, so hat die Schwedische Armeeverwaltung die Einsicht gehabt , es nicht abwarten zu wollen, bis einmal eine Reorganiſation des Heeres im Ganzen würde vorgenommen werden, ſondern sie hat nach und nach manche wichtige Neuerung einzuführen gewußt, und im Allgemeinen hat sie hier beim Schwedischen Reichstage keinen allzu großen Widerstand gefunden. Im Jahre 1871 wurde eine Feldsignalcompagnie, als Specialcom pagnie der Fortificationstruppen aufgestellt. Dieselbe besteht aus 4 Offizieren, 4 Unteroffizieren und 120 Mann an Gefreiten , Spielleuten und Gemeinen. Die Leute werden angeworben , die Chargen von den Fortificationstruppen zur Dienſtleiſtung beordert. Die Bewaffnung besteht aus Revolver und Faschinen messer; zum Exerciren und zum Wachtdienst erhalten die Leute Gewehre. In demselben Jahre wurden für die Infanterie und die Cavallerie vor bereitende Unterbefehlshaberschulen bei den Truppentheilen statt der

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früheren Corporalschulen errichtet , mit dem Zweck , Gemeine für die Aufnahme in die eigentlichen Unterbefehlshaberschulen vorzubereiten. Der Reichstag bewilligte die nöthigen Summen zur Anschaffung völliger Ausrüstung von drei Jahrgängen der Bewehrung , welche zur Completirung der Stammtruppen (geworbene und eingetheilte) beſtimmt sind . Es wurde ferner die Bestimmung gegeben, daß wenn Offiziere zur Dienst leistung bei anderen Waffengattungen als der sie selber angehören , comman dirt werden (also namentlich Generalstabsaspiranten) , sie wirklich Offizierdienst thun und nicht zu Verrichtungen der unteren Grade verwandt werden sollen. Sie sollen ferner im Dienst nicht zu Instructoren verwandt werden, sondern es ist einzig und allein Gewicht darauf zu legen, daß sie die praktische Anwendung der Waffe, ihre Kampfweise und Manöver, sowie den inneren Dienstgang kennen lernen. Wenn die Betreffenden an allen Uebungen der Chargen während der Chargenversammlungen Theil genommen und vollständige Kenntniß des Exercit reglements erlangt haben , in welcher Beziehung der Major des Truppentheils sie prüfen muß , so sollen sie beim Skelettererciren und später bei den Regiments verſammlungen ein Commando führen. Um aber auch die Führung des ganzen Truppentheils kennen zu lernen, sollen sie beim Exerciren einige Male neben dem Chef reiten. Im Jahre 1872 wurde das den Bewehrungsleuten (der diensttüchtigen jungen Mannschaft im Alter von 21-25 Jahren) bisher zustehende Recht genommen, sich durch Stellvertretung von den einzigen Uebungen dieser Mannschaft , welche jährlich 15 Tage hindurch mit den beiden jüngsten Jahr gängen vorgenommen werden, zu befreien. Das Marineregiment, welches bisher zum Ressort der Flotte gehörte, wurde der Armee überwiesen. Die Reorganisation der Schwedischen Artillerie , deren bisherige Or ganisation am 29. April 1830 eingeführt war, wurde am 6. September 1872 begonnen und soll 1878 vollständig durchgeführt sein. Nach der neuen Ordnung hat die Artillerie 30 Batterien zu 6 Kanonen ; 12 diefer Batterien haben Ge schütze von 3,24 Zoll, 16 haben Geschütze von 2,58 Zoll und 2 Batterien haben solche von 2,25 Zoll Caliber. Die drei alten Regimenter sind beibehalten worden; das Svea-Regiment besteht aus 4 schweren fahrenden , 4 leichten fah renden und 2 Fußbatterien (leichtesten Calibers) , das Göta - Regiment aus 4 schweren fahrenden und 6 leichten fahrenden Batterien, das Wendes-Regiment aus 4 schweren fahrenden und 6 leichten reitenden Batterien. Das Chargen personal ist bei allen Batterien fast gleich und besteht aus 2 Capitains , 3 Lieute nants, 2 Reitjunkern , 12 ( 11 ) Corporalen und 4 Trompetern ; an Gemeinen haben die fahrenden Batterien 88 , die reitenden 103 und die Fußbatterien 61 Mann als Friedensstärke. Die Festungsartillerie besteht aus 6 Compagnien. Bei jedem Regiment befinden sich 2 leichte und 1 schwere Reservebatterie, im Ganzen sind deren also 9 vorhanden. Die Erercirzeit dauert jährlich 42 Tage ; für die übrige Zeit des Jahres können die Regimentschefs 45-55 Mann für Rechnung der Krone beurlauben. In demselben Jahre ( 1872) sind Instructionen für eine intensivere Aus bildung der Cavallerie erlassen worden. Während der jährlich ungefähr drei Wochen stattfindenden Chargenversammlungen sollen, alle für die Cavallerie ge gebenen Instructionen und Reglements genau durchgemacht, sowie auch die Ver band- und Beschlaglehre durchgenommen werden . Die Offiziere sollen dafür

jorgen, daß die Unteroffiziere nicht allein alle Dienstzweige genau kennen, sondern

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daß sie dieſelben auch anzuwenden wiſſen. Außer dem Reiten , dem Gebrauch und der Behandlung der Waffen , der Gymnastik zu Pferde und zu Fuß , dem Commandiren ist ferner noch zu üben : Terrainreiten, Fortschaffen von Kanonen, Feldſignaliſirung, Felddienst , Kartenentwurf und Abſtandmeſſen zu Pferde und Recognoscirungen mit Anfertigung von Croquis . Von der darauf folgenden Regimentsversammlung, welche gewöhnlich 26 Tage in Anspruch nimmt, soll ein Drittheil der Zeit zum Einzelreiten, zum Waffengebrauch zu Fuß und zu Pferde und zum Fußererciren verwandt werden ; im zweiten Drittheil ist Escadrons ererciren , Flankiren zu Pferde, Terrainreiten und Bataillons- (Regiments-) Exerciren vorzunehmen , und im letzten Drittheil finden Brigadeererciren und Felddienstübungen statt. Es ist hierbei zu bemerken, daß diejenigen Schwediſchen Cavallerieregimenter, welche 10 Escadrons haben, aus 2 Bataillonen bestehen. Soll in der Brigade erercirt werden, so bildet jedes dieser Bataillone ein Regi ment. Bei den übrigen Regimentern, die theils 6, theils 5, theils 4 Escadrons haben, wird das Brigadeererciren entweder mit Skelettbataillonen oder mit Ba taillonen auf einem Gliede formirt, vorgenommen. Im Jahre 1873 wurde die Reorganisation des Schwedischen Gene ralstabs durchgeführt. Das Personal besteht danach aus : 1 Chef, 14 Ober adjutanten und 24 Stabsadjutanten; zu den ersteren gehören 1 Oberst, 3 Oberst lieutenants und 10 Majors, zu den letzteren 16 Capitains und 8 Lieutenants. Der Generalstab zerfällt in vier Abtheilungen, nämlich die Communications-, die militairſtatistische, die kriegshistorische und die topographische Abtheilung, bei denen im Ganzen 22 Offiziere thätig sind . Außerdem sind zur Dienſtleiſtung : 1 beim Kriegsminister, 1 beim Chef des Generalstabs , 5 in der Commando expedition des Kriegsministeriums , 5 als Stabschefs bei den Militairdiſtricten, 1 beim Inspecteur der Cavallerie, 1 bei der Leibgardebrigade, 1 beim Militair befehlshaber auf Gothland , und 1 beim Intendanturdepartement der Armeever waltung. Zum Oberst im Generalstab können Oberstlieutenants, die im Stabe ſtehen oder demſelben früher angehört haben , befördert werden. Als Oberſt lieutenants im Stabe können angestellt werden : Generalſtabsmajors oder Oberſt lieutenants und Majors der Armee, welche früher dem Stabe angehört oder die zur Anstellung als Aspiranten vorgeschriebene Prüfung bestanden haben, für die Anstellung von Majors und Capitains im Generalstabe gelten gleiche Beſtim mungen. Die Generalstabsaspiranten müſſen die Generalstabsabtheilung der Kriegs schule besucht und bei der Truppengattung , zu welcher sie gehören, drei Jahre hindurch die Waffenübungen mitgemacht, sowie ein Vierteljahr an den Com mandogeschäften des Truppentheils sich betheiligt haben. Dann müssen sie 22 Jahr im Generalstabe selbst Dienst thun, und zwar 2 Sommer und 1 Winter in der topographischen Abtheilung ; ferner müssen sie einmal an den jährlichen Uebungen der Waffengattungen Theil nehmen , denen sie nicht ange hören und endlich genügende Fertigkeit im Reiten besißen. Im Jahre 1873 wurden sehr umfassende Schießversuche vorgenommen, um die Wirkungen der Granatkartätschen zu erproben. Nach den Berichten der zu diesem Zweck berufenen Commission übertreffen diese Geschosse die ge wöhnlichen Granaten in ihren Wirkungen gegen eine offen hingestellte Batterie in hohem Grade , und die Wirkungen der Granatkartätschen sind auch da noch gut, wo der Abstand nicht genau zu berechnen ist. Die Munitionsausrüstung für das (leichte) Geſchütz von 2,58 Zoll Caliber, welche bis dahin 140 Spreng granaten, 3 Brandgranaten , 39 Granatkartätschen und 40 Kartätschen, im 28 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Ganzen 222 Schuß ausmachte, soll nach dem Vorschlage der Commission in Zukunft bestehen aus 66 Sprenggranaten , 6 Brandgranaten , 60 Granatkar tätschen und 15 Kartätſchen, zuſammen 147 Schuß. Im Jahr 1874 wurde das Marineregiment auf 3 Compagnien reducirt. Es wurde ferner die Bestimmung gegeben , daß die Bewehrungsleute , wenn sie es vorziehen, selbst für ihre Bekleidung sorgen können ; wenn ſie ſich selbst mit Hemden und Stiefeln versehen , bekommen sie dafür eine Vergütung von 112 Thaler R. (17 Sgr.), und wenn sie sich selbst Mütze , Halstuch, Leibrock und Leinwandhose, nach dem vorgeschriebenen Modell, anschaffen, erhalten ſie dafür eine Entschädigung von 43 Thaler R. (49 Sgr.) An dem Garnisonshospital zu Stockholm und am Marinehospital zu Karls krona sollen jährlich vom 1. März bis zum 31. Mai und vom 15. Juli bis zum 14. October jedes Mal resp . 19 und 10 Infanteriſten zu Sanitäts soldaten ausgebildet werden. Gleichfalls soll ein einmaliger Curſus jährlich am Göteborger Garnisonhospital , an dem sich 10 Mann betheiligen sollen, stattfinden. Die Bewehrungseliten, d. h. solche Bewehrungsleute, die sich zu einer vollständigeren Ausbildung, als der gewöhnlichen ( 2 mal 15tägigen) verpflichten, sollen das Jahr darauf zu einer 30tägigen Waffenübung einberufen werden. Später sind die Eliten gelegentlich noch zu einem 15tägigen Wiederholungs cursus heranzuziehen. Um in der Kriegsschule Aufnahme zu finden, müſſen die der Infanterie, Cavallerie und Artillerie angehörigen Aspiranten vorher 2 Winter hindurch vom 1. October an einen vorbereitenden Unterricht bei einer Hauptstation eines der Artillerieregimenter erhalten haben, worauf sie im April oder Mai eine Prüfung bestehen sollen. Gegenstände der Prüfung sind : Höhere Arithmetik, Logarithmen, arithmetische und geometrische Progressionen , elementare Geometrie und Trigo nometrie, algebraiſche Analyſe , analytische Geometrie , Mechanik und Kenntniß der Schwedischen Feldartillerie. Die Ingenieuroffiziere , welche Aufnahme an der Kriegsschule wünschen, sollen beim Ingenieurcorps vorbereitet und nachher geprüft werden. Die Gegenstände der Prüfung sind die obigen; nur soll sie zugleich die Fortification_nach einem vom Inspecteur des Ingenieurcorps_auf v. S. gestellten Programm umfaſſen.

Bericht über das

Heerwesen

Spaniens.

Während der Regierungszeit des Königs Amadeus hatte sich die Spanische Armee gut gehalten , die Parteikämpfe hatten sie ziemlich unberührt gelassen. Wichtige organisatorische Veränderungen , die eine neue Aera für die Armee erhoffen ließen, waren in der Ausführung begriffen, als der König am 11. Fe bruar 1873 abdankte. Die souverainen Cortes decretirten schon wenige Tage darauf Maßregeln, die das Heer dem Verfalle nahe bringen mußten.

Heerwesen Spaniens.

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Die Armee hatte Mitte Februar noch annähernd die gesetzlich firirte Stärke ren 80,000 Mann. Diese vertheilten sich auf 40 Linien-Inf.-Regt. à 2 Bataill. zu 6 Comp., 1 Besatzungs- Regt. Ceuta à 2 Bataill. zu 6 "! 20 Jägerbataillone *) zu 8 " 80 Reservebataill. (nur in Cadre) "1 зи 6 ons 20 Cavallerie-Regt. zu 4 Escadr , zu 6 Geschützen, 5 Feldartillerie-Regt. à 5 Batterien 2 Gebirgsartillerie-Regt. à 6 Batterien zu 4 " 4 Festungsartillerie-Regt. à 2 Bataill. zu 6 Compagn., 2 Genie-Regimenter à 2 Bataill. zu 6 im Ganzen 182 Bataillone (davon 80 nur in Cadres) , 80 "Escadrons, 37 Batterien. Diesen 80,000 Mann sind noch die Guardia civil (Gendarmerie) mit 10,000 Mann, das Corps der Carabineros (Douanen) in der gleichen Stärke und einige Milizen , darunter die Miqueletes der Baskischen Provinzen bei zufügen. Das bei der Abdankung des Königs noch in Kraft befindliche Rekrutirungs gesetz vom 29. März 1870 hatte die Dauer des Heeresdienstes auf 6 Jahre festgesezt und zwar nach Ergebniß der Loosziehung 6 Jahre im stehenden Heere (4 Jahre activ , 2 Jahre 1. Reserve) oder 6 Jahre in der zweiten Reserve. In erster Linie ergänzte sich das Heer durch Werbung Freiwilliger, der bleibende Bedarf wurde durch Aushebung Wehrpflichtiger gedeckt. Stellvertretung und Loskauf waren unter gewissen Bedingungen zulässig. Anfang 1873 zählte die 1. Rejerve 30,000, die 2. Reserve, die keine Ausbildung erhalten, 80,000 Mann. Die Regierung gebot somit über genügende Streitkräfte, um die Ruhe im Lande aufrecht zu erhalten. Doch das bestehende Gesetz harmonirte nicht mit den Ideen der augenblicklichen Machthaber. Schon den 17. Februar 1873 decretirten die Cortes ein neues Heeresgeseß. Dieſes theilte die Armee in das active Heer und in die Reserve. Ersteres sollte sich aus Freiwilligen ergänzen, seine Stärke alljährlich durch Gesetz bestimmt werden. Für die Reserve wurde allgemeine Wehrpflicht mit 3jähriger Dienstzeit bestimmt; Stellvertretung wie Loskauf blieben ausgeschlossen. In dem ersten Dienstjahre sollten die Mann schaften der Reserve bei den 80 Reservebataillons-Cadres militairisch ausgebildet, in den beiden folgenden Jahren nur in den Listen geführt werden. Die bestehende 2. Reserve wurde aufgehoben , dagegen der Regierung das Recht zu gestanden, bis zur Durchführung des neuen Gesetzes bei Unruhen die nach dem Gesetz vom 29. März 1870 errichtete 1. Reserve einzuberufen. Weiter wurde beſtimmt, daß die in der Armee dienenden Freiwilligen die Zeit ihrer Ver pflichtung auszuhalten hätten. Rückwirkende Kraft erhielt das Gesetz nicht, es war also zunächst nur ein Jahrgang der Reserve verfügbar , bestehend aus den im Jahre 1852 geborenen wehrfähigen Leuten. Was waren nun die Folgen dieses Gesetzes ? Zahlreiche der Klasse der Ausgehobenen angehörenden Mannschaften ver ließen die Armee, deren Stärke im Sommer 1873 bis auf etwa 45,000 Mann gejunken war. Die Indisciplin hatte ihren Höhepunkt erreicht. Tausende von Freiwilligen vermehrten zwar die bewaffnete Macht, aber nicht die Stärke des stehenden Heeres. Sie gehorchten auch nicht der jeweiligen

*) Nicht eingerechnet 8 Jägerbataillone, die nach Cuba abcommandirt ſind. 28*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Regierung, sondern nur ſich ſelbſt oder ihren heimathlichen Behörden, an vielen Orten wendeten sie die Waffen gegen die Regierung. Die Ausschreitungen der Cantonalen und Communisten führten indeſſen im September 1873 eine Reaction herbei. An die Spitze des Landes tamen gemäßigte Elemente , welche die Neuſchaffung einer Armee als ihre Haupt aufgabe betrachteten. Hierzu fehlte es an Allem, an Menschen und Pferden, an Waffen und Kleidern. An eine Ergänzung des stehenden Heeres durch Freiwillige dachte Niemand mehr. In die Praxis übertragen lautete daher das Gesetz vom 17. Februar 1873 nunmehr "1 Allgemeine Dienstpflicht bei dreijähriger Dienstzeit ". Die Reserve von 1873 (Jahrgang 1852) wurde unter die Waffen ge rufen, eine Remontirung befohlen ; bei Krupp in Essen bestellte man Geschüße, bei dem Hause Remington Gewehre; die ausländische Industrie wurde zu Hülfe genommen, um die Bekleidung der Armee sicher zu stellen. Marschall Serrano , durch den Staatsstreich des Generals Pavia den 3. Januar 1874 zur Regierung berufen , setzte das von Castelar erfolgreich begonnene Werk der Armee - Organisation fort. Die den 1. Januar 1874 wehrpflichtig gewordenen Reserven des Jahrgangs 1853 wurden einberufen, das Heeresgesetz jedoch im Interesse des leeren Staatsschatzes dahin abgeändert, day Loskauf vom Dienste gestattet wurde. Im Juni 1874 wurde der dritte Jahr gang der Reſerve (1854) eingestellt , deſſen Dienstpflicht eigentlich erſt am 1. Januar 1875 begann. Diese Aushebungen boten indessen noch keine Garantie für die Durch führung der Pacificirung des Landes . Serrano befahl deshalb im Auguſt die Aushebung einer außerordentlichen Reserve, welche die Altersklassen 1840 bis 1852 umfaßte und die Armee um weitere 50-60,000 Mann verstärkte. Im December 1874 war die Organiſation dieser Massen beendigt. Die Mannschaften der Jahrgänge 1852 , 1853 und 1854 , also die Re serve nach dem Gesetz vom 17. Februar 1873 , sind der activen Armee ein rerleibt worden. Zu dieser zählen auch die Reserve-Bataillone, welche sich nur durch den Namen von den Linien - Bataillonen unterscheiden. Doch kamen ven den 80 in Cadres vorhandenen Reserve - Bataillonen nur etwa die Hälfte zur Aufstellung . Aus den Mannschaften der außerordentlichen Reserve hat man 50 Provincial-Bataillone formirt, die zum kleineren Theile den Feldarmeen als Besatzungs- und Etappentruppen überwiesen , zum größeren Theile in den heimathlichen Districten als Garnisonstruppen belassen wurden. Die Stärke der Bataillone ist zu 800-900 Mann anzunehmen . Die Remontirung im Lande hatte unzureichende Resultate ergeben; man war deshalb schon im Sommer 1874 zu Pferdeankäufen im Auslande ge schritten. Diese gestatteten es , die Cavallerie und Artillerie wieder annäherud auf ihre Etats an Pferden zu bringen und im November 1874 die Errichtung von 5. Escadrons bei sämmtlichen Cavallerie - Regimentern zu decretiren. Die Feldartillerie ist theils mit Krupp'schen 8cm. Hinterladern, theils mit 8 und 10 cm. Broncekanonen neu ausgerüstet worden . Diese Leyteren sind aus der Geschützgießerei von Sevilla hervorgegangen. Die Gebirgs - Artillerie, deren Batterien anstatt 4 nunmehr 6 Geschütze zählen, hat ebenfalls bei Krupp an gefertigte Geschütze nach dem Modell des Artillerie-Capitains Plasencia erhalten. Das Haus Remington und die Waffenfabrik zu Oviedo haben den Bedarf an Gewehren gedeckt , die Fabriken zu Sevilla und Toledo die nöthige Muni tion beschafft.

Heerwesen Spaniens.

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Auch die Flotte war von der Kriſis im Jahre 1873 nicht unberührt ge blieben. Mit Carthagena kamen im Juli jenes Jahres von größeren Schiffen allein 4 Panzerfregatten und 2 Holzfregatten in die Gewalt der Cantonalen. Von ersteren ging „ Tetuan " , von letteren „ Fernando el Catolico" zu Grunde. Einen Zuwachs erhält die Flotte demnächst durch 14 Kanonenboote , die in Marseille gebaut werden. Bei der Bestellung dieser Boote hatte man vor nehmlich im Auge , Fahrzeuge zu erhalten , deren Conſtruction eine beſſere Be= wachung der Küste gegen die Einschmuggelung von Waffen und Munition ge= statten würde. So war es denn Serrano gelungen , trotz der traurigen Finanzlage des Landes eine Armee von circa 200,000 Mann zu organisiren. Er konnte die jen Erfolg nur dadurch erreichen , daß er den Parteien gegenüber sich völlig neutral verhielt. Denn es ist kaum zweifelhaft, daß die definitive Organiſation der Republik oder des Königthums vor beendigter Armee - Organiſation das Land in unheilvolle Kämpfe geführt haben würde, die nur dem Karlismus zu Gute kommen konnten. Beim Jahresschluſſe erhob die Armee, deren Offiziere überwiegend Alfonsistisch gesinnt sind , den Sohn Isabella's auf den Königsthron , die de facto Regie rung legte ihre Gewalten nieder, nirgends kam es zu Unruhen. Angesichts der starken Armee konnten die republicanischen Parteien an Widerstand nicht denken. König Alfons XII . will sein Heer nach dem Vorbilde der Preußischen Armee reorganisiren. Man wird also wohl auf den das Gleiche bezweckenden Gesetzes - Entwurf zurückkommen , welcher unter der Regierung des Königs B. Amadeus im Januar 1873 den Cortes vorgelegt worden war .

Berichte über das Heerwesen der Staaten Süd-Americas.

Die Republik der Argentinischen Conföderation. Troß der Erfahrungen während des fünfjährigen schweren Kampfes gegen den Dictator Lopez von Paraguay ( 1865-1870 ) und trotz des chronischen Revolutionszustandes in einzelnen Staaten oder Provincen der Conföderation, hat sich in den militairischen Verhältnissen dieser, sonst rüstig vorschreitenden Republik , nichts geändert , und haben die Präsidenten Mitre, bis 1868 , Sar miento bis 1874, und scheint neuerdings der Präsident Avellaneda das Wehr ſyſtem des Staates aufrecht erhalten zu wollen. Bis zur Niederwerfung des Aufstandes , welchen General Jordão in der Provinz Entre Rios fast ein Jahr lang gegen die Centralregierung in Buenos- Ayres geleitet, hatte die Conföderation ungefähr 9000 Mann als regulaire Armee bei den Fahnen , welche mit circa 1500 Mann in Buenos - Ayres , dem Siz der Centralregierung , theils in den riverainen Städten , hauptsächlich aber an den Süd- und Westgrenzen in den Provinzen Mendoza , Rioja , am Rio Quinto und im Süden gegen Indianer Einfälle, oder gelegentlich beliebte Pronunciamento's stationirt waren. Als aber General Jordão, der Schwiegersohn und zugleich Mörder des alten Urquiza, aus

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Militairische Jahresberichte für 1874.

der von ihm aufgewiegelten Provinz Entre Rios vertrieben war, scheint eine Ver minderung der Armee auf Kosten einer Vermehrung der Flotte eingetreten zu jein; denn der dem National- Congreß vorgelegte Etat für Bewilligung des Armee Budgets , giebt pro 1874 nur 6482 Mann an , von denen 2909 Mann Jn fanterie, 2861 Mann Cavallerie und 712 Mann Artillerie sein sollen. Dagegen ist das System der Nationalgarden in seiner vollen Blüthe und Unbraud barkeit beibehalten worden, und soll nach den Listen 150,000 Mann stellen können, bat aber noch nie mehr als 30,000 und auch diese nur durch Anwendung sehr kräf tiger Mittel ins Feld zu stellen vermocht. Die Zahl der theils im vollen Ge halt , theils auf Halbhold stehenden Offiziere beträgt 934 ; unter denen nicht weniger als 29 Generale, 273 Stabs- und 632 Subaltern-Offiziere . Sämmt liche Offiziere auf Halbjold betreiben nebenbei auch bürgerliche Gewerbe, haben Aemter und Erwerbsberuf und werden bei Augmentationen und Mobilmachungen zum Dienst einberufen. Auch der Generalstab wird im Kriege nicht durch Be rufs-Soldaten , sondern durch Advocaten , Banquiers und städtische Beamte augmentirt. Nur die National- Garde des Staates und der Stadt Buenos-Ayres ist gut organisirt, kann circa 40,000 Mann uniformirte Menſchen ſtellen, und hat in einzelnen Fällen sogar wirklich bis zu 10,000 Mann gestellt. Die größte Zahl von Truppen, welche die Conföderation zur Zeit des Krieges der Triple Allianz ins Feld gestellt , betrug 21,000 Mann , von denen aber 6000 Mann gegen die Revolutionen in Mendoza, San Juan, San Luis , Rioja, Salta und Santa Fe abzuziehen sind. Rekrutirt wird die stehende Armee durch freiwillige Werbung , beim Ausbruche eines Krieges oder gegen eine Revolution , bis zu 290 Thalern Handgeld. Es meldet sich dann der arbeitslose und arbeitsunlustige Bodenjatz der bürgerlichen Gesellschaft , und bedarf es der Anwendung einer be sonders strengen Disciplin, um verläßliches Material zu bilden. An den Grenzen befinden sich die Militair- Stationen in einem ununterbrochenen Kriege gegen die Indianer und bleiben sich fast ganz selbst überlaſſen. Die Flotte ist neuerdings bedeutend vermehrt worden und zwar aus dem Ergebniß einer in England gemachten Anleihe. Nachdem durch den Ueberfall der Paraguayschen Schiffe und Truppen die im Hafen von Corrientes liegenden Schiffe : El 25 de Mayo und Gualeguay verloren gegangen waren beides armirte Dampfer , hatte die Conföderation nur noch ein größeres zur Kriegführung zu gebrauchendes Schiff: El Guardia nacional, welches zwar tapfer und glücklich die schwere Probe der Passage von Bella Vista und Cuevas bestand, dann aber von dem Commando der Brasilianischen Flotte als unbrauchbar für ferneren Kriegsdienst erklärt wurde, und von jener Zeit an nur noch Transportdienſte Als indessen nach dem Kriege die Zwistigkeiten zwischen Brasilien und der Confederation wegen Feststellung der Grenzen Paraguays in Gran Chace begannen und die Conföderation gewaltthätig die von ihr beanspruchte Stadt Villa occidental und den District Pilcomayo mit ihren Truppen besetzte, sich also auch ein kriegerischer Zusammenstoß mit Brasilien erwarten ließ , scheint Präfi dent Sarmiento gefühlt zu haben, daß die Conföderation jedenfalls wieder eine brauchbare Flußflotte haben müsse; denn gerade durch seine Flotte ist Braſilien der Conföderation so überlegen, daß die letztere schwere Niederlagen zu erwarten haben würde. Der National-Congreß wollte dazu kein Geld bewilligen, und da man doch nicht offen den Zweck eingestehen konnte - Krieg gegen Brasilien -, so wurde eine Anleihe in London zu Eisenbahnbauten und allgemeinen Verbeſſe rungszwecken gemacht, der Ertrag aber theilweis zum Bau und Ankauf ven Kanonenbooten und eines Schraubendampfers zu 12 Geschüßen verwendet , je

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daß die Republik im Augenblicke des Ausbruches der letzten Revolution - Mitre gegen Avellaneda - 7 brauchbare und kampffähige, nach den neuesten Principien gebaute , stets bemannte und in Dienst gestellte Schiffe besaß. Die legale Re gierung hat indeß üble Erfahrungen mit dieſer Vermehrung ihrer Flotte gemacht ; denn gerade die neuen Schiffe waren es , und unter ihnen obenan das Parana, ― welche sich dem Pronunciamento Mitre's anschlossen und auch sofort den Hafen von Buenos-Ayres bloquirten. Seit Beendigung des Krieges der Triple- Allianz gegen den Dictator Lopez von Paraguay steht eine Occupationstruppe der Conförderation in Paraguay , zuſammen mit einer Brasilianischen, und von dieser erhielt ein Detachement den Befehl, über den Paraguayfluß zu gehen und den Bezirk Pilcomayo mit der Stadt Villa occidental zu besetzen , was auch ausgeführt wurde , ohne daß sich die Brasilianischen Truppen dem widersetzten. Es entstanden daraus jeltjame Verhältnisse zwischen den Brasilianischen und Argentischen Besatzungstruppen, die sich noch mehr verwickelten, als auch im Innern Paraguays Rebellionen ent standen und General Caballero, der talentvollſte unter den Generalen des gefal lenen Dictators Lopez , die von der Triple = Allianz eingesetzte Regierung der Republik Paraguay stürzen wollte. Beide Nationalitäten unter den Occupations truppen sahen mit Gewehr bei Fuß den Gefechten zwischen den Streitenden zu und konnten nicht wissen, ob sie sich nicht selbst nächstens feindlich gegenüberstehen würden. Die gegenwärtige Regierung von Paraguay und das gesammte Volk protestiren noch jetzt gegen die aufrechterhaltene Besetzung des Bezirks Pilcomayo durch Argentinische Truppen ; die Conföderation scheint für alle Fälle den mili tairischen Besitz der Villa occidental festhalten zu wollen , bis die schließliche Auseinanderſeyung mit Braſilien erfolgt sein wird. Als durch einen diploma tischen Schriftwechſel - der von Argentinischer Seite erkennbar Händelsuchend geführt wurde ― sich im Jahre 1873 die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit Brasilien herausstellte, wenigstens von der ganzen Süd-Americanischen Presse als - machte die Confö eine Wahrscheinlichkeit angesehen und commentirt wurde deration ganz ernsthafte Vorbereitungen für einen solchen. Außer dem Bau jener Schiffe wurde auch der Ankauf von Gewehren und Geschützen neuester Construction nachgewiesen, von der Regierung aber geleugnet, und nur der Aus bruch der Revolution in Entre Rios , unter dem General Jordão , scheint der ausgesprochehen Kampflust Argentiniens gegen Brasilien einen Dämpfer auf gesetzt zu haben. General Jordão benutzte die Organiſation und den Reichthum seines Schwiegervaters, den er ermordet, zu einem Pronunciamento in optima forma, sammelte aus den Milizen und Gauchos , so wie der vor jedem Kampfe nie, nach jedem Siege stets bereiten Nationalgarde seiner Provinz, etwa 7000 Mann, und bekämpfte die spärlich zuſammenkommenden Regierungstruppen even so zögernd , ausweichend und hinhaltend , als jene sich gegen ihn vertheidigten. Dieser ungefähr ein Jahr dauernde Kampf im Innern scheint die Kriegslust der Argentinier gegen Brasilien abgeschwächt zu haben , wenigstens find die diplomatischen Verhandlungen in Rio de Janeiro und in Assuncion, der Haupt stadt Paraguays, seitdem weniger gereizt und drohend geführt worden. Da die Conföderation aber ihren ungerechtfertigten Besitz der Villa occidental aufrecht erhält, Paraguay sich auf keine Weise zu einem Verzicht auf diese Stadt und den Bezirk Pilcomayo verstehen will , Brasilien aber in dieser Streitfrage auf der Seite Paraguays steht, so läßt sich über lang oder kurz ein Ausfechten dieses Streites mit den Waffen erwarten. Nachdem Jordão gezwungen worden war, die Provinz Entre Rios zu ver

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lassen, schien eine vollkommene Ruhe für die Conföderation eintreten zu können, und alle Berichte von dort lauteten prosperirend und günstig . Die Wahl eines neuen Präsidenten war glücklich vorübergegangen ; friedlich trat Sarmiento ab und sollte Avellanedo eintreten ; da brach im September 1874 eine Revolution aus, an deren Spiße der frühere ( 1862-1868) Präsident Bartolomeo Mitre, Doctor und Brigade- General, sich stellte, oder von seinen Anhängern gestellt wurde. Noch vor dem am 12. October erfolgenden Regierungsantritte Avella neda's erklärten seine Widersacher die auf ihn gefallene Wahl für fraudulent erlangt und es brachen Unruhen aus, denen sich zunächst einige der neugebauten Schiffe anschlossen, dann aber der in den Westprovinzen commandirende General Arredondo , so wie der im Süden von Buenos Ayres commandirende General Rivas ebenfalls für Mitre eintraten. Präsident Sarmiento, welcher am 12. October von der Präsidentur abtrat, ſtellte sich mit entschiedenſter Haltung auf die Seite Avellaneda's und wollte den noch in Buenos Ayres verweilenden General Mitre verhaften laſſen , worauf dieſer aber seine Demiſſion als Brigade - General ein schickte und nach der Buenos Ayres gegenüberliegenden Stadt Colonia del Sa gramento in Uruguay entfloh, dort Truppen sammelte und diese erst im Norden von Buenos Ayres, dann aber im Süden dieser Stadt ausschiffte, um sich mit dem General Rivas zu vereinigen. Da Mitre von seiner Heerführung in Para guay her, bei den Truppen sehr beliebt ist , jedenfalls beliebter als Sarmiento und Avellaneda, die nicht die geringste militairische Kenntniß besitzen, ſo ſcheinen abermals langwierige bürgerliche Kämpfe dort in Aussicht zu stehen. Bis zum Augenblicke, wo wir dies niederschrieben , ist wenigstens noch nichts entschieden. Die Laplata - Zeitungen sprachen wieder einmal von Armeen von 30-40,000 Mann, die unter oder gegen Arredondo, Nivas und Mitre operiren, die Gourer neure in den Provincen berichten von zahlreichen, rasch formirten Mitizen. Man wird aber gut thun , von jeder Zahl , welche von dort berichtet wird , höchstens den vierten Theil zu glauben. Irgend eine Meinung oder eine Wahrscheinlich keit für den Ausgang dieſes neuesten Pronunciamentos aussprechen zu wollen, wird Niemand wagen wollen, der derartigen Zuständen und Vorgängen mit Auf merksamkeit gefolgt ist. Immer aber möge man die Grundlage der dertigen politischen und militairischen Verhältnisse im Auge behalten: Der Haß der zwischen der republicanischen Conföderation von Spanischer und dem monarchi schen Brasilien von Portugisischer Race herrscht. Die Republik Banda Oriental del Uruguay . Seit dem letzten Bürgerkriege zwischen dem gesetzlich erwählten Präsidenten Aguirre und dem sich als Libertador gerirenden General Venancio Flores, aus welchem der Krieg der Triple--Allianz gegen den Dictator Lopez von Paraguay ſich entwickelte, an dem Uruguay aber nur in sehr schwächlicher und ganz von Brasilien abhängiger Weiſe Theil nahm, genießt das bis dahin faſt jährlich von Revolutionen und Pronunciamentos zerfleischte, von der Natur überaus gesegnete Land der Ruhe und hat sein Militairsystem, welches auf einer in den Listen figurirenden Zahl von 20,000 National- Garden beruht und gegenwärtig in circa 3000 Mann mit nicht weniger als 300 Offizieren im Dienst und zur Dispe sition seinen Ausdruck findet, beibehalten. Da das Land keine Indianer-Stämme an seinen Grenzen in Ordnung zu halten hat, also eine dauernd militairische Beſchäfti gung der geringen Zahl regelmäßiger Truppen nicht vorhanden ist, so betrachtet die Regierung diese Berufs -Soldaten als eine Policei -Wache in den Städten und

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besonders in den Häfen. Daß von einer militairischen Schulung, einem mili tairischen Geiste und einer dem entsprechenden Geltung der Truppen im Staats weſen wie in der bürgerlichen Geſellſchaft nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst und ist auch von irgend einer dauernden Inſtitution in dieſem kleinen Militairwesen nichts zu bemerken. Zur Zeit des Generals Flores, dem Brasilien zur Präsidentenwürde verhalf und ihn auch bis zu ſeiner Ermordung dauernd unterstützte, hatte es den Anschein, als würden sich für die Orientalische Republik verläßliche militairische Verhältnisse herstellen lassen. Nach dem Tode des Generals verſank aber sehr bald Alles wieder in den alten Schlendrian und wurde der durchaus policeiliche Charakter der Truppe beibehalten. Theils scheitern Versuche zur Besserung dort an dem Mangel der Geldmittel, theils an der Besorgniß, aus einer geordneten Militairkraft eine Handhabe für den Ehr geiz eines politischen Generals zu machen. Die übergroße Zahl der Offiziere rührt aus der Zeit der Bürgerkriege her, denn jeder revolutionaire General, der auf irgend eine Weise mit der Regierungs- Gewalt capitulirte, machte es zur Be dingung, daß seine Offiziere, auch die, welche er in aller Eile vor Unterzeich nung der Capitulation noch avancirt , in ihrem Range und ihrem Gehalte von der Staats-Regierung anerkannt werden sollten, was denn auch bereitwillig ge schah. Bei der Belagerung und Einnahme der Stadt Payſandu am Uruguay, welche der Regierungs- Oberst Leandro Gomez glänzend gegen die Anhänger des Generals Flores vertheidigte, dann aber dem Angriff der Brasilianer unterlag, fielen 93 Orientalische Offiziere der Regierungstruppen in Kriegsgefangenschaft, wurden aber von dem Kaiserlichen Admiral Tamandaré auf ihr Ehrenwort ent lajen, nicht mehr die Waffen in dem weiter dauernden Kriege zu führen, brachen aber sämmtlich ihr Ehrenwort und traten wieder bei den Truppen des Präsidenten Aguirre ein. Deſſenungeachtet blieben sie, als Flores Präsident wurde, im Dienſt und jedenfalls im Besitz des Gehaltes, obgleich der neue Präsident wohl keine be= jondere Ursache hatte, ihnen zu trauen. Die eigentliche militairiſche Kraft liegt für Uruguay in der Gaucho-Bevölkerung, aus der sich die kleine Armee aug mentirt und in der Hand unternehmender energischer Chefs sind diese Gaucho's jämmtlich beritten - ein sehr bedeutendes Element. Aus ihnen bildete General Flores auch das Hülfs - Corps von 1500 Mann, an deren Spitze er einen Theil des Krieges der Triple-Allianz in Paraguay bis nach dem miß lungenen Sturme auf Curupaity mitmachte, dann aber nach Monte-Video zu rückkehrte und sein schon bis auf 200 Mann zuſammengeschmolzenes Corps Orientalen unter den Befehl des Generals Castro stellte. Am Schlusse des Krieges soll es bis auf 43 Mann zuſammengeschmolzen sein, da die Regierung in Monte-Video einen Ersatz schicken auch Niemand zum Kriegsdienst in Paraguay anwerben lassen wollte. Sold, Bekleidung und Verpflegung gab Brasilien für die ganze Dauer des Krieges, so daß Uruguay nur sehr wenig für die Triple Allianz that. Weder der gegenwärtige Präsident noch der Kriegs -Minister der Republik find Militairs und die Mittel für eine Kriegsmacht sehr bemeſſen. Eine Marine hat Uruguay nicht, weil bei einer nur halben Million Einwohner Beschaffung und Unterhaltung einer solchen zu schwer fallen würde ; dagegen ſind einige Hafenſtädte leidlich befestigt. Für den Policei-Dienst im Innern reichen die localen Nationalgarden aus , die in einigen Städten durch die städtische Behörde in ganz guter Ordnung gehalten werden und während des Friedens brauchbar sind. In den bisherigen Bürgerkriegen konnte die Re gierung nicht auf die Nationalgarden zählen, da die Parteiung in Blancos und Colorades fast in jeder Stadt die Bevölkerung und mit ihr die Nationalgarde

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in zwei feindliche Lager spaltete. Zu einem ſelbſtſtändigen militairiſchen Auf treten gegen irgend einen ihrer Nachbarn hat die Republik kein Mittel, haßt ſie aber Alle ; als alte Spanische Colonie besonders Brasilien und aus Neid und Rivalität die Argentinische Conföderation und in dieſer vorzugsweiſe Buenos Ayres . Im Falle eines Angriffs durch eine fremde Macht läßt sich annehmen daß Uruguay mit äußerster Anstrengung 10,000 Mann Milizen zuſammenbringen, dieſe aber jedenfalls nicht lange unterhalten kann, immer vorausgejezt, daß nicht gleichzeitig innere Spaltungen auch dieſe improviſirte Armee in verſchiedene Lager führen.

Die Republik Paraguay. Durch den von ihrem Dictator Lopez II muthwillig heraufbeschworenen Krieg gegen die Triple-Allianz und nach demselben bis jetzt wohl die unglück lichſte und machtloseste der La Plata-Republiken. Nach einem fast 50jährigen tiefen Frieden, unter den drei Despoten Dr. Francia , Carlos Lopez I und Solano Lopez II rasch emporgeblüht, ohne jede Staatsschuld und über eine muſterhaft organisirte Armee gebietend , die der Letztere durch lange und gut ge schulte Reserven im Jahre 1865 bei einer Bevölkerung von ungefähr einer Mil lion bis auf 60,000 Mann zu bringen gewußt , scheiterte der Ehrgeiz ven Lopez II an der Ausdauer Brasiliens in der Triple-Allianz. Auf seinen Reisen in Eurera hatte Solano Lopez die Armeen Frankreichs , Englands und Preußens studiit. und das Reſerveſyſtem des letzteren Staates angenommen , so daß er bei einem stehenden Heere von 12,000 Mann sämmtlicher Waffen, über eine Reserve ven 46,000 ausgedienten und vollständig disciplinirten Reserven gebet und über 400 Geschütze in's Feld stellen konnte. Ein für Südamericanische Verhältnisse wahrhaft erstaunenswerthes Resultat. Er wie seine beiden Vorgänger hatten mit dem Miliz-, Nationalgarde- und Freiwilligen- System vollständig gebrechen, und das Wehrsystem der Republik auf die allergejundesten Grundlagen gebaut. Allerlei Answüchſe und Sonderbarkeiten muß man dem Lande und der Volks sitte sowie dem ausgesprochendsten Despotismus zuſchreiben. Dieses Heer hat der Krieg in 5 Jahren vollständig vernichtet und mit ihm die männliche Bevölke rung des Landes so weit, daß erst von der heranwachsenden Generation wieder militairische Leiſtungen zu erwarten sein werden. Schon während des Krieges bildete sich aus politischen Flüchtlingen eine Paraguaysche Legion und fecht unter Argentinischer Fahne gegen Lopez. Diese gab denn auch, als Assuncion von den Brasilianischen Truppen eingenommen, Lopez geächtet und erst eine provijo rische , dann definitive republikanische Regierung eingesetzt worden war , den Stamm zu einer Nationaltruppe, die sich aber während des Krieges wenig vers läßlich zeigte. Da sowohl Brasilianische als Argentinische Truppen in Paraguar standen, als Lopez am Aquidaban gefallen war, und ein Occupations-Corps vis zum definitiven Abschlußz des Friedens bildeten, - und ein solcher ist auch jest noch nicht abgeschlossen, wenigstens nicht zwischen Paraguay und der Gensere ration, so war auch für die Bildung einer nationalen Militairmacht keine dringende Nothwendigkeit vorhanden und die rasch wechselnden Präsidenten ließen sich gerne den Schutz jener Occupationstruppen gefallen, die zwar bereit waren, die Pelicei im Lande zu unterstützen, bei den inneren Streitigkeiten aber durchaus neutral blieben. Von der ganzen stolzen und wie ein Uhrwerk ineinander greifenden Organisation der früheren Paraguayschen Armee ist somit nichts übrig geblieben und Paraguay so ohnmächtig wie Uruguay oder wie jeder der einzelnen Staaten (Provincen) der Argentinischen Conföderation. Zwei Vorgänge sind in dem

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schwergeprüften Lande als für die Zukunft wichtig zu registriren. Schon seit dem Abfall der Spaniſchen Colonien vom Mutterlande macht die Conföderation Anspruch auf das ganze Gebiet des Gran Chaco, jetzt allerdings noch eine große Sumpf-Wildniß, aber in hohem Grade entwickelungsfähig . Von Süden her hat die Conföderation , von Norden her die Republik Bolivia und von Osten her Lopez I diesen Gran Chaco , an seinen Rändern zu colonisiren versucht . Um seine am Paraguay gelegene Hauptstadt gegen einen Angriff von den am gegenüber liegenden Ufer hauſenden Indianerstämmen, künftig auch wohl gegen Bolivianiſche oder Argentinische Truppen zu schützen , legte er eine Colonie am Pilcomayo an, die er mit Weinbauern aus der Gegend von Bordeaux besetzte und sie durch eine nach dem Muſter der früheren Oesterreichischen Militair-Grenze angelegte Postenkette umgab. Die dort angesiedelten Soldaten sollten sich selbst mit Hülfe jener Colonisten ihre Verpflegung durch Ackerbau verschaffen. Die Colonie der Nueva Burdeos ging zwar ein, dafür entstand aber eine Stadt, die Villa Occidental, und bildete sich ein prosperirender Bezirk Pilcomayo . Auf diejen macht nun die Conföderation Anspruch , da er in dem von ihr ebenfalls beanspruchten Gebiete des Gran Chaco eigenmächtig von Paraguay gebildet war, und wollte nicht eher Frieden schließen, bis man ihr das Souverainetäts -Recht über den ganzen Gran Chaco zugestanden. Die neueingesetzte Regierung Paraguays weigerte sich, weil sie dadurch eine Argentinische Besatzung dicht bei . ihrer Hauptstadt bekommen haben würde, und Braſilien unterstützte diese Weige rung, wie es denn nach dem Falle des Dictators Lopez überhaupt Alles nur Mögliche thut, um das unglückliche Land zu schützen und zu heben. Den diplo matischen Streitigkeiten ließ nun plötzlich die Conföderation eine entscheidende That folgen und besezte mit ihren Truppen gewaltsam Villa Occidental, verwaltete den ganzen Pilcomayo-Bezirk und schien dadurch den Knoten zerhauen zu wollen. Paraguay konnte dies nicht verhindern und Brasilien wollte es nicht verhindern, weil es mit größter Sorgfalt allen kriegerischen Verwickelungen , so lange die Ehre und Sicherheit der Nation nicht in Frage gestellt ist, aus dem Wege geht. Beide protestirten aber und noch jetzt ist diese Streitfrage nicht entschieden, Paraguay, trotz seiner Schwäche aber fest entschlossen, seine Colonie nicht auf zugeben, schon weil es sich um seine militairische Sicherheit dabei handelt. Unter dessen ist auch in diesem Augenblick die Villa Occidental noch mit Argentinischen Truppen besetzt. Neben dieser diplomatischen Verwickelung, die mit der Zeit allerdings auch zu einer militairischen werden kann, haben schon zwei Versuche stattgefunden, die gegenwärtige Regierung und ihr System zu stürzen und zwar gingen diese Versuche von Anhängern des gefallenen Dictators Lopez II aus, an deren Spite sich der General Caballero , unstreitig der bedeutendste der Paraguayschen Generale , welche der Triple-Allianz gegenüberstanden , und ein Liebling des Marschall-Präsidenten. Beide Male drangen die Rebellenhaufen bis Assuncion vor, das erste Mal sogar bis in die Stadt. Vergebens hatte ſich die legale Regierung an die Commandeure der Brasilianischen und Argentinischen Occupationstruppen gewandt, um Beistand von ihnen gegen die Rebellen zu erbitten. Die Truppen beider Nationalitäten traten zwar in's Gewehr, als der Kampf in den Straßen begann, thaten aber nichts, um ihn zu verhindern oder einer der Parteien beizustehen. Doch gelang es dem Präsidenten Jovellanos , den energischen Caballero zurückzuschlagen, worauf sich die Rebellen , wie dort gewöhnlich, zerstreuten. Caballero begab sich aber nach Corrientes auf Argen tinisches Gebiet, sammelte dort Abenteurer, Gauchos, Anhänger des gestürzten Lopez, und fiel abermals in Paraguay ein, bemächtigte sich der Stadt Villa del

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T Pilar, verstärkte sich hier ansehnlich und marschirte nun siegesgewiß gegen die Hauptstadt. Diesmal schritt aber der Brasilianische Bevollmächtigte ein , weil man erfahren hatte, daß die Conföderations-Regierung Caballero unterſtüßte, um dadurch Paraguay zu zwingen, auf seinen Anspruch an die Colonisirung des Gran Chaco zu verzichten. Abermals verlief sich die Bewegung. So gering die waffenfähige Bevölkerung auch durch den großen Krieg geworden iſt , ſo repräsentirt sie doch in den von Brafilien zurückgegebenen Kriegsgefangenen eine Masse von circa 10,000 Mann vortrefflich geschulter und überaus tapferer Soldaten , und es kommt nur darauf an , daß die Conföderation den Verſuch macht, mit Gewalt in den Besitz des Pilcomayo-Bezirks zu gelangen , um das ganze Volk zur Abwehr unter die Waffen zu bringen. Vor der Hand ist aller dings kaum der Anfang zu einer bewaffneten Macht von circa 900 Mann gemacht, die zum Policeidienst verwendet werden, und so lange noch Brasilianische und Argentinische Truppen im Lande sind , dürften auch wohl kaum Schritte zur Vermehrung und Kräftigung derselben geschehen. Die von Lopez II 1866 bis auf 14 armirte Fluß-Dampfer gebrachte Flotte ist vollständig vernichtet werden. In irgend einem Kriege , zu dem Brasilien gezwungen werden sollte. würde Paraguay auf der Seite Braſiliens stehen , welches Land sich in hehem Grade großmüthig und hülfreich gegen die so schwer geprüfte Republik be nommen hat. Das Kaiserreich Braſilien. Die Voraussetzungen und Wahrscheinlichkeiten , welche sich während und nach dem Kriege der Triple- Allianz nicht gegen Paraguay, sondern gegen die Regierung von Paraguay ziemlich übereinstimmend in der Europäiſchen Preſſe aussprachen, daß Brasilien mit seinen jetzt zehn Millionen Einwohnern in die Reihe der großen Militairmächte eintreten und seine Landarmee auf denselben achtunggebietenden Fuß bringen würde , als seine Flotte, hat sich nicht erfüllt, und mit Ausnahme des neuen Rekrutirungs - Gesetzes ist organisatorisch nichts geschehen, was die Zahl , die Stellung und die Kriegsbereitschaft des stehenden Heeres irgend wie verändert hätte. Es zeigt sich in Brasilien der seltene Fall, daß in Wirklichkeit während des Friedens die Armee nie ganz so stark iſt , als die gesetzgebenden Körperschaften sie bewilligt. Dagegen muß man aber auch ret allen Dingen anerkennen , daß Alles , was zur raschen Augmentirung , an Ma terial, Vorbereitungs -Anstalten, technischen Fabriken, Vorräthen und Hülfsarbeit nöthig , sich in einem musterhaften Zustande befindet. Kaiser Dom Pedro II. ist selbst nicht Soldat oder wenigstens nicht gern Soldat. Vollkommen durch drungen von der militairischen Pflicht , welche ihm die Stellung des einzigen Menarchen in ganz America auferlegt , pünktlich bei allen nothwendigen Be sichtigungen, Prüfungen und Uebungen, in steter und unermüdlicher Fürjerge, daß der Staat nicht durch irgend eine politische Constellation überrascht und unvorbereitet gefunden werde, hat er bisher nie diejenige Freude an dem ,,pomp, pride and circumstance of glorious war" gezeigt, welche andere Monarchen auch zum ersten Soldaten ihrer Armeen machen. Kaiser Dom Pedro II. ist ein mannigfach und tief gelehrter Herr, ein hingebender Arbeiter nach allen Richtungen der Staatsverwaltung hin, er sorgt für die Armee, aber die Neigung für Militairisches fehlt ihm und es zeigte sich das deutlich während seiner leyten Reise durch Europa ganz im Gegensatze zu den bei fürstlichen Besuchen ge wohnten Formen . Die Gesetzgebung, die Aristokratie und die große Maſſe des Volkes steht in Braſilien genau auf demſelben Standpunkt für die Anschauung

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der Wehrkraft des Landes wie in den Vereinigten Staaten von Nord - America . Wie dort die furchtbaren Verluste und Opfer des Secessionskrieges nicht im Stande geweſen ſind, das Militairſyſtem zu ändern und dem Europäiſchen an zupassen, so hat auch der fünfjährige Krieg der Triple- Allianz , in welcher Brasilien bekanntlich die Hauptlast getragen, nicht vermocht, das gewohnte System zu erschüttern. Alle Formationen, die für jenen Krieg nothwendig ge worden waren, sind wieder verschwunden; selbst die Voluntarios da Patria, aus denen sich leicht ein der Preußischen Landwehr ähnliches Reservesystem hätte entwickeln lassen , sind wieder eingeschlafen und scheint man sich darauf zu ver laſſen , daß ein ebenso ungerechter Angriff, wie ihn 1865 der Dictator Lopez gegen Brasilien wagte, auch die gleichen Mittel der Abwehr in Bewegung setzen laſſen wird. Obgleich man sich auch dort überzeugt hat, daß das Institut der Nationalgarden in jedem Ernstfalle vollständig versagt, beruht auch jetzt noch die ganze Wehrkraft des Landes fundamental auf einer fast unzählbaren Menge uniformirter und mit Musikbanden , Fahnen und allen möglichen militairiſchen Paraphernalien versehenen Menschen , während die Armee nur circa 15,000 Mann aller Waffengattungen zählt, von dem nur geringe Truppentheile un getrennt zuſammenſtehen und entweder an der Grenze oder tief im Innern auch zu Policeidiensten verwendet werden. Davon steht noch jetzt eine ―――― dort Di rision genannte - Abtheilung als Occupations-Truppe in Paraguay unter dem Befehl des Marechal de Campo ( Generalmajor) Baron von Jaguarão, welche aus 3 Bataillonen Infanterie Nr. 8 , 10 und 17 , dem 2. Cavallerie-Regiment und dem 3. reitenden Artillerie-Regiment (ehemals das 4. Fuß-Artillerie- Regiment) zusammengesezt ist. Im Frühjahr 1874 stieß noch das in Corumba, Provinz Matto grosso, gestandene 2. Fuß - Artillerie-Bataillon dazu. Mit 191 Offizieren und 2206 Mann beträgt die ganze Stärke dieser Occupations - Truppe nur 2397 Mann. Die Stäbe , die Militair - Geistlichkeit und das Sanitätsweſen dieser kleinen Schaar sind dagegen stark besetzt und genießen Kriegszulage. In den Provinzen Alagoas, Amazonas, Ceará, Goyaz, Minas Geraes, Rio grande do Norte, São Paulo und Parahyba war aus verschiedenen Veranlassungen, namentlich Wahlunruhen und Tumulten, die Nationalgarde, aber allerdings nur in sehr kleinen Zahlen, zuſammenberufen (destacada) oder auf's Piquet gestellt. In keiner dieser Provinzen mehr als 48 Mann, zusammen überhaupt nur 435 Mann . Obgleich 16,000 Mann für 1874 von den Kammern bewilligt worden waren (früher sogar 21,000 Mann) , so erreicht die Stärke doch nur die Zahl von 14,418 Mann Unteroffiziere und Soldaten, mit sämmtlichen nicht regi mentirten Offizieren 16,536 Mann. Davon sind: 21 Bataillone Infanterie von Nr. 1 bis 21 , 8 Garnison-Compagnien in den Provinzen Piauhy , Rio grande do Norte, Parahyba, Alagoas Sergipe , Espirito- Santo , San Paulo und Santa Catarina, 5 Regimenter Cavallerie, 2 Detachements Cavallerie in den Provinzen Matto grosso und Goyaz, 1 Escadron in der Provinz Paraná, 4 Garnison-Compagnien Cavallerie in Pernambuco , Bahia, Minas Geraes und San Paulo, 3 4 1 1

Regimenter reitender Artillerie, Bataillone Fuß- Artillerie, Bataillon Pioniere, Instructions- Depot- Compagnie für Infanterie in Santa Catarina.

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In den Arſenalen befinden sich organisirte Handwerks- Compagnien. Wiederholt und zwar fast in jedem Jahre haben die verschiedenen Kriegs minister den Kammern erklärt , daß dieser Stärkestand der Armee für die Be sabung so vieler Städte , Forts und Posten , selbst im Frieden, vollkommen un genügend sei, und daß die bis jetzt noch bestehende Nothwendigkeit, das Militair zu Policeidiensten zu verwenden, das größte Hinderniß für die Entwickelung eines wahrhaft militairischen Geistes in der Armee sei . Mit den gewöhnlichen , auch anderwärts geläufigen Gründen , man dürfe dem Ackerbau und der Industrie nicht so viele fleißige Arme entziehen - die Financen des Landes könnten pro ductiver angewendet werden und in einem so eminent conftitutionellen Staate dürfe die Militairgewalt nicht zu stark sein — bleibt es bei dem Ver hältniß von 16,000 Mann Soldaten zu einer Einwohnerzahl von 10 Millionen. Um so anerkennenswerther ist das Bestreben des Kriegsministers - gegenwärtig João José de Oliveira Junqueira - durch Schulen , Vorbereitungs - Anstalten, Instruction und tüchtiges Material die kleine Armee zu einem tüchtigen Heere für die Augmentation zu machen , welche für einen möglichen Krieg nothwendig eintreten muß , und welche dann wahrscheinlich im Wiederaufleben des Instituts der Voluntarios da Patria gefunden werden wird . In dieser Beziehung geſchicht in Brasilien entschieden Anerkennenswerthes . Immer aber blieb bis jetzt das äußerst mangelhafte Rekrutirungsgesetz ein Grundübel der Brasilianischen Wehr kraft, um so mehr als der jährliche Abgang durch Entlaſſung nach vollendeter Dienstzeit, Tod , Krankheit und Desertion ſich auf fast 4000 Mann , also den vierten Theil des Dienststandes beläuft. Durch Werbung treten jährlich unge fähr hundert und freiwillig treten 300 Mann ein, da in dem jungen und reichen Staate der lohnende Verdienst leicht und jede andere unabhängige Beschäftigung einträglicher ist , als der Militairdienst. Allerdings hat der Krieg gegen den Dictator Lopez bewiesen , daß Braſilien im Stande gewesen , bis zu 80,000 Mann aufzustellen, sein Heer also bis auf das Fünffache zu vergrößern, und es sind nach ungefährer Schätzung in 5 Kriegsjahren über 200,000 Mann einge kleidet worden , so daß sich für einen Krieg , der die Ehre und Unabhängigkeit des Landes bedrohen sollte, ein gleiches Reſultat erwarten läßt, immer aber fehlte die eigentliche Basis jeder Heereseinrichtung , das Gesez für den Ersak. Ein solches ist nun während des Jahres 1874 endlich zu Stande gekommen und wird 1875 in Wirksamkeit treten. Nach Europäischer Anschauung und Gewohn heit noch immer sehr unvollkommen , muß doch erst die Wirkung desselben ab gewartet werden, um ein begründetes Urtheil darüber abgeben zu können . ――― Für die bessere Bewaffnung wird auch von den Kammern - viel auf = gewendet. Aus Europa und Nord America sind sehr bedeutende Quantitäten Waffen der besten Modelle eingeführt worden und werden in dem Brasilianischen Arſenal verwahrt und zwar im ausgiebigſten Maße, ſo daß ſelbſt eine zehnfache Augmentation des Heeres wenigstens nicht mit dem Mangel an Präciſionswaſſen zu kämpfen haben wird. Verschiedene Commissionen für Bewaffnung, Ausrüstung, Unterricht, Befesti gungen u. s. w. , so wie die Sendung von Offizieren und deren dauernder Auf enthalt in Europa z . B. Oberst Antonio Tiburcio Ferrara da Souza und der Artillerie-Capitain Antonio Francisco Duarte - find für Verbesserungen , An käufe und Vorarbeiten aller Art thätig . Vorzüglich sind die Arſenale und alle Fabrication für die Armee eingerichtet. Größeren Accent als auf das Landheer legt Regierung und Volk in Bras filien auf die Flotte; bei der ausgedehnten Seeküste und den Gefahren , die der

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Krieg mit einer Seemacht bringen könnte, auch wohl ganz richtig ; selbst bei einem Kriege mit den Republiken des Plata- Gebietes und der Westküste ist die Flotte neben dem Kampfzweck auch für den Truppentransport von äußerster Wichtigkeit. Es ist die größte Flotte in Süd - America und steht nur wenigen Flotten der großen Seemächte nach. Nicht allein durch die Zahl der Schiffe, sondern auch durch ihre Stationi rung wird die eigentliche politische Macht Brasiliens repräsentirt. So wenig man dort geneigt ist, die Landarmee in das richtige, jedenfalls von allen Euro päischen Mächten als richtig anerkannte Verhältniß zu der Einwohnerzahl zu stellen, so klar spricht sich das Erkenntniß der Nation und ihrer Vertreter für die Nothwendigkeit und somit die Pflege einer Flotte ersten Ranges aus und ist dies nicht allein durch die im letzten Kriege gemachten Erfahrungen erst ver anlaßt worden , obgleich diese gewiß viel dazu beigetragen haben , sondern ist sie eine Folge der politiſchen Verhältniſſe , in denen ſich Braſilien zu ſeinen Nach barstaaten befindet, die ihm sämmtlich racenfeindlich und eifersüchtig darauf sind, daß die monarchische Regierungsform das mächtige Land bis jetzt vor den Revo lutionen bewahrt , welche die sämmtlichen Republiken Süd-Americas nicht zur Ruhe und Entwickelung kommen lassen. Daher die Fühler , welche Brasilien durch seine Flottenstationen fortdauernd ausstreckt, um sich auf keinem der ihm gefährlichen Punkte überraschen zu lassen , und ist diese factisch stets anwesende Beaufsichtigung der Laplata- Staaten, von Monte Video bis Assuncion und Nova Coimbra, den riverainen Staaten und Provincen ein besonderer Stachel im Fleische. Die Kaiserliche Regierung ist auch fortwährend besorgt, alle Verbeſſe rungen im Schiffsbau, im Geschützwesen und was sonst die Marine angeht, sich zu eigen zu machen und scheint des Augenblickes zu gedenken, in dem sie auf irgend eine Weise einmal den Angriff einer Europäischen Flotte abzuwehren haben könnte. Denn was ihre Superiorität in den Binnengewässern Südamericas und auch gegen die Republiken der Westküste betrifft , so ist diese hinreichend und auch auf lange hin gesichert. - Der Marine kommt eine große Zahl vortrefflicher Häfen und ein Netz von Riesenflüssen zu ſtatten ; allerdings nicht alle auf eigenen Gebieten, aber in Frieden und Krieg befahrbar. Der Uruguay , der Paraná und der Paraguay müssen der Brasilianischen Marine offen stehen , denn sie sind die einzigen Verbindungen Brasilianischer Provincen mit dem Meere und diese Verbindung offen zu erhalten , eine der schwersten politiſchen Aufgaben für das Kaiserreich, weil es selbst den Krieg nicht scheuen darf, um sich das Recht der freien Schifffahrt bis tief in seine Provinz Matto grosso hinein zu sichern, nur wird es den Krieg nicht auf den Flüſsen selbst , sondern am Ausfluſſe des Paraná und Uruguay in dem großen Liman des La Plata führen , denn die Erfahrungen von Cuevas , Riachuelo und Humaita dürften für alle Zeiten als Warnung dienen, selbst mit der großen Zahl von Panzerschiffen, welche Brasilien seitdem besitzt und stets vermehrt. Ganz neuerdings ist in der Bai von Rio de Janeiro ein neues großes Arsenal an dem Ponto d'Area angelegt und vom Kaiser in Person eröffnet worden , wie denn überhaupt sämmtliche Marine Etablissements in vorzüglichem Zustande ſind . Trotz der beschränkten Zahl seines stehenden Heeres ist Brasilien durch seine Flotte und durch die Leichtigkeit, mit welcher die 16,000 Mann Landtruppen auf 80,000, ja mehr Mann gebracht werden können , der mächtigste Staat in ganz Südamerica. Seine Neigungen und Wünsche sind eminent friedlich , der Nationalstolz aber so lebendig , daß er auch den blutigsten Krieg nicht scheut, wenn er sich beleidigt fühlt. Nach territorialer Vergrößerung strebt der Kaiser

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und strebt auch die Nation nicht. Das hat sich während der ganzen Regierung des Kaisers Dom Pedro II. deutlich bewiesen. Dagegen ist das Land eifersüchtig auf die Bewahrung einer durchaus abgeschlossenen Brasilianischen Nationalität im Gegensatz zu der Spanischen Race in den ehemaligen Colonial-Bestandtheilen des Spanischen Vice-Königreiches . Bei Conflicten mit England, Frankreich und der Nordamericanischen Union zeigte bisher Brasilien eine ungewöhnliche Geduld und Langmuth, allerdings nicht zu seinem Schaden , wie der Erfolg noch jedes Mal bewiesen hat. Geht die schwierige Aufhebung der Sclaverei so ruhig ver sich, wie es der Kaiser nach dem Beispiele Rußlands hofft, so steht diesem Lande eine große Zukunft bevor. Die Maßregeln dafür sind geschickt getroffen und wenn Alles gut geht , ist in 20 Jahren kein Sclave mehr auf Braſilianiſchem Boden. L. S.

Bericht über das Ordens wesen. Die kriegerischen Jahre der letzten Zeit haben auch in dem Ordensweſen mannigfache Veränderungen hervorgerufen, deren wichtigere in den nachfolgenden Zeilen namhaft gemacht werden sollen.

1. Das Deutsche Reich hat zum Ordenswesen nur insofern Beziehungen, als die Kosten für die Erneuerung des Eisernen Kreuzes und für die Kriegsdenkmünzen für 1870-1871 auf deſſen Budget übernommen werden. Die erwähnten Auszeichnungen sind indeß in jeder anderen Beziehung wesentlich als Königl. Preußische Institutionen zu betrachten. A. Königl. Preußische Orden und Ehrenzeichen. Von denselben ist vor Allem des im Jahre 1870 erneuerten Eisernen Kreuzes zu gedenken, in Bezug auf welches eine Besprechung der älteren Inſti tution zum vollen Verständniß nothwendig erscheint. Das Eiserne Kreuz , am 10. März 1813 gestiftet, ebensowohl den Orden wie den Chrenzeichen zugehörend und gemeinschaftlich für Offiziere und Soldaten bestimmt, war von König Friedrich Wilhelm III . auserſehen, als ein zige, für die Zukunft ausgeschlossene, Auszeichnung in dem großen Kampfe um Freiheit und Selbstständigkeit des schwer bedrängten Vaterlandes verlieben zu werden. Durchdrungen von dem Gedanken, daß der kräftige Sinn , welcher die Nation so hoch erhob, durch ganz eigenthümliche Monumente geehrt und rer ewigt zu werden verdiene, wollte er den hohen Muth, welcher in eiserner Zeit jede Brust belebte, durch ein eisernes Wahrzeichen zum Ausharren in der auf Religion gestützten treuen Anhänglichkeit an König und Vaterland kräftigen. Die Auszeichnung , welche von Allen - vom höchsten General bis zum Gemeinen ― zuerst erworben werden mußte, war das Eiserne Kreuz 2. Klaſſe, am schwarzen, weißgestreiften Bande am Knopfloch zu tragen. Neue Auszeich nungen gaben Anspruch auf das Kreuz 1. Klasse, welches , neben dem der 2. Klasse getragen, auf die linke Brust geheftet wird. Für eine gewonnene entscheidende Schlacht oder ähnliche Leistungen war das Großkreuz als Belch nung bestimmt . Fürst Blücher, der 1815 dazu einen besonderen Stern erhielt. Graf Bülow, Graf Tauentzien und Graf York waren die Preußischen Generale, denen dasselbe zu Theil wurde.

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An Eisernen Kreuzen 1. Klaſſe ſind 635, an solchen 2. Klaſſe 16070 für Combattanten ausgegeben worden, darunter 6928 durch Vererbung. Neben dem im Kampfe zu bethätigenden Verdienst hatte der König auch dasjenige im Auge, welches ohne solchen Kampf, aber in Beziehung auf den selben im Felde und Daheim zur Geltung kommen würde. Hierfür war zu nächst das Eiserne Kreuz 2. Klasse am weißen, schwarz geränderten Bande be stimmt. Für den Staatskanzler Fürst Hardenberg und den Minister Wilhelm von Humboldt trat noch das Eiserne Kreuz 1. Klasse hinzu. Die Zahl der Eisernen Kreuze 2. Klaffe am weißen Bande betrug 374. Ein besonders wirksames Mittel , das Eiserne Kreuz in seiner vollen Be deutung erscheinen zu laſſen, beſtand in der Aufstellung von Ehrentafeln in den Kirchen, von denen die Einen die Namen der Gefallenen, die Anderen die der Inhaber des eisernen Kreuzes trugen. Letztere führen die Ueberschrift: „ Des Ehrenzeichens würdig". Die Worte über den Ersteren lauten: „Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vaterland " . Von den Tafeln dieser Art haben für die Kriege der neuesten Zeit nur die für die Gefallenen aufgestellt werden können, weil für die Anbringung von Ehrentafeln für die Inhaber des im Jahre 1870 erneueten Eisernen Kreuzes der verfügbare Raum in den Kirchen nicht ausreichend erschien. Der erhebende Act der Aufstellung der Ehrentafeln der im Laufe der Feldzüge von 1864, 1866 und 1870-71 Gefallenen des Gardecorps und der sonstigen Theile der Berliner Garnison am 22. November 1874 , dem Sonntage des Todtenfestes , war indeſſen auch für die mit dem Eisernen Kreuze Ausgezeichneten , die in großer Zahl an der Feier Theil nahmen, zu welcher des Kaisers und Königs Majestät, umgeben von den Prinzen Seines Hauses persönlich erschienen war, ein be= sonders hoher Ehrentag. Wie bei den Tafeln für die Jahre 1813-15 bestand auch diesmal der schönste Schmuck jeder einzelnen Ehrentafel in dem Symbol des Eisernen Kreuzes, unter welchem sich die langen Colonnen der Gefallenen aus breiteten. König Friedrich Wilhelm IV. bekundete sein Interesse für die bedeutungs volle Institution des Eisernen Kreuzes durch Schaffung einer Anzahl von Senioren-Stellen, von denen die der 1. Klaſſe einen Ehrenfold von 150 Thlr. und die der 2. Klasse einen solchen von 50 Thlr. bezogen. Wer hierauf zu Gunsten ärmerer Cameraden verzichtete wurde zum Ehrensenior ernannt. König Wilhelm hat diesen Ehrenfold bei der 50 jährigen Gedächtnißfeier der Erhebung von 1813 auf alle noch übrigen Veteranen ausgedehnt, denen das Eiserne Kreuz unmittelbar verliehen worden. Im Laufe weniger Jahre sind auch diejenigen, welche durch Erbberechtigung in den Besitz desselben ge langt sind, in den Genuß des Ehrensoldes eingerückt. Die Zahl der noch übrig geblieben greisen Krieger betrug am 1. November 1874: 1 Ehrensenior 1. Klasse, 38 Ehrensenioren 2. Klasse,*) 11 Senioren 1. Klasse, 504 Senioren 2. Klaſſe, 1 Senior des eiſernen Kreuzes 2. Klaſſe am weißen Bande Im Ganzen 555 Senioren. *) Zu den Königlichen Prinzen, welche zur Zeit der Stiftung des Instituts der Ehrensenioren an die Spite deſſelben traten, gehörte Sr. Majestät der Kaiser und König. 29 Militairische Jahresberichte 1874.

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Unter den Veränderungen, welche in den letzten 5 Jahren im gesammten Ordenswesen aller Länder stattgefunden haben, ist keine, die nur entfernt der Erneuerung des eisernen Kreuzes gleich kommt, welche König Wilhelm am 19. Juli 1870 am Sterbetage seiner unvergeßlichen Mutter, vollzog , deren Ge burtstag zur Stiftung des Eisernen Kreuzes gewählt worden war. Es war zu gleich der Tag, an welchem die Kriegserklärung Napoleons III . in Berlin eintraf. Das Eiserne Kreuz , auf das gesammte Deutschland übertragen , trug mächtig bei , die Gluth der Begeisterung anzufachen und ist ein überaus kräftiges Band der Deutschen Einigung geworden. Die Statuten wurden, so weit als irgend möglich, mit denen des Jahres 1813 in Uebereinstimmung gebracht. Eine dereinstige Ehrenzulage wurde der gesetzlichen Regelung vorbehalten. In Folge des Krieges von 1870-71 haben das Großkreuz des Eisernen Kreuzes erhalten : Se. Kais. und Kgl. Hoheit der Kronprinz von Preußen und des Deutschen Reiches, Se. Kgl. Hoheit der Prinz Friedrich Carl, Se. Kgl. Hoheit der damalige Kronprinz von Sachſen, der nachherige Feldmarschall Graf von Moltke, der nachherige Feldmarschall Freiherr von Manteuffel, der General der Infanterie von Goeben, der General der Infanterie von Werder, Se. Kgl. Hoheit der Großherzog von Mecklenburg- Schwerin. Von Combattanten erhielten das Eiserne Kreuz 1. Klasse 1305, dito dito 43243, 2. Klaſſe dito Von Nicht-Combattanten erhielten das Eiserne Kreuz 1. Klaſſe 13, darunter der Inspecteur der freiwilligen Krankenpflege, seine nächsten Gehülfen und einige hervorragende Aerzte. Von Nicht-Combattanten erhielten das eiserne Kreuz 2. Klaſſe am weißen Bande 4013. Der bei Weitem größte Theil der letzteren Zahl kommt auf Militair Aerzte, während dieselben 1813-15 größtentheils das Eiserne Kreuz am Com battanten - Bande erhielten. Das letztere Verfahren würde gegenwärtig im Widerspruch mit der Genfer Convention stehen, nach welcher das ärztliche Per jonal neutral ist. Die Zusammenstellung der Listen der Inhaber des Eisernen Kreuzes war mit so großen Schwierigkeiten verbunden, daß dieselben nicht vor Mai 1874 in die Hände der General-Ordens - Commiſſion gelangen konnten, welche seitdem damit beschäftigt ist, die genauen Nationale sämmtlicher Betheiligten zu er langen, auf Grund deren zur Anfertigung der Besitzeugnisse geschritten werden kann. In Bezug auf den Orden pour le mérite iſt zu berichten , daß die im Jahre 1866 an Se. Kgl. Hoheit den Kronprinzen und den Prinzen Friedrich Carl verliehene Decoration eines goldenen Sternes mit dem Bildniß Friedrichs des Großen und entsprechendem um den Hals zu tragenden Kreuz am 2. Sep tember 1873 , dem Tage der Einweihung der Siegessäule auf dem Königsplas zu Berlin, durch Hinzufügung des Eichenlaubes vervollständigt worden ist. Bemerkenswerth hierbei ist, daß diese Decoration so wie das Großkreuz des Eisernen Kreuzes bei besonderen Feierlichkeiten zu Ehren der Armee von des Kaisers und Königs Majestät getragen werden.

Ordenswesen.

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In Bezug auf die von Friedrich Wilhelm IV. gestiftete Friedens klaſſe des Ordens pour le mérite für Wissenschaften und Künfte möge erwähnt werden, daß am 31. Mai 1874 die Wahl der stimmberechtigten Ritter Deutscher Nation zum ersten Male auf einen Preußischen Militair, den Feld marschall Grafen von Moltke, gefallen ist. (Vergleiche Nr. 63 des Militair Wochenblattes von 1874). In Betreff des Johanniter Ordens ist zu erwähnen, daß mit dem Johanniter = Kreuz belegte Decorationen des Rothen Adler Ordens und des Kronen-Ordens , wie solche für Auszeichnung bei der Pflege der Verwundeten u. s. w. in Folge der Kriege von 1864 und 1866 an Johanniter-Ritter ver liehen wurden, nach dem Kriege von 1870-71 nicht ausgegeben worden sind. Das Eijerne Kreuz am weißen Bande und die weiter unten zu erwähnende Modification des Kronen-Ordens treten an deren Stelle. Zugleich ist zu er wähnen, daß der Orden Veranlassung genommen hat , eine Zahl von beinahe hundert Ehrenrittern, die sich bei der Krankenpflege im Felde ausgezeichnet, zu Rechtsrittern zu erheben. Der am 24. Juni 1872 zu Sonnenburg erfolgte Ritterschlag ist der umfangreichste, deffen die Annalen des Ordens erwähnen. Neben dem Eisernen Kreuze am weißen Bande trat für Auszeichnung in der freiwilligen Krankenpflege nach dem Kriege von 1870-71 folgende Mo dification des Kronen- Ordens 3. und 4. Klaſſe, so wie des Allgemeinen Ehrenzeichens ins Leben. Das statutenmäßige Band wurde durch das 5 mal schwarz und 6 mal weiß gestreifte, roth eingefaßte Erinnerungsband erſetzt und in denjenigen Fällen, in welchen der Beliehene Mitglied der Pflege Vereine war, wurde die ursprüngliche Decoration mit dem Genfer Kreuz belegt. Die für Damen bestimmten beiden Klassen des Louisen - Ordens sind für den Krieg von 1870–71 nicht verliehen worden. An deren Stelle trat das Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen. Die dem Eisernen Kreuz ähnlichen Insignien sind mit dem rothen Genfer Kreuz belegt. Sie ver bleiben beim Ableben der Besizerinnen den Familien. Das Band, an welchem die Damen - Orden getragen werden , ist das weiße Band des Eisernen Kreuzes. In einer Anzahl , welche eine Million beträchtlich übersteigt , ist die Kriegsdenkmünze für 1870-71 verliehen worden. Für Combattanten ist sie aus der Bronce eroberter Geschüßröhre, für Nichtcombattanten aus Stahl gefertigt. Beide Kategorien bleiben nach dem Tode des Inhabers Eigenthum der Familie. Die Denkmünzen für Nichtcombattanten find in beträchtlicher Zahl auch an Civilperſonen beiderlei Geschlechts vertheilt worden, die sich bei der militairischen Krankenpflege u. s. w. verdient gemacht haben. Die beiden Klassen des Militair - Ehrenzeichens sind 1870-71 ebeuso wenig zur Ausgabe gekommen, wie das Militair - Verdienstkreuz von maſ firem Golde, welche für den Feldzug 1866 an 17 Militairs vom Feldwebel abwärts für die Eroberung von Fahnen und Standarten verliehen wurde. In wiefern die mit dem Militair-Verdienstkreuz und dem Militair- Ehrenzeichen ver bundenen Zulagen bei dem Eisernen Kreuze zur Geltung kommen werden , ist zur Zeit noch der gesetzlichen Regelung vorbehalten. Von den Militair- Ehrenzeichen zu unterscheiden, aber höheren Ranges als die bloßen Denkmünzen, ist die Medaille des rothen Adler - Ordens. Die jelbe wurde bis zum letzten Kriege in der Regel nicht an Inländer ausgegeben. Im Jahre 1871 hat des Kaisers und Königs Majestät diese silberne Medaille am Bande des Hohenzollern - Ordens an die Mannſchaften Seiner Stabswache verliehen. 29*

452

Militairische Jahresberichte für 1874.

Bald nach dem Kriege von 1871 wurde mittelst Allerhöchster Cabinetsordre rom 4. December 1871 Bestimmung darüber getroffen , in welcher Reihenfolge die Preußischen Orden und Ehrenzeichen getragen werden sollen. B. Königlich Bayerische Orden und Ehrenzeichen. Die ritterliche Genoſſenſchaft des St. Georgs - Ordens , welche noch aus den Kreuzzügen herstammen soll , hat sich 1870-71 in großem Umfange der Pflege der Verwundeten gewidmet und eine dem entsprechende Aenderung der Statuten vorgenommen. Im Jahre 1871 ist für Pflege der Verwundeten u. s. w. das Militair Verdienstkreuz gestiftet worden , welches auch an Frauen und Jungfrauen verliehen wurde. C. Königlich Sächsische Orden und Ehrenzeichen. Im Jahre 1871 ist sowohl an Männer wie an Frauen für Pflege der Verwundeten ein Erinnerungskreuz verliehen worden. Am 14. März desselben Jahres ist der Sidonien - Orden für Frauen und Jungfrauen für Werke helfender Liebe in Krieg und Frieden gestiftet worden. Der Name bezieht sich auf die Gemahlin Albrecht des Beherzten , des Stifters der Albertinischen Linie , nach welchem ein Königlich Sächsischer Ritterorden benannt ist. D. Königlich Württembergische Orden und Ehrenzeichen. Der 1871 gestiftete Olga - Orden wird für Verdienste um die freiwillige Krankenpflege an Männer und Frauen verliehen. E. Großherzoglich Badiſche Orden und Ehrenzeichen. Bei der Felddienst - Auszeichnung für 1866 wird die Theilnahme an dem Kriege von 1870-71 durch eine Spange am Bande kenntlich gemacht. Die ſonſtigen Theilnehmer des letzten Krieges haben eine besondere Medaille erhalten. Ferner wurde 1871 ein Erinnerungskreuz für die Pflege der Verwun deten sowohl für Männer als für Frauen gestiftet. F. Großherzoglich Heffische Orden und Ehrenzeichen. 1870 wurden gestiftet: 1 ) das Militair - Verdienstkreuz und 2 ) das Militair - Sanitätskreuz für Pflege der Verwundeten u. j. w. G. Großherzoglich Sächsische Orden und Ehrenzeichen. Hinzugetreten ist ein Ehrenzeichen für rühmliche Thätigkeit während des Krieges 1870-71 . H. Großherzoglich Oldenburgische Orden und Ehrenzeichen. Gestiftet wurde 1871 das Verdienstkreuz für Aufopferung und Pflicht treue in Kriegszeiten. I. Großherzoglich Mecklenburgische Orden und Ehrenzeichen. In manchem Betracht dem Eisernen Kreuze nachgebildet, ist das, 1848 zu Schwerin gestiftete, Militair - Verdienstkreuz im Jahre 1870 durch den Hins zutritt einer ersten Klaſſe und ferner durch Verleihung von rothem resp . blauem Bande vervollständigt worden.

2.

Belgien .

Vermuthlich im Hinblick auf die Bedeutung, welche der in Aussicht stehende Congreß zu Brüssel für die Pflegevereine im Allgemeinen und für die dortigen im Besonderen erwarten ließ , ist 1873 eine Medaille mit dem Bruftbild des

Ordenswesen.

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König Leopold II. vertheilt worden , welche bei Verſammlungen des Brüffeler Vereins an einem Bande mit den nationalen Farben getragen wird .

3. Frankreich. In Bezug auf die im Jahre 1802 von Napoleon Bonaparte als erster Conſul ins Leben gerufene Institution der Ehrenlegion ist zu berichten, daß deren herrliches Ordenspalais an der Seine durch den Haß der Pariser Com mune im Mai 1871 den Flammen geopfert und noch immer nicht wieder her gestellt worden ist. Die von dem Kaiser Napoleon III. 1852 geftiftete Militair - Medaille hat auch unter der gegenwärtigen Regierung eine hervorragende Bedeutung be halten. Ihre ausnahmsweise Verleihung an höhere Militairs gilt auch jetzt für eine besonders hohe Auszeichnung. Als solche wurde sie 1874 dem General Barrail beim Rücktritt vom Kriegsministerium zu Theil.

4. Niederlande. Im Jahre 1874 ist für die Theilnahme am Kriege gegen Atjeh eine silberne Medaille gestiftet worden. 5. Oesterreich. Bei der 25jährigen Feier seiner Regierung stiftete Kaiser Franz Joseph am 2. December 1873 eine Erinnerungs - Medaille für alle diejenigen, welche, gleichviel in welcher Charge und Eigenſchaft, an den Kriegen jener Zeit Theil genommen, und ist dieselbe im Laufe des Jahres 1874 an die Betreffenden aus gegeben worden. (Vergleiche Seite 337.) Erwähnung verdienen die je länger je mehr auf die Pflege und Verſorgung der Verwundeten u. s . w. gerichteten Bestrebungen des Deutschen Ordens . Das selbe gilt von den in Oesterreich und im Deutschen Reiche verbreiteten Theilen des (katholischen) Johanniter-Malteſer-Ordens. (Vergleiche Seite 327. )

6.

Rugland.

Außer einer Medaille für die Theilnahme am Feldzuge gegen Chiwa ist der erhöhten Bedeutung zu erwähnen , welche dem St. Georgs - Orden seit seiner Säcularfeier am 25. November (7. December) 1869 durch umfassendere Feier des Stiftungstages zu Theil geworden. An jenem Säculartage wurde nach langer Zeit dem Orden in der Person Königs Wilhelm von Preußen ein Ritter der 1. Klasse gegeben. Die Verleihung der 2. Klaſſe an den Kronprinzen und Prinzen Friedrich Carl von Preußen kurz vor Ausbruch des Krieges 1870 zog, wie die in den Tuilerien aufgefundenen und von der republicanischen Re gierung veröffentlichten Papiere bekunden , in ungewöhnlichem Maaße die Auf merksamkeit Napoleons III. auf sich. Die gleichzeitige Verleihung der 1. Klaſſe an den Erzherzog Albrecht scheint auf das damalige Verhalten Desterreichs nicht ohne Einfluß geblieben zu sein.

7.

Spanien.

Die von Castellar geleitete republicanische Regierung scheint die Beseitigung des ganzen Ordenswesens ins Auge gefaßt zu haben. Die formelle Aufhebung wurde indessen nur über die geistlichen Ritter- Orden von Alcantara , Calatrava und St. Jacob von Compostella ausgesprochen. Im Januar 1875 war es eine der ersten Acte König Alphons XII., dieselben wieder herzustellen.

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Militairische Jahresberichte für 1874

Quellen für das Ordenswefen. H. Schulze, Prem. -Lieut. a. D. Chronik aller Ritterorden und Ehren zeichen. Berlin, 1855. W. Moejer. l. Fol. 1164 Seiten. Supplementband 1870. 522 Geiten. Mit Abbildungen. L. Schneider , Geh. Hofrath und Vorleser Sr. Majeſtät des Kaiſers und Königs. Die Preußischen Orden, Ehrenzeichen und Auszeichnungen. Geſchicht lich. Bildlich . Statistisch. Prachtwerk in Fol. Das Buch vom Schwarzen Adler-Orden. 1870. 205 Seiten. 1857. 202 Seiten. Nach Das Buch vom Rothen Adler - Orden. trag dazu. Der Königl. Kronen-Orden. 1871 . Das Buch vom Eisernen Kreuze. 1872. 211 Seiten, und neun weitere Theile. Berlin. Aler. Duncker. F. W. Hoeftmann , Geh. Registrator der General-Ordens -Commiſſion. Der Preußische Ordens-Herold. Berlin, 1868. 204 Seiten. Hof-Buchhand lung von E. S. Mittler u . Sohn. Nachtrag dazu, 1871. 20 Seiten. Selbst verlag. Preis beider reich mit Farbenzeichnungen ausgestatteten Werke 5 Thlr. 20 Sgr. Numismatische Zeitung 1871. Nr. 20-26 . Die Orden und Ehren zeichen der Jahre 1870-71. Frhr. v. Troschke , Gen.-Lieut. 3. D. Das Eiserne Kreuz. 3. Auflage. Berlin, 1872. F. Schneider und Comp . Abdruck des die Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine eröffnenden Artikels . Als Beilage ein Facsimile der Handschrift Sr. Majestät des Kaisers und Königs, worin Allerhöchstderselbe Sein Einverständniß mit dem Inhalte der Schrift ausspricht. v. T.

Zweiter Theil.

Berichte über die

militairwiſſenſchaftlichen

Disciplinen

und die

Kriegsereignisse der Gegenwart .

Bericht über die Taktik

der

Infanterie.

Der er Deutſch - Französische Krieg hat von Neuem bewiesen , daß die In fanterie, troß aller technischen Verbesserungen der Artillerie, die Hauptwaffe des Heeres ist; die Entwickelung und Pflege ihrer Taktik wird demnach zu den Lebensbedingungen eines jeden Heeresorganismus gerechnet werden müſſen . Eine jede Kunst, also auch die Kriegskunst , ist unendlich in ihrer Aus übung , doch in ihren Mitteln endlich , veränderlich. Dies gilt vor Allem der Taktik, dem Producte theilweis variabler Factoren, unter denen die Bewaffnung mit obenan steht. In der That hat das letzte Jahrzehnt auf dem Gebiete der Infanterietaktik Veränderungen so durchgreifender Art erzeugt, daß sie denen der Revolutionskriege wohl an die Seite gestellt werden dürfen. Die taktischen For= men, welche aus jenen Kriegen hervorgingen, haben ihren Werth verändert ; einzelne sind mehr in den Vordergrund getreten , andere wieder in den Hinter grund , ohne jedoch gänzlich zu verschwinden. Der Einfluß der fortschreitenden Waffentechnik ist es , auf welchen diese Veränderungen zurück zu führen sind. Der Hinterlader hat eine neue taktische Aera eröffnet. "1 Neue Waffen , neue Taktik!" Schon im Jahre 1859 prophezeite General von Brandt in seiner "Taktik der drei Waffen" demjenigen Staate den Sieg, welcher dies richtig ver stehen und auffaffen werde. Unter allen Europäischen Heeren war das Preußische lange Zeit das einzige , welches die Bedeutung der neuen Waffen erkannte ; auf den Schlachtfeldern erntete es dafür auch die Früchte weijer Voraussicht. Die epochemachende Wirkung des Hinterladers hatte nach dem Feldzuge des Jahres 1866 die Neubewaffnung der Europäischen Infanterien zur Folge, we niger schnell vollzogen sich die durch den Hinterlader bedingten Veränderungen der Taktik. Die Kriegserfahrungen jenes Feldzuges fanden ihren Ausdruck zu nächst in einer ungewöhnlichen Fruchtbarkeit der militairischen Presse. Als deren bedeutendstes , in vielen Beziehungen bahnbrechendes und genialstes Erzeugniß gelten, trotz mancher Ausschreitungen, die vielgenannten „ Taktischen Rückblicke, " der Vorläufer einer Reihe geistesverwandter Publicationen , weshalb derselben noch einmal an dieser Stelle in Kürze gedacht werden mag. „Große Front= ausdehnung bei geringer Tiefe , ungeordneter Angriff von Schützenschwärmen, stetes Bestreben zu flankiren durch Weitausgreifen der Flügel , untergeordneter Werth der geschlossenen Fechtart zu Gunsten der zerstreuten, Bedeutung der In dividualität beim Gebrauch des Hinterladers , hervorragende Wichtigkeit der Ar tillerie" ; dies sind die wichtigsten Ergebnisse der Erfahrungen , welche der Ver faffer in seiner Schrift niedergelegt, jedoch keinesweges allein gemacht hat.

458

Militairische Jahresberichte für 1874.

Aber die Bewegung blieb zunächst auf das geistige Gebiet beschränkt ; zu durchgreifenden Veränderungen kam es selbst in der den Ton angebenden Preußi schen Armee zunächst nicht , trotzdem der Verlauf der Schlachten und Gefechte des Jahres 1866 bewiesen hatte, daß zahlreiche Vorschriften des Reglements den Anforderungen des modernen Gefechtes nicht mehr zu genügen vermochten. Pro visorisch wurden „ Manöver - Instructionen " erlaſſen , welche jedoch nur für die höheren Führer bestimmt waren und den Mangel zeitgemäßer reglementariſcher Vorschriften um so mehr empfinden ließen. Dieselben sprachen sich im Großen und Ganzen wie folgt aus : „ Eine gute, kaltblütige Infanterie ist in der Front kaum angreifbar ohne gleichzeitigen Flankenangriff; gleichwohl bleibt die Offen sive Hauptsache. Hauptaufgabe der Taktik ist es , den Infanterieangriff durch Beharrlichkeit , geschickte Benutzung des Terrains und der Verhältnisse siegreich durchzuführen. Bedrohung der Flanken gilt als wirksamstes Manöver. Der Kampf ist zu eröffnen mit starken Schüßenschwärmen, welche nahe an den Feind heran gehen sollen, ehe sie das Feuer beginnen. Als Vorbereitung für die Vor wärtsbewegung ist ein concentrirtes , längeres Artilleriefeuer erforderlich. Fer mationen des ersten Treffens sind die Compagniecolonnen , seltener das Halb bataillon. Allmähliches Heranschießen auf nähere Distanz. Nach heftigem Feuer erfolgt das Vorgehen des mit dem ersten vereinten zweiten Treffens , Schnell feuer der Schüßen , auch Salvenfeuer der in die Schüßenlinie vorgehenden de ployirten Compagnie-Colonnen. Der Cavallerieangriff ist in jeder zweckmäßigen Form abzuweisen. " Dies sind die Principien, denen gemäß sich die Deutsche Infanterie auf die Kämpfe des Jahres 1870 vorbereitete. Mittlerweile brach der Krieg aus. Wenn die Infanterie trotz der schlechteren Waffe und mancher veralteter Formen dennoch mit Vertrauen den kommenden Ereignissen entgegen sah, so spricht das nicht allein für die Tüchtigkeit der Truppe und ihrer Führer, sondern auch für die Elasticität des Preußischen Reglements , von jeher einer seiner beſonderen Vorzüge. Enthalten doch die Abschnitte des Reglements von 1847 Ueber den Gebrauch der Compagniecolonnen und das Gefecht" in ihrer weiten Fassung beinahe Alles , was die vorgeschrittenſten Taktiker der Gegenwart fordern. In der That bediente sich die Infanterie im Gefechte fast ausschließlich derjenigen Form, welche die Kriegserfahrung des Jahres 1866 ausdrücklich als die brauch barste bezeichnete, nämlich der bewährten Compagniecolonne. Die Colonne nach der Mitte galt als „ Angriffscolonne", wie sie das Reglement noch nannte, ſchon lange nicht mehr , ebenso wenig war von einem Vorgehen des Bataillons in Linie und Abgabe der Bataillonssalve im Gefecht , sowie vom Gebrauch des Bataillons -Carrés die Rede ; dagegen wurde die zerstreute Fechtart als diejenige erkannt , welcher nicht nur die Einleitung , sondern auch die Durchführung der Gefechte vor Allem zufallen müſſe. Aber die Erfahrungen von 1866 waren einseitige geblieben ; wohl konnte man gespannt sein, wie sich die Verhältnisse im Kampfe von Hinterlader gegen Hinterlader gestalten würden. Noch deutlicher als im Jahre 1866 zeigte sich, daß die Verwendung geschlossener größerer Maffen in der Gefechtslinie nicht mehr möglich sei, ohne dieselben einer völligen Vernichtung Preis zu geben. Die Gefechte und Schlachten wurden zu großartigen Tirailleurkämpfen , in welchen ganze Brigaden und Diviſionen aufgelöst wurden und um den Besitz von Dert lichkeiten aller Art mit Erbitterung kämpften. --- Einer der Hauptinterpreten der Taktik der letzten Kriege, von Bogulawski, schildert in einem Werke „ Tak tische Folgerungen aus dem Kriege 1870/71 " die Infanteriekämpfe desselben

Tattil der Infanterie.

459

kurz folgendermaßen : „Keine Salven im Feuergefecht , keine oder sehr seltene Angriffe geſchloſſener Abtheilungen ; wenn aber wirklich einmal eine geschlossene Truppe attaquirte, war sie sehr klein , eine Bataillonscolonne niemals. Große Schüßenentwickelung von beiden Seiten ; ein lange dauerndes , allmählich vor schreitendes, oft hin und her wogendes Feuergefecht , endlich ein Flankirtwerden oder auch ein Ermatten des einen Theils mit folgendem Vorgehen des andern, oder ein Anlauf von dichten Schüßenschwärmen , welche dann um jeden Preis den andern Theil zu delogiren suchten, eingedenk, daß Zurückgehen im Falle des Mißlingens gleichbedeutend sei mit Vernichtung. Bei beiden Theilen große Auf lösung, Vermischung der Truppen, besonders im coupirten Terrain - Führung hierdurch erschwert. Bei den Deutschen : Mehr Ruhe und Abgabe des Feuers auf kürzere, bei den Franzosen : Mehr Uebereilung und Abgabe des Feuers auf weitere Distancen." Ferner zeigte sich die Wirkung des Infanteriefeuers in der Ver theidigung der des Angreifers derartig überlegen, daß ohne gründliche Vor bereitung durch die Artillerie ein ernstlicher Angriff ſtark beſeßter und zähe ver theidigter Stellungen auch in Zukunft schwerlich gelingen wird . Mehr denn je find die Infanterie und Artillerie auf wechselseitige Unterstützung im Kampfe angewiesen. Von einer wirklichen Entscheidung durch die Artillerie war aber keine Rede, fast immer entschied schließlich das Vorgehen der Infanterie , deren Angriff wie 1866 fast alle Mal ein umfassender war. Die Jäger wurden. auf Deutscher Seite, im Gegensaße zu ihrer früheren Instruction wie jedes andere Infanterie - Bataillon verwendet und haben glänzende Offensivthaten zu verzeichnen, nur im Cernirungskriege fanden sie eine ihrer Eigenthümlichkeit ent sprechende Verwendung. Ihre Bedeutung ist demnach auch in Zukunft wohl nur die einer gutschießenden Infanterie. Unmittelbar vor dem Kriege sollte ein neues Reglement erscheinen und den nach den Kriegserfahrungen von 1866 zu Tage getretenen Mängeln ab helfen. Es gelangte jedoch erst nach dem Kriege zur Einführung und ist be zeichnet als „Neuabdruck (des Exercir = Reglements vom 25. Februar 1847 ) unter Berücksichtigung der bis zum 3. August 1870 ergangenen Abänderungen . ' Die wesentlichsten Neuerungen desselben sind: Veränderte Formation und Ver wendung der Schüßenzüge im Bataillonsverhältniß , Einleitung des Gefechts durch ganze Compagnien , Beseitigung der Aufmärsche , Vereinfachung der Be wegungen in der Colonne nach der Mitte, welche als „ Grundgefechtsstellung " bezeichnet wird, Einführung der viergliederigen Salve, Bestimmungen über die Formation des Compagnie-Carrés und das Verhalten der einzelnen Compagnie im Gefecht, endlich die besonders wichtige Neubearbeitung des 4. Abschnittes „Von dem Gefecht eines Bataillons , mit besonderer Rücksicht auf die Bestim mung des dritten Gliedes und den Gebrauch der Compagnie- Colonnen. " Daß der Neuabdruck des Reglements nur einen Theil der Mängel und veralteten Formen deſſelben beseitigt hatte , vermochten , nach Beendigung des Feldzuges und auf Grund der in demselben gewonnenen neuen Erfahrungen, selbst die loyalſten Verehrer desselben nicht in Abrede zu stellen. Bestimmungen, wie z . B. die des § 100 „daß außer den Jägerbataillonen die Füsilier = Bataillone und das dritte Glied der gesammten Infanterie am häufigsten für die zerstreute Fechtart benutzt werden sollen ", erschienen bei der allgemeinen , ja fast ausschließlichen Anwendung der letzteren als nicht mehr zeitgemäß. Die Ereignisse waren über dieselben gewisser Maaßen hinweg geschritten. Allgemein wurde die Nothwendigkeit fernerer taktischer Reformen als dringlich anerkannt ; nur über die Tragweite und Ausdehnung derselben

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Militairische Jahresberichte für 1874.

gingen die Ansichten sehr auseinander. Vor Allem aber erſchien es wünſchens werth, daß die Infanterie wieder, wie zu Zeiten des großen Königs, den nor malmäßigen Standpunkt der Ausbildung erreiche, nämlich nicht anders im Allgemeinen zu exerciren und zu manöviren , als sie sich auch zu schlagen ge denke, um die auf dem Uebungsplatze erlernten Formen auch auf das Gefechts feld übertragen zu können. Denn die Infanterie", bemerkt ein neuerer Autor (Hellmuth , Geist und Form) „ muß an ihr Reglement glauben , es muß ihr gelten wie ein Zeichen: In diesem wirst du siegen!" Die Jahre seit dem Kriege weisen demgemäß nicht allein zahlreiche kritische Untersuchungen über die Ereignisse desselben, sondern auch eine Reihe praktiſcher Versuche auf, mit der Absicht , die zukünftigen Formen des Infanteriegefechtes zu ermitteln und fest zu stellen. Der Reformgedanke fand seinen beredten Ausdruck zunächst, wie nach 1866, in einer Reihe literarischer Erscheinungen, welche wir zu den hervorragendften der Neuzeit rechnen dürfen. Neben den schon erwähnten „ Taktischen Folgerun gen" Boguslawski's nennen wir Verdy's "! Studien über Truppenführung". In diesem zu Europäischer Berühmtheit gelangten Werke wird die Lösung der schwebenden Zeit- und Streitfragen in genialer Ausführung der sogenannten applicatorischen Methode gesucht. Denselben reihet sich als Hauptvertreter der Infanterietaktik der Zukunft an von Scherff in seinen mit unwiderstehlicher Logik verfaßten „ Studien zur neuen Infanterietaktik. " Die Einzelordnung nennt v. Scherff unumwunden die factisch einzige Kampfformation der Infan terie und weiſet , an der Hand der Thatsachen, nach , daß der Einbruch in die feindliche Stellung, sowohl im freien Felde als auch in Lisieren in den Kriegen 1866 und 1870-71 überall und lediglich durch Schützenschwärme geschehen sei, nur mehr oder weniger nahe gefolgt von geschlossenen Linien oder Colonnen. Auch die Schriften von Tellenbach, Perizonius (Paris), Rüſtow (Strategie und Taktik der neuesten Zeit) , Hoffmann (Feuerdisciplin) , ferner das vortreffliche Werk eines anonymen Verfassers : Kritische und unkritische Wanderungen über die Gefechtsfelder der Preußischen Armeen in Böhmen 1866 " u . A. laſſen diesen Gedanken mehr oder minder scharf erkennen und beweisen in überraschen der Uebereinstimmung bezüglich aller Cardinalfragen, daß der von denselben an gedeutete Entwickelungsgang der Infanterietaktik der richtige ſei. Maßgebenden Ortes glaubte man (weit entfernt die Nothwendigkeit takti scher Neuerungen zu verkennen), erst dann die bessernde Hand an das Bestehende legen zu sollen, wenn die hochgehenden Wogen, welche der Krieg beſonders auf dem Gebiete der Taktik aufgewühlt hatte , sich gelegt und die Ansichten geläu tert haben würden. Reglementarische Veränderungen verlangen eine ihrer tief einschneidenden Bedeutung entsprechende gründliche Vorprüfung ; überſtürzende Eile kann nur schädlich wirken, wo es sich um Veränderung fundamentaler Be stimmungen handelt. Vorsichtige Zurückhaltung gegenüber den zahlreichen in Vorschlag gebrachten Neuerungen schien zunächst um so weniger bedenklich, als durch die Allerhöchſte, im Vorworte des Reglements ausgesprochene Bestimmung der für die Aus bildung und Anwendung den Truppen belassene Spielraum nicht ohne drin gende Veranlassung beschränkt und damit die Form vor dem Wesen über Ge bühr in den Vordergrund gestellt werden solle , " demnach die Möglichkeit , die Formen des Kampfes den jeweiligen Bedürfnissen desselben anzupassen , aus drücklich gewahrt blieb. Im Sommer des Jahres 1872 fand eine Reihe von Exercirverſuchen

Taktik der Infanterie.

461

Das statt, mit dem Zwecke , die vorgeschlagenen Veränderungen zu erproben. Garde-Füsilier-Regiment tiraillirte und erercirte beispielsweise in Formen, welche feststellen sollten, wie die Infanterie künftig die taktische Offensive durchzuführen Man formirte doppelte habe , ohne zu erhebliche Verluste dabei zu erleiden. Schüßenlinien, die zweite der ersten auf 150 Schritte Entfernung folgend , jede (per Compagnie) in Stärke je eines Zuges, der übrig bleibende Zug auch nicht geschlossen, sondern in einzelnen, durch Intervallen getrennten Sectionen folgend, auch wohl in Reihen gesetzt. Die hinteren Treffen folgten in Colonne und legten sich im Feuer nieder; auch ließ man die deployirten Halbbataillone des erſten Treffens zugweise aus der Tete in Sectionen abbrechen. Das Vorgehen der Schützen geschah sprungweiſe, 80 bis 100 Schritte vorwärts laufend, dann Hinwerfen und Wiedereröffnung des Feuers. Bei den Herbstübungen jenes Jahres übte die Infanterie nach den durch Allerhöchste Cabinetsordre vom 4. Juli 1872 den neuen Ideen angepaßten Grundsäßen. Viele der in Vor schlag gebrachten Neuerungen, wie z . B. die doppelten Schüßenlinien , wurden jedoch alsbald als unzweckmäßig erkannt und beseitigt. Zu einem vorläufigen Abſchluſſe gelangten diese Versuche durch die Aller höchste Cabinetsordre vom 19. März 1873 , deren wichtigste Festsetzungen sol= gende sind: „Im wirksamen feindlichen Feuer kann die Verwendung von Ba Die taillons -Colonnen nur durch besondere Verhältnisse gerechtfertigt werden. Bataillone müssen jedoch unter allen Umständen in der Hand ihrer Comman deure sein , welche ihre Compagnie - Colonnen befehligen, wie der Regiments Commandeur seine Bataillone. Wo das feindliche Feuer es erfordert, haben auch die hinteren Treffen die für Abschwächung der Wirkung desselben geeignete For mation anzunehmen . Demnach kann es zweckmäßig sein , diese Treffen , oder eines derselben ganz oder theilweise in Compagnie - Colonnen oder in Linie zu formiren. Auch können die Compagnien sich in Linie entwickeln oder in Halb züge und Sectionen abbrechen. Bei Schwenkungen und Directionsveränderun gen der Treffen haben die Bataillone jedoch in der Regel die Colonnenformation anzunehmen. Zur Bildung der Schützenzüge sind mindestens sogleich halbe Züge zu verwenden. Die Unterstützungstrupps können in Linie oder Colonne (in Zügen, Halbzügen, oder Sectionen) und ganz ausnahmsweise auch in Reihen der Schützenlinie folgen. Der Angriff kann unter Umständen und unter Berücksichtigung des Terrains auch so ausgeführt werden, daß nach Durch laufen einer Strecke (von etwa 50-80 Schritt) die Truppen sich nieder werfen und nach kurzer Pause das Vorgehen in dieser Art fortsetzen. (Sprung weises Vorgehen.) Die reglementarischen Vorschriften für die Ausführung des Bajonetangriffs in Linie und größerer oder kleinerer Colonne bleiben auch ferner maaßgebend . Ein Cavallerieangriff darf auch in anderer als der Carré formation angenommen werden. Die Truppen sind durch das Signal „ Achtung" auf die Annäherung feindlicher Cavallerie aufmerkſam zu machen, worauf der Führer die den Umständen nach passendste Formation befiehlt. Die Treffen abstände, sowohl beim Gefecht eines Bataillons mit Compagnie - Colonne , als auch im Brigadeverbande dürfen je nach dem Zwecke vergrößert werden. Da= mit aber nicht die häufige Vieltheilung und die Entwickelung von ſtarken Schüßenlinien zu einer verderblichen Auflösung der taktischen Verbände führe, ist eine große Vertrautheit der Offiziere mit den Gefechtsformen und eine hohe Gefechts- und Feuerdisciplin nöthig, die , verbunden mit einer gründlich und streng durchgeführten Erercirschule allein vermögen , dieser Gefahr wirksam zu begegnen. Dagegen sollen nicht mehr geübt werden: der Contremarsch , die

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Colonnen = Formationen durch Voreinanderschieben der Züge, die Deplovements aus der Tiefe , die Bewegungen mit der zu 3 Gliedern formirten Angriffs colonne , das Abbrechen und der Aufmarsch der Abtheilungen in der Angriffs colonne aus der Flanke , die Bildung der Schüßenzüge bei der geöffneten und geschlossenen Colonne , die Formation des Carrés in 3 Gliedern. Ferner sind nicht mehr zum Gegenstande der Besichtigung zu machen: die Bildung der links abmarſchirten Zugcolonne und das Deployement aus derselben, der Reiben marsch im Bataillon , das Abbrechen und der Aufmarsch der Angriffscolonne aus der Tete und Queue, und der Uebergang der Angriffscolonne in die ge ſchloſſene oder die geöffnete Zugcolonne. " Die vorstehenden Abänderungen des Reglements vereinfachen daſſelbe nicht nur, indem sie verlebte Formen in Wegfall bringen , sondern tragen auch vielen von der neueren Taktik aufgestellten Forderungen in vollem Maße Rechnung. Sie sanctioniren die Anwendung der zerstreuten Fechtart und der sogenannten Compagniecolonnen- Taktik in noch höherem Maaße als bisher, halten aber daran fest , daß das Bataillon nach wie vor die eigentliche tattische Einheit bleibe. Die Grundidee ist die organiſche Gliederung (nicht mehr die blos mechaniſche Theilung) desselben, die erhöhte Selbstständigkeit und doch Zusammengehörigkeit und Zuſammenwirkung der 4 Compagnien eines Bataillons. Die Compagnie colonne bezeichnet demnach nicht mehr allein eine Form für die getrennte Verwendung der Compagnien im Gefechte , sondern sie ist die Grundlage für die geschlossene Ordnung und das Gefecht des Bataillons als taktische Einbeit überhaupt geworden , während die Bataillonscolonne im Feuerbereich nur unter Annahme besonderer Verhältnisse" zur Verwendung gelangen darf. Die Be stimmungen bezüglich des Cavallerieangriffes tragen der Thatsache Rechnung, daß nicht nur die physische Widerstandskraft der Infanterie, sondern auch deren moralische, durch das Vertrauen auf die gute Waffe im Vergleiche zu den Erfahrungen früherer Kriege zugenommen hat. Der Cavallerieangriff bat in den Augen der Infanterie viel von seinem imponirenden Eindruck verloren. Der Umwandelungsproceß, in welchen die Infanterietaktik aller Europäiſchen Heere verwickelt ist, hat für das Deutsche Heer mit den obigen Bestimmungen jedoch noch keineswegs seinen Abschluß gefunden, auch sollen, nach dem Wortlaut der Allerhöchsten Cabinetsordre, dieselben nur bis auf Weiteres " zur Anwendung kommen. Manche reglementarische Vorschriften befinden sich mit den neuen Grundsätzen in schwer zu lösendem Widerspruche; wichtige Fragen , wie die der zwei- oder dreigliedrigen Rangirung , der treffen oder flügelweisen Aufstellung der Regimenter im Brigadeverbande, des Eindoublirens bei Verstärkung ren Schützenlinien u. v. a. harren noch der Erledigung. Noch immer ist , nachdem die technischen Fragen der Bewaffnung ihre Beantwortung gefunden haben, das Interesse in der militairischen Tages -Literatur auf die taktische Seite concentrirt. Außer den Abänderungen des Exercirreglements hat das Jahr 1873 nech eine für das Feuergefecht der Infanterie bedeutungsvolle Neuerung aufzuweisen, es ist die „ versuchsweise" Einführung einer neuen „ Instruction über das Scheibenschießen " (Cabinetsordre vom 24. December 1873). Dieselbe ſtellt nicht allein höhere Anforderungen an die Schießfertigkeit der Truppen überhaupt, sondern will, entsprechend der erhöhten Bedeutung des zerstreuten Gefechtes, daß die ganze Mannschaft im Einzelfeuer gründlich ausgebildet werde. Mindestens 25 Patronen per Mann sollen im coupirten resp. bedeckten Terrain auf unbe kannte, nach Bedarf wechselnde Entfernung in gefechtsmäßiger Weise verscheſſen werden ; besonderen Werth legt die Instruction auf die Entfernung von

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Taktik der Infanterie.

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240 Metern (300 × ) , auf welcher zukünftige Entscheidungskämpfe , auch nach den Erfahrungen des letzten Krieges , voraussichtlich zum Austrage kommen werden . Daß selbst ein so vorzügliches Gewehr, wie das Französische Chaſſepot, Mängel der Ausbildung und Taktik auch dann nicht auszugleichen vermag , wenn der Gegner eine entschieden schlechtere Waffe besigt , haben die Kämpfe des Jahres 1870/71 bewiesen. Bei der in zukünftigen Feldzügen ziemlich gleichmäßig guten Bewaffnung der Infanterie wird der Schwerpunkt der Entscheidung im vorzüg lichen Gebrauch des Gewehrs gesucht werden müſſen. Von nicht minderer Bedeutung für die Durchführung des Feuergefechtes sind die neuen Bestimmungen über den Munitions - Ersaß der Infanterie im Gefecht. Die schnell feuernde Waffe erheischt einen größeren Munitions aufwand und führt schneller zum Verschießen , als zu den Zeiten des von vorn zu ladenden Gewehrs. Einzelne Soldaten sollen im Laufe des Feldzuges 7-800 Patronen verschoffen haben , an manchen Gefechtstagen das Doppelte ihrer Taschenmunition. In Zukunft beginnt der Munitions -Erſak ſofort nach Einleitung des Gefechts durch Zutragen der Patronen in Säcken , deren per Compagnie je 3 auf den Patronenwagen mitgeführt werden. Letzterer soll in der Regel nicht über 1000 Schritte von der Truppe entfernt sein ; bei größeren Gefechten können die Patronenwagen regimenter- und brigadeweise zuſammen gezogen werden ; 2-3 Mann per Compagnie sind als Munitionsträger abzu theilen und begeben sich bei Beginn des Gefechts zum Patronen-, bei den Jägern zum Compagnie - Packwagen. Jeder Wagen erhält, außer dem mit seiner Füh rung beauftragten Unteroffizier , bei sich bewegenden Gefechten eine berittene Ordonnanz ; zur Erleichterung des Auffindens der Wagen führt ein jeder bei Tage eine schwarz -weiße Flagge, bei Nacht eine blaue Laterne. Die Leitung des Munitionserjages ist Function des Bataillons -Adjutanten. Auch an fremde Truppentheile muß jeder Patronenwagen auf Verlangen Munition abgeben. Diese wichtigen Bestimmungen werden die Gefahr des Verschießens mindern und die Gefechtsthätigkeit der Infanterie auch bei länger dauernden Feuer gefechten sicher stellen. Während das Jahr 1873 an wichtigen Neuerungen für die Infanterictaktik reich ist, haben wir für das abgelaufene Jahr 1874 in Betreff der Deutſchen Armee nicht viel zu registriren . Die vorjährigen Truppenübungen haben im Sinne der in der Allerhöchsten Cabinetsordre vom 19. März 1873 aufgeſtellten Grundsäge stattgefunden. Kennzeichnend für den augenblicklichen Standpunkt der taktischen Ausbildung ist die Disposition zu dem Exerciren vor Sr. Majestät dem Kaiser von Rußland , am 4. Mai 1874 zu Berlin. Dieselbe möge in Kürze hier ihre Stelle finden. Truppeneintheilung . Avantgarde: Das 2. Garde- Dragoner-Regiment in zusammengezogener Colonne , das Garde Füsilier-Regiment in Colonne nach der Mitte. Gros : Im ersten Treffen das Kaiser Alexander- Garde- Grenadier-Regiment , im zweiten das Kaiser Franz Garde - Grenadier-Regiment , ferner 2 Batterien. Supposition: Angriff auf das Dorf Tempelhof. Ausführung: Nach vorausgegangener Recognoscirung durch die Cavallerie , bereitet die Artillerie durch ihr Feuer den Angriff vor. Das Garde-Füsilier-Regiment zieht sich auf ganze Distance auseinander, nimmt die Flügelcompagnien und eine starke Feuerlinie vor, avancirt demnächst gegen die feindliche Stellung. Auf 600 Schritte vom Feinde beginnt das Feuer der Schützen , welche sprungweise dann bis auf 300 Schritte an den Feind heran gehen und dann mit den inzwischen näher herangerückten geschlossenen Abthei lungen den allgemeinen Anlauf ausführen. Das Regiment Alexander folgte dem

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Füsilier-Regiment auf 400 Schritte als zweites Treffen, und zwar des Granat feuers wegen in Linie. Das Regiment Franz sucht den linken Flügel des Feindes zu umfassen und greift gleichzeitig mit dem Füsilier-Regiment den Feind an. Der gleichzeitige Angriff auf Front und Flanke des Feindes gelingt. Der Feind giebt Tempelhof auf und concentrirt sich rückwärts — seitwärts des Dorfes. 2 Bataillone des Füsilier-Regiments verfolgen feuernd den Feind und führen, als sie ihn in einer neuen Position finden, ein hinhaltendes Gefecht. Die Artillerie beschießt aus einer neuen Stellung den Feind. Die Brigade schreitet zum zweiten Angriff, im ersten Treffen 1 Bataillon des Füsilier- Regi ments und die 3 Bataillone des Regiments Alexander neben einander. Das Regiment Franz auf 400 Schritte Abstand vom ersten Treffen als zweites, und zwar des Artilleriefeuers wegen in Compagniecolonnen. Die Brigade nimmt die Flügelcompagnien und eine starke Schüßenlinie vor, avancirt, ohne zu feuern, bis in gleiche Höhe der zur Deckung vorgeschobenen Bataillone des Füsilier Regiments. Von dort an Feuer und sprungweiſes Vorgehen aller 6 Bataillone der Avantgarde und des ersten Treffens bis auf 200 Schritte an die feindliche Stellung. Allgemeiner Anlauf mit dicht folgenden geschlossenen Abtheilungen. Der Angriff gelingt. Verfolgung durch Schnellfeuer, demnächst durch das Feuer der vorgeholten Artillerie. Die Cavallerie haut nach, während die Infanterie sich in Colonnen sammelt. Das Bemerkenswerthe dieser Uebungen ist einmal das Herantragen des Feuers bis auf die nahen Entfernungen (auf denen auch in Zukunft die ent scheidende Gewehrwirkung zu suchen ist) , ferner das Bestreben , sich derjenigen Formen zu bedienen, welche den geringsten Verlusten im wirksamen Feuerbereich ausgesetzt sind , endlich ein strafferes Zusammenhalten der Massen, so lange sie sich nicht in der vorderen Gefechtslinie befinden , um der dem modernen In fanteriegefecht anhaftenden großartigen Auflösung der taktischen Verbände nach Kräften entgegenzuwirken. Bei den Brigade-Uebungen im Sommer 1874 jab man nicht selten , an Stelle der schachbrettförmigen , eine staffelförmige Auf stellung des zweiten Treffens , welches , anstatt nach fehlgeschlagenem Angriffe des ersten sich durch dasselbe hindurchzuziehen, seitwärts desselben, also den ver folgenden Feind umfassend, vorging. Besonders ergiebig war das verflossene Jahr auf literarischem Gebiete. Die nach dem Kriege hereinbrechende Fluth literarischer Production hat sich noch keineswegs verlaufen , und beweist die noch immer überaus lebhafte Be wegung der Geister, daß ein rechtmäßiger Abschluß der jetzigen Entwickelungs periode der Taktik noch nicht erreicht ist. Unter den hervorragenden Autoren nennen wir an erster Stelle wiederum v. Scherff, welcher bald nach dem Jahreswechsel mit dem 4. Hefte seiner „ Studien zur neueren Infanterie Taktik, Die Schlacht" debütirte. Aus dem engen Rahmen der Infanterie Taktik heraustretend , bilden die " Studien" mit diesem Schlußhefte viel mehr allgemeine Studien zur neuen Taktik , welche den Beweis liefern , daß der Kampf im wörtlichsten Sinne aus dem Stadium des Handwerkes herausgetreten und zu einer von geistigen Factoren beherrschten "! Kunst " geworden ist. Eine Fülle von Ideen und geistreichen Aperçus , verbunden mit einer glän zenden Beredtsamkeit, machen auch das Schlußheft zu einer der Beach tung in hohem Maße würdigen literarischen Erscheinung. Von demselben Verfasser stammt eine reglementarische Studie : „Zwei- oder dreigliederig". In den literarischen Strömungen der neuesten Zeit bildet die Lösung dieser Principienfrage einen Mittelpunkt der mannigfachſten theoretischen Erörterungen.

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Ziemlich verbreitet ist die Ansicht , daß der Uebergang zur einfachen Rangirung über kurz oder lang erfolgen werde. Auch v. Scherff, obwohl ein Anhänger Der dreigliederigen Stellung, wünſcht eine Entscheidung zu Gunsten einer regle mentarischen Einheits- Grundſtellung. Die vermehrte Schwierigkeit der Aus bildung , erzeugt durch die Vervielfältigung der Dienstzweige , verkürzte Dienst zeit , quantitative und qualitative Verschlechterung des Ausbildungspersonals (Unteroffizier-Corps) läßt, auch abgesehen von taktischen Gründen, eine Verein fachung des Reglements in diesem Sinne als erwünscht erscheinen. Als ein fernerer werthvoller Beitrag zur Lösung mancher noch schwebender Fragen erscheint die Schrift : „ Das moderne Gefecht und die Ausbildung der Truppen für dasselbe" von Frh. von Wechmar, Generalmajor. Die selbe erklärt gleich den „ Studien" Scherff's die zerstreute Ordnung als die ein zige Gefechtsform der Infanterie , die Colonne nur noch als Bewegungs- und Versammlungs- Formation außerhalb des wirksamen , feindlichen Feuerbereiches oder hinter Deckungen. Die Angriffs - Colonne , die Bataillonssalve , das Ba taillons-Carré gehören einer vergangenen Periode an und kommen nur ganz ausnahmsweise zur Anwendung. Die Linie ist für geschlossene Abtheilungen die Normalformation im wirksamen Feuer , für die Bewegung ist es die Co Lonne, oder, wenn das Terrain es gestattet, die Linie, aber nur in Compagnien, höchstens Halbbataillonen. Frühzeitige Entwickelung großer Schüßenschwärme erhöhte Wechselwirkung der drei Waffen , gesteigerte Anwendung künstlicher Deckungen , starke Schüßenlinien mit großen Gruppenabständen und kleinen Soutiens. Dies sind die Hauptforderungen der kleinen interessanten Schrift. Aehnliches sagen die Principien der Infanterie - Taktik von Laymann" und der durch seine , schon vor dem Kriege erschienenen " Studien zur fort schreitenden Entwickelung der Infanterie-Taktik" bekannte Bearbeiter der neue= ften Auflage der Taktik von Perizonius , Hauptmann Meckel. — Der in sämmtlichen Schriften genannter Autoren mehr oder minder erkennbare Gegen ſatz zu dem bestehenden Reglement findet einen milderen Ausdruck in der jüng sten literarischen Erscheinung dieser Gattung: „ Geist und Form " von A. Hellmuth, deren schon an anderer Stelle gedacht wurde. Verfasser meint, daß es keineswegs radicaler Veränderungen, wohl aber verschiedener Verbesse rungen und Weglaſſungen bedarf, um den Gesammtwerth des Deutschen Regle ments , als eines logisch-psychologischen einheitlichen Meisterwerkes , wieder in das helle Licht zu stellen. ― Der Infanterie- Angriff ist schwieriger geworden. Dies ist der Grundgedanke der vielen theoretischen und praktiſchen Untersuchungen über die Ereignisse des letzten Feldzuges. Die Deutsche Infanterie sieht beim Jahreswechsel einer definitiven Regelung ihrer reglementarischen Vorschriften entgegen , welche sowohl allen Anforderungen der neuen Kampfesweise Rechnung tragen , als auch voraussicht lich darüber entscheiden wird , ob bei der gleichmäßigen taktischen Verwendung der Infanterie und Jäger reglementare Verschiedenheiten der beiden Schwester waffen fernerhin begründet sind. Obgleich auch die übrigen Europäischen Heere sich im Sinne des eben Gesagten den Consequenzen der neuesten kriegerischen Begebenheiten nicht haben entziehen können , so hat dennoch der Entwickelungsgang der Infanterie - Taktik derselben eine in vielen Beziehungen eigenartige Richtung eingeschlagen. Es wird demnach angezeigt sein, derselben besonders zu gedenken. Wenn durch das ganze militairische Leben Europa's der Feldzug des Jahres 1870-71 mit allen seinen Folgen noch immer vibrirt, so ist dies naturgemäße 30 Militairische Jahresberichte 1874.

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am Meisten der Fall in der zumeist betroffenen Französischen Armee. Die Antwort auf die Frage , was zu thun sei , um ähnlichen Katastrophen in Zu funft vorzubeugen, ist gegeben in den fieberhaften Anstrengungen , durch welche die Französische Armee sich in den Besitz der geistigen und materiellen Mittel zu setzen bemüht, denen man die Deutschen Siege vorzugsweise zuschreibt. In der That hat Frankreich auf dem Gebiet der Organisation, Ausrüstung und Be waffnung bereits sehr Erhebliches geleistet. Aber der Besitz der guten Waffe an und für sich kann ebensowenig wie die Güte der Organisation allein den Erfolg im Gefecht garantiren. Es wird vielmehr darauf ankommen, die Eigen thümlichkeiten des neuen Gewehrs rationell auszubeuten, es handelt sich um die dem Hinterlader am Meisten entsprechende Taktik, denn schließlich hängt ja das Geschickt der Schlachten wesentlich davon ab , ob die Bataillone die ihnen zu Theil werdenden schweren Aufgaben mit Geſchick lösen, oder , bequem in den alten Formen fortarbeitend , ſich lediglich auf den Opfermuth der Truppen rer lassen. Die Erkenntniß dieser Wahrheit ist auch wohl in Frankreich ersichtlich und bildet die Quinteſſenz aller militairischen Bestrebungen daselbst seit dem Kriege , in der Literatur , in der Theorie, wie in der Praxis. Man bemüht sich ersichtlich , alle militairischen Institutionen , also auch die hochwichtige In fanterie-Taktik dem Preußischen Muster möglichst nachzubilden und ist von dem früheren Unfehlbarkeitsglauben sehr zurückgekommen. Nichtsdestoweniger sind die bisher erzielten Resultate weder allseitig befriedigende, noch zu irgend welchem definitiven Abschluß gediehene. - Das Französische Exercir -Reglement , welches noch heute in Kraft ist, datirt vom 16. März 1869 und markirte einen erbeb lichen Fortschritt insofern, als es in der Hauptsache mit den noch vorhandenen Resten der Lineartaktik gebrochen hatte , jedoch mit Rücksicht auf die Führung des zerstreuten Gefechtes viel zu wünschen übrig ließ. Die Annahme der Com pagnie - Colonnen - Taktik verbot sich bei der numerischen Schwäche der in 6 (bis 1859 ſogar 8) Compagnien gegliederten , 800 Mann starken Bataillone ganz von selbst. Je 3 Compagnien bilden ein Halbbataillen (demi-bataillon). Die Compagnie bildet im Bataillonsverhältniß ein peloton , zwei Compagnien (pelotons) eine division , welche jedoch keinen besonderen Führer hat. Die Compagnie zerfällt wiederum in 2 sections (3üge) unter je einem Offizier; die section hat 2 demi - sections (Halbzüge) , jede aus 2 escouades (Feuer gruppen) zusammengesetzt. Je 4 Mann bilden die ,,camarades de combat" ; aus mehreren derselben wird dann die von einem caporal und sergent ge führte escouade gebildet. Die Anwendung der Bataillonslinie (ligne de ba taille) erfolgt nur außerhalb des Gefechts oder im Artilleriefeuer , dagegen können die Compagnien zum Salvenfeuer aufmarschiren. Das Bataillon kann eine geöffnete , halbgeöffnete und geschlossene Zug - Colonne , ferner die Colonne nach der Mitte bilden. Das Carré kann ein hohles oder volles sein ; auch die Bildung eines Regiments - Carré's iſt zulässig, dagegen giebt es kein eigentliches Compagnie-Carré, ebenso wenig wie eine Compagnie- Colonne. Das Unzulängliche der bestehenden Vorschriften erkennend, behalf man sich, bei ausbrechendem Kriege durch ergänzende Instructionen (,,instructions tactiques pour l'armée du Rhin "; Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine 1874 Nr. 37 ) , welche in vielen Punkten die traditionelle und nationale Offensivtaktik ganz und gar verleugnen. „ Die Vorzüglichkeit des Franzöfifchen Infanteriegewehres " , sagt das Werk des Preußischen Generalstabes über den Feldzug 1870-71 , verleitete dazu, auf die der Feuerwirkung allerdings günſtige Defensive einen vorzugsweisen Werth zu legen, welcher dem Französischen Elan

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wenig entspricht. " Schon die kriegsministeriellen Regulative von 1867 und 1868 stellten die Defensive als die Regel hin und gestatteten das angriffsweiſe Vorgehen erst, wenn durch die Länge des Kampfes der Feind erschüttert sei. Angesichts des Feindes galt folgende Gefechtsformation als normal : 1 ) Eine starke Tiralleurkette; zu dieser als Maximum zu verwenden der dritte Theil jedes Bataillons , d. h. 2 Compagnien. 2) Die 4 übrigen Compagnien sollten ge schlossen bleiben , entweder in Linie oder Colonne, in der Hand des Bataillons Commandeurs. Sie bildeten die erste Gefechtslinie. 3 ) Die zweite Gefechts linie solle beſtehen aus Bataillonen , die je nach den Deckungen , welche das Terrain bietet , in Linie oder Colonne formirt sein sollten. In der Vertheidi gung wurde der ausgedehnte Gebrauch von Schützengräben empfohlen , durch welche allerdings die Verluste in den ersten Stadien des Kampfes gemindert werden , aber auch die Freiheit der Bewegung in den folgenden. Das Exercir Reglement von 1869 lehnte sich in manchen Beziehungen auffallend an das Preußische an , aber es wußte den Geiſt deſſelben nicht in ſich aufzunehmen. Die sorgfältige Detailausbildung wurde ignorirt , höchstens etwas mehr Werth auf das Schießen gelegt, dieses aber immer noch sehr summarisch betrieben. Jenes Bindemittel der Preußischen Disciplin , welches in der eingehenden Be schäftigung des Vorgesetzten mit dem gemeinen Manne liegt , in der straffen Ausübung jedes , auch des unbedeutendsten Dienstes , welches Gehorsam zur sicheren Gewohnheit macht und ohne bedeutende Strafregister eine hohe Dis ciplin erreichen läßt , wurde in seinem Werthe völlig verkannt. Die Ereigniſſe haben darüber gerichtet. Um das Erercir - Reglement der Infanterie einer Revision zu unterziehen, trat zu Beginn des Jahres 1873 auf Anordnung des Kriegsministers eine Commission zusammen. Unter dem Vorsitze des General Montaudon tagten 2 Divisionsgenerale, 1 Brigade- General, 2 Obersten, 2 Oberstlieutenants und 2 Bataillonschefs als Mitglieder dieser Commission . Von nennenswerthen Re sultaten dieser Berathungen verlautete bis jetzt nichts. Selbst die als dringlich bezeichnete Eintheilung des Bataillons in 4 Compagnien ist , wie man hört, wiederum hinausgeschoben worden. *) Dagegen finden wir die nach Deutschen Begriffen höchst seltsame Erscheinung, daß zwei Corps - Commandeure, die Generale Bourbaki und Ducrot eigenmächtige gedruckte Exercirvorschriften erscheinen laſſen. (Instruction des tirailleurs, d . d . 23. Mai 1874 ; cfr. Militair-Wochenblatt 1874, Nr. 75). Diese Thatsache wird durch das Journal des sciences mili taires mit folgenden Betrachtungen begleitet : Das Reglement vom 16. März 1869 für die Infanterie ist sicherlich kein Meisterstück , Commandos von mehr als 20 Worten, unausführbare Bewegungen, manche Dunkelheiten in der Fassung ; der beste Abschnitt ist noch die Tirailleurschule. Er ist nicht lang, gut gegliedert, seine Erläuterungen genügen. Wenn aber Jemand, ,,pour imiter ce qui se passe en Allemagne" - den Drang fühlt, den Abschnitt derartig umzu arbeiten, daß er alle möglichen Fälle umfaßt, damit die Commandeure im Gefecht ihren Mannschaften nur zuzurufen brauchen: „Wie bei der Uebung ! ", so befindet er sich auf falschem Wege. Alle Fälle voraus zu sehen ist unmöglich — durch eine solche Absicht kann man nur die Ideen der Mannschaft verwirren, paralyſirt ihre Thätigkeit u. s. w. Die jetzt veröffentlichte ,,instruction des tirailleurs “ vervollständigt und ergänzt auf 140 Seiten einzelne Punkte und Abschnitte des *) Die Nationalversammlung zu Versailles hat inzwischen in ihrer Sizung vom 14. Januar 1875 beschloffen, daß die Infanterie- Bataillone in Zukunft zu 4 Compagnien formirt werden sollen und ist dieser Beschluß auch in 3. Lesung beibehalten (S. 232). 30*

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Reglements, und zwar nur für das 8. Armeecorps . Wenn die übrigen comman direnden Generale Aehnliches thun, so werden nicht allein die Ideen der Mann fchaft, sondern auch die der Offiziere verwirrt 2c. " -- Wir haben solchem Urtheil nichts hinzuzufügen. Das Bemerkenswerthe dieser Instructionen ist einmal die Betonung des Grundsatzes, daß das zerstreute Gefecht Hauptsache sei , dann der des Fechtens aus der Tiefe. Jede Abtheilung soll von dem zugehörigen Truppentheil unterstützt werden ; bei einer einzelnen Compagnie sollen deshalb nicht ganze Züge schwärmen , sondern allemal Theile der beiden Züge des Flügels oder Centrums , deren geschlossene Reste als Soutien auf 200 Schritte nachfolgen. Der Zweck einer einheitlichen Befehlgebung wird offenbar dadurch nicht erreicht; in der ersten Gefechtslinie commandiren von Haus aus zwei von einander unab hängige Führer. Die Soutiens können in Reihen aufgestellt werden , der Reſt der Compagnie folgt auf 300, hinter diesem auf fernere 500 Schritte die Haupt reserve des Bataillons. Das Schwärmen geschieht im Bataillon vom Flügel (1. und 6. Comp.) . Die zurückgehaltenen 4 Compagnien sollen den Angriff unterstützen, gegen die Flanken des Feindes sich wenden oder feindliche Gegen angriffe zurückweisen. Auf ein angriffsweises Verfahren wird wieder mehr Gewicht gelegt. Die Vorschriften für den Bajonetangriff ſind ſtellenweis , wie es scheint, den Werken Boguslawski's und Scherff's entlehnt. General Ducret empfiehlt überdies in einem Anhange zur Inſtruction seinen Offizieren aus drücklich, diese Autoren, ferner Verdy's Studien und Arnim's „ Tagebuch eines Compagnie-Chefs " zu studiren. Auch eine Art optischen Telegraphirens im zerstreuten Gefecht wird befohlen , durch Einführung von 10 verabredeten Zeichen. Das wichtigste Begebniß auf dem Gebiete der Infanterietaktik ist für das abgelaufene Jahr die durch den Moniteur de l'armée vom 11. September veröffentlichte Manöver- Instruction : Etude relative à l'exécution des ma noeuvres dans les corps d'armée (cfr. Militair-Wochenblatt 1874, Nr. 89 und 90). Aus derselben geht nicht allein hervor, daß man in Frankreich die Preußischen Verordnungen über die Ausbildung der Truppen für den Felddienst und die großen Truppenübungen studirt und nachgeahmt hat, sondern aus ihnen ſind auch die taktischen Principien ersichtlich , welche die Franzosen vermuthlich bei einem zukünftigen Kriege zu befolgen gedenken. Ueber das Verhalten der Infanterie wird Folgendes bestimmt : „Bei der Infanterie entscheidet die wahr scheinliche Feuerwirkung über den Erfolg. Das Feuer muß ruhig , in roll kommener Ordnung abgegeben werden. Unordnung hierbei und übereiltes Pelotonfeuer sind streng zu rügen ; eine Truppe, welche auf diese Weije verfährt, hat ihre Kaltblütigkeit verloren. Eine Truppe , die ihre Patronen verschossen hat, ist unfähig , den Kampf fortzusetzen ; Führer und Mannschaft müſſen die Der Angriff einer geschlossenen Truppe gegen die Munition sparen lernen. Front einer anderen , die sie stehenden Fußes mit Feuer empfängt , gilt als erfolglos , selbst wenn die angegriffene Abtheilung merklich schwächer ist. Ist jedoch der Frontangriff einer Truppe wohl vorbereitet und unterſtüßt durch ein gehöriges Artillerie- und Infanteriefeuer, und besonders im Verein mit einem Flankenangriff unternommen, so kann jener als gelungen betrachtet werden. Dem Schiedsrichter liegt es ob, hieraus die Schlußfolgerungen zu ziehen, zu erwägen, ob das Terrain dem Angreifer mehr oder minder günstig, und welche Wirkung das Feuer des Vertheidigers gehabt haben würde. Im Allgemeinen joll die Offensive das Uebergewicht über die Defensive haben. Eine

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Truppe, welche, selbst wenn sie theilweise in Schützen aufgelöſt iſt, die Cavallerie mit ruhigem, wohlgezieltem Feuer empfängt , kann nicht als niedergeritten betrachtet werden. Befand sich jedoch das Bataillon in Unordnung oder in der Formirung begriffen, so gilt dasselbe für verloren. Eine geschlossene Infanterie Colonne kann eine Batterie in Front nicht angreifen. Der Schiedsrichter muß eine jede Infanterietruppe, welche beim Angriff geworfen oder gezwungen worden ist, die Vertheidigungsstellung aufzugeben, mindestens 300 Schritte zurücknehmen, falls nicht in der Nähe eine gute Stellung ist , in der sie sich neu formiren kann, oder falls nicht ein zweites Treffen vorhanden ist." In einem Circularschreiben bittet der Kriegsminister , General de Ciſſey, die Generale um Mittheilung ihrer Ansichten, inwiefern, nach dem Vorbilde der Deutschen Armee, die Commandos in der Französischen vereinfacht und verringert werden können, auch hat derselbe die Aufmerksamkeit der höheren Befehlshaber auf den in der Armee ziemlich allgemein üblichen Mißbrauch der zu häufigen Anwendung von Horn- und Trommelsignalen gelenkt. Die Signalpfeife ist, wie für die Deutsche, so auch für die Französische Armee zu dienstlichem Ge brauche, namentlich für das Schützengefecht, definitiv angenommen . Bedenklich erscheint nur die Festsetzung bestimmter Signale, deren Zahl auf 7 normirt iſt. Auch den Schießübungen wendet man seit Einrichtung der Regionalschieß schulen mehr Eifer zu, wenngleich der Spectateur militaire sich über dieselben folgendermaßen ausläßt: „ Es giebt in der Französischen Armee keine verschmähe teren und unbeliebteren Nebungen als die des Schießens. Ungeachtet aller Vorschriften und kriegsministerieller Ermahnungen bleibt dieser Zweig des Dienstes für den größten Theil der Offiziere immer noch ein Gegenstand der Klagen und der Späße ; ja viele hochgestellte Offiziere scheuen sich nicht, die völlige Nug losigkeit dieser Uebungen öffentlich zu proclamiren. " Trotz mannigfacher Reformen und unläugbarer Fortschritte scheint die Fran zösische Infanterie noch weit davon entfernt zu ſein, diejenige Höhe der taktiſchen Ausbildung erreicht zu haben, welche man als eine wichtige Vorbedingung etwaiger kriegerischer Erfolge zu betrachten gewohnt ist. Auch die Beibehaltung der unzweckmäßigen Gliederung des Bataillons in 6 schwache Compagnien *) iſt als ein Stillstand, wenn nicht gar Rückschritt , auf dem eingeschlagenen Wege anzusehen. Jedenfalls ist damit der Beweis erbracht, daß die Taktik der Com pagniecolonnen in Frankreich noch nicht Wurzel geſchlagen hat. Obgleich das Interesse an der Fortentwickelung der wichtigen Infanterie Taktik auch in Frankreich seit dem Kriege sichtlich gestiegen ist , so fehlt es dennoch an hervorragenden literarischen Erscheinungen, welche der allgemeineren Beachtung werth sind. Die Schriften fremder, vorzüglich Deutscher Autoren, werden mit Eifer studirt ; an Originalwerken über Taktik ist die Französische Militairliteratur jedoch arm. Daß Frankreich kein Lehrbuch der Taktik im engeren Sinne besitzt, giebt das Journal des sciences militaires selbst zu, und würde dasselbe es lieber sehen , „daß ein angenehm lesbares Lehrbuch der Taktik Italienischen Ursprungs in die Hände der Offiziere gelange , als eine schwerfällige Arbeit Deutschen Geistes. " - Außer den Schriften des General Lewal verdient nur ein anderes Werk des Capitain Barthélemy erwähnt zu werden (cours d'art militaire) , einer Art militairiſcher Encyklopädie, doch mit besonderer Berücksichtigung der Taktik, vornehmlich der Infanterie. Während die Deutsche und Französische Infanterie ihre Erfahrungen auf *) Man vergleiche die Anmerkung Seite 467.

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den Schlachtfeldern gesammelt haben , hat die Russische (abgesehen von den für Europäische Kriegführung ziemlich bedeutungslojen Erpeditionen in Central asien) deren im letzten Jahrzehnte keine aufzuweisen. Dies hat dieselbe nicht gehindert, allen Veränderungen auf dem Gebiete der Kriegskunst aufmerksamen Auges zu folgen. Daß bei den großartigen Reformen , welche die Russischen Heereseinrichtungen bis in die neueste Zeit hinein erfahren haben , auch die Schlachten entscheidende Infanterietaktik gebührend berücksichtigt wurde, ist selbst verständlich. Das Reglement der Russischen Infanterie datirt aus dem Jahre 1868. Dasselbe hatte es sich zur Aufgabe gestellt , alle unnützen Evolutionen und Commandos zu beseitigen und die Feuertaktik in den Vordergrund zu stellen. Die Colonnenformation ist dabei auf das Nothwendigste beschränkt, dagegen die deployirte Linie öfter zur Anwendung gekommen. Das Ruſſiſche Bataillon zählt 5 Compagnien, davon 1 Schüßencompagnie, jede auf dem Kriegsfuße 180 Mann stark, eingetheilt in 2 Züge à 2 Halbzüge. Ein Bataillons - Carré wird nicht mehr gebildet, sondern die Compagnien werden beim Cavallerieangriff ausein ander gezogen und bilden für sich Carré. Ueberhaupt sind die Compagnien gegen früher weit selbstständiger geworden , eine eigentliche Compagniecolonne giebt es jedoch nicht. Dies mag auch in der geringen Kopfstärke begründet ſein; bei den Uebungen zählen dieselben oft nur 50-60 Mann. Es kann zwar eine Halbzugscolonne gebildet werden , und wird dieselbe auch beim Manövriren oft angewendet ; normalmäßig aber ist die viergliederige Zugcolonne oder Doppel linie, ohne daß jedoch seltsamer Weise die viergliederige Salve gestattet wäre. Tiraillirt wird in Gruppen zu vier Mann (nach Art der Französischen cama rades de combat), die Feuerlinie von Haus aus sehr stark gemacht. Die Entwickelung der Feuertaktik ist auch an der sehr sorgfältigen Schießausbildung der Russischen Infanterie erkenntlich, welche in diesem Dienstzweige keiner anderen Armee nachsteht. Die Schießzresultate werden von Augenzeugen zum Theil als überraschend gute bezeichnet. Der Mann verſchießt alljährlich 100 Patronen , auch auf unbekannte Entfernungen; ein Vergleichsschießzen zwischen Mitrailleusen und Infanterie soll zu Gunsten der letzteren ausgefallen ſein. Längst hat die Ruſſiſche Infanterie, (obwohl sie das Bajonet stets aufgepflanzt trägt), den Suwarow'schen Grundsatz: „ Die Kugel ist eine Thörin, das Bajonet aber ein ganzer Mann! " zu den Todten geworfen. Der gegenwärtige Standpunkt der taktischen Ausbildung der Ruſſiſchen Infanterie kann als ein sehr hoher bezeichnet werden. Als Basis derselben dienen die Instructionen über die Felddienstübungen der Truppen " vom Jahre 1871 ; zeitgemäße Abänderungen derselben sind jedoch im Werke. Das Haupt gewicht wird neuerdings auf die Einzelausbildung des Mannes gelegt und kann der Russischen Infanterie keineswegs mehr der Vorwurf gemacht werden , ver zugsweise parademäßig gedrillt zu sein; seit vorigem Jahre zum ersten Male ist die Rekrutenausbildung, welche seither bei den Reserve-Bataillonen stattfand, den activen Truppentheilen überwiesen worden. Uebungsmärsche bis zur Ausdehnung von 20 Werst (7 = 1 Meile) sollen mindestens einmal in der Woche statte finden. Das Turnen wird mit Eifer betrieben. In Ermangelung eines den neuesten Erfahrungen entsprechenden Reglements behilft man sich zur Zeit, gleichwie in Frankreich, mit provisoriſchen Instructionen (Prikasen), welche in der Regel bei Beginn der sommerlichen Lagerübungen von den Oberbefehlshabern der betreffenden Militairdistricte erlassen werden. Diese Einrichtung ist zum Theil bedingt durch die localen Verhältnisse und namentlich die weite Entfernung der höheren Truppencommandos von einander. So ist

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im Sommer des verflossenen Jahres für den Warschauer Militairdiſtrict eine „Instruction für die Kampfweise eines Bataillons " ergangen (cfr. Militair Wochenblatt 1874 , Nr. 42) , die im Wesentlichen auf den Principien baſirt, welche Boguslawski, Verdy, Scherff u. a. aufgestellt haben. Des letteren Autors #1 Studien" sind im Russischen „ Militair-Archiv" (Wojennij Sbornik) im Auszuge wiedergegeben und werden viel gelesen. Wie sehr man bestrebt ist , sich die neuesten Erfahrungen zu Nutze zu machen, davon legt die sehr rührige Russische Militairliteratur Zeugniß ab. Für taktische Verhältnisse besonders wichtig und erwähnenswerth sind die Vor lesungen des Generalmajor Leer und die anregenden Vorträge des Flügel adjutanten Baron Seddeler an der Russischen Generalstabs -Akademie über den Feldzug 1870/71 („Infanterie, Artillerie und Cavallerie im Gefecht und außer halb des Gefechtsfeldes "). Auch die Oesterreichische Infanterie hat seit dem Feldzuge des Jahres 1866 und vornehmlich seit dem weltbewegenden Deutsch-Französischen Feldzuge namhafte Fortschritte in ihrer taktischen Schulung gemacht. Nach dem Kriege von 1859 war viel von Reformen im Desterreichischen Heerwesen die Rede gewesen, dieselben beschränkten sich jedoch auf Aeußerlichkeiten und Uniforms veränderungen ; dagegen wurde die Detailausbildung des Mannes im Felddienst und zerstreuten Gefecht vernachlässigt. In Italien unterlag die Desterreichische Infanterie der Französischen, trotz des besseren Gewehrs. Die lettere triumphirte durch ihre Ueberlegenheit an geschickter Führung des zerstreuten Gefechts und den Geist kühner Öffensive, welcher der Armee , mit welcher Napoleon III . die Lombardei eroberte, zugesprochen werden muß. Da die Franzosen ihre Erfolge wesentlich dem rücksichtslosen Draufgehen mit dem Bajonet , dem Appell an dasselbe, wenn auch weniger dem Gebrauch desselben verdankten , glaubte man im Bajonetangriff das Arcanum des Sieges gefunden zu haben. Nicht ge schickte Verwendung der Truppen im zerstreuten Gefecht , verbunden mit zweck mäßiger Benutzung des Terrains , nicht die Feuerwirkung , sondern einzig und allein das blinde Vorwärtsstürmen der Maſſen ſollte den Weg zum Siege öffnen. Nach den erschütternden Niederlagen, welche diese unheilvolle „ Stoß -Taktik" zur Folge hatte , ist man auch in Desterreich ernstlich bemüht gewesen , die be gangenen Fehler wieder gut zu machen. Nach zahlreichen sorgfältigen Versuchen ist mit dem Schluß des Jahres 1874 ein neues !! Exercir -Reglement für die . . Fußtruppen" zur Einführung gekommen. Das alte Reglement ſtammte aus dem Jahre 1868. Es mochte vor 1870 genügen, ſtand aber mit den Erfahrungen des letzten Feldzuges vielfach in grellem Widerspruch. Um die als nothwendig erkannten Veränderungen praktisch zu erproben, fanden im Jahre 1873 im Lager von Bruck a. d. Leitha „ Inſtructionsübungen " im zer streuten Gefecht statt , mit dem Zwecke , in der ganzen Armee eine rationelle und gleichmäßige Durchführung desselben anzubahnen . Besonders sollte die Art und Weise der Einleitung und Durchführung des Gefechts in der Feuerlinie im Zusammenhange mit der Gesammtleitung zur Anschauung gebracht und die An wendung der reglementarischen Vorschriften auf concrete Fälle gezeigt werden. Zu diesen Nebungen wurden von jedem Generalcommando ein Brigadecommandeur und ein Stabsoffizier commandirt, welche demnächst gleichartige Uebungen leiten sollten. Das Resultat derselben ist das nunmehr erschienene neue Reglement, dessen 1. Theil zur Zeit fertig vorliegt. Derselbe umfaßt die Ausbildung des einzelnen Soldaten, die Ausbildung des Soldaten im Zuge, die Ausbildung und Führung einer Compagnie, die Stellung und das Exerciren der Chargen , und

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die gymnastischen Uebungen. Die Detailausbildung wird mit Hülfe der letzteren (den Deutschen sehr ähnlich) ſehr ſorgſam betrieben, ſelbſt die Ausführung der Ceremonie des "/ Schwörens " ( ! ) ist reglementarisch genau vorgeschrieben. Die Rangirung ist permanent zu 2 Gliedern. Die Compagnie besteht aus 4 Zügen, deren je 2 eine Halbcompagnie bilden , jeder Zug ist nach der Rottenzahl in Schwärme" von möglichst gleicher Stärke abgetheilt, welche mindestens 4, höchstens 7 Rotten zählen sollen. Bei jedem Zuge ist 1 " Zugscommandant", ferner 1 Zugführer (Unteroffizier) und 3 Corporale. Jeder Schwarın steht unter einem "1 Schwarmführer " . Die normale Gefechtsformation einer selbstständig auftretenden Compagnie ist die rechts abmarschirte " Colonne". Die 4 Züge derselben haben eine Distanz von 6 Schritten. Wenn die 4 Züge in Front neben einander stehen, so wird die sich ergebende Form die entwickelte Linie" genannt. Im zerstreuten Gefecht wird ein Schwarm vom Zugscommandanten als " Directions- Schwarm" bezeichnet. Der Schwarmführer kann seinen Schwarm nach Bedarf mit der (nach Deutschen Bestimmungen nur dem Offizier gestatteten) Signalpfeife leiten. Die Unterstützung " , welche nicht an die Beobachtung einer gewissen Form gewiesen ist , soll nie mehr ( !) als 100 Schritte von der Schwarmlinie entfernt sein, im Uebrigen ist ihr die Wahl des Platzes überlaſſen . Die Verstärkung der Feuerlinie geschieht durch Verlängerung derselben oder durch Eindoubliren. Beim Bajonetangriff kann die „ Unterstützung " geſchloſſen in die Schwarmlinie vorgeschoben werden, um beim Anlauf einen „festen Knoten punkt" zu geben. Auf eine geschickte Terrainbenutzung und straffe Feuerdisciplin wird besonderer Werth gelegt. Weniger geschickte Schützen sollen erst von 300 Schritten ab feuern ; hat der Gegner eine gute Deckung , so sollen selbst auf 200 Schritte nur die besten Schützen schießen , Schnellfeuer nur in besonders wichtigen Momenten. Salven sollen nur gegen größere ungedeckte Abtheilungen (Bataillon, Escadron , Batterie) bis auf 400 Schritte, gegen kleinere bis auf 300, resp. 200 Schritte angewendet werden. Ueber das Gefecht der Compagnie sagt das Reglement wörtlich Folgendes :" „ Die Gefechtsweise einer Compagnie beruht ebenso wie jene eines Zuges auf dem Streben, die Wirkung des eigenen Feuers überwältigend zur Geltung zu bringen , sich dabei möglichst vor Verlusten durch das Feuer des Gegners zu bewahren und denselben endlich durch den Angriff mit dem Bajonete zu be zwingen. Das geeignetste Verfahren , um diesen Bedingungen zu entsprechen, besteht in einer richtigen Anwendung des Schwarmgefechtes , doch können und werden auch Fälle eintreten , wo die Compagnie als geschlossener Körper mit Feuer und Bajonet zu kämpfen Gelegenheit findet. Dem Eintritt in jedes Gefechtsverhältniß , beziehungsweise dem Uebergange in eine Gefechtsform muß aber die Anwendung jener Maßregeln vorher gehen, welche die allgemeine Siche rung , dann die Erforschung des Terrains und des Gegners bezwecken. Der Maßstab, nach welchem die Auflösung in die Schwarmlinie vor sich gehen kann, hängt zunächst von dem Umstande ab, ob die Compagnie zu selbstständiger Thätig keit berufen oder mit anderen Truppen im engeren Verbande steht. --- Eine auf sich angewiesene Compagnie wird zwei, nach Umständen auch drei Züge als Schwarmlinie und Unterstützung in Gefechtsthätigkeit setzen können , einen Zug aber als Reserve ausscheiden müssen. Im Rahmen eines größeren Truppen körpers können nach Umständen auch alle 4 Züge als Schwarmlinie und Unter stützung auftreten, d. h. in erster Linie kämpfen. Die Verhältnisse werden auch entscheiden, ob gleich mehrere Züge in Verwendung zu treten haben , und zwar ob flügelweise nebeneinander oder zugsweise hintereinander, indem ein Zug die

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Schwarmlinie, ein anderer die Unterſtüßung desselben bildet. " (Dieſe Beſtim mungen weichen von den Deutſchen merklich ab, lettere schreiben vor, daß nach Ausschwärmen eines ganzen Zuges sofort die beiden geschlossenen Züge als Unter stützung nachfolgen sollen. ) - Ferner wird dem Compagnie - Chef empfohlen, den nächsten Zweck und die Hauptrichtung klar zu bezeichnen , auch einen Directions = Schwarm" zu bestimmen und die Flanken gegen Umfassung zu sichern. Ablösung der Feuerlinie wird als unſtatthaft bezeichnet, es sei denn in Gefechtspausen. Der Munitionsersatz soll eventuell durch Abgabe von Mu nition der rückwärtigen Abtheilungen an die in erster Linie kämpfenden bewirkt Für den Entscheidungskampf (Bajonetangriff) wird das Einschieben geschloffener Abtheilungen angeordnet. Der Reiterangriff kann , je nach dem Terrain, in beliebiger Weise abgeschlagen werden. Die ausgeschwärmten Züge können aber auch mit ihrer Unterstützung" sich in Klumpen" vereinigen, die geschlossene Compagnie Salven in entwickelter Linie geben oder, im offenen Terrain, Carré formiren. Die Salven werden , außer beim Carré , stets zugweise abgegeben. Das Carré wird nur formirt , wenn alle 4 oder 3 Züge vereinigt sind , und zwar durch Aufschließen der hinteren Abtheilung auf die Têtenabtheilung bis auf Gliederdistance ; die Flanke wird durch Wendung (,, Doppelreihen rechts- und Eine viergliederige linksum ) gebildet , die hinterste Abtheilung macht Kehrt. Salve giebt es nicht, wohl aber ausnahmsweise (im Carré) eine dreigliederige, indem das erste Glied niederkniet. Die Marschformationen sind „Reihen" oder „ Doppelreihen", auch kann in " Schwärme" abgebrochen werden. Befehle des Compagnie-Commandanten sind mündlich zu ertheilen oder durch Ordonnanzen (welche jeden Auftrag wieder holen müssen) zu übersenden. Hornsignale , welche mit größter Einschränkung gegeben werden sollen, dürfen nur auf Befehl des Compagnie - Commandanten ertheilt werden (ausgenommen beim Cavallerieangriff) . 16 Signale sind im Gefecht zulässig : Vorwärts , rückwärts , rechts , links , Schritt , Schnellschritt, Laufschritt, halt, rechter, linker Flügel, Schießen, Feuereinstellen, Sturm, Rei terei, Auflösen, Vergatterung, Alarm. Eine Halbcompagnie wird im Allge meinen nach den Vorschriften einer Compagnie geführt , ausnahmsweise kann auch eine „ Colonne mit Halbcompagnien" formirt werden. Schwenkungen der entwickelten Linie geschehen mit beweglichem Drehpunkt. Auf die Benutzung des Terrains und eine straffe Feuerdisciplin wird ein besonderer Accent gelegt; dem Compagnie - Commandanten ist im Allgemeinen in der Führung seiner Compagnie ein sehr weiter Spielraum bewilligt. Das neue Reglement zeichnet sich , soweit dies der 1. Theil desselben er kennen läßt , durch Kürze , Klarheit und logische Anordnung vortheilhaft aus. Man kann wohl behaupten, es stehe auf der Höhe der Zeit, und giebt es Zeug niß von dem unverkennbar regen Streben , welches sich in den Reihen des Desterreichischen Heeres , vornehmlich in den letztverflossenen Jahren bemerklich macht. Als bemerkenswerthe literarische Erscheinungen verdienen erwähnt zu werden „ Die taktischen Lehren des Krieges 1870-71 " von Raßenhofer (Preisschrift), Krainski „Die Kriegsausbildung der Oesterreichischen Infanterie im Vergleiche zu jener Preußens " und Hote „ Die Veränderungen in der Taktik der Infanterie nach den Erfahrungen der letzten Kriege und vom Standpunkte der neuesten Militair-Literatur. " Eine Eigenthümlichkeit der Oesterreichischen Infanterie ist die schon vor dem Kriege eingeführte Ausrüstung derselben mit dem Linnemanschen Infanterie

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Spaten. Alle Leute des zweiten Gliedes sind mit demselben versehen , eine kriegsstarke Compagnie führt 99 Spaten. Man legt auf die Anlage von Die Franzosen Schützengräben in der Defensive einen besonderen Werth. machten von denselben, wie von der Feldfortification überhaupt, einen sehr ausgedehnten Gebrauch und haben den Deutschen Heeren durch dieselben den Sieg häufig genug erschwert. Die Schlachten von Wörth, Spichern, Grave lotte, Sedan bewiesen dies. Daß die allzu häufige Anwendung dieſes Kampfes mittel und die damit verbundene Ueberschätzung der Defensive aber auch das offensive Element der Truppe leicht schädigen kann , dafür legen ebenfalls die Augustschlachten des Jahres 1870 Zeugniß ab. Weit entfernt davon, die Be deutung der Feldfortification für alle Defensivgefechte zu unterschätzen , hat die Deutsche Heeresführung es vorgezogen, an Stelle des den Mann leicht über lastenden tragbaren Schanzzeuges , das fahrbare entſprechend zu vernehmen. Nach dem Kriege erhielt jedes Infanterie-Bataillon 74 Spaten und 18 Hacken, jede Division ferner 3 Schanzzeug-Wagen mit 614 Spaten und 164 Hacken. Die dadurch erzeugte Vermehrung des Trains kann, in Rücksicht auf die Wich tigkeit dieser Maßregel für die dadurch ermöglichte Verstärkung des Terrains, nicht in Betracht kommen . Bemerkt muß noch werden, daß das neue Reglement für die sämmt lichen Fußtruppen gültig ist; ein besonders für die Jägerbataillone gültiges, wie im Deutschen Heere, wird in Desterreich als nicht erforderlich erachtet. Die Oesterreichische Infanterie iſt, nach Einführung deſſelben, zu den jenigen Infanterien zu zählen, welche die Compagniecolonnen-Taktik zum Fun damente ihrer Kampfesweise gemacht haben. In Italien haben die seit dem Kriege verflossenen Jahre mannigfache Veränderungen gebracht. Das aus dem Jahre 1869 datirende Reglement der Infanterie ist namentlich im Jahre 1873, auf Grund eingehender Prüfungen, zeitgemäß umgestaltet worden. Die Compagnie , welche nunmehr auf Kriegs stärke 200 Mann zählt , wird in 2 Halbcompagnien und 4 Züge (Pelotons) eingetheilt; 6 Rotten bilden eine Squadriglia, zwei Squadriglia ein Squadra, eine Neuerung, welche sich bei den letztjährigen Lagerübungen bewährt hat. Sie bedeutet für die Italienische Infanterie den Uebergang zum System der Feuer gruppen im zerstreuten Gefecht. Die Entwickelung des letzteren ist der Deutschen nachgebildet und kann als „ Compagnie- Colonnen -Taktik" bezeichnet werden. Die geschlossenen Formationen haben mit denen des Oesterreichischen Reglements die größte Aehnlichkeit. Ein eigentliches Regiments- und Brigade- Ererciren kennt man jedoch nicht. Die Bewegungen geschehen ohne Commandowort von Seiten des Brigadegenerals. Derselbe ertheilt seinen Unterführern lediglich Be fehle, welche nach eigener Initiative unter Annahme der am geeignetsten scheinenden Formationen ausgeführt werden. Wenn im Regiments- Verbande allein manövrirt wird, muß stets ein Bataillon auf 200-250 Schritte Ent fernung in Reserve zurück gehalten werden. Desgleichen beobachtet im Brigade Verhältniß das zweite Treffen einen Abstand von 400 Schritten. Die Ba taillone des ersten Treffens können je nach Umſtänden in Linie, Colonne oder Colonnenlinie aufgestellt sein. --- Abweichend von den übrigen Europäischen Armeen hat die Italienische, obgleich in neuerer Zeit das Princip der Elite truppen stark in Zweifel gezogen wird, dennoch eine Vermehrung derselben be wirkt, durch Erhöhung der Zahl der Alpencompagnien von 15 auf 24. Diese Truppen sind für die Localvertheidigung der Alpenthäler bestimmt, namentlich aber als militairische Wegweiser, sowie für den Aufklärungs- und Sicherheits

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dienst, wogegen die Italienischen Schüßen-Regimenter (Bersaglieri) , dieſelbe taktische Verwendung finden, wie die Linienbataillone. Für die Vervollkommnung der Infanterietaktik gebührt der gut vertretenen Italienischen Militairliteratur ein hervorragendes Verdienst. Die Werke Deutscher Autoren werden übersetzt und studirt; die Deutschen Heeresverhältnisse, besonders die Entwickelung unserer Taktik, werden von den Fachjournalen , an deren Spitze die ,, Rivista militare italiana", aufmerksam verfolgt. Von heimischen Schriftstellern nennen wir: Corsi (tattica) ; Ottolenghi (la tattica e le operazioni speciali), ferner Bastagno (exercices tactiques de combat pour l'infanterie, traduit de l'italien par de Fort- Sérignan), leßterer ein besonders geschäßter und beliebter Schriftsteller. Auch die, taktischen Neuerungen im Allgemeinen wenig zugängliche Eng lische Infanterie, welche noch in der Krim zu allgemeiner Verwunderung mit der verlebten Lineartaktik des vorigen Jahrhunderts auf dem Kampf-Playe erſchien, hat sich unter dem Eindrucke der Ereignisse des letzten Krieges zu manchen Veränderungen bequemt. Die Preußische Taktik wird eingehend studirt und debattirt. Dies beweisen eine Reihe interessanter Vorlesungen, welche im ,,Journal of the united service institution" veröffentlicht werden, desgleichen die Vorträge des Obersten Chesney ( Ueber Theorie und Praxis der Friedens manöver und ihr Verhältniß zur wirklichen Kriegführung") u . v. A. Die all jährlich im Lager von Aldershot ausgeführten Manöver haben als Reſultat gehabt, im Jahre 1872 folgende Principien der Infanterietaktik festzustellen: Das Bataillon bildet 8 Compagnien und 4 Doppelcompagnien (analog der Französischen Division) ; die Bataillonscolonne wird auf einen Flügel ge bildet, durch Hintereinanderſchieben der Doppelcompagnien, oder auf die Mitte. Das Halb-Bataillon, dessen Stärke etwa gleich der einer kriegsstarken Deutschen Compagnie, scheint die kleinste taktische Einheit bilden zu sollen. Wenn das Bataillon zu schwach ist, theilt man es nur in 6 Compagnien. Das Halb bataillon zählt alsdann nur 3 Compagnien. Eine Brigade zählt 3 Bataillone. Das Bataillon des ersten Treffens entwickelt 3 Compagnien in Schützen schwärmen, 3 andere folgen deployirt auf Entfernung von 225 Schritten als Soutien, 2 in Reserve auf ca. 170 Schritte dahinter. Die beiden anderen Bataillone stehen in Halbbataillons-Colonnen nebeneinander mit Deployir-Inter vallen; der Treffenabstand beträgt 225 Schritte. Eine Division zählt ge= wöhnlich 3 Brigaden (also in Summa 9 Bataillone), zwei im ersten, die dritte als allgemeine Reserve im zweiten Treffen. Die Herbstmanöver des Jahres 1873 haben zum ersten Male auf der Basis der neuen Brigade- Eintheilung stattgefunden. Die regulaire Infanterie ist in der geschlossenen Fechtweise und im Schießen gut ausgebildet, ſoll da gegen wegen der geringen Uebung der Chargen in Bezug auf taktische Führung im Terrain und Tiraillement noch viel zu wünschen lassen. Während die Infanterie- Taktik der drei größten Continentalmächte sich noch im Stadium der Versuche und provisorischer Bestimmungen befindet, ist eine der kleineren Europäischen Armeen , nämlich die Belgische, mit der Herausgabe eines durchaus neuen Reglements im Sommer des Jahres 1874 vorangegangen. - Das Belgische ,,Règlement sur l'exercice et les manoeuvres de l'in fanterie" zerfällt in 4 Theile: l'école du soldat , l'école de compagnie, l'école du bataillon und l'école de brigade. Die wichtigsten Bestimmungen desselben sind folgende : Das Bataillon zählt 4 Compagnien. Die Infanterie wird in 2 Gliedern rangirt und zwar so , daß die beiden größten Leute einer

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Compagnie die rechte, die beiden kleinsten die linke Flügelrotte bilden ; die Sel daten der ersten Klasse fungiren entweder als Schließende oder stehen im ersten Gliede. Die besten Schützen sind auf alle Züge vertheilt. Die Compagnien zerfallen in 3 Züge (peletons) , diese in 2 Sectionen zu je 2 Corporalſchaften (escouades) ; bei nicht hinreichender Stärke werden nur 2 Peletons abgetheilt. Das Regiment zählt 3 Bataillone zu 4 Compagnien , hat aber nur eine Regi mentsfahne, welche sich beim 2. Bataillon befindet. Eine Inverſion kennt das Belgische Reglement nicht. Die höheren Offiziere haben ihren Play hinter den Truppen. Die gewöhnliche Marschgeschwindigkeit beträgt 110, Sturmschritt 130, Laufschritt 165 Schritte in der Minute. Das Tiraillement der Retruten beginnt bereits wenige Tage nach ihrer Einstellung und , soweit es angeht , im Terrain. Die Abgabe des Feuers in geschlossener Ordnung der Compagnie er folgt als Salve (Compagnie- , Peleton- , Glieder- , viergliedrige Salve) oder als Schnellfeuer (feu à voolnté) ; die Salven können stehend oder knieend abgegeben werden. Vom Laufschritt soll im zerstreuten Gefecht nur Gebrauch gemacht werden beim plöglichen Sammeln oder beim Ueberschreiten eines vom Feuer be strichenen freien Terrains. Die Schützenlinie wird stets in einem Gliede, und zwar mit 3 Schritt Abstand der einzelnen Leute unter einander formirt. Ein Drittel der Compagnie muß jedenfalls geſchloſſen bleiben. Die Anwendung der Signale wird auf das Aeußerste beschränkt. Beim Vorgehen gegen die Stel lung des Feindes werden, wenn man dieselbe nicht kennt , einige gewandte Leute als Eclaireurs vorgeschickt , welche das Terrain abzusuchen haben. Der Schießausbildung und dem Gefechtsverständniß des Mannes wird große Serg falt gewidmet. Gefechtsübungen im Terrain sollen einen Hauptzweig der Com pagnie- und Bataillonsschule bilden und sollen alle Bewegungen bei denselben mit der Genauigkeit wie auf dem Erercirplate ausgeführt werden. Viele sve cielle Vorschriften für diese Uebungen sind fast wörtlich Deutschen Schriftstellern (namentlich v. Keſſel „Ausbildung des Infanterie-Bataillons " und Campe „ Aus bildung der Compagnie") entlehnt. Die Wichtigkeit einer guten Feuerdisciplin wird wiederholt betont. Freiübungen, Turnen, Fechten gehen mit dem Exercitium Hand in Hand ; außerdem wird die ganze Mannschaft in Einrichtung von Dert lichkeiten für die Vertheidigung unterwiesen ( in Deutschland leider nur die zur Erlernung des Infanterie- Pionierdienstes Commandirten). Die Bewegungen der Compagnie sind sehr einfach. An Stelle des Reihenmarsches wird das Doubliren der Rotten (wie im Desterreichischen Reglement) angewendet. Gegen Cavallerieangriffe können Knäuel oder offene Compagnie-Carrés gebildet werden; ausdrücklich aber wird gesagt , daß der Angriff unter Umständen in Linie oder in aufgelöster Ordnung in jedem schutzgewährenden Terrain abgewiesen werden könne . Die vorgeschriebenen Gefechtsübungen , welche durch kleine Terrainſkizzen veranschaulicht werden , sind das Defensiv- , das Offensiv- und das Rückzugs Gefecht, das Gefecht gegen Cavallerie , Artillerie , Waldgefecht , Defileegeject, Gefecht um Dertlichkeiten, Angriff und Vertheidigung von Schanzen. Der An griff erfolgt, wie bei der Deutschen Infanterie, sprungweise. Beim Waldgefecht wird empfohlen , die Leute im Innern des Waldes möglichst zusammen zu hal ten , beim Rückzugsgefecht , die Aufnahmestellung nicht zu nahe der verlaſſenen Position zu wählen. Die Bataillonsschule zerfällt in 1) das geschlossene Exerciren ohne Schützen , 2) das Exerciren in Compagnie- Colonnen , zuerst ohne , dann mit Schützen, 3) Gefechtsübungen. In der Aufstellung der Compagnie- Colonnen

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wird große Mannigfaltigkeit entwickelt. Eine sehr häufig angewendete Forma tion des Bataillons ist die Aufstellung der. beiden mittleren Compagnien in Linie, der Flügelcompagnien in Colonne. Die Colonne nach der Mitte soll nur außerhalb des Bereiches des Artilleriefeuers angewendet werden. Wenn die vor zugsweise zum zerstreuten Gefecht verwendeten Flügelcompagnien den Kampf einleiten sollen, so rücken deren Flügelzüge geschloffen bis 150 Schritte vor das Bataillon , dann erst schwärmt je eine Section. Der Rest der beiden Com pagnien folgt als Reserve mit 150 Schritt Abstand vom Soutien . Das Ba taillonscarré ist ein hohles , und als solches schwierig zu formiren und zu be= wegen ; überhaupt wird der Carréformation noch eine ziemliche Bedeutung zu gesprochen, obwohl es auch gestattet ist, den Angriff in Linie zu erwarten. Die Bataillonssalve ist abgeschafft. Beim Angriff soll das Feuer der Schüßen erſt auf 3-400 Schritte vom Feinde beginnen , dann sollen dieselben , sprungweise vorgehend , sich der feindlichen Stellung möglichst gedeckt zu nähern suchen. Während des zunächst von den Flügelcompagnien allein zu führenden Gefechtes, bleiben die mittleren in Rejerve. In die Schüßenlinie eingerückt , geben sie Salven, denen der Bajonetangriff unmittelbar zu folgen hat. Die Brigadeschule befaßt sich mit dem rein elementaren Exerciren der Brigade, die 6 Bataillone ein Treffen bildend ; dieselben können jedoch auch in Echelons aufgestellt werden und zwei Treffen formiren. Der Treffenabstand beträgt je nach den Verhältnissen 400-1000 Schritte. Die zwei Brigaden einer Division stehen entweder in zwei Treffen hinter einander, mit einer Re serve von mehreren Bataillonen oder neben einander (accolées). Während die militairischen Juftitutionen Belgiens bisher in manchen Be ziehungen als eine Copie der Franzöſiſchen Heereseinrichtungen im kleineren Maß stabe gelten durften , und dieser Vergleich zum Theil auch jetzt noch zutrifft , so kann dies für die Infanterietaktik nach Einführung des neuen Reglements nicht mehr behauptet werden. Daſſelbe nähert sich auffällig in den meiſten Beziehungen den Deutschen reglementarischen Bestimmungen, ohne in vielen Details die Fran zösischen Erinnerungen ganz aufgegeben zu haben. Einfachheit und völliges Verständniß für die Bedürfniſſe des modernen Gefechtes zeichnen das Belgiſche Reglement vortheilhaft aus ; fast scheint es , als ob man durch zeitgemäße Re formen auf taktischem Gebiete die offen zu Tage liegenden organiſatoriſchen Mängel, welche dem Belgischen Heere anhaften, gewissermaßen wieder ein bringen wolle. In der Schweizerischen Armee ist die Eintheilung des Bataillons in 4 Compagnien projectirt (vergl. „Motive zum Wehr- Gesezentwurfe des Bun desrathes vom 13. Juni 1874"). Zur Zeit zerfällt das Bataillon noch in 3 Divisionen. Die Division hat einen Etat von 7 Offizieren und 236 Mann und wird von einem Hauptmann commandirt. Sie zerfällt in 2 Compagnien à 3 Offiziere und 118 Mann, welche von je einem Oberlieutenant commandirt werden. Die Division wird demnach die ungefähre Stärke unserer Deutschen Compagnie haben , sie unter scheidet sich aber wesentlich von derselben durch ihre Gliederung in zwei ſelbſt= ständige Theile (Compagnien). Der Gesetzentwurf spricht ausdrücklich aus, daß die taktische Einheit bis auf Weiteres die Diviſion bleiben solle. Freilich ſtimmt dieselbe nicht mit der administrativen Einheit, der Compagnie , dann aber er scheint die Gliederung des Bataillons in 3 taktische Einheiten auch als wenig zweckmäßig. Dies erkennt der Bundesrath auch an , und wird von der Ein theilung in 4 Compagnien vorläufig nur deßhalb abgesehen , um nicht mit den

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sich vollziehenden bedeutenden organisatorischen Veränderungen auch solche des Exercir-Reglements gleichzeitig nothwendig zu machen. Auch die Infanterie der Nordischen Reiche , Schweden - Norwegen und Dänemark, hat die Taktik der Compagniecolonne angenommen. Während die selbe schon seit mehr als 25 Jahren bei den Dänen ganz gebräuchlich ist und fast normal bereits in den Schleswig - Holsteinischen Kriegen der Jahre 1848 bis 1850 angewendet wurde , bediente die Schwedisch- Norwegische Armee sich bis zum Jahre 1871 eines Reglements, welches in Geist und Form dem Preußi schen von 1847 fast gleich kam. Unmittelbar nach dem Kriege trat etne Com= mission Schwedisch-Norwegischer Offiziere zusammen , um die Herausgabe eines den neuesten Erfahrungen entsprechenden Reglements zu berathen. Das Resultat dieser Berathungen ist das vom 31. Mai 1871 datirende „ Erercer-Reglement for Infanteriet". Das Bataillon zählt , wie in Dänemark, 4 Compagnien. Das Bataillon hat folgende Formen für Aufstellung , Bewegung und Gefecht : 1) „ Die Anfaldskolonne" ; sie wird gebildet, indem die 4 in Compagnie - Colonnen mit 7 Schritt Zugabstand formirten Compagnien nebeneinander rücken , die Compagnie- Intervalle beträgt nur 3 Schritte; sie dient sowohl zur Aufstellung des Bataillons bei Beginn des Gefechtes, als auch zur Ausführung des Bajonet angriffs . 2) Die „ Dobbeltkolonne", der Deutschen Colonne nach der Mitte sehr ähnlich, die Züge mit 7 Schritten Abstand. Sie gilt als Manövrirformation, auch kann sie zum Angriff verwendet werden , falls sie sich nicht im Artillerie feuer befindet. 3) „ Die "Kolonne " (Zugcolonne). Die Compagnien ſtehen in Compagnie-Colonne hintereinander , der Zugabstand wiederum nur 7 Schritte. Als Marschformation ( auf Colonnenwegen oder auf dem Gefechtsfelde) verwendet, können die Abstände bis auf halbe Zugbreiten vergrößert werden. Nach der Flanke zur Linie einschwenken kann die Colonne demnach nicht. 4) Die Aufs stellung des Bataillons in Compagniecolonnen ( „ Kompanikolonner") . Die Com pagnien stehen mit Deployir - Intervallen auf einer Grundlinie nebeneinander. Dieser Formation bedienen sich vornehmlich allein fechtende oder im ersten Treffen stehende Bataillone. 5) Die Linie des Bataillons ( „Linje") . Die 4 Compagnien stehen deployirt nebeneinander, vornehmlich im Artilleriefener angewendet, jowie bei Inspicirungen und Paraden. 6) Das Carré ( „ Firkant " ) kann aus der An faldskolonne mit 4 Compagnien gebildet werden und ist ein durchaus hohles, auf keiner Seite hat es mehr als 2 Glieder Tiefe , die Flanken werden durch Abschwenken der mittelsten Züge der beiden Flügelcompagnien gebildet ; lettere können aber auch für sich das Compagniecarré (dem Preußischen ziemlich gleich) formiren und stellen sich dann auf den Ecken der das Carré in obiger Weise bildenden mittleren Compagnien auf. — Die Compagniecolonne ist die Marſch-, Manövrir- und Gefechtsformation der Compagnie; dieselbe kann in Halbzüge und Sectionen abbrechen. Die Zugführer und Compagniechefs stehen, wie beim Bataillon , stets vor der Mitte ihrer Abtheilungen. Die Vorschriften für die zerstreute Fechtart sind besonders sorgfältig bearbeitet und durch kleine Terrain skizzen erläutert ; tiraillirt wird mit Feuergruppen, ganz im Sinne der Preußi schen Bestimmungen. Der Die Brigade zählt 4 , auch 5 Bataillone und steht in 2 Treffen. Treffenabstand beträgt , je nach dem Terrain und dem Gefechtsverhältniß , 200 bis 400 Schritt . Bei den im Juli 1874 in der Nähe von Karlsborg stattgehabten Manê vern , welche nach Preußischem Muſter abgehalten wurden , soll die Schwediſche Infanterie eine Gewandtheit im zerstreuten Gefecht und in Benutzung des Ter

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rains an den Tag gelegt haben , welche Zeugniß dafür ablegt , daß die Erfah rungen des letzten Jahrzehntes nicht spurlos an ihr vorüber gegangen sind . Bereits im Herbst 1871 hatte der verstorbene König Carl XV. in, der Provinz Schonen Feldübungen veranstaltet. Seit jener Zeit ist auch dem Volke der Rugen solcher mehr und mehr klar geworden. Es ist die Absicht , im nächſten Jahre größere Feldübungen auch in Norwegen stattfinden zu laſſen , und einen bedeutenden Theil der Norwegischen Armee, vielleicht eine Schwedische Truppen abtheilung, an denselben Theil nehmen zu lassen. Der gegenwärtige Standpunkt der Infanterietaktik in ihren Hauptprincipien ist nach allem Gesagten etwa folgender: Mit der Verbesserung der Feuerwaffen , so glaubte man , würde der Werth der Defensive sich dermaßen steigern , daß die Offensive dagegen an Bedeutung entschieden zurücktreten müsse. Die auf den Böhmischen und Französischen Schlachtfeldern gesammelten Erfahrungen beweisen jedoch , daß sich in dem bei derseitigen Verhältniß nicht viel geändert hat. Allerdings kommt die bessere Bewaffnung vornehmlich dem feststehenden Vertheidiger zu Gute ; dies wird jedoch auch in Zukunft nicht hindern, nach wie vor durch das Mittel eines überraschenden, mit versammelter Kraft unternommenen Angriffs den Gegner zu schlagen, wenn eine gründliche Vorbereitung durch das Feuer, besonders das der Artillerie vorausgegangen ist und die Terrainverhältnisse nicht zu un günstige sind. Immer noch ist die Offensive diejenige Kampfesweise , welche allein große Erfolge verbürgt ; nur sind die Bedingungen des Erfolges andere geworden als früher , als vor 50 und 100 Jahren. Den Infanteriekampf nennt Boguslawski sehr charakteristisch neuerdings eine geschickte Verbindung der Feuer- und Stoßtaktik. " Einfaches Darauflosgehen kann nimmermehr , bei Wenn der Angriff noch so ungestümer Tapferkeit , auf den Erfolg rechnen. nichts weiter ist als dies , dann freilich wird er nicht allein mehr Opfer kosten als früher, sondern geradezu vernichtende Opfer von der Truppe fordern , und dies um so mehr, je tapferer sie dem, die volle Wirkung der neuen Präcisions waffen ausnutzenden Gegner zu Leibe gegangen ist. Der Infanterieangriff hat demgemäß neue Mittel und Formen gesucht und zum Theil gefunden ; die An wendung derselben ist freilich schwieriger und stellt an die Führung ungleich höhere Ansprüche . Das zerstreute Gefecht hat eine derartig vermehrte Verwendung gefunden, daß ihm nicht allein die Vorbereitung und Unterstützung des Kampfes ge schlossener Abtheilungen , sondern die selbstständige Durchführung und Entschei dung des Kampfes , im durchschnittenen und im freien , offenen Terrain, mit seltenen Ausnahmen zufällt. Geſchloſſene Formationen sind gleichwohl unent behrlich, nicht allein für Ausnahmefälle (etwa um sich mit erschütterten Truppen aus kritischer Lage zu befreien, sich durchzuschlagen, bei nächtlichen Gefechten 2c. ), sondern als nothwendige Unterstützung des zerstreuten Gefechts in zweiter Linie, um demselben denjenigen Halt und Impuls zu geben , welchen die erfolgreiche Durchführung jedes Kampfes gebieterisch erfordert. Daß geschlossene größere Massen im wirksamen Feuerbereich nicht mehr verwendbar sind, ist die wichtigste taktische Veränderung , welche die Einführung des Hinterladers und des gezoge= nen Geschützes zur Folge gehabt hat. Die deployirte Bataillonslinie , die Co lonne nach der Mitte, das Bataillonscarré haben, als vererbte Formen früherer Perioden der Kriegskunst , von ihrer Bedeutung als Gefechtsformationen um so viel eingebüßt , als die erst wenige Decennien alte Compagnie - Colonne an Werth gewonnen hat. Wie die Bataillonslinie für die Schlachten des vorigen

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Jahrhunderts, die Bataillons-(Angriffs-) Colonne in Verbindung mit zerstreuter Fechtart für die der Revolutionskriege und Napoleonischen Feldzüge , so ist die zur Durchführung des zerstreuten Gefechts bestimmte Compagnie - Colonne als typisch für die Kämpfe der neuesten Zeit zu betrachten. Diesen Veränderungen Rechnung tragend , haben alle Europäischen In fanterien den Uebergang zu der neueren , furzweg als „ Compagnie - Colonnen taktik" zu bezeichnenden Kampfesweise entweder schon vollzogen, oder ſtehen im Begriffe dies zu thun. Bei Umformung der Reglements auf dieser neuen Grundlage dient , wie natürlich , das der in drei Feldzügen siegreichen Preußi schen Infanterie als Muſter. Die Gliederung des Bataillons in starke (4) Compagnien, dem Preußischen Heere schon seit den Befreiungskriegen eigen thümlich, ist, als Vorbedingung der " Compagnie- Colonnentaktik, in Desterreich, Italien , Belgien , Schweden - Norwegen und Dänemark adoptirt worden. Die Französische Infanterie zögert noch, *) angeblich aus organiſatoriſchen Gründen, den als nothwendig erkannten Schritt zu thun, auch die Russische hat eine Fünftheilung des Bataillons, die Englische selbst eine Gliederung in 8 Com pagnien beibehalten. Ein definitiver Abschluß der durch die Einführung der neuen Waffen erëff neten neuen Periode der Taktik ist, obwohl einige Armeen mit der Herausgabe neuer Reglements bereits vorangegangen sind , zur Zeit noch nicht erreicht. Klar ist nur, daß der zerstreuten Fechtart und der Compagnie - Colonne die Zukunft gehört. In der Waffe wird eine entscheidende Ueberlegenheit nicht mehr zu erzielen sein, folglich muß sie durch die taktische Ausbildung herbeigeführt werden. Zu diesem Zwecke bedarf die Infanterie, bei aller Elasticität ihrer Verwendung , dennoch derjenigen festen Formen , deren Mangel auch bei über legener Disciplin selbst die intelligenteste Führung auf die Dauer nicht erſeßen fann. „Die Friedensschule " , sagt v. Scherff, „ iſt es , welche einer Armee den nothwendigen Kitt giebt, um die enormen Frictionen des Schlachtfeldes zu überwinden. Die gewohnte Form ist es , welche dem stehenden Heere die coloſſale Ueberlegenheit über den Dilettantismus der „ Aufgebote " giebt. In den Veränderungen der Infanterietaktik culminiren die epochemachenden Ver änderungen der Kriegskunft überhaupt , da einzig und allein die Infanterie die in der Taktik maßgebende Hauptwaffe war, ist und bleiben wird , und deren Taktik immer gleichzeitig mit über die aller anderen Waffen entscheidet. " Sch.

Bericht über die die

Entwickelung

der

Reiterei

auf den Gebieten der Praxis und Theorie feit den neuesten großen Kriegen unter befonderer Berücksichtigung ihres heutigen Standpunktes. Der letzte große Feldzug gegen Frankreich hat der Reiterei, namentlich der Deutschen, ein Feld der Thätigkeit wieder eröffnet , von dem sie sich durch die theoretischen Anschauungen der letzt vorhergegangenen Jahrzehnte, durch vereinzelte Man vergleiche die Anmerkung auf Seite 467.

T

Entwickelung der Reiterei .

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Erfahrungen in den Feldzügen von 1859 und 1864, fast gänzlich ausgeschloſſen sah. Wenngleich nun auch der Krieg gegen Desterreich im Jahre 1866 nicht ohne günstigen Einfluß auf eine unbefangene und sachgemäßere Beurtheilung ihrer Bedeutung geblieben war, hatte es bei seiner kurzen Dauer doch an der Gelegenheit gefehlt, die nach dieser Richtung empfangenen Eindrücke und gemachten Erfahrungen zu praktischer Verwerthung zu bringen. Diese Gelegenheit sollte In ſelbſtſtändige Di der Feldzug von 1870/71 in reichſtem Maße bieten. visionen von verschiedener Stärke und Zusammensetzung gegliedert, hat die Deutsche Reiterei den strategischen Aufklärungs- und Sicherungs - Dienst im weitesten Sinne und mit bestem Erfolge ausgeübt, ist es ihr wiederholt vergönnt gewesen, ihre Kraft in dem Kampfe gegen die eigene, wie gegen die anderen beiden Waffen zu prüfen und kann sie auch auf diese Probe ihres Könnens mit Befriedigung zurückſchauen. Wenn die Reiterei sich somit die Stellung der Gleichberechtigung in dem Reigen der Kampfgenoffen wieder erobert, wenn sie dies zu nicht geringem Theile dem glücklichen Umstande verdankt , daß man ihr einen ihrer Eigenthümlichkeit entsprechenden Wirkungskreis einräumte, sie so zu sagen auf eigene Füße stellte, sie hierbei Gelegenheit fand , den Beweis zu liefern , daß es ihr nach keiner Richtung hin an der Fähigkeit fehlt, auch unter den neuesten kriegerischen Ver hältnissen eine einflußreiche und durch keine andere organisatorische und taktische Gestaltung zu ersetzende Rolle zu spielen , so hat sie sich doch auch nicht ver hehlen können , daß ihr noch mancherlei fehlt , um die ihr gestellte hohe und schöne Aufgabe in ihrer Vollkommenheit zu lösen. Dieser Mangel begründet nicht einen ausschließlichen Vorwurf gegen die Waffe oder ihre Leiter und Erzieher, es ist vielmehr eine Erfahrung, welche die Geschichte derselben uns wiederholt vor Augen führt, daß die im Einzelnen best ausgebildete und ausgerüstete Reiterei , wenn sie nach langen Zeiten des Friedens wieder zu kriegerischer Thätigkeit berufen wird , erſt einer gewiſſen Zeit bedarf, um die ihr inne wohnenden Fähigkeiten zu vollster Entfaltung zu bringen, schädliche Friedensgewohnheiten abzulegen , in dem Getriebe des Feldlebens heimisch zu werden , namentlich wenn ihre organiſatoriſchen Gliederungen für Krieg und Frieden nicht einander entsprechen. Die Reiterei ist die Waffe der Bewegung, des Angriffes ; für jene kann die Friedensübung ihr nicht das Ge nügende an Zeit und Raum , für dieſen nicht die Gegenstände bieten. Die andern beiden Waffen finden den Ausdruck ihrer kriegerischen Thätigkeit vor nehmlich in dem Gebrauche der Schußwaffe, diese zu richtiger Verwendung und Ausnutzung zu bringen ist das Ziel ihrer Uebungen, für dessen Erreichung ihnen der Schießstand, der Exercirplatz und das Manöverfeld in weit höherem Maße die Gelegenheit zu bieten vermögen als der Reiterei , die nur durch die Schnel ligkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen , durch den Nachdruck zu wirken ver mag, mit dem sie sich selber und ihre blanke Waffe an und in den Feind bringt, durch die Ausdauer, mit der sie Tage, Wochen , Monate lang den Gegner im Auge behält , seine Absichten erspäht , seine Ruhe stört , ihm Abbruch thut , wo und wie sie kann. Ihre Erfolge lassen sich nicht vorher berechnen , wie dies annähernd bei der Infanterie und Artillerie möglich ist , sie müssen erfahren werden und deshalb ist es bei ihr in erhöhtem Maße wichtig , daß derartige Erfahrungen sorgsam beachtet und gepflegt , Irrthümer und Fehler aber rasch beseitigt werden, was sich als richtig bewährt hat, weiter entwickelt wird, damit jede Unsicherheit nach Möglichkeit schwindet. Dies erfordert ernstliche und rüstige Arbeit auf all den zahlreichen Ge 31 Militairische Jahresberichte 1874.

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bieten, welche die Ausbildung und Erziehung gerade dieser Waffe betreten muß. An dieser Arbeit ist die Deutsche Reiterei zur Zeit mit allem Eifer, in dankens werthester Weise dabei geleitet , gefördert und anerkannt durch ihren hohen Kriegsherrn, der ihr nach allen Richtungen hin Gelegenheit bietet, die erforder lichen Uebungen und Versuche anzustellen , den Schaß von Erfahrungen zu festigen und weiter auszunutzen , den sie aus dem Felde mit heimgebracht hat. Wenn nun auch die Erfolge auf dem Gebiete friedlicher Arbeit sich nicht ganz ſo rasch und durchgreifend ergeben wollen , wie dies vor dem Feinde der Fall gewesen ist , so darf nicht vergessen werden, daß man es hier mit alten Ver urtheilen und Gewohnheiten zu thun hat , welche erfahrungsmäßig die stand haftesten Gegner sind , welche vollkommen erst überwunden werden können mit dem Abtreten der Generation, die unter ihnen herangewachsen ist und ihre ehren werthe Trägerin darstellt. Betrachten wir nun diese Erfahrungen selber ein wenig näher , um dem nächst einen Blick darauf zu werfen, in wie weit es bisher gelungen ist, dieſelben zu verwerthen . Die bedeutenden Heere , welche heutzutage gegen einander zu Felde geführt werden, breiten sich über weite Landstrecken aus ; die Reiterei, dazu bestimmt, die Bewegungen dieser Heere eines Theiles zu verhüllen und zu decken , anderen Theiles zu erkunden und aufzuklären , muß , um ihrer Aufgabe zu genügen, große Entfernungen und zwar mit möglichster Schnelligkeit hinterlegen ; dies stellt an die Leistungen ihrer Pferde große Anforderungen. Aehnlich ist das Verhältniß auf den eigentlichen Gefechtsfeldern , auf denen die große Tragweite der Feuerwaffen die Reiterei nöthigt , rasch weite Räume zu durcheilen , will sie einerseits nicht nutzlos niedergeschossen werden , andererseits nicht die für ihre Erfolge so wichtige Bedingung der Ueberraschung daran geben. Nun haben zwar die Pferde der Deutschen Reiterei im großen Ganzen den Anforderungen entsprochen , welche der letzte Krieg in den oben angedeuteten Richtungen an sie stellte, man hat sich jedoch der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß die der Deutſchen, namentlich der Norddeutschen Pferdegattung inne wohnende Leistungsfähigkeit durch bessere Futterung und durch mittelſt dieſer ermöglichte ausgedehntere Uebung in langen und andauernden Gängen, nament lich im Galopp, in bei Weitem höherem Maße entwickelt werden kann und muß. Dies kann und darf aber wiederum nicht einseitig , etwa nach alleiniger Maß gabe des Renn- oder Jagd-Trainings geschehen, der nur die Entwickelung höchster Schnelligkeit und größter Sicherheit in Ueberwindung von Boden schwierigkeiten und Hinderniſſen , für verhältnißmäßig kurze Zeiten und auf beschränkte Entfernungen, unter im Uebrigen äußerst günstigen Bedingungen zum Zwecke hat, - denn das Soldatenpferd soll zwar auch für kurze Räume und Zeiten den möglichst höchsten Grad seiner Schnelligkeit zu entwickeln rer mögen , seinen Reiter mit Sicherheit über die Hindernisse und Schwierigkeiten des Bodens hinwegbringen , dabei aber auch dauernd ein bedeutendes Gewicht tragen, unter diesem Gewichte dauernd bedeutende Entfernungen hinterlegen, die Gewandtheit besitzen , um alle die kurzen Wendungen, Paraden und der gleichen Bewegungen auszuführen, welche sein Reiter in den verschiedenen kriege rischen Lagen , namentlich aber bei dem Gefechte Mann gegen Mann von ihm zu fordern genöthigt ist. Für diese Zwecke muß die Lungenthätigkeit des Pferdes , muß seine Mus kulatur in hohem Maße entwickelt und zwar letztere in einer zwiefachen Rich tung , um dem Thiere die erforderliche Schnellkraft für die langen Gänge, die

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mehr zuſammenfassende Kraft für die Bewegungen in der Versammlung , die Tragefähigkeit zu geben. Das Ergebniß der Uebungen , welche zu Erreichung dieser Ziele angestellt werden, muß sein, daß das Pferd sich in den verschiedenen oben angedeuteten Richtungen mit der Leichtigkeit der Gewohnheit bewegt, ohne merkbare und plötzliche Anstrengung aus den rascheren Gängen in die verjam melteren und umgekehrt überzugehen , mittlere Hinderniſſe in fließendem Gange mit Sicherheit zu nehmen vermag. Reitbahn und Rennbahn müſſen hierbei Hand in Hand gehen, nur das in Genick , Hals , Rücken und Hinterbeinen richtig gebogene und durchgearbeitete, in das Gleichgewicht gesezte und dadurch in seinen Gängen entwickelte , nur das eingaloppirte und eingesprungene Pferd wird allen diesen Anforderungen zu genügen vermögen. Unsere heutigen Pferderacen sind nun größtentheils für eine derartige Aus bildung sehr geeignet. Sie setzen der gründlichen Durcharbeitung in der Reitbahn vermöge ihres Gebäudes nur selten ernstlichere Schwierigkeiten entgegen , ihre Lungen und Muskeln sind einer hohen Entwickelung fähig, ihre Sehnen haben die Festigkeit und Dehnbarkeit , ihre Gelenke die Breite und Kraft, welche das Blutpferd auszeichnen , ihre Rücken sind kräftig , ohne dabei der erforderlichen Beweglichkeit zu entbehren, welche für die auf- und abwölbende Bewegung beim Galopp wie beim Sprunge unerläßlich ist , ihre Gänge sind frei , räumig und elastisch. Diese guten Eigenschaften der Pferde - die selbstverständlich bei den ein zelnen Individuen in verschiedenem Maße vertreten sind - müssen, wie bereits angedeutet wurde , an einer ausreichenden Futtermenge, die nicht nur dem Be dürfnisse der Sättigung entspricht, sondern auch einen gewiſſen Kräfteüberſchuß gewährt , denjenigen Rückhalt finden , um durch die entsprechenden allmälig ge steigerten Uebungen zur vollen Entfaltung gebracht werden zu können und unter diesen und den daran sich knüpfenden Anstrengungen nicht zu leiden . Diesem Bedürfnisse ist durch die seit 1866 in der Gesammthöhe von 1 Pfund Hafer dauernd und für jede der größeren Uebungen im Beſonderen bewilligten Futterzulagen bis zu einem gewiſſen Grade Rechnung getragen, doch bleibt hier noch Manches zu wünschen übrig. Was die Uebungen anbetrifft , so ist man sich in Betreff derselben nach mancherlei Schwankungen darüber wohl vollständig klar geworden , daß eine gründliche Bahndressur die unerläßliche Grundlage bleiben muß für die er höhten Anforderungen, welche an die Terrain leistung gestellt werden; daß ein erhöhter Werth auf richtige Formung der Pferde zu legen sei , welche deren Leistungsfähigkeit vermittelt und bedingt, diese aber wiederum nur erreicht wer den könne, wenn das Winterhalbjahr sorgsam dazu ausgenutzt wird, um durch die Uebungen in den kurzen Gängen in der Reitbahn den Pferden eine richtige Zusammenstellung zu geben, daß dies allem Anderen vorangehen müsse, und sodann erst mit richtig gestellten, die Versammlung leicht annehmen den , im Gleichgewichte befindlichen Pferden , die allmälige Steigerung der Anforderungen im Frühjahr auf grader Linie eintreten und Erfolg versprechen könne; daß ferner die für eine solche Dressur bisher befolgten Grundsätze, welche in der „Instruction zum Reitunterricht für die Königlich Preußische Reiterei" *) ihren Ausdruck gefunden haben , noch heute in jeder Hinsicht die richtigen sind, daß es aber darauf ankommt , sie in ihren Formen den neueren Entwickelungen *) Allgemeiner bekannt unter der Bezeichnung : „v. Sohr'ſche Reit- Inſtruction.“ 31*

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auf dem Gebiete der Soldatenreiterei, dem wesentlich veränderten Pferdematerial anzupassen - wie dies der, leider jüngst verstorbene , Oberst von Krane in seinem vortrefflichen Buche *) mit Meisterschaft gethan hat , sie mit dem Exercir-Reglement in Uebereinstimmung zu bringen, dessen Aufgabe es wiederum ist, die Bewegungs- und Verwendungsformen der taktischen Abtheilungen den Anforderungen erhöhter Gewandtheit und Schnelligkeit anzupassen. Kräfte- Er sparniß, d. h. sorgsamste Vermeidung unnöthiger Bewegungen, äußerste Verein fachung jener Formen müssen hier mit ununterbrochener Uebung der Kräfte Hand in Hand gehen und ist es hierbei wieder und immer wieder der Galopp, welcher als Evolutions - Gangart und für die Hinterlegung größerer Strecken zu und auf dem Gefechtsfelde mehr entwickelt werden muß , während für den Trab das bisher festgehaltene Schnelligkeitsmaß ohne Schädigung der Pferde nicht überschritten werden darf. Die Erfahrungen der letzten Feldzüge , die im Anschluſſe an diese Erfah rungen , bezüglich der Friedens -Ausbildung geknüpften Versuche, haben das Material nach den oben bezeichneten Richtungen wohl in so weit gesichtet und geklärt, daß Reit- Juſtruction und Exercir-Reglement in entsprechender Weise um gearbeitet werden konnten. Von Letzterem ist eine Neubearbeitung seit dem 9. Januar 1873 versuchsweise in den Händen der Truppe. Die in derselben zum Ausdrucke gelangten Abänderungen bestehen namentlich in Einführung der Richtung nach der Mitte , dem Wegfalle des Begriffes der Inversion und in Folge dessen der Contre-Märsche und des Tetenwechsels , einer weiteren Ent wickelung der Escadrons -Colonne , deren Herstellung aus jeder beliebigen Fer mation und Uebergang aus ihr zu jeder anderen Gliederung , der Ausdehnung der Attacke von 800 bis auf 1500 Schritte. Für das Regiment iſt, entsprechend dem Grundsatze der Richtung nach der Mitte, in der Regel die dritte Schwadren als Richtungs- Schwadron angenommen, die Bezeichnung einer anderen Schwadren jedoch dem Belieben des Regiments- Commandeurs anheim gegeben. Bei dem Regimente tritt naturgemäß die größere Vielseitigkeit in Anwendung und Gliede rung der verschiedenen Colonnen erst in ihrer vollen Bedeutung hervor und ſind dieselben als Bewegungsformen vornehmlich empfohlen. Eine bestimmte Bezeich nung für die verschiedenen Colonnen**) vereinfacht im Wesentlichen deren Ver wendung , indem dadurch Mißverständnisse und Verwechselungen ausgeschlossen werden. Ueber diese wichtigen Colonnen- Gliederungen jagt das Reglement ***) ſelber : *) Anleitung zur Ausbildung der Cavallerie - Remonten von Fr. v. Krane, Oberſt von der Cavallerie z. D. Berlin, 1870. *) Regiments - Colonne, wenn die einzelnen Schwadronen jede für sich in Linie entwickelt hintereinander stehen. Diese Colonne kann: geschlossen sein, wenn die einzelnen Schwadronen nur eine Zugbreite Abſtand von einander haben, geöffnet, wenn dieser Abstand eine volle Schwadrons-Breite beträgt. Escadrons Colonne , wenn die einzelnen Schwadronen jede für sich in Zug Colonne mit den Teten in gleicher Höhe und einem solchen seitlichen Ab stande von einander stehen, daß jede genügenden Plas zum Auf marsche hat. Zusammmengezogene Colonne, wenn die seitlichen Abstände der einzelnen Schwadro nen von einander bis auf 6 Schritte verringert ſind. Zug Colonne , wenn sämmtliche Schwadronen des Regiments jede für sich in Colonne in Zügen einander folgen. ***) Exercir - Reglement für die Cavallerie der Königlich Preußischen Armee_vom 5. Mai 1855. Neuabdruck unter Berücksichtigung der durch Allerhöchste Cabinets Crore vom 9. Januar 1873 zur versuchsweisen Einführung genehmigten Abänderungen. Seite 97.

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„ Soll die Cavallerie ſich in jedem, überhaupt für Pferde gangbaren Terrain ,,bewegen, so bedarf sie der Colonne. „ Die beste Colonne ist diejenige, welche die größte Beweglichkeit im Terrain, „ ohne Nachtheil für die Ordnung und die schnellste und einfachste Entwickelung ,,der Linie gestattet. „ Diesen Anforderungen entsprechen mehr als alle anderen Colonnen die 17 Escadrons- Colonnen. *) Dieselben bilden in ihren verschiedenen Formationen ,,und mit ihren leichten Uebergängen in die Linie, wie in jede andere Colonne, „die Basis für alle Bewegungen größerer Cavallerie-Massen , vom Regimente „aufwärts, im Terrain, so wie für das Vorgehen derselben zum Angriffe. „ Nächst den Escadrons -Colonnen ist die Zug-Colonne für das Passiren „von Defiléen und , nebst der Halb- Colonne , für Seitwärts -Bewegungen der ,,entwickelten Linie von besonderer Wichtigkeit. " Das bisher dem Gebrauche der Waffen gewidmete Capitel ist ausgeschieden und sind die darin enthaltenen Bestimmungen in eine besondere Instruction aufgenommen , welche 1873 verſuchsweise herausgegeben , sich zur Zeit nach Maßgabe der darüber erstatteten Berichte in der Umarbeitung befindet. Es ist hierin dem im Feldzuge ebenfalls hervorgetretenen dringenden Bedürf nisse nach größerer Gewandtheit in Führung der Waffen Rechnung getragen, welche nur durch gründliche Ausbildung in dem Gebrauche derselben erlangt werden kann. Der Reitersmann vermag heute nicht mehr in dem Maße als früher zu ſiegen, indem er seinen Gegner nur niederreitet , er muß ihn in den bei weitem meisten Fällen auch persönlich mit der Waffe niederkämpfen , hierzu bedarf es aber großer Kraft und Gewandtheit, jene geben die Waffen-Uebungen, diese die Fecht-Uebungen , und gehören dieselben somit zu den wichtigsten Beschäftigungen auf dem Gebiete der Ausbildung. Ganz neu und eine der wesentlichsten Verbesserungen des Reglements ist die Aufnahme eines Abschnittes, welcher "1 Allgemeine Bestimmungen über Füh rung von Cavallerie in zwei oder mehreren Treffen" enthält und somit eine reglementarisch begrenzte und festgestellte Norm für die Führung größerer Reiter Körper anbahnt, welche seit 1807 der Preußischen Reiterei fehlte , sowie der Nothwendigkeit bindenden Ausdruck verleiht, daß auch kleinere Abtheilungen, von einigen Schwadronen bereits , dem Feinde gegenüber stets in mindestens zwei Treffen sich bewegen müssen. Auch auf die Verbindung der Reiterei mit reitender Artillerie ist hingewiesen und sind für die Verwendung der Letzteren allgemeine Grundsätze gegeben. Die hier in großen Zügen dargestellten Abänderungen haben sich während der Uebungen der letzten beiden Jahre im Allgemeinen bewährt, die etwa noch erforderlichen Ergänzungen und Aenderungen so klar herausgestellt , daß nach Eingang der Berichte , welche durch die einleitende Cabinets- Ordre für den Januar 1875 gefordert sind, einer endgültigen Redaction des Reglements Nichts im Wege stehen dürfte. Bezüglich der Reit- Instruction ist der erste Theil derselben umgearbeitet und an die Truppe gegeben, entspricht aber wohl noch nicht ganz den nach dieser Richtung gehegten Wünschen ; der zweite Theil ist bei dem Militair-Reit-Inſtitute ebenfalls umgearbeitet und hat zur Zeit einer Anzahl höherer Reiter-Offiziere zur Begutachtung vorgelegen. Die weiter oben bereits angedeutete Verwendung der Reiterei vor dem *) Hier ist die zusammengezogene Colonne mit einbegriffen.

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Heere zur Sicherung und Aufklärung , zur Beſchäftigung und Verfolgung des Feindes, für selbstständige Aufträge in Rücken und Flanken desselben, stellt aber nicht nur erhöhte Anforderungen an die Leiſtungen der Pferde, an die Einfach heit und Schnelligkeit der Bewegungen , sie erfordert auch eine erhöhte taktische Selbstständigkeit der gesammten Truppe. Dieselbe muß , ohne Beigabe von Infanterie, nur unterstützt durch reitende Artillerie , im Stande sein , in jedem überhaupt durchschreitbaren Gelände nicht nur vorwärts zu kommen , sondern auch den gewonnenen Boden zu behaupten , sie muß unter Umständen Dertlich keiten nehmen und vertheidigen können, sich ihre Quartiere gegebenen Falles zu erobern und in denselben auszudauern vermögen. Dies Lettere iſt namentlich deshalb so überaus wichtig , weil es dadurch allein möglich wird , die so höchst aufreibenden Biwaks auf ein äußerst geringes Maß zu beschränken , eine un erläßliche Maßregel, wenn die Pferde und mit ihnen die Truppe für die Dauer leistungsfähig bleiben sollen. Für die Löſung dieſer Aufgaben aber iſt das Fuß Gefecht eine nothwendige Vorbedingung. Die Ausrüstung mit Schußwaffen , so wie die Vorbildung der Mann schaften für die genannte Fechtart, welche in einem sicheren Gebrauche jener Waſſe, einer geschickten Ausnüßung der Bodengestaltung zum Ausdruck kommt , haben in dem letzten Feldzuge nicht in dem Maße genügt, daß nicht auch nach diejen Richtungen Manches zu wünschen geblieben wäre. Diesen Wünſchen iſt nun in so weit bereits Rechnung getragen, als die gesammte leichte Reiterei, so wie je 32 Mann jeder Ulanen = Schwadron einen weit tragenden umgeänderten Chassepot - Carabiner mit Metall - Patrone erhalten haben. Für den Gebrauch desselben giebt die 1871 ausgegebene , 1873 ergänzte, Schieß- Instruction die erforderliche Anweisung, während ein Entwurf für die reglementarische Regelung des Fuß- Gefechtes im Laufe des verfloſſenen Sommers der Reiterei zur Begut achtung zugegangen ist, der seinen Hauptzügen nach wohl als Grundlage für eine endgültige Regelung dieser wichtigen Angelegenheit angesehen werden kann. Die bei weitem wichtigſte Erfahrung jedoch, welche die Reiterei bei ihrer kriegerischen Verwendung in größeren selbstständigen Körpern zu machen Gelegen heit fand, war die, daß es ihr nicht nur an der erforderlichen Vorübung , jon dern auch an den taktischen Formen für eine solche Verwendung fehlte. Die vereinzelten Zusammenziehungen größerer Reiter- Körper , welche in langen Zwi schenräumen seit dem Ende der Napoleonischen Kriege stattgefunden hatten, waren nicht ausreichend gewesen , ihr jene in genügendem Maße zu geben , die an sich vortrefflichen Fingerzeige für die Verwendung und Führung der Waffe , welche die „ Allerhöchsten Verordnungen über die größeren Truppenübungen rom Jahre 1861 " * ) gaben, setzten jene Sicherheit in der Verwendung taktiſcher For men, ſo wie diese selber voraus , und so blieb eine unausgefüllte Lücke zwischen dem Exercir - Reglement , welches mit den Exercir- Formen der Brigade schles und den in den Verordnungen enthaltenen Fingerzeigen. Ebenso wenig stand die organisatorische Gliederung fest , in der solche größeren Reiter- Körper ver wendet werden sollen, dieselbe trat daher der Waffe im Augenblicke ihrer kriege rischen Verwendung als etwas nach jeder Richtung hin vollständig Neues ent gegen. Diese selber war durch die Vertheilung bei den Heeres -Divisionen, durch ihre hieraus sich ergebende Verwendung in ausschließlich kleineren Abtheilungen taktiſch ſo zu sagen infanteriſirt. Nicht so ihrem Geiſte nach , der von den alten ruhmreichen Ueberlieferungen zehrend, von Zeit zu Zeit neu angeregt durch

*) Vergleiche weiter unten.

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schriftstellerische Erscheinungen und die oben bereits angedeuteten Uebungen , ge tragen durch einzelne hervorragende Generale, unter denen vor Anderen der General - Feldmarschall Graf v . Wrangel , General der Cavallerie v. Schrecken stein und Seine Königliche Hoheit der Prinz Friedrich Carl zu nennen sind, in ihr die Fähigkeit lebendig hielt , sich in die Formen , welche ihr für die kriege rische Verwendung gegeben wurden und die ihrer Eigenart durchaus entſprachen, raſch hinein zu leben , in ihnen im Durchschnitt Befriedigendes , in einzelnen Fällen Tüchtiges zu leisten. Doch die Waffe felber fühlte, daß diese günſtigen Ergebniſſe zum Theil auf Rechnung der geringen Leistungen der gegnerischen Reiterei zu schreiben seien, sie daher einer gründlicheren organisatorischen und taktischen Vorbereitung für dieſe ihre eigentliche Verwendungsweise bedürfe. Hatte sich ihr Geiſt frisch und lebendig erhalten an den Erinnerungen aus den Zeiten ihres höchsten Glanzes , so waren es auch diese , auf welche man nunmehr zurückgriff, um an der Hand der selber gemachten Erfahrungen ſich über die Grundsätze klar zu werden , welche für die Verwendung und Führung größerer Reiter- Körper maßgebend sein müssen. Es traten hiebei zunächst drei Fragen in den Vordergrund , bezüglich der Stärke, der inneren Gliederung und der taktischen Formen für die Verwendung dieser Körper. Bei Beantwortung der ersten dieser drei Fragen , nach der Stärke, machten sich vornehmlich drei Gesichtspunkte geltend : die Reiter-Körper mußten in dieser Stärke die genügende Kraft finden, um eine Gefechtsphaſe ſelbſtſtändig durchführen zu können , sie mußten dabei eine große Beweglichkeit behalten, und durften endlich nur so stark sein, daß die für sie zur Verfügung stehende gesammte Reitermasse des Heeres derartig auf sie vertheilt werden konnte, daß sie der ihr zu stellenden strategischen Aufgabe gewachsen blieb. Die Er fahrungen des letzten Feldzuges hatten nämlich dargethan, daß für die Löſung dieser Aufgabe eine einheitliche Leitung jedes einzelnen bei derselben betheiligten Körpers erforderlich ſei , dieſe ſich aber nur geltend zu machen vermöge , wenn der Befehl im Laufe eines Tages von einem Flügel der vordersten Beobachtungs linie bis zum andern zur Ausführung gelangen könne. Hiemit waren die ört lichen Grenzen gegeben für den Thätigkeitskreis eines jeden dieser Körper , die sich auf vier bis höchstens sechs Meilen nach der Breite, zwei Meilen nach der Tiefe feſtſtellten. Brachte man dies in Beziehung auf die Front - Ausdehnung der Heere, welche strategisch gedeckt werden sollten, und zu der für diesen Zweck verfügbaren Reitermasse, so ergab es sich, daß eine Stärke von sechs Regimen tern die angemeſſenſte ſei , um allen den Anforderungen zu genügen , welche an eine selbstständige Reiter - Division nach den heutigen taktischen und strategischen Verhältnissen gestellt werden. Eine solche Division mit der entsprechenden An zahl reitender Batterien, hat genügende Gefechtskraft , ist leicht beweglich , ohne Schwierigkeit durch einen Führer zu leiten, vermag einen entsprechenden Abſchnitt aufzuklären und zu decken. Bezüglich der zweiten Frage nach der inneren Gliederung stehen sich zwei verschiedene, bis jetzt noch nicht vollkommen ausgeglichene, Auffaſſungen gegen über. Die Einen halten die Eintheilung in zwei Brigaden zu je drei Regi mentern, von denen je zwei leichte, je eines schwer sein sollen, für die beste; Andere sind der Ansicht, daß drei Brigaden zu je zwei Regimentern vorzuziehen jeien, wobei zwei Brigaden nur aus leichten, eine nur aus schweren Regimentern zu bestehen hätten. Jene machen für ihre Auffassung geltend, daß Brigaden zu drei Regimentern taktisch selbstständiger seien, bei Entsendungen einzelner Regi

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menter noch eine genügende Gefechtskraft behielten, für die eigentliche Attacke eine größere Anzahl von Säbeln zur Verwendung brächten. Diese führen da gegen an, daß die Gliederung in drei Brigaden der taktischen und strategischen Verwendungsweise einer Division mehr entspräche, da die Dreitheilung, welche diese Verwendungsweise erfordere von vornherein organiſatoriſch gegeben sei, hierdurch der Trennung der Brigaden in ſich und somit einer Menge von Un zuträglichkeiten und Reibungen vorgebeugt sei, welche bei einer solchen Trennung nicht zu umgehen sind; daß erfahrungsmäßig mehr als zwei Regimenter in Front auf dem Gefechtsfelde nicht durch einen Mann zu führen seien, daher das bei einer Brigade zu drei Regimentern vorne oder im zweiten Treffen eingetheilte dritte Regiment sehr dald der Einwirkung des Brigade Commandeurs entschlüpfe und somit doch nur die Brigade zu zwei Regimentern zu Geltung komme; daß es sich ja nicht darum handele, taktisch selbstständige Brigaden, sondern dergleichen Divisionen aufzustellen, in denen jene nur als Glieder zu evolutioniren , nicht zu manövriren hätten , welch Letzteres lediglich Sache der Division sei. Diese Frage nach der inneren Gliederung der Reiter- Divisionen , spielt jedoch , wie schon die obigen kurzen Andeutungen ergeben haben werden, jo wesentlich in das Gebiet der dritten Frage, nach den besten taktischen Formen, mit hinüber, daß sie beide nur in enger Beziehung zu einander ihre rell kommene Lösung zu finden vermögen. Für diese taktischen Formen aber ſtellten sich sehr bald die Grundsätze der dreifachen Treffen-Gliederung , welche in der Fridericianischen Verwendungsweise zur Geltung gelangten, als noch in voller Kraft bestehend heraus . Das erste Treffen für den ersten und eigentlichen Stoß , das zweite zu dessen mittelbarer und unmittelbarer Unterstützung , das dritte zum Rückhalt für Beide bestimmt. Für den eigentlichen Angriff auf In fanterie ergab es sich als geboten , die attackirenden Treffen oder deren einzelne Staffeln sich unmittelbar einander folgen zu lassen, damit die hinteren den ver deren nachhauen, die Reste der im Falle des Gelingens zunächst nur über rittenen Infanterie völlig vernichten oder doch kampfunfähig machen könnten. Bei dem Angriffe auf Reiterei wurde eine Ueberflügelung der folgenden Treffen für nöthig erachtet , um unvorhergesehenen Flanken-Bewegungen des Gegners entgegentreten , den Angriff des eigenen ersten Treffens von der Flanke ber unterstützen, bei ungünstigem Erfolge dieses Angriffes das genannte Treffen ent lasten zu können. Was nun die Gliederung betrifft , in welcher die vor und während jener Angriffe erforderlichen Verſchiebungen der einzelnen Treffen ſtatt zu finden haben, so ergab sich hierfür, wie bereits weiter oben bei Besprechung des Exercir- Reglements erwähnt, die Colonne und zwar im Besonderen die Escadrons-Colonne mit ihren verschiedenen Wechselgestaltungen, als die ge= eignetste Form für alle bis zur Entwickelung der Linie erforderlichen Bewe gungen, es ergab sich ferner, daß diese Entwickelung so spät als möglich statt zu finden habe, weil alle Bewegungen in der Linie am schwierigſten ausführbar sind, sie sich der Bodengestaltung schwer anschmiegt nnd den meisten Verluſten ausgesetzt ist. Alle diese Fragen und Erwägungen traten an die Cavallerie- Comission heran, welche im März 1873 unter Vorsitz des Generals der Cavallerie Grafen zu Stolberg-Wernigerode in Berlin vereinigt wurde, und aus deren Be rathungen die oben bereits erwähnte Bewaffnung der Reiterei mit weit tragenden Schußzwaffen, die Umarbeitung des ersten Theiles der Reit - Instruction , die Neubearbeitung des Exercir- Reglements unter Einfügung eines Abschnittes über

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die Treffenverwendung und einige Abänderungen in der Ausrüstung, als erste Ergebnisse an die Oeffentlichkeit traten. Es kam nunmehr darauf an, die in jenem Abschnitte des Exercir - Re glements in ihren allgemeinen Umriſſen gegebenen Formen praktiſch zu prüfen und demnächst weiter zu entwickeln, bestimmter zu gestalten. Zu diesem Zwecke fanden im Laufe des Sommers 1873 im Bereiche des Garde- , IV. und IX. Armee-Corps größere Reiter - Uebungen statt. Bei diesen Uebungen,*) zu denen mit Ausnahme der Garde- Cavallerie, welche bereits in dauerndem Divi fions-Verbande steht , Divisionen in der Stärke von sechs Regimentern und drei reitenden Batterien zuſammengestellt waren, kam sowohl die Gliederung in zwei Brigaden zu drei Regimentern , als auch in drei Brigaden zu zwei Re gimentern zur Geltung.**) *) Eingehende Berichte über diese Uebungen sind in dem 1. Beihefte zum Militair Wochenblatt für 1874 enthalten. **) Die Ordre de bataille dieser drei Diviſionen war folgende : Garde : Cavallerie - Division : Commandeur : Generallieutenant Graf von Brandenburg II. Generalstabsoffizier : Major von Saldern-Ahlimb. 1. Garde " Cavallerie - Brigade : General-Major v . Krosigk II. Regiment der Garde du Corps, Garde-Cürassier- Regiment. 2. Garde Cavallerie- Brigade : General-Major v. Drygalski. Garde-Husaren- Regiment, 1. Garde-Ulanen-Regiment, 3. Garde Ulanen-Regiment. 3. Garde - Cavallerie - Brigade : General-Major Freiherr v . Loë. 1. Garde Dragoner-Rigiment, 2. Garde-Dragoner-Regiment, 2. Garde-Ulanen- Regiment. Reitende Abtheilung Garde - Feld Artillerie = Regiments , Corps Artillerie: Major von Gräveniß. 1., 2., 3. reitende Garde-Batterie. Das 2. Garde Dragoner-Regiment, das Garde-Cüraſſier , 2. und 3. Garde- Ulanen Regiment, hatten für die ganze Dauer der Uebuug je eine Schwadron an die 2. Garde Infanterie-Division abgegeben ; an die 1. Garde Infanterie- Diviſion war für die Zeit vom 4. bis 6. September , in der die Cavallerie- Diviſion mit derselben gemeinsam manövrirte, das Garde-Huſaren-Regiment abgegeben, welches am 7. September wieder zu der Cavallerie- Division zurücktrat, während nunmehr auch dieses Regiment, so wie das 1. Garde-Dragoner-, 1. Garde-Ulanen und Garde du Corps-Regiment je eine Schwadron an die lehtgenannte Garde-Infanterie- Division abgaben. Cavallerie - Division des IV. Armee Corps : Führer: General-Major von Schmidt, Commandeur der 7. Cavallerie-Brigade. 1. Brigade : Oberst v. Larisch, Commandeur des Magdeburg. Cüraſſier-Reg. Nr. 7. Magdeburgisches Cüraſſier-Regiment Nr. 7, Altmärkiſches Ulanen-Regiment Nr. 16. 2. Brigade : Oberst v. Schleinik, Commandeur des Westphäl. Dragoner-Reg. Nr. 7. Westphälisches Dragoner Regiment Nr. 7, Magdeburgisches Husaren- Regiment Nr. 10. 3. Brigade: Oberst von Winterfeldt, Commandeur der 8. Cavallerie-Brigade. Thüringisches Husaren Regiment Nr. 12, Magdeburgisches Dragoner- Regiment Nr. 6. Reitende Abtheilung des Magdeburgischen Feld Artillerie - Regi : ments Nr. 4, Corps - Artillerie : Major Sieber. 1., 2., 3. reitende Batterie. Außerdem attachirt: die 1. Comp. Magdeburg. Pionier - Bataillons Nr. 4 : Hauptm. Diener, nebst dem Avantgarden-Brückentrain. Die vier Regimenter der 1. und 2. Brigade entstammten der 7., die beiden Regi menter der 3. Brigade der 8. Cavallerie-Brigade. Sämmtliche Regimenter waren zu 5 Schwadronen.

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Bei den Uebungen in der erstgenannten Gliederung zeigte es sich, daß die Brigaden stets das Bestreben hatten, in die Breite zu gehen, anstatt sich nach der Tiefe zu gliedern , selbstständig zu handeln , anstatt sich als Theile der Division zu fühlen und ein und demselben Ziele entgegen zu streben. Die taktische Theilung in drei Treffen wurde erschwert , durch dieselbe aber, da sie nicht zu umgehen ist, wurden die ursprünglichen Commando Verhältnisse zerriſſen, bei den nunmehr nothwendig werdenden Abcommandirun gen einzelner Regimenter, sei es als Avantgarde, sei es als drittes Treffen, wurde die Befehlsführung beeinträchtigt , da die Brigade Commandeure im Zweifel darüber blieben, in wie weit sie noch für dieſe abcommandirten Regi menter verantwortlich wären , diese wiederum oft plötzlich aus ihrem taktischen Verbande gerissen und zu selbstständigem Handeln berufen, ohne in ausreichen der Weise über ihre Pflichten instruirt werden zu können , verfehlten wiederholt die ihnen gestellten Ziele, erreichten den beabsichtigten taktischen Zweck nicht. Die Entwickelungsfähigkeit der Division erwies sich als beeinträchtigt , da jede Brigade naturgemäß das Bestreben hatte, zusammenzubleiben , beim Anmarsche zum Gefechte nur eine Straße zu wählen ; hierdurch wächst aber die Tiefe der Colonnen, mit dieser die Länge der Aufmarschlinien , und werden somit für die Entwickelung mehr Zeit und Kräfte in Anspruch genommen , als bei mehreren kleinen Colonnen , von denen jede ein Treffen darſtellt. Es stellte sich ferner heraus, daß die Uebersichtlichkeit und Evolutionsfähigkeit der Brigaden bei einer Zusammensetzung aus drei Regimentern leidet, da dieselben nur noch schwer durch ein einheitliches Commando und Signal zu bewegen sind, die bloße Leitung an Stelle der persönlichen und unmittelbaren Führung treten muß, welche lettere für eine rasche und sichere Verwendung der Treffen eine unerläßliche Bedingung ist. Die Gliederung in drei Brigaden zu zwei Regimentern stellt von vorne herein die nothwendige Eintheilung in drei Treffen, als auch die in Avantgarde, Gros und Reserve dar, sie erleichtert dadurch wesentlich die Lösung sowohl der taktiſchen als strategischen Aufgaben, macht die Diviſion handlicher und beweg licher für die Märsche, für die Entwickelung und auf dem Gefechtsfelde, begün stigt umfassende Unternehmungen in des Gegners Flanke und Rücken, vor Allem aber giebt sie ihr die Fähigkeit durch einfache Frontveränderungen dem Gegner nach jeder beliebigen Richtung hin in gleicher Gefechtsbereitschaft und Gliederung entgegenzutreten und dies ist für die heutigen taktiſchen Ver hältnisse, unter denen eine Reiterdiviſion zur Thätigkeit berufen werden kann, eine der wichtigsten Forderungen. Cavallerie- Division des IX . Armee- Corps. Führer: General Lieutenant Freiherr v. Schlotheim , Commandeur der 17. Diviſion. Generalstabsoffizier : Major von Schönfels. 17. Cavallerie - Brigade: General - Major von Rauch. 1. Mecklenburgisches Dragoner- Regiment Nr. 17, 2. Mecklenburgisches Dragoner- Regiment Nr. 18, Hannöversches Husaren Regiment Nr. 15. 18. Cavallerie: Brigade : General-Major von Lüderiz. Schleswig-Holsteinisches Husaren-Regiment Nr. 16, Schleswig-Holsteiniſches Dragoner-Regiment Nr. 13, 2. Hannoversches Dragoner Regiment Nr. 16. Reitende Abtheilung Schleswig Holsteinischen Feld - Artillerie - Ne giments Nr. 9, Corps - Artillerie ,: Major Bode. 1., 2., 3. reitende Batterie. Das Dragoner-Regiment Nr. 16 war für die Zeit der Uebungen aus dem Bereiche des X. in den des IX. Armee - Corps abcommandirt. Sämmtliche Regimenter waren zu 5 Schwadronen.

Entwickelung der Reiterei.

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Geht z. B. eine Reiterdivision in nachstehender Gliederung gegen einen in der Richtung von A. erwarteten Gegner vor: A.

LL 1. Treffen in Linie.

150 X 300 X 450 X

2. Treffen in Escadrons Colonne.

3. Treffen in zusammengezogener Colonne. und es stellt sich im Laufe der Bewegung heraus , daß man sich über dessen Anmarschrichtung getäuscht habe, sein Stoß von B. her geführt werde , so be darf es nur des Avertissements an die Treffenführer : „ die Division soll mit Treffen rechts schwenken, das zweite Treffen wird erſtes , das erste zweites, das dritte bleibt in seinem Verhältnisse" und Alles ist gemacht: A.

INTE

LE ALニト ATTE

Ursprünglich Stellung. Evolutionen e zur Aus führung der befohlenen Schwenkung. Stellung nach ausgeführ ter Schwenkung .

HITE ITTE

Treffen 2. entwickelt nach sich rechten der Flanke dLinie ,1.in ie an das bisherige Treffen abgegeben en Un terſtüßun chwadr gs rS.Treffen eein ,.- süden wird 1.

1. Treffen entwickelt 4 Schwadr. in Esc. Colon. nach d. rech tenFlügel, läßt 2 Schwd. in der lint. Flanke, sen det 2 Schwadr. als Un terstützungs-Schwd. zum nunmehrigen 1. Treffen, gebt auf 300 × an daf selbe beran und wird 2. Treffen.

800x WHY

UU

300*

: B

450X

HD

100

ብዙ

450* 3. Treffen schwenkt mit dem rechten Flügel Ngint. in Colon. rechts mit dem link. Flügel Rgmt. mit Zügen umkehrt, dann in Colonne links , die beiden Regimenter gehen bis auf Treffen Abstand an das erste Treffen heran und schließen dabei an einander.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Das ehemalige zweite Treffen ist als nunmehr erstes in rajchester Weise nach der neuen Front in Linie entwickelt , das vormals erste Treffen nimmt in entsprechender Weise die Gliederung des zweiten an , überflügelt nach der Seite hin , von welcher der Gegner bisher erwartet wurde , die daher auch wohl weiter als nicht angelehnt zu betrachten ist, das dritte Treffen ändert nur seine Front und behält sein Verhältniß auf der inwendigen angelehnten eder sonst nicht gefährdeten Flanke bei , und es ist somit leicht und ohne Zeitverlust eine Bewegung ausgeführt, welche für eine in zwei Brigaden zu je drei Regi mentern gegliederte Diviſion, einen bei weitem größeren Aufwand von Com mandos, Instruction, Bewegungen und Zeit erfordert, dabei doch noch in ihrem Gelingen fraglich bleibt , da nicht nur eine veränderte Stellung der einzelnen Treffen zu einander, sondern auch eine ganz neue taktische Zusammensetzung derselben nothwendig wird. Für eine derartige Ausführung solcher Evolutionen ist es freilich erforder lich, daß jede einzelne Brigade genau damit vertraut ist , was sie in den ver schiedenen Treffenverhältnissen zu thun hat , welche Bewegungen von ihr aus zuführen sind , um sich auf dem kürzesten Wege in das augenblicklich von ihr geforderte Verhältniß zu setzen. Die Formen für diese Treffenverhältnisse , die verschiedenen Bewegungen , welche Behufs ihrer Annahme auszuführen sind, müssen daher bestimmt festgestellt, durch gründliche Uebung Eigenthum jedes einzelnen Gliedes der Division geworden sein. Dies ist jedoch nur dann zu erzielen , wenn diese Uebung bereits bei der Schwadron beginnt , dieselbe ihre erste Ausbildung bereits im Hinblicke darauf erhält , daß sie bestimmt ist , der einst als Theil eines Treffens in der Diviſion aufzutreten. Auf der gründliden, bewußten Durchbildung der Schwadronen beruht die Sicherheit , ja gradezu die Möglichkeit des Evolutionirens der Division , hierauf aber wiederum die Fähigkeit dieser Letzteren, mit Geſchick und Aussicht auf Erfolg zu manövriren, d. h. sich geschlossen mit zusammengehaltener Kraft rasch und möglichſt unent deckt auf denjenigen Punkt des Gefechtsfeldes zu begeben, an dem oder von dem aus sie, durch geschickte Entfaltung ihrer Kräfte , eine möglichst vernichtende Wirkung auf den Gegner auszuüben vermag. Hierin aber beruht der wesent liche Unterschied zwischen der Verwendung eines größeren Reiterkörpers nach Fridericianischer und Napoleonischer Weise und zwischen der Verwendung , wie dieselbe sich bei uns in Folge der weiter oben bereits beregten organiſatoriſchen Zersplitterung der Reiterei herausgebildet hatte und auf den Schlachtfeldern des letzten Feldzuges zur Entscheidung kommend, hier wohl Hauptgrund dafür war, daß nicht das geleistet oder vielmehr erreicht wurde , was hätte erreicht werden können. Sollte das Manövriren einer Reiter-Division darin seinen Ausdruck finden, daß die einzelnen Glieder derselben, die Treffen, von vornherein auseinandergezogen werden, um von verschiedenen Punkten aus auf gesonderten Wegen ein gemein sames Ziel zu treffen, dann würde die Division aufhören, ein einheitlich geleiteter Körper zu sein, würde die Kraft, welche hierin beruht, freiwillig aus der Hand geben und in eine Anzahl selbstständiger Brigaden zerfallen , deren gemeinsame Wirkung mehr oder minder dem Zufalle anheimgegeben ist . Auf dem friedlichen Uebungsfelde , deſſen Bodengeſtaltung man kennt , auf dem das plötzliche Auf treten bisher nicht erkannter feindlicher Abtheilungen ausgeschlossen ist , ist die legt angeführte Verfahrungsart wohl ausführbar, treten ihre Nachtheile nicht so klar hervor, kann sie sogar ein an die Bewegungen größerer Reitermaſſen nicht gewöhntes Auge durch den Anschein höherer Beweglichkeit, größerer Kriegsmäßig

Entwickelung der Reiterei.

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keit täuschen. Vor dem Feinde jedoch, in ganz unbekanntem oder doch nur flüchtig erkanntem Gelände , einem Gegner gegenüber, der seiner Stärke und Stellung nach nur sehr im Allgemeinen bestätigt ist, liegt die Sache anders . Denkt man sich z. B. eine Reiter - Diviſion von einem entfernteren Punkte aus mit ihren drei Treffen auf getrennten Wegen gegen eine feindliche Abtheilung vorgehend, welche angegriffen werden soll , so wird es nothwendig sein, daß die Treffen gedeckt heran zu kommen suchen , um die Möglichkeit der Ueberraschung nicht aus der Hand zu geben , sie werden in Folge deſſen die Bodengeſtaltung aus nügen, um ihren Anmarsch dem Auge des Gegners zu entziehen, wobei aber gar leicht die Verbindung der einzelnen Treffen untereinander verloren geht. Wird nun eins dieser Treffen in solchem Augenblicke der Vereinzelung über raschend angegriffen und in ein Gefecht verwickelt , so büßt es nicht allein die Unterstützung der anderen Treffen ein , es kann auch nicht rechtzeitig mit den ſelben den vorausgesetzten Vereinigungspunkt erreichen und somit ist der Erfolg dort , wo er ursprünglich angestrebt wurde , die Gemeinsamkeit der Wirkung, welche doch der Hauptzweck bei Bildung größerer Reiterkörper bleibt , in Frage gestellt. Einen ähnlich störenden Einfluß kann ein vorher nicht bekanntes Boden hinderniß üben. Dies sind nicht Gebilde der Phantasie, sondern Beispiele , welche leicht durch zahlreiche Fälle, deren uns die Kriegsgeschichte überliefert hat, belegt wer den können .

?

Į

Eine geschlossen vorgehende Division, welche sich erst kurz vor dem Angriffs gegenstande entfaltet , entgeht dieſen Zufälligkeiten , indem sie stets in der Hand ihres Führers, je nach dessen Urtheil und Entschluß als Ganzes oder mit einem ihrer Theile dem Feinde entgegenzutreten vermag, wobei namentlich die Fähigkeit einer raschen Frontentwickelung nach allen Seiten , welche nur bei geſchloſſenem Vorgehen aufrecht zu erhalten ist , sich in ihrer vollen Bedeutung geltend machen wird. Man werfe einen Blick auf die Art und Weise der alten Meister in der Kunst, Reiterei zu führen, und man wird sich überzeugen, daß sie stets geſchloſſen herankamen und erst kurz vor dem Gegner ihre Treffen entfalteten. Für eine derartige Verwendung der Reiter - Divisionen ist aber wiederum der Fortfall des Begriffes der Inversion ein nothwendiges Erforderniß ; jede Front, jede Aneinanderreihung der einzelnen Schwadronen ist die richtige, jedes Treffen, und in diesem wieder jede seiner Unterabtheilungen müssen ohne Bedenken mit der Sicherheit des Exercirplates ihre Stelle in der augenblicklich erforderlichen Front zu finden und auf dem kürzesten Wege zu erreichen wissen; diese Wege aber sind in den bei weitem meisten Fällen die schrägen Linien , die Bewegung in den verschiedenen Halbcolonnen so wie in anderen Gliederungen auf der Diagonale muß daher der Truppe zur anderen Natur werden. In der raschen und geschickten Vereinigung aus verschiedenen Anmarſch richtungen nach dem Gefechtsfelde , dem geschlossenen Vorgehen auf_demſelben gegen den eigentlichen Angriffspunkt , dem schnellen und sichern Entfalten kurz vor demselben, beruht die Kunst der Führung einer Reiter-Division, die Sicher heit ihres Erfolges ; ein selbstständiges Manövriren ihrer einzelnen Treffen hin gegen führt in den bei weitem meisten Fällen zur Zersplitterung und mit dieser zu Mißerfolgen , jedenfalls aber schließt es die unmittelbare persönliche Einwir kung des Divisions-Commandeurs aus ; es kann nicht mehr von einheitlicher Führung , kaum noch von einer oberen Leitung die Rede sein. Dies waren im Großen und Ganzen die Ergebnisse der Uebungen des

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Jahres 1873. Auf Grund derselben wurde im Laufe des folgenden Winters und Frühjahrs durch eine Commission, bestehend aus den General-Majors von Schmidt und Freiherrn von Loë und dem seither leider verstorbenen Major im Generalstabe von Schönfels , der Abschnitt V. des Exercirreglements, welcher von der Treffenverwendung handelt, einer neuen Bearbeitung unterzogen, welche unter dem 4. Juni 1874 die Genehmigung Seiner Majestät des Kaisers erhielt und demnächst den Truppen zur versuchsweisen Einführung zuging. Von der Eintheilung einer Reiterdivision in drei Brigaden zu je zwei Re gimentern ausgehend, stellt dieſe Neubearbeitung des Abſchnittes V. zunächſt die allgemeinen Grundsätze auf, welche für die Verwendung dieser Brigaden als Treffen zu gelten haben , geht dann auf die Bestimmung , Formation und Auf gaben jedes einzelnen dieſer Treffen ein , behandelt die verſchiedenen Arten der Attacke, giebt Bestimmungen für das so überaus wichtige Sammeln und Ver folgen, Fingerzeige für die Verwendung der Artillerie, Anweisungen für die ver schiedenen Evolutionen , welche bei der Verwendung der Treffen zur Sprache kommen und schließt mit leitenden Grundsätzen und Bestimmungen für die Friedensübungen einer Reiterdivision in der Treffenverwendung. Der knappen reglementarischen Form sich nach Möglichkeit anschließend, vermeidet die Neubearbeitung des Abschnittes V. in sehr glücklicher Weise die, ost wohl doch ein wenig zu große , Trockenheit unseres Cavallerie- Exercirregle ments, indem sie nicht nur das was und wie , sondern auch das warum , den endlichen Zweck des Geforderten giebt und so den Leser in den nothwendigen Zuſammenhang der Formen und Geſtaltungen hineinführt , deren Ausführung von ihm gefordert wird. Sie kommt hierdurch den noch heute unerreichten Instructionen Friedrichs des Großen nahe, die bei ihrer Bearbeitung als Muſter gedient haben. Für die dreifache Gliederung der Brigaden in Treffen eine Normalſtellung gebend , in welcher die eine dieser Brigaden ― in der Regel die schwere, wenn ――― eine solche bei der Division vorhanden ist das erste Treffen bildet , eine andere diesem auf 300 Schritte Abstand als zweites Treffen , je nachdem rechts oder links überflügelnd , folgt , die dritte 450 Schritte hinter dem Flügel des ersten Treffens , den die Stellung des zweiten offen läßt , das dritte bildet , sagt die Neubearbeitung des Abschnittes V. über diese Normalſtellung:*) ་་་ Diese Gliederung gestattet die nachhaltige, sich steigernde und doch ,,ökonomische Verwendung der Kräfte, vorausgesetzt, daß die Division davor be ,,wahrt bleibt , durch Detachirungen zerrissen und dadurch ihrer vollen cen ,,centrischen Wirkung beraubt zu werden. Jedes Treffenglied (Brigade) iſt ſtark ,,und beweglich genug, um der ihm zufallenden Aufgabe gewachsen zu ſein. " "1. ... Diese Gefechtsordnung entspricht allen Anforderungen der Treſſen ,,Taktik. Sie gestattet nach rechtzeitiger Recognoscirung des Feindes, den Haupt " ,,stoß auf seine Schwächen zu richten, durch das zweite Treffen je nach Um ,,ständen diesen Stoß auf Flanke und Rücken des Feindes zur Sicherung der ,,Entscheidung zu verstärken, etwa entstehende Lücken auszufüllen, Schwankungen ,,zu beseitigen, oder die Flankenangriffe der feindlichen Reſerven abzuweiſen." ,,Die Bereitschaft des dritten Treffens macht es endlich möglich , allen ,,Wechselfällen des Reitergefechtes entgegenzutreten , aus der Tiefe die Krafte „ ſparſam zu verausgaben und die letzte intacte Escadron in die Wagſchale des *) Abschnitt V. des Neuabdrucks des Exercirreglements für die Cavallerie vom 9. Ja nuar 1873. Neubearbeitung zur verſuchsweisen Einführung. Allerhöchſt genehmigt den 4. Juni 1874. Seite 6 und 8.

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,,Sieges zu werfen. Der Angriff und die Verfolgung , sowie die Unterstützung ་་ zur Entscheidung , zur Abwehr , oder zur Wiederherstellung ungünstiger ―― !! Gefechtsverhältniſſe sind durch die Treffenformation und deren Gebrauch ,,gleichmäßig sicher gestellt. " Die besondere Aufgabe jedes dieſer drei Treffen gestaltet sich nun dahin, daß das erste derselben vornehmlich für den ersten Stoß , den unmittel baren Einbruch in den Feind beſtimmt ist. So lange als irgend thunlich in Escadrons-Colonne verbleibend und sich nur im letzten Augenblicke für die eigentliche Attacke in Linie entwickelnd , hat es diese Attacke vornehmlich gegen die Schwäche des Gegners zu richten , welche bei allen Truppengattungen und -Stellungen in der Flanke zu suchen ist. Kann dieſe günſtige Lage gewonnen werden, indem man sich dem Gegner gedeckt nähert und überraschend über ihn herfällt , so ist dies eine überaus günstige Vorbereitung für den Sieg , anderen Falls muß dieselbe durch ein geschicktes Evolutioniren angestrebt werden , wofür die Escadronscolonne in Verbindung mit der Zugcolonne die am meisten geeignete Bewegungsform ist, da sie sich am leichtesten jeder Bodengeſtaltung anschmiegt, große Elasticität und Entwickelungsfähigkeit hat und in ihren schmalen leicht verſchiebbaren Colonnen von geringer Tiefe dem feindlichen Feuer verhältnißmäßig kleine Treffgegenstände darbietet. Das zweite Treffen hat die Bestimmung , dem ersten als mittelbare und unmittelbare Unterstützung zu dienen , ihm Rücken und Flanken frei zu halten, feindlichen Flankenangriffen rechtzeitig entgegen zu treten, in seine Angriffe ver stärkend einzugreifen, es bei ungünstigen Gefechtsverhältnissen durch Stöße gegen die Flanke und in den Rücken des verfolgenden Gegners zu entlasten. In Lösung dieser Aufgaben wird es das erste Treffen nach der vornehmlich gefährdeten Seite hin überflügeln, einzelne Schwadronen demselben unmittelbar folgen lassen, um entſtehende Lücken auszufüllen , etwa durchbrechende feindliche Abtheilungen zurück zu weiſen, im Uebrigen aber in Escadronscolonnen oder zusammengezogener Colonne mit Entwickelungsabstand den Bewegungen des ersten Treffens seinem Zwecke entsprechend folgen , jeden Augenblick bereit , sich ganz oder theilweise zu entwickeln. Da diese Entwickelungen in den meisten Fällen in seitwärts aus holender , den Gegner umfassender Form zur Ausführung kommen müssen, sind es die Bewegungen auf der schrägen Linie, welche sich hierbei vornehmlich geltend machen. Die Aufgabe des zweiten Treffens ist die bei Weitem schwierigste, da in ihm vornehmlich die Evolutionsfähigkeit der Truppe zum Ausdrucke gelangen muß. Uebereilung ist hier ebenso fehlerhaft als Verspätung , daher müſſen bei seEner Führung kaltes Blut, rascher Blick, schnelle Entschlossenheit, Sicherheit in Handhabung der Truppe , mit einem Worte Charakter und Uebung in hohem Maße vertreten sein , von einer gründlichen Durchbildung der Truppe unterſtüßt werden. Hier ist das Feld , wo auch die hervorragendste Begabung eine ihrer würdige Aufgabe und Verwendung findet, auch ohne weit angelegte und aus holende sogenannte geniale Manöver , die nur zu häufig der Ausfluß einer un zureichenden Befähigung für sichere und bestimmte Führung sind . Hier muß geführt werden und zwar ebenso gewandt als energisch , sonst geht die Sache nicht. Diese beiden Treffen, das erste und das zweite, bilden die zwar in ſich selbstständig gegliederte, aber doch für gemeinsames Wirken bestimmte untrennbare eigentliche Kampfesgruppe, zu der das dritte Treffen in das Verhältniß einer für alle Wechselfälle des Gefechts stets bereiten Reserve tritt:

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Militairische Jahresberichte für 1874.

,,Dieses Treffen ist", heißt es im Abschnitt V. , *) ,,das natürliche Depot ,,für alle Verstärkungen, die bei den übrigen Treffen nöthig werden, und hat die ,,Bestimmung , etwaige Unglücksfälle wieder auszugleichen. Grundregel iſt , daß ,,dasselbe niemals ganz verwandt werden darf, sondern, daß immer noch ein Theil ,,desselben intakt zur Disposition des Divisionsführers für die letzte Entscheidung ,,bleiben muß." Aus diesem Treffen werden außerdem alle erforderlichen Entsendungen ent nommen. Eine möglichst weit hinaus vorgreifende Erkundung der Bodenbeschaffen heit , eine möglichst frühe Erkennung der feindlichen Bewegungen sind wesent liche Erfordernisse einer zweckentsprechenden und erfolgreichen Verwendung grö Berer Reiterkörper ; die in Front und Flanke entsendeten Eclaireurs und Ge fechts-Patrouillen , welche nach Anleitung des Abſchnittes V. jedes Treffen ohne besonderen Befehl zu entsenden hat, tragen diesem Bedürfnisse Rechnung. Von der eigentlichen Attacke sagt der mehr beregte Abſchnitt** ) : „ Sie iſt „ das Lebenselement der Cavallerie und die Spitze der ganzen Ausbildung. Alle übrigen Evolutionen sollen nur dazu dienen, die Attacke günstig vorzubereiten." Sie muß geschlossen und vehement geritten werden, gegen Reiterei in ſchräger Richtung auf Front und Flanke, um zu überflügeln und zu umfaſſen , gegen Infanterie muß sie Flanke und Rücken fassen und Staffel auf Staffel hinter einander die in Rede stehende Abtheilung des Gegners treffen : „Das erſte „Echellon", lesen wir in Abschnitt V. ,***) „ überreitet den Feind , die folgenden ,,Echellons machen nieder, was von den vorderen Echellons verschont geblieben ,,oder wieder aufgestanden ist , um den ersteren in den Rücken zu feuern, und „beuten den Erfolg durch Aufsammlung von Gefangenen aus. Abtheilungen „des zweiten Treffens sichern die Flanke gegen Ueberraschungen durch feindliche „Cavallerie. " Es tritt vielfach die Ansicht hervor, daß auch auf Infanterie eine con centrische Attacke mehrerer, von verschiedenen Richtungen gegen sie anſtürmender Abtheilungen die wirksamste sei . Die Erfahrung älterer und neuester Kriege widerspricht dem jedoch, denn die in schräger Richtung gegen Infanterie, jei es in Carre's oder Linie, heranstürmenden Reiter-Abtheilungen gleiten , sobald fie Feuer bekommen , fast stets seitwärts an derselben vorbei , nur der grade Stoß hat Aussicht auf Erfolg, und zwar auch nur dann, wenn mehrere Abtheilungen ihn in derselben Richtung führen. Man hat gegen diese Art des Angriffes ein gewendet, daß die erste Staffel, im Falle ihr Stoß nicht glückt, auf die folgen den zurückfluthend , diese mit sich fortreißzen werde ; dieſe Erscheinung , bei dem Gefechte gegen Reiterei stets eintretend , findet nach den Thatsachen , welche die Kriegsgeschichte berichtet , gegen Infanterie nicht statt , vielmehr jagen hier die jenigen Mannschaften, welche nicht in die Front des Gegners einzudringen ver mochten , seitwärts an demselben vorüber und kehren erst in weitem Bogen wieder zurück, die folgenden Staffeln finden somit den Weg frei. Gegen Artillerie greift eine Abtheilung in aufgelöster Ordnung die Ge schützlinie an , die Division oder ein Theil derselben sucht die Flanke zu ge winnen und nimmt den Kampf mit den deckenden Abtheilungen des Gegners auf. „Der Erfolg einer gelungenen Attacke", sagt Abschnitt V., †) „muß durc

*) **) *** ) †)

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Entwickelung der Reiterei.

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„ die energiſche Verfolgung bis auf das Aeußerste ausgebeutet werden , um den " Feind nicht wieder zum Stehen und zum Sammeln kommen zu lassen. " Diese Nothwendigkeit schließt aber auch eine große Gefahr in sich , nämlich die , daß die gesammte , in das betreffende Gefecht verwickelte Reitermaſſe auf gelöst, plan- und führerlos dem geworfenen Feinde nachstürmt, eine leichte Beute für jede noch so kleine, aber geschlossene Abtheilung derselben, die ihr entgegen tritt. Dieser Gefahr soll durch die Bestimmung begegnet werden, daß nur die Flügelschwadronen der Regimenter verfolgen, während die mittleren Schwadronen sich so schnell als möglich sammeln und den nachhauenden geschlossen als Rück halt folgen , nachgebildet den Anordnungen , welche der große König in Betreff dieſer Verhältniſſe getroffen, die auch er mit höchster Sorgfalt in das Auge faßte. „Planloses Verfolgen ", heißt es in Abschnitt V. ,*) , gefährdet alle er „rungenen Erfolge und führt zu Niederlagen. Es ist nichts nothwendiger in „ einem solchen Augenblicke, als geſchloſſene Abtheilungen in der Hand zu haben, um feindliche Gegenstöße pariren zu können, da Cavallerie niemals schwächer „ ist, als nach einer gelungenen Attacke und bei der Verfolgung. " Alle die in dieſes Fach schlagenden Bewegungen und Gliederungen find überaus schwierig und fordern daher die allergründlichste Einübung, um so mehr, als jeder Reiterangriff, mag derselbe Erfolg haben oder nicht , zu einer Auf lösung führt , welche die Leitung der Mannschaften sehr erschwert ; dieſelben müſſen daher schon bei der Friedensausbildung mit diesen Verhältnissen genau bekannt und ganz vertraut gemacht werden, denn neben der Geschlossenheit im Anreiten zur Attacke ist eine weitere nicht minder unerläßliche Anforderung an jede gute Reiterei, daß sie sich rasch und sicher zu sammeln vermag. Um dieſes Sammeln aber üben zu können, muß eine Auflösung vorhergegangen sein. Ein Zeitpunkt nun, in welchem vor dem Feinde eine derartige Auflösung , wie oben bereits erwähnt , stets und unbedingt stattfindet, ist der Augenblick unmittel= bar nach der Attacke; es empfiehlt sich daher auch die betreffende Friedens Uebung hierher zu verlegen , die Attacken mit einer Nachbildung des Hand gemenges zu endigen, aus dem sich dann die betreffende Abtheilung auf Signal rasch und entschlossen zu weiteren Bewegungen zusammenschließt. ,,Den Dragoners muß auch gejaget werden , " heißt es in dem Reglement „ des großen Königs,**) „ daß man sie beym Exerciren deshalb auseinanderjagen „ liesse, weil man aus der Erfahrung hätte, daß niemals eine Esquadron welche „ einbräche, geschlossen durchkähme, sondern allezeit etwas auseinanderjage, damit sie bey solcher Gelegenheit , wenn der Officier locken ließe , gewohnt wären, ,,wieder bey der Fahne sich anzuschließen. " NB. Des Commandeurs von der Esquadron seine Schuldigkeit iſt, „jedesmal wenn er attaquiret hat, locken zu laſſen, um seine Esquadron ,,wieder zu railliren , damit er im Stande ist , das 2te Treffen , oder ,,wie es sonsten die Umstände mit sich brächten , von neuem zu „attaquiren. " Dieser Ausdruck Fridericiani'scher Erfahrung in der Friedensausbildung sowie für den Ernstgebrauch des Krieges , der so genau das wiedergiebt , was wir in Letzterem selber zu erfahren Gelegenheit hatten, ist wohl maßgebend dafür gewesen , daß man wieder dazu zurückkehrte, nach jeder Attacke „ die Bursche auseinanderjagen" oder wie es bei uns lautet , das Handgemenge üben *) Seite 28. **) Reglement vor die Königl. Preuß. Dragoner - Regimenter 2c. Gegeben und ge druckt Berlin den 1. Juni 1743. Seite 37. 38. 32 Militairische Jahresberichte 1874.

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zu laſſen , trotz mancher Bedenken , die sich , ſelbſt aus reiterlichen Kreiſen , da gegen geltend gemacht haben. Die reitende Artillerie, eine ganz unentbehrliche Genoſſin der Reiter-Divi sionen, die womöglich in solcher Stärke vorhanden sein muß, daß die Zahl der Brigaden und Batterien eine gleiche ist , findet ihre Verwendung , sobald die Division geſchloſſen als einheitlicher Schlachten-Körper auftritt, in entſprechender Weise vereinigt zur Verfügung des Diviſions - Commandeurs, und wird hier bei der Entwickelung zum Gefechte, zur Vorbereitung, mitunter auch zur Begleitung des Angriffes , zur Vervollständigung des Sieges und endlich bei der Verfolgung, zur Thätigkeit gelangen , namentlich aber in den Fällen , in denen der Reiter Division weniger die Aufgabe zufällt , zu fechten, als den Gegner zu erkennen, ihn durch Demonstration zur Entwickelung seiner Streitkräfte zu veranlassen. Sie wird im ersteren Falle ihr Augenmerk vornehmlich auf eine geſchickte Wahl der Stellungen richten müssen , die so zu nehmen sind , daß aus ihnen eine flankirende womöglich längere Zeit andauernde Wirkung erzielt werden kann, auf die es hier vornehmlich ankommt , während sie im letzteren Falle den Haupt nachdruck auf ein gewandtes Manövriren zu legen haben wird. Ihre Sicherung findet sie im Wesentlichen dadurch , daß sie ihre Stellung auf dem Flügel der Reiter- Diviſion nimmt, welcher durch Anlehnung an andere Truppen oder im Gelände am wenigsten gefährdet ist. Ihr eine besondere Be deckung zu geben, muß nach Möglichkeit vermieden werden, da dies stets eine Schwächung der eigentlich fechtenden Abtheilungen mit sich bringt. Ein sehr wesentlicher Punkt in der Verwendung und Führung einer nach vorstehenden Grundsätzen gegliederten und ausgebildeten Reiter- Division , bleikt nun aber die geschickte Entfaltung und Zusammenfaltung ihrer Treffen , deren Fähigkeit, rasch und mit Sicherheit eine neue Richtung einzuschlagen, eine andere Front anzunehmen. In zahlreichen Fällen wird eine Reiter- Diviſion ſich genöthigt sehen , aus verschiedenen Anmarschrichtungen unmittelbar auf das Gefechtsfeld zu treten, es wird hierbei vor Allem darauf ankommen, daß die einzelnen Brigaden sich rasch in dem Treffenverhältniſſe vereinigen, wobei ein einfaches Avertiſſement oder auch nur der bloße Augenschein genügen müſſen , um jede derselben an ihren Platz zu führen. Die zuerst erscheinende Brigade bildet das erste Treffen , ihr folgt die nächste als zweites Treffen auf dem vornehmlich bedroht erscheinenden Flügel, während die zuletzt anlangende Brigade das dritte Treffen bildet. Dieſes Treffenverhältniß herzustellen , bevor eine Berührung mit dem Gegner eintritt, muß das höchste, keiner besonderen Anregung bedürfende Streben jedes einzelnen Gliedes der Division sein, denn in diesem allein beruht die Sicherheit gemein samer Wirkung , begründet auf einheitlicher Führung und rechtzeitiger gegen seitiger Unterstützung. Diese erschwerenden Umstände, unter denen die Annahme der Treſſen gliederung häufig stattfinden muß, sowie die Schwierigkeit, Stärke und Absichten des Gegners früh genug zu erkennen, um hiernach von vorne herein die eigenen Maßnahmen treffen zu können, machen es nothwendig, daß einer Reiter-Division die Fähigkeit inne wohne , die Richtung ihrer Bewegungen rasch und ohne Schwierigkeit ändern , gänzlich neue Fronten annehmen zu können . Jenes geschieht , indem man einer beliebigen Schwadron des Vordertreffens , welde dadurch Richtungs - Schwadron wird , die neue Richtung bezeichnet , wonach sich dann die übrigen Schwadronen dieses Treffens und nach dessen Bewegungen die andern Treffen zu richten haben, während Frontveränderungen entweder dadurch

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bewerkstelligt werden, daß die Treffen jedes an seiner Stelle, dieselben ausführen, wie dies weiter oben ausführlicher dargestellt ist, oder indem eines der hinteren Treffen in die neue Front vorgezogen wird und die anderen sich in das ent sprechende Verhältniß zu diesem sezen. Es erhellt wohl zur Genüge aus den hier nur in großen Zügen wieder gegebenen Verhältnissen, wie nothwendig es ist, daß jedes, auch das letzte Glied einer Reiter-Division genau mit den Anforderungen vertraut sei , welche die Treffenverwendung an dieselbe stellt, daß alle dieſe Glieder aber im engsten Verbande unter einander erhalten werden müssen, wenn es der Führung möglich sein soll, ihre Einwirkung auf dieselben in jedem beliebigen Augenblicke in durch greifender Weise zur Geltung zu bringen. Dieses ist aber nur zu erreichen, wenn die Friedens -Uebungen von der Schwadron aufwärts stets im Hinblicke auf die Verwendung im Treffenverhältnisse und mit dem Bewußtsein ausgeführt werden, daß jeder Schwadron , jedem Regimente , jeder Brigade jede beliebige Rolle in dem Treffenverbande zufallen kann, sie daher vollkommene Sicherheit in jeder dieser Rollen zu erwerben haben ; wenn die Uebungen der Divisionen selber sich, soviel als dies die friedlichen Verhältniſſe irgend zulaſſen, der kriege rischen Wirklichkeit entsprechend gestalten. Hierfür ist aber ein Haupterforderniß, daß sie allem dem fern bleiben, was unter den Begriff der bloßen Abrichtung, der Paradevorstellung fällt. Der Abschnitt V äußert sich hierüber in folgender Weise :*) „Die Uebungen der Cavallerie, sowohl in kleineren als in größeren Ver „bänden, werden nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie unter strenger Beach „tung der festen, maßgebenden Grundsäße und im steten Hinblicke auf die Erfahrungen und die Anforderungen des Krieges systematisch betrieben und „geleitet werden. „Vornehmlich gilt dies von den Uebungen in dem größten cavalleriſtiſchen Verbande, der Division. Dieselben werden nur dann nußbringend für Truppen und Führer sein, wenn ihre Leitung von frischem cavalleristischem Geiste „durchweht ist, und dabei unausgesetzt den Ernstfall zur alleinigen Richtschnur "ihres Verfahrens nimmt, so daß die Uebung sich der Wirklichkeit in Allem "soweit als irgend möglich nähert. „Der plötzlich eintretende Wechsel der Situation in einem Cavallerie- Gefecht erfordert die vorstehend bezeichneten cavalleristischen Eigenschaften und Fähig= „keiten (rascher Blick , schnelle Erkenntniß und augenblicklicher Entschluß zu „ thatkräftigem und selbstständigem Handeln) in hohem Maße, wenn die günstigen Momente nicht ungenügt vorüber gehen sollen. " Um diese Fähigkeiten auszubilden, ist es nothwendig, auch die Anlage und die Durchführung der Uebungen den Erfordernissen des wirklichen Gefechtes möglichst anzupassen. Es darf daher die Ausgabe mündlicher oder schriftlicher „ Dispositionen an die Unterführer und die Truppen nicht . stattfinden , dieſelben -mit der „sind daher nur allgemeinen Gefechtslage „bekannt zu machen u. s . w. " Für die Ausführung dieser Uebungen , sowie für den Ernstfall ist eine conventionelle Commando- Sprache nothwendig, welche mit wenig Worten ganze Lagen und Bewegungen zu bezeichnen und anzuordnen vermag ; auch diese ist durch den Abschnitt V gegeben.

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Dies in allgemeinen Umrissen Form , Inhalt und Begründung der In structionen, welche den Erfahrungen des Feldzuges entnommen, durch die Uebun gen des Jahres 1873 näher begrenzt , nunmehr in ihrer weiteren Ausführung einer erneueten Prüfung unterworfen werden sollten. Zu diesem Zwecke fanden in dem Bereiche des III. , IV. , XII . ( Königl. Sächsischen) und XV. Armee Corps im Laufe des Sommers 1874 ausgedehntere Uebungen von Reiter Diviſionen ſtatt. *) *) Diese Divisionen waren in nachstehender Weise zusammengesett : Cavallerie-Diviſion des III. Armee-Corps. Führer: General-Major von Wizendorf. Chef des Militair-Reit-Inſtituts. Generalstabs - Offizier : Hauptmann von Podbielski. 1. Brigade. Oberst von Bünting , Commandeur des 1. Brandenburgischen Dragoner Regiments Nr. 2. Brandenburgisches Cürassir-Regiment (Kaiser Nicolaus von Rußland) Nr. 6. Ulanen Regiment Kaiser Alexander von Rußland ( 1. Brandenburg.) Nr. 3. 2. Brigade. General-Major Graf von der Gröben, Commandeur der 5. Cavallerie-Brigade. 1. Brandenburgisches Dragoner-Regiment Nr. 2. 2. Nr. 12. " 3. Brigade. Oberst von Hymmen, Commandeur ber 6. Cavallerie-Brigade. Brandenburgisches Husaren-Regiment (Zietenſche Husaren) Nr. 3. 2. Nr. 11. Ulanen " " Reitende Abtheilung 1. Brandenburgischen Feld - Artillerie - Regiments Nr. 3 (General - Feldzeugmeister ) : Major von Corvíſart - Montmarin. 1., 2., 3. reis tende Batterie. Von diesen Regimentern gehören die der 2. Brigade und das Ulanen-Regiment Nr. 3 zu der 5., die der 3. Brigade und das Cüraſſir-Regiment Nr. 6 zur 6. Cavallerie Brigade. Sämmtliche Regimenter waren zu vier Schwadronen. Cavallerie-Division des IV. Armee-Corps. Dieselbe war genau so zusammengeseht wie im Sommer 1873 und in der Anmer fung 2 zu Seite 489 angegeben worden, nur daß auch bei ihr die Regimenter zu vier Schwadronen rangirt und ihr außerdem noch attachirt waren: das Füsilir - Bataillon Anhaltischen Infanterie - Regiments Nr. 8 : geführt durch Major Braune, später Major von Lukowių, die 6. schwere Batterie des Magdeburgischen Feld - Artillerie - Regi ments Nr. 4: Hauptmann Engelhard, die 2. Compagnie Magdeburgischen Pionier - Bataillons Nr. 4 : Haupt mann Förster. Cavallerie-Diviſion des XII. (Königlich Sächsischen) Armee-Corps. Commandeur : General-Lieutenant Senfft von Pilsach. Generalstabs - Offizier : Major Reyher. 1. Brigade. General Major von Carlowig, Commandeur der 1. Cavallerie-Brigade Nr. 23. Garde-Reiter-Regiment. 1. Ulanen Regiment Nr. 17. 2. Brigade. General- Major von Miltiz, Commandeur der 2. Cavallerie-Brigade Nr. 24. 3. Reiter Regiment. 2. Ulanen-Regiment Nr. 18. 3. Brigade. Oberst von Walther, Commandeur des 3. Reiter-Regiments. 1. Reiter Regiment. 2. " Reitende Abtheilung des Feld - Artillerie - Regiments Nr. 12 : Major Zenker. 1. und 2. reitende Batterie. Von diesen Regimentern gehören das Garde- und 1. Reiter , so wie das 1. Ulanen Regiment der 1., das 2. und 3. Reiter-, ſowie 2. Ulanen-Regiment der 2. Cavallerie-Brigade an. Sämmtliche Regimenter waren zu vier Schwadronen. Cavallerie-Division des XV. Armee-Corps. Führer: General-Major Freiherr von Williſen, Commandeur der 28. Cavallerie - Brigade. Generalstabs - Offizier : Major von der Marwiß.

Entwickelung der Reiterei.

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Theils vor, theils nach den Reiter - Uebungen des Jahres 1873 hatten mit Ausnahme der Garde die bei dieſen Uebungen betheiligten Regimenter an den Herbst-Uebungen der übrigen Truppen der betreffenden Armee- Corps Theil neh men müſſen, und zwar in der bisher üblichen Form , vertheilt auf die einzelnen Infanterie-Brigaden. Bei den Anforderungen, welche eine derartige Verwendungs weiſe an die Reiterei stellt , werden erfahrungsmäßig die Pferdekräfte bedeutend und dabei ungleichmäßig in Anspruch genommen , die größeren taktischen Ver bände gelockert. So war es denn auch hier und trat im Vereine mit den dar auffolgenden oder voraufgehenden Reiter-Uebungen eine theilweise Ermüdung der Pferde ein, welche die Besorgniß wach rief, daß die Leiſtungsfähigkeit derselben, durch eine Fortsetzung derartiger Uebungen , ernstlicher gefährdet werden könnte. Um diesem Uebelſtande vorzubeugen, sollten diejenigen Cavallerie-Regimenter, welche im Jahre 1874 zu Divisionen zusammengezogen wurden, von den Uebun gen im Vereine mit der Infanterie ausgeschloffen werden, daher nur mit vier Schwadronen bei jenen erscheinen und je eine Schwadron an die Truppen= Diviſionen abgeben, bei denen sie die Dienste der Diviſions- Cavallerie zu leiſten hatten. Wenn durch diese Maßregel auch in sehr dankenswerther Weise die Zeit gewonnen wurde, um den Reiter-Uebungen eine längere Dauer geben zu können, die dabei betheiligten Regimenter in der Stärke erscheinen , die sie im Felde haben (zu vier Schwadronen) , so hat dieselbe auf der andern Seite doch auch ihr Bedenkliches , als die Reiterei , wollte man dieser Maßregel Dauer geben, dadurch von den Uebungen in Gemeinschaft mit den anderen Waffen völlig aus geschlossen würde. So wichtig, ja unerläßlich es auch ist, daß die Reiterei inner halb ihrer größten taktischen Verbände gründlich aus- und durchgebildet wird, bevor sie mit den anderen Waffen zu gemeinſamen Uebungen zuſammentritt, weil sie ja vor dem Feinde jeden Augenblick dazu berufen werden kann , in diesen Verbänden selbstständig handelnd aufzutreten, eine starke Hälfte derselben von vorne herein hiezu bestimmt ist , so nothwendig ist andererseits aber auch jene Uebung in Verbindung mit den anderen Waffen, neben denen und gegen welche ſie zu kämpfen hat. Es dürfte daher derjenige Modus der zweckmäßigſte ſein, welcher eine Verbindung beider Uebungsarten ermöglicht, und wäre die Zugrunde legung des kriegeriſchen Verhältniſſes wohl auch hier die am ehesten zum Ziele führende Maßregel . Vor dem Feinde aber wird nur ein Theil der Reiterei in selbstständigen Körpern verwendet , der andere regimenterweise an die Infanterie - Divisionen vertheilt. Dem entsprechend könnte man ja auch für den Zweck der Friedens 1. Brigade.

Oberst von Radecke , Commandeur des 1. Pommerschen Ulanen-Reg. Nr. 4. 1. Pommersches Ulanen- Regiment Nr. 4. Schleswig-Holsteinsches Ulanen- Regiment Nr. 15. 2. Brigade. Oberst von Wright, Commandeur der 30. Cavallerie- Brigade. 1. Hannoversches Dragoner-Regiment Nr. 9. Ostpreußisches Dragoner- Regiment Nr. 10. 3. Brigade. Oberst von Suckow, Commandeur der 31. Cavallerie-Brigade. 3. Schlesisches Dragoner Regiment Nr. 15. Königlich Bayerisches 5. Cheveaurlegers -Regiment Prinz Otto. Artillerie : Major Schlieben. 1. reitende Batterie Rheinischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 8. Nr. 14. " " Badischen " " Von diesen Regimentern gehören die Dragoner-Regimenter Nr. 9 und 10, das Ulanen Regiment Nr. 4 und das Chereaurlegers -Regiment der 30., das Dragoner Regiment Nr. 15 und Ulanen = Regiment Nr. 15 der 31. Cavallerie - Brigade an. Sämmtliche Regimenter waren zu vier Schwadronen.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Uebungen eine entsprechende Anzahl von Reiter-Regimentern von vorne herein den Truppen-Divisionen belaſſen , die andern aber in Reiter- Diviſionen verei nigen, in diesem Verbande gleichzeitig mit den Regiments- und Brigade- Erer citien der Infanterie ihre besonderen Waffenübungen durchführen und erst mit Beginn der größeren kriegsmäßigen Uebungen neben die andern Truppenkörper treten lassen. Freilich würde dies einschließen , daß diese Uebungen nicht nur von gemischten Brigaden , sondern von Divisionen , womöglich Armee - Corps gegen einander ausgeführt werden , dies aber wiederum dürfte auch dem am meiſten entsprechen , was solche Uebungen , nach den neueſten kriegeriſchen Er fahrungen , den Truppen gewähren müssen , nämlich ein Bild davon , wie sie im Kriege nicht nur in Avantgarden, auf Vorposten und bei kleineren Unter nehmungen, sondern auch in den großen entscheidenden Handlungen, den eigent lichen Schlachten verwendet werden, was ja doch der Hauptzweck aller Friedens Uebung ist. Im Sommer 1874 traten die Reiter - Divisionen in der weiter oben er wähnten Weise zusammen. Die Königlich Sächsische Division unter ihrem Commandeur General-Lieutenant Senfft von Pilsach, welche in der glücklichen Lage ist, sich eines dauernden Bestehens auch schon im Frieden zu erfreuen und dadurch all der Uebelstände überhoben zu sein , welche mit jeder mur vorüber gehenden, nicht auf organisatorischer Grundlage beruhenden Bildung verbunden find, sowie die im Bereiche des IV. Armee-Corps unter Führung des General Majors von Schmidt vereinigte Division, welche bereits im Jahre zuvor unter derselben Fährung und in gleicher Zusammensetzung geübt hatte, deren Regi menter der Mehrzahl nach schon im Brigade-Verbande eine mehrjährige gründ liche Schulung in der Treffentaktik erhalten hatten , waren beide für die ihnen bevorstehende Uebung in sehr günstiger Weise vorbereitet. Eine solche Verbe reitung fehlte den Divisionen , welche im Bereiche des III. Armee- Corps unter General-Major von Witzendorff und im Bereiche des XV. Armee - Corps unter General-Major Freiherrn von Willisen vereinigt wurden. Es trat bei ihnen noch der erschwerende Umstand hinzu , daß Führer und Truppe bis zu dem Augenblicke , in dem sie Behufs Beginn der Uebungen in nähere Berührung mit einander traten , nur insoweit dienstliche Beziehungen gehabt hatten, als es den genannten Generalen gestattet war, die Regimenter, welche unter ihrer Leitung üben sollten, zu besichtigen, dieselben hierbei und auf schriftlichem Wege darüber zu verständigen, in welcher Weise sie diese Uebungen zu handhaben ge dächten. Nun hätte zwar die Neubearbeitung des Abschnittes V. mit ihren über aus klaren und sachgemäßen Bestimmungen für die Gliederung , Führung und Verwendung einer Reiter-Division, ihren eingehenden Anweisungen darüber, wie die betreffenden Friedens-Uebungen einzurichten und zu leiten seien, diesem Uebel ſtande bis zu einem gewiſſen Grade abzuhelfen vermocht, wenn ihr Inhalt be reits Eigenthum von Führern und Truppe gewesen wäre. Hierzu hatte es je doch an Zeit und Gelegenheit gefehlt, da dieselbe, wie erwähnt, erst am 4. Juni die Allerhöchste Genehmigung erhalten, nicht vor Ende desselben Monats in die Hände der Truppen gelangen konnte. Die großen Uebungen begannen aber be reits Ende August , ein gründliches Einleben in die betreffenden Bestimmungen war daher um so weniger möglich, als der Zeitabſchnitt für die eigentliche Aus bildungs-Arbeit weit zurück lag. Grade dieser aber ist es, in welchem die erſten Grundlagen auch für die Verwendung im Treffenverhältnisse gelegt werden müssen. Der Abſchnitt V. ſagt hierüber :

Entwickelung der Reiterei .

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„ Nur wenn jeder einzelne Ausbildungs - Abschnitt sich in innigem Zu „sammenhange an den vorhergehenden anreiht und in allen das letzte ge ,,meinsame Ziel fest im Auge behalten wird, ist die Evolutions- Gewandheit „der Truppen in der Treffenverwendung sicher gestellt. " Namentlich die beiden letzt genannten Divisionen mußten in Folge dieſer Umstände einen beträchtlichen Abschnitt der im Allgemeinen reichlich bemessenen Zeit , welche ihnen zur Verfügung stand , darauf verwenden , sich in das ihnen allseitig gänzlich neue Verhältniß hinein zu finden. Trotzdem sind auch ihre Uebungen von wesentlichem Nußen gewesen und haben einerseits wiederholt den Beweis geliefert, daß die Deutsche Reiterei in sich durchweg vortreffliche Vor bedingungen für die Verwendung in größeren Verbänden trägt, daß andererseits die bei Abfassung der Neubearbeitung des Abschnittes V. geltend geweſenen, einer glänzenden ruhmvollen Vergangenheit entlehnten Grundsätze noch heute richtig, daß die Formen, in welchen dieſe Grundsätze zum Ausdrucke gelangten, den neuesten kriegerischen Forderungen entsprechend der Hauptsache nach gut sind. Wie alle Formgestaltungen sind auch die hier gegebenen der Weiterentwicke lung, der Vervollkommnung fähig, und kann es daher nicht überraſchen, daß die eine oder andere derselben während der Probe, welcher sie im Laufe des Sommers 1874 unterzogen wurden, sich nicht vollkommen der allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatten. Im Großen und Ganzen sind jedoch die hervorgetretenen ab weichenden Ansichten darauf zurückzuführen , daß das Geforderte neu war , man bei Ausführung derselben mit der Unbequemlichkeit des Ungewohnten zu kämpfen hatte. Die Reiterei ist seit zu langer Zeit deſſen entwöhnt , sich in größeren Maſſen zu bewegen , ihr ist darüber und bei der vereinzelten Verwendung in kleineren Abtheilungen das Bewußtsein dafür verloren gegangen , daß bei der Verwendung in größeren Körpern die einzelnen Glieder derselben ihre Selbst ständigkeit bis zu einem gewissen Grade daran geben müssen, dieselbe nur darin zum Ausdrucke bringen können, daß sie sich mit Sicherheit und Geschick nur in soweit frei bewegen , als die unerläßliche Bedingung gemeinsamer Wirkung gegen ein einheitliches Ziel dies zuläßt, daß sie mit einem Worte nicht manö vriren, sondern nur evolutioniren dürfen. Neben die Beziehung auf den Feind tritt und zwar in erster Linie die Beziehung zu den andern Gliedern, denn der Zweck , den man bei der Zusammenstellung größerer Reiterkörper im Auge hat , ist nicht der, daß jedes ihrer Glieder für sich , sondern sie alle in gemeinsamer und dadurch erhöhter Wirkung viribus unitis - den Gegner niederwerfen sollen. Hiefür aber ist es erforderlich , daß die in dieſen Gliedern dargestellten Einzelkräfte unter einheitlicher Leitung in Wirksamkeit treten, die Fäden dieser Leitung kurz und ſtraff ſind. Je edler der Gaul, den man reitet, je höher die Leistung, welche man von ihm verlangt , desto kürzer muß der Zugel, desto fester der Schenkel , desto kräf tiger die Einwirkung beider sein; sind die Kräfte für den Sprung versam= melt , ist die geradeste Richtung des Laufes auf das Ziel gesichert, dann kann der Zügel gelüftet , dem individuellen Vermögen die volle Freiheit gegeben werden. Geschieht jenes Versammeln der Kräfte nicht oder wird diese Frei heit zu früh gewährt , dann versagt oder mißglückt der Sprung gar leicht, man schießt an dem Ziele vorbei. So auch bei den Reiter- Divisionen. Bis zu dem Augenblicke des eigentlichen Angriffes darf nur ein Wille, nur eine Führung sich geltend machen , muß bis zur letzten Schwadron die Einwir kung derselben unmittelbar und scharf fühlbar werden können , erst wenn bei dem Einbruchstreffen das „ Marsch Marsch" gegeben ist , dürfen und müſſen

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Militairische Jahresberichte für 1874.

nunmehr die anderen Treffen aus eigener Initiative , im Vollbewußtsein ihrer Beziehungen zu einander , in der ihnen durch das bestimmte Ziel gegebenen Richtung selbsthandelnd mit eingreifen. Andernfalls wird allzu leicht , wie in dem oben gewählten Bilde, das Ziel verfehlt werden, werden die Kräfte zerſplittert oder nutzlos vergeudet. Ein unbefangener Blick auf die Ueberlieferungen der Kriegsgeschichte , auch der neuesten , dürfte manches Beweisstück für diese Auf faſſung erschauen. Von ganz besonderem Werthe für die Förderung der Sache sind die be sprochenen Reiterübungen des Jahres 1874 dadurch geworden , daß durch die selben erneut thatsächlich erwiesen wurde , wie nothwendig eine gründliche, ſach gemäß geleitete Vorbildung der Truppe iſt, ſollen nicht bei den größeren Zu sammenziehungen Zeit und Kräfte auf Dinge verwendet werden , welche an anderem Orte und zu anderer Zeit bereits erledigt werden können und deshalb auch müſſen ; daß das auf eingehenderem Verſtändniſſe beruhende Können Ein zelner , seien dieses Personen oder Truppentheile , nicht genügt , um die Ge sammtheit in einem jeden gegebenen Augenblicke in der angestrebten Weiſe verfügbar zu machen , sondern daß jenes Verständniß und darauf beruhente Können Vollbesit dieser Gesammtheit sein muß. Dieser Vollbesitz ist aber nur durch Uebung zu erlangen und zwar durch regelmäßig wiederkehrende Uebung, da das Wesen einer jeden Uebung in Wieder holung der betreffenden Thätigkeit beruht. Soll daher die Reiterei für den Fall des Krieges in selbstständigen Divisionen Verwendung finden, so muß in dieser Ber wendungsweise geübt werden und zwar alljährlich in solcher Ausdehnung, daß jeder Reitersmann während seiner Dienstzeit mindestens eine solche Uebung mitgemacht hat, sämmtliche Offiziere aber sich mit voller Sicherheit an jeder nächst höheren Commandostelle in den betreffenden Formen zu bewegen vermögen . Denn vor dem Feinde liegt die Möglichkeit nicht fern , daß der Lieutenant an die Spiße einer Schwadron, der Rittmeister vor die Front des Regimentes u. s. w. berufen wird und zwar gerade in den entscheidensten Augenblicken. Ungenügende Vor bildung für die Lösung der in solcher Weise an ihn herantretenden Aufgabe kann für das Ganze von den einschneidendsten Folgen sein. Die Nothwendig keit solcher Uebungen ist um so dringender, als die Reiterei sich nicht in der glücklichen Lage der anderen Waffen befindet, im Frieden bereits die organiſa torische Gliederung zu besitzen, in welcher sie als die Spitze des ganzen Heeres zuerst und vor allen anderen Truppen dem Feinde entgegentreten foll; sie muß daher durch taktische Sicherheit in den betreffenden Formen das ersetzen , was ihr an organisatorischer Grundlage abgeht , vermöge jener alle die Störungen und Reibungen wett machen, welche das Fehlen dieser unausbleiblich zur Folge hat. Was die Anlage und Ausführung der Diviſions- Uebungen im Jahre 1874 anbetrifft , so schlossen sich diese den in Abschnitt V. gegebenen Bestimmungen mehr oder minder enge an. Sie begannen sämmtlich mit einem Ererciren der einzelnen Brigaden, welches bei der Sächsischen und III. Diviſion drei, bei der XV. zwei, bei der IV. einen Tag in Anspruch nahm. Bei den beiden legt genannten Divisionen waren die Brigaden für diese Erercitien zu je zwei Regi mentern , also in der Weise gebildet , wie sie als Treffen in der vereinigten Division aufzutreten hatten. Bei der Sächsischen Diviſion fand dies nur an zwei Tagen statt und manövrirten am dritten Tage zwei Brigaden zu je drei Regimentern, nicht gegen einander , sondern jede für sich mit Unterlage einer taktischen Voraussetzung . Bei der III. Division übten die beiden Brigaden,

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denen die betreffenden Regimenter angehörten, in ihrer ursprünglichen Zuſammen. setzung zu je drei Regimentern alle drei Tage. Den hierauf folgenden Uebungen in der vereinigten Division waren durch weg kriegerische Voraussetzungen zu Grunde gelegt, welche sich bei der IV. Di viſion an eine durchgehende strategische Lage schloſſen und dadurch unter einander im Zusammenhange standen, während dies bei den drei anderen Divisionen nur theilweise der Fall war. Die Leitung fand durchweg aus dem Sattel, die Be fehlsertheilung durch Ordonnanz- Offiziere statt , den Truppen wurde nur die kriegerische Lage , Truppeneintheilung und Rendezvous mitgetheilt , woran sich bei der III. und XV. Division an den ersten Uebungstagen eine eingehendere Instruction über die Art der auszuführenden Bewegungen schloß , und zwar in Rücksicht auf die unzureichende Vorübung der Truppe für die Treffenverwendung. Es kamen zur Ausführung die verschiedenen Verwendungsarten einer selbst ständigen Reiter - Division , sowohl zum Zwecke der Aufklärung und Sicherung, Der Feind als auch im Schlachtendienste im Anschluſſe an andere Truppen. wurde hierbei durch Reiter mit Flaggen markirt, außer denen bei der XV. Di viſion noch eine Compagnie Infanterie , bei der IV. ein Bataillon , eine Fuß Batterie und eine Pionier- Compagnie nebst Avantgarden-Brückentrain zur Ver fügung standen. Bei diesen beiden Divisionen, namentlich aber der letzgenann ten, wurde es hierdurch möglich, den Uebungen ein zwar erschwerendes , darum aber auch um so mehr förderndes Element hinzuzufügen , da die Evolutionen. ror, in und nach dem Gefechte, sowohl gegen die anderen Waffen, als auch im Anſchluſſe an dieselben , auf wirklich vorhandene sich gefechtsmäßig verhaltende Abtheilungen gerichtet, nach ihnen geregelt werden konnten. Bei der Sächsischen Division wechselte die taktische Eintheilung und fand an einigen Tagen in Avantgarde und Gros , an andern in drei Treffen , an einem Tage in zwei Brigaden zu je drei Regimentern statt , aus welchen ver schiedenen Gliederungen jedoch durchweg, für das eigentliche Gefecht, das Treffen verhältniß im Sinne des Abſchnittes V. hergestellt wurde. Bei der III. Division wurde die Eintheilung in drei gleich starke Treffen durchweg festgehalten und hatte dieselbe Gelegenheit an einem Tage im Vereine mit der 5. Infanterie- Diviſion gegen einen markirten Feind zu üben. Bei der IV. und XV. Division fand dieselbe Treffen = Eintheilung statt, jedoch wurden bei ersterer an drei auf einander folgenden Tagen , bei letzterer an einem Tage, zwei Brigaden zu je drei Regimentern gebildet , welche unter Aufrechterhaltung der Treffengliederung in sich, gegeneinander manövrirten ; bei der IV. Division verbunden mit Biwaks und fortrückenden Quartieren. Es dürfte hier noch einer Uebung Erwähnung zu thun sein, welche bei dieser Di vision bereits im Jahre 1873 statt gefunden hatte und auch 1874 wiederholt wurde, daß nämlich die Regimenter bereits ihre Märsche aus den Garnisonen nach dem Uebungsgebiete kriegsmäßig ausführten und hierbei den Marſchſiche rungs- und Vorpostendienst übten , letteren in der Weise, daß die Feldwachen bis 7 Uhr Abends standen und eine Stunde vor dem Ausmarsche wieder aus gestellt wurden. Durch eine derartige Uebung werden Zeit und Kräfte erspart, und dürften die " Verordnungen über die Ausbildung der Truppen für den Feld dienst u. s. w . vom Jahre 1870" dieselbe wohl bereits im Auge gehabt haben, wenn es dort heißt : *) „ Um die Truppen auf solche Verhältnisse, bei denen beide Parteien weit *) Seite 13.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

,,auseinander sind, vorzubereiten, werden weniger die Uebungen selbst , als mit „unter die Märsche zu und zwiſchen den Manövern Gelegenheit bieten , wobei ,,dann der Feind nur supponirt oder auch durch kleine Abtheilungen markirt „werden kann. " Zur Zeit Friedrichs des Großen kannte man im ganzen Heere keine andere Art zu marschiren als kriegsmäßig. Die zugetheilten Batterien wurden bei allen vier Divisionen für die Uebun gen in der Schlachtenverwendung stets vereinigt gehalten, bei den Uebungen im Aufklärungs- und Sicherungsdienste ganz oder theilweise auf die Brigaden bez . Treffen vertheilt. Allseitig war ein wachsendes Verständniß für die Verwendung größerer Reiterkörper im Treffenverhältnisse , wie dieselbe in den Vorschriften des Ab schnittes V. zum Ausdrucke gebracht ist, und ein hierauf beruhender Fortschritt unverkennbar, welcher namentlich bei der IV. Division sich bis zu einem hohen auch von Seiner Majestät dem Kaiser persönlich anerkannten Grade der Sicher heit und Gewandheit steigerte, sowohl in dem Manövriren der ganzen Diviſion als dem Evolutioniren der Treffen. Der Zustand der Pferde war , trotzdem bedeutende Anforderungen an die selben gestellt wurden , sowohl auf den Uebungsfeldern selber , als bei den zum Theil sehr bedeutenden Märschen nach und von denselben am Schluſſe der Uebungen ein durchweg befriedigender , namentlich dort , wo die für die Uebun gen bewilligte Haferzulage, vor dem Beginne derselben zur Ausgabe gelangt und dadurch eine systematische Vorbereitung der Pferde ermöglicht worden war. Namentlich gut hatten sich die Pferde der fünf Preußischen Regimenter bei der XV. Division gehalten, der das vortrefflich ausgewählte und auch für die Unter bringung überaus geschickt benutzte Uebungsgelände sehr zu Statten kam. Es würde über die Grenzen hinausführen, welche dieser Betrachtung gestellt sind, wenn ich auf die thatsächlichen Einzelheiten in Ausführung der eben in ihren allgemeinen Umrissen geschilderten Uebungen näher eingehen wollte ; dies erſcheint auch um so weniger erforderlich , als ein ausführlicher Bericht über die Uebungen der Königlich Sächsischen Division bereits veröffentlicht ist, *) ähn liche Berichte über die Uebungen der drei anderen Divisionen demnächst zu er warten sind. Wenn in den vorstehenden Abschnitten im Wesentlichen der augenblickliche Standpunkt der Reiterei bezüglich ihrer inneren Entwickelung in das Auge ge= faßt wurde, so erübrigt es noch , einen Blick zu werfen auf ihre Stellung zu den anderen Waffen, zu den großen kriegerischen Verhältnissen im Allgemeinen. So wenig man auch seit geraumer Zeit geneigt war, der Reiterei noch eine beſondere taktische Bedeutung zuzugestehen , gegenüber den neuen Feuerwaffen, der auf diesen begründeten Gefechtswirkung- und Weise der Infanterie und Artillerie, so hat man doch ihren Werth für den Aufklärungs- und Sicherungsdienst nie völlig abzuleugnen vermocht. Doch auch auf diesem Gebiete glaubte man einerseits sie sich nicht gänzlich selbst überlassen , ohne die unmittelbare Unter ſtützung der anderen Waffen belaſſen zu dürfen , andrerſeits , daß die bei den Infanterie = Divisionen eingetheilten Reiter - Regimenter den betreffenden Anfor derungen vollkommen genügen würden. Die größeren selbstständigen Reiter körper, welche der Mobilmachungsplan in das Auge faßte , über deren innere Gliederung jedoch keine Bestimmungen vorhanden waren , für deren „ Führer

*) Militair-Wochenblatt für 1874.

9. Beiheft.

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die Allerhöchsten Verordnungen über die größeren Truppenübungen vom Jahre 1861 " *) eine auf den alten Ueberlieferungen beruhende , an sich vortreffliche, aber doch nur sehr allgemein gehaltene Instruction geben, dachte man sich als eine Schlachtenreserve , welche den Colonnen der anderen Waffen folgen und erſt im entſcheidenden Augenblicke hervorgeholt werden sollte. Einzelne Hindeutungen aus reiterlichen Kreiſen, dahin zielend, dieſe Reiter massen dem Heere voraus zur strategischen Aufklärung im Großen zu verwenden, wie dies zu Friedrichs und Napoleons Zeiten üblich gewesen, fanden keinen Anklang. Der Feldzug von 1866 bewies , daß man sich in beiden Richtungen ge täuscht hatte. Die Diviſions-Reiterei genügte , trotz vortrefflicher Leistungen im Einzelnen, nicht für die Aufklärung im Großen ; die theilweise durch ihre Massen haftigkeit zu schwerfälligen größeren Reiterkörper, welche so zu sagen erst ad hoc gebildet waren, kamen zu spät auf das Schlachtfeld und konnten hier weder bei der Entscheidung, noch für die Verfolgung das Vollgewicht ihrer Kraft zur Geltung bringen. Nur vereinzelte ihrer Glieder gelangten zu einer Thätigkeit, der bei hoher Tapferkeit durch diese Vereinzelung der erforderliche Nachdruck verloren ging. Erst nach der Schlacht bei Königgrätz wurden diese größeren Reiterkörper vor die Front des Heeres gezogen und fanden hier denn auch noch Gelegenheit zu einzelnen schönen Leistungen. Die somit gemachten Erfahrungen , durch welche wohl auch ein erhöhtes Verständniß für die Bedeutung der Reiter - Verwendung im Großen gewonnen war, wie dieselbe sich auf den Schauplätzen des Nordamericanischen Secessions krieges entwickelt hatte, bahnten eine Wendung zum Besseren für die Reiterwaffe an. Man hatte sich davon überzeugt, daß ihr einerseits, auch unter den heuti gen Kampfes - Bedingungen, noch eine bedeutende Stelle in der eigentlichen Schlacht vorbehalten sei hatte doch an der opfermuthigen Haltung der Desterreichischen Reiterei bei Königgrät sich im Wesentlichen der Strom der vernichtenden Verfolgung gebrochen , daß man andererseits einer großartigeren Entfaltung ihrer Massen in dem strategischen Aufklärungs- und Sicherungs dienste, bei den weit ausgedehnten Entwickelungs- Fronten der neueren Heere nicht entrathen könne. In der neuen Ausgabe der „ Verordnungen über die Ausbildung der Trup pen für den Felddienst 2c. vom 7. Juni 1870 " , welche leider nicht nicht mehr ror Beginn des Feldzuges gegen Frankreich in die Hände der Truppen gelangen konnte, war diesen Ueberzeugungen bereits in erhöhtem Maße Rechnung getragen. Während die ältere, mehr berührte Ausgabe dieser Verordnungen vom Jahre 1861 der Reiterei nur wenig, ihrer selbstständigen Verwendung überhaupt nicht weiter Erwähnung thut, als in der oben beregten Instruction für den Commandiren den der Cavallerie" , so heißt es hier **) unter den Bestimmungen über den Auf klärungs- und Sicherungsdienst : „ Der Aufklärungsdienst ist recht eigentlich und fast ausschließlich ―― „Sache der Cavallerie. In vielen Fällen wird man am Leichtesten und mit dem geringsten Kraft „aufwande durch einzelne Reiter oder kleine Abtheilungen gute und zuver „lässige Nachrichten über den Feind erhalten können . Ganz besonders ſind hierzu ,,oft sehr vortheilhaft gut berittene Offiziere, nur von einigen Ordonnanzen begleitet, „zu verwerthen.

Vergl. Seite 15. ++) **) Dortſelbſt Seite 9-12-18-21 .

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Militairische Jahresberichte für 1874.

" Wenn indessen wegen der Aufmerksamkeit und Dichtigkeit der feindlichen Vor ,,truppen eine Aufklärung durch kleine Abtheilungen nicht zum Ziele führt , kann „ es nöthig werden , den Gegner durch größere zurückzudrängen oder seine Linie zu durchbrechen. Es ist hierzu zweckmäßig , von Hause aus ,jo viel Kräfte in Bewegung zu setzen, daß man der Erreichung des Zweckes „auch sicher ist. „Jedenfalls muß der Avantgarde eine hinreichend starke Cavallerie „zugetheilt werden, um der Aufgabe der Aufklärung und Sicherung genügen zu „können. Unter Umständen , besonders bei größerer Entfernung vom Feinde „ oder bei kleinen Abtheilungen im offenen Terrain kann die Avantgarde auch „ nur aus Cavallerie allein bestehen. " „Die Sicherung auf dem Marsche erreicht man am Beſten durch mög ――― „lichst weite Ausbreitung von Cavallerie - Patrouillen. " In vielen Fällen wird sich das weite Vortreiben von Cavallerie - Ab „ theilungen , denen man unter Umständen kleine Infanterie-Abtheilungen auf "Wagen als Soutiens folgen läßt, als das sicherste und die Kräfte der Truppen ,,am Meisten schonende Mittel empfehlen , welches auch in weniger offenem „ Terrain bei Tage und bei Nacht angeordnet werden kann. — Läßt man dieſer །། - angemessen starken - Cavallerie dauernd einen erheblichen Vorsprung , so wird sie selbst weniger fatiguirt und verschafft dem Ganzen mehr Ruhe und Gleichmäßigkeit im Fortschreiten, als wenn sie unmittelbar „ an der Tête marſchirend , im jedesmaligen Bedarfsfalle und dann gewöhnlich Hmit großer Haft vorgeschickt wird . " „Die Aufklärung erfordert besonders ein Element der Bewegung und fällt „daher ganz vorzugsweise der Cavallerie zu. " "In vielen Fällen wird man z. B. der Cavallerie die Beobachtung über „ tragen und sie mit möglichster Freiheit des Handelns vorschicken. Sie „geht , soweit sie kann und hat Befehl , dem Feinde überall zu folgen , falls er „abmarschirt. Die Cavallerie schützt auf solche Weise die eigentlichen "Sicherheits - Vorposten , welche hauptsächlich der Infanterie zu „fallen , am Besten gegen Ueberraschung und gewährt ihnen Ruhe." Wenngleich hier die Reiterei immer noch in mehr oder minder inniger Verbindung mit der Infanterie gedacht , bei den gegebenen Bestimmungen wohl vornehmlich die Divisions - Cavallerie in das Auge gefaßt ist , größerer Reiter körper und ihrer ſelbſtſtändigen Verwendung noch gar nicht Erwähnung ge schieht, so sind diesen doch die Bahnen geebnet, die Ziele gesteckt für ihre Thätig keit , es fehlte nur noch der letzte Schritt , um sie auf dieses Feld zu rerjeven. Für die Schlachtenverwendung der Reiterei heißt es in den Verordnungen *) in entsprechendem Sinne weiter : „Es liegt in der Natur dieser Waffe , daß sie während der bei Weitem ,,längsten Dauer eines Gefechtes zwar schon durch ihre bloße Anwesenheit wirkt, „bei der Schnelligkeit ihrer Bewegungen den Feind überall gefährdet, diese stete Bedrohung aber nur in einzelnen kurzen Momenten zur That werden laſſen ,,fann. " „Die Cavallerie hat senach nur wenige - die Reserve- Cavallerie

*) Dortſelbſt Seite 112.

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„vielleicht nur eine Attacke auszuführen und um so wichtiger ist es , dafür den richtigen Moment zu erfaſſen. " „Der Führer, welcher attackiren läßt, verzichtet selbst im günstigen Falle „für die nächste Zeit meistens auf den weiteren Gebrauch seiner Cavallerie. " „ Eine entschieden geworfene Reiterei wird in der Wirklichkeit erst nach „längerer Frist - an demselben Tage vielleicht überhaupt nicht mehr - auf ,,dem Kampsplate wieder erscheinen. " "Ferner ergiebt sich aus der Eigenthümlichkeit der Cavallerie, daß für sie, ohne die Mitwirkung der anderen Waffen, die Gelegenheit zum Handeln nicht „ häufig und dann ſchnell verſchwindend sich zeigen wird, daß vielmehr die längste „ Dauer des Kampfes den anderen Waffen überlassen bleibt und die Cavallerie sich von diesen nicht trennen darf, um den richtigen Augenblick zum Handeln. „gleich zu ergreifen und die anderen Waffen dadurch zu unterſtüßen. Die „Cavallerie darf deshalb - außer für den Moment eines entscheidenden „Schlages - in der Schlacht nicht isolirt auftreten. " „Bei der Divisions - Cavallerie kommt noch hinzu , daß sie auf das un „mittelbare Zuſammenwirken mit der Infanterie und Artillerie angewiesen ist, ,,folglich in deren Nähe verbleiben muß , ohne sich unnüßer Weise dem wirk ??samen Feuer des Feindes auszusetzen und sich nicht willkürlich den weiter „ ausgreifenden Bewegungen der Reserve - Cavallerie anſchließen darf." Hier ist die Verschiedenheit in der Wirkungssphäre der Divisions-Cavallerie und der größeren Reiter-Körper schon bestimmter betont, es sind die wesentlichen Momente und Bedingungen des Reiter-Kampfes scharf charakterisirt. Doch wenngleich auch der Schlußsat sehr bestimmt auf die größere Freiheit der Letzteren in ihren Unternehmungen hinweist , so sind sie durch die Bezeichnung Reserve- Cavallerie immer noch in ein Verhältniß gewiesen , welches sie in den bei weitem meisten Fällen zur Unthätigkeit verdammen , eine Verspätung ihres Eingreifens zur Folge haben wird . „Die Momente für die That sind kurz, die Cavallerie muß diese Momente richtig", d. h. vor Allem rasch " erfassen" ; so fordern es und gewiß mit vollem Rechte die Verordnungen . Soll sie das aber thun und können , dann darf sie nicht hinten in Reſerve , ſondern ſie muß vorne in der eigentlichen Schlacht linie stehen. Die großen Reiter-Körper, denen allein eine wirkliche Schlachten wirkung inne wohnt, sind daher keine Reserve - Truppe, sondern so recht eigentlich eine Kampf- Truppe. Nur als solche verwendet werden ſie vermögen, in die großen Entscheidungskämpfe fördersam einzugreifen, sei es zur Entlastung, sei es zur Vervollständigung des Sieges ; den Rückzug zu decken, wenn das Glück nicht günſtig; den geschlagenen Gegner zu verfolgen bis zum letzten Athemzuge von Mann und Roß ; während sie, als Reserven hinter den Heeren einherziehend, täglich nach jeder Richtung hin an Brauchbarkeit einbüßen , alle Spannung, Thatkraft und Unternehmungslust verlieren , schlaff und theilnahmslos werden, dabei in der Regel durch Mangel an Futter auch bezüglich ihres Pferde-Materials Schaden leiden und in Folge alles dessen, wenn sie dann endlich zum Handeln von weit hinten hervorgeholt werden, nicht nur in der Regel zu spät erſcheinen, sondern auch nach anderer Richtung die in sie gesetzten Hoffnungen nicht zu erfüllen vermögen. Es war dem Feldzuge von 1870/71 gegen Frankreich vorbehalten , die Reiterei, wie Einganges dieser Betrachtungen bereits bemerkt wurde , auf eigene Füße zu stellen, die Formen zu finden, innerhalb welcher diese Selbstständigkeit in allseitig nußbringendster Weise sich geltend zu machen vermochte.

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Ich darf hier wohl die Worte wiederholen, deren ich mich an anderer Stelle bereits bediente, um die Verhältnisse zu charakterisiren , welche sich hieraus ent wickelten: *) " Man griff in die Vergangenheit zurück und erkannte durch eingehende ,,Beschäftigung mit den Vorbildern, welche dieselbe bietet, vor Allem die Wichtig ,,feit jenes vorhin bereits erwähnten Grundjates : Die Reiter - Massen stets „voraus ! Sobald dieſer Grundſay einmal feſtgeſtellt war, ergab es sich sehr „ bald von selber, daß, wollte man die Reitermassen vorausschieben, sie dort vorne " auch den Aufklärungs- und Sicherungs - Dienst übernehmen müßten und zwar „ ohne unmittelbare Unterſtüßung Seitens der Infanterie, wohl aber in innigſter " Verbindung mit reitender Artillerie. Für diese Zwecke nun mußten die einzelnen " Reiter-Körper zwar selbstständig und gefechtsfähig, aber auch äußerst beweglich "sein; dies gab die Grenze für ihre Stärke; - fie mußten ferner möglichst "frei in ihren Bewegungen bleiben; dies führte dazu , sie nur unter die Über !! Commando's der Armeen zu stellen und von den großen Infanterie-Körpern „ gänzlich zu trennen, wie dies Gneisenau bereits als wünschenswerth angedeutet !! hatte. So entwickelten sich die sechs selbstständigen Reiter-Diviſionen拜, mit „denen das Preußische Heer in den letzten Feldzug gegen Frankreich zog .' Es haben sich nun in den auf diesen Feldzug folgenden Friedens -Jahren in Betreff des Wesens und der Bedeutung der Reiterei die Ansichten wohl im Großen und Ganzen dahin geklärt , daß diese Waffe den andern Waffen, die von ihr zu fordernden Dienste in genügendem Maße nur dann zu leiſten ver mag, wenn sie in größeren selbstständigen Körpern, unabhängig von der dauernden Unterstützung der Infanterie, in den Kampf derselben dort einzugreifen vermag, wo sich ihr die günstigsten Vorbedingungen bieten , wenn sie den Heeren Tage märsche voraus , durch weit hinausgreifende Aufklärung in Front und Flante, einen Schleier der Sicherung zu ziehen vermag, hinter dem die andern Truppen sicher marschiren und ruhen können, ohne den so aufreibenden Avantgarden- und namentlich Vorposten-Dienst in der bisherigen Ausdehnung leiſten zu müſſen; daß der Dienst der Diviſions -Reiterei , wenn auch zeitweise unentbehrlich, doch erst in zweiter Linie steht, und bei der jetzigen Bewaffnung der Infanterie und Artillerie nur sehr wenig Aussicht auf Erfolg hat , denn einer solchen Bewaff nung und der damit zusammenhängenden Ausbildung des einzelnen Mannes gegenüber können nur noch Reiter- Massen Eindruck machen und Erfolge erringen. Nach Abgabe je eines Reiter-Regiments an jede Infanterie-Diviſion dürfte daher die übrige Masse der Reiterei in selbstständige Divisionen mit einer Anzahl reitender Batterien eingetheilt werden, deren Stärke und innere Gliederung ſich dem ungefähr anschließen, was weiter oben als das hierauf bezügliche Ergebniß der reiterlichen Bestrebungen im Besonderen dargestellt wurde. Von diesen Divi fionen können dann jeder der größeren Heeres -Abtheilungen, nach Maßgabe der vorhandenen Gesammtzahl, so viele zugetheilt werden, als die Lösung der ihnen übertragenen Aufgaben zu erfordern scheint. Hier dem Befehle des Ober Commandos unmittelbar unterſtellt, gehen sie sofort, unter einander Verbindung haltend , mit stark zurückgebogenen Flügeln , auf den Hauptstraßen gegen die Anmarsch-Richtungen des Gegners vor, bis an diesen heran, bleiben dort an ihm, suchen Einblicke in seine Stärke und Maßnahmen zu gewinnen und auf diese Weise den An- und Auf-Marsch der eigenen Heeres -Abtheilung zu decken, *) Seydlik in seiner Bedeutung für die Reiterei von damals und jezt.

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der obersten Führung derselben die Nachrichten über Feind und Gelände zu verschaffen, deren sie nicht entbehren kann, um mit einiger Sicherheit des Erfolges ihre Pläne fassen, ihre Bestimmungen treffen zu können . Die oberste Führung des gesammten Heeres, welche die ſtrategiſchen Pläne für den ganzen Feldzug zu entwerfen, deren Durchführung , sowie die etwa erforderlich werdenden Wandelungen zu leiten hat , kann und muß auch auf anderem Wege die nothwendigen Nachrichten beziehen. Die Ober-Commandos der einzelnen Armeen jedoch , welche die Truppen zum Schlagen führen sollen, müssen die nach Zeit und Ort unmittelbarsten Berichte über den Feind haben. Diese kann ihnen aber nur die Reiterei liefern und zwar auch nur dann, wenn ſie in der vorstehend angedeuteten Weise gegliedert ist und verwendet wird. Bei aller Kühnheit, welche die Reiterei in Lösung dieser so inhaltſchweren Aufgabe zu entwickeln haben wird , bei vollster Ausnüßung der ihr inne wohnen den Gefechstkraft , um sich vermittelst derselben in gegebenen Augenblicken die Kenntnisse über den Feind zu erobern, die durch Geschicklichkeit zu gewinnen. ihr nicht gelungen ist, oder um die Seitens des Gegners versuchten Eingriffe in die ihr zugewiesene Sicherungssphäre zurückzuweisen , wird sie doch bei Anwen dung dieser Gefechtskraft nur mit Sparſamkeit, Vorsicht und großer Ueberlegung zu Werke gehen dürfen, denn bedeutendere Verluste oder ernstlichere Miß-Erfolge, welche sie hierbei erleidet, stellen ihre ganze Wirksamkeit in Frage. Die Reiterei ſoll in Ausübung des Aufklärungs- und Sicherungs - Dienstes nicht nur verein zelte glänzende und an der betreffenden Stelle entscheidende Erfolge erringen, sondern dauernd das ihr zugewiesene Gelände beherrschen. Hierzu bedarf sie aber einer gewiſſen numeriſchen Stärke, nach der der Boden-Abſchnitt begrenzt ist, dessen Bewachung ihr zugewiesen wurde ; büßt sie an dieser Stärke wesentlich ein, so kann sie ihrer Aufgabe nicht mehr ausreichend genügen und schädigt dadurch das ihrer Hut anvertraute Gesammt-Interesse. Das Sehen, Beobachten und Sichern steht hier in erster, das Schlagen aber in zweiter Linie und darf nur im Dienste jener hauptsächlichen Thätigkeiten zur Verwendung kommen. Dieser Gesichtspunkt , freilich auch nur dieser, muß die Reiterei bei Aus übung des hier näher besprochenen Dienstes davon abhalten , bei jeder sich bietenden Gelegenheit, ohne Rücksicht auf die möglichen Verluste , Alles an den Gefechtserfolg zu setzen, was sonst stets ihre einfache Pflicht ist und unter gewissen Umständen auch hier sein kann, z . B. wenn, wie bereits oben angedeutet wurde, kurz vor der entscheidenden Schlacht eine beſtimmte Kenntniß über gewiſſe Verhältnisse beim Feinde unbedingt erlangt werden muß und nur auf diese Weise zu erlangen ist. Es ist , wie gesagt, eine inhaltſchwere , eine schöne Aufgabe, die hier der Reiterei geboten wird , aber auch eine überaus schwierige , die ihre gesammten geistigen und physischen Kräfte voll in Anspruch nimmt, um so schwieriger, als es kaum möglich ist, für ihre Lösung gewisse Verwendungsnormen aufzustellen ; als die Friedensübungen , namentlich wie dieselben bisher betrieben wurden, in ausschließlich kleineren Abtheilungen , deren Kern in der Regel nur eine Infan teriebrigade, selten eine Division bildet , ihr für die kriegerischen Verhältnisse eine nur sehr unzureichende Vorbereitung zu geben vermögen, denn hier handelt es sich um Armeen von mehreren Corps , die zu decken sind und Entfernungen von mehreren Tagemärschen , auf denen operirt werden muß. Es wird daher darauf ankommen, daß jeder Reiter-Offizier vom ältesten bis zum jüngsten, vom höchsten bis zum letzten , durch fleißige Beschäftigung mit der Kriegsgeschichte, namentlich auch der Lebensbeschreibung vorragender Reiteroffiziere, vor Allem

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aber der bisher noch nirgend erreichten Instructionen Friedrichs des Großen, so wie durch ernstes Nachdenken über die an ihn im Felde herantretenden Auf gaben, sich Vorbilder für sein Handeln schafft, seine Gedanken und Anschauungen regelt und schult ; daß die Mannschaften, namentlich aber die Unteroffiziere, mit diesem Wirkungskreise der Reiterei gründlichst bekannt gemacht werden , durch Instructionen , welche in angemessener dem Anschauungskreise und Fassungsver mögen dieser Leute angepaßter Weise diesen Dienstzweig nicht nur in Beziehung auf den engeren Kreis ihrer persönlichen Stellung , sondern in seiner Geſammt heit in das Auge fassen. In letzterer Hinsicht können des großen Königs Worte nicht oft genug in Erinnerung gebracht werden: „ wie denn auch alles dieſes den " Gemeinen, Reitern sowohl als Dragonern wohl imprimiret werden muß " . Alle diese, nicht nur für die reiterliche Ausbildung an sich, sondern in noch viel höherem Maße für die Befähigung der Waffe zu den Diensten, welche sie den andern Waffen, dem Heere im Ganzen leisten soll, so überaus wichtigen Dinge , würden eine nicht hoch genug anzuschlagende Förderung erhalten , wenn die Friedensgliederung der Reiterei im Großen derjenigen entspräche , welche sie ihrer Hauptmaſſe nach vor dem Feinde annehmen soll. Es iſt ſicherlich nicht einer der geringsten Uebelstände des heutigen Friedensverhältnisses der Waffe, daß Unteroffiziere und Mannschaften durchaus keine bestimmte Vorstellung ron den großen Verbänden und deren Gliedern haben , in denen sie ihre kriegeriſche Thätigkeit ausüben sollen. Der Offizier kann sich diese cher, vermöge ſeiner höheren geistigen Bildung durch Studium , sowie durch eigene Anschauung bei den Diviſionsübungen bilden , von denen er in seiner längeren Dienſtzeit doch wohl eine oder einige mitzumachen Gelegenheit hat. Wie soll aber der Unter offizier und Reiter eine Vorstellung davon gewinnen, was eine Reiterdiviſivn zu bedeuten hat , wenn ihm nicht Gelegenheit geboten wird , sich in diesen Begriff hinein zu leben. Der Weg des Studiums ist ihm , mit verſchwindenden Aus nahmen, verschlossen, der der Anschauung bei den vereinzelten Uebungen sehr be schränkt , da er während derselben durch die erhöhten Anforderungen seines be sonderen Dienſtkreiſes zu ſehr in Anspruch genommen ist, um sich darüber bewußt und klar zu werden, was das nun für ein Verband ſei , in dem er sich befindet, welche Bedeutung derselbe auch für ihn habe. Es kommt hinzu , daß bei dem bisher eingehaltenen Verfahren , alljährlich nur zwei bis höchstens drei Reiter diviſionen üben zu lassen, dem bei weitem größten Theile dieſer Leute auch dieſer Weg der Anschauung verschlossen bleibt, da sie gar nicht dazu gelangen, an einer solchen Uebung Theil zu nehmen. Man frage die Eclaireurs, welche bei dieſen Uebungen vorausreiten , um einen der wichtigsten Dienstzweige auszuüben , was sie wohl für eine Vorstellung von einer Reiterdivision , deren einzelnen Treffen, der Bedeutung dieſer u. s. w. haben, und man wird sich überzeugen, wie wenig auch die beste, fleißigste Instruction , an der es bei einer Preußischen Truppe nie mangelt, allein dem Manne einen wirklichen Begriff von einem Verhältniſſe zu geben vermag , in welches er sich nicht durch Gewohnheit einleben kann. Jeder Infanterist weiß , welcher Division er angehört , was diese Diviſion zu bedeuten hat, er kennt die mit dem seinigen in derselben stehenden Truppentheile, die verschiedenen höheren Commandeure, deren Stäbe u . j. w. nicht nur aus der Instruction, sondern durch eigene Anschauung, dauernden Verkehr, vielfache un mittelbare und mittelbare Beziehungen zu diesen Verhältnissen und Personen, dienstlicher und außerdienstlicher Natur. Vor dem Feinde findet er eine Erbe bung und Ermuthigung in dem Bewußtsein, einem großen, feſtgefügten, ihm in seinem Wesen vertrauten Verbande anzugehören, die kriegerische Tradition pflanzt

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sich fort, und der Commandeur der 5. , 6. oder 22. Infanterie-Division z . B. kann in künftigen schwierigen Lagen seine Truppen daran erinnern, ihren Muth durch den Hinweis darauf beleben , was diese Divisionen in dem Feldzuge von 1870/71 geleistet haben. Der Reitersmann entbehrt alles dessen, ihn führt der Krieg nach jeder Richtung hin in gänzlich neue Verhältnisse, nicht nur dem Feinde gegenüber, ſondern auch in Bezug auf seine dienſtliche Stellung, alle Friedensverbände, über die er mühsam inſtruirt iſt, in die er sich eingelebt hat, lösen sich, fremde Regimenter, oft aus ganz entlegenen Provinzen, stehen neben ihm , gänzlich fremde Vorgesetzte befehligen ihn , der theoretische Unterricht über alle diese Dinge muß von Neuem beginnen und zwar zu einer Zeit, in der sofort und zuerst vor allen andern Truppen Anforderungen an seine körperliche, gei ſtige und ſittliche Leiſtungsfähigkeit gestellt werden. Und diese lettere, die sittliche Leistung, ist nicht die unbedeutendste , sowohl nach ihrem Werthe für das Allgemeine, als nach der Forderung , welche sie an den Einzelnen stellt. Man vergegenwärtige sich — vielleicht hat einer oder der andere meiner ge neigten Lejer Gelegenheit hierbei , in die eigene Erfahrung zurückgreifen zu können ――― wie schwer es oft, selbst dem nach jeder Richtung hin vortrefflich vorgebildeten Offizier wird, seine volle sittliche Kraft aufrecht zu erhalten, wenn besonders schwierige Leistungen unter gänzlich neuen Verhältnissen an ihn herantreten, und man wird sich eine Vorstellung zu machen vermögen, was nun erst die Seele des gewöhnlichen Reiters unter ähnlichen Verhältnissen durchzieht. Man wird entgegnen: und trotzdem hat ja doch die Reiterei in dem letzten Feldzuge so Vortreffliches grade auf diesem Gebiete , grade in diesem Verhält nisse geleistet! Sicherlich hat sie das gethan, wenn auch nicht durchweg, so doch der überwiegenden Mehrheit nach, und wo es nicht der Fall gewesen, war nicht sie, sondern eben die Neuheit, die mangelnde Durcharbeitung des Ver hältnisses vornehmlich Schuld daran. Man vergeſſe aber auch andrerseits ja nicht, wie leicht der Gegner es uns gemacht hat. Wer, der selber Reitersmann mit Leib und Seele ist , möchte wohl unserer schönen Waffe die Lorbeeren schmälern, welche sie sich vielfach ſo redlich verdient hat : wer es aber ehrlich mit ihr meint, der muß auch den Wunsch hegen , daß diefe Lorbeeren nicht wieder welken , sondern fest und sicher gepflanzt werden , um auch in Zukunft frische gesunde Reiser treiben zu können . Soll dies aber möglich werden, dann müssen wir uns stets vor Augen halten , daß der Hauptwerth unserer schönen Erfolge in dem letzten Feldzuge darin beruht , uns auf den Weg geführt zu haben, den wir einschlagen müſſen, um unserer Pflicht vollkommen zu genügen, dann dürfen wir nie vergessen , daß von uns noch viel , viel mehr und unter bedeutend schwierigeren Verhältnissen gefordert werden. Daher freuen wir uns dessen , was wir geleistet, vergessen wir über dieser Freude aber nicht mit allen Kräften danach zu streben , um uns an eigener Vervollkommnung und äußeren Verhältniſſen das zu erwerben, was noth wendig ist, damit diese Freude sich nicht dereinst in Leid verkehre, denn Stillstand ist Rückschritt ! ― Doch kehren wir zu der Thätigkeit dieser für den Krieg wohl gesicherten, für den Frieden so erwünschten Reiter- Divisionen zurück. Stoßen dieselben, dem Heere voraufziehend, auf einen Widerstand des Gegners , den sie aus eigener Kraft nicht mehr zu überwinden vermögen, oder werden sie durch diesen Widerstand wohl gar genöthigt , sich allmälig auf die Massen des eigenen Heeres zurück zu ziehen, so ist dies ein Beweis dafür, daß die feindlichen Haupt 33 Militairische Jahresberichte 1874.

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kräfte nicht fern sind, einer jener entscheidenden Zusammenstöße in Bälde erfolgen muß . Dieser Zusammenstoß, die Schlacht, entwickelt sich nun dadurch, daß die Heeresmassen, welche bisher durch die Reiter- Divisionen gedeckt wurden, entweder an diese heran marschiren , um den Gegner anzugreifen, oder dieſen in einer Stellung erwarten und die von ihm zurück gedrängten Reiter-Diviſionen auf nehmen. In beiden Fällen aber wird der Vorhang, welchen diese Diviſionen bislang vor der Front der eigentlichen Schlachthaufen bildeten , sich allmälig nach einer oder nach beiden Seiten fortziehen und sie werden somit naturgemäß auf die Flügel der großen Schlachtlinien geführt , um jenen Schlachthausen Platz für den Feuerkampf zu machen; nicht aber, um etwa von nun an als eine zuwartende Reserve in eine hintere Linie zu rücken , sondern um in dauernder Fühlung mit dem Gegner, in genauer Bekanntschaft mit den Wegen, die an ihn führen oder auf denen er herankommt, jede Gelegenheit zu erfassen, selbstthätig in den Verlauf des Kampfes mit einzugreifen. Es ist eine anerkannte Thatsache, für die neue Beweise herbeizubringen wohl nicht mehr erforderlich sein dürfte, daß die Angriffe der Reiterei, wenn sie von nachhaltigem Erfolge sein sollen, gegen die Flanken des Gegners gerichtet werden müſſen. Aus diesem Grunde stellte man sie bereits vor Zeiten auf die Flügel, um sowohl den Angriffen des Feindes gegen die eigenen Flanken ent gegenzutreten, als auch solche Angriffe gegen die seinigen zu führen. Hierbin hat nun auch die Erfahrung des letzten Feldzuges die Reiterei für die Schlacht wieder zurück geführt. Von hier aus kann sie in den letzten Phasen des Kampfes, in die Flanken und gegen den Rücken des Feindes vorgreifend die Verfolgung vorbereiten, oder im Falle des eigenen Rückzuges dieſelbe durch Stöße in des Gegners Flanke wenn möglich brechen, jedenfalls aber abschwächen. „Erschütterte Infanterie, Artillerie im Auf- und Ab-Protzen, Cavallerie ,,in der Entwickelung, oder wenn sie sich in der Flanke fassen läßt, sind die " „Zielpunkte ihrer (der Reiterei) Attacken und ihre sichere Beute, wenn sie die !! jelben überraschen kann, So bezeichnen die „ Verordnungen über die Ausbildung der Truppen im Felddienste vom Jahre 1870 " , die Ziele des Reiter-Angriffes im Besonderen. Die beiden hier in ihren Hauptzügen dargestellten, an sich uralten, jedoch nach langer Zeit der Vergessenheit , durch die Erfahrungen der letzten Feldzüge erst wieder in ihrer vollen Bedeutung zur Anerkennung gelangten Verwendungs weisen der Reiterei im Großen , haben eine sehr erschöpfende und sachgemaße Besprechung gefunden in den Werken des Obersten v. Verdy , Major v. Scherff und Rittmeister Walter,*) deren Studium jedem empfohlen werden kann, der die Pflicht oder Neigung hat , sich mit diesen Dingen eingehender zu beschäf tigen. An die in bigem ihrer Hauptsache nach beleuchteten allgemeinen Fragen, welche die Reiterei zur Zeit vornehmlich in Anspruch nehmen , reiht sich nun *) Studien über Truppen- Führung von J. v. Verdy du Vernois, Oberſt und Chef des Generalstabes I. Armee Corps . II. Theil . Die Cavallerie- Division im Armee Verbande. Berlin 1874. Hofbuchhandlung von E. S. Mittler und Sohn. Studien zur neuen Infanterie - Taktik von W. v. Scherff, Major im Generalstabe. Drittes Heft. Die Infanterie im Verbande mit den andern Waffen. Berlin 1873. A. Bath. Die Kriegführung der neuesten Zeit und deren Einfluß auf die Verwendung, Drga nisation, Ausrüstung und Taktik der Cavallerie. Von Dr. H. Walter , k. . Rittmeister und Escadrons Commandant im Kaiser Franz Joseph I. 4. Ulanen-Regiment: Leipzig 1874. Fr. Luckhardt.

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noch eine Anzahl solcher Fragen , die mehr in das Einzelne gehen und deren hier noch Erwähnung zu thun bleibt. Da ist zunächst die Frage, auf welche Weise der Reiterei die Fähigkeit zur Führung eines kurzen, sich rasch entscheidenden Feuer- Gefechtes zu geben jei , deren sie bei der selbstständigen Verwendung in größeren Verbänden nicht entbehren kann. Diese Frage gehört wohl so recht eigentlich zu den großen, das Allgemeine berührenden Fragen und ist daher auch weiter oben bereits ein gehender behandelt worden. Wenn ich an dieser Stelle noch einmal auf die selbe zurückkom me, geschieht dies nur, um der verschiedenen Vorschläge zu ge denken, welche seinerzeit für ihre Löſung gemacht worden sind, und die immerhin ein gewisses Interesse haben , wenngleich auch die Entscheidung wohl als be stimmt gefallen zu betrachten ist , und zwar im Sinne der Mehrheit der laut gewordenen Stimmen , welche der Reiterei jene Befähigung für das Feuer-Ge fecht durch Ausrüstung mit einer weittragenden Schußwaffe und gründliche Schulung in dem Gebrauche derselben, so wie in der Benutzung der Boden- Ge staltung für das Fuß- Gefecht, geben wollen. Andere wollten den Reiter- Divisionen fahrende Infanterie - Abtheilungen beigeben, wieder andere einen Theil derselben aus reitenden Schüßen bilden, noch andere hielten die Zutheilung von reitender Artillerie für ausreichend. Es ist sicherlich nicht zu bestreiten, daß die Vertheidigungskraft, welche die Beigabe von Infanterie einer Reiter-Division zu gewähren vermag, weit über das hinausgeht , was diese sich selber , auch durch die vortrefflichste Ausbildung in dem Gefechte zu Fuß, geben kann. Diesem Vortheile steht aber auch der große Nachtheil gegenüber, daß eine solche Infanterie, selbst wenn ihre Beför derung durch Wagen auf das ſorgſamſte militairisch eingerichtet ist , stets einen hemmenden Einfluß auf die Beweglichkeit der Reiterei ausübt. * ) Bei Abwä gung dieser Vor- und Nachtheile war zunächst in das Auge zu fassen, welches das Wichtigere für die Reiter-Diviſionen ist, die Beweglichkeit oder eine erhöhte Befähigung für die Führung eines Feuer- Gefechtes und konnte hier die Waage wohl nicht lange im Schwanken bleiben. Die Beweglichkeit ist ein Lebens Element der Reiterei , ſie muß dort , wo die Waffe so recht eigentlich als solche auftreten soll, bis auf das höchste Maaß gesteigert, Alles aber, was dieselbe be einträchtigen könnte, beseitigt werden, und somit fällt denn auch die dauernde Beigabe von Infanterie. Es wird einzelne Lagen geben , in denen auch die Reiter Divisionen der Unterstützung durch Infanterie nicht entrathen können, 3. B. wenn dieselben ausgedehntere Landesstrecken von bestimmten Stellungen aus dauernd beobachten sollen. In solchem Falle muß die Infanterie unter Umständen dieſe Stellungen beſeßen, damit die Reiterei in denselben einen sichern Rückhalt findet, aus denselben immer wieder zu neuen Unternehmungen vorgehen kann. Solche Verhältnisse können aber nur eintreten , wenn die Reiter-Divi fionen in mehr oder minder naher Beziehung zu den großen Heeresförpern stehen (Paris , Loire) und sind diese dann sehr wohl in der Lage , für die Dauer dieses Zuſtandes, Infanterie-Abtheilungen in die Stellungen der Reiterei vorzuschieben. Mit reitenden Schützen sind bereits in den verschiedensten Zeitabschnitten, seit Einführung der tragbaren Feuerwaffen , Versuche gemacht worden , die je= doch nie zu einem befriedigenden Ergebnisse geführt haben und bedarf es daher *) Das 7. Beiheft des Militair - Wochenblatt für 1872 enthält Seite 199 eine ein gehendere Betrachtung der betreffenden Verhältnisse. 33*

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wohl kaum eines näheren Eingehens auf die vielfach erörterten Gründe für diese Erscheinung. *) Die reitende Artillerie , sonst , wie wir bereits weiter oben geſehen haben, ein unentbehrliches Glied der Reiter-Divisionen , vermag ihnen das hier in Rede stehende Element allein nicht in ausreichendem Maße zu gewähren, da ihre Wirkung wesentlich für die Ferne bestimmt , in dem nahen Feuer- Ge fechte nur eine beschränkte ist und um dieses handelt es sich hier vornehmlich. Eine fernere vielfach erörterte Frage, welche sich unmittelbar der vorigen anreiht, ist die , ob es nothwendig sei , der gesammten Reiterei eine weit tragende Schußwaffe zu geben, oder ob es genüge , wenn nur ein Theil derselben mit einer solchen ausgerüstet würde. Diese Frage ist , bezüglich der Deutschen Reiterei , wie oben erwähnt , dahin entſchieden , daß die geſammte leichte Reiterei und ein Theil der Ulanen (32 bei jeder Schwadron) dieselbe erhalten haben, die Cürassire nicht. Die allgemeine Stimme ist durch diese Entscheidung jedoch noch nicht vollkommen zum Schweigen gebracht. Man behauptet, daß eine Reiterei, welche dieser Waffe entbehre, für die kriegerische Verwendung eine nur beschränkte, fast ausschließlich auf das Schlachtfeld verwiesene Brauchbarkeit beſitze, die Anforderungen aber, welche jene Verwendung heutzutage an die Rei terei stelle, der Art sei, daß nur ihre gesammte vorhandene Maſſe denselben zu genügen vermöge , die Ausscheidung einer gewissen Anzahl von Regimentern speciell für den eigentlichen Gefechts - Dienſt nicht zuläſſig ſei . Gegen den Vordersah dieser Behauptung läßt sich wohl füglich nichts einwenden , ob aber auch die aus demselben gezogene Schlußfolgerung eine richtige sei, dafür scheinen die Erfahrungen des letzten Feldzuges noch keine ausreichenden Materialien ge liefert zu haben und dürfte eine endgültige Lösung dieser Frage erst einem künf tigen Kriege vorbehalten sein. Enge mit dieser Frage zusammen hängt die bezüglich der Einheits Reiterei. Ihre Vertreter knüpfen an den vorstehend bereits berührten Ge danken an , daß der strategische Aufklärungs- und Sicherungs - Dienst , wie er heute von der Reiterei gefordert werde , einerseits nur von einer leicht ausge rüſteten , dabei mit weittragenden Schußwaffen versehenen , mit ſchnellen und dauerhaften Pferden berittenen Truppe zu leisten sei , andererseits die gesammte verfügbare Masse derselben voll und ganz in Anspruch nähme, diese daher auch eine völlig gleiche Ausrüstung und Ausbildung erhalten müsse. Die Gegner behaupten , durch die Einführung einer Einheits - Reiterei würde bei der Ver schiedenheit des vorhandenen Mannschafts- und Pferde-Materials ein beträcht licher, an sich sehr tüchtiger Theil beider für den Reiter - Dienst gänzlich ver loren gehen , man würde durch die Umformung, welche von einer derartigen Einrichtung nicht zu trennen wäre , alte werthvolle Ueberlieferungen zerstören, und endlich sei der Angriffsstoß einer schwereren Reiterei dem der leichten in einem so hohen Maße überlegen, daß man Unrecht thun würde , sich dieses Mittels zum Siege freiwillig zu begeben. Die Lösung dieser Frage dürfte mehr auf dem Gebiete der Ausbildung als dem der Ausrüstung zu suchen sein , wobei aber freilich eine durchgängige Bewaffnung mit dem Carabiner als conditio sine qua non vorausgesetzt ist, ohne welche eine gleichartige Ausbil dung ja von vorne herein unausführbar ſein würde.**) *) In dem oben bereits angeführten Werke des Rittmeister Walter Seite 58 , sowie in den " Nachrichten und Betrachtungen über die Thaten und Schicksale der Reiterei u. s. w. 2. Auflage. Berlin 1861 , bei E. S. Mittler und Sohn. Seite 4" iſt dieſes Thema in anziehender und eingehender Weise behandelt. **) Das Militair Wochenblatt für 1872 bringt auf den Seiten 419, 426, 508, 606, 630, 638, 648 eine Reihe von Aufsäßen über diese Frage.

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Besonders warme Verehrer der Schußwaffen sind , durch die Erfahrungen der Americanischen Reiterei darauf hingeführt , zu der Ansicht gekommen , daß es vortheilhafter sei , die blanke Waffe mit dem Revolver zu vertauschen und diesen auch bei der Attacke und überhaupt zu Pferde ausschließlich zu verwenden. Eine so vorzügliche Waffe der Revolver auch ist, so wünschenswerth es erscheinen mag, die alterthümliche Pistole überall da, wo die Führung einer kurzen Hand feuerwaffe nothwendig erscheint , durch ihn zu ersehen , dürfte doch die blanke Waffe oder die Lanze für den Reitersmann zu Pferde stets die Hauptwaffe bleiben. *) Ernstlich bedroht durch die immer wachsende Bedeutung der Schußwaffe, auch für die Ausrüstung der Reiterei , ist der Cüraß. Unläugbar hat die lange glänzende Linie eines zum Angriffe heranstürmenden Regimentes von Panzerreitern etwas überaus Imponirendes , ist die Wucht ihres Stoßes bedeu tender, als die eines leichter ausgerüsteten Regimentes . Andrerseits aber ist der Cüraß für Mann und Pferd eine schwere Last, stellt an beide eine erhöhte Forderung an Körper - Stärke und Größe , macht sie dadurch schwerfälliger, schließt die Verwendung für das Fußgefecht gänzlich aus und beschränkt die für den Aufklärungs- und Sicherungs - Dienst wesentlich. Es ist daher die Frage, ob der doch hauptsächlich moralische Werth des Cüraſſes - wie auch seine Vertheidiger größtentheils zugestehen in richtigem Verhältnisse zu den Opfern steht, welche man ihm zu Liebe bezüglich der allseitigen Verwendbarkeit seiner Träger zu bringen sich genöthigt sieht. Desterreich und Rußland haben diese Frage bereits zu Ungunsten dieser schönen , alten ritterlichen Schuhwaffe ent ichieden , indem jenes seine Cüraffir-Regimenter sämmtlich , dieses bis auf vier Garde - Regimenter abgeschafft hat , nur Deutschland und Frankreich haben die selben beibehalten und dürfte auch hierüber eine allgemeine Löſung der Zukunft verbleiben. Aber nicht nur über die Schutz- und Feuerwaffen schwanken die Ansichten, auch der Werth der blanken Waffen wird verſchieden beurtheilt und ist es hier vornehmlich die Lanze , welche ein lebhaftes für und wider der Meinungen hervorgerufen hat. Dieselbe ist unbedingt für den eigentlichen Chok die sowohl physisch als moralisch wirkſamſte Reiterwaffe und hat sich dadurch den Namen der Königin der Waffen erworben. Sie fordert jedoch für ihre Führung, nament lich im Handgemenge , eine kundige , gewandte und sichere Hand, kann im Auf klärungs- und Vorpostendienſt lästig werden, erschwert den Gebrauch der Schuß waffe und nöthigt durch ihre nicht allzu große Dauerhaftigkeit dazu, dem Ulanen außerdem noch einen Säbel zu geben , für den Fall, daß er sich ihrer beraubt sieht. Es hat dies eine gewisse Ueberhäufung von Waffen zur Folge , welche die Ausbildung des Mannes in jeder einzelnen derselben erschwert und auch das Pferd belastet. Dennoch hat sie, wenn auch nicht den Ruf der berühmten Ülans begründet, so sich doch in dem letzten Feldzuge sehr bewährt , und obgleich die Ulanen im Verlaufe desselben die Nothwendigkeit einer weittragenden Schuß waffe so dringend fühlten, daß sie sich zum großen Theile mit Infanterie-Chaſſepot *) Auch über dieses Thema hat Rittmeister Walter sich in seiner mehrberegten Schrift, Seite 83, ausführlicher ergangen. Ebenso hat Oberstlieutenant George T. Denison jun. in seinem Werke: die Cavallerie nach dem Geiste der jeßigen Kriegführung u. s. m. Deutsch von E. v. Xylander, Rittmeister des Königl. Bayer. 4. Chevaurlegers - Regiments . München 1870 bei T. Lindauer" Seite 54 ff. und 65 ff. Interessantes hierüber gebracht, wie denn überhaupt die Militair - Literatur der lezten Jahre ſich vielfach mit dieser Frage beschäftigte.

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gewehren versahen, die sie über den Rücken trugen, legten sie dennoch die Lanze nicht ab , was wohl dafür sprechen dürfte , daß dieselbe dem Reiter ein großes Zutrauen einzuflößen vermocht hatte, daß ferner der Gebrauch der Schußwasse neben ihr nicht so unbedingt ausgeschlossen sei, und so dürfte sie auch verläufig noch im Allgemeinen mehr Vertheidiger als Gegner haben. Um jene Ueber häufung mit Waffen zu vermeiden und doch die Lanze, wie auch die Schußwaffe zur Verwendung zu bringen , hat man einige Vermittelungsvorschläge gemacht, z . B. die Lanze nur dem ersten Gliede der Ulanen zu geben , das zweite hin gegen nur mit Säbel und Schußzwaffe auszurüften , eine Einrichtung , die bei der ganzen Ruſſiſchen Reiterei mit Ausnahme der Dragoner eingeführt iſt, dort aber auch noch keiner größeren kriegerischen Probe unterlegen hat. Für dieselbe spricht, daß auf diese Weise die Lanze als Angriffswaffe, an der Stelle, wo sie als solche hauptsächlich zur Wirkung gelangen soll und muß , im erſten Gliede, erhalten wird, dabei eine größere Anzahl von Leuten auch für den Aufklärungs und Vorpostendienst , sowie für das Fußgefecht in geeigneter Weise ausgerüstet ist. Dagegen läßt sich anführen , daß somit eine Doppelwaffe mit allen den Nachtheilen einer solchen für die Ausbildung und Verwendung geschaffen, dem zweiten Gliede die Fähigkeit genommen wird , im Gefechte die Lücken des erſten in entſprechender Weise auszufüllen. Andere wollen die Lanze kürzer und leichter machen, welche Maßregel jedoch in den nothwendigen Bedingungen der Wirksamkeit und Haltbarkeit eine baldige Grenze finden dürfte. - Frankreich hat die Lanze gänzlich beseitigt , Oesterreich und Deutschland haben in ſo fern einen Mittelweg eingeschlagen , als sie sämmtlichen Leuten die Lanze beließen, ihnen dazu einen leichten Säbel ohne Korb gaben und 32 Mann in jeder Schwadron mit Carabinern ausrüsteten. Italien hat die Hälfte seiner Reiter Regimenter ( 10) mit der Lanze ausgerüstet , ihnen als Schußwaffe aber nur den Revolver gegeben. Was die eigentlichen blanken Waffen, Pallasch und Säbel betrifft, ſo iſt die seit langen Zeiten schwebende Frage, welche von beiden die beſſere ſei, noch immer nicht entschieden. Die grade Klinge begünstigt ihren Gebrauch für den Stoß, die gebogene den für den Hieb ; ein Mittelweg, der möglichst grade, dabei genügend gebogene Säbel , um Stoß und Hieb mit demselben in ausreichender Weise führen zu können , hat die Vorzüge und Nachtheile jedes Mitteldinges, dürfte aber doch unter den obwaltenden Verhältnissen dem Bedürfniſſe am meiſten entsprechen. Anläßlich des Gebrauches dieser Waffen hat es sich, wie faſt nach jedem Feldzuge, herausgestellt, daß eine gründlichere Durchbildung in Handhabung derselben dringend geboten , daß der Stich wirksamer sei als der Hieb. Die Franzosen haben sich auf diesem Gebiete reiterlicher Thätigkeit wiederum den Deutschen wesentlich überlegen erwiesen. Diese sind jetzt mit der ihnen eigenen Emsigkeit und Pflichttreue dabei , sich eine ähnliche Gewandtheit anzueignen, treffen jedoch auf manche in der nationalen Eigenthümlichkeit begründete Schwierig keiten , die hier , wo der einzelne Mann so recht eigentlich als Individuum zur Geltung kommt, besonders scharf hervortreten. Es ist seit Alters so, die Deutschen Hiebe haben stets , troß ihrer gewaltigen Wirkung , wo sie trafen , gegen den Stoßdegen, das leichte Florett des Franzmannes einen schweren Stand gehabt. Auch über die beste Trageweise, sowohl der Schuß als der blanken Waffe, gehen die Meinungen auseinander. Einige wollen beide dem Manne geben , Andere sie an dem Pferde anbringen. Für die erstere Ansicht ſpricht, daß die Waffe , welche ja nur in der Hand des Mannes eine Bedeutung bat, auch dauernd von ihm getragen werden muß , damit er ihrer jeden Augenblick

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sicher ist , daß er sich andernfalls mit dem Verluste des Pferdes , der ja gar schnell und meiſtentheils in Zeitpunkten eintritt , in denen es schwierig ist , die an demselben befestigten Gegenstände noch zu lösen , auch der Waffen beraubt ſehen kann , daß das durch diese Waffen dargestellte Gewicht , vom Manne getragen, weniger belastend auf das Pferd wirkt, als wenn dasselbe unmittelbar an ihm befestigt ist. Die lezt angeführte Trageweise am Pferde hat den Vor theil, daß der Mann die Waffe ganz frei, je nach dem augenblicklichen Bedürf nisse wählen kann, ohne zu Fuß durch den Säbel, zu Pferde durch die Schuß waffe behindert zu werden , seine körperlichen Bewegungen nach keiner Richtung hin gehemmt sind. In der Deutschen Reiterei sind die bezüglichen Versuche noch nicht zum Abschlusse gelangt, man sucht noch nach der besten Trageweise der Schußwaffe quer über den Rücken des Reiters , man hat begonnen, die Säbel sobald zum Fußgefechte abgeſeſſen wird, an den Pferden zu belaffen. Mit großem Nachdrucke hat sich ganz allgemein der Ruf nach größerer Erleichterung des Gewichtes geltend gemacht, welches man dem Soldaten pferde auferlegt und unter dem es Leistungen ausführen soll , welche man dem Die Erfahrung hat ergeben , daß vorzüglichsten Jagdpferde nicht zumuthet. folche Erleichterungen ohne große Schwierigkeit herbeigeführt werden könnten, wenn in der Ausrüstung von Mann und Pferd einige Abänderungen stattfänden. So z . B. glaubt man, daß das Bandolier gänzlich fortfallen, dafür die Patron tasche an dem bedeutend schmaler zu machenden Säbelgurt angebracht werden könnte, was gleichzeitig den Vortheil bieten würde, daß der Mann in den Stand gesetzt wäre, mit Leichtigkeit und Sicherheit jener Tasche Patronen zu entnehmen, welches bei der heutigen Einrichtung eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert und stets mit dem Verluste einiger Patronen, die dabei verschüttet werden, verbunden zu sein pflegt. - In Bezug auf die Ausrüstung des Pferdes könnten jämmt liche Lederzeugstücke bedeutend schmaler angefertigt, mehrere Schnallen des Zaum zeuges, das Hinterzeug, die Schabracke und einzelne kleinere Ausrüstungsgegen stände, welche in den Packtaschen ihren Platz finden, gänzlich fortfallen. Dies Alles würde freilich nur eine geringe Anzahl von Pfunden darstellen, um welche man die Laſt des braven Pferdes erleichtert, aber auch diese geringe Erleichterung schon ist eine Wohlthat, und sobald ihre Zulässigkeit erkannt wor den , Pflicht. Man bedenke , daß ein einziges Pfund zu viel Gewicht dem vorzüglichsten Rennpferde erfahrungsmäßig den gewohnten Sieg zu nehmen vermag und man wird ermeſſen können , welchen Einfluß diese wenigen Pfunde Mindergewicht auf die Leistung des schwerbelasteten, dürftig gefutterten Soldatenpferdes zu üben vermögen. Es ist die letzte der berührten Einzelfragen , aber eine der wichtigsten, in welcher namentlich die Oester reichische Reiterei es der Deutschen bereits zuvor gethan hat. Neben dieser regen Thätigkeit auf dem praktiſchen Gebiete hat ſich eine entsprechende auch auf dem der Literatur entwickelt, von der die Militairliteratur Zeitung in einem ihrer Auffäße *) ein ebenso übersichtliches , als scharf und charakteriſtiſch gezeichnetes Bild entworfen hat. Zwar hat der Verfaſſer des betreffenden Aufsatzes gewiß sehr Recht, wenn er schreibt: „Die Feder ist nur Aber ebenso selten ein dem Reitersmann beliebtes und genehmes Werkzeug ". wie derselbe, wenn auch mit Widerstreben, so doch mit voller Hingabe aus dem Sattel steigt und zur Flinte greift , um sich den Weg zu ferneren Reiterſiegen zu bahnen, betritt er auch dies in seiner Wirksamkeit durchaus nicht zu unter *) Milit.-Literatur-Zeitung f. 1874. Heft 8 u. 9. Die Literatur der Cavallerie-Taktik.

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schätzende Feld der Thätigkeit , um mit der scharfen Stahlfeder oder dem zwar ſtumpferen aber auch um so flüchtigeren Gänsekiele für seine Waffe zu arbeiten. Und diese Arbeit dürfte nicht ganz ohne Erfolg geweſen ſein, um ſo mehr, als auch aus den Kreiſen der naturgemäß den Grundton angebenden Hauptwaffe, der Infanterie , gewichtige Stimmen mit eingetreten sind für die neuesten Be strebungen der Reiterei, um nach Innen und Außen auf einen geſunderen Stand punft zu gelangen. Es sind dies Oberst von Verdy und Major von Scherff, welche in ihren bereits angeführten Werken der Reiterwaffe Dienste geleistet haben , die von derselben nicht dankbar genug anerkannt werden können. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande, das ist eine alte Wahrheit, stets durch neue Erfahrungen erhärtet , und so begegnet denn auch der Reitersmann , wenn er für die Interessen seiner Waffe eintritt, gar leicht dem Verdachte, ja gradezu dem Vorwurfe der Selbstsucht , des eng begrenzten Fachintereſſes und Verſtänd niſſes. Wenn aber Männer wie die oben genannten , deren Stellung in der anderen Waffe und auf dem Gebiete geistig-militairischen Lebens sie vor solchem Verdachte sicher stellt , für die von der Reiterei angeſtrebten Dinge eintreten, dadurch die Vollberechtigung derselben in dem Reigen der Waffen vor aller Weit anerkennen , ja sogar das Feld ihrer Thätigkeit zum Gegenstande ihrer Arbeit machen, dann wird viel widerwillige Kritik zum Schweigen veranlaßt, mancher, der sich der Sache gegenüber bislang gänzlich theilnahmlos verhielt auf die Bedeutung derselben aufmerksam gemacht, durch Beschäftigung mit ihr für dieselbe gewonnen. Oberst von Verdy widmet sich ganz im Besonderen der Waffe , indem er auf dem, aus seinen Vorlesungen an der Kriegsakademie sowie dem ersten Theile seiner Studien bereits bekannten applicatorischen Wege die Thätigkeit einer Reterdivision vor dem Feinde , ab ovo , durch alle Phasen hindurch darstellt, und dabei alle in dieses Feld schlagenden Lebensbedingungen in das Auge fast; während Major von Scherff ihre Thätigkeit und die an diese zu stellenden For derungen vornehmlich mit Beziehung auf ihr Verhältniß zu den andern Waffen be handelt, dabei aber auch mit anerkennenswerther Unpartheilichkeit die Bedingungen in das Licht stellt, welche ihr sowohl auf dem organiſatoriſchen als taktiſchen Gebiete bewilligt werden müssen, soll sie das Geforderte zu leisten vermögen. Beiden Autoren, namentlich dem Leztgenannten, sind auch aus den Kreiſen der Reiterei einzelne Widersprüche entgegengetreten , zum Theil aus Grundjag, zum Theil wohl nur aus nicht ganz richtigem Verständnisse für das von jenen Schriftstellern Gewollte. Dies kann nicht Wunder nehmen, denn : „eine schlechte Sache wär's , die keine Gegner fände!" sagt der Dichter ; dies thut auch der Bedeutung der besprochenen Arbeiten für die Förderung des wahren Intereſſes der Reiterei feinen Eintrag , die je länger desto mehr hervortreten wird , wenn die zur Zeit noch hoch gehenden Wogen der Meinungen sich mehr geebnet haben, der Kampf für und wider zu bestimmter abgegrenzten Geſtaltungen geführt hat. Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht in jenen Büchern mancher Irrthum, manche Auffassung enthalten sei , die sich als unhaltbar erweiſen ließe , doch wo wäre Menschenwerk vollkommen , es bleibt immer nur ein Streben nach Voll kommenheit und dies tritt an der besprochenen Stelle mit nicht gewöhnlicher Klarheit und sehr günstigem Erfolge hervor. Als besonders werthvolle der reiterlichen Feder entſproſſene neuere Arbeiten*) *) Ich beschränke mich hier auf die Erscheinungen des Jahres 1874 und verweise im Uebrigen auf den angeführten Aufſaß in der Militair-Literatur-Zeitung, den ich im Großen und Ganzen nur abſchreiben könnte.

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sind das weiter oben auch bereits genannte Werk des Oesterreichischen Rittmeister Walter, die Schriften des demselben Heere angehörenden Obersten Freiherrn von Waldstätten * ) und des Bayerischen Majors Freiherrn von Sazenhofen ** ) zu nennen. Alle drei gehen von dem Gesichtspunkte aus , daß die Reiterei , angeregt durch die Erfahrungen des letzten Feldzuges, nicht etwa Neues, nie Dageweſenes , erst der Bewährung Bedürftiges anstrebe, sondern nur Vergangenem, seiner Zeit Bewährtem, aber lange Verkanntem zu seinem Rechte verhelfen wolle. Sie sind, jeder nach seiner Weise und Auffassung, bestrebt, ihrer Waffe die Wege zu weisen, auf denen dieselbe ihr Ziel erreichen, unter Berücksichtigung des neuesten Stand punktes der Taktik und Strategie , zu besseren Ergebnissen gelangen könne als bisher, sowohl in Bezug auf sich selber, als auf ihr Verhältniß zu den andern Waffen, sei es auf dem Gebiete des Aufklärungs- und Sicherungs- Dienstes , ſei es auf dem Schlachtfelde. Rittmeister Walter beginnt mit einer Charakteristik des Krieges , der Schlacht unserer Tage, um aus derselben nachzuweisen, welche Rolle die Reiterei in beiden jüngstens thatsächlich gespielt habe, welche sie eigentlich hätte spielen müssen, und begrenzt dieselbe bestimmter nach den Richtungen des ſtrategiſchen Sicherungs- und des Schlachten- Dienstes . Wenn er hierbei sich auch ein wenig in Theorien verliert, namentlich in ersterer Richtung, was ja sehr leicht möglich ist, bei der Schwierigkeit, für diese Art der Verwendung bestimmte Regeln auf zustellen, so sind doch die Grundgedanken richtig , die Entwickelung derselben bis zu bestimmteren Vorschlägen ist von frischem reiterlichem Geiste durchweht. Er fordert dort vor den Fronten der Heere höchste Beweglichkeit und verwirft deshalb die Beigabe von Infanterie, will, daß die Reiterei mehr durch Geschicklichkeit als durch den Kampf die ihr gestellte Aufgabe löse. Auf dem Schlachtfelde sieht er die Bedingungen des Erfolges in dem schnellen Erfaſſen des günstigen Augen blicks und der Bodengestaltung, in der Wahl der kürzesten Wege, um rasch und überraschend unter Aufrechterhaltung der taktischen Ordnung an dem geeigneten Orte zu erscheinen , in der Wirkung durch die Wucht der Reitermaſſen. Bei Beachtung der Aufgaben der Divisionsreiterei findet er, daß diese vornehmlich furz vor und in der Schlacht liegen, will auch hier einheitliches Wirken der be schränkteren Kräfte und verdammt das durch die bisherigen Friedensübungen begründete Zersplittern und Hin- und Herschieben. Er verlangt die Ausrüstung der Reiterei mit einer weittragenden Schuß waffe , als unerläßliche Bedingung für ihre allseitige Verwendbarkeit so wie gründliche Vorbildung für das Fußgefecht. Die Bildung reitender Jäger hält er, in sofern in ihnen vornehmlich das defensive Element vertreten sein soll, und „ gegenüber den Ansprüchen , welche dermalen in Bezug auf die zeitgemäße Reiterei in fast allen Cavallerien Europa's gestellt werden", für verwerflich), wenngleich er nicht umhin kann, die Americanische Reiterei des letzten großen Secessionskrieges , unter voller Anerkennung ihrer Leistungen als solche zu charak terisiren , die wesentlich in den dort obwaltenden eigenthümlichen Verhältnissen *) Ueber die Verwendung größerer Cavallerie-Körper in den Schlachten der Zukunft ; von Johann Freiherrn von Waldstätten , t. t. Obersten und Generalstabsoffizier. Teschen 1874, bei Carl Prochaska . **) Zur Taktik der Reiterei von M. Freiherrn von Sazenhofen, k. Bayerischen Major und Commandeur der Equitationsanstalt. 3. Auflage. München 1875, bei Th. Ackermann. Diese Schrift hat eine sehr eingehende und sachgemäße Besprechung erfahren in dem De cemberhefte der Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine" für 1874. No. 39. Seite 310.

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ihre Begründung fanden. Er entnimmt außerdem von jener Americaniſchen Reiterei den Gebrauch des Revolvers , den er nicht nur im Handgemenge, bei der Verfolgung und auf Patrouille, sondern auch bei der Schwarm- Attacke auf Infanterie-Carrés oder Knäuel verwenden will. Durch Hineinschießen in dieſe sollen die Reiterschwärme deren Aufmerksamkeit und Feuer auf sich lenken und dadurch den geschlossenen Abtheilungen den Einbruch erleichtern. Die hauptsächlichſte Leiſtung wird den selbstständigen Reiter- Diviſionen zu gewiesen, für dieselben das vorzüglichste Material gefordert, ihre dauernde Auf stellung bereits im Frieden als äußerst wünschenswerth bezeichnet , jedenfalls aber regelmäßige und umfassende Uebung in diesen Verbänden gefordert. Für die Gliederung derselben legt Verfaſſer diejenige des Oesterreichiſchen Heeres, nämlich in zwei Brigaden zu je zwei Regimentern zu je sechs Schwadronen zu Grunde, bei Regimentern zu vier Schwadronen , verlangt er deren sechs in drei Brigaden, indem er die Zahl von vier und zwanzig Schwadronen als die jenige bezeichnet, welche noch von einem Divisionär mit dem nöthigen Erfolge einheitlich geleitet und verwendet werden kann; " die Gliederung in zwei Bri gaden zu je drei Regimentern hält er hier nicht zweckmäßig. In die Einzelnheiten der Verwendung dieser Reiter = Divisionen eingehend verlangt er in vorderster Linie möglichst große Breite , dabei aber auch Gliede rung nach der Tiefe, indem er hier drei Linien hinter einander bilden und dann noch eine geschlossene Reserve behalten will. Er sucht die Sicherheit für die höchst mögliche Leistung solcher Reiterkörper in gründlicher und sachgemäßer Vorbildung des einzelnen Mannes, in sorgsamer Vorbereitung des Pferdes, welches er im Hinblicke auf die bedeutenden Anforderungen an seine Kräfte so wenig wie möglich belasten will . Bezüglich des eigentlichen Gefechtes entwickelt er im Großen und Ganzen die gleichen Ansichten , welche ich in dem ersten Abschnitte dieser Betrachtung zu begründen versuchte, und weicht nur bei dem Angriffe auf die Infanterie in so weit ab, als er der eigentlichen Attacke jene eben bereits besprochenen Schwärme vorauf schicken will. Rittmeister Walter ist ein Vertreter der Einheits-Reiterei und kein großer Verehrer der Lanze, aber für den Fall, daß man dieselbe beibehalten will, dafür, einige Mann in jedem Zuge mit Carabinern , die übrigen mit der Lanze zu versehen, da er eine Führung beider Waffen für unmöglich hält. Auch er ist der Ansicht, daß der Stich dem Hiebe überlegen sei, auch der Deutſche Reiters mann in Anwendung des ersteren die nöthige Sicherheit und Gewandtheit er langen könne. Der ächte und wahre Reitergeist , der das ganze , höchst anregende und lehrreiche Buch durchweht , findet in den Schlußsäßen Ausdruck : „ Mit Liebe, ,,mit übermächtiger Vorliebe, müssen wir dem beschwerlichen Reiterdienste nach „ leben und vom Pflichtgefühle durchdrungen, von wahrem Reitergeiſte beſeelt, „ all unsere Kräfte der Wiedergeburt — der künftigen Größe unserer Waffe, Nach dem Höchsten stre ,,und durch diese unserem Vaterlande widmen. „bend werden wir das Möglichste erreichen! " Oberst Freiherr von Waldstätten ist zwar der Ansicht, daß der Rei terei neben dem Dienste auf dem Gebiete der Aufklärung und Sicherung noch eine taktische Leistung vorbehalten sei , glaubt aber in letterer Richtung vor zu weit gehenden Hoffnungen warnen zu müſſen. Er weist aus der heutigen Fechtweise der Infanterie nach, daß dieselbe bei guter Haltung durch den An griff der Reiterei wohl zum Stehen, zur Annahme ungünstiger Gefechtsformen

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veranlaßt werden könne, wirkliche Erfolge über sie jedoch nur dann zu erringen seien, wenn ihre Ordnung bereits gelockert ist. Er will gegen diese Waffe in möglichst breiter Front mit geringer Tiefe vorgehen und fordert , daß der An griff auf sie mit großer Ueberlegung eingeleitet , mit kaltem Blute und großem Nachdrucke durchgeführt werde. Gegen Reiterei fordert er eine größere Tiefe der Treffengliederung und legt den Hauptwerth auf das zweite dieser Treffen, dem er den eigentlich entscheidenden Stoß vindicirt. In der Schlacht stellt er die Reiter- Divisionen auf die Flügel, als diejeni gen Punkte, von denen aus sie am meisten in der Lage sind , das Gefecht der anderen Waffen zu unterſtüßen, ſelbſtſtändig in daſſelbe einzugreifen. Er hält den Werth der Divisionsreiterei in der Schlacht für untergeordnet und will sie daher auch in größeren Körpern vereinigen. Die Verfolgung läßt sich seiner Ansicht nach nicht in Regeln bringen und muß das jedesmal Erforderliche sich aus der augenblicklichen Lage ergeben. Kriegsgeschichtliche Beispiele dienen ihm als Beläge für die entwickelten Ansichten. Auch die Seiten dieses Buches durchweht der friſche Hauch ächt reiterlichen Sinnes , der, voller Vertrauen auf die Leiſtungsfähigkeit seiner Waffe , bestrebt ist, ihr die Bahnen zu weisen , auf denen sie am ehesten Aussicht hat , ihre große und schöne Aufgabe zu lösen. Die Schrift des Major Freiherrn von Sazenhofen erscheint als dritte und vermehrte Auflage einer bereits im Jahre 1867 veröffentlichten Ar beit. Dieselbe geht mehr in die Einzelnheiten der reiterlichen Ausbildung ein, als die beiden vorgenannten, und giebt hier aus dem reichen Schatze praktischer Erfahrung schätzenswerthe Fingerzeige, namentlich auch in Betreff einer gründ lichen Vorbereitung der Pferde für die Dauerleistung. Zu den Bewegungen der geschlossenen taktischen Abtheilungen übergehend , findet er in den Fridericiani schen Formen die noch heute gültigen Vorbilder , deren leider immer wachsende Vernachlässigung allmälig dahin geführt habe, daß man die Waffe nicht mehr verstand, diese selber nichts mehr zu leisten vermochte. Er will ihr eine zweck mäßigere organiſatoriſche Gliederung , gründliche Vorbildung geben und geistig Nach einer kurzen befähigte, praktisch geschulte Führer an ihrer Spitze sehen. Besprechung der Fridericianischen , Napoleonischen und neuesten Verwendungs weise der Reiterei, geht er zu den Forderungen über, welche seiner Anſicht nach an diejenigen Formen gestellt werden müßten , in denen diese Verwendung statt zu finden habe, sie müssen die Bewegung und die Entwickelung zum Angriffe begünstigen. Diese Bedingungen findet er in den Colonnen und zwar in den geöffneten. Er zieht die Doppelcolonne der Escadrons - Colonne vor, weil erstere den von ihm gestellten Bedingungen mehr entspräche. Den Galopp will er nur in der Linie, nie in der Colonne reiten, da er hier die Geschlossenheit beein= trächtige. Für die Attacke fordert er höchste Geschloffenheit und Vehemenz, und verlangt, daß die Reiterei nie nur drohen, sondern, wenn sie erscheine, auch attackiren solle. Die Evolutionen größerer Reiterkörper müſſen einfach , die Anordnungen für dieselben klar sein und den Unterführern hinreichende Freiheit in der Wahl Gründliche und sorgsame Aufklärung des der Mittel und Wege einräumen. Terrains wird hierbei als ein Haupterforderniß betont. Der Verfaſſer wünscht, daß auf dem Schlachtfelde alle in der Nähe eines zum Angriffe vorgehenden größeren Reiterkörpers befindlichen vereinzelten Ab theilungen sich diesem, wenn auch nur in Form einer Reſerve anschließen , legt

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großen Werth auf die Ueberraschung, ist ein Feind aller künstlichen Manöver, und will Flanken bez . Flügel durch Abtheilungen in Colonne decken , die unter Umständen angriffsweise mit eingreifen. Aehnlich wie Rittmeister Walter will er bei dem Angriffe gegen Infanterie einzelne Züge in aufgelöster Ordnung dem ersten Treffen vorauffenden, die dann, kurz vor dem Gegner zum Keile zuſammenſchießend , in dieſen die Lücke brechen sollen, in welche jenes erweiternd hineinfährt. Es dürfte fraglich erscheinen, ob diese Maßregel von praktischem Erfolge begleitet sein würde. Das Gefecht zu Fuß wird als ein unerläßliches Mittel für die Erreichung der größtmöglichen Selbstständigkeit bezeichnet und empfohlen. Die Nothwendigkeit gründlichster Friedensübung in allen von der Reiterei vor dem Feinde geforderten Dienstleistungen, wird noch besonders durch den Hin weis darauf betont , daß unsere Gegner es bei einem künftigen Zuſammenſtoßze uns nicht wieder so leicht machen werden , daß die fertige Gliederung der großen Reiter - Körper schon im Frieden, ihnen einen Vortheil uns gegenüber gewähre , der nur durch um so größere Tüchtigkeit ausgeglichen werden könne. Auf die Schlachtenthätigkeit der Reiterei im Besonderen näher eingehend, wird deren Wirksamkeit auch über das Schlachtfeld hinaus als besonders wichtig bezeichnet, deshalb ein wohlüberlegter Gebrauch, die Vermeidung eines nuklejen Verbrauches der Waffe gefordert, bei nachdrücklichster und rücksichtslosester Ver wendung, wo die Verhältnisse eine solche begünstigen oder fordern. Die Flügel der Schlachtlinien werden auch hier als die geeignetsten Plätze für die erſte Auf stellung der größeren Reiter - Körper bezeichnet , von wo aus der Führer unter geschickter Benutzung der Bodengestaltung selbstständig einzugreifen bestrebt_ſein muß. Für die Ausführung der hiebei erforderlichen Bewegungen werden Vor schläge gemacht und durch Zeichnungen erläutert. Flankirung des Gegners, Gliederung nach der Tiefe für die eigene Truppe, und rasche gewandte gegen seitige Unterstützung der so entstehenden Treffen , treten als die Haupt- Gesichts punkte hervor, und wird dabei nochmals Gelegenheit genommen, auf die Wichtig teit stetig sich wiederholender Uebungen in größeren Verbänden hinzuweiſen. Das Buch des Freiherrn von Sazenhofen ist ein Beweisstück mehr für die rastlose Thätigkeit, das unermüdliche Streben , welche die Reiterei unserer Tage erfüllen, um den durch die letzten Feldzüge angebahnten Weg zum Beſſern nicht wieder zu verlieren , um wahr zu machen , was des Verfassers Schlußworte ihr als Ziel vor Augen stellen, daß: das Schwert des Reiters einen wesentlichen Theil der Geschichte jedes Feldzuges schreiben wird , trotz Rückladegewehren und gezogener Kanonen ! " Dem Buche sind beigefügt : „Betrachtungen des Erzherzogs Carl über die Cavallerie" und eine jener berühmten Instructionen des großen Königs , auf welche auch in diesem Bericht weiter oben bereits hingewiesen ist. Das erſt genannte Schriftstück ist ein weiterer geschichtlicher Beleg für die Richtigkeit der heutigen Bestrebungen in der Reiterei, welche ihren Hauptpunkten nach darzulegen mein Bemühen gewesen ist. Erzherzog Carl, einer der hervorragendsten Feldherrn und namentlich auch Schlachtenführer, äußert sich in diesen Betrachtungen zunächst über die Eigen thümlichkeiten der Reiterei des Weiteren, schickt dann als allgemeinen Grundjaß voraus : „ Die Art, wie jede Waffe verwendet werden soll, gründet sich auf ihre „Eigenheit und ist die erste Kenntniß eines jeden Generals ! " und sagt endlich über die Art, wie diese Waffe zu verwenden sei : „ Damit eine gelungene Attacke

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„ von bewährtem Nutzen sei, iſt es erforderlich, daß dem erſten Treffen ein zweites und wo möglich ein drittes Treffen mit geschonten disponiblen Kräften folgt. - Auf diese Vordersätze gründen sich die Regeln der Aufstellung der Reiterei „am Tage der Schlacht. Je größer ein Cavallerie - Körper zum Angriffe vor "1geführt wird, desto mehr muß man auf eine entsprechende Reserve bedacht sein. -Zu dem Angriffe muß die Truppe in mehreren Treffen - wie formirt fein. „oben gesagt Das zweite Treffen soll durch Debordirung, „wenn es das Terrain erlaubt, die Flanken des ersten decken , und dadurch oder durch eine den Flügeln folgende Colonne die Möglichkeit einer Ueberflügelung „erhalten. Endlich muß der Grad der Bewegung so bemessen werden , daß das „erſte Treffen die stärkeren Gangarten spät genug beginne, um mit voller Ge walt auf den Feind zu stoßen , während die rückwärtigen im Trabe folgen . „Leytere bleiben in diesem Tempo nicht zu weit entfernt ; die Pferde sind in der #Verfassung, plötzlich in ein schnelleres Tempo überzugehen , und man kann die „Linie länger geschlossen erhalten. „Der General , dem der oberste Feldherr die Cavallerie am Tage der Schlacht „anvertraut, soll sich durch keine Vorstellung anderer Generale verleiten lassen, seine Masse zu vertheilen und mit ihren Bruchstücken unzweckmäßi „gen Beistand zu leisten." „Selten befolgten die Oesterreichischen Generale diese Grundsätze . Die Cavallerie wurde auf allen offenen Strecken einer Position , auf allen Ebenen, „ die eine Colonne durchziehen sollte, unter die Infanterie vertheilt. „Leytere verlor von ihrer Selbstständigkeit, und erstere entschied die Schlach= ten nicht! " Wird man nicht unwillkürlich durch diese Schlußsätze an die Worte Gneisenau's erinnert, welche er dereinst schrieb über die Verwendung der Preu ßischen Reiterei jener Tage: und anstatt wie die Franzosen den Divisionen !! nur wenig Cavallerie beizugeben , diese hingegen in großen Massen „zuſammen zu halten , um damit irgend wo einen entscheidenden Schlag auszu führen , zerstückelte man auch selbige so , daß sie nachher nirgend eine „ kräftige Wirkung thun konnte. " Sie sind ein Memento, diese Worte zweier so bewährter Generale, welches zu Nutz und Frommen der gesammten Deutschen Kriegs-Armada, nicht oft genug aufgefrischt werden kann! Auch die Reihe der Regimentsgeschichten hat im Laufe des lett verflossenen Jahres einen Zuwachs erhalten durch die " Geschichte des Zietenschen Husaren Regiments von Lieutenant Freiherrn von Ardenne , " und „ des Rheinischen Cürassir-Regiments Nr. 8 von Lieutenant von Wellmann. " Die erstere nimmt , abgesehen von der frischen anregenden Schreibweise, schon durch die hervorragende Stelle , welche das Regiment und ſein berühmter Chef sich in der Preußischen Krieges- und Reiter- Geschichte erworben haben, das Intereffe ganz besonders in Anspruch, namentlich aber in unseren Tagen , in denen wir bemüht sind, eine möglichst klare Vorstellung davon zu gewinnen , wie die Preußische Reiterei war, verfuhr, geführt und verwendet wurde , zu jenen großen Zeiten, in denen des Regiments erste Thaten liegen. Die Arbeit des Lieutenant von Wellmann will selber nichts sein , als eine Studie , trägt aber als solche in dankenswerther Weise mit dazu bei , daß die Ueberlieferungen der Waffe auch in ihren einzelnen Gliedern lebendig erhalten. werden, nicht der Vergessenheit anheimfallen, um dann später mühsam und natür lich nur bruchſtückweise aus dem Staube der Acten hervorgeſucht zu werden.

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Die militairische Tages-Literatur fährt fort, sich vielfach mit den reiterlichen Fragen zu beschäftigen , die Wochen- und Monats-Blätter des In- und Aus landes verfolgen mit Interesse die theoretische und praktische Thätigkeit der Reiterei, theils nur berichtend , theils auch eingehender kritisirend , unter ihnen vornehmlich die Französischen Zeitschriften. Daneben steht eine reiche Blumen lese anziehender und lehrreicher Aufsätze , sowohl in Gestalt von Beurtheilungen und Besprechungen neu erschienener Bücher, als auch von selbstständigen Ab Der handlungen über geschichtliche Abſchnitte , wie über die Tagesfragen. Reichthum ist zu groß , um auch nur ein bloßes Verzeichniß , geschweige denn eine Inhalts -Anzeige dieser zum Theil recht werthvollen Arbeiten zu geben, ohne die hier gezogene Grenze zu überschreiten ; Einzelnes hervorzuheben würde ungerecht erscheinen. Die lebhafte Bewegung , welche sich in neuester Zeit auf dem gesammten Gebiete reiterlichen Lebens und Strebens Kund gethan hat, ist nicht auf Deutsch land beschränkt geblieben, wenngleich sie hier vielleicht den lebendigsten Ausdruck fand ; auch die anderen Großmächte Europas haben ihr Augenmerk auf dieſen Theil ihrer Wehrkraft gerichtet und dürfte es nicht ohne Intereſſe ſein , einen Blick darauf zu werfen, was dort nach dieser Richtung hin jüngstens geschehen ist, welche Gestalt die betreffenden Reitereien zur Zeit gewonnen haben : Rußland's Reiterei zählt bekanntlich neben den regulairen Regimentern der Garde und Linie, in ihren Reihen noch ein ihr ausschließlich eigenthümliches nationales Element, in den mehr oder minder regularisirten Kajakenheeren, welche für den eigentlichen Kampf in geordnetem Gefechte wenig geeignet , für den Aufklärungs- und Sicherungs - Dienst von hohem Werthe sind , der ihnen denn auch faſt ausschließlich zufällt. Die Garde und Linien-Reiterei beſteht aus : 4 Cürassir 16 Ulanen Regimentern, 20 Dragoner 16 Hujaren 1 Baschkiren welche in Folge der 1874 eingeführten 1 Tartaren } Schwadron, allgemeinen Wehrpflicht gebildet sind. Jedes dieser Regimenter zählt 4 Feld- und 1 Depotſchwadron , welche letzteren in der Garde sich bei ihren Regimentern befinden, in der Linie divisions weise vereinigt je eine Depot-Brigade von 6 Schwadronen bilden, welcher Brigadeverband für die 4 Depot- Schwadronen der Kaukasischen Dragoner-Division jedoch nicht besteht. Die Depot-Brigaden ſind nicht im Bereiche der betreffenden Divisionen, sondern sämmtlich in den Militair-Bezirken Charkow und Moskau untergebracht. Die 4 Feld-Schwadronen jedes Regiments haben einen Friedensſtand von: 37 Offizieren, 677 Combattanten, 529 Pferden, 126 Nicht-Combattanten, einen Kriegsstand von : 37 Offizieren, 777 Combattanten, 592 Pferden, 132 Nicht-Combattanten. Die Schwadron zerfällt in 4 Züge, von denen jeder im Frieden 14, im Felde 16 Rotten normal zählt. Je zwei Schwadronen bilden eine Diviſion. Diese 56 Reiter-Regimenter sind bereits im Frieden in 10 Diviſionen vertheilt, und zwar in : 2 Garde-, 1 Kaukasische Dragoner- und 7 Armee Cavallerie-Divisionen. Von diesen Divisionen zählt : die 1. Garde -= Division 2 Brigaden zu je 2 Regimentern , sämmtlich Cürafsire, die 2. Garde - Division 3 Brigaden zu je 2 Regimentern,

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die Kaukasische Dragoner - Division 2 Brigaden zu je 2 Regimentern, jede der 7 Armee - Cavallerie - Divisionen 2 Brigaden zu je 3 Re gimentern und zwar je 1 Dragoner- , Ulanen- und Huſaren-Regiment. Für diese Divisionen im Felde bestimmt, ihnen im Frieden jedoch noch nicht unterstellt sind : 1 reitende Garde- Artillerie-Brigade zu 4 Batterien zu 8 Geschützen, 7 Armee " " "! 8 "/ " " 2 2 Reserve "1 ?? 2 !! " " "1 8 " Von den 12 Kajaken-Heeren des Reiches kommen militairiſch nur drei, das vom Don, vom Kuban und vom Terek zur Sprache, während die übrigen neun nur für den Policei- und Grenz- Dienst verwendet werden. Das Heer vom Don zählt 2 Garde- und 60 Armee-Regimenter zu je 6 Sotnien , 1 reitende Garde-, 15 reitende Armee - Kajaken - Batterien zu 8 Geschützen. Das Heer vom Kuban zählt 10 Regimenter zu je 6 Sotnien , die im Falle des Krieges bis auf 30 Regimenter vermehrt werden können , 5 reitende Kajaken-Batterien zu 8 Geschützen. Das Heer vom Terek zählt 5 Regimenter zu je 4 Sotnien , die im Falle des Krieges bis auf 15 Regimenter vermehrt werden können , 2 reitende Kajaken-Batterien zu 8 Geschützen. Die Sotnien sind entsprechend den Schwadronen der regulairen Reiterei in 4 Züge zu 14, bez. 16 Rotten, gegliedert. Von dem Heere des Don befinden sich je eine Division der beiden Garde Regimenter und 4 Geschütze der reitenden Garde-Batterie, sowie 20 Regimenter und 5 Batterien von der Armee im Dienste. Von diesen Kajaken-Regimentern erhält für den Fall des Krieges jede Infanterie- Division eines, der Rest wird auf die Cavallerie- Divisionen vertheilt. Von den 48 Infanterie-Divisionen des Heeres stehen 41 im Europäiſchen Rußland, 7 im Kaukasus, es blieben also, da die letzteren nebst der dort stehenden Dragoner Division aus den Kasaken - Heeren des Kuban und Terek versehen werden , von den 62 Regimentern des Don noch 21 für die 9 Cavallerie-Diviſionen. Die in selbstständigen Körpern gegliederte Reiterei würde somit für den Fall des Krieges darstellen: in 224 Schwadronen 33208 Pferde } zuſammen 51478 Pferde, 18270 "! in 126 Sotnien 216 Geschütze. in 27 Batterien Die regulaire Ruſſiſche Neiterei ist , wie bereits erwähnt wurde, mit Aus nahme der Dragoner, in dem ersten Gliede durchweg mit Lanzen bewaffnet, außerdem führen: die Cüraſſire Pallasch und Revolver , die Ulanen und Husaren Säbel mit eiserner Scheide, im ersten Gliede Revolver, im zweiten gezogene Carabiner. Die Dragoner tragen einen Säbel in Lederscheide, ein gezogenes Bajonet-Gewehr über den Rücken und die linke Schulter, die Flankeure außer dem noch einen Revolver. Die Kajaken führen sämmtlich Pike , Tscherkessensäbel und ein gezogenes Gewehr über Rücken und Schulter. Das Pferde-Material der regulairen Reiterei ist im Allgemeinen schwer und durch die Art der Ausbildung mit hoher Aufrichtung , bei sehr scharfer Zäumung, für die gestreckteren Gänge und die Ueberwindung bedeutenderer Bodenschwierigkeiten nicht besonders vorbereitet. Die Kasaken reiten das kleine, unansehnliche, aber überaus dauerhafte und wenn auch nicht schnelle, so doch

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sehr geschickte Pferd ihrer heimischen Steppen. Die Ausbildung der Rekruten und Remonten geschah früher ausschließlich bei den Depot-Schwadronen, nun mehr erhalten aber auch die Feld-Schwadronen das auf sie fallende Contingent an Rekruten von vorne herein; die Dressur der Remonten ist jedoch den Depot. Schwadronen verblieben. Die gesammte regulaire Reiterei evolutionirt sehr exact , reitet aber nach Deutschen Begriffen kurze Gänge und trägt durchweg mehr den Charakter der schweren oder Linien-Cavallerie, während das Element der leichten Reiterei aus schließlich durch die Kajaken dargestellt wird, welche wiederum, nur wenig erclu tionsfähig, das Extrem nach der andern Seite bilden. Neuerdings hat man den Versuch gemacht, auch sie mehr an Bewegungen in reglementariſchen Formen zu gewöhnen , doch soll das Ergebniß bisher kein sehr günstiges ſein und machen sich Stimmen dahin geltend, daß es wohl nie gelingen würde, aus diesen Söhnen der Steppe eine erercirsichere Truppe zu bilden , da hierfür vor Allem die Vorbedingung einer gründlichen erſten Ausbildung fehlt , andrerseits würden dieselben bei diesen Versuchen leicht von ihrer Eigenthümlichkeit ein büßen und somit zu einem Mitteldinge herabsinken , welches nach keiner Rich tung hin etwas Tüchtiges leistet. Eine fernere Eigenthümlichkeit der Rufsichen Reiterei sind die Dragoner Regimenter, deren Bestimmung vornehmlich das Fußgefecht ist, weshalb jeder Brigade der selbstständigen Diviſionen ein solches Regiment zugetheilt wird. Die Urtheile über ihre Verwendbarkeit sind verschieden, doch scheinen sie in dem ihnen besonders zugewiesenen Dienstzweige nicht so Ausgezeichnetes zu leisten, daß ihr Vorhandensein als ein besonderer Kraftzuwachs für die Waffe im Al gemeinen betrachtet werden könnte. Jedes regulaire Russische Reiter-Regiment führt einen Train von etwa 20 Wagen mit sich , unter denen 1 - bei den Dragonern 2 - Munitions und 5 Proviant-Wagen; jedes Kasaken-Regiment hat 2 Wagen, 72 Packpferde. Dieser Train befindet sich im Frieden bereits bei den Regimentern , jedoch nur theilweise bespannt. Für den Fall des Krieges führt außerdem jeder Reiter einen viertägigen Bedarf an Lebensmitteln bei sich , so daß eine Division auf 10 Tage mit Lebensmitteln ausgerüstet ist. Freilich wird dieser Vorzug, da die Batterien in dieser Richtung entsprechend ausgerüstet sind, mit dem Impediment eines Trains von über 260 Wagen erkauft, der trotzdem noch nicht die erforderliche Fourage aufzunehmen vermag, für deren Mitführung keine weitere Vorsorge getroffen ist. Durch die nunmehr bei den Feld-Truppentheilen stattfindende Ausbildung der Rekruten ist die Zeit für dieselbe von früher 9 auf etwa 5 Monate einge schränkt, da die im December und Januar eingestellten Mannschaften, welche bisher erst nach beendeten Lagerübungen aus den Depot- Schwadronen an die Regimenter abgegeben wurden , jetzt bereits vor diesen Mitte Mai beginnenden Uebungen fertig sein und dieselben mitmachen müſſen. An diesen Lager-Uebungen, welche 2 bis 3 Monate währen und die Erer citien in größeren Verbänden sowie Manöver mit gemischten Waffen umfassen, haben im Jahre 1874 sämmtliche regulairen Reiter - Regimenter , reitenden Artillerie-Brigaden und ein Theil der im Dienste befindlichen Kasaken-Truppen Theil genommen. Jedoch waren hiebei außer den beiden Garde-Divisionen ) *) Von der 2. Garde-Cavallerie- Diviſion ſteht die 3. Brigade in Warschau, welche an diesen Uebungen nicht Theil nahm, sondern bei Warschau mit der 2. Brigade der 3. Cavallerie Division im Lager übte.

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nur drei Armee- Cavallerie- Diviſionen nebst den betreffenden reitenden Artillerie Brigaden vereinigt, und einer dieſer letteren, der 4., welche bei Jeliſſawetgrad übte, zwei Kajaken-Regimenter und eine Kajaken - Batterie zugetheilt. Die übrigen Reiter -Regimenter nahmen brigadeweise , im Kaukasus regimenterweiſe an den Lagerübungen Theil. Für diese Uebungen in vereinigten Divisionen bestanden bisher, mit Aus nahme der Parade-Aufstellungen und Märsche keine besonderen Bestimmungen ; ob solche nunmehr erlassen sind, ist nicht bekannt, doch fanden die Bewegungen während der Uebungen des verflossenen Jahres noch ohne eigentliche Treffen Gliederung statt. Brigade stand und bewegte sich hinter Brigade, die vorderste meistens in Linie, die andere in Colonne, Flankendeckungen oder Flanken-An griffe besonderer Abtheilungen kamen nicht zur Erscheinung, ebensowenig Bewe gungen auf der Diagonale. Die Attacken, nur geradeaus geritten, wurden mit 500 Schritt Trab, 500 Schritt Galopp und einer kurzen Carriere ausgeführt, auf Infanterie und Cavallerie in Staffeln , auf Artillerie in Rudeln. Die Dragoner-Regimenter wurden neben dem Dienſte als Reiter auch für das Fuß Gefecht sowohl in der Vertheidigung als im Angriffe verwendet. Zu diesem Zwecke ſizen je zwei Mann ab, der Dritte bleibt zu Pferde und bilden die ab gesessenen Mannschaften einer Schwadron zwei Züge ; von den vier Schwadronen des Regiments bleibt stets mindestens eine im Sattel. Die reitenden Batterien fanden meistentheils auf den Flügeln ihre Verwendung zur Vorbereitung der Attacke oder zur Aufnahme einer zurückgehenden Abtheilung, auch griffen sie in das Fußgefecht der Dragoner mit ein. Ein Fußgefecht anderer als der Dra goner-Regimenter, wurde nicht bemerkt, doch wurden sämmtliche mit Carabinern versehenen Truppen eifrig im Schießen geübt. Die Depot-Schwadronen nehmen an diesen größeren Uebungen nicht Theil. Die im Jahre 1874 auch für das Russische Heer angenommene Eintheilung in Armeecorps, von denen jedem eine Cavallerie- Diviſion zugetheilt werden soll, wird demnach wohl auch eine Vermehrung derselben zur Folge haben. Wie ver lautet, sollen die vorhandenen Divisionen getheilt werden und jede derselben für den Kriegsfall aus drei regulairen und einem Kajaken-Regimente , sowie einer reitenden regulairen und einer Kajaken - Batterie in je 2 Brigaden bestehen. Auch in der Stellung der Depot - Schwadronen scheint sich eine Veränderung anzubahnen, indem man durch ihre dauernde Vereinigung mit den Regimentern die Beschleunigung der Mobilmachung , ähnlich wie bei der Deutschen Reiterei bezweckt. Frankreichs Reiterei besteht zur Zeit aus : 12 Cüraffir 26 Dragoner 20 Chasseur Regimentern. 12 Husaren 4 Chasseurs d'Afrique 3 Spahi Unter diesen 77 Regimentern befinden sich 14 in Folge der Reorganisation neu gebildete, die bis jetzt erst je 4 Schwadronen zählen, während die 56 alten Regimenter deren 5 , die Africanischen Jäger und Spahis 6 haben , von denen jedoch nur 4 in das Feld rücken , je 1 bez. 2 als Depot - Schwadronen zurück bleiben. Die noch fehlenden 14 Schwadronen der neuen Regimenter sollen demnächst errichtet werden. Jede Schwadron soll eine Kriegsstärke von 150 34 Militairische Jahresberichte 1874.

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Pferden haben.*) Dieselben erreichen zur Zeit wegen des Mangels an Pferden jedoch kaum die Durchschnittsstärke von 105 , und da die in Africa stehenden Regimenter (Chaſſeurs d'Afrique und Spahis) ſtets voll gehalten werden, ſinkt die Standesstärke der in Frankreich befindlichen 336 Linien - Schwadronen bis auf eine Durchschnittsstärke von 100 Pferden. Von den 70 Linien-Regimentern find 36 in 18 Brigaden zu je 2 Regimentern auf die 18 Armeecorps vertheilt, aus den übrigen 34 Regimentern find 6 Cavallerie - Divisionen zu je 2 Bri gaden und je 2 Regimentern und 5 selbstständige Brigaden ebenfalls zu je 2 Regimentern gebildet. Die einzelnen Brigaden bestehen faft durchweg aus gleichartigen Regimentern.

*) Soweit die Französischen Etats bekannt sind, soll bei den Linien - Regimentern eine Schwadron nachstehende Friedensstärke haben : 7 Offiziere, 21 Unteroffiziere und Brigadiers, 106 Soldaten, 134 Röpfe, 106 Pferde. Hierzu treten für das Regiment: der Stab mit 20 Offizieren, 35 Pferden, der Unterſtab mit 6 Unteroffizieren, 6 Pferden, die Mannschaften hors rang mit 17 Unteroffizieren, 32 Mann, 1 Pferd. Dieses erreicht somit bei fünf Schwädronen eine Geſammtſtärke von : 55 Offizieren, 128 Unteroffizieren und Brigadiers, 562 Soldaten, 745 Köpfen, 572 Pferden. Für die Jäger von Africa und die Spahis weichen diese Stärken unbedeu tend ab. So hat die Jäger - Schwadron: 8 Offiziere, 27 Unteroffiziere und Brigadiers, 99 Soldaten, 134 Köpfe, 137 Pferde. Der Stab hat 46 Pferde, hors rang sind 38 Mann. Das ganze Regiment erreicht ſomit bei ſechs Schwadronen eine Geſammtſtärke von: 68 Offizieren, 185 Unteroffizieren und Brigadiers, 692 Soldaten, 885 Köpfen, 875 Pferden. Eine Spahi - Schwadron zählt : 8 Offiziere, 27 Unteroffiziere und Brigadiers, 109 Soldaten, 144 Köpfe, 141 Pferde. Der Regimentsstab 18 Offiziere, 42 Pferde, der Unterstab 6 Unteroffiziere, 6 Pferde, die Mannschaften hors rang 14 Unteroffiziere, 43 Soldaten, 2 Pferde. Das ganze Regiment erreicht somit bei sechs Schwadronen eine Gesammtſtärke von: 66 Offizieren, 182 Unteroffizieren und Brigadiers, 697 Soldaten, 945 Köpfen, 896 Pferden. Die Erhöhung für den Kriegsfall bezieht sich nur auf Mannschaften und Pferde und dürfte vorläufig die Zahl 150 diejenige sein, welche für beide per Schwadron angeſtrebt wird, wonach sich dann das Uebrige leicht berechnen läßt.

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Die Bewaffnung ist bei den Cüraſſiren Pallasch und Piſtole , bei allen übrigen Regimentern Säbel und Chassepot-Carabiner. Das Pferde-Material ist ein sehr gemischtes, da es dem Lande, namentlich nach den Verlusten des letzten Feldzuges an Reitpferden fehlt und daher sehr bedeutende Ankäufe im Auslande gemacht werden müssen. Man ist in der Französischen Reiterei sehr eifrig bestrebt , die Mißstände, welche sich in dem letzten Feldzuge herausgestellt haben und die man im Weſent lichen der veralteten Ausbildungsweise zuschreibt , zu beseitigen. Bereits im Jahre 1869 war eine Commission zusammengetreten , welche die alten Ordon nanzen vom Jahre 1829 umarbeiten sollte, sie wurde durch den Krieg in ihrer Thätigkeit unterbrochen ; diese ist jedoch nach Beendigung desselben wieder auf genommen worden , und hat die Ausarbeitung eines provisorischen Reglements zur Folge gehabt, welches zum Theil im September 1871 , zum Theil im März 1872 an die Truppen ausgegeben worden ist, und nach Ansicht des „ Moniteur de l'Armée" alle diejenigen Verbesserungen enthält , welche die Er fahrung als nothwendig erwiesen hat. Gleichzeitig mit der Anwendung dieser neuen Grundsätze", schreibt dasselbe Blatt , hat die Verwaltung es für nüßlich gehalten, einen Vergleich mit den Reiter - Manövern einer anderen Macht an zustellen. Zu diesem Zwecke wurde der damalige Oberst Chotte , Commandeur des 18. Dragoner - Regiments nach Desterreich gesendet, um das dortige Aus bildungssystem gründlich kennen zu lernen und demnächst bei seinem Regimente versuchsweise einzuführen. " Dies ist geschehen und das Regiment von dem mittlerweile zum General beförderten Herrn auf der Ebene bei Satory im Juni 1874 einer Commission vorgestellt worden , welche unter Vorsitz des Divisions Generals Ameil berufen ist, um nach den Berichten der commandirenden Ge nerale dem bisher nur provisorischen Reglement eine definitive Gestalt zu geben. Die Uebungen des 18. Dragoner-Regimentes haben unter der Französischen Reiterei eine große Bewegung hervorgerufen; in einem dieselben besprechenden Artikel des Français vom 17. October 1874 heißt es : „Man spricht in der „militairischen Welt von nichts Anderem, als den Uebungen, welche zu Versailles, „unter Leitung des General Chotte , nach dem Oesterreichischen Reglement für „die Cavallerie angestellt worden. " Dieser emphatischen Einleitung entsprechend wird denn auch das Neue auf Kosten des Bestehenden in den Himmel erhoben. Freilich scheint das sogenannte provisorische Reglement eben kein sehr glücklicher Griff gewesen zu sein , denn auch der durch seine Schriften als ein tüchtiger Reitersmann von klarem, unbefangenem Urtheile bekannte Oberstlieutenant Bonie schreibt über dasselbe in seinem Buche Leistung und Schnelligkeit einer Reitertruppe im Felde: „ Diese Theorie verneint jedoch, so befremdend dies „auch erscheinen mag, alle neueren Ideen, anstatt auf dem Wege des Fortschrittes „voranzugehen ; und in der Ueberzeugung , daß ohne Zweifel die gute alte Zeit noch immer die beste ist, führt sie uns auf den Anfangspunkt zurück, d. h. auf „ die langsamen und durchaus nicht fortschrittlichen Bewegungen von 1829. " Es ist namentlich die Richtung nach der Mitte, die Führung durch den Zugführer bez. Schwadronschefs ohne viel Commandos, die Leichtigkeit der Be wegung auf jedem Boden, des Wechsels in den Richtungen derselben, der fließende Uebergang aus einer Gangart in die andere , was den Französischen Bericht= erstatter bei den Uebungen nach Desterreichischem Vorbilde so sehr befriedigt, dem Deutschen Reiteroffizier nicht Neues, dem Franzosen aber, nach dem Bilde, welches er von den Uebungen nach der Ordonnanz von 1829 entwirft, wie ein Zauberbild erscheinen muß . Auch er scheint kein Verehrer des provisoriſchen 34*

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Reglements zu sein , denn am Schlusse seines anziehenden Aufjaßes , der von reiterlichem Geiſte und Verständnisse zeugt , schreibt er: „Unsere Reiterei litt „und leidet noch an ihrer Instruction. Die Reglements für die Uebungen stammen Die Ordonnanz von 1872 hat den Plan ihrer Vorgängerin " sklavisch abgeklatscht (calqué). Unsere Reiter , nach acht Dienstjahren unter ,,der Restauration, sieben unter Louis Philip und fünfen heute , verlassen ihr ,,Regiment, ohne je ihr Pferd wo anders als auf dem ebenen Exercirplaye „ oder in der Colonne auf den Straßen geritten zu haben; es giebt unter ihnen „ nicht einen, welcher sich seines Pferdes zu bedienen, es auf schwierigem Boden zu führen, mit ihm ein bedeutenderes Hinderniß zu nehmen verstände. " In officiellen Kreisen scheint man nicht ganz so entzückt über die Leistungen des 18. Dragoner-Regiments zu sein, nicht ganz so trübe über das proviſeriſche Reglement zu denken, jedenfalls will man Nichts übereilen, was wohl seine Be Der ,,Moniteur de l'Armee" schreibt hierüber: „ Erst nach rechtigung hat. genauester Prüfung aller dieser Berichte (nämlich der commandirenden Generale „über das provisorische Reglement), in deren Zahl auch der des Generals Chotte "über die Uebungen des 18. Dragoner-Regimentes enthalten sein soll , wird die "Commission eine Grundlage für ihre Arbeiten feststellen , dem Kriegsminister „ihre Vorschläge machen. Nichts weist heute darauf hin, daß das Oesterreichische „ Reglement ausschließlich den Sieg über das Französische davontragen wird. " Sicher ist nur, daß die Commſſion das , was gut darin iſt, annehmen wird, überall wo sie es nur findet. „ Man kann aus dem , was wir hier gesagt haben , entnehmen , daß die „Hoffnung , sehr lebhaft ausgesprochen von gewissen Organen der Franzöſiſchen „ Presse , unsere Reiterei umgeformt zu sehen in Deutsche Reiterei, mindestens ,,noch etwas verfrüht ist. Was uns betrifft , wir haben mehr Vertrauen und „ erwarten Besseres von unsern eigenen militairischen Einrichtungen , und haben „die Ueberzeugung, daß sie sehr gut sein werden, ohne daß es nöthig ist, so zahl= ,,reiche Anleihen in der Fremde zu machen. " Jedenfalls stehen sich die beiden , durch die angeführten Stellen scharf ge zeichneten Parteien in der Französischen Reiterei ziemlich feindlich gegenüber und dürfte es daher wohl noch einiger Zeit bedürfen, bis sich aus den gegenseitigen Reibungen, die an sich immerhin ein Zeichen von Lebenskraft darstellen , ein wirklicher Fortschritt für die Waffe entwickelt hat. Im Uebrigen scheint doch die Abneigung, Anlehen in der Fremde zu machen, nicht allzu groß zu sein, oder ist es der allerdings sehr vernünftige Grundjak, das Gute zu nehmen, wo man es findet, welcher hiebei leitend war? jedenfalls erinnert die : 29 Etude relative à l'exécution des manoeuvres dans les corps d'armée", welche der Kriegsminister erlaſſen, der „ Moniteur de l'Armée" vom 11. September 1874 ,,in extenso " bringt, sehr lebhaft an die Preußischen Verordnungen über die Ausbildung der Truppen für den Felddienst von 1870. " In der Französischen „ Etude" heißt es z. B. " Capitel III. Besondere Vorschriften für die Kampfrichter oder Schiedsrichter , " bezüglich der Reiterei: „Bei den Manövern kann das Reitergefecht mur unvollkommen dargestellt ,,werden. Bei einem ernstlichen Gefechte bedroht diese Waffe den Gegner un ,,unterbrochen, schon durch ihre bloße Anwesenheit; aber ihre Thätigkeit kann sich ,,nur in bestimmten und kurzen Augenblicken geltend machen. Die Reiterei kann „nur wenig Attacken ausführen , vielleicht nur eine einzige, und ist es daher sehr wichtig, den günstigen Zeitpunkt zu erfaſſen. "

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Und ferner als Anhaltspunkte für das Urtheil über die richtige Ausführung solcher Attacken: „ Ob die Attacke auf einen der Flügel der feindlichen Linie gerichtet war ; " „Ob der Stoß aus einer vernunftgemäßen Entfernung erfolgte, ohne daß " „die Pferde außer Athem waren ; ob derselbe in Ordnung und geſchloſſen war ; ' „ Ob die Truppe durch das Feuer der anderen Waffen unterstützt wurde, „ oder ob sie im Gegentheil das des Feindes durchſchreiten mußte ; " „Ob die Reserven gut in der Hand des Führers waren und wie dieselben „verwendet wurden u . s . w . " Vergleicht man diese Sätze mit den betreffenden Stellen der oben angeführ ten Preußischen Verordnungen vom Jahre 1870 * ) — und die ganze étude for dert Satz für Satz zu einem solchen Vergleiche auf, man könnte sie eine freie Uebersetzung nennen - so wird man sich mit einigem Grunde der Ueberzeu gung hingeben können, daß die Französische Reiterei ähnliche Ziele anstrebt wie die Deutsche und zwar auf den entsprechenden Wegen, gründlicher Vorbildung im Einzel-Dienste, gründlicher Ausbildung für den Dienst im Felde und nach Grundsäßen, die bei uns seit langer Zeit geltend , je nach den Zeitströmungen mehr oder minder strenge befolgt worden sind. Diese Ueberzeugung wird be stätigt durch einen Blick auf die größeren Uebungen des Jahres 1874 . Nach den bisher zur allgemeinen Kenntniß gelangten Berichten über dieſe Uebungen haben deren für die Reiterei im Divisions - Verbande nicht stattge= funden, jedoch haben sich mehrere dieser Divisionen an den Uebungen der Armee Corps betheiligt und zwar die 2. Division de France und die 5. Division de Montaigu bei dem VI. , die 6. Diviſion **) du Preuil bei dem XIV. Armee-Corps. Die beiden erstgenannten Divisionen traten hierbei nur mit zwei Schwa dronen für das Regiment auf, da befohlen war, daß die taktischen Einheiten (Bataillon, Schwadron , Batterie) auf die Stärke, des Kriegsfüßes gebracht werden sollten;" dies hatte sich nur ausführen lassen , indem die Manquements aus den übrigen drei Schwadronen ausgefüllt wurden, was einen Rückschluß auf die thatsächliche Stärke der Schwadronen möglich macht. Die 6. Cavallerie- Division , sowie auch die zu dem XIV. Armee - Corps gehörende 14. Cavallerie-Brigade erſchienen mit Regimentern zu 4 Schwadronen. *) Vergl. Seite 508-509. **) 2. Cavallerie - Division : General de France. 2. Dragoner - Brigade : General de Vouges. 8. u. 9. Dragoner- Regiment. 2. Chasseur Brigade: General d'Espeuilles. 7. und 11. Chasseur-Regiment. Attachirt für die Manöver und zum VI. Armee-Corps gehörig : 6. Cavallerie - Brigade : General Cornat. 6. Chasseur Regiment. 12. Dragoner 5. Cavallerie - Division : General de Montaigu. 1. Cüraſſir - Brigade : General Torel. 1. und 5. Cüraſſir-Regimet. 2. Husaren - Brigade : General de Vernéville. 2. und 4. Husaren-Regiment. 6. Cavallerie - Division : General du Preuil. 6. Cüraſſir - Brigade : General Zenį. 11. und 12. Cüraſſir-Regiment. 4. Husaren- Brigade : General Sautereau - Dupart. 5. u. 10. Husaren-Regiment.

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Die betreffenden Berichte erwähnen nicht , ob hier eine ähnliche Maaßregel be züglich der Ausrückestärke angeordnet war, als bei dem VI. Corps, doch scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein , da auch der größte Theil der Infanterie Regimenter zu 3 Bataillonen ausgerückt war. Diese größeren Uebungen, bei denen Infanterie- gegen Infanterie-Division unter Beigabe stärkerer Reiter- und Artillerie-Abtheilungen operirten, entſprachen in ihrer Anlage den Deutschen größeren Manövern mit wechselnden Quartieren bez. Biwaks nicht so in der Ausführung, indem der Verlauf der eigentlich tak tischen Bewegungen mehr durch die vorher festgestellten Absichten der leitenden Führer als durch die freien Entschlüsse der Truppenführer und deren Erfolge bestimmt wurde , das Ganze daher wohl den Charakter eines großartigen Erer cirens im Terrain, nicht den eines Manövers nach Deutschen Begriffen trug. Man war sorgsam bemüht , die Truppen auseinanderzuhalten : „,qu'en aucun cas les combattants ne puissent s'aborder réellement;" und bestimmte daher z . B.: „ Un détachement de cavalerie sera envoyé sur Waly, mais n'y entrera pas !" Die Cavallerie wurde bei diesen Uebungen zur Verhüllung des Aufmarsches, Aufklärung des Geländes und Feindes , weiter vorgreifenden Recognoscirungen und Unternehmungen in die Flanken desselben verwendet. Letzteres sowohl allein als wie auch in Verbindung mit Infanterie. Sie trat hierbei in Diviſionen, meiſtentheils aber in Brigaden und kleineren Abtheilungen auf, namentlich die leichte Reiterei, welche vornehmlich verwendet wurde, während die schweren Regis menter vorwiegend in Reserve verblieben. Den Divisionen war theilweise eine reitende Batterie zugetheilt. Bei Gelegenheit der Schlachten-Tableaux, welche am Schluſſe der Uebungen theils Division gegen Division , theils corpsweise gegen einen markirten Feind so zu sagen aufgebaut wurden denn von wirklicher Action scheint dabei wenig die Rede gewesen zu sein - fanden die Cavallerie- Divisionen oder ein zelne Brigaden ihre Stellung auf den Flügeln , die Divisions - Cavallerie , oder nach Französischer Auffassung und Eintheilung Corps- Cavallerie, vertheilt theils in, theils hinter der Gefechtslinie der Infanterie. Eine treffenweise Verwendung der Reiter-Divisionen ist aus den Berichten nirgends erkennbar. Es dürfte nicht ohne Intereſſe ſein, die eigenen Urtheile über Verwendung und Leistung der Reiterei während dieser Uebungen kennen zu lernen. So schreibt das „ Bulletin de la Réunion des officiers " rom 24. October in einer Conclusion über die Uebungen des XI. Corps : „Die Cavallerie zog keinen Vortheil aus den Betrachtungen des Generals „en Chef. Man sah die den Infanterie - Brigaden zugetheilten Schwadronen nicht, obgleich die Gelegenheiten, sich zu zeigen und den Feind zu beunruhigen, „nicht fehlten. Es dürfte nicht nöthig sein, daß die Cavallerie so viel ihr Auge ,,auf den Zwischenfall (incident) von Forbach richtet , wo die Dragoner eine so gute Haltung bewiesen und die Kraft ihres Feuers so glücklich ausnüßten. „ Die Cavallerie hat Beſſeres zu thun, als zu tirailliren ; der mit einer Flinte ,,ausgerüstete Reiter ist deshalb noch kein berittenerer Infanterist. Man fordert ,,ven der Reiterei nicht unnütze Angriffe auf unerschütterte Infanterie ; aber so giebt noch und wird immer für die Reiterei zahlreiche Gelegen heiten geben , sich nüßlich zu machen , so lange der Krieg mit Menschen geführt wird, d. h. mit unvollkommenen Wejen, fähig " Fehler zu begehen, sich zu beunruhigen u. s. w.; sie werden namentlich

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"zahlreich sein für die den Divisionen zugetheilten Regimenter. Die mit über ,,triebener Genauigkeit abgemessenen Manöver der Ordonnanz üben noch einen ,,nachtheiligen Einfluß auf unsere Reiterei aus ; man verlangt von ihr nicht, „ daß sie diese Ordonnanz vernachlässigen soll, es iſt nothwendig , sie zu kennen, „ aber man kann sie vollkommen kennen und braucht deshalb doch die Eigen "schaften nicht nieder zu halten , welche stets den Ruhm unserer Reiterei aus „gemacht haben. " Also auch hier seine unglückliche Ordonnanz , man ſieht daraus , welche tief greifenden, nachtheiligen Folgen ein unzweckmäßiges Reglement auf lange Zeit hinaus haben kann, wie schwer diese Folgen zu beseitigen sind. Das Bulletin schreibt ferner: "Große Fortschritte bleiben noch bezüglich der Sattelung und Zäumung zu „ machen. Die Frage ist zu wichtig , um in einigen Zeilen abgemacht werden zu können. Die Unterdrückung des Lagerns (du campement) ist ein großer ,,Schritt vorwärts auf dem Wege der Erleichterung. Wir kennen den Zustand „ der nicht verfügbaren Pferde des 6. Huſaren - Regiments nicht. Wir wissen „ jedoch, daß es am 12. früh, nachdem es in einem Marſche aus dem Lager ge ,,kommen war , 50 Pferde im Biwak zurückließ , *) und daß am 15. bei der Besichtigung durch den General en Chef nach den Märschen am 12. , 13. und 14. die Schwadronen ſehr geschwächt erſchienen. Wie stets muß dieſe reißende Abnahme der Ausrückestärke der Sattelung und dem Gewichte des Ge „ päckes zugeschrieben werden; - und der Aufmerksamkeit der Offiziere und „Unteroffiziere der Züge beim Auf- und Abjatteln" fügt eine Anmerkung hinzu. Die Französische Reiterei scheint demnach noch immer an den seit alter Zeit ihr eigenthümlichen Fehlern nicht genügender innerer Ordnung und damit zusammenhängender schlechter Pferdepflege zu kranken, während ihre großen Eigen schaften, Unermüdlichkeit und Gewandtheit im Aufklärungs- und Sicherungs dienste, Kühnheit und Unwiderstehlichkeit des Angriffes auf dem Schlachtfelde, welche sie unter des ersten Napoleon Führung so vielfach an den Tag gelegt hat , unter dem Einflusse falscher unzureichender Reglements und In structionen , bisher noch nicht wieder haben zur vollen Geltung gelangen können. In den Reihen des Heeres im Allgemeinen, wie namentlich auch der Reiter Waffe, ist augenscheinlich Erkenntniß dieser Uebelstände und ihrer Gründe, hier auf beruhendes Streben nach Beſſerung vorhanden, wie überall vornehmlich durch einzelne Männer getragen , in deren Zahl auch General Chotte mit ſeinen 18. Dragonern zu rechnen sein dürfte. Im Januar 1875 stellt die gesammte Franzöſiſche Reiterei 13,389 Rekruten ein, bei einer Friedensstärke von etwa 40,000 Mann ein starkes Viertheil. Diese Rekruten werden jedoch nicht gleichmäßig vertheilt , sondern erhalten die 22 an der Ostgrenze stehenden Regimenter je 220, alle übrigen je 163 Mann. Desterreich hat nach dem Feldzuge von 1866 seine Reiterei mancherlei Umformungen unterzogen und dabei sich durch Schöpfung einer Landwehr-Reiterei die als nothwendig erwiesene Stärke dieser Waffe für den Fall eines Krieges zu sichern gesucht. An Linien-Reiterei zählt das Desterreichische Heer zur Zeit : 14 Dragoner-) 16 Husaren= Regimenter. 11 Úlanen= *) Das Regiment zählte 4 Schwadronen zu je 100 Pferden etwa.

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Jedes dieser Regimenter besteht aus : 6 Feld-Schwadronen, 1 Ergänzungs- Schwadrons - Cadre , welcher in dem Ergänzungsbezirke des Regimentes steht. Im Falle des Krieges bildet jedes Regiment noch eine „Reserve- Schwadren", welche als Stabswache für die höheren Truppenstäbe verwendet wird . Eine vortreffliche und sehr nachahmungswerthe Einrichtung , durch welche , namentlich die Divisionsreiterei, eines Dienstes überhoben wird, der unter allen Umständen nachtheilig auf Disciplin, Material und dadurch auf ihre Verwendbarkeit wirkt. Jede Schwadron ist in vier Züge getheilt , der vierte Zug der sechsten Schwadron jedes Regimentes , der Pionier = Zug , ist für den Zweck kleinerer Pionier - Arbeiten, namentlich die Zerstörung von Eisenbahnen ausgebildet und ausgerüstet. Je drei Schwadronen bilden eine durch einen Stabs =- Offizier geführte Division. Friedens- und Kriegsstärke für die Schwadronen sind gleich und betragen: 5 Offiziere, 166 Mann, 156 Pferde, einſchließlich der eigenen Offizier Pferde. Bei den Regimentern ſind dieſe Stärken verſchieden durch den Hinzutritt oder Abgang der Ergänzungs- Schwadron und zählt ein Regiment somit im Frieden einschl. der Ergänzungs - Schwadron : 38 Offiziere, 4 Aerzte, 1031 Mann und 1037 Pferde ; im Kriege ausschl. Ergänzungs- und Reſerve- Schwadron 36 Offiziere, 4 Aerzte, 1042 Mann, 1026 Pferde. Bei der Landwehr- Reiterei tritt zunächst die Ungarische Honred Reiterei in den Vordergrund, sie zählt : Schwadronen. 36 Husaren 4 Ulanen= Von diesen 40 Schwadronen sollen für den Fall ihrer Einziehung je 4 ein Regiment, je 2 eine Abtheilung bilden, es bestehen daher im Frieden bereits die Cadres für: 10 Regimentsstäbe mit je 1 Stabsoffizier, 1 Roßarzt, 1 Mann, 40 Schwadrons -Cadres mit je 2 Offizieren, 42 Mann, 34 Pferden. Die Cadres einer Abtheilung sind zusammen untergebracht. Für den Krieg ist die Stärke Eines Regiments - Commandos : 5 Offiziere, 16 Mann, 20 Pferde ; Einer Schwadron : 5 Offiziere, 169 Mann, 161 Pferde. Jede Abtheilung bildet eine Ergänzungs -Halb- Schwadron. Für die Landwehr diesseits der Leitha, welche eine Stärke von : Schwadronen . 12 Dragoner13 für den Fall des Krieges erhalten soll , bestehen keine Cadres , doch sollen Aus rüstung und Bewaffnung für dieselben stets vorräthig gehalten werden. Jhre Stärke soll je 5 Offiziere, 167 Mann, 153 Pferde für die Schwadron betragen. Außer diesen Landwehrreitern bestehen noch in Dalmatien und Tirol für den Dienst der Landes -Vertheidigung bestimmte berittene Schüßen und zwar je zwei Compagnien, für welche im Frieden je ein gemeinsamer Cadre beſteht. Die Kriegsstärke dieser Compagnien ist : in Dalmatien je 5 Offiziere, 175 Mann, 161 Pferde; in Tirol je 5 Offiziere, 180 Mann, 160 Pferde.

Entwickelung der Reiterei.

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Ihre Ausrüstung und Bewaffnung ist die der Dragoner der Linie. Die Bewaffnung der Husaren und Dragoner in Linie und Landwehr ift Säbel bei den Honved - Husaren an dem Sattel unter der Packtasche be festigt , Werndl Carabiner über den Rücken und die linke Schulter getragen, für Unteroffiziere sechsläufiger Revolver. Die Ulanen führen durchweg die Lanze , 32 Mann in jeder Schwadron den Carabiner, die übrigen den Revolver. Das Pferde - Material dürfte im Durchschnitte als gut zu bezeichnen sein, jedenfalls sind die aus den östlichen Provinzen des Reiches stammenden Thiere ausdauernd und gewandt. Desterreich kann somit einschließlich seiner Landwehren eine tüchtige Reiterei von etwa 48,000 Pferden in das Feld stellen. Dieselbe ist im Frieden brigadeweise zu je 2 Regimentern den einzelnen Infanterie-Truppen-Divisionen zugetheilt ; für den Krieg wird jedem der 12 Armee-Corps eine Cavallerie-Brigade zu 2 Regimentern zugetheilt ; aus den übrig bleibenden 17 Reiter-Regimentern und 18 Honved - Schwadronen' werden 5 Cavallerie-Diviſionen zu je 2 Brigaden, jede zu 2 Regimentern derart gebildet, daß die 5. Division aus 1 Linien-Regiment und 18 Honved- Schwadronen besteht, die dann wahrscheinlich auch der Linie entsprechend in 3 Regimenter zu je 6 Schwadronen gegliedert werden . Jeder dieser Divisionen sind 2 Cavallerie Batterien, also auf jede Brigade eine Batterie, zugetheilt. Die übrigen Honved-Schwadronen werden den Honved-Infanterie-Divisionen zugewiesen. Die Oesterreichische Reiterei beſitzt in den 1870 ausgegebenen " Abrichtungs=" und „ Exercir -Reglement" zwei sich gegenseitig ergänzende ganz vortreffliche Handbücher für die Ausbildung , Führung und Verwendung der Waffe vom einzelnen Manne bis hinauf zu den Diviſionen.*) Sie haben vor anderen Büchern dieser Art den großen Vorzug , daß sie einmal die gesammte Ausbildung des einzelnen Mannes zu Fuß und zu Pferde in allen Dienstzweigen , sowie die Dreſſur des Letteren zuſammenfaſſen und ſomit in einem Buche die gesammten Dienst-Anweisungen vereinigen, und dann, daß ſie nicht nur die reglementariſchen Bestimmungen, sondern auch eine Anweisung für deren Gebrauch geben. Wohl unter dem Einflusse des, um den Aufschwung des Reiter- Dienstes im Allgemeinen , des Oesterreichischen im Besonderen , hochverdienten Generals Edelsheim entstanden, tragen dieselben auch den frischen lebendigen Charakter in Form und Ausdrucksweise, der den wahren Reitersmann vor anderen kennzeichnen soll, in Allem, was er thut. Manches von den hier enthaltenen Bestimmungen ist wohl nicht ohne Einfluß auch auf das neue Preußische Reglement geblieben, so namentlich die Richtung nach der Mitte , in Anderem scheint aber doch die Individualiſirung ein wenig weit zu gehen. Unbestreitbar beruhte die Brauch barkeit und allseitige Verwendbarkeit einer Reitertruppe vornehmlich in der gründ lichen Durchbildung jedes einzelnen Mannes, jedes einzelnen Gliedes, beide aber sollen zwar unter Umständen als Einzelnheiten thätig werden, der Hauptsache nach aber doch in der Gesammtheit wirken und müssen deshalb auch von vorn herein im Hinblicke auf diese ihre Haupt-Bestimmung erzogen werden; hierzu ist es aber nöthig , daß eine ganz bestimmte Form alle entwickelten und aus gebildeten Einzelnheiten zusammenfaßt , ohne sie in ihrer Kraft-Aeußerung *) Diese Reglements haben in den Jahrbüchern für die Deutsche Armee und Marine“, Heft Nr. 40, Januar 1875, Seite 31, durch den Rittmeister a. D. von Seemen eine ebenso eingehende als anziehende Besprechung gefunden, in der ein Vergleich mit den entsprechen den Preußischen Reglements in sehr unpartheiischer Weise gezogen ist.

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einzuschränken ; - ob die Desterreichischen Reglements dieser Nothwendigkeit in hinreichender Weise Rechnung tragen, mag dahin gestellt bleiben. Diese Loslösung ron strengeren Formen, in deren Anwendung ja ſicherlich leicht so weit gegangen werden kann , daß sie einengen und anstatt die Kräfte in gemeinsamer Wirkung zu steigern , dieselben schwächen , tritt auch in der Oesterreichischen Ausbildungsweise der Pferde hervor ; nicht Durcharbeit, jondern Gewöhnung ist das Mittel, welches dazu angewendet wird, den Zweck zu erreichen; ich habe in dem ersten Abschnitte dieser Betrachtungen bereits darauf hingewiesen, wie die letzten kriegerischen Erfahrungen die Deutsche Reiterei zu der Ueber zeugung gebracht haben , daß nur ein gründlich durchgearbeitetes Pferd den Anforderungen des Krieges zu genügen vermag. Jedenfalls ist das Ergebniß der hier befolgten Methode, daß die Oesterreichische Reiterei einen um 50 Schritt in der Minute kürzeren Galopp reitet als die Deutsche, daß ihre Pferde mit diesem Galopp die Grenze ihrer Schnelligkeit erreichen, ein eigentliches Marich Marsch nicht mehr in ihnen ist. Im Uebrigen gehen sie fest an den Zügel mit gebogenem Halse und beigestellter Nase , sind aber wenig wendig , im Schritt und Trabe ist ihr Gang fließend und räumig, sie nehmen mit großer Sicherheit und Gewandtheit die vorkommenden Hindernisse und bewegen sich ebenso auf schwierigem Boden. Der Desterreichische Reiter reitet, so lange er nicht das Seitengewehr auf genommen hat , mit angefaßter Trense und bedient sich auch im Gliede eines Reitstockes , den er für den Nicht - Gebrauch in den Stiefel steckt. Beides hat zur Folge, daß der Schenkel vom Reiter wenig gebraucht, von dem Pferde wenig verstanden wird. Im Allgemeinen kommen auch hier die Grundsätze zur Geltung, welche für jede gute Reiterei maßgebend sein müſſen, was auch nicht Wunder nehmen kann, da die Desterreichische Reiterei stets zu den besten gezählt hat. Im Laufe des Jahres 1874 hat die Reiterei des Kaiserlichen Nachbar staates Deutschlands, nach den üblichen Regiments- und Brigade- Exercition , an den Manövern der Armee-Corps bez . Divisionen Theil genommen , außerdem war bei Totis eine Cavallerie- Division in der Stärke von 5 Regimentern_nebſt 4 Cavallerie-Batterien zu größeren Reiter-Uebungen von einer zehntägigen Dauer vereinigt, bei denen stets eines der Regimenter und eine Batterie dazu verwendet wurden, den Feind zu markiren, so daß die eigentliche Division in der Kriegs Gliederung auftrat. Der Führer des markirten Feindes bildete hierbei aus seinem Regimente eine markirte Division, mit welcher er selbstständig agirte. Die kriegerische Lage, welche der Uebung zu Grunde lag, wurde den Führern erst beim Beginn jeder Tages-Uebung bekannt gegeben und mußten dieselben hiernach an Ort und Stelle mündlich ihre Entscheidungen treffen, die bezüglichen Befehle ertheilen. Zum Zwecke der Aufklärung wurde eine Avantgarde aus einer oder mehreren Schwadronen gebildet, welche ihre Spißen vortrieben ; diesen aber noch voraus, unabhängig von der Avantgarde , streiften Offizier-Patrouillen mit beſtimmten, entweder auf den Feind oder das Gelände bezüglichen Aufträgen. Eine bestimmte Normal- Gliederung für die taktische Verwendung einer Reiter-Division besteht nicht, vielmehr bleibt es dem jedesmaligen Führer ganz überlassen, diejenigen Zuſammenſtellungen und taktischen Formen zu wählen, welche ihm für den Augenblick als die geeignetsten erscheinen, in Folge deſſen auch nicht selten Verhältnisse eintreten, unter denen von taktischer Form, namentlich aber einer einheitlichen Wirkung der Diviſion nicht mehr die Rede ist. Eine

Entwickelung der Reiterei.

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eigentliche Treffengliederung , eine Entwickelung nach der Tiefe fehlen ; Brigade geht neben Brigade in möglichster Breite vor und wird die Ueberflügelung bez. Flankirung des Gegners dadurch engestrebt, daß die nicht auf ihn treffenden Abtheilungen der Front in den bezüglichen Richtungen einschwenken. Die Attacken werden schneidig , aber nicht übermäßig geschlossen geritten, und wird unmittelbar aus denselben zur Verfolgung übergegangen , ohne daß ein Theil der Linie sich vorher sammelt und zusammenschließt. Im Allgemeinen evolutionirt die Oesterreichische Reiterei mit Geſchick, Sicherheit und Ruhe, doch scheint sie nicht den Werth auf Geſchloſſenheit zu legen, welcher ſonſt überall mit beſonderem Nachdrucke betont wird . In Betreff des Fußgefechtes , welches allgemein in Ausübung ist , machen sich zwei verschiedene Richtungen geltend , von denen die eine großen Werth auf dasselbe legt und einen weiter gehenden Gebrauch davon zu machen wünscht, als dies in der Deutschen Reiterei angestrebt wird , die andere ihm nur sehr wenig Bedeutung beizulegen geneigt ist und in der Führung einer weittragenden Schußwaffe eine unnüße Belastung für den Reiter sehen zu müſſen glaubt. Auch der Revolver als Gefechtswaffe findet in den Reihen der Desterreichischen Reiterei seine Vertreter. Italiens Reiterei besteht aus zwanzig Reiter - Regimentern , von denen jedes sechs Feld-Schwadronen und eine schwache Depot - Schwadron zählen soll, bei sechsen dieser Regimenter sind aber vorläufig nur fünf Feld - Schwadronen vorhanden. Jedes Regiment zerfällt in zwei Halb-Regimenter zu je drei Schwadronen mit eigenem Stabe. Der Friedensstand einer Feld - Schwadron beträgt : 5 Offiziere, 17 Unteroffiziere und Trompeter, 139 Reiter, 4 Handwerker, 165 Köpfe, 120 Dienstpferde. Hierzu treten für das Regiment: Der Regimentsstab mit : 2 Offizieren, 2 Aerzten, 2 Veterinair-Aerzten, 12 Beförderten, 1 Reiter, 4 Handwerkern, 23 Köpfen, 11 Dienstpferden. Zwei Halb-Regimentsstäbe mit je : 2 Offizieren, 3 Beförderten, 5 Köpfen, 3 Dienstpferden. 1 Offizier, 4 Zahlmeistern, 10 Beförderten, 15 Köpfen. Eine Depot-Schwadron mit : 1 Offizier, 10 Beförderten, 27 Mann, Der Depot- Stab mit :

38 Köpfen.

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Militairische Jahresberichte für 1874. Das gesammte Regiment zählt somit auf dem Friedensfuße: 38 Offiziere, 2 Aerzte, 2 Veterinair-Aerzte, 4 Zahlmeister, 140 Beförderte, 862 Mann, 28 Handwerker,

1076 Köpfe, 737 Dienſt-Reitpferde, 13 Zugthiere. Für den Kriegsfall stellt jedes Regiment zwei Züge Guiden für den Or donnanzdienst bei den höheren Truppenſtäben , die hierdurch abgehenden Mann schaften und Pferde, ungefähr 50 für das Regiment, müssen daher wieder ersetzt werden , was namentlich in Betreff der Letteren Schwierigkeit darbietet , wie überhaupt die gesammte Remontirung der Reiterei mit solchen zu kämpfen hat, da dieselbe fast ausschließlich durch Ankauf im Auslande bewerkstelligt wer den muß, weil das Land nur wenig, namentlich für den Reitdienst verwendbare Pferde zieht; jedoch geschieht von Seiten der Regierung zur Zeit alles Mögliche, um die Landespferdezucht zu heben, für welche einige der höher gelegenen Lan desstriche sehr geeignet sein sollen. Im Uebrigen entspricht der Kriegsstand fast ganz dem Friedensstande, in dem jede Schwadron zu 120 Pferden ausrücken soll , nur wird das Depot in entsprechender Weise verstärkt. Bewaffnet sind die ersten 10 Reiter = Regimenter (Nr. 1-10) mit der Lanze, einem am Sattel befestigten Säbel und einem sechsläufigen Revolver. Die andern 10 Regimenter (Nr. 11-20) führen den gewöhnlichen Reiter fäbel am Manne und den Vetterli - Carabiner mit kleinem Klapp =- Bajonet in einem Lederfutteral , welches auf der rechten Seite an dem Hinterzwieſel des Sattels befestigt ist. Die Italienische Reiterei scheidet sich somit in eine Linien- und leichte Reiterei. Die Einzelausbildung von Mann und Pferd , so wie die Evolutionsfähigs keit der taktischen Einheiten ist im Allgemeinen gut , steht jedoch nicht auf gleicher Höhe mit der , welche die Reitereien der übrigen Europäischen Groß mächte darstellen , wozu die der Waffe so wenig günstige Bodengestaltung des gesammten Landes wohl sehr wesentlich mit beiträgt. Für den Frieden sind die Regimenter zu je zwei oder drei in neun Bri gaden eingetheilt; für den Krieg erhält jedes der 10 Armee-Corps je zwei Reiter Regimenter, von denen je zwei Schwadronen jeder der beiden Infanterie-Divisio nen des Corps zugetheilt werden, während die übrigen acht Schwadronen in einer Brigade von zwei Regimentern vereinigt, zu der Reserve des Armee-Corps, den sogenannten Supplementstruppen, treten. Die Stärke der Italienischen Reiterei ist im Verhältnisse zu den anderen Waffen gering. Zum großen Theile wohl bedingt durch die bereits erwähnte Schwierigkeit bei Beschaffung der erforderlichen Pferde , genügt diese Stärke andrerseits auch vollkommen für die dortigen Landesverhältnisse, welche die Ver wendung größerer Reiterabtheilungen fast gänzlich ausschließen. Sollte Italien jedoch dereinst in die Lage kommen, die Vertheidigung seines Gebietes außerhalb der Grenzen desselben führen zu müssen , so dürfte der Mangel dieser für jeden weiter ausgreifenden Krieg so unentbehrlichen Waffe sich sehr empfindlich fühl bar machen. Diesen Verhältnissen entsprechend, ist denn auch die Verwendung

Entwickelung der Reiterei.

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der Reiterei faſt ausschließlich dem Aufklärungs- und Sicherungsdienste im Kleinen gewidmet , da die gänzliche Unübersichtlichkeit des Geländes selbst nach dieser Richtung größeren zusammenhängenden Unternehmungen unüberwindliche Hemmnisse entgegenstellt. Trotzdem haben aber doch , getragen von dem überaus regen Streben, welches alle Zweige des jungen Italienischen Heeres belebt, im Laufe des Som mers 1874 zwei größere Reiterübungen stattgefunden und zwar erst bei Verona, dann bei Saluzzo, wo drei Brigaden zu diesem Zwecke vereinigt waren. Dort wurde vornehmlich das Reitergefecht in seinen verschiedenen Phaſen durchgeübt und war hierzu auch eine Infanterieabtheilung zur Verfügung gestellt, um theils als Kampfgenosse , theil als Angriffsgegenstand zu dienen. Hier bei Saluzzo galt es hingegen hauptsächlich dem Aufklärungsdienste und war daher die Division in zwei Gruppen getheilt, welche beim Beginne der Uebung sieben (Deutsche) Meilen von einander entfernt , sich gegenseitig aufzusuchen hatten. Die letztere Uebung scheint nicht ganz den gehegten Erwartungen entsprochen, ein Aufeinandertreffen der beiden Abtheilungen nicht vollkommen geglückt zu sein. Mehr befriedigt ist man von den Uebungen bei Verona , obgleich auch dort die Evolutionsfähigkeit der Regimenter noch manches zu wünschen übrig ließ. Im Uebrigen hat die Reiterei im Laufe des Sommers zu je ein oder zwei Schwadronen an den überall im Lande abgehaltenen kleineren Lagerübungen Theil genommen . Was hier gegeben wurde, ist zum überwiegend größten Theile nichts Neues, dies konnte und sollte es auch nicht sein, denn der vorliegende Zweck ist ja eben nur, in großen Zügen und auf engem Raume ein möglichst klares und dabei umfassendes Bild von dem zu geben , was die Reiterei in den letzten Jahren ſeit Beendigung der großen Feldzüge von 1866, 1870 und 1871 bewegt hat, was sie seitdem geworden ist. Möchte es mir gelungen sein , diesen Zweck we nigstens einigermaßen erfüllt , meiner Waffe ein Spiegelbild ihrer Selbst , den außerhalb ihrer stehenden Lesern eine möglichst klare Anschauung von dem, was angestrebt wird, sowie von dem, was bisher erreicht ist, gegeben zu haben. Möge die Kritik milde verfahren mit dieſem ersten Versuche, der sicherlich die ganze Unvollkommenheit eines solchen an sich trägt, aber auch die ihm gebührende K. Nachsicht für sich in Anspruch nimmt.

Bericht über die Entwickelung der Feld-, Feftungs-, Belagerungs und Küſten - Artillerie in materieller Beziehung.

Bereits in dem „Programm für die Herausgabe von Jahresberichten über die Veränderungen und Fortschritte im Militairweseu " wurde hervorgehoben, daß der erste Jahresbericht, der für das Jahr 1874, naturgemäß umfangreicher aus fallen müsse als seine Nachfolger, da es bei seiner Bearbeitung nicht zu ver meiden sein werde, den Zustand des Kriegswesens am Schluß des Jahres 1873, wenn nicht überhaupt die Entwickelung seit 1870/71 zu schildern , um dann

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Militairische Jahresberichte für 1874.

erst die Reformen aufzuzählen , welche ihnen im Jahre 1874 zu Theil ge worden sind. Dieser Sat, der offenbar für sämmtliche Unterabtheilungen des vorliegenden Jahresberichts zutreffend und maßgebend ist , gewinnt noch eine erhöhte Berech= tigung und eine ausgedehntere Bedeutung für den Abschnitt des Jahresberichts, welcher sich mit der rein technischen oder materiellen Seite des Artillerieweſens, also mit den artilleristischen Waffen an sich , sowie mit deren Construction und Fabrikation zu beschäftigen hat. Denn die bedeutenden Veränderungen , welche im Jahre 1874 , bez . seit 1870/71 auf dieſem Gebiete eingetreten find , ſtehen in so innigem Zuſammenhange mit der gesammten , innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte stattgehabten Entwickelung der Waffentechnik, wie der Technik über haupt, und wurzeln so wesentlich in den Errungenschaften dieser Jahre, daß es unerläßlich sein dürfte , wenigstens in einigen allgemeinen Umriſſen auch den Entwickelungsgang des Waffenwesens vom Jahre 1860 bis 1870 zu skizziren, um ein möglichst klares und abgerundetes Bild von den in neueſter Zeit ge= machten und angebahnten Fortschritten geben zu können. In dieser Beziehung darf man mit Recht behaupten , daß die lektver flossenen 15 bis 20 Jahre an positiven Resultaten und Leistungen der Artillerie technik fruchtbarer und ereignißreicher gewesen sind , als die vordem ſeit der (geschichtlich beglaubigten) ersten Einführung der Feuerwaffen bei den Völkern des Abendlandes vergangenen fünf Jahrhunderte. Diese Behauptung, welche sich natürlich nur auf die Waffen selbst, ihre Anfertigung und ihre Wirkung , nicht aber auf den Gebrauch derselben , beziehen soll, mag dessen ungeachtet einiger maßen parador klingen; ste läßt sich aber an der Hand der Thatsachen unschwer nachweisen und begründen. Wir begnügen uns in dieser Hinsicht beispielshalber darauf hinzudeuten , daß in Bezug auf Leistungsfähigkeit sowohl , wie auf tech nische Vollendung der Fabricationsmethode der Abstand zwischen den heutigen Hinterladern Preußischen Systems und den noch unmittelbar vor Einführung der gezogenen Geschütze construirten glatten Vorderladern größer und principiell viel wichtiger ist , als zwischen letzteren und den Urtypen der schweren Feuer waffen: einer „ Faulen Mette" von Braunschweig ( 1411 ) , einer „ Tollen Grete” ron Gent ( 1382) , einer „ Mons Meg " von Schottland ( 1455) , einer „Zarj Puschta" von Moskau ( 1586 ) u. s . w. So sehr auch diese Riesen des Mittelalters im Laufe der Jahrhunderte von späteren Vorderladern mit glatter Seele in den meisten Beziehungen naturgemäß überholt worden sind, so hatte sich doch auch in mancher Hinsicht nicht nur kein entsprechender Fortschritt, sondern eher sogar eine Art von technischem Rückſchritt bemerkbar gemacht. So schien z. B. die von den Stückgießern des 14. , 15. und 16. Jahrhunderts mit so staunenswerther Virtuosität geübte Behandlung und Bewältigung ungeheurer Metallmassen zum Zweck des Gießens oder Schmie dens riesenhafter Geschüßröhre in neuerer (nicht in neuester ) Zeit wieder mehr oder minder abhanden gekommen zu sein. Meister Andreas Tschachoff, der Gießer der „Zarj Puschka " im Kreml zu Moskau , war im Stande, ein Broncerohr von 91,5 Cm. Seelendurchmesser und 39,000 K. Gewicht zu gießen, und die Niederländischen Grobschmiede verstanden die " Tolle Grete" von 64 Em. Seelendurchmesser, 16,400 K. Gewicht, aus eisernen Stäben zusammenzuſchmieden . Für den höchst unvollkommenen Zustand der Metalltechnik jener Jahr hunderte sind dies gewiß sehr bemerkenswerthe Leistungen , um so bemerkenswerther, als die durch sie geschaffene Artillerie sich mitunter durchaus nicht so unwirksam

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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erwies , wie man es von ihrer großen Schwerfälligkeit und von den zahlreichen Mängeln und Gebrechen des Pulvers , der Geschoffe und der Laffetirung füglich erwarten sollte. Ein glänzendes Beispiel bietet in dieser Beziehung das Gefecht dar, welches am 2. März 1807 ein Englisches Geschwader unter Lord Duckworth mit den sogen. Kemerliks , den mittelalterlichen Türkischen Riesengeſchüßen der Dardanellenschlösser, zu bestehen hatte. Bei dem Durchsegeln der Meerenge er hielten die Schiffe aus jenen unbeholfenen Geschüßcolossen ein so lebhaftes und wohlgezieltes Feuer, daß sie zahlreiche schwere Beschädigungen, sowie beträchtliche Verluſte an Mannschaften erlitten und sich zum Theil nur mit großer Mühe zu retten vermochten. Diesen, allerdings ziemlich vereinzelt daſtehenden, großartigen Leiſtungen der artilleristischen Erzeugnisse einer grauen Vorzeit gegenüber müssen die verhältniß mäßig geringen technischen Fortschritte offenbar auffallend erscheinen, welche sich im Laufe der letzten Jahrzehnte vor allgemeiner Einführung der gezogenen Ge schütze in einigen Rohrconstructionen schwersten Calibers kundgaben. Im Jahre 1832 , während des Kampfes um die Unabhängigkeit Belgiens von Holland , wurde nach den Vorschlägen des damaligen Oberst Pairhans in Lüttich ein gußzeiserner Riesenmörser von 60 Cm . Seelendurchmesser und 7750 K. Rohrgewicht gegossen , welcher gegen die von den Holländern unter General Chassé noch vertheidigte Citadelle von Antwerpen 10 wirkungslose Schüſſe that (deren jeder 270 Mark koſtete) und dann bei Schießversuchen auf der Haide von Braefchaet schon nach wenigen Schüssen zersprang. Ein noch colossalerer Mörser von 90 Em. Seelendurchmesser , 91,500´K. Rohrgewicht und 1500 K. Gewicht der geladenen Bombe, wurde in England nach dem Entwurf des Jugenieurs Mallet aus schmiedeeisernen Längsstäben , Reifen und Bolzen mit einem Kostenaufwande von 150,000 Mark zusammengebaut, wurde aber schon beim 4. Schuß (mit 36 K. Pulver) durch Abspringen eines Hauptbolzens unbrauchbar , weshalb der Englische Volkswitz diesen sogenannten Palmerston-Mörser nunmehr in „,Palmerston's folly" (Palmerstons Thorheit) umtaufte. Ein schmiedeeisernes Kanonenrohr von 34 Cm. Caliber , 5 M. Länge und 22,000 K. Gewicht (Kugel = 125, Ladung = 25 K.) wurde von der Englischen Mersey-Steel-and -Iron-Company im Jahre 1856 ausgeführt , erhielt aber auch schon beim Beginn der Versuche einen Riß in der Seele. In Anbetracht dieser Thatsachen wird daher unsere obige Behauptung nicht mehr so gar befremdlich und ungereimt klingen , daß der in fast fünf Jahr hunderten zurückgelegte Schritt von der „ Tollen Grete" bis zur ,,Palmerston's folly" oder dem Mersey-Rohr kein jo so bedeutender war, wie der in kaum 20 Jahren zurückgelegte Sprung von den letztgenannten Geschützconstructionen bis zur Krupp'schen 30,5 Em. Kanone, wie sie die Wiener Weltausstellung zeigte. Die hauptsächlichsten Momente der artilleristisch -technischen Fortschritte in dieser neuesten und bedeutsamsten Entwickelungsperiode des Waffenwesens lassen sich ihrem charakteristischen Wesen nach und in ihrer chronologischen Reihenfolge wie nachstehend znſammenfaſſen : 1. Uebergang vom glatten zum gezogenen Geſchüß ; 2. Allmälige Verdrängung des gezogenen Vorderladers durch den gezogenen Hinterlader; 3. Steigerung der Geschüßwirkung ( größere Durchschlagskraft , flachere Geschoßbahnen, bessere Trefffähigkeit und größere Schuß

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weiten) durch Anwendung stärkerer Ladungen und wirksameren Pulvers. Dadurch wird wieder bedingt : 4. Ersatz der Bronce und des Gußeisens durch Stahl und Schmiedeeisen in der Fabrication der Geschüßröhre und 5. Aenderung der Verschluß- , Liderungs- und Zugsysteme; jowie: 6. Ersatz des Holzes durch Stahl und Schmiedeeisen in der Fabrication der Laffeten und Fahrzeuge; 7. Aenderungen in der Construction der Laffeten behufs Stei gerung der Geschüßwirkung , Vermehrung der Deckung und Er leichterung der Bedienung ( größere Erhöhungsgrenzen , größere Feuerhöhen , Vorrichtungen zum indirecten Richten , Masken laffeten , Hemmung des Rücklaufs , selbstthätiger Vorlauf, mecha nische Ladevorrichtungen u. s. w.; 8. Steigerung der Geschoßwirkung durch verbesserte Geſch oß und Zünderconstruction , womit zum Theil gleichzeitig auch ein Fortschritt in ballistischer Hinsicht (durch die stärkere Belastung des Geschoßquerschnitts bei Hartguß- und Langgranaten) verbunden ist. — Es liegt in der Natur der Sache, daß die vorstehend namhaft gemachten principiellen Fortschritte in der Entwickelung des Geschützwesens in den ver schiedenen Artillerien auch eine sehr verschiedenartige Aufnahme und einen theils günſtigen, theils ungünstigen Boden für ihre weitere Ausbildung finden mußten. Deshalb erscheint es, schon im Interesse einer möglichst übersichtlichen Behand lung des Stoffes , unbedingt geboten , auch bei Besprechung jener Fortschritte, wenigstens die bedeutendsten Artillerien von einander zu trennen und den be sonderen Entwickelungsgang einer jeden im Einzelnen zu verfolgen . In diesem Sinne beschäftigen wir uns zunächst mit

1. Deutſchland. Da die materielle Einheitlichkeit auch der Artillerie des Deutschen Heeres bekanntlich erst in neuester Zeit herbeigeführt worden ist , so kann von einer Entwickelungsgeschichte derselben als einheitliches Ganzes offenbar noch keine Rede sein, und es erübrigt daher nur, für den jüngst verflossenen Zeitabschnitt die Preußische Artillerie als die natürliche Vertreterin der Artillerien der kleineren Deutschen Staaten zu behandeln , was auch in jeder Beziehung sach lich gerechtfertigt und billig sein dürfte. Die Preußische Artillerie darf, ohne unbescheiden zu erscheinen , mit Fug und Recht das hohe Verdienst für sich in Anspruch nehmen , von vornherein, von dem ersten Auftauchen der modernen gezogenen Geschütze an, die allein richtige Grundlage derselben, das Princip der Hinterladung , nicht allein erkannt und angenommen , sondern auch (was mehr sagen will) das einmal als wahr Erkannte , allem erbitterten Widerspruch , allen höhnischen Zweifeln zum Trotz, consequent und energisch durchgeführt und durchgefochten zu haben, ohne sich auch nur einen Augenblick durch die fast vollständige und scheinbar höchst bedenkliche Isolirung beirren zu lassen , in der sie sich mit ihren Auschauungen Anfangs fast allen anderen Artillerien gegenüber befand. Nur Belgien , Eng land und die Mehrzahl der Deutschen Mittelstaaten wandten sich ebenso , wie Preußen, von Anfang an dem Hinterladungs- System zu , während alle übrigen Staaten, denen sich später auch England noch zugesellte, zunächst mit größter

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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Entschiedenheit dem durch die relative Einfachheit seiner Conſtruction , Anferti gung und Bedienung so verführerischen Vorderlader huldigten. Auch in der richtigen Würdigung und sachgemäßen Verwerthung der großen Vorzüge des Gußſtahls als Rohrmetall ging die Preußische Artillerie den übrigen mit gutem Beispiel voran , wobei sie allerdings durch die ausgezeich neten Leiſtungen der inländischen Stahlinduſtrie, vor allem namentlich der schon damals im besten Rufe stehenden Gußstahlfabrik von F. Krupp in Essen in hervorragendem und ausnahmsweisem Maße unterstützt und begünstigt wurde. Nach zehnjährigen gründlichen Versuchen gelangte im Jahre 1860 als Feldgeschüß eine 9 Cm. = ( 6 Pfünder- ) Stahlkanone zur Einführung, während als Belagerungs- und Festungsgeschütze gußeiserne 9-, 12- und 15 Cm. (6-, 12- und 24Pfünder-) Kanonen angenommen wurden (jämmtlich als c/61 bezeichnet) , denen bald darauf die , aus den vorhandenen glatten 12- und 24pfündern umgearbeiteten broncenen 12 und 15 Em. c/63 nachfolgten. Es würde zwecklos sein, hier auf die Einzelheiten der Construction des Preußischen Geschützsystems noch einmal einzugehen, das um so mehr als allge mein bekannt vorausgesetzt werden darf , als es in der neuen Ausgabe des „Handbuchs für Artillerie- Offiziere " bereits eine völlig erschöpfende Behand lung erfahren hat. Mit den 9 Cm.- Stahlkanonen wurden zunächst je 3 Batterien der 9 Feld artillerie-Regimenter bewaffnet, so daß nunmehr die gesammte Feldartillerie auf Kriegsfuß 216 gezogene und 648 glatte Geschütze (12 Pfünder-Kanonen und 7 Pfünder-Haubißen) zählte. Gleichzeitig wurde aber auch schon die Construction eines leichteren ge zogenen Feldgeschützes vorgenommen , welches im Jahre 1865 in Gestalt der stählernen 8 Cm.- ( 4Pfünder- ) Kanone zur Einführung gelangte, und zwar pro Regiment in 4 Batterien zu 6. Am Dänischen Feldzuge 1864 nahmen , außer einer Anzahl broncener 12- und 15 Cm.-Kanonen c/63, auch 50 gezogene Feldgeſchüße (8–8 Em. und 42-9 Cm. ) mit rühmlichem Erfolge Theil. Diese erste Feuerprobe konnte hin sichtlich der vorzüglichen Geeignetheit der Preußischen gezogenen Hinterlader für den Festungskrieg als unbedingt entscheidend und einwandfrei angesehen werden, was sich allerdings nicht in gleichem Maße hinsichtlich des Feldkriegs behaupten ließ , weil die geringe Anzahl und die verhältnißmäßig nicht bedeu tenden Anstrengungen der zur Verwendung gelangten 50 gezogenen Feldge schütze noch keine endgültigen und allgemein maßgebenden Folgerungen aus dem tadellosen Verhalten und der hervorragenden Wirkung derselben zu ziehen ge ſtatteten, zumal mit Rücksicht auf den besonderen, dem Begriff des Feldkrieges wenig entsprechenden Charakter der meisten Gefechte dieses Krieges , der faſt ausschließlich um befestigte Stellungen und nur zum kleinsten Theil im freien Felde geführt wurde. Die Cardinalfrage: ob sich der Hinterlader unter allen Umständen als Feldgeschütz eignen werde, war somit keinenfalls schon als völlig ge= löst zu betrachten; indeß hatte das Vertrauen, welches die Hinterlader auch in ihrer Eigenschaft als Feldgeschütze den Sachkundigen einzuflößen begannen, bereits dermaßen an Stärke und Verbreitung zugenommen , daß noch vor Beginn des Feldzuges von 1866 2 weitere Batterien pro Regiment mit 8 Cm. -Ka nonen bewaffnet wurden; es waren also nun in jedem der 9 Feldregimenter 4-9 Cm.-Batterien zu 6 (schon im Jahre 1863 aus den ursprünglich beſtan denen 3-9 Cm . - Batterien zu 8 formirt) und 6-8 Cm.-Batterien zu 6 Ge 35 Militairische Jahresberichte 1874.

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schützen vorhanden. Alles in Allem brachte die Preußische Feld- Artillerie während dieses Krieges 324-8 Cm . , 234-9 Em. und 342 glatte furze 12 Em. in's Gefecht. Leider erwies sich die Wirkung der letzteren gegenüber den Deſter reichischen gezogenen Vorderladern (welche als Vorderlader ganz vortrefflich schossen) in keiner Weise als ausreichend , so daß der Löwenantheil an der Ge fechtsthätigkeit und namentlich am Geschützkampf nothgedrungen den verhältniß mäßig zu wenig zahlreichen gezogenen Geschützen zufallen mußte. Dieser ungünstige Umstand sowohl , als auch die große Ueberlegenheit der Bewaffnung der Preußischen Infanterie über die feindliche, wodurch sich erstere der Noth wendigkeit, die Resultate des ihren Angriff vorbereitenden Artillerie-Feuers abzu warten, meist überhoben sah, ferner die Art der in der Regel gewählten Marſch ordnung, welche die raſche und rechtzeitige Entfaltung einer imposanten Artillerie masse nicht hinlänglich begünstigte , diese und andere Verhältnisse drückten die thatsächlichen Leiſtungen der Preußischen Artillerie im Allgemeinen unter das Niveau der Erwartungen herab , die man von ihr füglich hegen zu dürfen ge glaubt hatte. Ueberdies kamen noch einige specifisch-technische Unvollkommen heiten hinzu, welche theils in dem häufig mangelhaften Functioniren der Granat (Percussions-) Zünder, theils in der ungenügenden Haltbarkeit einiger Röhre und Verschlüsse des 8 Cm.- Calibers sich geltend machten. Das bedenkliche Zusammentreffen dieser verschiedenen taktiſchen und tech nischen Mißerfolge des neuen Geschützſyſtems rief in den maßgebenden Kreiſen unverkennbar eine gewisse Reaction zu Ungunsten der bisher so günstig be urtheilten Hinterlader-Feldgeschütze hervor. Während man sich einerseits der Ueberzeugung nicht länger verschließen konnte, daß die schleunigste Bewaffnung der gesammten Feldartillerie mit gezogenen Geschützen geboten sei , um an deren Artillerien gegenüber, sowie im Verhältniß zu den so bedeutend ver geschrittenen Schußwaffen der Infanterie das unerläßliche Gleichgewicht wieder herzustellen, versuchte sich andererseits auch die Frage gebieterisch in den Vorder grund zu drängen, ob nicht doch vielleicht für die Feldartillerie das Vorderladungs- dem Hinterladungssystem vorzuziehen sei. Dieje Frage, welche nur daraus entspringen konnte , daß man die geringeren Erfolge der Preußischen und die größeren der Oesterreichischen Artillerie fälschlicher Weiſe dem System beimessen zu sollen glaubte , verschwand indeß fast schneller, als sie aufgetaucht war, von der Oberfläche , nachdem die im Jahre 1867 auf dem Tegeler Schießplay ebenſo gründlich, wie unparteiisch mit den Typen der Preu ßischen und der Oesterreichischen Feldgeschütze durchgeführten vergleichenden Schieß versuche den praktischen Beweis von der durchgängigen Ueberlegenheit des Preu ßischen Systems geliefert hatten. Gleichzeitig war aber die Preußische Artillerie auch bemüht , der mangel haften Widerstandsfähigkeit der 8 Cm. - Verschlüsse und Röhre , die nicht allein im Felde, sondern in vereinzelten Fällen auch bei Friedens- Uebungen und Ver suchen hervorgetreten war, in durchgreifender Weise abzuhelfen, und zwar einer seits durch Verstärkung der Construction, andererseits durch Wahl eines anderen zäheren Rohrmetalls, als der Stahl zu ſein ſchien. Das in ersterer Richtung erzielte Resultat führte schon im Jahre 1867 zur Annahme einer 8 Cm . - Kanone c/67 , welche zwar dem Modell c/64 in vielen Beziehungen sehr ähnlich und in der Einrichtung der Seele sogar mit demselben identisch war, aber ein verstärktes Bodenstück und einen solide ren , massiveren Verschluß erhalten hatte. Hand in Hand hiermit ging das vollständige Ausscheiden der glatten Geschüße aus der Feld

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Artillerie. In Folge dessen wurde die eine Hälfte der Fußbatterien mit 9 Em.-Kanonen c/61 , die andere Hälfte und die ganze reitende Artillerie mit 8 Cm.-Kanonen c/67 bewaffnet. Was die ebenfalls in Betracht gezogene Wahl eines anderen Rohr metalls anbelangt, so bot sich in dieser Hinsicht als natürlichstes Auskunfts mittel zunächst das Zurückgreifen auf die Bronce dar , welche bereits seit den Uranfängen der Artillerie so vielfach verwendet worden war und sich bei den glatten Röhren im Allgemeinen auch recht gut bewährt hatte. Das Ergebniß mehrjähriger umfangreicher Versuche mit leichten Bronce geschützen gipfelte denn auch schließlich in der Annahme einer broncenen 8 Cm.-Kanone c/69 , welche indeß nur in verhältnißmäßig sehr beschränkter Anzahl zur Einstellung gelangte, theils weil inzwischen das Vertrauen zu den Gußſtahlröhren, deren Verhalten zu keinen weiteren Ausstellungen mehr Ver anlaſſung gegeben hatte, fast vollständig wiedergekehrt war, theils auch weil die principiellen Mängel der Bronce: ihre große Weichheit und die Neigung zu Ausbrennungen , also die stete sichere Aussicht auf verhältnißmäßig frühzeitig eintretende wesentliche Veränderungen der Rohrſeele es rathsam erscheinen ließen , der Verwendung von Broncegeschützen , namentlich in der Feldartillerie, nur dann eine größere Ausdehnung zu geben , wenn der Mangel eines anderen geeigneten Rohrmetalls dies unbedingt erheischen sollte ein Fall , der mit Rücksicht auf die , seither immer höher entwickelte Vorzüglichkeit der Deutschen Gußſtahl- und besonders Geschützſtahl - Induſtrie glücklicher Weise nicht mehr vorlag. Bei dieser Gelegenheit sei es uns gestattet , zugleich eine Erfindung zu er wähnen, welche seinerzeit viel von sich reden machte und die mit dem eben Be sprochenen im engsten ursächlichen Zusammenhange steht: es ist dies die sog. Phosphorbronce, - mit der gerade während des hier in Rede stehenden Zeitabschnittes auch Seitens der Preußischen Artillerie (ebenso wie von allen anderen größeren Artillerien) eine Anzahl Versuche angestellt wurden. Die Phosphorbronce , welche einen Zusatz von 0,2 bis 0,8 pCt. Phosphor enthält, ist von dem Chemiker Künzel in Belgien nach langwierigem Probiren mit den verschiedenartigsten Legirungen entdeckt und zunächst von Montefiore - Levi in duſtriell verwerthet worden. Sie ist allerdings härter und widerstandsfähiger, zeigt auch in der Regel eine homogenere Legirung von Kupfer und Zinn , als die gewöhnliche Bronce , neigt dagegen noch viel mehr zu Ausbrennungen, als diese und hat überdies den großen Nachtheil , daß der Phosphorgehalt des Gußstückes sehr verschieden ausfällt und sich auf die einzelnen waagerechten Schichten desselben ganz ungleichmäßig vertheilt, was hauptsächlich der wesent lichen Verschiedenheit zwischen Bronce und Phosphor in Bezug auf specifisches Gewicht und Verdampfungsfähigkeit zuzuschreiben ist. Aus diesen Gründen hat man von einer Verwendung der Phosphorbronce als Geschüßmetall ganz all gemein Abstand genommen. Die dritte und bisher bedeutendste Feuerprobe hatte die Preußische Artillerie in dem Deutsch-Französischen Kriege von 1870-71 zu bestehen. Ihre außer ordentlichen Leistungen während dieses Feldzuges sind zu allgemein bekannt, um darüber noch ein Wort zu verlieren . Die großen Anstrengungen der Geschütze, die erhebliche Zahl der oft in anhaltendem Feuer hinter einander abgegebenen Schüsse, die bedeutenden Strapazen und Verluste der Mannschaft und endlich die häufige Ungunft der Witterungsverhältnisse -- alles dies mußte naturgemäß dazu beitragen, alle dem Preußischen Geschützsystem etwa noch anhaftenden Mängel 35*

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mit zweifelloser Bestimmtheit an den Tag zu bringen. Deſſenungeachtet wurden über das Verhalten der 9 Cm. - Stahlkanonen c/61 (mit Kolbenverſchluß) ſo gut wie gar keine Klagen laut, wogegen die Doppelteilverschlüsse der 8 Cm. -Kanonen zu mannigfachen Ausstellungen Veranlassung gaben und die Annahme eines anderen Verschlußmechanismus als dringend wünschenswerth erscheinen ließen. Dazu kam noch , daß sich die Wirkung der Preußischen Geschütze unter den gegebenen Verhältnissen zwar ausgezeichnet bewährt und namentlich den Fran zösischen Vorderladern in hohem Maße überlegen gezeigt hatte , daß sie aber dennoch von den Errungenschaften anderer Feldartillerien (England , Schweiz u. a. m .) , wenn auch nicht in Bezug auf absolute Trefffähigkeit , so doch hin sichtlich der Geschwindigkeit und lebendigen Kraft des Geſchoſſes, der bestreichen den Flugbahnen und der Schußweiten bereits mehr oder weniger überholt waren. In dieser an sich unerfreulichen Thatsache konnte die Preußische Ar tillerie selbstredend nur die unabweisbare Aufforderung erblicken , den bisher so erfolgreich behaupteten Vorrang sich durch verdoppelte Anstrengungen auch ferner hin zu erhalten, oder doch, wo er augenblicklich verloren gegangen war, ihn sich des Baldigsten wieder zu erringen. Daß die desfallsigen Bestrebungen in zwischen bereits zu dem gewünschten Ziel geführt haben , und daß das daraus hervorgegangene neue Feldgeschüß- System (c/73) schon zur Einführung gelangt ist, haben die öffentlichen Blätter des In- und Auslandes , sowohl die specifiſch militairischen, als auch die politischen, wiederholt mitgetheilt. Der Verlauf der mehrjährigen Versuche indeß , aus denen sich dies bedeutsame Resultat entwickelt hat, sowie die conſtructiven Verhältniſſe und techniſchen Einrichtungen der neuen Feldartillerie sind bisher mit dem strengsten Geheimniß umgeben geblieben. Wir vermögen deshalb über dieſen Gegenſtand nur die von einzelnen artilleriſti schen Zeitschriften der Nachbarländer gebrachten Mittheilungen wiederzugeben, ohne aber eine Bürgschaft für deren Richtigkeit übernehmen zu können. Nachstehend lassen wir einen, kürzlich in den „ Mittheilungen über Gegen stände des Artillerie- und Genieweſens " * ) veröffentlichten kleinen Aufſaß faſt wörtlich folgen, nur sind einzelne , specifisch Desterreichische Ausdrücke durch die analogen, in der Preußischen Artillerie gebräuchlichen Bezeichnungen erjeßt worden. „ Die beiden Caliber des neuen Deutschen Feldartillerie-Materials erhalten als officielle Benennung : 8 Cm.-Kanone , Modell 1873 , für das kleinere , und 9 Cm.-Kanone, Modell 1873 , für das größere Caliber. Beide Röhren find beringte Gußstahlröhre und haben den Krupp'schen Rundkeilverschluß. Der den gasdichten Abschluß bewirkende Broadwellring ist von dem sonst üblichen dadurch unterschieden, daß seine innere Fläche nicht in Form einer Hohlkeble ausgerundet, sondern conver gestaltet, und daß die äußere, an der Wandung des Ladungsraumes anliegende Fläche mit einer rinnenartigen Vertiefung versehen ist. Das Zündloch geht schräg durch das Bodenstück und den Keil und schneidet in der vorderen Fläche des letzteren die Rohrachse ; sein Neigungswinkel betragt 41 Grad. Es ist nicht unmittelbar in das Rohrmetall gebohrt, sondern befindet sich in einem aus zwei Theilen bestehenden kupfernen Stollen, deſſen einer Theil im Keil liegt, während der andere, in der Verlängerung des ersteren nach oben, in das Rohrmetall eingeschraubt ist. Das untere Ende dieses zweiten Theils überragt den unteren Stollentheil und reicht etwas in eine am Keil befindliche entsprechende Rinne hinein, wodurch beim Schließen des Verschlusses die Bewe *) Jahrgang 1874, Heft 12, Seite 83-85 der „ Notizen“.

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gung des Keils begrenzt wird . Es kann demnach der Feuerstrahl aus dem oberen Stollen nur dann in den unteren gelangen, wenn der Verschlußkeil voll ständig hineingeschoben ist. An dem Stollen im Keil ist überdies oben ein kleiner kupferner Abschlußring angebracht , dessen ebene Fläche genau an den oberen Stollentheil im Rohrmetall anschließt, wenn der Verschluß geschlossen ist , wo durch das Eindringen des Theils in die Rinne des Keils verhindert wird. Die Abmessungen der Räder sind für die Laffete und Proze dieselben. " (Die im Original an dieser Stelle folgenden tabellarischen Daten über Rohr, Laffete, Proze, Munitionswagen , Munition und ballistische Leistungen der Ge schüße lassen wir, der Raumersparniß wegen, hier fort.)

Eine theilweise Ergänzung der vorstehenden Angaben findet sich in einigen analogen Mittheilungen , welche sowohl die „Zeitschrift für die Schweizerische Artillerie" ,*) als auch die „ Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens " **) schon früher gebracht hatten und aus denen wir hier nur die anscheinend wichtigsten Daten folgen lassen: 1. Die Röhre sind sogenannte Mantelröhre, d . h. das gußſtählerne Rohr ist in seiner hinteren Hälfte, bis zu den Schildzapfen, mit einem schmiede eiſernen (?) Mantel umgeben , der in glühendem Zustande darum geschmiedet wird und sich daher beim Erkalten fest um das innere Gußstahlrohr spannt. 2. Die Dralllänge der Züge beträgt 50 Caliber. 3. Beide Caliber haben nahezu dieselbe Laffete ; jede Laffetenwand besteht aus einer einzigen Platte von gewalztem Gußstahlblech ; die Wände convergiren nach hinten. Die Achse ist ebenfalls aus Gußftahl gefertigt ; nur die Räder find noch von Holz. 4. Die Granaten sind Doppelwandgranaten , d. h. zwei Wände sind im Zickzack in einander gefügt und umgiebt die eine die andere. Diese sinnreiche Einrichtung erhöht in erheblichem Maße die Zahl der Sprengstücke und damit die Geschoßwirkung ; die Doppelwandgranate des leichten Geschützes ergiebt auf 1500 M. durchschnittlich 60, die des schweren 90 scharfe Treffer. 5. Die starke Pulverladung giebt den Geschossen eine sehr große Anfangs geschwindigkeit und dem entsprechend auch eine flache Flugbahn; hauptsächtlich aber bewirkt die große Endgeschwindigkeit, mit welcher die Geschosse noch am Ziel ankommen, daß die Sprengstücke in flachen, dichter beisammenliegenden Bahnen nach vorwärts getrieben werden , wodurch die Geschoßwirkung gegen senkrechte Ziele in hohem Maße vermehrt wird. 6. Das neue grobkörnige Geschützpulver ist dem Englischen Kiesel- (Pebble-) Pulver ähnlich ; jedes Korn hat etwa die Größe einer Haselnuß.

Nehmen wir an , daß die vorstehenden Angaben über das Deutsche Feld geſchüßſyſtem c/73 im Wesentlichen als zutreffend anzusehen seien , so ergiebt sich, trotz ihrer vielfachen Lückenhaftigkeit, doch so viel mit zweifelloser Bestimmt heit, daß die Deutschen neuen Feldgeschütze in Bezug auf Geschoßgeschwindigkeit, Bahnrajanz, abſolute und relative Trefffähigkeit, Geſchoßwirkung und Wirkungs sphäre ganz Außerordentliches leiſten und hierin, alſo überhaupt in ihrer gesammten *) Jahrgang 1874, Heft 2 und 3, Seite 50 u. f. **) Jahrgang 1874, eft 4, Seite 25-28 der Notizen .

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Wirkung, alle in neueſter Zeit bei anderen Artillerien zur Einführung gelangten Feldgeschütze (die wir weiter unten noch eingehend besprechen werden) weitaus hinter sich zurücklaſſen würden. Die technische Entwickelung der Preußischen Belagerungs- und Festungs artillerie hatten wir oben bis zum Jahre 1863 verfolgt , wo die aus glatten broncenen 12- und 24Pfündern umgearbeiteten gezogenen 12- und 15 Cm . -Kanonen c/63 zur Einführung gelangten , an welche sich die broncenen 12- und 15Cm . , sowie die gußstählernen 15Cm. - Kanonen c/64 , von ganz äbn licher Construction , wie die vorhergehenden, unmittelbar anschloſſen. Diese Geſchüße ließen sich, vermöge ihrer schwachen Ladungen und jonach ſtark ge krümmten Geschoßbahnen , ebensowohl zum indirecten wie zum directen Feuer verwenden; dessenungeachtet erschien es für viele Zwecke des Festungs krieges geboten, nach Analogie der früheren glatten Belagerungs- und Feſtungs geschütze, neben den vorhandenen 3 Kanonencalibern ( 9-, 12 und 15 Cm.) auch noch eine gezogene Haubiße oder kurze Kanone von mittlerem und einen gezogenen Mörser von schwerem Caliber anzunehmen mit der vorwiegenden Bestimmung für den indirecten Schuß , bez . zum Verticalfeuer gegen Bomben decken und ähnliche Ziele. Die betreffenden Verſuche begannen im Jahre 1865, wurden in der gründlichsten und umfassendſten Weise durchgeführt und ergaben als erstes Resultat die Construction der kurzen eisernen 15Cm. - Kanone c/69 , mit einer Langgranate von 27,75 K. Gewicht und 1,9 K. Sprengladung. Da man schon früher von einer ferneren Verwendung des Gußeiſens für gezogene Geschüße, seiner ungenügenden Zuverlässigkeit wegen, grundsäßlich Ab stand genommen hatte, so waren auch die ersten kurzen 15 Cm. -Proberöhre aus Bronce hergestellt worden; doch kehrte man später aus adminiſtrativen Gründen abermals zum Gußeisen zurück und fand auch im Laufe der Versuche um so weniger Grund , davon wieder abzugehen , als die gußeisernen Proberöhre bei einer sehr erheblichen Schußzahl eine in der That staunenerregende Widerstands fähigkeit an den Tag legten. Bei Ausbruch des Deutsch-Franzöſiſchen Krieges hatte die Maſſenanfertigung der kurzen 15 Cm. -Kanonen eben erst begonnen , und es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn dieselben nur einen verhältnißmäßig geringen Bruchtheil (6 pCt.) von den 801 Preußischen Belagerungs- und Festungsgeschüßen ausmachten, welche während der Dauer des Krieges die Französische Grenze überschritten haben. Die Construction des gezogenen 21 Cm. - Mörsers war um die Mitte des Jahres 1870 noch nicht zum Abschluß gelangt und es eristirten damals nur 2 ziemlich congruente Versuchsmörjer von sehr beträchtlichen Gewichtsverhältnissen und für 4 K. Ladung (geladene Granate = 75 K. , Sprengladung = 7,5 K.) construirt. Das sehr natürliche Bestreben indeß, die bereits gewonnenen beach tenswerthen Versuchsresultate nunmehr auch vor dem Feinde praktisch nuybar zu machen , ließ das scheinbar Unmögliche gelingen und im Verlauf weniger Wochen nicht allein die Construction eines bedeutend erleichterten Mörsers c/70 (für 2 K. Ladung ; geladene Granate = 80 K. , Sprengladung = 5 K.) feststellen und die unerläßlichsten Schießversuche damit ausführen , sondern auch 10 dergleichen Mörser so rechtzeitig anfertigen , daß sie bei den Belagerungen von Montmedy, Mézières und Paris noch erfolgreich mitwirken konnten. Ebenso gelangten auch die beiden älteren Versuchsmörser vor Straßburg und Belfort zu ersprießlicher Thätigkeit. Die ruhmvollen Thaten der Deutschen Belagerungsartillerie während des

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Deutsch-Französischen Krieges leben in Aller Gedächtniß ! Für die Größe ihrer Leistungen sprechen beredter, als Worte es vermögen, die durch ihr vernichtendes Feuer so überaus und unerwartet schnell erzwungenen Capitulationen zahlreicher feindlicher Festungen , für ihre heldenmüthige Hingebung ihre verhältnißmäßig sehr beträchtlichen Verluste an Offizieren und Mannschaften! Da es aber glück licher Weise dem Deutschen Nationalcharakter zuwider ist, sich durch die eigenen Erfolge blenden zu laſſen, die hervorgetretenen Fehler und Mängel ſelbſtgenügſam zu übersehen und auf den errungenen Lorbeeren in trügerischer Sicherheit aus zuruhen, so war es auch eine ganz selbstverständliche Sache , daß unmittelbar nach erfolgtem Friedensschluß Alles aufgeboten wurde, um die bemerkten Fehler energisch zu beseitigen und den fühlbar gewordenen Mängeln gründlich abzu helfen. Von letteren waren, soweit sie die artilleristisch-technische Seite betrafen, hauptsächlich folgende zu nennen : *) 1. Bei den 12 und 15 Cm.-Kanonen c/64 hatte sich der Doppelkeilver schluß im Ganzen wenig bewährt. Es zeigte sich von vornherein (schon bei der Belagerung von Straßburg), daß die Empfindlichkeit der Liderung eine ſorgſamere Behandlung erheischte , als sie ihr unter den obwaltenden , oft recht schwierigen Verhältnissen und seitens der zum Theil nur wenig geübten und erfahrenen Be dienungsmannschaften füglich zu Theil werden konnten. Die in großem Maß stabe entstehenden Ausbrennungen an den Dichtungsflächen machten eine ver hältnißmäßig sehr große Anzahl von Röhren zeitweise , einige sogar dauernd unbrauchbar. Ueberdies verbogen sich einzelne Keile (namentlich beim 12 Cm.) und viele Verschlußtheile sprangen ab und zerbrachen. 2. Die gußeisernen kurzen 15 Cm. -Kanonen zeigten nicht in allen Fällen die unbedingt zu fordernde zuverläſſige Haltbarkeit ; von einem Rohr wurde, ohne die geringsten vorhergegangenen Anzeichen einer beginnenden Rißbildung, plötzlich das Bodenstück abgesprengt. 3. Für den 9 Cm. erwies sich eine (auch schon früher angestrebt geweſene) Steigerung der Geſchoßgeschwindigkeit und Bahnrajante durch Vergrößerung der Ladung als wünschenswerth. 4. Die Trefffähigkeit , Geschwindigkeit , Bahnrajante , lebendige Kraft und Sprengwirkung der 12 Cm . - Granate genügten den in dieser Beziehung an ein gutes Demontirgeschütz zu stellenden Anforderungen nur unvollkommen. 5. Die Wirkungssphäre der 15- , sowie der 12Cm. - Kanonen war eine zu beschränkte, wie dies besonders bei dem Bombardement von Paris sich geltend machte ; auch entsprach die Sprengwirkung der 15 Cm . - Granate c/61 (mit nur 0,92 K. Sprengladung gegen 1,9 K. der Langgranate c/69) der desfallſigen Leistungsfähigkeit dieses Calibers nicht mehr. 6. Die 21 Cm.-Mörser c/70 hatten ebenfalls eine zu kleine Wirkungs sphäre (nur bis 2400 M. ) und , vermöge der kleinen Anfangsgeschwindigkeit und Steighöhe, auch zu wenig Durchschlagskraft der Granate ; überdies waren an ihnen, besonders an den Laffeten, mannigfache Beschädigungen hervorgetreten. Andererseits erwiesen sich die beiden älteren Versuchsmörfer als zu schwerfällig und unhandlich für Belagerungsgeschütze. Sonach war also für die weitere Vervollkommnung und den technischen Ausbau des Preußischen Systems der Belagerungs- und Festungs - Artillerie noch ein ausgedehntes Feld ersprießlicher Thätigkeit eröffnet. Aber so umfang *) Ausführlichere Angaben befinden sich in „Witte's Artillerielehre. 2. Theil. Artillerietechniť."

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reich die gestellten Aufgaben auch waren , so gelang es doch , ihre erfolgreiche Bewältigung und Lösung in verhältnißmäßig kurzer Zeit durch nachstehende Aenderungen und Ergänzungen des Bestehenden herbeizuführen . 1. Die 12 Cm. - Bronce- und 15 Cm. -Stahl- und Bronce- Kanonen_c/64 erhielten statt des Doppelkeilverſchluſſes einen einfachen Flachkeilverschluß von großer Solidität und Dichtungsfähigkeit, bei dem ein im Rohrkörper liegen der stählerner Liderungsring c/73 von eigenthümlichem Querschnitt als Liderung dient (anstatt der früheren, im Verschluß gelagerten Kupferliderung). 2. Die Anfertigung der gußeisernen kurzen 15 Cm. - Kanonen wurde ein gestellt und dafür eine kurze 15 Cm. - Bronce - Kanone c/70 angenommen, welche mit ersteren in der Einrichtung und den Abmeſſungen der Seele , des Keillochs und des Verschluſſes vollständig, im Rohrgewicht nahezu übereinſtimmt. 3. Den bisherigen Rohrmodellen des 9 Cm. - Calibers wurde noch eine 9 Cm. -Bronce - Kanone c/72 von 433 K. Rohrgewicht (mit Verſchluß) und mit 0,7 K. Pulver feuernd, hinzugefügt. 4. Es gelangte eine verstärkte 12 Cm. - Bronce - Kanone c/73 mit Langgranate zur Einführung . Rohrgewicht mit Verſchluß : 955,5 K. (e/64 : 867,5 K. ) Ladung : 1,5 K. (c/64 : 1,05 K.) Langgranate (2,5 Caliber lang) : 15,1 K. mit 1,125 K. Sprengladung (c/64 : 14,6 mit 0,5 K.). Diese Veränderungen haben dem neuen Geschütz nicht nur eine gegen früher um etwa 1800 m. vergrößerte Marimal - Schußweite gegeben , sondern auch die Trefffähigkeit, Bahnraſante und Geschoßwirkung seiner Granate erheb lich gesteigert und sonach mit dem denkbar geringsten Aufwande von Mitteln ein für die hauptsächlichsten Zwecke des Festungskrieges vorzüglich geeignetes, nament lich aber auch zum Demontiren recht wohl verwendbares Geschütz geschaffen. 5. Ferner gelangte eine stählerne 15 Cm. - Ring - Kanone c/72 zur Ein führung, welche sich vermöge ihres Calibers im Verein mit guter Trefffähig keit, kräftiger Geschoßwirkung und einem außerordentlich starken Ladungs verhältniß (also auch entsprechender Geschwindigkeit und Bahnrajante) als eines der mächtigsten Belagerungsgeschütze charakterisirt. Ihren ursprünglichen Constructionszweck , eine Schußweite von mindestens 1 geographischen Meile (= 7500 M.) zu erreichen (daher auch die Bezeichnung „ Meilengeschüt " ), erfüllt sie in sehr ausgiebiger Weise. Das Gewicht des , nach den Gejezzen der "! künstlichen Metallcon structon " (s. unten) zusammengebauten Rohrs beträgt mit Verschluß (ein fachem Rundkeilverschluß mit Centralzündung) 3161 K.; Ladung : 6,2 K. prisma tisches Pulver. Die 15 Cm . - Ringkanone wird bei künftigen Belagerungen voraussichtlich für alle Zwecke der sog . Bombardementsbatterien, sowie zur Bekämpfung von Panzerthürmen eine sehr vortheilhafte Verwendung finden ; außerdem gestattet ihre große Geschoßgeschwindigkeit , die ohnehin sehr kräftige Schrapnelwirkung des 15 Em. - Calibers auf bisher unerreichbare Entfernungen zu tragen. 6. Das fünfte und letzte der seit dem Deutsch - Französischen Kriege zur Einführung gelangten Belagerungs- und Festungsgeschüße endlich ist der 21 Cm. Broncemörser c/71 , welcher zwischen den beiden ältesten Versuchsmodellen und den Mörsern c/70 ungefähr die Mitte hält , erstere an Leichtigkeit und Handlichkeit , lettere an Wirkungssphäre und lebendiger Kraft des Geſchoſſes übertrifft. Rohrgewicht mit Verschluß (Doppelkeilverschluß mit Kupferliderung): 3025 K. Marimalladung : 3,5 K. Geladene Langgranate c/69 (dieselbe , wie bei den Mörsern c/70) : 80 K.; Sprengladung : 5 K.

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Durch die vorstehend skizzirten artilleriſtiſch - techniſchen Fortschritte , welche sämmtlich erst im Laufe der letzten Jahre ins Leben getreten sind , hat die Be waffnung der Deutschen Belagerungs- und Festungs- Artillerie eine durchgreifende Veränderung und Vervollkommnung erfahren , deren hohe Bedeutung für die taktische Leistungsfähigkeit der Waffe klar auf der Hand liegt und die in jeder Hinsicht dazu angethan ist, dem Deutschen Artilleristen das beruhigende Gefühl einzuflößen , daß seine Waffe auch in technischer Beziehung nach wie vor auf der Höhe der Zeit stehe und allen von der Zukunft ihr noch vorbehaltenen Proben wohlgerüstet und vertrauensvoll entgegen treten könne .

Haben wir uns bisher ausschließlich mit den unmittelbaren Trägern der Feuerwirkung , den Geſchüßröhren und der Munition beschäftigt, so erübrigt nun noch , auch auf die Schießgerüste der ersteren , die Laffeten, einen Blick zu werfen, hinsichtlich deren ebenfalls bedeutende technische Fortschritte zu ver zeichnen sind , welche auf die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Geschütze einen verhältnißmäßig nicht unwesentlichen Einfluß gewonnen haben. Schon im Jahre 1864 wurden für die damaligen 3 Caliber die Belage= rungs- und Festungs- Artillerie ( 9-, 12- und 15 Cm. ) Laffeten eingeführt, welche mit schmiedeeisernen Aufsäßen (Böcken) versehen waren und dadurch eine Lagerhöhe von 183 Em. ergaben. Diese Maßregel hat sich seitdem in jeder Beziehung vortrefflich bewährt und ist daher ausnahmslos bei allen später con= struirten Räderlaffeten für Belagerungs- und Festungsgeschütze angewendet worden. Derartig laffetirte Geschütze verlangen hinter einer normalen Bruſt wehr nur ganz flache muldenförmige Scharten und gewähren daher für die Laffete und Bedienungsmannschaft eine sehr befriedigende Deckung , ohne dabei durch die hohe Lage des Rohrs die Bedienung und Handhabung merklich zu erschweren. Bei den zahlreichen Belagerungen von 1870/71 machte sich fast in jedem Geschützkampf der grelle Contrast geltend zwischen den aus ganz flachen Scharten feuernden Deutschen und den hinter tief eingeschnittenen Scharten aufgestellten Französischen Geschützen. Nächst der weit überlegenen Trefffähigkeit und Ge schoßwirkung der Deutſchen Geſchütze ist es ohne Zweifel deren zweckmäßigerer Laffetirung mit zuzuschreiben , daß die Französische Festungs- Artillerie , ſelbſt unter ihr günstigen Verhältnissen , faft immer schon nach kurzem Feuer zum Schweigen gebracht wurde und dabei eine ungemein große Zahl von demontirten Geschützen verlor. Ein anderer Vortheil der großen Lagerhöhe : die Möglichkeit , unter sehr bedeutenden Erhöhungen feuern zu können , war bei den Laffeten c/64 anfangs nicht in vollem Maße ausgebeutet worden, weil man damals sowohl auf die möglichste Erweiterung der Wirkungssphäre jedes Geschüßes, sowie auf die gelegentliche vollständige Ausnutzung des indirecten Schuſſes noch keinen besonders hohen Werth legte. Später änderten sich indeß die Ansichten und schon die kurze 15 Cm. - Laffete c/69 gestattete 31 ° Erhöhung , welche Grenze bei allen späteren Laffetenconstructionen (eiſerne kurze 15 Cm. -Laffete c/72, eiserne 15 Cm.-Ringrohr-Laffete c/72 und aptirte 12 Cm.-Laffete c64/72 sogar auf 40 bis 41 ° erweitert wurde, während man die größte Senkung des Rohres von - 100 nach wie vor beibehielt. Ein ebenso solides , wie hand liches mechanisches Hülfsmittel zur Erzielung so bedeutender Erhöhungsunter schiede von 50 Grad bot die zuerst bei den Feldlaffeten c/64 angewendete

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Richtmaschine mit Doppelschraube dar, mit der alle vorſtehend genannten Laffeten versehen wurden. Die 21 Cm. -Mörferlaffete c/71 erhielt eine für Erhöhungen von O bis 75 Grad construirte Richtmaschine mit einfacher Schraubenspindel. Zu diesen Aenderungen in der Construction der Belagerungs- und Festungs-Laffeten ist nach dem Deutsch-Französischen Kriege auch noch in Bezug auf die zur Laffetenfabrication verwendeten Rohstoffe insofern ein wesentlicher Umschwung hinzugetreten, als das Holz, welches bisher einen so erheblichen Be standtheil der meisten Laffeten auszumachen pflegte, neuerdings fast voll ständig durch Schmiedeeisen und Stahl verdrängt zu werden beginnt. Die Gründe hierfür , d. h. die Vorzüge des Eisens vor dem Holz sind hauptsächlich folgende : *) 1. Da sich das Eisen in warmem Zustande schmieden, walzen, preſſen und schweißen läßt , so kann man ihm so ziemlich alle beliebigen Gestalten geben und daher für Eisenconſtructionen stets die theoretisch richtigsten Formen be nutzen. Es ist dies selbstredend eine sehr wichtige Eigenschaft , die dem Holz fast ganz abgeht , da sich dies nur durch Lostrennen einzelner Theile und Zer legen in verschiedene Stücke formen läßt ; und sogar hierbei ist man durch die unvermeidliche Berücksichtigung der natürlichen Structur des Holzes (Lage der Fasern, der Aeste u. s. w. ) noch großen Beschränkungen unterworfen. 2. Ein prismatischer oder cylindrischer Eiſenſtab besitzt zwar an und für sich im Allgemeinen eine geringere Festigkeit, als ein ihm ähnlicher Stab Eichenholz von demselben Gewicht ; aber vermöge der eben besprochenen größeren Formbarkeit des. Eiſens kann man , den meisten Arten der Bean spruchung gegenüber, mit einem gegebenen Gewicht Eisen widerstands fähigere Constructionen herstellen, als mit dem gleichen Gewicht Holz. 3. Ein prismatischer oder cylindrischer Eisenstab besitzt zwar weniger Elasticität , als ein ihm congruenter Stab von Holz, aber mehr, als ein ihm ähnlicher Holzstab von gleichem Gewicht oder von gleicher Festigkeit. Diese beiden, unter 2 und 3 genannten Eigenschaften des Schmiedeeiſens darf guter Stahl in noch erheblich höherem Grade für sich in Anspruch nehmen. 4. In der fertigen Laffete oder im fertigen Fahrzeug kostet zwar das (zu Eisentheilen, Beschlägen und Blechtheilen verarbeitete) Schmiedeeisen dem Ge wicht nach fast zweiundeinhalbmal so viel , wie das (zu Laffetenwänden, Pres und Wagengestellen und Kasten verwendete) Holz, denn 50 K. verarbeitetes Eisen stellen sich im Durchschnitt auf 74,1 Mark, dagegen 50 K. verarbeitetes Holz nur auf 30,6 Mark. Diese Preisverhältnisse gewinnen aber ein wesentlich verändertes Aussehen , wenn man dabei folgende, nicht zu unterschätzende Umstände mit in Betracht zieht: Gutes, zur Verwendung in der Artillerie-Technik geeignetes Nuß holz wird von Tag zu Tag seltener, also auch theurer, sowie seine Auswahl und Beschaffung umständlicher und schwieriger ; dagegen fällt der relative (d. b. im Verhältniß zu der, im Allgemeinen stetig wachsenden Entwerthurg des Geldes aufgefaßte) Preis des Eiſens fortwährend vermöge des gewaltigen Auf schwunges der modernen Eiſenindustrie und unter dem Druck der steigenden Con *) Vgl. Wille: Leitfaden der allgemeinen Maschinenlehre und der Artilleriſtiſchen Tech nologie, Abtheilung II, 3. Abschnitt.

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currenz , wodurch namentlich im Laufe der letzten Jahre eine die Nachfrage weitaus hinter sich zurücklaffende Ueberproduction zu Wege gebracht worden iſt. Die Beschaffung von gutem Schmiedeeisen und Stahl wird deshalb in der Regel nicht den mindeſten Schwierigkeiten unterliegen. Ferner bedarf das friſch beſchaffte rohe Nuhholz einer jahrelangen Auf bewahrung und sorgsamen Behandlung in ausgedehnten, eigens zu diesem Behuf eingerichteten Gebäuden und unter Inanspruchnahme zahlreicher Aufsichts- und Arbeitskräfte , bevor es zur weiteren Verarbeitung herangezogen werden kann. Das Eisen hingegen ist vom Augenblick des Ankaufs sofort zu jeder beliebigen Arbeit verwendbar und bedarf, wenn es aus anderen Gründen länger aufbewahrt wird , für seine gute Erhaltung nicht der mindeſten Sorgfalt oder Aufsicht, nimmt auch vermöge seines hohen specifischen Gewichts nur einen sehr geringen Raum ein. Ueberdies ist das Eisen gegen alle Witterungseinflüsse so gut wie unempfindlich ; denn die sehr bald eintretende und durch kein Mittel ganz zu verhindernde Roſt bildung kann Jahrzehnte hindurch ihren ungestörten Fortgang nehmen, bevor sie der Haltbarkeit einer mit dem gebräuchlichen Ueberschuß an Sicherheit ausgeführten Eisenconstruction irgendwie gefährlich wird. Dagegen leidet das Holz unter der zerstörenden Einwirkung der atmosphärischen Feuchtigkeit und der Hitze der maßen, daß selbst bei sachgemäßer und achtsamer Behandlung oft nur wenige Jahre dazu gehören, um die daraus angefertigten Gegenstände trotz aller Schuß mittel vollſtändig unbrauchbar zu machen. Endlich ist nicht zu übersehen, daß schon gegenwärtig keine einzige artille ristische Holzconstruction neueren Ursprungs eristirt, der nicht erst durch Hinzu fügung des Zwei- bis Zweiundeinhalbfachen ihres eigenen Gewichts an eisernen Beschlägen die erforderliche Haltbarkeit gegeben worden wäre. Dieser Umstand ist ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für das Preisverhältniß zwischen „hölzer nen" und eiſernen Laffeten oder Fahrzeugen, und zwar natürlich nur zu Gunsten der reinen Eisenconstructionen , deren Preis im Vergleich mit dem der Holz constructionen offenbar um so niedriger ausfallen wird, je mehr Eisentheile den letzteren hinzugefügt werden mußten. So kosten beispielshalber je 50 K. der 9 Cm .-Feldlaffete und Proze c/64 . · 74,2 Mark. " 69,7 des 8 Em.-Munitionswagens c/64 !! des Vorrathswagens Nr. II und III c/69 . 75,7 73,6 der Feldschmiede c/69 "! 55,2 " " 12 Cm.-Laffete c/64 . 51,7 ?? " "1 15 55,9 "1 "1 furzen 15 Em . -Lafete c/69 " " eiſernen 15 Cm .-Ringrohr-Laffete c/72 . 50,1 In gerechter Würdigung der vorstehend erörterten Verhältnisse (denen wir eine ausführliche Besprechung gewidmet haben, weil wir diesem Gegenstande eine sehr große Wichtigkeit für die Zukunft der Artillerie-Technik beilegen) hat die Privat-Industrie schon längst begonnen, dem Eisen und überhaupt dem Metall in fast allenZweigen der Construction und Fabrication den entschiedensten Vorzug vor dem Holz einzuräumen. Dieser Umstand allein müßte aber eigentlich schon genügen, um die Artillerie-Technik zum Betreten und Verfolgen derselben Bahn zu veranlaſſen, da ihre Interessen in zahllosen Beziehungen so eng und unmittelbar mit denen der Civiltechnik verknüpft, daß sie sich von dieſer unmöglich losſagen und emancipiren kann, ohne auf ziel- und fruchtloſe Ab- und Irrwege zu gerathen.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Es haben denn auch in der That die artilleristischen Eisenconstructionen in neuester Zeit entschieden die Oberhand gewonnen und ein stetiger Fortschritt in dieser Richtung ist glücklicher Weise unverkennbar. Von den Laffeten und Fahrzeugen der Deutschen Artillerie werden gegen wärtig aus Eisen gefertigt : 1) Sämmtliche Küsten- und Schiffs -Laffeten ; 2) die kurze 15 Cm.-Laffete c/72 ; 3) die 15 Cm. -Ringrohr-Laffete c/72 ; 4) die 8 und 9 Cm. - Caſematten-Laffete_c/73 ; * ) 5) der Kanonenjattelwagen c/72 ; 6) der Munitions - Transportwagen c/72 für die Fuhrpark - Colonnen des Belagerungstrains ; 7) die 12 Cm .-Belagerungsproze c/65 ; 8) die 15 Cm .-Belagerungsproze c/70. Ein ganz analoger Uebergang vom Holz zum Eisen hat sich auch bei der Mehrzahl der tonangebenden fremden Artillerie bereits vollzogen , oder ist noch in der Vollziehung begriffen. Ueber die Zusammensetzung des Deutschen Belagerungs - Trains geben die " Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wejens "**) fel gende, angeblich zuverlässige" Daten: Die beiden Belagerungs- Trains à 400 Geſchüße werden : der eine ungetheilt in Spandau , der andere halb in Koblenz , halb in Posen aufgestellt. Jeder Train zählt 40 9 Cm. -Bronce , 120 12 Cm .-Bronce-, 120 kurze 15 Em.- und 40 lange 15 Cm . -Ringkanonen, 40 gezogene 21 Cm. -Broncemörjer und 40 glatte 15 Cm. -Mörser, endlich ein Pauschalquantum von 150 Wallbüchsen, welche jest nach dem System Mauser aptirt werden. Alle vorgenannten Geschüße mit jämmtlichem Zubehör und einer Chargirung von 500 Schuß sind vollständig bereit und ihre Ueberführung in die obigen 3 Depots bereits im Gange. Kurze 21 Em. -Belagerungs -Ringkanonen sind ebenfalls in der Construction begriffen und werden nach ihrer Fertigstellung die Trains noch um ungefähr je 20 Stück vermehren. Das eigentliche Bresch- und zugleich wirksamste Demolirungs- Geschüt bleibt die lange 15 Cm. -Ringkanone, welche eine Schußweite von 10,000 Schritt hat. Wenn jeder der beiden Trains nur 40 dieser Geschütze zählt, so liegt der Grund darin, daß bei allen der Defenſion überwiesenen 15 Cm. -Ringkanonen ausdrücklich angeordnet ist, sie bei etwaiger Formirung des Belagerungs - Parks sofort diesem zur Verfügung zu stellen. So befinden sich in Straßburg und Metz je 50, in Mainz 40, in Königsberg und Posen vorerst nur je 7 derselben. Doch werden nach und nach alle Landfeftungen damit ausgerüstet werden, wäh rend die Küstenplätze ein anderes Modell , das besonders gegen Schiffspanzer geeignete 15 Em. - Marine-Ringohr, erhalten. Die letzteren Geschütze werden gerade gegenwärtig von Essen versendet. Die Organisation des Belagerungs - Parks wird aber noch eine weitere Ver besserung durch die Aufstellung von Munitions - Transport- Colonnen erhalten. Es sollen sofort mit Befehl zur Mobilisirung der Belagerungs- Artillerie 32 solcher Munitions - Transport- Colonnen, also 16 für jeden Train, formirt werden. Jede Colonne besteht aus 46 Munitionswagen (aus dem Französischen Beute *) Rahmenlaffete von ähnlicher Construction wie die Küstenlaffeten. vorzugsweiſe für Schnellfeuer (Flankengeschüße) eingerichtet ; gestattet 5 Schuß in der Minute. **) Jahrgang 1874, Heft 1, Seite 1 der ,,Notizen“.

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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material entnommen und in der inneren Einrichtung entsprechend aptirt) , 6 Alle Leiterwagen, 1 Feldschmiede und einigen Bagage- und Fouragewagen . Fahrzeuge erhalten eine Bespannung von 4 Militair-Pferden mit Trainfahrern, sowie außerdem die nöthigen Geschirre für ein weiteres Paar Vorderpferde , um im Nothfall durch Requisition sich sofort auf 6 Pferde seßen zu können. Das Commando jeder Colonne erhält einen Premier-Lieutenant oder Hauptmann der Landwehr-Artillerie oder des Landwehr-Trains ; überdies werden jeder 1 Feuer werker und 30 Artilleriſten zur Beaufsichtigung und Instandhaltung der Munition zugetheilt. Wenden wir uns schließlich zu der technischen Entwickelung der Preußischen Küsten- und Marine - Artillerie , so macht sich zunächst der folgenreiche Umstand bemerkbar, daß hier die Annahme der gezogenen Geschüße ungefähr Hand in Hand gegangen ist mit der allgemeinen Einfüh rung der Panzerschiffe , also mit dem unabweisbaren Bedürfniß , die Ge schwindigkeit und Durschlagskraft der Geſchoffe, behufs erfolgreicher Bekämpfung der Panzerungen, nach Möglichkeit zu steigern. Der erste Schießversuch mit Deutschen gezogenen Geschützen (9, 12 und 15 Cm.) gegen Schiffsziele (Bordwand einer hölzernen, ungepanzerten Fregatte, durch starke Balkenwände dargestellt) auf Entfernungen bis 3800 M. fand im Jahre 1860 statt. Die Wirkung war, wie zu erwarten, eine recht gute. Demnächst folgte in den Jahren 1861-1864 und 1865 das Beschießen von Panzerzielen (unter anderen Bordwandjectionen des „Arminius " und der ,, Gloire") aus 15 Cm. Kanonen, glatten 68 Pfündern, gezogenen gußeiſernen 48 Pfändern ( 19,35 Cm. Caliber) und stählernen 17 und 21 Cm.-Kanonen. Die Panzerstärken betrugen 11,4 Cm. (4,5 " Engl.) Die Wirkung war im Ganzen nur mäßig zu nennen, selbst aus dem 21 Cm., deſſen größte Ladung nicht mehr als 8 K. betrug. Ein 48 Pfünder bekam Risse , der andere zersprang; ebenso ein gußstählerner 21 Em. nach 19 Probeschüssen mit 9 K. Ladung. Dazu kam noch , daß die meisten Marinen bereits viel stärkere Panzer, als von 11,4 Em. anwandten. Es war also unerläßlich, die bisher erlangte Durchschlagswirkung ganz bedeutend zu steigern und zu diesem Behufe nicht allein den gußeisernen Röhren für immer zu entsagen, sondern auch anstatt der stählernen Maſſivröhre das für erheblich größere Anstrengungen geeignete Rohrsystem der sogen. „ künstlichen Metall construction " anzunehmen und überdies auch zu schwereren Calibern, als bisher angewendet worden, überzugehen. Die anfangs nicht nicht sehr gewürdigte „ künstliche Metallconſtruction" be zeichnet einen so hervorragenden technischen Fortschritt in der Anfertigung der Geſchüßröhre und ist seither zu einer so wesentlichen Bedeutung für die gedeih- . liche Entwickelung des Geschützwesens überhaupt gelangt, daß es geboten erſcheint, ihr an dieser Stelle einige erläuternde Worte zu widmen. *) Unter " künstlicher Metallconstruction" versteht man bei Geschützröhren die Zusammensetzung des Rohrkörpers aus einer Anzahl concentrischer Schalen oder Schichten , welche durch die Art ihrer Zusammenfügung so in Spannung oder Pressung versetzt sind , daß sie den Rohrwandungen die größtmögliche relative Widerstandsfähigkeit gegen den inneren Druck der Pulvergase verleihen. Bei massiven (d. H. aus einem Stück bestehenden) Röhren werden die äuße ren Schichten der Wandungen durch den Gasdruck in viel geringerem Grade in *) Vergl. Wille: Leitfaden der Allgemeinen Maschinenlehre und der Artilleristischen Technologie, Abtheilung II, 2. Abschnitt.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Anspruch genommen als die inneren , und zwar um so weniger, je ſtärker die Rohrwand im Verhältniß zum Seelendurchmesser ist. Beispielshalber werden bei einer Metallstärke von ½,་ 1, 1 , 1 und 2 Calibern die äußzerſten Schichten des 1 1 1 1 1 Rohres nur bez . 2,5 3,62 5 8,5 und 13 so stark beansprucht , wie die innerſten, wobei es völlig gleichgültig , aus welchem Metall das Rohr besteht. Daraus ergiebt sich also, daß eine Steigerung der Metallstärken bis zu 2 Calibern und darüber hinaus keinen nennenswerthen Einfluß mehr auf eine Vergrößerung der Widerstandsfähigkeit der Röhre ausüben kann. Wenn nun die künstliche Metallconstruction " ein Rohr widerstandsfähiger machen soll, als ein Massivrohr von denselben Abmessungen und unter ſenſt gleichen Verhältnissen es sein würde , so kann dies nur dadurch geschehen, daß eine möglichst gleichmäßige Inanspruchnahme sämmtlicher Schichten der Rohrwandung herbeigeführt wird und somit die äußeren Schichten gezwungen werden, zu dem Widerstandsvermögen des Rohres in höherem Maße beizutragen, als dies bei einem congruenten Massivrohr der Fall sein könnte; mit anderen Worten : alle Schichten der Rohrwand müßten durch den Gasdruck gleichzeitig in die höchste zulässige Spannung verjet werden. Schiebt man auf eine cylindrische Röhre einen anderen , angewärmten und dadurch erweiterten Hohlcylinder auf, dessen innerer Durchmesser (vor dem Aufziehen , in kaltem Zustande) kleiner ist , als der äußere Durch messer der inneren Röhre , so wird lettere um ein gewisses Maß zusam= mengedrückt , der äußere Cylinder dagegen entsprechend ausgedehnt werden. Schiebt man nun auf dieſe beiden Cylinder in analoger Weise noch einen dritten auf, so wird augenscheinlich die Zusammendrückung des ersten Cylinders noch vergrößert, die Ausdehnung des zweiten dagegen verringert und der dritte über haupt nur ausgedehnt. Auf diese Weise läßt sich , wenn die Wandstärken und die Unterschiede in den inneren und äußeren Durchmessern der verschiedenen Cylinder richtig be messen werden , die Spannung der inneren Schichten aller zu einem System combinirter Röhren so regeln, daß sie den oben entwickelten Grundsägen der künstlichen Metallconstruction entspricht. Dagegen ist es unmöglich , die Span nung sämmtlicher Schichten des aus mehreren Röhren zusammengesetzten Hobl cylinders mit den , einer jeden derselben zuzumuthenden Anstrengungen röllig in Einklang zu bringen. Denn auf jede einzelne dieser Röhren findet ſelbſtredend wieder das oben in Betreff des Massivrohrs Gesagte Anwendung: daß nämlich niemals alle concentrischen Schichten desselben unter dem radial von innen nach außen wirkenden Gasdruck gleichzeitig ihre höchste zulässige Spannung erreichen können. Daraus folgt , daß ein vollkommen nach den Gesetzen der künstlichen Metallconstruction ausgeführtes ideales Rohr aus unendlich vielen concentrischen Ringen oder Röhren bestehen müßte, und daß es daher theoretisch nur vortheilhaft sein kann, einem Rohr wenigstens möglichst viele Ringlagen über einander zu geben. Praktisch-technische Gründe der Fabrication indeß be schränken die Zahl der auf die innere oder Kernröhre aufzuschiebenden Ringlagen erfahrungsmäßig auf höchstens drei, während eine oder zwei Lagen, je nach dem Caliber, die Regel bilden. Ein nach den Regeln der „ künstlichen Metallconstruction" angefertigte 24 Cm. - Kanone (96-Pfünder) erschien im Jahre 1868 auf dem Versuchsplay, um ihre Wirksamkeit gegen Panzerziele von erheblich größerer Stärke, als sie die

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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früher beschossenen hatten , zu erproben. Das widerstandsfähigste dieser Ziele ſtellte eine Section des Panzerschiffes „König Wilhelm " mit 23 Cm. ( gleich 9 Zoll Engl.) dicker Vorderplatte vor. Die Wirkung des 24 Cm. blieb indeß hinter den gehegten Erwartungen zurück , und es gewann in Folge dessen einen Augenblick den Anschein, als ob der Stern des Deutschen Hinterladungs- Syſtems , wenigstens für die schweren Geschütze der Küsten- und Marine- Artillerie , stark im Sinken begriffen wäre. Denn ein, aus Sir William Armstrongs Kanonen fabrik in Elswick als Concurrent des 24 Cm. herangezogener Englischer 9zölliger Vorderlader (Woolwich - System) trug , was Durchschlagskraft anbelangt, anfangs entschieden den Sieg über jenen davon. Aber sein Triumph war nur von kurzer Dauer! Als man dazu schritt, dem 24 Cm. als Ladung anstatt des gewöhnlichen_Geſchüßpulvers prismatisches Pulver ( gepreßte sechsseitige Prismen mit 7 Canälen) zu geben , schlug er den Gegner sogleich glänzend aus dem Felde, so daß man die Annahme der letzteren Pulversorte in der That als den wesentlichsten und einflußreichsten Wendepunkt in der Ent wickelung des Hinterladungs - Systems und in seiner Anwendung auf die schwer ften Caliber bezeichnen muß. Die Combination der künstlichen Metall construction " für die Röhre mit der Anwendung des prismatischen Pul vers und der Hartgußgranaten mit scharfer ogivaler Spite (Eisenhart guß von Gruson in Buckau) bildete fortan die Grundlage für den weiteren Ausbau des Systems der Deutschen Panzergeschütze , wogegen der Woolwich Vorderlader, welcher überdies bei den Schießversuchen einen gefahrdrohenden Riz in seiner Kernröhre erhalten hatte, für immer vom Schauplatz verſchwand. Für die Küsten- und Marine - Artillerie sind seither Ringröhre von 12-, 15-, 17-, 21-, 24 , 26 , 28- und 36 Cm.- * ) Caliber construirt und eingeführt worden , und zwar von den 15-, 17-, 21-, 24- und 26 Cm. - Kanonen je ein , kurzes" und ein „langes " Modell. Eine endgültige Entscheidung darüber , ob auch eine 30,5 Cm . - Kanone ( wie sie von der Kruppschen Gußſtahlfabrik 1873 in Wien ausgestellt war ) künftig zur Verwendung gelangen soll , scheint noch nicht getroffen zu sein ; doch dürfte die Annahme dieses Calibers wenigstens für die Marine-Artillerie, Zeitungsnachrichten zufolge, nicht unwahrscheinlich sein. Alle oben genannten Röhre haben den (einfachen) Rundkeilverschluß mit Broadwellliderung und Centralzündung (Zündloch in der Seelenachje durch den Verschluß gebohrt , anstatt durch das Rohrmetall am Ladungsraum, behufs größerer Schonung des Rohrkörpers). Die Geschosse sind Hartguß- und Langgranaten , erstere nur gegen Panzer, letztere (von gewöhnlichem Gußeisen) gegen alle anderen Ziele bestimmt. Die Gewichte derselben und ihrer Sprengladungen betragen :

Caliber

Cm. " " " " " "

222

12 15 17 21 24 26 28

Langgranaten Geschoß Spreng Ladung gewicht Kilo. Kilo. 14 27,75 45,3 79 119 163 183,5

1 2 3 5 6,8 10 10,65

Hartgußgranaten Spreng Geschoß Ladung gewicht Kilo. Kilo.

17,5 35,5 55,8 98,5 139 189 234

0,375 0,375 0,55 1,25 1,45 2 2,5

*) Die 36 Cm.-Kanone existirt nur in einem einzigen Individuum (als „1000-Pfünder“ von der Kruppschen Gußſtahlfabrik in Paris 1867 ausgestellt) .

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Militairische Jahresberichte für 1874. Die Geschüßladungen betragen : Ladung für für Hartgußs granaten Langgranaten Kilo. Kilo.

12 Cm. Kurze 15 " Lange 15 " 17 " Kurze 21 " Lange 21 24 " 26 28 "

Ringkanone

Geschüt

3,3 6,5 8,5 8 16 19 27 32 40

1,75 5,5 7 6,5 12 14 20 26 35

Für die Construction der Küsten- und Schiffs - Laffeten , welche sämmt lich erst in den letzten Jahren entstanden sind und eine sehr rationelle Ver werthung der neuesten Fortschritte der Technik und Mechanik bekunden, sind be sonders folgende Punkte als charakteristisch hervorzuheben. Sie werden durchweg aus Metall gefertigt (namentlich aus Schmiede eisen und Schwarzblech , einzelne Theile aus Gußeisen, Stahl und Bronce). Die Küstenlaffeten haben, der besseren Deckung wegen, eine sehr große Feuerhöhe (2 M.) , die Schiffs laffeten dagegen eine möglichst kleine, be hufs größerer Schonung der Batteriedecks durch die Rückwirkung des Schuffes. Die Küstenlaffeten sind sämmtlich Rahmenlaffeten, die Schiffs laffeten zum größten Theil. Alle sind in reichstem Maße mit mechanischen Hülfsmitteln zur Er leichterung und Beschleunigung der Bedienung und Handhabung ausgerüstet (Windewerke zum Nehmen der Seitenrichtung , zum Ein- und Ausrennen der Oberlaffeten , zum Aufhiffen der Geschosse bis vor die hintere Rohröffnung ; hydraulische und Lamellen - Bremsen zum Hemmen des Rücklaufs ; Laufkeile zur Erzielung eines selbstthätigen Vorlaufs der Ober laffeten.). Diese Einrichtungen gewähren den für das Gefecht unschätzbaren Vortheil, daß verhältnißmäßig wenig Mannschaften zur Bedienung genügen und daß erforderlichen Falls eine bedeutende Feuergeschwindigkeit ohne übergroße Anstrengung erreicht werden kann. Endlich sind noch die Minimalscharten Laffeten zu erwähnen, bei denen sich mittelst eines hydraulischen Mechanismus das Heben und Senken des Rohr's in der Weise bewirken läßt, daß die Mün dung unter den verschiedensten Erhöhungs- und Senkungswinkeln des Rohrs immer nahezu denselben Ort einnimmt; dies gestattet die Anwendung sehr kleiner Scharten , gewährt also für das Innere von Panzerthürmen einen wesentlichen Schutz gegen das feindliche Feuer.

2. England. Der technische Entwickelungsgang der Englischen Artillerie hat innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte eine Reihe eigenthümlicher und in Betreff der ver anlaſſenden Beweggründe zum Theil nicht leicht verständlicher Wandlungen auf zuweisen. Schon 1853, im Krimkriege, also vor allen anderen Mächten , trat England mit gezogenen Geschützen auf. Es waren dies die , nach dem Erfin der benannten Lancaster-Kanonen : Vorderlader mit spiralförmig gewun dener Seele von elliptischem Querschnitt und mit progressivem Drall. Bor

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

561

Sebastopol und Bomarsund bestanden diese Geschüße ihre Feuerprobe herzlich schlecht. Ungenügende Trefffähigkeit, Festkeilen von Geschossen in den Windun gen der Seele , und Zerspringen einzelner Röhre - diese ernsten Uebelstände gaben einen hinlänglichen Grund ab für die schleunige Verwerfung des Syſtems . Auf Lancaster folgte 1858 William Armstrong (nachmals für seine artilleristischen Verdienste mit dem Baronettitel belohnt), dessen Syſtem von vorn herein auf der 17 künstlichen Metallconstruction", der Hinterladung und der Bleiführung beruhte, also mit den Preußischen gezogenen Geschützen eine große Aehnlichkeit hatte. Nach gründlichen Versuchen wurden 6-, 9-, 12- und 20Pfünder für die Feld- und Positions - Artillerie, sowie 40 und 100Pfünder für Belagerungs-, Festungs-, Küsten- und See-Artillerie angenommen. 6

9 , 12

6,36

7,61

20

40

100Pfünder

12,06

17,79 Cm.

Caliber:

t 9,52

Die anfangs so emphatische Freude der Engländer über diese wunder vollen Armstrongs war aber nicht von langem Bestand. Ihre in der That ausgezeichnete Trefffähigkeit konnte keinen Ersaß dafür bieten , daß die Bedienung , besonders der beiden größten Caliber , schwierig, die Lide rung mangelhaft und die Verschlüsse unhaltbar waren. Namentlich die Marine beklagte sich über diese Uebelstände so lebhaft , daß man , nachdem auch noch ein ebenfalls von Armstrong vorgeschlagener Keilverschluß mißglückt war (1862), das alleinige Heil im Vorderlader zu erblicken wähnte und sich somit zu einem entschiedenen Rückschritt entschloß, unter deſſen üblen Fol Die gründ gen die Englische Artillerie noch heut empfindlich zu leiden hat. lichste, vergleichende Erprobung der verschiedenartigsten Constructionen von Vor derladern führte endlich 1865 zu einem den Meiſten gewiß sehr unerwarteten ― Resultat, nämlich zur Annahme des Französischen Systems (von der Englischen National- Eitelkeit alsbald in " Woolwich-System" umgetauft), welches, vorzugsweise vermöge seiner geringen Trefffähigkeit , selbst unter den Vor derladern so ziemlich den tiefsten Rang einnahm. Diese gewichtige Wandlung in den technischen und ballistischen Anschauungen der Englischen Artillerie war um so wunderbarer , als gerade zur Zeit ihrer Vollziehung die Franzöſiſche Artillerie selbst , in gereifter Würdigung der großen Vorzüge der Hinterladung, diese wenigstens für ihre Küsten- und Marinegeschüße annahm . Mehrere der namhaftesten Artilleristen Englands (wir nennen nur die Namen Lefroy, St. Georges , Wilmot u. a . ) haben seither die principielle Ueberlegenheit des Hinterladers über den Vorderlader anerkannt , aber trotzdem ist das Woolwich Syſtem von 1865 , soweit es die Einrichtung der Seele betrifft , bis auf den heutigen Tag fast unverändert beibehalten und nur in Bezug auf Caliber und Rohrgewichte imuner weiter und weiter ausgebaut worden , bis letztere schließlich in der That ganz riesenhafte und ungeheuerliche Verhältnisse angenommen haben. Wir hegen indeß die feste Ueberzeugung, daß auch England über kurz oder lang gezwungen sein wird, den unvollkommenen Vorderlader wieder aufzugeben und dafür abermals den viel vollkommeneren und namentlich der weiteren Ver vollkommnung und Ausbildung in viel höherem Grade fähigen Hinterlader einzutauschen. Um so schlimmer für die Englische Artillerie, je länger sie diese unvermeidliche Radicalkur hinauszuschieben sich bemüht. In der rein technischen Seite der Anfertigung der Woolwichröhre ist übrigens gegen die ursprüngliche Armstrongsche Construction seit ungefähr 36 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

7 Jahren insofern eine wesentliche Aenderung eingetreten , als man die Anzahl der Theile (Röhren und Ringe) , aus denen das Rohr zuſammengebaut wird, erheblich herabgesetzt und dadurch gegen 40 pCt. an Herstellungskosten gespart hat , ohne angeblich an Widerstandsfähigkeit der Röhre einzubüßen. Diesem "! wohlfeilen" Fabricationssystem hat der Erfinder, Civil - Ingenieur Fraser, seinen Namen gegeben. Beispielshalber bestanden die Woolwich- 8 und 9'er (Modell I) nach Armſtrong's Conſtruction aus 10, bez. 12 Theilen, die zuſammen vier Röhren- und Ringlagen über einander bildeten, wogegen sich die Fraserröhre nur aus vier einzelnen Theilen (bei den Feldgeschützen sogar nur 2 , bei dem 35 Ton - Geschüß oder Woolwich - Infant 6) zusammensetzen und nur 2 Röhrenlagen über einander haben.

Die Englische Feld artillerie führt gegenwärtig ( ungefähr seit 1870) Woolwich 9 und 16P fünder * ) , über deren wesentlichste Constructions verhältnisse wir hier einige aus den officiellen Veröffentlichungen des Engliſchen Kriegsministeriums ( On guns ; On carriages ; On ammunition) folgen laſſen.

9Pfünder

Munitions Ausrüstung .

Cm . Seelendurchmesser · · K. Rohrgewicht R. Gewicht der leeren Laffete = R. Proze K. ausgerüsteten Proze . = des K. Geschüßes Länge der Seele Caliber. Anzahl der Züge Caliber. Drallänge Drallwinkel R. Ladung (Grobkörn. Pulver) K. Gewicht der geladenen Granate Gr. Sprengladung Anzahl der Kugeln im Schrapnel . Gewicht der einzelnen Kugeln . Anzahl der Kugeln in der Kartätſche Gewicht der einzelnen Kugel im Achskasten der Laffete . im Propkasten .



im Munitions-Hinterwagen



16 Bfünder

9,14 7,62 609 406 670 588**) 560 575 784 819 2159 1836 **) 19,11 21,17 3 3 30 30 5º 58' 41,5" 50 58′ 41,5" 1,36 0,794 4,082 7,25 214 453 119 63 13,5 und 25 Gr. 160 110 I 28 Gr. 4 Kartätschen 4 Kartätſchen 8 Granaten 8 Granaten 16 Schrapnels 16 Schrapnels 6 Kartätschen 4 Kartätschen 24 Granaten 22 Granaten 48 Schrapnels 48 Schrapnels 18 Kartätſchen 2 Kartätſchen

*) Für Marine und Colonialzwecke , sowie als Berggeschüße auch 7Bfün der Massivröhre von Stahl und Bronce. Der früher für die Ostindische Feld. Artillerie bestimmt gewesene broncene 9Pfünder (von Oberst Maxwell conſtruirt) iſt neuerdings wieder aufgegeben worden. **) 22 K. weniger, wenn für reitende Artillerie beſtimmt.

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

563

Ballistische Leistungen des 9Pfünders . Anfangsgeschwindigkeit der Granate im Mittel = 420 M. *)

Mittlere Abweichung Entfernung

Erhöhung

Fallwinkel Längen M.

M.

2000 2500 3000 3500 4000 4500

4º 54' 6º 54' 90 10' 11º 46' 14° 52' 18° 24'

70 14' 10⁰ 22' 130 180 9' 230 1' 28° 22'

16 19,4 25,2 31,8 39,3 47,3

Höhen M.

Seiten M.

2 3,5 6,3 10,4 16,7 25,5

3,4 4,7 6,1 7,7 9,7 11,9

Laffeten und Fahrzeuge sind fast durchweg in Eisen ausgeführt. Die obigen Gewichtszahlen ergeben, daß sie ziemlich schwerfällig construirt sind : ein Fehler, welcher der Englischen Feldartillerie von jeher angehaftet hat, sich aber von dieser , vermöge ihres anerkannt vorzüglichen Pferdeschlages wohl auch leichter ertragen läßt, als von einer anderen. Die 9Pfünder - Laffete mit Proße kostet 2807 und die 16 fünder- desgl. 2943 Reichsmark** ) — nach unseren relativen Begriffen ein hoher Preis ! Bei der Munitions - Ausrüstung fällt die unverhältnißmäßig große Zahl von Kartätschen auf , die wohl schwerlich mehr den heutigen Gefechts verhältnissen , keinenfalls aber den Erfahrungen der Deutschen Artillerie im Feldzuge von 1870-71 entspricht. Die ballistischen Leistungen des 9Pfünders (über den 16 Pfünder ſtehen uns zuverlässige Angaben nicht zu Gebote) zeigen zwar eine recht be friedigende Trefffähigkeit , ſtehen aber in Bezug auf Bahnraſante und Geſchoß geschwindigkeit nicht auf der Höhe der Zeit. Man soll übrigens in England beabsichtigen , noch einen erleichterten 9Pfünder von ungefähr 300 K. Rohr- und 470 K. Laffetengewicht ein zuführen. Ein 25 Pfänder von 10,16 Cm . Seelendurchmesser und 1120 K. Rohr gewicht , als Positions- und leichtes Belagerungsgeschütz in Aussicht genommen, befindet sich noch im Versuch.

Die Englische Belagerungs - Artillerie umfaßt gegenwärtig 3 Caliber : den 40Pfünder , den 64 Pfänder und die 8zöllige Haubiße. Die wesent lichsten Angaben über die Constructionsverhältnisse der neuesten Modelle dieser Geschütze enthält die nachstehende Zuſammenstellung :

Seelendurchmesser Gewicht des Rohrs der stärksten Ladung *** ) .

Cm. R. R.

40 Bfünder

64Pfünder

12,06 1722 3,175

16,00

8zöllige Haubize

4,536

*) Archiv für Artillerie- und Ingenieur-Offiziere, Band 75, Seite 148 u. f. 20 Mark gerechnet. **) 1 Pfund Sterling ***) Grobkörniges Pulver. 36*

20,30 2375 4,536

564

Militairische Jahresberichte für 1874.

64 Bfünder

17,2 1 : 5,4 1,187 17,87 0,14 180 25,2 2,438 2,172

29,3 1 : 6,4 3,175 29,78 0,25 234 32,4 2,832 2,476

81,65*) 1:18 6,35*)

M.

1,816

2,298

0,724

R. M.

3,6 14,4 3 3 gleichförmig 16 30 30 11º 6' 31" 5º 58' 42" 2176 1243 1548 1,07 1,07 1,07

* બંબં છું ää

Gewicht der geladenen Granate Ladungsverhältniß Sprengladung der Granate Gewicht des geladenen Schrapnels Sprengladung des Schrapnels . Anzahl der Kugeln im Schrapnel **) . Gewicht der einzelnen Kugel Länge des Rohrs Länge der Seele Länge des gezogenen Theiles der Seele • Länge des gezogenen Theiles der Seele in Calibern Anzahl der Züge Art des Dralls Dralllänge in Calibern Drallwinkel Gewicht der schmiedeeisernen Laffete Kniehöhe der Laffete

83öllige Haubize

40 Pfünder

1,552 1,219

15 3

Vorstehende Angaben dürften genügen , um sich auch von den balliſti schen Eigenschaften und Leistungen dieser Geschütze ein ungefähres Bild zu entwerfen , dem nur noch hinzuzufügen sein würde, daß ihre Trefffähig feit eine recht mangelhafte sein soll, namentlich bei den Kanonen, dagegen ver hältnißmäßig beſſer bei der Haubize. Hinsichtlich der Laffetirung muß es auffallen , daß sich die Engliſche Artillerie noch immer nicht mit der großen Feuerhöhe für Belagerungs Laffeten befreundet hat, wie sie Preußen bereits seit 10 Jahren angewendet hat und in Bezug auf Deckung der Batterie und Solidität des Brustwehrkörpers so Vorzügliches leistet , ohne irgend mit sonstigen wesentlichen Nachtheilen be haftet zu sein. Freilich haben die Engländer dasselbe Ziel , wenigstens für Festungs-Artillerie , ebenfalls angestrebt durch Einführung der viel genannten Moncrieff- Laffete, deren Obertheil sich durch die Rückwirkung des Schuſſes von selbst nach hinten senkt und dadurch das Rohr in eine nahe über dem Horizont des Geschützſtandes liegende Ladestellung bringt; sobald geladen iſt, bewirkt der Druck eines gleichfalls durch den Rückstoß hochgehobenen Gegen gewichts (in neuerer Zeit durch einen pneumatischen Mechanismus erjest), daß Oberlaffete und Rohr wieder in die Feuerstellung emporsteigen, welche über die ziemlich hohe Brustwehr hinweg zu feuern gestattet. Diese Laffeten machten seiner Zeit ( 1869) ein bedeutendes Aufsehen , wurden auch Seitens anderer Artillerien in den verschiedensten Formen versuchsweise nachgeahmt , aber nur in England selbst und auch da mur in beschränkter Zahl eingeführt (im April 1873 zunächst 20 Laffeten für das 7zöllige Caliber; jede derselben wiegt 443 Centner). Heut zu Tage, wo man mit stark gekrümmten Geschoßbahnen auf beträchtlichen Entfernungen noch eine sehr befriedigende Trefffähigkeit gegen waagerechte Ziele zu erreichen vermag , muß die Idee der Moncrieff Laffete als principiell verfehlt angesehen werden. Sobald der Feind einmal nach den ersten Schüssen den Ort des Geschüßes erkannt hat , wird es *) Ein leichteres Modell der 8zölligen Granate wiegt 68 K. und faßt 7,26 K. Sprengladung . **) Die Schrapnelkugeln beſtehen aus Antimonblei (Hartblei).

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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ihm bald genug gelingen , dieſem auch in der Ladeſtellung einige Treffer bei zubringen, die der coloſſalen und complicirten Maſchine gewiß raſch den Garaus machen dürften. Die Englische Küsten- und Marine - Artillerie , der , wie natürlich , gerade in diesem Lande ein ganz besonderer Werth beigelegt wird , hat sich seit Annahme des Woolwich- Systems , vom 7zölligen beginnend , glücklich durch alle Caliberstufen (8, 9, 10, 11 , 12 und 13zöllige) hindurchgearbeitet, gedenkt aber vorläufig immer noch nicht Halt zu machen , sondern steuert soeben mit vollen Segeln auf das 14 und 163öller - Caliber los. Das augenblicklich vorhandene schwerste Geschüß ist ein 12Zöller ( = 30,5 Cm .) von 38 Tons ( = 38570 K.) Rohrgewicht, welches vor noch nicht 2 Jahren aus der ursprünglichen, nur 35 Tons (= 35525 K. ) wiegenden Construction desselben Calibers hervor gegangen ist, nachdem die Wirkung sowohl, wie die Haltbarkeit der letzteren den Erwartungen nicht entsprochen hatte; das schwere Modell ist um 0,9 M. länger und im Bodenſtück stärker gehalten, als das leichtere. Gegenwärtig ist man im Arsenal zu Woolwich mit der Anfertigung eines Rohres von 81 Tons (= 82215 K.) Gewicht beschäftigt , welches bei einer Länge von 794,4 Cm. und einem größten Durchmesser (am Bodenſtück) von 182,9 Cm. zunächst einen Seelendurchmesser von 14 3oll (= 35,6 Cm. ) er halten, später aber vielleicht noch auf 16 Zoll (= 40,6 Em. ) nachgebohrt werden soll. Eine ganz interessante Zuſammenſtellung einiger Angaben über die schwersten Geschütze der verschiedenen Artillerien wurde neulich im „Engineering " *) mit= getheilt; wir lassen dieselbe nachstehend folgen:

Staat.

England . . .

England Preußen . Frankreich . Rußland

Seelen durch messer

Rohr gewicht

Pulver Ladung

Cm .

K.

K.

R.

35,6

82215

136

748



318 257**) 345 ***

396 460 400 426

30,5 30,5 32,0 30,5

35525 35930 35020 40600

50 50**) 62 51,6

Anfangs Geschoß geschwin gewicht digkeit

Bemerkungen.

M. In der Anfertigung begriffen.

Wenn man berücksichtigt , daß die Handhabung und Bedienung dieser Co Losse maschinelle Vorrichtungen erforderlich macht , welche den dafür bestimmten Geschützständen die größte Aehnlichkeit mit einer mechanischen Werkstatt verleihen und an den Kanonier gewissermaßen ähnliche Anforderungen stellen, wie an einen Maschinisten oder Mechaniker und wenn man ferner berücksichtigt , daß diese außerordentliche Steigerung der Caliber , der Gewichte und der Schwierigkeiten der Fabrication und des Gebrauchs in erster Reihe lediglich durch_das_fort währende Wachsen der Panzerstärken und den anscheinend endlosen Wettkampf zwiſchen Artillerie und Panzer hervorgerufen worden sind , so fragt man sich *) Nr. 466 v. 4. December 1874, Seite 429. **) Richtiger: 60 statt 50 und 303 ſtatt 257. ***) Das Geschoßgewicht ist noch nicht endgültig festgestellt und die Geschwindigkeit daher nur annähernd geschäßt.

566

Militairische Jahresberichte für 1874.

unwillkürlich , ob denn der seiner Zeit vielberufene (inzwischen verstorbene) Lieutenant Streubel (pſeudonym Arkolay) so ganz Unrecht hatte, als er in einem der ersten seiner militairiſch-kritiſchen Ergüſſe *) die Einführung der Panzerſchiſſe als einen Rückschritt bezeichnete. Die endgültige Entscheidung dieser Frage wird freilich einer späteren Zeit vorbehalten bleiben müssen , aber es wäre doch immerhin möglich, daß man im 20. Jahrhundert in die Lage käme, die Panzer schiffe sowohl, wie die zu ihrer Bekämpfung gebauten Geschützmaschinen zu den ,,überwundenen Standpunkten " zu zählen und als eine zeitweise Verirrung früherer Tage mitleidig zu belächeln. So viel lehrt wenigstens die Erfahrung aller Zeiten, daß nicht nur die lebenden , sondern überhaupt alle beweglichen Streitmittel die beste Deckung gegen das feindliche Feuer stets in der möglichsten Steigerung der eigenen Offenſivkraft, Feuerwirkung und Beweglichkeit, nicht aber in der Vermehrung und Verstärkung der passiven Schutzmittel gefunden haben. In Bezug auf die Laffetirung der Englischen Küsten- und Schiffs artillerie ist selbstverständlich auch alles Mögliche geschehen, um durch mechaniſche Hülfsmittel die großen Schwierigkeiten zu überwinden, welche gerade das Princip der Vorderladung bei schweren, durch Stückpforten oder Panzerscharten feuernden Geschützen der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bedienung entgegen stellt. Ein vor Kurzem von dem Englischen Civil-Ingenieur G. W. Rendel in der Institution of civil Engineers gehaltener Vortrag (Gun-carriages and mechanical appliances for working heavy ordnance, London, 1874) giebt über die desfalls getroffenen sehr sinnreichen , aber leider auch sehr compliciten Vorkehrungen äußerst interessante und eingehende Aufschlüsse, welche zur Genüge darthun, wie ungünstig auch in dieser Hinsicht der Vorderlader im Vergleich mit dem Hinterlader gestellt ist. So hat man z . B. bei den Thurmgeſchüßen vor der Scharte , außerhalb des Panzerthurms , einen schräg gelagerten Wischer angebracht, dessen hohle, metallene Stange nach dem System eines hydraulischen Krahns eingerichtet , um so das Auswischen und Laden des Geſchüßes auf maschinellem Wege bewirken zu können. 3. Frankreich. Die Französische Feldartillerie war bekanntlich die erste, welche mit ge zogenen Geschützen auf dem Schlachtfelde erschien. Die im Jahre 1858 ein geführten broncenen 4Pfünder - Vorderlader (8,65 Cm. ) bestanden im Italienischen Feldzuge von 1859 ihre Feuerprobe, und zwar anscheinend so gut, daß man noch in demselben Jahre einen 12Pfünder ( 12,13 Em . ) und später auch einen 8Pfünder ( 10,61 Cm.) desselben Systems annahm. Trefffähigkeit, Rasante und Geschoßwirkung dieser Kanonen waren äußerst mangelhaft und schlechter, als bei irgend einem anderen Feldgeschütze. Deffenungeachtet behauptete sich der Glaube an ihre Vortrefflichkeit in den maßgebenden Französischen Kreiſen länger als ein Jahrzehnt, und wurde erst kurz vor dem Ausbruch des Deutſch Französischen Krieges durch authentische Berichte über die Schießergebnisse der Belgischen Feldartillerie ernstlich erschüttert. Die erstaunlichen Mißerfolge der Französischen Artillerie gegenüber den Deutschen Hinterladern thaten dann vollends das Jhrige, um letzterem System nunmehr auch in Frankreich ent schieden Bahn zu brechen. Der Umschlag der Ansichten war ein so durch greifender, daß man auch während des Krieges ein vom Oberst Reffye, Director der mechanischen Werkstätten in Meudon , construirtes , für Hinterladung ein *) W. Streubel : Die Panzerschiffe ein nautischer und artilleristischer Nückschritt. 1862.

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Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

gerichtetes , broncenes canon de sept (K.) (8,5 Cm.) einführte und davon auch eine ziemlich große Anzahl fertig stellte; einige Batterien derselben nahmen an den Ausfallgefechten vor Paris und am Loire-Feldzug thätigen Antheil. Unmittelbar nach dem Kriege aber trat man in sehr umfangreiche und mit großem Eifer betriebene Versuche ein (zu Calais, Bourges, Tarbes , Trouville, Havre u. a. D.) , durch welche zunächst die Wahl des Syſtems und die sonstigen constructiven Grundlagen für die künftige Feldartillerie festgestellt werden sollten ; dazu wurden, außer den bisherigen Französischen Feldgeschüßen, das canon de 7, sowie Deutsche, Englische und Schweizerische Feldgeschüße , ferner Vorderlader des Systems Vavasseur*), Hinterlader von Whitworth in Manchester und mehrere von Französischen Privatfabriken (z. B. von Petin und Gaudet in Rive de Gier bei St. Etienne) gelieferte stählerne Hinterlader mit herangezogen. Die wesentlichsten Resultate dieser Versuche, deren zum Theil höchst interessante Einzelheiten hier aufzuzählen der Mangel an Raum verbietet, laſſen sich kurz, wie folgt, zusammenfassen: 1. Der Hinterlader verdient unbedingt den Vorzug vor dem Vorderlader. 2. Die inländischen (Franzöſiſchen) Stahlwerke sind vorerst noch nicht in der Lage, brauchbare Stahlröhre für ein den heutigen balliſtiſchen Anforderungen entsprechendes Ladungsverhältniß herzustellen. 3. Das Reffye - System (canon de 7) ist zwar noch mit verschiedenen Mängeln behaftet und steht manchen anderen Systemen nach, erscheint aber doch für das Uebergangsstadium (d. h. bis die unausgesetzt anzustrebende An= fertigung haltbarer Stahlröhre im Inlande gelungen ist) immerhin als ein recht brauchbares Feldgeschütz und ist daher allgemein einzuführen, zumal ſeine Maſſen fabrication in den Staatswerkstätten verhältnißmäßig rasch und wohlfeil bewirkt werden kaun. 4. Außer dem canon de 7 K. ist noch ein solches de cinq deſſelben Systems anzunehmen. Ueber diese beiden Geschütze, welche also vorläufig die ausschließliche Be waffnung der Französischen Feldartillerie vorstellen , laſſen wir hierunter einige Angaben folgen : **) Canon de 7.

Seelendurchmesser Anzahl der Züge Rohrgewicht mit Verschluß Gewicht der Laffete " leeren Prote !! "} ausgerüsteten Prote !! des ganzen, kriegsmäßig ausgerüsteten Geschüßes " der geladenen Granaten . "! "1 Sprengladung 1? "! Geschüßladung "! Ladungsverhältniß Anfangsgeschwindigkeit .

Cm . K. "1 "/ " !! " Gr. K.

m.

8,5 14 640 612 540 775 2027 6,9 350 1,13 1 : 6,1 390

*) Bei dem Vavasseur- System liegen die Züge im Geschoßmantel , während die Seele des Rohre mit entsprechenden vorstehenden Leisten oder Rippen versehen ist. **) Vgl. Langlois : Les artilleries de campagne de l'Europe en 1874. Brüffel und Paris, 1875.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Erhöhungswinkel auf Entfernung von M.

500 : 1000 : 1500 : 2000 : 3000 :

0° 2º 3° 5º 90

52' 12' 43' 21'

4000 : 13° 23' 5000 : 19° 27' 6000 : 30° 28' Die Rasante des Geschützes hält jonach, wie man sieht, nicht ganz gleichen Schritt mit den analogen Leistungen der neuesten Modelle anderer Feldartillerien. Noch weniger befriedigt aber seine Trefffähigkeit , wie dies Preußische Schieß versuche mit einem eroberten canon de 7 zur Genüge dargethan haben; derselbe traf erheblich schlechter, als der Deutsche 9 Em. c/61. Der Verschluß ist ein Schraubenverschluß mit Centralzündung. Die Kartusche bildet einen starken Papiercylinder, der mit 5 Ringen ven comprimirtem Pulver und einem Ringe aus Fettmaſſe (zum Einfetten der Seele) gefüllt, sowie am Boden , behufs gasdichten Abſchluſſes der Seele, mit einem tellerförmigen Napf aus Messingblech versehen ist. Die Granate hat den dünnen Bleimantel und als Zünder einen Per cuſſions zünder. Die Construction des Schrapnels und der Kartätsche ist noch nicht end gültig festgestellt. Die Gewichtsverhältnisse des canon de 7 erscheinen , im Verhältniß zu seiner Leistungsfähigkeit , ziemlich hoch bemessen und geben dem Ganzen ein etwas schwerfälliges Gepräge. Canon de 5. Diese neueste Construction scheint von der Französischen Regierung noch möglichst geheim gehalten zu werden und ist deshalb bisher nur Weniges darüber in die Deffentlichkeit gedrungen. Seelendurchmesser 7,5 Ent. 14 Anzahl der Züge K. 461 Rohrgewicht mit Verſchluß ፡ 525 Gewicht der Laffete .. = 4,8 "! " geladenen Granate Gr. 250 " " Sprengladung 0,87 K. Geschützladung • "1 " 1 : 5,5 Ladungsverhältniß M. 413,5 Anfangsgeschwindigkeit Das Rohr ist von Bronce wie beim canon de 7 ; die Laffete von Eiſen, während das canon de 7 die alte hölzerne 12 Pfünder-Laffete erhalten hat ; die Räder haben broncene Naben, wie in Deutschland und England. Vermöge seines stärkeren Ladungsverhältnisses, im Verein mit einer befrie digenden Querschnittsbelastung des Geschosses, wird der 10 Pfünder vermuthlich eine beſſere Rasante besitzen, als der 14 Pfünder; ob er letzteren auch an Treff fähigkeit überragt, muß vorerst noch dahingestellt bleiben. Alles in Allem wird man aber über die neue Französische Feldartillerie (deren vollständige Einführung, nach dem bekannten Schreiben des Kriegsministers an den Obersten Reffye , im Frühjahr 1875 beendet werden zu sollen scheint) füglich schon jetzt das Urtheil fällen können, daß sie zwar gegenüber den Vorder ladern von 1859 einen sehr bedeutenden Fortschritt verwirklicht hat, aber an

1

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Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

die neuen Deutschen und an die Oesterreichischen Versuchs - Feld geschüße (s. unten) doch noch in keiner Weise heranreicht. Die Französische Belagerungs- und Festungsartillerie scheint über die praktische Verwerthung der aus den Belagerungen von 1870-71 mit un zweideutiger Klarheit zu ziehenden Nuzanwendungen noch nicht recht schlüssig geworden zu sein. Anfangs schien man die 14Cm . - Marinekanone (j. unten) auch in den Belagerungstrain und die Festungen einstellen zu wollen. " Neuer dings dagegen soll man sich mehr dafür entschieden haben, die noch vorhandenen brauchbaren glatten 16 Pfünder in gezogene Hinterlader von 13,8 Cm. Seelen durchmesser umzuwandeln. Für die nächste Zukunft würde sich also die Fran zösische Artillerie im Belagerungskriege noch mit einer annähernd ähnlichen Rolle begnügen müſſen, wie sie ihr 1870–1871 beſchieden war. Die Küsten- und Marineartillerie hatte bereits im Jahre 1864 die dem Hinterlader feindlichen Vorurtheile, welche damals in Frankreich sonst noch das entschiedenste Uebergewicht besaßen, so weit überwunden, daß ein in sich so ziemlich abgeschlossenes System von gezogenen gußeisernen Hinterladern zur Einführung gelangen konnte. Die im hinteren Theil durch 1-2 Lagen stählerner, warm aufgezogener Ringe verstärkten Röhre erhielten den Reffye'schen Schraubenverschluß (wie das canon de 7 und de 5). Die Geschosse waren indeß merkwürdiger Weise nicht zur Blei- oder Kupfer führung eingerichtet , sondern mit Warzen versehen , alſo für Spielraumführung bestimmt (analog den ursprünglichen Französischen Vorderladern). Die wesent lichsten Vortheile der Hinterladung : die ausgezeichnete Trefffähigkeit und die beſſere Pulververwerthung, als natürliche Folgen der Geſchoßführung ohne Spiel raum , hatte man somit den herrschenden Vorurtheilen muthwillig und ohne Nutzen geopfert. Es wurden 1864 zunächſt folgende Caliber eingeführt :

Benennung des Rohres . Cm. " " "

16,47 19,4 24,0 27,44

Rohrgewicht. R. 5000 8050 14250 22000

Ladung gewöhn gegen liche Panzer R. R.

100 *

16 19 24 27

Seelendurch messer. Cm.

5 8 16 24

7,5 12,5 20 (24) 36 (30)

Gewicht der Lang. Panzer granaten | geſchoffe R. R. 53 100 144

45 78,5 144 216

Die mannigfachen Mängel indeß, welche diese Geschütze im Laufe der Zeit an den Tag legten, führten nach dreijährigen Versuchen ( 1869-72) zu wesent lichen Aenderungen der ursprünglichen Modelle, deren Grundzüge sich wie folgt charakterisiren : = 1. Das 16 Cm. - Caliber ist ausgeschieden, dafür aber das 14- und 326m. Caliber hinzugetreten; doch ist die Construction des letzteren Geschützes noch nicht völlig zum Abschluß gelangt. 2. Alle Caliber von 19 Cm. einschließlich aufwärts erhalten außer den stählernen Verstärkungsringen noch eine stählerne Kernröhre , welche den hinteren Theil der Seele umgiebt. 3. Anstatt der Spielraumführung mittelst Warzen hat man eine gasdichte Führung mittelst zweier Kupferringe angenommen. Die eigentliche Ge

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Militairische Jahresberichte für 1874.

schoßführung übernimmt indeß nur der hintere Ring, welcher um 0,2 Mm. größer ist , als die Seele über die Sohlen der Züge gemessen , während der vordere Ring, der gleich dem Seelendurchmeſſer zwiſchen den Feldern ist , lediglich zum Centriren des Geſchoffes im Rohr dient. 4. Die Anzahl der Züge ist bedeutend vergrößert , der Progressiv drall zwar beibehalten , aber der Enddrall an der Mündung bei den 24: und 27 Cm . -Kanonen von 6 auf 3 Grad herabgesezt worden. 5. Die Ladungen sind verstärkt worden; es wird dazu grobkörniges Pulver von 1,753 specifischem Gewicht aus der Wetteren'schen Fabrik verwendet. 1 Kilo enthält gegen 370 Körner von 13-16 Mm. Durchmeſſer. Die Doſirung ist: 75 Theile Salpeter, 12 Theile Schwefel und 13 Theile Kohle. Durch diese Maßregeln hat man einen entsprechenden Gewinn an An fangsgeschwindigkeit, lebendiger Kraft , Schußweite und Trefffähig keit, sowie eine längere Dauer der Röhre (vermöge der stählernen Kern röhren und der gasdichten Geschoßführung) erzielt. Die wesentlichsten Angaben über dies neue Geschützſyſtem der Franzöſiſchen Marineartillerie sind nachstehend zusammengestellt :

14 Cm.

Cm. Seelendurchmesser. K. Rohrgewicht. Gewicht des stählernen Vollge schosses K. R. Gewicht der Langgranate. Ladung für das Vollgeschoß. K Ladungsverhältniß. Anfangsgeschwindigkeit des Voll M. geschosses. Anzahl der Züge. Enddrall der Züge.

Caliber. 19 Cm. 24 Em. | 27 Cm.

32 Cm.

13,86 2655

19,4 7896

24,0 14418

27,44 20940

32.0 35000

30 18,65

75 52 15 1:5

144 100 28 1 : 5,2

216 150 40 1 : 5,5

345

453 20 60

435 24 30

420 28 30

460 14 60

62 1 : 5,5 400 32

Außer diesen Geschützen eristirt in der Marine- Artillerie noch die guß eiserne 22 Cm . -Haubize ( Vorderlader ) , welche aus der früheren glatten 22 Cm. -Bombenkanone durch Ziehen der Seele und Bereifen des Bodenstücks mit schmiedeeisernen Ringen hervorgegangen ist. Sie hat 22,33 Em. Caliber, 3 Züge mit Progressivdrall (6 Grad Enddrall an der Mündung) . Geschoß Größte Schußweite: 5200 M. gewicht: 84 K. Ladung: 1 bis 6 K. Neuerdings hat sich auch die Französische Artillerie der Construction ge zogener Mörser mit Eifer zugewendet; doch fehlen darüber noch nähere Angaben. 4.

Italien.

Die Italienische Artillerie folgte bei Einführung der gezogenen Geschüte von vornherein dem Beiſpiel Frankreichs und nahm für die Feldartillerie bron cene Vorderlader an (1863) , und zwar 8- und 16 - Pfdr. von 9,58 , bea 12,12 Cm. Seelendurchmesser und 390 bez. 730 K. Rohrgewicht. Nach einigen Jahren fand man indeß , daß diese Geschüße zu schwer und schwerfällig seien und daß man danach streben müsse, durch Verringerung der absoluten Gewichte die Beweglichkeit der Feldartillerie erheblich zu steigern, ohne ihrer Wirkung wesentlichen Abbruch zu thun. Dieser sehr an

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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sprechenden, aber schwer zu verwirklichenden Idee glaubten Oberst Mattei und Major Rossi nachzukommen , indem sie ein Feldgeschütz (ebenfalls broncener Vorderlader) von 6,5 Em. Seelendurchmeſſer, 2,2 K. Geschoßgewicht und 0,7 K. Ladung vorschlugen , welches 300 K. wog und 492 M. Anfangsgeschwindigkeit ergab. Die Beweglichkeit dieses Geschützes war allerdings sehr groß , seine Wirkung aber durchaus nicht so befriedigend, daß man sich zur Einführung des selben hätte entschließen können. Vielmehr thaten die Erfahrungen des gerade in diese Zeit fallenden Deutsch - Französischen Krieges das Ihrige , um auch in der Italieniſchen Artillerie den Gedanken Wurzel faſſen zu laſſen, daß die Zu kunft ausschließlich dem Hinterlader angehöre. Die Folge davon war die Einführung eines broncenen Hinterladers von 7,5 .Cm. Caliber , über den wir hier einige der wesentlichsten Daten folgen laſſen : *) 306 K. Rohrgewicht mit Verschluß 370 " Gewicht der Laffete 320 " der leeren Proze " 560 " " der ausgerüsteten Proze 1270 ?? " des vollständigen ausgerüsteten Geſchüßes 12. Anzahl der Züge . 482/3. Dralllänge in Calibern 3,72 R. Gewicht der geladenen Granate 0,22 19 der Sprengladung . " 4,1 "! des Schrapnels " (100 Bleifugeln zu je 16 Gr. ) Gewicht der Kartätsche . 4,11 "! (61 3inkkugeln zu je 45 r.) Ladung 0,55 K. 1 : 6,76. Ladungsverhältniß 400 M. Anfangsgeschwindigkeit 500 M. : 0° 50 1000 !! : 2 ° 20 ' 1500 "! 3 °0 50 Erhöhungswinkel für 2000 !! : 5 ° 45 ' 3000 "! : 10 ° 25 ' Das Rohr wird durch Schalenguß (in eisernen Formen) hergestellt ; es hat den einfachen Rundkeilverschluß mit Broadwellring im Keil, ſtatt sonst im Rohr. Laffete und Proze sind fast durchweg in Eisen construirt ; viele Einrichtungen hat man offenbar den Preußischen Feldlaffeten_c/64 nach geahmt, z . B. die Richtmaschine, das Rad mit metallener Nabe u. a. m. Eine besondere Eigenthümlichkeit bietet noch der ebenfalls dem Preußischen sehr ähn liche Schrapnelzünder dar, deſſen Sahring in eine gepreßte Bleiröhre einge schlossen ist. Alles in Allem ist die Italienische 7,5 Cm. - Kanone nicht mehr und nicht weniger, als ein in manchen Beziehungen verbesserter (stärkeres Ladungsver hältniß ; größere Anfangsgeschwindigkeit) , in anderen aber geradezu verſchlech terter (Geschoßwirkung ; Querschnittsbelastung ; rasche Geschwindigkeitsabnahme) Nachdruck des Preußischen 8 Em. c/67. Als ziemlich rationell construirter Hinterlader bezeichnet sie schon an und für sich gegenüber den früheren *) _Vgl. „ Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens “, Jahr gang 1874, Seite 241, und Revue d'artillerie, Band 4, Seite 1.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Vorderladern der Italienischen Feld - Artillerie einen erheblichen Fortschritt, ver mag sich aber den neuesten Errungenschaften keinenfalls ebenbürtig an die Seite zu stellen. Dieser Erkenntniß scheint man sich auch in Italien selbst durchaus nicht verschlossen zu haben, denn man soll, auf Grund von Versuchen mit einer stählernen 9,15 Cm . - Ringkanone, nunmehr entschlossen sein, die Batterien de Reserveartillerie mit einem Rohr dieses Systems , aber von 8,8 bis 8,9 Cm. Caliber, zu bewaffnen und davon zunächst gegen 400 Stück zu beschaffen. Der Italienische Belagerungs - Train zählt (laut Ministerial- Erlaß vom 17. Januar 1874 *) 200 Geſchüße, und zwar: = 30 pCt . 60 gußeiserne 16 Em . - Kanonen gezogene Vorderlader = 50 " 100 broncene 12 " !! 30 !! 22 Haubitzen = 15 " { 10 glatte broncene 15 Em.-Mörjer = 5 "! 200 Geschüße. Anm. Die 12 Cm . - Kanonen sind identisch mit den früheren 16 - Pfern. der Feld - Artillerie. Die vorgenannten 16 Em.-Kanonen und 22 Cm. -Haubitzen kommen auch in der Festungs- Artillerie vor , welche überdies noch eine gußeiserne 12 Cm. -Kanone enthält. Zur Küsten- und Marine - Artillerie gehören : gußeiſerne beringte 16 Cm. - Kanonen, stählerne 22 Cm. -Kanonen und gußeiſerne beringte 22 Cm.- Haubißen, ebenfalls sämmtlich Vorderlader , zu denen indeß neuerdings noch ein (jeit 1869 im Versuch begriffener) 24- und ein 32 Cm. - Hinterlader**) hinzu getreten sind , beide nach dem System der Französischen Marine-Artillerie con struirt: gußeiserner Rohrkörper mit stählernen Verstärkungsringen , stählerner Kernröhre und Schraubenverschluß. Der (gegenwärtig erst in einem Individuum existirende) 32 Cm. ist 6,8 M. lang, wiegt 38000 K. und verfeuert ein 350 K. schweres Geschoß . Er soll für die Küstenbefestigungen von La Spezia beſtimmt sein, befindet sich aber vorläufig noch im Versuchsstadium . 5.

efterreidi.

Der Entwickelungsgang des Desterreichischen Geschützsystems seit Einfüb rung der gezogenen Kanonen ist unstreitig der reichhaltigste an Versuchen der heterogensten Art , an radicalen Systemwechseln, an bedeutenden Erfolgen und an - - schwerwiegenden Mißerfolgen. Für die Artillerie - Technik finden sich darin so viele höchst belehrende Einzelheiten , das wir es uns nicht verjagen können, die wichtigsten Phasen dieser Entwickelung etwas näher zu beleuchten. Unmittelbar nach dem unglücklichen Feldzug von 1859 , den man noch mit glatten Geschützen durchgekämpft hatte, wurde die sofortige Annahme des Fran zösischen Systems gezogener Vorderlader, obschon man deren große Mängel durchaus nicht verkannte, dennoch als eine moralische Nothwen digkeit *** ) betrachtet, welche obenein wesentliche Ersparniſſe an Zeit und Geld Revue d'artillerie, Bd. 4, Seite 184 und Bd . 2, Seite 266. ** Revue d'artillerie, Bd. 4, Seite 559 und „ Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens, Jahrgang 1874, Seite 28 der Notizen". ***) Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens , Jahrgang 1871, Seite 170.

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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in Aussicht stellte, da sie die einfache Umwandlung eines großen Theils der vor handenen glatten Röhre in gezogene gestattete. Kaum hatte indeß die Ausführung dieser Maßregel begonnen, als man sich, auf Grund umfaffender, günstiger Versuche , für die Einführung von Schieß baumwollgeschützen entschied. Sobald aber von letteren eine größere Anzahl fertig gestellt und den Truppen übergeben, liefen auch schon von allen Seiten so überaus ungünstige Berichte über ihr Verhalten ein , daß man sich wohl oder übel gezwungen sah, auch die Schießbaumwollgeschütze wieder aufzugeben und zu einem dritten System (im Laufe von vier Jahren !) überzugehen . Es war dies das, thatsächlich noch heut bestehende sogen. Bogenzugsystem , nach dem broncene 4 und 8pfündige Vorderlader (8,08 und 10,04 Cm . - Caliber) Sie erhielten (der 4Pfünder 6, der für die Feldartillerie construirt wurden. 8Pfünder 8 ) Bogenzüge von sägenförmigem Profil, in denen sich die Geschosse durch einen mit entsprechenden Leisten versehenen Zinnzinkmantel führten. Man kann diesem System keinenfalls die Anerkennung versagen, daß es die spärlichen Lichtseiten des Vorderladers in recht rationeller Weise bis zum höchstmöglichen Grade entwickelt hat und in Folge dessen namentlich eine relativ ganz befriedi gende Trefffähigkeit an den Tag legt. Auch erwarb es sich in den Feldzügen von 1864 und 1866 den ungetheilten Beifall der Desterreichischen Artilleric. Nichtsdestoweniger begannen doch im Laufe der Zeit Stimmen laut zu werden, welche im Hinblick auf die augenscheinlichen großen Vorzüge der Hinterlader einen abermaligen Systemwechsel, oder doch wenigstens eine erhebliche Vervoll kommnung des vorhandenen Vorderladers für unbedingt geboten erachteten. Um diesen immer dringender auftretenden Wünschen gerecht zu werden, wurde im Jahre 1870 eine Special- Commiſſion ernannt , welche auf Grund mehrerer Schießversuche mit verschiedenen Geschützen (unter denen aber die Hinterlader nur durch einen Preußischen 9 Cm. vertreten waren ) und nach eingehenden Ermittelungen sich schließlich für Beibehalt des bestehenden Geschüß Systems aussprach , zugleich aber auch Verbesserungen desselben (namentlich in Bezug auf die Geschoßwirkung) anzustreben empfahl. In Folge dessen gelangten in den Jahren 1871-72 verschiedene Ver suchsreihen zur Ausführung : *) 1. Mit 4 und 8Pfündern von größerer Rohrlänge und größerem Gewicht, aber sonst nach dem bisherigen System und mit der alten Munition ; die erlangten Rejultate entsprachen nicht den gehegten Erwartungen. 2. Mit 8Pfünder - Scharochen (die Erklärung für " Scharoche " ist unter 6. Rußland", als dem Vaterlande dieser eigentlichen Geschosse , gegeben) ; die Wirkung war nicht besser, als mit gewöhnlichen Granaten. 3. Mit 8Pfünder - Segment - Granaten (54 eiserne Segmente ent haltend) ; die Resultate waren recht gut. Der Versuch sollte fortgesetzt werden. 4. Mit 8Pfünder - Granaten , die an der inneren Wandfläche mit Ruthen versehen waren ; sie leisteten nicht mehr, als gewöhnliche. 5. Mit 2 broncenen 14Pfünder " -Vorderladern , der eine von 9,7 Em. Caliber und 611 K. Rohrgewicht, der andere von 10,16 Cm. Caliber und 604 K. Rohrgewicht , beide Röhre 208 Em. lang ; Granaten , mit ange löthetem Zinnzinkmantel, 6,683 bis 6,773 K. schwer; Ladungsverhältnißz = 1 : 6. Zu diesen beiden Versuchsröhren traten später noch 5 andere der *) Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens, Jahrgang 1872, Seite 237-246, und Jahrgang 1873, Seite 114 u. f.

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ſelben Art hinzu , sämmtlich mit 6 oder 8 Bogenzügen von verschiedenem Drall; nur ein Rohr hatte 12 excentrische Züge mit Progreſſivdrall für Warzen führung. Die Versuche hatten noch kein bestimmtes und entscheidendes Resultat er geben, als sie durch den Versuch Nr. 7 gegenstandslos wurden. 6. Mit einem broncenen 14Pfünder- Hinterlader Preußischen Systems (7 K. Geschoßgewicht) ; Erweiterungen der Seele und Gas entweichungen (bei 1,12 K. Ladung) zwangen, den Versuch nach 114 Schuß abzubrechen. 7. Mit einem der Desterreichischen Regierung im Herbst 1872 von der Krupp'schen Gußſtahlfabrik angebotenen stählernen 8,7 Em . Ringrehr. Die Versuche begannen im März 1873 mit 4 Geſchützen und nahmen einen so günstigen Fortgang , daß im August 1874 mit einer Halbbatterie (weitere 4 Geschütze) die entscheidende Probe im Vergleich mit einer 8Pfünder -Halb batterie des bisherigen Systems ausgeführt werden konnte. Die staunens werthen Erfolge , welche der Krupp'sche Hinterlader hierbei errang , haben noch vor Kurzem die gesammte artilleristische Welt in lebhafte Bewegung verjet und sind in fast allen Fach- und politischen Zeitschriften so ausführlich besprochen worden , daß es überflüssig erscheint , an dieser Stelle nochmals darauf zurück zukommen. Wir begnügen uns deshalb , hier einige authentische Angaben über die Construction des Krupp'schen Geschützes folgen zu laſſen: 8,7 Cm. Seelendurchmesser (über die Felder) 487,5 K. Rohrgewicht mit Verschluß 36,5 K. Gewicht des Verſchluſſes 2,1 M. Länge des Rohrs . Dralllänge - 45 Caliber = 3,9 M. 3° 59' 37" Drallwinkel . K. 498 Gewicht der Laffete mit Ausrüstung K. 411 " ?? leeren Proze " "1 Protze mit Munition u. Ausrüstung 797,5 K. " des vollständig ausgerüsteten Geschützes 1783 K. 34. Schußzahl im Prokkasten 6,355 K. Gewicht der geladenen Granate 0,19 K. "I " Sprengladung Große Ladung 1,5 K.*) Kleine K. 0,4 473,4 M. Anfangsgeschwindigkeit Das Rohr hat den einfachen Rundkeilverschluß mit Broadwell Liderung und Centralzündung ; letztere geht schräg durch den Keil und das Bodenstück des Rohrs . Laffete und Proße bestehen, mit Ausnahme der Räder und der Deichsel, durchweg aus Eisen und Stahl. Jede Laffetenwand besteht aus einem ein zigen Stück gepreßten Stahlblechs. Die Räder sind 134,3 Em . hoch, für Laffete und Proze gleich und haben metallene Naben (welche letztere bereits in Deutschland, England, Frankreich [versuchsweise] und Italien eingeführt sind) . *) Anfangs 2 K. mit 537 M. Anfangsgeschwindigkeit ; wurde aber später auf 1,5 £ herabgesest , weil der Rückstoß zu heftig war , das Rohr zu sehr litt und viele Granaten im Rohr zerschellten.

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Die Granaten sind Doppelwandgranaten *), 2,5 Caliber lang, haben statt des Bleimantels 4 Führungsringe von Kupfer und sind mit einem Percussionszünder versehen. Das Pulver ist grobkörniges aus der Fabrik in Stein, hat 6-10 Mm. Körnergröße und 1,605 specifisches Gewicht. Diese wenigen Angaben, im Verein mit den bekannt gewordenen Versuchs Ergebnissen , dürften genügen, um daraus die Ueberzeugung zu gewinnen , daß sich die Desterreichische Feldartillerie durch endgültige Einführung dieses Systems hinsichtlich der Bewaffnung den besten anderen Artillerien ebenbürtig zur Seite stellen und den meisten sogar weitaus überlegen sein würde , was ihr bisher, Dank ihrem überaus hartnäckigen Festhalten an dem längst überwundenen Standpunkt des Vorderladers **) und dem vornehmen Herabblicken auf den „ zu complicirten und deshalb nicht kriegsbrauchbaren" Hinterlader , noch nicht ver gönnt gewesen ist. Aber eben die allgemeine Einführung des Krupp'schen Hinterladers wird in Desterreich allem Anschein nach noch manche recht bedeutende Schwierig keiten zu überwinden haben, unter denen die in den Reihen der Desterreichischen Artillerie selbst durchaus noch nicht zum Schweigen gebrachte Opposition gegen das Hinterladungs- System immerhin eine der geringsten sein dürfte. Am schnellsten und einfachsten würde man offenbar zum Ziel gelangen, wenn man den gesammten Bedarf an neuen Feldgeschüßen der Krupp'schen Fa brik in Bestellung gäbe und sich so die Möglichkeit sicherte, vielleicht ſchon im Jahre 1876 die Umbewaffnung vollständig durchführen zu können. Dem scheinen aber nicht nur financielle Rücksichten und besonders die Ab neigung der Reichsvertretung, die erforderliche bedeutende Summe auf einem Brett zu bewilligen, entgegenzustehen , sondern namentlich auch die unerläßliche Rücksicht auf die Bedürfnisse und Wünsche der einheimischen Stahlindustrie, welche bereits alle Minen hat ſpringen laſſen, um sich eine so beträchtliche Liefe rung zumal bei der gegenwärtig überall herrschenden Geschäftsstille womöglich nicht entgehen zu lassen. Vor allen sind es die Innerberger und die Neuberg Mariazeller Gewerkschaften in Steiermark, welche große Anstrengungen gemacht haben, um ihren Beruf zu erfolgreicher Concurrenz mit der Krupp'schen Guß stahlfabrik darzuthun. Ob aber ihr Können dem Wollen entspricht, dürfte vor erst noch zweifelhaft sein; wenigstens haben die bisher von Oesterreichischen Firmen gelieferten Proberöhre den Anforderungen nicht entsprochen. Indeß sind die Brücken noch nicht endgültig abgebrochen, denn erst neuerdings sind (nach der Oesterreichischen Militair-Zeitung, Nr. 3 von 1875, Seite 20) ſeitens der Regierung wieder 3 Stahlröhre bei der Neuberg-Mariazeller Gewerkschaft bestellt worden, welche binnen 2 Monaten fertig sein sollen. Jedenfalls wird es sich binnen Kurzem entscheiden müſſen, ob die Desterreichische Stahlindustrie, ge ſtützt auf den allerdings ganz vorzüglichen Rohstoff, wie er namentlich in den Steierischen Hütten gewonnen wird, schon jetzt im Stande ist, brauchbare Stahl= ringröhre kleinen Calibers für starke Ladungen herzustellen, oder ob sie zu dieſem Behuf erst noch eine längere Lehrzeit durchzumachen haben wird. In neuester Zeit ist aber dem Krupp'schen Gußſtahl in Oesterreich auch noch ein weiterer Nebenbuhler entstanden , welcher ihm als Rohrmetall für die *) Eine Abbildung der 8,7 Cm .- Doppelwandgranate befindet sich_in_Streffleur's Desterreichischer Militairischer Zeitſchrift, Jahrgang 1874, Band 4, Heft 10, Seite 86. **) Vgl. z. B. „ Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens“, Jahrgang 1872, Seite 426-429.

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neuen Feldgeschütze ebenfalls den Rang abzulaufen strebt ; wir meinen die vom General von Uchatius vorgeschlagene sogen. „ Stahlbronce " , welche kürzlich, mit einem starken Beigeschmack von Reclame, in " Broncestahl " umgetauft worden ist , was auf ihre Beschaffenheit indeß ohne Einfluß bleiben dürfte. Die Darstellung der " Stahlbronce" geht im Wesentlichen wie folgt vor sich: Achtprocentige Bronce (d. h. eine Legirung aus 92 pCt. Kupfer und und 8 pCt. Zinn) wird in eine gußeiserne Röhrform ( Schale , Coquille) über einen centrisch gelagerten Kern von geschmiedetem Kupfer gegossen, demnächst die Seele mit einem etwas geringeren Durchmesser , als das Caliber des fertigen Rohrs beträgt , ausgebohrt und schließlich mittelst hydraulischen Drucks eine Anzahl conischer Stahlkolben nach einander hindurch getrieben, um die Bohrung bis auf das normale Caliber zu erweitern , sowie gleichzeitig die Seelenwandungen zu verdichten und in eine von außen nach innen wirkende Spannung zu verſetzen. (Bei der Anfertigung von 8,7 Cm. -Röhren bohrt man die Seele auf 80 Mm . Durchmesser aus und treibt dann nach einander 6 Stahl kolben hindurch, von denen der erste 82 und der letzte 87 Mm . Durchmeſſer bat). Durch dies Verfahren soll Folgendes erreicht werden : 1 ) Ein möglichst homogener Guß (Vermeidung der in Bronceröhren sonst stets vorkommenden Zinnausscheidungen) ; 2. Größere Härte und Festigkeit des Rohrmetalls ; 3. Größere Widerstandsfähigkeit desselben gegen Ausbrennungen durch die Stichflamme des Pulvers ; 4. Eine den Reſultaten der „ künstlichen Metallconstruction " analoge, von außen nach innen wirkende Spannung in den einzelnen Schichten der Rohrwände , und demgemäß eine erhöhte Widerstandsfähigkeit des Rohrs gegen den von innen nach außen wirkenden Druck der Pulvergase. Wir wollen vorderhand durchaus nicht bezweifeln, daß die Stahlbronce die von ihr erhofften Vorzüge, theils in höherem, theils in geringerem Maße, auch wirklich besitzt und somit einen wesentlichen Fortschritt in der Fabrication der Bronceröhre bezeichnet. Namentlich der , bereits früher in Frankreich (Röhre der Firma Laveissière auf der Wiener Weltausstellung) , Italien, Rußland, der Schweiz u. a. angewendete Schalenguß wird gewiß einen sehr günstigen Ein fluß auf die homogene Beschaffenheit des Gußstücks ausüben . Aber gegenüber den maßlosen Lobpreiſungen , welche ein großer Theil der Desterreichischen Fachzeitschriften dem aufgehenden Gestirn der „ Stahlbronce" im überschwenglichsten Maße zu widmen beliebt , erscheint es zur Wahrung des nüchternen sachlichen Standpunktes in dieser specifisch techniſchen Frage sebr angezeigt, wenigstens Folgendes nachdrücklich zu betonen : 1. Niemals wird es (wie behauptet worden ist) gelingen, die Bronce durch das obige oder ein anderes Verfahren in Bezug auf Festigkeit , Härte und Widerstandsfähigkeit gegen den Druck der Pulvergase und geger Ausbrennungen gutem Geschützstahl ebenbürtig zur Seite zu stellen. 2. So vortheilhaft auch die mechanische Verdichtung der Seelenwandungen für die Erweiterung der Elasticitätsgrenzen und für die Vergrößerung der Festigkeit des Metalls sein mag, so kann sich doch die dadurch dem Rehr gege bene partielle Spannung in Bezug auf ihr Verhalten gegen den inneren Gas druck unter keinen Umständen mit der ganz andersartigen Spannung in aller Schichten eines nach den Gesetzen der künstlichen Metallconstruction " herge stellten Rohrs meſſen. 3. Wir hegen dringende Zweifel, daß man , ohne das jetzige Ladungsre hältniß des Krupp'schen Stahlringrohrs zu opfern, dahin gelangen wird, brand

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bare, bez . nicht ganz unverhältnißmäßig schwere 8,7 Em. - Feldgeschüße aus „ Stahlbronce" zu erhalten. Ueber die Ergebnisse der bisher in Desterreich mit Stahlbronceröhren aus geführten Schießversuche liegen noch keine zuverlässigen Nachrichten vor ; nach den einen ist die Seele des Versuchsrohrs bei 100 Schüssen völlig unverlegt geblieben, nach den anderen haben sich bereits bei 50 Schüssen erhebliche Aus brennungen gezeigt. Die Desterreichische Militair-Zeitschrift (Nr. 1 von 1875, Seite 6) giebt an, die Versuche seien so befriedigend ausgefallen, daß man nun mehr eine volle Feldbatterie mit Stahlbronceröhren auszurüften beabsichtige, um die Versuche im Großen fortzusetzen. Auf alle Fälle wird man im Interesse der Desterreichischen Artillerie mur wünschen können , daß sie sich die seiner Zeit mit den Schießbaumwollgeschüßen gemachten üblen Erfahrungen zur Warnung dienen lassen und nicht abermals, auf Grund oberflächlicher Versuche ein sich später als unbrauchbar erweiſendes Geschütz zur Einführung bringen möge. -

Bei der Oesterreichischen Belagerungs- und Festungs - Artillerie vermißt man in technischer Beziehung mehrfach einen , den neueren Errungen schaften der meiſten anderen Artillerien entsprechenden Fortschritt. Von gezogenen Hinterladungs - Kanonen sind 3 Caliber vertreten : gußeiserne 6 , 12- und 24 Pfünder; dieselben gehören aber sämmtlich der, vor einer Reihe von Jahren aus der Preußischen Artillerie übernommenen Conſtruc tion vom Jahre 1861 (mit Kolbenverschluß) an, welche in Preußen längst durch neuere Constructionen überholt ist. Auch eine gußeiserne kurze 15 Cm . Kanone (ebenfalls nach dem veralteten Preußischen Modell c/69 construirt) ist zwar eingeführt , existirt aber vorläufig nur in einem einzigen Indi viduum ! *) Von eigenen Neuconstructionen der Desterreichischen Artillerie sind nur die 6,5- und 83ölligen gußeisernen Hinterladungsmörser zu erwähnen. Desto reichhaltiger und bunter ist aber die Musterkarte der noch im Gebrauch befindlichen älteren Festungsgeschütze ; dieselbe umfaßt (einschließlich der gleichfalls für den Festungskrieg bestimmten Feldgeschütze c/63) : 52 verschiedene Gattungen Röhre, 136 desgl. Laffeten, 140 desgl. Kartuschen bez. Ladungen und 121 desgl. Geschosse. Zu den Röhren zählen , außer den oben erwähnten 6 Hinterladern , 7 gezogene Vorderlader (4Pfünder, 8Pfünder und Gebirgs - 3Pfünder c/63, 4- und 8Pfünder für Schießbaumwolle und 6- und 12 Pfünder (Franzöfifchen Systems) und 38 glatte Geschüße ; zu letzteren gehören nicht weniger als 6 verschiedene 7Pfünder Haubißen, darunter eine besondere „ 7 Pfünder eiserne Linzer Thurm- Haubiße " . Für die Küstenplätze ist eine 93öllige eiserne ( beringte ) Hinter ladungs -Kanone bestimmt. Für den Bedarf der Marine hat man Krupp'sche Hinterlader ( 21 und 24 Cm . - Ringröhre ) , Woolwich= *) Vgl. auch für das Folgende die bekannte Flugschrift; „Betrachtungen über die Organisation der Oesterreichischen Artillerie." Wien, 1875, welche in materieller Hinſicht wohl hinlänglich competent sein dürfte. 37 Militairische Jahresberichte 1874.

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Vorderlader ( 7- und 9zöllige) und broncene Maſſivröhre (Szöllige) ver sucht und zum Theil auch eingeführt. Die Erfahrungen mit den Woolwich- und den Bronceröhren sind indeß nicht sehr ermuthigender Natur gewesen.

Für die Belagerungs - Artillerie *) hat die betreffende Commission die Aufstellung von 2 Belagerungs- Trains zu je 400 Geschüßen vorgeschlagen, welche, wie folgt, zuſammengesetzt werden sollen : 24 stählerne 15 Cm.-Ringkanonen,**) 15 " Kanonen c/61 , 80 gußeiserne 100 15 kurze "1 "! "I 12 "! 40 c/61 , " " 40 Feldgeschütze schweren Calibers,

. (8zöllige) Mörfer (erleichterte) 21 20 17 Cm 20 gezogene gußeiſerne "1 "I "1 30 " Mörser, 40 glatte 15 " 40 "! "I

} Hinterlader.

404 Geschütze zuſammen.

Aus allem vorstehend über die Desterreichische Artillerie Gesagten dürfte so viel unzweideutig hervorgehen, daß dieselbe in technischer Beziehung noch manche schwierige Aufgabe zu lösen haben wird, bevor sie sich auf eine Stufe mit den am weitesten fortgeschrittenen anderen Artillerien stellen kann. Hinsichtlich des Feldgeschüßes befindet sie sich (abgesehen von dem Zwischenfall mit der „ Stahlbronce" ohne Zweifel auf dem richtigsten und beſten Wege. Bedürfte es hierfür , außer den oben angeführten Daten, noch eines indirecten Beweises , so würde dieser am vollgültigsten geführt durch die große Unruhe, welche sich der Englischen Artillerie, also der conservativsten Verehrerin des Vorderladers , in Folge der Oesterreichischen Versuchsergebniſſe von 1874 bemächtigt hat. ,,Army and Navy Gazette" sagt geradezu , die Englischen Feldgeschüße vermöchten in Bezug auf Granatwirkung und Bahnrajante keinen Vergleich mit den neuen Krupp'schen Hinterladern auszuhalten. Ohne Be fürchtungen erregen zu wollen und mit vollem Glauben an die Seelenruhe von Woolwich und das Selbstvertrauen des Kriegsministeriums ( „ zumal keine Gefahr feindseliger Begegnung zwischen den beiderseitigen Geschützſyſtemen droht " ), könne man doch nicht umhin, zu gestehen, daß es für die Englische Eigenliebe ein wenig betrübend sei , sehen zu müssen , wie dies Land der Eisen- und Stahl arbeiter , der praktischen Mechaniker und wiſſenſchaftlichen Techniker , mit einem hochgebildeten Corps von Specialisten zu ihrer Unterstützung , dennoch in dem Wettlauf zur Erlangung der Ueberlegenheit seiner Feldgeschütze geſchlagen worden sei. Gewiß ein sehr bemerkenswerthes Urtheil im Munde einer der Englischen Fachzeitschriften, welche sonst „ Englisches Geschütz" und ,,best piece in the world" stets als gleichbedeutend zu betrachten pflegten. *) Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens , Jahrgang 1874, Seite 6. **) Dies Geschüß , zu dem man vermuthlich das von der Krupp'schen Gußftahlfabrik 1873 in Wien ausgestellte Modell gewählt haben wird, ist noch im Verſuch begriffen.

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6.

Rugland.

Die Russische Artillerie entschied sich anfangs (nach 1859) für das Fran zösische Vorderladungs -System, ging indeß 1866, nachdem sie erst den 4. Theil der Feldartillerie mit gezogenen Geschützen bewaffnet hatte, ganz und gar zum Preußischen Hinterlader über. Ihre gegenwärtige Bewaffnung bilden 4 (richtiger 5- ) und 9Pfünder - Hinterlader, von Stahl und von Bronce, mit Doppel-, Flach- und Rundkeilverschlüssen mit Broadwellring. Die wesent= lichsten Daten lassen wir hier folgen:

Cm. Seelendurchmesser Rohrgewicht mit Verschluß, je nach der Construction K. K. Gewicht der Laffete . R. Gewicht der leeren Proze · R. Gewicht der ausgerüsteten Proße mit Munition R. Gewicht des vollständig ausgerüsteten Geſchüßes Gewicht der geladenen Granate R. Gewicht der Sprengladung • R. Gewicht der Geschüßladung M. Anfangsgeschwindigkeit

4Bfünder.

9Pfünder.

8,67 309-348 437 405 516 1353 5,53 0,203 0,625 306

10,67 626-628 482 405

11,05 0,410 1,240 320

Das bedeutende Granatgewicht im Verein mit der starken Sprengladung begünstigt eine ausgiebige Geschoß wirkung , welche bei diesem Geschüßſyſtem vorzugsweise betont erscheint ; die sehr geringe Anfangsgeschwindigkeit wird durch die große Querschnittsbelastung der Geschoffe, besonders auf den weiteren Entfernungen, einigermaßen wieder ausgeglichen; die Trefffähig keit ist geringer, als bei den Preußischen Feldgeschüßen c/61 und c/64. Eine der Russischen Artillerie eigenthümliche Geschoßconstruction iſt die sogen. Scharoche (bereits oben bei den Oesterreichischen Versuchen erwähnt) . Sie unterscheidet sich von der gewöhnlichen Granate mit dickem Bleimantel_nur dadurch, daß ihre Spiße eine massive (nur für den Zünder axial durchbohrte) Rundkugel bildet, welche aber mit dem Granateiſenkern in einem Stück gegossen ist. Diese Kugel soll nach dem Zerspringen des Geschosses noch eine beträcht liche Strecke weiter ricoschettiren und so dem (von Arkolay so oft und grimmig betonten) Mangel des Rollschuffes bei den gezogenen Geschüßen einigermaßen abhelfen. Diese Construction erscheint indeß mehr als eine Art Spielerei, von der sich, wie dies auch die Desterreichischen Versuche dargethan haben, wirkliche Vortheile durchaus nicht erwarten laſſen. Außer der gewöhnlichen, nur die Sprengladung enthaltenden Scharoche giebt es noch sogen. Kartätsch - Scharochen, deren Kammer mit Bleikugeln (4Pfünder: 34, 9Pfünder: 68) und losem Pulver gefüllt ist. Die Munitions ausrüstung einer Russischen Feldbatterie (in den Prozen und Karren) beträgt per Geschütz:

Geschoffe. Granaten . Brandgranaten Kartätsch-Scharochen Schrapnels Kartätschen Zusammen

4Pfünder.

9Pfünder.

50 10 40 20 10 130

50 12 33 15 10 120 37*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Die Schrapnels haben Zeitzünder, alle übrigen Sprenggeschosse Percussions zünder. Für die Laffetirung hat man auch in Rußland Schmiedeeiſen und Schwarzblech gewählt. Bei der im Jahre 1865 construirten eisernen 4Pfünder Laffete ist der Obertheil um ein vorn angebrachtes Pivot drehbar , damit die feine Seitenrichtung mittelst einer besonderen Seitenrichtmaschine genommen werden kann. Die bisher üblichen 2rädrigen , 3spännigen Munitionskarren (pro 4 Pfünder-Batterie 16 , 9 Pfünder-Batterie 24) haben den, jedem Karren eigen thümlichen Fehler einer unverhältnißmäßig geringen Beweglichkeit bei den Friedensübungen in solchem Maße an den Tag gelegt , daß man neuerdings in Versuche mit 4rädrigen Munitionswagen eingetreten ist. Ein vollständig aus gerüsteter Karren mit aufgesessenen Mannschaften (2-3 Mann) und mit Ter nistern wiegt 1535 K., was also pro Pferd 512 K. ausmacht. *) Auch bei der Russischen Artillerie hat das Streben nach einer gesteigerten Wirkung des Feldgeschützes schon vor mehreren Jahren Ausdruck gefunden. Es wurde zu diesem Behuf ein stählerner Ring - 4-Pfünder von 8,67 Cm. Caliber, 573 K. Rohrgewicht und 5,938 K. ( nach anderen Angaben 7) Geschoßgewicht (Querschnittsbelastung pro Quadratcentimenter gleich 100,6 Gr. ) in Versuch ge nommen. Er ergab mit 2,252 ( 1,9) K. Ladung 510 (533) M. Anfangs geschwindigkeit.**) Diese Versuche sind später noch mit mehreren Modificationen fortgesezt worden (siehe Zeitschrift für die Schweizerische Artillerie" , Jahrgang 1872 , Seite 204) , aber von einem entscheidenden Resultat oder gar von der Einführung eines Ringgeschüßes in die Ruſſiſche Feldartillerie hat bisher noch Nichts verlautet. Die Russische Belagerungs- Artillerie ist mit 2 Belagerungs Trains zu je 400 Geschützen ausgerüstet ; jeder derselben enthält : ***) = 5 Proc. 20 stählerne 15 Cm.-Ringkanonen = 10 " 40 broncene 15 Cm. -Kanonen = 35 140 stählerne kurze 15 Cm.-Kanonen 80 stählerne oder broncene 11 Cm. - Kanonen (d. h. 9 = 20 " Pfünder, wie in der Feldartillerie) 20 broncene gezogene 20 Cm. ( 8zöllige)-Mörser) Hinter = 5 20 = 5 #1 lader " "? 15 " (6zöllige) == 10 #T · • 40 glatte 2 pudige Mörser (2 Pud = 32,76 K.) 40 1/2 " " " (1/2 11 = 8,19 K.) · • = 10

zus. 400 Geschütze . Außerdem besteht noch ein für die Armee des Kaukasus bestimmter kleinerer Belagerungstrain von 100 leichten Geschützen ( gezogene 4- und 9 -Pfünder und glatte 1/2 pudige Mörser) . Die stählernen 15 Cm. - Ringkanonen wiegen 3276 K. und haben einen gezogenen Theil von 19 Caliber Länge ; die broncenen 15 Cm. wiegen 2228 und die kurzen 15 Cm. - Stahlkanonen 1638 K.; letztere sind im gezogenen Theil 14,5 Caliber lang und verfeuern 29,5 K. schwere Granaten mit 2 K. Marimalladung . *) Neue Militairische Blätter, Decemberheft von 1874. **) Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens, Jahrgang 1872. ***) Mittheiluugen über Gegenstände des Artillerie und Geniewesens , Jahrgang 1872 und 1874, Seite 631, und Revue d'artillerie, Band 1, Seite 58.

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Die 6- und 8zölligen Mörser haben den Flachkeilverschluß mit Broadwellliderung . *)

6zölliger 8zölliger Mörser 15,3 20,3 Seelendurchmesser. Em. Länge der Seele Cm. 101,6 137,9 75 53,4 Länge des gezogenen Theils. Cm. 24 30 Anzahl der (Parallel-) Züge 40 40 Drallänge. Caliber 1570 3930 Rohrgewicht. K. 7,8 3,272 Größte Ladung. K. 36,8 Gewicht der gewöhnlichen Granate. K. 79,85 Gewicht der verlängerten (dünnwandigen) 34,8 Granate. K.. 2,75 1,35 Spreng der gewöhnlichen Granate. K. 2,42 5,5 ladung der verlängerten Granate. K. Beide Arten Granaten haben den dünnen Bleimantel. Die Laffeten von Eisenblech haben Rollräder mit Excenterhebeln ( zum Ein- und Ausschalten der Räder) ; ihre Zahnbogen-Richtmaschinen gestatten Erhöhungen bis 75º ; sie können mit und ohne Rahmen gebraucht werden. 9- und 113öllige Hinterladungs - Mörser scheinen noch im Versuch begriffen zu sein; man wird für diese Caliber vermuthlich stählerne Röhre und den Verschluß der Französischen Marinekanonen wählen.

Die stählernen Ringkanonen der Russischen Belagerungs- , Festungs-, Küsten- und Marine - Artillerie sind noch großentheils in der Kruppschen Guß Bstahlfabrik construirt und angefertigt worden; sie schließen sich daher in den Haupt sachen ihrer Conſtruction unmittelbar an die analogen Geschützarten Deutſchen Systems an. In neuerer Zeit ist es aber der Russischen Artillerie gelungen, sich von der ausländischen Stahlindustrie völlig unabhängig zu machen, indem man, vorzugsweise auf Betreiben des Marine-Ministeriums , das im Jahre 1864 an gelegte Obuchowsche Gußstahlwerk bei Petersburg allmählich so weit vervoll kommnet und erweitert hat, daß es sich nunmehr in der Lage befindet , die schwersten Stahlringröhre, deren Rußland bedarf, selbstständig anzufertigen. Auf der Wiener Weltausstellung von 1873 war es unter anderen durch eine 30,5 Cm. Ringkanone vertreten. Der Obuchowsche Tiegelgußſtahl wird aus einheimischem (Russischem) Roheisen (von Olonek) mittelst Gasöfen dargestellt. Ein zweites, aber nicht so bedeutendes und auch in Betreff der Eisenbahnverbindungen weniger günstig gelegenes Stahlwerk befindet sich zu Perm (im westlichen Üral) . Die Bronceröhre werden meist in Olonet (öftlich vom Ladogaſee, nahe bei Peters burg) gegossen. Auch der Russische Bronceguß hat neuerdings manche Verbeſſe= rungen erfahren, unter denen namentlich das Zusammenpressen und Verdich ten der in die Form entleerten , aber noch flüssigen Bronce Erwähnung verdient.

7.

Die Vereinigten Staaten von Nord-America.

Es ist unstreitig eine auffallende Erscheinung, daß gerade in America, wo Eiſenindustrie und Maschinentechnik auf einer so ungemein hohen Stufe stehen, *) Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genieweſens , Jahrgang 1873, Seite 93 der Notizen.

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dennoch die diesen beiden so nahe verwandte Artillerie-Technik in den letzten anderthalb Jahrzehnten , gegenüber den meisten Europäischen Artillerien , ganz unverhältnißmäßig geringe Fortschritte gemacht hat und thatsächlich, besonders in Bezug auf die schweren Geschütze , immer noch so ziemlich den Standpunkt der fünfziger Jahre einnimmt. Während des Bürgerkrieges ist zwar mit ge zogenen Vorderladern und theilweise auch mit der „künstlichen Metallconstruction " (u . a. System Parrot) zur Genüge experimentirt worden, aber die geringe Halt barkeit und die ungenügende Wirkung dieser mangelhaft construirten Vorderlader ließ immer wieder die allgemein beliebten alten glatten gußeisernen Rod man - Columbiaden als die relativ besten und brauchbarsten Geschütze erschei nen. Von diesen Röhren ( 1845 vom damaligen Lieutenant Rodman vorge schlagen), welche über einen hohlen Kern mit innerer Wasserkühlung gegossen werden, find 8 , 9 , 10 , 11 , 15- und 20-Pfünder (bez . 203, 228, 254, 279, 381 und 508 mm. Seelendurchmesser) vorhanden, welche seiner Zeit gewiß große und unbestrittene Verdienste besaßen, die sich aber heutigen Tages hinsichtlich ihrer Wirkung mit guten gezogenen Geschützen und hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit mit rationell zuſammengebauten Röhren künstlicher Metallconstruction " in keiner Weise mehr messen können. Nothgedrungen hat man daher neuerdings eine Art Anlauf genommen, um den guten Rath zu befolgen, welchen schon vor länger als 6 Jahren eine vom Congreß zur Begut achtung der bestehenden Geschützsysteme niedergesetzte Specialcommission gegeben hatte, indem sie sagte: „ Die Verwendung schwerer sphärischer Eisen massen aus glatten Röhren und mit geringen Geschwindigkeiten be kundet ein Verkennen des neueren Fortschritts der Artillerie - Wiſſen schaft und die Rückkehr zu den Waffen, welche vor zwei Jahrhunder ten im Gebrauch waren! " Es erscheint indeß sehr zweifelhaft, ob man auf dem zunächst eingeschlagenen Wege im Stande sein wird, das erstrebte Ziel auch wirklich zu erreichen. Man hat nämlich, wie der ,,Scientific American" berichtet, zuvörderst die Erfindung eines Herrn Wiard in Verſuch genommen, welche einfach darauf hinausläuft, die Rodman- Columbiaden mit zwei zu beiden Seiten der Seele angebrachten Zügen zu versehen, um so nach Belieben aus ein und demselben Rohr entweder die ge wöhnlichen Vollkugeln oder Langgeschosse verfeuern zu können. Bei einem auf Nut-Jsland , Boston - Harbour , stattgehabten Schießversuche wurde eine 38 Cm. (= 15 " Engl. ) starke schmiedeeiserne Platte aus einer nach Wiard's Vorschlag umgeänderten 15 "gen Columbiade ( Drall der Züge = 40 Caliber) mit einem Lang geschoß von 209 K. Gewicht und 63,5 K. Pulver auf kurze Entfernung beschossen und vollständig durchbohrt und zertrümmert, während die Vollkugel des nor malen 15 "ers in eine andere congruente Platte nur 16,5 Cm. tief eindrang und stecken blieb. Nach Americanischer Manier ist der ,,Scientific American " natürlich voll Jubel über dies Resultat und sieht die Deutschen Ringkanonen, sowie die Wool wich- Geschütze schon als vollständig geschlagen an. Wir erlauben uns indeß anderer Meinung zu sein und jenen Versuch so lange für ganz bedeutungslos zu halten, bis auch die Trefffähigkeit des Wiard - Syſtems hinlänglich erprobt und bis namentlich durch gründliche Dauer- Schießversuche festgestellt sein wird, welche Schußzahl mit Langgeschossen und großer Ladung die für viel geringere Anstrengungen construirten und obenein durch die beiden Züge noch geschwächten gußeisernen Columbiaden ohne Gefahr zu ertragen vermögen. Nach allen anderweit gemachten Erfahrungen ist die Vermuthung gewiß ge

Entwickelung der Artillerie in materieller Beziehung.

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rechtfertigt, daß es den Americanern schwerlich gelingen wird, die üblen Folgen des seitherigen Stillstandes ihrer Artillerie auf so einfache und wohlfeile Weise kurzer Hand zu beseitigen. Die Nordamericanische Feldartillerie ist (abgesehen von den 1- und 0,5zölligen Gatlinggeſchüßen) auch mit glatten , kurzen 12 -Pfündern und mit gezogenen gußeisernen Vorderladern , von 7,62 Em. = 3 Zoll Englisch Caliber , bewaffnet. Rohrgewicht = 370 K. , 9 Züge von 1,5 Mm. Tiefe und 40 Caliber Dralllänge. Granaten, 2,5 Caliber lang, behufs ihrer Führung in den Zügen mit einem Expansionsring am Boden versehen ; zwei Sorten: die eine , mit Expanſionsring von Rothguß , 4,36 K. schwer , mit 250 Gr. Sprengladung; die andere, mit Expansionsring von Blei , 4,15 K. schwer , mit 230 Gr. Sprengladung. Shrapnels mit 56 Bleikugeln und 50 Gr. Spreng ladung. Percussions- und Zeitzünder , Geſchüßladung = 0,567 K. (= 1,25 Pfd. Engl.) grobkörnigen Pulvers . Anfangsgeschwindigkeit: 390 bis 400 M. 8.

Die mittleren und kleinen Staaten.

Nach der vorstehenden gedrängten Uebersicht des artilleristisch-technischen Ent wicklungsganges, welchen im Großen und Ganzen die Artillerie der Großmächte während der leztverfloffenen Jahre durchzumachen gehabt , ist zum Schluß über die analogen Vorgänge in den kleineren Staaten mur noch sehr wenig Bemerkens werthes hinzuzufügen. Denn es liegt in der Natur der Sache, daß die Staaten zweiten und dritten Ranges meist wohl oder übel gezwungen sind, in Bezug auf den artilleristischen Fortschritt mehr noch, als in anderen Dingen, lediglich dem Beispiel der einen oder anderen Großmacht zu folgen , da in der Regel nur dieſen die zur gründlichen Durchführung größerer artilleristischer Versuche er forderlichen, sehr bedeutenden personellen und materiellen Mittel zu Gebote stehen. Als rühmliche Ausnahmen in dieser Hinsicht sind vor allen Belgien und die Schweiz zu nennen , welche, Dank den unausgesetzten Bemühungen ihrer ebenso hochgebildeten, wie strebsamen Offiziercorps , die Bewaffnung der Feld artillerie auf eine hervorragende Stufe der technischen Vervollkommnung gebracht haben. Beide nahmen seiner Zeit das Preußische Hinterladungssystem an (Belgien mehr an C/61 , die Schweiz mehr an C64/67 anlehnend) und schufen, auf dieſer Baſis fußend, Geschütze, welche noch vor wenigen Jahren un bestritten den ersten Rang einnahmen, neuerdings aber freilich durch die epoche machenden Fortschritte anderer Artillerien wieder überholt worden sind. Als schweres Küstengeschütz führt Belgien eine gußeiserne 22 Cm. Kanone (von 22,3 Cm. Caliber) mit Kolbenverschluß und Broadwellring. Das am Bodenstück mit 18 stählernen Verstärkungsringen in 2 Lagen umgebene Rohr ist 4,937 M. lang, wiegt 15,907 K. und hat 54 Züge von 22 Mm. Breite und Das fertige Geschütz kostet 1,3 mm. Tiefe. Der Verschluß wiegt 284 K. 12,800 M. Es verfeuert mit 23 K. Ladung Vollgeschoffe von 125 K. Gewicht. Der unabwendbare Sieg des Hinterladers über den Vorderlader hat seit dem Deutsch- Französischen Kriege in steigendem Verhältniß allerwärts Boden gewonnen und erstreckt sich bereits auf Länder ( Türkei , China , Japan u. a. m. ), welche sonst dem techniſchen Fortschritt nur in ſehr beſcheidenem Maße zu huldi gen gewohnt sind . Einen eigenthümlichen Gegensatz hierzu bildet das von Dänemark und Schweden- Norwegen immer noch beliebte ſtarre Festhalten am gußeisernen

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Vorderlader , nicht allein für die Küsten- und Marine- , ſondern auch für die Feld Artillerie. Auch in Spanien und Portugal , welche sich lange Zeit an dem Fran zösischen Vorderladungs - Syſtem hatten genügen laſſen , ſind ſchließlich die Vor züge des Hinterladers gebührend gewürdigt worden. Die Spanischen Pla centia -Bergkanonen , welche im Karlistenkriege bereits viel von sich reden gemacht haben, sind gußstählerne Hinterlader von 7,85 Cm. Caliber (gleich dem Preußischen 8 Em. ) , 0,94 M. Länge und 104 K. Rohrgewicht. Sie haben 12 Keilzüge von 38 Caliber Dralllänge. Der Verschluß iſt gänz ähnlich dem der Französischen Marinegeschütze. Die Granate wiegt 3,65 , die Ladung 0,4 K. Die Anfangsgeschwindigkeit beträgt 300 M. Wie man ſieht, laſſen ſich hier nach die vielgerühmten Leistungen dieses Geschüßes nur dadurch erklären , daß ihm die noch schlechtere und wenig zahlreiche Karliſtiſche Artillerie als paſſende W. Folie dient.

Bericht über die Entwickelung der Festungs-

und

Belagerungs

Artillerie.

Die Erweiterungen, welche das Gebiet der Strategie durch die Nothwen digkeit, mit colossalen Heeresmaffen zu operiren , erfahren hat , die Fortschritte in Bezug auf Eisenbahn- und Telegraphenbenutzung , die Aenderungen , welche die Taktik der einzelnen und verbundenen Waffen erleiden mußte , endlich die großartigen Umwälzungen in Bezug auf die Bewaffnung der Truppen , dies Alles entzieht sich selbst dem Auge des Laien nicht ; weit schwieriger iſt es da gegen , den Aufschwung , der auch auf dem Gebiete der Belagerungs- und Festungs-Artillerie seit den letzten Kriegsereignissen sich geltend macht, zu kenn zeichnen und die Bedeutung dieser Waffe für die Jehtzeit und Zukunft und zwar nicht nur für die Laien, sondern auch für militairische Kreise , in denen dieselbe vielfach noch nicht gebührend gewürdigt wird , in das rechte Licht zu setzen. I. Zu diesem Zweck ist es zunächst erforderlich, einen Blick auf den Zu stand zu werfen, in welchem sich die Belagerungs- und Festungs Artillerie zur Zeit des Krieges 1870/71 und zwar in materieller , per soneller und organiſatoriſcher Hinsicht befand. A. In materieller Beziehung finden wir die Festungs- und Belage rungs- Artillerie aller Staaten im Jahre 1870 in einem Uebergangsstadium von dem System der glatten zu dem der gezogenen Geschüße. Ueberall war mit der Einführung gezogener Geschüße in größerer Zahi begonnen, nirgends aber war dieselbe, selbst nicht in der Belagerungs - Artillerie, vollständig durchgeführt. Sogar in den Principien , welche beim Erjah der glatten durch gezogene Geschütze befolgt werden mußten , war noch keine Klar heit ; einige Arten der gezogenen Geschütze konnten , da man die Ergebniſſe der im Gange befindlichen Versuche erst abwarten mußte, noch nicht zur Einstellung

Entwickelung der Festungs- und Belagerungs - Artillerie.

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gelangen und so sahen wir denn in den Belagerungs -Artillerien der Hauptmächte um das Jahr 1870 nur die früher dort gebräuchlichen glatten Kanonen , meist vom 12 bis 24pfündigen Caliber ( 12-15 Cm. ) , durch die gleichen Caliber gezogener Geschüße ersetzt , zu denen in der Regel noch ein kleines gezogenes Caliber, als den größeren glatten an Wirkung gleichſtehend oder sie übertreffend, kam . Es setzten sich demgemäß die Belagerungstrains aus gezogenen Kanonen, schweren Haubißen und Bombenkanonen und glatten Mörsern zusammen, einige Artillerien hatten neben langen schon kurze gezogene Kanonen und gezogene Mörser einzustellen begonnen. Mit letzteren hatte Frankreich in Anwendung des Vorderladesystems den Anfang gemacht, während Rußland und Preußen mit Hinterlademörsern bald folgten. Noch langsamer vollzog sich naturgemäß der Uebergang zum und die Durchführung des Systems der gezogenen Ge schütze in der Festungs- Artillerie. Die technischen Schwierigkeiten , welche die Umwandelung oder Neubeschaffung eines so riesigen Materials mit sich bringt, das im Verhältniß zum Feld = Material scheinbar geringe Bedürfniß für eine rasche Erledigung dieser Angelegenheit , zum Theil Vorliebe für das Alte und vor allen Dingen Unklarheit und Unsicherheit über das zu Erstrebende , dies Alles ließ das Material der Festungs- und Belagerungs - Artillerie, trotzdem das gezogene Geschütz sich schon seit 10 Jahren eingebürgert hatte , noch im Jahre 1870 als im Stadium der Kindheit oder der ersten Entwickelungsperiode er scheinen. Um den Standpunkt der Belagerungsartillerie in dieser Beziehung und um dieſe ſelbſt noch mehr zu charakteriſiren ist es nützlich, auch die in den meisten großen Staaten ziemlich übereinstimmend herrschende Ansicht zu erwähnen , daß es genüge, die für den Angriff von 1 oder 2 großen Plätzen erforderliche Ge schützahl im Belagerungstrain bereit zu stellen. Diese Zahl nahm man für einen Platz ersten Ranges ziemlich übereinstimmend auf etwa 200 Geschütze an. Es setzte sich z . B. ein Desterreichischer Belagerungstrain zusammen aus : 110 Kanonen, 30 Haubitzen und 86 glatten Mörsern Summa 226 Geschütze. Frankreich supponirte für eine Festung ersten Ranges : 38-32 Em. Mörser 24 gez. 24 Pfänder = 12 90 = 2427 = = 8-22 12 = Feld 12 = = 20 ― 15 = 6 = Geb. 4 =

=

Summa 132 gez. Geschütze

90 Mörser

Summa 222 Geschütze. Ein Preußischer Belagerungstrain bestand im Jahre 1870 aus : 4 Bombenkanonen 30 gez. 24 Pfündern (15 Cm.) 50 = 12 12 schweren Haubitzen (12 Em. ) 6 = 20 = ( 9 Cm . ) 24 schweren Mörjern 20 Summa 100 gezogenen Geschützen 60 glatten Geschützen.

=

Summa 160 Geschützen. Derselbe kam indessen in dieser Zusammensetzung nicht zur Thätigkeit. Der erste Kanonenschußz brachte mit einem Male Klarheit in viele Fragen, die bis dahin dunkel gewesen waren, und so wurde es namentlich in Bezug auf das Material plötzlich klar, daß glatte Geschütze mit Ausnahme der Mörser gar

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nicht mehr den Transport vor die Festung lohnten; Niemand wollte mehr mit ihnen die Beschießung eines Plates unternehmen und so blieben die schweren Haubigen und Bombenkanonen auf den Bahnhöfen oder in der Heimath liegen und nur gezogene Geschüße eröffneten den Kampf gegen den ersten zu belagernden Platz: Straßburg. Wir finden vor demselben in Thätigkeit : 46 lange und 12 kurze gez . 15 Cm. -Kanonen, 80 gez . 12Cm ., 20 gez. 9Cm. Kanonen, 2 gez. 21 Cm . - Mörser, 51 schwere Mörser, 30 leichte Mörser, in Summa 241 Geschütze. Außer diesen enthielt der Park aber noch eine größere Anzahl Geſchüße, welche zur Armirung von noch etwa mehr erforderlich werdenden Batterien und zum Auswechseln der unbrauchbar gewordenen Geschütze bereit standen. Auch diese Gesammtzahl, welche sogleich vor der ersten Festung gebraucht wurde, zeigte, daß man bis dahin von falschen Annahmen ausgegangen war, wenn in den großen Staaten es für ausreichend erachtet wurde, einen Train von je 150-200 Geschützen für etwa 2 zu belagernde große Plätze bereit zu halten. Wenn aus der Beschaffenheit des Belagerungsmaterials somit die Unfertig keit der durch die gezogenen Geschütze bedingten Umwandelung klar hervorgeht, so mußte dieselbe natürlicher Weise in dem Festungsmaterial, wie es sich 1870 darstellte, noch mehr zur Anschauung kommen. Das neueste und vorzüglichste Material findet stets zuerst Aufnahme in der Belagerungs - Artillerie und erst nach Completirung derselben können die Festungen bedacht werden. Die colossalen Summen , welche die Beschaffung gezogener Geschüße für alle Festungen aufzuwenden zwingt, machen ein allmäli ges Vorschreiten hierin zur Nothwendigkeit und so war denn in den Haupt staaten im Jahre 1870 das Stadium erreicht , daß die Hauptpläge mit einer genügenden Anzahl gezogener Geschüße armirt waren , um die Angriffsfront zu besetzen und den Kampf gegen den förmlichen Angriff mit gezogenen Geschüßen zu führen. Daneben aber finden sich die oben als im Belagerungstrain zu jener Zelt noch vorhandenen Geschüßarten , Haubigen, Bombenkanonen , und auch das glatte Kanon noch in großer Anzahl, letzteres allerdings nur noch zur Abwehr gewaltsamer Angriffe auf allen und zur Bestreichung des mit ihnen erreichbaren Vorterrains auf den nicht förmlich angegriffenen Fronten. Wenn ein Staat in dieſer Beziehung einen Vorsprung hätte erreichen können, ſo wäre es Frankreich gewesen , denn hier war der Uebergang zum gezogenen Syſtem dadurch bedeutend erleichtert , daß man mit der Annahme des Vorderladesystems die Möglichkeit erhalten hatte, die früheren glatten Geſchüße ohne Schwierigkeit in gezogene zu verwandeln, während die meisten übrigen Staaten, sogar Dester reich bezüglich des Festungsmaterials , sich dem Hinterladesystem , welches fast durchgängig Neubeschaffung erforderte , zugewendet hatten. Daß aber auch Frankreich sich noch in demselben Stadium , wie die anderen Mächte befand, geht aus der artilleristischen Ausrüstung Straßburgs hervor, welche neben kurzen und langen gez. 24 Pfündern , Festungs- und Belagerungs gez . 12 Pfündern und kleinen gezogenen Calibern noch aus vielen glatten 16 Pfündern, 12pfündi gen Granatkanonen , Haubißen verschiedener Caliber und glatten Mörsern be stand. Kurze gezogene Kanonen, welche 1870 erst in beschränktem Maaße und gezogene Mörser, welche nur als Ausnahme in der Belagerungs-Artillerie Ver wendung fanden , waren dementsprechend auch nur noch selten oder gar nicht in dem Festungsmaterial vertreten. Auch in Bezug auf das Laffeten-System, welches mit Einführung gezogener Geschütze nothwendiger Weise eine Umwandlung erfahren mußte, befand man

Entwickelung der Festungs- und Belagerungs-Artillerie.

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sich 1870 noch im Uebergangsstadium. Zwar war man im Allgemeinen dar über zur Klarheit gekommen , daß man den gezogenen Geschützen gegenüber auf eine bedeutend größere Sicherstellung der Bedienungsmannschaft gegen deren treff sichere Wirkung als früher denken müsse ; indessen war man doch nicht überall überzeugt, daß dieser Zweck durch_ausschließliche Anwendung erhöhter Laffeten schleunigst erreicht werden müsse. Ferner hatte sich auch wohl die Ueberzeugung geltend gemacht, daß die früheren hohen Rahm-Laffeten, welche anscheinend dem eben erwähnten Zweck entsprechen , für die durch die gezogenen Geſchüße ver änderten Kampfverhältnisse nicht mehr brauchbar seien , aber bei Laffeten wie Geschüßröhren hinderte hauptsächlich der Kostenpunkt daran, das Festungsmaterial in schnellerer Weise als geschehen umzuwandeln ; man benutzte daher in den Festungen noch lange Zeit die Laffeten der glatten Geschütze auch für gezogene und speciell im Jahre 1870 finden wir die gezogenen Röhre der Französischen Artillerie in den Festungen in niedrigen Laffeten. Etwas anders stellte sich die Sache bei der Belagerungsartillerie, welche in diesem Punkte schon 1864 in Schleswig hatte Erfahrungen sammeln können ; es waren demgemäß die gezo genen Geschütze in den Belagerungsparks vor den Französischen Festungen durchweg mit Laffeten von großer Feuerhöhe (1,83 M.) ausgerüstet. In den anderen Staaten dagegen würdigte man den Vorzug der hohen Laffeten nicht in gleichem Grade, wie in Preußen, und würden Deutsche Festungen in die Lage gekommen sein, gegen Französische Artillerie sich zu vertheidigen, so hätten die Geschüße der letzteren unzweifelhaft in niedrigen Laffeten ihr Feuer eröffnen müſſen. Dies geht aus der Beschaffenheit des in Straßburg vorgefundenen Artillerie-Materials hervor, welches zum Theil zu Belagerungen beſtimmmt war. = B. Den Zustand des Personals der Festungs- und Belagerungs Artillerie i. J. 1870 anlangend , giebt für denselben folgendes Stärkever hältniß zunächst einen Anhalt der Beurtheilung : Die Kriegsstärken der Feld- und Festungs -Artillerie betrugen in Frankreich: 55,000 Mann Feld- und 17 Compagnien Depot- und Be jakungstruppen, in Rußland: 69,000 Mann Feld-, 32,800 Mann Local-Besatzungstruppen, in Desterreich: 40,500 Mann Feld-, 18,200 Mann Festungs-Artillerie, in Italien : 19,500 Mann Feld- und 11,000 Mann Festungs -Artillerie, in England : 15,400 Mann Feld- und 16,000 Mann Festungs -Artillerie (mit Colonien und Indien), in Spanien: 10,000 Mann Feld- und 2,000 Mann Festungs-Artillerie, im Norddeutschen Bunde : 50,000 Mann Feld- und 21,000 Mann Festungs Artillerie, im Deutschen Heere kamen zu letteren Truppen noch Bayern mit: 5340 Mann Feld-Artillerie, 3000 Mann Festungs-Artillerie, Württemberg mit : 1960 Mann Feld - Artillerie, 1240 Mann Festungs - Artillerie und Baden mit: 1578 Mann Feld-Artillerie , 1252 Mann Festungs -Artillerie. Diese Angaben zeigen , daß man sich in einigen Staaten überhaupt noch gar nicht dessen bewußt geworden war , inwiefern das gezogene Geschütz auch den Festungskrieg umgestalten mußte und daß bei der Vertheidigung einer Festung heutzutage die Entscheidung meist auf dem Geschützkampfe beruht. Dieser ist aber gut und energisch nur mit ausgebildeten Festungs-Artilleriſten zu führen und daß bei Belagerungen noch höhere Anforderungen an das Artillerie Personal gestellt werden müssen ist wohl selbstverständlich. Dieser Erkenntniß also , daß man im Frieden gut vorgebildetes Personal haben muß, wenn man

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im Festungskriege das ungeheure Capital , welches die gezogenen Geschütze ge kostet hat , ausnutzen will , hatten sich die meiſten Staaten bis zum Jahre 1870 noch verschlossen; auch die Erfahrungen früherer Kriege , in denen nicht selten der Fall der Festungen auf die quantitativ und qualitativ ungenügende Aus rüstung mit Festungsartilleristen zurückgeführt werden mußte, waren hierfür nußlos. Am meisten hatte man dieſen Umständen noch in Deutſchland , dem nächst in Desterreich und in Italien Rechnung getragen. Rußland und Eng land stehen allerdings auch in obiger Tabelle mit einer beträchtlichen Ziffer ver merkt, indeſſen iſt dabei zu berückſichtigen, daß England gezwungen iſt , in den Colonien und Indien stets eine nicht geringe Zahl Besatzungstruppen zu unter halten und daß Rußland , in Bezug auf seine östliche und südliche Grenze in ziemlich gleicher Lage, seine Festungs -Artillerie vollständig unter die Local besetzungstruppen rechnet. Am wenigsten war man in Frankreich in dieser Rich tung vorgeschritten und es stand somit im Jahre 1870 dem am weitesten fort geschrittenen Staat Preußen ungünstig gegenüber. Frankreich hatte eine eigentliche Festungs -Artillerie gar nicht , vielmehr rechnete man auf die Depot-Compagnien und Depot-Batterien der Feld-Artillerie als Bejagungs -Artillerie ; man ging wohl noch von dem allerdings sehr ver alteten Grundsatz aus, daß Jeder, der nur ein Geschütz bedienen könne, für alle Zweige des Artilleriewejens völlig brauchbar sei. So erscheinen denn auch 1870 in Straßburg , einer großen Grenzfestung des Landes , die Pontonniers (Linien- und Depot- Compagnien) , welche aller dings in Frankreich zur Artillerie gehören und am Geschütz ausgebildet werden, als der Hauptbestandtheil der Artillerie-Beſagung . Dieſelben wären voraus sichtlich, wenn der Krieg eine andere Wendung genommen hätte, auch zur Be setzung eines event. zu formirenden Belagerungsparks bestimmt worden, für den ja die Geschütze in Straßburg vorhanden waren. Nach Alledem ist es nicht wunderbar , wenn von einer irgend erwähnens werthen Organisation der Festungs- und Belagerungs-Artillerie i . 3. 1870 nicht die Rede sein konnte. In fast allen Staaten war die Festungs- Artillerie_als Local- Besatzungstruppe in kleinen Abtheilungen zerstreut; an eine Verwendung im Auslande war nirgends gedacht oder dieselbe wenigstens nicht vorbereitet. In Desterreich war wenigstens eine Eintheilung in 57 Compagnien vorhanden und in Preußen war man insofern wiederum am weitesten vorgeschritten, als man die Festungs -Artillerie vermehrt und die Compagnien in Abtheilungen à 4 und je 2 Abtheilungen in ein Regiment zuſammengefaßt hatte. So war denn hier wenigstens der Anfang einer Organisation gemacht , wie sie jede Truppe, die vor dem Feinde etwas leisten soll, haben muß . Aus den 8 Compagnien eines Regiments wurden bei der Mobilmachung 16 formirt und die Friedens Etatsstärke jeder Compagnie auf das Doppelte gebracht. II. Das so entworfene Bild von dem Zustande der Festungs- und Be lagerungs-Artillerie i . 3. 1870 deutet schon zum Theil auf die großen Fehler hin , an welchen dieselbe litten , es wird die Aufgabe der nächsten Zeiten sein, diejenigen Mängel hervorzuheben , welche die kriegerischen Ereignisse dieses und des folgenden Jahres besonders an's Licht gezogen haben. A. Das zu den Belagerungen d. 3. 1870 verwendete Artillerie - Ma terial war weitaus das beste, welches irgend ein Staat zu diesem Zwecke hätte ins Feld stellen können, dennoch genügte es dem Bedürfniß nicht röllig. Dieses Material war, mit Ausnahme vielleicht der durch lange Aufbewahrung in Wagen

Entwickelung der Festungs- und Belagerungs-Artillerie.

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häusern morsch gewordenen hölzernen Laffeten , welche mitunter nach wenigen Schüffen zuſammenbrechen, an sich vorzüglich , aber die Wirkung der Ge schüße war nicht in alle den Richtungen gehörig auszunuzen, welche die jeßigen Verhältnisse des Festungskrieges als wünschenswerth erscheinen lassen. Zunächst verlangen dieſe eine höchst ausgedehnte Anwen dung des indirecten Schuffes, daher den Gebrauch der zu diesem besonders ge eigneten Geſchüßconſtructionen und eine Einrichtung der Laffeten, welche die An wendung des indirecten Schusses erleichtert. Die geeigneten Geschüßarten waren aber in sehr geringer Zahl vorhanden (neben 146 vorzugsweise für directen Schuß befähigten finden sich vor Straßburg nur 14 gezogene Geschütze für in directen Schuß) und lag dies, wie schon oben angedeutet , mehr an dem Ueber gangsstadium , in welchem man sich bezüglich des Festungs- und Balagerungs Materials befand, als in mangelnder Erkenntniß . Freilich war auch diese noch nicht überall zu voller Klarheit entwickelt , vielfach waren noch Anschauungen verbreitet, welche dem indirecten Schuß nur dieselbe Stellung zuerkennen wollten, die er zur Zeit der glatten Geſchüße gehabt hatte. Damals nahm man bekannt lich an, daß derselbe nur zum Demoliren und allenfalls in günſtigen Fällen zum Brejchiren geeignet sei und vielfach wurde die Möglichkeit eines regelmäßigen Brejchiren sogar bestritten. In mehreren Artillerien hatten in dieser Beziehung Versuche stattgefunden und namentlich hatte die Französische Artillerie in den Jahren 1863 und 64 in ihren Versuchen auf der Insel Air werthvolle Rejul tate gewonnen , welche vom Oberst Crouzat in einem 1870 erschienenen Werk (Les canons rayés de l'armée de terre en 1870 etc. ) zusammengestellt wurden. Obwohl dieselben über das Wesen des indirecten Schusses und über Gebrauch und Wirkung der Geschütze des Französischen Belagerungs- und Festungs-Materials Aufklärung gaben , auch die nothwendige Umgestaltung der älteren Festungen klar stellten, so wurden doch die gewonnenen Resultate nur in geringem Grade in die Praxis übertragen, denn weder die Festungen, noch das Geschützmaterial wurden der Art umgestaltet, wie es die Bedeutung des indirecten Schusses erforderte. In Bezug auf letteren war man allerdings mit der Einstellung kurzer gezogener Vorderlade-Kanonen (größtentheils aus glatten Geschützen aptirte) vor gegangen und hatte hierdurch recht brauchbare Röhre für die Festungs- und Belagerungs- Artillerie erhalten, aber in der Laffetirung war Alles beim Alten geblieben. Die vielseitigen Friedensversuche der Deutschen Artillerie mit gezogenen Geschüßen hatten diese dagegen dazu geführt , nicht nur eine ausge dehnte Anwendung des indirecten Schusses für möglich und ersprießlich zu halten. und die Beschaffung einer größeren Anzahl kurzer 15 Cm. -Kanonen und 21 Cm. Mörser einzuleiten, sondern sie hatte allmälig die durch die Kriegserfahrungen demnächst bestätigte Ueberzeugung gewonnen, daß ein vollständig umgekehrtes Verhältniß wie früher eingetreten war, daß der indirecte Schuß die Regel, der directe die Ausnahme schon deshalb bilden müsse, weil bei der enormen Präcision des jetzigen Geschützfeuers direct feuernde Geschütze stets sehr bald außer Gefecht gesetzt werden, wenn sie nicht auf sehr bedeutende Entfernungen in Poſition gebracht sind. Diese lettere Betrachtung hat für die Festungs -Artillerie noch bedeutend mehr Werth wie für die Belagerungs -Artillerie und die Französische Artillerie hat im Kriege 1870 dafür büßen müſſen, daß sie die Wichtigkeit dieser Wahrheit nicht hinreichend erkannt und in ihrem Laffetenſyſtem nicht diejenigen Grundsätze zur Anwendung gebracht hatte, welche der Gebrauch gezogener Geschütze für directen und indirecten Schuß erfordert. Die Franzöſiſchen Artilleriſten in

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Straßburg haben sich selbst nach der Capitulation weniger von der Preußischen Rohrconstruction, als von der Laffetenart besiegt erklärt. Hohe Laffeten, wie sie gezogene Geschüße durchaus erfordern, waren nur in beschränkter Zahl vorhanden und diese waren noch dazu Rahmenlaffeten , welche wegen ihrer zeitraubenden Aufstellung und Unbeweglichkeit durchaus nicht zum Kampfe gezogener Geschüße geeignet sind. Die niedrigen Laffeten erwiesen sich als durchaus unbrauchbar, erforderten tiefe Scharten und die Franzöſiſchen Geſchüßaufſtellungen boten daher treffliche Zielpunkte, während die durchweg in hohen Laffeten liegenden Deutschen Geschütze durch den Fortfall aller von außen sichtbaren Scharten vorzüglich gedeckt waren und das Zielen gegen dieſelben nur mit Schwierigkeiten gestatteten. Stand sonach das Deutsche Material 1870 zwar auf der Höhe der Zeit , so wurde doch in Bezug auf das indirecte Richten der Mangel empfunden , daß man nach jedem Schuß, auch wenn das Ziel daſſelbe blieb, ein Verfahren wieder holen mußte, welches immerhin im Vergleich zum directen Richten als schwierig zu betrachten war. Es hatte diese Betrachtung schon zur Anbringung einer vordern und hintern Richtſcala an den Laffeten geführt, um mit Hülfe derselben die beim indirecten Schuß einmal genommene Richtung festzuhalten und Cor recturen mit Hülfe der Scala ausführen zu können. Indessen waren diese Ein richtungen nur bei den für indirecten Schuß besonders befähigten Geſchüßen getroffen, während sie bei jedem Geschütz nothwendig sind , weil sie alle häufig genug in die Lage kommen werden, sich der indirecten Richtmethode bedienen zu müſſen. Ein fernerer Mangel , welcher in den Kämpfen 1870-71 in Bezug auf das Geschützmaterial der Belagerungs- und Festungs - Artillerie hervortrat , war der, daß die Wirkungssphäre der Geschüße nicht ausgedehnt genug war. Ein großer Theil der Französischen Festungen war noch nach röllig veralteten Principien gebaut und konnte man sich daher der Hoffnung hingeben, daß wenigstens die kleinen einem concentrischen Bombardement durch gezogene Geschütze bald erliegen würden . Ein solches muß aber derartig in's Werk gesetzt werden, daß der Belagerer dabei nicht selbst erhebliche Verluste erleiden kann , man muß sich auf große Entfernungen aufstellen und dies ist auch in Anbetracht der Größe des Zielobjectes und der großen Trefffähigkeit der Geſchüße zulässig, wenn man für diesen Zweck besonders construirtes Material besitt. Am schlagendsten trat aber das Bedürfniß derartiger Bombardements -Geschüße in der mehrmonatlichen Belagerung von Paris hervor ; dieselbe zeigte , daß das Deutsche Material in dieser Beziehung Manches zu wünschen übrig ließ. Um die großen Entfernungen, welche durch die Aufstellung der Armee geboten waren, zu erreichen , mußte die Leiſtungsfähigkeit der Geschüße auf das Aeußerste angespannt werden ; man gebrauchte fortgesezt die stärksten Ladungen und mußte den Röhren die größte zulässige Elevation geben. Dies konnte sich bei dem Material nur auf das Nachtheiligste bemerklich machen, indem Röhre und Ver schlüsse litten, die Richtvorrichtungen nicht Stand hielten, die Achsen sich ver bogen und einige Laffeten zusammenbrachen. Ebenso aber wie für den Belagerer stellte sich das Bedürfniß möglichst weittragender Geschütze auch für die Ver theidigung heraus, da sie nur mit Hülfe derselben den Angreifer hindern kann, sich in Ortschaften oder anderen Terrainabschnitten auf der Angriffsfront in ziemlicher Nähe seiner Arbeiten einzurichten. Vor Straßburg z . B. waren die Dörfer Ober- und Mittelhausbergen, unmittelbar hinter dem Angriff und etwa 3800 M. von den Festungswerken gelegen , nicht nur mit Truppen stets voll gepfropft, ſondern der größte Theil der Transporte an Geschützen und Munition

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für die Belagerungs -Batterien war an die durch letztgenanntes Dorf führende Straße gebunden, ohne daß ſich das Franzöſiſche Geſchüßfeuer an dieſen Punkten irgendwie bemerklich gemacht hätte. Ferner muß in Bezug auf das Material noch der Erfahrung gedacht werden, welche man rücksichtlich der Marimalgrenze in der Schwere der durch die Bis zum letzten Belagerungs- Artillerie mitzuführenden Geschütze machte. Kriege nahm man allgemein an, daß 60 Ctr. Rohrgewicht diese Grenze sei und in der That machte der Transport derartiger Geschütze, wie die Erfahrungen der früheren Kriege bewiesen, unter Umständen schon solche Schwierigkeiten, daß man die Mitführung schwererer Geschütze füglich als muhlos ausschließen konnte. Das schwerste im Jahre 1870 auftretende Belagerungsgeschütz , der 21 Em. gez. Mörser mit 601, Ctr. Rohrgewicht zeigte jedoch, daß man mit demselben unter den jezigen Verhältnissen durchaus noch nicht an die äußerste Grenze der Bewegungsfähigkeit gekommen sei, denn dieſe Verhältnisse sind wesentlich andere, als früher. Die Communicationsmittel sind jezt ganz andere und meist ist es möglich, die Geſchüße mit der Eisenbahn bis in die Nähe der belagerten Festung zu schaffen; auch gute Wege von der Eisenbahn nach dem Park und von dieſem nach den Batterien werden sich meistentheils zur Benutzung darbieten; am wichtigsten ist es aber, daß man in der Aufstellung der Geschüße selbst durchaus freie Hand hat und nicht an beſtimmte Punkte und Entfernungen gebunden ist. So wird es gar nicht nöthig sein , die feſten und gebahnten Straßen mit den schwersten Geschüßen anders als in der Nähe der für sie erbauten Batterien zu verlaſſen und ebenso wird man diese Batterien niemals so weit vorzuſchieben brauchen, daß man für sie von den gewaltsamen Unternehmungen des Verthei digers etwas zu befürchten hätte. Rechnet man zu dieser immer günstiger gewordenen Gestaltung der Verhältniſſe noch die Fortschritte der Technik, welche größtentheils die Schwierigkeiten überwunden hat , die sich bei dem Bewegen schwerer Lasten , Röhre, Geschosse 2c. zu ergeben pflegen , so ist der Schluß berechtigt, daß man in zukünftigen Kriegen noch wirksamere Geschütze wie bisher wird heranziehen können. Daß dies aber wünschenswerth ist, hat sich ebenfalls im letzten Kriege gezeigt, denn so sehr auch die Wirkung der 21 Cm. -Geschosse (79 K. Gewicht mit 4,75 K. Sprengladung) der der übrigen sich überlegen erwies, so mußte sie doch in einigen Fällen noch größer gewünscht werden , da es eine bekannte Thatsache ist, daß die im steilen Fallwinkel auf bombensichern Decken einschlagenden Langgeschoffe keineswegs eine so bedeutende Eindringungs tiese erreichen, als man aus dem Vergleich mit sphärischen Bomben von viel geringerem Gewicht anzunehmen geneigt sein möchte. Die möglichste Steigerung der Wirkung und daher event. auch des Calibers für einige Geschütze des Belagerungsparks hat sich aber auch noch aus dem Grunde als wünschenswerth herausgestellt, weil die Vertheidigung aus den Erfahrungen des letzten Krieges den Schluß hat ziehen müssen , daß auch sie, wenn beſſere Erfolge wie 1870/71 erzielt werden sollen, für die Zukunft einiger Verstärkungsmittel bedarf, unter denen die Anwendung von Panzerungen die erste Stelle einnimmt. In den meisten Französischen Festungen, welche eine ernsthafte Beschießung erlitten, machte sich die Thatsache geltend, daß die unge deckt stehenden Geschütze sehr bald, die mehr oder weniger eingedeckten aber auch, mit weniger Ausnahme, zum Schweigen gebracht wurden und auf den Werken der Angriffsfront Straßburg's war es schließlich nicht möglich, unter dem Feuer der Angriffsbatterien auch nur ein Geschütz in Feuerthätigkeit zu erhalten. Bei dem ungeheuren Vortheil, den es aber unleugbar haben muß, bis zu den letzten

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Perioden des Angriffs sich auf wichtigen Punkten der Vertheidigungs - Linie, wenn auch nur einige und dann womöglich schwere Geschütze zu conſerviren, wird es keinem Zweifel unterliegen , daß man in Zukunft von Panzerungen Gebrauch machen muß, welche den Angreifer mindestens zwingen , auf sie eine coloffale Geschoßmaſſe der schwersten Caliber zu verwenden, bevor an einen Fort schritt des Angriffs gedacht werden kann. B. Nicht weniger wie bezüglich des Materials brachte der Krieg 1870/71 in personeller und organisatorischer Hinsicht Klarheit in die in faſt allen Europäischen Staaten herrschenden Anschauungen. Ueberall hatte man bisber, indem man die Wichtigkeit der Festungs - Artillerie verkannte, es für genügend gehalten , wenn man schwache Cadres im Frieden bereit hielt und nothdürftig ausbildete, damit man eine leidlich tüchtige Truppe in die auf dem augenblick= lichen Kriegstheater liegenden Festungen zu deren Vertheidigung senden konnte ; an eine Verwendung außerhalb des Landes, an ein energiſches Auftreten im Be lagerungskriege und eine dem entsprechende Organisation war wenig gedacht wor den. Man hatte auch in dieser Beziehung noch vielfach veraltete Vorstellungen festgehalten, nach denen die Belagerungs-Artillerie eine Art Hülfswaffe der ſchließ lich die Festung doch stürmenden Infanterie war, während der Festungskrieg in dieser Beziehung durch die gezogenen Geschütze eine völlige Umgestaltung er fahren hat, indem der Geschützkampf und sonach die Thätigkeit der Artillerie den Schwerpunkt des Festungskrieges , die Infanterie des Angreifers wie des Vertheidigers dagegen heutzutage gewissermaßen nur die Particular-Bedeckung der Artillerie bildet. Der Krieg zeigte an dem Beispiel , welches Frankreich gab, allen Staaten, daß sie dem Personal der Festungs - Artillerie und deren Organi sation mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken müßten. Besonders aber auc in Bezug der Belagerungs - Artillerie , obwohl die Deutsche 1870 großen Ruhm erntete, machte sich der Mangel einer Organisation und der Vorbereitung ihrer kriegerischen Thätigkeit schon im Frieden sehr bedeutend geltend. Wie sehr aller taktischer Verband in der Deutschen Belagerungs - Artillerie während ihrer Ver wendung in Frankreich aufgelöst war, sei an einigen Beiſpielen gezeigt : Vor Straßburg waren in Verwendung , außer 5 Badischen Compagnien, folgende Preußische Festungs-Artillerie- Compagnien : 1. , 2. , 3. , 4. , 5. , 9. , 13. Compagnie des Garde-Regiments, 5. , 6. , 7. , 8. , 15. Compagnie des Regiments Nr. 4. , 5. und 13. Compagnie des Regiments Nr. 5, 1. , 2. , 4. , 5. , 6. , 7. , 13. , 15. , 16. Compagnie des Regiments Nr. 6, 2. , 3. , 6. , 16. Compagnie des Regiments Nr. 7 , 1. und 2. Compagnie des Bataillons Nr. 10. Erst für die Belagerung wurden diese Compagnien wieder in 6 Abthei lungen zu 5 resp. 4 Compagnien und zu einem Belagerungs - Artillerie - Regis mente vereinigt. Noch schärfer tritt das Unzureichende der Zahl und der Organiſation der Festungs- Artillerie hervor, wenn man die Thätigkeit einzelner Regimenter ver folgt, namentlich solcher, welche der Natur der Sache nach leicht in den Rhein festungen hätten zur Thätigkeit kommen können. Hier konnte man sie aber nicht lassen, weil man sie im Verlaufe des Feldzuges nothwendig in Feindesland brauchte; so verblieben z . B. vom Regiment Nr. 8 nur die 1. , 3. , 6. und die neuformirte 9. , 10. und 12. Compagnie durchweg in den Festungen Coblenz. Ehrenbreitenstein und Saarlouis , dagegen wurden vor Paris die 2. , 4. , 5. , 8., 13. , 16. Compagnie verwendet, die 11. wurde Kriegsbejahung in Straßburg,

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die übrigen wurden als solche in Sedan , Rocroy , Diedenhofen verwandt und nahmen Theil an den Belagerungen von Verdun, Diedenhofen , Montmedy , Mezières (7. Compagnie) und Longwy ( 14. Compagnie). Von dem Regiment Nr. 4 waren die 5. , 6. , 7. und 8. Compagnie vor Straßburg und Belfort, die 1. , 2. , 3. , 4. und 14. Compagnie vor Paris , die 9. vor Toul, Soissons, La Fère und Paris , die 13. bei Longwy und Langres, nur die 10. , 11. , 12. und 16. blieben immobil. Da nun z . B. vor Toul , Soiffons , La Fère und Longwy die Stärke der Belagerungs-Artillerie resp . 5, 4, 6 und 72 Compagnien betrug, so kann aus ebigen Angaben schon geschlossen werden , aus wie verschiedenen Truppentheilen dieselbe bestand. Die Bayerische Fußartillerie, welche im Verbande der 4 vorhandenen Ar tillerie-Regimenter stand, konnte meist erst sehr spät (wenige Batterien im Sep tember, andere im December 1870 und Februar 1871 ) ausrücken und wurden per Regiment etwa 4 Fuß-Batterien verwendet. Die des 1. Regiments 2. "! 3. "1 4. "

waren zum Theil bei Paris, zum Theil bei Belfort, vor Belfort, Bitsch, Besatzung von Sedan, vor Straßburg, Schlettstadt, Neu-Breisach, Belfort, vor Paris, Bitsch, Belfort, Besatzung von Marjal. Aus diesen Beiſpielen erhellt, daß die Deutsche Festungs -Artillerie zunächst quantitativ nicht den Anforderungen genügte, welche ein so großartiger Feldzug, wie der von 1870/71 an sie stellte und vielleicht noch hätte stellen können * ), aber auch qualitativ zeigten sich einige Mängel, weil man gezwungen war, neu formirte und zum Theil mit Landwehr- und Reserve - Offizieren besetzte Com pagnien zum Dienst bei Belagerungen zu verwenden. Diesen und den das Perſonal betreffenden Mängeln stellten sich solche an die Seite, welche die Or ganiſation des ganzen Belagerungswesens betrafen. Die Organiſation ſoll die Verbindung des Materials mit dem Personal vermitteln ; von solcher war aber durchaus keine Rede. Das Material an Geschützen, Fahrzeugen, Transportbedürf nissen, Munition 2c. lagerte in den Depots und erst in dem Augenblick , als man davon Gebrauch machte, wurden die nöthigen Maßnahmen für die Zusammen stellung mit dem Personal, für die Einrichtung der Verwaltung und für die nöthige Unterstellung der Truppen unter höhere Ördnungen getroffen, ja vor der zunächst zu belagernden Festung Straßburg trafen die höheren Commando- und Verwaltungs-Behörden der Belagerungs -Artillerie erst später ein, als die Streit mittel. Die hieraus sich ergebenden Uebelſtände brachten viele Verzögerungen und Schwierigkeiten in dem Gange der Belagerungen mit sich, noch entscheiden der aber machten sich mitunter die fehlenden Vorbereitungen für einen gesicherten Munitionsnachschub und die Transporte schwerer Lasten überhaupt geltend . Die Menge des zu transportirenden Materials hat sich gegen frühere Kriege erheblich vermehrt, weil die Anzahl der auftretenden Geschütze größer und die Munition bedeutend schwerer geworden ist. Das früher zur Anwendung gebrachte Mittel, Fahrzeuge und Pferde erst in Feindesland zu requiriren , hat sich nicht mehr als ausreichend erwiesen, und giebt für die unumgänglich nöthigen Transporte, namentlich wenn Gefahr damit verbunden ist, nicht die nöthige Sicherheit. Die requirirten Fahrzeuge waren zum Theil der Zahl, zum Theil ihrer Beſchaffen heit nach nicht genügend, die Fuhrleute verſuchten mit den Pferden zu deſertiren, *) Namentlich wenn die Küſtenbefestigungen resp. die Franzöſiſche Flotte zur Thätig keit gekommen wären. 38 Militairische Jahresberichte 1874.

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und namentlich zu den Geschütz- und Munitions - Transporten vom Park nachh den Batterien waren , weil Gefahr dabei , die Fuhrleute nicht zu gebrauchen. Auch für die Heranschaffung der größeren Transporte von der Heimath bis vor die belagerte Festung mußte man von Hülfsmitteln Gebrauch machen , die nicht vorgesehen waren; dies trat namentlich hervor, als auf der nach Paris führen den Eisenbahn bei Nanteuil der Tunnel von den Franzosen gesprengt war und von dort nunmehr ein längerer Landtransport erforderlich wurde. Die Heran schaffung ging langjam von Statten und man bediente sich zur Beschleunigung auch einiger Straßenlocomotiven , von denen eine beim Passiren einer abschüifi gen Stelle der Straße umfiel. Auch mit dem Herbeischaffen der Munition ver ging viel Zeit, so daß dieser Umstand den Anfang der Beschießzung verzögerte, weil man mit Recht an dem alten Grundsatz festhielt, daß man das Feuer nicht früher eröffnen darf, bevor nicht für jedes Geschütz einige hundert Schuß be reit sind. Schließlich sei noch erwähnt , daß bei den häufigen Märſchen in Feindes land , in den dortigen Quartieren und bei den den Ausfällen ausgesetzten An griffsbatterien das Bedürfniß hervortrat , die Artilleristen mit Handfeuerwaffen zu versehen. III. Es konnte nicht fehlen , daß die geringen Erfolge , welche die Fran zösische Festungs -Artillerie im Kriege 1870/71 erzielte und die Mängel, welche, wie eben erwähnt , sich auch bei den Belagerern zeigten , der größten Aufmerk ſamkeit in den meisten Staaten gewürdigt wurden , und daß ſich ſeit jenem Kriege eine rege Thätigkeit auf die Mittel richtete , welche der Festungs und Belagerungs - Artillerie für die Zukunft eine größere Sicherheit des Erfolges in ihrer kriegerischen Thätigkeit zu geben vermöchten. Auch hierin ging Preußen, welches allerdings die nächste Veranlaſſung dazu hatte , weil sein Material in Folge des Krieges größtentheils erneuert werden mußte und weil es eben die Kriegserfahrung gemacht hatte, wiederum am energischsten voran , Rußland und Desterreich, demnächst auch Italien folgten auf ziemlich gleichen Wegen , England richtete seine Thätigkeit, wie hergebracht, mehr auf die Marine- als auf die Land - Artillerie , und in letterer zumeist auf die Feldartillerie, endlich Frankreich mußte zunächst seine Aufmerkſamkeit auf die Reorganisation der Feldtruppen richten, es war eine neue Feldartillerie zu schaffen, ſo daß in Betreff der Festungs- und Belagerungs -Artillerie hier wohl am wenig sten von Fortschritten die Rede sein kann. A. In materieller Beziehung richtete sich die Thätigkeit in der Be lagerungs- und Festungs - Artillerie während der letzten Jahre auf folgende mit den sub II. erwähnten Mängeln in inniger Verbindung stehenden Punkte: 1) Herstellung von Bombardements - Geschüßen. Um auf die weitesten Entfernungen ein anhaltendes Feuer mit großer Prä cision und bedeutender Percussionskraft der Geschosse richten zu können, mußte man die lange Kanone schwersten Calibers in besonders dauerhafter Construction (als 15 Em. Ringrohr von Gußstahl) herstellen. Große Anfangsgeschwindigkeit (480 M.), gestreckte Flugbahn, große Trefffähigkeit und Percuſſionskraft charakte risiren das Geschütz . Schußweiten bis 7 und 8 Kilometer sind erreichbar und ist mit der Construction dieses Geschützes auch das Bedürfniß der Vertheidigungs Artillerie nach einem weittragenden Geschütz gedeckt. In Preußen , Desterreich und Rußland sind derartige Geschütze von ziemlich unter einander ähnlicher Een struction adeptirt. Das Rohr wiegt etwa 60 Ctr. , ist mit cylindro - prismas tiſchem Keilverſchluß (Liderung durch Stahlring im Rohre) versehen und iſt für

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eine Maximal-Ladung von 6,2 K. bestimmt. Die Lang-Granaten wiegen 27/4, die Hartguß - Granaten 352, die Schrapnels, mit 462 Kugeln gefüllt , 31 K. Die Anfangsgeschwindigkeit beträgt bei Lang-Granaten 420 M. , die Schußweite bis 8500 m.

Aber für das Bombardement genügt es noch nicht, eine solche weittragende, gegen Linien und Fronten enfilirende Kanone zu haben, sondern es bedarf auch eines Wurffeuers , welches auf große Entfernungen noch mit hinreichender Prä ciſion und möglichst kräftiger Geschoßwirkung gegen einzelne Forts , Festungs werke 2. und namentlich gegen von oben gedeckte Räume zu richten ist. Da dies nach den Kriegserfahrungen mit dem gezogenen schweren Mörser zu erreichen war, so wurden die seit 10 Jahren mit denselben gemachten Versuche nunmehr schleunigst zum Abschluß gebracht und in größerer Anzahl 21 Em . - Mörser an gefertigt. Dies Geschütz hat ein Rohrgewicht von 60 Ctr.; der Verſchluß ist ein Doppelkeilverschluß mit Kupferliderung, die Marimal-Ladung beträgt 3,5 K., das Geschoßgewicht 79 K. mit 44 K. Sprengladung , die Anfangsgeschwindig keit 215 M., die Schußweite 4000 M. Auch in Rußland hat man seit vielen Jahren sich mit der Construction ähnlicher Geschütze beschäftigt , doch versuchte man es dort zuerst , wie in England, mit Vorderlade - Mörsern. Dieſelben sind noch jezt in der Russischen Artillerie vorhanden, haben ein Rohrgewicht von 27 Ctr. , 22 Cal. Drall , Ladung von 1/10 Geschoßschwere 3,25 K. und ein 2,7 Cal. langes Geschoß von 32,5 K. Daneben existiren jedoch 6zöllige Mörſer in Bronce und Szöllige in Stahl und Bronce, beide mit prismatiſchem Keil verschluß. England hat sich auch in der Mörserfrage an das Vorderladesystem ge halten und besteht daselbst ein 7zölliger Armstrong-Mörser, welcher ein Geschoßz von 40 K. wirft. In Desterreich hat man die Versuche mit gezogenen Mörsern im Herbst 1869 erst begonnen und zwar mit einem 8zölligen gußeiſernen Hinter ladungs-Mörser mit Krupp'schem Keilverschluß. Man hat sich von der Brauch barkeit des Geschützes und der Nothwendigkeit, es einzuführen , überzeugt, auch wurde demnächst zur Construction eines 61 / 23ölligen Mörsers geschritten . Im Allgemeinen folgte Desterreich hierin den Fußtapfen Preußens , indem man sich für ein 21/2 Caliber langes Geschoß von 78 K. Gewicht entschied ; die Maximal ladung wurde erst auf 3, dann auf 4,5 K. festgesetzt und das Rohrgewicht be trägt 77 Ctr. Auch in Preußen hatte man zuerst eine stärkere als die jetzt adoptirte Ladung zu Grunde gelegt und mithin ein schweres Rohr erhalten ; nach dem Kriege entschied man sich indeſſen für die erleichterte Conſtruction. Schon bei den hier maßgebenden Erwägungen trat die Frage auf, ob man nicht zweckmäßiger statt des Mörsers eine kurze Kanone desselben Calibers her stellen solle , da sie nicht nur Alles das , was der Mörser leistet , ebenfalls zu leiſten versprach , sondern sich auch für die weiter unten noch berührten Auf gaben, denen der Mörser nicht entsprechen kann, geeignet erweisen mußte. Wenn man auch von dem Ersatz der Mörser durch dieses Geschütz Abstand nahm , so sah man sich doch veranlaßt, die Versuche mit einem solchen Geschütz fortzusehen, um es neben dem Mörser einzustellen. 2. Steigerung der Geschüß- und Geschoßwirkung. Diese Steigerung ist nicht nur zulässig , sondern sie ist auch nothwendig geworden und fand ihren Ausdruck theils in Vergrößerung des Calibers , theils in der Anwendung längerer Geschosse. Während man früher, wenigstens in der Landartillerie, nicht über das Maximalcaliber des 15 Cm. hinausging , war es nunmehr gelungen , in dem 21 Em. -Mörser ein Geschütz von nicht größerem 38*

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Rohrgewicht als dem der 15 Cm. - Kanonen herzustellen. Aber auch hierbei brauchte man nicht stehen zu bleiben , denn schon die bei Graudenz verſuchten 21 Em. kurzen Kanonen leisteten in mancher Beziehung, vermöge ihrer ſtärkeren Ladung , mehr als jene , obwohl ihr Rohrgewicht nicht größer war. Dieses Geschütz von Bronce , mit dem Rohrgewicht von 60 Ctr. , ist für die Ladung von 4,5 K. construirt und ertheilt dem mit 5 K. Sprengladung versehenen Ge schoß von 79-80 K. Schwere eine Anfangsgeschwindigkeit von 255 M.; mit 400 Elevation wird eine Schußweite von 5100 M. erreicht. Dennoch ist zu erwarten , daß noch größere Caliber , welche der Construction nach schon fertig, zum Theil sogar in der Marine- und Küstenartillerie vorhanden sind, in Zukunft zur Verwendung kommen werden. Diese Verwendung iſt zulässig aus den oben sub II A. schon angeführten Gründen und nothwendig , weil die Ziele immer widerstandsfähiger werden. Schon jetzt macht man nicht nur in Seebefestigungen, sondern auch in Landfestungen Gebrauch von Panzerungen und wenn auch zu nächst die 15 Cm. -Ringkanone gegen die schwächeren genügt , so wird man mit der Zeit zur Anwendung kräftigerer Geschüße, vielleicht der 21 Cm.- Kanonen schreiten müssen; ebenso ist es klar, daß, wenn man von dem kostspieligen Mittel der Panzerungen einmal Gebrauch macht, es wünschenswerth ist , in denselben dann auch ein möglichst kräftig wirkendes Geschütz zu conserviren . Was hier von den Kanonen gesagt ist , gilt auch für Wurfgeschütze , und man wird durch die zur Anwendung kommenden stärkeren Eindeckungen und für die gegen Panzerthürme von oben zu äußernde Wirkung zur Steigerung des 21 Cm. -Calibers auf das von 26- oder 28 Em. gezwungen werden. Verjuce mit dem 28 Cm . -Mörser find denn auch bereits gemacht worden. Außer der Steigerung des Calibers hat man indeſſen in den letzten Jahren auch auf anderen Wegen die Geschützwirkung verstärkt und zwar namentlich durch Verbesserung der Geschosse. Die zuerst bei den gezogenen Geschüten, ſowohl Vorder- wie Hinderlader, verwendeten Geſchofſe hatten etwa eine Länge von 2 Caliber. Bei den Vorderladern wuchs die Schwierigkeit , das Geschen gut zu führen, erheblich mit der größeren Länge desselben, bei den Hinterladern aber nahm man früher an, daß es schwierig sei , bei einer größeren Länge des Geschosses die Stabilität seiner Drehachse im Fluge zu sichern und daß man mit den längeren Geschossen daher schlecht treffe. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß man die Länge des Geschosses bei den bisher üblichen Hinterladern ohne Schaden auf 2,5-2,7 Caliber steigern kann und hierdurch wesentliche Vertheile erhält. Man kann durch diese größere Länge in Verbindung mit der Anwendung des dünnen (angelötheten) Bleimantels ein Geschoß von annähernd demselben Gewicht, wie die frühere Granate mit dickem Bleimantel herstellen, welches als dann eine bedeutend größere (etwa doppelte) Sprengladung enthält und da für die meisten Ziele von dieser die Wirkung hauptsächlich abhängt , so erwächn daraus den Festungs- und Belagerungsgeschützen ein erheblicher Vortheil. Neben der Einführung der Langgranaten war aber auch die Erzeugung von Geschossen nothwendig, welche beim Vorkommen von Panzerungen zur Zer störung derselben geeignet sind und so gehören zu der Ausrüstung der Belage rungsartillerie für ihre schweren langen Kanonen auch die in der Marine- und Küstenartillerie bereits längst eingeführten Hartgußgranaten. Aber auf noch eine wesentliche Verbesserung in dem Geschüßſyſtem hat der letzte Feldzug hingewirkt, insofern sich das Bedürfniß herausstellte, ein möglicit gutes Demvntirgeschütz zu haben. Eine Hauptaufgabe der Angriffsartillerie wird es stets bleiben, die gerade gegenüber stehenden Geschütze direct zu bekämpfes

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und iſt dieſe Aufgabe eine sehr schwierige, weil das Zielobject sehr klein, mithin eine große Präcision des Schlusses erforderlich ist; sehr bedeutende Entfernungen find naturgemäß von vornherein auszuschließen. Zum Zerstören von Geschützen, Laffeten 2. genügt vollständig das 12 Cm.- , meist schon das 9 Cm. -Caliber, mithin kommt das 15 Em. , weil ein unnöthiger Kraftaufwand mit ihm ver bunden wäre, nicht in Betracht, das 9 Em . -Caliber aber wird namentlich dann nicht kräftig genug wirken, wenn die zu demontirenden Geſchütze durch vorliegende Erdbrustwehren gut gedeckt sind, so daß ein Vertiefen der Schartenmulden noth wendig wird, bevor man mit Erfolg das Geschütz selbst treffen kann. Es stellt sich somit das 12 Cm. - Caliber als das für Demontirzwecke geeignetſte dar ; doch waren die ballistischen Verhältnisse der im Feldzuge 1870-71 verwendeten 12 Em.-Kanonen nicht gerade die günstigsten für Demontirzwecke und mußte man somit an eine andere Conſtruction denken. Da diesen Zwecken große Präciſion des Schuffes, rajante Flugbahn, mithin sehr starke Ladung am meisten entsprechen, so würde ähnlich wie bei den 15 Cm. Ringkanonen dieser Umstand auf die Conſtruction eines 12 Cm. - Ringgeſchützes geführt haben. Man zog indeſſen vor, lieber sich mit einem etwas geringeren Maß in den genannten Richtungen zu begnügen und dafür ein noch recht handliches Geschütz zu erhalten. So entstand der verstärkte 12 Cm. , welcher bei dem früheren Rohrgewicht von 17 Ctr. eine Ladung von 1,5 K. (gegen 1,05 ), eine Langgranate von 15,1 K. (gegen 14,6) und eine Anfangsgeschwindigkeit von 326 M. ( gegen 282 M.) erhielt. Die Verstärkung bestand daher hauptsächlich in der Anwendung eines stärkeren Ver ſchluſſes (einfachen gegen Doppelkeil) und Verlängerung des Ladungsraumes. Hierbei sei auch gleichzeitig erwähnt, daß nach den Erfahrungen des Feldzuges, nach denen bei dem anhaltenden Feuer der schweren Geschütze mit starken La dungen der Doppelkeilverſchluß sich nicht hinreichend solide gezeigt hatte , auch die langen 15 Em . - Kanonen durchweg mit einfachen Keilverschlüssen versehen wurden. 3. Herstellung von Geschüßen , welche vorzugsweise für den indirecten Schuß befähigt sind. Fast in allen Staaten hat man in den letzten Jahren vorzüglich die Auf merksamkeit auf die Herstellung von Geschützen mit verkürzten Röhren gewendet und iſt in dieſer Beziehung der gezogenen Mörjer bereits Erwähnung geschehen. Aber gerade der große Nutzen und die Nothwendigkeit kurzer gezogener Kanonen ist im letzten Feldzuge recht hervorgetreten. Die Deutsche Artillerie disponirte damals nur über wenig kurze 15 Cm. , sie hat sich aber, nachdem die Nothwen digkeit einer ausgedehnten Anwendung des indirecten Schuffes so klar geworden ist, beeilt, eine größere Anzahl dieser Geschütze herzustellen. Frankreich besaß, da man bei den oben erwähnten Versuchen auf der Insel Air über die Bedeu tung des indirecten Schuſſes ziemlich klar geworden war, schon eine große Anzahl kurzer 15 Em. und hatte für seine Festungsbauten unter andern schon die Regel gezogen, daß man die Erdmasken näher an die Escarpen rücken müſſe , um letztere gegen den indirecten Schuß gezogener Geschütze zu decken. Da dies schon bei vielen Festungen ausgeführt ist, so kann das Mauerwerk der Escarpe nur unter steilen Einfallwinkeln gefaßt werden und bedarf man hierzu eines Geſchützes mit sehr biegsamer Flugbahn. Da die durch den indirecten Schuß zu zerstören den Ziele aber meist sehr große Festigkeit haben , so muß ein schweres Caliber in Anwendung gebracht werden; der kurze 15 Cm. ergiebt sich als ein durchaus diesen Bedingungen entsprechendes Geschütz. Durch Erfahrung iſt indeſſen feſt gestellt, daß die Endgeschwindigkeit seiner Geschosse mindestens 160 M. betragen

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muß, wenn dieselben hinreichend zerstörend wirken sollen , und es ergiebt ſich daher, daß, wenn die Verhältnisse des Zieles sehr große Fallwinkel (mithin kleine Ladungen und geringe Endgeschwindigkeit) verlangen , man sich nur durch ein größeres Caliber helfen kann. Auch von diesem Standpunkte aus ist man daher an die Construction einer kurzen 21 Cm. -Kanone, wie sie oben erwähnt ist, gegangen und da man annehmen muß, daß in Zukunft dem indirecten Schuß noch wider standsfähigere und besser gedeckte Ziele gegenüberstehen werden , als bisher, jo wird die in mehreren Staaten schon projectirte Einführung dieses Geschützes in die Belagerungstrains überall als nothwendig erkannt werden. 4. Vermehrung der Geschüße in den Belagerungstrains . Ueberall hat man erkannt, daß die früher veranschlagten Zahlen zu niedrig gegriffen waren , die Erfahrungen des Feldzuges zeigten dies auf das Klarſte und es haben sich in den Großſtaaten ziemlich gleiche neue Grundſäge heraus gebildet, indem man annimmt, daß man zwei Parks zu je 400 Geſchüßen be reit halten müſſe. Ueber die Zusammensetzung derselben für Preußzen , Dester reich und Rußland (dieſes nur für den Europäiſchen Kriegsschauplatz) geben die Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens rom . . technischen und administrativen Militair-Comité 1874 , II. Heft , folgende intereſſante Daten : Rusland Desterreich Preußen ―――- pCt. 15 Cm.- Ringgeschütze 6 pCt. *) 10 pCt. 15 20 " 15Cm. schwere (lange) Kanonen 11 25 35 30 • ?? " 15 Cm. kurze (leichte) Kanonen 12Cm. -Kanonen 10 30 " #! 9 Cm .-Kanonen resp. schwere Feld 20 "1 10 10 " geschütze 5 群 5 "1 10 !! 21 Cm.-Mörser (8Zöller) 5 5 !! 17 Cm. -Mörser (6Zöller) !! !! 10 10 " Schwere glatte Mörjer • 10 # 10 " 10 !! Leichte glatte Außerdem werden kurze 21 Cm.-Kanonen und gezogene 28 Cm.-Mörjer nach Erforderniß beigefügt. 5. Maßregeln zur Erleichterung der Anwendung des in directen Schusses . Wie oben gezeigt worden , war man sich zunächst darüber klar geworden, daß alle gezogenen Geschütze und nicht nur die vorzugsweise für den indirecten Schuß bestimmten, in die Lage kommen werden, indirect zu schießzen; man bat daher bei jedem Geschütz Mittel zu dem Zweck angebracht, das Richten und die Correctur beim indirecten Schießen zu erleichtern. Dieses Mittel besteht in der Anbringung zweier Scalen an der Laffete, die eine vorn unter der Achse, die an dere am Schwanzriegel. An denselben kann die Stellung des Geschützes auf der Bettung , welche den Scalen gegenüber ein Paar eiserne Krammen erhält, abgelesen und die Richtung bei den folgenden Schüssen hiernach firirt reir. corrigirt werden. 6. Aenderungen in der Laffeten - Construction resp. Neu Construction von Laffeten. Auf diesem Gebiete ist eben so rege Thätigkeit entfaltet worden , wie auf dem der Geschützrohr-Construction. Nachdem die Thatsache feststand, und durch

*) Muß wohl heißen 5 pCt.

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die Erfahrungen der Französischen Artillerie erhärtet war , daß die alten Laf fetenarten selbst in der Festung nicht wohl zu brauchen waren , mußte überall als erster Grundsatz festgestellt werden, daß die gezogenen Geschütze auf offenem Wall und in Belagerungs - Batterien nur in Laffeten von großer Feuerhöhe ge braucht werden dürfen. Demnächst mußte man die frühere Anschauung fallen laſſen , daß die Wallgeschütze weniger bewegliche Laffeten brauchen können , als diejenigen der Belagerungs- Artillerie; man hat daher für die ganze Festungs und Belagerungs -Artillerie Räderlaffeten mit eisernen Achsen und von möglichster Leichtigkeit als das Richtige angenommen. In Betreff der Einrichtungen zum Nehmen der Richtung hat man die vielfach sehr primitiven der früheren Festungs Artillerie gänzlich fallen lassen und der Präcision des gezogenen Geschützes ent= sprechend Richtmaschinen zur Anwendung gebracht , welche ein genaues Nehmen und Festhalten der Richtung ermöglichen. Nur das Französische Material, welches schon 1870 so erhebliche Mängel in dieser Beziehung zeigte, steht auch heute wohl noch darin zurück. Für die kurzen gezogenen Kanonen und Mörſer sind ihrem Gebrauch entsprechend Richtmaschinen in Anwendung gebracht, welche das schnelle Nehmen großer Elevationen noch besonders erleichtern. Die erwähnten wichtigen Aenderungen zwangen die meisten Staaten zu einer umfangreichen Neubeſchaffung von Laffeten , wobei die schnelle Erlangung der für die schweren Laffeten in großer Menge erforderlichen trockenen Hölzer Schwierigkeiten verursachte. Dazu kam die Erfahrung , daß die lange aufbe wahrten Laffeten von Holz , wenn sie in Gebrauch genommen wurden , sich oft nicht haltbar erwiesen und endlich hatte die Technik in der Erzeugung eiserner Laffeten so große Fortschritte gemacht, daß man sich diesen in letzter Zeit immer mehr zuwenden konnte. Außer diesen allgemeinen Fortschritten, welche in Bezug auf die Laffetirung in neuester Zeit gemacht wurden , sind aber mehrfache Neuconſtructionen für specielle Zwecke zu erwähnen. Als solche sind besonders hervorzuheben die Laffeten für gezogene Mörser, die Moncrieff-, Masken- und die Minimalſcharten Laffeten. a. Die Laffeten für gezogene Mörser , wie sie im letzten Feldzuge schon zur Anwendung kamen , haben zunächst die Eigenthümlichkeit , daß sie beim Schießzen auf der Sohle der Laffetenwände ruhen und durch eine einfache Vorrichtung nach dem Schießen sogleich auf die Räder gestellt werden können. Da bei allen Mörsern wegen der hohen Elevationen der Rückstoß die Laffeten sehr in Anspruch nimmt , so sind die gewöhnlichen Räderlaffeten , welche eine Unterstützung nur in 3 Punkten (durch die Räder und den Laffetenſchwanz) finden, nicht brauchbar; es muß vielmehr bei gezogenen wie bei glatten Mörjern die ganze Lafete auf der Bettung ruhen, um dem starken Stoße zu widerstehen. Um aber den ohne Räder sehr unbehülflich schweren Laffeten ein gewiſſes Maß der Beweglichkeit zu geben, ist an der Stirn der Laffetenwände je eine senkrecht stehende Schraubenspindel angebracht , an welchen die Achse mit den Rädern vermittelst des an jeder Seite befindlichen je einen Kurbelrades auf und nieder bewegt werden kann. Ist der Mörser daher auf die Bettung gefahren, so dreht man mittelst jener Räder die Achse in den Gehäusen so lange hoch , bis die Räder schweben ; nach dem Schießen senkt man dieselbe in gleicher Weise , bis die Räder aufstehen und die Laffete sich vom Boden hebt. Die zweite Eigen thümlichkeit ist die oben erwähnte Einrichtung der Richtmaschine. Zwischen den Laffetenwänden ruht in ziemlich horizontaler , nach hinten etwas ansteigender Richtung eine starke Schraube , welche am hinteren Ende ein Kurbelrad trägt.

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Auf dieser Schraube bewegt sich eine Mutter, welche mittelst eines eisernen Bügels mit dem hinteren Theile des Rohres in Verbindung gebracht ist und diesen somit abwärts resp . aufwärts zieht, wenn die in 2 Lagern ruhende Schraubenspindel durch das Kurbelrad in Bewegung gesetzt wird. b. Die Moncrieff , Masken- und Minimals charten - Laffeten sind durchweg aus dem Bestreben entstanden, die Geschütze möglichst dem äußerst präcisen Feuer der gegenüberstehenden gezogenen Geschütze zu entziehen. Die beiden erstgenannten jetzen zwar im Moment des eigenen Schusses das Geſchüß dem feindlichen Feuer aus , entziehen es demſelben aber unmittelbar darauf, je daß das Laden in gedeckter Stellung erfolgt. Bei den Minimalſcharten-Laſſeten bietet die Mündungsfläche des Geschützes zwar ein Ziel für den Feind , alle übrigen Theile des Geschützes und die Mannschaften sind während des Ladens und Schießens durch die Panzerungen , für welche diese Art Laffeten speciell bestimmt sind, gedeckt. Bei der Moncrieff- Laffete steht das Geschüß auf einem Rahmen mit ringförmiger Schwenkbahn ; der Rahmen ist auf einem Mittelpunkt drehbar und ruht vorn und hinten auf Blockrädern. Die Drehung erfolgt bei schweren Ge schützen mittelst Kurbel , indem Zahnräder in eine gezahnte Laufschwelle ein greifen. Das Obergestell des Rahmens besteht aus 2 geneigten Schienen , auf welche die Laffete mit Rollrädern beim Rücklauf hinabrollt. Diese hat zwei durch Riegel verbundene Wände und ruht mittelst einer vorn befindlichen Achsje in den beiden Elevatoren (Hub oder Wiegeſcheiben) . Dieselben sind als zwei hohle flache Blechkaſten construirt , welche nach hinten und unten (wenn das Geschütz in Feuerstellung steht) in Cycloidenform abgerundet sind. Der Rück stoß wiegt die Elevatoren aus der aufrechten Stellung in die liegende , wobei sie mit den flachen Vertiefungen an ihrem Umfange in die Zähne der Lauf schwelle greifen ; damit aber das Hinabgleiten allmälig und nach und nach die Bewegung immer langsamer erfolgt , ist ein Gegengewicht zwischen den Eleva toren angebracht, welches um etwas schwerer (17) ist , als das Rohrgewicht. Sowie die Kraft des Rückstoßes abprobirt ist, würde sich das Geschütz vermöge des Gegengewichts wieder in die Feuerstellung heben, wenn es nicht durch eine Sperrklinke an jeder Stelle festgehalten werden könnte ; ebenso kann man das Aufsteigen vermittelst einer Bremsvorrichtung stetig erfolgen , auch eine Ar retirung dabei stattfinden lassen. Die Bedienung des Geschüßes erfolgt in der gesenkten Stellung und wird das Rohr dann um etwa 1,25 M. in die Feuer stellung gehoben. Der Mechanismus dieses in England adoptirten Systems hat sich beim Schießen mit starken Ladungen , beim Schnellfeuer gegen feste und bewegliche Ziele bewährt und es wird dabei eine vollkommene Deckung gegen horizontales Feuer erreicht ; gegen verticales ist die Deckung weniger gut, weil das Geschüß sich etwa um 3 M. von der Brustwehr entfernt, doch ist die Bedienungsmannſchaft dadurch einigermaßen gesichert , daß das Geschütz hinter 3 M. hoher Brustwehr bedient werden kann. Auch in anderen Staaten hat man sich, und namentlich in America, riel fach mit Laffeten- Constructionen ähnlicher Art beschäftigt; in Deutschland wurde schon 30 Jahre vor Moncrieffs Vorschlag ein ähnlicher gemacht. In America sind verschiedene Masken - Laffeten vorgeschlagen und versucht worden , die meisten in den letzten 6-7 Jahren; davon ist ein Theil , namentlich die rem General de Bussy schon 1835 construirte Laffete, ganz mit den Moncrieff`jchen Grundsätzen übereinstimmend ; die genannte hat sogar in einigen Beziehungen Ferner erwähnenswerth ist die von Capitain King construirte Vortheile.

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Gegengewichtslaffete , dann eine Art Laffeten , bei denen das Gegengewicht wiederum aus Geschützen besteht , welche mit den in Feuerstellung befindlichen balanciren und durch eine Drehung mit diesen abwechselnd in die Feuer stellung gebracht werden können. Eine dritte Art besteht darin, den Rück lauf zu benutzen , um das Geschütz auf einem Rahmen (im Halbkreiſe) ſeitlich hinter eine Deckung laufen zu lassen. Endlich ist bei einer vierten Art (z . B. der im Jahre 1869 construirten Eads'ſchen Laffete) die Benutzung von Luft-, Wasser- oder Dampfdruck zum Heben und Senken des Geschüßes von beſonde rem Interesse , weil diese Methode auch in Rußland und Deutschland zur An wendung gelangt. Der Druck des nach dem Schusse sich senkenden Geschützes comprimirt vermittelst eines Kolbens die in einem Hohlcylinder befindliche Luft ; auf der anderen Seite des Kolbens entsteht ein luftverdünnter Raum und hier durch öffnet sich ein Ventil, durch welches Wasser einströmt und den Kolben in seiner Stellung , damit zugleich aber auch das Geschütz in seiner gedeckten Po sition festhält. Nach dem Laden öffnet man einen Hahn , welcher das ein geströmte Wasser auslaufen läßt , worauf der Druck der comprimirten Luft den Kolben wieder zurückſchiebt und damit das Geschütz wieder in die Feuerstellung Es ist dies hier geschilderte ein ganz ähnliches Princip, als das bei der demnächst zu erwähnenden Minimalſcharten -Laffete zur Anwendung gebrachte. Die oben erwähnten Monrieff'schen und ähnliche Laffeten erfordern für die Aufstellung viel Raum und geben keine Deckung gegen Vertical-Feuer, es mußten daher für die Drehthürme- und Panzercajematten andere Laffeten construirt werden, bei deren Gebrauch die Schartenöffnungen möglichst kleine Dimenſionen haben konnten. Bei diesen Minimalſ charten - Laffeten , welche nach der Gruson'schen und Wagenknecht'schen Construction namentlich in Deutschland und Rußland zur Anwendung gekommen sind, wird die größtmöglichste Deckung er reicht. Die Scharten dürfen nur so groß sein, daß der Kopf des Rohres hinein reichen kann, es muß aber alsdann der Drehpunkt des Rohres bei den zu neh menden Elevationen , welcher gewöhnlich in der Schildzapfenare liegt , auch in den Kopf verlegt werden (Mündungs- Pivotlaffeten). Bei dieser Lage des Dreh punktes bildet das ganze Gewicht des Rohres gleichsam das Hintergewicht und es gehört daher eine erhebliche Arbeitsleistung dazu, um das Heben und Senken des Rohres zu bewirken. Hierzu bedient man sich, während die Schildzapfen sich in 2 mit Schlitzen versehenen bogenförmigen Ständern auf- und abbe wegen , eines hydraulisch pneumatischen Apparates , der dem oben beschriebenen ähnlich functionirt. Das Rohr findet dabei außer dem Stützpunkte im Schild zapfenlager noch einen zweiten durch ein Hebelwerk, welches zwischen Schild zapfen und Pivot befestigt ist und in Thätigkeit tritt, sobald die Bewegung des Schildzapfenlagers beginnt. Diese wird durch ein hydraulisches Pumpwerk, welches von unten zwischen den Laffetenwänden befindlich ist , bewirkt ; zwei Kasten (Saug- und Druckpumpe ), durch Hebel in Bewegung gesetzt, füllen resp . leeren einen im vordern Bodenblech befindlichen hydraulischen Cylinder und be= wegen so den Kolben , der nun , mit Zapfen in einer Rinne geführt und mit dem Schildzapfenlager verbunden, dieses hebt und senkt. 7) Verbesserung der Leuchtwirkung. Die Versuche, aus dem gezogenen Geschütz ein Leuchtgeschoß zu schießen, sind vorläufig als aufgegeben zu betrachten, dagegen wird eine Verbesserung der Raketen angestrebt und ist zum Theil durch Herstellung solcher von größerem Caliber erreicht worden. Ein ferneres Mittel , die Tragweite derselben zn er

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höhen, scheint in der Erleichterung der Vorderbeschwerung zu liegen und werden die Resultate der hierüber zu machenden Versuche abzuwarten ſein. B. In Bezug auf das Material hatte somit der letzte Krieg gezeigt, daß man sich in der Deutschen Artillerie im Ganzen auf dem richtigen Wege be fand und es nur darauf ankam, dasselbe weiter auszubilden; nicht so in Bezug auf das Perſonal. In dieser Beziehung hat der Krieg allen Staaten ge zeigt, daß man durchaus neue Wege einschlagen müsse. Nur Frankreich , welches noch mit der Reorganisation seines Heeres beschäftigt ist und zunächst dabei noch dringendere Aufgaben zu lösen hat , ist in Bezug auf die Festungs und Belagerungs - Artillerie , wie in materieller , so auch in personeller Hinsicht zurückgeblieben. Deutschland dagegen konnte nach Abschluß des Friedens so gleich die bessernde Hand an die hervorgetretenen Mängel legen und deſſen be durfte es, wie gezeigt wurde, besonders in der Organiſation der Artillerie. Die völlig durchgeführte Trennung der Festungs- von der Feld- Artil lerie mußte als unerläßliche Bedingung hingestellt werden, wenn es der ersteren möglich werden sollte , ein gut geschultes Personal bei dem ev. Auftreten in Feindesland zur Verwendung disponibel zu haben ; namentlich ist ein solches an Offizieren und Unteroffizieren nöthig, wenn die immerhin nur schwachen Cadres, wie solche in allen Staaten für diese Waffe bestehen, nach ihrer Completirung in Kurzem etwas Tüchtiges leisten sollen. Dies muß aber jezt mehr als früher verlangt werden, weil diese Waffe aus einer Hülfswaffe zur entscheidenden Waffe im Festungskriege geworden ist ; das Schicksal der belagerten Festung wird jezt und in Zukunft von dem Ausgange des Geschützkampfes zwiſchen Vertheidi gungs- und Angriffs - Artillerie abhängen. Die hohen Anforderungen, welche mithin an die Waffe gestellt werden müſſen, laſſen ſich nur erreichen, wenn kein Wechsel der Offiziere von ihr zur Feld - Artillerie und umgekehrt stattfindet, namentlich nicht, wenn, wie dies früher vorkam , ein solcher Wechsel erst beim Ausbruch des Krieges eintrat. Ferner war es nöthig , die Organiſation ſo zu gestalten, daß die taktiſchen Einheiten nicht zerrissen werden und sind jetzt alle Einrichtungen getroffen, daß die Bataillone, oft sogar die Regimenter, in ihrem Friedens -Verbande bleiben können , wenn sie zur kriegerischen Thätig keit berufen werden ; die neu formirten Compagnien werden in sich alsdann wieder zu dem Verbände von Landwehr - Bataillonen vereinigt , von denen je eins aus den betreffenden Linien-Bataillonen formirt wird. Außer den Bestrebungen , die Qualität der zur Verwendung kommenden Truppe zu verbessern , hat man jedoch auch auf die Quantität Bedacht nehmen müssen, da auch diese sich nicht ausreichend erwiesen hatte. Preußen hatte im Jahre 1870 85 Compagnien Fuß- Artillerie und etwa die gleiche Zahl wurde neu formirt , aber selbst sämmtliche alte Compagnien hätten nicht einmal ausgereicht, um die Batterien vor Straßburg und Paris zu besetzen, denn man hat dort 962 Compagnien verwendet. Die übrigen kleineren Festungen haben noch über 100 Compagnien beansprucht, so daß, wenn nicht durch schnellen Fall einiger Festungen eine wiederholte Verwendung vieler Compagnien hätte ſtatt finden können, die gesammte Fuß- Artillerie , auch wenn kein Mann in den in ländischen Festungen zurückgeblieben wäre, nicht genügt hätte, die erforderlichen Truppen zu stellen ; mit Hinzurechnung der Badischen , Württembergischen und Bayerischen Compagnien würde die Zahl gerade ausgereicht haben. Im Uebrigen war erfahrungsmäßig keineswegs vor irgend einer Festung Ueberfluß an Fuß artillerie, meist wurde sie vielmehr erst nach und nach auf eine genügende Höhe gebracht. Im Durchschnitt kamen etwa 30 Mann auf das Geschütz und so wird

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es auch in Zukunft festgehalten werden müssen ; es kommt alsdann auf eine Batterie von 6 Geschützen eine Compagnie und es ist daher auch diese Batterie à 6 als Normal - Batterie festgesetzt worden, um so.den Dienstbetrieb mög lichst einfach zu gestalten. Wenn die Erfahrungen somit auf eine erhebliche Vermehrung der Festungs - Artillerie als wünschenswerth hinwiesen, so ist eine solche bei der Preußischen doch nicht eingetreten, wohl aber hat die Deutſche einen Zuwachs durch ein Sächsisches Fuß-Artillerie-Regiment erhalten , auch ist als solcher die nach Preußischem Muſter erfolgte Organiſirung von 2 Bayerischen Regimentern und 1 Württembergischen Bataillon zu rechnen. Auch die Zu ſammensetzung des Personals für einen ev. zu formirenden Belagerungstrain iſt erleichtert , nicht nur durch die eben berührte Organisation in Linie und Land wehr, wodurch es möglich wird , ganze Linien - Bataillone resp . Regimenter zur Begleitung eines solchen einheitlich zu verwenden, sondern auch durch die Auf stellung von Etats für größere oder kleinere Trains in allen Einzel heiten; namentlich ist auf eine sofortige Bereitstellung der für die Verwaltung der Parks und Leitung der artilleristischen Arbeiten erforderlichen Zahl von Offi zieren 2c. hinreichend Bedacht genommen. Ein weiterer Fortschritt, welchen die Organisation der Belagerungs -Artillerie gemacht hat , ist die Bereithaltung von Fuhrparks - Colonnen , um dem Belagerer das Heranschaffen von Be lagerungs-Material , namentlich von Munition auf Strecken , für die ihm die Eisenbahn und irgend welche Hände nicht zu Gebote stehen, per Achse möglich zu machen. Daß für die Munition gezogener Geschütze, welche für den Trans port eine rücksichtsvollere Behandlung verlangt, als früher die der glatten , es wünschenswerth ist, besonders construirte Behältnisse resp. Fahrzeuge zu haben, ist selbstverständlich und ist diesem Umstande daher auch Rechnung getragen worden. Endlich darf eine Maßregel , welche nach dem letzten Feldzuge in der Deutschen Fuß-Artillerie durchgeführt ist, nicht übergangen werden ; es ist dies die Bewaffnung derselben mit Gewehren, durch welche den oben berühr ten Uebelſtänden abgeholfen werden soll. Aber nicht nur in Deutſchland, ſondern auch in andern Staaten hat man ein offenes Auge für die zu Tage getretenen Mängel gehabt und fängt an, die Wichtigkeit der Fuß- Artillerie als Waffe für die zu erwartenden Kriegsereignisse richtig zu würdigen. In Rußland , wo allerdings die Festungs - Artillerie einer Reorganisation dringend bedurfte, ging man mit derselben schon 1870 vor, brachte sie aber nur etwa auf den gleichen Zustand , wie er damals noch in Preußen bestand. Es sollte hiernach jeder feste Platz eine bestimmte Anzahl von Compagnien , die je nach der Größe 150-300 Mann stark waren und welche im Kriege auf 3 resp. 400 Mann verstärkt werden sollten , erhalten ; auch wurde dabei die An zahl der Compagnien auf das Doppelte vermehrt. Neuerdings ist dagegen eine vollständige Reorganisation , welche sich den neuen Deutschen Einrichtungen anſchließt, angebahnt und sind die neuen Etats durch eine Commiſſion feſtge stellt worden. Die Festungs - Artillerie soll hiernach selbstständig und ganz unabhängig von der Feld - Artillerie dastehen, die Compagnien sollen zu Bataillonen vereinigt werden und keine Neuformationen zum Kriege mehr eintreten; die Cadres sind dann im Frieden vollständig vorhanden und setzen sich durch Einberufung von Completirungs -Mannschaften ( der Kriegsstärke) auf die Kriegsstärke. In Desterreich hatte man nach dem Feldzuge 1866 schon die Festungs Compagnien von den Feldregimentern getrennt und dieselben mit den aus der

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gleichzeitigen Auflösung des Küsten- Artillerieregiments erhaltenen Compagnien in Festungs-Bataillone formirt. Im Jahre 1871 erschien alsdann ein Orga nisations-Statut, welches die Zahl dieser Bataillone auf 12 und die Zahl der Compagnien per Bataillon auf 6 feſtſeßte , von denen die letzte auf den Cadre gesetzt ist. Dem 9. Bataillon sind 3 , dem 11. und 12. je eine Ge birgs - Batterie zugetheilt. Bei der Mobilmachung werden die Compagnien augmentirt und aus jeder Gebirgs-Batterie zwei Batterien à 4 Geſchüße gebildet. Die Vermehrung des Mannschaftsstandes in den Compagnien geschieht nach Maßgabe der vorhandenen Reservisten , so daß es keinen fest normirten Kriegsetat für die Bataillone giebt. Eine Ergänzungsabtheilung bleibt für jedes Bataillon , wenn deſſen Ausmarsch erfolgt, als Depot zurück. Auch Italien hat seiner Festungsartillerie eine der neuen Zeit entsprechende Organisation gegeben und dieselbe vermehrt. Sie besteht aus 4 Regimentern zu 15 Compagnien. Die Compagnie hat im Frieden 4 Offiziere, 100 Mann. Zwei Compagnien bilden eine Brigade, welche auf Kriegsstärke 13 Offiziere 407 Mann enthält, so daß in Summa die Stärke der Festungs - Artillerie sich jetzt auf 384 Offiziere 12,200 Mann beziffert. Bemerkenswerth ist , daß auch hier die Gebirgs - Batterien (6 der neuen 8 Cm. - Geschüße per Batterie) von den ersten Compagnien der Festungs-Artillerie-Regimenter bejezt werden. IV. Das hiermit gewonnene Bild von dem gegenwärtigen Zuſtande der Festungs- und Belagerungs-Artillerie zeigt , daß derselbe weder in materieller noch in personeller Beziehung völlig abgeschlossen ist und es liegt ſemit die Frage nahe , welche Perspective sich der Waffe demnächst eröffnet. In materieller Beziehung sind die Aussichten auf weitgreifende Verände rungen gering , da das in Deutschland , Rußland und zum Theil in Desterreich vorhandene Material nur der Ausbildung in einzelnen Richtungen noch bedarf, um für lange Zeit als mustergültig dazustehen. Diese Richtungen sind sub III. in der Hauptsache hinlänglich angedeutet, sie werden sich auf rationelle Fort und Durchbildung des Geschützſyſtems beziehen , indem sich für jedes Caliber, mit Ausnahme vielleicht des leichtesten , die Nothwendigkeit ergeben wird , die schon im glatten System vorhandenen Geschützarten - Kanonen, Haubißen und Mörser - auch im gezogenen als lange Kanonen , kurze Kanonen und Mörser herauszubilden , wie dies für das 21- und 28 Cm. - Caliber bereits ge schehen ist ; auch dem 15 Em. - Caliber entspricht ungefähr der in Desterreich ver handene 17 Em . -Mörser. Vielleicht , und dies wird die Zukunft lehren , kann das gezogene System mit zwei Arten auskommen und auf den Mörjer ganz verzichten, weil dessen Aufgaben von den kurzen Kanonen übernommen werden können ; es wäre dies ganz natürlich , weil zwischen ihm und diesen nicht der erhebliche Unterschied besteht, wie er im glatten System zwischen Haubigen und Mörsern vorhanden war. Dies liegt schon einfach darin, daß man im gezogenen System , der Natur der Sache nach , die Röhre nicht in dem Grade verkürzen kann , wie es bei den glatten Mörsern zulässig war. Im Vergleich zu dieſem werden die gezogenen Mörser immer ein verhältnißmäßig langes Rohr haben müſſen, weil sie ein Langgeschoß aufnehmen sollen und dieses im gezogenen Theile die Anregung zu einer stabilen Rotation erhalten muß , zu welchem Zwecke es einer gewissen Länge dieses Theils bedarf. Hierin liegt es , daß der Mörser der kurzen Kanone sehr nahe steht und möglicherweise entbehrt werden kann. In denjenigen Staaten, in denen zunächst noch ganz oder theilweise ein Vorderladesystem festgehalten wird und welche sich zum Theil noch bei Versuchen

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aufhalten , ein neues dem Gußſtahl gleichkommendes Rohrmaterial herzuſtellen, wird die Zukunft zunächst die Aufgabe haben, diese Wege als verfehlte erkennen zu lassen ; die Anzeichen mehren sich bereits, daß diese Anschauung durchzudringen beginnt. Den Anforderungen an Durchschlagswirkung , an Trefffähigkeit , an Tragweite , wie sie heutzutage an einen großen Theil der Festungs- und Be lagerungsgeschütze gestellt werden müssen, kann nur ein Hinterlader von Gußstahl genügen. Auf dem Gebiete der Laffeten-Construction wird man voraussichtlich auf den oben angedeuteten Wegen weitergehen , resp. werden die darin noch zurück gebliebenen Staaten auf denselben folgen ; es bietet sich in den nach dieser Rich tung zu erstrebenden Fortschritten ein reiches Feld, während kein Bedürfniß zum Aufsuchen neuer Wege vorliegt. Auch in der Geschoßfrage ist ein gewisser Abschluß erreicht, indem man für die jetzt maßgebende Construction der Hinterlader in Bezug auf die Geschosse die für die verschiedenen Aufgaben zweckmäßigen Constructionen festgestellt hat. Verbesserungen werden daher hauptsächlich noch in Bezug auf die Zünder (ver langſamte Percuſſionszündung, Schrapnelzünder mit doppeltem Sahring 2. ) und vielleicht in Bezug auf die Erzielung noch größerer Sprengwirkung durch An wendung neuer Sprengmittel ( Dynamit, naſſe Schießbaumwolle) statt des Pulvers in Aussicht stehen. Auch die Verbeſſerung der Leuchtwirkung und ihre Nußbar machung für das Erzielen eines präcisen Feuers bei Nacht, die Correcturen 20. wird noch als eine Aufgabe der Zukunft zu betrachten sein. Ein ungleich weiterer Horizont bietet sich dem Blick in die Zukunft der Festungs- und Belagerungs -Artillerie, wenn man auf ihre Organisation und ihre personellen Beziehungen eingeht. Während in materieller Be ziehung schon seit einem Jahrzehnt die Bemühungen der meisten Großſtaaten unausgesetzt auf Erreichung des Vorzüglichſten gerichtet sind, fieht man in per soneller und organiſatoriſcher Beziehung meist nur das als unentbehrlich Erkannte sich vollziehen und die durch Kriegserfahrung klar gelegten Mängel verbeſſern. Aber dabei kann es nicht bleiben , sobald überall die Wichtigkeit der erst jetzt zu einer ſelbſtſtändigen Waffe gewordenen Festungs- Artillerie für die Ergebniſſe der nächsten Kriege, sowohl was Feld- als Festungskrieg anlangt, richtig erkannt ist. Wenn dieselbe nicht, wie noch vielfach geschieht , zu den Besatzungstruppen gerechnet wird , während sie durchaus eine Art Feldtruppe werden muß , welche nur ihre Kriegsformationen (Landwehr-Bataillone) im Inlande und höchstens in den zunächst bedrohten Grenzfestungen, wie dies auch bei der Infanterie ge schicht, einige Linien-Bataillone zurückläßt, während alle übrigen mit der Armee mobiliſirt werden , dann werden sich auch die Bedingungen für die weitere Her ausbildung einer kriegstüchtigen Organisation für die neue Waffe ergeben. Um in solcher Weise indessen über sie disponiren zu können , würden die meisten Staaten die Festungs- Artillerie erheblich vermehren müssen , da sie gewöhnlich nur ausreicht , die festen Plätze zu besetzen und eine mäßige Anzahl von Com pagnien für einen ev. Belagerungstrain bereit zu stellen. Dies genügte vielleicht früher , schon im letzten Kriege genügte es nicht mehr und in Zukunft gewiß ganz und gar nicht. Die Armeen concentriren sich jetzt schnell, und bald schon folgen die erſten , oft für längere Zeit entscheidenden Schläge. Dann muß die Fuß- (Festungs-) Artillerie mit ihren Geschützen schon zur Hand sein, um an der Ausnutzung des Sieges mitzuarbeiten und vor Allem zu verhindern, daß unbedeutende Plätze für die Bewegung der Armee so hinderlich werden, wie sich vielfach gezeigt hat.

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Daß die Feld-Artillerie sich derartigen Aufgaben gegenüber meist ohnmächtig er wiesen hat, dafür giebt es viele Beispiele, und somit wird nichts übrig bleiben, als die Festungs-Artillerie entsprechend zu vermehren und ihr eine Organiſation zu geben, welche sie befähigt , in kürzester Frist mobil zu werden und mit den Belagerungsgeschützen der Feld-Armee sogleich zu folgen. Soll sie indessen die wichtige Aufgabe , die ihr vor den feindlichen Festungen zufällt , löſen, ſo darf sie nur aus vortrefflich ausgebildeten Leuten (Linien-Bataillonen) und eben jel chen Offizieren bestehen , ja für die höheren Offiziere wird es auch unerläßlich sein, daß sie nicht nur Artilleristen , sondern auch in der Truppenführung geübt sind , da es sich immer mehr als Nothwendigkeit herausstellen wird , daß die artilleristische und die Gesammtleitung einer Belagerung in einer Person und zwar in der des obersten Artilleristen vereinigt sein müssen. Ferner wird man sich der Ueberzeugung nicht verschließen können , daß der Festungskrieg ebenſo gut im Frieden vorbereitet sein kann und muß wie der Feldkrieg; es müssen vom Generalstabe alle Vorarbeiten für ersteren so gut als wie für letteren ge= macht und die Kriegstheater in Bezug auf den Festungskrieg vou einer Anzabl von Offizieren studirt werden, welche im Ernstfalle bei der Leitung der Belage rungen zu verwenden wären. Der größte Theil dieſer Generalstabs - Offiziere und der Leitende müßten der Natur der Sache nach der Fuß -Artillerie , als der Hauptwaffe für den Festungskrieg , entnommen sein , während vom Ingenieur Corps die übrigen , namentlich die mit Beschaffung der technischen Hülfsmittel Beauftragten, zu stellen bleiben. Bieten sich somit schon viele Wege dar, auf denen in Zukunft die Entwickelung der neuen Waffe fortzuschreiten hat , se sind dieselben damit noch lange nicht erschöpft, vielmehr wird sich immermehr die Ueberzeugung Bahn brechen, daß sie nicht nur in und vor Festungen aufzutreten hat, sondern daß ein Theil derselben zum Eingreifen in die Feld - Operationen berufen sein wird. Das Verlangen nach einer möglichst kräftigen Artillerie Wirkung wird im nächsten Kriege mehr wie jemals hervortreten , denn es wird sich auch in der Feldschlacht um das Nehmen oft sehr starker und künstlich be festigter Positionen handeln. Je beffer die Bewaffnung in den sich gegenüber stehenden Heeren ist, um so mehr wird das Bestreben vorwalten, sich zu decken, um so mehr wird man feste Positionen und Terraindeckungen aufsuchen, so daß die nächsten Kämpfe vorherrschend den Charakter von Positionsgefechten haben dürften. Zwei Mittel sind wirksam, um den Feind zum Verlassen der Position zu zwingen, das Hinaus - Manövriren und eine kräftige Artillerie - Wirkung. Das erste Mittel ist nicht immer anwendbar und wird bei der durch die jezt überall vorzügliche Infanterie-Bewaffnung enorm gewachsene Defensivkraft dieſer Waffe mitunter auch nicht zum Ziele führen ; es wird dann das Bedürfniß nach Positionsgeschützen hervortreten, wie sie einige Staaten schon als Theil der Feld Artillerie besigen. Die eigentliche Feld-Artillerie, deren Geschütze mit den ande ren Truppen im schwierigsten Terrain und in allen Gangarten operiren müfen, werden niemals eine so kräftige Wirkung haben können, wie ſie festen Poſitionen gegenüber wünschenswerth ist , daher müſſen , gewissermaßen als Reserve , Post tionsgeschütze schwererer Caliber, als die der Feld-Artillerie, besetzt von der Fuß (Festungs-)Artillerie , bereit sein , um auf gebahnten Straßen herangezogen und den starken Positionen des Feindes gegenüber placirt zu werden. Ebenso wich tige Dienste wie in der Offensive werden sie aber auch in der Defenſive leisten können , wenn es sich darum handelt, den Schlüſſelpunkt einer Stellung durch eine kräftig wirkende Geschützaufstellung zu verstärken; endlich wird die Besetzung eines rückwärts gelegenen Terrainabschnittes mit Positionsgeschützen, um

Entwickelung der Festungs- und Belagerungs -Artillerie.

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Aufnahmestellung für den Rückzug der Armee zu bilden, in solchem Falle von großem Vortheil sein. Sollten die hier angedeuteten Wege der Fuß - Artillerie eröffnet werden , so werden die bisherigen Bestrebungen der verschiedenen Staaten in Bezug auf die Organisirung der Festungs- Artillerie noch lange nicht genügen und zwar werden dieselben auch andere Bahnen wie bisher einschlagen müssen. Durch die in Deutschland , Rußland , Desterreich 2c. durchgeführte vollständige Trennung von der Feld-Artillerie ist sie zwar erst befähigt, Bedeutendes leisten zu können, aber andererseis läßt die Trennung, wenn sie längere Zeit besteht, erwarten, daß kein Personal vorhanden sein wird, welches für die Besatzung von Positions -Batterien, die mit den Feldtruppen ausrücken sollen, geeignet ist. Soll daher die Fuß Artillerie in der oben angedeuteten Richtung im Felde Verwendung finden, so muß man ihr schon im Frieden wieder die Disposition über Pferde geben, deren sie doch auch im Kriege bei ihrer Thätigkeit, in welcher Richtung sie auch statt finde , stets bedarf: in der Festung zur Armirung und bei den Ausfallbatterien, vor der Festung für die Fuhrparks - Colonnen und Geschütztransporte nach den Batterien 2c. Nur wenn die Festungs-Artillerie über Pferde disponirt, kann das Perſonal in den Armirungsarbeiten und dem Transport der schweren Geſchüße geübt und ausgebildet werden und wenn dieselben bei der Mobilmachung vor handen sind , so gewährt dies den Vortheil , daß sie den Stamm für die Fuhr parks-Colonnen , für Ausfallbatterien (diese von der Festungs -Artillerie ſtatt von der Feld-Artillerie zu stellen, würde vorzuziehen seiu) und namentlich für die ev. sogleich ins Feld rückenden Positionsbatterien bilden können. Auf diesem Wege find Bestrebungen noch in keinem Staate zu verzeichnen , nur in Deutſchland könnte man die kürzlich bestimmte Ueberweisung einiger Gespanne an die Artillerie Depots als einen Anfang bezeichnen. Die weitere Ausführung einer Organi sation, welche den auf den letzten Seiten gegebenen Andeutungen entſpräche, kann nicht Aufgabe dieſer Blätter ſein, vielleicht aber wird einer der nächsten Jahresberichte in dieser Richtung Fortschritte, welche am meisten geeignet wären, der Festungs-Artillerie eine große Zukunft zu eröffnen, zu verzeichnen haben. W.

Bericht über die Entwickelung der Küsten-Artillerie.

In der Sitzung des Deutschen Reichstages vom 4. December 1874 wurde der von der Regierung vorgelegte Antrag auf Vermehrung der 3 Compagnien See-Artillerie auf 8 abgelehnt , und ist es wohl nur dem Umstande , daß diese 3 Compagnien einen so verschwindend kleinen Theil der großen bewaffneten Macht Deutschlands bilden, zuzuschreiben, daß diese Ablehnung selbst in weite ren militairischen Kreisen auffallend wenig Gegenstand der Besprechung gewor den ist, ja segar kaum besondere Aufmerksamkeit erregt hat ; und doch hat mit diesem Antrag die Regierung einen Gegenstand zur Sprache gebracht , welchen in seiner ganzen Bedeutung nur diejenigen zu würdigen vermögen , welche der

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Entwickelung der Deutschen Küstenvertheidigung von den ersten Verſuchen einer Bewaffnung der Küste und des dasselbe umspühlenden Elements an, bis auf den heute erreichten Standpunkt derselben, mit dem verdienten Interesse gefolgt sind. Aber auch dieses Intereſſe hat sich mit einer gewiſſen Partheilichkeit her vorragend für denjenigen Theil der Küstenvertheidigung geltend gemacht, welcher, wie die Ausfalltruppen eines befestigten Platzes , als Ausfallflotte eine active Verstärkung derselben zu bewirken bestimmt war und der , da auch die Volks vertretung der Entwickelung desselben genügende materielle Unterstäßung zu Theil werden ließ , rasch heranwuchs und seine Lebensfähigkeit weit über seine ursprüngliche Bestimmung hinaus zu beweisen Gelegenheit fand. Es ergab sich hieraus unmittelbar, daß der paſſive Theil der Küstenvertheidigung, die Bewaſſ nung und Armirung des Strandes, bei Weitem übersehen und nur mit unter geordnetem Intereſſe beachtet wurde , obwohl derselbe keine geringere Aufmerk samkeit verdient; und halten wir uns daher für verpflichtet, durch eine allgemeine Darstellung der Entwickelung der Küsten - Artillerie diesem Gegenstand die verdiente Würdigung zu Theil werden zu lassen. Bis zu dem Zeitpunkt, als die ersten Anfänge einer Preußischen oder Deut schen Marine die Bewachung und den Schuß der Küsten zu übernehmen berufen wurden, bestand keine anderweitige Vertheidigung derselben , als die , welche die Geschütze der Artillerie-Besatzungen der Seefeftungen gegen allzu dreiſte Blocade schiffe oder deren Landungsversuche zu gewähren im Stande waren. Die See festungen waren zu diesem Zweck außer mit den damals gebräuchlichen noch glatten Festungs- und Belagerungsgeschützen, unter denen der lange 24 Bfünder eine Hauptrolle spielte , noch mit der 25pfündigen und 50pfündigen Bemben kanone ausgerüstet und galten diese beiden Letzteren mit vollem Recht für die gefährlichsten Feinde der ja nur zu erwartenden Holzschiffe. Denn während die Vollkugel der langen Kanonen nur ein leicht zu verschließendes Loch in den Schiffskörper erzeugte, riß das Sprenggeschoß der Bombenkanonen weite Deſſnun gen, zerstörte durch Brand und verbot somit den feindlichen Schiffen Annäbe rungen bis auf 5000 Schritte. Aber auch der 24Pfünder und ſelbſt der 12 Pfänder vermehrten die Gefährlichkeit ihrer Geschosse , indem sie dieselben auf den Glühofen legten, und erreichten damit, wie wir bei Eckernförde geſehen, ansehnliche Erfolge. — Auf diese Verhältnisse hatte zunächst die Gründung der Flotte keinen verändernden Einfluß , dagegen machte sich in anderer Art ein Bedürfniß geltend, welches weitere Folgen nach sich ziehen sollte. Die für die Kriegsflotte einberufenen Matrosen der Handelsschiffe zeigten in der ersten Zeit wenig Lust und noch weniger Geschick für die Ausübung des Artilleriedienstes auf den Schiffen, und reichten besonders bei Weitem nicht aus, um das stets bereit zu haltende Munitionsquantum für die in Dienst zu stellen den Schiffe anfertigen zu können. Man beschloß daher, wie dies in den meisten andern Kriegsflotten der Fall war , ein Artillerie- Corps zu bilden , welches die Matrosen sowohl von einem Theil der artilleristischen Arbeiten entlasten , als anderſeits auch die Bedienung der Geschütze auf den Küſtenfahrzeugen und Kanonenbooten übernehmen sollte. Ob, wie von einigen Seiten behauptet wurde, bei der Gründung dieses Corps die Absicht vorgelegen hat, die Matrojen von der Bedienung der Schiffs geschütze zu befreien und dieselben allein auf ihre eigentliche Berufsthätigkeit anzuweisen , muß bezweifelt werden ; denn es hat sich herausgestellt, daß auf Seeschiffen nur diejenigen Mannſchaften mit Sicherheit und Ruhe die Verrich tungen am Geschütz vorzunehmen im Stande sind, welche auf dem schwankenden

Entwickelung der Küsten-Artillerie.

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Boden daselbst vollkommen ſich heimisch wiſſen ; auch wurde mit der alleinigen allgemeinen Umwandlung der Segelschiffe in Dampfschiffe und der dadurch ein tretenden Erleichterung des Dienstes der Matroſen dieſe Maßregel überflüssig. Es wurde somit im Jahre 1857 eine Compagnie See-Artillerie und zwar aus Abgaben der bereits bestehenden zwei See-Infanterie- Compagnien und der Festungs- Compagnien des damaligen 1. und 2. Artillerie - Regiments formirt und derselben Danzig als Garnison angewiesen. Die dienstliche Thätigkeit dieser Compagnie bestand, wie beabsichtigt, in der Bedienung der Geschüße auf den Küsten und den Kanonenbooten sowie auch, da hier die Caliber nicht voll zählig vertreten waren, auf den größeren Schulschiffen. Da die See-Artillerie zugleich bestimmt war , die Strandbatterien zu beſehen, und dieſe damals nur mit den eben erwähnten Geschützen der Festungs- Artillerie ausgerüstet waren, ― so mußte auch an diesen erercirt werden. Daß außerdem der Compagnie die Anfertigung der ganzen Munition für die Schiffsgeſchüße und alle hierher gehörigen artilleristischen Arbeiten zufielen, lag ebenfalls in dem Plan ihrer Entstehung be gründet. Erwähnung verdient hier noch, daß die Annahme der Möglichkeit, die Strandbatterien fönnten von feindlichen Landungstruppen angegriffen wer den, die Bewaffnung der See = Artilleristen mit Zündnadelgewehren zur Folge hatte und wir somit hier zum ersten Male der erst vor Jahresfrist auch in der Festungs-Artillerie durchgeführten Idee von der Nothwendigkeit einer derartigen Bewaffnung der Fuß -Artillerie begegnen. Es lag in der Natur der Sache, daß die See- Artillerie, welcher die De fensive im Küstenschuß überwiesen war, derselben Oberbehörde, der Admiralität, unterstellt werden mußte, welcher die Leitung der Küstenvertheidigung überhaupt anvertraut worden war, damit die Maaßnahmen der defensiven wie offensiven Thätigkeit derselben von einer gemeinsamen Spitze ausgehen konnten . Bei der eintretenden Vergrößerung der Marine erwies sich sehr bald die eine Compagnie als nicht ausreichend und wurde daher schon im Jahre 1859 eine zweite Compagnie aus Abgaben der ersten und der See-Infanterie formirt und derselben Stralsund als Garniſon und Uebungsplatz angewiesen. Wäh rend dieſer und in der nächsten Folgezeit stellte sich heraus , daß die an die Thätigkeit der See-Artilleristen gestellten Anforderungen, zumal zu den bisheri gen Uebungen noch die Ausbildung im Rudern und Bootführen beigefügt wor den, unbedingt zu hoch geschraubt waren ; zudem hatte sich das Vertrautsein der Matrosen mit dem Flottendienst derartig entwickelt , daß diese nicht nur den Artilleriedienst auf den Schiffen willig , sondern auch mit entschiedenem Geſchick zu übernehmen im Stande waren. Es wurde sonach jetzt rathsam, die See Artillerie wieder zu entlasten und geschah dies dadurch, daß das vermehrte Ma trosencorps nunmehr die Bedienung aller Schiffsgeschütze d. h. also auch der Kanonenboote u. s. w. übernahm und die See- Artillerie somit nur zur Bedie nung der Geschütze der Strandbatterien verwendet werden sollte, wobei derselben jedoch die Anfertigung der Munition für die Marine nach wie vor verblieb. Die mit dem Jahre 1860 in größerem Maßstabe beginnende Einführung der gezogenen Geschütze, welche natürlich mit ihren größten Calibern sofort für die Flotte in Aussicht genommen wurden , brachte für die See - Artillerie eine neue Thätigkeit, indem ihr die Aufgabe zu Theil wurde , mit den für die Flotte be stimmten Geschützen Schießversuche und andere Proben vorzunehmen , und sich zugleich selbst für deren Verwendung in den Strandbatterien mit denselben ge hörig vertraut zu machen. Aus dem hier Ausgeführten ist wohl zu ersehen , daß die Verstärkung, 39 Militairische Jahresberichte 1874.

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welche die Küstenvertheidigung der Land-Artillerie durch diese beiden Compagnien erhalten hatte, nur eine äußerst geringe sein konnte; es lag aber auch vorläufig noch kein Bedürfniß vor , aus dieſem Grunde die See-Artillerie zu vermehren, denn die Festungs -Artillerie war mit den ihr damals übermittelten gezogenen 12 und 24Pfünder-Kanonen , wie die im Jahre 1860 angestellten Versuche ergeben hatten , vollkommen im Stande gegen feindliche Holzſchiffe auf 5000 resp. 4000 Schritt auf befriedigende Wirkung rechnen zu können. So sehen wir auch in der That während des Krieges mit Dänemark die gegen Blokade schiffe mit den genannten gezogenen Kanonen armirten Strandbatterien und Bastione bei Memel, Pillau, Neufahrwaffer, Colberg, Swinemünde und Stralsund nur von Land-Artilleristen besetzt, während die See-Artillerie in Stralsund und Danzig, über ihre eigentliche Bestimmung nun erst recht im Unklaren , für den sich oft ziemlich weit hinaus wagenden offensiven Küstenschutz die erforderliche Munition besorgen und andere artilleristische Hülfsarbeiten vornehmen mußte. Es war also auch nicht das Bedürfniß nach einer Vermehrung der Küsten Artillerie, zufolge welcher unmittelbar nach dem Kriege noch eine dritte Compagnie See- Artillerie aus den beiden vorhandenen formirt wurde , sondern vielmehr die mit der wiederholten Vergrößerung der Flotte zugleich gesteigerte Vermehrung artilleristischer Hülfsarbeit für dieselbe. Da sich während des Dänischen Krieges von Seiten der Land -Artillerie einige günstige Wirkungen vom Strande aus feindlichen Schiffen gegenüber nachweisen ließen, so würde die herrschende Ansicht, diese jei vornehmlich bei der Vertheidigung der Küsten mit Vortheil zu verwenden , noch lange keinen Stoß erlitten haben, wenn sich nicht inzwischen vom Auslande her ein Wettstreit eigenthümlicher Art entwickelt hätte, welcher, wenn er auch bis auf den heutigen Tag noch zu keiner definitiven Entscheidung geführt , dennoch geradezu alle Verhältnisse der Küstenvertheidigung einer energischen und bedeutsamen Umwälzung entgegen zu führen versprach. Während des Krimkrieges nämlich hatte Frankreich nach verſchiedenen Miß erfolgen der vereinten Englischen und Französischen Flotte vor Russischen Küften befestigungen drei gepanzerte schwimmende Batterien erbauen lassen und zur Beschießung der Festung Kinburn in das Schwarze Meer gesendet. Der Erfolg dieser Beschießung war ein überraschender, indem diese Batterien, ohne von den schweren Russischen Geschützen auch nur den mindesten Schaden gelitten zu haben, auf 2500 Schritt die Festungswerke zerstörten und den größten Theil dieſer Geschüße demontirten, und somit den Beweis von der unzweifelhaften Ueberlegen heit gepanzerter Fahrzeuge über die Küsten-Artillerie lieferten. Die nächste Folge hiervon waren weitere eingehende Versuche der Franzosen und bald auch der Engländer, um die Anwendbarkeit der Panzerungen auch für die ſeefähigen Kriegsschiffe zu prüfen. Als auch diese Versuche in Frankreich mit dem Bau der Panzerfregatte la Gloire" , wie in England mit dem des „ Warrior" von glänzendem Erfolg gekrönt wurden, begann auch die Artillerie mit Versuchen, um diese Panzerungen, welche bis jetzt nur eine Stärke von 4/2 Zoll erreicht hatten, zu zertrümmern oder zu durchschlagen. Die glatten Geschütze, selbst die größten Caliber, hatten sich bereits als ungenügend für diesen Zweck erwiesen, und mußten demzufolge die etwa zu gleicher Zeit in Aufnahme gelangten gezogenen Geschütze ihre Kräfte erproben. Somit begann jetzt ein energischer Kampf zwischen Artillerie und Panzerung zunächst mit der größten Lebhaftigkeit in England und Frankreich, sodann in Nordamerica, bald auch in Deutschland und Rußland, bis er sich über alle Staaten der civilisirten Welt verbreitete. Ohne

Entwickelung der Küsten-Artillerie.

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im Speciellen alle Einzelheiten der Erfolge auf der einen oder der andern Seite hier aufzuführen, muß von der Durchführung dieses Kampfes oder besser Wett streites wenigstens der allgemeine Verlauf skizzirt werden , um dadurch in den Stand zu setzen, sich ein Urtheil zu bilden, sowohl über das bis jetzt Erreichte als besonders über das wahrscheinliche Endresultat desselben. Dies erscheint um so wichtiger, als eigentlich jeder der im Wettstreit begriffenen Theile, die Artillerie und die Flotte, den Sieg als auf ihrer Seite bereits errungen betrachtet. Beab sichtigt wird auf der einen Seite, eine derartige Widerstandsfähigkeit herzustellen, daß die Wirkung des Gegners fich machtlos erweisen soll , während auf der andern Seite diese Wirkung derartig vergrößert wird , daß sie den Widerstand vernichten kann. Während diese Absicht Seitens der Flotte durch Herstellung von Panzerungen von vermehrter Stärke und Verbindung derselben mit Fütte rungen der härtesten Holzarten zu erreichen erstrebt wurde , suchte die Artillerie ihre Wirkung ebenfalls zu steigern. Anfangs geschah dies durch Verstärken und Vergrößern der Caliber, sodann durch Verbesserungen der Construction derselben, so daß größere Ladungen anwendbar wurden; als aber auch hier die Grenze der Brauchbarkeit in der Schwere und Unbeholfenheit der Geschütze erreicht wurde, schritt man zur Verbesserung der Ladung durch Pulversorten , welche, ohne die Wirkung zu verringern, an Offenſivität nachließen , sowie zur Vermehrung der Durchschlagsfähigkeit der Geschosse durch Vervollkommnung derselben in Form und Härte, so daß ein machtloses Zerschellen der Geschosse an den Panzerplatten in Folge des heftigen Anpralles nicht mehr alle übrigen Verbesserungen nuglos werden ließ . Gerade dieses letzte Kampfmittel, von Preußen durch die Grüsonsche Hartgußgranate zuerst in die Arena geführt , hat zur Folge gehabt , daß im Verein mit der Umringung der Geschütze in Deutschland die Caliber im Ver hältniß zu ihrer Wirkung bedeutend vermindert werden konnten , und somit die Aufstellung der durchschlagfähigsten Geschütze hier keine allzu großen Schwierig keiten mehr bietet. Hiernach scheint sich das Uebergewicht auf die Seite der Artillerie zu neigen , um so mehr, als der Vermehrung der Panzerstärke der Kriegsschiffe durch deren Seefähigkeit und verminderte Beweglichkeit sehr bald eine Grenze gesetzt wird, und es schon zweifelhaft erscheint, ob man im Stande sein wird, Panzerungen von 16 bis 18 Zoll Stärke zur Anwendung zu bringen, während Krupp in Effen bereits ein Geschütz (46 Cm . -Ringkanone) in Con struction genommen hat, welches auf 2900 Meter eine Panzerplatte von 18 Zoll zu durchschlagen im Stande sein soll. Freilich darf bei dieser Betrachtung ein Umstand nicht außer Acht gelassen werden, welcher wiederum den Kriegsschiffen entschieden zum Vortheil gereicht ; es ist dies die Beweglichkeit derselben, welche einerseits das Schießen gegen dieselben beträchtlich erschwert und sodann es den Schiffen möglich macht, sich die Diſtanz , auf welche sie beschossen werden und selbst schießen wollen , wählen zu dürfen. Kein Kriegsschiff, ob gepanzert oder nicht, wird sich, seiner Schwäche bewußt , ohne Noth früher in das wirksame Feuer der feindlichen Artillerie begeben, bevor es nicht durch das eigne dasselbe gehörig zum Schweigen gebracht hat, und wird somit das denkbar wirkjamste Geschütz nicht mehr Erfolg haben können , als daß es die feindliche Angriffs flotte zwingt, ihr Feuer auf größere Entfernungen gegen die Küsten und deren Bewaffnung zu eröffnen. Andererseits wird aber zuletzt die Flotte Landungen bewirken oder Einfahrten erzwingen, und sich somit demnach in den gefährlichen Schußbereich der Küstengeſchüße begeben müſſen. In der Erkennung des hierzu geeigneten Moments durch die Flotte oder in dem rechtzeitigen und nach vor bereitetem Entgegentreten der Artillerie, mit einem Wort in der geschickten An 39*

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wendung einer richtigen Küstentaktik, wird , wie dies auf jedem Gefechtsfelde geschieht, die Entscheidung sich ergeben, welchem Theile der Sieg und somit das Uebergewicht anzuerkennen sein wird. Nach dieser für das Verständniß der ferneren Entwickelung der Küsten Artillerie nothwendigen Abschweifung kehren wir zu derselben zurück. Der See-Artillerie , welche inzwischen nach Wilhelmshafen und Friedrichs ort bei Kiel verlegt worden, war während der Zeit des geschilderten Wettstreites die Aufgabe zu Theil geworden, die zur Einführung in der Marine beſtimmten, in Berlin versuchten Geschüße auf ihre praktische Verwendbarkeit , Aufstellung, Handhabung und Bedienung eingehender zu prüfen. Es waren dabei 12, 15, 21 , 24, 26 und 28 Em. Caliber in Betracht gezogen worden, von denen ſchließ lich als für die Zwecke der Küsten-Artillerie geeignet , nur die 15, 21 und 28 Cm. Ringkanone ausgewählt und beibehalten wurden. In der neuften Zeit ist diesen Geſchützen noch der 21 Cm. Mörser, als geeignet zum Beſchießen des Decks der Schiffe als dem schwächsten und verwundbarsten Theil derselben, beigefügt worden ; doch sind die Versuche mit diesem Geſchüß noch nicht so weit abgeschlossen, daß dessen Ueberweisung bereits hat erfolgen können. Mit den 3 genannten Calibern wurden zunächst die Befestigungs -Anlagen der Hafenpläge armirt und ergab sich als nächste Folge davon , daß die mit deren Bedienung bereits vollständig vertrauten See-Artillerie- Compagnien ausschließlich zur Aus bildung an denselben bestimmt wurden und somit als eigentliche Küsten Artillerie zu betrachten sind. Es unterliegt auch keinem Zweifel , daß mit dieser Klarlegung der Verhältnisse der See- Artillerie eine vortheilhafte Neuerung geschaffen worden. Erstlich erleichtert die Unterstellung derselben unter die Admiralität alle Uebungen der Küsten-Artillerie , welche im Verein mit den Mitteln der Marine unternommen werden mußten ; es beansprucht nämlich der richtige Gebrauch der Küstengeschütze wenigstens einige allgemeine nautische Kenntnisse , z . B. von der Beschaffenheit und Beweglichkeit der Schiffe , als voraussichtliche Ziele , sogar von der Taktik der Flotte, ferner Verständniß für das Fahrwasser, die Tiefen und Untiefen in der Nähe der Küsten. Zweitens verlangte die Eigenthümlichkeit der meist colossalen Geschütze und deren künstliche Laffetirung, sowie die Handhabung derselben mittelst complicirter Maſchinen, als hydraulischer Hebezeuge für bedeutende Lasten u. s. w. die eingehendſte , aus schließliche Thätigkeit und Beschäftigung mit diesen Gegenständen, wodurch es nothwendig werden mußte, daß jeder Dienst , welcher sich auf die Bedienung der Geschütze der Land-Artillerie bezog, der See- Artillerie abgenommen wurde. Diese Anordnung war um so nothwendiger, als außer dem erforderlichen Zeit gewinn der wichtigste Dienstzweig jeder Artillerie , nämlich das Schießen aus Küstengeschützen, hauptsächlich nach sich bewegenden Zielen, nach anderen Brin cipien geschehen muß, als solche sich bei der Land-Artillerie nach unbeweglichen Zielen geltend machen. - Es beansprucht also auch das Schießen an der See eine von Grund aus andere Ausbildung , zu der noch Messungen von Entfer nungen mit Anwendung von Instrumenten und Apparaten gerechnet werden müſſen , die allein schon weitgehende Forderungen an die Geschicklichkeit und Intelligenz der damit Beauftragten stellen. Diese Art der Ausbildung hatte bereits nach einer dreijährigen Thätigkeit einen hinreichenden Grad der Vollkommenheit erreicht, als der Krieg von 1870 die See-Artillerie unerwartet zum ersten Male berief, den bedrohten Strand durch Aufstellung der ihr überwiesenen Geschütz- Coloſſe zu sichern. Da aber die geringe Anzahl der See - Artilleristen selbstverständlich

nicht

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ausreichte , um die ganze 170 Meilen lange Deutsche Küste gegen einen mög lichen Angriff der feindlichen Flotte zu armiren, mußte den alten Grundsäßen gemäß , die Land- Artillerie mit ihren gezogenen 12 und 24 Pfünder- ( 12 und 15 Cm.) Kanonen Unterstützung gewähren und sehen wir demzufolge die Artillerie Compagnien in den Küsten-Provinzen in der Armirung der Seefeſtungen und Strandbatterien eine lebhafte Thätigkeit entwickeln. — Es war vielleicht ein Glück für die Deutschen Küstenprovinzen, daß sich an keiner Stelle derselben ein Kampf zwischen der feindlichen Flotte und der Deutschen Artillerie entwickelte und somit auch kein maßgebendes Urtheil über die Ueberlegenheit der einen über die andere auf einem ernsthaften Versuchsfelde herbeigeführt werden konnte, wir würden dann vielleicht schon früher in schmerzlicher Weise zu der Ueber zeugung gelangt sein, daß nur eine Armirung der Strandbefestigungen mit den mächtigsten Calibern im Stande ist, den mit Panzerschiffen versehenen Feind in ―――― respectvoller Entfernung zu halten. Diese Ueberzeugung hat nunmehr dazu geführt , die Aufstellung der drei Arten der oben genannten Ringgeschüße in allen wichtigen Küstenbefestigungen anzuordnen und ist demzufolge von dem für die Marine von der Volksver tretung bewilligten 68 Millionen die Summe von 25 Millionen für den Ausbau und die Einrichtung derselben zur Aufnahme dieser Geschüße beſtimmt worden. — Die hier erforderlichen Arbeiten sind energisch in Angriff genommen worden und da auch mit der Herstellung der Geschütze rüstig vorgegangen wurde , so konnte schon im Jahre 1874 den wichtigsten Küstenplätzen ein großer Theil der Ge schütze überwiesen und eine Quote derselben sogar aufgestellt werden. --- Es handelte sich hierbei zunächst nur um 15 und 21 Cm.-Ringkanonen , da die 28 Em.-Kanone noch nicht in der genügenden Anzahl von Exemplaren fertig gestellt worden ist. Diese Geſchüße werden in eigends für dieselben von Krupp und Grüſon construirten und gefertigten Laffeten, welche ein Feuern über Bank und somit das Bestreichen eines weiten Gesichtsfeldes gestatten, aufgestellt. Als Geschoffe dienen Hartguß- und gewöhnliche Granaten und zu den Ladungen prismatisches Pulver. Die Aufstellung geschieht auf starken gemauerten Unter bauten und werden die Brustwehren der Batterien bedeutend verstärkt und an besonders gefährdeten Stellen sogar mit Panzerungen versehen. Sobald die Versuche mit dem 21 Cm.-Mörser beendet sein werden, ist auch die definitive Einführung dieses Geschützes für die Küstenfestungen in Aussicht genommen. In Bezug auf das Material der Küstenvertheidigung ist sonach vorläufig jeder Zweifel gehoben. Dasselbe kann aber keineswegs in Bezug auf das Per sonal gesagt werden. Die 3 Compagnien See-Artillerie reichen , wie bereits gezeigt worden, kaum zur Besetzung der Befestigungen ihrer Garnisonplätze aus, und die Land-Artilleristen sind in der Bedienung der Küstengeschüße nicht aus gebildet. Geschütze ohne ausgebildete Bedienung aber sind nur als werthloser Ballast zu betrachten , als Körper ohne Seele. Bei der Energie , mit welcher sich die Gegner Deutschlands in den Jahren 1870 und 71 für einen Revanche krieg auch von der See her vorbereiten , erschien aber noch auf Deutscher Seite dringend die Ausfüllung dieser noch vorhandenen bedenklichen Lücke in der be waffneten Macht geboten. Diesem dringenden Bedürfniß abzuhelfen, beantragte die Regierung des Deutschen Reiches die Vermehrung der See - Artillerie in bekannter Weise. Da aber diese Vermehrung , selbst wenn Aussicht auf Ge= nehmigung des Antrages vorhanden gewesen wäre, immer erst hätte im Jahre 1875 zur Ausführung gelangen können und erst nach Vollendung derselben die zeitraubende Ausbildung beginnen konnte , so war für den Zeitraum von 1 bis

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2 Jahren noch immer nicht mit Sicherheit auf die Beseitigung der Schutz losigkeit der Deutſchen Küſten zu rechnen. Außerdem mußte aber auch vorſorglich die Möglichkeit einer Ablehnung des Antrages in Betracht gezogen werden. Dieser Möglichkeit und jenem Uebelstande baldigst zu begegnen, wählte man den Ausweg , bereits im Frühjahr 1874 die Ausbildung der 9 Bataillone der in den Küsten-Provinzen garnisonirenden 2. Fußartillerie-Brigade in der Be dienung und Handhabung der neuen Küstengeschüße anzuordnen und durch dieje sogleich die Aufstellung der bereits überwiesenen Geschüße vornehmen zu laſſen. Da aber im Frühjahr die Ausbildung der Fuß -Artillerie in der Bedienung der Belagerungs- und Festungsgeschütze noch nicht vollendet war und außerdem auch noch keineswegs die Einrichtungen in den Strandbatterien so weit ausgeführt waren, daß der obigen Anordnung vollständig hätte entsprochen werden können, so wurde dies bis zum Herbst des Jahres 1874 hinausgeschoben. Die Absicht war hierbei , im Fall der Annahme des Antrags sogleich ein für die Küsten Artillerie bereits vorbereitetes Personal zu besitzen, durch welches die Ver mehrung der See- Artillerie bewirkt werden konnte , oder in dem bekanntlich nunmehr eingetretenen Falle der Ablehnung, eine Truppe bereit zu haben, welche durch ihre Ausbildung befähigt, im Falle der Noth die nicht vorhandene Küſten Artillerie zu ersetzen. Um die angeordnete Ausbildung möglich zu machen , mußte zuvörderst ein genügendes Lehrerperſonal vorhanden sein. Naturgemäß hätte dieſes von der See-Artillerie hergegeben werden müssen, konnte aber aus dienstlichen Rückſichten nicht disponibel gemacht werden, und mußten daher die Offiziere und Avancirten der betreffenden Bataillone sich mit Hülfe von Reglements , Directiven und Instructionen selbst unterrichten, und die so gewonnenen Kenntniſſe bei der Aufstellung der Geschütze und nachherigen Bedienung derselben praktisch verrell kommnen. Bei dem lebhaften Interesse, welches für diese in der That im heben Grade anregende Neuerung an den Tag gelegt wurde , genügten einige Wochen während der Herbstmonate , um die Ausbildung des Lehrerperſonals dahin zu bringen, daß mit demselben Schießübungen, wenn auch nur nach unbewegten Zielen, vorgenommen werden konnten. Dieses freilich günstig lautende Resultat berechtigt jedoch noch bei Weitem nicht zu der Annahme , daß nun auch in entsprechend kurzer Frist die sämmt lichen Mannschaften der Bataillone die für den Ernstfall erforderliche Ausbildung werden erlangen können, vielmehr läßt sich leicht berechnen, daß 100 Mann zu ihrer Ausbildung nur für die Bedienungsnummern an 2 Calibern bei ununter brochener Thätigkeit mindestens 2 Monate Zeit in Anspruch nehmen und ist es sehr zu bezweifeln, daß sich von der für die Ausbildung an den Landgeschützen erforderlichen Zeit ein solches Zeitmaß ohne bedeutende Schädigung dieses Dienstes wird abziehen lassen. Es ist dies um so mehr in Erwägung zu ziehen , ale augenblicklich , nachdem die Trennung der Festungs- von der Feldartillerie , im Interesse der Theilung der Arbeit , Thatsache geworden ist , und demzufolge die Festungs- (Fuß-) Artillerie eben begonnen hat, nach neueren das Intereſſe für den betreffenden Dienſt belebenden Grundsäßen , die Ausbildung ihrer Mann schaften zu betreiben , ohnehin schon in ihrer Zeit ernstlich eingeschränkt worden ―――― iſt. Hierzu kommt, daß , sollte es selbst bei noch angestrengterer Thätigkeit, durch zweckmäßige Eintheilung der Zeit für die verschiedenen Dienstzweige möglic gemacht werden, in der handwerksmäßigen Ausübung derselben den Forderunger sowohl der Land- als Küstenartillerie zu genügen, es doch kaum möglich zu machen sein wird , daß sich in ein und demselben Unteroffiziercorps das Ver

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ständniß für zwei im Princip von einander verschiedene Verfahren des Schießens in Erfolg versprechender Weise erzeugen laſſen wird. Diesen wohl kaum befriedigend zu nennenden Standpunkt nimmt die Küsten artillerie am Schlusse des Jahres 1874 ein, und läßt es sich nicht wohl leugnen, daß die Ausbildung der vielbeschäftigten Landartillerie in der Bedienung der Küstengeschütze nicht ein gleiches Gefühl der Sicherheit an den Küsten erwecken kann , welches uns die Tüchtigkeit aller übrigen Theile der Deutschen Heeres macht und Marine einflößt. Gleichzeitig aber erhebt sich auch die Besorgniß, daß die verminderte Uebung in den Dienstzweigen der Landartillerie und das damit zugleich schwindende Intereſſe dafür , ernstlich sich rächen könnte , wenn diese doppelt geschulte Artilleriebrigade der Küstenprovinzen einstmals berufen werden sollte , bei der Belagerung oder Vertheidigung einer Festung verwendet zu werden. Wie diesem Uebelstande anders zu begegnen sein könnte, als durch die Vermehrung der einzig mit der artilleristischen Vertheidigung der Küsten betrauten See- oder Küstenartillerie ist vorläufig unersichtlich; sprechen wir daher die Hoffnung aus , daß es der Reichsregierung gelingen möge , auf gesetzlichem Wege , sei es mit Beibehalt der augenblicklichen Stärke der Heeresmacht, sei es durch die geforderte Vermehrung derselben, ihre ursprüngliche Absicht zu ver wirklichen.

Wie es hiernach augenblicklich und für die nächste Zukunft mit der Ver theidigung der Deutschen Küsten bestellt ist, glauben wir in aller Kürze hiermit klar gelegt zu haben ; es dürfte aber wohl noch von Intereſſe ſein, einen flüch tigen Blick auf die Küsten der übrigen größeren Staaten zu werfen, um zu er fahren, was auf diesem Gebiete anderswo hat geschehen können. Blicken wir daher zunächst auf unseren letzten Gegner. Frankreich hat seine ganze Armee und demgemäß auch seine ganze Marine und die dieser unterstellten Marineartillerie neu organisirt. - Diese Lettere , welcher hier noch , ähnlich wie in der ersten Periode der Schöpfung einer Preußischen Seeartillerie, die Aufgabe zufällt , außer der Besatzung der Strandbatterien hauptsächlich noch die der Küstenfahrzeuge zu übernehmen, besteht in einem Regiment zu 2600 Mann, von denen allerdings fast die Hälfte in die Colonien abcommandirt wird. ――― Dem Stabe des Regiments , der in Lorient seinen Sitz hat , sind alle das Marinegeschützwesen unterstellten Etabliſſements, wie die Gießereien zu Ruelle und Nevers, unterstellt. Nach wiederholentlichen Versuchen gegen Panzerscheiben sind hier endgültig 16-, 19 , 24 , 27- und 32 Em.-Hinterlader-Kanonen eingeführt worden , welche nach Rodmans Manier gegossen, mit Stahlringen umgeben und mit einer Stahlseele versehen werden. An den Geschossen , die in Stahl- und Hartgußgranaten und Vollgeschoffe zer fallen, ist die später auch in Deutschland versuchte Kupferführung bemerkens werth. Dieses Geschützsystem ist in den Marine- und Küstenartillerien von Holland , Spanien und mit einigen Abänderungen von Schweden angenommen worden, jedoch ist in diesen Staaten als schwerstes Caliber nur das 24 Cm. (oder 9zöllige) ausgeführt worden. Gehen wir zu dem energischen artilleristischen Nebenbuhler Frankreichs, nämlich England , über, so finden wir hier ein ebenfalls sehr zerſtückeltes Marine- und Küsten-Artilleriecorps. von 2300 Mann in 2 Regimentern orga nisirt, für welche bestimmte Caliber noch nicht definitiv eingeführt worden sind, wohl aber werden die bereits vielfach versuchten Woolwich- und Armſtrong

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Kanonen , nämlich 7 , 8 , 9 , 10 und 12zöllige Vorder- und Hinterlader an gewendet und aufgestellt. Wie es scheint, neigt sich bereits die Entscheidung für den schmiedeeisernen Woolwich-Vorderlader. Als Geschosse dienen hier gußeiserne und gehärtete gußeiserne (Palliser-) Granaten von 115 bis 600 Pfund Gewicht. Das Englische System ist bereits von der Italienischen , Dänischen und zum Theil auch Desterreichischen Marine angenommen , jedoch vorläufig nur auf der Dänischen Küste aufgestellt worden . Rußland, welches die Preußischen Versuche von jeher mit ausschließlichem Interesse verfolgt hatte und auch in den von Krupp construirten Geschützen be= merkenswerthe Aenderungen anbrachte , hatte sich für das Preußische System durch Einführung von 8- , 9- und 10zölligen Kanonen, sowie auch eines 11zöl ligen gezogenen Mörsers entschieden. Wir sehen somit drei verschiedene Geschützsysteme für den Kamrf gegen einen auf dem feuchten Gefechtsfelde dereinst angreifenden Feind sich vorbereiten und wird es, trotz der eingehendsten Berichte über die glänzenden Schießrersuche aller Artillerien gegen schon ausgeführte oder noch projectirte Panzerungen , erst einer ernsten Zukunft vorbehalten bleiben , zu entscheiden , welcher Seite und welchem System der endliche Sieg zuerkannt werden muß. 6.

Bericht über das Schießpulver und

die militairiſch wichtigen

Explosivstoffe.

Das Schießpulver. Des besseren Verständnisses halber ist es wohl zweckmäßig, in einem kurzen Rückblick diejenigen Wandlungen zu betrachten, welche das Pulver seit der radi calen Verdrängung der glatten Schußzwaffen bis jetzt durchgemacht hat. Es stände im Widerspruch mit den Thatsachen , wenn man es nicht besonders her vorheben wollte, daß sowohl bei den ersten Versuchen mit gezogenen Gewehren oder Geschützen , als auch bei der wirklichen Einführung derselben , die Noth wendigkeit durchgreifender Aenderungen des Pulvers selbst, nicht genügend er kannt wurde. Das Pulver , also die eigentliche Kraftquelle für die Bewegung der Geschoffe, wurde für eine feste Einheit gehalten und der Fortschritt nur in der Ausbildung des Laufsystems gesucht. Daß diesem Vorgange ein Mangel in der Erkenntniß zu Grunde lag, steht nun durch die Logik der Thatsachen längst fest. Diesen gegenüber läßt es sich ganz allgemein als ein Grundſaß aussprechen, daß ein bedeutender, durchgreifender Fortschritt , sei es für Gewehr oder Geschütz , in ballistischer Beziehung nur durch Zuſammenwirkung der Aenderungen im Lauf system und in der bewegenden Kraft, also im Pulver, erreicht werden kann. So einfach dies klingt , so verwickelt wird die Frage für den artilleristischen Fort Denn dieser hat nicht wie bei der Infanteriebewaffnung mit einem schritt. einzigen Laufsystem, sondern mit einer großen Zahl derselben zu rechnen. Und so verlockend der aus der Zeit der glatten Geschütze übernommene Gedanke war,

Schießpulver und die militairisch wichtigen Explosivstoffe.

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allen Aufgaben der Artillerie mit einem und demselben Pulver gerecht zu wer Allein bei den überaus großen den , so wenig Fundament besißt derselbe. Schwierigkeiten , welche der Verwaltung eines großen Heeres durch bedeutende Veränderungen des Pulvers bereitet werden , werden diese stets „ der Noth ge horchend, nicht dem eigenen Trieb, " verwirklicht werden können. Nach dieser Vorausschickung sollen nun die wesentlichen Fortschritte, die in den leztvergangenen Jahren in der Pulverfrage angestrebt und erreicht worden. sind , besprochen werden. Von einem tieferen Eingehen in Detailfragen ist für den vorliegenden Zweck schon des großen Umfanges wegen abzusehen , und so läßt es sich auch erreichen , das principiell Wichtige allgemein und nicht mit specieller Berücksichtigung einzelner Heeresverfassungen zu betrachten. Denn in den großen Grundzügen gehören die Fortschritte auf diesem Gebiet der Allge meinheit, nicht einem einzelnen Staate an, wenn auch, wie natürlich, mit Ein schluß von Verschiedenheiten, die an und für sich nicht unwesentlich sein mögen.

I.

Gewehrpulver.

Es sollte eigentlich als etwas Selbstverständliches angenommen werden, daß bei der folgenden Besprechung das Pulver für Gewehre und das für Geschütze streng und principiell von einander geschieden sind , allein es ist vielleicht nicht ganz überflüssig , dies noch besonders zu betonen . Nicht gar so selten hat man, im Anschluß an die Erfolge , die mit der Einführung des sogenannten prisma tischen Pulvers artilleristisch erreicht wurden , die Meinung aussprechen hören, es müßte doch auch für das Gewehr mit demselben Princip der Modificirung des Pulvers ein bedeutender Erfolg zu erreichen sein. Diese Anschauung ist natür lich grundfalsch; sie fand jedoch, und das dient ihr zur Entschuldigung, eine An lehnung an den Versuchen, die zuerst in America zur Zeit des Secessionskrieges mit comprimirten Patronen gemacht und dann auch an anderen Orten wieder holt wurden. Hierbei wurde die ganze Pulverladung des Gewehrs durch Druck zu einem Körper (in Cylinderform) zusammengepreßt. Daß man diese Versuche nachmachte, läßt sich noch vertreten ; daß man aber daran die Hoffnung knüpfte, ein vorhandenes, nicht mehr als ganz genügend anzusehendes Gewehrpulver zu ver bessern , war ein bemerkenswerther Irrthum. Ein solches Zuſammenpreſſen des ursprünglich feinkörnigen Gewehrpulvers wirkt vor Allem auf Verminderung der Kraft , was gar nicht in der Absicht lag ; und eine Vermehrung derselben durch Vergrößerung der Ladung konnte wohl das ursprüngliche Verhältniß wieder herstellen, aber was war dadurch eigentlich gewonnen? Diese eine Zeit hindurch unklaren Verhältnisse gewannen sofort einen festen Boden, als der Kampf zwischen großzem , d. h. dem bisherigen , und kleinem Caliber, zu Gunsten des letzteren entschieden wurde. Denn nun zeigte sich sehr bald äußerst deutlich, welche Anforderungen an ein Gewehrpulver zu stellen seien , das einem Prä cisionsgewehr entsprechen soll , um diesem den vollen Grad seiner Brauchbarkeit zu geben. Diejenigen Veränderungen , welche an dem bisherigen Gewehr- oder Musketenpulver bei der Annahme irgend eines der vielen Modelle moderner Präcisionsgewehre als Waffe für die Infanterie nothwendig erschienen, sind mit ihrer Hauptrichtung denjenigen im Princip diametral entgegengesezt , in welchen die Artillerie die beste Ausnutzung des gezogenen Geschützſyſtems durch Aende rung des Geſchüßpulvers suchen muß. Dieser Grundsatz muß für Jeden , der ein Verständniß in diesen Fragen erstrebt , als unumstößlich gelten. Die Brauchbarkeit einer guten Schußwaffe hängt in Beziehung des Pul vers von zwei Hauptrücksichten ab: Von der dem Geschoß ertheilten Kraft und

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Militairische Jahresberichte für 1874.

von der Sicherheit des Treffens , auch bei lang andauerndem Gebrauch. In erster Hinsicht ist die dem Geschoß ertheilte Anfangsgeschwindigkeit maßgebend ; in zweiter außer Constructionsverhältnissen die Unschädlichkeit des Pulverrück standes. Diese beiden Beziehungen stehen in strengster Wechselwirkung zu ein ander, und vornehmlich die zweite gewinnt für ein Gewehr mit kleinem Caliber eine große Bedeutung. Man könnte annehmen, daß die Steigerung der Geschoß geschwindigkeit durch einfache Vergrößerung der Ladung zu erreichen sei , allein es ist klar, daß man hierdurch auch die Menge des Rückſtandes bei jedem Schuß vermehrt , und hat man ein Pulver zur Verfügung , das ſeiner Beſchaffenheit nach viel Rückstand im Lauf hinterläßt, so wird die Vermehrung deſſelben durch Zunahme der Ladung doppelt fühlbar. Auch setzt außerdem bei Hinterladungs Gewehren die zulässige Länge der Patrone ſehr bald der Vermehrung der Pulver ladung eine Grenze. Wollte man aber, nur um den Rückstand zu vermindern, die Ladung verkleinern , so opfert man einen Theil der Geschoßgeschwindigkeit, verliert also an Schußweite sowohl wie an Rajanz der Flugbahn. Hieraus erkennt man zur Genüge deutlich, daß nur eine bestimmte Aende rung der Eigenschaften des Pulvers beiden Ansprüchen gerecht werden kann, und glücklicher Weise giebt es einen Weg, der zu dem doppelten Ziele führt. Denn nur eine möglichst vollkommene Verbrennung des Pulvers giebt einen heben Krafteffect und zugleich die geringste Menge des Rückstandes in einer Beschaffen heit, daß der folgende Schuß den Lauf von den zurückgebliebenen feſten Beſtænd theilen der Verbrennung des vorigen reinigt und nur seine eigenen im Gewehre hinterläßt. Diesen Grad vollkommener Verbrennung dem Pulver zu geben , ist die Aufgabe der Fabrication , welche dieselbe hauptsächlich in einer weit getrie benen innigen Vermischung der drei Bestandtheile des Pulvers zu erreichen suchen muß. Wie zwingend die Annahme des kleinen Calibers beim gezogenen Hinter ladungsgewehr zugleich die Aenderung des Pulvers im obigen Sinne erforderte, ist aller Orten in der geschichtlichen Entwickelung der Handfeuerwaffen einzu jehen. Es mag nicht allgemein bekannt sein, daß Frankreich bei der Annahme des fusil B (Chaffepotgewehr) im Jahre 1866 sofort genöthigt war , hierfür ein besonderes Pulver, poudre pour le fusil B, turz poudre B, einzuführen. In gleicher Weise änderte England beim Uebergange vom Snider- zum Henry Martini - Gewehr in durchgreifendster Weise sein Pulver. Auch das Deutſche Infanterie-Gewehr M/71 besitzt nunmehr ein Pulver, welches einen Wettstreit mit anderem nicht zu fürchten braucht.

II.

Geschüßpulver.

Die Wandlungen des Gewehrpulvers , die Anpassung deſſelben an ein ver beffertes Gewehrſyſtem, und die nothwendigen Aenderungen der Fabrication ſind vergleichsweise still und unbemerkt für die Oeffentlichkeit vor sich gegangen. Da gegen hat die letztere mehr Theil genommen an der Entwickelung der gezogenen Geschützsysteme und selbst an der hierbei mit in Fluß gebrachten Pulverfrage. Der Grund hierfür ist nicht schwierig aufzufinden. Vor Allem ist in Betracht zu ziehen , daß für die Ausbildung des Geschützwesens aller größeren Staaten der leitende Grundgedanke bei der Vergrößerung der Caliber hauptsächlich zu suchen ist in dem modernen Kampf zwischen Geschütz und Eisenpanzerung , sei diese für Zwecke der Marine oder für die der Küsten- und Landbefestigungen bestimmt. Der Einfluß dieſes Kampfes erstreckt sich viel weiter , als man ge

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wöhnlich glaubt. Durch ihn sind Kräfte der Technik geweckt , welche der mo dernen Geschütz-Construction einen gegen früher durchgreifend anderen Charakter » gegeben, welche in der theoretischen Erkenntniß der Artillerie-Wissenschaft überall, und alſo auch da Grundlagen maßgebenden Charakters geschaffen haben , wo es sich um ganz andere Zwecke des Artilleristen, als um Durchbohrung oder Zer trümmerung von Panzerungen handelt. Es ist ein großer Irrthum, obgleich kein seltener, anzunehmen, daß es sich bei dem Kampfe zwischen Geschütz und Panzer auf Seiten des Artilleriſten lediglich um die Schaffung größerer Caliber handelt, wenn die bisherigen den Fortschritten der Technik in der Erzeugung widerstandsfähiger Panzerungen nicht mehr zu entsprechen scheinen. Die wirkliche Aufgabe des Artilleriſten ist die Ausnutzung der vorhandenen Caliber auf den denkbar höchsten Punkt zu bringen. Alle Wege, die hierzu dienlich scheinen, muß er freudig, diejenigen, die nur zur elementaren Calibervergrößerung führen, muß er zögernd betreten. Wie sehr die Entwickelung der Pulverfrage hierbei mitspricht , zeigt die Geschichte der großen Artillerien in dem letzten Decennium. Gerade für den Weg der besten Ausnutzung beſtehender Caliber ist sie die wichtigſte. Es ist nicht unintereſſant, in dieser Beziehung die geſchichtliche Entwicke lung des Engliſchen Geſchützsystems zu Rathe zu ziehen , da dieser vor Allem der Kampf um die Superiorität zwischen Geschütz und Panzer zu Grunde liegt, der mit dem Aufwand großer Mittel stetig fortgeführt , wohl nur hierin, d. h. in dem schließlich unerschwinglichen Aufwand, seine Grenze finden wird . Allein wir lernen aus diesen Vorgängen, und das verdient der beſonderen Hervorhebung, daß es möglich ist, ein schlechtes, theoretisch verurtheiltes Geſchützſyſtem, nämlich dasjenige der Vorderladung, durch eine stets in Fluß bleibende Entwickelung der Pulverfrage, am Leben zu erhalten. In keiner Artillerie iſt die Trilogie: Panzer, Caliber, Pulver ſo in steter Wechselwirkung geblieben , als in der Englischen. Und allerdings gipfelt auch das ganze Landes-Vertheidigungsſyſtem dieſes Staates vorzugsweise hierin. Wie oben schon gesagt, ist es für die Erreichung einer größeren Wirkung mit der alleinigen Vergrößerung des Calibers noch lange nicht gethan. Es hieße große Summen nuglos vergeuden, wollte man nicht zugleich das neue Caliber bis zur äußersten Grenze ausnuten. In den seltensten Fällen ist dies jedoch mit Beibehalt des bisherigen Pulvers möglich. Denn war dies für das nicht mehr ausreichende Caliber das beste gewesen, so kann es dem merklich größeren nicht mehr genügen. In diesem müssen naturgemäß auch absolut größere Ladungen angewendet werden , und für diese tritt dann die zerstörende Kraft früher auf, als es für die volle Ausnutzung erwünscht ist. Für diese ist eine Aenderung des Pulvers durchaus nothwendig. Die Wirkungsgröße eines Geschützes ist bei bestimmtem Gewicht des Geschosses von der Schnelligkeit seiner Bewegung abhängig. Diese wird gemessen durch die Anfangsgeschwindigkeit, also durch diejenige Schnelligkeit, die das Geschoß bei dem Verlassen der Mün dung durch den Druck der Pulvergase erhalten hat. Daß diese Geschwindigkeit durch Vermehrung der Pulverladung gesteigert wird, ist klar; die Grenze hierbei wird durch den Druck, den die innere Geschüßwand auszuhalten hat , gegeben ; man benennt diesen Druck nach Atmosphären und hat Mittel , wenn auch nicht sehr vollkommene, denselben zu messen. Von einer anderen Grenze , die der Ladungssteigerung gesezt ist, und die in der Nothwendigkeit beruht , nicht eine Ladung anzuwenden, die unvollkommen verbrennt, bei der also Theile der Ladung noch unverbrannt aus dem Rohre geschleudert werden , soll vorläufig abgesehen

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werden. An einem concreten Beiſpiel läßt sich der Weg des artilleriſtiſchen Fortschritts am einfachsten erkennen. Man sei also mit einem Caliber von z. B. 9 Zoll ( Englisch) an der Grenze der Wirkung gegen Panzer angelangt. Das Geschoß hat eine Anfangsgeschwindigkeit von 1500 Fuß Englisch bei einer Rohranstrengung , die durch 2000 Atmosphären bezeichnet ist , erlangt. Ein Panzer von 10 Zoll Stärke und darüber wird nicht mehr durchschlagen, aber schon ist es der Technik gelungen , solche Panzerplatten herzustellen. Hier ist also der Zeitpunkt gekommen, bei dem an die Schaffung eines größeren Calibers gegangen werden muß. Man construirt also ein Geschütz , etwa von 11 3oll Caliber, findet jedoch bei den praktischen Versuchen sehr bald , daß man unter Verwendung des bisherigen Pulvers eine ähnlich große Anfangsgeschwindigkeit des Geſchoſſes nur erhalten kann, wenn man dem Rohre selbst eine viel größere Anstrengung zumuthet. Hierbei ist jedoch die Haltbarkeit desselben nicht mehr gewährleistet, vielleicht überschreitet man auch dieselbe unvorsichtigerweise bei den ersten Versuchen und macht das Rohr durch einen Sprung in der Seelenwand unbrauchbar. Will man sich also nicht bei einer merklich geringeren Wirkung begnügen, und das darf der Artillerist nicht, so bleibt nur der eine Weg übrig, dem neuen Caliber auch ein neues Pulver zu geben. Das Haupterforderniz für dasselbe ist eine Verminderung der Verbrennungsgeschwindigkeit , die man entweder durch eine stärkere Verdichtung oder durch Vergrößerung des einzelnen Korns erreichen kann. Mit dem ersten Hülfsmittel kommt man jedoch bald an die obere Grenze , die vielleicht auch schon bei dem bisherigen Pulver erreicht war; es bleibt also die Kornvergrößerung als praktisch einfachstes Hülfsmittel. In der That hat die Englische Artillerie auf diese Weise ihr Pulver dem Er forderniß angepaßt, und ihrem Beispiel ist die Französische und Italienische gefolgt. Von dem ursprünglichen , oft genannten Pebble- (Kieſelſtein -) Pulver der Engländer sind dieſelben mehr zur regelmäßigen Würfelform des einzelnen Kornes übergegangen , wie dies auch bei den anderen genannten Artillerien der Fall ist. Für das neue größte Caliber der Englischen Marine resp. der Küsten artillerie , dem 81- Tons - Geschütz, so benannt nach seinem Rohrgewicht, ist ein Pulver in Versuch genommen , welches 12-2 Zoll Seitenlänge des Würfels besitzt , also bei einem specifischen Gewicht von 1,7 ein absolutes Gewicht für das einzelne Korn von über 200 Gr. hat. Die Erzeugung eines solchen Pulvers bietet nicht gerade besondere Schwierigkeiten. Man preßt den gemengten Sah in hydraulichen Pressen zu starken Platten und schneidet über Kreuz , zuerſt Streifen, dann Würfel von jenen. Nur das Trocknen dieſer Coloſſe von Pulver körnern ist nicht leicht, und es bleibt deßhalb zuweilen ein feuchter Kern in der Mitte zurück. Dieser begünstigt das vorher berührte Vorkommen von nicht roll ständig verbrannten Körnern, die hinter dem Geschoß aus dem Rohre geschleudert werden, und in der That tritt dieser Vorgang bei den Englischen Versuchen störend auf. Auch hier ist das Princip der Vorderladung dem der Hinterladung unterlegen, denn bei dieſem ſind in Folge des gasdichten Abſchluſſes , welchen das weichere in die Züge getriebene Führungsmaterial des Geschosses bewirkt, die Verhältnisse einer vollkommneren Verbrennung günstiger. Dieser einfachen Form des Würfelpulvers der vorgenannten Artillerie ſteht das prismatische der Deutschen und Russischen Artillerie , das außerdem noch in Holland und Desterreich theilweise Verwendung findet, gegenüber. Ob daſſelbe vor jenem durchaus den Vorzug verdient , ist durch ausführliche praktische Ver suche noch nicht bewiesen. Sicht man von der complicirten Form, sechsseitiges Prisma mit Durchbohrungen parallel zur Längenachse , ab und nimmt die

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Schwierigkeit der Erzeugung wegen dieser Form als etwas Unumgängliches in den Kauf, so ist über die Zweckmäßigkeit desselben für große Caliber nichts Nach theiliges zu sagen. Jedenfalls ist das Hinterladungssystem mit dieſem Pulver gut gefahren und da die Superiorität dieſes Syſtems über den Vorderlader trok aller Anstrengungen, die die Engländer gemacht haben, um das Gegentheil zu beweisen, von keinem Unparteiiſchen geläugnet wird , so wird auch das prisma tische Pulver vorläufig wohl noch seine Geltung bewahren. Dennoch soll Ruß land, welches es zuerst einführte, neuerdings dem Gedanken praktischer Versuche mit Würfelpulver, als Rivalen des prismatiſchen, näher treten wollen , wodurch dann die jetzt noch bestehende Lücke in Betreff des Vergleichs dieſer beiden Pulver Dieser Gedanke muß eigentlich sehr nahe sorten ausgefüllt werden könnte. liegen, denn auch das prismatiſche Pulver seitheriger Beſchaffenheit entspricht nicht mehr vollkommen den neuerdings geschaffenen oder noch zu schaffenden größten Calibern , und wenn man also genöthigt ist, zu modificiren , so ist es leichter, dies mit der einfachen als mit der complicirten Form durchzuführen. Dieſem klaren Gedanken will, wie es heißt, die Ruſſiſche Artillerie Rechnung tragen. Man sieht aus dem Vorstehenden, daß das mehr oder minder feinkörnige Geschützpulver der glatten Geschütze faft ganz durch Formen verdrängt ist , bei welchen das Pulver aus größeren Stücken, mehr oder weniger regelmäßig geformt, besteht. Das leitende Princip für diese Fabricate ist immer in dem Gedanken zu suchen , daß in dem Augenblick, in welchem das Geschoß sich im Geschütz rohre in Bewegung setzt , nur erst ein gewiſſer Theil der ganzen Pulverladung sich in Gas verwandelt hat, und daß alſo die vollständige Verbrennung der ganzen Ladung nicht in dem ursprünglichen Raume, den sie eingenommen, son dern in einem durch die Vorwärtsbewegung des Geschosses vergrößerten statt findet. Dieser Moment der beginnenden Geschoßbewegung wird nahezu auch derjenige der größten Gespannung sein. Bei sehr großen Ladungen in den größten Calibern tritt dieser Moment der höchsten Spannung vielleicht noch etwas später ein. Es wäre jedoch fehlerhaft, wenn dies in bedeutendem Maße stattfände, da dann die höchste Spannung der Gase Stellen des Geschüßes treffen könnte , die wegen der nach der Mündung zu abnehmenden Metallstärke nicht mehr die widerstandsfähigsten sind. Obgleich diese theoretische Erwägung sehr plausibel klingt, so ist sie dennoch für die Praris wahrscheinlich ohne Bedeutung. Es zeigen gerade die Englischen Versuche, daß man in der That bei dem Streben nach langſam verbrennendem Pulver für Panzergeschüße zu weit gehen kann. Dann aber tritt das natürliche Regulativ in die Erscheinung , daß ein Theil der Ladung unverbrannt aus dem Rohre geschleudert wird, also gar nicht mehr zur Wirkung gelangt, und daß trotzdem die Marimalgasſpannung nicht die der Mündung nahe liegenden Rohrtheile getroffen hat. Der sehr kurze Zeitraum, in welchem selbst Ladungen bis 50 K. Gewicht im Geschützrohre zusammen brennen , faßt doch eine große Anzahl , ihrem inneren Wesen nach sehr ver schiedener Momente zusammen ; aber das Ganze ist für uns, gerade wegen des ſo ſehr minimalen Zeitraumes, mit einem Schleier bedeckt. Nur einige Aeuße rungen der in diesem kurzen Moment entwickelten bedeutenden Kraft gestatten uns, wenige Schlüſſe zu ziehen , die das Fundament für weitere Fortschritte bilden müssen.

Die militairisch wichtigen explosiven Stoffe. Als im Anfang der sechziger Jahre die Schießbaumwolle ihre Rolle in der Desterreichischen Artillerie, troz des großen Anlaufs, den man mit ihr genommen,

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ausgespielt, als die immer weiter schreitende Einführung gezogener Geſchüße die Unersetzlichkeit des Schießpulvers als Treibmittel deutlich gezeigt , und auch die Gefährlichkeit der Schießbaumwolle nicht ganz beseitigt erschien , glaubte man wohl nicht an deren Wiedereintritt in den Bereich der militairischen Technik. Zu gleicher Zeit nahm das Sprengöl (Nitroglycerin) und die mechaniſch erzeugten Abkömmlinge desselben, wie Dynamit, Dualin, Lithofracteur 2c. , den jenigen Platz in der Technik der Sprengungen , vornehmlich für Zwecke des Bergbaues ein, der vielleicht der Schießbaumwolle verblieben wäre, wenn ſie als der älteste Stoff dieser Art zugleich der einzige geblieben und sie die Concurrenz mit dem Schießpulver durch Wohlfeilheit unterſtügt hätte. Das billigere Sprengöl und besonders das weniger wie jenes gefährliche Dynamit (Infuſorien erde mit Sprengöl durchtränkt) trat bald auf diesen Standpunkt und ist auch bis jetzt derjenige Körper geblieben , der in der Civiltechnik neben dem Pulver, hauptsächlich in harten dichten Geſteinen , benutzt wird . Auch zu einzelnen Sprengzwecken, besonders im Bereich der Ingenieurtechnik, wird man in Zukunft wegen der großen Kraftentwickelung das Dynamit verwenden. In dieser Be= zichung überragt dieser Körper das Schießpulver um so mehr , als es , nicht wie dieses, einer festen Einschließung zur Erzeugung seiner Kraft bedarf. Es ist jedoch nothwendig , zur Schießbaumwolle zurückzukehren , die in der Neuzeit wieder bedeutend an Intereſſe gewonnen hat. Schon in der Pariser Ausstellung 1867 waren von England aus Proben von Schießbaumwolle von eigenthümlich verändertem Aussehen ausgestellt. Sie bestanden aus Cylindern , welche anscheinend aus übereinandergelegten und in feuchtem Zustande zusammengepreßten Scheiben von seinem Löschpapier ent standen waren. In der That war durch diese Formgebung ein weiterer erfelg reicher Schritt in der Fabrication dieses Körpers geschehen. Auf der Grund lage der Desterreichischen, zweckmäßig ausgebildeten Darstellung der Schießbaum wolle, war man in der Fabrik von Prentice in Stowmarket weiter gegangen, hatte die durch das Gemisch von Salpeter- und Schwefelsäure verwandelte Baum wolle noch im feuchten Zustande weiter behandelt und eine dem Papierbrei ganz ähnliche Masse erzeugt, aus der sich durch Pressen in Formen und schließliches Trocknen jene regelmäßigen Körper herstellen ließen. Und gerade dieser höhere Grad der Verdichtung, der auf ganz ungefährlichem Wege erreicht war, bezeich net einen bedeutenden Fortschritt in der Fabrication dieses Explosiv - Stoffes . Man war in Betreff dieses nunmehr überhaupt von der rollständigen Gefahr losigkeit überzeugt und glaubte auch für die Aufbewahrung und weitere Be handlung nichts zu befürchten zu haben. So kam es , daß man in England, als die Nothwendigkeit eines sehr kräftig wirkenden Sprengmittels für bestimmte militairische Zwecke immer mehr hervortrat, ohne Zögern die Verwendung dieſer neuen Schießbaumwolle ins Auge faßte. Jene Nothwendigkeit aber wurde be sonders fühlbar bei der weiteren Ausbildung eines Kampfmittels , welches durch den Americanischen Secessionskrieg aus alter Vergessenheit wieder hervorgeholt worden war , und unter der Bezeichnung Torpedo allen Marine- und Küsten Staaten von hervorragender Wichtigkeit geworden ist. Die Unzulänglichkeit des Pulvers als Sprengmittel in Torpedos trat schnell hervor. Eine Vergrößerung der Wirkung durch Vermehrung der Ladung ist hier am allerwenigsten rationell, da hierdurch nur das Mißverhältniß zwischen Größe der Ladung und Festigkeit der Einschließung prägnanter wird. Ohne diese lettere ist aus dem Pulver keine bedeutende Kraft zu entwickeln, und doch erlauben die Verhältniſſe des Torpedo's nicht, dasselbe aus sehr widerstandsfähigem, also jedenfalls dickwandigem und des

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halb schwerem Material zu construiren. Die nunmehr als ganz ungefährlich erachtete Schießbaumwolle versprach eine weit höhere Wirkung , und so zögerte die Englische Militairverwaltung nicht, in den Jahren 1870 und 71 bedeutende Bauten zum Zweck der Schießbaumwoll- Fabrication ausführen zu laſſen, indem England auch hierbei , zu Gunsten seiner Marine, sowie seines Küstenschutzes, die Spitze . nahm . Das Vertrauen auf die Ungefährlichkeit wurde jedoch arg erschüttert , als im Jahre 1871 oder 72 in der genannten Fabrik des Herrn Prentice eine bedeutende Explosion sich ereignete , die zweien Neffen des Ge nannten das Leben kostete und deren eigentliche Ursache nicht bekannt geworden. Allerdings suchte eine Commiſſion von Offizieren, die zur Erforschung des Sach verhaltes zusammentrat , den früheren Glauben durch ihr Votum am Leben zu erhalten, allein in solchen Fällen ist eine erschütterte Sicherheit schwer wieder in vollem Umfange herzustellen. Dagegen erweiterte sich , besonders durch die Bemühungen des Chemikers am Arsenal von Woolwich Dr. Abel, die Kenntniß des Verhaltens der Schießbaumwolle in einer ganz eigenthümlichen Richtung . Derselbe, oder eigentlich sein Aſſiſtent Mr. Brown , fand nämlich schon 1868, nach wahrscheinlich sehr zahlreichen Versuchen , erstens, daß es möglich sei , die Schießbaumwolle in derselben Art wie Dynamit zur plötzlichen Detonation zu bringen, und zweitens wurde nunmehr constatirt, daß diese auch dann noch ein treten kann, wenn die Schießbaumwolle in bedeutendem Grade, bis zu 30 Pro cent, mit Feuchtigkeit behaftet ist ; bei einem Zustande also , in welchem durch Anzünden die Einleitung eines Verbrennungsproceſſes gar nicht mehr möglich Gerade dieser zweite Punkt ist für die Gefahrlosigkeit von bedeutendem ist. Werthe. Was diese beiden Thatsachen anbelangt , so muß man sich zuerst vergegen wärtigen, daß bis dahin die Explosion der Schießbaumwolle in analoger Weise wie bei dem Pulver durch einfache Entzündung der betreffenden Ladung einge leitet wurde. Befand sich diese nicht in einem feſten Verschluß, ſo trat nur eine Verpuffung ein, die sogar weniger intensiv ist, als die von frei liegendem Pulver. Die große Wirkung des Dynamits und der verwandten Explosiv- Stoffe beruht im Gegensatz hierzu darin, daß die Exploſion nicht durch Entzündung, sondern durch eine äußerst heftig wirkende vibratorische Erregung bewirkt wird , welche sich momentan durch den ganzen Körper verbreitet und alle detonationsfähigen Partikelchen , d. h. also die des eigentlichen Sprengöls in demselben Augenblick zu einer chemischen Action veranlaßt. In dieser verwandelt sich der Körper vollständig in Gas von hoher Spannung und wegen der Augenblicklichkeit des Vorgangs mit zerschmetternder Wirkung auf die nächste Umgebung . Der Effect ist so bedeutend, daß z . B. eine frei auf einen Stein gelegte Dynamit-Patrone denselben im Moment der Detonation in Stücke zerschlägt. Die hierzu nöthige vibratorische Kraft wird durch ein starkes, mit einer größeren Menge von Knall quecksilber geladenes Zündhütchen geliefert, welches durch eine Zündschnur øder mit Hülfe der Elektricität entzündet, mit großer Heftigkeit erplodirt. Abel fand, daß man in ähnlicher Weise auch die trockene Schießbaumwolle zur plötzlichen Detonation bringen könne, wodurch natürlich deren Werth als Sprengmaterial bedeutend steigt. Da jedoch die Schießbaumwolle ein fefter Körper ist , so war es mit einigen Schwierigkeiten verknüpft, die Anordnung so zu treffen, daß auch wirklich die von dem explodirenden Zündhütchen ausgehende vibratorische Er regung die ganze Masse der Schießbaumwolle momentan durchsetzt. Geschicht dies nicht, hindern z . B. vorhandene Lufträume diesen Vorgang, oder schwächen die Wirkung ab , so kann es geschehen , daß nur ein innerer Kern der Ladung detonirt, die Umgebung jedoch einfach fortgeschleudert wird.

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Es zeigte sich bei fortgesetzten Versuchen, daß die Anwesenheit von Waſſer in der Schießbaumwolle diese Art der Explosion nicht unmöglich macht. Ja es scheint sogar möglich zu sein, naſſe Schießwolle, die ſich in diesem Zuſtande viel fester zusammenlagern läßt , mit größerer Sicherheit zur plötzlichen Deto nation zu bringen, als in ganz trockenem Zustande. Höchst wahrscheinlich über nimmt hierbei das Wasser die Rolle als Träger und Uebertrager der vibra torischen Kraft von dem Explosions-Heerde aus . Allerdings genügt bei feuchter Schießbaumwolle das Zündhütchen allein nicht mehr. Es ist nothwendig, durch dieſes zuerst eine kleine Ladung trockener Schießbaumwolle, die gegen die Feuch tigkeit der umgebenden nassen geschützt ist , zu detoniren und dadurch eine, auf eine größere Berührungsfläche wirkende vibratorische Erregung zu erzeugen, welche stark genug ist , die ganze Masse der umgelagerten feuchten Schießbaum wolle mit in die Detonation zu reißen. Es ist geglückt, selbst Schießbaumwolle mit dem hohen Gehalt von 30 Procent Wasser, das Maximum, welches sie in der Papierform aufſaugen kann, zur momentanen Detonation zu bringen. Die Eigenthümlichkeit des Waſſers , jeden Druck oder Stoß ohne Kraftverluſt augen blicklich fortzupflanzen, macht die oben gegebene Erklärung wahrscheinlich. Und bei der eigentlichen Wirkung der eingetretenen Exploſion ſelbſt wirkt das Waſſer aus derselben Ursache als Träger der erzeugten Kraft mit. Die Aufbewahrung und Verwendung der Schießbaumwolle in feuchtem Zustand vermehrt die Sicherheit in bedeutendem Grade. So ist es erklärlich, daß man in England ohne Weiteres zu größeren praktischen Versuchen über ging , und daß auch andere Marinen , z . B. die Deutsche, sich der Vortheile dieser neuesten Fortschritte in der Technik der Sprengmittel versicherte. Immer hin bleibt es zweifelhaft, ob diese neueste Phase in dem Gebrauch der Schieß baumwolle auch wirklich einen Standpunkt ergeben hat, der eine gewiſſe Dauer verspricht und der in seinem Charakter des wirklich Fertigen, Vollendeten, wei tere bedeutende Fortschritte als höchſt unwahrscheinlich oder als sehr fern liegend erscheinen läßt..

Bericht über die Handfeuerwaffen.

Deutschland. Die Deutsche Infanterie war am Schluſſe des Jahres 1874 mit zwei ver schiedenen Gewehr- Systemen bewaffnet. Preußen mit den übrigen Staaten des ehemaligen Norddeutschen Bundes, Württemberg und Baden besaßen die Zünd nadelgewehre des Calibers 15,43 Mm. und das neue Infanterie- „ Gewehr Modell 1871 ", des Calibers 11 Mm. Bayern war nach 1866 selbstständig in der Construction eines Hinterladers kleinen Calibers vorgegangen und wählte für die Bewaffnung seiner Infanterie das „Werder - Gewehr - Modell 1869 ", vom Caliber 11 Mm. , mit dem im Kriege von 1870/71 bereits ein Theil der Truppen ausgerüstet, dessen Kriegsbrauchbarkeit conſtatiren konnten. Die Einheit der Deutschen Bewaffnung mit Gewehrmodellen des Calibers 11 Mm. wird im Laufe des Jahres 1875 vollzogen , demnächst aber erſt voll

Handfeuerwaffen.

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ständig durchgeführt ſein, ſobald Bayern die Werdergewehre, durch Vergrößerung der Ladungsräume für die " Deutsche Patrone Modell 1871 " , wie beabsichtigt, umgeändert haben wird. Wenn nun auch die Verschluß- Constructionen beider Waffen ―――― Cylinderverschluß *) nach Dreyse und Blockverschluß nach Peabody verschieden sind , so gestatten aber deren sehr einfache Mechanismen eine so rasche Ausbildung des Mannes in dieser Richtung , daß ein wesentlicher Nach theil aus diesem Umstande nicht gefolgert werden kann, zumal bei der demnächſt zur Verwendung kommenden gemeinschaftlichen Deutschen Einheitspatrone. Das Zündnadelgewehr eristirt in dem Infanteriegewehr Modell 1841 und 1862 , dem Füsiliergewehr M/60 , der Büchse M/65 , dem Pioniergewehr Modell 1869 und dem Carabiner M/57 .**) Der Dreyse'sche Cylinderverschluß besteht aus zwei ineinandergeschobenen Hohlcylindern. Kammer mit Griff und Warze zur Aufnahme des Schlöß chens mit Sperrfeder , welches für sich den Nadelbolzen mit Zündnadel und Spiralfeder enthält. Beide Cylinder sind in der Richtung der Seelenachſe in einem ans Rohr geschraubten Gehäuse - Hülse beweglich , welche einen Längen - Einschnitt für die Kammerwarze und eine größere Oeffnung als Patroneneinlage hinter dem Hülsenkopf hat. Für den bis ins Schlößchen vor den Nadelbolzenkopf eingreifenden Stollen der Abzugsfeder sind , zur Bewegung vor- und rückwärts, Schlößchen und Kammer unten mit einem Längen schlit versehen, der bei ersterer, für die drehende Bewegung, vorn noch ein recht winkliges Knie hat . Die beim Verschließen der Waffe an der schiefen Fläche des Ausschnittes der Hülse hingleitende Warze des Kammergriffs preßt den Rohr mund an den Kammermund, zum gasdichten Abschluß der Waffe, fest an. Der Mechanismus erfordert 6 Griffe: 1. Zurückziehen des Schlößchens bis der Nadelbolzenkopf hinter den Abzugsfederſtollen tritt. 2. Aufstellen der Kammer an der Handhabe. 3. Zurückziehen derselben : Oeffnen. 4. Vorschieben der Kammer. 5. Rechtsdrehen derselben : Schließen. 6. Einschieben und Firiren des Schlößchens in die Kammer durch ihre Sperrfeder, wobei der Nadelbolzenkopf am Abzugsfederſtollen anſtoßend, das Zusammenpressen der Spiralfeder veranlaßt: Spannen. *) Um Wiederholungen zu vermeiden, sei hier bemerkt, daß die Verschlüſſe der in Be tracht zu ziehenden Ordonnanz -Modelle in 3 Gruppen zerfallen: 1. die Cylinder - Verschlüſſe nach Dreyſe, 2. die Charnier - Verschlüsse, 3. der Wellenverschluß von Werndl. Bei den Cylinderverschlüssen bildet der Verschlußcylinder der älteren Modelle den festen Seelen- oder Stoßboden und zugleich den hermetischen Gasabschluß 2c. (äußere oder innere Obturation), bei den neueren Constructionen nur den festen Stoßboden für die gas dichte Patronen-Metallhülse (flache Obturation). Der Charnierverschluß gewährt nur den festen Stoßboden. Das Verſchlußstück wird beim Oeffnen : 1. seitwärts gedreht : Dosen - Verschluß; 2. vorwärts umgelegt : Klappen - Verschluß; 3. rückwärts aufgezogen : Hahnen - Verschluß ; 4. auf und abwärts bewegt: Fallblock - Verschluß. Der Wellenverschluß liefert nur den festen Stoßboden. **) Quellen: 1. v. Plönnies, das Zündnadelgewehr. Darmstadt, Zernin 1865. 2. Des Zündnadelgewehres Geschichte und Concurrenten von H. v. Löbell, Oberſt. Berlin 1867. Mittler. 40 Militairische Jahresberichte 1874.

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Das Rohr -- Eisen oder Gußſtahl -- hat vier 6 Mm. breite, 0,78 mm. tiefe Züge mit der geringsten Dralllänge von 732 Mm. unter allen beſtehenden Ordonnanzwaffen. Der ungetheilte Schaft hat zwei um 1,95 Cm. verschiedene Längen langer und kurzer Anschlag (LA , KA) — für größere und kleinere Leute. Die Waffe: mit resp. ohne 3schneidiges Bajonet ist für M/41 1930 reſp. 1400 mm. für M/62 1870 resp . 1350 Mm. lang, bei einem Gewicht von 5,45 resp. 5,083 und 5,166 resp . 4,883 Kilo. Die Munition: Die Hülse der Papierpatrone enthält die Ladung von 4,8 bis 4,9 Gr. , darauf den Zündspiegel zur Aufnahme der Zündpille und zur Füh rung des Geschosses , eiförmiges s. g. Langblei ( 13,6 Mm. Caliber, 31 Gr. Gewicht). In Preußen war 1870 die Gewehrfrage noch nicht endgültig gelöst. Der allgemeine Fortschritt in den Leistungen der Handfeuerwaffen durch den Ueber gang zum kleinen Caliber drängte zum Fortschritt , welcher vorläufig durch ver besserte Leistungen der vorhandenen Waffen zu erstreben gesucht wurde und in den sogenannten aptirten Waffen zum Ausdruck gelangte. An die Conſtruction Chassepots anschließend , wurde das Nadelrohr in der vorderen Bohrung der Kammer entfernt , durch einen eingesetzten Hohlcylinder ausgefüllt , in welchem sich der über dem Rohrmund vorstehende Puffer mit Kautschukring , durch die Pufferhalteschraube gehalten, vor- und rückwärts bewegen kann. Den gasdichten Abschluß lieferte der durch die Pulvergase beim Schuß zuſammengepreßte , ſich saugend an die Seelenwände anschließende Kautschukring und ein gefettetes Tuch läppchen zwischen dem eingeklebten doppelten Boden der Patronenhülje. Das erleichterte Langblei von 12 Mm. Caliber wiegt nur 21 Gr. , der kürzere verstärkte Zündspiegel 3,8 Gr. Der ausgedehnteren Wirksamkeit entsprechend wurde bei den verschiedenen Modellen das Visir verändert , mittelst Erjah der großen Klappe durch eine Schieberklappe mit der Diſtance- Eintheilung bis 1200 Meter. Da der nun vollständigere gasdichte Abschluß nicht mehr durch das ein seitige Anpressen von Kammer- und Rohrmund erfolgt , ergiebt die weniger gewaltsame Handhabung der geringer verſchmußten Waffe eine größere Feuer geschwindigkeit und zwar in der Minute 5 bis 6 Salven, 7 bis 8 Schuß beim Laden aus der Tasche , 8 bis 10 Schuß beim Schnellfeuer mit zurecht gelegten Patronen, gegenüber von 5,5 Schuß beim Laden aus der Tasche und 7 Schuß mit zurecht gelegten Patronen bei den älteren Zündnadelwaffen. Die günstigeren Gewichtsverhältnisse von Geschoß , Ladung und Waffe laffen dagegen die Wir kungssphäre bis auf 1200 Meter ausdehnen, wenn auch die Leistungen ſelbſt eine wesentliche Steigerung und Anschluß an diejenigen der Waffen der kleinen Ca liber nicht erreichen konnten. Die nicht aptirten Zündnadelgewehre M/41 , waren seither für die Land wehr bereit gehalten, dürften aber demnächst für die Bewaffnung des Landſturms vorgesehen werden, da mit der rasch vorschreitenden Abgabe des Gewehrs M71 an die Linien-Infanterie die von ihr seither geführten aptirten Zündnadelwaſſen nunmehr für die Besaßungs -Bataillone aſſervirt werden. Die interimistische Bewaffnung der Cavallerie bildet nach der Allerhöchsten Cabinetsordre vom 6. März 1873 bis zur Fertigstellung eines dem Infanterie Gewehr M/71 entsprechenden Carabiners der Chaſſepot-Carabiner (11 Mm. Caliber) und zwar für : die 3 Garde und 16 Linien- Ulanen - Regimenter, der fertige Fran zösische Carabiner M/1866 ;

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die leichten Cavallerie- Regimenter des stehenden Heeres und die sämmt lichen Reserve - Cavallerie - Regimenter , die berittenen Mannschaften der Train-Bataillone und Adminiſtrationen , die Handwerker , die Reserve fahrer der Proviant- und Fuhrpark- Colonnen , die Mannschaften der Bäckerei-Colonnen , die Krankenträger der Sanitäts - Detachements , an Stelle der seitherigen Bewaffnung : der aptirte Chaſſepot - Cara biner, aus verkürzten Gewehren hergestellt. Die Französische Original - Papier - Patrone (Ladung 5,5 Gr. , Geschoß 24,5 Gr.) wird aus beiden Carabinern verwendet. Die Feuergeschwindigkeit ist 10-12 Schuß in der Minute. *) Der Mechanismus erfordert 3 Griffe: 1) Zurückziehen des Nadelbolzens , bis deſſen Spannraft hinter den Ab zugsfederstollen tritt : Spannen und Firiren der Feder; 2) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe: Oeffnen. 3) Vorschieben und Rechtsumlegen der Handhabe: Schließen. Der Chassepot - Carabiner mit Papier- Munition wird durch einen für die Deutsche Metall-Munition aptirten Carabiner, deſſen Construction die Militair Schießschule in Spandau bewirkt , ersetzt werden ; die Anzahl Griffe wird die gleiche wie bei dem alten Chaſſepot ſein. In der Aptirung des Chassepotgewehrs zu einem Carabiner für die Deutsche Metall - Munition ist das Königreich Sachsen selbstständig vorge gangen zum Ersatz der von der Sächsischen Reiterei schon vor 1866 geführten Hinterladungs - Carabiner mit besonderem Zündhütchen. Die Construction des k. Sächsischen Haupt-Zeughaus -Oberbüchsenmachers Einhorn ist in Sachsen als „Modell 1873 " adoptirt. Das besondere Spannen der Feder wird durch die so genannte Selbstspann-Vorrichtung ersetzt , welche das Spannen gleichzeitig mit dem Aufstellen der Handhabe des Verschluß - Cylinders durch einen schrauben gewindförmigen Ausschnitt der Kammer und eines analog gestalteten Anſakes des Nadelbolzens bewirkt. Der Mechanismus ist mit einer sehr praktiſchen Sicherung versehen und erfordert zur Handhabung 2 Griffe : 1) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe: Oeffnen , Ausziehen der leeren Metallhülse, Spannen und Firiren der Feder. 2) Vorschieben und Rechtsumlegen der Handhabe : Schließen. Ueber das Infanterie- „ Gewehr M/71 " vom Caliber 11 Mm . mit Munition ist bis zum Schluffe des Jahres 1874 officiell nichts bekannt ge= worden. Die nachstehenden Daten sind den sonstigen Quellen entnommen . **) *) Vergl. Instruction über den Chassepot-Carabiner. Berlin, 1873. J. Schlesier. Diese Instruction wählt für den an dem Zündnadelſchaft befestigten Körper mit Reibungs rolle den Ausdruck „Schlößchen“ , während in den nachfolgenden Zeilen hierfür die Be zeichnung Nadelbolzen angenommen ist , da unter Schlößchen" doch nur ein zur Auf nahme der Schloßtheile : Zündnadel mit Schaft und Spiralfeder bestimmter Hohlcylinder" bezeichnet wurde. Die Französische Benennung ist chien, Hahn, also der Bolzen, der die Nadel zur Zündung vorwärts bewegt. **) Die Handfeuerwaffen, ihre Entstehung und technisch-historische Entwickelung bis zur Gegenwart von Rud. Schmidt , Major im Eidgenössischen Generalstab. Basel, Schwabe 1875. Les armes portatives en Allemagne. Prusse, système Mauser, fusil d'infanterie M/1871. Paris, Berger-Levrault et Cie 1874. Aufsatz des Organs des Wiener militairwiſſenſchaftlichen Vereins, 2. Heft IX. Bd.: Das Deutsche Reichsgewehr M/1871 . Militaire Spectator. Tijdschrift voor het Leger in Nederland, 10. Heft von 1874 : Het Duitsche Rijksgeweer. 40*

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Das brünirte Gußſtahlrohr ist 0,85 M. lang , bei einer Länge des ge zogenen Theils von 0,78 M. , hat vier den Feldern gleich breite Züge von 0,4 mm. Tiefe und einen dem Französischen gleich starken Drall von 550 Mm. 3° 36' oder 50 Caliber Länge. Das Patronenlager ist 68,5 Mm. lang, bei einer größten Weite von 13,2 Mm. , der Durchmeſſer der Aufbohrung für den Patronenrand = 15,3 Mm. Das Schiebevisir ist bis zu 1600 M. ein getheilt. In dem an's Rohr geschraubten Gehäuse bewegt sich der den Con structionen von Dreyse , Chassepot, Vetterli , Beaumont ic. analoge Cylinder Verschluß mit flacher Obturation , welcher von dem Büchsenmacher W. Mauser zu Oberndorf in Württemberg zur Concurrenz vorgelegt und mit den all mälig sich herangebildeten Modificationen adoptirt wurde. Nach den Detailabbildungen der beiden ersten Quellenwerke zeigt der Verschluß: 1. Das bewegliche Nadelrohr Chassepots mit dem Beaumont'schen Er tractor; eine originelle Art der Verbindung von Nadelrohr und Verſchluß Cylinder durch Nase und Einfeilung des Nadelrohrs und der Leitschiene der Kammer zur gleichzeitigen Bewegung beider Theile vor und rückwärts und alleinigen Drehung des Cylinders nach rechts an Stelle der Mitnehmerſchraube und Nadelrohr-Rinne Beaumonts . 2. Die Selbſtſpannvorrichtung Vetterli's 2c. in der hinteren schrauben gewindeförmigen Ausfeilung des Cylinders und dem entsprechenden Anjaß des Nadelbolzens ; das Aufstellen der Handhabe ( Drehen des Cylinders nach links) zwingt den Nadelbolzen mit angeschraubtem Schlagstift zum Ausweichen rud wärts , bis die Spannraft des Nadelbolzens , wie bei Chassepot , zum Firiren der gespannten Spiralfeder hinter den Abzugsfederstollen tritt. Die in der Bohrung des Cylinders um den Schlagstift placirte Spiralfeder wird hierbei zwischen der Platte des Schlagstifts und dem durchlochten Cylinderboden zu sammengepreßt : gespannt und wie erwähnt firirt. 3. Das Deffnen und Schließen durch Bewegung an der Handhabe des Verschluß-Cylinders wie bei Dreyse. Ein vor dem Griff auf deffen als Leit schiene verlängerten Warze mittelst Schraube befestigter Teller stößt beim Deffnen an zwei Vorstände am Gehäuse und firirt die Bewegung. Nach Löjen der Schraube und Entfernen des Tellers kann der ganze Mechanismus bei hers untergezogenem Abzug aus der Bahn des Gehäuses jammt Ertractor entfernt werden, da die Extractorrinne in der linken Gehäusewand bis an deren Ende fortgeführt ist. 4. Die in der Leitschiene des Nadelbolzens befindliche originelle Sicher heitsvorrichtung: eine Welle mit Handhabe. Liegt lettere links der Vertical ebene der Waffe, so befindet sich die Welle mit ihrem halbkreisförmigen Quer schnitt ganz in ihrem Lager in der Leitschiene. Wird bei gespannter Waſſe die Handhabe rechts der Verticalebene gedreht , so tritt die gewölbte Fläche der Welle an der unteren Ebene der Leitschiene vor , legt sich in einen Ausschnitt mit schrägem vorderen Ende an das Verſchluß-Cylinderende und zwingt den Schlagbolzen etwas , die Spiralfeder noch weiter spannend , zurückzuweichen. Die für die Spannrast des Nadelbolzens hierbei verlorene Anlehnung an den Abzugsfederstollen zur Firirung der gespannten Feder übernimmt das vorder: Ende der Sicherheitswelle, welcher sich an den erwähnten Einschnitt des Evlin ders preßt. Wird bei ungespannter Waffe die Sicherheitshandhabe rechts gedreht, se

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läßt sich der Verschluß nicht öffnen , da sich der Cylinder nicht drehen kann in Folge des Eintretens der Sicherheitswelle in deſſen Ausschnitt. Der Mechanismus erfordert zwei Griffe : 1) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe: Deffnen , Spannen und Firiren der Feder, Ausziehen der leeren Metallpatronenhülje. Die An lehnung der Spannrast des Nadelbolzens am Abzugsfederstollen zur Firirung der gespannten Feder geht beim Zurückziehen der Handhabe verloren und wird durch Anlehnung des Ansatzes des Nadelbolzens an das hintere Cylinderende ersetzt. 2) Vorschieben und Rechtsumlegen der Handhabe: Schließen. Die ad 1 erwähnte veränderte Firirung der gespannten Spiralfeder findet mit dem Umlegen der Handhabe wieder durch die ursprünglichen Anlehnungen statt. Die Länge der Waffe mit resp . ohne Yatagan beträgt 1,82 resp . 1,35 M. bei einem Gewicht von 5,1 resp. 4,4 Kilogr. Mit Scheide wiegt das Seiten gewicht 0,9 Kilo. Die flaschenförmigen Metallpatronenhülsen aus Messingblech für Central zündung sind verschiedener Construction, entweder aus einem Stück gezogen oder aus zwei Stücken bestehend: der Hülsenröhre , mit eingesetztem , besonders ge prägtem ſtarken Boden mit Extractionsrand. Ladung : 5 Gr., Geſchoß : 25 Gr. und 11 Mm .; beide trennt ein Wachspfropf; ganze Patrone: 42 Gr.; An fangsgeschwindigkeit des Geschosses : 435 M. Für den Verschluß des Bayerischen Infanteriegewehrs M/69", auch öfters "Werdergewehr" genannt , ist die Construction des techniſchen Di rectors der Fabrik von Kramer - Klett , J. L. Werder, in Nürnberg, ange= nommen. *) Das brünirte Gußſtahlrohr **) vom Caliber 11 Mm. hat 4 den Feldern gleich breite, 0,26 Mm. tiefe Züge mit einer Dralllänge von 915 Mm. (2º 10 ' eder 83 Caliber). Das Treppen- und Leitervisir nach Whitworth ist bis zur Distanz 876 M. eingetheilt. Der Verschluß und Schloßmechanismus findet sein Zapfenlager in zwei in einem Ausschnitt des ungetheilten Schaftes eingesetzten durchbrochenen Schloß blechen, von welchen das eine zugleich den Deckel des Gehäuses bildet. Der mit Laderinne versehene Block, ein zweiarmiger Hebel , enthält in seiner Boh rung den Schlagstift für Centralzündung nebst einer kleinen Reactionsfeder. Ein zwischen dem hinteren kürzeren gabelförmigen Hebelarm des Blocks beweg licher Hahn hebt denselben , gleichzeitig die zweiarmige Verschlußstückfeder mit spannend , in die Verschlußlage, in der er durch eine Stütze mit zweitem Abzug und der auf sie wirkenden Abzugsfeder gehalten wird. Die kreisförmige Schlagfeder wird durch das Aufziehen des Hahnes gespannt. Die abgefeuerte Waffe erfordert zwei Griffe : Die 1 ) Vordrücken des Abzugs der Stüße mit dem Zeigefinger. Stüße verläßt den Ansatz des Blocks , der durch die Wirkung der Ver schlußstückfeder kräftig auf den unter dem Rohrmund liegenden doppelten *) Das in der . Bayerischen Armee adoptirte Rückladungsſyſtem Werder (hierzu 5 Tafeln) von Hugo Stadelmann, I. Bayerischer Oberlieutenant. Amberg 1869. Pohl. Das Hinterladungsgewehr " System Werder". Nürnberg. Das Bayerische Infanteriegewehr M/69 ( System Werder). Eichstädt 1873. Krüll. **) Lieferant der Läufe iſt das Gußſtahlwerk und Gewehrfabrik, vorm. Berger u. Co. in Witten a. d . Ruhr.

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Winkelhebel = Extractor abwärts schlägt: Deffnen und Auswerfen der leeren Hülje. 2) Spannen des Hahns : Verschließen , Spannen und Firiren der Schlagfeder, indem der als Stange fungirende obere Abzugsarm in die Spannraft des die Nuß ersetzenden Fußes des Hahns tritt; gleichzeitig wird hierbei die flache Abzugsfeder gespannt, wodurch die Stütze den Block in seiner Verschlußlage firirt. Mit resp. ohne Yatagan (735 Gr.) hat das Gewehr eine Länge von 1786 resp. 1308 mm. und ein Gewicht von 5,0 resp . 4,265 Kilogramm. Die aus Messingblech gezogene flaschenförmige Patronenhülje (9,32 Gr. und 49,69 mm. lang) hat am Boden eine eingeprägte Hütchenkammer Zündglocke für eine Zündkapsel nebst Ambos mit vier Zündlöchern. Im Innern der Hülſe am Boden ist ein Verſtärkungsring eingepreßt. Die Kupfer hülsen und Zündhütchen - Fabrik von H. Uttendörffer in Nürnberg fertigt die Bayerischen Hülsen. Ladung 4,3 Gr.; ein durchlochtes Cartonscheibchen trennt sie von dem geprägten Geschoß (11,51 Caliber, 21,96 Gr. hat 3 gefettete Canneli rungen und eine kleine conische Expanſionshöhlung). Die Patrone wiegt 36 Gr. In seinen Leistungen muß das Gewehr selbstverständlich von dem Engli schen und dem Deutschen Gewehre mit Ladungen von 5,5 resp. 5,0 Gr. und Geschossen von 31,1 resp. 25 Gr. übertroffen worden. Im Laufe des Jahres 1874 fanden ausgedehnte, eingehende Verſuche ſtatt behufs Aptirung des Werdergewehrs für die Deutsche Patrone M/71 durch ent sprechende Vergrößerung des Ladungsraums , welche die Ausführbarkeit dieſer Maßregel unbeschadet der Sicherheit des Verschlusses lediglich constatirten. Der Königlich Bayerischen Militair - Schießschule auf dem Lechfelde bei Augsburg wurde hierauf die Beschießung des Gewehrs M/69 mit der Patrone M/71 zur Feststellung der Visirung , der Streuung , der Percussion 2c. überhaupt jämmt licher Flugbahngrößen aufgetragen. Das reichhaltige Material lag Ende 1874 dem Bayerischen Kriegs- Ministerium zur Entscheidung über die im Princip bereits adoptirte, nun definitive Einführung der Patrone M/71 vor. Ueber die Leistungen des Gewehrs mit der neuen Patrone find officielle Daten nicht be kannt geworden, es ist aber keine Ursache vorhanden, daß das Gewehr in seinen Leistungen seinem Norddeutschen Cameraden nicht mindestens vollständig eben bürtig zur Seite stehen sollte. Die alte Bayerische Munition M/69 kann auch nach der Aptirung des M/69 für Patronen M/71 verwendet werden , nicht aber von dem Deutschen Reichsgewehr M/71 , dessen Aufbohrung für den Rand der Patrone den Durch messer 15,3 Mm. (j . Les armes portatives en Allemagne G. 4), während der Rand der Patrone M/69 nur einen Durchmesser von 0,61 Zoll rh. = 15,95 mm. zeigt. Die früheren Vorderlader M/1858 des Süddeutschen Conventionscalibers 13,9 mm. hatte Bayern nach den Vorschlägen des Generals Freiherr von Podewils , Director der Königlichen Gewehrfabrik zu Amberg, auf Rückladung ohne Einheitspatrone nach der zweiten Constructionsidee von Ed. Lindner Cylinder- Schrauben -Verschluß - abgeändert. Der flaschenbodenförmig ausge höhlte Ventilkopf des Verschlußcylinders von gehärtetem Stahl und der in's Patronenlager eingesetzte Ventilring bewirken den gasdichten Abschluß durch gleichzeitige Preffung und Erpansion.*) *) Tertbuch zu den 12 lithographirten Blättern über das auf Rückladung abgeänderte Infanteriegewehr M/1858 von Joseph Halder, Ober-Lieutenant. Amberg 1867.)

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Der Mechanismus erfordert 4 Griffe : 1 ) Aufziehen des Hahns : Spannen. 2) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe: Oeffnen. 3) Vorschieben und Rechtsanlegen der Handhabe: Schließen. 4) Aufsehen des Zündhütchens . Die Waffe mit Percuſſionszündung, im Feldzug 1870/71 größtentheils von der Bayerischen Armee geführt, ist mit resp . ohne Bajonet 1825 resp. 1302 Mm. lang, 5,02 resp. 4,64 Kilogramm schwer, hat 4 Züge (4,97 Min . breit und 0,26 Mm. tief) mit 1570 Mm. Drallänge. Das Leitervisir ist bis 1050 Meter eingetheilt. Das Zündhütchen ist in einer Höhlung des Bodens der Papierpatrone (35,7 Gr. schwer) befestigt. Das Geschoß mit 2 Cannelirungen und conischer Expansionshöhlung von 14,28 Mm. Caliber wiegt 27,65 Ör. , die Ladung 4,65 Gr. Nach durchgeführter Bewaffnung der Bayerischen Armee mit M/69 dient das Podewilssche Transformationsmodell vorerst noch zur Ausrüstung der Landwehr. Die Bayerische Cavallerie ist mit einem Werder - Carabiner bewaffnet, der mit einer Sicherung versehen ist. Die Patronenhülse ist für 2,5 Gr. La dung nur 25,05 Mm. lang.

Belgien. *) Sowohl für die zu transformirenden Vorderlader M/53 (11Mm. Caliber), als auch für Neubeſchaffungen hat Belgien das Verſchlußſyſtem Albini - Bränd lin gewählt. Klappenverschluß mit Drehung vorwärts um die vorn am Gehäusekopf befestigte Charnierachse, an deren Enden zwei Quadranten als Extractoren beim Deffnen zum Ausziehen der leeren Patronenhülse wirken. In der vorderen Klappenbohrung lagert der Schlagstift mit Spiralfeder. Auf seiner in die hin tere Bohrung reichenden Schaftende schlägt beim Abfeuern ein charnierartig an den Hahn eines Percuſſionsſchloſſes gehängter Bolzen, gleichzeitig den festen Verschluß und die centrale Zündung der Patrone bewirkend . Es sind also drei Handgriffe erforderlich : 1 ) Aufziehen des Hahns : Spannen. 2) Vorwärtsumlegen der Klappe : Oeffnen und Ausziehen. 3) Rückwärtsanlegen der Klappe ins Gehäuse, wobei ein mit einer Spiral feder umgebener Sperrstift in der hinteren Klappenfläche in ein Gesenke des Gehäuses tritt: Schließen und vollständiges Einschieben der Patrone. Das Rohr : vier Züge ; 4,5 Mm. breit , 0,3 tief , Dralllänge 550 Mm. Treppen- und Leitervisir mit Theilung bis 900 Meter. Material : Guß- und Bessemerstahl. Die Waffe : mit resp. ohne dreischneidiges Bajonet 1823 resp . 1325 Mm. lang, 4,812 resp. 4,5 Kilo schwer. Die Munition : die Hülfe von dünnem, mit Papier überzogenem Messing *) Les armes de guerre par le capitaine C. J. Tackels, überseht von Sec.-Lieut. in der 8. Artillerie-Brigade Oden. Taſſel® 1869, Luckhardt. Les nouvelles armes à feu portatives de guerre etc. par N. Libiouille , Paris, Tanera, 1872. Les munitions de guerre. Etudes sur les cartouches par C. J. Tackels , capi taine de l'armée belge. Bruxelles, Lebèque et Cie. 1873.

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blech gerollt, in einer Bodenkappe mit angeprägtem Extractionsrand; Zünd hütchen auf dem central durchlochten Boden. ――― Chassepotgeschoß ( 11,6 Mm. und 25 Gr.) ; Ladung 5 Gr., Patronen 41 Gr. Feuergeschwindigkeit in der Minute : 13 bis 14 Schuß beim Laden aus der Tasche; 11 Schuß kniend mit zurechtgelegten Patronen. Die Belgischen Jäger führen die Büchse von Oberst Terrsen : Der Ver schluß ist analog dem Infanteriegewehr, nur daß in der Achse der Klappe hin ten ein auf einer Spiralfeder sigender unten abgerundeter Sperrbolzen beim Schließen in seine Bohrung eingedrückt, bei normaler Verschlußlage in ein Ge senke der Gehäusewand springend, den Verschluß fixirt. Die Achse des an der rechten Klappenſeite angebrachten Handhabeknopfs greift mit einem Anjat in den Einſchnitt des Sperrbolzen, den ſie, rückwärts abwärts gedreht, zum Deffnen des Verschlusses aus dem Gesenke zieht, aber auch einen Griff zur Handhabung mehr verlangt. Die übrige Construction schließt sich der des Infanterie gewehrs an. Die Feuergeschwindigkeit beträgt 12 Schuß in der Minute. Für die garde civique de Belgique" und für die Reiterei wurde der Fallblockverschluß Comblain II . * ) in Aussicht genommen : durch die Verbin dung mit dem drehbaren Bügel im Verschlußgehäuſe vertical auf- und abwärts beweglicher hohler Verschlußblock , der in seiner Ausbohrung das vereinfachte Schloß trägt: den Hahn , zugleich Nuß und Schlagstift; das Kettenglied , den auch als Stange fungirenden Abzug und die zweiarmige zugleich die Stangen feder ersetzende Schlagfeder. Der Extractor , drehbarer Winkelhebel , liegt unter dem Rohrmund. Beim Vorstoßen des Bügel : Senken des Blocks : Oeffnen, Auswerfen und Spannen ; beim Zurückziehen : Heben des Blocks : Schließen. Die Waffe: mit resp . ohne Yatagan 1700 resp. 1210 Mm. lang und 5,0 resp. 4,3 Kilo schwer. Die Munition : Belgische Patrone mit Geschoß Englebert , 3 Cannelirun gen, Ende hinten conisch verjüngt ( 12 Mm. , 25 Gr. ) Dänemark.**) Die alten Vorderlader des großen Calibers wurden mit dem Dojenverschluß des Englischen Büchsenmachers Snider versehen. Zwei rechts am aufgeschnitte nen Rohr angebrachte Charnierösen bilden das Lager einer Charnierſtange, auf welche die beiden Desen des Verschlußstücks aufgeschoben , diese nach rechts um legen, vor und zurückbewegen laſſen. Zwischen beiden lagert die Deſe des Extrac tors , eine Platte, welche einen beweglichen Theil des ausgeschnittenen Rohr munds bildet , der mit dem Verschluß zurückbewegt , die leere Hülse extrahirt. Die diagonale Bohrung des Verschlußstücks enthält den durch Kerbe und Quer stift firirten Schlagstift zur centralen Zündung. Der hintere schwächere im Rohr liegende Verschlußkörper enthält einen Gascanal. Der Mechanismus erfordert drei Griffe : 1) Aufziehen des Hahns des Percuſſionsſchloſſes : Spannen. 2) Rechtsdrehen und Zurückziehen des Verschlusses : Oeffnen und Ausziehen. *) Les armes portatives Nomenclature de l'arme **) Handleiding tot de pitain der infanterie en W. Breda 1870.

de Libiouille. Comblain. Bruxelles, Impr. Beauvais 1871. kennis der draagbare wapenen door L. Joost , ca Duycker en W. Bresler, 1ste luitenants der infanterie.

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3) Vorschieben des Verschlußstücks : Nach dem Laden. 4) Linksdrehen derselben : Schließen. Für die Neuconstruction " Modell 1867 " ist der Remington'sche Hahnen verschluß gewählt. *) Der im Verschlußgehäuse hinter dem Rohrmund drehbare Hahn bildet den Stoßboden oder Obturator und ist in der verlängerten Rohr achse mit dem firirten Schlagstift versehen. In einer Rinne der linken Seelen wand , durch eine Halteſchraube befestigt, bewegt sich die Extractorſchiene, in deren Einschnitt eine Nase des walzenförmigen Fußes des Stoßbodens zum Ertrahiren eingreift. Der zweite tiefer sitzende Hahn bildet den eigentlichen Hahn oder Percutor, hinten mit Schlagfederkrappe und unten mit zwei Raſten versehen. Das Abzugsblech ist der Träger der einarmigen Schlagfeder, welche in die Nußkrappe des Hahns greift, der Stangenfeder, welche auf den oberen Stangen arm des Abzugs wirkt und einer zweiten Feder , welche , auf die Walze des Obturators wirkend, diesen an den Rohrmund preßt und beim Oeffnen auf die Stange des Abzugs so drückt , daß ein zufälliger Druck dieſen nicht aus der Spannrast löst. Es sind also 3 Griffe nöthig: 1 ) Aufziehen des Hahns : Spannen. 2) Aufziehen des Verschlußstücks : Oeffnen, Ausziehen. 3) Verschieben des Verschlußstücks : vollständiges Einschieben der Patrone und Schließen. Das Rohr: 5 Züge ; 0,18 Mm. tief, Dralllänge 706,1 Mm. Die Waffe: mit und ohne Säbelbajonet: 1831 resp . 1282 Mm. lang ; 4,867 resp. 4,125 Kilo schwer. Die Munition : schwache flaschenförmige, gezogene Tombak-Hülſe für Rand zündung. Ladung 3,9 Gr.; Geſchoß mit abgeschnittener Spitze, 4 Cannelirungen und halbkugelförmiger Expansionshöhlung. Die Feuergeschwindigkeit in der Minute : 18 ungezielte Schuß mit zurecht gelegten Patronen ; 16 ungezielte Schuß aus der Tasche; 13 gezielte Schüsse. Frankreich. Das ,,fusil rayé modèle 1857 " der Infanterie und ,, carabine sans tige modèle 1859" der Jäger vom Normalcaliber 17,8 Mm. find à tabatière, einer Modification des Dosenverschlusses nach Snider, umgeändert. **) Das an's Rohr geschraubte Gehäuse ist hinten ausgeschnitten und mit einem schräg aufsteigenden Schweiftheil versehen. Der Körper des Verschluß stücks ist unten behufs Erleichterung flach ausgeschweift und zur Drehung rechts mit einem Daumengriff versehen. Eine Spiralfeder auf der Charnierachse hinter den beiden Charnierösen des Verschlußstücks läßt dieses nach erfolgter Extraction, einen Handgriff der Waffe ersparend, von selbst wieder in die nor male Lage übergehen. Die Firirung des Verschlußstücks im Gehäuſe erfolgt bei M/57 durch eine stumpfwinklige Feder in der hinteren Verschlußfläche , deren horizontaler Arm sich in ein Gesenke der Gehäusewand placirt , während dessen aufsteigender Arm zugleich den Schlagstift in der diagonalen Bohrung des

*) Haerens ny Bagladevaaben af Capitain L. W. Pfaff in der Tidskrift for Krigsväsen 1868. Kjöbenhavn. **) Memoire sur les fusils se chargeant par la culasse , employées dans les armées de Prusse, de France et d'Angleterre par le capitaine M. Dracke. Traduit de l'anglais par M. de Pina, capitaine de frégate. Paris. Tanera 1873.

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Verschlußstücks firirt ; bei der Büchse erfolgt dies durch Sperrstift mit Feder in der Gehäusewand und Gesenke im Verschlußboden. Das Rohr: vier Züge (6,5 Mm. breit und 0,2 Mm. tief) , Dralllänge 2 Meter ; M/57 ; Klappenvisir bis zu 600 Meter , M/59 : Leitervisir bis 1100 Meter. Die Waffe : M/57 mit resp . ohne 4schneidiges Bajonet 4,8 resp. 4,45 Kilo und 1933 resp . 1423 Mm. Länge. Die Munition: Messingblechhülse mit Papierüberzug in kupferner Boden klappe. Ein im Boden eingepreßter Papierpfropf firirt die Zündhütchenkammer mit sternförmigem Ambos . Geschoß: abgeſtumpft, große Expanſionshöhlung mit Papierpfropf ausgefüllt (18,4 Mm. und 36 Gr.). Ladung (4,5 Gr.) und Geschoß trennt eine Filzscheibe (2 Gr.) . Patronen 47,1 Gr. Feuergeschwindigkeit in der Minute: 7 bis 10 Schuß im Schnellfeuer. Im Chassepot - Gewehr des Calibers 11 Mm. ,, fusil modèle 1866 " *) ist das Gehäuse, Abzugsfeder mit Stollen und Abzug dem von Dreyje analog. Der Verschlußcylinder mit Handhabe und Leitschiene -- zugleich Kammer und Schlößchen hat für den in die Gehäusebahn hereinreichenden Fuß der Kammer halteschraube an der rechten, für die Nase des Abzugsfederſtollens auf der unteren Seite einen Einschnitt zur Bewegung in der Richtung der Seelenachje reip. deren Begrenzung. Die vordere kürzere und hintere längere Bohrung des Cylinders trennt eine für den Durchgang der Zündnadel hohle Scheibe. In ersterer firirt eine Halteſchraube das bewegliche Nadelrohr mit Kautschukring, der durch die Pulvergase beim Schuß zuſammengepreßt zum gasdichten Abſchluß ſich saugend an die Seelenwände anſchließt. Die durch eine für den Nadelſchaft durchlochte Schraube geschlossene hintere Bohrung nimmt als Schlößchen dieſen Schaft mit aufgeschobener Spiralfeder und die durch den Nadelkopf mittelſt einer T-Verbindung gehaltene Zündnadel auf. Der hinten aus dem Schlößchen herver gehende Nadelschaft ist mit dem Nadelbolzen (Hahn oder chien der Franzosen) bleibend verbunden , welcher unter dem Daumengriff hinten mit einer Leitrolle zur leichten Bewegung auf dem Schweiftheil des Gehäuses und vorn mit einer Leitschiene nebst Naſe versehen ist , die beim Abfeuern in den Spannraftschlit am hinteren Verschlußstückende tritt, neben welcher ein kürzerer Ruhraſtſchliß ein geschnitten ist. Der Verschluß erfordert drei Griffe: 1 ) Zurückziehen des Nadelbolzens , bis deſſen untere Naſe hinter den Abzugs federſtollen getreten und da (analog Zündnadelgewehr) Anlehnung findet : Spannen. Die Nadelbolzenleitschiene ist aus dem Gehäuseschlit getre ten, daher 2) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe bis zum Anstoßen der Kammer halteschraube am Ende ihrer Rinne: Deffnen. Die Anlehnung der Raft des Nadelbolzens am Federstollen wird ersetzt durch die ihrer Leit schienennaje am Cylinderende. 3) Vorschieben und Umlegen der Handhabe: Schließen, wobei die ursprüng liche Anlehnung wieder hergestellt wird. Die Leitschienennase des Nadel bolzens steht dem Spannraftschlitz des Cylinders gegenüber und springt beim Abfeuern in denselben herein. Bei nicht ganz umgelegter Handhabe tritt jene Naje in den Ruhraftschlitz, die als Sicherung fungirt. *) Examen critique de l'armement français , par F. de Suzanne. nera 1870.

Paris, Ta

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Das Gußstahlrohr: 4 von rechts über oben nach links gewundene Züge den Feldern gleichbreit (4,32 Mm.) ; 0,3 mm. tief; Dralllänge 550 Mm.; Treppen und Leitervifir eingetheilt bis 1200 Meter. Die Waffe: mit resp. ohne Yatagan Länge 1870 resp . 1305 Mm.; Gewicht 4,68 resp. 4,05 Kilo. Die Munition: Papierpatrone mit Seidenmouſſelin-Ueberzug 32 Gr.; am Boden doppelt durchlochtes Zündhütchen in einem Guttaperchascheibchen. Geschoß: glatt, massiv, mit gefetteter Enveloppe (25 Gr.; 11,6 mm.). Auf der Ladung (5 Gr.) eine Papierscheibe. Die Feuergeschwindigkeit in der Minute 11 bis 12 Schuß . Die Cavallerie ist mit einem Carabiner gleicher Construction und für dieselbe Patrone bewaffnet ; deffen Schußweite reicht bis 1100 Meter. Die berittenen Truppen führen außerdem noch Vorderladungspiſtolen. Der für Metallmunition aptirte Chassepotverschluß ,,fusil modèle 1874, système Gras" für Infanterie, Artillerie und Cavallerie als Uebergangsmodell bis zu einer Nenconstruction wurde am 7. Juli 1874 eingeführt. *) Die Munition: Flaschenförmige gezogene Messingblechhülse mit eingeprägter Hütchenkammer für Zündhütchen und Ambos zur centralen Zündung. ( 13,3 Gr. 60 Mm. lang). Geschoß: glatt, maſſiv mit Papierüberzng (28 Gr. , 12 Mm.) . Ladung 5,2 Gr., darauf Fettscheibe. Briechenland. Authentische Quellen liegen nicht vor. Aelteren Nachrichten zufolge sollte für neuzubeschaffende Waffen kleinen Calibers der Verschluß Remington , nach Libiouille , les nouvelles armes à feu S. 332 , dagegen nunmehr derjenige Comblain II (j. Belgien) adoptirt werden. Nach Tackels : Les munitions de guerre S. 121 und 122 ist die Belgische Hülsenconſtruction dort eingeführt. Patrone 40,2 Gr.; 69 Mm. lang ; Geschoß mit Papierhülle ; Ladung 5 Gr. Broßbritannien.**) Das Vorderladungs- ,,Enfield- Gewehr M/1853 " von 14,56 Mm. Caliber ist nach der Ordonnanz vom 21. Juni 1866 und verschiedenen Modificationen (die letzte Mark III v . 13. Jan. 1869) mit dem Doſen-Verschluß von Snider für die Borer-Patrone convertirt. Von den bereits berührten Modificationen zeigt das Original folgende Abweichungen. Das Verschlußstück hat nur eine Charnieröse ; die hinter derselben auf die Charnierstange geschobene Spiralfeder ist durch zwei Hohl - Cylinder gedeckt. Der im Gehäuse liegende halbcylindrische Verschlußkörper ist nicht aus geschweift. Die diagonale Bohrung des Verschlußkörpers für Schlagstift und Spiralfeder ist durch eine hohle Schraube geschlossen ; die Bohrung in der Längen achse des hinteren Verschlußstückendes nimmt einen auf einer Spiralfeder ſizenden mit Längenschlitz versehenen Sperrstift auf, der beim Schießen, die Feder pressend, in die Bohrung tritt, um bei normaler Lage des Verschlußstücks in ein Gejenke *) Man vergleiche Seite 215. Military breech-loading rifles with detailed notes on the Snider and Martini Henry rifles and Boxer ammunition by Capt. V. Majendie and by Capt. C. Browne. Woolwich, Boddy and Cie. 1869. Notes of Boxer ammunition for Snider converted rifles by Capt. C. Browne. Woolwich 1868.

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der Gehäusewand einspringend, den festen Verschluß herzustellen, firirt. In den Schlitz des Sperrstifts greift der untere Arm der beweglichen Verschlußhand habe (Winkelhebel) , die, niedergedrückt , den Bolzen zum Oeffnen aus dem Gesenke zieht. Das Rohr : drei Züge 0,25 Mm. tief; 5,8 Mm. breit ; Dralllänge 1981 Mm. Treppen- und Leiter-Visir bis 900 Meter eingetheilt. Die Waffe: mit resp. ohne Stichbajonet 1866 resp . 1372 Mm. lang ; 4,52 resp. 4,14 Kilo ; zweifedriges Kettenrückschloßz. Die Munition : Patrone M/VII von Borer (40,3 Gr. ) . Die Hülſe von gewalztem Messingblech gerollt, mit Papierüberzug , innen lackirt , siht in zwei Bodenkappen auf der schwarz-gefirnißten Extractionsplatte, in deren Mitte die oben geftauchte Zündhütchenkammer mit flachem Ambos und Zündhütchen durch einen eingepreßten Papierpfropf, alle Theile fest verbindend , vernietet wird. Geschoß M/VII (14,55 Mm. und 31,1 Gr. ) lackirt mit 4 Cannelirungen, conischer Expansionshöhlung für einen Thon-Treibspiegel, an der Spige eine geschlossene cylindrische Höhlung. Ladung (4,5 Gr.) in einer Papierhülje, darauf eine Lage Baumwollwatte. Die Feuergeschwindigkeit in einer Minute : ungezielt 15 Schuß , gezielt 9 Schuß. Nach demselben Syſtem wurden convertirt nach der Ordonnanz vom 28. März 1867 die Büchsen, short rifles ; 7. August 1867 die Marinegewehre, naval rifles ; 1. resp. 2. Mai 1867 die Reiterei- und Artillerie - Carabiner , cavalry and artillery carbines ; 30. October 1866 die Lancaster carbines . Für die Englische Neuconstruction vom Caliber 11,43 Mm. Modell 1871 wurden Lauf und Geschoßz von Henry, der Verschluß von Martini (Frauenfeld, Schweiz), die Patronenhülse von Borer als „,Martini-Henry rifles and Boxer Henry ammunition " gewählt. *) Im Gehäuse befindet sich hinten oben das Zapfenlager des modificirten Peabody'schen Fallblocks mit Laderinne, deffen Bohrung für den mit einem Längenschlitz versehenen Schlagstift nebst aufgeschobener Spiralfeder , durch eine Hohlschraube geschlossen ist. Am Charnierende des Blocks sind zu beiden Seiten Ausschnitte als Widerlager für die oberen Gabelarme des den Mechanismus bewegenden drehbaren Bügels, behufs Senken und Heben des Blocks zum Deffnen und Schließen beim Vorstoßen und Zurückziehen des Bügels. Das das Gehäuſe unten schließende Abzugsblech ist der Träger: 1) der Charnierachse des Bügels , auf deren vierkantiger Mitte zwischen der Bügelgabel ein unten mit entsprechend viereckigem Durchgang und einer Spannrast versehener in den Schlagstiftschlitz eingreifender Hebel - Nuß bleibend befestigt ist; 2) des zugleich als Stange fungirenden Abzugs und der Abzugsfeder ; 3) der horizontal verschiebbaren unter den Abzug zu dessen Firiren eingreifen den Sicherungsschiene ; *) Reports of a special committee on breech-loading rifles. London 1868. Deutsche Uebersesung : Rapport der Englischen Gewehr-Prüfungs - Commiſſion über Adoption des Hinterladungsgewehrs von Martini Henry für den Militairdienst. Frauen feld. Huber 1869. Reports of special committee on Martini Henry breech-loading rifles. London 1871.

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4) der Charnierachse des unter dem Rohrmund liegenden doppelten Extractors (Winkelhebel) . Die Waffe erfordert zwei Griffe : 1 ) Vorstoßen des Bügels : Senken und Aufschlagen des Blocks auf den Extractor: Oeffnen und Auswerfen , dabei zugleich Zurückziehen des Schlagstifts durch die Nuß, bis die Abzugsstange firirend in die Nuß Rast tritt: Spannen und firiren. 2) Zurückziehen des Bügels : Heben des Blocks : Schließen. Das Rohr: eigenthümlich polygonaler Querschnitt mit 7 Zügen nach Henry ; 0,185 mm. tief, 558,8 Mm. Dralllänge. Leiter- und Treppen-Visir bis 1100 Meter eingetheilt. Die Waffe: mit resp . ohne Yatagan (von Lord Elcho) 1758 reſp. 1278 Mm. lang, 4,84 resp. 4,155 Kilo. Die Munition: Flaschenförmige Messinghülse ohne Papierüberzug nach Borer (f. Snider) ( 10,8 Gr. ) , Henry- Geſchoß von Hartblei (8 pCt. Zinnzuſaß) mit Papier-Enveloppe glatt (11,43 Mm. , 31,1 Gr.). Ladung 5,5 Gr., darauf 2 Jute-Scheiben und ein ausgehöhlter Wachs -Cylinder. Die Construction des Martini - Henry - Gewehrs ist noch nicht endgültig festgestellt. Die Massenversuche bei den Truppen haben als wesentliche Nach theile beim Gebrauch der Waffe constatirt : 1) den bedeutenden Rückstoß , beſonders bei den kurzen Kolben ; 2) daß nach 10 Schuß im Schnellfeuer in Folge des heißen Rohres der Mann dasselbe nicht mehr anfassen kann ; 3) das ungleiche und schwere Abziehen der Waffe; 4) daß die zu weit zurückliegende Sicherung leicht in den Händen von Rekruten und unvorsichtigen Soldaten durch unfreiwilliges Berühren des Abzugs Unglücksfälle veranlaßt ; 5) Losschrauben und Verlorengehen der Charnierachſe. Das Prüfungs -Comité glaubt die Mißstände ad 1 und 3 der Kürze des Kolbens und der Unbequemlichkeit des Anfaſſens deſſelben zuschreiben zu müſſen. Das Comité beantragte deshalb am 9. April 1874 : 1) die Annahme der Kolbenlängen von 14 resp . 142 3oll . Engl. = 355,6 resp. 368,3 Mm. bei 40 resp . 60 pCt. der Waffen; 2) die Anbringung eines Leders zu beiden Seiten des Vorderſchafts für das Anfassen im Anschlag ; 3) Wegfall der Sicherung , auch in Betracht deren schwierigen und kost spieligen Anfertigung ; 4) veränderte Construction der Charnierachse.

Italien.*) Wie Deutschland, so hat auch Italien sowohl für die Transformation, als für die Neuconstruction, den Cylinderverschluß angenommen. Die Vorderlader M/60 des Calibers 17,8 Mm. sind nach der Modification von Carcano aptirt. Der Nadelschaft mit am Kopf befestigter Sperrfeder *) Cenni sulle armi portatili degli eserciti europei. Torino 1869. Delle nuove armi portatili, adottate e in corso di studio presso l'esercito ita liano. Torino 1868. Französische Uebersehung : Les nouvelles armes à feu portatives adoptées ou à l'étude dans l'armée italienne . 1868.

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mit Nase , aufgeschobener Spiralfeder und kurzem Schlößchen sind Dörsch und Baumgarten entliehen. Die Patroneneinlage , der Nadelbolzen und seine Ver bindung mit dem Nadelschaft und dessen T- Verbindung mit der Nadel , die Kammer mit Handhabe und Leitschiene , endlich der Gelenkhebel zum Auslösen der Sperrfeder sind Chassepot entnommen. Der direct im aufgeschnittenen Rohr liegende Mechanismus verlangt drei Griffe : 1 ) Linksdrehen und Zurückziehen des Schlößchens nebst Nadelbolzen, bis die Sperrfedernase durch Eintreten in ihre Gesenke im Cylinder die Ver bindung beider hergestellt hat ; 2) Aufstellen und Zurückziehen der Handhabe: Oeffnen; 3) Vorschieben und Umlegen der Handhabe: Schließen ; 4) Vorschieben und Rechtsdrehen des Schlößchens : Spannen. Das Rohr: vier 7 Mm. breite Züge, Kanten abgeschrägt, 2000 Mm. Drall länge. Klappvisir bis 750 Meter. Die Waffe: mit resp. ohne 3kantiges Bajonet : 1874 resp . 1414 Mm. lang ; 4,5 resp. 4,15 Kilo schwer. Die Munition: Papierpatrone 43,8 Gr. , gefettetes Tuchläppchen mit Kreuz schnitt zwischen doppeltem Papierboden der Hülſe (früher Kautſchukplatte). Ladung 4,5 Gr. , darauf flacher Zündspiegel, mit Neßler'schem Expanſionsgescheß M/63 (17,2 Mm., 36 Gr. ) . Patrone 43,8 Gr. Die Feuergeschwindigkeit in der Minute: ungezielt 15 bis 16 Schuß; ge= zielt 10 bis 11 Schuß. 20 Infanterieregimenter waren im Herbst 1874 noch mit dem umgeänderten Gewehr bewaffnet. Mit der Wahl des Vetterli'schen Einladers - Cylinder-Verschluß hat Italien für seine Neubewaffnung M/70 auch das Schweizer Caliber 10,4 Mm. adoptirt. Das an's Rohr geschraubte Gehäuse hat am Kopfe zwei Gascanäle und einen Einschnitt für den Extractorkopf; in der Mitte eine Ladeöffnung. Der Cylinder trägt in einer Nuth seiner Oberfläche (auf 2/3 seiner Länge) durch Stift und Nase befestigt die breite Extractorſchiene , deren Krappen vorn über den Stoßboden vorsteht. Hinter dem ringförmigen Ansaß am letzten Drittel ist ein kurzer Cylinder mit Handhabe - Nuß mit Hebel - vorn mit 2 Führungs warzen für die Längen- und Querschnitte der inneren Gehäuſewand , hinten mit 2 gewindförmigen tiefen Einschnitten für die Schlagstiftflügel behufs Selbſt spannen versehen, aufgeschoben. Die berührenden Flächen von Ringanjay und Nuß bilden ein Schraubengewinde. In die Bohrung ist nunmehr der Schlagſtift für Centralzündung geschoben, dessen beide Flügel (unterer mit Ruh- und Spannraft) sich im Schlitz des Cylinderrandes führen und in die Gewindeein schnitte der Nuß eintreten. Dahinter ist endlich die Spiralfeder aufgeschoben und mittelst eines Gehäuses gedeckt. Durch die auf das Gewindeende des En linders aufgeschraubte, durch Feder mit Stift firirte Mutter sind alle Verschluß theile bleibend vereinigt. Der so ohne jedes Inſtrument montirte Verschluß wird im Gehäuse durch einen einzuſchiebenden Keil fixirt. Mit zwei Griffen ist die Handhabung der abgefeuerten Waffe erledigt: 1) Aufstellen der Handhabe: die tiefen Gewinde der Nuß nöthigen die Schlagstiftflügel, die Spiralfeder pressend , rückwärts auszuweichen und Anlehnung am verticalen Ende zu suchen : Spannen und Firiren : Zu rückziehen: Deffnen , Ausziehen und Auswerfen durch das Einspringen des Kopfes der Auswerffeder in die untere Fläche der Gehäusebahn ;

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2) Vorſchieben und Umlegen der Handhabe : Schließen . Der untere Rast flügel des Schlagstifts wird durch die Stange des Abzugs firirt und der Cylinderkopf durch die Wirkung der Gewindeflächen von Cylinderansak und Nußstirne an den Rohrmund gepreßt. Das Rohr: vier Züge ; 4,5 Mm. breit und 0,25 Mm. tief; Dralllänge 660 Mm. Quadrantenviſir von Carcano mit Theilung bis 1000 Meter. Die Waffe: Mit resp. ohne Yatagan 1910 resp. 1345 Mm. lang und 4,97 resp. 4,2 Kilo. Die Munition : gezogene flaschenförmige Tombakhülse nach Didato mit Zündhütchenkammer, Zündhütchen und flachem Ambos ( 10 Gr.). Ladung 4,0 Gr.; darauf Papierscheibe und Schweizer Geschoß (20,4 Gr. ) mit einer breiten und drei schmalen Cannelirungen und doppelt conischer Expansionshöhlung . Patrone 35 Gr. Die oben erwähnten 20 Regimenter sollen nunmehr auch das Vetterli gewehr M/1870 erhalten , so daß im Frühjahr 1875 die ganze Infanterie der Italienischen Armee : 10 Regimenter Bersaglieri, 80 Linien-Infanterieregimenter und die Alpencompagnien mit dem neuen Vetterligewehr bewaffnet sein werden. Versuche mit Repetirgewehren für die Alpencompagnien sind im Gange.

Niederlande.*) Die großcalibrigen Vorderlader ( 17,5 Mm .) wurden 1867 nach Snider mit den nachstehenden Modificationen abgeändert. Der im Gehäuſe liegende Körper des Verschlußstücks ist ausgeschnitten, ihr Daumengriff vorn statt hinten angebracht. Der Schlagstift ist durch eine Halteschraube und Querſchliß fixirt. Die Spiralfeder auf der Charnierſtange ist unverdeckt. Die feste Lage des Verschluſſes ſichert eine links außerhalb des Gehäuses angebrachte Feder, deren Stollen in die Gehäusebahn reicht und bei normaler Lage in ein entsprechendes Gejenke des Verschlußstücks tritt. Das Rohr: vier Züge 6,86 Mm. breit , hinten 0,3 mm. tief, nach vorn progressiv bis Null abnehmend. Dralllänge 2 Meter. Die Waffe : mit resp. ohne Stichbajonet 1917 resp. 1462 Mm.; 4,962 resp. 4,15 Kilo. Die Munition: gerollte Hülse von Kupferblech mit Bodenkappe, eingepreßtem Papierpfropf, Hütchenkammer, Zündhütchen und flachem Ambos von Messing für Centralzündung (7,4 Gr.). Ladung 5 Gr. Geschoß : abgeschnittene Spitze, 1 Cannelirung, große conische Expansionshöhlung ( 17,8 Mm., 39,5 Gr.). Pa trone 52 Gr. Nach den eingehendsten Versuchen wurde für die Neubeschaffungen des Ca libers 11 Mm. der Cylinder-Verschluß von Beaumont angenommen , der auch kürzlich in Frankreich concurrirte. Derselbe hat sehr viel Aehnlichkeit mit dem Deutschen Modell 1871 . Die Kammer mit Handhabe und weit vorstehender Leitschiene nimmt in ihrer Bohrung den Schlagschaft auf; hinter dessen Einfeilung greift der Krappen der in der hohlen Handhabe befindlichen zweiarmigen flachen Schlagfeder an, die Verbindung von Kammer, Schlagstiftschaft und Nadelbolzen herstellend . — Als Selbstspann- Vorrichtung dient der tiefe Gewindeeinschnitt mit bogenförmiger *) Verslagen, rapporten en Memorien omtrent militaire onderwerpen. Uitge geven door het departement van Oorlog. S'Gravenhage 1867. Handleiding tot de Kennis der draagbare wapenen door Joost , Duycker en Bresler. Te Breda 1870.

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rechter Seite am hinteren Kammerende und der analoge Anjaß der Leitschiene des Nadelbolzens , der durch eine Schraube bleibend mit dem Schlagstiftschaft verbunden ist. Das bewegliche Nadelrohr zeigt die Bohrung für den Schlagstift, die Nuth für die Extractorschiene , deren Lager eine Rinne der linken inneren Gehäusewand abgiebt, und der Quer-Rinne für die Mitnehmerschraube der Leit schiene der Kammer. Ist das Nadelrohr in's Gehäuse eingelegt, so wird der übrige Verschluß eingeschoben und durch das Anziehen der Mitnehmerschraube verbunden. Die Handhabung macht zwei Griffe nöthig , die Wirkung der einzelnen Theile auf einander ist analog wie bei Mauser. Ein Sicherungsstift mit Feder und Handhabe an der rechten Gehäuſewand tritt in ein Loch des Schlag stiftschaftes bei gespannter Waffe zur Sicherung ein. Das Rohr: vier den Feldern gleich breite 0,3 Mm. tiefe Züge; Dralllänge 550 Mm.; Quadrantenvifir mit Theilung bis 1100 Meter. Die Waffe: die Klinge des 4schneidigen Bajonets liegt in der Vertical ebene der Waffe unter der Seelenachse. Mit resp. ohne Bajonet: 1830 resp. 1320 Mm. lang und 4,685 resp. 4,35 Kilo schwer. Die Munition: schwach flaschenförmig gezogene Messingblechhülse mit kurzer Innenhülse , T - Ambos und Zündhütchen zur centralen Zündung ( 10,5 bis 11 Gr.) . Ladung 4,25 Gr., darauf Fettscheibe. Wachs in der großen Can nelirung. Geschoß : abgeſtumpft, große und kleine Cannelitung ( 11 bis 11,7 Mm. und 21,75 Gr.) .

Defterreich-Ungarn . Wie die meisten Staaten ist auch Desterreich im Besize eines Transforma tions-Modells und einer Neuconſtruction. Die Vorderlader M/1854 und 1862 vom Caliber 13,9 Mm. find als M/1867 mit dem Klappen-Verschluß des Gewehrfabricanten Wänzl versehen.*) Die im Charnier an einer Handhabe vorwärts drehbare Klappe enthält in einer diagonalen, mittelst einer hohlen Schraube geschlossenen, Bohrung Schlag stift und Spiralfeder für Randzündung ; ein Stift an der linken Charnierëse greift in den Einschnitt einer in der linken Seelen- und Gehäusewand beweg lichen Extractorschiene zum Ausziehen resp. Einschieben beim Oeffnen resp. Schließen. Die aufwärts auf die Charnieröse wirkende Verschlußstückfeder an der linken Außenseite des Gehäuſes firirt den Verschluß in der geöffneten Lage, während ein an die Nuß gehängter Schlepper einen Sperrstift durch die Ge häusewand in die hintere ariale Bohrung der Klappe beim Abfeuern zum festen Verschluß treten läßt. Die 3 erforderlichen Griffe sind : 1 ) Aufziehen des zweifedrigen Percussionsschlosses : Spannen. 2) Vorwärts-Umlegen der Klappe: Ausziehen und Oeffnen. 3) Rückwärts - Einlegen der Klappe ins Gehäuse : Schließen. Das Rohr: vier den Feldern gleichbreite 0,18 Mm. tiefe Züge mit 2107 Mm. Dralllänge. Das Leitervisir ist bis 700 Meter eingetheilt. Die Waffe: mit resp . ohne Stichbajonet : 1812 reip. 1338 Mm. lang: 4,655 resp. 4,253 Kilo schwer. Die Munition : gezogene cylindrische Kupferhülse (6,4 Gr. ) für Rand *) Die Umgestaltung der . k. Desterreichischen Gewehre in Hinterlader von Alfred Kropatschek, Oberlieutenant im k. k. Artillerie-Comité. Wien 1868. Seidel u. Sohn. Handbuch für die k. k. Artillerie. 1. Th . 7. Abſchnitt : Handfeuer- und blanke Waffer von Alfred Ritter von Kropatschek, Hauptmann im t. t. Artillerie-Stabe. Wien 1873.

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zündung. Ladung 4,4 Gr; Geschoß : abgeſtumpft , zwei Cannelirungen und kleine conische Expansionshöhlung ( 14,72 Mm. und 29,7 Gr.) . Die Feuergeschwindigkeit in der Minute: ungezielt mit zurechtgelegten Pa tronen 18 bis 20 Schuß ; gezielt bis zu 14 Schuß ; 7,5 Salven. Die Waffen sämmtlicher Specialwaffen sind hiernach aptirt und dienen theil weise zur Ausrüstung der Landwehr. Für die Neubewaffnung „ Modell 1867 " wurde das Caliber 10,99 Mm. und der Wellenverschluß des Gewehrfabricanten Werndl aus Steyer gewählt, welcher noch eines besonderen Percuſſionsſchloſſes bedarf.*) Den Verschluß bildet eine im Gehäuse liegende mit Laderinne versehene Welle mit Handhabe, deren Achse ihre Lager unter den Rohrmund und auf der aufwärtswirkenden Verschlußstückfeder in der Rinne des Gehäuſe- Schweiftheils, mittelst eines Reiters befestigt , hat. Die Welle enthält den mit Kerbe und Querstift fixirten Schlagstift nebst Spiralfeder für Centralzündung. Am linken Ende einer unter dem Rohrmund liegenden cylindrischen Achse ist vertical ein Auswerfarm, Extractor, am rechten Ende horizontal - im Ausschnitt der Ge ― häuſewand beweglich ein Druckhebel angebracht , für dessen in die Gehäuſe bahn vorstehende Nase die Welle eine Leitrinne hat. Schlägt deren Ende beim Schließen auf die Druckhebelnase, so wird der Schlag auf den Extractor über tragen , der die leere Hülſe längs der nunmehr vor den Rohrmund getretenen Laderinne der Welle auszieht. Griffe wie bei Wänzl. Das Rohr: sechs 3,84 Mm. breite , 0,18 mm. tiefe Züge; Dralllänge 724 Mm. Das Treppen- und Leitervisir ist bis 900 Meter eingetheilt. Die Waffe: mit resp. ohne Bajonet 1859 resp . 1281 Mm ; 5,223 reſp. 4,48 Kilo. Einfedriges Percussionsschluß. Die Munition : Flaschenförmige Tombakhülse ( 7,88 Gr.) , im Boden kupferne Kapsel mit Zündpille zur Centralzündung. Ladung : 4,01 Gr. Geschoß : ab geſtumpft, zwei Cannelirungen und kleine Expanſionshöhlung ( 11,36 Mm. und 20,28 Gr.). Die Feuergeschwindigkeit in der Minute : im Einzelfeuer gezielt 6,4 Schuß, im Salvenfeuer 3,3 Schuß. Das Jägergewehr, der Carabiner, das Extra-Corps - Gewehr und die Piſtole der Reiterei haben dieselbe Verschlußconstruction. Die Werndl' -Pistolen wurden nicht in größeren Mengen fabricirt , da die Einführung eines Revolvers im Princip beschlossen war. Am 14. August 1870 wurde der Revolver des Fabricanten Gaffer in Ottakring bei Wien **) angenommen für die Unteroffiziere und die mit dem Carabiner nicht ausgerüsteten Soldaten der Cavallerie, für die berittenen Unteroffiziere der Artillerie und des Fuhrwesen Corps und für die Bataillonshornisten der Jäger. Die drehbare Trommel ist mit Laderäumen für 6 Schuß versehen, welche von hinten durch eine Ladethür des Gehäuses eingeführt werden. Die Schußbereitschaft erfolgt entweder durch *) Das t. t. Desterreichische Hinterladungs - Gewehrſyſtem kleinen Calibers mit Werndl Verschluß von Alfred Kropatſchek, Hauptmann im k. k. Artillerieſtabe. Wien, Seidel 1870. Das neue . t. Oesterreichische Hinterladungs - Gewehr System Werndl im Vergleich mit dem System Wänzl von Theodor Andres, . . Hauptmann. **) Der k. t. Desterreichische Armee Revolver nebst einem Anhange über den Infanterie Offiziers- Revolver Patent Gaſſer, von Alfred Ritter von Kropatschek, Hauptmann im t. t. Artillerie-Stabe. Wien, Seidel, 1873. 41 Militairische Jahresberichte 1874.

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beſonderes Aufziehen des Hahns oder durch wiederholt fortgesette Wirkung am Abzug des in der Verticalebene der Waffe sitzenden Schloſſes . Die Waffe: Caliber 11 Mm .; 6 Züge ; Länge 324,5 Mm . Die Munition : Gezogene Messingblechhülfe für Centralzündung (35,6 Mm. Lang, 5,9 schwer) . Ladung 1,4 Gr. Geschoß wie für das Infanteriegewehr. Die Feuergeschwindigkeit in der ersten Minute höchstens 12 Schuß , bei fortgesetztem Feuer in den folgenden Minuten nur etwa 7 Schuß. Eine veränderte Construction des Werndl' - Gewehrs , als " Modell 1873" war behufs Maſſenversuchen in den Händen zweier Bataillone und ist mittelſt Allerhöchsten Entschlusses vom 10. Februar 1874 für Neufabrication ſanctienist. Sie charakterisirt sich durch die nachstehenden wichtigsten Veränderungen. *) Die Welle ist durch Ausschnitte erleichtert, hat eine tiefere, zum Laden ge eignetere Laderinne, eine etwas mehr aufgebogene Handhabe und bewegt ſich nicht mehr mit ihrer Achse , sondern um die unbewegliche Achse. Das teilförmige Achsende und die Verschlußstückfeder im Gehäuse-Schweiftheil sind durch einen in der Welle befindlichen Stift mit Spiralfeder ersetzt, deſſen Kopf ſich_flach an Keilflächen der Wellenachse stüßt und beim Oeffnen und Schließen die drehende Bewegung der Welle beschleunigend unterstützt. Ein neues Kettenschles ist versucht worden ; der Hahn befindet sich an der inneren Schloßblechseite, jein Fuß ist zugleich Nuß , ſo daß die seitherige Nuß , die Studel, die 2 Studel-, die Stangen- und die Nußschraube in Wegfall kommen. Der Vorderschaft ist länger, der Kolben um 13 Mm. kürzer. Die Klinge des Säbelbajonets ist 474 Mm. lang. Die Waffe mit und ohne Yatagan: 1740 resp. 1264 Mm. lang ; 4,7 reip. 4,2 Kilo schwer. Zur Erhöhung der balliſtiſchen Leiſtung ist die Annahme einer verſtärkten Ladung von dem technisch und adminiſtrativen Militair-Comité verſucht worden. Die Desterreichische Gendarmerie ist mit einem Repetirgewehr nach dem System Frühwirth vom Caliber 10,99 Mm. ausgerüstet ,**) das in einer Meſſing blechröhre unter dem Laufe 6 Cavallerie - Patronen (28,7 Gr.) mit Geschossen wie für Infanterie und 2,19 Gr. Ladung aufnimmt.

Portugal. Für die neuconstruirten Hinterlader des kleinen Calibers wollte Portugal ursprünglich das Englische Martini-Henry Gewehr annehmen, soll sich nunmehr aber nach neuesten sicheren Quellen für den Mechanismus von Westley Richard's entschlossen haben. Die älteren Gewehre sind nach Snider umgeändert. Rugland. Für die Transformation hat Rußland verschiedene Systeme gewählt : Terry Normann's Cylinderverschluß für Büchsen ; Berdan Nr. 1 Klappen - Verſchluß (ſ. Spanien) für die Büchsen der Scharfschüßen-Bataillone. Erstere ſind ſpäter wieder nach Krnka's Doſenverschluß umgeändert worden. Nach diesem Syſtem

*) Die wichtigsten Systeme der modernen Handfeuerwaffen von D. Maresch, L. L Artillerie-Hauptmann. Wien 1873. Seidel. **) Instruction über die Einrichtung 2c. des Gendarmerie Repetir Gewehrs nach System Fruhwirth. Wien 1873.

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und nach dem Cylinderverschluß Karl wurden die Sechslinien- Gewehre ( 15,24 Mm. Caliber) M/1856 jest 1867 aptirt. Bei dem Karl'schen Zündnadelmechanismus hat die Kammer zwei Führungswarzen für entsprechende Gejenke des Gehäuses , ist mit conischem Kopfe nebst beweglichem Nadelrohr vorn geſchloſſen und hinten mit einem dreh baren Winkelhebel als Handhabe versehen , dessen unterer Arm in einen Schlitz des Schlößchens hinter die Spiralfeder so eingreift, daß sie beim rückwärts Niederlegen gespannt wird. Das zugleich als Nadelbolzen fungirende Schlößchen ist vorn durch die eingeſchraubte Zündnadel geſchloſſen. Die Zahl der Griffe ist vier: 1 ) Aufstellen. 2) Linksdrehen und Zurückziehen der Handhabe : Deffnen. 3) Vorschieben und Rechtsdrehen der Handhabe : Schließen, wobei die untere Schlößchennase Anlehnung an den in die Kammerbahn reichenden Ab zugsfederſtollen findet. 4) Rückwärts Niederlegen der Handhabe: Spannen. Das Rohr: vier Züge, Mm. breit, Tiefe progressiv bis 0,38 Mm.; Drall 1340 Mm. , Quadrantenviſir mit Theilung bis 900 Meter. Die Waffe: mit und ohne dreischneidiges Stichbajonet 1847 resp. 1359 Mm.; 4,92 resp. 4,51 Kilo. • Die Munition : Papierpatrone (43,2 Gr. ) ; Hülſenboden: Talgſcheibe zwischen durchlochten Cartonscheiben ; darauf Zündhütchen mit Löchern. Geschoß : 3 Canne lirungen, conische Expansionshöhlung mit eisernem Treibspiegel ( 15,2 Mm. und 35,5 Gr.) ; Ladung 5,07 Gr. Feuergeschwindigkeit in der Minute: ungezielt etwa 15 Schuß, gezielt 8 bis 9 Schuß. Der Krnka'sche Dosenverschluß *) wird links gedreht, wobei die Stirn kante des Verschlußstücks auf die schiefe Schlagfläche eines vorn links am Ge häuse befestigten zweiarmigen Hebels - Ejector - zum Ausziehen der leeren. Hülse durch den längeren Arm , deſſen Krappen einen Theil der Aufbohrung bildet, aufschlägt. Die feste Verschlußlage im Gehäuſe iſt durch Stift und Spiral feder vorn rechts und durch Gejenke in der Stirnfläche des Verschlußzstücks vermittelt. Der Mechanismus erfordert 3 Griffe: 1) Aufziehen des Hahns des Percuſſionsſchloſſes : Spannen . 2) Linksdrehen des Verschlusses : Oeffnen und Ausziehen . 3) Rechtsdrehen : Schließen. Die Munition: cylindrische gezogene Messingblechhülse nach Berdan (siehe Bayerische Hülfe) 12 Gr. Den Verschluß Berdan Nr. 1 der Scharfschützen, siehe Spanien. Für die neubeschafften 4,2 Linien - Gewehre M/1871 " von 10,66 Mm. Caliber wurde der Cylinderverschluß Berdan Nr. 2 gewählt. Das an's Rohr geschraubte Gehäuse hat unten einen Längenschlitz für den Abzug , der in dem Ausschnitt eines den Abzugsfederstollen ersetzenden einarmigen , durch die Abzugsfeder nach oben wirkenden Hebels greift. Dieser hat eine gemeinschaft liche Achse mit dem durch die Auswerffeder nach oben wirkenden Auswerfer. Der Verschlußcylinder oder die Kammer mit Handhabe nimmt in ihre vorn Durch das durchlochte, unten mit einer Naje versehene (mit Stift befestigte) *) Das beste Rückladungs - Gewehrſyſtem Krnka, von A. Penecke, ehemal. k. 1. Offizier, Wien 1869. 41*

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Schlagstiftrohr geschlossene Bohrung auch als Schlößchen zugleich den Schlags stift mit Spiralfeder auf. Die Leitschiene der Handhabe enthält in einer Bob rung auf einer kleinen Spiralfeder den durch eine Schraube firirten Extractor. Der aus der Kammerbohrung hinten vorstehende Schlagstiftſchaft ist in dem auf den Verschlußcylinder aufgeschobenen Schlagbolzen eingeschraubt und durch eine Schraube bleibend befestigt. Derselbe hat unten eine Ruh- und Spannraft zur Anlehnung an den Abzugsfederstollen. Der Mechanismus erfordert zwei Griffe: 1) Aufziehen und Zurückziehen der Handhabe : - Deffnen , Ausziehen bis die Nase des Schlagstiftrohrs an die Auswerfernaſe in der Sohle der Gehäusebahn zum Auswerfen der leeren Hülſe ansteht. 2) Vorschieben der Handhabe, bis die Spannraft des Schlagbolzens An lehnung am Abzugsstollen -Hebel findet; beim fortgesetzten Vorschieben Spannen der Spiralfeder; beim Rechts - Umlegen der Handhabe Firiren der gespannten Feder und Schließen. Das Rohr: sechs 4,19 Mm. breite und 0,254 Mm. tiefe Züge. Leitervifir. Die Waffe: mit resp. ohne dreischneidiges Bajonet, dessen Klinge in der Verticalebene der Waffe unter der Seelenachse liegt: 1854 resp . 1343 Mm. und 4,638 resp . 4,218 Kilo. Die Munition : Gezogene flaschenförmige Messingblechhülse mit kurzer Innenhülse , eingeprägtem Ambos mit Zündlöchern und Zündhütchen. Ladung 5,06 Gr. , darauf eine Fettscheibe. Geschoß : glatt , maſſiv , mit Papierhülje (10,87 Mm. , 24 Gr.) . Schweden und Norwegen*). Im " Modell 1851 " hat Schweden einen eigenthümlichen Hinterlader ohne Einheitspatrone. Das hintere abgeschnittene Laufende ist zur Aufnahme der Ladung und des Geschosses mit einem Zündstollen nebst Piston für das Zünd hütchen versehen und um eine Achse drehbar ; mittelst eines Hebels wird dieſes Kammerstück zum Laden und Schließen auf- und abwärts gedreht, der Kammer mund an den Rohrmund angepreßt und der feste Verschluß hergestellt. Das Rohr : Caliber 12,18 Mm. , sechs , 2,97 Mm. breite, 0,3 Mm. tiefe Züge von 1129 Mm. Drall. Die Waffe: mit und ohne Bajonet 1975 resp. 1387 Mm. und 4,888 resp. 4,420 Kilo. Die Munition: Papierpatrone 34,4 Gr.; Geſchoß: massiv, 3 Cannelirungen 12,32 Mm . und 24,9 Gr. , Ladung 6,4 Gr. Bei dem Norwegischen Kammerladungs - Gewehr M/60 ist der Hebel an der Drehachse der Kammer befestigt , deren Zündkegel unten für den Hahn des in der Verticalebene der Waffe fizenden vereinfachten Gewehrschlosses ange bracht ist. Das Rohr: Caliber 11,76 Mm.; sechseckige Bohrung nach Whitworth von rechts über oben nach links gewunden. Leitervisir bis 470 Meter ein getheilt. Die Waffe: mit und ohne dreischneidiges Bajonet : 1925 refp. 1423 Mm.; 4,292 resp. 3,91 Kilo. *) 1) Lärobok om handgeväret till begagnande vid skjutskolor för infanteri offi cerare. Stockholm 1868. P. A. Norstedt et Söner. 2) Planschverk öfver antagna nyare gevärs modeller. Ritadt och uitgifvet af Gustaf Frumerie, Unterlöjtnant vid kongl. Svea artilleri regemente. Stock holm.

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Die Munition : Papierpatrone 32,7 Gr. Geschoß : glatt mit conischer Ex pansionshöhlung 11,77 Mm. und 24,93 Gr. Ladung : 4,86 Gr. Für die Neuconstruction des Calibers 12,18 Mm. ist der Remington Verschluß für Schweden und Norwegen als M/1867 (j . Dänemark) adoptirt. Das Rohr: 6 Züge 2,97 Mm. breit und 0,45 tief; Dralllänge 950 Mm. Leiter und Treppenvifir bis 600 Meter. Die Waffe : mit und ohne vierſchneidiges Bajonet 1850 resp . 1365 Mm . lang und 4,739 resp . 4,335 Kilo. Die Munition: Gezogene cylindrische Tombakhülse (6,59 Gr. ) mit Rand zündung. Ladung : 4,25 Gr. Geschoß : drei Cannelirungen, kleine coniſche Er pansionshöhlung ( 12,62 Mm. und 24 Gr.). Für die Reiterei ist ein Remington - Carabiner M/1870 mit einer Lauf länge von 460,2 Mm. , im Uebrigen gleicher Construction wie das Gewehr M/1867, eingeführt. Schweiz *). Die Eidgenossenschaft hat 1867 die vorhandenen Vorderlader der Caliber 18,0 mm. M/59 und 10,4 mm. M/63 nach dem Klappenverschlußz Milbank Amsler umgeändert. Von dem Belgischen und Oesterreichischen Klappenverschluß unterſcheidet sich die Schweizerische Construction im Wesentlichen dadurch, daß die feſte Lage im Gehäuse durch einen beweglichen Theil — Schließteil hergestellt wird , der zwischen Klappe und hinterer Gehäuſewand zum Schließen eingeschoben und zum Deffnen erst aus dieser Falze gehoben wird. Das Rohr: vier Züge; 4,5 Mm. breit, 0,225 tief ; 810 Mm. Dralllänge. Quadranten-Visir bis zu 800 Meter eingetheilt. Die Waffe M/63/67 mit resp. ohne vierschneidiges Bajonet : 1860 resp. 1380 Mm. und 5,02 resp. 4,67 Kilo. Die Munition sämmtlicher Schweizer Waffen : Flaſchenförmige Tombak hülfe für Randzündung 6 Gr.; Ladung : 3,75 Gr. Geschoß : eine breite und drei schmale Cannelirungen, doppelt conische Expansionshöhlung ( 10,8 Mm. und 20 , 4 Gr. ). Als Neuconstruction wurde das Repetir- Gewehr von Vetterli als M/69 in der Schweiz als Ordonnanzwaffe eingeführt**) . Unter dem Rohr im Vorder schaft liegt ein Magazinrohr von Messingblech für 11 Patronen , welche durch Spiralfeder und Hut stets zurückgedrückt werden. An das Rohr ist ein Gehäuse angeschraubt, in dessen oberem hinterem cylindrischen Theile der oben beschriebene Vetterli'sche Verschlußmechanismus sich vor und zurück, in deſſen unteren kaſten artigen Theil sich der Patronenzubringer auf- und ab bewegt. Geſchloſſen wird das Gehäuse durch das Abzugsbügelblech, an deffen Aufsatz ein durch eine Feder *) Handbuch für Schweizerische Artillerie-Offiziere. XIII . Capitel. Tragbare Waffen. Bearbeitet von Hauptmann Schmidt, Eidgenössischer Ober-Controleur für Hand-Feuerwaffen. Aarau, Sauerländer, 1869. **) 1) Ordonnanz über das Schweizer Repetir-Gewehr 1868. Bern 1869. 2) Anleitung zur Kenntniß und Behandlung des Repetirgewehrs M/69. Bern 1870. 3) Das Schweizerische Repetir - Gewehr (System Vetterli). Nebst einem Anhang über das Vetterli-Einzelladungsgewehr, von R. Schmidt. Basel 1870. 4) Les armes suisses à répétition de l'infantérie, des carabiniers et de la ca vallerie avec appendice , le revolver suisse par R. Schmidt , Major à l'état major général suisse. Bâle et Genéve 1873. 5) Construction , entretien et usage des fusils à répétition et a simple charge du système Vetterli. Notice par F. Vetterli. Paris, Tanera 1873.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Kniehebel - drehbar befestigt ist. festgestellter Winkelhebel Der kürzere führt Hebelarm sich in einer Ninne des Verschlußcylinders , der längere obere greift in die untere Ausfräsung des Zubringers, über welcher sich das Patronen lager desselben befindet. Beim Oeffnen stößt das vordere Ende der Cylinderrinne an den kürzeren Kniehebelarm, so daß der längere Arm den Zubringer und mit ihm die aus dem Magazinrohr eingetretene Patrone vor den Rohrmund hebt, indem sie durch das Vorſtoßen des Cylinders eingeführt wird . Gleichzeitig mit dem Heben des Zubringers wird die beim Oeffnen ausgezogene leere Patronen hülse vom Rohrmund weg in die Höhe gehoben, durch die schnellende Bewegung des Zubringers in Folge der Kniehebelfeder und durch die Verengung des Hülsen lagers nach hinten ausgeworfen. Das nunmehr erfolgende Anstoßen des hinteren Endes der Rinne senkt den Zubringer, so daß eine neue Patrone in sein Patronenlager aus dem Magazin treten kann. Das Magazin wird mit Hülfe der Ladeöffnung der rechten Ge häusewand gefüllt , als Einlader wird entweder von der Seite oder von oben direct in's Rohr geladen. Das Rohr: 4 Züge , 4,5 Mm. breit , 0,225 Mm. tief. Dralllänge 660 Mm. Quadrantenvisir bis 1000 M. Die Waffe: mit resp . ohne 4 schneidiges Bajonet : 1780 resp . 1300 Mm. lang und 5,0 resp. 4,7 Kilo schwer (gefüllt 5,39 resp. 5,090 Kilo) . Die Feuergeschwindigkeit : 14 Schüsse mit 14 Treffern in 40 Secunden in der Scheibe von 1,8/1,8 Meter auf 225 Meter stehend , kniend und liegend. Die Länge des Jägerſtußen ist 1720 resp. 1240 Mm. , das Gewicht 4,9 resp. 4,6 Kilo. Für die Cadetten ist der vom Major Schmidt combinirte Einlader nach dem System Vetterli eingeführt.* ) Das Rohr: Länge 680 Mm. Visir bis 600 M. Die Waffe: 1,150 Mm. lang und 3,2 K. schwer. Zur Bewaffnung der Guiden und berittenen Unteroffiziere der Artillerie iſt ein sechsläufiger Revolver nach dem von Major Schmidt verbesserten System Chamelot - Delvigne M/72 bestimmt. **) Die jeweilige Feuerbereitschaft ericlgt entweder durch jedesmaliges besonderes Spannen des Hahns oder durch fort gesetzten Druck am Abzuge. Das Rohr: Caliber 10,4 Mm.; Drall 250 Mm. Züge wie beim In fanteriegewehr. Die Waffe: Länge 278 Mm. , Gewicht 1 K. Die Munition : Gezogene Kupferhülje mit Randzündung. Ladung 1 Gr.; Geschoß 11,3 Gr.; Patrone 15 Gr. Spanien.***) Die Vorderlader des Calibers 14,4 Mm. sind mit dem Klappenverschluß Berdan Nr. 1 versehen. Die Klappe besteht wie bei Amsler aus 2 charnierartig verbundenen Theilen, * Beschreibung nebst Zeichnungstafeln des Schweizerischen Cadettengewehrs . Con struirt und ausgearbeitet von R. Schmidt, Major. Das Schweizerische Cadettengewehr von R. Schmidt, Major im Schweizerischen Gene ralstabe. Bern. **) Ordonnanz und Zeichnungstafeln zum Schweizerischen Revolver (System Chamelot Delvigne) erstellt durch R. Schmidt, Eidgenössischem Major. ***) Cenni sulle armi portatili degli eserciti europei. Torino. Memorial de Artilleria. Abril de 1868.

Handfeuerwaffen.

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welche durch eine zwischen ihnen liegende Feder in der normalen festen Ver schlußlage gehalten werden. Eine auf dem Rohr hinter dem Charnier gedeckt liegende Feder wirkt auf den am Charnier hängenden Extractor , der die leere Hülse gegen eine auf der Sohle des aufgeschnittenen Rohrs angebrachte Nase zum Rückwärts-Auswerfen schnellt. Die übrigen Theile sind in üblicher Weise construirt. Das Rohr: 4 Züge, 5,8 Mm. breit und 0,4 Mm. tief; Dralllänge 2148 Mm. Leitervisir eingetheilt bis 900 M. Die Waffe: mit dreischneidigem Bajonet 1691 Mm. lang, 4,6 K. schwer ; ohne Bajonet 1220 Mm. lang. Die Munition : Flaschenförmig gezogene Messingblechhülse mit eingeprägtem Ambos und doppeltem Boden (9,8 Gr. ) ; Ladung 4,5 Gr., darauf Fettcylinder ; Geschoß 3 Cannelirungen , große conische Expansionshöhlung (15,0 Mm . und 34,5 Gr.) . Patrone 50 Gr. Das Modell 1871 , vom Caliber 11 Mm . , hat den Remington - Verschlußz mit den nachstehenden Modificationen : Hinter der Handhabe ist in das Ver ſchlußstück ein zweiarmiger Hebel eingesetzt. Deſſen unterer Arm greift in einen Einschnitt des Schlagstifts und zieht denselben, hinter der Stoßbodenfläche blei bend , zurück , wenn der obere Arm beim Oeffnen gegen den Daumengriff des Obturators gedrückt wird. Der vorgestoßene Schlagstift führt den Hebel wieder in die vorige Lage zurück. Das Rohr: 6 Züge, 4,3 Mm. breit, 0,2 Mm. tief. Drall 650 Mm . Die Waffe: mit resp. ohne dreischneidiges Bajonet 1861 resp . 1315 Mm. lang, 4,475 resp . 4,075 K. schwer. Der Carabiner wiegt 3,275 K. Die Munition: Hülse ähnlich der Obigen ( 10 Gr. ) . Ladung : 5 Gr., darauf Fettcylinder. Geschoß : 25,1 Gr. und 11 Mm. 4 Cannelirungen und kleine halbkugelförmige Expansionshöhlung. - Ladung des Carabiners 4 Gr. Spanien besigt jezt etwa 26,000 Remington = Gewehre, deren Lauf das Gußſtahlwerk und Gewehrfabrik vormals Berger u. Cie. in Witten an der Ruhr liefert. Türkei und abhängige Staaten . Die Türkei hat ihre früheren Vorderlader , alte Englische Enfield und Americanische Springfield = Gewehre , nach Snider transformirt und für Neu construction das Englische Ordonnanz Martini = Henry Gewehr angenommen ; 600,000 Stück ſind bei der Providence Tool Company in Providence , Rhode Island U.-S. bestellt , wovon bereits 200,000 Stück geliefert find. Für die Türkische Cavallerie sind Winchester Repetir - Carabiner bereits in beträchtlicher Zahl beschafft. Die Ladung soll nur 2,6 Gr. Pulver betragen. Außerdem hat die Türkei noch 240 Infanterie - Kanonen nach Gatling, Enfield' Modell, von Broadwell in Wien fabricirt. Egypten besitzt etwa 160,000 Remington- Gewehre des Calibers 11 Mm. Die flaschenförmige Patronenhülse für Randzündung enthält 4,6 Gr. Pulver, darauf eine gefirnißte Papier- und Filzscheibe . Geschoß 11,1 Mm. und 28,2 Gr. Serbien bestellte vor einigen Jahren 12,000 Stück Gewehre mit einem werthlosen Cylinderverschluß bei einem Fabricanten in Wien. Nunmehr wird im eigenen Lande ein Gewehr angefertigt, das in America als Robert's System bekannt ist und eine Modification von Peabody darstellt. Der Fallblock wird nicht durch einen Hebel von unten bewegt, sondern durch eine rückwärtige Ver längerung des hinteren oberen Blockendes , welche mit einem Knopf als Griff versehen ist.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Rumänien hat bis jetzt nicht viel Fortschritte in seiner Neubewaffnung gemacht. Vor ungefähr fünf Jahren wurden von der Providence Tool Company 25,000 Peabody-Gewehre beschafft. Außerdem sind noch Dreyſe’ſche Zündnadel gewehre vorhanden. Brafilien soll sich für Cemblain Nr. 2 entschieden und Peru eine Modification von Beaumont adoptirt haben.

Schluß. Die Leistungen der modernen Handfeuerwaffen der Caliber 10,5 bis 11,45 Mm. sind sehr bedeutend, aber nicht sehr wesentlich von einander verschieden. Die Visirschußweite des Standvisirs erreicht etwa 290 M. bei dem Gejchef aufschlag auf etwa 340 M.; die Scheitelordinaten der Distancen 300, 600, 900, 1200 und 1600 M. sind durchschnittlich 0,9-5,0-14,0-32,0 und 53 M. groß; die bestrichenen Räume auf den Entfernungen von 300, 600 und 900 M. gegen Infanterie von 1,8 M. etwa 140-45-22 M. Die Handhabung des Mechanismus der Einlader wird meist mit zwei Griffen erledigt, so daß die Feuergeschwindigkeit in der Minute mit gezielten Schüssen ans der Tasche geladen zwischen 6 und 12 Schuß differirt. Wenn auch das Magazingewehr als Waffe der Zukunft angesehen werden kann, so dürfte doch der Zeitpunkt der allgemeinen Einführung als Ordennanz waffe noch nicht nahe sein. Die unvermeidliche Complication des Mechanismus, der so viele Aufgaben zu lösen hat, das beträchtliche Gewicht, welches die noth wendige Solidität nach sich zieht , die kostspielige, immerhin langſame Fabrica tion, die schwierige Unterhaltung sind eben Hindernisse , die für die colossalen Heere der Großstaaten schwer in die Wagschale fallen , um so mehr , als die neuconstruirten Einlader in ihrer Einfachheit eine für die große Maſſe der Jn fanterie weitaus genügende Feuergeschwindigkeit garantiren. Vorzüglich geeignet wäre indessen die Repetirwaffe in den Händen der gelernten Jäger und der W. Cavallerie.

Bericht über das Befestigungswesen.

Die Fortification ist Terrain - Umwandlung zum Kriegszweck. Zu allen Zeiten und aller Orten repräsentiren die in den verschiedenen Gebieten der Fortification gewählten Mittel und Formen dieser Terrain-Umwandlung die Art und Weise, in der man sich die Erreichung dieses Kriegszweckes dachte. Lejen wir strategische Anschauungen früherer Zeiten aus Zahl und Gruppirung der Festungen, bezeichnet man die Fortification im einzelnen Festungsbau als eine in Lapidarschrift geschriebene Taktik, oder wägt man die in der Feldbefeſtigung üblichen Formen an denen der Feld-Taktik im Speciellen , überall liegt der be wußte und thatsächliche Zusammenhang der fortificatorischen Schöpfungen mit den militairischen Anschauungen der Zeit , die sie entstehen ließ oder läßt , zu Grunde.

Befestigungswesen.

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Ein Jahresbericht über Veränderungen und Fortschritte im Militairweſen, der weniger eine Aufzählung und Beschreibung des im letzten Jahre Geleisteten, als vielmehr eine allgemeine Orientirung über die Zeitströmung zum Zweck hat und ſeinen Blick dabei über die Grenzen eines Landes hinausschweifen läßt, wird auf fortificatorischem Gebiet der Frage: wie und wo stehen wir jest ? nur dann eine befriedigende Antwort geben können , wenn dieser enge Zusammenhang der Fortification mit den übrigen Militairdisciplinen richtig gewürdigt , andererseits aber auch die von dem Fortschreiten dieſer doch wesentlich verschiedene Entwicke lungsweise jener ihrer Natur nach erkannt wird. Die Festungen stehen , die Armee marſchirt ; fast könnte es scheinen, als sei dies Bild richtig , nicht nur im Raume, denn angenommen selbst , es ver körpere die Festung durch Lage und innere Anordnung die heut allgemein an erkannten Grundsätze der Strategie, Waffentechnik und Taktik, wie kann ſie, mo numental erbaut, dem nie rastenden Fortschritt der letzteren folgen ? Genügt nicht ein Jahrzehnt , um diese selbst ursprünglich vorhanden gewesene Harmonie zu stören, und wie will man uns zumuthen, noch heut mit Festungen als Factoren der Kriegsentscheidung zu rechnen, die im besten Falle vielleicht ein halbes Jahr hundert, oft genug aber 2-3 volle Jahrhunderte alt sind ? Die Fortification wird erst beweisen müſſen , daß und wieweit sie im Stande ist , mit der Armee zu marſchiren , ehe die weitere Frage nach dem jeweiligen Stande auch ihres ―― Fortschreitens gerechtfertigt erscheint. Es dürfte nicht überflüssig sein , an diese weit verbreiteten Anschauungen anzuknüpfen und der ihnen entspringenden Fragestellung ganz allgemein die Ant wort entgegen zu stellen: I. Die Fortification beruht zum Theil auf ewig richtigen und daher un veränderlichen Grundwahrheiten und ist, soweit dies der Fall ist , aller dings thatsächlich und mit Recht weniger empfänglich für die Fortschritte der Zeit als andere Zweige des Kriegswesens. In Principien, die theils der Natur des Menschen, theils der ihres Verkehrs , sowie der des Krieges entnommen sind, darf sie in der That behaupten , ewig modern zu sein. (Existenzberechtigung, z. B. zum Theil selbst Lage der Festungen, Werth und Bedingungen der Sturm freiheit, Bedeutung der Flankirung für Ersparniß an Streitkräften der Verthei digung 2c., selbst die cippi, lilia und stimuli Caeſars thäten und thun als feld mäßige Hindernisse noch heut ihre Schuldigkeit. ) II. Die Fortification ist vielfach in der Lage, selbst in ihren ſtabilen Schöpfungen der Entwickelung der anderen militairischen Gebiete voranzugehen , wenn nicht im Sinne des Führens und Erzwingens eines Fortschritts , obwohl auch dies nachweisbar vielfach eingetreten ist , so doch im Sinne des Voraus erkennens und der rechtzeitigen Verwerthung dieser Entwickelung ( Diſtance der Werke, z . B. Mauerdeckungsverhältnisse 2c.) . III. Die Fortification ist endlich auch im Stande, dem erklärten Fortschritt der Zeit und im Speciellen dem der Angriffsmittel zu folgen : a) im permanenten Bau hat sie bis zu gewissem Grade im Correctur und Umbau , freierer natürlich noch im Neubau die Mittel, auch sich ändernden resp. sich steigernden Anforderungen zu genügen , das „ Gegengift " , wie ein be währter Autor jagt, *) für jedes neu auftretende Gift zu finden. Die Möglich keit dasselbe wirklich anzuwenden, liegt in den Vortheilen, die der Defensive aus der langen Vorbereitung eine an selbstgewähltem , ihr daher denkbar günstigsten *) J. Klok, Vortrag in der milit. Gesellschaft zu Berlin am 25. April 1861.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Plate belegenen Position erwachsen im Gegensatze zum Angriff , der überlegene Kräfte erst concentriren muß auf einem mit allen Mitteln der Kunst zu seinen Ungunsten umgestalteten Terrain. Die fortificatorische Entwickelung dieser Art wird sich natürlich um so leichter und sicherer vollziehen, je mehr es in früheren Bauten bereits gelungen ist , die ad II geforderte Voraussicht zu Grunde zu legen. b) im provisorischen Bau, wie in der Fortification des Feld incl. des Cernirungskrieges , in allen den Zweigen alſo, in denen erst der Krieg ſelbſt die Entfaltung ihrer Thätigkeit fordert, folgt sie leicht der Entwickelung der übri gen Waffen, und um so sicherer je mehr im Frieden bereits die Formen kar gelegt und geübt sind , die der modernen Taktik und Waffenwirkung entſprechen.

Nun ist , eben weil alles militairische Denken auf den Krieg gerichtet iſt, ein solcher und zumal ein großer Krieg unleugbar der sicherste Prüfftein für tausend Erwägungen und liefert die Probe auf die Mehrzahl aller Friedens Exempel. Die Zeit nach einem großen Kriege und noch mehr die unsere , in der ein von großen Kriegen fast gefülltes Decennium abſchließt, fordert ſicher in hohem Maße dazu auf, das Facit zu ziehen auch auf fortificatorischem Gebiete; auf keinem andern aber vielleicht wird mit mehr Vorsicht hierbei verfahren werden müſſen als auf dieſem. Die Zeit, in der wir leben, ist nicht die eines Abschlusses , auch nicht ein mal die eines vorläufigen, sondern sie ist hier die einer beschleunigten Entwide lung , dort noch die einer Gährung. Soll und muß schon der Wagende erst wägen, wie viel mehr der , dem die vollzogne Klärung in anderen Gebieten eft erst die Basis sein muß zu den wichtigsten Momenten des eigenen Vorgebens , und dessen Entschluß in Bauten und Constructionen sich verkörpert , die ihre Probe bestehen sollen in anderer Hand und in anderer Zeit ! Er hat außerdem nicht mit der tabula rasa zu rechnen, sondern anzuknüpfen an sehr reelle Grö ßen, die existiren , oft als ebenso viele Impedimente der Durchführung des als nothwendig Erkannten ! Wurde vorstehend hingewiesen auf die Entwickelungsfähigkeit der Forti fication , so versteht es sich von selbst , daß der innere Widerspruch , der in der Forderung des Fortschreitens stabiler Schöpfungen seinen bildlichen Ausdruck findet, damit weder geleugnet noch als durchweg oder gar mühelos lösbar bin gestellt werden soll. Nur die Art und Weise dieser Entwickelung mußte in wenigen Umriſſen gezeichnet , die Berechtigung gleichsam der Unterſcheidung in bewegliche und unbewegliche Factoren derselben, die Berechtigung in specie des in ihr vorwaltenden conservativen Elements mußte gewahrt, an die Vernicht auch im Urtheil darf erinnert werden, wo es gilt, den Standpunkt zu gewinnen für eine Besprechung , deren Aufgabe es ſein muß , wenigstens an Objectivität einige Tagesstimmen zu übertreffen.

Der Stoff selbst gliedert sich wohl am einfachsten , wenn man dem Kriege direct die Theilung überträgt und ausgeht vom Ausbruch deſſelben. Die bis dahin geleisteten fortificatorischen Schöpfungen sind Acte der Kriegsvorberei tung , die noch zu leistenden solche der Kriegsführung. Unter ersteres Rubrum fallen dann von selbst die materiellen Vorbereitungen der Landesvertheidigung , also Lage, Zahl und Gruppirung der Festungen

Befestigungswesen . 651 sowie deren innere Anordnung : permanente Fortification , unter letzteres die Feldbefestigung , die , als Gemeingut der Armee und durch diese auszu= führen, praktisch zu sondern sein dürfte von der speciellen Thätigkeit der tech niſchen Truppe: dem Pionierdienst.

I. Die Fortification in der kriegsvorbereitung. A. Landesvertheidigung. 1. Die Lage der Feßungen. Die Immobilität der fortificatorischen Schöpfungen permanenten Charakters ist selbst durch die Idee und vereinzelte Ausführung transportabler Eisencon structionen thatsächlich bis jetzt nirgends in Frage gestellt. Punkte von wirklich bleibender militairischer Bedeutung müssen es daher nach wie vor sein , an denen Festungen erbaut werden, und die Kostspieligkeit ihrer Anlage und Aus rüstung zwingt außerdem noch zu einer Auswahl unter diesen Punkten , d. h. dazu, sich unter den hierzu geeigneten auf die wichtigsten zu beschränken. Das Befestigungssystem eines Landes entsteht und bildet sich fort durch allmäligen Ausbau . Es wird um so vollkommner sein, je weniger die Grund sätze schwanken , nach denen zunächst bei der in Rede stehenden Auswahl ver fahren wird, wie andrerseits ein Systemwechsel hierin in dem umfaſſenden Auf geben einer Reihe fester Plätze des betreffenden Landes und event. in dem Neu bau anderer seinen Ausdruck finden müßte . Nun hat das letzte Jahrzehnt und auch das letzte Jahr thatsächlich neben Correctur- und Erweiterungsbauten und neben manchem großartigen Neubau auch noch ein Oeffnen mancher Festungen erlebt ; es frägt sich daher zuerst : ist ein Systemwechsel der beregten Art eingetreten oder im Anzuge ? Denkt man über die Wahl der zur Anlage der Festungen geeignetsten Punkte jest wesent lich anders als früher ? Und diese Fragen sind zu verneinen , grade die Lage der Festungen anlangend ist ein wesentlicher Umschwung in den bisher maß gebenden Anschauungen weder zu constatiren noch zu erwarten. Der geographischen Gestaltung des Landes , dem von der Natur dem selben aufgedrückten Gepräge werden stets und überall ebenso die ersten Di rectiven für Art und Richtung des möglichen Angriffs wie die Grundzüge für die Vertheidigung, daher auch für die Wahl der für lettere besonders wichtigen Punkte zu entnehmen sein . Es ergeben sich Strombarrieren , die zu vertheidi gen sind, Gebirgszüge, deren Ueberschreitung dem Feinde zu wehren ist, Meeres küften, an denen die zugänglichsten Punkte besonders zu schützen sind ; es er giebt sich im Großen eine Theilung des Terrains , je nachdem es Operationen des großen Krieges durch seine natürliche Beschaffenheit erleichtert oder erschwert, Invasionen daher mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit in bestimmte Bahnen verweist , und somit der erste Anhalt für Vorbereitung der Defensive. Was Menschenhand hinzugefügt hat , Wegsamkeit und Bebauung, die Herstellung von Verkehrsadern und die Concentration des Völkerlebens an bestimmten, für Handel und Verkehr besonders günstig gelegenen Punkten , das Culturleben also erscheint in zweiter Linie als die Art der Landesvertheidi gung bedingend. Die Abgrenzung der einzelnen Staatengebiete , die Gestaltung derselben, die politische Situation, auf der die strategische sich aufbaut, voll nedet sodann die Reihe der allgemeinen Erwägungen die über die Wahl der zu permanenter Befestigung am meisten geeigneten Plätze sowohl bisher entschieden haben. als noch heute entscheiden .

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Sind wie bei Straßburg und Metz z . B. die erstgenannten beiden Rück fichten voll und ganz berücksichtigt , so behalten auch bei der Verschiebung der politischen Grenzen die Festungen ihre Bedeutung und werden, wenn auch riel leicht unter Modification ihrer Gestaltung , erhalten. Lediglich durch politische Rücksichten bedingte Festungen dagegen , Grenzplätze im engeren Sinne, wie viele kleine Plätze Frankreichs , Belgiens , Italiens , oder etwa das Preußische Minden werden aufgegeben mit der Veränderung derjenigen Situationen , die ihrer bedurft hatten. In gleicher Weise kann auch innerhalb desselben Staates durch Verschiebung der Schwerpunkte des inneren Staats- und Volkslebens der Werth des einzelnen Plates steigen und fallen , denn unwandelbar sind eben weder die Cultur- noch die politischen Verhältnisse ; dennoch geschehen dieſe Wandelungen selten so plöglich , daß die Kriegs-Vorbereitung ihnen nicht völlig Rechnung tragen könnte, und die Veränderungen , die wir nach dieser Richtung gerade in unserer Zeit erleben, erweisen sich bei genauerer Betrachtung nicht als Modificationen, sondern gerade als die Consequenzen der auch bisher schon be folgten Grundsätze. Es zeigt dies ein Blick auf die beiden Hauptmomente, die bei der ma teriellen Vorbereitung jeder Staatenvertheidigung d. h. also bei der Application aller allgemeinen Grundsätze auf den concreten Fall ausschlaggebend sein müſſen für die Wahl der permanent zu befestigenden Pläge. Es sind dies : a. das Netz der Communicationen , b. die Städte. Die Communicationen , sowohl die im Lande als die von Land zu Land leitenden, sind ja nicht nur die Verkehrsadern des Friedens , sondern sie sind auch allezeit die Bahnen, in denen der Krieg pulsirt , sobald und soweit er Maſſen bewegt. Die Krieg führung verlangt die Herrschaft über diese Linien , die Kriegsvorbereitung hat daher diejenigen Punkte im Voraus und dauernd zu sichern, von denen aus die Beherrschung der Linien möglichst weithin zu leiſten ist, daher: permanente Befestigung der wichtigsten Communications Centren , sowie derjenigen Defiléen , die über den Besiß der werthvollſten Communicationen entscheiden. Der enorme Aufschwung der modernen Verkehrsmittel ändert nichts an diesem Grundsatze, wohl aber daran, was werthvoll und wichtig genannt werden kann für Heeresbewegung und damit zugleich auch für Staaten-Defensive. Der Zusammenstoß wegsamer Thäler, die Confluenz schiffbarer Ströme, die Kreuzungspunkte der bedeutendsten Heerstraßen haben nach und neben ein ander die Directiven zur Auswahl der nach dieser Richtung hin wichtigsten Punkte gegeben , die Schienenwege sind es heute , die in entscheidender Weije dies Feld militairischer Erwägungen beherrschen. Der Americanische Secessionskrieg ist unter den modernen Armeekämpfen derjenige, bei dem in Folge der eigenthümlichen Beschaffenheit und der enermen Ausdehnung des Kriegstheaters die Bedeutung der Communicationen auf Gang und Führung des Krieges in großem Maßstabe und am eclatantesten hervor trat. Die der Cultur zum Theil vorausgeeilten Schienenwege und die Waſſer ſtraßen wurden Operationslinien wie Operationsobjecte , an ihren Schnitt- und Endpunkten resp. Mündungen aber wurden nicht nur Staaten und Länder gebiete vertheidigt , sondern es entstanden aus befestigten Stellungen geradezu Festungen , im Drange der Umstände geschaffen und vertheidigt oft mit der letzten Kraft des unterliegenden Theiles. Für die Lage fester Pläge und für

Befestigungswesen.

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den berechtigten Einfluß der vorhandenen Verkehrsbahnen auf die Wahl der geeignetsten Punkte ergab gerade dieser Krieg ungesuchte und deshalb um so schlagendere Beweise. Es erwiesen sich auch hier schon die Eisenbahnen als den Ausschlag gebend trotz ihrer damals für Heeresbewegung und Verpflegungs Transporte so geringen Leistungsfähigkeit und H. Blankenburg (in seinem be kannten Werk über America, deſſen 2. Abschnitt den Krieg behandelt) hat völlig Recht, den Grund hierfür nicht nur in der Ausdehnung des Kriegsschauplages, sondern auch darin zu finden, daß dem Lande das Straßennetz gefehlt hat, das in allen Ländern Europa's die Schienenwege umspinnt und begleitet , und das nicht plöhlich , sondern nur im Laufe der Jahrhunderte geschaffen werden kann. Nun haben aber bei uns die Erfahrungen der jüngsten Kriege gelehrt , daß die Aufgaben, die den Eisenbahnen gestellt werden, und der Einfluß, den ihre hoch gesteigerten und durch sorgfältige Friedens - Vorbereitung noch zu steigernden Leistungen auf die Operationen des großen Krieges ausüben, ungleich bedeuten der sind , als je zuvor. Wir sind außerdem in dem zum Angriff gegen Festungen unentbehrlichen artilleristischen Material bei Gewichtswerthen an gelangt, die nicht nur die Möglichkeit des Transports im Allgemeinen , ſondern fast schon die des Angriffes auf der gewünschten Front an die Existenz eines sicher benutzbaren Schienenstranges knüpfen. Die in dem genannten Kriege thatsächlich unter großen Verhältnissen zum ersten Male documentirte Präpon deranz der Eisenbahnen über alle anderen Verkehrswege wird gerade bei uns größer mit jedem Jahre; es folgt daraus direct, daß eine Beherrschung , ja selbst eine einfache Sperrung derselben an Werth stetig zunimmt für den Ver theidiger. Der Deutsch-Französische Krieg , der so viele Plätze schnell fallen fah, spricht auch hierfür laut genug , wofern man das Urtheil über richtige Lage der Festungen trennt von dem über ihre Gestaltung , Ausrüstung und Verthei digung. In der Literatur ist diese Seite der Kriegslehren abgesehen von einem Aufsatze in den " Jahrbüchern für die Deutsche Armee und Marine", November 1871 , Betrachtungen über den Festungskrieg und Festungsbau von einem Artilleristen - am Klarsten und eingehendsten dargelegt in dem, was der Russische General H. Antonowitsch Leer in seinen bekannten Vorlesungen über den Krieg 1870-71 über die zweite Hälfte des Feldzuges , die Periode des Festungskrieges , sagt. Eine größere Widerstandsfähigkeit seinen Festungen zu geben, wäre allerdings Sache Frankreichs gewesen, da man jezt fast nur unter scheiden kann zwischen „ kleinen und schlecht gebauten" und „großen , aber mangelhaft vertheidigten" Plätzen. Deutſcherseits jedoch ist sicher keiner an gegriffen worden, dessen Wegnahme nicht nöthig gewesen wäre für den Fortgang des Krieges. Bedurfte es aber faktiſch der Einnahme von 13 Plätzen, um die rückwärtigen Verbindungen der vier Deutschen Armeen zu öffnen, hing auf secundairem Kriegstheater die strategische Situation der beiden Gegner sehr wesentlich ab von dem Besitz auch kleiner auf Straßenknoten liegender Festungen, wie dies Major Blume 3. B. für Peronne ausführt*) und war der Fall von Toul Vorbedingung jedes ernsten Vorgehens auf Paris mit entscheidenden Kräften, so liegt in diesen Thatsachen Beweis genug dafür, daß , unabhängig selbst von ihrer Größe, als in hohem Maße werthvolle Stützpunkte der Landes vertheidigung gerade auch heut noch die Plätze zu erachten sein werden, die über die Beherrschung solcher Communication entſcheiden. *) Operationen der Deutschen Heere zc. S. 207 ff.

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Nur als eine einfache Folge dieser Verhältnisse erscheint es daher, daß in allen Staaten Europa's Festungen dieser Art besonders cultivirt d . h . in ihrer inneren Einrichtung auf der Höhe ihrer Zeit auch dann erhalten werden , wenn die Verhältnisse ihre Erweiterung verbieten, daß vielfach selbst dem großen Ber kehr bisher entlegene Festungen mehr Beachtung finden, wenn der Ausbau des Eisenbahnnetzes entwickelungsfähige Schienenstraßen durch die von ihnen um schlossenen Plätze geführt hat , daß andererseits gerade jezt feste Plätze geöffnet werden, die, auf Schienenwegen umgehbar , einen wesentlichen Einfluß auf die Beherrschung des Communicationssystems im Großen nicht mehr auszuüben ver mögen, und daß endlich ein Reich wie Rußland den Umbau und Neubau jeiner Festungen , mit dem es zur Zeit beschäftigt ist , regelt in steter Wechselwirkung mit dem Fortschritt des in voller Entwickelung begriffenen Netzes seiner Com municationen. Die Kreuzungs- und Vereinigungspunkte wichtiger Communicationen (die Confluenzen der Ströme sowohl als die Ueberführung der Schienenſtraßen über die Wasserstraßen) find thatsächlich meist bejezt mit Städten , sei es , daß die Vereinigung jener Verkehrswege ihre Anlage hervorgerufen hat oder umgekehrt durch die Eristenz resp. das Aufblühen derselben herbeigeführt worden ist. Wir betreten damit das zweite Gebiet der für die Lage der Festungen Eingangs als entscheidend angeführten Momente und ein Recht als hierfür entscheidend zu gel ten, haben die Städte des Landes (oft freilich sehr gegen ihren Willen), auch abgesehen von ihrer Eigenschaft als Centren der Communicationen , und zwar aus zwei Gründen. Cinmal erhalten sie durch die in ihnen erfolgte Vereinigung größerer Theile der Landesbevölkerung eine politische und schon dadurch eine strategische Bedeutung ; ihr Wohlstand , die vorzugsweis in ihnen genährte und von ihnen aus pulſirende commercielle und industrielle Entwickelung des Landes macht sie zu Objecten des Angriffs wie zu Schwerpunkten der Vertheidigung. Klar und weithin sichtbar kennzeichnet ihr Besitz die Stellung und die Machtsphäre der mit einander ringenden Armeen. Sodann aber sind sie auch unmittelbar und direct militairisch wichtig durch die Fülle der Mittel, die sie bergen, sei es zur Aus rüstung , Verpflegung und Unterbringung der Streitkräfte im Allgemeinen , jei es dadurch, daß sie specielle, der Armee unentbehrliche Etabliſſements enthalten, wie Militair - Fabriken , Kriegswerften , Magazine , Depots , Laboratorien und andere. Von Alters her bis in unsere Tage sind , daher Festungen als Umwallungen von Städten entstanden, wenn auch die Umöglichkeit, alle zu befestigen, je länger __ zu denen je mehr zu einer Beschränkung auf die militairisch wichtigsten übrigens die Landeshauptstadt eo ipso keineswegs zu gehören braucht ge= zwungen hat. Die Fortschritte der Waffentechnik haben dazu geführt, die Mitleidenschaft, in die bewohnte Städte im Falle des gegen ihre Umwallungen geführten An griffs unabweisbar gezogen werden und auch früher stets gezogen wurden, in sehr bedeutender Weise zu steigern; zahlreiche Stimmen haben geglaubt und glauben noch , mit dem Schlagwort der „ reinen Militairfestungen" die Lösung der Frage, wie dem abzuhelfen sei, gefunden zu haben, und mit mehr Ungestüm als Sachkenntniß wird an vielen Orten noch heut zu Gunsten meist der be drohten Privat- Interessen das Oeffnen der befestigten Städte gefordert. Für uns handelt es sich nicht darum, ihnen zu antworten, sondern darum, thatjac lich zu firiren, ob und wieweit durch die Entwickelung unserer Zeit der Grund

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sah, daß wichtige Städte auch zugleich mit Vortheil für die Landesdefensive im Großen als zur Anlage von Festungen geeignete Punkte anzusehen sind , um gestoßen oder alterirt wird . Die Praxis aller Staaten verneint auch heut noch diese Frage, gestützt auf die bereits entwickelten Motive , die in der Natur der Verhältnisse liegen und nicht willkürlich beseitigt werden können. Sache der Festungs - Geſt a l tung (cfr. unten) wird es im eignen wie im Landes- Interesse sein , der be= festigten Stadt durch Deckung, durch Entfaltung eigner Streitmittel, oder durch Hinausschieben des Gefechtsfeldes den Schutz zu gewähren , den die Umstände irgend gestatten. Für die Lage der Festungen muß auch heut noch der An schluß an die großen Wohnplätze als ein thatsächlich vorhandener und völlig berechtigter Gesichtspunkt gewahrt werden. Der Deutsch - Französche Krieg , der mit seinem verhältnißmäßig schnellen Fall von 28 Festungen so viele den Verhältnissen ferner Stehende überrascht hat, hat nun auch von sonst vielfach competenter militairischer Seite den jüngsten Angriff gegen das Princip der Städte-Befestigung hervorgerufen. „,Les villes fortifiées sont condamnées par la théorie comme par l'expérience" jagt der Oberst Lewal des Franzöſiſchen Generalſtabes *) „ il ne faut plus que des points essentiels , très-forts , vides d'habitants et assez vastes pour abriter une armée! Nun dürfte einmal , bei der Uebertragung vom Papier auf das Terrain, das Problem , wirklich wichtige und zugleich unbewohnte Orte zu finden , auch in Frankreich nicht leicht zu lösen sein , und umsoweniger , als gerade dieser Staat in Folge der inneren Centralisation seinen großen Städten die Wichtig teit nicht rauben kann , die sie für das Land und daher für Freund und Feind notorisch besitzen, es sogar schwer gelingen dürfte , auch nur diese Wichtigkeit auf die in vorgeschlagener Weise construirten Militair-Festungen zu übertragen. Dann aber und dies ist für uns das Wesentliche ist zu constatiren, daß ein Verfahren nach dem genannten Vorschlage den Gedankengang geradezu um kehren würde, nach dem die Praxis verfährt und, sollen Festungen Sinn haben, verfahren muß. Nicht die Armee, die event. in der Festung Schutz finden soll, darf der Festung ihre Bedeutung geben, so wichtig für den Erfolg eine solche Festungs - Benutzung auch zeitweise sein mag , denn wer hätte Armeen genug zu solchem Zweck , sondern der Ortsbesig ist wichtig aus diesem oder jenem Grunde, meist aus mehreren derselben; eine Sicherung durch Truppen allein würde eine Verzettelung der Kräfte herbeiführen , und gerade um Kräfte zu sparen für die Feldschlacht brauchen wir Festungen. Dieses Sparen activer Streitkräfte ist der Kriegszweck, zu dessen Erreichung - an der Spitze dieser Zeilen die fortificatorische Terrainumwandlung als Mittel bezeichnet wurde, und an diesem Grundgedanken, der den Bau im Einzelnen wie die An ordnung der Landesdefensive im Großen beherrschen muß , darf nicht gerüttelt werden, auch nicht durch den Hinweis auf die zuweilen verführerische und aller dings unbeſtreitbare Thatsache, daß die Aufgabe desjenigen Generals die leich teste sein mag, der ungestört durch fremde Einflüsse in sehr starker", mit per manenten Mitteln befestigter Stellung eine wohl approvisionirte "! Armee" commandirt ! Nur einen Sinn kann die „ Militair - Festung" haben , sie hat ihn jetzt schen und kann ihn bei weiterer Entwickelung durch Ausbildung der Formen *) Réforme de l'armée. Paris 1872.

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und bewußter Anwendung derselben wohl möglich in erhöhtem Maße noch ge= winnen , weshalb auch in diesem Zusammenhange schließlich darauf hinzuweiſen sein wird. Wir vertheidigen nämlich ja heut schon Flußmündungsstädte gegen den theils wahrscheinlichen , theils gefährlichen Angriff, den von der See kommenden, durch kleine bis zur Küste vorgeschobene Pläte und Forts , jo — um nur bei der Ostsee zu bleiben in Swinemünde, Neufahrwasser , Pillau, Dünamünde, Kronstadt und Sweaborg, die Städte Stettin, Danzig, Königs berg, Riga, Petersburg und Helsingfors. Wo der Angriff von anderer Seite wirklich unwahrscheinlich geworden ist , und specielle Verhältnisse einen solchen Schutz nach den übrigen Richtungen nicht fordern, öffnet man ſogar die Encein ten solcher Städte; wo andererseits in Folge besonderer Wichtigkeit des Objectes oder sonstiger Verhältnisse der feindliche Anmarsch auf andern Linien zu erwarten ist, kann ein Vorschieben kleiner Sperrpläte in analoger Weise auch nach diejen Richtungen hin sich rechtfertigen , und die über die Erweiterung von Paris wie selbst von Antwerpen verlautenden Projecte scheinen die stellenweise Annahme dieser Form von Festungen thatsächlich in Aussicht zu stellen. Aber nur hierum, um eine Form der Festungs - Gestaltung , kann es bei dieser Vergrößerung selbstständiger Forts in !! Festen" sich handeln, die man als „Militair- Festungen " wohl bezeichnen könnte ; in den Momenten, die bei der Wahl der für Festungs Anlagen geeigneten Pläße zur Sprache kommen , ist eine Wandelung hierdurch weder zu erkennen, noch hieraus abzuleiten. und dies war in erster Linie festzustellen Die Lage der Festungen hat eben Grundsäßen zu gehorchen, und zeitgeschichtlich zu begründen die ebenso unveränderlich sind wie die inneren Geseze des Krieges überhaupt. 2. Bahl der Festungen. Seine Beschränkung scheinbar, in Wahrheit nur seine Ergänzung findet das über die Unveränderlichkeit der Grundsätze über Festungsanlage Geſagte in der Thatsache, daß wir im Sinne der Reduction der Zahl unserer Festungen in einer Bewegung sind , die auch im letzten Jahre ihren Abschluß noch nicht ge funden haben dürfte. Brialmont weist nach einer 1848 aufgestellten Zählung noch über 700 Festungen nach, die damals in Europa bestanden, (darunter 199 in Frankreich, 52 in Preußen und Deutschland, 36 in Rußland 2c. ) Noizet zählt noch 1859 46 große, 94 mittlere und kleine feste Plätze in Frankreich. Das Wort Friedrich des Großen : „,dans la guerre défensive celui qui veut tout couvrir ne couvre rien", fast wörtlich wiederholt vom ersten Napoleon, *) hat seitdem nicht aufgehört im Sinne der rechtzeitigen und vorbedachten Concentration der Kräfte nachzuwirken auch in der Festungsfrage. Das Dichterwort vom "! wägen und nicht zählen" hat hier ein besonderes Recht und hat immer mehr Beachtung gefunden. Endlich liegt ein sehr zwingendes Motiv der beregten Reduction der Zahl unserer Plätze in den Anforderungen, die die Fortschritte der Waffentechnik und in erster Linie die des Geschützwejens unabweisbar stellen an die Größe der Festungen und an die Stärke ihrer Ausrüstung , zuſammengehalten mit der *) Il en est des places fortes comme des placements de troupes schreibt er dem Kriegsminister im Hinblick auf die Vertheidigung Dalmatiens : prétendez vous defendre une frontière par un cordon? vous êtes faible partout, car enfin tout ce qui est humain est limité. Artillerie, argent, bons officiers, bons généraux, tout celà n'est pas infini, et si vous êtes obligés de disseminer partout , vous n'êtes forts nulle part.

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financiellen Leistungsfähigkeit moderner Staaten. Aber auch hierbei wird man vorsichtig weiter schreiten und schließen müssen, wenn man nicht irren will. Als "! Eisbrecher", nach Williſen's Ausdruck, gegen den Strom der feind lichen Invasion und wenn zweckmäßig gebaut und gut vertheidigt, auch unbe zwingbar für eine sonst überall fiegreiche Feld - Armee werden auch mittlere und kleine Festungen nach wie vor höchst werthvolle Stützpunkte der Staaten Vertheidigung bleiben. Sie werden selbst jetzt noch der „Harnisch zum Körper" sein können, wie Clausewitz die Festungen nennt, und sie werden auch heut noch den Nugen gewähren, den er in ihrer Existenz findet, wenn er hinzufügt : „ Nur im Kriege selbst erhält man mit der lebendigen Anschauung den rechten Begriff von dem wohlthuenden Einfluß naher Festungen unter schlimmen Umständen. Sie enthalten Pulver und Gewehre , Hafer und Brot , geben Unterkommen den Kranken , Sicherheit den Geſunden und Beſonnenheit den Erschreckten , fie sind eine Herberge in der Wüste." Eine Vertheidigung selbst gegen die gesteigerten Kräfte des förmlichen An griffs wird auch mittleren und kleinen Festungen, mit den nicht minder geſteiger ten Mitteln der artilleristischen Vertheidigung ausgerüstet, vielfach möglich sein, mit um so größerem Erfolge, je schwieriger allein die Concentration hinreichend starker Angriffsmittel heut zu Tage geworden ist, und je mehr grade heut allein eine Zeitersparniß im Kriege als ein Erfolg bezeichnet werden muß und weit hin oft schon entscheidend sich fühlbar macht. Wo aber die Wichtigkeit des Plates von vornherein eine Entfaltung der größten Mittel des Angriffs wahrscheinlich , eine dieser entsprechende des Ver theidigers daher wünschenswerth erscheinen läßt, da sind zu „ Waffenpläßen " erweiterte Festungen heut erforderlich, die, sollen sie leisten, was man von ihnen erwarten kann, in Bau- Ausrüstung und Dotirung Anforderungen stellen, die mur bei äußerster Beschränkung ihrer Zahl geleistet werden können. Eine kürzlich erschienene die „Fortentwickelung der Befestigungskunst" in allen Zweigen beleuchtende und höchst gedankenreiche Studie des Major von Wasserschleben (die allerdings nicht gleich den vorliegenden Zeilen Halt zu machen veranlaßt ist bei dem zur Zeit thatsächlich Erreichbaren und Erreichten) kommt, nachdem sie ein Bild ihres Waffenplages der Zukunft entrollt hat , sogar dazu, in diesen ein „Maß für die Existenz-Berechtigung von Staaten" zu finden, denn ?? nur Staaten von einer bestimmten Größe werden solche Mittel zu Befeſti gungszwecken hergeben können " und „ Staaten, die im Kampfe um's Daſein ſich nicht bis zu dieser Größe haben emporschwingen können , werden verschwinden oder in größere aufzugehen haben. " Für die Gegenwart sind wir noch nicht in der Lage, diese Consequenzen ziehen und die Entwickelung als bis zu diesem Extrem vorgeschritten bezeichnen zu können. Der von andern Seiten so schnell und leicht behaupteten Werth losigkeit kleiner Plätze aber haben wir bereits die moderne Kriegsgeschichte , die die Stellung sehr wichtiger Aufgaben auch an kleine Festungen und zum Theil ja auch ihre Lösung durch dieselben gezeigt hat, sowie die Thatsache entgegen gestellt, daß wir bis zum alleinigen Rechnen mit so großen Plätzen keineswegs gelangt sind und auch der Natur der Sache nach werden kommen wollen noch können. Daß aber direct zu Gunsten und zwar schon zum Zwecke stärkerer Ausrüstung der in der Entwickelung begriffenen permanent erbauten Waffenpläge einzelne kleinere Festungen theils weniger accentuirt , theils ganz aufgegeben werden, ist als in der Zeitrichtung liegend zu constatiren. Verfahren die Staaten Europa's dabei in äußerlich sehr verschiedener Weiſe, 42 Militairische Jahresberichte 1874.

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so liegt dies weniger in einem principiellen Widerstande gegen diese Strömung, als darin , daß die Lebensbedingungen der einzelnen Länder nicht mit einem Maße zu messen sind , und außerdem der Grad der Energie ein verschiedener ist, mit dem in ihnen weittragende Beschlüſſe gefaßt werden und zur Ausführung gelangen. 3. Gruppirung der Festungen. Mit dem eben Gesagten Hand in Hand gehend ist die Tendenz nach einer festeren Gruppirung der Landes - Vertheidigung als eine ſeit dem lehten großen Kriege allgemein erkennbare Richtung der Zeit zu registriren. Es ist damit nicht gemeint eine scharfe Eintheilung der Festungen , die in der Theorie erlaubt , ja nothwendig , für die Praris brauchbar nur bis zu einem gewissen Grade ſich durchführen läßt. Die Aufgaben , die Festungen zu erfüllen haben, lassen sich gliedern, doch wird man jeder wirklichen Festung von vornherein deren mehrere zuweisen müſſen , Werth und Bedeutung richten sich nach der strategiſchen Situation der Gegner und können nach Art und Gang des Krieges selbst bei derselben Festung sehr verschieden sein, und auch die Größe der letzteren allein bestimmt an sich nicht den Einfluß, den sie auf die Actionen hat oder unter Umständen gewinnen kann. Wohl aber wird es ein richtiger und sogar nothwendiger Act der Kriegsvorbereitung sein, sich für diejenigen Pläge zu entscheiden, in, bei oder vor denen die Landes -Vertheidigung beabsichtigt , über das gewöhnliche Sicherheits - Maß hinausgehende personelle und materielle Mittel einzusehen oder noch richtiger einsetzen zu können. Sie können zu Kriegsentscheidungsfeldern werden, in energischer Vertheidigung ehrenvoll aus genutzt wie Sebastopol und Richmond und müſſen hierzu vorbereitet ſein und ungleich beffer noch als jene. Sache der Heeresführung wird es dann sein müssen, sie nicht unausgenußt wie Vicksburg, Metz und Paris fallen zu laſſen mit Armeen , die den Schild , der sie lange schützte , jedenfalls nicht anklagen können dafür, daß sie das Schwert nicht fanden zu Stoß und Gegenwehr. Aber auch diesen Festungen wird man die leicht vergessene Anforderung nicht ersparen können, vertheidigungsfähig zu sein auch mit wenig Truppen, denn nur dann wahren sie die Actionsfreiheit des Vertheidigers und leisten voll das , wozu ſie bestimmt sind. Die Versammlungs -Möglichkeit größerer activer Streitkräfte beſtimmt ihr Gepräge, daher der Ausdruck „ Waffenplatz" sich für sie einzubürgern anfängt ; sie sind gemeint, wenn von „ Armee- Festungen " ,,,places de refuge", " pivots stratégiques" die Rede ist. Verlangt die Theorie unter Brialmont's Führung -- von ihnen , daß fie in einem bestimmten Zusammenhange mit einander und mit den Festungen anderen Charakters stehen, also etwa in der Mitte hinter einer Kette von Defilé Sperr-Forts und kleinen Festungen rein defensiver Tendenz liegen und in einem Centralreduit (Bundeshauptstadt) ihre eigene Stüße finden, so werden natürlich die Verhältnisse wie die Mittel der einzelnen Staaten unter Beachtung der erörterten , die Lage von Festungen allgemein regelnden Grundsäge dafür maßgebend sein, wieweit es möglich sein wird, das ideale und theoretisch durchaus richtige Bild einer so gruppirten Landesvertheidigung in's Leben zu rufen. Daß aber über die sogenannte Koppelung zweier Festungen zu gemeinſamem Zweck und auch über die Construction der vielbesprochenen Festungsdreiecke und Vierecke hinaus die meisten Staaten Europa's im Begriff sind , in der Anlage oder im Ausbau derartiger Waffenplätze gewisse Schwerpunkte für ihre Defenſive zu schaffen, und daß eine dem entsprechende Durcharbeitung und Regelung namentlich

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auch der Communicationen von diesen nach vorwärts zu den Grenzfestungen, nach seitwärts und rückwärts zu gegenseitiger Unterstüßung , sowie nach den besonders als solche designirten und ausgestatteten Magazin- und Depotplägen ſtattfindet, kann aus der Bewegung, in der sich die Erwägungen über Landes, vertheidigung zur Zeit vielfach befinden, doch unschwer entnommen werden. Die Großstaaten suchen dabei auf jeder ihrer Fronten, unfern der Grenzen und oft dicht in diesen 1-2 Waffenplätze der beregten Art zu gewinnen zur Sicherung gegen Invasion, zur Deckung des eigenen Aufmarsches, zum Halt für Rückschläge nach verunglückter eigener Offensive, aber auch zum Schutz des Landes für den Fall, daß andere Aufgaben die Feldarmeen nach anderen Richtungen rufen sollten. Mehr rückwärts , meist an entscheidenden Stromübergängen sichern Festungen analoger Ausdehnung den Uferwechsel der nach vorwärts oder rückwärts sich bewegenden Streitkräfte, bereit, auch als verschanzte Lager zu dienen oder aber dem Vertheidiger ein äußerst vortheilhaftes Schlachtfeld zu bieten. Die Möglich keit, mehrere dieser Positionen der 2. Linie in einen defensorischen Zusammenhang unter gleichzeitiger Verwerthung eines der bedeutenderen inneren Plätze zu bringen, ist in's Auge gefaßt und vorbereitet ; dem Kriege selbst wird die Bezeichnung der hierbei zweckmäßigsten Combination überlassen , ohne daß die Anordnung einer für alle Fälle zu benutzenden Central-Position als principiell nothwendig anerkannt wird. Für kleinere Staaten ergiebt sich eine solche von selbst aus demjenigen Waffenplatz , der am sorgsamsten vorbereitet und am besten aus gerüstet ist und der dann meist die Aufgabe haben wird , als Sammelort für jede beabsichtigte Offensiv- oder als Stützpunkt für jede aufgedrungene Defenſiv Action derselben zu dienen. Belgien ist zur Zeit der Staat , der mit der Schaffung eines nur durch Concentration aller Kräfte des Landes erreichbar gewesenen Waffenplatzes forti ficatorisch vielleicht am vollkommensten sein Landesvertheidigungs- System gekrönt und sich dadurch die glückliche Vermeidung partieller Verblutung im freien Felde vorausgesetzt in der That die Möglichkeit geschaffen, selbst gegen enorm überlegene Kräfte eine siegreiche Defensive durchzuführen. Holland scheint im Begriff Aehnliches zu versuchen, wenn auch die eigenthümliche Landesbeſchaffenheit, das in Wasser und Sumpfboden der Defensive ebensoviel Vortheile wie dem Festungsbau und der eigenen Truppenbewegung Schwierigkeiten bietet , dem Ganzen ein wesentlich anderes Gepräge aufdrücken wird. Frankreich betont sehr durchdacht seine Ostgrenze und schafft sich Gruppen von Defensivpoſitionen, die sämmtlich mehr oder minder direct in der sehr bedeutend erweiterten Haupt stadt ihr Central- Soutien und Reduit finden sollen. Deutschland hat bei verhältnißmäßig wenig Festungen doch in der wahrscheinlichſten Angriffsrichtung eine Tiefe von 3 Pläßen erster Ordnung incl. der fortificatorisch auf das Aus reichendſte verstärkten Barriere des Rheinſtromes und im Uebrigen größere Waffen pläge , von kleineren Festungen umgeben , auf jeder Front seines Gebietes . Rußland scheint noch entschiedener die Sicherung seiner Grenzen event. die ungestörte Concentrirung seiner Streitkräfte in der Nähe derselben der Vor bereitung innerer Stützpunkte voranzustellen. Desterreich hat die 1866 mit Aufwand enormer Mittel provisorisch befestigte Hauptstadt wieder geöffnet und ſcheint auch in Zukunft (in weiterer Ausdehnung als dies sonst üblich iſt) bei Herstellung von Waffenplägen für seine Landesvertheidigung auf diese Befesti= gungsweise zurückgreifen zu wollen. Italien , von jeher sehr reich dotirt an Festungen, will außer der Sperrung der Pässe und Häfen noch eine Reihe seiner Städte und Communications - Centren in genannte Waffenpläge verwenden, ohne 42*

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daß die Schwerpunkte der intendirten Defensive bis jetzt definitiv firit zu sein scheinen. England sucht naturgemäß im Küstenschutz die Hauptkraft seiner passiven Vertheidigung, während die activen Streitmittel seiner Flotte wie die materiellen Mittel ihrer Erhaltung und Ausrüstung in auch landwärts weit ausgreifenden Plätzen concentrirt sind resp. leicht vereinigt werden können. Auf die momentane Gestaltung des Festungssystems der einzelnen Länder ist ein bestimmtes Urtheil über die in denselben herrschenden Auffassungen aller einschlagenden Fragen allerdings mit einiger Sicherheit nicht zu gründen. Es ist der Gang der Weltgeschichte, der die Staatenbildungen und mit ihnen auch die gegenwärtige Zusammensetzung der Stützpunkte der Staatenvertheidigung erzeugt hat. Je größer die Bedeutung und die Machtsphäre eines Reiches ist, je diver girender die Richtungen sind, in denen es seine Kraft einzusetzen berufen sein kann und je größer das Vertrauen ist , das es auf Zahl und Leistungsfähigkeit seiner activen Streitkräfte zu setzen ein Recht hat, um so weniger wird daſſelbe Anlaß haben, etwa nach dem Vorgange Belgiens, die Hauptmomente seiner kriegsvorbereitenden Thätigkeit in der Herstellung selbst musterhafter und werth voller Schauplätze für concentrirte Defensive zu finden. Kein in militairischer Beziehung gut geleiteter Staat, - ohne Nachtheil für seine Stärke auch der stärkste nicht ―――― wird andererseits es versäumen dürfen, auf dem Wege recht zeitiger und umsichtiger Kriegsvorbereitung dahin zu gelangen, allen Situationen die Spitze bieten zu können. Er wird und muß sich befähigen, an den für das Ganze entscheidenden Plätzen zur „stärkeren Form des Kampfes" greifen zu können, wenn Uebermacht oder Schlachtenglück den Gegner zu dem stärkeren Kämpfer gemacht haben. Bei der zwingenden Nothwendigkeit aber, die grade jetzt, mehr noch in Folge der gesteigerten Leistungsfähigkeit, als selbst der Einführung des gezogenen Geschützes, an alle Staaten herantritt, die Gestaltung vieler ihrer Festungen zu modernisiren, wird es in mehr als einem derselben voraussichtlich Sache der nächsten Zukunft sein, auch der Gruppirung der permanenten Anlagen der Landes-Defensive eine bestimmtere und auch in Art und Durchführung dieser Vertheidigung mehr oder minder vorzeichnende Gestaltung zu verleihen. B. Permanente Befestigung. 1. Grundfäße des Festungsbaues. Auch in der engeren Frage nach der Festungs - Gestaltung und den Principien die den Festungs - Bau beherrschen, wird man nicht umhin können, die auf unveränderlicher Basis ruhenden Grundsätze zu scheiden gleichsam von den flüssigen d. h. der Veränderung und der Fortbildung unterworfenen und zu gänglichen Momenten. Wir entnehmen die ersteren naturgemäß dem über die Aufgaben der Festungen Gesagten. Ist es in der That die Fundamental- Aufgabe jeder Festung : das Terrain, auf dem sie liegt, gegen einen überlegenen event. fie umfassenden Feind festzu halten und zwar mit möglichst wenig Truppen, so kann es sich zunächst nur um die Mittel handeln, die dies ermöglichen, und diese sind ebenso unverän derlich , als die Aufgabe selbst. Sie bestehen darin, daß man dem Angriffe ein ohne besondere Vorkehrungen gar nicht und auch dann noch schwer zu über ſchreitendes, alſo „sturmfreies" Hinderniß entgegenstellt, dessen wirksame Vertheidigung mit wenig Kräften möglich wird, sobald dieselbe nicht nur fron

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tal, sondern vorzugsweise und grundsäßlich flankirend geführt werden kann . Für den Erfolg d. h. die weitere Vertheidigung gegen den so aufgehaltenen und zur Concentration stärkerer Kräfte gezwungenen Angriff (aber theoretisch und auch praktisch doch erst in zweiter Linie) wichtig wird es dann sein, daß der Verthei diger in der Lage ist, Personal und Material den Fernwaffen des Angriffs zu entziehen (Hohlräume), ſowie endlich, daß die Gestaltung seiner Position es ihm gestattet, in für ihn vortheilhafter, die numerische Differenz möglichst ausgleichender Weise die eigenen Streitkräfte zur Geltung zu bringen (Aptirung des Walles, wie des Vorterrains , Möglichkeit der Truppenbewegung im Innern und nach vorwärts). Je größer die kaleidoskopische Fülle der Formen ist, die angewendet sind und noch angewendet werden, um zunächst diese Mittel zum Zweck zu erreichen und damit die Erreichung des Zieles selbst anzubahnen, um so nothwendiger erscheint es, immer wieder auf diese einfachen, auf der Natur der gegenseitigen Kampfverhältnisse ruhenden Erwägungen zurückzugreifen, aus ihnen eine Basis zu schaffen zu weiterem Vorgehen. Sie geben in der That einen sichern Regu lator für objective Beurtheilung aller Formen und die an ihre Gestaltung sich anknüpfenden Fragen. Wo aber wäre ein solcher nothwendiger als hier in der bunten Menge so oft sich widersprechender Meinungen, von denen die einen zu con servativ auch im Einzelnen festhalten wollen, was früher sich bewährte, die an dern oft zu schnell über alles Bestehende hinwegeilen wollen zu einer Verände rung der Dinge, die, soll sie sich bewähren, doch immer wieder nahezu dieſelben Wege gehen muß zur Erreichung desselben gewollten und nach wie vor nothwen digen Zieles. Treten wir den Mitteln in Kürze näher. Ueber das Hinderniß zunächſt iſt Alles einig. Soweit Wasser nicht sicher und ausreichend vorhanden ist oder nicht in allen Jahreszeiten als zuverläſſig erachtet werden kann, bleibt nur die Mauer , denn Erde und Eisen sind, wenn auch aus verschiedenen Gründen, beide hierfür nicht zu brauchen, sie leisten beide weniger als jene. Diese allgemeine adoptirte Mauer der Sicht des Feindes zu entziehen ist wünschenswerth. Ein Bedürfniß sie sehr sorgfältig und weit über dies Maß hinaus auch gegen die indirecten Schußarten schwerer Geschütze durch vorliegende Erde zu decken, liegt nur da und ſoweit vor, als das Auftreten solcher wahrscheinlich resp. möglich ist, und außerdem das zu Gunsten der Vertheidigung aptirte Vorterrain trotzdem einen Anmarsch der Angriffstruppen gestattet. Letzteres ist gleichfalls nöthig , denn einer nur normalen, nicht einmal einer heroischen Vertheidigung gegenüber, hat der Angreifer mit der Bresche, d . h. mit der Aufhebung der Sturmfreiheit an einem Punkte des Festungsumzuges, seine Aufgabe doch nicht erfüllt, sondern ſich nur die Möglichkeit geschaffen, sie, wenn auch unter für ihn sehr schwierigen Verhältnissen, durch eine Gefechtsaction zu lösen. Das Fehlen des heut als wünschenswerth und zum Ausschließen der Breschirungs- Möglichkeit als noth wendig erkannten Maßes der Mauerdeckung entwerthet also von vornherein eine Festung nicht. Es ist grade ja heut, in der Zeit schneller Kriegsschläge, der wesentliche und mit jedem Tage wachsende Unterschied zwischen Feld- und Belagerungs-Armee mit besonderem Nachdruck zu betonen. Zum Widerstande gegen jene, zu der oben nach Willisen citirten „ Eisbrecher" - Rolle gegen die Invasion bedarf die Festung einer so sorgfältigen Deckung ihres Haupthinder ――――― nisses gar nicht, und sänke ihre Mauer es sei erlaubt im Extrem zu reden völlig und plöglich, der Jericho's vergleichbar, beim ersten Schuß aus der

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ersten Staffel der in ihrem Vorterraiu etablirten Belagerungsgeschütze es ist eine Fülle von Situationen denkbar, in denen die Festung schon das durch, daß sie diese Concentration mit Angriffsmitteln erzwang, ihre Ausgabe erfüllt hat, jedenfalls würde sie dann, meist zumal unter modernen Verhältnissen strategisch Bedeutendes geleistet haben. Nun ist erfahrungsmäßig nicht nur ein ehrenvoller, sondern ein erfolgreicher Widerstand sehr gut möglich mit breschirbarer und selbst mit breschirter Mauer. Es versteht sich von selbst, daß trotzdem die Kriegsvorbereitung danach streben wird, und überall, soweit die oben berührten Verhältnisse zutreffen , danach strebt, selbst die Brejchirungs-Möglichkeit constructiv auszuschließen. Das ge zogene Geschütz hat den indirecten Schuß , wenn nicht gebracht, so doch enorm ausgebildet. und im letzten Decennium, dem zweiten nach seiner allgemeinen Einführung, seine Leistungen darin geradezu verdoppelt. In allen Staaten giebt es daher zur Zeit eine ganze Reihe von Festungen, deren gemauerte Escarpen in Enceinten und Forts diesen absoluten Schutz dem Bresche resp. dem De molitions-Schuß gegenüber nicht besitzen. Soweit diese Festungen durch eigene Kraftentfaltung ein Niederhalten des Gegners nicht erzwingen können, wofern Correctur- und Umbau im Frieden nicht weit genug gediehen sind und auch die Armirung - die letzte und beschleunigte Kriegsvorbereitung die Mittel zur Abhülfe nicht findet, werden dieselben daher mit dieser eventuellen Schwäche rechnen müſſen, die übrigens durch eine hinreichend hohe und dem artille ristischen Angriff ja vollständig entzogene gemauerte Contreescarpe in ihrer Be deutung sehr wesentlich reducirt wird. Der Neubau steht darin natürlich gün stiger. Er findet die Möglichkeit selbst seine Escarpe hinreichend zu sichern, einmal in der Anlage schmaler und tiefer Gräben, sodann in einer Erhebung der Glacisschüttungen und endlich darin, daß er die Mauer von der dahinter liegenden Wallposition trennt und sie event. auf der Grabensohle soweit ver schiebt, bis sie durch den Rand der Contreescarpe, resp . des Glacis, die der ballistischen Leistungsfähigkeit des modernen Geschützes entsprechende Deckung findet. Die schweren Artillerien schreiten in diesem Theile ihrer Leistungen ziemlich gleichmäßig fort, die constructiven Mittel , ihre Wirkungen in den genannten Richtungen zu paralysiren, gehorchen daher auch überall ziemlich gleichen Ge setzen. Ein Unterschied in der Praxis ergiebt sich daraus, daß einzelne Staaten Werth darauf legten, die unteren Theile ihrer Mauerwerke bis zu einer be stimmten zur Erzeugung der Sturmfreiheit für ausreichend erachteten Höhe jehr sorgfältig zu decken, mit geringerer Beachtung der oberen Theile, andere lieber den auszuschließenden Treffwinkel geringer normirten, dabei aber diesen Grad der Deckung der ganzen Mauer bis zu ihrem Cordon zu Theil werden ließen. So wurden in mehreren Ländern die Mauern auf 1/3, 1/2 oder 2/3 ihrer Hebe gegen 10, 12 oder 15° Einfallwinkel gedeckt zu einer Zeit, in der in Preußen faktisch eine größere Sicherheit durch eine Deckung selbst des Cordons gegen erzielt wurde und als normal galt. Die Ausbildung des Demolitionsschusses , d. h. der Brejchirung einer nicht sichtbaren Mauer durch Zerstörung von eben her, die zumal der gleichzeitig eine Erdlast tragenden Mauer besonders ge fährlich ist, hat die Vorzüge des letteren Princips neuerdings noch klarer ge stellt, und der gegenwärtige Stand der artilleristischen Entwickelung macht die Zugrundelegung eines Minimums von 15 ° Fallwinkel bei senkrechter Schu richtung überall da nöthig, wo man diesen Schutz erstrebt. Im In- wie im Auslande wird daher dieses Maß bei der Abwägung der betreffenden Profil

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anordnungen im Allgemeinen, vorbehaltlich der in Folge specieller Terrainver hältnisse gebotenen oder gestatteten Modificationen, zu Grunde gelegt, d . h. man legt die obere Kante der Krone des die Sturmfreiheit erzeugenden Hinderniſſes, der Mauer, (die unter Umständen und aushülfsweise durch Eisengitter ersetzt werden kann) mindestens um den vierten Theil der bis zum deckenden Rande der Glaciskrete verbleibenden Horizontalentfernung ( Grabenbreite) tiefer als diese. Der zweite der genannten Hauptgrundsäße des Festungsbaues und zugleich dasjenige Mittel , durch welches am directeſten das Ziel der Truppenersparniß für die Vertheidigung erstrebt und erreicht wird , ist die Anordnung der Flan kirung. Diese und die Art, wie sie gedacht und vorbereitet ist, und nicht wie es manchmal scheint der Grundriß , das Tracé mit seinen Linien und Winkeln, ist das eigentlich Charakteriſtiſche und der erste Prüfstein aller Formen des Festungsbaues . Ist hierin nach denselben oder analogen Grundsätzen verfahren , so stehen sich in der Erreichung des Zweckes , und damit in der Vertheidigung , die sie verdienen, „ Systeme" und „ Manieren" des Festungsbaues innerlich sehr nahe, die auf den ersten Anblick in Folge der wesentlichsten Differenzen in der äußeren Gestaltung oft kaum vergleichbar erscheinen. Andererseits und schon deshalb kann keine noch so flüchtige vergleichende Betrachtung der Entwickelung wie des modernen Standpunktes der Fortification dieses Ausgangspunktes entbehren trennen sich gerade hierdurch , durch grundsätzliche Verschiedenheit im Flan kirungsprincip, wenn man frühere Zeiten außer Acht laſſen will, vom Ende des 17. Jahrhunderts an die Romanische und die Germanische Schule. Die erstere, seiner Zeit fast die Welt beherrschend und ungemein verbreitet , allmälig immer mehr und jetzt schon seit Decennien fast ausschließlich auf Frankreich beschränkt ; die letztere mehr, als man in weiten Kreisen sich bewußt ist, auf den Schultern Friedrichs des Großen stehend, in Preußen zuerst , dann bald auch in anderen Ländern selbstständig entwickelt und zur Zeit faſt allgemein adoptirt von dem Festungen bauenden Europa. Auf der einen Seite steht Vauban , der durch umfassenden Umbau 300 , durch Neubau 33 Feſtungen geschaffen hat und doch, nachdem er selbst , mit dem von ihm ausgebildeten Angriff, 53 feindliche Plätze genommen hatte, groß genug war, fundamentale Irrthümer zu erkennen. Den neuen Bahnen , in die er einlenkte , verstanden seine Nachfolger im eigenen Lande allerdings nicht zu folgen, und sie wurden bald verwiſcht, nachdem Cormontaigne die von Vauban bereits verlassenen Principien neu geprägt und damit eine bis in unsere Tage hinein dort geltende Parole gegeben hatte. Auf der andern Seite stehen nur Autoritäten moderner Fortification, in deren Bauten das, was brauchbar war von den Gedanken hervorragender Geister des In- und Auslandes (Rimpler's 3. B. und vor allem Montalembert's) Ver werthung gefunden hat , und denen schon Wallrawe , bewußter und bestimmter aber der große König Preußens selbst die Wege weiterer Ausbildung geöffnet hat. Er schloß zuerst sein Land vor der sonst überall erklärten Omnipotenz der unbiegſamen, die Lineartaktik zu ſtarr verkörpernden und dabei weder hinreichenden Schutz gewährenden, noch die eigene Waffenwirkung begünstigenden Franzöſiſchen Bastione, sein Scharfblick rief auch schon vor Montalembert's Auftreten diesem verwandte Ideeen praktisch in's Leben, und ist der mächtige Strom rapide fort schreitender Taktik und Technik auch hinweggegangen über das, was in Preußen damals entstand, über Vieles selbst, was später noch nach diesen Vorbildern ge schaffen wurde, der Gedanke lebt heut noch, die fortificatorische That wirkt nach

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bis in die Gegenwart. Grade in dem jezt allgemein getheilten Widerstande gegen das , was man (wie gezeigt nicht ganz mit Recht) gemeinhin als die Vauban-Cormontaigne'sche Richtung zu bezeichnen pflegt , gebührt Preußen eine Priorität, die wir ein Recht haben zu betonen, und die wir zurückführen müſſen und dürfen auf den alle Zweige der Kriegskunst mit gleicher Meisterschaft be herrschenden und so viele derselben schöpferisch umgestaltenden Königlichen Feldherrn. Das Hauptagens dieser Umgestaltung und zugleich das charakteriſtiſche Moment der beiden noch heut divergirenden Richtungen aber liegt , greifbar genug, in erster Linie im Princip der Flankirung. Ein flankirendes Feuer kann ja entweder ausgehen vom Wall eines Neben werkes, also über die Brustwehr eines, dann nothwendiger Weise in entſprechender Entfernung abliegenden Theiles der Umwallung und hat man für dieſe Anordnung sich entschieden, so folgt die Annahme eines streng bastic nairen Grundriſſes , des alsdann denkbar besten von selbſt — oder aber die Flankirung erfolgt aus tief gelegenen Casematten und damit ist jedes Tracé, folglich auch das einfachste, das sogenannte Polygonal-Tracé möglich ! Daß das Lettere schon lediglich aus Gründen der Einfachheit enorme Vor züge hat vor allen andern leuchtet ein, sobald man erwägt, daß, je weniger An forderungen ein Fortifications - System an bestimmte Anordnung seiner einzelnen Theile stellt , je weniger Höhe und Diſtance derselben dadurch beſtimmt werden, daß sie in ſich und gegen einander abgewogen werden müſſen , um ſo mehr der nicht laut genug zu stellenden Forderung : das Terrain, mit dem man es zu thun hat , mitsprechen zu lassen , im Großen und im Kleinen genügt werden kann , daß ferner ein auf der Grabensohle liegendes casemattirtes Bauwerk die Caponière sowohl als die Anfangs bevorzugte und jetzt wieder viel in Ber bindung mit Letterer angewendete Reverscasematte - der Aufgabe, das Hinderniß raſant zu flankiren, beffer, als ſelbſt die beſtconſtruirte Baſtionsflanke gewachſen und auch ungleich leichter als diese der sich täglich steigernden Fernwirkung des Angriffs zu entziehen sein wird , ist ein nicht minder entscheidendes Moment, das Geltung und Anwendung findet in der Festungsfront ebenso wie beim ein zelnen Werk und selbstständigen Fort. Wo aber, wenn nicht in den Fermen und in der Weise so doch im Sinne und im Geiste Montalembert's , ein bes rechtigter Nachdruck auf die Entfaltung eigener Feuerwirkung seitens der Ver theidigung gelegt wird wo grade heute in Ausnußung der Fortschritte der artilleristischen Leiſtungen eine Aufnahme des Geschützkampfes und die Durch führung desselben intendirt ist und vorbereitet werden muß ―――――― da wird auch je länger je mehr ein polygonales Tracé bei jedem Festungswerke sich bewähren. Montalemberts hochragende Mauerbauten , die casemattirten Batterien Friedrich des Großen, ſelbſt die Reduits und Hohltraversen , aus denen noch bis zum Auftreten der gezogenen Geschützes die Festungen theilweise wenigſtens dieſen Kampf aufzunehmen dachten, sie haben der in den Boden eingeschnittenen mit gleichem Geschützmaterial ausgerüsteten Angriffsbatterie gegenüber an Wirkung und damit überhaupt unleugbar an Bedeutung verloren. Der an ihre Stelle getretene und noch in der Entwickelung begriffene Panzerthurm, resp. die Panzer kuppel, die zur Zeit Gutes leisten, da sie widerstandsfähig genug erbaut werden können (und auch in der Kleinheit des Zieles , das sie bieten , eine Garantie mehr für ihre Erhaltung finden) lassen sich allerdings jedem Tracé hinzufügen, werden aber, so werthvoll sie sind, wegen ihrer Kostspieligkeit und der geringen Geschützzahl, die sie bergen, als alleinige Form für die Aufnahme dieſes Kampfes

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niemals dienen können. Ein Einschneiden endlich von Defensivbatterien in das Terrain wird , unter verschiedenen Formen, namentlich im Anschluß an Forts und sturmfreie Posten, und in weiterer Ausbildung der jüngsten Kriegserfahrungen, als wirksamstes Mittel, das Vorterrain festzuhalten, d. h . also als die beste Ver theidigungsweise sich überall bewähren, wo ein starker Fortgürtel vorhanden ist, und die Kräfte der Vertheidigung nicht nur an Artillerie, sondern auch an In fanterie', ein Verlegen des Schwerpunktes der Vertheidigung in dieſe vorderſte (und dann unzweifelhaft auch günstigste) Widerstandszone gestatten. Die sturm freie und das Vorterrain nicht hoch dominirende , wohl aber rajant und weit genug beherrschende Wallposition der Enceinte, wie der Forts, mit der Erde als einfachstes und bestes Deckungsmittel in Brustwehr und Traversirung , hat in dieser ganzen Entwickelung aber ihr altes Recht , Hauptaufstellung für die Fernwaffen der frontalen Vertheidigung zu sein , theils neu begründet dem Mauerwerk gegenüber , theils nicht verloren durch die bei vorhandenen Mitteln bereits bewährte Praxis der im Terrain placirten Defensiv-Batterien. Von dieser in jeder Beziehung dazu auszurüſtenden Wallpoſition aus wird die moderne Artillerie jede sonst mögliche Vertheidigungs -Action unterstützen , von ihr aus kraft ihrer enorm gesteigerten Schußweite, Durchschlagskraft und Sprengwirkung das Feſtſehen und die Annäherung des Gegners verhindern event. schrittweise bekämpfen müssen und können, auch für die Vertheidigung durch Infanterie wird dieselbe an allen Stellen zu aptiren sein, da auch aus der Defenſivkraft des modernen Gewehres der Festungsvertheidigung eine nicht zu unterschätzende Ver stärkung erwachsen ist, die bis zur Vertheidigungsmöglichkeit nicht ganz oder nicht mehr ganz sturmfreier Werke gediehen ist. Nun ist in Bezug auf die Möglichkeit, in dieser Weise entweder ein wirklich überlegenes Feuer auf das Vorterrain entfalten oder doch alle vorhandenen Kräfte in dieser Richtung zur Geltung bringen zu können, keine denkbare Grund rißform geeigneter, als die einfachste, d . h. die polygonale, die, in Enceinte und Forts angewendet, leicht jedem Terrain, das sie beherrschen soll, sich anſchmiegt, dabei , wie schon gesagt, eine niedere und sichere Flankirung und erforderlichen Falls eine Ausdehnung bis zur doppelten Kartätſchſchußweite gestattet , daher auch der Längenbestreichung, dem ricochettirenden und enfilirenden Feuer des Angriffs ungleich leichter, als jede andere , zu entziehen ist . Ihr dem Feinde und seinen hauptsächlichſten Schußrichtungen nahezu senkrecht entgegengeworfener Wall endlich giebt ebenfalls leichter als jeder andere die Möglichkeit, die mehr als je wichtigen Hohlräume aufzunehmen , deren die Vertheidigung bei Durch führung ihres Kampfes bedarf , und zwar von der einfachen Hohltraverſe, dem Unterstand für Wallwache und Geschütz- und den Munitions- und Geschoß räumen für den täglichen Gebrauch bis zu den gleichfalls schon von Friedrich dem Großen und von diesem zuerst angewendeten Hangard's , den Räumen für Infanterie-Bereitschaften resp. ruhende Truppen, den Pulver-Magazinen und den völlig dem Bedarf anzupassenden artilleristischen Werkstätten und Vorrathsräumen aller Art. Dies sind im Wesentlichen die Grundgedanken , die heut allgemein den Festungsbau beherrschen , dies zu gleicher Zeit die Motive, die in fast allen Staaten Europa's polygonale Fronten mit casemattirter, meist von Escarpen -= Caponieren ausgehender Grabenflankirung als Grund typus der angewendeten Formen erscheinen lassen und ihre Anwendung recht fertigen. Damit scheint aber auch andrerseits die Grenze erreicht zu sein , bis zu der die Entwickelung zu allgemein anerkannten , so zu sagen internationalen

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Grundsätzen zur Zeit gediehen ist, die daher als der fast allseitigen Praxis ent nommen und der Wissenschaft angehörig bezeichnet werden können. In der Ausführung , im wirklichen Bau , stellt die Specialaufgabe jeder Festung wie jedes Theiles derselben , stellt das Terrain , der Stand der Technik , sowie last not least die Höhe der im einzelnen Falle zur Disposition stehenden Geldmittel dem Erbauer eine Reihe von Aufgaben resp. Problemen , deren ver schiedene Lösung nie aufhören wird der Fortification jedes Staates, zunächst in Folge einheitlicher Leitung seiner Bauten , ein nationales , demnächst fast jeder Festung noch ein besonderes , durch die Verhältnisse derselben gebotenes Gepräge zu verleihen. Als solche hochwichtige, in den verschiedenen Ländern und sogar innerhalb eines und desselben Staates vielfach aber zur Zeit noch sehr ver schieden beantwortete Fragen ergeben sich z . B. die nach der Größe, ſowie nach den Distancen der detachirten Forts (cfr. unter " Waffenplatz " ), die fortificatorische Behandlung des Zwischenterrains , die Gruppirung der Hohl räume und der sie unter einander und mit dem Wall verbindenden Communica tionen , die kriegsmäßige Aptirung der Ein- und Ausgänge, der Festungsthere wie die event. Vorbereitung von Kriegscommunicationen noch neben den Landes passagen, die Traversirung und sonstige Behandlung des Erdwalles, die über die oben besprochenen Grenzen etwa hinausgehende Mauerdeckung durch Erde, ſowie die Verwerthung des Eisenpanzers zur Umkleidung ganz besonders wichtiger Geschützaufstellungen, und andere mehr. Liegt eine weitere Besprechung dieser Detailfragen aus den angeführten Gründen außerhalb unserer Aufgabe, so bleibt schließlich die schon oben berührte isolirte Stellung , die Frankreich den sonst fast allgemein adoptirten generellen Principien des Festungsbaues gegenüber eingenommen hat , noch besonders zu erwähnen. Selbst wenn dieselbe , den laut redenden Erfahrungen der Neuzeit gegenüber, in nicht zu ferner Zeit schwinden und in den zur Zeit, wie es scheint, in ziemlich bedeutender Ausdehnung beginnenden Neubauten ein Syſtemwechſel sich kund geben sollte , so gehört diese als „ Unbeweglichkeit des Französischen Genie- Corps" oft charakterisirte Haltung desselben einmal zum Gesammtbilde der Zeit , und andererseits muß sie erwogen werden , schon um die fortificatoriſche Literatur zu verstehen, die, soweit sie in die Oeffentlichkeit gedrungen und für dieſe bestimmt ist , ein eigenthümliches Centrum in der Belgischen Hauptstadt und einen Hauptmotor in Brialmont , dem Erbauer des modernen Antwerpens , ge funden hat. Raum und Zweck dieser Zeilen gestatten allerdings nicht, im Detail einzu gehen auf die von Letterem gegen die Autoritäten Frankreichs , die gardiens de bonnes traditions ", wie sie sich selbst und ihre Schulen bezeichnet haben, unermüdlich geführte literarische Fehde, die durch Vertheidigungen und Gegen angriffe eine bedeutende Ausdehnung gewonnen hat , und in der von beiden Seiten so oft auf Deutschland und auch auf speciell Preußische Bauten und Er fahrungen Bezug genommen wird * ). Werthvoll für die moderne Fortifications Wissenschaft und Praxis ist dieser Streit an dem übrigens die übrigen Ar meen thätig , d. h. literarisch , wenig , Preußen und Deutſchland , in deſſen Traditionen vielleicht ein Auskämpfen verschiedener Ansichten auf solchem Ge biete und über die Grenzen des eigenen Vaterlandes hinaus am wenigsten ―――――― liegen dürfte , fast gar nicht Theil genommen haben vor allem dadurch , daß *) Cfr. Militair - Wochenblatt 1874 S. 842 , la fortification à fossés secs , wo bri der Besprechung einer dieser Streitfragen der Streit selbst charakteriſirt wird.

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derselbe einem der bedeutendsten und im Festungsbau erfahrensten Ingenieur Offizier unserer Tage, der mit offenem Auge und großem Eifer sowohl die Kriegsgeschichte durchforscht hat, als auch der artilleristischen und fortificatori schen Entwickelung aller Mächte gefolgt ist, die Gelegenheit geboten hat, die Re sultate seiner Studien niederzulegen und zugänglich zu machen. Aus Französischer Schule hervorgegangen , hat Brialmont mächtig dazu beigetragen, zuerst sein Land von der geistigen Herrschaft Frankreichs in einer Disciplin zu befreien, in der letzteres Land mehr jedenfalls als in jeder andern stationär geblieben ist. Vielleicht ist es zu weit gegangen , wenn er den dort bis jetzt vertretenen Standpunkt geradezu als den der ersten Hälfte des 13. Jahr hunderts bezeichnet. Daß aber die Französischen Neubauten noch des letzten Jahrzehnts (z . B. Lyon , Toulon , Lille u. a.) in einer das Ausland oft über raschenden Weise noch Cormontaigne'sche Anschauungen verkörpert haben, und Frankreich im letzten Kriege daher sich so vielfach auf Festungen stüßen mußte, deren passive Widerstandsmittel nicht annähernd auf der Höhe der Zeit standen und in denen noch weniger geschehen war, um die Truppen zu sichern * ) oder gar die Entfaltung activer Defenſivkräfte vorzubereiten und zu ermöglichen ; daß gleichzeitig in der Literatur die Phraſe vom „, canon de Solférino" und vom ,,méthodisme allemand " eine Rolle spielte, die directe Rückwirkung auf Fest Haltung des alten Standpunktes auch in der Baupraris und Beurtheilung frem der Bauten übte und daß um aus hundert ähnlichen Aussprüchen nur einen Herauszugreifen - eine der angesehensten Lehrkräfte Frankreichs , Noizet, noch 1859 3. B. einen der wundesten Punkte der Bastionairsysteme, die völlig unge nügende Sorge für Bewegungsfreiheit, in den Werken (,,pas de souris") ver theidigt, die Nachtheile aufzählt, die die vermehrten Truppen- Communicationen der modernen polygonalen Festungen angeblich haben sollen und ihnen die „ dis positions si simples et si sages de Vauban" gegenüberstellt das alles sind Thatsachen, die, in ihrer Gesammtheit aufgefaßt , vielleicht zur Vorsicht mahnen können bei Verallgemeinerung der im Festungskriege gegen Frankreich gemachten Erfahrungen , eben weil sie ein Recht geben , von einem isolirten Standpunkte Frankreichs in den den Festungsbau betreffenden Fragen zu sprechen. Brialmont hat denselben gekennzeichnet in seinem ersten 1863 erschienenen Werk, ,,études sur la défense des états et sur la fortification", und ihm den seinen gegenübergestellt in Form einer durchdachten Entwickelung der Anschauungen, auf denen das polygonale Befestigungs - System beruhte , und die er 1869 in ſeinem ,,Traité de fortification polygonale" unter gleichzeitiger Widerlegung zahlreicher Franzöſiſcher Angriffe, sowie unter steter Verfolgung und Verwerthung der contemporainen artilleristischen Fortschritte des Weiteren ausführte und in seiner Anwendung auf Antwerpen begründete. Sein letztes Wert , ,,la fortification à fossés secs", endlich giebt ihm die zwiefache Gelegenheit, einmal sein Thema zu erweitern, sodann nun auch einzugehen auf die dem Kriege 1870/71 zu entnehmenden førtificatorischen Er fahrungen und Lehren. Verhält er sich aber gerade in dieser Schrift, wie theil weis auch schon in früheren , kritisch gegen manches nicht nur in Frankreich), sondern auch in Deutschland, Desterreich, Rußland, Italien xc. , also in Ländern Gebaute , in denen im Großen und Ganzen nach denselben und auch von ihm vertretenen Grundanschauungen gebaut wird , nun, so liegt darin nur ein Be

*) „Der Bitte um Ueberlassung der Casematten folgte die Erklärung , daß keine vor handen seien"; Wagner, Geschichte der Belagerung von Straßburg , II. 299.

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weis mehr für die schon oben erwähnte „ nationale" Entwickelung, zu der in den Formen der fortificatorischen Terrainumwandlung im Sinne der Benutzung eben seines Terrains und seiner Individualität jeder selbstständige , und zumal jeder Groß-Staat, gelangen muß . Wie paßte auch sonst der im Kleinen wie im Großen richtige Clausewitz`ſche Ausspruch von dem auf den Staatskörper zuzuschneidenden „Harnisch" seiner Festungen. 2. Per moderne Waffenplay. Der Firirung der zur Zeit herrschenden generellen Principien des Festungs baues dürfte eine kurze Berührung der Frage nach der Geſtaltung des modernen Waffenplages , welchem im Rahmen der Landesvertheidigung bestimmte, nicht allen Festungen zufallende Aufgaben zugewiesen wurden , anzuschließen ſein , eb wohl auch diese Frage weder als zur Zeit auch nur annähernd abgeſchloſſen noch als allgemein erschöpfend lösbar bezeichnet werden kann. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um das Verhältniß der Festungs Enceinte zu den vor derselben angelegten detachirten Forts . Die Idee, nicht blos vereinzelte wichtige Punkte des Vorterrains durch vor geschobene Forts zu sichern , sondern die Festung zu umgeben durch einen ſyſte matisch angelegten Gürtel selbstständiger Werke, trat zuerst auf in den Schriften Montalembert's und fand fast gleichzeitig in den Bauten Friedrichs des Großen, wenn auch in bescheidener Ausdehnung , ihre erste praktische Verwirklichung *). Sie hat seitdem in ihrer Ausführung eine den allseitigen Fortschritten des Kriegswesens entsprechende, man könnte sagen nie ruhende Umgeſtaltung er fahren, sie hat aber seitdem nie aufgehört die Fortification insofern zu be= herrschen , als man immer allgemeiner danach strebte, in allen bedeutenderen Festungen stets beide Elemente , Fortgürtel und Enceinte, zu vereinen . Man übertrug dabei die für den Festungsbau allgemein gewonnenen Grundſäge natm gemäß auch auf die Anlage dieser Forts und schuf daher sturmfreie mit Graben flankirung und Hohlräumen versehene , zur Geſchütz - Aufstellung wie auch zur Infanterie- Vertheidigung aptirte Posten im Vorterrain. Man gewann dadurch zunächst die Möglichkeit, in weit vollkommener Weise, als dies bisher möglich war , die Eigenthümlichkeiten des Terrains auszunutzen und erreichte ferner den Vortheil , den Kampf weit vorwärts beginnen , auf dem durch die Forts um ſchloſſenen Terrain alle Waffen unter für die Vertheidigung besonders günstigen Verhältnissen zur Verwendung bringen und dem trotzdem bis zur Enceinte vor gedrungenen Angriff endlich in dieſer eine bis dahin intacte und ganz besonders starke Vertheidigungs- Position entgegenstellen zu können. Kann nun, der Natur der Sache nach, ein in sich wohlgeordneter und in dieser Weise benutzbarer Fortgürtel als eine zweckmäßige und höchſt werthrolle Verstärkung jeder Festung betrachtet werden, so ergiebt sich das Vorhanden. sein eines solchen geradezu als eine Nothwendigkeit für diejenigen Plätze, deren strategische Bedeutung an sich eine größere Ausdehnung auch der Feſtungs werke rechtfertigt oder fordert, und bei denen zugleich auf die Möglichkeit einer Verwendung größerer Truppenkräfte zu rücksichtigen ist, d. h. also bei den als ,,Waffenpläßen " bereits charakteriſirten. Ihre Bedeutung hat die Neuzeit gesteigert, ihre Gestaltung wird sie in mehr oder minder bestimmten Umrissen und Normen zu firiren haben, geschaffen *) Vor dieser Zeit ist thatsächlich nur ein Fortgürtel, der von Mainz, 1734 erbaut, und auch dieser die Festung nicht umschließend.

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aber hat sie das gezogene Geschüß nicht. Man könnte hier eher sagen , daß, nachdem die Parole für Zusammensetzung starker Festungen aus Hauptwall und Forts einmal gegeben und zahlreich befolgt war, die Artillerie-Technik gerade hier durch zu Fortschritten gedrängt wurde, die, nachdem sie dem Angriff eine fast bis zur Ueberlegenheit anwachsende Stärke verliehen haben, nun ihrerseits beſtimmend find für die Ausbildung von Formen , die mit der Fähigkeit des Widerstandes nun auch die Mittel gewinnen und geben sollen , diese Fortschritte erst auszu nußen für die Vertheidigung. Diese gegenseitige Fort- und Umbildung hat , so rapide auch gerade in letzter Zeit die Steigerung der artilleristischen Leistungen erfolgt ist , thatsächlich doch allmälig und in greifbaren Formen stattgefunden , sie hatte, gerade soweit ſie in der Geſtaltung von Festungen ihren Ausdruck findet, anzuknüpfen an Ge gebenes und hat dies naturgemäß noch heute. Die sogenannte Neupreußische Befestigungsweise , die etwa die erste Hälfte unseres Jahrhunderts füllend , unter den Händen der Generale After, Breje und v. Prittwiß sich entwickelte, in der Construction der Rheinischen Festungen "), demnächst der des östlichen Preußens wie zum Theil der Süd deutschlands ihre Principien zuerst documentirte und in ihren Grundanschauungen bald eine fast allgemeine Anerkennung und Verbreitung fand , basirte ihre Ver theidigung - wo das Terrain nicht zwingend ein anderes Verhältniß herbei führt - durchaus auf eine von außen nach innen stetig zunehmende Stärke. Der auf wirksame Kanonenschußweite der Enceinte vorgelegte Gürtel der Forts sollte daher zu jener nur in dem Verhältniß der Vorpostenstellung zur Haupt stellung stehen, der förmliche Angriff ſollte erlahmen vor der Nothwendigkeit, die langsame und blutige Procedur seines Vorgehens immer von Neuem zu wiederholen, und ſowohl in den Forts als in der Enceinte bildete das „ Reduit" die letzte Instanz des Widerstandes , deffen schrittweise Durchführung zu jeder Zeit Aufgabe einer energiſchen Festungsvertheidigung gewesen ist und ſein wird. Weniger noch die schon besprochene Möglichkeit, das Mauerwerk, also event. auch die Reduits aus der Ferne zu zerstören , als namentlich die dem Angriff aus den artilleristischen Fortschritten in immer weiteren Dimensionen erwachsende Fähigkeit: sämmtliche Positionen der Vertheidigung und endlich auch das von den Werken umschlossene Object frühzeitig in Mitleidenschaft zu ziehen, war entscheidend für die Veränderung dieser wohldurchdachten und auf seiner Zeit sehr richtigen Voraussetzungen beruhenden Formen. **) Ein Hinausschieben. der Forts auf größere Weiten ergab sich als die erste und natürlichste Consequenz der größeren Schußweiten und wurde bald so allgemein als noth wendig empfunden, daß diese die äußere Gestaltung der Festungen so sichtbar umgestaltende Entwickelung geradezu als eine internationale d. H. aller Orten in gleichen Bahnen sich bewegende bezeichnet werden kann. Es ist dies auch ein Punkt, in dem Frankreich - und dem über seine Fortification Gesagten *) Les ingénieurs français ne firent aucune attention aux idées qui s'étaient fait jour en Allemagne après les guerres de l'Empire. C'est seulement quand ils virent s'élever aux portes de la France des forteresses construites d'après un nouveau système , qu'ils comprirent la necessité d'etudier ces forteresses . . . Ils le firent avec des préventions etc. . . . Brialmont, fortification polygonale. **) Le nouveau tracé adopté par les ingénieurs allemands était le résultat d'une discussion approfondie des principes de la fortification et des faits que l'expérience des dernières guerres avait mis en évidence. Brialmont, fortification polygonale .

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muß dies ausdrücklich hinzugefügt werden - nicht nur nicht zurückgeblieben, sondern den meisten anderen Mächten vorangegangen ist, theilweise sogar in weiser Voraussicht dabei Entfernungen wählend, die (wie z . B. bei den Pariser Forts) für die Periode ihrer Erbauung auffallend groß , noch in jüngster Vergangen heit als im Ganzen ausreichend sich erwiesen. Ihm folgte darin zunächſt England mit den Land- und Seeforts seiner Plätze, die allerdings, zur Sicher stellung bedeutender Theile des Nationalvermögens in erster Linie berufen , die Möglichkeit , für zugleich so leicht zerstörbare Objecte , als Werften und aus gedehnte Marine- Etabliſiements es immer sind , Schuß zu finden , nur in der Ausnutzung aller gerade das Fernhalten des Gegners verbürgenden Mittel finden konnten. Nun dürfte es aber klar sein , daß einmal ein Hinausschieben der Forts allein nicht genügen kann, um eine mit Vortheil zu vertheidigende Festung zu gewinnen , und ſodann , daß auch diese Schußweiten selbst eine nichts weniger als ausreichende Basis für Disponiren von Festungsanlagen sein können , ſo wichtig es auch immer sein muß, ihnen Rechnung zu tragen und so schwer das Gegentheil sich strafen würde. Einerseits ist es ja unmöglich , etwa auf einen Abschluß der bezüglichen artilleristischen Entwickelung zu warten , denn die Natur derselben schließt einen solchen aus, andererseits würde es sich aber ebenso wenig empfehlen, wollte man die Concurrenz in ganz äußerlicher Weise aufnehmen und dies heut gewonnene Facit des ballistischen Fortschrittes in der Tragweite der Geschüße etwa für das laufende oder nächste Jahr als Radius des anzulegenden Fortgürtels verwertben, um — was bei solchem Verfahren nur natürlich sein würde ――― denselben für entwerthet zu halten, sobald es gelänge, auch ihn zu überschießen. Man würde dabei in einer Zeit, wie der unseren, in der die schwere Artillerie aller Staaten die Schußweite der vollen Meile nicht nur mit Sicherheit erreicht, sondern mehr fach bereits überschritten hat , zu Gesammtausdehnungen des Plates gelangen, die in ihren Consequenzen erstens unerschwingliche financielle Anforderungen stellten , es würde dies ferner eine Bewegung in die Fortification geradezu hineintragen, der zu entsprechen sie nicht fähig ist, deren sie aber auch bei aller Sorgfalt für zeitgemäßen Fortschritt , um Gutes zu leisten , nicht bedarf, man würde endlich und dies allein schon ist entscheidend - den bereits entwickel ten Grundbedingungen nicht mehr genügen können , denen die Fortification in allen ihren Schöpfungen zu gehorchen hat. Und daß diesen „Hemmschuh", wenn man die Beſchränkung des Vorgehens in maßloſe Fernen so nennen will , nicht nur die Wiſſenſchaft , nicht nur die Theorie, sondern gerade die Praxis gebieterisch fordert, lehrt ein Blick auf solchen Play, wie er jetzt manchmal bereits verlangt wird. Keine Eisenbahn , kein Telegraph , kein elektriſches Licht kann Meilen ver kürzen, wenn und wo es sich darum handelt, sie wirksam zu vertheidigen! Die Ausdehnung eines Schlachtfeldes, auf dem die Vertheidigung an entlegene Brenn punkte des Kampfes, wie es die bereits mit bewaffnetem Auge nicht mehr ſicht baren Forts dann sein würden , gebunden ist , kann als vortheilhaft für lestere doch nicht mehr und um so weniger gelten , je mehr die anderweitige Natur dieses Kampfes gerade von der Defensive eine einheitliche Leitung fordert ! Wo bleibt endlich auch nur die Möglichkeit, mit wenig Truppen auskommen zu können , wenn nun die Feldarmee nicht zur Stelle oder anderswo nöthiger ift? Wo gar die Truppenerſparniß, der Kriegszweck, dem in erster Linie die Terrain Umwandelung ja dienen sell ?

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Es ergiebt sich daraus , daß eine Grenze der Ausdehnung , ein Halt im Vorgehen mit den permanenten Anlagen auch der großen Festungen aus rein militairischen Gründen nöthig ist. Es fragt sich: 1 ) ob die Vertheidigungs- Möglichkeit dem modernen Angriff gegenüber auch mit ihm vorhanden ist? (Eine Frage , deren Verneinung die Existenzberechtigung der Festungen für unsere Zeit überhaupt negiren würde.) Und es fragt sich: 2) wo man denselben am Besten machen soll , resp. wo er thatsächlich zur Zeit gemacht wird ? Für die Möglichkeit der Aufnahme und Durchführung der Vertheidigung auch bei einem unter dem Maximum der artilleriſtiſchen Wirkungssphäre bleiben den Radius der Festungsanlage sprechen ebenso naheliegende als durchschlagende Gründe : Der artilleristische Fortschritt kommt ja nicht nur ausschließlich dem An griff, sondern , fast könnte man sagen, in erster Linie der Vertheidigung zu Gute, wofern diese gewillt und fähig ist , denselben zu verwerthen. Hat der Schuß schon an sich, ganz allgemein betrachtet , einen entschieden defensiven Charakter, d. h. ist die Ausnutzung einer guten Schußwaffe schon im Feldkriege zunächst Sache und Vortheil deſſen, der, wenn auch nur zeitweis , steht und den Angriff erwartet, wie vielmehr des Vertheidigers permanenter Anlagen, der Ge schütz- und Geschoß -Transportſchwierigkeiten nicht kennt, da er Zeit hat, in der Kriegsvorbereitung sie zu überwinden , der an Zahl und Größe daher seiner Geschütze (ganz abgesehen von Vorbereitung der Schußrichtungen , Kenntniß der Distancen xc.) von Anfang an der stärkere iſt, es wenigstens sein kann. Der selbe gebietet endlich über die Mittel der modernen Technik incl. des Eisen panzers (von dem durch die Hindernisse gegebenen Schutz wiederum abgesehen) also über die beſſere Deckung in einer Weise , die auch der wohlvorbereitetſte Angriff sich nicht schaffen kann. Die großen Vortheile , die dem letzteren aus der Natur der beiderseitigen Situation erwachsen und die in der Actionsfreiheit, in der leichteren Möglichkeit des Verluſterſates, in der Thatsache der numeriſchen Ueberlegenheit und eines gewiſſen moralischen Uebergewichts liegen , sollen hier durch nicht geleugnet werden. Allein für die Abwägung des gegenseitigen Ver hältnisses im Kampf um einen „ Waffenplay" unter modernen Verhältnissen dürfte zu erwägen sein : 1) die absolute Stärke der heutigen zumal gerade artilleristischen Festungs - Vertheidigung , deren йeberwindung selbst einem noch ftärkeren Angriff vor allen Dingen eine Zeit kosten muß, von der es , je weiter wir in unserer Kriegsentwickelung überhaupt kommen , desto mehr sich fragen wird, ob er sie gewinnen kann ; 2) daß die Actionsfreiheit , Wahl in Art, Richtung und Ausdehnung des Angriffes sowie die Möglichkeit des Ersatzes je länger je mehr be schränkt werden durch die Nothwendigkeit, auf gute und gedeckte Com municationen sich zu basiren; 3) daß die Beschaffung der zum Erfolge nothwendigen numerischen Ueber legenheit von Streitmitteln aller Art mit der eingetretenen Aus dehnung und intensiven Stärke der Defenſivpoſitionen wesentlich schwie riger geworden ist und noch wird, sowie 4) daß die moralischen Factoren , aus denen wir ganz allgemein eine dem Angriff zustehende Ueberlegenheit zuſammenzufügen gewohnt sind,

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unendlich viel leichter beschafft als erhalten sind , und daß jede Ein buße , die hierin der eine von zwei Kämpfern erleidet , sich doppelt fühlbar macht, da sie gleichbedeutend ist mit einer Verstärkung des Gegners. Die moralische Ueberlegenheit bedarf - soll sie erhalten bleiben wenn irgendwo so hier des Erfolges , der nur im schnellen Vorschreiten des Angriffs seinen Ausdruck finden könnte , und sie ist, wie so viele Schlachtfelder der Neuzeit beweisen , gerade der modernen Waffenwirkung der Defenſive gegenüber , des Umschlags in ihr Gegen theil fähig auch bei den besten Truppen. Auf diesen Erwägungen basirt ganz allgemein die Möglichkeit der Durch führung des Kampfes auch gegen die hoch gesteigerten Mittel des Festungs angriffs , und ohne daß bisher von mehr als einer Defensivpoſition überhaupt die Rede war. Diese Möglichkeit der Vertheidigung und dies war der Punkt, von dem wir ausgingen wird aber nicht alterirt durch die dem An griff event. erwachsene Fähigkeit , vordere Vertheidigungs- Anlagen zu über schießen. Eine ihre Vortheile vor Allem durch eigene Wirkung ausnutzende Vertheidigung wird den Angriff bald zwingen, mit ihr in erster Linie zu rechnen und nicht aus Gründen der Humanität, sondern der Zweckmäßigkeit — auf ihre Bekämpfung die mühevoll aufgebrachten und kostbaren Mittel zu con centriren. Den Feind zu schlagen ist Ziel jedes Angriffs , dies Gesez des Krieges wird sich , je stärker der Feind ist , um so mehr auch dem Festungs Angriff aufdrängen. Die einzige demselben , so lange er rationell verfährt, unter Umständen gestattete Ausnahme zeigte eben der Blick auf die Küstenplage Englands . Wo es sich um solche oder analoge Verhältnisse handelt , in denen, der Natur des angegriffenen Objects nach , der Kriegszweck des Angreifenden unter Umständen schon durch wenige mit dem Maximum der Wurfweiten ab gegebene Schüsse erreicht werden kann und andere Mittel für die Sicherung desselben (Eindeckungen) nicht angewendet werden können oder sollen, da , aber auch nur da, wird die Ausdehnung der Festungsanlage bis zu dem auch ihrer seits zu leistenden Maximum sich rechtfertigen und ist thatsächlich auch gewählt worden. Im Fernhalten der Bombardements -Batterien liegt dann nicht nur in erster Linie wie überall, sondern nahezu ausschließlich Zweck und Aufgabe eines solchen Forts , das Festhalten des defenſoriſchen Zuſammenhanges zwischen dem Festungskörper und seinen einzelnen Theilen, wie wir ihn selbst für den großen Waffenplatz zur Zeit noch fordern , tritt dagegen zurück , d. h . er wird nur je weit gewahrt werden können, als es eben die Verhältniſſe geſtatten. In allen andern Fällen und selbst eine große Stadt mit ihren maſſiven Häusern kann zu Objecten der eben geschilderten Art nicht mehr gerechnet werden wird der Schutz gegen Bombardement zwar wenigstens auf das Aeußerſte, aber nicht einzig auf dem Wege der stets wachsenden Erweiterung der Be festigungs- Anlagen zu erstreben sein. Naturgemäß hat diejenige Vertheidigung die meiſte Chance des Erfolges, die dem Angriff möglichst weit entgegen zu gehen in der Lage ist; das Maß hierfür geben die Kräfte, über die sie verfügt. Den Kampf möglichst weit vorwärts , im Vorterrain aufzunehmen ist daher mit Recht Vertheidigungs Princip für alle Festungen , ganz unabhängig von ihrer Größe , für die Ge staltung der Festungen und auch der größten unserer Tage aber müssen die anderen bereits entwickelten Momente überwiegen. Gerade die Gegenwart dürfte wohl Veranlassung haben, wenn sie einerseits die Thatsache registrirt, daß die Distanz der Werke auch des modernen Waffen

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plates in der Richtung des Angriffs der Tragweite des schweren Geschüßes nicht burchweg entspricht, zugleich auch den Grundsatz als einen nicht zufälligen, sondern wohlerwogenen hinzustellen, daß das Maximum der letteren direct und unbedingt nicht maßgebend sein kann für jene. Nicht ganz mit derselben Bestimmtheit kann der Natur der Sache nach auf die 2. der oben gestellten Fragen nach der Größe der jetzt angemeſſen erscheinenden Distance der detachirten Forts von einander und vor der Enceinte geantwortet werden. Die Specialverhältnisse des Plates, das Terrain vor allem werden, je sorgfältiger sie berücksichtigt werden, um so mehr fast an jeder Seite Modificationen selbst dann bedingen, wenn eine Norm für diese Maße acceptirt wäre, doch ergeben sich Annäherungswerthe. Bleibt man unter der halben Meile mit der Entfernung der Forts von der Hauptumwallung , so wird der Schuß der von lezteren umschlossenen Stadt schon jetzt nicht mehr gewährleistet, diese Distance erscheint daher wenigstens nöthig. Ein wesentliches Hinausgehen über 5000 Meter (ein Maß , das bereits eine Gesammtentfernung von 7-8000 M. der Forts vom Innern des Platzes ergiebt) würde andererseits die bereits berührten Unzuträglichkeiten für die Vertheidigung im Gefolge haben und erscheint aus den angeführten Gründen auch durch die artilleriſtiſche Ent wickelung unserer Tage nicht geboten. Eine jede große Festung wird , zumal wenn sie auf beiden Ufern eines Stromes liegt , wie dies meist der Fall sein wird, große Strecken ihres Vorterrains haben, die theils direct inundirbar, theils nicht approchirbar, theils wegen Mangels an rückwärtigen Communicationen dem Angriff nicht günstig und daher mit wenigen Mitteln zu vertheidigen sind. Mit der Zahl der schon zur Zeit des letzten Krieges um Paris vorhandenen Forts wird man daher auch in Zukunft im Ganzen auch bei Annahme des genannten Halbmessers - meist aufkommen können und nur besonders bedrohte Theile des Umkreises werden noch besondere Vorkehrungen nothwendig machen, die ein Concentriren der Defensivkräfte an diesen Stellen vorbereiten und erleichtern sollen. Auch in dieser Gestalt erreicht der permanent erbaute Waffenplatz eine Gesammtausdehnung , die bisher durchaus ungewöhnlich war und auch jetzt nur im Ganzen wenigen Plätzen wird gegeben werden können, und es wurde bereits oben darauf hingewiesen, welche Rückwirkung dieselbe auf die Zahl der Festungen nothwendig üben muß und thatsächlich bereits geübt hat. Bei Anwendung richtiger Grundsäße im Festungs-Bau , bei durchdachter Anordnung aller ſeiner Theile und bei einer seinen Aufgaben entsprechenden Ausrüstung aber wird auch in dieser Gestaltung des Ganzen eine Bürgschaft mehr dafür liegen , daß mit ihm eine „ normale" *) Vertheidigung selbst gegen jede Ueberzahl des Angriffs alles das leisten kann, was von einer solchen Festung das Vaterland zu erwarten ein Recht hat. Schließlich ist hierbei nur noch eine Frage wenigstens zu berühren, die in Wort und Schrift und gerade jetzt im Hinweis auf das rauchende Straßburg und im Anschluß an die erwähnte gegen Städtebefestigung überhaupt gerichtete Strömung mehrfach auftaucht und in der Forderung gipfelt, mit einem Gürtel starker Forts allein sich zu begnügen oder doch wenigstens auf einen energiſchen Kampf um die Stadtumwallung zu verzichten. *) Eine ,,normale" Vertheidigung iſt eine solche , die alle ihr gebotenen Mittel und Kräfte ausnutt zum Widerstande. Auf eine solche muß der Ingenieur rechnen, aber auch nur auf eine solche darf er rechnen. Mit Gneisenau's Geiſt iſt auch die schlechteste Festung gut. 43 Militairische Jahresberichte 1874.

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Die Praris aller Staaten verneint zur Zeit ausnahmslos auch diese Forderung. Wir sehen in ihren inneren Anordnungen vereinfachte, aber doch starke, zum Einsetzen aller Arten von Streitmitteln vorbereitete Enceinten hinter den Fort- Gürteln moderner Waffenplätze nicht nur erhalten, sondern auch entstehen. Man wird auch in Zukunft anders nicht verfahren dürfen, will man nicht Werthlojes oder nur bedingt Brauchbares schaffen! Die Enceinte selbst braucht man , denn wo sie fehlt, wird kein energischer Feind die Forts attackiren , er wird gewaltsam entweder, oder bei Nacht und Nebel ibre Intervalle forciren und mit klingendem Spiel in die Stadt einrücken, auch wenn die Forts sich halten! Und wird Straßburg, die einzige von uns im Wege des förmlichen Angriffs genommene Festung angerufen zum Beweise dafür , daß es nicht möglich oder nicht rathsam sei, eine Stadt- Enceinte zu vertheidigen, so wird Jeder, der ruhig urtheilt und das Franzöſiſche Straßburg kennt, gerade aus seiner Vertheidigung das Gegentheil folgern. Ein Play, der detachirte Werke in unserem Sinne überhanpt nicht, dagegen ein theils nicht einmal gegen Sicht, nirgends gegen die ſchon damals erreichbare Leiſtungsfähigkeit des indirecten Schusses gedecktes , noch dazu anliegendes Escarpenmauerwerk besaß, in dem für bombensichere Unterkunft der Truppen seit Vauban bis 1861 absolut gar nichts,*) nachher so gut wie nichts geschehen war, dessen Pulver-Magazine selbst erreichbar und dessen Wälle zu einer Aufnahme des Geſchützkampfes nicht im Mindeſten aptirt waren, dieser dabei äußerst mangelhaft ausgerüstete Platz hat einen über legenen, energisch geleiteten und umsichtig geführten Angriff trotz Demolirung der rückwärtigen Stadttheile wochenlang widerstanden, und man jellte nicht glauben , daß - des Vergleiches wegen die Energie der Vertheidigung nicht höher angenommen als das im Ganzen bescheidene Maß der 1870 vorhandenen man sollte nicht glauben, daß eine Enceinte, bei deren Bau von richtigen Grund jätzen ausgegangen und in dem den Leiſtungeu des Waffenweſens und der Technik in zeitgemäßem Fortschritt Rechnung getragen ist, nicht fähig wäre, den Kamys aufzunehmen event. auch gegen einen Feind , der mit Aufbietung doch gewin eines sehr wesentlichen, wenn nicht des größten Theiles seiner Kraft, den ſcarf ――― vertheidigten Fort- Gürtel überwunden hat ? Man sollte alle Chancen gleich ― angenommen nicht mindestens auf die doppelte und dreifache Zeit ihre Widerstandsfähigkeit veranschlagen dürfen ? Man wird dies können , man wird zum Mindesten nicht das Gegentheil folgern dürfen, wenn man vorurtheilsfrei wägt und man müßte die Vorbereitung dieser zweiten Poſition fordern, wenn sie nicht existirte. Eine starke Enceinte ist eine conditio sine qua non einer starken Festung für alle Zeit, sie gehört als integrirender Bestandtheil auch in den " Waffenplay" der Gegenwart wie der Zukunft! 3. Küften-Befestigung. Die Küstenbefestigung hat ein Recht, als ein beſonderer Theil der permanenten Fortification betrachtet zu werden nur insofern, und soweit, als eben die Streit mittel , denen sie entgegen zu treten hat , sich von den vor den Landpläsen *) cfr. das interessante, mit ebensoviel Sachkenntniß als Klarheit geſchriebene und für die Beurtheilung dieser Frage geradezu entscheidende Capitel 2 des L. Abschnitts aus Wagner's Geschichte der Belagerung von Straßburg , das , auf hiſtori de Documente und dienstliche Acten gestüht , einen concreten und so hochinteressanten Hall behandelt und damit zugleich die beste Illustration giebt zu Brialmont's Schriften, ſoweit ſie Frankreich betreffen.

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erscheinenden Angriffswaffen unterscheiden. Im Uebrigen gehorcht auch sie den für die Staatenvertheidigung sowie für die Beschaffenheit der Festungen ent wickelten Gesetzen, vor allem dem Grundsatz der Concentration der Kräfte, der doppelt betont werden muß, gegenüber der meist zur Zersplitterung derselben auffordernden Geſtalt der Küsten. Die maritimen Streitmittel lassen sich charakterisiren als eine schnell bewegliche Geschützmasse schwersten Calibers , deren Erfolge event. ausgenutzt und vervollständigt werden können durch die Action gelandeter Truppen. Der Ver theidiger, der, so lange letzteres nicht geschehen ist, zu eigenem Offensivſtoß auch nur die ihm etwa zur Disposition stehenden Theile der eigenen Flotte verwerthen kann, muß die Tendenz haben, die Actionsfreiheit der feindlichen Schiffe besonders in der Annäherungsrichtung aufzuheben oder zu beschränken, er muß die von ihnen ausgehende Fernwirkung abzuschwächen suchen und er muß endlich hier wie überall danach streben, den Feind niederzukämpfen durch die eigene Artillerie. Nach diesen 3 Richtungen hin hat sich daher im Wesentlichen dieser Zweig der Kriegsvorbereitung zu bewegen. Nur herrschte , zum Theil auch gestützt auf Erfahrungen früherer Kämpfe, noch in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts ganz allgemein die Ansicht von der im wahren Sinne des Wortes durchschlagenden und a priori an zunehmenden Ueberlegenheit des stehenden über das schwimmende Geschütz , da Die muraille en bois," wie Brialmont die Wand des Holzschiffes nennt, das letztere unfähig mache zur Aufnahme des Kampfes gegen die Strandbatterien . Noch 1836 lehrte das Französische Aide-mémoire, " daß eine hinter der Erd brustwehr aufgestellte Batterie von vier 16- oder 24 Pfündern nichts zu fürchten habe von einem Linienschiff selbst von 100 Kanonen; schon damals aber nicht mehr ganz mit Recht , denn Admiral Duckworth hatte bereits 1807 mit Holz schiffen die Durchfahrt durch die Dardanellen erzwungen, Admiral Rouſſin soeben. (1831 ) in geradezu epochemachender Weise mit 13 Fahrzeugen (das stärkste zu 90 Geschützen) den Tajo forcirt , den , abgesehen von einem Portugiesischen Geschwader, eine ganze Kette von Uferbatterien mit in Summa 300 schweren Geschützen vertheidigte. Die letztere Waffenthat widerlegte zugleich auf's Schlagendste diejenigen , die bis dahin eine Vertheilung der Defenſivkräfte in Richtung des Stromes als wirkſamſtes Mittel zum Aufhalten eines in denselben einfahrenden Gegners empfohlen hatten.*) Der Orientalische Krieg gab . weniger endgültige Entscheidungen als Directive für die weitere Entwickelung. Sebastopol erwehrte sich der Flotten nicht nur durch die Hafensperre, bei deren Herſtellung zu dem kostbaren Material der eigenen Kriegsschiffe gegriffen werden mußte, sondern auch durch den Geschützkampf des 17. October. Andererseits siegte bei Kinburn die nautisch noch wenig entwickelte, aber widerstandsfähige schwimmende Eiſenbatterie Frank reichs selbst über zahlreiche und casemattirt stehende Geschütze. Es folgten der vierjährige Secessionskrieg America's, die Thaten der unirten Flotte unter Farragut und Porter, die für den Fall von Vicksburg entscheidende Forcirung des Miſſiſſippi, die der Mobile-Bai und anderer Häfen, Erfolge , die , so glänzend sie genannt werden müſſen , eine sichere Basis für *) Die Forts folgten sich in Abſtänden von 500 bis 50 Toisen , berichtet Rouſſin, 15. Juli 1831, (Bericht Paris 1844 erſchienen). Wenn wir uns ihnen näherten, eröffneten sie ein ziemlich lebhaftes Feuer, das indeſſen nach 5 oder 6 Salven der Schiffe verstümmte, es folgten nunmehr einzelne schlecht gezielte Schüsse, auf welche nur der Jubel der Matrojen die Antwort gab. 43*

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verallgemeinernde Schüsse allerdings nicht boten , da sie durchweg nur gegen völlig freistehende und vor allem gegen glatte Geschütze errungen waren. Immerhin neigte die Wage des Stärke-Verhältnisses sich doch jetzt mehr zu Gunsten der Schiffe, und seitdem letztere theils ihre Treffflächen durch Senkung der Bordhöhe, Wegfall der Masten 2c. reducirt , theils durch Eisenplatten gegen Kugel und Granate sich geschützt haben und außerdem der Dampf die Fahr geschwindigkeit selbst schwerer Schiffe auf 14-16 Knoten gesteigert hat, ist kein Vertheidiger mehr im Stande , durch die Strandbatterie allein das Vorbei resp. Einfahren derselben zu hindern. Er bedarf hierzu außer der Geſchüß wirkung noch der Sperrung des Fahrwassers durch Hindernisse theils paſſiver, theils activer Natur, die bis zu gewissem Grade wohl selbstthätig zu machen find, ihren Zweck aber natürlich am ſicherſten und vollkommenſten erreichen werden, wenn sie in Verbindung mit Artillerieſtellungen verwendet werden , unter deren Feuer sie dann liegen. Die fortdauernde Steigerung der Leistungen des gezogenen Geschützes in Calibergröße, Präcision, Schußzweite, Durchschlagskraft und Sprengwirkung kam beiden Theilen zu Gute, legte aber auch beiden, und besonders natürlich dem an sich verletzbareren Theile , dem Schiffsangriff, die Pflicht auf, die Mittel einer materiellen Deckung besonders zu cultiviren und es entstand eine Art Wettlauf der Artillerie- resp. der Eisentechnik, während deſſen ein Jahresbericht hauptsäch lich die Zahl der Zolle zu registriren gehabt haben würde, um die Calibergroße und Panzerstärke, sich gegenseitig steigernd , in dem Jahre gewachsen seien. Dem gleichfalls in America bereits mit Erfolg verwendeten Torpedo aber erwuchs gerade aus diesem Wettstreit eine um so höhere Bedeutung , denn er richtet sich gegen die in der That verwundbarste, durch keine Panzerung zu deckende Stelle des Schiffskörpers und leistet, wenn er trifft, mehr als jedes den Panzer durch schlagende Geschoß. Die Sicherung der Küsten wird daher an allen dem Vertheidiger besonders wichtigen resp. dem Angriff besonders zugänglichen Punkten zu erfolgen haben und erfolgt thatsächlich in der doppelten Weiſe, daß : 1. die Sperrung der Fahrwasser vorbereitet wird theils durch schwim mende event. versenkbare Sperren, am wirkſamſten durch Seeminen oder Torpedos, 2. dem Terrain entsprechend, rückwärts und seitwärts derselben Poſitionen für gezogene Geschütze schwersten Calibers geschaffen werden, für deren Schutz durch materielle Deckungsmittel um so mehr zu thun ſein wird a) je exponirter ihre Lage, b) je wichtiger das Object ist, das sie vertheidigen, c) je werthvoller ihre Erhaltung gerade an den Stellen ist , an die sie gestellt sind, je weniger also ihr event. Verlust ausgeglichen werden kann durch Wirkung von anderen Punkten aus, und d) je weniger es gelingt , sie durch ihre Situation selbst zu schützen, was einmal durch eine sehr dominirende, jodann aber auch durch eine solche (in England z . B. an mehreren Stellen durch Anschmiegen an Bergabhänge thatsächlich erreichte) Lage geschehen kann, die sie dem Auge des zur See Angreifenden entzieht. Was die Art der Ausführung dieser Anordnungen betrifft, so ist zunächst

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hinsichtlich der submarinen Anlagen zu bemerken, daß alle hierbei intereſfir ten Staaten mit gleichem Eifer die Fortschritte der modernen Technik hierfür zu verwerthen bestrebt sind , und daß dem entsprechend die betreffende Entwickelung sich überall in ziemlich denselben Bahnen bewegt. Als Sprengstoff ist seit eini gen Jahren das bis 1870 noch allgemein hierfür verwendete Pulver meist zurück getreten hinter Präparaten, die den doppelten Vortheil brisanterer Wirkung und geringeren Volumens boten. Als solche sind Dualin und mehr noch Dynamit zur Zeit im Gebrauch , ebenso wie die sogenannte „ nasse " Schießwolle , für die England sich entschieden hat , und die voraussichtlich auch in anderen Staaten einer immer allgemeineren Verwerthung entgegengeht. Die Zündung ist meist eine dynamo - elektrische oder auch galvanische und verursacht in ihren Arrange= ments natürlich gerade hier besondere Schwierigkeiten , da die Sicherheit der Zündung im Gebrauchsmomente und zugleich die Gefahrlosigkeit bei der eigenen Handhabung zu fördern , und die Ableitung oder Schwächung des elektrischen Stromes durch das die Leitung umgebende Waſſer verhindert werden muß. Der Gebrauchsart nach unterscheidet man zwei Arten von Torpedos, einmal die nach Art eines Selbstschusses construirten, die durch den Anstoß des feindlichen Schiffes erplodiren sollen, sodann diejenigen, die in dem für eigenen Gebrauch noch be nukbar zu haltenden Fahrwasser gelegt werden und vom Lande aus erst in dem Augenblick gezündet werden sollen, in dem das feindliche Schiff ihre Wirkungs sphäre betritt. Desterreich, das seiner Zeit den Venetianischen Hafen durch Tor pedos letzterer Art geschlossen hatte, war mit der Herstellung von auf der Theorie des Vorwärts - Abschneidens " beruhenden Beobachtungsapparaten schon damals so weit gediehen, daß der durch zahlreiche Versuche ermittelte größte Beobachtungs fehler nur etwa die Hälfte betrug von dem Radius der Wirkungssphäre , die die betreffende sehr starke Pulverladung erreichte. Rußland , das noch 1855 sehr unvollkommene Contact-Torpedos verwendete (Zündung auf chemischen Wege nach Bruch einer Glasröhre, ein noch 1864 von Dänemark im Alſenſunde verſuchtes Princip, das sich nicht bewährte), construirte sehr bald darauf vor Kronstadt eine Art von Torpedos , die mit jedem über sie fortgehenden Schiff in Contact_tre tend , doch beliebig durch Ein- oder Ausschaltung eines auf dem Lande befind lichen Zündapparates gefährlich oder ungefährlich gemacht werden konnten , und die daher bis zu gewissem Grade die wesentlichen Vorzüge beider genannten Arten (Selbstthätigkeit, Auskommen mit kleinerer Ladung, daher leichtere Verankerung 2c. und Möglichkeit des Passirens eigener Schiffe) vereinigten. Die Frage nach der besten Construction dieser Torpedos kann , auch soweit ſie überhaupt lösbar ist, zur Zeit noch nicht als abgeschloffen bezeichnet werden, doch läßt sich schon jetzt übersehen , daß das durch zahlreiche Unglücksfälle ge nährte Vorurtheil gegen die Anwendung dieser für den Küstenschutz so wirksamen Waffe nicht begründet ist. Wissenschaft und Technik werden auch dies Problem nicht ungelöst lassen , und schon jetzt sind alle dabei interessirten Staaten im Besitz von Torpedos beider Hauptarten, die im Versuch sich bewährt haben, und mit deren Handhabung meist eine besonders hierfür ausgebildete Truppe betraut ist. Zweifelhaft dagegen will es erscheinen, ob es gelingen wird, den sogenann= ten Offensiv - Torpedo" (eine auf irgend eine Weise an das feindliche Schiff heranzutragende Ladung) zu einem brauchbaren Kriegsinstrument zu machen. Vielleicht sind hinsichtlich seiner auf vereinzelte und geglückte Anwendungen hin (der conföderirte Albemarle Nov. 1864 zerstört durch Lieut. Cushing) zu fan guinische Erwartungen gegründet. Seine event. Verwendung bei der Küsten vertheidigung läge selbstredend lediglich in den Händen der Marine.

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Die Ausführung schließlich der Befestigungsanlagen im engeren Sinne, d. h. der erwähnten Batterieſtellungen anlangend , so unterſcheiden ſie ſich von den in Landfestungen üblichen Anlagen ähnlichen Charakters , also etwa den deta chirten Forts , im Wesentlichen dadurch , daß zur Erlangung der Deckung und Widerstandsfähigkeit gegen das Schiffsgeschütz besonders starkes Material, Mauer werk nicht nur, sondern auch der Eisenpanzer in ausgedehnter Weise zur An wendung gelangt. Für die Nothwendigkeit , besonders starke Mittel dieser Art zu verwenden, sind bereits oben einige Grenzen gezogen, und in der That seben wir in mehreren Staaten (jo z. B. in Rußland bei Neubau jeiner Krim -Feſtun gen) starte Küstenbefestigungen entstehen, bei denen die Erde als einziges Deckungsmaterial verwendet und im übrigen die Möglichkeit der Aufnahme und Durchführung des Artilleriekampfes gegen die Schiffe auf die starke Zahl der concentrijch wirkenden Geschützmasje verbunden mit der dominirenden Lage der Batterien gegründet wird. Für die andere Richtung gleichsam, d. h. für die Entwickelung ven Formen der Küstenbefestigung, in denen das Element widerstandfähiger Deckungen besonders hervortritt, ist England maßgebend und führend. Dasselbe hat auch, gestis: auf den hohen Standpunkt seiner Induſtrie und Technik, der Verwendung des Eisens die größte Ausdehnung gegeben und ist zugleich der einzige Staat , der sich nach Abschluß der bezüglichen Versuche ( 1870) beſtimmt für die ausschließ liche Anwendung der Walzeisen - Panzerung (in Lamellen, d . h. mehreren nicht übermäßig starken Platten hintereinander mit Zwischenlagen von Eisenconcret oder Beton) entschieden hat, während in anderen Staaten, besonders wegen der Möglichkeit, dann auch gekrümmte Formen des Eisenbaues herstellen zu können, Panzerungen aus Hartguß theils vorgezogen werden , theils neben jener im Gebrauch sind. England hat gerade in den letzten Jahren mit einer großen Energie den Ausbau und die Vollendung seiner Küstenbefestigungen betrieben und verfügt an seinen Küsten bereits über c. 400 allein hinter Panzerdeckungen stehende Geschütze. Die Formen , die theils bei dieser ausgedehntesten Leiſtung im Gebiete der Küstenbefestigung, theils bei den Bauten der anderen Staaten sich herausgebildet haben, ſind außer der offenen Erdbatterie , die übrigens auch durch Panzerschilde verstärkt werden kann und in dieser Form bereits mehrfach Anwendung gefunden hat ; die casemattirte Batterie mit Panzer schilden (welche zuerst an den Scharten, dann in immer weiterer Ausdehnung zu beſſerer Deckung resp . zum Ersatz des Mauerwerkes verwendet sind) und der Panzerthurm. Ist letzterer , wie z . B. bei den Englischen Bauten als fester d. h. nicht drehbarer Eisenbau ausgeführt, so kann er ebenso wie die Mauer Batterie sogar 2 Etagen erhalten, und es geschieht dies überall , wo man ent weder trotz tiefliegender Baustelle ein gewisses Commandement erreichen will, eder da, wo eine Vereinigung einer großen Geschützahl nöthig , die Baufläche aber sehr beschränkt ist. Der Panzer - Drehthurm endlich kann ebenso wie auf Theile detachirter Forts der Landbefestigungen , so mit Vortheil auch auf die Plattform fester Küstenbatterien aufgesetzt oder auch als selbstständige Batterie verwendet werden und bildet in beiden Fällen den geeignetsten Aufstellungsort für die schwersten Geschütze des Vertheidigers, deren Leistungen dann unter Wah rung guter Deckung nach allen Theilen des Angriffsfeldes mutbar sind. enormen Kosten gerade dieses Bauwerkes werden wie bisher so auch in nächſter Zeit voraussichtlich dazu zwingen, seine Anwendung auf sehr wenige und nur ganz besonders wichtige Punkte zu beschränken.

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4. Literatur. Von den in den letzten Jahren erschienenen, für den Standpunkt der Forti fication und in erster Linie der permanenten besonders maßgebenden Werken sind zu nennen : 1. Brialmont , die 3 bereits erwähnten und charakterisirten Werke, welche, wenn auch in manchem Sinne als Streitschriften geschrieben , doch besonders hervorragen durch den Schatz von Erfahrungen und den schätzbaren Beobachtun gen der früheren wie der contemporairen fortificatorischen Entwickelung , den sie enthalten (Brüssel 1863 bis 1872 ) . 2. R. Wagner, Grundriß der Fortification, Berlin, 1870 in erster, 1872 bereits in 2. Auflage erschienen , alle Gebiete der Fortification incl. des Ver schanzungs- und Festungskrieges umfassend und auf den Preußischen militairischen Unterrichts-Anstalten als Lehrbuch im Gebrauch. Dasselbe behandelt den reichen Stoff in lichtvoller Anordnung und besonders die permanente Fortification´in muſterhafter Durchführung, wenn auch zunächst nur in Form einer Skizze, deren Ausarbeitung der Autor sich vorbehalten und versprochen hat. 3. Tunkler v. Treuimfeld, die permanente Fortification , Wien 1874, gleichfalls als Lehrbuch geschrieben, auf breiterer Basis und in weiterer Aus führung die Grundsätze des Festungsbaues behandelnd und nach den hinterlaſſe nen Schriften des Autors emanirt. Ein gleichfalls werthvolles Werk , das in mancher Beziehung ein nationales , d. h. specifisch Desterreichisches Gepräge in sofern trägt, als theoretischen und speciell auch mathematischen Erörterungen ein größeres Recht eingeräumt wird , als sie in Deutschland im Allgemeinen , die Praris des Festungsbaues nicht ausgenommen, besißen. II. Die Fortification in der kriegführung.

A. Die Feldbefestigung. Die Veränderungen der Fortschritte in der Gestaltung derjenigen techniſchen Leistungen, die erst im Kriege selbst und zwar durch die mobile Truppe zur Ausführung gelangen sollen , scheinen auf den ersten Anblick der Beurtheilung und daher auch der Besprechung an dieser Stelle sich entziehen zu wollen. Die Kriegspraxis bewegt sich ja frei und ist auch in den Formen, in denen ſie event. das Terrain ihrer Gefechtsfelder umwandelt , weder durch vorhandene Bauten noch auch durch früher oder selbst bis zum Ausbruch des Krieges befolgte Grund sätze gebunden. Die Letzteren aber sind vielleicht allgemein gar nicht oder doch schwerer zu firiren , als die Grundfäße des Feſtungsbaues , ſie ſind jedenfalls nicht wie diese abzulesen von fertigen oder entstehenden Bauten. Zuzugeben ist freilich, daß weder die literarischen Erscheinungen der Gegen wart und selbst der officiellen Publicationen der verschiedenen Staaten, noch auch die Exercir- und Uebungsplätze einen absolut sichern Maßstab dafür geben können, wie im Kriege und noch dazu allgemein und in allen Fällen verfahren wer den wird. Die Entwickelung subjectiver Ansichten andererseits über die Frage wie wohl in Zukunft verfahren werden soll oder mußte, kann nicht der Zweck eines Berichtes sein, der ein objectives Referat zu geben bemüht ist. Wird dennoch auch dieſen Fragen näher getreten, so liegt die Berechtigung hierzu wie die Möglichkeit der Ausführung lediglich in der Thatsache , die , unsere Be sprechungen einleitend , bereits betont wurde und die im Kriege , wenn auch schärfer accentuirt und allgemeiner empfunden, so doch nicht wesentlich anders sich Geltung verschafft als bei rationellem Verfahren , auch schon vor dem

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Kriege: die Fortification hat keinen Selbstzweck. Sie dient dem Kriegszweck, sie hat nur wo und soweit sie dies thut eine Existenzberechtigung und hat nie eine andere besessen, sie bedarf aber auch keiner anderen, um bei der gegenseitigen Steigerung aller Kräfte gerade heut zu einer täglich steigernden Bedeutung zu gelangen. Ist aber die "I Terrainumwandlung zum Kriegszweck", sobald wir die Verhältnisse des Feldkrieges in's Auge faffen , in der That nichts anderes als die natürlichste Potenz der Terrainbenugung , die wir zu gleichem Zweck for dern von allen Waffen (wie denn Willisen ein befestigtes Terrain ganz direct ein „potenzirtes " nennt) , so können die Formen dieſer Terrainumwandlung, jell letztere ihren Zweck erreichen , auch nichts anderes sein , als die Consequenzen und -- cum grano salis natürlich - die Verkörperungen der Taktik diejer Waffen , und die Veränderungen und Fortschritte dieſer müſſen in mehr oder minder greifbarer Weise ändernd, fortbildend, wenn es ſein muß auch umgeſtal tend rückwirken auf jene. Die der Taktik ihrer Zeit entsprechenden technischen Formen auszubilden und einzuführen wird Sache der Friedensübung , der per sonellen Kriegsvorbereitung also sein, ihre Anwendung finden sie aber erst im Kriege und ihre Anordnung und Ausführung charakterisiren sich daher als Acte der Kriegführung resp. des Krieges selbst. Gewinnen wir aber mit diesem engen und in der Natur der Sache liegen den Anschluß der Feldbefestigung im Speciellen an die Feldtaktik zunächſt das Recht , von einer Entwickelung und dem modernen Standpunkte jener ebenso zu sprechen, wie man von dieſer das Gleiche zu thun gewohnt ist , so haben beide ferner noch das Recht und die Pflicht gemeinsam , auf die Kriegsgeschichte und die Kriegserfahrungen sich zu basiren und aus diesem stets unerschöpf lichen Borne militairischer Erkenntniß die für sie maßgebenden Grundſäße zu schöpfen. Gerade die Gegenwart aber ist in der glücklichen Lage, einem großen Feld- und Cernirungskriege auch auf diesem Gebiete militairischen Schaffens reiche und bestimmte Lehren entnehmen zu können. 1. Erdarbeiten. Geschlossene Feldschanzen in die erste Feuerlinie legen" sagt, die lehte Entwickelung der Feldbefestigung bereits reſumirend , der Major v. Waſſerſchleben in der bereits citirten Schrift, hieß nun nichts anderes , als in Colonne nach der Mitte in der Schüßenlinie erscheinen , die Geschütze auf Bänke in die Saillants postiren , sich der Mitwirkung der Artillerie selbst berauben. Auch forderten die bisherigen Schanzen nach dem Normalprofil viel zu viel Zeit zu ihrer Herstellung und leisten in Bezug auf Deckung und Wirkung zu wenig, als daß sie noch als Stützpunkte einer Schlachtlinie betrachtet werden könnten. Sie könnten zu leicht enfilirt , umfaßt und ihre Besatzung ohne Schutz gegen Granaten und Schrapnels durch Schnellfeuer aufgerieben werden. " An einer andern Stelle, wo von Positionen die Rede ist , zu deren Her stellung, wie bei Cernirungen, erklärten Defenſivſtellungen, mehr Zeit vorhanden ift werden einzelne festere und möglichst sturmfreie Punkte gefordert und zu deren Gewinnung zwei Wege angedeutet : einmal Dörfer und Gehöfte, die mit Mauern, Hecken, Zäunen und dergleichen umgeben und entsprechend zu aptiren sind, sodann in ganz offenem Terrain: geschloffene Schanzen mit Hindernissen wie Aftverhau, Drahtzäune im Graben resp. im Vorterrain und granatsichere Unterkunftsräume oder wenigstens Granatgräben im Innern. Für das Profil dieser Werke wird betont, daß ein Herausheben derselben aus dem Umzuge der Schüßengräben dem

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Präciſionsfeuer zumal der Festungsartillerie gegenüber sich bald strafen würde, daher zu vermeiden sei. Es tragen diese Aeußerungen , wie man sieht, nicht eigentlich einen refor matorischen Charakter, es handelt sich in ihnen weniger um Vorschläge oder um die Empfehlung neuer Ideen, als vielmehr um ein wenigstens vorläufiges Referat, sie bezeichnen aber grade deshalb sehr treffend in negativer wie in post tiver Richtung die bedeutungsvollen Merkmale einer Wandlung , die auf dem Specialgebiete der Feldbefestigung allerdings mit einigem Rechte als das Facit der jüngsten Kriegserfahrungen betrachtet werden kann. Das sogenannte „Normalprofil" war ziemlich allen Staaten gemeinsam. Es entstand daraus, daß man bestrebt war, den Schützen etwa einen Meter höher zu stellen , als den Angreifer, ihn durch eine von Feldgeschütz nicht zu durch schießende Brustwehr zu sichern, und daß man die Erde hierzu, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend einem vorderen Graben entnahm , den man auf mindestens 3 M. Tiefe normiren mußte, wollte man in dieser Tiefe zugleich ein Hauptmittel zur Erreichung einer gewissen Sturmfreiheit erlangen. Mit der im Innern stehenden eventuell biwakirenden Besatzung zusammengedacht, charakterisirt sich eine auf diese Weise gebildete Schanze als ein „ umwalltes Carré" und der Vergleich mit dieser Jahrhunderte lang einzig maßgebenden Form strictester Defensive des Fußvolkes bezeichnet am kürzesten die bisherige hohe Bedeutung sowie die gegenwärtige beschränkte Berechtigung auch dieſer Normalform der Feldbefestigung. Hat sich die Dotirung mit Feldgeschütz über die Zeit der engeren taktischen Berechtigung d. h. also über die der Bataillonsgeſchüße weit hinaus und bis in unsere Tage hinein als allgemeiner Usus erhalten, so liegt der Grund hierfür in dem an sich völlig gerechtfertigten Bestreben , die Gunst des Terrains aus zunüßen durch möglichst intensive Verwerthung der „ dominirenden Punkte" . Sie galt es festzuhalten, daher lag dort die Schanze, von ihnen aus vor allem wollte man weithin wirken, daher gruppirte man dort die Geschüße, deren Posti rung in die Saillants dann sich von selbst ergab, da ſie dort am meiſten nutzten. Auch hier wird zu scheiden sein zwischen richtigen und daher bleibenden Grundsäßen und wandelnden Formen. Die Verwerthung dominirender Punkte ebenso wie die Concentration der Kräfte zu ihrer Behauptung haben beide an Bedeutung für die Defensive gewiß Nichts verloren und selbst die enge Vereinigung von Infanterie und Artillerie auf einer Bergkuppe in verschanzter Stellung kann durch die Situation auch heut noch gerechtfertigt, ja gefordert werden. Die Entwickelung der Taktik und mehr noch die ihr voraufgegangene des Waffenwesens gestattet aber theils, theils bedingt sie Modificationen. Die Tragweite des Geschüßes giebt größeren Spielraum für seine Placirung, es seitwärts und rückwärts stellen, heißt nicht es weniger brauchen , es dahin stellen, wo es am längsten stehen bleiben kann, heißt gerade beim gezogenen Geschütz seine Wirkung ausnützen ; dasselbe dem Gewehrfeuer zu entziehen, ist in der Feldschlacht nicht mehr möglich , bei vorbereiteter Defensive ist auch dieser Vortheil anzustreben, wo er irgend erreichbar ist, endlich leistet die Batterie ihr Höchstes doch nur in den Händen ihres Chefs , nicht zugweiſe zersplittert , und eine Infanterieposition vorwärts wird nur um so fester stehen, wenn ihr in dieser anstatt in der früheren Form die artilleristische Unterstützung zu Theil wird. Für die überwiegende Mehrheit der Fälle scheint in der That grade in der räumlichen Trennung die beste Garantie für das Zusammenwirken beider

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Waffen zu liegen und je mehr Zeit der Vertheidiger hat , um jo mehr Veran lassung muß er haben, sich auch in dieser Weise günstige Gefechtsverhältniſſe zu schaffen. Die ,,lunette pour 400 hommes et 4 canons" bringt zwar auch noch u. A. ein "! 1875" datirtes Französisches Lehrbuch (cfr. ad 3 Literatur) der Feldbefestigung , ohne daß es darin allein steht, als Normal - Defenſivform verschanzter Stellung hat sie aber unzweifelhaft ihr Recht verloren. Noch zwingender ergiebt sich die Gestaltung der Infanteriepoſition selbst, diese allein betrachtet aus den Verhältnissen der Zeit. Der Hauptvortheil der Defensive liegt ja zunächst in der Ausnutzung der eigenen Schußzwaffe , deren moderne Leiſtungen , ruhige Handhabung und freies Schußfeld vorausgesetzt, in der geradezu unüberschreitbaren Zone, die sie vor der Front sich schafft, vollen Ersatz für die etwa fehlende Sturmfreiheit der eigenen Aufstellung bietet. Zur Feuerentwickelung wird aufmarschirt aus Colonne oder Schwarm, es ergiebt sich also als Normal - Defenſivform der Infanterie die Linie , Teren geringe Tiefe heute um so werthvoller ist, je mehr gerade die große Achse der Elipse , in der das Maximum der Wirkung der modernen Artillerie liegt , su meiden ist, d. h. je entschiedener diese Wirkung wächst mit der Tiefe des Zieles. Ein geschicktes Anschmiegen dieser Linie an das Terrain muß das freie Schußfeld schaffen und muß diejenigen Correcturen des Verterrains entbehrlic machen, die die zur Disposition stehende Zeit auszuführen nicht gestattet. Der Specialfall mit seinen Factoren : Auftrag, Stärke der Defenſivkräfte, Gefechts Situation und Terrain wird über die Ausdehnung und die Formen zu entſcheiden haben, in denen die Gefechtsbahnen der bei jeder Vertheidigungsstellung ven vornherein im Auge zu behaltenden Offensive vorzubereiten sind, daher entweder: überschreitbare Deckungen oder Intervalle zwischen ihnen, wenn sie dies nicht ſind. Im Charakter der Linie liegen endlich noch die beiden Schwächen : die Ge fährdung durch Durchbruch an einer Stelle und die Wehrlosigkeit der Flante. Eine vorbereitete Defensivstellung muß die Mittel finden, beiden zu begegnen. Sie muß Stützpunkte schaffen in der Front, die das Aufrollen hindern , se muß für die Flügel Anlehnungspunkte schaffen, die an Bedeutung gewinnen, grade je stärker die Front ist , je mehr der Feind alſo , sei es von vornherein, sei es durch den Gang des Gefechts , zur Umgehung resp. zu seitlichem Angriff gedrängt wird . *) Für dieſe Stützpunkte geben die „ Terrainbedeckungen" in allea ihren Formen den ersten Anhalt, wo sie fehlen aber müſſen ſie auch heut neh

*) Die Stärke der Defensive in der Front , sowie die grade hierdurch erhöhte Be deutung der Flanken betont Oberst v . Verdy an sehr vielen Stellen seiner Schriften, ſelbſ da, wo er zunächst den Angriff lehrt und zwar auf den nicht verschanzten Gegner, io Seite 24 des 2. Hefts der Studien : In der Offensive muß man sich gefaßt machen , bei einem Frontalangriff in kurzer Zeit massenhafte Verluste zu erleiden. Wenige Augenblicke entscheiden dabei über die Kampftüchtigkeit von Compagnien und Bataillonen. Ein Frontalangriff auf Snfanterie Linien in guter Position hat heutigen Tages wenig Chancen, zu reüſſiren zc. Der Defensive dagegen bietet die Wirkung des Gewehrs eine außerordentlich: Stärke .. aber wenn auch für die sich so bildenden Linien nur verhältnißmäßig geringe Re serven erforderlich sind, so darf die für die Flanken bestehende Gefahr nicht übersehen werden, je länger die Linie, desto größer dieſe Gefähr ... daher ev. Re serven hinter den Flügeln." Die vorbereitete Defensive wird in erster Linie nach diesen Directiven handela müssen und zwar in der Gruppirung nicht nur ihrer perſonellen , sondern auch ihrær feldfortificatorischen Mittel.

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geschaffen werden , und die !! Schanze" tritt in ihr altes Recht, nur in verän derter Form als „ Infanterie - Feldwerk " . Je festere Normen für dieses Feldwerk sich aus der Praris der Armeen herausbilden werden , um so schneller wird es im Gebrauchsfalle entſtehen, der dann schon die Modificationen bringen wird , die die Situation erheischt. Die Grundzüge für seine Gestaltung sind schon jetzt gegeben als bereits erprobt. Frontale Entwickelung und geringe Tiefe gelten natürlich auch hier. Es ist nicht nur die Wirkung, sondern vor allem die Präciſion der modernen Artil lerie, die eine Reduction der bisher üblichen Höhenmaßze empfiehlt. Je beſſer geschossen wird , um so wichtiger ist es , die Schwerpunkte der Defensivstellung nicht weithin sichtbar zu machen und sich so , gleichsam unnütz , die Deckungs Aufgabe zu erschweren. Die Gewinnung größerer Rafanz und vor allen Dingen die Verringerung der Arbeitsleistung, ja, bei auf Stunden beschränkter Zeit, die Möglichkeit der Herstellung selbst sind weitere Vortheile dieser Reduction des Profils. Läßt man endlich das Ganze grundsätzlich herauswachsen aus dem innern Graben , mit einer gewiſſen Freiheit in der Behandlung des äußeren, so gewinnt man dadurch einmal sehr bedeutend an guter wie an schneller Deckung, und man kann ferner das Werk brauchen in jedem Stadium seines Baues. Es ist damit die bisher vermißte Brücke gleichsam zwischen Schützengraben und Schanze gefunden. Unter Umständen durch allmählichen Ausbau besonders wich tiger Stellen des ersteren kann die letztere entstehen , wo zu planmäßigem Bau Zeit und Kräfte fehlten, die ―― in den jetzt nur nothwendigen Grenzen oft unschwer 1-2 Stunden später sich noch finden. Die im hinteren Einschnitt event. unter partiellen Eindeckungen desselben oder aber in einem auch feldmäßig zu schaffenden Kehl -Hangard geborgene Besatzung bedarf eines Schanzenhofes im Innern des Feldwerks nicht. Sie bleibt vor dem Gefecht in der Nähe, aber außerhalb des Werkes , sie findet in letzterem Deckung in der Zeit der Be schießung ) und erscheint in der Brustwehr erst im Moment der Ausnutzung des eigenen Gewehrs. Für die Feldbefestigung, soweit diese „ Gefechts-Vorbereitung der Defenſive " , wie man sie nennen könnte, in Erdbewegungen ihren Ausdruck findet , könnte man daher den verstehend skizzirten Stand ihrer Entwickelung zusammenfassen in die Sätze : I. Der Schützengraben ist die Hauptform der modernen Feld befestigung. Er wird linear entwickelt event. gruppenweise angeordnet und ausgeführt in stetem Hinblick auf frontale Beherrschung des Terrains , wo es sein kann , unter gegenseitiger Flankirung seiner Theile, nach Zeit und Um ständen ganz oder stellenweise verstärkt durch nachträgliche Vertiefung oder leichte Eindeckungen. II. Die Artillerie schneidet in der Regel von der Infanterie getrennt und zwar meist seitwärts resp . rückwärts der letzteren, batterieweise und unter Bei behaltung der normalen Gefechtsintervalle ihre Geschütze ein in Emplacements, *) Ueber diese Artillerie- und Infanterie-Beſchießung als Vorbereitung des Angriffs cfr. v. Scherff, Infanterie auf dem Exercirplay. §. 6. Deckung und Wirkungsmöglichkeit an derselben Stelle zu vereinen , erlauben die Mittel der Feldbefestigung nicht. Dem zu erwartenden Feuer Angriff gegenüber ist zwar schon mit der Brustdeckung ungemein viel gewonnen, die vorbereitete Defensive" muß aber mehr thun, und Eindeckungen sind , wofern man sofort an sie denkt , auch mit feld mäßigen Mitteln oft genug zu gewinnen und belohnen sich stets . Es wäre Unrecht , auf sie zu verzichten, etwa weil man aus ihnen nicht feuern kann oder weil sie event. zer störbar sind.

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welche mit kleinen Kartuschräumen auszustatten , und wenn irgend möglich, mit Deckungsgräben für die Bedienungs -Mannschaften zu combiniren sind , während Proke und Bespannung im Terrain, event. hinter Oertlichkeiten, Waldungen x. Schutz suchen gegen Sicht. III. Unmittelbar hinter den Batterien darf Nichts stehen, weder Protzen, noch Soutiens, noch Reserven. Fordert die Situation das Bereithalten dieser Kräfte an Stellen, an denen das natürliche Terrain ausreichende Deckung nicht gewährt , so genügt ein Graben von 1 M. Tiefe, 22 M. Breite und circa 75 M. Länge (Boden nach vorn und Rampe nach rückwärts), um nach Be darf entweder die Proßen einer Batterie oder eine starke Infanterie- Compagnie zu bergen. IV. Wo der Gefechtszweck festere Stützpunkte fordert und das Terrain fie nicht bietet, sind geschlossene Infanterie- Feldwerke zu schaffen, die ihren Aufgaben völlig entsprechend bis zu einer für die Vertheidigung durch eine Com pagnie Infanterie geeigneten Größe auch bei einer Bauzeit von 5-8 Stunden zu leisten sind. In ihnen ist dicht an der Brustwehr im innern Einschnitt eder aber an der Kehle , (dann aber mit beſonderer ſtarker Erdvorlage) für granat sichere Unterkunft der Besatzung zu sorgen. V. Für die Gesammtanordnung befestigter Stellungen dürfte endlich aus den Kriegserfahrungen wenigstens der allgemeine Grundsatz zu ent nehmen sein , daß schon bei der Herstellung , jedenfalls aber vor Beginn des feindlichen Angriffs volle Klarheit darüber herrschen muß, in welcher Linie die Hauptkräfte der Vertheidigung eingesezt werden sollen. Existenz nur einer verschanzten Position wird meist genügen und hat ihren Vortheil in der Vereinfachung aller Arbeits- und Vertheidigungs -Dispoſitionen. Haben sich , wie dies oft geschehen wird , zwei hinter einander liegende , wenn auch verschieden starke Stellungen ergeben, so kann es in einem Falle ebenjo vortheilhaft sein, die Hauptkräfte in der vorderen einzusetzen, wie in dem anderen es sich empfehlen kann , in die Stellung des Gros die Vorposten aufzunehmen, nachdem sie die Entwickelung des Gegners erzwungen haben. Nur der Special fall kann entſcheiden , welches Verfahren zu wählen ist , doch darf gerade bei verschanzten Positionen diese Entscheidung nicht dem Angreifer , sondern muß dem Vertheidiger gehören , soll letterer nicht von vornherein seinen Hauptvortheil verlieren , der ja in der Wahl und in der Zurüftung eines ihm günstigen Gefechtsfeldes besteht. Wichtiger freilich noch als die Ausbildung dieser Formen der Feldbefeſti= gung und selbst als jede Feststellung von Grundsäßen wird es sein, die Armeen daran zu gewöhnen, sich ihrer überall zu bedienen, wo der Gefechtszweck es ge stattet. Denn daß mit der fortschreitenden Verbesserung der Feuerwaffen der Werth selbst flüchtiger Deckungen in stetem Steigen begriffen ist , dürfte ebenſo auf der Hand liegen , wie die Thatsache, daß , je tüchtiger die Truppe ist , umsoweniger der Befürchtung Raum gegeben werden kann , als könnte der „ Elan " und die Offensivkraft derselben unter einer zeitweisen und sachgemäßen Handhabung des Spatens leiden oder gar an ihr scheitern. Deutschland hat in allerneuester Zeit durch eine Aenderung in der Aus rüstung seiner Fußtruppen unter gleichzeitiger Annahme des Modells eines kurzen Spatens , von denen 200 per Bataillon portativ geführt werden sollen, noch neben dem nach wie vor auf den Fahrzeugen der Truppen befindlichen

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weiteren Schanzzeug, das zur Benutzung bei größeren Erdarbeiten beſtimmt ist eine seit dem letzten Kriege viel ventilirte Frage zum Abschluß gebracht. Es ist dadurch einerseits das Bedürfniß einer ausgedehnteren Anwendung von Terrainverſtärkungen anerkannt und zugleich wenigſtens dafür gesorgt worden, daß die materiellen Mittel zur Ausführung derselben auch im Felde nicht fehlen werden. Das Uebrige liegt in den Händen der Führer, vor allem in denen der Compagnie-Chefs. 2. Verwerthung von Dertlichkeiten. Die Verwerthung d. h. zunächst die Benutzung und Verstärkung von Dert lichkeiten und Terrainbedeckungen aller Art (Gehöft, Dorf, Wald ic.) gilt mit Recht als eine besondere Richtung und ein sehr wesentlicher Theil der Feld befestigung. Hier dürfte die Art , wie zu verfahren ist, soweit dieselbe ohne beſtimmte locale Verhältnisse und concrete Gefechts-Situation zu Grunde zu legen, feſtge stellt werden kann, wohl längst feststehen und vorausgesetzt, daß überhaupt der Entschluß, einen festen Stützpunkt für die Defensive zu schaffen , alle An ―― ordnungen beherrscht hat der Erfolg von taktisch richtiger Disposition der Streitkräfte wohl in ungleich höherem Maße abhängen , als von den bei den Verstärkungsarbeiten gewählten technischen Formen. Auch daß die Ueberlegen heit des Vertheidigers vor allem durch die energiſche Behauptung der Lisieren und durch die umsichtige Verwendung der Reserven zu wahren ist und gewahrt werden kann, find Momente, die schon seit Einführung der zerstreuten Fechtart erkannt sind und in Folge der modernen Entwickelung der Infanterie - Taktik nur noch schärfer betont zu werden verdienen. Weit mehr aber als die Art der Ausführung muß die Werthſchätzung dieser Terrainumwandlungen zu Defensivzwecken als der Veränderung und dem Fort schritt unterworfen bezeichnet werden, wenn wir die principielle Vermeidung des bedeckten Terrains noch im letzten Jahrhundert allein mit der seitdem stetig wachsenden Zahl von Ortsgefechten vergleichen, die die Kriegsgeschichte verzeichnet. Es dürfte daher die Frage nach dem jetzigen Stande dieser Entwickelung sich aufdrängen. Es ist nicht zu verkennen , daß der Schutz , den Hecken , Zäune , Mauern und ſelbſt ſolide gebaute Häuser geben, recht wesentlich verringert ist durch die Entwickelung der modernen Feldartillerie mit ihrem Präcisionsfeuer auf weite Distancen, der ausgedehnteren Sprengwirkung und auch der größeren Durch schlagskraft, die ihren Geschossen durch Vermehrung der Ladung zu Theil wird. Die Gefahr „herausgeschoffen zu werden" hat also unleugbar zugenommen. Es fragt sich , ob sie bis zu einem Grade gestiegen ist , der die Benutzung von Dertlichkeiten etwa für die Defensive nicht mehr rathsam erscheinen läßt oder ―― gar von Neuem, wenn auch aus anderen Gründen als zu Zeiten der Linear Taktik - ihre principielle Vermeidung rechtfertigen würde . Beide Fragen dürften mit Entschiedenheit zu verneinen sein . Einmal drängt sich die Benutzung dieser Objecte auf, eben weil sie auf dem Schlacht felde liegen, und weder der Angriff noch die Vertheidigung sie vermeiden könnten, selbst wenn sie es wollten; wir sehen sogar Gehöfte, Waldparcellen und Dörfer jetzt mehr als je im kleinen Gefecht, wie in der rangirten Feldschlacht, zu Brenn punkten des Kampfes werden. Sie werden zu Etappen des vorrückenden, Terrain gewinnenden Theiles und ganz von selbst zu Stützpunkten des Vertheidigers, und nach ihrem Besitz vor allem pflegen wir die Lage beider Theile und den Stand des Gefechtes zu beurtheilen. Sie geben der Schlacht nicht nur nachher

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ihren Namen, sondern fast durchweg der ganzen Action ihr Gepräge, die Gefechtë vorbereitung wird daher, von vornherein , am allerwenigsten darauf verzichten können, auf das Eingehendste mit ihnen zu rechnen. Dazu kommt, daß die Deckung gegen Sicht - deren mit der Steige rung nicht der Waffen-, sondern der Schieß-Leistungen stets wachſende Beden tung wir schon berührten in ihnen fast immer in ausgedehnter Weise zu erreichen ist, daß in ihnen ferner Deckung gegen das verheerende Gewehrfeuer sowohl, als gegen die dem Schützenschwarm gefährlichste Schußart der Artillerie das Schrapnel zu finden ist, und daß neben dem vortheilhaften Gebrauch der eigenen Waffe, den sie gestatten , doch die oft bis zu voller Sturmfreiheit zu steigernde Anlaufsſicherheit nicht zu unterschätzen ist, die sie dem Vertheidiger gewähren. Es kommt ferner hinzu , daß zur Vorbereitung solcher Ortsvertheidigung fortificatorische Anlagen überhaupt nur soweit erforderlich werden, als das Ber handene die Vertheidigung nicht schon an sich begünstigt , daß die betreffenden Arbeiten sehr oft sich rascher und leichter ausführen laſſen , ſelbſt als Boden bewegungen von gleicher Ausdehnung, oft auch weniger Handwerkszeug erfordern und schließlich hier noch leichter als bei Erdarbeiten bei etwa nachträglich sich noch findender Zeit Verbesserungen und allmälige Verstärkungen sich anbringen laſſen. Daß endlich der Angriff nicht immer in der Lage ist, auf alle weit erkennbaren und mit der Zeit zerstörbaren Ziele ein überlegenes Artilleriefeuer zu concentriren, und daß selbst, wo dies möglich ist, ein solches nicht immer und nicht allein ausreicht, die Infanterie zum Verlassen von zur Vertheidigung ein gerichteten Dertlichkeiten zu zwingen, sind zwei Thatsachen, die auch aus der neuesten Kriegsgeschichte sich belegen lassen , und zwar bei Freund und Feind. Sie sollten wohl dazu beitragen, die vielfach so scharf betonte Besorgniß ver dem Herausgeschoffenwerden " auf ein gesunderes Maß , d. h. dahin zurückzu führen, daß die letztere allein nicht schon ein Verzichten auf höchst werthrolle Defensivmittel herbeiführt. Bezeichnen wichtige Stimmen aus Abneigung meist gegen ausgedehntere Erdarbeiten im Felde die vertheidigungsfähige Einrichtung von Dertlichkeiten gerade jetzt als einzige oder grundsätzlich in erster Linie zu cultivirende Form der Vorbereitung eines Gefechtsfeldes , so dürfte dies zu weit gehen, schon deshalb, weil die Vertheidigung, will sie dem Angreifer das freie Terrain, das er für die Bewegung größerer Maſſen ſich sucht, entziehen, sehr oft gezwungen sein wird, dies Terrain selbst zu betreten und daher auch mit den vorbereiteten Defenſiv positionen herauszutreten aus den Lisieren. Andrerseits aber möchte das Gejagte wohl hinreichen, um auch in der modernen Entwickelung des Kriegswesens dieser Verwerthung der Terrainbedeckungen als einem wichtigen Theile feldfortificato rischer Thätigkeit ein bestimmtes Recht auf besondere Beachtung zu wahren. Seitdem jedes Terrain betreten wird, wird es naturgemäß immer schwerer werden, die seit Caldiero sprüchwörtliche Theilung in Offensiv- und Defenſirfeld einer Position in die Praxis zu übersetzen, denn die mobile Reserve der Ver theidigung gehört nicht dahin, wo sie bequem marſchiren könnte, sondern dahin, wo man sie voraussichtlich brauchen wird, und sie darf da nicht fehlen, wo man sie nach erfolgtem Angriff wirklich braucht. Aber der Vertheidiger, der beide Hauptarten des Terrains in ſeiner Stellung findet und Zeit hat, sich vorzubereiten, erlangt heut die Ueberlegenheit über den Angriff schen dadurch, daß er die Terrain-Umwandelung eben einsetzt im Sinne einer Potenz der Terrain-Benutzung und dadurch in jedem Terrain die ihm

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eigenthümlichen Vortheile sich sichert , auf die schon die Taktik hinweist , wenn sie seine Benutzung lehrt. Das " freie , der Abwehr ungünstige Terrain" (Oberstlieutenant v. Scherff, S. 49 des 3. Hefts der Studien) wird durch die zur Schützenbrust wehr bewegte Scholle, welche seine raſante und anhaltende Beſtreichung gestattet, nicht nur der Abwehr günstig , sondern potenzirt zu der Stärke , vor der der Oberst v . Verdy mit speciellem Hinweis auf den verderblichen Rückschlag , den gerade in der Ebene der Hinterlader zu erzeugen fähig ist, den Angriff warnt. Wird aber (Heft III der Infanterie- Studien Seite 10) die Offensive angewiesen - selbstredend soweit die Umstände es gestatten das coupirte resp. bedeckte Terrain zum Anmarſch zu wählen, so „ begünstigt " andererseits gerade ein solches ja ohnehin schon "! den Widerstand oder verlangsamt die Annähe= rung des Feindes " (cfr. die oben citirte Stelle v. Scherff III, 49) , hier hat also die Defensiv-Vorbereitung , um sich diese ebenso unzweifelhaften Vortheile solchen Terrains zu sichern, weniger umzuwandeln, als das Vorhandene sachgemäß auszunutzen. Sie erstrebt daſſelbe, aber mit andern Mitteln . Beide Weisen des Verfahrens , mit andern Worten , beide Hauptrichtungen der feldfortificatorischen Thätigkeit sind also gleichberechtigt. Es hieße sich auf ein Bein stellen, wollte man principiell nur der einen von beiden huldigen. Ueberwunden werden muß freilich , soll ein Erfolg diese Bestrebungen krönen, wie die schon oben berührte Scheu vor dem Spaten, so auch die Scheu vor dem Hineingehen und noch mehr die vor dem Sichfestsetzen in Dertlichkeiten. Es hängen diese Abneigungen zusammen mit den edelsten Eigenschaften der Armeen, in denen sie gehegt werden, und sie verdienen die höchste Achtung schon der Quelle wegen, aus der sie stammen. Sache der Führer aber wird es je länger je mehr sein müssen, sie zu beschränken und zu überwinden, wahrlich nicht im Intereſſe des Aufschwungs der Feldbefestigung, sondern im wohlverſtandenen Interesse der Truppe, die sie führen. Zu erwähnen ist hierbei noch, daß, was die Gewandtheit in leichten Erd arbeiten, besonders aber auch das Aptirungstalent im Einrichten von Ortſchaften und Dertlichkeiten zur Vertheidigung anlangt, unzweifelhaft und zwar nicht erst neuerdings, sondern schon von Alters her das Romanische Blut dem Germaniſchen überlegen ist. Es ist dies eine Thatsache, die Griesheim bereits mit besonderem Nachdruck constatirt, als aus den Erfahrungen der Freiheitskriege sich ergebend, und für die es nicht schwer fallen dürfte , eine Reihe von Belegen auch der neuesten Kriegsgeschichte zu entnehmen. Schneller oft als der Gefechtszweck es fordert, schneller vielleicht als praktiſch und rathſam gewesen wäre, und jedenfalls schneller als Franzosen unter analogen Umständen gethan hätten, haben Deutsche Truppen vielfach Localitäten, die einer nachhaltigen Vertheidigung fähig, bisweilen eben erst mit großem eigenen Verlust genommen waren , nicht nach rückwärts, oft aber nach vorwärts oder seitwärts verlassen. An manchen Stellen hat mehr die Lust als die Zeit gefehlt, die Defensivstärke von Dertlichkeiten zu erhöhen durch einfache und schnell zu leistende Arbeiten , die in vielen Fällen mit dem nöthigen Nachdruck erst zur Ausführung gelangt sind, nachdem der Verlauf der Actionen ihren Werth gelehrt oder ihren Mangel hatte empfinden lassen. Anderer seits sind die vortrefflichen Leistungen der Deutschen Feldartillerie doch nicht im Stande gewesen, der Deutschen Fußtruppe das Blut zu sparen, das der Angriff und die Eroberung geschickt aptirter und unter äußerster Ausnutzung der moder nen Infanterie-Feuerwirkung vertheidigter Objecte dieser Art ihr kosten mußte und thatsächlich gekostet hat.

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Es wird Niemandem einfallen , den Drang nach steter Offensive dämpfen zu wollen , ebensowenig die Kriegsweise oder den Kriegsgeist , der aus dem Germanischen Motto: „ ich höre im Kampf lieber die Lerche über mir wirbeln als die Maus neben mir pfeifen ! " herausklingt. Wie aber bei richtigem Gebrauch nicht zum Schaden , sondern zu Nutz und Frommen des moralischen ― Elements der Truppe die Defensive an sich ihren vollberechtigten Platz hat auch neben dem „Vorwärts ! " , so auch der in Rede stehende Zweig derselben überall da, wo die Situation ihn bietet. Das allerdings unter ganz anderen taktischen Verhältnissen gesprochene Wort des großen Königs : „ man kann beim Angriff auf Dörfer den Kern seiner Infanterie riskiren" wird dann auch heut noch wahr bleiben , und dem Feinde gegenüber es wahr zu machen , wird die Truppe und die Armee am meisten befähigt sein, die erstens die Mittel beherrscht , welche die Kriegserfahrung zur Verstärkung der Defenſive an die Hand giebt, und die zweitens es nicht verschmäht , gebotenen Falles sie zu gebrauchen. Eine tägliche Uebung der Bataillone im Dorfangriff, sowie in der Entfaltung aller dieser Mittel incl. der Anordnung von Barricaden, Einrichtung von Abschnitten , Vorbereiten von Communicationen , Herstellen von Gefechts bahnen für die Reserven 2c. das befahl einst Blücher in seiner im Waffen stillstand 1813 erlaſſenen Inſtruction für die Brigadechefs, also mitten im Kriege und für den Krieg ; die moderne Entwickelung des Kriegswesens hat, wie gezeigt, das Ziel nicht entwerthet, nach dem auf dieſe Weiſe damals gestrebt wurde, ſie dürfte auch heut über kein beſſeres Mittel gebieten, daſſelbe zu erreichen. 3. Literatur. Die neuesten Erscheinungen auf literarischem Gebiet ſpiegeln sehr deutlich die Bewegung wieder, in der hinsichtlich der Formen moderner Feldbefeſtigung die Ansichten noch begriffen sind. Ueberall wird ausgegangen von den Erfah rungen, die die nationale und die die moderne Kriegsgeschichte bietet, mehr oder weniger entschieden wird dabei z . Th. mit früheren Traditionen gebrochen, und mehr oder weniger bestimmt sind auch die Vorschläge, die für ein künftiges Ver fahren gemacht werden. Es dürften zu nennen sein: 1. Popp , München 1873. Vorlesungen über Feldbefestigung , - ohne Anspruch, das Thema zu erschöpfen , mit höchst sachgemäßer Betrachtung aller Hauptfragen, zur Ergänzung durch den mündlichen Vortrag bestimmt und mit Uebungsaufgaben versehen. 2. Weger und Graf Geldern , Wien 1873. Grundzüge der Befeſtigungs kunst, Theil I, mit sorgfältiger Beachtung der allgemeinen , wie der hierfür besonders instructiven Desterreichischen Kriegsgeschichte als Lehrbuch für die . . Infanterie-Curſe beſtimmt. 3. Bailly, Paris 1874, cours élementaire de fortification, I , fortif. pass., maßgebend vielleicht für die Französischen Anschauungen und als Lehrbuch geschrieben. Bruxelles 4. Wauwermans, fortification et travaux du génie. 1875 und 5. Girard, traité des applications tactiques de la fortification. Paris 1874. Beides Lehrbücher für die Belgischen Militairunterrichts - Anstalten, das erste in aphoristischer Form, das zweite in breiterer Ausführung im Anschluß an Beispiele der Kriegsgeschichte die Grundzüge entwickelnd . 6. Archiv für die Artillerie und Ingenieur-Offiziere , 77. Bo. , Heft 1 ,

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Berlin, Januar 1875, woselbst speciell über die beim modernen Schanzenbau zu beachtenden Grundsätze und Formen, ein Aufſaß des Hptm. v . Wittenburg vielleicht das Beste bringt, was über dieſen Gegenſtand z . Z. geſagt werden kann. B. Feld Pionierdienst. 1. Organisation der Truppe. Die Feldbefestigung kann nicht zum speciellen Dienstbereich der Pionier Truppe gerechnet werden. Soll sie wirklich Nußen bringen , so muß sie Ge meingut der Armee und zunächst der Infanterie sein. Wie wesentlich es aber ist, bei Lösung einer Fülle von Aufgaben, die der Krieg stellt und immer wieder stellen wird , und zwar nicht nur solcher , die , wie die der Feldbefestigung , zu nächst defensiver, sondern auch solcher, die, wie die Ueberwindung natürlicher und künstlicher Hindernißmittel und Deckungen , auch offensiver Natur sind , auf die Unterstützung der auch technisch vorgebildeten Truppe zurückgreifen zu können, das hat der letzte Krieg in allen seinen Phasen und auf allen seinen Schau plätzen bewiesen. Die Hauptschwierigkeit hierbei liegt darin , die Pioniere stets da zu haben, wo man sie braucht , und die Lösung derselben , wenn auch nicht allein, so doch zunächst, in der richtigen und organischen Einfügung des Pionier elements in den Rahmen der taktischen Einheit höherer Ordnung, in die mobile Division. Eine Rundschau in Europa zum Zwecke der Feststellung der verschiedenen Organisationen , die im Frieden und im Kriege den Genietruppen gegeben wer den, liegt nicht in der Aufgabe dieser Zeilen. Das Ziel, nach dem gestrebt wird, ist überall dasselbe, doch ergiebt sich aus der Natur der Sache auch überall die ſelbe Schwierigkeit, da die Pioniertruppe das, was sie im Felde leiſten ſoll, eben nur auf dem Wege einer, von denen der übrigen Truppen , bei allem Anschluß an diese , doch wesentlich abweichenden Friedensausbildung erlernen und üben muß. Der Einklang der Friedens- und Kriegsformationen ist daher gerade hier einerseits doppelt nothwendig , andererseits schwieriger zu erreichen , als bei den anderen Waffen. Eine Gleichmäßigkeit im Verfahren ist troß dieser allen Armeen gleichmäßig gestellten Aufgabe keineswegs zu finden. So hat Frankreich erst neuerdings die Zutheilung der Pontoniere zur Artillerie aufrecht erhalten, eine Einrichtung, die zwar als historisch begründet , aber keineswegs als praktisch bezeichnet werden kann und seit mehr als 100 Jahren fast überall , wo sie bestand , aufgegeben worden ist , während andererseits auf dem Wege dauernder Einrichtungen bis jetzt nur Desterreich der Frage näher getreten ist , wie weit die Cavallerie in ihren größeren Einheiten eine Unterstützung durch technisch ausgebildete Mann schaften bedarf. Im Allgemeinen dürfte wohl - die Stärke der technischen Truppen an langend aus den bisherigen Kriegserfahrungen die Lehre entnommen werden. können, daß für etwa 6 Bataillone Infanterie eine Pionier- Compagnie ausreicht, aber auch nothwendig erscheint , um allen Bedürfnissen zu genügen . Es ließe sich dieser Durchschnittssatz leicht begründen, ebenso wie die Ansicht, daß mit der Entwickelung des Kriegswesens wenigstens eine Verminderung dieses Bedürfniſſes nicht eintreten wird , während für die zur Zeit in den meisten Staaten , wenn auch in sehr verschiedener Stärke, formirten „ Eisenbahn - Truppen" eine directe Vermehrung oder Verstärkung der Cadres vielfach in Aussicht genommen zu sein scheint. 44 Militairische Jahresberichte 1874.

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Für die Feldtruppen ergäbe das genannte Stärkeverhältniß per mobiles Armee - Corps ein Pionier - Bataillon, das je nach Bedarf entweder compagnie weise den Infanterie - Brigaden oder aber mit je einem Halb-Bataillon den Di risionen dauernd zugetheilt werden müßte, während eine Concentration von drei eder allen Compagnien erst in der Hand des im Stabe des General - Com mando's befindlichen Commandeurs leicht möglich wäre , sobald zur Durch führung größerer Aufgaben eine solche ausnahmsweise sich als nöthig ergeben jollte. Schon um die Handhabung der Compagnien durch die höheren Truppen führer zu erleichtern, ist eine durchweg gleichmäßige Ausbildung der Feld-Pionier Compagnien hierbei vorausgesetzt. Das Deutsche Reich , das selbst durchgreifende Organisations -Veränderungen auch seiner technischen Truppen niemals gescheut hat, sobald die Kriegserfahrungen eine solche als wünschenswerth erscheinen ließen, hat in diesem Augenblick unter allen Staaten die der vorstehend skizzirten am nächsten kommende Formation derselben erreicht. Der für die Ausbildung im Frieden durchaus erforderliche, die Feldverwendung gerade dieser Truppe aber hindernde Bataillons -Verband iſt für den Krieg seit dem Jahre 1866 *) , die Ungleichheit in der Ausbildung der für den Feldkrieg bestimmten Pionier - Compagnien seit 1870 aufgegeben worden. Deutschland stellt zur Zeit 3 Feld - Compagnien per Armee - Corps , während im Friedens - Bataillon die Stelle der 4. Compagnie noch von der in erſter Linie für den Festungskrieg bestimmten Mineur- Compagnie eingenommen wird. Es kann demnach die Durchführung des bereits in dieser Organisation ausge sprochenen Princips nur eine Frage der Zeit und der weiteren Entwickelung sein. Die Vereinigung der jetzigen Mineur - Compagnien in Festungs- Pionier Bataillone, die für den Angriff wie für die Vertheidigung von Festungen ohne hin nothwendig und auch im letzten Kriege thatsächlich eingetreten iſt , dürfte auch für den Frieden kaum dauernd entbehrt werden können , und die Comple tirung der jetzigen Pionier - Bataillone zu Feld - Bataillonen à 4 Compagnien würde gleichzeitig ganz naturgemäß der nächste Schritt sein , der ohne die nicht so rasch zu lösende Frage einer event. dauernden Theilung des Offizier Corps zu berühren doch den gerade hier so nothwendigen Einklang sichern würde zwischen Friedensvorbereitung und Kriegsorganiſation. Für die Herstellung und Handhabung von Feldtelegraphen-Leitungen endlich sind ebenfalls in fast allen Staaten technische Truppen theils bereits im Frieden formirt, theils für die Kriegsorganiſation in Aussicht genommen, in Betreff dever namentlich die Frage nach ihrem mehr oder minder engen Anschluß an die be stehende Staats- Telegraphenleitung zur Zeit allerdings noch eine ziemlich ver schiedene Beantwortung findet. *) Auch in der 2. Auflage von A. von Boguslawski's „ Taktischen Folgerungen“ ist leider ein Irrthum stehen geblieben , auf deſſen Berichtigung wir Werth legen müſſen im Hinblick auf die große Verbreitung, die die werthvolle Schrift gefunden hat. Es heißt von den Preußischen Pionieren S. 21 : „Der Feldzug von 1866 hatte dieser Waffe eine zu geringe Thätigkeit gewährt , um beſondere Trieb federn für ihre fortschreitende Ausbildung in Bewegung zu sehen." Betont Verf. an anderer Stelle die Nothwendigkeit der zeitweisen Commandirung von Ingenieur Offizieren zur Infanterie, so sind wir nicht nur mit diesem Vorschlage einverstanden, son dern auch mit der S. 131-135 gegebenen Motivirung desselben. Der oben citirte Sap ist aber unrichtig , einfach deshalb, weil gerade die geringe Verwendung, die die technische Truppe 1866 gefunden hat, den unmittelbaren Anstoß gegeben hat nicht nur zu fortschrei tender Ausbildung wie besserer Bewaffnung derselben, sondern auch zu einer durchgreifen den, gleich nach dem Kriege Allerhöchst befohlener Aenderung ihrer Kriegsorganiſation! Auch hier also war 1866 die Vorschule für 1870, und eine erfolgreich benußte.

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Es dürfte nun noch erübrigen , einen Blick auf diejenigen Leistungen zu werfen, die im Kriege den Pionieren allein zufallen, trotzdem aber auf die Ope rationen der Armee oft noch wesentlicher influiren, als die directe Unterstützung, die der letzteren in feldfortificatoriſcher Beziehung aus der technischen Truppe heraus zu Theil wird. Als die beiden zur Zeit wichtigsten Specialfelder der Pionier-Thätigkeit und zugleich als diejenigen , die einer mehr oder minder eigenartigen Entwickelung fähig sind , dürften das Pontonier- und das Mineur - Wesen zu betrach ten sein. 2. Das Pontonier - Wesen. Mit Ausnahme der Türkei, Griechenlands und einiger Kleinſtaaten widmen sämmtliche Mächte Europa's bereits im Frieden den Vorbereitungen für das kriegsmäßige Ueberschreiten größerer Gewässer ihre Aufmerksamkeit. Pontonier Truppen, verschieden organiſirt , mit sehr verschiedenen Reſſortverhältniſſen , ſind mehr oder minder selbstständig und bald mehr, bald weniger ausschließlich mit diesem Uebungszweig beschäftigt und treten, begleitet von militairisch organisirten Trains, auf denen das vorbereitete Material zu den Kriegsbrücken verladen ist, mit der Mobilmachung in die ordre de bataille der Armee - Corps resp . der Divisionen. Von einer Entwickelung des Pontonier - Wesens , von Veränderungen und Fortschritten auch auf diesem Gebiete wird man sprechen können einmal in technischer Beziehung, insofern es darauf ankommen wird, die Fortschritte der Industrie und Technik, auch soweit sie sich außerhalb der Armee vollziehen , so bald als möglich für dieſe nußbar zu machen , und ferner in militairischer Richtung, insofern es hier noch in speciellerer Weise gilt , die Form zu finden, um Perſonal und Material bereit zu stellen für den jedesmaligen Feldgebrauch. Was die erstgenannte Seite, die Technik, anlangt, ſo iſt der Aufschwung der Eisenindustrie vor allen Dingen als einflußreich zu nennen , während die jenigen Theile der Kriegsbrücken , die man aus guten Gründen aus Holz be stehend beibehält , in Form, Gestalt und Abmeſſungen hinreichend erprobt ſind, um wesentlichen Aenderungen weniger zugänglich zu sein. Es hat das Metall, in specie das Eisenblech , im letzten Jahrzehnt allmählich alle anderen Stoffe, aus denen die schwimmenden Brücken - Unterlagen (Pontons) gebildet wurden, verdrängt, obwohl dasselbe lange Zeit mit einem Mißtrauen aufgenommen wurde, das an manchen Stellen auch noch nicht besiegt ist. Auch bei den stehenden Unterstützungen (Böcken) , deren Entwickelung fast überall ausgegangen ist von dem 1839 in Desterreich aufgestellten System Birago , findet das Eiſen eine allmählich sich ausdehnende Verwendung , wenn auch im Ganzen hier wie im Balken-Material die bewährten Holzconstructionen noch überwiegend beibehalten werden und ein von Italien neuerdings ausgegangener Vorschlag *) zu ſehr_ver= inehrter Anwendung des Eiſens zur Zeit noch ziemlich iſolirt daſteht. Die Com bination stehender und schwimmender Unterstützungen ist im Princip übrigens allgemein adoptirt, sie erhält im Einzelnen natürlich eine verschiedene Gestaltung je nach den Terrainverhältnissen , die die betreffenden Armeen vorzugsweise in's Auge zu fassen Veranlassung haben. In der zweiten , der militairischen Beziehung wird die Frage zu ent scheiden sein, in welcher Weise die im Felde sehr oft nothwendige Theilung der Pontontrains am zweckmäßigsten und zwar so vorzubereiten ist, daß einerseits

*) Model Contarini , Rivista militare italiana III. 7.

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die Bereitstellung genügenden Materials innerhalb der selbstständigen Heeres Theile gesichert ist , andrerseits das Impediment der großen , nur bei Ueber brückung größerer Ströme zur Verwendung kommenden Brückentrains , nicht bis in die vorderste Operations- Sphäre hin sich fühlbar macht. Techniſch ſchließt sich hieran wieder die Erwägung , ob es zweckmäßig ist , ein Einheitsmaterial festzuhalten und dieses im Gebrauchsfalle und dem Bedarf entsprechend einfach zu theilen, oder aber ob es sich empfiehlt, neben dem schwereren Materiale der Hauptmaſſe ein leichteres , in erster Linie etwa für den Gebrauch der De tachements, Avantgarden, bestimmtes Material zu construiren. Es werden z. 3. nicht nur in den verschiedenen Armeeen diese Fragen noch verschieden beantwortet, sondern auch innerhalb derselben Armee wechseln die An sichten hierüber nach den Erfahrungen, die man der Kriegspraxis entnehmen zu müssen glaubt. So führte Preußen noch im letzten Kriege neben dem Ponton train einen zur Ueberbrückung kleinerer Gewäffer bestimmten und vorzugsweis auf stehende Unterstützungen angewieſenen leichten oder Avantgarden-Brücken train, hat sich aber im Herbst 1873 bei Gelegenheit der schon oben berührten jüngsten Organisationsänderung , der die Gleichmäßigkeit in der Ausbildung der Feld- Pionier-Compagnien zu danken ist für die Verschmelzung beider Trains und gleichzeitig für Annahme eines Einheits-Materials (eisernes Ponton, Böcke mit nur 5 M. Spannung und Beinen von 2,5 und 4 M. Länge , Hacket des bisherigen Pontontrains) entschieden. Den militairischen Bedürfniſſen iſt hierbei in sehr glücklicher Weise dahin entsprochen, daß je 1/4 des für ein Armee-Corps bestimmten Materials (zugleich mit der Hälfte der bis dahin be standenen Schanzzeug-Colonne) in einen Divisions - Brücken - Train " ver einigt ist , der nahezn 40 M. Brückendecke führt. Nach beiden Richtungen, sowohl im Hinblick auf ausgedehntere Erdarbeiten, zu denen das portative Schanz zeug der Truppe nicht ausreichen würde, als auch zur Ueberwindung geringerer Flußläufe besitzt die Infanterie - Diviſion daher durch diese Ausrüstung an Material und Utensil die erforderliche Selbstständigkeit. Gleichzeitig ist ihr durch die reichere Dotirung dieser Fahrzeugcolonne mit Offizieren des Trains die Möglichkeit gegeben , die lettere leichter , als dies bisher möglich war , von der Truppe zu trennen und, selbst unabhängig von den Pionier- Compagnien, die an andern Stellen nothwendiger sein können , ihr in Marschordnung und Disle cirung die den Verhältniſſen entſprechende Stelle zuzuweisen. Der nach wie vor von einem besonderen Pionier- Detachement begleitete, frühere schwere , jezige Corps Brücken - Train bleibt in der Regel weiter rückwärts und zur Dispe sition des Armee- Corps. Er führt etwa die 3fache Länge an Pontonir- Material, ſo daß jedes Corps der Deutschen Armee bei Vereinigung des gesammten mit geführten Materials über ca. 200 M. Brückenlänge gebietet , zu deſſen Einbau die Feld-Pionier-Compagnien ein durchgebildetes und ausreichendes Personal zu stellen im Stande sind. In der Größe der Arbeitsleistung hat übrigens zu keiner Zeit die Haurt schwierigkeit , auch der kriegsmäßigen Ueberwindung der natürlichen Waſſeradern des Erdballs , gelegen , denen ja mit Recht von jeher ganz allgemein mehr ein die Länder verbindender , als ein sie trennender Charakter vindicirt wird . Weder Völkerwanderungen noch Heereszüge haben Flüsse und Ströme zu hindern oder auch nur wesentlich aufzuhalten vermocht, und schon das Alterthum hat Mittel gefunden, großen Schaaren selbst über Meeresarme hinweg brauchbare Kriegs wege auf soliden Brücken zu bahnen. Je weniger Zeit aber die moderne Kriegsführung umfaffenden Vorbereitungen

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zu Leistungen dieſer Art zu widmen gestattet, um so wichtiger wird einerseits diejenige allgemeine Vorbereitung, die in der Organisation der technischen Truppe, ihrer Kriegsformation und ihrer Ausbildung bereits gegeben ist, um so wichtiger dem Specialfalle gegenüber wird andrerseits die richtige Disposition über die vorhandenen Kräfte und Mittel in taktischer, wie in technischer Beziehung, d. h. also diejenige Aufgabe , die im Rahmen der modernen Armee als eine dem Generalstabs- und dem Ingenieur-Offizier gemeinſam gestellte bezeichnet werden muß. Es ist bekannt, welche hervorragende Leistungen auch auf diesem Felde die Preußische Kriegsgeschichte speciel aus dem Jahre 1864 zu verzeichnen hat, einem Gegner gegenüber , der so vielfach hinter Wafferarmen die Vertheidigung aufzunehmen in der Lage war.*) Von den Strömen des jüngsten bedeutungs vollen Kriegstheaters ist es vor allem die Maas , die zur Zeit der strategischen Schachzüge, welche die an ihren Ufern fallende große Entscheidung herbeiführten, in so auffallend ungleicher Weise die Operationen beider Theile beeinflußt hat und dadurch die Bedeutung des Pontonierwesens in charakteristischer Weise her vortreten läßt. Für die Deutschen Truppen hat der Fluß die Bedeutung des Hindernisses natürlich nirgends . Die nach ihm benannte Deutsche Armee abtheilung verfügt in voller Freiheit über alle vorhandenen Uebergänge , die sie erreicht ; sie benutzt oder zerstört sie nach Bedarf, und schafft sich durch schnelle zum Theil nächtliche Brückenschläge sofort neue (ſo am 27. Auguſt z . B. gleich zeitig drei, am 29. zwei) Uebergänge sobald und an den Stellen , an denen es die Lösung der ihr gestellten Aufgaben erheischt. Je enger der Kreis gezogen wird um das feindliche Centrum , je wichtiger die Möglichkeit wird , den Fluß zu überschreiten , um so prompter erfolgt selbst Angesichts des concentrirten Gegners auf Deutscher Seite die Handhabung der technischen Mittel, nicht nur um Verbindungen nach rückwärts, sondern auch um Gefechtsbahnen nach vorwärts zu schaffen. So verfuhren sowohl das 11. Preußische Corps unterhalb, als beſonders — das 1. Bayrische in gradezu musterhafter Verwendung seines Pontontrains ― Armee- Corps oberhalb der Festung, und am Vorabend der Schlacht gebietet der Kronprinz von Preußen in Folge hiervon über eine über den Bedarf fast hinausgehende, jedenfalls ihn vollständig deckende Anzahl brauchbarer Uebergänge über den vor seiner Front liegenden Strom. Man vergleiche hiermit die im eigenen Lande operirende Armee von Chalons, die in der Stärke von 5 Armee-Corps einen strategischen Zweck verfolgt , zu dessen Erreichung ein directes Ueberschreiten deſſelben Fluſſes , auf den sie seit 8 Tagen losmarschirte, einfache Vorbedingung war. Diese Armee führt Trains, die allein an einer einzigen Stelle (beim VII . Corps am Morgen des 30. ) eine 2 Meilen lange Wagencolonne bilden und 7 Bataillone zu ihrer Deckung_abjor biren, und doch keine Brückenequipage! Da die stehende Brücke , auf die man gehofft hatte, vom Feinde bereits erreicht ist, zwingt dieser Umstand von Neuem zu dem verhängnißvollen Abmarsch nach Norden , das kleine Sedan staut den Fluß , um seine Gräben zu füllen und beraubt die eigene Armee dadurch der bis dahin benutzbaren Furthen , in deren Nähe allein an einer einzigen Stelle ein Park von 9 Geschützen mit 76 Kriegswagen vom Feinde gefunden wird, *) In der Armee vielleicht zu wenig verbreitet aber in erster Linie für dieſe ge schrieben und höchſt inſtructiv weit über den Rahmen der techniſchen Leiſtung hinaus ſind die beiden Schriften : E. Schüße , Brückenbauten und Meeresübergänge im Kriege gegen Dänemark, Danzig 1868, und v. Adler , Ballegard und Alsen, Berlin 1865.

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dessen Transport weder über, noch durch den Fluß zu ermöglichen gewesen war. Ein gezimmerter Steg für Infanterie, neben der Fähre von Remilly , ist endlich das Einzige, was die Genietruppe leisten kann, um den Uferwechsel der "Armee" zu unterstützen, und die Artillerie des VII. Corps ist gezwungen, strom abwärts auf Sedan zu marschiren, da das Zusammenbrechen der Brücke ihr es unmöglich macht, ihrer Infanterie auf das rechte Ufer zu folgen ! *) Die Kriegsgeschichte dürfte in der That kein zweites Beispiel bieten für die so eclatanter Weise verschieden unterſtützten Operationen zweier Armeeen an demselben Flusse, der dem Brückenschlag ein ernstes Hinderniß zudem an keiner Stelle bot. Es scheint uns für die Bedeutung der richtigen Handhabung der Kriegstechnik der Hinweis auf diese Operationen noch instructiver selbst als der auf die Situation vor Paris , woselbst die Cernirungsarmee vor allen Dingen die Nachtheile abschwächen mußte, die ihr aus der Trennung ihrer Theile durch 3 Stromläufe erwuchsen. Es führte dies auf Deutscher Seite zu einer aller dings ungewöhnlichen Entfaltung des zu Brückenschlägen mitgeführten Materials, das in nicht weniger als 40 Kriegsbrücken über Seine , Marne und Dise ein gebaut, eine Gesammtlänge von 41/2 Kilometer repräsentirte und außerdem in 14 weiteren , aus erst an Ort und Stelle zubereitetem Material hergeſtellten Uebergängen mit 1200 M. Geſammtlänge seine Ergänzung fand. Es liegt auf der Hand , daß bei ernstem Offensivstoß der eingeschlossenen Armee ohne dieje Fülle an Communicationen eine rechtzeitige Concentration der Deutſchen Kräfte an der bedrohten Stelle gradezu unmöglich gewesen wäre , und schon bei den wirklich stattgehabten Kämpfen hat sich die Herstellung derselben hinreichend dadurch belohnt , daß auch durch Flußläufe getrennte Corps sich schnell genug die Hand reichen konnten, so oft die Gefechtslage dies erforderte. Deutschland hat, wie oben bereits bemerkt wurde, auch neuerdings durch Verbesserungen, die theils das Material, theils die Organisation des Perſonals be treffen, für eine weitere gedeihliche Entwickelung seines Pontonierwesens Sorge getragen, und eine im letzten Sommer an der unteren Elbe abgehaltene größere Friedensübung benutzt, um nach allen Richtungen hin diesen Fortschritt zu för dern und sowohl die Anschauung großer Strom-Verhältnisse als auch die Fähig keit, die aus ihnen resultirenden Schwierigkeiten zu überwinden, in seinen tech nischen Truppen zu pflegen. Aber grade die Deutsche Armee hat auch in dieser Richtung volles Recht, mit Befriedigung auf das bisher Geleistete zu blicken. Die übrigen Armeen Europas, die zur Zeit nicht in der Lage sind, auf so ausgedehnte Kriegsbrückenschläge der jüngsten Vergangenheit hinzuweisen, fördern die Vorbereitungen hierzu mit einem der Bedeutung der Sache ent

2 *) cfr. Heft 7 des Preußischen Generalstabswerkes über den Deutsch Franzöſiſchen Krieg, Seite 1038, 1039, 1100, 1116, 1123, 1130 und an andern Stellen im leßten Kriege und mehr noch 1859 in Italien ist übrigens seitens der Französischen Pontoniere wiederholt tüchtiges geleistet worden. Bei den Manövern, mit denen unter den Augen der Kaiserin und des prince impérial die armée de Lyon (unter Palicao Auguſt 1869) den hundertjährigen Geburtstag Napoleon I. feierte, bildete der Rhoneübergang den aus dem Lager von Satonay kommenden Truppen einen Glanzpunkt des Festes. Techniſch wurde auch hierbei Gutes geleistet , wenn auch freilich das unter einem von beiden Ufern her ununterbrochen rollenden Chassepotfeuer erfolgende Abschwenken der Brücke mehr theatralisch zugespist als kriegsmäßig durchgeführt erschien. Die Geringschätzung, mit der bei jener Gelegenheit Französische Pontonier Offiziere zu dem Schreiber dieser Zeilen über den Alsenübergang sich aussprachen ( ganz hübsch cette petite affaire-la" meinte u. A. ein wohlwollender Elsasser) verrieth allerdings weder Studium der Kriegs geschichte noch die Erkenntniß dessen , was Noth thut für Kriegsleistungen auch im Pon tonierfach.

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sprechenden Nachdruck, und zwar hat hier unstreitig Oesterreich - Ungarn eine gewiſſe Führung, das nicht nur, wie schon erwähnt, in der Lösung der Frage nach der besten stehenden Unterstützung allen andern Mächten voran gegangen ist, sondern auch, wenn man seine letzten 5 Feldzüge ( 1848/49, 1859, 1864 und 1866) zuſammenfaßt, in diesen 371 Kriegsbrücken mit faſt 16,000 Klaftern oder 30 Kilometer Gesammtlänge geſchlagen hat. Wir entnehmen dieſe Notiz sowie die nachfolgenden Daten dem intereſſanten Werke eines Dester reichischen Offiziers , * ) welches in einer sonst dankenswerthen und auf zuver lässigen Quellen basirenden Zusammenstellung den gegenwärtigen Stand des Pontonierwesens aller Staaten Europas resümirt und dabei mit gleicher Sorg falt sowohl die Zusammensetzung des Personals , als die Beschaffenheit, selbst die kriegsmäßige Verladung des Materials in's Auge faßt. Beschränken wir uns — im Uebrigen auf das genannte Specialwerk ver weiſend www.dandin auf eine kurze Charakteriſtik des Pontonierwesens der Großmächte, so ergiebt sich Folgendes : 1. Desterreich. a. Personal : 1843 : Bildung des Pionier-Corps aus Pionieren und Pontonieren, 1867 : erneute Trennung des nunmehrigen „ Pionier Regiments" von den " Genie-Truppen" , jetziger Bestand desselben: 5 Bataillone à 4 Feld-Compagnien, 1 Reserve-Compagnie, 1 Zeugs -Reserve und 1 Eisen bahn-Abtheilung. b. Material: 1839: Abſchluß und Annahme des Syſtems Birago, theilbares Ponton und zweibeiniger Bock, 1859 modificirt durch Ein führung eiserner Pontons und Verbeſſerung aller Verbindungsvorrichtungen unter vermehrter Eisenverwendung und Vereinfachung des gesammten Materials . Die 1860 versuchte reichere Dotirung der einzelnen Equipagen (42 Klafter) ist seit 1871 zu Gunsten der früher üblichen von 28 Klafter Brückenlänge wieder reducirt, und führt jedes Bataillon 8 solcher Equipagen auf je 16 Wagen, während eine Fuhrwesens-Reserve- Escadron und 8 Reserve-Kriegs- Brücken Equipagen Verstärkung und Ersatz sichern. Der normale Bau unterscheidet Bockbrücken über trockene Hindernisse , wie über Gewässer, und Pontonbrücken, von denen gegenüber den normalen "1 leichten" noch diejenigen als schwere" unterschieden werden, die auf dreitheiligen Pontons ruhen und 7 Streckbalken führen. 2. Rußland. Die Pontoniere sind eingetheilt in die Sappeur-Brigaden, bisher als Halbbataillone, seit der soeben ( 1874) erfolgten Reorganiſation der Armee im Verbande voller Bataillone. Die Zahl der letzteren ist bei gleich zeitiger Umwandlung der Reserve- Sappeur-Bataillone in Feld-Bataillone auf 4 normirt, von denen jedes zwei event. noch theilbare Pontonparks à 212,40 M. Brückenlänge auf 52 Brückenwagen führt, so daß die Gesammtbrückenlänge der die Armee begleitenden Trains sich rund auf ca. 1700 M. stellt. Jm Material früher lange Zeit Segeltuch-, später lederne, jezt eiſerne Pontons und der Birago'sche Bock. 3. Frankreich. Die durch den Krieg veranlaßten ausgedehnten Neube schaffungen werden auch hier dazu benutzt, um zu einem Einheits- Material zurück zu gelangen, das man 1853 bereits besaß und von dem man, ähnlich wie in Preußen, dadurch abging, daß man neben der ,,équipage de reserve" 1866 eine leichte équipage de corps d'armée formirte. Der Bock Haillot differirt wenig von Birago, das hölzerne Ponton hat eiserne Tragstützen und *) Hauptm. Ladislaus Müller , die Europäischen Kriegsbrücken- Systeme. Wien 1874.

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eristirt in zwei Größen (bateau und nacelle), das Pontonier - Regiment mit 14 Compagnien (früher Straßburg jetzt Avignon) untersteht der Artillerie. Ein zweites Regiment ist in der Bildung und ebenso steht eine Vermehrung des Materials in Aussicht, das sich zur Zeit auf 6 Equipagen mit einer Ge jammtbrückenlänge von ca. 1400 M. zu beschränken scheint, und deſſen Ver theilung an die Armee- Corps der Mobilmachung vorbehalten ist. 4. Italien. Die Armee hat Pontoniertruppen seit 1816, erst einzelne Compagnien, seit 1861 ein Pontonier-Regiment von 8, seit 1871 von 9 Feld Compagnien, das der Artillerie- Direction unterſtellt war. Seit October 1873 ſind auch hier die Pontoniere mit der Genietruppe vereinigt, und zwar in Stärke ren je 4 Compagnien in jedem der beiden Genie Regimenter. Der Preußische Grundſaß der dauernden Zutheilung von Brückentrains an jedes Armee-Corps ist auch hier adoptirt, es verfügt jedes derselben im Kriegsfalle über eine Brücke von 150 M. Länge, und 13 solcher Corps = Trains sind vorhanden, außerdem noch 6 Reserve- Equipagen mit in Summa 1600 M. Brücke, von denen die Hälfte speciell für die Ueberbrückung des Po designirt ist. Als Unterſtüßungen dienen das Einheitsponton nach dem modificirten Modell Cavalli und dem Bi rago'schen Bock. 5. England. Das Princip möglichst leichter Brücken , das in den Niederlanden zuerst adoptirt und besonders ausgebildet ist, hat auch in England Aufnahme und Nachahmung gefunden unter Verwendung kupferner Pontons. In den fünfziger Jahren wurde die Belgische Kriegsbrücke (Modell Thierry) directadep tirt, 1858 durch die bekannten Cylinder-Pontons verdrängt, welche als Fahrzeug nicht nußbar, im Innern eine Reihe durch Blechwände getrennter Luftkammern hatten und derart Verwendung fanden, daß sie unter die rückwärtigen Theile der einzelnen Strecken allmälig untergelegt wurden in dem Maße, als die auf dem ersten festgeschnürte Brückentete in den Fluß hinein avancirte. Seit 1868 besitzt nun auch England eine auf Pontons und Böcken ruhende Kriegsbrücke, und zwar sind die ersteren aus Ulmen- und Fichtenholz gefertigt, mit Segel tuch, zum Theil auch mit Kork bekleidet und nur noch an den Enden einge deckt. Die Gesammtlänge beträgt 130 Yards alſo ca. 120 M. , bei den für Transport schweren Materials bestimmten heavy bridges ist eine Erhöhung der Anzahl der Streckbalken von 5 auf 9 Stück vorgesehen. Von den Kriegsbrücken der übrigen Staaten find an charakteriſtiſchen Eigen thümlichkeiten zu erwähnen: der in Belgien mit Vorliebe angewendete 3beinige Bock des Systems Thierry , die Einrichtung eines schwimmenden Pontontrains in Holland noch neben dem fahrenden, die beſonderen, die Ueberwindung schwie rigen Terrains bezweckenden Einrichtungen des Schweizer Pontontrains , der auf Maulthieren transportable Gebirgs - Brückentrain Spaniens , sowie die be sondere Sorgfalt, mit der Schweden neben dem Pontonir - Bataillon noch spe= ciell nach dieser Richtung seine Infanterie ausrüstet , von der jedes Regiment zwei dreispännige eiserne Wagen mit sich führt , auf denen je eine Hälfte eines kleinen Eisenpontons zugleich als Wagen- und Werkzeugkasten dient. — Auf verschiedenen Bahnen wird , wie diese Umschau zeigt , nach demselben Ziele gestrebt, das jedoch, wie der flüchtigste Blick auf den Kriegsgebrauch lehren kann , nur erreicht werden kann durch eine richtige Handhabung des im Frieden Vorbereiteten und Erlernten durch die , die im Kriege zu führen berufen sind. Entscheidet doch auch im Gefecht über den Erfolg nicht die Waffe allein, sondern die Hand, die sie führt, und das Auge, das ihr den Weg weist.

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3. Das Mineur-Wesen. Das Mineurwesen bildet einen besonderen Dienstzweig der technischen Trup pen und zerfällt in den Festungs- und in den Feld - Mineurdienst. Die Nothwendigkeit dieser Trennung ergiebt sich nicht nur aus den verschiedenen Ge bieten beider Thätigkeiten , sondern auch aus der zunehmenden Bedeutung jedes einzelnen derselben. Die Verwendung des Pulvers zum Deffnen der massiven Bauwerke , mit denen der Vertheidiger seine Position umgeben hat , datirt seit 1501 und wird zurückgeführt auf Piedro Navarra. Zu unterirdischem Vorgehen wurde der An griff seit jener Zeit sehr oft und überall da gezwungen, wo eine starke und hart näckige Vertheidigung ihre durch die Pulvergeschütze gesteigerte Widerstandskraft energisch auszunützen verstand und ein oberirdisches Vorgehen dadurch ausschloß. Gerade die Zeit , in der der erste Schrecken vor dem neuen Angriffsmittel der Pulvergeschütze geschwunden war , und die Vertheidigung die neue Waffe sich dienstbar gemacht hatte, das ist die Periode der ausgedehnten Anwendung des Minen-Angriffs . Analoge Verhältnisse, d. h. die Ausnutzung des gezogenen Ge schützes und Gewehrs durch die Festungs- Vertheidigung , werden auch jetzt je länger je mehr dem Festungs- Angriff ein Avanciren auf dem Vorterrain der Festungen verbieten oder sehr wesentlich erschweren , und ihn eher mehr als weniger dazu drängen, von dem schwierigen und zeitraubenden Mittel des unter irdischen Vortreibens seiner Spitzen Gebrauch zu machen. Dazu kommt die Zahl der Fälle, in denen der Festungsbau , in schon besprochener Weise , die artilleri stische Breschirung seiner Mauern auf constructivem Wege wesentlich erschwert oder verhindert, die Fernwirkung des Angriffs überhaupt aber abgeschwächt hat durch zahlreiche Hochbauten. Auch hier wird der Angriff wie überall zuerſt verſuchen, ob es ihm auf dem Wege der Beschießung resp. des Artilleriekampfes gelingt, die Vertheidigung physisch oder moralisch zu bewältigen, und so lange auch selbst nur Aussicht hierzu vorhanden ist , wird kein Angreifer andere und blutigere Wege wählen. Gelingt dieser Angriff aber nicht und schon einer normalen Vertheidigung gegenüber darf er, wie ausgeführt , nicht gelingen - muß auch hier der Angriff ſich den Eintritt erzwingen, um zu ſiegen ; dann wird oft nur das „Brejchiren durch den Mineur" als Angriffsmittel übrig bleiben , und es wird der Minenkrieg nöthig. Den Angriff zum Ansetzen des Mineurs zu zwin gen, ist daher eine dem modernen Festungsbau wie der Festungs - Vertheidi gung gemeinſam geſtellte Aufgabe, für die die Wege in dem früher Gejagten bereits vorgezeichnet wurden; der Entschluß des Angriffs zum unterirdischen Vor gehen erscheint daher mit Recht als ein Erfolg der Vertheidigung. Da kein Staat dies zu verkennen im Stande ist , so liegt darin die Berechtigung , von einer wachsenden Bedeutung des Festungs-Mineurwesens zu sprechen, auch wenn jeit der Vertheidigung von Sebastopol die Kriegsgeschichte keine Festungsvertheidi gung aufweist , die stark genug gewesen ist , die Anwendung dieser Nothwaffe Seitens des Angriffs zu erzwingen. Eine Minen- Vertheidigung nun muß vorbereitet sein auf allen Punk ten, wo die Terrainconfiguration ſie gestattet, und zumal an denjenigen Festungs werken (Forts oder Fronten) , die der ganzen Situation nach die meiste Chance haben, ernsthaft angegriffen zu werden. Es geschieht dies durch ein mehr oder minder ausgebautes Contreminensystem , das im Frieden wenigstens in seinen rückwärtigen gemauerten Theilen fertig gestellt sein muß, aus denen dann der Vertheidiger mit in Holz ausgesetzten Minengängen dem Angriff soweit entgegen geht , als die Verhältnisse es fordern , resp . seine Mittel dies gestatten. Der

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Zweck dieses Contreminensystems ist ein doppelter: einmal wird seine Eristen; in den meisten Fällen hinreichen, um den Angreifer zum Ansehen seines Mineurs zu zwingen; thut er diesen Schritt nicht sofort, so wird der Vertheidiger meist in der Lage sein, das oberirdische Ueberschreiten des unterirdisch armirten An griffsfeldes mit Erfolg zu verhindern ; entschließt sich aber der Angreifer nun selbst zum Minenangriff, dann ist es die zweite Aufgabe und die zweite Leiſtung des vorbereiteten Contreminenſyſtems , diesem Angriff entgegenzutreten und eine schrittweise Vertheidigung zu ermöglichen , die im wahren Sinne des Wortes jeden Fuß breit Terrain dem Gegner streitig zu machen in der Lage ist. Die Frage, wie zur Erfüllung dieser Aufgaben ein Minensystem der Ver theidigung am besten vorzubereiten sei, hat naturgemäß ihre eigene Entwickelung genommen, von der einfachen Enveloppengalerie, die im 16. und 17. Jahrhundert in die starke Mauerescarpe eingewölbt wurde, bis zum complicirten Etagen- eder Stockwerkssystem späterer Zeiten, und sie verdankt ihren Hauptabſchluß der Fri dericianischen Periode. Daß der König im Feſtungsangriff (vornehmlich in dem gegen Schweidnitz, Lefebre gegen Gribeauval 1762) von dem Minenangriff Ge brauch machte, ist bekannt, weniger vielleicht, daß er ein hohes persönliches In teresse diesem Kampfe widmete, dessen Bedeutung er erkannt hatte. Er bethätigte dasselbe einmal dadurch , daß er fast alle von ihm gebauten oder verstärkten Festungen mit starken und ausgedehnten Minensystemen umgab, er leitete 1752 persönlich die erſte große Belagerungsübung Preußischer Truppen bei Potsdam, in der sowohl sappirt , als auch minirt wurde; er hatte auch bereits 1747, als der Desterreichische Erbfolgekrieg zu der berühmten Belagerung von Bergen ov Zoom führte, und in dieser sich einer der denkwürdigsten Minenkriege entwickelte, in dem volle sechs Wochen hindurch ununterbrochen unterirdisch um das Ver terrain gerungen wurde, durch Absendung von Offizieren dafür gesorgt , daß die auf diesem Specialgebiete gemachten Kriegserfahrungen der eigenen Armee zu Gute kommen konnten. Einer seiner Ingenieur- Offiziere, der Generallieutenant v . d. Lahr, ist es auch, der das unbestrittene Verdienst hat, die erste eingehende Kritik aller bisher angewendeten Systeme geliefert und, auf persönliche Erfahrun gen gestützt, in seiner epochemachenden Schrift die Anwendung der Minen im Belagerungskriege" ( 1798) Grundsätze aufgestellt zu haben, die im Großen und Ganzen noch heut die beste Basis sind, sowohl für die Anlage der Contreminen, als für die Taktik des Minenkrieges. Selbst da, wo , wie vor Sebastopol , ven ihnen z . Th . nicht unwesentlich abgewichen ist, hat der Erfolg indirect aber um so zweifelloser ihre Richtigkeit dargethan. Abgesehen von allen Details, die theils überhaupt generell nicht zu firiren sind, theils durch die localen Verhältnisse be dingt werden , läßt sich das auch heut noch im Wesentlichen Maßgebende etwa in folgende Säße faſſen: a) das Contreminensystem besteht aus einzelnen, von Revers -Galerien, besser noch von Minenvorhäusern resp. Blockhäusern ausgehenden, wo möglich ge mauerten Hauptgalerien , die selbstständig von einander zu halten sind (scen damit die event. schlechte Luft der andern sich nicht mittheilt) und etwa zu bei den Seiten der Capitale des Werkes liegen. Aus dieser avancirt man zu beiden Seiten abwechselnd rechts und links mit in großem Holz gebauten „ Branchen" oder „Rameaur " nach seitwärts-vorwärts (aus technischen Gründen am besten unter 60°) , und endlich treibt man aus verschiedenen Stellen der letzteren pa rallel mit der Hauptgalerie Minengänge von möglichst kleinem Querſchnitt , die Ecouten , vor. Den Teten der letzteren giebt man zweckmäßig einen gleichen Abstand von einander ( es erleichtert dies die Horchwahrnehmungen sowie die

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gegenseitige Unterſtützung) , man legt sie ferner gleich tief und führt namentlich die letzten Strecken möglichst horizontal. In ihnen gewinnt man damit eine erste Defensivposition, in der der Contremineur durch Besetzung aller Teten gleich ſam aufmarschirt, von der aus er nach Bedarf an einzelnen Stellen auch noch vorgehen kann, wenn der Angriff sich bemerkbar macht, und die ihre rückwärtige Unterstützung und Aufnahme findet einmal in den Rameaur , sodann in einem zweiten Treffen von Ecouten , das aus weiter rückwärtigen Branchen oder aber auch aus hinteren Theilen der Hauptgalerien vorgetrieben werden kann. b) Taktik des Minenkrieges. Der Angriff will Terrain gewinnen. und zwar nicht unter, sondern auf und in der Erde, dergestalt, daß er Truppen gedeckt placiren und mit diesen der Festung näher kommen kann. Die Zer störung der Contreminen ist ihm daher nur Mittel zum Zweck, auch ein Ein dringen in lettere nicht seine Haupttendenz , so wirksam er hierdurch auch , wo es ihm gelingt, den Vertheidiger zurückdrücken kann ; Sammelpläße für Truppen kann er eben nur durch die Herstellung sogen. „ Trichter," letztere nur durch Anwendung großer Pulverquanta also überladener Minen" erreichen. Dies ist seine Hauptwaffe und um sie handhaben zu können , muß er möglichst schnell eine große Tiefe erreichen, da, wenn der Widerstand, den die Ladung über sich findet, zu gering ist, sie " ausbläst " und weder einen großen noch einen tiefen Trichter bilden kann. Der Angriff bedient sich daher von Anfang an einer Reihe stark fallender Galerien ( Schleppſchächte) oder er geht, wenn ihm die Richtung vorwärts nicht möglich ist, mit Schächten zunächst senkrecht in die Erde, nur um den ihm nöthigen Erdwiderstand über sich zu gewinnen. Die Vertheidigung würde dem Angriff in die Hände arbeiten, wenn ſie ihrerseits Trichter sprengte. Sie muß daher vermeiden , oberirdische Wirkungen zu erzielen , ihre Waffe sind also kleine Ladungen (Quetscher) , ihr Vor theil liegt in der Möglichkeit , mit der Zurüstung dieser schneller fertig zu sein und nach abgegebenem Schuß die eigene Verdämmung schnell wieder wegräumen. zu können und möglichst an derselben Stelle wieder schußfertig zu sein. Die Tiefe, nach der der Angriff strebt , hat die Vertheidigung sich schon vorher gesichert , und je tiefer ihre Teten liegen, um so größere Ladungen kann sie natürlich anwenden, ohne ein Wirken bis an die Erdoberfläche fürchten zu müssen. Der Angriff verbindet ſeine Trichter, er krönt sie mit einer vertheidigungs fähigen Brustwehr, er vertieft und erweitert sie und sucht durch Herstellung von Eindeckungen und Vorbauungen sie zu Stützpunkten weiteren Vorgehens zu machen, stets bereit, aus ihnen zu gewaltsamem Angriffe vorzubrechen, sobald die Verhältnisse dies gestatten. Der Vertheidiger wird schon die Herstellung der ersten Trichter erschweren, selten aber ganz hindern können ; mit jedem Schritt näher an seine vorbereitete Position wächst aber auch seine Stärke, und bei auf merksamer und geſchickter Ausnutzung seiner Mittel hat er gerade in dem Moment, in dem der Angriff aus seiner ersten Trichterreihe zu debouchiren hat , große Chancen, dies durch stets wiederholte Schläge sehr lange Zeit hindurch oder auch gänzlich zu verhindern.*) Es gehört dazu außer der Einübung der Mannschaft *) Diese Erscheinung, die schon jede ernste Friedensübung zeigt, bietet auch der Minen krieg vor dem Mastbastion Sebastopols . Wie weit ihm ein Antheil gebührt an den Mo tiven, die die Verlegung des Angriffsschwerpunktes vom linken nach dem rechten Flügel herbeiführten, dürfte schwer abzuwägen sein, aber am 8. September hatte thatsächlich der Französische Mineur die am 15. April gesprengte erste Trichterreihe „nur unerheblich“ überschritten. cfr. Frhr. v . Troschke , Fortsehung der Hardegg'schen Kriegsgeschichte, III., 4 Seite 422.

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im Minir- und auch im Horchdienst die Vorbereitung guter Zündapparate und guter Cylindergebläse und Ventilatoren, die ihn in den Stand setzen, seine Teten immer wieder rasch befahrbar zu machen, auch wenn sie von Pulvergasen erfüllt waren. Analog wie in der Frage der Geschützcaliber wird auch in der Be schaffung und Benutzung dieser Apparate die Vertheidigung natürlich günſtiger stehen , als der Angriff. Da auch die Fortschritte in Industrie und Technik, soweit sie nach der Natur der Sache Einfluß auf dieſen Kampf haben können, eher jener , als diesem zu Gute kommen werden , so ist auch die Durchführung des Widerstandes als in ausreichender Weise möglich noch heut zu bezeichnen. Da endlich die Ueberwältigung desselben in jedem Falle eine in hohem Maße zeitraubende Angriffsoperation sein wird, so liegt darin die Berechtigung für die Forderung, eine Erzwingung des Minenkrieges jeder Festungsvertheidigung auf zugeben und auch hierin eine nicht unwesentliche Chance für letztere überhaupt zu erblicken. Die Armeen der Großmächte bilden sämmtlich besondere Theile der tech nischen Truppen für diesen ebenso schwierigen als wichtigen Dienstzweig aus, und das Mittel großer Belagerungsübungen" ist hierzu umſomehr geeignet, als keine andere Waffe im Stande ist , mit ihren Friedensübungen der Wirklichkeit sich mehr zu nähern , als die Uebungen in diesem unterirdischen Kampf unter größeren Verhältnissen es wirklich thun. Bei ihnen erfährt auch im Frieden ein Theil von den Operationen des andern nicht mehr, als er im Kriege wahr nehmen würde , und erst wenn ein Theil sich schußfertig meldet, werden die Mannschaften beider auf kurze Zeit zurückgezogen , um gleich nach dem Schuß genau unter den Verhältnissen fortzuarbeiten, die auch im Ernſtfall (die Menſchen verluste abgesehen) die Wirkung der betreffenden Pulverladung ergeben haben würde. zweitens - die Verwendung explosiver Stoffe auch im Nun hat aber Feldkriege gerade neuerdings eine erhöhte Bedeutung erlangt, und es ist hieraus der technischen Truppe ein neuer Dienstzweig erwachsen , der im Anſchluß an den oben besprochenen als Feld - Minirdienst bezeichnet zu werden pflegt. Es handelt sich bei diesem nicht wie bei jenem um den directen Kampf mit dem Gegner , sondern um die ausgedehnte Anwendung von Demolitionen aller Art zu Zwecken der Feld-Operationen und während dort bei den Spren gungen in Erde das Pulver auch jetzt noch als das beste Sprengmittel gilt, so gestattet theils , theils fordert die Natur der Objecte, um deren schnelle und gründliche Zerstörung es hier sich handelt , die Verwendung brijanterer Stoffe. Der Dynamit und die naſſe Schießbaumwolle, die beiden schon bei Gelegenheit des Torpedowesens erwähnten Präparate , sind zugleich diejenigen, die auch in diesem Zweige des Kriegswesens neuerdings vielfach verwendet sind und voraussichtlich einer immer ausgedehnteren und allgemeineren Verwendung ent gegen gehen. Die Anwendung von Feldminen im engeren Sinne, d . h . die von Fladder minen , Steinfougaſſen und die vor Charleston*) zuerst und Franzöſiſcher Seits neuerdings auch noch vor Paris angewendeten sog. Landtorpedo's bei Positionen rein defensiven Charakters, wird auch in Zukunft besonders im Hinblick auf ihre moralische Wirkung auf die Angriffstruppe nicht ausgeschloſſen, ftellenweiſe ſogar, da, wo dem Angriff ganz beſtimmte Wege vorgezeichnet sind , nicht zu unter *) cfr. Jacobi, gez . Geschüße der Americaner bei Charleston 1863–65. S. 69 ff.

Berlin 1866,

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schäßen sein. Ihr Gebrauch wird aber der Natur der Sache nach ein beschränkter bleiben und mehr Ausnahme als Regel sein müssen. Handelt es sich bei Vor bereitung der Defensive um Freilegung von Schußfeldern oder Herstellung innerer Communicationen, oder handelt es sich beim Angriff auf feindliche Stellungen um das Oeffnen von Verschlüſſen, die Herstellung von Feldbreichen, so zu sagen, die dem Angriff die Wege bahnen sollen zum Eindringen, in beiden Fällen kann das rasche Sprengen von Holz- oder Mauerwänden aller Art schon jetzt dem Gefechtszweck dienen. In letterer Beziehung ist auf diejenigen Orts gefechte hinzuweisen, wo es sich, wie bei le Bourget, Chateaudun u . A. , seitens des Angriffs um fortdauernde Ueberwindung materieller Absperrungen handelte, oder auf Situationen, in denen Petardenladungen nöthig sind , wie z. B. beim Düppel -Sturm 1864 oder bei dem kühnen Anlauf Preußischer Pionire gegen das Festungsthor der Citadelle von Amiens 1870. Fälle dieser Art werden, je mehr es darauf ankommt , richtige Defenſivobjecte dem Gegner schnell oder gewaltsam zu entreißen , um so häufiger wiederkehren können ; man wird sich daran gewöhnen müssen, nicht nur, wie den Französischen Sappeurs " auf dem Marsch und en parade , sondern im Gefecht dem Pionir den ihm dann gebührenden Ehrenplatz an der Tete der Sturmcolonne zu geben, und die moderne Zündtechnik giebt ihm Waffen , die , richtig gehandhabt, oft rascher zum Ziele führen werden als Art, Kreuzhacke oder Säge. Die größte Bedeutung aber und eine stetig zunehmende erwächst der Wirk jamkeit des "!Feld -Mineurs " - um bei dieſem in Preußen adoptirten Ausdruck zu bleiben - aus dem Aufschwung der Communicationen, in specie der Eisen bahnen, mit denen ja gerade die moderne Kriegführung nicht nur nach wie vor, ſondern mehr als je zu rechnen haben wird. Des Einflusses derselben auf das Festungswesen wurde an betreffender Stelle bereits gedacht. Für die Herstellung, Retablirung, Handhabung und möglichst intenſive Ausnutzung der Eisenbahnen im Kriege sind aller Orten bereits im Frieden besondere Truppen organisirt oder in der Formirung und Ausbildung begriffen , auf die hier nur deswegen nicht näher eingegangen werden kann , weil ihre Entwickelung einmal nicht_ab geschlossen , andererseits zu wichtig ist , um nur nebenbei behandelt zu werden. Mit den Mitteln zur eigenen Sicherung dieser Verkehrswege gleichen Schritt halten aber, ihrer Wichtigkeit nach , die Mittel , dieselbe dem Gegner zu ent winden. Schon die geschickt und schneidig" geführte Cavallerie-Patrouille hat, wie überhaupt , so auch nach dieser Richtung , heut zu Tage an Bedeutung ge wonnen. Sie wird nicht nur das Auge der Armee , sondern auch im Stande sein, die Macht- Sphäre der letzteren wesentlich zu erweitern durch kühne Unter brechung der feindlichen Verbindungen , oder doch größer erscheinen zu laſſen, und auch sie wird bis zu gewissem Grade mit Vortheil die Mittel hierzu der Zünd- und Sprengtechnik entnehmen. Doch sind ihr naturgemäß ziemlich enge Schranken gezogen in der Größe der Wirkung, die sie leisten kann, und ist ihre Thätigkeit entdeckt , so sind die Mittel zur Wiederherstellung der von ihr voll zogenen Zerstörungen leicht gefunden, ein wirkliches Unterbrechen der Communi cation bleibt also auch heut Aufgabe der technischen Truppe. Für die Ausfüh rung derartiger Unternehmungen bieten sich im Allgemeinen in taktischer Beziehung zwei Wege, einmal der der „ Mineur - Patrouille", d . h. kleiner Trupps , in Richtung auf ein bestimmtes Object mit Vorsicht und Dreistigkeit zugleich ev. in oder hinter die feindlichen Stellungen geführt , (ein Verfahren, das im letzten Kriege z . B. mit besonderem Erfolg innerhalb des 10. Preußi ſchen Corps , vielfach auch Seitens der I. Deutschen Armee von Rouen und

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Amiens aus angewendet wurde) oder aber der offene Vorstoß mit Detachements event. aller Waffen, denen Spreng-Commandos beigegeben sind , und die soweit vorgehen, als es die sichere Erreichung des Specialzweckes fordert. Letztere Weise ist die am häufigsten angewendete, wenn auch insofern nicht immer die sicherste, als der Gegner die Absicht leichter erkennt und Gegenmaßregeln ergreifen kann. Auf Sedan zurückgeworfen, befahl der Französische Führer die Sprengung der beiden massiven Maasbrücken bei Donchery und Bazeilles ; bei der einen fuhr der Eisenbahnzug , der die Genietruppe an Ort und Stelle gebracht hatte, weiter und nahm Pulver und Arbeitsgeräth mit , das im Moment nicht erscht werden konnte; die andere wurde, noch ehe es zur Sprengung gekommen war, gestürmt von den Bayerischen Jägern, die die bereits gelegten Pulverfässer in den Fluß warfen *) . Die Größe des Kriegsschauplatzes und die Fülle maſſiver Bauwerke gerade Frankreichs hatte andrerseits zur Folge, daß fast jede Division der Deutschen Armee in die Lage kam, in mehr oder minder ausgedehnter Weite von diesem Mittel der Communications - Unterbrechung Gebrauch zu machen. Ein Erfolg gehört auch hier nur dem, der richtig handelt und zwar technisch und tattisch! Im Uebrigen hat gerade der Deutsch-Französische Krieg den An stoß gegeben, diesen Dienstzweig mehr und sorgfältiger noch als bisher zu pflegen, und die Deutsche Armee hat z . Z. auch hierin eine Ueberlegenheit über die meisten andern insofern , als sie seit der mehrerwähnten Umformung ihrer technischen Truppen vom Jahre 1873 durch Ausbildung und Ausrüstung ihre sämmtlichen Feld-Pionier-Compagnien in gleicher Weise zu Leistungen auf dem Gebiete des Feld-Mineur- Dienstes befähigt hat.

Ein Blick auf die moderne Entwickelung der technischen Truppe kann nicht abschließen, ohne die Thatsache zu constatiren , daß die letztere sich bewußt ist, in wie hohem Grade sie außer der Fortbildung ihrer Technik der fteten Förde Der Krieg führt sie in kleinen rung bedarf in rein militairischer Richtung. taktiſchen Körpern in die größeren Truppenverbände. Deren Kriegsvorbildung muß ſie bis zu gewiſſem Grade theilen, schon um in ihnen leben und mit ihnen wirken zu können , und die Verwendungs - Möglichkeit auch in anderer als rein technischer Richtung muß sie bieten, soll sie nicht hindern , und soll sie über Ihre Führer aber werden, haupt Kriegsaufgaben zu lösen im Stande sein. sollen sie richtig handeln , sehr oft genöthigt sein , Situationen zu beurtheilen resp. zu würdigen von einem Standpunkte aus , der über den Wirkungskreis der eigenen Charge und der eigenen Truppenstärke sehr wesentlich hinausgeht. Die Grenze, wie weit die militairische oder taktische Ausbildung neben der technischen ein Recht hat und dadurch zugleich zur Pflicht wird , allgemein zu firiren , ist unmöglich . Es erklärt sich hieraus das verschiedene Verfahren der einzelnen Staaten. Mehrforderungen nach der einen Seite werden nie aufhören, Hand in Hand zu gehen mit Beschränkung, vielleicht auch Geringschätzung von Leistungen der andern , und über die Richtigkeit des Compromisses entscheidet, wie in allen militairischen Fragen, nur der Erfolg , auf den gerade hier tie Daß hierbei Verhältnisse des Specialfalls in entscheidender Weise influiren. die Kriegstechnik überhaupt und in allen ihren Zweigen bei Beurtheilang ibrer Thätigkeit leicht zu kurz kommt, lehrt die Geschichte aller Zeiten. Denn hinter dem Glanze der Waffenthat tritt die technische Leiſtung zurück, auch wenn sie *) cfr. Deutsch - Franz. Krieg vom Pr. Generalstab, Seite 1115 und 1128.

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ungewöhnliche Schwierigkeiten überwunden hat und selbst dann , wenn sie Vor bedingung war für jene. An sie heftet sich andrerseits erfahrungsmäßig und noch auf lange Zeit hin die Kritik, wenn nicht vorhergesehene, oft auch, wenn nicht vorherzusehende Umstände ihre Durchführung hinderten oder auch nur ihr vollständiges Gelingen nicht zuließen. Die technische Truppe hat daher von je her daran festgehalten, daß nicht die größere oder geringere Dankbarkeit, ſondern die Nothwendigkeit und Wichtigkeit ihrer Aufgaben ihre stete Fortentwickelung bedingte, und nur für die Richtungen, in denen dieselbe zu erfolgen hat, ist die Zeit und sind ihre Zeichen entscheidend. Die Gegenwart bedarf der Technik auf jedem Gebiete und wahrlich nicht in letter Linie auf dem Gebiete der Waffen ; die Gegenwart, mit ihrer Theilung der Arbeit auf allen Feldern , bedarf nicht neben, sondern in den Armeen einer Truppe, die die Ueberwindung der Materie zum Kriegszweck und die Dienstbarmachung der Technik an die Taktik resp . das militairische Intereſſe , ſich zur eigenſten Aufgabe macht, zum Nußen eben des Ganzen, dem sie angehört. Der Stand der gegenwärtigen Gesammt - Entwickelung der techniſchen Truppen läßt sich aber wohl nicht kürzer resumiren , als wenn man - im Rahmen der Deutschen Heeres - Eintheilung bleibend - hervorhebt, daß die Pionier - Compagnien der Deutschen Armee in Organiſation , Zuſammenſeßung, Ausrüstung und Ausbildung einen Standpunkt erreicht haben, der sie befähigt, ein in ihrer Art ebenso brauchbares Instrument in der Hand der höheren Führung zu sein , wie es die Diviſions- Cavallerie und die Diviſions-Batterien schon lange sind , auch neben dem entscheidenden Schlachtenkörper der Bataillone. Ein Impediment wie diese , wenn ungenutzt oder zu sorglich gehütet , aber ein Gewicht, das zu rechter Zeit und an richtiger Stelle in die Waagschale ge= worfen , seinen vollen Theil beitragen kann zum Kriegs- wie zum Gefechts Erfolge. Der Geist des Offizier-Corps , das geradezu prächtige Material der Truppe und die Geschichte des letzten Decenniums von Alſen bis Straßburg ſind Bürgen dafür , daß die Kraft der technischen Truppe nicht versagen wird bei den Auf gaben, die in Gegenwart oder Zukunft der Krieg ihr stellen kann. — Ilo .

Bericht über die

Telegraphie und

deren Anwendung zu

militairischen Zwecken.

1. Bedeutung der elektrischen Telegraphie für den Krieg im Allgemeinen . Die Bedeutung der elektrischen Telegraphie für den Krieg ist heute allge mein anerkannt , und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieselbe in zukünftigen Kriegen eine viel ausgedehntere und einflußreichere Rolle spielen wird, als dies in den letzten Kriegen ― auch 1870/71 - der Fall gewesen ist. In erster Linie erſcheint hierzu : die Feldtelegraphie berufen , welcher

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Militairische Jahresberichte für 1874.

die Aufgabe gestellt ist , im Kriege den Nachrichtenverkehr der Armeen schnell und sicher zu vermitteln. Alle großen Europäischen Armeen besigen bereits in diesem Sinne organisirte Feldtelegraphien ; die meisten der andern sind damit beschäftigt, dergleichen einzurichten. Der nächste Zweck der Feldtelegraphie besteht darin, die einzelnen Corps einer operirenden Armee mit dem Hauptquartier oder mehreren Armee unter einander in telegraphische Verbindung zu sehen, welche, nach Maßgabe der Be wegungen der Truppenkörper, bald hergestellt und bald wieder fortgenommen werden mnß . Zu dem Ende werden vorbereitete leichte Baumaterialien zur flüchtigen Herstellung von Luftlinien und vollständige Stationseinrichtungen, jowie die zur Bedienung der Apparate erforderlichen Beamten auf Wagen mit geführt. Die aus diesen Wagen gebildeten Colonnen müssen im Stande sein, sich an den marſchirenden Truppen vorbei auf und nöthigenfalls neben den Straßen schnell zu bewegen und derart organiſirt werden, daß sie nach Bedürfniß in einzelnen Theilen selbstständig operiren können. Bei einer derartigen zweckmäßigen Einrichtung wird es gelingen, nicht allein die telegraphische Verbindung zwischen den verschiedenen Quartieren auf Märſchen herzustellen , sondern auch vielleicht zumal bei weiterer technischer Vervoll ― kommnung des mitgeführten isolirten Drahtes für eine Feldschlacht, mindestens bei allen unmittelbaren Vorbereitungen dazu , den Nachrichtenverkehr zwischen dem commandirenden General und den Truppenbefehlshabern zu vermitteln. Von größerer Wichtigkeit indeß als die Herstellung und Erhaltung der vor bezeichneten telegraphischen Verbindungen ist die telegraphische Verbindung der Armeen nach rückwärts mit dem Staatsnetze, weil hierdurch denselben das Mittel geboten wird, sich mit den Centralorganen des Staates, mit der Operationsbaſis, den für die Kriegführung wichtigen Festungen, Depots, Magazinen 2c. in un mittelbare telegraphische Verbindung zu sehen und zu erhalten. Durch die An lage neuer Linien allein, selbst bei Anwendung leichter und vorbereiteter Feld gestänge ist diese Aufgabe nicht zu lösen, indem unverhältnißmäßig große , die Beweglichkeit der Armee gefährdende Quantitäten von Baumaterialien 2c. mit geführt werden müßten , um eine schnell vorwärts schreitende Armee mit dem Staatsnet längere Zeit in Verbindung zu erhalten. Aus diesem Grunde muß auf die Benutzung und Aptirung der vorgefundenen Staats- Telegraphenlinien zur Herstellung jener Verbindungen das erste und Hauptaugenmerk gerichtet werden. Die Telegraphenneße sind jezt schon überall so entwickelt, daß eine Deutſce Armee auf allen Kriegstheatern Telegraphenlinien vorfinden wird und je nach Umständen, nach Ausbesserung etwaiger Beschädigungen , benutzen kann. Diese Linien werden auf feindlichem Gebiete in der Regel nur wenig zerstört ſein, da der Feind solche bis zum letzten Augenblicke benutzen und bei schnellem Rückzuge nicht die zu einer ausgedehnten Zerstörung derselben nöthige Zeit haben wird. Zur Ausbesserung der Staatslinien wird leichter, für große Spannungen geeig neter Leitungsdraht , aus Eisen , nebst Isolatoren zum Anhängen deſſelben an die Stangen der Staatslinien, neben den Materialien zur flüchtigen Herstellung von Feldlinien, benutt, um so für alle Fälle gerüstet zu sein. 2. Einrichtung der Telegraphie zu Zwecken der militairischen Operationen. Nach dem vorstehend Gesagten ist die von der Feld-Telegraphie zu lösende Aufgabe eine zweifache, je nachdem es sich um Herstellung von telegraphijchen Verbindungen : a) zwischen den operirenden Truppen ſelbſt und

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken.

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b) von der operirenden Armee nach rückwärts mit dem Staatsnetz handelt ; ihre Löſung geschieht auf verſchiedene Weiſe. Während nämlich die ad b. genannte telegraphische Verbindung durch Aus besserung vorgefundener Staatslinien bewirkt und nur ausnahmsweise von dem mitgeführten Feldgestänge Gebrauch gemacht wird, kommt letteres ausschließlich bei Herstellung der sub a genannten telegraphischen Verbindungen zur An wendung. Die Verschiedenheit der Arbeitsausführungen bedingt ein zweifaches Organ für dieselben : Die Feld - Telegraphen - Abtheilung hat die sub a., die Etappen - Telegraphen - Abtheilung hat die sub b genannten telegraphischen Verbindungen zu bewirken. Letztere Abtheilung wird sich in der Regel zunächst auf die Aptirung resp . Herstellung einer Verbindung nach rückwärts beschränken müssen. Dies genügt aber nicht, weil bei der leichten Zerstörbarkeit oberirdischer Telegraphenlinien zu besorgen ist, daß eine solche Verbindung , sei es durch Vernichtung von seind licher Hand oder in Folge Beschädigungen durch Stürme 2c. bald den Dienſt verjagen wird. Es müssen daher mehrere solcher Verbindungen auf verschiedenen Wegen angelegt werden. Hier muß nun die Staats - Telegraphie eintreten, welche durch Ausbessern und Vervollständigen des feindlichen Staatsnetes im Zuſammenhang mit dem eigenen und gleichſam als Fortsetzung und Entwickelung des eigenen Staatsnetzes in Feindesland für die Zwecke des Krieges aushelfen soll. Dies sezt aber einmal eine völlige Uebereinstimmung in den Apparat systemen, sowie im wechselseitigen Dienstbetriebe zwischen der Feld- Telegraphie und der Staats- Telegraphie und zum andern eine Organisation der Staats Telegraphie unter Berücksichtigung des Kriegsfalles voraus . Hierbei kommt es jedoch ganz besonders darauf an, die Kriegszwecke zu verfolgen, ohne die Staats Telegraphie in ihrem Wachsthum und Wirken zu beeinträchtigen. Es ist dies zu erreichen: 1. Durch entsprechende Anordnung und Entwickelung des Telegraphen netes. (Interne Drähte längs den Eisenbahnen , internationale und Transitdrähte .) 2. Durch Organiſation des Telegraphendienſtes. Bei effectiver Verwendung der Telegraphie im Kriege ist die Mitwirkung der Staats -Telegraphie die Hauptsache ; lettere hat den größten Theil der Auf gabe zu lösen. Durch dieses Zusammenwirken wird überdies, wie dies die Er fahrungen in dem Nordamericanischen Kriege 1861-65, in dem Feldzuge gegen Dänemark 1864 und in dem Deutſch-Oesterreichiſchen Kriege 1866 zeigen, eine große Dekonomie erzielt. Für die Feld-Telegraphie wird im Frieden die Aufstellung einer beſonderen Truppe nicht erforderlich , wenn Mannschaften des Friedensstandes — in dem größten Theil der Staaten : der Genie oder Pioniertruppe angehörig im Feld - Telegraphenbau geübt werden. Die Apparate und Baumaterialien sind im Frieden von der Staats- Telegraphie aufzubewahren und fortdauernd auf zufrischen. Die für die Feld - Telegraphie erforderlichen Beamten werden am zweckent sprechendsten aus den Beamten der Staats- Telegraphie entnommen , von denen in mehreren Ländern — ein großer Theil aus der Armee hervorgegangen ist. Sie besetzen die Stationen der Feld-Telegraphie und stellen die telegraphische 45 Militairische Jahresberichte 1874.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Verbindung zwischen den operirenden Armeen und dem Staats- Telegraphen netz her. Zur Erfüllung der der Staats -Telegraphie gestellten Aufgaben müſſen ferner die auf dem Kriegstheater belegenen Telegraphen-Directionen durch Hergabe von Beamten , Arbeitern , Materialien 2c. mitwirken. Der Director der Staats Telegraphie muß zu diesem Zwecke bei ausbrechendem Kriege über das gesammte Personal und Material der Staats- Telegraphie verfügen können. Zweckmägig ist es , wenn derselbe auf dem Kriegsschauplate selbst einen Vertreter in einem höhern Offizier Chef der Militair- Telegraphie hat. Letztere hat dahin zu wirken, daß die Feld-Telegraphen-Abtheilungen stets in dem so nothwendigen organischen Zusammenhange mit der Staats- Telegraphie verbleiben und muß sich unausgesetzt in Kenntniß von allen Bewegungen und Dienſtverrichtungen der Feld-Telegraphen- Abtheilungen erhalten. Die Staats-Telegraphie hat ferner bei vorhandener Aussicht auf einen be vorstehenden Krieg eine Menge von Vorbereitungen für den Kriegszweck zu treffen. Sie hat in der Nähe der feindlichen Grenzen neue Linien anzulegen, vorhandene Lücken im Staatsliniennetz auszufüllen , an solchen Punkten , wo es zeitgemäß erscheint, neue Stationen zu errichten, insbesondere aber die wichtigeren Grenzstationen vermittelst besonderer Drähte mit den nach rückwärts belegenen für die Kriegführung wichtigen Knotenpunkten und so weiter mit dem Centrum des Staats in Verbindung zu bringen. Endlich hat die Staats- Telegraphie auch dafür Sorge zu tragen , daß die personellen und materiellen Mittel , welche die Etappen- Telegraphie aufwendet, an den Punkten ihrer Verwendung anderweitig ersetzt werden und das auf dieſe Weise frei gemachte ursprüngliche Personal und Material der Etappen-Telegraphie wieder zugeführt wird. 3. Behandlung und Verwerthung der Telegraphie im kriege , ſowie Benugung der feindlichen Telegraphen Einrichtungen für die eigenen militairischen Swecke und Be fchränkung des Gegners in der Benußung unſerer Telegraphie. Beim Ausbruch eines Krieges ist die vollständige Isolirung des eigenen Telegraphennetzes nicht durchführbar, wenn man sich nicht zugleich vom tele graphischen Verkehr mit sämmtlichen Nachbarstaaten ausschließen will ; auf Um wegen bleibt also auch dem Gegner eine gewisse Verbindung mit dem Innern unsers Landes offen. Um Mißbräuchen in dieſer Beziehung vorzubeugen und mögliche Vortheile auszubeuten werden folgende Maßregeln jedenfalls getroffen werden müſſen: 1) Unterbrechung der Telegraphen gegenüber den feindlichen und zweideutigen Ländern; 2) Untersagung der Chiffreschrift und des Gebrauchs fremder Sprachen im Privatverkehr; 3) Ueberwachung aller anderen Linien, Ausnußen der auf demselben beförderten Nachrichten und Unterdrücken der gefährlich scheinenden Depeſchen; 4) Unterhaltung von Correspondenten in Feindesland , welche auf Umwegen und in unverfänglich scheinender Form Mittheilungen zu machen im Stande sind. Mit diesen Obliegenheiten der Staats- Telegraphie ist ein richtiges Ver halten der Feld- und Etappen - Telegraphen - Abtheilungen , und auch der selbst ständig auftretenden Truppenbefehlshaber in Uebereinstimmung zu bringen.

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken. A.

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Bei der Offensive.

Die Avantgarde der Armee hat selbst für Besetzung der feindlichen Tele graphen- Stationen zu sorgen. Die vorgefundenen Beamten werden in der Regel gefangen zu nehmen , aber nicht im Hause zu belaſſen ſein, weil heimliche Ver bindungen mit den Telegraphen - Leitungen in versteckten Räumen leicht möglich sind. Eventuell fann man sich der Beamten unter strenger sachkundiger Con trole bedienen , um durch die Correspondenz nach vorwärts wünschenswerthe Er fundigungen einzuziehen. Im Uebrigen sind die Stations - Einrichtungen zu schonen, bis ein sachverständiger Beirath zur Stelle iſt. Die Feld- Telegraphen - Abtheilung hat ihr Augenmerk darauf zu richten, daß , mit geringster Unterbrechung vorhandener Linien , Verbindungen von rückwärts nach dem Feinde unmöglich werden. Auf den besetzten feindlichen Stationen kann man den Versuch machen , durch eigene Beamte mit den weiter vorwärts noch thätigen feindlichen telegraphisch zu sprechen, um dieselben irre zu führen, wobei natürlich große Vorsicht und Gewandheit erforderlich ist. Die be stehenden Drahtverbindungen sind nicht zu zerstören , sondern nur auf den Ab zweigungspunkten aus ihrer leitenden Verbindung zu lösen; die vorgefundenen Apparate sind nicht zu entfernen , noch viel weniger zu zerstören ; doch ist die sorgfältigste Bewachung der abgeſchloſſenen Stationsräume anzuordnen. Seitlich sich verzweigende feindliche Telegraphen-Linien laden zur Entsendung von kleinen Streifcorps ein, um sich entweder in die feindliche Leitung einzuschalten und die Correspondenz mitzulesen oder um Linien zu zerstören. Andererseits nöthigen diese Umstände zu einer guten Ueberwachung der eigenen Telegraphen-Leitungen, besonders da, wo sie durch Wälder und durch bewohnte Orte führen. Dieselben Rücksichten führen auf die auch sonst gebotene Regel, die den militairiſchen Zwecken dienenden Telegraphen-Linien im Allgemeinen parallel zu den Operations richtungen herzustellen ; nur in ausgesprochenen Positionen und hinter besetzten Vertheidigungs-Abſchnitten dürften Transversal-Linien - der Front parallel — mitunter nicht zu umgehen sein. Die Etappen - Telegraphen - Abtheilung hat eine für das Armee Commando nußbare Verbindung sogleich herzustellen , soweit möglich unter Ver werthung der noch vorhandenen Anlagen. An den Gestängen ist die oberste Leitung in der Regel am leichtesten zu verfolgen ; alle anderen werden daher un berücksichtigt gelassen und nur , falls sie zerrissen sind , durch Anbinden des Drahtes an die Stangen unschädlich gemacht. Bei der Revision und Wieder herstellung der Telegraphen-Leitungen ist das erste Erforderniß die genaue Unter suchung , ob versteckte Fehler vorhanden sind. Die häufigsten der Art werden. etwa folgende sein : Umwindung sämmtlicher Drähte mit feinem, wenig sichtbaren Stahldraht, Ableitungen zur Erde durch versteckt angebrachte Drähte, Einfügung eines dem Eisendraht gleichenden Stückes Guttaperchadraht , eingefeilte Stellen im Draht, wodurch der Querschnitt vermindert wird. Wirkliche Zerstörungen werden gewöhnlich nur in Defileen ausgeführt sein, wo auch die Straßen mit zerstört sind. Lücken im Gestänge sind mittelst her beigeschaffter Stangen zc. auszufüllen, nur im Nothfalle durch Verwendung von Feldgestänge. Die Staats - Telegraphie muß bereits im Beginne des Feldzuges der Aufgabe entsprochen haben, das eigene Netz nach der feindlichen Grenze hin zu rervollständigen, neue Leitungen und Stationen anzulegen, welche von der Haupt stadt und den Knotenpunkten im Lande radial auslaufend , dem Gegner immer möglichst die Spitzen der Verzweigungen darbieten. Nach Maßgabe des Vor 45*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

rückens der Armee schiebt die Central- Telegraphen-Verwaltung ihre Organe nach. Bei der Benutzung des feindlichen Netzes und bei der Vervollständigung des selben handelt es sich hauptsächlich um nachstehende zwei Gesichtspunkte : a) um Consolidirung der von der Etappen-Telegraphen- Abtheilung hergeſtell ten Leitung und Herstellung eines zweiten , dritten 2c. Leitungsdrahtes an dem Gestänge je nach Bedürfniß ; b) um betriebsfähige Herstellung einer zweiten Linie unter Benutzung seine licher Staatsgestänge oder durch Aufſtellung einer provisorischen Telegraphen Linie, welche mehrere Drähte zu tragen im Stande sein muß. Die der Etappen- Telegraphie gestellte Aufgabe : die Sicherstellung der Arme gegen telegraphische Communicationen des Feindes mit den rückwärts gelegenen Landestheilen, sowie das Aufsuchen versteckter Fehler, muß endlich in der gründ lichsten Weise von der Staats-Telegraphie vervollständigt werden.

B. Bei der Defenſive. Die von der Defensive für die Telegraphie gebotenen Maßregeln betreffen jowohl: a) die rein zu militairiſchen Zwecken angelegten und denselben dienenden Leitungen, als auch b) das Staats-Telegraphennetz außerhalb des Kriegstheaters und deſſen rück wärtige Verbindungen , und vornehmlich das Verhältniß jenes Nezes zu allen Nachbarländern. Wie die beste Hülfe der Vertheidigung im beherzten Angriffe liegt, so wird auch der Staat gegen die Mißbräuche seiner telegraphischen Anlagen am besten gesichert sein, welcher zu deren ausgiebiger Benutzung die Initiative ergreift, welche, wie schon angedeutet , eine umsichtige , rührige Ausbeutung der Vortheile mit sorgfältiger Ueberwachung gegen etwaige Nachtheile verbindet. Die beim Rückzuge der Armee bedingten Defenſiv - Anordnungen werden noch der Modi fication unterliegen können , je nachdem die Bewegung geschieht , um die Kräfte durch Rückwärts - Concentriren zu sammeln und auf's Neue vorzugehen, oder eb für den dermaligen Feldzug keine Wiederkehr auf das zu verlassende Gebiet in Aussicht zu nehmen ist. Bei so ausgesprochener stricter Defensive ist die Be hinderung des Gegners in der Benutzung der aufzugebenden Telegraphen-Anlagen in ausgedehnteſter und wirkſamſter Weise vorzubereiten. Vor dem Verlaſſen der besetzten Gegend sind alle permanenten Gestänge zu entfernen und durch flüchtige Feldleitungen zu ersetzen , die ihrerseits nach Maßgabe des allmäligen Rückzuges fortgenommen werden. Eine solche Isolir - Zone , als deren Breite 10 Meilen (3-4 Tagemärsche ) genügen dürfte , wird besonders vortheilhaft sein, wo sie hinter markirten Terrain- Abschnitten angelegt werden kann. Weiter rückwärts, wo die Truppenkörper für ihre Verbindungen das Staatsnetz vorfinden , iſt dieſes durch fühlhornartige Verzweigungen mit Stationen in Entfernungen von 2 bis 3 Meilen zu ergänzen. In ähnlicher Weise sind längs der bedrohten Küsten sämmtliche Verkin dungen zu unterbrechen; in der Nähe der zu Landungen brauchbaren Stellen sind dagegen Stationen anzulegen , damit feindliche Unternehmungen gegen die Küste sofort signalisirt werden können . Die Thätigkeit der Organe der Telegraphie würde sich in der Defenſive, wobei die abziehenden Truppen für Aufnahme der eigenen Beamten und Appa rate zu sorgen haben, etwa folgendermaßen gestalten: Der Feldtelegraphen - Abtheilung liegt die Einrichtung der in der

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken.

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rorbereitenden Jolir-Zone herzustellenden flüchtigen Linien und Stationen, event. unter Beihülfe der Etappen - Telegraphie , ob. Von der inneren Grenze der --isolirten Zone an geht die Feldtelegraphen-Abtheilung welche ja die Verbin dung zwischen dem Hauptquartier und anderen Quartieren zu bewerkstelligen hat - mit ersterem zurück und stellt flüchtige Leitungen her, falls dieſe zur Er gänzung des angetroffenen Staatsnezes noch zu wünschen sein sollten . Die Etappen Telegraphen Abtheilung wird zu der ihr obliegenden Verbindung des Hauptquartiers mit der Staats- Telegraphie nur in dem Falle besondere Linien anzulegen haben, wenn die Armee von ihrer Operationslinie abgedrängt wäre ; sonst wird das Hauptquartier beim Rückzuge überall auf ein ausgebildetes mit zahlreichen Stationen versehenes Telegraphennet stoßen. Die Staats - Telegraphie ist bei der Defensive in der Kriegführung zu einer dauernden und unausgesetzten Mitwirkung in fast höherem Grade noth= wendig , als bei der Offensive. Die gründliche Beseitigung aller Telegraphen Anlagen in der Jolir - Zone verlangt umsichtige und energische Ausführung : Apparate und leicht transportables werthvolles Material sind mitzunehmen, Ge stänge zu verbrennen oder zu zerschneiden, Kabel in Flüssen zu trennen und ab zuſchwenken, unterirdische Leitungen an wieder auffindbaren Punkten durchzuſchnei den u. dgl . m. Bei eiligem Rückzuge und bei der Aussicht auf baldiges Wieder rorgehen werden nur partielle Zerstörungen vornehmlich da durchgeführt, wo die Wiederherstellung schwierig und zeitraubend ist, in Defileen, Ueberführungsſäulen, an Viaducten , in Dörfern und Ortschaften. Hier ist auch das Anbringen ver deckter Fehler, deren bereits Erwähnung gethan, ein Mittel, den Gegner zu Ar beiten und Untersuchungen, zeitraubender als ganz neue Anlagen, zu veranlaſſen. Systematische Ausführung aller dieser Arbeiten und genaue Anweisung an die Stations -Beamten , wie sie sich vor und beim Verlassen der Stationen zu ver halten haben , sind hierbei unumgänglich nothwendig. Der Verwerthung der Telegraphie im Festungskriege ist im Vor stehenden nicht speciell Erwähnung geschehen, weil dabei nach analogen Grund sähen verfahren wird. Im Allgemeinen wird hier die vorhandene Muße die Anwendung vielfältiger Mittel gestatten, so daß auch zu untergeordneten Zwecken telegraphische Verbindungen eingerichtet werden können , bei denen meist die Stangen und oberirdisch geführten Drähte durch unterirdische Kabel -Leitungen erſetzt sein werden.

4. Befchichtliche Notizen über die Militair-Telegraphie. Die nachstehenden Notizen können bei den über diesen Gegenstand nur spärlich fließenden Quellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen; sie geben aber vielleicht Veranlassung, durch Veröffentlichung anderweiter Notizen das hier Gegebene zu ergänzen und auf diese Weise ein Gesammtbild der Entwickelung und des heutigen Zustandes der Militair-Telegraphie zu erhalten. 1. Optische Feld - Telegraphie. Abgesehen von dem schon in den ältesten Zeiten üblichen Mittel, durch Feuerzeichen sich Mittheilungen zu machen, und wenn man die auf anderen Verhältnissen beruhenden Verständigungen der. Schiffe untereinander und mit dem Lande durch Flaggensignale unberücksichtigt läßt , wurde erst im Jahre 1789 durch die Erfindung des Franzosen Chappe ein verhältnißmäßig einfaches telegraphisches System hergestellt. Sein optischer Telegraph bestand in einem Mastbaum mit einem am oberen Ende angebrachten drehbaren Arme , welcher an jedem Ende einen drehbaren Flügel trug. Die Stellung dieser Arme ließ sich durch Schnüre , welche über Rollen liefen, be=

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Militairische Jahresberichte für 1874.

liebig verändern. 49 deutlich unterscheidbare Stellungen der Arme lieferten Signale, die mit Hülfe eines Signal - Coder verdeutlicht wurden. Im Jahre 1793 ließ die Französische Regierung die erste derartige Linie zwiſchen Paris und Lille ――― mit 22 Zwischenstationen herstellen , auf der Depeschen in 22 Minuten befördert wurden, während man bisher 30 Stunden dazu gebraucht hatte. In Folge dessen waren einige Jahre später die bedeutenderen Städte Frankreichs unter sich und mit den Nachbarstaaten telegraphisch verbunden. In den Kriegen der Republik und des Kaiserreichs wurden diese Linien mehrfach benutzt ; die auf der Hand liegenden Unzuträglichkeiten des ganzen Syſtems, welche auch durch andere Versuche, wie die Mitführung von optische Telegraphen tragenden Wagen nicht gehoben werden konnten, machten dasselbe zur weiteren Einführung in den Feldkrieg ungeeignet und durch die Erfindung der elektriſchen Telegraphie zum größten Theil überflüssig. 3m Nordamericanischen Kriege waren jedoch noch Signalcorps für optische Zwecke organisirt. Während der Belagerung von Paris 1870-1871 correspondirte man , am Tage, durch Apparate , welche die Morsezeichen durc Lichtzeichen wiedergaben, mit den Bastionen und Forts. Dieser Apparat wurde später dahin verbessert , daß ein Lichtstrahl durch ein starkes Objectiv geschickt wurde; seine Unterbrechungen entsprachen ebenfalls den Punkten und Strichen des Morse - Alphabetes. Er konnte sowohl bei Tage wie bei Nacht benut werden. Gegenwärtig ist in der Oesterreichisch - Ungarischen Armee der Feld ſignaldienst definitiv organisirt worden. Nach der dafür ausgegebenen In ſtruction ſoll bei jeder mobilen Truppendiviſion eine Signalabtheilung aufgestellt und diese mit einem vollständigen Apparate ausgerüstet werden , um auf große Entfernungen hin signalisiren zu können. Außerdem sollen aber auch in be sonderen Fällen für kleinere detachirte Truppenabtheilungen temporaire Signal stationen etablirt werden , welche die Verbindung dieser Abtheilungen sewebl unter sich als mit dem Gros vermitteln. Für die größeren Truppenkörper ſind Fuß- und Reiter - Signalstationen festgesetzt ; die ersteren zur Signalverbindung der Divisionen untereinander und mit dem Corps - Commando , die letzteren zur Verbindung von Avant- und Arrièregarden oder weit vorgeschobenen Recognes cirungs - Abtheilungen mit den Divisionen. Den commandirenden Generalen, den Befehlshabern großer Cavallerie- oder Artillerie- Abtheilungen sind jederzeit Reiter- Signalstationen beizugeben. Als Signaliſir - Methode werden bei Tage Flaggen, bei Nacht Fackeln oder Lampen benutzt. Im Sommer 1872 wurde zu Bruck a. d. Leitha bei der Armee - Schützenschule ein vierwöchentlicher Lehr Curjus für den optischen Signaldienst eröffnet ; derselbe umfaßte theoretische Vorträge über den Signaldienst, Uebungen im Chiffriren und Dechiffriren von Depeschen und Manöver mit Signalstationen. In Schweden ist im Jahre 1871 bei den Fortificationstruppen eine Feldsignal- Compagnie in Stärke von 4 Offizieren , 4 Unteroffizieren und 120 Mann errichtet worden. In England waren zu den Herbstmanövern des Jahres 1872 für den mit der Feld - Telegraphie zusammenhängenden optischen Signaldienst 15 m ziere und 60 Mann commandirt. Die einzelnen Stationen derselben , denen berittene Ordonnanzen zur Uebermittelung der Depeschen zugetheilt waren , er hielten besondere Nummern , im Ganzen 28. Die anrufende Station gab ihre eigene Nummer oder die der anzurufenden Station und da jede Brigade einer Station zugetheilt war , so wußte man stets , welche Brigade sich dort befand.

A

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken.

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Während der 7 Manövertage wurden die Signalſtationen vielfach gebraucht ; bei Nacht functionirten sie mit Kalklichtfackeln. Das Resultat war im Au gemeinen ein befriedigendes , obgleich manche Mißverſtändniſſe und übermäßige Verzögerungen in der Depeschen - Uebermittelung vorkamen ; namentlich ließ die Anwendung der Kalklichtfackeln viel zu wünschen übrig. 2. Akustische Feld - Telegraphie. Ihre Anfänge bestanden in dem in alten Zeiten gebräuchlichen Zurufe ron Berg zu Berg ; im 15. Jahrhundert wurde sie durch die Erfindung der Trommeln , später der Signalhörner vervoll kommnet. Ein Versuch , ein akustisches Telegraphensystem durch Sprachrohre herzustellen, scheiterte an den vielfachen ihm anhaftenden Uebelständen. 3. Elektrische Feld - Telegraphie. Da die ersten Telegraphenlinien im Jahre 1839 hergestellt und die Morse - Apparate erst im Jahre 1843 ein geführt wurden, so konnte die elektrische Feldtelegraphie sich nicht füglich früher entwickeln, als bis die Staatstelegraphie eine hinlängliche Ausdehnung und An wendung gefunden hatte. Abgesehen von der telegraphischen Verbindung der einzelnen Theile sehr großzer Festungen und der Etablirung von Militair Telegraphenlinien längs der Küste datirt daher die Einführung der elektriſchen Feldtelegraphie erst seit etwa 20 Jahren. Die hierbei von den verschiedenen Staaten befolgten Methoden und er langten Reſultate werden nachstehend kurz angegeben: a. Belgien. Nach dem im Jahre 1873 erschienenen Werkchen : ,,la télégraphie électrique de campagne par van den Bogaert , capitaine du génie ( 2. édit. Bruxelles. C. Muquardt) befindet sich der Feld Telegraphendienst in Belgien ganz in militairischen Händen und wird von einer der Genietruppe zugetheilten Compagnie versehen. Letztere zerfällt in 2 Theile. Der erste Theil , aus Unteroffizieren , Corporalen und einer Anzahl Leute be stehend , wird besonders in der Etablirung von Stationen, Kenntniß der Ap parate und Batterien und im Telegraphiren ſelbſt unterwiesen. Der zweite Theil, aus Arbeitern und Handlangern bestehend, wird im Bau und Abbau der Leitungen geübt. Eingeführt ist der Morse - Apparat , als Batterieſyſtem das von Marié- Davy. Als Leitung kommt sowohl der 1,5 mm. starke Kupferdraht, wie 5-5,5 Mm. ſtarker iſolirter Draht zur Verwendung ; letzterer aus drei 0,6 Mm. ſtarken, leicht zuſammengedrehten Kupferdrähten mit dreifacher Kautschukumhüllung bestehend. Die Fahrzeuge der Telegraphen-Abtheilungen bestehen in Stations wagen, in demselben ein completer Apparat mit dem für den arbeitenden Be amten erforderlichen Raum , außerdem ein zweiter als fliegender" Apparat zu Eenußender Wagen für iſolirten Draht ; Wagen für Kupferdraht und Werkzeug wagen. Die zum Bau einer Telegraphenleitung erforderliche Bau-Colonne ist bei reinem Kupferdraht : 1 Offizier, 1 Sergeant, 3 Corporale, 15 Mann, bei isolirtem Draht : 1 Offizier , 1 Sergeant, 2 Corporale, 10 Mann ſtark. Als Zeitleistung wird angegeben pro 7,5 Km. reine Drahtleitung 334 Stunden, pro 7,5 Km. iſolirte Drahtleitung 15% Stunden ; beim Abbau 212 resp . 2 Stunden. b. England. Die Engländer waren die ersten, welche den Telegraphen im Felde anwendeten und zwar während des Indischen Aufstandes. Sie ver banden jedes einzelne Truppencorps mit Calcutta durch gewöhnliche Telegraphen drähte, welche auf der bloßen Erde gestreckt wurden, und durch den durch die Sonne erhitzten Boden ausreichend isolirt waren. In Abyssinien wurde eine Telegraphenlinie zwischen dem rothen Meer und Magdala hergestellt; sie beſtand

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aus isolirtem Draht und verband ausschließlich das Hauptquartier mit dem Meer. Die in Chatham angestellten Versuche haben die ausschließliche Einführung des isolirten Drahtes in der Englischen Feld - Telegraphie zur Folge gehabt, wobei man wohl das neblige und feuchte Klima Englands berücksichtigt hat. Die Bedienung fällt der Pioniertruppe anheim, doch werden zur Zeit noch Civilarbeiter mitverwendet. Nach dem Journal of the society of telegraph-engineers 1873 Vol. I. No. 3 bestand bei den Herbstmanövern des Jahres 1872 das der Süd -Armee beigegebene Telegraphen-Detachement im Ganzen aus : 1 Director, 1 Gehülfen desselben, 1 Lieutenant, 35 Genie-Offiziere und Soldaten und einer halben Compagnie (2 Offiziere, 120 Mann) Pioniere. Während der 7 Manövertage wurden 41 (Engl.) Meilen Luftleitung und 13 Meilen isolirter Draht ge streckt. Während der 370 Stunden dauernden Benutzung des Telegraphen war die Verbindung 106 Stunden unterbrochen; hiervon kamen 8 Stunden auf Fehler in der Luftlinie, der Rest auf Fehler im isolirten Draht. Von 28 Tagen traten an 21 Tagen Störungen, mitunter 3 oder 4 an einem Tage, deren Ur sachen in den meisten Fällen nicht ermittelt werden konnten, ein ; dem Anschein nach entstanden sie öfter durch passirende Reiter, zuweilen auch aus Böswilligkeit. Danach werden als Nachtheile des auf der bloßen Erde liegenden iselirten Drahtes angeführt: die Leichtigkeit, mit der sich Fehler einstellen, die Schwie rigkeit sie aufzufinden, ſeine schnelle Abnutzung , der große Bedarf an Transport mitteln zu seiner Fortschaffung und die Leichtigkeit seiner Beschädigung. Ver geschlagen wird dafür eine Leitung von dünnem Kupferdraht auf leichten Stangen. -c. Frankreich. Nach dem im Jahre 1872 erschienenen Werkchen : Etude sur la télégraphie militaire et sur l'organisation du service télégra phique en campagne par Auréle Guérin, sous-lieut. d'art : à l'école de Fontainebleau (Paris, librairie militaire de J. Dumaine) wurden wäh rend der Belagerung von Sebastopol Telegraphenlinien , welche allerdings den Charakter permanenter Leitungen trugen , zum ersten Male angewendet. Im Jahre 1857 wurde im Kriege gegen die Kabylen (durch die Staatstelegraphie) Algier durch eine zusammenhängende Linie mit dem Hauptquartier des General Randon verbunden. Im Jahre 1859 benutte man in Italien die Feld - Telegraphenlinien nur zur Verbindung des Kaiserlichen Hauptquartiers mit Frankreich und zur Cer respondenz der Armee mit ihren Familien. Das Telegraphen-Perſonal bestand aus 1 Director, 5 Inspectoren, 12 Stationsbeamten, 28 Aufsehern. Die Zahl der Stationsbeamten mußte bald auf 28, später auf 34 erhöht werden. Das Material (Morse-Apparate, Stangen, Leitungsdraht 2c. ) wurde auf 14 Wagen fortgeschafft; das Perſonal war in drei Brigaden getheilt, zwei mit je 7 Fahr zeugen sollten die Linien bauen ; die dritte Brigade war mit der Einrichtung des in Vercelli beginnenden Betriebes betraut. Der letztere functionirte nur mangelhaft, da die Beamten alles fehlende Material vom Lande requiriren ſollten und dies auf erklärliche Schwierigkeiten stieß. Im Jahre 1863 wurden im Lager von Chalons Versuche mit iſolirtem Draht, aus 4 zuſammengedrehten Stahldrähten, die von, mit getheertem Bande umwickelter, Guttapercha umgeben waren, mit gutem Erfolg angestellt. Die Schwierigkeiten jedoch, die beim Auslegen und Wiederaufwickeln und beim Trans port des Drahtes entstanden, ließen diese Versuche scheitern. 1866 wurden zu Vernon neue Versuche mit isolirtem Draht angestellt, von denen der aus 5 zu

Telegraphie und deren Anwendung zu militairiſchen Zwecken.

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sammengedrehten Stahldrähten, die spiralförmig mit getheertem Leinwandband , mit Guttapercha und wieder mit getheertem Band umgeben resp. umflochten waren, bestehende Draht, 5 Mm. stark, zwar schwer war, aber große Wider standsfähigkeit gegen das Zerreißen hatte. 1867 wurden diese Versuche zu Satory unter Leitung des Marschall Niel fortgesetzt und 1868 wurde von der hierfür eingesetzten Commission Folgendes vorgeschlagen : Als Apparat wird der Morje-Apparat mit Aenderungen von Digney unter dem Namen poste mili taire eingeführt, d. h. ein gewöhnlicher, in einem Kasten stehender Morse Apparat in sehr kleinen Abmessungen. Die Batterie besteht aus Marié-Davy schen Elementen. Der geglühte Kupferdraht ist 1,6 Mm. stark ; der isolirte Draht besteht aus 5 sehr dünnen, zuſammengedrehten Kupferdrähten, welche mit Baumwollenband umwickelt, mit Guttapercha, demnächst mit Werg und endlich mit einer zweifachen spiralförmigen Umwickelung von mit vulkanisirtem Kautschuk getränktem Baumwollenbande umgeben sind. Die Fahrzeuge bestehen in: Stationswagen. Jm vorderen Raum desselben ein Apparat mit 2 Batterien und Raum für 2 Beamte; im hinteren Raum 8 Drahtrollen. Drahtwagen für blanken und iſolirten Draht und für die zum Bau erforderlichen Materialien und Werkzeuge. Für Gebirgsgegenden ist eine ,,fliegende Station" vorgesehen. Zwei Maulthiere, von denen das eine zwei in Ketten hängende Drahtrollen, das andere einen Apparat, Batterie nebſt Zubehör, einen dreifüßigen Schemel zum Aufstellen des Apparats und ein Zeltdach zum Schutz des Beamten trägt. Die Baucolonne ist 1 Offizier, 1 Unteroffizier, 2 Corporale und 12 Mann stark; als Zeitleistung wird angegeben : pro 7,5 Km. reine Drahtleitung 334 Stunden, pro 7,5 Km . isolirte Drahtleitung 12-17 % Stunden ; beim Abbau an nähernd die Hälfte wie beim Bau. Pro Armee-Corps : eine Feld-Telegraphen-Abtheilung mit 2 Stations-, 4 Drahtwagen und einer fliegenden Station. Hierzu pro Stationswagen 2 Baucolonnen zu 15 Mann, außerdem 20 Mann zum Abbau der rückwärtigen Linien, giebt unter Hinzurechnung von Ordonnanzen, Handwerkern 2. pro Ab theilung 90 Mann. Rechnet man ferner pro Abtheilung 3 Offiziere, 40 Trainunteroffiziere und Soldaten, sowie 4 Telegraphisten hinzu, so besteht die aus 4 Feld-Telegraphen Abtheilungen bestehende Feld-Telegraphen-Brigade (unter Hinzurechnung einiger Offiziere , Unteroffiziere und Fahrzeuge) im Ganzen aus : 15 Offizieren, 60 Unteroffizieren , 60 Corporalen, 430 Soldaten, 250 Pferden und Maul thieren und 50 Fahrzeugen. Der Feld-Telegraphendienst wurde - unter Ausschluß aller Civilbeamten den Genietruppen überwiesen. Marschall Niel hatte die Aufstellung einer solchen Feld-Telegraphen-Brigade angeordnet ; das gesammte Material fiel aber während des Krieges 1870/71 in die Hände der Deutschen. Am 19. Januar 1871 ( Gefecht vor dem Mont Valerien) wurde auch ein sogenannter „Klopfer " (parleur) benutzt, bestehend aus einem Elektromagneten mit tönender Armatur. Ersterer befindet sich in einem mit Galvanometer und Schlüssel versehenen Kästchen und gestattet, mittelst einer kleinen Localbatterie Depeschen aufzugeben ; ankommende Depeschen werden nach dem Gehör aufge= nommen. Der den Klopfer tragende Beamte wickelt unterwegs einen leichten

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isolirten Draht ab und empfängt oder giebt, kommen, seine Depeschen.

an den bestimmten Punkt ange

d. Italien. Im Jahre 1861 verbanden sich zwei durch die Apenninen getrennte gegen Ancona marschirende Armee-Corps mittelst schnell hergestellter Telegraphenlinien fortdauernd miteinander. Das dabei zur Anwendung kom mende System war dem Preußischen nachgebildet. Vor Ancona selbst winte innerhalb zweier Tage die Verbindung der Armee und der Flotte, des großen Hauptquartiers und der Corps -Hauptquartiere untereinander und mit der Staates leitung durch Feld - Telegraphenlinien und Semaphoren hergestellt; im Gara 5 Stationen, jede mit einem Semaphoren. Dasselbe wiederholte sich vor Gast Nach der neuen Organisation des Italienischen Genie- Dienstes im Felle vom Jahre 1873 wird : 1) Jedem Armee- Corps eine aus 2 Genie-Comp . und 1 Genie- Corpépart bestehende Genie-Brigade beigegeben. Letztere sorgt unter Anderem auch für den Telegraphen-Dienst beim Corps -Hauptquartier. Die dazu bestimmte Telegraphen- Section besteht aus 1 Offizier, 35 Genie- und 40 Trainsoldaten, sowie aus 9 Wagen, 2 Reit- und 56 Zugpferden. 2) Jeder Armee werden beigegeben: a. cine Genie-Brigade, b. ein Armee-Geniepark und c. eine Telegraphen - Section. Letztere wird von der Armee- Genie Brigade verwaltet. 3) Beim großen Hauptquartier befindet sich eine Genic- Compagnie. Dieselbe versicht den dortigen Telegraphendienst und führt das Telegraphen Rejerve-Material mit sich. 4) Unter dem Commando des Oberfeldherrn ist die oberste Genie-Direction einem höhern Genie-Offizier anvertraut. Dieselbe besteht aus einem General-Lieutenant , einem Generalstabs- Oberſten , zwei Genie- Stabs offizieren , vier Subaltern- Offizieren , einem Telegraphen- und einem Eisenbahn-Inspector. 5) Jede Armee hat eine Armee - Genie- Direction mit 1 General ale Commandanten, 1 Generalstabs -Major, 1 Genie- Stabsoffizier, 3 Sub: altern-Offizieren, 1 Telegraphen- und 1 Eisenbahn-Inspector. e. Desterreich . Die ersten Versuche der Anwendung der elektrischen Feld Telegraphie fanden 1853 statt. Ein Wagen mit 2 Morje-Apparaten jdame einen 6000 Fuß langen Leitungsdrath und 50 Stangen fort; 16 Mann stellien damit in 2 Stunden eine etwas über 2000 Schritt lange Leitung her. Za Jahre 1866 war ihre Organisation der der Preußischen ziemlich ähnlich. Nach dem Normal- Verordnungsblatt für das k. k. Heer vom Jahre 187) wird für jede mobile Armee eine Feld-Telegraphen- Direction gebildet. Als Director derselben fungirt ein Ober-Beamter der Staats-Telegraphie. Jedem Armee-Commando, jedem Armeecorps - Commando , jeder ſelbſtſtändig detachuten Truppen - Division und jeder Armee-Intendanz wird eine Feld-Telegrarben Abtheilung dauernd zugewiesen. Die Abtheilungen führen fortlaufende Nummern und die Bezeichnung des Armee-Körpers, welchem sie zugetheilt ſind. Die Materialien, Apparate, Requisiten 2c. liefert die Staatstelegraphic gegen Bezahlung. Die Mannschaften zum Bau werden zur Hälfte von de Pioniertruppe, zur Hälfte von der Infanterie gestellt. Die erforderlichen Fabr

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken.

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zeuge nebst Bespannung und Mannſchaften ſtellt das Militair-Fuhrweſens -Corps . Hierbei soll: der 3spännige Materialwagen : Baumaterial für 1/2 Meile Drahtleitung incl. der erforderlichen Requisiten, der 3spännige Kabelwagen : 2 Meilen Guttaperchadraht (Kupferlige von 4 Drähten mit 2maliger Guttapercha-Umpreſſung ; 31/4 " Durchmesser), der 2spännige Apparatwagen : 3 Stations-Einrichtungen, die 2spännige Kalesche : 2 Beamten und 1 Ordonnanz fortschaffen. Danach beträgt der Stand an Personal, Material, Fuhrwerk und Bespan= nung bei einer mobilen Armee: 1 ) Bei der Feld- Telegraphen-Direction: 1 Director, 1 Kanzlist, 1 Ordon nanz, 1 Kalejche, 2) Bei der Feld-Telegraphen-Abtheilung eines Armee-Commandos : 12 Beamte, 3 Leitungsaufseher, 3 Unteroffiziere, 36 Mann zum Bau, 12 Materialwagen à 1/2 Meile = 6 Meilen Leitung, hierzu 5 Unter offiziere, 32 1 Kabelwagen = 2 Meilen Leitung, Trainjeldaten mit 3 Apparatwagen für 9 Stationen, 64 Reit- und 6 Kalejchen für 12 Beamte, Zugpferden . 1 Rüstwagen für Fourage, 3) Bei der Feld- Telegraphen-Abtheilung eines Armee - Corps oder einer Armee-Intendanz : 4 Beamte, 1 Leitungsaufseher, 2 Unteroffiziere, 22 Mann zum Bau, 4 Material-, 1 Apparatwagen, 2 Kaleſchen. Hierzu 1 Unteroffizier, 10 Trainjoldaten mit 19 Reit- und Zugpferden. Außerdem wird bei der Armee-Intendanz eine Reserve an Drahtleitung (für jede Armee-Corps-Telegraphen-Abtheilung 2 Meilen) bereit gehalten , zu deren Fortſchaffung 44 Rüstwagen bestimmt sind . Anzuführen ist ferner, daß die Telegraphen-Beamten und Leitungsaufseher bei den Feld-Telegraphen-Abtheilungen aus den Beamten der k. k. Staats Telegraphie entnommen werden, daß als Apparat das Morſe- Syſtem angenommen ist und daß eine Bestimmung über die zur Verwendung gelangende Batterie erst im Mobilmachungsfalle erfolgen soll. Zum Bau kurzer Telegraphenlinien sind : 1 Beamter, 1 Leitungsaufseher, 1 Unteroffizier, 12 Mann erforderlich ; die Zahl der letzteren wird für längere Leitungen verdoppelt. f. Preußen. Im Jahre 1856 wurde in Preußen das erste transportable Feld- Telegraphen- System zum Gebrauch im Kriege festgestellt. Dasselbe diente aber erst bei der Mobilmachung zur Formation von Feld-Telegraphen-Abthei lungen, deren jede unter dem Befehl eines Ingenieur-Hauptmanns ein Detache ment Pioniere zum Bau der Leitungen, eine Anzahl Beamte der Staatstelegraphie zur Besetzung der Stationen und Wahrnehmung des Telegraphendienstes, endlich die nöthigen Trainjoldaten und Pferde zur Bespannung erhalten sollte. Zwei solcher Abtheilungen fanden 1864 im Deutsch- Dänischen Kriege Ver wendung. Jede derselben war 2 Ingenieur-Offiziere, 1 Arzt, 12 Beamte der Staatstelegraphie, 79 Unteroffiziere und Pioniere und 1 Offizier und 45 Unter offiziere und Trainjoldaten stark. Auf 6 6spännigen Requisiten- und 3 2spännigen Stationswagen führten sie das Material für eine 3 Meilen lange Leitung aus blankem Kupferdraht, sowie für eine 11½ Meilen lange Leitung aus iſolirtem Draht nebst 10 Morje-Apparaten und Batterien mit. Im Feldzuge von 1866 waren 4 Feld-Telegraphen-Abtheilungen thätig ; auch waren, der Armeeeintheilung entsprechend, 3 Feld- Telegraphen- Inspectionen

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eingesetzt worden, welche für die Verbindung der Feld -Telegraphenſtationen mit dem Staats -Telegraphennetz zu sorgen hatten. Die Organisation der ersteren war der vom Jahre 1864 fast ganz gleich. In beiden Kriegen hatte ein höherer Ingenieur-Offizier die Leitung des Telegraphenwesens auf dem jedesmaligen Kriegsschauplatz übernommen . In Folge der Erfahrungen des Jahres 1866 fand eine Reorganisation des Feld-Telegraphenwesens statt, so daß beim Ausbruch und während des Krieges 1870/71 7 Feld-Telegraphen-Abtheilungen und 5 Etappen-Telegraphen- Abthei lungen in Wirksamkeit traten, deren Leitung wiederum ein höherer Offizier als Chef der Militair-Telegraphie übernahm. Zwei Bayerſche Feld-Telegraphen Abtheilungen und 1 Württembergische wurden in gleicher Weise an den gemein samen Aufgaben betheiligt. Während die Herstellung der Verbindungen zwischen den Hauptquartieren der Armee und den einzelnen Armee- Corps den Feld Telegraphen-Abtheilungen oblag , sollten die Etappen-Telegraphen- Abtheilungen die telegraphische Verbindung zwischen dem Hauptquartier des Armee- Commandes und dem Staats - Telegraphennetze herstellen und betriebsfähig einrichten. Der Etat einer Feld - Telegraphen - Abtheilung betrug : 3 Ingenieur Offiziere, 1 Arzt , 7 Telegraphen-Beamte , 90 Unteroffiziere und Pioniere, 1 Offizier und 47 Unteroffiziere und Trainjoldaten. An Fahrzeugen hatte jeze Abtheilung 6 6spännige Requisiten- , 3 2spännige Stations , 2 2spännige Beamten-Transport-, 1 4spännigen Leiter- und 1 2spännigen Packwagen . Mit dem auf diesen Wagen mitgeführten Material 2c. konnte eine 3 Meilen lange Leitung aus blankem, 1 Linie starken, Kupferdraht und eine 1½ Meilen lange Leitung aus isolirtem Draht ( ½ Linie starker verzinnter Kupferdraht mit einer doppelten Lage India Rubber und Band umgeben , über dem sich eine fernere Lage India Rubber befindet, die wiederum mit Band bedeckt ist) — zusammen also 412 Meilen Leitung - hergestellt werden ; außerdem 1000 laufende Fus Flußkabel. 10 Morje-Apparate mit Batterien aus je 10 Marié-Dary'schen Elementen waren zur Etablirung der Stationen bestimmt. Die Etappen- Telegraphen - Abtheilung bestand - unter einem Tele graphen-Director ― aus 2 Sectionen , denen Telegraphen- Inspectoren ver standen. Die erste für den Neubau (von 6 Meilen Länge) bestimmte Section war mit dem Material der Feld-Telegraphen - Abtheilungen ausgerüstet ; die Zweite für Reconſtruction (von 10 Meilen Länge) beſtimmte Section führte ein für stabilere Leitungen geeignetes Material. Jede Section bestand aus dem technischen Personal und dem Train , und zwar gehörte der ersten Section ein 35 Pioniere, der zweiten ein 24 Telegraphenarbeiter starkes Detachement an. Im Ganzen hatte die Abtheilung 8 Requisiten- , 7 Beamten - Transport- und 1 Packwagen. Alle diese Formationen beſtanden resp. bestehen im Frieden nicht , sondern werden erst im Kriegsfalle formirt. g. Rußland. Zu Ende des Jahres 1870 wurden in Rußland 6 Tele graphen-Parks errichtet und zu je zweien den Sappeur-Brigaden zu Warschau, Kiew und St. Petersburg zugetheilt. Diese Feld-Telegraphen-Parks hatten im Frieden die Bestimmung, das für die Kriegs- Augmentation bestimmte Telegraphen Material zu verwalten und eine hinlängliche Anzahl von Individuen im Tele graphen-Dienst auszubilden. Zu letzterem Zwecke befand sich bei der Sappeur Brigade in St. Petersburg die Lehrcompagnie für galvanische Zwecke, welche die für die Kriegs - Augmentation nöthigen Signaliſten ausbildete. Jeder Feld

Telegraphie und deren Anwendung zu militairischen Zwecken.

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Telegraphen-Park gliederte sich in drei Abtheilungen und zwar 1 fliegende, 1 mobile und 1 Reserve Feld-Telegraphen-Abtheilung. Nach der Reorganisation der Russischen Landmacht 1873 bestehen 7 Tele graphen-Parks, von denen 5 den Sappeur-Brigaden zugetheilt sind ( St. Peters burg , Warschau , Riga , Kiew und Tiflis). Der 6. und 7. Feld-Telegraphen park und außerdem noch eine fliegende Telegraphen-Abtheilung dienen für die Bedürfnisse der operativen Hauptquartiere. Die fliegenden Telegraphen-Abtheilungen besorgen die Herstellung der feldmäßigen telegraphischen Verbindung in der vordersten Linie. Die mobilen Telegraphen-Abtheilungen dienen zur Verbindung der Corps untereinander und mit dem Armee-Hauptquartier. Die Reserve- Abtheilungen haben die Be stimmung, zerstörte stabile Telegraphen-Leitungen wiederherzustellen . — Sämmt liche Cadres für die Feld - Telegraphen - Parks sollen im Frieden aufgeſtellt ſein . Im Kriege besteht der Stand einer: fliegenden Abtheilung aus 4 Offizieren , 140 Mann , 70 Pferden , 12 Wagen (darunter 3 Stations-, 7 Materialwagen), mobilen Abtheilung aus 4 Offizieren und Beamten , 136 Mann , 59 Pferden , 10 Wagen, Reserve-Abtheilung aus 2 Telegraphen -Beamten, 36 Mann, 20 Pferden, 4 Wagen ; folglich hat ein Feld - Telegraphen - Park 10 Offiziere und Beamte, 312 Mann 149 Pferde, 26 Wagen. Das Material einer fliegenden und einer mobilen Abtheilung genügt zur feldmäßigen Herſtellung einer 10-11 Meilen langen telegraphischen Verbindung. Die Reserve-Abtheilung ist mit Material zur Herstellung einer 10 Meilen langen stabilen Telegraphen-Leitung dotirt. Für den Feldkrieg in Europa sind mithin nach Abrechnung des der Kau kasischen Sappeur-Brigade in Tiflis zugetheilten Telegraphen-Parkes 6 Parks und 1 fliegende Abtheilung (letztere ist dem Telegraphen-Park in St. Peters burg zugetheilt in der Totalstärke von 64 Offizieren und Beamten, 2012 Mann und 168 Wagen) disponibel . h. Spanien. Während des Maroccanischen Krieges war die Spanische Armee beständig durch eine Feld-Telegraphen-Leitung (unter Anwendung von Morje-Apparaten) mit ihrer Operationsbasis verbunden; das gesammte Material war jedoch noch sehr verbesserungsbedürftig . Die politischen Verhältniſſe Spa niens haben seitdem Fortschritte auf diesem Gebiete nicht zu Tage treten lassen. i. Nord - America. Während des Secessions -Krieges wurde ein aus gedehnter Gebrauch von der elektrischen Feld-Telegraphie gemacht, und da die Telegraphen-Linien des Landes Privat-Geſellſchaften gehörten , so konnten sie während des Bürgerkrieges nicht benutzt, sondern es mußte von Grund aus ein Telegraphen-Personal und Material geschaffen werden. Nichtsdestoweniger wurden. in noch nicht 3 Jahren 8521 Km. Drahtleitung, 160 Km. ſubmarine Leitungen gestreckt. Der Transport der Morse-Apparate und des Materials geschah in der Regel durch Fahrzeuge, in schwierigerem Terrain durch Maulthiere. Der isolirte, 4,5 Mm. starke Draht bestand aus 7 verzinkten , mit vul kanisirter Guttapercha umgebenen , Kupferdrähten ; später aus 7 zusammenge drehten Eisendrähten in einer doppelten Kautschukumhüllung. Dieser Draht hat sich in jeder Beziehung bewährt. Außerdem wendeten die Americaner , um sich über die Bewegungen der feindlichen Truppen zu orientiren, ballons captifs an ; dieſe waren durch Tele

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Militairische Jahresberichte für 1874.

graphen-Drähte, welche an die Ballons haltenden Taue befestigt waren, mit dem Hauptquartier verbunden. Für die Bedienung des Feld-Telegraphen war ein besonderes militairisches Signal-Corps (auch für optische Zeichen) organiſirt. Nach dem Annual report of the Chief Signal Officer for the year 1872 besteht gegenwärtig ein Feld- Telegraphen-Train aus : 1 Batterie-, 4 Draht und 4 Stangenwagen und ist in 4 Sectionen getheilt, die selbstständig operiren können. Der Batteriewagen ist das Centralbureau oder Hauptquartier. hält 4 Apparattische, die nöthigen Batterien für 4 Linien von 8 Meilen Läng (Morje- Apparate mit Daniell'scher Batterie) , Instrumente für jeden Tiid, 4 Erdverbindungsstangen , Vorrath an Batterie-Material, Siße für 4 Beamte und einen Ofen; 2spännig . Der Drahtwagen enthält einen Apparattich, eine Batterie, einen Sitz, eine Erdleitungsstange, 10 Rollen Draht à 1 Meile und Werkzeuge ; bei guten Wegen 2 , sonst 4 Pferde. ――――― Der Stangen wagen trägt 250 Stangen , 400 Isolatoren und Werkzeuge; Sechsgespann von Maulejeln. Der Train kann mithin seine Linien radienförmig zu dem Batteriewagen in vier Richtungen anlegen, oder die vier Sectionen können eine einzige Linie von 40 Meilen (Englisch) ausführen, wobei Stationen am Ende und 3 Zwischen stationen möglich sind . Das Leitungs-Material besteht aus : eisernen Leitungsdrath (Nr. 15) : 1 Meile = 75 Pfund schwer, patentirtem Leitungsdraht : Kern von Stahl mit einer Umhüllung von Kupfer, isolirtem Draht: angewendet, wo der Draht auf der bloßen Erde liegen mu Derselbe besteht aus 5 Drähten, in der Mitte, der Festigkeit wegen, ein Stakle draht , die 4 äußeren spiralförmig umgelegten Drähte von Kupfer ; iſolirt mit einem Präparat von Kautschuk. ――――

Bericht über die Entwickelung

1.

des Kriegsſpiels.

Gefchichte und Literatur des Kriegsfpiels bis zum Jahre 1874.

Das Kriegsspiel ist ursprünglich aus dem Schachspiele entstanden. Die Idee, das Schachspiel, welches ja auch eine Art kriegerischen Spieles ist, derart umzugestalten, daß dasselbe mehr als bisher den Krieg zu versinnlichen und die Richtigkeit verschiedener militairischer Grundregeln anschaulich zu machen im Stande sei , ist allerdings naheliegend und besonders zu einer Zeit , in welcher das Schachspiel selbst in hoher Blüthe war , und der Krieg noch jenen Bei geschmack mathematischen Calcüls hatte , der die Theorie des Krieges einem Schach-Leitfaden nicht ganz unähnlich machte. So entstand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein Spiel, welches man Kriegsspiel nannte und welches als der Urheber unseres heutigen Kriegsspieles anzusehen ist. Im Vergleich jedoch zu dem letteren würde es

Entwickelung des Kriegsspiels .

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zweckmäßiger erscheinen, die ursprüngliche Art des Spieles , welche alle Aeußerlich keiten des Schachspieles beibehalten hatte , mit den Namen des Kriegsschach spieles zu bezeichnen. Das Kriegsschachspiel hat eine nicht unbedeutende Literatur. Durch das Be streben, das Spiel dem Kriege selbst möglichst ähnlich zu machen, entstanden durch fortwährende Verbesserung die verschiedensten Arten desselben, deren Veröffent lichungen bis in das zweite Viertel des jetzigen Jahrhunderts und weit über die Entstehung des Reißwitz'schen Kriegsspiels hinausreichen. Die beiden bedeutendsten Förderer des Kriegsschachspiels sind Venturini und Hellwig. Der lettere, Herzoglich Braunschweigischer Pagenhofmeister und Professor der Mathematik und der Naturgeschichte , hat die ersten Versuche des Kriegsschachspiels bekannt gemacht und ist wohl als der Erfinder des Spiels zu betrachten. Seine ersten Veröffentlichungen datiren aus dem Jahre 1780.*) Die größte Vollkommenheit seines Spiels wird durch die in Braunschweig 1803 erschienene Schrift: „ Das Kriegsspiel , ein Versuch, die Wahrheit ver schiedener Regeln der Kriegskunst in einem unterhaltenden Spiele anschaulich zu machen , von Dr. J. C. L. Hellwig " repräsentirt. Venturini's Kriegsschachspiel ist in seinen Anfängen und in seiner letzten Entwickelung in folgenden zwei Werken zu verfolgen: "1 Venturini , neues Kriegsspiel, Schleswig 1798 " und "Venturini , neues Kriegsspiel zum Gebrauch in Militairſchulen , Leipzig 1804. " Außerdem sind jedoch noch viele andere um die Vervollkommnung des Kriegs schachspiels verdiente Namen zu nennen: Giacometti , Opiz** ) (Halle 1807), Glöden (Hamburg 1817) , Perkuhn (Hamburg 1818) , Piljach , von Planer (Wien 1834) u. a. m. Da das Kriegsschachspiel durch das von Reißwitz begründete Kriegsspiel vollständig verdrängt und wahrscheinlich nur sehr wenigen der Leser der „Jahres berichte" bekannt sein wird , so soll für diejenigen , welche sich für die Vor geschichte des Kriegsspiels interessiren, in nachfolgenden Andeutungen eine flüchtige Skizze des Kriegsschachspiels entworfen werden. Das Terrain des Kriegsschachspiels war wie das des Schachspiels aus quadratischen Feldern zusammengesett , welche jedoch bei ersterem weit zahlreicher vertreten waren wie bei letterem ; das Hellwigsche Spiel besaß deren 1617. Die verschiedenartige Terrain beschaffenheit wurde durch diese Felder in nachfolgender Weise ausgedrückt. Die schwarzen und weißen Felder, welche wie auf dem Schachbrett abwechselten, bedeuteten Ebene , oder solchen Grund, über welchen hin alle Waffengattungen sich frei und ungehindert bewegen können ; grüne Quadrate bezeichneten einen Grund, der zwar die Wirkung des Feuer gewehrs nicht einschränkt, aber nicht von Truppen passirt werden kann , z . B. Leiche, Seen, Weichland u. s. w.; rothe Felder stellten alle diejenigen Gegenstände dar , über welche weder die Feuerwirkung noch der Marſch der Truppe möglich ist , z . B. Felsen, unpaſſirbare Gebirgsgegenden, undurchdringliche Wälder; eine Reihe blauer Felder bedeu tete Waſſerlinien, welche zu überbrücken sind, d. h. Flüsse, Bäche, Canäle u. f. w.; Dert lichkeiten im engeren Sinne , d. h. Gebäude, Dörfer, Städte und Waldstücke wurden je nach ihrer Ausdehnung durch einzelne oder mehrere roth und weiße Felder bezeichnet; die gelben Felder endlich, welche in zuſammenhängender Linie aneinandergelegt wurden , bedeuteten Communicationen, auf welchen allein die Truppen ihre Bedürfnisse erhalten können, und durch deren Beseßung Seitens des Feindes den vorstehenden Corps Verpfle gung ***) und Ersatz erschwert oder abgeschnitten wird. *) Hellwig, Versuch eines aufs Schachspiel gegründeten taktischen Spieles . 2 Bände. Leipzig 1780-82. **) Das Opit’ſche Kriegsſpiel , ein Beitrag zur Bildung künftiger und zur Unterhal tung erfahrener Taktiker. Halle 1807 . *** ) Die Verpflegung der damaligen Zeit beruhte allein auf der Nachführung von Lebensmitteln aus rückwärts gelegenen Magazinen.

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Diese Felder, welche die ungefähre Größe eines Quadratzolles besaßen, bildeten eine Spieltafel, welche etwa 412 Fuß lang und 3 Fuß breit war. Sie waren entweder ge zeichnet und auf Pappe gezogen, wodurch das Terrain stets daſſelbe blieb, oder der Avvarat war derart eingerichtet, daß die Tafel innerhalb eines Rahmens durch ebensoviel Würfel zuſammengesezt wurde, als Felder dargestellt werden sollten, wobei man dadurch, daß die 6 Seiten eines Würfels mit den verschiedenen Farben, welche die Felder haben konnten, versehen waren, jedes beliebige Terrain zusammensehen konnte. Die Tafel war in der Mitte mit einer punktirten Linie durchzogen, welche die Landes, grenze beider Parteien darstellen sollte. Damit es möglich war , einzelne Punkte und Terrainabschnitte zu bezeichnen , war jedes Feld mit einer Nummer versehen , außerden der Kriegsschauplah durch leicht punktirte Grenzen noch in Provinzen eingetheilt , wilde durch Buchstaben benannt wurden. Für jede Partei war in der äußersten Ecke ihres Kriegsschauplages eine sogenan Festung" angebracht, welche mit Bezeichnungen für Wall, Graben und sonstige Hindernise versehen, das „Object der Operationen“ für den Gegner bildete, denn sie spielte dieſelbe Rolle, wie der König im Schachſpiel , insofern von der Wegnahme dieser Festung oder vielmehr des äußersten Eckfeldes derselben, der sogenannten „Citadelle“ , der Gewinn oder der Verlust der Partie abhing. Die Truppen wurden durch Figuren dargestellt , welche den Figuren des Schachſviels vollkommen ähnlich waren. Man unterſchied in der Regel drei Arten von Figuren: Ins fanteristen, Cavalleristen und Geschütz. Manche Spiele machten noch einen Unterschied zwischen schweren und leichten Cavalleristen, schwerem und leichtem Geschüß. Die Truppen bewegten und schlugen sich nach bestimmten Gesetzen analog dem Schachspiel. Die Bewegung war z . B. in dem Hellwigschen Kriegsschachſpiel derart feſtgeſtellt, daß die Infanterie und Cavallerie sich nach allen Richtungen in graden Linien bewegen konnten, wie die Königin des Schachspiels , die Infanterie in jedem Zuge um 8 Felder die schwere Cavallerie um 12, die leichte um 16 Felder ; die lettere hatte außerdem noch den Zug des Springers im Schachspiel. Die Artillerie dagegen konnte sich nur bewegen wie die Thürme im Schachspiel, d. h. nicht durch die Diagonalen. Für das Schlagen der Truppen war Feuerwirkung und Angriff mit der blanken Waffe unterschieden. Außerdem war die Möglichkeit des Schlagens und der Zerstörung von Brücken, der Anlage von Verschanzungen u. s. w. vorgesehen und durch Regeln geordnet. Die beiden Spieler , von denen jeder eine Partei vertrat, erhielten zu Anfang des Spiels eine gleiche Anzahl Truppenfiguren, welche sie vor Beginn des ersten Zuges be liebig an ihrer Grenze gruppiren konnten. Doch war auch der Fall vorgesehen, daß auf jeder Seite mehrere Spieler vorhanden waren, von deuen dann einer den Oberbefehl führte. Diese wenigen Andeutungen mögen genügen , um ein flüchtiges Bild des Kriegsschachspieles zu liefern. Wer das Urbild des Kriegsspiels näher kennen zu lernen wünscht, ohne daß ihm die oben angeführten Schriften zur Verfügung stehen , findet in den von F. W. v. Mauvillon herausgegebenen Militairiſchen Blättern, Jahrgang 1822 , 2. Band , einen Aufſatz : „ Ueber die Verjuce, die Kriegführung durch Spiele anschaulich zu machen , und deren Anwendung zum Unterricht in Militairschulen , " welcher Artikel nicht nur eine eingehende Beschreibung des Spieles giebt , sondern auch den Verſuch macht, den Nutzen desselben in militairischer Hinsicht darzuthun. Das Kriegsschachspiel hat zu Anfang dieses Jahrhunderts einen gewiſſen Cultus erfahren, wie schon aus den zahlreichen Versuchen seiner Herstellung und Vervollkommnung hervorgeht. Um das Bild dieses Spieles zu vervollständigen und die Bedeutung, welche ihm zu damaliger Zeit beigelegt wurde , darzuthun. sei es vergönnt , hier einige Säße aus dem eben angeführten Aufſage der Militairischen Blätter zu citiren : „Ein oder ein Paar solcher Spiele, in Militair- Inſtituten oder Schulen, halte ich für das beſte Mittel, dem Zögling auf eine kurze, angenehm und unterhaltende Weiſe viele sehr wichtige taktische und strategische Regeln anschaulich zu machen und seinem Geifte weit tiefer, deutlicher und heller einzuprägen , als durch lange , weitläufige, ermüdende, halbverstandene und bald vergessene Katheder Vorlesungen, denen ich ihren Nußen indeſſen

Entwickelung des Kriegsspiels.

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hierdurch gar nicht und umsoweniger absprechen will , wenn diese Anschauung vorher · · · · . • gegangen ist. So dachte darüber der Marschall Ney, welcher sagte : Je le regarde comme la meilleure école de notre métier et je voudrais le faire établir dans les écoles militaires et dans les grandes garnisons . - Auch der General - Major Moreau äußerte über dieſes Spiel folgende Ansicht : Je vois bien qu'on peut apprendre par ce jeu, ce qu'on apprend de la guerre dans les livres ; on le devrait introduire dans toutes les écoles militaires. Dieser kurze Blick auf das Kriegsschachspiel war nothwendig , um eine Grundlage für die Geschichte der Entwickelung und der Literatur unſeres heutigen Kriegsspiels zu gewinnen. Das Reißwitz'sche Kriegsspiel , welches immer noch als der Urtypus des heutigen Kriegsspieles betrachtet werden muß , ist aus dem Kriegsschachspiel entstanden. Das Bestreben , das Kriegsspiel dem wirklichen Kriege immer mehr zu nähern, führte allmälig dazu, daß demselben die Aeußerlichkeiten des Schachspiels vollständig genommen wurden. Die unvollständige und beengende Darstellung des Terrains durch die verschiedenen Felder wurde durch einen wirklichen Plan eines Terrains im Maßstabe 1 : 8000 ersetzt. Die Truppen wurden nicht mehr ganz allgemein durch Figuren für Infanterie , Cavallerie und Artillerie dar gestellt, sondern es wurden Zeichen für ganz beſtimmte Truppenkörper (Bataillone, Compagnien , Schüßenzüge, Escadrons , Batterien , Ponton - Colonnen u . j . w.) eingeführt, welche , aus viereckigen , bemalten Bleistückchen bestehend , der unge fähren Größe des betreffenden Truppentheils nach dem Maßstabe des Planes entsprachen. Man war somit im Stande, durch Hinlegen und Bewegen der Truppen zeichen auf dem Plane ein dem wirklichen Kriege entsprechendes , correctes und plastisches Gefechtsbild zu liefern, das Kriegsspiel wurde zum Manöver auf Plänen. *) Dennoch, so sehr das Aeußere des Reißwitz'schen Kriegsspiels von dem des Kriegsschachspieles abweicht, so wurde das Wesen des Spieles und der Name desselben beibehalten. Die Bewegung , das Gefecht und jede andere Thätigkeit der Truppen geschah in derselben Weise nach bestimmten Regeln des Spiels, wie im Schach- und Kriegsschachſpiel. Es gehörte viel Geist und Erfindungsgabe dazu , dieſe Regeln derart ein zurichten, daß sie einigermaßen wenigstens auf die tausend möglichen verschiedenen Fälle des Gefechtes paßten und somit ein annähernd richtiges Gefechtsbild lieferten. Es ist dies das Verdienst des Premier - Lieutenants von Reißwiß , während dem Vater desselben, dem Hofkriegsrath, die Idee des heutigen Kriegs spiels zugeschrieben werden muß. Ueber die Entstehung und Veröffentlichung des Reißwitz'schen Kriegsspiels, über die günstige Aufnahme, welche dasselbe längst vor seiner Veröffentlichung in der Königlichen Familie gefunden, über die hervorragende Rolle, welche dem Hoch seligen Könige Friedrich Wilhelm III., den Königlichen Prinzen , besonders des jetzigen Kaisers und Königs Majestät als Förderer des Kriegspiels zukommt, über die Persönlichkeit und das Leben des geistreichen Begründers , des Premier Lieutenants von Reißwitz, geben folgende Veröffentlichungen des Militair-Wochen blattes einen interessanten Aufschluß : 1) Zur Vorgeschichte des v. Reißwis'schen Kriegsspiels , 1874 , Nr. 73 ; ein hochinteressanter Artikel , welcher, augenscheinlich aus hoher Duelle fließend *) Die Italiener nennen das Kriegsspiel ganz correct: La manovra sulla carta. 46 Militairische Jahresberichte 1874.

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die ersten Anfänge des Kriegsſpiels in den Händen von Reißwiß Vater und den Antheil der Königlichen Familie an diesen Versuchen beschreibt. 2) Das Reißwiß'ſche Kriegsſpiel von seinem Beginn bis zum Tode des Erfinders 1827. Von General Dannhauer, 1874, Nr. 56. Dieser Ar tikel, welcher von einer dem Erfinder befreundeten Hand geschrieben ist , giebt nicht nur interessanten Aufschluß über die Einbürgerung des Kriegsspiels in die Armee, sondern vor allen Dingen über die Persönlichkeit des Premier Lieutenants v. Reißwik selber. 3) Eine Anzeige im Jahrgang 1824, Nr. 402 des Militair- Wochenblatts, welche als die erste literarische Veröffentlichung des Reißwiß'schen Kriegsspiels betrachtet werden muß und insofern von Bedeutung ist, als einerseits der damalige Chef des Generalstabes von Müffling ſeine Ansichten über das Kriegsspiel ausſpricht. indem er dasselbe der Armee empfiehlt, andererseits der Premier Lieutenant von Reißwiß eine kurze Beſchreibung des Kriegsspiels und ſeines Apparates ver öffentlicht. 4) Zum Kriegsspiel (General v. Troschke) 1872 , Nr. 35 und 37 , ein Artikel, der an einen kurzen Ueberblick über die Geschichte des Reißwiß'schen Kriegs ſpiels eine lichtvolle Erörterung der militairiſchen Bedeutung deſſelben anſchließt. Mit der ersten Veröffentlichung des Kriegsspiels im Militair - Wochenblatt erschien im Jahre 1824 auch die erste Anleitung des Erfinders : von Reißwit , Anleitung zur Darstellung militairischer Manöver mit dem Apparate des Kriegsspieles . Berlin, 1824. 4. , wozu im Jahre 1825 Supplemente gedruckt wurden . Die wenigen Jahre , welche Reißwitz nach seiner Veröffentlichung noch in Berlin verlebte, reichten hin, um seinem Kriegsspiel einen großen Aufſchwung zu verschaffen. Daſſelbe wurde durch Königliche Verordnung sämmtlichen Offizier corps zur Beschaffung empfohlen. Doch ist Reißwit' baldige Versetzung nach Neiße und sein dortiges tragisches Ende im Jahre 1827 als ein großes Unglück für die Sache des Kriegsſpieles anzusehen. Zur vollen Einführung in die Offiziercorps der Armee ist das Kriegsſpiel bis zu dem letzten Jahrzehnt nicht gelangt. Seine Hauptpflegeftätte fand daſſelbe in den Kriegsspiel-Vereinen größerer Garnisonen, unter welchen das durch den jetzigen Chef des Generalstabes geleitete und zu hohem Anjehen gelangte Magde burgische Kriegsspiel *) die erste Stelle einnimmt. Von den Offiziercorps können nur wenige sich rühmen , dauernd den Cultus des Kriegsspiels betrieben zu haben. Unter diesen wenigen ist das Offiziercorps der Garde - Artillerie , aus deffen Mitte der Erfinder hervorgangen , besonders zu nennen . Mit der weiteren Verbreitung und Vervollkommnung des Reißwitz'schen Kriegsspiels nach dem Tode des Erfinders find zuvörderst die auch sonst litera risch wohlbekannten Namen von Decker und von Wizleben verknüpft. Dann ging , mit der Mitte der vierziger Jahre , die Sache des Kriegsspicles in die Hände des „ Berliner Kriegsspieler -Vereins " über , welcher im Jahre 1846 eine " Anleitung zur Darstellung militairischer Manöver mit dem Apparat des Kriegsspiels , Berlin , E. S. Mittler und Sohn," herausgab und dieselbe im Jahre 1855 in zweiter Auflage erscheinen ließ. Das Verdienst dieser letzteren Vervollkommnungen besteht hauptsächlich darin, daß durch Vervielfältigung der Spielregeln eine größere Menge von Gefechts

*) Aus diesem Vereine ist nebenbei auch einer der eifrigsten und besten literariſchen Vertreter des Reißwis'schen Kriegsspieles, der Oberst v. Trotha, (s. weiter unten) hervor gegangen.

Entwickelung des Kriegsspiels.

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fällen vorgesehen wurde , wodurch eine gefechtsmäßigere Gestaltung des Spieles und die Vermeidung von Unnatürlichkeiten sich mehr ermöglichen ließ. Außer dem wurde der Feuerwirkung ein größerer Einfluß und zweckmäßigere Ermitte lung zugewendet. Doch ist auch der Nachtheil unverkennbar , daß durch diese complicirtere und mannigfaltigere Gestaltung der Regeln und Vorschriften eine Einlernung und die Handhabung des Spiels immer mehr erschwert wurden. In diesen Werken besteht die ganze Literatur des Kriegsspiels bis zum Jahre 1862 , mit welchem Zeitpunkte der Name von Tschiſchwiß das Wieder aufleben des Kriegsspiels ankündigt. Die in diesem Jahre erschienene Schrift: " Anleitung zum Kriegsspiele von W. von Tschischwiß , Neiße , Jos. Graveur, zeichnet sich sehr vortheilhaft dadurch aus, daß sie einerseits auf die Einfachheit und leichte Faßlichkeit der Reißwitz'schen Regeln zurückgreift , ohne jedoch die Verbesserungen der letzten Anleitungen aus dem Auge zu lassen, und daß sie andererseits die Ermittelung der Gefechtsverluste durch Feuerwirkung in einer praktischen und leicht handlichen Weise vervollkommnete. Die Tschiſchwitz'sche Anleitung hat das Verdienst und das Glück, daß sie mit ihrem Erscheinen dem Beginn eines neuen lebensvollen Aufschwunges des Kriegsspieles kurze Zeit roranging. Die gewaltigen Kriegsereignisse , welche der langen Friedensepoche nach folgten, haben die Bedeutung und Nothwendigkeit der Üebungen im Kriegswesen in hohem Grade zur Anerkennung gebracht. Man sieht daher mit jedem der nach einander folgenden Kriege einen erneuten großen Anstoß zu den Uebungen des Kriegsspiels Hand in Hand gehen, so daß heute jener Standpunkt der Ver breitung, welcher bei Erfindung des Reißwitz'schen Kriegsspiels angeſtrebt wurde, als erreicht zu betrachten ist. Es giebt kaum ein Offiziercorps von zehn Mit gliedern in der Preußischen Armee , in welchem nicht das Kriegsspiel schon in Blüthe steht oder wenigstens die ersten Knospen treibt. Die anderen Theile der Deutschen Armee folgen eifrig nach und das Ausland bemächtigt sich des Kriegsspieles , als eines der vielen Siegesmittel der Deutschen Armee, mit er klärlicher Haft. Kein Wunder, daß die Tschischwitz'sche Anleitung bis zum Jahre 1874 rier Auflagen erlebte , ohne daß dadurch das Erscheinen und die Verbreitung einer zweiten, concurrirenden Anleitung verhindert worden wäre. Diese letztere ist die im Jahre 1869 erschienene "I Anleitung zur Dar stellung von Gefechtsbildern mittelst des Kriegsspiel- Apparates , von Th. von Trotha, Oberst z. D. , Berlin , E. S. Mittler u. Sohn. Sie zeichnet sich durch das erneute Bestreben aus , einen engeren Anſchluß an die Wirklichkeit des Gefechts zu finden und „ das genial erdachte Spiel von Starrheiten und Fesseln zu befreien" . Die Vervollkommnungen der Regeln und die daran geknüpften taktischen Raisonnements erreichen diesen Zweck mancherorts , aber es ist auch der Uebelstand mit in den Kauf zu nehmen , daß dadurch, wie schon früher erwähnt , naturgemäß der Apparat von Regeln ein complicirterer werden mußte. Die Trotha'sche Anleitung hat in der kurzen Zeit von 4 Jahren drei Auflagen erlebt, ein Umstand, der sowohl das Verdienst dieses Werkes als auch den hohen Aufschwung des Kriegsspieles in's rechte Licht zu setzen vermag. Aber gerade dieser Aufschwung des Kriegsspieles und die ihn bedingenden Factoren scheinen dem Reißwitz'schen Kriegsspiele feindlich und die Ursachen einer neuen, dritten Entwickelungsphase des Gegenstandes unserer Betrachtung werden. zu sollen. Die außerordentliche Verbreitung des Kriegsspiels mußte ein Bedürfniß 46*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

nach zahlreichen Leitern des Spiels hervorrufen ; es fanden sich nun zwar meist geeignete Persönlichkeiten , aber sehr wenige, die es über sich vermochten, die vorgeschriebenen Spielregeln vorher derart sich zu eigen zu machen , daß sie in deren Handhabung sicher wurden. Es wurde daher meist ein Compromis mit den Spielregeln geſchloſſen, oder dieselben wurden ganz fallen gelassen, und die Leitung geschah lediglich nach den durch die reiche Kriegserfahrung geläuterten taktischen Einsichten des Leitenden. Dazu kommt, daß, jemehr die Nothwendig keit und Bedeutung der Uebungen auf dem Plane zur allgemeinen Anerkennun; gelangte, desto mehr das Bedürfniß durchbrach , dieſen Uebungen den Charakte eines Spieles zu nehmen und , durch Beseitigung der zu vielen Unnatürlich keiten führenden Spielregeln, dieselbe zu einer belehrenden und ernsten Besprechung taktischer Verhältnisse zu machen. Schließlich waren die Spielregeln nur auf die Darstellung eines Gefechtes in großen Zügen berechnet und entsprachen nicht dem gerechtfertigten Bedürfniß , sowohl einerseits die Details des Gefechts bis zur Thätigkeit des Schützenzuges , des Soutiens 2c. hinab eingehend zu beleuchten, als auch andererseits die operative Thätigkeit der Truppenführung auf Karten und Plänen zur Uebung zu bringen. Diesen Gesichtspunkten ist es zuzuschreiben, daß die Praxis des Kriegsspiels sich in den letzten Jahren immer mehr von den Spielregeln entfernt und zu einer freien taktischen Leitung der Uebung geführt hat. Der erste literarische Reprä sentant dieser neuen Richtung ist die kleine Schrift: " Studien über das Kriegsspiel von Meckel , Berlin 1873 , E. G. Mittler & Sohn ". Rach einer eingehenden Betrachtung der Bedeutung und des Nußens der Uebungen des Kriegsspiels stellt der Verfasser folgende Gesichtspunkte auf: a) Entfernung der Spielregeln und freie taktische Leitung ; das Kriegsſpiel iſt eine Uebung und kein Spiel. b) Unterscheidung von besonderen Arten des Kriegsspiels, je nach den Zwecken der Uebung: Regiments- ( Detachements )-Kriegsspiel , großes Kriegsspiel und strate gisches Kriegsspiel; das erstere zur Besprechung der taktischen Details , das zweite zur Durchführung größerer Gefechte in großen Zügen , das dritte zur Uebung in der operativen Truppenführung. c) Erhöhte Bedeutung der Feuerwirkung , welche die Grundlage für alle Entschei dungen sein soll, und Ermittelung derselben auf Grund der jedesmaligen Ge fechtslage. d) Verbessertes Kartenmaterial und Vervollkommnung des Apparates , ſo daß alle Details des Gefechts darzustellen sind. e) Officielle Einführung des Kriegsspiels als militairiſches Bildungsmittel in den Offizier-Corps und in allen Bildungsanſtalten der Armee. Diese Gesichtspunkte scheinen die Richtung für die weitere Entwickelung des Kriegsspiels anzudeuten, und die günstige Aufnahme, welche der Schrift zu Theil geworden, möchte dies verbürgen. Mit dieser Schrift , welche im Herbste des Jahres 1873 erschien, deren literarische Beurtheilung jedoch hauptsächlich in das folgende Jahr entfällt , treten wir in das Jahr 1874 ein, welches der Gegen stand der besonderen Betrachtung ſein ſoll. 2.

Das Kriegsspiel im Jahre 1874 in Deutſchland.

Das Jahr 1874 ist in doppelter Beziehung von besonderer Bedeutung für das Kriegsspiel: einerseits feierte das Reißwißsche Kriegsspiel in demselben ſein 50jähriges Jubelfest und andererseits ist kein Jahr seit dem Bestehen in der selben Weise arbeitsam und fruchtbar in Sachen des Kriegsspiels gewesen , wie dieses. Zuerst wurde der Kriegsspiel - Apparat im Sinne der in den „ Studier über das Kriegsspiel" aufgestellten Anforderungen vervollkommnet. Es sind wei

Entwickelung des Kriegsspiels.

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,,verbesserte Apparate " erschienen : der eine von Oberst von Trotha in Nr. 80 des Militair-Wochenblattes vom Jahre 1874 unter der Ueberschrift : Kriegs spiel- Apparate angekündigt und beschrieben, befindet sich im Verlage der Si mon Schropp'schen Buch- und Landkartenhandlung ; der andere, von Hauptmann Meckel entworfen , wird durch die für das Kriegsspiel sehr verdiente Vossische Buchhandlung (Strikker) verlegt. Der erstgenannte Apparat schließt sich an den Reißwitzschen an, den er nur um die nothwendigen Details an Truppenzeichen vermehrt. Der letztgenannte, welcher in einer kleinen Schrift : Der verbesserte Kriegsspiel - Apparat von Meckel, Berlin 1874, Vossische Buchhandlung ( Strikker ) begründet und beschrieben ist, trägt dem Bedürfniß Rechnung, daß alle Truppenzeichen, auch die kleinsten, immer eine leicht sichtbare und greifbare Größe haben und die für ver schiedene Truppenkörper beſtimmten Zeichen durch Größe und Bemalung sich der= art unterscheiden müssen, daß eine Verwechselung auch für schwache Augen nicht möglich ist. Außerdem sind Pfeile eingeführt , welche die Richtung der sich be wegenden Truppen markiren und zugleich als Maßstäbe dienen sollen ; die Truppen zeichen sind durch die nothwendigen Details und durch Einführung von Marsch Colonnensteinen vermehrt und der Apparat ist auf einen veränderten Maßstab des Planes begründet. Der Verfasser fordert , daß für die verschiedenen Arten des Kriegsspiels mit ihren verschiedenen Zwecken auch ein verschiedener Maßstab des Planes angewendet werde, und daß diese Maßstäbe mit unſeren gebräuchlichen militairischen Maßstäben correspondiren sollen. Er schlägt daher für das strate giſche Kriegsspiel ( Generalstabskarten) 1 : 100,000 , für das große Kriegsspiel 1 : 12,500 und für das Detachements = Kriegsspiel 1 : 6250 als zweckmäßigste Maßstäbe vor , hält jedoch seinen Apparat für ebenso geeignet, auf den noch vorhandenen Plänen 1 : 8000 im Sinne des großen Kriegsspiels verwendet zu werden. *) Im Anschluß an den verbesserten Apparat von Meckel ist ferner ein Plan für das Detachements - Kriegsspiel , 1 : 6,250 , nach den in den Studien über das Kriegsspiel desselben Verfassers aufgestellten Anforderungen in 24 Sec tionen angefertigt worden, welchen weitere Sectionen nachfolgen ſollen. Dieser Plan ist mit dem verbesserten Kriegsspiel-Apparate" in Nr. 95 des Militair-Wochenblattes vom Jahre 1874 besprochen. Eine zweite bedeutsame Frucht des Jahres 1874 ist die Erneuerung der Trotha'schen und Tschiſchwiß'schen Anleitungen , erstere in dritter, lettere in vierter Auflage. Die Trotha'sche Anleitung ist dieselbe geblieben, mit Ausnahme der Einfüh rung des Metermaßes , einer vervollkommneten Ermittelung der Verluste durch *) Uebrigens ist es nicht uninteressant zu bemerken, daß das Ausland schon früher das Bedürfniß erkannt hat, für die verschiedenen Zwecke der Uebung des Kriegsspiels einen verschiedenen Maßstab des Planes zu nehmen. Das Belgische Kriegsspiel (Petre, siehe weiter unten) hat einen Maßstab 1 : 10,000 und für detaillirte Gefechte einen solchen von 1 : 2500, welcher allerdings etwas sehr groß erscheint. In Italien unterscheidet man die Maßstäbe 1 : 10,000 und 1 : 5000, dies scheint auch im Französischen Kriegsspiel der Fall zu sein. Der im Jahre 1847 in der Desterreichischen Militairischen Zeitschrift ver öffentlichte Aufſaß : Ueber Kriegsspiele und deren Nußen , von dem noch später die Rede sein wird , hielt ſchon damals den Maßſtab 1 : 8000 etwas zu klein und nur für genügend, wenn man mit größeren Truppenkörpern, Brigaden, Diviſionen, Armee -Corps manövrirt." Er verlangt für ein detaillirteres Spiel,,,welches in die Sphäre der jünge ren Offiziere einschlagen würde“, den Maßstab 1 : 5760 (der Wiener Zoll = 200 Schritte) und sofern auch mit Unterabtheilungen von Compagnien manövrirt werden sollte, 1 : 2880 (der Wiener Zoll = 100 Schritte.)

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Artilleriefeuer und einer neu verfaßten Vorrede, welche lettere gegen die Methode der freien Leitung und den „ verbesserten Kriegsspiel - Apparat" von Meckel ge richtet ist. Da zum Verständniß dieser Vorrede die Kenntniß des „ verbeſſerten Apparates" unbedingt nothwendig ist, mußte die letztere kleine Schrift hier vor weg genannt werden , obwohl sie der Zeit nach später wie die Trotha'sche dritte Auflage erschienen ist. Die Tschischwitz'sche vierte Auflage hat ebenfalls das Metermaß eingeführt, einzelne Paragraphen , welche zu Anfragen Veranlassung gegeben hatten , klarer redigirt, die Entscheidungstabelle verändert und die Tabelle für Feuerwirkung re vollkommnet. Außerdem kommt sie dem Princip der freien Leitung inſofern einen Schritt entgegen , als sie ihre Regeln für das Gefecht nur dazu beſtimmt , „ den Vertrauten bei den von ihnen zu treffenden Entscheidungen einen Anhalt zu geben, soweit bei ihren Erfahrungen und Kenntnissen ein solcher erforderlich ist. " Ein besonderes reges Leben, weit über frühere Jahre hinausgehend , ent wickelte das Kriegsspiel in den Zeitschriften des Jahres 1874. Das Militair Wochenblatt allein bringt 7 größere Artikel über das Kriegsspiel , von denen einige schon früher genannt sind ; sie finden sich in den Nr . 2, 56, 73 , 80, 95 und 99. Die zu Darmstadt erscheinende Allgemeine Militair-Zeitung widmet dem Kriegsspiel zwei größere Artikel in Nr. 8 des Literaturblattes und in Kr. 35 des Hauptblattes . Die Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine bringen in dem Februarheft einen längeren Aufsatz des Obersten von Trotha, in welchem die "IStudien über das Kriegsspiel" bekämpft werden, u. s. w. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß noch zu Ende des Jahres 1874 das Erscheinen des ersten Theiles der von dem Hauptmann Meckel in Aussicht gestellten Anleitung zum Kriegsspiele stattgefunden hat. Da jedoch die Schrift schon die Jahreszahl 1875 trägt und auch die Vollendung des Werkes durch Fertigstellung des zweiten Theiles in dieses Jahr entfallen wird , so muß das Werk dem kommenden Jahresberichte zugeschoben werden. Hand in Hand mit der wachsenden literariſchen Bedeutung des Kriegsſpiels geht die steigende praktische Ausbeutung desselben. Das strategische Kriegsspiel, für welches die im Winter 1873/74 unter Leitung des Obersten von Branden stein im großen Generalstabe begonnenen Kriegsspiel-Uebungen als Mufter die nen können , ist jetzt im Stabe nahezu aller General - Commandos in Blüthe. Für das taktische Kriegsspiel geht Luft und Bedürfniß weit über die Möglichkeit hinaus , Leiter des Kriegsspiels in genügender Zahl zu beſchaffen. Hoffen wir, daß eine gute Anleitung in der Methode der freien Leitung und durch die Thätig keit der Kriegs-Akademie in der Erziehung von Kriegsspiel-Leitern diesem Uebel stande in den nächsten Jahren abhelfen möge. Wir sehen somit das Jahr 1874 eine hervorragende Stelle in der Ge schichte und Literatur des Kriegsspiels einnehmen. Wenn die durch frühere Jahre angeregten, nach weiterer Entwickelung strebenden neuen Ideen in diejem Jahre noch nicht zum definitiven Abschlußz gelangt sind , so liegt darin nur die freudige Veranlassung für die folgenden Jahre, ihrerseits nicht hinter der Thätig keit des vorangegangenen zurückzubleiben. Zwei Methoden des Kriegsspiels stehen augenblicklich neben einander , die Reißwitz'sche Methode der Spielregeln und die neue Manier der freien Leitung. Wir sagen absichtlich , daß sie neben einander und nicht , daß ſie ſich gegenüber stehen, wenn auch einige Controversen, allerdings nur von einer Seite genährt, vorgekommen sind. Die Entscheidung liegt in der Praxis , und so lange dieje

Entwickelung des Kriegsspiels.

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noch nicht definitiv gewählt hat, wird die Theorie gut thun, beide Methoden als gleichberechtigt zu achten. 3.

Das Kriegsspiel im Auslande.

Die Siege der Deutschen Armee haben die Augen von ganz Europa auf die militairischen Institutionen Deutschlands gerichtet ; das Deutsche Kriegs spiel, als Ausbildungsmittel für den Offizier in der Truppenführung , konnte dabei nicht unbeachtet bleiben. In der That haben alle Armeen von militairischer Bedeutung sich mit großem Interesse dieser original Deutschen Erfindung zugewendet. Die in fremden Sprachen erschienenen Anleitungen sind durchweg nach dem Muster der Tschiſchwitz'schen oder der Trotha'ſchen angefertigt , wenn auch eigenthümliche Abweichungen nicht selten vorkommen. Am meisten ist das Kriegsspiel bis jetzt im Desterreichischen Kaiserstaate zur Verbreitung gelangt. Schon im Jahre 1847 brachte die Oesterreichische Militairische Zeitschrift einen gediegenen Artikel : Ueber Kriegsspiele und deren Nugen vom Kapitainlieutenant Leitner , welcher die Bedeutung des Kriegsspiels und die Eigenthümlichkeiten der Reißwitz'schen Erfindung_ſcharf finnig auffaßt und außerdem Gesichtspunkte für die Einführung des Kriegsspiels in Desterreich mittheilt. Doch ist von einem Cultus des Kriegsspiels in Dester reich erst seit dem Jahre 1866 zu sprechen. Jetzt ist das Kriegsspiel schon derart in Ansehen, daß es zu selbstständigen literarischen Arbeiten führt. Außer der Pidoll'schen Anleitung , welche den Deutschen Mustern nachgebildet wurde, ist im Jahre 1874 eine Schrift „ Studien über das Kriegsspiel von Hauptmann Edmund Edler von Mayer " in dem „Organ des Wiener militair-wiſſenſchaftl . Vereins " veröffentlicht, welche allerdings die !! Studien über das Kriegsspiel" von Meckel zu Grunde legt, aber in der Anleitung , welche sie bringt , einen eigenthümlichen, der freien Leitung mehr zugewandten und doch von den Spielregeln durchflochtenen Weg einschlägt. In zweiter Linie ist das Kriegsspiel in Rußland zu nennen, wo durch die nach Preußischem Muſter eingeführten wöchentlichen Offizier-Verſammlungen eine günstige Gelegenheit für diese Uebungen geschaffen ist. Es erfreut sich daher in Rußland das Kriegsspiel eines ganz besonderen Cultus und sind daselbst im Jahre 1873 zwei Werke über das Kriegsspiel erschienen. Das eine , von Hauptmann Skugarewski , hat den Titel „ Sammlung von Aufgaben für taktische Uebungen " und erscheint jetzt in 2. Auflage; das andere ist eine Anleitung zum Kriegsspiel von Oberst Kasanski. In Französischer Sprache eristiren zwei Anleitungen nebst Apparaten zum Kriegsspiel, eine Belgische vom Hauptmann Petre, in Brüssel erschienen, und eine Französische vom Oberst Lewal, in Paris veröffentlicht. Die erstere ist der Pidoll'schen sehr ähnlich , die letztere haben wir nicht zu Gesicht be kommen können. Für England ist die Trotha'sche Anleitung vom Oberst - Lieutenant Bancroft übersetzt worden , während in Italien eine selbstständige Anleitung nebst eigenthümlichem, von dem Reißwitz'schen Vorbilde am meisten abweichenden Apparate , von dem Generalstabe herausgegeben und bei Carlo Voghera in Rom 1872 in erster und 1874 in zweiter Auflage erschienen ist. Das Schweizerische Offizier- Corps , welches mit besonderem Intereſſe dem Kriegsspiele zugewendet ist, benutzt meist die Deutschen Anleitungen und Apparate. Wie sehr das Ausland dem Deutschen Kriegsspiele unausgesetzt seine Auf

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Militairische Jahresberichte für 1874.

merksamkeit schenkt , geht schon daraus hervor , daß die Vossische Buchhandlung (Strikker) zu Berlin, längere Zeit die einzige Verlegerin des Kriegsspiel- Appara tes, Exemplare desselben nach allen Staaten Europas, ja ſelbſt bis nach Japan gesendet hat. 4. Das Feftungs- kriegsspiel. Nachdem das Kriegsspiel in dem letzten Jahrzehnt zum lebhaften Auf blühen und zur vollen Anerkennung gelangt ist , konnte der Gedanke , auch die Verhältnisse des Festungs - Krieges durch Uebungen auf dem Plane mit Hülfe eines Apparates zur Anschauung zu bringen, nicht fern liegen. Ein besonderes Verdienst um die Entstehung und Förderung des Festungskriegsspieles hat der verstorbene General-Inspecteur der Preußischen Artillerie von Hindersin, auf deſſen directe Veranlaſſung kurz nach dem Kriege 1870/71 ein vollſtändiger Apparat für das Festungskriegsspiel hergestellt und in Betrieb gesetzt wurde, nachdem vorher schon vielfache Versuche mit nothdürftig hergestelltem Material, besonders in artilleriſtiſchen Kreiſen, die Gesichtspunkte für die Zuſammenſtellung des Apparates ergeben hatten. Diesem Apparate, welcher im Verlage der Vossischen Buchhandlung (Strikker) zu Berlin erschienen ist, folgte bald darauf ebendaſelbſt die Anleitung: Directiven für das Festungskriegsspiel von Major Neumann , Berlin 1872. Schon aus dem Titel der Anleitung geht hervor , daß das Festungskriegs spiel von vornherein auf freier Leitung basirt ist und auf ein Schema von Spielregeln verzichtet, welches hier noch mehr Unzuträglichkeiten mit sich führen würde, wie im Feld - Kriegsspiele. Das Festungskriegsspiel, welches in Preußen unter der besonderen Protection der General-Inspectionen der Artillerie und des Ingenieur-Corps steht, hat sich trotz seiner Jugend , unterstützt durch die sehr gute Neumann'sche Anleitung, einer regen Betheiligung in den Kreisen der Fuß- Artillerie und der Ingenieur Offiziere zu erfreuen. Es wird besonders in Berlin und in den großen Festungen cultivirt. Die große Kostspieligkeit des Apparates ohne Pläne 2c. 65 Thaler steht jedoch seiner Verbreitung hemmend entgegen. Im Auslande ist das Festungskriegsspiel noch wenig bekannt. Die erſte Stimme, welche außerhalb Deutschlands zu Gunsten desselben laut geworden, ist ein Aufsatz in dem 6. Hefte des Jahrgangs 1874 der Oesterreichischen „Mit theilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens " : Ueber das Festungskriegsspiel von Alph. Makowiczka. Dieser Artikel spricht der Einführung des Festungskriegsspiels in Desterreichische Kreiſe auf's lebhafteſte das Wort und zeichnet die Gesichtspunkte für Herstellung eines Apparates und einer Anleitung im Anschluß an das Deutsche Festungskriegsspiel , jedoch mit Berücksichtigung der maßgebenden Oesterreichischen Eigenthümlichkeiten.

Bericht über Terrain-Lehre und

Terrain- Kunde.

Bei Beginn des ersten Jahresberichtes über Terrain-Lehre und Terrain Kunde erscheint es , wenngleich derselbe vorzugsweise die Erscheinungen des Jahres 1874 auf diesem Gebiete und speciell diejenigen innerhalb des Deutschen

Terrain-Lehre und Terrain-Kunde.

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Heeres und der Armeen der Nachbarländer , soweit dieselben verfolgt werden konnten, berühren soll, unerläßlich, einen Blick auf die Entwickelung des augen blicklichen Gesammtstandpunktes von Terrain-Lehre und Terrain-Kunde und zwar unter specieller Berücksichtigung der Preußischen Heeres zu werfen . Es erscheint hierzu geboten, sich zuvörderst zu vergegenwärtigen, an welchen Stellen und auf welche Weise in der Armee die Kenntniß vom Terrain gelehrt wird, in welcher Art man dieſen militairisch neuerdings so erhöht wichtigen Gegenstand behandelt , und auf welcher Stufe sich demnach die Terrain-Kunde in der Armee, soweit sich dies nach den zu Gebote stehenden Anhaltspunkten beurtheilen läßt, befindet. Unter Festhaltung dieser Gesichtspunkte finden wir, daß die Terrain-Lehre, als eine ihre drei Haupttheile, eigentliche, angewandte und Terrain-Darstellungs - Lehre incl. der militairischen Vermessungskunst , um fassende, systematisch geordnete Wissenschaft, in der Armee nur an den Königl. Kriegsschulen und ercl. eigentlicher und angewandter Terrain-Lehre im engeren Sinne im Cadettencorps ; in einem ihrer Theile dagegen , der Vermessungskunſt, an der Königl. Kriegsakademie und der Vereinigten Artillerie- und Ingenieur Schule gelehrt wird , also in denjenigen militairischen Anstalten , welche die fachmännische wiſſenſchaftliche Berufsbildung des Offiziers zum Hauptzweck haben. Im Studienplan der Königl. Kriegsakademie findet sich kein Vortrag für die Terrain-Lehre im Allgemeinen verzeichnet , da man die Kenntniß der Elemente derselben bei den zu dieſer Anſtalt commandirten Offizieren vorausſeßen darf, wohl aber ist, wie oben bemerkt, für einen wichtigen Zweig derselben, die Lehre von der Vermessung des Terrains , das militairische Aufnehmen , ein specieller Vortrag an dieser Anſtalt bestimmt, welcher den nach Absolvirung der Akademie zur topographischen Abtheilung des Großen Generalstabes commandirten Offizieren die Grundlage für die Erfüllung der während dieses Commandos an sie heran tretenden Aufgaben bieten soll. Im Uebrigen finden wir an jener Anstalt die angewandte Terrain-Lehre sowohl mit den Vorträgen über angewandte Taktik als denen über Generalstabs geschäfte, Kriegsgeschichte, Festungskrieg und Militairgeographie, die ja in letzter Instanz Nichts Anderes ist als eine Terrain-Lehre im höheren militair-wiſſen schaftlichen Sinne , kurz , fast mit jedem dort gehaltenen militairischen Vortrage jo innig verbunden, daß ein besonderer Vortrag für diese Disciplin mit vollem Recht an der Kriegsakademie gegenüber deren anderen Aufgaben als überflüssig erscheint. Was nun das Fundament theoretischer Unterweisung der Armee in der Terrain-Kunde, den Unterricht in der Terrain-Lehre auf den Königlichen Kriegs ſchulen betrifft , so erfolgt derselbe auf Grund der genetischen Skizze des Lehr stoffs gemäß der Vorschrift vom 20. Mai 1859 über die Methode, den Umfang und die Eintheilung des Unterrichts an diesen Lehranstalten. Diese Skizze ist speciell im Jahre 1874 in einer neuen Bearbeitung erschienen , und die letztere an Stelle der bis dahin gültigen von 1868 getreten, so daß speciell das ver verfloſſene Jahr einen Markstein für die theoretische Application der Terrain Lehre an den Kriegsschulen und also auch in der Armee bezeichnet. Es fragt sich, welche Aenderungen und in welchem Sinne dieselben in dem neuen Leit faden , gegenüber dem alten , Platz gegriffen haben. Die Idee , das Terrain zunächst in seinen charakteristischen Unterschieden , in seiner verschiedenartigen Configuration, wie dasselbe äußerlich zu Tage tritt, nennen und richtig benennen zu lernen, sowie alsdann seine militairische Bedeutung auf das Eingehendste zu erörtern, findet in beiden Skizzen in den Abschnitten, welche von der eigentlichen

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Militairische Jahresberichte für 1874.

und denen, welche von der angewandten Terrain-Lehre handeln , einen fast identischen Ausdruck , nur weist , und dies scheint ein erheblicher Vortheil, die genetische Skizze des Jahres 1874 in vermehrter und dankenswerther Weise auf das den Vortrag belebende und erfrischende Element kriegsgeschichtlicher Beiſpiele, entnommen der neuesten Kriegsgeschichte, für die angewandte Terrain-Lehre bin. Auch die Grundauffaſſung des Abschnittes, welcher von der Terrain-Darſtellung handelt, ist dieselbe geblieben ; er soll das Mittel für den künftigen Offizier bieten , ihm sowohl eine Vorbildung für eine etwa an ihn herantretende selbst ſtändige Aufnahme des Terrains zu geben als auch die Aneignung der Fertigkeit ein Croquis vom Terrain , soweit dies irgend eine militairische Lage , in der e sich befindet , erheischt, anfertigen zu können. Ferner werden durch beide Leit fäden , Theorie und Praxis des Aufnehmers an maßgebender Stelle für die Beurtheilung des Terrains , seiner Reliefgestaltung und seiner Situation nach, als ein wesentliches und unerläßliches Hülfsmittel erachtet. Im Unterschiede von der bisher gültigen genetischen Skizze, hat die neue Ausgabe derselben , eine besonders bei der flüchtigen Aufnahme, dem Croquiren des Terrains gebräuchliche Gattung von unvollkommenen Meß-Inſtrumenten ausgeschieden, deren Construction, Erörterung und Gebrauchstheorie und ſpeciell die Entwickelung der ihrem Gebrauch zu Grunde liegenden mathematiſchen Gesetze, im Verhältniß zu dem nur unbedeutenden Werth und der äußerst seltenen Anwendung dieser Instrumente zu viel Zeit in den Vorträgen beanspruchte, und dies unsomehr mit vollem Recht, da diese Instrumente faktisch nur beim KgL Ingenieur-Corps in einem Exemplar , dem Reflector, per Pionier-Bataillon für die Belagerungen ins Feld mitgeführt , in Folge dessen in den Vorträgen der vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule hinreichend berührt werden und bekanntlich in Folge ihrer Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen ſtets von höchst zweifelhafter Brauchbarkeit sind. Obgleich zugegeben werden muß, daß es im Allgemeinen die Aufgabe eines Jahresberichts nicht sein kann , den objectiven referirenden Standpunkt zu ver lassen , und sich auf das Gebiet subjectiver Auffassungen zu begeben , so sei es an dieser Stelle erlaubt, eine Ausnahme zu Gunsten der Terrain-Kunde zu machen , und subjectiven , übrigens mehrfach von Fachmännern getheilten , An schauungen einen Platz zu gewähren. Es sei jedoch ausdrücklich Verwahrung gegen die Annahme eingelegt , als werde die hier wiedergegebene Auffaſſung für die ausschließlich richtige gehalten und beabsichtigt, sie als solche hinzustellen, um so mehr, da vielseitige und vortreffliche Erfahrung bis jetzt für die Beibehaltung einer anderen sprach. Es ist bekannt , daß in der Armee nur ein verhältnißmäßig ſehr geringer Theil von Offizieren , von den 4-5000 Lieutenants derselben nur ca. 30-40 jährlich, bei der allgemeinen Landesvermessung durch das topographische Bureau zur praktischen Verwerthung ihrer speciell im Aufnehmen erlangten Kenntniſſe, d. h. zur Vermessung mit Meßtisch und Kippregel gelangen , und daß dieſelben fast jämmtlich vorher den Vortrag über die Terrainaufnahme an der K. Kriegs Akademie hören. In Anbetracht einer so geringen Anzahl, im Verhältniß zum Gros der Subaltern - Offiziere, dürften daher die Zwecke der generellen Vor bereitung aller Offiziers - Aspiranten für die Aufgaben des militairischen Auf nehmens auf einem anderen Gebiete, als dem der Vorübung für die allgemeine topographische Landesvermessung zu suchen sein. Dieselben liegen auch that sächlich in anderer Richtung. Es prävalirt die Ansicht , daß sowohl für die scharfe Beurtheilung des Terrains, seiner Reliefgestaltung und seiner Situation,

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als auch in Folge dessen , seiner militairischen Bedeutsamkeit nach, die mili tairische Aufnahme d. h. die genaue Vermessung des Terrains mit Meßtisch und Kippregel, ein unerläßliches, vortreffliches Hülfsmittel sei. Hier dürfte eine Berechtigung zum Aufwerfen der Frage liegen , ob die bekanntlich nicht uner hebliche Mühe und der große Zeitaufwand , welche die Beibringung der Theorie des Aufnehmens mit ihrem ziemlich beträchtlichen Apparat mathematischer Ge ſeße erfordert, nicht zweckmäßig ganz in derselben Richtung, aber auf modificirte Weise, zu verwerthen seien. Würde nicht , nachdem mit dem gewöhnlichen Zeitaufwand in den Vor trägen, die Formen, unter denen Terrain und Situationsgegenstände auftreten können , erörtert, an Modellen und größeren Reliefs klar gemacht , sowie die Theorie der Terraindarstellung für Karten und Pläne den Hauptmomenten nach durchgenommen ist , die übrige verfügbare Zeit, anstatt zur theoretischen Ent wickelung von Construction und Gebrauch der Meßtisch-Instrumente und Opera tionen des Aufnehmens im Hörsaal , am Besten im Terrain selbst sowohl zur Auffassung desselben in plastischer Hinsicht , als auch zur Erkennung und Be urtheilung seiner Situationsverhältnisse an concreten Aufgaben, zunächst an der Hand des Planlejens in bekanntem Terrain , mit vielleicht größerem Nußen zu verwerthen sein? Den elementaren Aufgaben richtiger Beschreibung des Terrains, jeiner Reliefgestaltung sowie seiner Situation nach, sowie dem Croquiren des ſelben , dürften sich dem taktischen Entwickelungsgang förderliche Aufgaben aus der angewandten Terrainlehre anschließen wie z . B. Beurtheilung eines Terrain Abschnittes in Bezug auf seine Wegbarkeit und seine Passirbarkeit für die drei Waffengattungen nebst Croquis, Wahl von Terrainabſchnitten, die sich für Feld wach- und ganze Vorposten - Aufstellungen eignen , Recognoscirung von Fluß und Bachabschnitten und Defiléen aller Art , Gehölzen, Dörfern und Gehöften als Stützpunkten u. s. w. Man kann einwenden, daß dies Aufgaben ſeien, die der angewandten Taktik zufallen , es ist dies richtig , aber Terrainlehre und Taktik berühren sich wie bekannt so innig, daß eine Berücksichtigung der Haupt Kriegswissenschaft, der Taktik, in bedeutendem Maße auch in der Terrainlehre nicht verwerflich erscheinen dürfte, da der Endzweck alles militairischen Wissens die Kunst zu schlagen ist. Weit entfernt , sich ein Urtheil darüber anzumaßen, welche von beiden ge nannten Auffaſſungen die vorzuziehende sei , sei nur erwähnt , daß , wie ver lautet , Seitens des großen Generalstabes neuerdings beabsichtigt ist , eine ver minderte und nur sehr geringe Anzahl von Offizieren künftig zur allgemeinen topographischen Landesvermeſſung zu commandiren , mit dem Hauptzweck , in ihnen den Stamm zu einer genügenden Anzahl tüchtiger Vermeſſungs- Dirigenten zu gewinnen , der Hauptsache nach dagegen die Aufnahme künftig durch In genieur-Geographen , Feuerwerker 2c. vornehmen zu lassen. Ein zweiter Punkt, den wir ferner bei der Betrachtung des theoretischen Theils der Terrainkunde nicht unerwähnt lassen dürfen, ist der, daß während alle übrigen Gebiete dieses Zweiges der Kriegswissenschaft einen guten Anhalt zum Studium in einer nicht unbeträchtlichen Special-Literatur, auf die am Schluſſe unſeres Aufſages ſpecieller hingewiesen werden wird , beſißen , eine gute Anleitung zu dem so wichtigen Planlesen , deſſen eingehende Kenntniß weniger verbreitet ist, als man wohl glaubt , bis dato noch fehlt , daß allerdings das Werkchen von Fink (Stuttgart 1868 ) dieſelbe in einiger Hinsicht , jedoch nicht ausreichend bietet und die Her stellung einer solchen unbedingt eine vorhandene Lücke ausfüllen , einem Be dürfniß Rechnung tragen würde. Inzwischen jedoch dürfte sich Planlesen in

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einem bekannten Terrain als bestes Hülfs- und Erjagmittel empfehlen. Es dürfte ferner hier Erwähnung verdienen , daß wie bekannt , auf dem Gebiete der Terraindarstellung , sowohl was die Ausführung von Karten und Plänen überhaupt als was speciell die Leistungen der Offiziers -Aspiranten darin betrifft, andere Staaten uns überlegen sind , so z . B. Desterreich . Die Section der Wiener Weltausstellung, welche das Militair-Unterrichtswejen repräsentirte, zeigte auf diesem Gebiete vortreffliche Ausführungen von Reliefs nach gegebenem Situationsplan resp. nach Aufnahme- Sectionen angefertigt von Cadetten , ſowie die plastische Darstellung von Kriegsspielplänen zum Unterricht im Felddienst und in der Terrainlehre von Genie - Offiziers - Aspiranten , ferner einen hydre graphischen Atlas und eine physikalisch und politische Uebersichtskarte von Dester reich von denselben Aspiranten , sowie den anerkannt guten Zeichnenſchlüſſel des Oberst Scheda und die mustergültigen Modelle von Streffleur und Erbulz. Schweden zeigte sich ebenfalls auf der Ausstellung mit vortrefflichen Situations Zeichnungen vertreten , die eine sehr gewandte leichte Ausführung unter An wendung eigenthümlicher conventioneller Zeichen , wie allerdings aber auch den für die Kriegsschüler von Karlsborg bei Stockholm gültigen doppelten Sommer-, Herbst- und Winter- Cursus verriethen. Derartige Reſultate können naturgemäß nur mit einem größeren Zeitaufwand als wir ihn , von unserem Standpunkte aus wohl mit Recht , dieser Disciplin widmen , erreicht werden; wie weit die militairische Beurtheilung und Erkennung des Terrains daneben in den Armeen dieser Staaten gefördert ist , sind wir nicht in der Lage , zu beurtheilen. Daß die Uebung in der Auffassung und Beurtheilung des Terrains , seiner Relief gestaltung und seinen Situationstheilen und Gegenständen nach , sowie in der Aufnahme und Darstellung deſſelben , je nach den speciellen verschiedenen dafür maßgebenden Verhältnissen, eine sehr verschiedenartige ist, und beispielsweise bei den in Schweden und Norwegen damit beauftragten Offizieren oft ins Groje geht, ging uns im vorletzten Sommer aus dem Zusammentreffen eines Preußi schen und eines Norwegischen Topographen , deſſen Zeuge wir waren , hervor, von denen der erstere viel Terrain aufgenommen zu haben glaubte, da er über 7 Quadratmeilen vermessen hatte , worauf ihm der letztere ganz beſcheiden ge stand, er habe 140 aufgenommen. Wie wir bereits weiter oben erwähnten, hat sich im verflossenen Jahre in Bezug auf die theoretische Behandlung von eigentlicher und angewandter Terrain Lehre in den bezüglichen für die Lehranstalten unserer Armee maßgebenden Leit fäden verhältnißmäßig wenig geändert , für die Terrainaufnahme und das Croquiren hat sich jedoch, mehr als dies aus dem neuen dafür gültigen Leitfaden hervortritt, in der Praxis ein in mancher Hinsicht neuer Standpunkt entwickelt. Derselbe ist in Kurzem der folgende: Zwei wesentliche Erleichterungen sind bekanntlich im Laufe der Zeit der heutigen Aufnahme des Terrains zu Theil geworden. In erster Linie die starke Vermehrung der Grundsteuerkarten, gleichen Schritt haltend mit dem Fortschritt der Grundsteuervermessungen, in zweiter die erheblich vermehrte Berechnung der trigonometrischen Nezpunkte. Während noch vor wenig Jahren unsere Meßtischplatten nur 10-12 trigonometrische Rezpunkte erhalten konnten, erhalten sie jest circa das Doppelte dieser Anzahl, und speciell die Sectionen der Gebiete der kleineren in Preußen incorporirten Staaten ihrer durch die Verhältnisse bedingten detaillirteren trigonometriſchen Vermeſſung halber meist eine noch größere Zahl. Die mühsame zeitraubende Arbeit der geome trischen Netzlegung gelangt daher für unsere Topographen , wenn dieselben sich nicht im Felde in Feindes Land oder auf occupirtem Gebiet befinden (Böhmische

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Kriegsschauplatz 1866. Schlachtfelderaufnahmen, Sundewitt 1864) im Gegensatz zu anderen Staaten verhältnißmäßig nur ausnahmsweise zur Anwendung. In den Grundsteuerkarten aber besitzt der Topograph bekanntlich den größten Theil der Situation schon in solcher Genauigkeit in Folge des großen Maßstabes , in welchem diese Aufnahmen aus ökonomischen Rücksichten erfolgen, daß es nur der verhältnißmäßig wenig Zeit raubenden Reduction derselben mit dem Pantographen ſeinerseits bedarf, die ihm nicht nur eine sehr beträchtliche Zeiterſparniß gewährt, jondern auch den Vortheil bietet , durch das Durch-Pausen der Situation auf die Meßtischplatte einen sehr förderlichen zuverlässigen Anhalt für die Wahl der Koten und die rasche Beurtheilung der Reliefgestaltung des Terrains zu ge winnen. Hiermit wären in Kürze die Hauptveränderungen für den Gang der Preußischen Vermessungen berührt ; erwähnt sei noch die Einführung des Meter maßes, einer neuen Kotentafel, den hypsometrischen Tabellen von Kaupert, und diejenige der Niveaulinien statt der Horizontalen, welche, wenngleich etwas von letteren abweichende Schichthöhen zeigend , und speciell eine kleinere Minimal schichthöhe von 1,25 M. für sehr flaches Terrain einführend , einen etwas genaueren Ausdruck desselben gestatten, wie auch in ihren Signaturen Betreffs prägnanterer graphischer Darstellung geändert wurden , im Uebrigen aber im Wesentlichen mit den Horizontalen auf Eins hinauskommen. Die Veränderungen , welche im Desterreichischen Heere in der " Mappirung " und dem Situationszeichnen in den letzten Jahren vor genommen wurden, sind so beträchtlich, daß eine kurze Erwähnung derselben bei einer möglichst allgemein und umfassend zu haltenden Kennzeichnung des heutigen Standpunktes der Terrainkunde nicht fehlen darf. Aehnlich der Anordnung, welche das Preußische trigonometrische Büreau der Eintheilung der Meßtiſch blätter zu Grunde legt , indem der Raum zwischen je zwei Längen- und zwei Breitengraden in 60 Paralleltrapeze getheilt wird, hat man in Desterreich neuer dings anstatt sich in jeder Hinsicht eng an die Grundsteuervermeſſung anzu schließen, die Oberfläche des Staates in symmetrische Trapeze von 30 Minuten an der oberen und unteren Kante zwischen zwei Parallelkreisen und von 15 Minuten zwischen den Meridianen getheilt. Der vierte Theil eines derartigen Trapezes ergiebt die Größe der neuen Meßtiſchſectionen . Durch diese Einthei lung ist der Anschluß an die Aufnahme der Nachbarländer unbedingt erleichtert, ebenso die Orientirung ; der erstere wird ferner ungemein durch die Annahme des vielfach in anderen Staaten, wie z. B. Preußen, gebräuchlichen Verjüngungs verhältnisses von 1 : 25,000 statt 1 : 28,800 für die allgemeine Landesvermessung begünstigt. Für seine Generalstabskarte hat dagegen Oesterreich einen besonderen Standpunkt, den des Verjüngungsverhältniſſes von 1 : 75,000 ſtatt 1 : 144,000 eingenommen , der allerdings den Vortheil großer Deutlichkeit hat. Was die Ausführung der Terrain- Darstellung, der Originalaufnahmen, betrifft, so geschieht dieselbe, der photographischen Vervielfältigung halber, nicht mehr in der blaſſen Manier, sondern in Bergstrichen. Charakteristisch ist der Unterschied der ver schiedenen Manieren beider Staaten , die Höhenpunkte , welche der beiderseitigen Terrain-Darstellung zu Grunde liegen, zu gewinnen. Während unsere Meßtiſch blätter bekanntlich 15, 20 und mehr trigonometrische Netzpunkte als Anhalt für die Detailvermessung erhalten, bekommen die Oesterreichischen Meßtischplatten nur 3 Nezpunkte und werden die übrigen Anhaltspunkte für die Detailvermeſſung durch eine umfassende geometrische Netzlegung gewonnen , eine jedenfalls das mühsame Geschäft der Topographen noch mehr erschwerende, durch die speciellen

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Verhältnisse jedoch wohl bedingte Arbeit. Im Uebrigen findet in Desterreich das Aeroid-Barometer die ausgedehnteste Anwendung, welches, wie uns ein damit vertrauter Desterreichischer Offizier angab , derart empfindlicher Conſtruction iſt, daß dasselbe Höhenunterschiede von wenig Fußen genau anzeigt. Eine andere, wie die Preußische, ist ferner die heute in Desterreich gültige Methode der Terrain-Darstellung auf den Meßtiſchplatten ſelbſt. Auf Grund der , wie oben erwähnt, erhaltenen Koten und nach eigener Anschauung des Terrains , werden die Formen desselben in Lehmannscher Manier in Blei gezeichnet und dann (auf der Meßtischplatte leicht skizzirt) auf über dieſen Bergſtrichentwurf gelegtes Delpapier äquidistante Niveaulinien für jene Bleizeichnung entworfen. Nach Vollendung dieses Entwurfs von Niveaulinien, welche Jjohypsen genannt sind, werden dieſelben auf die Platte durchgepauſt, um als Anhalt für die Ausführung der Bergstrichzeichnung zu dienen, alsdann die Bergſtriche in Tusche ausgeführt und zuletzt die Niveaulinien roth ausgezogen. Man hält ganz ebenso wie in Preußen, so auch in Oesterreich die Darstellung der Böschungen durch Berg striche, der plastischeren Gestaltung halber, welche sie den Terrainformen geben, für unerläßlich und schließt sich der Ansicht an , daß speciell sehr kleine Maßstäbe die Darstellung des Terrains in Niveaulinien ausschließen. Die Einführung des Metermaßes ist ebenfalls im Princip angenommen. In beiden Armeen, sowohl in der Desterreichischen wie in der Preußischen, besonders in letzteren , wird an den Militair-Bildungsanstalten , welche sich mit diesem Lehrzweige zu beschäf tigen haben, auf die flüchtige Aufnahme des Terrains, das Croquiren, neuerdings erhöhter Werth gelegt. Speciell verfährt man dabei an letterer Stelle unter Anwendung so einfacher feldmäßiger Mittel wie möglich. Die eleganten meiſingenen Croquirplanchetten nebst kleiner Boussole, welche in Sachsen, der Hauptheimath des Aufnehmens , Planzeichnens und Croquirens in Gebrauchh sind, werden durch einfache billige Pappplanchetten ohne Bouffole mit dem auch dort üblichen quadrirten Crequirpapier von Quadraten bestimmter Seitenlänge ersetzt. Das vorher eingezeichnete Wegenetz, welches von den zur Disposition stehenden Karten entnommen wird, bildet die Grundlage für das angefertigte Croquis , weldes ohne Hülfsinstrumente, einfach basirt auf Abschätzung, Abschreiten und eventuell Abreiten der Entfernungen, mit wenigen charakteristischen Buntstiftſtrichen, meiſt im Maßstabe von 1 : 12,500, jedoch je nach der vorliegenden Aufgabe auch in anderen Verjüngungsverhältnissen, ausgeführt wird. Wir verzichten darauf, das Oesterreichische Verfahren , welches wir nur aus den Lehrbüchern , nicht aus praktiſcher Anſchauung kennen, zu ſkizziren. Betrachten wir nunmehr die praktische Application von Terrain-Lehre und Terrain-Kunde in unserer Armee, sowie sich dieselbe heute geſtaltet hat, so muß unbedingt zugestanden werden , daß in dieser Hinsicht der tägliche Dienstbetrieb in der guten Jahreszeit , die Exercir- und Manöverübungen im Terrain, die Felddienstübungen, welche in erster Linie zu nennen sind, die Manöver, und neuerdings auch die Uebungen auf den Uebungsplätzen reiche Unterweijung bringen, sowie daß das Kriegsspiel auf großen Plänen, die theoretischen Winters arbeiten, Vorträge und die Uebungsreisen des Generalstabes ebenfalls auf's beſte fördernd in dieser Richtung einwirken . Bei der Artillerie sind es speciell, die zuerst wohl bei dem Garde-Feldartillerie-Regiment durch den Prinzen Hohenlohe eingeführten Ritte ins Terrain " , welche von ebenso hohem Interesse wie gutem Erfolge , was Terrain - Kunde und richtige Terrainbenutzung betrifft , find , die hier zu nennen wären. Eine einfache taktische Idee wird der Uebung zu Grunde gelegt , einige berittene Mannschaften , besonders Unteroffiziere , werden zu der

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selben mitgenommen , welche feindliche resp. diesseitige Truppen markiren; dies genügt, um unter einſichtiger Leitung , die Uebungen im Terrain derart zu ge stalten, daß sie von hohem Nutzen für die Beurtheilung der militairischen Be deutung desselben werden. Aehnliche nützliche Uebungen für Terrain-Kunde finden sich in einzelnen Truppentheilen der Cavallerie, so z. B. bei einzelnen Cavallerie Regimentern des Garde - Corps , und irren wir nicht , auch des 3. sowie 14. Armee-Corps . Ein Theil des Offiziercorps unternimmt dort, unter Führung eines Stabsoffiziers oder älteren Rittmeisters , Uebungsritte auf mehrere Tage in's Terrain, denen ebenfalls eine taktische Idee zu Grunde liegt, welche kleinere Acte des Krieges in logiſchem Zusammenhange mit supponirten Truppen zur Darstellung bringt. Der praktische Gedanke , welcher den beiderseitigen Uebungen der beiden Waffen zu Grunde liegt, verdient bei der Infanterie in so fern Nachahmung zu finden, als sowohl die Subaltern- Offiziere wie auch die Unteroffiziere, auch ohne die in Folge von Wach- und Garniſondienst aller Art ohnehin häufig nicht hin reichend zur Verfügung stehenden Mannschaften mit einigen wenigen , die eigenen Truppenabtheilungen markirenden Leuten, unter Leitung des Compagnie chefs sehr zweckentsprechende Uebungen im Terrain vornehmen könnten , deren Hauptzweck in Instruction in der Terrainbenutzung mit den gegebenen Kräften bestehen würde. Andererseits dürften auch ähnliche Uebungen für die Compagnie chefs unter Leitung eines Stabsoffiziers unter zu Grundelegung von Aufgaben, welche sich auf die Verwendung von Compagnien und Bataillonen sowie schließ lich kleinerer gemischter Truppenkörper beziehen , sich denselben zweckmäßig an schließen. Terrainbenutzung und Taktik würden durch derartige Uebungen in gleich vortheilhafter Weise gefördert werden. Bei derjenigen Waffe unseres Heeres, für welche die richtige und gewandte Terrainbenutzung das Hauptlebenselement bildet , bei den Jägern , finden wir speciell im Jahre 1874 eine höchst zweckmäßige Abhaltung eines Theiles der Schießzübung eines Bataillons in einem dazu besonders geeigneten Terrain. Pommerns , welche auch von dem Inspecteur der Jäger und Schüßen inſpicirt wurde. In sich anschließender Idee fanden bei der 3. Division (v. Hartmann) die Besichtigungen der Bataillone durch den Diviſions - Commandeur ausschließlich im Terrain und bei mehreren Armeecorps , so z . B. beim 6. in der 11. Di vision , Uebungen combinirter Bataillone auf Kriegsstärke nach dem Manöver ebenfalls im Terrain statt. Wir dürfen ferner hier nicht unerwähnt laſſen , daß die Terrainkenntniß besonders im cavalleristischen Sinne , sowohl seit einer Reihe von Jahren, als speciell auch im Jahre 1874 durch lebhafte Cultivirung des militairischen Sports , Stiftung von Renn- und Reitervereinen (Magdeburger Reiter-Verein) und Abhaltung von Rennen an den verschiedensten Punkten der Monarchie : Berlin, Metz, Straßburg, Breslau, Potsdam, Hannover, Anclam 2c. gefördert wurde. Der Betrieb der niederen und hohen Jagd , der ebenfalls unbedingt günstig für Terrain-Kenntniß und rasche Orientirung im Terrain einwirkt, scheint dagegen, so weit wir dies zu beurtheilen vermögen , schon des belebteren Dienstbetriebes gegen die früheren bequemeren Epochen des Offizierlebens und speciell in der Nähe der großen Garnisonen aus financiellen Gründen etwas mehr in den Hintergrund getreten und dieser Nebenweg der Ausbildung in der Terrainkunde in der Armee etwas weniger wie früher betreten zu sein. Ob ferner der Tradition der alten Vorschrift Friederichs des Großen, daß jeder Offizier die Umgebung seiner Garnison bis auf zwei Märsche genau kennen

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solle , in dieser Ausdehnung noch Rechnung getragen wird , laſſen wir dahin gestellt sein. Betrachten wir nun die Literatur der Terrainlehre, so wie sich dieselbe in den letzten Jahren gestaltet hat , so müſſen wir deren Standpunkt auf vielen ihrer Gebiete als einen völlig zureichenden und guten erkennen. Wir glauben hier in erster Linie, was eigentliche Terrainlehre und Terrainformenlehre betrifft, das Werk von Cybulz , „ Terrainformenlehre " besonders auch in Anbetracht seiner vortrefflichen Ausstattung mit Zeichnungen , als noch unerreicht hinſtellen zu können ; Elementar- Terrainlehre überhaupt, nicht nur Terrainformenlebre findet sich, was die geognostischen und geologischen Verhältnisse betrifft , besen ders ausführlich in der bekannten D'Egelschen Terrainlehre, weniger ausführlich in dieser Richtung in dem guten Koßmannschen Sammelwerke (ohne den Na men des Verfassers erschienen) sowie in der neuesten, im Jahre 1874 in Gaffel erschienenen Bibrach'schen Schrift und in dem älteren Böhnschen Werke an gegeben. Der in vieler Hinsicht sehr guten Waldstettenschen Terrainlehre wird von einigen Seiten Mangel an Wissenschaftlichkeit und zweckmäßiger Anordnung des Stoffes vindicirt. Was die angewandte Terrainlehre betrifft , so bietet das sonst vortreffliche Werk von D'Etel darin verhältnißmäßig weniger , wie die Werke von Koßmann und Bibrach , welche diesen Theil der Terrainlehre weit mehr berücksichtigen und ebenfalls in recht guter Weise ; das Beſte und Um fassendste in dieser Hinsicht jedoch dürfte in dem in weiteren Kreiſen verhältniß mäßig nur wenig bekannten, wenngleich von der Kritik stets warm empfehlenen Werke Koelers : „ Die Terrainlehre vom taktischen und strategischen Standpunkt aus " , enthalten sein. Die außerordentlich feinen Unter scheidungen , welche D'Ezzel, Cybulz, Waldstetten u. s. w. in der Bezeich nung der einzelnen Terrainformen machen , sowie die Genauigkeit , mit der sie die Entstehung derselben und die geognostischen Verhältnisse der Erd oberfläche behandeln , können unserer Auffassung nach für die militairisch praktische Verwerthung der Terrainkenntniß nur von verhältnißmäßig unter geordneter Bedeutung sein , wenngleich sich auf ihre detaillirte Kenntniß das gründliche wissenschaftliche Erfassen des Terrains in letter Instanz , auch in seiner militairischen Bedeutung sowie eine richtige Wiedergabe der Terrainformen naturgemäß am besten basiren muß. Aber es fragt sich für ein Werk über Terrainlehre nicht nur, was ist das Gründlichere, sondern , was ist überhaupt das in der Terrainkenntniß in Anbetracht des ganzen Entwickelungsganges und der zahlreichen anderweitigen Anforderungen, die die heutige Zeit an die Durch schnittsbildung des Offiziers stellt, zu erreichende Ziel. Unter diesem Gesichts punkte betrachtet, ist das sonst in seiner Anordnung und seinem Inhalte nach classische Werk von O'Ezzel , sowie die von Cybulz und Waldstetten, Böhn x. verhältnißmäßig nur einseitig und zu ausführlich gehalten , und selbst die den neuesten Standpunkt einnehmenden und alle Zweige der Terrainlehre umfassenden Werke von Koßmann und Bibrach erscheinen nicht nur für denjenigen , welcher sich die militairiſch-wiſſenſchaftliche Vorbildung zum Offizier verschaffen will, als auch im Durchschnitt für denjenigen Offizier, der sich auf dem Gebiete der Terrainlehre, insoweit er nicht Lehrzwecke verfolgt , weiter für praktische Ber werthung der Terrainkunde durchbilden will, deshalb unserer Auffaſſung und Erfahrung nach nicht für völlig geeignet , weil fie ebenfalls zu ausführlich ge halten sind und zu viele Details geben, was bekanntlich die bei weitem größte Anzahl unserer Berufsgenossen , welche rasche Orientirung über die Cardinal Punkte einer Disciplin ſuchen, vom Studium ſolcher umfaſſenden Werke abschreckt.

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Auch das von der Kritik so vortrefflich beurtheilte ausgezeichnete umfaſſende neue Werk „ Die Terrainlehre in Verbindung mit der Darstellung , Beurtheilung und Beschreibung des Terrains vom militairischen Standpunkte, von Carl Muszynski , k. k. Oberstlieutenant und Eduard Przihoda , k. . Hauptmann im 56. Inf. Regt. " Mit 21 Holzschnitten und einem Atlas von 29 Tafeln. (Wien. L. W. Seidel u. Sohn, 1872), welches nicht nur den Vorzug bietet, der angewandten Terrainlehre ebenso, wie der ihr als Basis dienenden eigentlichen Terrainlehre in vortrefflicher Weise Rechnung zu tragen, sondern zugleich in seinem Atlas trefflich ausgeführter Zeichnungen dem Princip des Anschauungsunterrichts gerecht wird und den neuesten Standpunkt der Terrain lehre an der Desterreichischen Militair- Akademie zu Wienerisch-Neustadt repräsentirt, erscheint ebenfalls für das Durchschnittsbedürfniß derjenigen, welche sich mit Terrain kunde im militairischen Sinne zu beschäftigen haben, bei allen seinen Vorzügen zu detaillirt gehalten und wie natürlich bei seinem Preise von 5 Thlyn. nur ver hältnißmäßig wenigen Militairs zugänglich. Die hier genannten Werke sind unserer Auffaſſung nach, in Folge ihrer ganzen Anordnung und Behandlung des Stoffes, mehr für den Lehrenden, wie für das Gros der Lernenden geeignet und berechnet. Das Gros der Lernenden aber bedarf in Anbetracht der Anforderungen , welche das Stu dium der Taktik, Waffenlehre , Fortification , Dienstkenntniß 2c. an sie stellt, besonders für die eigentliche Terrainlehre und für die Theorie der Terrain aufnahme der Kürze , da ſonſt der Entwickelungsgang in den Hauptdisciplinen der Kriegswissenschaft, die angewandte Terrainlehre mit hinzugerechnet, leidet. Ein gewiegter Generalstabsoffizier der Preußischen Armee äußerte zu einem der in seiner Section beim großen Generalstabe commandirten Offiziere, welcher in einer Terrainbeschreibung die Gesteinsbeschaffenheit eines bergigen Terrain abschnitts sehr eingehend behandelt hatte: „Mein Lieber, es ist wohl ziemlich gleichgültig, ob Sie über Grauwacke oder Thonschiefer marschiren. " Wir wollen mit Wiedergabe dieses Ausspruchs keineswegs der wissenschaftlichen Basirung der Terrainlehre durch Geologie und Geognosie, wie dieselbe in dem O'Ezel schen und Cybulz'schen Werke so vortrefflich niedergelegt ist, die vollste Berech tigung absprechen und die durch Ritter vorgezeichnete Bahn des richtigen Ver ständnisses unserer Erdoberfläche in ihrer Bedeutung für ihre Bewohner verlassen. Wir möchten nur auf das zu Viel auf diesem Gebiete in den für Militairs be rechneten Werken hinweisen, besonders wie wir wiederholt hervorheben, in An betracht des gewaltigen Stoffes, den speciell der heutige Offizier und Offiziers aspirant an anderem noch wichtigerem fachmännischen Wiſſen in ſich aufzuneh men hat, sowie des Bedürfnisses , welches das Gros des Offiziercorps fühlt, sich über die wesentlichsten Punkte theoretischer Terrainkenntniß zu orientiren. Die Festhaltung des Motto's : „ Wenig aber das Wichtigste" und dies recht gut und recht gründlich gewußt, dürfte für das Gros das beste Ziel sein, während der durch seine dienstlichen Aufgaben in dieser Hinsicht besonders Aufgeforderte, oder derjenige, welcher aus eigener Initiative speciellere Unterweisung sucht, sich unter der reichen Auswahl eingehender, umfassender, vortrefflicher Werke völlig befrie digt fühlen wird . Es fehlt thatsächlich an einer Terrainlehre, trotz der zahl reichen und guten Leitfäden, welche eristiren, die sowohl die eigentliche, wie die angewandte Terrainlehre und die Lehre von der Terraindarstellung , das Auf nehmen und Croquiren als Grundlage derselben mit inbegriffen, derartig kurz gefaßt, leicht verständlich und übersichtlich behandelt, daß sie, besonders unter Hinweis auf zahlreiche kriegsgeschichtliche Beispiele, diesen Zweig des militairischen 47 Militairische Jahresberichte 1874.

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Wissens, der in vielen seiner Theile z . B. dem Aufnehmen und der Theorie des Planzeichens wie bekannt sehr selten auf Sympathien rechnen darf, in einer anregenden Form bringt. Desto vortrefflicher find dagegen die speciellen Felder der Terrainlehre und Kunde behandelt. Von ersteren erwähnen wir, den oben verlassenen Faden auf nehmend für die angewandte Terrainlehre incl. ihres militairisch höchsten Ge bietes, der Beschreibung ganzer Kriegstheater, die vortrefflichen Werke von Rcon, „ Monographie der iberischen Halbinsel, “ v. Wussow „ geographiſche und geſchichtliche Darstellung der östlichen Norddeutschen Tiefebene oder des Südbaltischen Tief landes, " ferner die „topographische Beſchreibung Rumäniens" von Ritter v. Filt, beiläufig bemerkt das einzige Werk nach dem Urtheil Rumänischer Offiziere, die wir kennen lernten , welches Gediegenes und Eingehendes über diesen Staat zusammenfaßt. Ferner Fasolo, die „ Vertheidigung des Staates “ (Italien) mit Rücksicht auf Oro- und Hydrographie, die Werke Fadejews über Rußlands Macht und politische Stellung, die Aufsätze der Oesterreichischen Militair-Zeitſchrift. Nicht unerwähnt darf hier das reiche Material bleiben , welches die Re gistrande der geographisch - statistischen Abtheilung des großen Ge neralstabes , die Arbeit des verewigten v. Sydow , sowie die Petermann'schen geographischen Mittheilungen und die Veröffentlichungen der statistischen Bureaus der Terrainkunde in weiterem Sinne d . h. der Militairgeographie bieten. Wir möchten ferner unter dieser Literatur einige Werke speciell neueren Datums herver heben , die unserer Auffassung nach den neusten Standpunkt der theoretiſchen Terrainkunde in Preußen resp. Oesterreich bezeichnen. Es ist dies für einige Zweige der angewandten Terrainlehre und zwar für Recognoscirungen und Re cognoscirungsberichte die sehr gediegene "! Anleitung zum Recognosciren” von Rüdgisch. (Metz, deutsche Buchhandlung 1874. ) Die gleiche gute Anleitung zum praktischen Recognosciren vom Ober-Lieutenant Latterer (Wien 1872 ) ; für die Theorie des Aufnehmers die neueste Auflage der bekannten Werke von v. Plehwe und v. Wedell; für den in der Theorie schon firmen Aufnehmer die Instruction des General stabes für die zu den Vermessungen commandirten Offiziere , so wie die höchst praktischen Winke des „ praktischen Topographen “ von Hauptmann Amann. (Berlin 1873. Mittler u. Sohn.) Das große Werk des jüngst verstorbenen Nestors der Terrainlehre, die allge meine Terrainlehre Sleffleurs ist leider unvollendet geblieben, aber zahlreiche ver treffliche Aufsätze des erprobten Autors aus diesem Gebiet sind uns als schäßense werthes Erbe von ihm geblieben. Bei einem Jahresbericht, der den heutigen Standpunkt der Terrainlehre und Terrainkunde erörtern soll , dürfen füglich die Veränderungen nicht über gangen werden, welche die taktischen Erscheinungen der jüngsten Kriege speciell in der Bedeutung des Terrains für den Kampf hervorgerufen haben ; es sei da her gestattet , dieselben kurz zu betrachten. Die gegen früher gesteigerte Feuer wirkung ist dasjenige Moment der heutigen Taktik , welches vor Allem und faſt ausschließlich auf deren Modificationen von Einfluß gewesen ist. Menschen und Pferde haben sich nicht erheblich verändert, aber die Waffen und die vernichtende moralische Einwirkung derselben . Es ist klar, daß daher jede auch noch je ze ringe Deckung , welche das Terrain darbietet, heute von weit größerem Berthe wie früher ist und in geschickter Terrainbenutzung ein Hauptfactor für eine ers folgreiche Führung des heutigen Kampfes gesucht werden muß. Erhöhten Werth gegen früher erhalten daher heut diejenigen Stützpunkte im Terrain, welche vor

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zugsweise materielle Deckung gegen die feindliche Waffenwirkung bieten , als ge schlossene massive Dörfer mit guter Lisière , große ähnliche Gehöfte , Schlösser, Etablissements, Anhöhen, Gehölze und Waldungen. Wir sehen daher die Schlach= ten und Gefechte der letzten Kriege vorzugsweise an solchen Punkten ihren Haupt kampf führen und ihre Entscheidung finden. Schon die Napoleonische Zeit zeigte Aehnliches . Für heute hat sich gerade in Folge der gesteigerten Feuerwirkung, hier besonders der Artillerie , im Unterschiede zu jener die Erscheinung heraus gestellt , daß im Durchschnitt, ist einmal eine factische und beträchtliche Ueber legenheit des Geschützfeuers des Angreifers erreicht, Stützpunkte, die aus Baulich keiten bestehen , wie Dörfer, Gehöfte 2c. , für die momentane Besatzung vielfach, auch schon der vermehrten Brandwirkung halber, nicht mehr zu halten sind , und daß heute jedenfalls, bei gleich zweckmäßiger Führung der beiderseitigen Reserven, mit der Besizergreifung der Liſière für den Angreifer der Sieg hier entschieden ist. Die früher vollen Werth beanspruchende Abschnittstheorie (Ligny, St. Amand) ist somit für Dörfer x . und Gehölze heute nicht mehr stichhaltig , und ebenso der Werth von Haupt- und Special Reduits gegen früher vermindert, wenn nicht eine ausreichende fortifica torische Einrichtung derselben, die auch gegen das in Brand schießen Schutz bietet, für dieselben stattfinden konnte; dann aber ist ihre Bedeutung für das Festhalten des Stüßpunktes um so größer. Man wird sich ferner heute mehr wie bisher dazu veranlaßt sehen, besonders bei stehenden Gefechtsacten, d. h. vorzugsweise bei der Vertheidigung , zu deren Vorbereitung sich die Zeit bietet , von der Her stellung künstlicher Terraindeckungen und Verſtärkungen , in erster Linie durch Eingraben der Schützen und der Batterien, Gebrauch zu machen , ohne sich da durch von der vollsten Ausbeutung der Offensive abhalten laſſen zu dürfen. Es erscheint erlaubt , bei unserer Beurtheilung der heutigen Bedeutung des Terrains für den Kampf, auch einen Blick auf die Vermehrung und Verbeſſe rung der Communicationen zu werfen und die Consequenzen dieser Erscheinung für den Kampf zu ziehen. Im Allgemeinen kommt dieſelbe, unſerer Auffaſſung nach, dem Angreifer zu Gute, da sein Hauptelement , die freie Bewegung , dadurch besonders begünstigt wird. Früher faſt unumgehbare Stellungen werden in Folge deſſen heute leicht umgangen werden können. Bisher mehr oder weniger bedeutende Operations Barrieren haben dadurch an Einfluß bedeutend verloren , z . B. der Thüringer Wald. In wenigen Jahren werden die Alpen an fünf Stellen (Splügen, St. Gotthard , Mont - Cenis , Brenner , Semering) von Bahnen durchschnitten sein. In 62 Tagen durcheilt man vermittelst der Pacific - Bahn Nordamerica vom Atlantischen Ocean bis zum Stillen Meere , eine Strecke von etwa 700 Deutschen Meilen. Es sind dadurch die taktischen Verhältnisse der von diejen Bahnen durchschnittenen Operations - Barrieren allerdings weniger alterirt , als die strategischen, aber diese Veränderung ist eine gewaltige , was ganz besonders prägnant aus dem Umstande hervorgehen dürfte , daß Deutſchland heut ( 1875) neun , von Osten nach der Westgrenze durchgehende Bahnlinien für den Auf marsch seiner Armeen zur Verfügung hat. Nächst dem letzten Americanischen Kriege hat speciell der Krieg von 1870-71 die enorme Bedeutung der Eisen bahnen für den Kampf gezeigt. Wenn auch der gesammte Krieg nicht wie in America in vielen seiner wichtigen Perioden um den Besitz einer Bahnlinie gra vitirte , so wurden doch im Kriege von 1870-71 Festungen belagert, meilen lange Bahnstrecken neu erbaut, ausschließlich um durch eine Bahn in rasche Ver bindung mit dem Hinterlande , dem Depot an Kriegsmaterial aller Art , zu ge= 47*

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langen. Der neuerdings in Aufnahme kommende raschere Bahnbau auf eijernen Längsschienen , statt hölzernen Querschwellen , wird die Benutzung und die Be deutung der Eisenbahnen für die heutige Kriegführung nur erhöhen können. Aber selbst ihre taktische Verwendung, ihre Benutzung auf dem Gefechtsfelde trat im letzten Kriege an der Stelle hervor , wo dieselbe im Allgemeinen überhaupt nur wird zur Geltung gelangen können, bei den Cernirungen, speciell denen von Paris und Metz, bei welcher letteren sie unter Anderem zu einem geschickt an geordneten Ausfall mit Glück verwandt wurde. Ihre volle Bedeutung für rasche Versammlung und Verwendung größerer Truppenmaſſen zeigten die Eisenbahnen, speciell bei dem Feldzuge Bourbaki's , sowohl Französischer- als Deutscherſeits. Nicht ohne Bezug hierauf sehen wir daher auch unsere Cavallerie Uebungen in der Zerstörung der Bahnen vornehmen und einer Ausrüstung für den Krieg in dieser Hinsicht gewärtig sein. Die neuere Kriegführung hat dagegen eine andere Art der Communi cationen , die Wasserverbindungen durch Flüsse und Canäle gegen früher , bejon ders gegen die Fridericianische Zeit , während welcher dieselben wichtige Verbin dungs-Linien zur Heranschaffung von Verpflegung und Kriegsmaterial aller Art bildeten, auf dem Europäischen Continent sehr in den Hintergrund treten lassen, wennschon der Rhein für die Evacuation unserer Verwundeten und Kranken im letzten Kriege sehr nützliche Dienste leistete. Andererseits aber ist durch die mit der Zeit eingetretenen umfangreichen Chauffeebauten und Wegebeſſerungen, wie sie speciell in Frankreich die Ausführung des Gesezes über die chemins vici naux hervorrief, die Wegbarkeit ganzer Kriegstheater sehr zum Vortheil aller Operationen erheblich verändert worden , so daß heute dadurch und durch die ebenfalls gesteigerte Bodencultur und die vermehrten Unterkunfts -Bauten das der Verpflegung halber so wichtige getrennte Marschiren in mehreren Parallel Colonnen und doch vereinte Schlagen und somit die Operationen wesentlich be günstigt sein dürften. Blicken wir schließlich noch auf die Erfahrungen, welche uns der Festungs krieg des letzten Feldzuges in Bezug auf den heutigen Einfluß des Terrains bot, so finden wir, daß die Wichtigkeit , über eine gute Communication , speciell einer Eisenbahn , dabei gebieten zu können , von wesentlichem Einfluß auf die Wahl der Angriffsfront, besonders größerer Festungen, sich herausstellte, und daß es heute vorkommen kann, daß der Angreifer lieber eine stärkere Front angreift, weil er mehr Chance hat , mit den größeren per Bahn heranzuſchaffenden An griffsmitteln zu reussiren, als gegen eine schwächere Front mit denjenigen Mitteln, die er vermöge des gewöhnlichen Landtransportes heranzubringen vermag . Be kleineren Festungen wird diese Frage natürlich von geringerer Bedeutung sein, besonders wenn der Weg um sie herum nicht weit und beschwerlich ist. Je größer die Festung aber ist, desto wichtiger dürfte diese Frage werden , und es läßt sich behaupten , „ daß eine gut angelegte große Festung, welche gut verthei digt wird , in ihrem Innern über die neuesten Mittel der Industrie gebietet, durch den regelmäßigen Angriff nur dann genommen werden kann , wenn der Angreifer über eine Eisenbahn verfügt , weil er nur mittelst derselben solche Mittel herbeischaffen kann , welche denen des Vertheidigers überlegen sind." (Prinz zu Hohenlohe " Ideen über Belagerungen. ") Der Umstand ferner , daß in Folge des vermehrten heutigen Anbaues der ganze Rayon des Feuerbereichs um eine Festung herum heute selten frei sein wird , besonders bei größeren Festungen, bietet dem Angreifer den Vortheil, daß Fronten dem Angriff günſti ger geworden sind , die bisher als unangreifbar galten. Wie sehr hierbei auch

Terrain-Lehre und Terrain-Kunde.

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der Einfluß der Terrainverhältnisse vor der Einführung der neuesten coloſſalen gezogenen Caliber gegen früher in Frage kommt, liegt auf der Hand, würde in einer näheren Erörterung jedoch uns zu weit führen. Als äußerst, wichtiger Factor trat ferner beim Festungskriege der Jahre 1870 und 1871 die Deckung des Batterie- Baues und der Batterien durch das Terrain hervor. Häuser, Terrainwellen , Hecken , Zäune , Gestrüpp 2c. erschwerten dem Feinde die Be obachtung seiner Wirkung außerordentlich ; es gab Batterien , die er in Folge dessen Tage und Wochen lang mit seinem Feuer suchte und nie fand , die gar keine Verluste hatten und vortrefflich wirkten. Auch das Schaffen künstlicher Deckungen durch Sträucher 2c. kam dem Batteriebau , trotz der vortrefflichen Ferngläser der Belagerten, sehr zu Statten. Die neu eingeführten starken Sprengmittel erleichterten ein rasches Niederwerfen der zur Deckung benutten, schon im Terrain vorhandenen Maskirungen. Als Gesammt - Resumé unserer Betrachtungen dürfte sich hinstellen lassen, daß das heutige Gefecht ebenso sehr ein Terrain sucht, welches die vollste Aus beutung der verbesserten Schußwaffen , wie die der Offenſive erlaubt , also im Wesentlichen übersichtlich und gangbar sein muß , daß dasselbe aber gleichzeitig tüchtige Terrain - Stützpunkte , die Deckung gegen Feuerwirkung und Einsicht gewähren , bieten muß , und daß die erhöhte Wegbarkeit und Verpflegungs und Unterkunfts- Gelegenheit für die Truppen die Kriegführung überhaupt be günftigen, und Terrainverstärkungen, soweit sie die Offensive nicht lähmen, heute besonders vortheilhaft , speciell in der Defensive , zur Anwendung gelangen werden. R. v. B.

Bericht über die

kriegsgeschichtliche Literatur seit 1870 .

Seit dem letzten Kriege gegen Frankreich ist eine solche Fluth von Werken, die eben diesen Feldzug behandeln , erschienen , daß durch sie das Intereſſe an den vorangegangenen Kriegen, mehr noch an denen der älteren Zeit , zurück gedrängt ist. Diese Literatur wird auch hier in erster Linie besprochen werden, um nur das Bedeutende hervorzuheben , und die Aufmerksamkeit auf die Werke zu lenken , die neue Thatsachen bringen , sich durch ein selbstständiges Urtheil, eine eigenthümliche Auffassung, oder die Art der Darstellung auszeichnen. Dann folgt die Besprechung der Werke , die frühere Kriege oder militairische Persön lichkeiten anderer Zeit behandeln , gruppenweise nach den Kriegen , die ihren Gegenstand bilden, geordnet. Nicht jedes werthvolle Werk, namentlich über den Feldzug 1870/71 kann hier erwähnt werden , ich hätte dann nur die Wahl, ein Verzeichniß der Titel und Autoren zu geben, oder den mir gesteckten Raum, im Widerspruch mit der Aufgabe dieser Bibliographie, weit zu überschreiten. Daher liegt in der Verschweigung einzelner Werke keine Kritik, ebensowenig eine Anerkennung der Werke darin , daß wenig bedeutende Werke genannt werden, wenn sie die einzigen sind, die irgend einen Abschnitt oder eine Begebenheit be handeln. Die neueste Literatur der älteren Kriege wird dann, rückwärts schrei = tend, besprochen werden.

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Zur Literatur über den Krieg 1870/71. " Der Deutsch - Französische Krieg 1870/71 , bearbeitet in der historischen Abtheilung des großen Generalstabes " muß hier zuerst genannt werden. 6 Hefte, von Beginn des Krieges bis zum 19. August reichent, sind erschienen. Das 7. , bis zum Gefecht bei Beaumont , wird im Januar 1875 erwartet. Bei der allgemeinen , fast unbedingten Anerkennung ; die das Werk im In- und Auslande gefunden , bedarf es keiner Empfehlung , die Ge wissenhaftigkeit der Forschung , die Klarheit und Eleganz der Darstellung, die seltene Unpartheilichkeit sichern ihm einen Werth für alle Zeiten. Da den Mit arbeitern die Originalberichte der Deutschen Truppentheile, die am Kriege theil nahmen, vorliegen, da sie alle selbst in Frankreich, zum Theil an hervorragenden Stellen, gefochten, da alle Französische Quellen auf's Sorgfamste benutzt werden, verfügen sie über ein Material , wie es fast nie einem Geſchichtsſchreiber zu Gebote stand. Welch' ein Schatz würde es sein, wenn wir die Originalberichte Punischer oder Römischer Führer über die Schlacht bei Cannä oder die Bebe munds über die Belagerung von Antiochien besäßen? Ueber alle Ereigniſſe des letzten Krieges liegen aber solche Berichte in großer , oft faſt verwirrender Zabl vor. Eine Schwierigkeit liegt darin, daß wir dem Kriege noch zu nahe leben; das Auge des Historikers bedarf, wie das körperliche Auge, einer gewiſſen Seb weite. Der Mythos , der jedes kriegerische Ereigniß von der Geburt an um kleidet, verhüllt noch die einzelnen Thatsachen ; die Fülle der Erscheinungen int ſo groß, daß es seltener Kunst der Darstellung bedarf, um die wahrhaft bedeu tenden und entscheidenden mit dem nöthigen Relief hervortreten zu lassen. End lich muß die Geschichtsschreibung eines Krieges, dessen Theilnehmer noch großen theils leben, Rücksichten nehmen , namentlich in einem officiellen Werke. Für den noch im Dienst stehenden Offizier würde jeder hier ausgesprochene Tadd fast vernichtend sein; das Lob der obersten Heeresleitung, der Prinzen und Fell marschälle würde als berechnete Schmeichelei erscheinen. Kleine Verstimmungen und Reibungen zwischen einzelnen Persönlichkeiten an hervorragender Stelle ge hören zur Friction der Maschine, sie haben in keinem Kriege gefehlt, in keinem einen so geringen Einfluß gehabt, als 1870/71 ; so wenige Jahre nachher ge ziemt es sich, solche Verhältnisse nicht zu verschleiern und in ein falsches Licht zu rücken , wohl aber sie in der Darstellung möglichst zurücktreten zu laſſen. Auch politische Bedenken fordern hier die volle Würdigung - so lange Mac Mahon an der Spite Frankreichs steht, muß die Beurtheilung seiner Feldberrn talente so maß- und schonungsvoll als möglich sein , und mit Recht ist da Takt gerühmt worden, mit dem von dem gefangenen Kaiser, von Leboeuf, Bazaine und anderen wenig glücklichen Heerführern gesprochen wird . Unter Berücksichti gung dieser beiden, für die Darstellung des officiellen Werkes nothwendigen Ge sichtspunkte, hat dasselbe als geschichtliche Quelle den höchsten Werth, es erfullt daneben den Zweck , das öffentliche Urtheil im In- und Auslande über der Krieg und die leitenden Persönlichkeiten festzustellen und für die Auffaſſung der einzelnen Begebenheiten , wie ihrer Verbindung im Großen und Ganzen die Form und den Inhalt zu geben. Endlich ist das Werk eine Ruhmestafel fit das Deutsche Heer, das hier zum ersten Male vereint gefochten und geſiegt; jede große That , jede bedeutende Leistung , jede freudige Aufopferung , auch der einzelnen Soldaten, sollte hier verzeichnet werden. Die Ueberfüllung mit Details, namentlich bei Gefechten und Schlachten , die bisweilen die Ueberſichtlichkeit be einträchtigt , und es hindert , daß die entscheidenden Bewegungen sich von dem bunten Gewimmel deutlich abheben, wird hierdurch erklärt und gerechtfertigt.

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Das langathmige, treffliche Werk , deſſen erster Theil mit der Schlacht bei ― Noisseville im 9. Heft - abschließen soll , wird im 2. Theile die Belage= rungen resp. Cernirungen von Metz , Paris und anderer Festungen , die Feld züge an der Loire und im Westen , diejenigen gegen Faidherbe im Norden und Bourbakis Zug nach dem Osten behandeln. Borbstädt, Der Deutsch - Französische Krieg 1870 erschien liefe rungsweise noch während des Krieges . Wenn dem mit seltener Gewissenhaftig keit arbeitenden Verfasser auch die Kenntniß der Gefechtsberichte, wie alles dessen, was später , namentlich von Französischer Seite, veröffentlicht worden , fehlen mußte, so setzten ihn doch seine ausgebreiteten Verbindungen in der Armee in den Stand, über die meisten Begebenheiten genaue und zuverlässige Nachrichten zu erhalten , und vor dem Erscheinen des Generalstabswerkes war es fast die einzige zuverlässige Quelle, die wesentlich beigetragen hat, die allgemeine Kennt niß der Begebenheiten und das Urtheil über dieselbe zu berichtigen und zu leiten. Rüstow , Der Krieg um die Rheingrenze 1870 politisch -mili tairisch dargestellt , erschien ebenfalls lieferungsweise während des Krieges. Da dem Verfasser fast nur Zeitungsberichte zu Gebote standen , sind die zuerst erschienenen Hefte ohne historischen und kritischen Werth , da aller Scharfsinn und alle Kriegsgelehrtheit des Verfassers die mangelhafte Kenntniß der Begeben heiten nicht ersetzen konnte. Von großem Werth sind seine später heraus gegebenen kritischen Beleuchtungen des Feldzuges , in taktiſcher und ſtrategiſcher Hinsicht , in welcher er unpartheiisch und mit der ihm eigenen Schärfe und Klarheit des Geistes , alle wesentlichen Episoden des großen Krieges bespricht. Da das Generalstabswerk lieferungsweise ausgegeben wurde und erst nach Jahren vollendet werden kann , so erschienen bald nach dem Kriege eine Reihe von nach den Operationsacten, und theilweise mit Benutzung der Gefechtsberichte gearbeiteten Schriften. Das Werk, die „ Operationen der Deutschen Heere von der Schlacht bei Sedan bis zum Ende des Krieges" von Major Blume gab ein Gesammtbild der Öperationen Deutscher Heere vom Standpunkte des großen Hauptquartiers aus . Der erste Theil des Krieges - bis zur Capitulation von Sedan ließ sich im Ganzen auch von Laien klar erkennen, überall trat der großartig angelegte Plan , der den Operationen zu Grunde lag , hervor , aber schwer war es , ein Gesammtbild von der Kriegführung auf 3 verſchiedenen Kriegstheatern zu gewinnen , während zugleich Straßburg , Metz , Paris und andere Festungen belagert oder cernirt wurden. Es war das Verdienst dieser Schrift, in einfacher lichtvoller Weise zu zeigen, wie alle Fäden von den Kriegs schauplätzen und Gefechtsfeldern nach dem Centralpunkte Verſailles hinliefen und von hier aus den Anstoß und die Direction empfingen. Viele Leser gingen so weit, zu glauben , durch den Telegraphen seien die Führer der Armeen und Armee-Corps so vom großen Hauptquartier aus gelenkt worden , daß sie wenig mehr als Werkzeuge gewesen. Das lag weder in der Absicht des großen Haupt quartiers , noch in der Möglichkeit , und würde in jedem Falle den Geist der Initiative, das männliche Selbstgefühl, den Muth, auf eigene Verantwortung zu Handeln, ertödten , denen die Deutsche Armee gerade in diesem Feldzuge so viel verdankt , wenngleich die Gefahren eben dieses hohen Sinnes nicht geleugnet werden sollen. Aber ohne großen Einsatz darf man auf keine großen Erfolge hoffen. Es war das Verdienst der folgenden Werke, zu zeigen, welchen Grad von Selbstständigkeit die Führer der Armeen behalten mußten und wie dieselbe

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nur so weit durch Directive beschränkt wurde, als es die Unterordnung unter den Gesammtzweck und die Einheit aller Operationen erforderte. Graf Wartensleben , Chef des Generalstabes in Manteuffel's Armee, giebt in seinem Werke, die „ Operationen der I. Armee unter General von Manteuffel von der Capitulation von Met bis zum Falle von Péronne" ein treues , objectives Bild der Feldzüge. Vom höchſten Intereſſe ist der Zug gegen Bourbaki , gerade hier handelte Manteuffel selbstständig und auf eigene Verantwortung. Der Erfolg rechtfertigte glänzend sein Wagniß. Major von Schell , im Stabe der I. Armee, schildert die Operationen derselben unter Steinmetz „ Vom Beginn des Krieges bis zur Capitulation von Met. " Hauptmann von der Goltz, vom Stabe der II. Armee, nach deren Operations-Akten, die Leitung derselben durch Prinz Friedrich Carl. Das taktische Element tritt hier ganz zurück , aber wir gewinnen ein deutliches Bild der strategischen Thätigkeit des Hauptquartiers, seine Abhängigkeit von der oberen Armeeleitung, und seines Einflusses auf die Corpsgenerale. Stieler von Heydekampf: Das 5. Armee corps , Löhlein , die Operationen des Corps des Generals von Werder , Helvig , das I. Bayerische Corps , Heilmann, das II . Bayerische Corps , Schubert, die Betheiligung des 12. (Sächsischen) Corps an der Schlacht bei Sedan - und andere stellen die Thaten einzelner Truppentheile dar, denen die Gesammtleiſtung, der ſpeciellen Aufgabe gemäß, nur als Rahmen dient. Was das einzelne Corps gethan, ist im Relief dargestellt , die anderen sind nur in großen Linien gezeichnet. Sehr lehrreich ist das Tagebuch der 22. Division vom General von Wittich -es enthält faſt nur Befehle , Dispositionen , Rapporte und ist gewissermaßen fleischlos , aber um so beffer lernt man das Gefüge und die Adminiſtration einer oft selbstständig auftretenden Division kennen. Hoffbauer, " Geschichte der Artillerie in den Schlachten bei Met" zeichnet sich durch Treue, Zuverlässigkeit, Sachkenntniß und klare über sichtliche Darstellung aus. Es ist, wie die meisten der vorgenannten Werke, in mehrere fremde Sprachen übersetzt und gilt selbst in Frankreich als Autorität. Bei der schwerwiegenden Bedeutung, welche die Artillerie in den Schlachten und Belagerungen dieses Krieges mit vollem Recht in Anspruch nimmt, ist ein Werk, das die Leistungen dieser Waffe darſtellt, ohne diejenigen der anderen Waffen in Schatten treten zu lassen, von hohem Werthe. Von den Schriften über einzelne Belagerungen, die im Auftrage der General Inspection des Ingenieur - Corps geschrieben werden , hebe ich als beſonders lehrreich und streng objectiv gehalten „Wagner , Belagerung von Straż burg" hervor. Im Ganzen erscheint die Aufgabe, die Thätigkeit der Ingenieure in diesem Feldzuge zu schildern, nicht besonders dankbar ; sie mußte im Belagerungs kriege gegen die der Artillerie zu sehr zurücktreten . Darin liegt keineswegs an Vorwurf. Die Artillerie hat von den Fortschritten der Naturwiſſenſchaft und Technik unendlichen Vortheil gezogen, die Wirkung der heutigen Geschüße über trifft die der Kanonen , Haubitzen und Mörser aus den Napoleonischen Kriegen um das zehnfache ; die meisten Französischen Festungen waren zu einer Zeit gebaut, zu welcher die Wirkungssphäre der Geschüße nicht entfernt an die heutige reichte. Dagegen find Sappen , Ponton-Brücken und Minen seit 50 Jahren wenig verändert, mindestens ist die Entwickelung dieser Waffe nicht mit der jenigen zu vergleichen , welche Artillerie und Infanterie allein aus den verroll

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kommneten Geschützen und Gewehren gezogen haben. Ein neuer Vauban oder Belidor, der für den Belagerungskrieg durch den Ingenieur dem Kriege der Gegenwart angepaßte Formen erdacht, ist bisher nicht aufgetreten. Unter den zahlreichen Regimentsgeschichten , meiſt Fortsehungen des letzten Krieges betreffend, sind Frhr. von Ardenne, Geschichte des Zieten Husaren-Regiments (von seiner Errichtung an) und von Puttkamer, Geschichte des 2. Garde - Regiments , hervorzuheben. Beide zeichnen sich durch gewandte Darstellung und lebendige, farbenreiche Schilderungen einzelner Momente und Persönlichkeiten aus. Die Werke der Belgischen und Schweizerischen Vielschreiber Vandevelde und Lecomte über den Deutsch-Französischen Krieg sind ohne besonderen Werth. Aus der großen Zahl Französischer Werke können hier nur einzelne erwähnt werden. Mit Ausnahme von Mac Mahon , Bourbaki , Canrobert und Leboeuf haben alle höheren Führer der Französischen Armee Schriften zu ihrer Recht fertigung herausgegeben, die theilweise eine gereizte Polemik hervorgerufen haben. Im Sinne der Reformpartei des Französischen Heeres, welcher der strebende Theil der jüngeren Offiziere angehört, ist l'histoire de la guerre de 1870 von V. D. (Victor Derrécagair , damals Capitain im Kriegsministerium ) ge schrieben. Der glühende Patriotismus , die Schärfe , mit der die Französischen Feldherren und die Armee-Einrichtungen beurtheilt werden, die Kenntniß der ge heimen Geschichte des Feldzuges , welche der Verfasser überall zeigt, machen seine Schrift höchst intereſſant und belehrend. An Invectiven gegen die Deutschen Gegner fehlt es nicht. Die Schrift erschien zuerst lieferungsweise im Spectateur militaire, dann in der Gesammtausgabe, ist aber bisher für die späteren Perioden des Krieges so wenig fortgesetzt, als die Schriften von Frossard oder Fay. Es scheint , als wenn der publicistischen Thätigkeit der Offiziere im Interesse der Disciplin in der letzten Zeit engere Schranken gezogen wären. In demselben Geiste ist das „,, Journal d'un officier de l'armée du Rhin , " von Fay, einem Generalstabsoffizier, dessen Name in der Literatur bekannt, der auch Preußischen Manövern beigewohnt hat. Die Beilagen des sehr wohl geschrie benen Buches enthalten unter anderen das höchst charakteristische Journal des Commandanten David , eines unverdächtigen Zeugen, der unumwunden ausspricht, wie der Franzöſiſche Soldat und Bauer damals fühlte. David , Fay und die gesammte junge Schule plaidiren für allgemeine Dienstpflicht , Aenderung des Avancementsmodus, und wünschen im Ganzen eine Reorganisation der Franzö sischen Armee nach dem Muster der Preußischen. L'histoire de l'armée de Châlons par un volontaire schil dert den Zustand der Truppen nach den ersten Siegen der Deutschen, namentlich in drastischer Weise den des VII. Corps am Rhein und dessen Rückzug nach Chalons. Frossard , Rapport sur les opérations du deuxième corps , ist besonders wichtig wegen der taktischen Details, die er über die Thätig keit seines Corps bei Saarbrücken und in den Schlachten von Metz giebt. Jm Ganzen ist er zuverlässig ; der gelehrte Pedant und am Terrain klebende Ingenieur Offizier verräth sich an manchen Stellen. Der verheißene 2. Theil des lehr reichen Buches ist noch immer nicht erschienen. Mehr politischen Inhalts, eine Entschuldigung der Kaiserlichen Politik und eine Erörterung der Veranlassung des Krieges und des Zustandes , in dem sich das Heer befand, enthaltend, sind folgende Schriften, die Napoleon III. zugeschrie

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ben werden : Les causes de nos desastres und vom Comte de la Chapelle , les forces militaire de la France. Die Französische Art der Kriegs- Geschichtsschreibung unterscheidet sich auch darin von der Deutschen , daß sie arm an taktischen Details ist . Auch Thiers, der als glänzendes Beispiel anzusehen , giebt eine genaue Darstellung der allge meinen Operationen, die Schlachten selbst werden nur in großen Zügen geschildert, einzelne Momente werden farbenreich ausgemalt , um den Patriotismus zu be leben , aber eine eingehende Schilderung der einzelnen Begebenheiten findet man bei ihm so wenig, als bei den anderen Schriftstellern über die Kriege Napoleon L und bei denen der Gegenwart. Zur Beurtheilung der Organisation und Administration des Französischen Heeres, namentlich des dortigen Verpflegungswesens , sind von hohem Intereſſe: Baratier , Intendance militaire und Giraudeau , La verité sur la campagne. Die folgenden Schriften enthalten im Wesentlichen den Versuch einer per sönlichen Rechtfertigung des Verfaſſers . de Failly les opérations du 5. corps. Wenn es auch de Failly keineswegs gelingt , den trostlosen Zustand zu erklären , in dem sein noch nicht geschlagenes Corps in Chalons ankam , und die Sorglosigkeit zu entschuldigen, mit der er sich bei Beaumont überfallen ließ , so ist die kleine , ruhig gehaltene Schrift doch lehrreich, weil man genau den seltsamen Rückzug und die kläglichen Schicksale des V. Corps von der Saar bis Sedan in ihr verfolgen kann. Un ministère de la guerre de 24 jours vom Grafen Palikac zeigt , wie viel für die Neubildung der Heere schon vor der Kataſtropbe ren Sedan geschehen war , was dem Gouvernement de la défense nationale ſeine Aufgabe wesentlich erleichterte. Wenig geglückt ist der Versuch , den Marich Mac Mahons zum Entsatze Bazaine's zu rechtfertigen ; Palikao will eine äbu liche Operation in Dumouriez ' Bewegungen 1792 finden. Nach seiner Meinung konnte Mac Mahon noch rechtzeitig auf dem Plateau von Briey ankommen und dort mit Bazaine zusammentreffen. Ducrot's Sedan weist nach, daß sein Plan, nach Norden durchzubrechen. der einzige war , der wenigstens die Möglichkeit eines Erfolges versprach. Wimpfen übernahm das Obercommando erst mehrere Stunden nach Mac Maben's Verwundung, er hatte das Recht und die Pflicht , es sogleich zu thun, eder den Oberbefehl in Ducrot's Händen zu lassen, der in die Absichten Mac Maben's (falls dieser einen bestimmten Plan gehabt) eingeweiht sein konnte. Daturd , daß Wimpffen die Truppen, die schon in Bewegung waren, um Ducrot's Plan auszuführen, wieder nach Osten vorführte, um in der Richtung auf Montmetr durchzubrechen, mußte Unordnung entstehen und kostbare Zeit verloren werden. Wimpfens Versuch mußte nothwendig scheitern. Sehr interessant sind die Bei lagen; sie geben wichtige Details für die Märsche und Marſchordnung des I. Corps von Reims nach Sedan; die Unbehülflichkeit der Französischen Generale in der Bewegung großer Massen zeigt sich deutlich. Auch Wimpffen schrieb ein „ Sedan " und une réponse à Duerot. Er übernahm das Commande des V. Corps , für dessen Desorganiſation er schlagende Beispiele anführt , am Tage vor der Schlacht , fast unmitttelbar nach seiner Ankunft aus Algerien. Daß er dort schon früher in keinem günſtigen Verhältniß zu Mac Mahon gestanden, läßt er durchblicken. Niemand wird ih vorwerfen, daß die Armee eingeschlossen wurde und daß er auf des Kaiſers Be fehl die Capitulation abschloß. Er hat versucht zu kämpfen, bis ihm alle Trep

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pen versagten , aber sein Plan , über Balan und Bazeilles sich mit der Armee nach Montmedy durchzuschlagen, war ganz verfehlt, er hatte ihn gefaßt, als das XII. Corps einen momentan glücklichen Öffensivstoß ausführte. Erst in diesem Moment hatte er den Oberbefehl übernommen und die von Ducrot eingeleitete Operation unterbrochen. de Montluisant , l'armée du Rhin , giebt intereſſante Details, namentlich was die Artillerie des VI. Corps betrifft. Bonie , la cavalerie française , schildert lebendig die kühnen Attacken bei Wörth und Sedan , die Kämpfe bei Mars la Tour ; er gesteht, daß die großen Opfer fast ohne Resultat blieben, und tadelt den Sicherheits und Aufklärungsdienst der Französischen Cavallerie. General de Bracks treffliches Lehrbuch gilt längst in der dortigen Armee als höchste Autorität auf diesem Gebiete , aber es zeigt sich auch hier , daß die Ausbildung nicht durch Reglements und Instructionen, sondern im Wesentlichen durch die Inſpicirungen bestimmt wird. Die Literatur über die Blocade von Metz kann als besondere Gruppe be trachtet werden. Bazaine hatte schon , die Kämpfe von Met betreffend , den Rapport sommaire und la bataille de Rezonville geschrieben ; Alles was er in seinem Werke „l'armée du Rhin" schreibt, findet sich voll ständiger in seinen Aussagen in der enquête parlamentaire und vor dem Kriegsgerichte in Trianon. Rivières und Pourcets Anklageſchriften , die steno graphischen Berichte über die Verhandlungen im Proceß Bazaine haben den thatsächlichen Verlauf und das Maß der Verschuldung des Oberbefehlshabers klar gelegt. Daß politische Rücksichten und persönliche Antipathien die Inan= klagestellung Bazaines veranlaßt und die Führung des Proceſſes beeinflußt haben, ist zweifellos , dennoch ergiebt sich die Wahrheit dem unbefangen Prüfenden in jedem einzelnen Falle aus dem Vergleich der Anklage , der Vertheidigung und der Zeugenaussagen. Für die Geschichte des Krieges 1870 ist der Proceß Bazaine eine der wichtigsten Quellen. Deligny, l'armée de Metz , damals Divisionsgeneral im Garde Corps , heute Commandirender eines Armee - Corps , bestätigt einige der dem Marschall gemachten Vorwürfe, was um so schwerer ins Gewicht fällt , als die Eleine Schrift sehr ruhig und objectiv gehalten ist. Coffinières de Nordeck , la capitulation de Metz , damals Gouverneur, sucht die Schuld , die er im vollen Maße auf Bazaine und den Artillerie- General Soleille schiebt, von sich abzuwälzen. Es war sicherlich kein Act moralischer Stärke , wenn er sich im letzten Moment weigerte , die Capitu lation zu unterschreiben , nachdem er im ganzen Verlauf der Blocade jeden energischen Entschluß des Marschalls bekämpft , dessen Ausführung zu • hindern gesucht und Alles gethan hatte, um die Capitulation nothwendig zu machen. Bald nach der Capitulation von Metz und nach Gambetta's leidenschaftlicher Anklage Bazaines erschien in der "Indépendance Belge" eine Reihe von Ar tikeln , die den Marschall wegen der mangelhaften Führung der Vertheidigung auf's Bitterſte tadelten, ihn sogar des Verrathes, mindeſtens indirect, beſchuldig Der Verfasser war der spätere Oberstlieutenant de Villenoisy . - Der Kriegsminister de Cissey bestrafte ihn für diese Veröffentlichung mit 14 Tagen Gefängniß. Der Oberst d'Andlau , während der Blocade im Stabe der Armee du Rhin, schrieb anonym ,,Campagne et négociations ", in welchem er im Wesentlichen Villenoisy's Beschuldigungen wiederholt, und viel Interessantes, die geheime Geschichte jener Tage Betreffendes, mittheilt , was die späteren

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Proceß- Verhandlungen großentheils bestätigt haben. Aber der Ton persönlicher Animosität , der in der ganzen Schrift hervortritt , macht einige Vorſicht bei ihrer Benutzung nothwendig. Noch reicher ist die Literatur der zweiten Hälfte der Krieges. An der Spitze muß Freycinet ,,la guerre en province" genannt werden. Der Verfasser, früher Civil-Ingenieur und dann des Kriegsministers Gambetta rechte Hand , sucht zu zeigen , was unter und durch ihn an neuen Formationen ge schaffen , welche großartigen Pläne Gambetta gefaßt hatte , die nur an der ge ringen Fähigkeit einzelner commandirender Generale gescheitert seien. Der Energie und Thätigkeit des Kriegsministeriums ist gerade von Deutschen Off zieren volle Anerkennung gezollt worden; da das gouvernement de la dé fense nationale in Paris isolirt war , konnte das Centrum aller Operationen in Nord , Ost und West nur in ihm liegen, sollte der Kampf nach der Capi tulation von Sedan fortgesetzt werden - und wer wollte das tadeln — ſo konnte es nur durch Gewaltmaßregeln geschehen. Solche Zeiten, in denen der Krieg und die Revolution alle gesetzmäßigen Gewalten zertrümmert haben, fordern gebieterisch die Dictatur. Hier war es ein Mißgeschick , daß sie nicht in die Hände eines bewährten Feldherrn , sondern in die eines leiden schaftlichen, energischen , beredten Advocaten fiel. Daß er fast schranken loje Allgewalt begehrte, war von seinem Standpunkte aus berechtigt und lag in der Tradition der Französischen Armee , welche dem Kriegsministerium einen unheilvollen Einfluß auf alle Operationen im Felde gestattet , aber die Art , wie er und sein Delegat Freycinet alle Generale behandelten , war so an maßend und thöricht wie möglich , die strategischen Combinationen waren un praktisch und unausführbar. Umsonst sucht Freycinet den Plan von Bourbaki's Zug nach Osten zu rechtfertigen und die Errichtung der Uebungslager, in denen theilweise die Truppen (z. B. in Conlie) aus politischen Rücksichten auf die gewiſſenloseste Weise vernachlässigt wurden, als eine geniale Schöpfung dar zustellen. d'Aurelles de Paladines 27 La première armée de la Loire ", dem Freycinet vorgeworfen , daß er nicht gleich nach der Einnahme von Orléans und dem Siege über das 1. Bayerische Corps zum Entſaße von Paris marschirte, weist nach , daß der Zustand der neugebildeten Truppen das unmöglich gemacht. Er giebt zahlreiche Beläge der maßlojen Ueberhebung, Rücksichtslosigkeit und Unwissenheit des Kriegsministeriums , das selbst taktische Details auf dem Schlachtfelde anordnete, einander widersprechende Befehle gab, und jede einheitliche geordnete Leitung des Heeres störte. Jeder Soldat wird die Entrüstung des alten, verdienten Generals theilen. Chanzy ,,, la 2me armée de la Loire ", gehörte zu Gambetta's Freunden, und bewahrte ihm gegenüber größere Selbstständigkeit. Sein lebr reiches, im Ganzen maßvoll geschriebenes Werk enthält einzelne , die Deutſche Armee betreffende Irrthümer, die in Deutschen Militair- Zeitschriften wider legt sind. Martin des Pallières . Orléans , Gougeard , la 2me armée de la Loire , Pourcet, la campagne sur la Loire , find ebenfalls lehrreiche Schriften Französischer Generale über die unter ihrem Befehl im Westen aus geführten Operationen. Faidherbe , l'armée du Nord , zeichnet sich durch einfache klare Dar stellung und durch das Streben nach Objectivität vor den meiſten anderen

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Französischen Militair - Schriftstellern über den Krieg aus ; einzelne seiner Irrthümer hat General von Göben in der Darmstädter Militair-Zeitung nach gewiesen. Am wenigsten ist, da Bourbaki und Clinchant geſchwiegen, über den Feldzug nach dem Osten erschienen. Cremer,,, Les opérations militaires en 1870/71 " ist ohne allen Werth, und Bordone's Schrift über Garibaldi's Operationen un zuverlässig, läßt aber doch einen Blick in die grenzenlose Desorganiſation und Zuchtlosigkeit dieses zuſammengelaufenen Corps thun. Die vierte Gruppe bilden die zahlreichen Schriften über die Belagerung von Paris , in welcher zuerst der Gouverneur Trochu „ Une page de l'histoire contemporaine " zu nennen ist. Der ehrliche, sittenreine, aber unermeßlich eitle Mann, ohne Klarheit und Charakterstärke, hatte durch Intriguen nach der Stellung als Gouverneur gestrebt, seine Haltung der Kaiſerin gegen über war mindestens zweideutig gewesen. Er glaubte , daß seine Popularität genügen würde , die anarchischen Bewegungen zu zügeln , er schmeichelte dem Pöbel statt ihn zu beherrschen , und ließ sich aus Schwäche zu Maßregeln drängen, deren Unausführbarkeit er deutlich einsah. Die Idee , seinem Vater lande ein zweiter Washington zu werden , hat ihm dunkel vorgeschwebt , aber dazu fehlte ihm die Stärke des Willens , die Klarheit des Geistes , vor Allem die Einfachheit und Wahrheit der Seele. Das zeigen seine Vertheidigungs schriften so deutlich , als die Verhandlungen in der Enquête parlamentaire. Aber man muß anerkennen, daß er die Befestigungsarbeiten von Paris mit Umsicht und Sachkenntniß geleitet, auch für die Verpflegung der Stadt, Bewaff nung der neuformirten Truppen , Anfertigung von Waffen und Munition eine unermüdliche Thätigkeit gezeigt hat. Sehr unterrichtend sind beide Schriften des General Vinoy. Zuerst ,,le siège de Paris et les opérations du XIIIme corps " , das von Mézières, da es die bei Sedan eingeschlossenen Truppen nicht mehr erreichen konnte, in Eilmärschen, theilweise die Eisenbahn benutzend , dem 6. Preußischen Corps zu entgehen und Paris zu erreichen wußte. Es bildete bei der Ver theidigung den Kern der Truppen. ,, Campagne de 1870/71 . L'armistice et la commune. Opérations de l'armée de Paris " deffelben Verfaſſers ist eine im Ganzen objective Darstellung , vom Standpunkte des Militairs aus , der die Unzuverlässigkeit der neuformirten Mobilgarden und Freicorps deutlich erkennt und ausspricht. Disciplin und Ausbildung sind ihm mehr werth als Begeiste rung, die nach einigen kalten Biwaksnächten und bei schlechter Verpflegung schnell verraucht. Viollet le Duc la défence de Paris". Der Verfaſſer , einer der ersten Civil - Ingenieure von Paris , giebt eine genaue , durch vortreffliche Zeichnungen erläuterte Beschreibung der Befestigungsarbeiten, die theilweiſe unter seiner Leitung ausgeführt sind . Noch intereſſanter ist seine drastische Schilde rung des Geistes und der Sitten der Vertheidiger, der Zügellosigkeit der Freicorps , der elenden Rodomontaden, der Feigheit Einzelner. Offen spricht er seinen Haß des siegreichen Feindes aus , aber ebenso offen erkennt er die moralische Ueber legenheit der Deutſchen Soldaten an. Wie unrichtig die oft gehörte Behauptung ist , alle Franzosen seien durch nationale Eitelkeit verblendet, zeigt dies sehr beachtungswerthe Buch, dessen Verfaſſer ſchonungslos alle bunten Lappen weg

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reißt, mit denen seine Landsleute die Wunden und Beulen ihres Vaterlandes und die der eigenen Perjen verbergen wollen . Sarcey,,, le siège de Paris " , ist mehr belletristischer Natur , aber in demselben Sinne geschrieben, eine treffliche Charakteristik des Parisers während der Belagerung. Ebenso Labouchère, des Englischen Correspondenten der Daily News, Tagebuch. Unter den zahlreichen Darstellungen der Belagerungen einzelner Festungen sind die von Uhrich , siége de Strassbourg und von Denfert, la défence de Belfort hervorzuheben, obwohl letztere nicht überall zuverläſſig erscheint. Fast alle Departements , die vom Feinde occupirt gewesen, haben die erduldeten Leiden, den Uebermuth des Siegers, die gebrachten Opfer mit lebhaften Farben schildern lassen ; von den wenigen, die sich durch im Ganzen wahrheits getreue , nur mäßig übertreibende Erzählung auszeichnen , mag Versailles pendant l'occupation genannt werden. Streng objectiv und magrell gehalten ist ,, La marine au siége de Paris par le vice - admiral La Roncière le Noury". Die tapfern und gut disciplinirten Marine Truppen bedurften keiner schönfärbenden oder verschleiernden Darstellung. Mc. Mahon,,, L'armée de Versailles depuis se formation jusqu'à la complète pacification de Versailles " enthält nur eine nackte Erzählung der wesentlichsten Begebenheiten. René de Pont Jest schrieb über die Thätigkeit der Marine 1870 in der Nord- und Ostsee ein, wie es scheint, officiöses Schriftchen. Die bereits erwähnten Zeugenaussagen in der enquête parlamentaire unter St. Marc Girardin's, dann unter Graf Daru's Präsidium , die sich auf die Capitulationen der Armee und der Festungen , den Ankauf von Geſchüßen, Gewehren und Munition, die von Gambetta errichteten Lager 2c. bezogen, find eine sehr wichtige, in Deutschland nicht genug beachtete Quelle der Geschichte jenes Krieges. Freilich stehen wir, wie die Ankläger , Zeugen und Richter den Ereignissen noch zu nahe, um ganz unbefangen sehen und urtheilen zu können, und so spricht sich in diesen Verhandlungen vielfach Leidenschaft und Parteilichkeit aus ; so war es charakteristisch, daß Gambetta nicht in Folge der ihn schwer gravirenden Untersuchung und des Berichts über das Lager von Conlie vor Gericht gestellt wurde. Auch die Zeitschriften enthalten wichtige Beiträge, von denen hier nur auf einzelne hingedeutet werden kann. Die Revue des deux mondes enthält eine Uebersicht des ganzen Krieges von de Mazade, und treffliche Sittenschilderungen von der sehr antideutsch gesinnten George Sand ,,Lettres d'un voyageur". Wichtig ist ein Artikel der Revue des questions historiques über die Schlacht bei Beaune la Rolande, die auch in der Revue des deux mondes besprochen ist. Le Temps und der Spectateur militaire enthalten eine Reihe interessanter Artikel über die Belagerung ren Paris , Paris - Journal über die Flotte. In der ,, Liberté " beantwortet der Capitain Jung unter dem Namen Marcellus Bazaine's Rapport. Der Spectateur wie die Bulletins de la réunion des officiers enthalten eine Reihe von Auf jätzen über einzelne Episoden und Verhältnisse des letzten Krieges ; beide Journale bilden gewissermaßen den Brennpunkt für die Bestrebungen des Theiles der jüngeren Offiziere , die ich die Reformparthei des Heeres nennen möchte , denen sich das Bleigewicht der Generale aus der Schule Napoleons III. und wie es

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scheint, seit etwa einem Jahr, auch in der periodischen Preſſe nicht ohne Erfolg entgegenstellt. Zur Literatur über den Feldzug 1866.

In den letzten Jahren sind bezüglich des Feldzuges von 1866 erschienen : Knorr, Feldzug der Main - Armee, Theil III. , enthält die Opera tionen seit der Uebernahme des Oberbefehls durch General von Manteuffel bis zum Frieden , und die des 2. Reserve- Armeecorps unter dem Großherzog von Mecklenburg. Interessant ist die Beilage Nr. I. über die viel entstellte Frank furter Contributionsgeschichte. Un po più di Luce vom Kriegsminister Lamarmora ist der miß glückte Versuch einer Rechtfertigung des Feldherrn wie des Politikers . Zahl reiche Irrthümer sind ihm , der immer zur Französisch gesinnten Parthei in Italien gehörte, gleich nach dem Erscheinen des Buches nachgewiesen. Chiala. Cenni storici sui Preliminari de la guerra 1866 e sulla battaglia di Custozza ist ebenfalls ein Plaidoyer für Lamarmora, das manches Interessante , namentlich über dessen Verhältniß zu Cialdini, mittheilt. Zur Literatur über die ſonſtigen Feldzüge der neueren Zeit. Von den Werken über die Feldzüge der neueren Zeit , ausschließlich der Kriege von 1866 und 1870/71 , sind zu nennen : Der Krieg der Triple- Alliance gegen Paraguay , von L. Schnei der, mit großer Kenntniß des Kriegsschauplatzes und der Südamericaniſchen Verhältnisse, aber wohl mit Partheinahme für die Politik und das Heer Braſiliens geschrieben. Der Britische Feldzug gegen Abessinien , von dem bekannten Times Correspondenten Hozier , damals im Stabe Lord Napiers , giebt ein belebtes, feſſelndes Bild der Öperationen und der gewaltigen Schwierigkeiten des Trans ports und der Verpflegung. Stumm. Aus Chiwa schildert in belletristischer Weise die persönlichen Erlebnisse des Verfaſſers . Die Expedition gegen Chiwa 1873 , von Dr. Emil Schmidt , ist mit Benutzung aller Russischen und vieler Orientalischen Quellen geschrieben. Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten. Die zahlreichen trefflichen Werke über diesen Krieg sind, wie er selbst, zu wenig in Deutschland gekannt, die gewaltigen und so viel unterbreitenden Begebenheiten der Jahre 1866 und 1870/71 drängten das Interesse von den Americanischen Verhältnissen zurück. Zuerst ist die Biographie Robert Lee's von Esten Cooke , der schon früher Stonewall Jacksons's Leben und Thaten geschildert, zu nennen. Nach Droysens Leben Yorks halte ich diese Biographie Lee's für die beste militairische , die in den letzten Jahrzehnten geschrieben ; durch ihre Wärme , ihre Lebendigkeit und Kraft stellt sie die glatten Porcellanfiguren Varnhagens in tiefen Schatten. Man lernt den Feldherrn bewundern, den Menschen lieben und verehren , auch da, wo man seine Handlungsweise nicht billigen kann ; an Einfalt , Wahrhaftigkeit, Klarheit des Geistes und Willensstärke ist Lee nur seinem großen und glück licheren Landsmann Washington zu vergleichen. Pollard , Life of Davis , mag hier erwähnt werden, obwohl es vor 1870 erschienen, weil es höchst interessante Momente zur inneren Geschichte der Conföderation enthält. Der Verfasser redigirte während des Krieges ein Journal in Richmond , war begeistert für die Seceſſion, hat eine Geſchichte des Krieges (the lost cause) geſchrieben, tadelte aber an Jefferſon Davis die Neigung zur

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Intrigue und die bureaukratische Despotennatur, die namentlich Lee oft beſchränkte und hinderte. Die Berichte des Untersuchungs -Comités (Reports of the joint comité, über die Belagerung von Charleston, die Artillerie, die Mine von Petersburg xc.), theilweiſe früher erschienen, ſind eine wesentliche Quelle der Geſchichte des Krieges. Ob die Untersuchung immer ganz unpartheiisch geführt worden, ob nicht bisweilen politische und persönliche Rücksichten eingewirkt haben, mag dahin gestellt bleiben. Immerhin erfordern die gerichtlichen Aussagen der Generale und anderen Theil nehmer an den bedeutendsten Ereigniſſen des Feldzuges die größte Beachtung. La Guerre en Amérique par le comte de Paris, Theil I. u. II., nur bis zum Beginn von Mac Clellan's Campagne 1862 reichend, verſpricht die beste, partheiloſeſte, eingehendſte Geſchichte des Krieges zu werden. Der Graf focht während desselben im Stabe Mac Clellan's, seine Sympathien sind, den Tradi tionen seiner Familie gemäß , der Erhaltung der Union zugewendet , aber seine Darstellung ist streng objectiv . Besonders lehrreich ist Alles , was er über die geographischen Verhältniſſe, die Flüſſe und Eisenbahnverbindungen, die Organi sation der Heere und die Art der Verpflegung sagt. Neben Mac Clellan scheint er Sherman für den bedeutendsten Führer im Heere der Nordstaaten zu halten; deffen Operation von Georgien nach Süd Carolina und Nord - Carolina war der Todesstoß für die Conföderation , der allein den Erfolg von Grants Operation gegen Richmond und Petersburg er möglichte. Das sehr lebendig und klar geschriebene Werk ist mit trefflichen Plänen ausgestattet. Scheibert, Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten , ent hält eine Reihe interessanter Aufsätze über die Taktik und Strategie in den Heeren der Nord- und Südstaaten und beherzigenswerthe Bemerkungen über Panzerschiffe und Küſtenvertheidigung. Der Feldzug 1859 , vom Desterreichischen Generalstab bearbeitet, enthält im 2. Theil, Heft I, die Ereignisse nach der Schlacht bei Magenta bis zur Ergreifung der Offensive über den Mincio. Die Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, die alle vom Generalstabsbüreau für Kriegsgeschichte herausgegebenen Werke auszeichnet , und die Strenge, mit welcher die begangenen Fehler des eigenen Heeres offen getadelt werden , zeigen sich auch in dieser nach den Feld acten geschriebenen Geschichte. Vaupel, Krig. Eine sehr lehrreiche, jezt beendete Geschichte der Schles wig-Holsteinischen Kriege 1848-50 von Dänischer Seite. Zur Kenntniß der Operationen des Dänischen Heeres und der Absichten des Feldherrn unentbehrlich. Zur Literatur über die Napoleonischen Kriege. Die Napoleonischen Kriege bieten noch immer reiche Quellen für die Kriegss geschichte und ein weites Feld für die Forschung ; die vortrefflich redigirte Correspondance de Napoléon , die man beim Studium jener Kriege immer zur Hand haben muß, waren bereits früher vollendet ; von Wellington supplementary Dispatches and Correspondences find neuer dings mehrere Bände erschienen. Beide Werke lassen sich nur den Briefen Friedrich des Großen vergleichen, wie sie in der von Preuß bearbeiteten Heraus gabe zu finden sind . Der große König, Napoleon und Wellington waren das Centrum , von dem alle Operationen der Heere, alle politischen Gedanken aus gingen. Seit alter Zeit ist die Französische Literatur reich an Memoiren. Lehrreich

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und manche Epiſoden in neuem Lichte darstellend, sind die des Grafen Pajol (commandirte 1813 das 5. Cavallerie- Corps) und die des Grafen Ségur , erstere bis zur Juli -Revolution reichend. Die 7 Bände der histoire et mémoires des General Comte Ségur umfassen die Zeit von 1790-1840. Ein höchst liebenswürdiges , ächt Französisches Buch sind les souvenirs du colonel de Gonneville , der aus alter legitimistischer Familie stammend, an Napoleons Feldzügen von 1804-15 Theil nahm . Der Verfasser stand an keiner einflußreichen Stelle und man darf von ihm keine neue Aufschlüsse über die großen Begebenheiten erwarten , aber für die Kenntniß des Geistes und der Sitten jener Zeit und jener Heere iſt das Buch höchſt lehrreich. General Ambert hat eine interessante Einleitung dazu geschrieben. Du Casse , la vie de Vandamme , vertheidigt den General gegen die Vorwürfe, die ihm Napoleon im manuscrit de St. Hélène wegen seines Ver halten bei Culm und 1815 in Belgien machte. In beiden Fällen verdiente Vandamme keinen Tadel ; auch die Härte, mit der er 1813 den Aufstand in der 22. Militair-Division unterdrückte , war nur eine Ausführung dessen, was ihm der Kaiser befohlen. Vandamme war ein tüchtiger Soldat, aber eine rohe, enge und harte Seele, und es kann dem Biographen nicht gelingen, den in Deutsch land besonders verhaßten Mann als Menschen in günſtigerem Lichte darzuſtellen. Klippel. Das Leben Scharnhorst's , eine sehr fleißige Arbeit , die werthvolle Details über des großen Mannes Privatleben beibringt und auch sonst brauchbares Material enthält, aber der Verfasser scheint nach dem unglück lichen Muster von Pertz die Biographie gearbeitet zu haben. Wir sehen nicht die lebensvolle Gestalt des edlen, trefflichen Mannes, des großen Schöpfers der Preußischen Armee, -- sondern ein lockeres Conglomerat von Briefen , Me moiren, Dispositionen 2c., die durch kurze Abſchnitte ziemlich trockener Erzählung aneinander gereiht sind. Schönhals. Geschichte des Krieges 1805 , ist socben erschienen ; der Verfaſſer, dem wir die glänzend geschriebene Geſchichte der Kriege 1848/49 verdanken, in denen er neben Heß den Generalstab des Desterreichischen Heeres leitete , hatte diese Arbeit aus dem Jahre 1821 (er war damals Hauptmann) als Manuscript hinterlassen. Ueber Mack's Capitulation bei Ulm und die Schlacht bei Austerlitz ist manches Neue und Pikante zu finden, doch kannte Schönhals die neueren Schriften von Thiers , Häusser, Rüstow und die Fran zösischen Mémoiren nicht, und seine Anschauung der politischen Sachlage, auch der Stellung Preußens bei der Sendung von Haugwizan Napoleon, ist unrichtig. Rousset Les Volontaires 1792-93 , übersetzt von Braun, mögen hier eine Stelle finden, obwohl der Gegenstand den Napoleonischen Kriegen nicht angehört. Der treffliche Biograph Louvois zerstört erbarmungslos den Mythos, der sich an Carnots levée en masse und an die patriotischen republicanischen Freiwilligen knüpft. Es waren, nach den Berichten der Generale , wie nachy denen der fanatisirten Conventsdeputirten bei der Armee , zuchtloſe , oft feige Banden, unbrauchbar für jeden Kriegszweck. Die Geschichte der Hannoverschen Armee von General v . Sichart, greift noch weiter zurück, behandelt aber sehr eingehend die Thaten und Schick fale derselben im siebenjährigen Kriege, wie 1805, 1806 und in den Befreiungs kriegen. Das Werk ist die Frucht vieljährigen Fleißes und der warmen Hin gebung des Verfaſſers an seine Aufgabe; es beruht durchaus auf den Studien archivalischer Quellen. Von Bancroft's vortrefflicher Geschichte der vereinigten Staaten 48 Militairische Jahresberichte 1874.

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ist der 10. und letzte Band , bis zum Jahre 1782 reichend, erschienen, welcher unter anderen militairisch wichtigen Begebenheiten die Belagerung und Capitu lation von Yorktown enthält. Der geistreiche und gelehrte Verfaſſer hat zu dieser Arbeit, die fast sein ganzes Leben erfüllte , auch viele Deutschen Büchern nicht erschlossene Quellen benutzt. Zur Literatur der Schlesischen Kriege und des Spanischen Erbfolgekrieges. Der II. Band , Abtheilung I von Arnold Schäfers lehrreicher Geschichte des siebenjährigen Krieges , reicht von Anfang der Jahre 1758 bis zur Er öffnung des Feldzuges von 1760. Das Werk ist besonders wichtig wegen der genauen Untersuchung der damaligen politischen Verhältnisse , der Verträge mit England, der Declaration von Rijswijk und des Verhaltens der Höfe von Wien, Versailles und Petersburg. Die Beilagen enthalten noch unbekannte Verträge, Briefe und andere Actenstücke. Droysen, die Schlacht bei Chotusih. Diese Schrift des unermüd lichen und gewissenhaften Forschers beruht auf der sorgsamsten Vergleichung aller, zum Theil bisher unbekannter Quellen, ohne zu einem bestimmten Abschluß über die streitigen Fragen zu führen. C. von Noorden , der Spanische Erbfolgekrieg. Der Verfasser hat sich eine höchst dankbare Aufgabe gestellt ; es fehlte durchaus noch an einer ein gehenden Geschichte jenes Krieges , der militairisch sowie politisch vom höchsten Interesse ist. Die politischen, den Krieg immer bedingenden, ihn oft bestimmen den Verhältnisse hat er besonders anſchaulich dargestellt ; weniger glücklich ſcheint mir die Schilderung der Schlachten und die Kritik der Operationen. Zur Literatur des 30jährigen Krieges. Unsere größten Autoritäten im Gebiete der Militair- Literatur , Behrenhorst und Clausewitz, haben schon darauf hingewiesen, wie reich der Deutschland ver heerende Krieg an kühnen Operationen , an Thaten höchster Energie und bei aller Verwilderung der Soldaten , an Zügen ächt kriegerischen Sinnes gewesen. Die Kriege Ludwig XIV. mit ihrem geregelten Verpflegungswesen , ihrem immer sehr beschränkten Ziel, scheinen Clausewitz im Vergleiche zu dem 30jähri Unsere Kenntniß gen Kriege, wie ein Paradedegen neben einem Ritterschwert. fener Zeit ist noch äußerst gering , was Rüstow nicht mit Unrecht daraus erklärt, daß die Schriftsteller Chemnitz, Khevenhiller, und das Theatrum euro paeum pp., nicht entfernt mit den Geschichtsschreibern der Italienischen Kriege des 16. Jahrhunderts : Machiavelli , Guicciardini , Paul Jovins , - zu ver gleichen seien. Die sorgsame, gewissenhafte Quellenforschung der Gegenwart beginnt das Dunkel zu lichten, aber das Urtheil selbst über die hervorragendſten Persönlichkeiten, wie Gustav Adolf, Tilly und Pappenheim ist noch keineswegs festgestellt. Eine sehr interessante aber freilich mit großer Vorsicht zu benußende Quelle hat sich in den zahlreichen Deutschen , Lateinischen , Franzöſiſchen und -Schwedischen Flugschriften jener Zeit erſchloſſen es wurde vor 250 Jahren eben soviel gedruckt wie heute und die Staatsschriften waren sehr viel dickleibiger. Da die Controverse nicht abgeſchloſſen , mögen hier nur einige der bedeu tenderen Werke genannt werden : Ranke , Geschichte Wallensteins . Gustav II . Adolf, in Deutschland von Cronholm , aus dem Schwedi schen von Helmi. Droysen, Gustav Adolf, Theil II. bis zur Schlacht bei Lützen 1632. Tilly , Gustav Adolf , Magdeburg , von Wittich .

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Zur Literatur der Kriegsgeschichte im Allgemeinen. Fürst Gallizin , Kriegsgeschichte aller Zeiten und Völker, aus dem Russischen von Streccius und Anderen. Aus den obigen Anmerkungen über die Literatur der Kriege des 18. und 17. Jahrhunderts geht schon hervor, daß es noch an den nöthigen Vorarbeiten, der Specialgeschichten fehlt, um eine allgemeine Kriegsgeschichte zu schreiben, die eine anschauliche Darstellung der Entwickelung der Kriegskunst gewährt , ſtatt einer Aufzählung der Begebenheiten. Die unendlich verschlungenen Wege der Politik mit ihrem tiefgreifenden Einfluß auf die Kriegführung zu zeigen, fehlt es vielfach an Material. Das Werk des fleißigen Verfaſſers scheint die Arbeit eines gelehrten Dilet tanten, der sich der Schwierigkeit der großen Aufgabe, die er sich gestellt, wohl nicht völlig bewußt gewesen ist. Sein Unternehmen ist nicht, wie er sagt, das erste in seiner Art , vollenden wird er es voraussichtlich so wenig als seine Vorgänger. Zum Schluß erwähne ich noch Oberst Chesney's militairische Essay's. Chesney verdient unseren Dank , weil er zuerst in England gewagt , der von Wellington ausgegangenen , dem Nationalgefühl schmeichelnden Tradition zu widersprechen und in den Waterloo Lectures den Beweis zu führen , daß die Preußen großen und entscheidenden Antheil am Siege von Waterloo gehabt haben. Die moderne Form des Essay bietet alle Vortheile, die einem so lang Der eng athmigen Werke wie dem des Fürsten Gallizin nothwendig fehlen. gezogene Kreis der Aufgabe läßt sich ganz erfüllen, alle Quellen, die eine Person, eine Begebenheit oder einen Zeitraum betreffen, lassen sich erforschen, und leichter kann ein charakteristisches , fesselndes , belehrendes Bild gegeben werden. Von den military essais führe ich nur an : Henry von Brandt, The grand army nach Fezenjac's Memoiren. Beide Aufsätze sind besonders a german soldier of the french empire. lehrreich weil sie den wahren Zustand der Französischen Armee, besonders 1812 , zeigen , und dazu beitragen werden , den Napoleonischen Mythos auch in Eng land zu zerstören. Cornwallis and the indian services . Chinese Gordon and the Taiping Rebellion ſind besonders Deutschen Lesern, auch im Heere, zu empfehlen, da die Kriege und Siege der letzten zehn Jahre unsere Aufmerksamkeit von den großen, die Umgestaltung eines Welttheils rorbereitenden Ereigniſſen in Aften faſt ganz abgelenkt haben .

Bericht über den Karliſtenkrieg 1874.

Seit der Spanischen Revolution von 1868 steht der Karlismus wieder in Waffen. Der Infant Don Juan Carlos , Sohn Karls V. , des ersten Präten denten , entsagte im October 1868 zu Gunſten ſeines ältesten Sohnes Carlos, Herzogs von Madrid, der nunmehr als Thronprätendent (Karl VII. ) auftrat. Die Karlistischen Aufstände im Sommer 1869 und im Sommer 1870 wur = den mit leichter Mühe niedergeworfen. Mehr Zeit und Kräfte erforderte die 48*

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Militairische Jahresberichte für 1874.

Bewältigung des Aufstandes in Navarra und in den Baskischen Provincen im Sommer 1872. Anfang 1873 tauchten hier wie in Catalonien wieder Banden auf. Sie wuchsen zu Armeen an, Dank der Anarchie , welcher Spanien nach Amadeus Abdankung anheimfiel. Der Schauplatz der Karlistenkämpfe ist im Allgemeinen der nordwestlichste Theil Spaniens , das Land zwischen der Französischen Grenze und dem Ebre. Südlich dieses Flusses stehen mur in der Provinz Valencia Karlisten unter den Waffen. Der genannte Landstrich umfaßt zunächst dem Biscayischen Meerbusen die 3 Baskischen Provincen (Biscaya, Guipuzcoa, Alava) und Navarra. Sie bilden den Hauptkriegsschauplatz, auf welchem der Krieg seine Entscheidung finden wird. Hier ist die Bevölkerung fast ausnahmlos dem Prätendenten treu ergeben, 20,000 bis 25,000 waffenfähige Männer sind jederzeit bereit, sich für ihren König, ihre Fueros (Privilegien) und ihre Religion zu erheben. Dieser nördliche Kriegs schauplatz ist von dem östlichen , Catalonien , durch Arragonien getrennt. Dieje Provinz ist an dem Aufstande nicht betheiligt , sie wird nicht berührt von den im Often und Weſten ſich abspielenden Kämpfen und wie im Frieden geht wäb rend der nun zweijährigen Dauer des Bürgerkrieges die Poft von Huesca über die Pyrenäen nach Pau. Der dritte Kriegsschauplatz liegt südlich des Ebro , er umfaßt die nördlich sten Districte Valencia's. Weder hier noch in Catalonien bieten die Kämpfe ein militairisches Inter eſſe. Im Gegensahe zu dem nördlichſten Kriegsschauplate stehen hier keine Ar meen , sondern nur mehr oder weniger gut organisirte Banden im Felde, in Catalonien etwa 10,000 , in Valencia etwa 8000 Mann. Weder die Führer noch die Soldaten sind so treue Karlisten, wie die Basken und Navarrejen. Ohne directe Verbindung mit dem auf dem nördlichen Kriegsschauplatz befindlichen Den Carlos , kümmern sich die Führer wenig um dessen Weisungen und verleihen durch unerhörte Grausamkeiten dem Kriege einen Charakter, der schwerlich den Intentionen des Prätendenten entspricht. Nicht ein Ort von Bedeutung gehört den Karliſten. Das Gros der cata lonischen Banden unter Saballs hält die nördlichsten Districte der Provinz be jetzt. Die Valencianischen Banden, früher unter Don Alfons , des Prätendenten Bruder, jetzt unter Lizzaraga, haben den unter dem Namen Maestrazgo bekann ten gebirgigen District im Grenzgebiete der Provincen Teruel , Valencia und Castellon inne. Sie verlassen diese Stellungen, ihre natürlichen Festungen, nur dann, wenn sie Chancen haben, sich einer Stadt zu bemächtigen. In der Regel kommen jedoch die Entſak-Colonnen der Regierungstruppen noch rechtzeitig, mit unter gelingt es den Banden, sich des Platzes zu bemächtigen , in welchem sie dann einige Stunden oder Tage eine blutige Herrschaft ausüben. Im Jahre 1873 , wie in der ersten Hälfte des Jahres 1874 waren die dort verfügbaren Streitkräfte der Republicaner so unzureichend , daß namentlich die Valencianischen Banden weite Streifzüge in die angrenzenden Provincen unternehmen könnten. So war Cuenca , die nur 20 Meilen von Madrid ent fernte Hauptstadt der gleichnamigen Provinz zweimal im vorübergehenden Besik der Karlisten. In der zweiten Hälfte des Jahres 1874 hat jedoch die Regie rung für diese beiden Kriegsschauplätze so viele Truppen verfügbar gemacht, daß die Karliſten nur selten ihre Zufluchtsstätten verlassen können. Den Valencia nischen Banden gegenüber operirt die 4 Diviſionen starke Centrums - Armee, deren

Karlistenkrieg 1874.

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seitheriger Chef der jetzige Kriegsminister, General Jovellar, war. In Cata lonien verfügt General Martinez Campos über 4 Divisionen. Für den Ausgang des Krieges sind die Aufstände im Osten nur in sofern von Bedeutung, als sie immerhin beträchtliche Streitkräfte des Feindes in jenen Provincen festhalten. Das Interesse an der Entwickelung des Krieges bleibt jedoch auf den nörd lichen Kriegsschauplay, das Baskenland und Navarra, concentrirt. Januar 1873 standen hier kaum 1000 Mann unter den Waffen, in kleinen Banden auf die heimathlichen Provincen vertheilt. Die Zahl der Streiter wuchs in dem Maße , als Waffen eintrafen , und als im Auguſt 1873 die Ohnmacht der Republik ihren Höhepunkt erreicht hatte, verfügte Don Carlos in den Nord provincen bereits über 15,000 Mann. Diesen standen kaum 12,000 Mann gegenüber, welche die Occupation des Landes nicht mehr aufrecht erhalten konn ten. Sie gaben die zahlreichen kleinen Garnisonen auf und concentrirten ihre Streitkräfte. Die Hauptstädte der Provincen und wenige andere Orte behielten sie indeſſen besetzt. Sie bildeten isolirte Poſten im Gebiet des Feindes , deren Macht nicht über die befestigte Lisière des Ortes reichte. Der erste Theil des Krieges, der Krieg der Karlistischen Banden gegen die republicaniſchen Colonnen war damit zu Ende. Die Karlisten hatten sich die Herrschaft über die 4 Provincen erkämpft und konnten ungestört die Gesammt= kräfte des gewonnenen Landes für den Krieg organisiren. Es gelang bis Ende 1873 , alle waffenfähigen Mannschaften der Armee einzuverleiben und deren Stärke durch Heranziehung der in den Provincen Burgos und Santander orga= nisirten Banden auf 25,000 bis 27,000 Mann zu bringen. Im Jahre 1873 machte also der Karlismus stetige Fortschritte und er reichte beim Jahresſchluſſe wenigstens hinsichtlich der Zahl seiner Streiter den Höhepunkt. So lange der Krieg auf die 4 Provinzen beschränkt blieb, war eine Vermehrung der Streitkräfte nicht zu erwarten. Für Don Carlos war damit der Moment gekommen, aus der abwehrenden Haltung heraus zu treten und die Kräfte für die Vergrößerung des errungenen Besizes einzusetzen. An eine Offensive über den Ebro war bei dem Mangel an Cavallerie und der ganz unzureichenden Artillerie freilich nicht zu denken, es konnte sich also nur um den Angriff der von den Republicanern im Kar listischen Gebiet noch behaupteten Städte handeln. Von diesen war Bilbao, die reiche Hauptstadt Biscaya's , die bedeutendste; auch bot sie ihrer Lage nach die meisten Garantien für den Erfolg des Unternehmens , denn die Entsatzversuche des Gegners waren an wenige leicht zu sperrenden Straße gebunden , die Stadt selbst war nur schwach befestigt. Ende December 1873 wurde die völlige Cernirung der Stadt bewerkstelligt. Auf ihre Befreiung sind nunmehr alle Anstrengungen der Republicaner gerichtet. Die Belagerung begann für die Karlisten unter günstigen Auspicien. Der durch die October-Aushebungen der republicanischen Armee erwachsende Zuwachs war in Anbetracht der Gesammtstreitkräfte der Karlisten nicht hoch anzuschlagen. Die Eintracht der Parteien , die im September geherrscht , wurde im December wieder lose und aller Wahrscheinlichkeit nach kamen bei dem bevorstehenden Zusammentritt der Cortes wieder diejenigen Männer an das Staatsruder, welche die kaum überwundene Anarchie herbeigeführt hatten. Im Süden war Carthagena noch in der Gewalt der Cantonalen , die Belagerung dieser Festung absorbirte beträchtliche Kräfte des Feindes. Im Often endlich waren die Karlistischen Banden Valencia's bis weit in die Provinzen Alicante und Albacete vor=

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Militairische Jahresberichte für 1874.

gedrungen, Streifcorps erschienen bereits im Rücken des Belagerungscorps von Carthagena. Diese Verhältnisse änderten sich indessen bald zu Ungunsten der Karlisten. Wie vorauszusehen war , fiel bei dem Zusammentritt der Cortes am 2. Januar das Ministerium Castelar. Doch der Staatsstreich des General Pavia rettete das Land vor einer zweiten Auflage föderaliſtiſcher Herrschaft. Die unter völliger Wahlenthaltung der gemäßigten Parteien im Juni 1873 zuſammen getretenen Cortes wurden aufgelöst und dem Marschall Serrano die Dictatur übertragen. Das entsprach dem Intereſſe des Landes , nur so konnte die Dr ganisation einer Armee durchgeführt werden. Diese Wendung der Dinge war ein schwerer Schlag für die Karliſten, deren Chancen auch durch die Mitte Januar erfolgende Capitulation von Carthagena fielen. Freilich konnte Serrano noch nicht an die Wiedereroberung der verlorenen Provincen denken , vorerst mußten alle Anstrengungen darauf gerichtet ſein , das dort noch Behauptete festzuhalten. Nach schweren Kämpfen gelang Anfang Mai die Befreiung Bilbao's , wenige Tage bevor der Hunger die Stadt dem Belagerer überliefert haben würde. Die karlistische Armee ging aus dieser Niederlage ziemlich intact herver, der militairische Erfolg war nicht groß , das Ende des Krieges stand noch in weiter Ferne. Die eigentliche Bedeutung des Sieges Serrano's und Concha's liegt in der Erwägung, daß die Eroberung Bilbao's durch die Karlisten voraus sichtlich deren Anerkennung als kriegführende Macht von Seiten einiger Staaten zur Folge gehabt haben würde. Dem Aufstande wäre damit ein anderes Prestige gegeben worden und der Geldmarkt hätte sich den Karlisten geöffnet. So blieben diese auf sich selbst angewiesen ohne Aussicht auf den Erfolg ihrer Sache. Entmuthigt zogen sie in ihre Centralstellung bei Estella in Navarra ab. Wohl gegen seine bessere militairische Ueberzeugung griff Marschall Concha Ende Juni mit 30,000 Mann die von 22,000 Karlisten vertheidigte starke Position im Norden Estella's an. Der Angriff wurde glänzend abgeschlagen, Concha fiel. Der Ausgang der Schlacht bestimmte Serrano, von jeder Offensive so lange abzustehen , bis die beabsichtigten Aushebungen gestatten würden , mit der zur Beendigung des Krieges im Norden nothwendigen drei- bis vierfachen Ueber macht aufzutreten. Die Nordarmee trat daher in der zweiten Hälfte 1874 nur dann aus ihrer defensiven Haltung hervor, wenn die Lage der im feindlichen Gebiet behaupteten, von den Karlisten stets umschwärmten Städte dies erheischte. So führten im August und September die Verproviantirung von Vitoria und Pampluna, im November der Entsak Irun's zu kleineren Gefechten. An denselben waren immer nur Theile der Armee engagirt. Consequent beschränkten sie sich darauf, nur ihre specielle Aufgabe zu lösen und sich nicht durch den Erfolg zu weiteren Unternehmungen verleiten zu lassen , die leicht zu partiellen Niederlagen führen konnten. Unverantwortlich wäre es z. B. gewesen , wenn General Lajerna nach der Befreiung Jrun's im November 1874 dem Feinde in die Gebirgsdefileen gefolgt wäre. Im December war die Organisation der von Serrano aufgebotenen Maſſen beendet, die Nordarmee auf etwa 80,000 Mann verstärkt worden und der Zeit punkt zur Aufnahme der Offensive damit gekommen. Die Proclamirung des

Karlistenkrieg 1874.

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Prinzen Alfons zum König ist wohl die Veranlassung , daß der Beginn der Operationen noch nicht gemeldet iſt. Die Nordarmee umfaßt einschließlich der Besatzungstruppen 89 Bataillone, 32 Escadrons und 20 Batterien, im Ganzen ca. 75,000 Mann, 4000 Pferde, 120 Geschüße. Das 1. und 2. Corps standen Ende 1874 in der Linie Tafalla Logrono. Das 3. Corps war mit einer starken Division in Guipuzcoa , mit je einer Division bei Bilbao und bei Medina del Pomar in Burgos . Die Karliſten verfügten in 45 Bataillonen , einigen Escadrons und Batterien über ca. 27,000 Mann. Die Hauptmacht war bei Estella-Puente la Reyna concen trirt, schwächere Kräfte standen dem General Loma in Guipuzcoa gegenüber, mehrere Bataillone beobachteten Bilbao. Im Jahre 1874 haben die Karlisten das behauptet, was sie im Jahre 1873 errungen. Fortschritte haben sie nicht gemacht. Unfähig zur Offensive gegen die immer stärker werdenden Streitkräfte der Republicaner müſſen ſie ſich nach der Niederlage bei Bilbao völlig passiv verhalten. Sie sind zwar im Stande, in starker Vertheidigungsstellung einen glänzenden Sieg zu erringen , aber unfähig , diesen Sieg auszunuzen. Alle ihre Siege haben sie in starken Ver theidigungsstellungen gegen den unter ungünſtigen Verhältnissen angreifenden Feind gewonnen und sich in diesen Stellungen vorzüglich geschlagen. Noch niemals aber haben sie ein Gefecht angriffsweise durchgeführt. Sie sind also den Beweis noch schuldig , ob sie beim Angriff gleich gute Soldaten sind , wie bei der Ver theidigung. Ihr Verhalten bei Bilbao und Frun spricht nicht dafür. Don Carlos denkt auch nach Proclamirung König Alfons XII. nicht an die Aufgabe des Widerstandes . Er hofft auf neue Parteikämpfe , deren Früchte ihm zufallen müssen. Voraussichtlich bringt das Jahr 1875 das Ende des Bürgerkrieges , sei es durch die Gewalt der Waffen , sei es durch den Abſchluß einer Convention. Das Interesse Spaniens fordert die vollständige rücksichtslose Niederwerfung der Karlisten, denn die Convention bedeutet nicht Ende des Krieges, sondern nur B. Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit. Januar 1875.

Bericht über die zweite

Niederländische

Expedition gegen

Atjeh

und die weiteren Kriegsoperationen während des Jahres 1874.*)

Nach der Sistirung der ersten Expedition gegen Atjeh im Mai 1873 wurden alle Kräfte angestrengt , um nachtheiligen Folgen jenes mißlungenen Kriegszuges vorzubeugen und um eine Bürgschaft zu bekommen , daß die un vollendet gelassene Aufgabe , mit Aussicht auf guten Erfolg , durch eine zweite Erpedition wieder aufgenommen werden könnte. Die wichtigsten zu diesem dop pelten Zwecke genommenen Maßregeln ― mit Ausnahme derer, welche auf die *) Da die Niederländer Atjeh und nicht Atſchin ſchreiben, so ist in dem vorstehenden Berichte die erstere Schreibart adoptirt.

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unmittelbare Zusammensetzung des Expeditions - Corps Bezug hatten -be standen in: der Blocade der Atjeh'schen Küsten , der Verstärkung der militai rischen Besatzungen in den an das Atjeh'sche Gebiet grenzenden Landſtrichen, der Verbreitung einer Proclamation , die zum Zwecke hatte , die unterworfenen Theile Atjehs von der Theilnahme an Feindseligkeiten zurückzuhalten, dem Ver bot der Ein- und Ausfuhr von Kriegsbedarf in den meisten Gegenden außer Java und Madura , der Vermehrung des consularen Personals zu Singapore und zu Penang und endlich der Errichtung eines Büreaus in Batavia für Kriegsoperationen in Atjeh , das sich hauptsächlich mit dem Einziehen und Sammeln von Erkundigungen bezüglich des feindlichen Gebietes beschäftigte. Der Zweck, zu welchem die 2. Expedition unternommen wurde, war, einen Tractat mit Atjeh zu schließen , in welchem die Oberherrschaft der Niederlande anerkannt und dem Sultan von Atjeh die Integrität seines Reiches , auch den für die Unabhängigkeit gestimmten Vasallen gegenüber gesichert werden sollte. Die Niederländische Regierung würde dadurch das Recht gewinnen, sich in dem vom Tractat beherrschten Gebiete niederzulassen , die fremden Morgenländer für ihre directen Unterthanen zu erklären, die Steuer- Einnahme (wobei hauptsächlich an die Ein- und Ausfuhrrechte gedacht werden muß) gegen Entschädigung aus den Händen der inländischen Regierung zu übernehmen und so dem Handel eine gleichmäßige und billige Behandlung zu sichern. Mit den von Atjeh abhän gigen Staaten würde man dann später die nöthigen Tractate ſchließen können, um sie zur Befolgung des mit dem Hauptstaate geschlossenen Tractates zu rerpflichten. Die Leitung der wiederaufzunehmenden Operationen gegen das Reich von Atjeh wurde dem General-Lieutenant van Swieten übertragen , dem als zweiter Befehlshaber der General-Major Verspyck zugefügt wurde. Außer den zum großen Hauptquartier gehörenden Offizieren und Sub alternen bestand die Truppenmacht für die 2. Expedition aus 3 Infanterie Brigaden, nämlich : 1. Brigade, Oberst Roy de Zuidewyn ; 2. Brigade, Oberst Wiggers van Kerchem ; 3. Brigade, Oberſt Schulte, Jede Brigade war zusammengesetzt aus 2 Bataillonen Infanterie, 1 Bat terie Berg- Artillerie, 1 Detachement Cavallerie, 1 Peloton Mineure und Sap peure , dem nothwendigen Personal für die Administration und den Sanitäts dienst und einem Corps Zwangarbeiter. Ein Bataillon Infanterie hatte 8 Com pagnien, jede von 4 Offizieren und 130 Gemeinen. Eine Batterie Berg -Artil lerie zu 6 broncenen gezogenen Geschützen 8 Cm. und 6 Coehoorn - Mörsern zählte 4 Offiziere und 140 Gemeine, ein Detachement Cavallerie 1 Offizier und 25 Reiter und ein Peloton Mineure und Sappeure 3 Offiziere und 60 Mann. Die 1. und 2. Brigade hatte je 945 Zwangarbeiter, die 3. Brigade 1390. Dieser letzteren war zugefügt ein zweites Peloton Mineure und Sap peure, 310 Genie- Arbeiter, 212 Compagnien Festungs -Artillerie zur Bedienung von 36 Geschützen, nämlich : 6 Hinterladern von 12 Cm., 6 gez. 12 Cm., 8 gez. 8 Em., 4 Mortieren von 20 Cm., 2 Mitrailleusen und 12 glatten 9 Cm. Die Infanterie war mit dem Beaumont- Gewehr bewaffnet. Die Dampfschiffe, zum Transport des Expeditions - Corps beſtimmt, ungefähr 20 an der Zahl, verließen Batavia, Samarang und Soerabaya in der zweiten Hälfte des Novembers 1873 ; sie gingen nicht en flotille, hatten aber Ordre, sich bei einem unweit Riouw stationirten Kreuz- Dampfer zu melden und sich darauf auf der Rhede von Atjeh zu vereinigen, so daß, als am 28. dieses Monats das Stabs ſchiff ſich auf erwähnter Rhede vor Anker legte , es fast die ganze Transport

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flotte rings umher und in der Nähe vereinigt fand. Noch ankerte auf der Rhede von Atjeh die Blocade- Escadre, 14 Kriegsschiffe verschiedener Modelle, die 6 übrigen Schiffe dieses Geschwaders waren augenblicklich zu anderem Dienſte detachirt. Indessen war ungeachtet der getroffenen Vorsichtsmaßregeln auf meh reren dieser Schiffe die Cholera ausgebrochen, und hatte die Krankheit auf einigen sogar einen so bedenklichen Charakter angenommen, daß der Commandant der maritimen Streitmittel die nothwendigen Maßregeln hatte treffen laſſen, um auf der Insel Nassie - ungefähr 13 Kilometer nordwestwärts von der Mün dung des Atjeh-Flusses ein vorläufiges Kranken - Etablissement zu errichten. General van Swieten befahl unmittelbar nach seiner Ankunft , diese Insel zu einer dauernden Pflegestation einzurichten und ließ am folgenden Tage (29. Nov.) zu Schiff eine Strandrecognoscirung oftwärts rom Atjehstrom ausführen, welche, um den Feind irre zu führen , zugleich mit einer Schein - Recognoscirung weſt wärts vom Flusse stattfand. Man erkundete ein angemessenes Landungsterrain , unweit der Mündung des Fjankoel- Fluffes , etwa 11,5 Kilometer oftwärts von der Mündung des Atjeh. Dieses Terrain schien wenig oder gar nicht befestigt, wenigstens bis zur Kocwala Gighen, die etwa in der Mitte zwischen den Mün dungen der beiden erwähnten Flüsse liegt. Der Augenblick der Ausschiffung , nach welchem die Truppen sich mit Un geduld sehnten, wurde täglich aufgeschoben. Anhaltender Regen durchweichte den Strand, so daß mit Rücksicht auf die bei den früheren Expeditionen — nament lich der ersten Erpedition gegen Boni — und jetzt auf Nassie gemachten Er fahrungen , es für durchaus unrathsam erachtet wurde , ohne dringende Noth wendigkeit bei der herrschenden Witterung unter dem Fortwüthen der Cholera die Truppen auszuſchiffen und dort auf Atjehs moraftigem Boden biwakiren zu lassen. Endlich schien es, daß am 8. December das Wetter sich ändern wollte . Zwar hatte die Epidemie an Heftigkeit zugenommen , aber der Mangel an Waſſer, welcher sich zu zeigen anfing , machte eine baldige Ausſchiffung noth wendig. Um Mitternacht fuhr die Debarkements - Flotille an's Land und legte ganz in der Nähe in Linie vor Anker ; hinter der Mitte folgten ihr die Trans portschiffe, welche die 2. Brigade an Bord hatten, die 3. sollte erst später landen. Mit Tagesanbruch eröffneten die Kriegsschiffe auf das linke Ufer des Atjeh und das Land westwärts von der Kwalla Fjankoel ein heftiges und gut gerichtetes Granat- und Kartätschfeuer, das den Feind zwang , seine Verschanzungen zu verlaſſen. Mittlerweile stiegen das 14. und das rechte halbe 3. Bataillon in die Boote, um, beschützt von der bewaffneten Schaluppen- Flotille und in zwei Di viſionen getheilt, zu debarkiren. Als die Truppen sich bis auf Schußzweite dem Ufer genähert hatten, wurde von dem für das Auge verdeckten Feinde ein leb haftes Musketenfeuer eröffnet. Einen Augenblick wurde gezaudert , aber darauf unter lauten Hurrahs mit fester Hand gegen die schlecht gezielten Schüffe des Feindes losgerudert. Gegen 9 Uhr erreichte eine Section des 14. Bataillons zuerst das feind liche Ufer , sie eilte gegen den Dünenrand herauf, der zur Deckung des Feindes diente und wenige Minuten später war dieser vom ganzen 14. und dem rechten halben 3. Bataillon erstiegen. Der Feind hatte sich nach kurzem Widerstand mit Zurücklaſſung von 10 Todten zurückgezogen. Nach dem festgesetzten Ope rations -Plan wollte man versuchen , längs dem Strande bis zur Mündung des Atjeh - Flusses zu kommen , demnächst sich der beiden Ufer des Fluffes zu be mächtigen und dann , unter steter Mitwirkung der Marine , längs des Fluffes

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den Kraton zu erreichen. Diesem Plane gemäß rückten die drei halben Ba taillone vorwärts ; sie fanden nicht nur alle Strandbantings , ſondern auch die weiteren zahlreichen Verschanzungen verlassen. Deutlich zeigte es sich , daß das Feuer der Marine den Feind zum Rückzuge gezwungen hatte und er , durch die Wahl des Landungsplatzes überrascht, sich einem Seitenangriff nicht hatte aus setzen wollen. Noch am selben Tage wurde fast das ganze Expeditions - Corps ausgeschifft, das in einer schönen Grasebene biwakirte. Zur Fortsetzung der Ope rationen rückten am 10. December zwei Colonnen gegen Westen hin, und zwar die 2. Brigade an der Landseite der Lagune, die auf etwa 300 Schritt mit der Küstenlinie parallel geht , und die 3. Brigade längs des Strandes zur Unter stützung eines Versuches , welchen die Landungs - Division machen sollte, um die Kwalla Gighen zu forciren. Keine dieser beiden Colonnen fand den geringsten Widerstand ; auch jetzt wieder bewirkte das wohlgerichtete Feuer der Marine , daß der Feind seine Verschanzungen vor der Annäherung der Truppen verließ , und als die rechte Colonne gegen Mittag die Kwalla Gighen erreicht hatte , zeigte es sich , daß die Mitwirkung der Landungs - Division unnöthig war. gehende Bewegung der linken Colonne hatte vielleicht dazu beigetragen , den Feind zum Rückzug zu zwingen. Abends zog auch die 2. Brigade über die La gune, auf deren südlichem Ufer das Biwak bezogen wurde. Aus diesem Biwak wurden am felgenden Morgen zwei Recognoscirungs Colonnen in südlicher und südwestlicher Richtung abgeschickt, theils zur Vermeh rung der Terrainkenntniß im Allgemeinen , theils um den Zugang zum Haupt weg , der von Pedir nach dem Kraton führt, zu suchen. Beide Colonnen , um 12½ zurückgekehrt, hatten sich einen Weg durch dichtbewachſenes Terrain bahnen müssen und wurde beschlossen , am folgenden Tage längs des Strandes weiter zu marſchiren . Zweimal wurde an jenem Tage das Lager an der Süd- und Oftſeite alar mirt, woraus klar hervorging, daß die Atchinesen sich in unmittelbarer Nähe be fanden und sich nur Schritt für Schritt zurückzogen. Am 12. December wurde die 3. Brigade nach Kotta Mocjapie, also westwärts längs des Strandes dirigirt , während die 2. Brigade , um jene Be wegung im Rücken zu decken, das Biwak besetzt hielt. Die 3. Brigade , die mit Hülfe von Flößen und Schaluppen über die Kwalla Gighen gesetzt war, fand auf ihrem Marsche keinen Widerstand , nur dann und wann feuerte der Feind von der gegenüberliegenden Seite der La gune einige Schüsse ohne Wirkung ; von Neuem wurde es deutlich , daß er den Rückzug der Vertheidigung seiner Stellungen vorzog . Sowohl Kotta Pehoma, auf einer Insel in der Lagune, als eine etwa 800 M. lange Strandverschanzung, die den Zugang zu Kotta Moeſapie hemmte , waren verlassen , so daß die Bri gade hinter dieser Strandverschänzung das Biwak aufschlagen konnte. Auch Kotta Moesapie wurde am folgenden Tage geräumt gefunden und besetzt , zu gleich bemerkte man, daß südwärts von Moesapie sich eine lange Reihe von Befestigungswerken von Osten nach Westen ausbreitete, in welchen die At chinesen zu einem ernstlichen Widerstand entschlossen schienen. Noch am selbigen Tage wurde die 2. Brigade herangezogen und der folgende Morgen für eine Re cognition in größerem Maßstabe südwärts von Moesapie bestimmt , um zu er mitteln, auf welche Weise man sich der Atjeh - Mündungen bemächtigen könne. Mit drei halben Bataillonen Infanterie, einer Batterie Artillerie , 20 Reitern und einem Peloton Genie - Truppen brach der General - Major Verspyck am 14. December früh aus dem Lager auf.

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Auf 300 Schritt südwärts von Kotta Moejapie wurde er aus den Be festigungen des Feindes mit einem heftigen Kanonen- und Gewehrfeuer begrüßt, woraus sich ein mörderisches Gefecht entspann, in welchem die Niederländischen Truppen auf glänzende Weise den Sieg davontrugen. Die angegriffenen Festungswerke wurden gestürmt und genommen ; sie hatten eine Front-Breite von 1800 M., stützten sich rechts auf die Lagune, da wo diese den Koerong-tjoet aufnimmt und wurden links aus Kotta Perakt und Kotta Radjah-bediel flankirt. Das erstere dieser Werke wurde sogleich besetzt. Außer 85 Todten, welche die Atchinesen zurückließen, wurden am folgenden Morgen noch etwa 30 ihrer Leichen in der Lagune schwimmend gefunden. Der Sieger, der in den eroberten Stellun gen übernachtete, zählte 40 Verwundete und 8 Todte. Am Morgen des 15. December rückten 2 Colonnen gegen den Fluß vor; die eine längs des Strandes , die andere aus Kotta Perakt. Beide fanden aber alle Werke (unter welchen Kotta Radjah-bediel und Kotta Babie) verlassen ; doch nur der rechten (Strand-) Colonne gelang es , den Atjeh -Strom zu erreichen. Die aus Kotta Perakt debouchirenden Truppen wurden in ihrem Marsche von einem sehr sumpfigen und dicht mit Ripabäumen (einer Art hoher und dicker Palmen) bewachſenen Terrain gehemmt. Die Marine, die bis jetzt durch ihr kräftiges Feuer viel zur Einnahme der Atjeh'schen Stellungen beigetragen hatte, machte noch eine Recognoscirung stromaufwärts und fand das rechte Ufer ver laſſen, aber eine Kampong auf dem linken Ufer, der später zu erwähnenden (Marine) Benting*) ſtark beſeßt. Der bis jetzt durch das Erpeditionscorps errungene Vortheil war nicht gering. Es hatte sich des unbestrittenen Besitzes der Küstenstrecke vom Pedro punkte bis zum Atjehfluß versichert und dadurch eine gute Operations - Baſis erlangt, um gegen das Hauptobject, den Kraton des Sultans, agiren zu können. Nachdem in den nächsten Tagen wiederholt vergebens der Versuch gemacht war, mit kleinen Truppenabtheilungen durch den dichten Ripawald zu dringen , und eine Brücke über die Lagune, südwärts von Kotta Moesapie , geschlagen war, wurde am 18. December durch die vereinigten Kräfte der Landmacht und der Marine die Terrainstrecke längs des Flusses bis zur Kampong Penajoeng , süd wärts vom Ripawalde, genommen. Obschon bei dieser Gelegenheit der Feind nur einen geringen Widerstand leistete, war doch das dicht bewachsene Terrain die Schuld wiederholten Auf enthalts und langsamer Fortschritte. Die bewaffnete Schaluppenflotille , aus einer Benting auf dem rechten Ufer des Stromes angegriffen, forcirte die Fluß sperrwerke unweit dieser Benting und vertrieb darauf den Feind aus seiner mit Geschützen besetzten Position. Das eroberte Werk wurde besetzt gehalten. Die Hauptmacht der Infanterie - Colonne , welche bis Penajoeng vorgedrungen war, biwatirte dort. Die beiden folgenden Tage wurden zur Verbesserung der Verbindung zwiſchen Kotta Perakt und Penajoeng, sowie auch zur Erweiterung des letzterwähnten Biwaks . das am 21. fast von dem ganzen Expeditions - Corps besetzt wurde, ver wendet. Um dieses Biwak gegen das Feuer des Feindes von dem linken Ufer des Atjeh zu schützen, war das rechte halbe 14. Bataillon am 19. schon auf diesem Ufer gelandet und hatte sich der dort liegenden Kampong Djawa bemächtigt. Die beiden Ufer wurden bis zur Höhe des Biwaks zeitweise mit einer Brücke ver bunden. *) Benting gleichbedeutend mit Verschanzung.

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Da eine gute Einrichtung des neugewählten Lagers , besonders mit Rückſicht auf die immer weiter um sich greifende Cholera, für den Augenblick eine Haupt sache war, wurde die offensive Bewegung vor der Hand eingestellt und begnügte der Angreifer sich damit , den Feind , der 11 bis 1200 Schritt füdwärts der Postenkette Verschanzungen aufzuwerfen versuchte, von Zeit zu Zeit durch einige Granaten von 8 Em . in seiner Arbeit zu stören. Am 25. December sollte eine Recognoscirung nach dem Süd -Osten den Zugang zu einer offenen Ebene auffinden, die, wie die Führer behaupteten, auf dem rechten Ufer dem Kraton gegenüber liegen sollte, und die, wie man meinte, das günstigste Angriffsfeld für denselben bilden würde. Morgens um 8 Uhr verließzen die Truppen das Biwak und kaum befanden sie sich auf dem Marsch durch ein dicht bewachsenes Terrain , als die Atjeher aus einer südwestlich gelegenen Verſchanzung ein heftiges Kanonen- und Gewehr feuer eröffneten, das so gut unterhalten wurde und eine so ausgedehnte Front überschüttete, daß bald die beiden halben Bataillone auf einer Sawa- (Reis-) d Fläche debouchirt in ein Gefecht verwickelt wurden, das abgebrochen werden konnte, ohne den Feind in den Wahn zu bringen, man gebe die Sache verloren. Ein ganzes Bataillon, in Reserve aufgestellt, wurde nun von dem Oberbefehls wind haber der mit dem General-Major Verspyck und seinem Stabe der Bewegung in einiger Entfernung folgte nachgeschickt ; auch diese Truppen nebst einer Compagnie Artillerie und einer Genie-Compagnie waren bald in ein heißes Gefecht verwickelt. Man befand sich vor einer ausgedehnten retranchirten Linie (Kampongs Lemboe und Langeegeep), deren Annäherung durch verschiedenartige Hindernißmittel erschwert war. Alles dieses erkannte der Angreifer erſt während des Verlaufes des Kampfes , denn zuerst war die Position der Atjeher durch ein fast undurchdringliches Gebüsch seinem Blick entzogen. Der Oberst Wiggers van Kerchem, der die Bewegung befehligte , ließ Anfangs in östlicher Richtung vorrücken, um den Feind in der rechten Flanke anzugreifen, da aber der Cher befehlshaber fürchtete , dieses Manöver möchte ihn zu weit von dem Ziele abbringen, so befahl er, eine mehr westliche Richtung einzuschlagen. Der Oberst Wiggers van Kerchem wurde bald durch eine Kugel kampsunfähig . An seine Stelle trat der General-Major Verspyck, der den Angriff mit derselben Kraft fortsetzen ließ. Das Bataillon, das zuerst ins Gefecht geführt war, erreichte das nördliche Ende der feindlichen Linie, ward aber hier unter dem mörderischen Feuer des Feindes durch immer dichtere Sperrwerke zum Stehen gebracht. Es war ein kritischer Augenblick für den Angreifer; fort und fort fiel einer der Seinigen, und Dornen und Kandjoes machten ihm das Vorrücken fast unmöglich. Da weiß sich der Fähnrich von Bredow durch die Hemmungen durchzuarbeiten, und als dieser, dem nur einzelne seiner Cameraden folgten, ungeachtet des feindlichen Feuers die Brustwehr erstiegen hatte, und die Fahne in der Benting aufpflanzte, war dieser Anblick hinreichend, um die wackeren Angreifer alle Hindernisse über winden zu machen. Wenige Minuten später verkündeten die Töne des Wilhelms liedes (des Siegesliedes der Niederländer), daß die Verschanzung in ihren Händen war. Hiermit hörte der Widerſtand nicht auf: die Kampong wurde Fuß für Fuß vertheidigt und kein Zoll Grundes abgetreten, ohne daß er dem Angreifer neue Opfer kostete. Noch einige Stunden hartnäckigen Streites sind nöthig, che die Besatzung vollſtändig aus ihrer Befestigung vertrieben ist. Die Atjeher ließen etwa 60 Todte auf der Wahlstatt zurück , aber keinen einzigen Verwun deten oder Gefangenen.

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Die Niederländer verloren 1 Offizier und 8 Gemeine und hatten an Ver wundeten 7 Offiziere und 78 Mann; der Zweck der Recognoscirung, die Ebene aufzufinden, wurde aber nicht von ihnen erreicht. Sie hatten diese Ebene rechts liegen laſſen, und sie schon eine gute Strecke überschritten. Oberst Schulze hielt die eroberten Stellungen mit frischen Truppen besetzt ; indessen wurde bestimmt, daß die Recognoscirung von hier aus am folgenden Morgen in südwestlicher Richtung fortgesetzt werden und daß zugleich aus dem Biwak Penajoeng eine Colonne gen Süden (längs des Ufers) marſchiren ſollte, um zu versuchen, auf diese Weise die erwähnte Grasebene zu erreichen. Dem Generalmajor Verspyck wurde die Leitung der erstgenannten Opera tion aufgetragen, dem Obersten Schulze der Befehl über die südliche Recognos cirung anvertraut, welche auf der linken Flanke von der bewaffneten Schaluppen flotille gedeckt wurde , während der Oberstlicutenant Pel auf dem linken Ufer des Stromes den Feind beschäftigen sollte, ohne sich jedoch in ein Gefecht ein zulaſſen. Wirklich wurde am 26. December die Grasebene gefunden, die von der rechten Colonne (Oberſt Schulze) ohne einen Schuß abzufeuern, erreicht wurde, und welche, wie man erwartet hatte, ein ausgezeichnetes Terrain für die Be lagerungsarbeiten gegen das Hauptbefestigungswerk des Feindes , das dieser Fläche gegenüber, auf dem linken Ufer gelegen war , darbot. Die Colonne des Generalmajors Verspyck war weniger glücklich. Sobald sie durch hohes Zucker rohr und dicht bewachsenes Terrain ihren Marsch angetreten hatte, ward sie heftig aus einer Schanze, die man auf dem rechten Ufer vor sich zu haben meinte,*) beschossen. Umſonſt bemühte sich diese Colonne, nach vorn Terrain zu gewinnen, als gegen Mittag ihr Befehlshaber die Nachricht erhielt, daß die Grasebene gefunden sei, daß man von dort aus wahrnehmen könnte, wie seine Truppen dem Feuer aus den Werken längs des gegenüberliegenden Ufers ausgesetzt seien , und daß er daher das Gefecht abbrechen und mit allen seinen Truppen nach Penajoeng zurückkehren sollte. Kampong Lemboe besetzt zu halten, würde nur zur unnügen und schädlichen Kraftzerſplitterung geführt haben. Da sowohl die Colonne Schulze als die Truppen , die ihre Bewegung stützten, bei ihrem Aufmarsch , in der Front und der rechten Flanke beschossen waren , wurde noch am selben Tage ein Verſuch gemacht , an der nördlichen Grenze der Grasebene einige Geschütze verdeckt in Batterie zu bringen ; das Kanonenfeuer des Feindes war aber so heftig , daß man mehr rückwärts Lauf gräben eröffnen mußte und also an dieser Seite die regelmäßige Belagerung ansing. Obschon die Gefechte vom 25. und 26. December dem Angreifer direct wenig Vortheil gebracht hatten , so erhielt er doch dadurch die unentbehrliche Kenntniß des Terrains in der Umgegend des Biwaks, fügte dem Feinde außer dem manchen bedeutenden Verlust bei und ließ ihn fühlen , wie sehr er dem Gegner an Bewaffnung und Ausrüstung zurückstand. Es war um diese Zeit , daß der Generallieutenant van Swieten sich von Neuem mit der Regierung von Groß-Atjeh in Verbindung zu setzen suchte. *) Etwa 1000 M. südlich vom Biwak Penajoeng bildet der Atjehstrom eine Biegung, in welcher er sich aus dem Östen nach dem Norden wendet. Längs dieser Biegung brei ten sich auf dem linken Ufer eine Reihe Befestigungswerke aus , von welchen das wesent lichste ― nach Angabe derjenigen , die die erste Expedition mitgemacht hatten — der Miſſigit ſein und zu welchen, meinte man, auch der Kraton (mehr öſtlich gelegen) gehören sollte. Vom Missigit bis zur See hat der Fluß eine Länge von etwa 5000 M.

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Am 23. December brach der von Java mitgebrachte Missionair Widikejo mit vier jüngeren Begleitern , unter welchen sein Enkel, zum Sultan auf. Jbm war aufgetragen, einen Brief zu überbringen , in welchem der Generallieutenant ran Swieten dem Sultan noch einmal auseinandersetzte, was den Krieg veran laßt hatte , in dem er ferner versuchte , dem Sultan die Ueberzeugung beizu bringen , daß er beim Verharren auf seiner Weigerung nur sein Verderben und das seines Landes herbeiführen würde, und in dem er ihm schließlich noch mit theilte , daß die Niederländische Regierung nicht seinen Sturz beabsichtige, sen dern nur verlange , einen Tractat mit ihm zu schließen wie derjenige , bei welchem Siak so wohl gefahren war , einen Tractat , der ihm die directe Re gierung über sein Land , den ununterbrochenen Besitz über sein ganzes Reich und eine größere Macht über seine Unterthanen verbürgen würde , während die Muhammedanische Religion und die Gewohnheiten des Volkes unverletzt bleiben sollten. Widikdjo kehrte nie wieder ; er wurde am 25. December auf gewalt same Weise ermordet ; drei seiner jüngeren Begleiter entgingen am 11. Januar 1874 durch die Flucht dem Tode. Sobald der General van Swieten von der Ermordung seines Miſſionairs unterrichtet war , schrieb er dem Sultan einen Brief, in welchem er gegen das Geschehene protestirte und mittheilte , es bleibe ihm kein anderer Weg , als der der Gewalt. Am 5. Januar kam der Sultan in den Besitz dieses Briefes. Mittlerweile waren die Angriffs = Operationen fortgesetzt , nicht nur gezen Groß-Atjeh, sondern auch außerhalb dieses Gebietes. Denn als der Oberbefehls haber erfahren, daß der Radjah von Pedir mit 1500 Bewaffneten die Besazung des Kratons verstärkt hatte, wurde die Marine beauftragt, die Bevölkerung ven Pedir für diese Handlung auf empfindliche Weise zu züchtigen. Eine Flotille von 5 Kriegsschiffen legte sich am 29. December vor der Mündung des Aijch Stromes vor Anker. Während zweimal 24 Stunden wurde die Küstenstrecke heftig beschossen. Das Feuer verursachte an verschiedenen Orten Brand und äscherte einige Kampongs ein. Eine Landung am 31. December wurde abges schlagen. Wohl verursachte das Feuer der Landungsdivision aus den Beaumont Gewehren ein großes Blutbad unter den Feinden, doch ihr Befehlshaber meinte, es sei beſſer das Gefecht abzubrechen. Mit einem Verluste von 1 Todten und 10 Verwundeten kam die Division gegen Abend wieder an Bord zurück. Am 1. Januar 1874 kehrte die Flotille nach der Rhede von Atjeh zurück. Ungeac tet der geringen Resultate der Landung war der Zweck dieser Expedition , Pedir zu züchtigen, erreicht, da die steinerne Brustwehr sowohl, wie die vornehmsten Kam pongs vom Feuer der Schiffe größtentheils vernichtet und eingeäschert waren. Die eigentliche Belagerungsarbeit wurde am 27. December angefangen . An diesem Tage wurden die Laufgräben eröffnet und zugleich die nöthigen Befehle zur Aus schiffung der Belagerungs - Artillerie gegeben . Am 29. waren Mittags zwei Kanonen (Hinterlader) von 12 Cm. hinter den Traversen der Südwestseite des Biwaks in Batterie aufgestellt, während zu gleich eine Mortier-Batterie für zwei Mortiere von 20 Em. erbaut wurde. Aus den ersteren dieser Geschütze wurde sogleich das Feuer auf das linke Ufer in der Höhe des dem Auge verdeckten Missigits eröffnet , während aus der Bambee Deeri (dickem, schwerem, dichtem Gehölz) geschossen wurde. Der ganze Belage rungspark war an diesem Tage in dem Biwak angelangt und am letzten Tage des Jahres war die Belagerungsarbeit bis zur nördlichen Grenze der Ebene rer geschritten, worauf die Stelle angewiesen wurde , auf welcher die Haupt - Belage rungs-Batterie und eine Mortier-Batterie erbaut werden sollten, von welchen aus

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6 gezogene Kanonen von 12 Cm. (4 auf den Kraton und 2 auf den Miſſigit gerichtet) und 4 Mortiere von 20 Cm . die Atjehschen Werke beschießen konnten. Ein gewaltiger Regenschauer brachte am 31. Dec. dem Biwak großen Schaden, zu dessen Wiederherstellung am 1. Januar alle Hände erforderlich "waren; aber auch an diesem Tage war das Wetter sehr ungünstig und deshalb stieß man nicht nur auf große Schwierigkeiten beim Transport längs des schnell wachsen den Stromes , sondern es wirkte auch die Witterung sehr nachtheilig auf die Gesundheit. Es wurde beschlossen, zunächst Hospitalbaracken zu erbauen und durch An lage von Waſſerleitungen das Lager zu verbessern. Zugleich wurde mit aller Energie die Arbeit an den Belagerungs-Batterien fortgesetzt und als der Commandant der Artillerie am 4. Januar Abends rap portirte, daß beide, Hauptbatterie und Mortierbatterie , zum Feuern fertig seien, wurde beschlossen, am 6. einen Versuch zu wagen, den Missigit zu nehmen. Die Manöver, vorbereitet durch das Feuer der Belagerungs -Batterien, wurden von der 2. Brigade unter dem Oberst de Roy van Zuidewyn , der zum Ersatz des Oberst Wiggers van Kerchem von Padaug herbeigerufen war. Morgens um 7 Uhr stand diese Brigade am linken Ufer fertig in dem während der letzten Tage ausgehauenen Terrain , südwärts von Kampong Djawa. Auf der linken Flanke von einer bewaffneten Schaluppen-Flotille gestützt, bahnte sich die Colonne mit großer Mühe einen Weg durch das dicht bewachsene Terrain , dabei immer so viel wie möglich den Fußsteg längs des Flusses verfolgend. Nach einem Marsche von fast 2 Stunden war man , ungeachtet der äußersten An strengung , nur reichlich 700 Schritte avancirt. Nachdem mit Mühe der Marsch durch eine Kette kleiner, von starken Hecken umgebener Grasebenen noch während einer halben Stunde fortgesetzt war, wurde der Angreifer ganz un erwartet mit einem heftigen Kanonen- und Gewehrfeuer begrüßt. Daſſelbe kam aus einer feindlichen Schanze, welche sich einige Zeit nachher, als die Angreifer auf einer schmalen Ebene debouchirten , in einer Distance von 40 Schritt von einer tüchtig verstärkten Benting dem Auge zeigte. Der Oberst de Noy van Zuidewyn, hier verwundet, ertheilte ruhig und entschlossen seine Befehle. Unter dem mörderischen Feuer des Feindes , das die Infanterie und Artillerie zu be antworten nicht schuldig blieben , wurde gegen den rechten Flügel der Verschan zungen eine Colonne zum Angriff formirt, während 2 halbe Bataillene die linke Flanke der Atjeher zu umgehen versuchen sollten. Das dicht bewachsene Ter rain machte aber jede Umgehung fast unmöglich , worauf auch diese beiden hal ben Bataillone zum Sturmangriff gegen den linken Flügel des Feindes heran gezogen wurden. Trotz Kandjoes und anderer Hindernisse rückten die beiden Colonnen unter einem Kugelregen ohne Zaudern vor, und als die Angreifer den Gipfel der Brustwehr erreicht hatten, ergriffen die Vertheidiger die Flucht, und nun wurde es klar, daß die eroberte Schanze nur ein Vorwerk vom Miſſigit sei , der 300 M. mehr füdwärts gesehen würde. Das linke halbe Bataillon folgte dem flüchtenden Feinde auf den Fersen und wenige Minuten später dran gen verschiedene Abtheilungen des Angreifers von mehr als einer Seite in den Missigit ein. Dieser war bereits vom Vertheidiger verlassen , wurde aber an der Ostseite durch das Feuer aus dem Kraton und den davor gelegenen Werken belästigt. Der Angreifer richtete sogleich den Miſſigit zur Vertheidigung ein, bewaffnete ihn mit einigen Kanonen und beschäftigte sich damit, daß er die Um gegend recognoscirte. Er war aber zu ermattet , noch gegen den Kraton zu agiren und zählte an diesem Tage 17 Todte und 217 Verwundete. Acht Com

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pagnien Infanterie mit einiger Artillerie und einigen Genietruppen hielten die eroberten Stellungen besetzt , während die übrigen Truppen nach Penajoeng zu rückkehrten , wo das Biwak den ganzen Tag über von Osten her beunruhigt worden war. Der Bau neuer Baracken für die Kranken zu Penajoeng, die Verbeſſerung der Verbindung mit dem Missigit und die Verstärkung dieser Position beschäf tigten die Angreifer die nächsten Tage. Mehr als einmal während dieſer Zeit versuchten die Atjeher die Offensive , sie wurden aber jedesmal vom Feuer der Artillerie und vom Schnellfeuer der Beaumontgewehre des Vertheidigers gezwun gen, eilig nach dem Kraton zurückzukehren. Als am 11. Januar der Obers befehlshaber von dem mit ihm befreundeten Häuptling von Marakja in der XXV. Moekim vernommen hatte, daß die Atjeher beabsichtigten , eine Position südwestwärts des Kraton, Faman genannt , mit schweren Kanonen gegen den Missigit zu bewaffnen, befahl er dem Oberst Schulte, sich am nächsten Tage der Position und der daneben liegenden Werke westwärts vom Kraton Kotta Petjeet und Kotta Goenoengan zu bemächtigen. Am 12. Januar, nachdem die Atjeher Nachts wieder vergebens den Angreifer alarmirt hatten , verließ das linke halbe 9. Bataillon um 3 Uhr das Biwak zu Penajoeng , vereinigte sich im Miſſigit mit dem linken halben 12. Bataillon und marschirte von dort aus mit 2 Zügen Artillerie und einigen Pionieren in westlicher Richtung mit der Ordre , sich zu gehöriger Zeit südwärts zu dirigiren und durch eine Flankbewegung nach Links Kotta Petjoet zu stürmen . Das linke halbe 12. Bataillon sollte der Bewegung folgen und sich, nachdem Kotta Petjoet bemeiſtert, auf die mehr südlich gelegene Kotta Goenoengan und den Faman werfen. Es stellte sich aber heraus, daß die Befestigungswerke des Feindes sich weiter ausdehnten, als man gemeint hatte, so daß der Oberbefehlshaber, um 8 Uhr in Miſſigit angekommen, von dort aus 8 Compagnien Infanterie nachschickte, die in den Meldungen der Operirenden als Verstärkung verlangt wurden. Durch einen mittlerweile ausgeführten Schein angriff auf den rechten Flügel des Feindes wurde dieser dermaßen irre geführt, daß Kotta Petjoet mit der nordwestlich davor gelegenen Kotta Kantan, ehne viel Anstrengung genommen wurden , worauf auch Kotta Goenoengan , ren immer dichter bewachsenem Terrain umgeben , nach kurzer aber heftiger Gegen wehr erobert wurde. Die dem fliehenden Feinde von dort nachgesandten Salren verfehlten in deſſen dichten Maſſen einer großen Wirkung nicht. Während der hier beschriebenen Bewegung wurde der Kraton aus dem Missigit beworfen und beschossen. Dieses Feuer , das viermal Brand verursachte, konnte von einem Observationsposten in einem hohen Waringenbaum oben im Missigit gehörig dirigirt werden. Auch an der Weſtſeite war dem Kraton jetzt die Zufuhr ren Außen abgeschnitten , das linke halbe 9. und das linke halbe 12. Bataillen hielten die eroberten Stellungen besetzt , die nach der Ostseite vertheidigungs fähig gemacht und gegen das oft ziemlich heftige Feuer des Feindes aus dem Kraton gedeckt wurden. Der Vertheidiger, der den Muth nicht aufgab , alarmirte wiederholt wäh rend der Nacht die Positionen des Angreifers , aber mit wenig Erfolg. Se wurden am Mittag des 13. Januar die Nord- und Südseite des Biwats Pe najoeng ganz unerwartet mit dem Klewang angefallen. Der Offizier, Comman dant der nördlich postirten Schildwachen, wurde sogleich tödtlich verwundet und nur nach einem blutigen Gefecht gelang es , der hier mit kühner Tapferkeit hinein dringenden Atjeher , die fast Mann für Mann nieder gehauen wurden, An Herr zu werden . 38 Todte ließen sie auf dem Gefechtsterrain zurück.

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der Südieite hatte das linke halbe 14. Bataillon die Wache in den Schanz gräben , auch hier wurde der übermüthige Feind mit großem Verlust zurück geschlagen. Auf der Niederländischen Seite zählte man außer dem Offizier 13 Verwundete. Mit Rücksicht auf diese kühne Unternehmung wurde sogleich Ordre gegeben, einem neuen Ueberfall vorzubeugen , das Terrain um das Biwak herum noch weiter auszuhauen , eine Arbeit , die im Verein mit dem Bau von Vorraths Häusern, der Befestigung der Linie Petjoet - Goenoengan und den Vorbereitungen zur Aufnahme des aus Padang herbeigerufenen 2. Bataillons vorläufig alle Kräfte des Expeditions - Corps in Anspruch nahm. Von der Artillerie und dem Genie wurde mittlerweile das Nothwendige vorbereitet , um sich dem Kraton auch auf dem linken Ufer , aus dem Missigit , gedeckt nähern zu können. Doch dieser Plan kam durch den Lauf der weiteren Kriegsereignisse nicht zur Aus führung. Am 16. Januar hatte Foekoe Nek , Häuptling von Marakja , den Nieder ländern gemeldet , daß der Sultan sich in Kampong Longbattah verstärke und ihnen gerathen, diese Stellung so bald wie möglich zu nehmen . Dieses Unternehmen wurde von dem Angreifer desto mehr erwünscht erachtet, weil dadurch der Kraton auch an der Südseite abgeschlossen werden konnte, wenn dadurch auch zugleich eine größere Ausdehnung der von ihm bejezten Stellungen nothwendig wurde. Er hielt es daher für rathjam, vor Allem die Ankunft der von ihm aus Padang beorderten Truppen abzuwarten. Diese kamen am 20. im Biwak zu Penajoeng an , worauf ihnen die nöthige Zeit ge lassen wurde, sich gehörig im Lager einzurichten , was um so mehr nothwendig war, weil diese Truppen sogleich von der Cholera heimgesucht wurden. Unter Anführung des General - Majors Verspyck fand am 23. die beab sichtigte Operation gegen Kampong Longbattah statt , deren Hauptzweck war, durch eine weite Umzingelung den Kraton an der Südseite abzuschließen. Das 2. und 9. Bataillon, mit 2 Batterien Artillerie, etwas Cavallerie und 1½ Com pagnie Genietruppen brachen um 4½ Uhr Morgens auf, während in der Kotta Goenoengan das rechte halbe 14. Bataillon in Reserve bereit stand. Anfangs wurde der Marsch verzögert, da der Koeroeng Daroe, ein kleiner Arm des Atjeh stromes , nicht überall durchwatbar gefunden wurde. Als aber die gesammten eperirenden Truppen um 10 Uhr das gegenüberliegende Ufer erreicht hatten, konnte man sich bald östlich in der Richtung des angegebenen Zieles fortbewegen. Der Widerstand war gering. Zwar hatte die Colonne dann und wann einige Augenblicke ein kräftiges Feuer auszuhalten, der Feind retirirte aber regelmäßig, sobald er sich in dem wirksamen Bereich der Feuerwaffen des Angreifers befand, die ihm dessen ungeachtet beträchtliche Verluste zufügten , wie es die zahlreichen Blutlachen an den eroberten Kampongs bewiesen. Mit einem Verlust von 1 Todten und 9 Verwundeten hatte der Angreifer um 3 Uhr sich der südwärts vom Kraton liegenden Kampongs bemächtigt. Sie wurden vom 9. Bataillon und der 1. Compagnie Artillerie besetzt , in der Absicht , am folgenden Morgen die umgehende Bewegung längs der Ostseite des Kratons fortzusetzen. General-Major Verspyck nahm am folgenden Morgen die Operationen wieder mit denselben Truppen auf. Während das in östlicher Richtung wahrgenommene Gewehrfeuer bewies, - daß man dort auf den Feind gestoßen sei , machte eine Compagnie des rechten halben 14. Bataillons aus Kotta Petjoet eine Recognoscirung nach dem Kraton hin, von welchem der Angreifer die ganze Nacht hindurch und auch noch an 49 Militairische Jahresberichte 1874.

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demselben Tage ziemlich heftig beschossen war. Dieses Feuer hatte aber um 9 Uhr aufgehört. Erwähnte Compagnie bahnte sich durch eine Menge Hinder nisse einen Weg nach der Brustwehr, drang, ohne Widerstand zu finden, hinein und fand die Schanze verlassen. Der Oberbefehlshaber begab sich auf diese Nachricht selbst nach dem Kraton und als er diesen ungefähr eine Stunde später verließ, zeigte sich an der Ostseite ein Theil der Truppen, mit welchen General Major Verspyd den Feind in östlicher Richtung vertrieben hatte. Von diesen Truppen waren 3 halbe Bataillone und eine Batterie in südöstlicher Richtung bis an Kampong Longbattah vorüber vorgedrungen und richteten unter dem dort oft in bedeutender Zahl auftretenden Feinde ein großes Blutbad an. Sie hatten aber den Kampf abgebrochen, als sie mit der Nachricht vom Falle des Kratons den Befehl erhielten, nach Penajoeng zurückzukehren , wo sie stark ermattet etwa um 6 Uhr Abends ankamen. Das linke halbe 2. Bataillon hatte zu gleicher Zeit den Marsch in nordöstlicher Richtung fortgesetzt, so daß an diesem Tage nicht nur der Kraton vom Angreifer besezt, sondern auch die daranstoßenden Werke Pakan-Atjeh - nordwärts an den Fluß anschließend und das sogenannte Befestigungswerk des Panglima Polim, das sich über mehr als 1000 M. östlich längs des Flusses ausbreitete, in seine Hände fielen. Auch diese beiden Werke waren verlassen. Die Bewachung dieser Festungswerke und des Kraton wurde vorläufig etwa 8 Compagnien aufgetragen. Am folgenden Morgen wurde die Besatzung der eroberten Werke und des Kraton vom Oberbefehlshaber näher bestimmt und deren Lage genauer und auf merksamer aufgenommen. Jetzt erkannte man klar , daß die Angreifer es nur den Operationen vom 23. und 24. Januar verdankten, daß die Eroberung der ―― letzten Brustwehr des Feindes von jeher der Wohnort und Huldigungsort seiner Fürsten - ihnen so geringe Verluste gekostet hatte (2 Todte und 19 Ver wundete). Der Kraton zeigte sich als ein ausgedehntes Vertheidigungswerk mit einem bedeutenden Widerstandsvermögen. An der Ost- und Südseite von sumpfigem Terrain umgeben, das dort die Annäherung sehr erschwerte , war er besonders nach Norden und Westen, in Folge einer Reihe Hinderniſſe, fast gar nicht zu erstürmen. Die Erd-Brustwehren erhoben sich hier von 3,7 bis zu 6 M. über den betretenen Boden und waren von einem 2 bis 3 M. tiefen Graben mit fumpfigem Boden umgeben. An der Süd- und Ostface wurde dieser Graben bedeutend tiefer und konnte das Wasser durch Stauung auf dem gewünschten Stand erhalten werden. Im Kraton und den beiden daneben liegenden Werken , die sich einander flankirten und durch Kreuzfeuer das vor liegende Terrain bestreichen konnten, wurden noch 56 Kanonen gefunden, daven 30 in ganz brauchbarem Zuſtand. Aus Allem ergab es sich , daß der Ver theidiger alles Mögliche gethan hatte , um diese Festung mit Kraft zu verthei digen und daß ein directer Angriff jedenfalls viel Menschenleben und viel Zeit gekostet haben würde. So hatte am 47. Tage nach der Landung der Angreifer auf einem schwie rigen und unbekannten Terrain ― einem Feinde gegenüber , der mit beispiel løjer Tapferkeit sein Land vertheidigte und bei dem der Enthuſiasmus fana tischer Muhammedaner durch die Lehren der Europäischen Kriegskunst geleitet und geregelt wurde mit keinen anderen Hülfsmitteln als denjenigen , die er selbst mitführte und nur mit großer Mühe an's Land bringen konnte kämpfend mit einem Feinde, der ihm den Weg verlegte und einer furchtbaren Krankheit, die die Freiheit seiner Bewegungen belästigte ――――― gequält von den Sergen für den Unterhalt der Gesunden und die Pflege so vieler Kranken, die

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es unvermeidlich machten, mit der Flotte Verbindung zu unterhalten , Sorgen, die in allen Ländern, aber besonders in den tropischen Ländern von der höchsten Wichtigkeit sind, um dem Zusammenschmelzen der Heere vorzubeugen - Schanz gräben machend, Batterien aufwerfend, Brücken schlagend, Magazine errichtend, Lager verschanzend und Wohnräume für die Truppen herstellend zugleich Bedürfnisse von allerlei Art mit sich führend : Lebensmittel, Campements- und Hospital-Bedürfniſſe, Geſchüße, Munition und Materialien für das Genie und andere Branchen ――――――― abwechselnd kämpfend und den Feind aus all seinen Werken und Stellungen vertreibend - so hatte der Angreifer nach 47 Tagen schwerer Arbeit und Anstrengung dem Feinde seine Hauptfestung genommen und seine Hauptmacht geschlagen und auseinander getrieben. Das ſtrategiſche Object war nun erreicht und die Expedition trat in eine neue Phase ein. Der Oberbefehlshaber faßte den Entschluß, so viel als möglich weitere Waffengewalt zu vermeiden. Dieses Vorhaben gründete sich auf die Er wägung, daß damals die Pacification der Häuptlinge und der Bevölkerung der einzige Zweck des Angreifers sein sollte und dieser Zweck nur verzögert werden mußte, wenn er selber den Krieg fortsette, und daß außerdem weitere Opera= tionen gegen den Feind für unrathsam gehalten wurden, da er sowohl alle seine Kräfte für die genügende Einrichtung der militairischen Positionen am Fluß, die von seinen Truppen besetzt bleiben mußten , aufzuwenden hatte, als weil weitere Operationen , welche in der Verfolgung des Feindes und der Eroberung der in einiger Entfernung gelegenen Werke bestanden , selbst aus rein militai rischem Gesichtspunkt betrachtet , keinen Nugen bringen konnten , weil dieſe Schanzen sogleich wieder verlassen werden mußten , wollte er feine Kräste nicht zu sehr zersplittern . Als eine Folge dieses Systems des Angreifers wurden sogleich nach der Einnahme des Kratons alle Batterien im Schanzgraben der Miſſigit am Fluß geschleift und unschädlich gemacht und alles Material, die Munition 2. nachh dem Biwak Penajoeng zurückgeführt. Zu gleicher Zeit wurde mit der Arbeit zur Verstärkung und dauerhaften Einrichtung des Lagers angefangen und mit Energie fortgesetzt , je nachdem die dazu erforderlichen Materialien aus Penang ankamen. Zugleich wurde der Versuch gemacht , in der Nähe des Lagers zu Pena joeng einen Markt zu gründen und wurden die befreundeten Häuptlinge ersucht, das Volk aufzumuntern , um dort seine Waaren zum Verkauf anzubieten. Be freundete Häuptlinge gab es endlich. Außer den einflußreichsten Häuptlingen aus der XXV. Moekim, die ihre Unterwerfung in Aussicht stellten, hatte Foekoe Nek, der Häuptling von Maraksa, am 27. Januar öffentlich seine Unterwerfung erklärt. Dem gegenüber standen aber Symptome von einer weniger friedfertigen Natur, die den Angreifer immerhin zu offensiven Bewegungen zwangen und ihn nöthigten, in verschiedenen Richtungen nach Außen thätig zu sein, um den hart näckigen Feind - der zwar aus seinen hauptsächlichsten festen Punkten vertrie ben , darum aber noch nicht unterworfen war ― das Feld räumen zu laſſen. lassen. Am 27. und 29. Januar recognoscirte der Angreifer in großartigem Maßſtabe, um das Terrain in östlicher und südöstlicher Richtung vom Kraton zu erkennen und jedesmal traf er mit dem Feinde zusammen , der fest entschloſſen ſchien, keinen Zollbreit Boden unbestritten zu laſſen. In den ersten Tagen des Februar kamen auf der Rhede von Atjeh nach einander die noch zu Padang zurückgebliebenen Truppen an , eine Verstärkung, 49*

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welche dem Angreifer höchst willkommen war, denn obschon dieser bei der großen Anstrengung seiner Truppen genöthigt wurde -- ungeachtet des schweren Wach dienstes arbeiteten per halbes Bataillon täglich 50 Mann an den Lagern und Befestigungswerken - seine offensiven Handlungen auf ein Minimum zu be schränken, wurde doch eine solche Bewegung bald nöthig zur Beschüßung seines Bundesgenossen Foekoe Nek von Marakja, der von seinem Nachbar Foekoe Nanta bedroht wurde. Am 12. Februar verließ eine mobile Colonne , 3 halbe Bataillone Jn fanterie , die Hülfstruppen von Madura , 1 Compagnie Artillerie , 1 Peloton Mineure und 40 Reiter Penajoeng unter dem Oberst-Lieutenant van der Heyden. Der Hauptzweck für die Colonne war die Eroberung eines unweit Bital von Foekoe Nanta errichteten Retranchements, während dem Colonnen-Commandanten zugleich aufgetragen war, auf dem Rückmarsch, wo möglich, die Kampong Keta: pong Doe und andere vom Feinde zu säubern und so Foekoe Nanta's Bundes genossen Iman Djampit die nachtheiligen Folgen seiner gegen die Niederländische Regierung gerichteten Anschläge fühlen zu lassen. Nur der Hauptzweck des beabsichtigten Marsches wurde an diesem Tage erreicht , hauptsächlich in Felge der Verzögerung, welche die träge Mitwirkung des Foekoe Nek verursachte. Es schien, daß der Feind, da Ketapang Doe nicht gezüchtigt war , det immer übermüthiger wurde. Seine Handlungen machten es dringend nothwen dig, daß der Angreifer ihm seine ganze Macht noch einmal zeigte. Der Oberst - Lieutenant wurde mit der Leitung dieser militairischen Ore ration beauftragt , die am 15. Februar mit 5 halben Bataillonen Infanterie, den Hülfstruppen von Madura , 10 Geſchüßen , 1 Peloton Genietruppen und 20 Reitern ausgeführt wurde. Der Feind, der bei dieser Gelegenheit eine große Ge wandtheit im Manövriren zeigte, wurde allmählich aus seinen tüchtigen Befestigungs werken vertrieben , eine große Zahl Todter zurücklasſend . Der Angreifer , der Abends in sein Lazer zurückkehrte, zählte an Verwundeten 5 Offiziere und 49 Mann, an Todten 2 Offiziere und 6 Mann. Die Befestigung der eroberten Stellungen längs des Atjehfluſſes war am 16. März so weit gebracht , daß der Oberbefehlshaber den Commandanten des Heeres in Indien benachrichtigte , es feien alle Maßregeln getroffen , nicht nur um die Truppen für 6 Monate mit dem unentbehrlichsten Mundvorrath zu versehen, sondern auch um die weitere Ergänzung bis zum Ende des Jahres zu verbürgen. Alles wurde vorbereitet und geordnet, damit die Hauptmacht gegen Mitte April nach Java zurückkehren könnte, worauf eine starke Beſatzung unter den Befehlen des Oberst Pel die angelegten Werke besetzt halten sollte, mit dem ausdrücklichen Befehl, sich nicht ohne stricte Nothwendigkeit mit dem Feinde einzulaſſen. Deutlich erhellte die Absicht der Atjeher , den Feind durch wieder holte Gefechte zu ermatten und zu schwächen. Erst beunruhigten sie den Niederländischen Bundesgenossen Foekoe Nek, aber zwei kleine Recognoscirungen, auf deſſen Bitte nach Maraksa unternommen , genügten , um nach dieser Seite den feindlichen Bewegungen zu steuern. Im Anfang des April fing aber der Feind an, sich mehr in der Nähe der Stellungen des Angreifers zu zeigen; deshalb befahl der Oberbefehlshaber, daß aus dem Kraton (jetzt übereinstimmend mit dem inländischen Namen Kotta Nadja getauft) jeden Morgen zwei kleine Patrouillen das Terrain süd- und oftwärts von dieser Festung durchsuchen sollten. Bis zum 15. April fanden keine besonderen Scharmützel mit dem Feinde statt, aber am 16. stieß eine der Patrouillen auf eine feindliche Schanze und gerieth in ein Feuergefecht , welches man aber abzubrechen wußte , worauf

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die Patrouille ihren Weg verfolgte. Als der Oberst Pel, der den Befehl über Kotta Radja übernommen hatte, vernahm , daß man auf den Feind gestoßen war, sandte er eine Compagnie Infanterie und einen Zug Artillerie unter dem Befehl des Major von Romswinckel nach, der ―― nachdem er seine Macht durch die zweite der genannten Patrouillen verstärkt hatte , welcher er auf ihrem -Heimwege begegnete die Stellung des Feindes recognoscirte und anzugreifen. begann ; doch brach er nach einiger Zeit das Gefecht ab. In diesem Augen blick aber verfügte sich die erste Patrouille, die dem Feinde zuerst begegnet war und nach ihrer Rückkehr nach Kotta Radja, nach dem Orte, auf dem gekämpft wurde, wieder zurückgekehrt war, zum Corps des Major von Romswindel. Jest wurde von Neuem ein Angriff unternommen , der sich zu einem mörderischen Gefecht entwickelte , das aber kein anderes Resultat hatte , als daß die Niederländer mit einem Verlust von 8 Todten und 86 Verwundeten , unter welchen 7 Offiziere, nach dem Biwak zurückkehrten. Der Oberbefehlshaber , der mit der Hauptmacht bereit stand , nach Java zurückzukehren , beschloß , nach dem Geschehenen die Garnison mit 500 Mann zu vermehren , erachtete es aber nicht für rathſam, durch einen Angriff auf die Positionen des Feindes die Truppen großen Verlusten auszusetzen , Verluste, welche seiner Meinung nach nicht ausgeglichen werden konnten durch die Vor theile , welche möglicherweise zu gewinnen waren. Da Besatzung und Pro viantirung eines viel weiter landwärts gelegenen Postens nur zur Schwächung der zu behaltenden Stellungen führen mußte, so würde man diese nach ihrer Bemeisterung sogleich wieder aufgeben müſſen. Die Niederländische Hauptmacht wurde also am 25. und 26. April ein geschifft und mit ihr kehrten der Oberbefehlshaber und der zweite Befehlshaber nach Java zurück. Auf feindlichem Gebiet blieben zurück ungefähr 2500 Mann Infanterie mit 1 Feldbatterie, 1 Compagnie Festungs -Artillerie und 1 Com pagnie Genietruppen. Mit diesen Truppen sollten besetzt werden: 1) Kotta - Radja, der Hauptposten , in dem sich die Magazine , Hospitäler u. f. w. befanden. 2) Das am Fluß gelegene und vorgeschobene Werk Pakan- Atjeh. 3) Die zu Penajoeng aufgeworfene Redoute. 4) Die sogenannte Marine - Benting am rechten Ufer des Atjehfluſſes , halb wegs zwischen Penajoeng und der Flußmündung oder Dedjong. 5) Die eben genannte Dedjong auf dem linken Ufer, wo sich aber noch ein Detachement befand, um die Waarenlager 2c. zu bewachen, denn Anfangs wurde Alles von der Rhede längs des Atjehstrom hinaufgefahren und wurde somit am Strande, wo die Landung stattfand, eine Station nöthig. 6) Kampong Djawa auf dem linken Ufer , Penajoeng gegenüber , zwischen welchen beiden Posten die Verbindung durch eine hölzerne Brücke gesichert wurde. Weiter hatte man nord- und oftwärts noch Posten zu Lamara ; Kotta-Radja-Betil und Moeſapi , einen Außenposten auf einem westwärts von Kotta-Radja mit einer steinernen Mauer umgebenen Kirchhof, Kotta Petjoet und westwärts vom rechten Ufer eine verstärkte Wache. Die meisten dieser Posten lagen also an oder bei dem Strome und dienten zur Sicherung der Verbindung von Kotta-Radja und der Rhede, die nicht mehr als eine halbe Stunde von einander entfernt find . Der Lauf der Ereigniſſe nach dem 29. April brachte es aber mit, daß die Niederländer nach und nach zur Aufstellung mehrerer Posten verpflichtet wurden. So wurde ihr Bundesgenosse Foekce Nek von Maraksa schon wieder bald von

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seinen Nachbarn bedroht, die einen Theil seines Gebietes verheerten und Häuser einäscherten. Zur Beschützung dieses seines Gebietes waren sie verpflichtet, einen Poſten zu Marakſa aufzustellen und zwiſchen dieſem und Kampong Djawa ein zweites Werk zu Lempaſsey zu bauen, um die Verbindung zu sichern. Diese Maßregel war für die Niederländer durchaus nothwendig , denn mit Rücksicht auf den Mouffon mußte man einen sichern Landungsplatz an der Küste besitzen und diesen durch einen gut gesicherten Weg mit Kotta - Radja verbinden. Es wurde denn auch am Strande zu Marakja eine Landungsbrücke in's Meer gebaut und dort ein Posten aufgestellt , damit der schon zum Theil bestehende Weg mit Hülfe der Bevölkerung von Marakja vollendet oder verbessert würde. Um diesen Weg auch von der Südseite zu decken und einem Einfall_in's Gebiet des Foekoe Nek vorzubeugen, wodurch man von der Küste abgeſchnitten werden würde, wurden zwischen Kotta-Radja und dem Meeresstrande noch zwei Posten errichtet und zwar zu Kotta Loeng bei Kampong Merdohati und zu Blang-oe. Hierdurch waren die Niederländer Herren der Terrainſtrecke zwiſchen dem linken Ufer des Atjehstroms von der Ruine des Missigits bis zur Mün dung der Lagune unweit Kampong Deleh - Leh und erhielten sie an dieser Seite eine vortheilhaftere Stellung, die einen regelmäßigen Transport des Bedarfs von dem Meere her sicherte. Es würde zu weitläufig sein, einen Ueberblick auch nur von den wichtigsten Gefechten die seit der Abfahrt der Hauptmacht , Tag für Tag zwischen den Atjehern und Niederländern geliefert wurden , zu geben. Es sei genügend, hier noch einen Blick auf den jetzigen Zustand zu werfen. Seit dem 26. April ist auf der Niederländischen Seite die Kriegsmacht mit dem 6. Bataillon , etwa 500 Mann , verstärkt und werden außer dem Kraton dreizehn größere und kleinere Posten besetzt , die ungefähr im Halbkreis liegen, von Kampong Maraksa über den Kraton bis zu Moejapie. Die Bejahung des Kratons ist dadurch natürlich schwächer und die Macht, um offensiv zu handeln, im Verhältniß der größeren Zahl Posten geringer geworden. Die Flotte, welche während der zweiten Expedition eine stete Blocade unterhielt, ist noch ebenso stark, bildet aber jetzt keinen ununterbrochenen Corden mehr um Atjehs Küsten. Einige kleinere Vasallen - Reiche , welche die Nieder ländische Souverainität noch nicht anerkannt haben, bleiben blockirt, während andere , welche die Niederländische Fahne aufgepflanzt haben (fast alle westlich von Atjeh gelegen) dann und wann von einem Kriegsschiffe besucht werden; die Blocade ist dadurch jetzt noch unvollkommener als zuvor. Am 26. April 1874 standen die Atjeher 800 Meter von Penajoeng und der Marine-Benting , auf durchschnittlich 1200 Meter vom Kraton, und wagten sich nicht näher an das Gebiet des Foekoe Nek bis zu Ketapang - Dvea Bital und Lantermin. Ende 1874 hatten sie sich bis auf 400 Meter dem Kraton genähert und schlossen sie den Posten im XXV. Moekim enger ein. Nur an der Oſtſeite haben sie sich etwas zurückgezogen, nachdem Moejapie bejezt und Langkroek von den Niederländern erobert ist. Factisch haben die Atjeher nach der Abfahrt der zweiten Expedition Terrain gewonnen. Aus der Aufstellung der beiden kriegführenden Parteien zeigt sich schon, daß der Widerstand der Atjeher nicht geringer geworden, daß von Annäherung gar keine Rede ist und daß von demselben Tage an, an welchem die Niederländer sich auf die Defensive beschränkten , der Feind zur Offensive übergegangen ist. Während bei der zweiten Erpedition große Truppenmassen nöthig waren , um festen Fuß am Lande zu fassen, den Missigit und den Kraton zu nehmen, wer

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den jetzt blutige Gefechte geliefert, um zu verhindern , daß die Atjeher die Niederländische Macht enger einschließen. In den Niederlanden erheben sich denn auch von allen Seiten Stimmen, welche fordern , daß man , mit Abweichung von der bis jezt befolgten Taktik, im Januar 1875 eine neue Brigade, zusammengesetzt aus allen Truppen, welche man in diesem Augenblick auf anderen Posten in Indien entbehren kann , nach dem Kriegsschauplah sende , welche Truppen in Vereinigung mit den sich dort befindenden, dem Feinde mehr Respect für die Niederländischen Waffen einflößen sollen und ihn für immer aus der Umgegend des Kratons vertreiben , während später im Monat November eine dritte Expedition der Sache ein Ende machen solle. A.

Januar 1875.

Berichtigung. Seite 9 Zeile 19 von unten muß es heißen 24 ſtatt 27. • 9 B 18 2 = 26 a 27. = = 10 oben = 6 1833 statt 1853. = 2 s unten E B 2 - 459 Boguslawski statt Bogulawski.

Alphabetisches NamenAerzte des Deutſchen Reichsheeres 87 - in Preußen 141, 176. Africanische Infanterie in Frankreich 232. Akustische Feldtelegraphie 711. Albini-Brändlin- Gewehr 631. Alfons XII., König von Spanien 437, 759. Algierische Tirailleurs in Frankreich 232. Allgemeine Ehrenzeichen 451. Amann, Praktischer Topograph, 738. Amsterdam, Stellung von, 281 . d'Andlau, campagne et négociations 747. Anhalt, Militair Convention mit Preußen 19. Applicationsschule für den Generalstab in Paris 227 für Artillerie und Genie in Fontainebleau 253. Arbeitsurlaub in Rußland 420. Ardenne, v., Geschichte des Zieten-Husaren Regiments 525, 745. Argentinische Conföderation, Heerweſen 437. Armee in Oesterreich Ungarn 324 — in Ruß Land 382. Armeecorps des Deutschen Bundesheeres 4 in Frankreich 198, 202 ――――― in Defter reich Ungarn 324 - in Rußland 405. Armeefeftungen 658. Armee Inspectionen des Deutſchen Reichs heeres 70. Army medical school zu Netley 169. Armee Organisations - Gef. in Frankr. 197. Armstrong Geschüße 561. Arreſt in Frankreich 240. Artillerie in Dänemark 180, 182 - in Frank reich 235 in Norwegen 285 - in Desterreich - Ungarn 315 ― in Rußland 361, 392. Artillerie-Arsenale in Rußland 366. Artillerie-Batterie- Divisionen in Desterreich Ungarn 326. Artillerie Comité in Frankreich 236. Artillerie- und Ingenieur Schule in Mün chen 118 ---- in Rußland 368, 370. Artillerie-Schießſchule in Dänemark 183 in Desterreich- Ungarn 318. Artillerie-Train in Frankreich 237. Artillerie- Werkstätten in Frankreich 236. Artillerie Zeugwesen in Desterr.-Ung. 319. Affentjahrgang in Desterreich- Ungarn 296. Affentirung in Desterreich- Ungarn 306. Atjeh, Niederländische Expedition gegen, 759. Attacke der Cavallerie 496. Aufklärungsdienst der Cavallerie 507. Aumale, Herzog von, Divisionsgeneral 265. Ausbildung in Desterreich- Ungarn 342, 350 in Rußland 418 in Schweden 426. Ausschuß für das Landheer und die Feſtun gen des Deutschen Bundesraths 16. Auswanderungsbefugniß im Deutschen Reich 58. Auxiliair Offiziere in Frankreich 201 , 259.

und Sach-Regiſter.

Avancement in Frankreich 253 ―――― in Ruß land 417. Avellanedo , Präsident der Argentiniſchen Conföderation 440. Aymard, Divisionsgeneral 269. Baden, Militair- Convention mit Preußen 19. Bahndressur für Cavalleriepferde 483. Bailly, fortification 688. Bajonet in Deſterreich - Ungarn 337 - der Handfeuerwaffen 624–648. Bancroft, Kriegsſpiel 727. Banda Oriental del Uruguay Heerweſen 440. Baracken für Kranke 158. du Barail, Diviſionsgeneral 266. Bataille, Divisionsgeneral 264. Bayern, Militair-Verhältniß zum Deutſchen Reich 41 - Heerwesen 109. Bazaine, Rapport sommaire - l'Armée du Rhin 747. Beaumontgewehr in Frankreich 214 ――― in den Niederlanden 639. Befestigungssystem Frankreichs 216, 659 Belgiens 659 ― Deutschlands 659 Rußlands 659 - Desterreichs 659 Italiens 659 Englands 660 — Nieder lande 274, 659. Befestigungswesen 648. Beförderungs-Vorſchrift in Oesterr.-Ungarn 305, 310, 351. Bekleidung der Contingente des Deutschen Reichsheeres 23 der Bayerischen Ar mee 116 ―― in Dänemark 180, 182 in Desterr.- Ung. 330 - in Rußl. 400. Belagerungs- und Festungs- Artillerie in Deutschland 556 - in England 563 in Frank in Desterreich- Ungarn 577 reich 569 in Rußland 580 - All Veränderungen in gemein 584-607 der Organisation in Deutſchland 602. Belagerungstrain in Frankreich 213 — in Rußland 363, 393, 580 in Deutsch Land 556 — in Italien 572 — in Deſterr. Ungarn 578 -früher inOesterreich, Frank reich, Preußen 585 - jezt in Preußen, Desterreich, Rußland 598. Berdan- Gewehre und Carabiner in Ruß land 411, 643 - in Spanien 646. Besaßungstruppen des Deutschen Reichs heeres 74, 75. Beurlaubungen in Rußland 420. Beurlaubtenstand des Deutschen Heeres 53. Bevölkerung Frankreichs zu verschiedener Beit 204. Bewaffnung in Rußland 411 - in Schwe in Brasilien 446. den 425 Bewehrung in Schweden 424, 434. v. Bibrach, Terrainlehre 736. Bilbao, Belagerung 757. Blume, Operationen nach Sedan 743.

Alphabetisches Namen und Sach - Register. v. Boguslawski, taktische Folgerungen 458. Bombardementsgeſchüße 594. Bonie, Cavalerie française 747. Borbstädt, Krieg 1870, 743. Bordone, Garibaldi's Operationen 749. Bourbaki, Diviſionsgeneral 268. Brandeis, Manöver bei, 292, 349. Brasilien, Heerwesen 444. Braunschweigs Heeres-Contingent 20. Bremen , Milit.Convent. m. Preußen 19. Brialmont 666, 679. Brigade Commandos in Desterreich-Ungarn 314 ―――――― in Rußland 407. Broadwellliderung 559, 581. Bronce als Material für Geschüßröhre 547 Stahlbronce in Desterreich 339 , 576 in Rußland 581. Brüsseler Conferenzen (Sommer 1874) 56. Bundesversammlung (Deutsche) 2. Cabinetsordre vom 19. März 1873 bezüg lich Infanterie-Taktik 461. Cadetten in Desterreich- Ungarn 302, 304. Cadettencorps in Berlin 82 ― in München 118 - für Finnland 369. Cadetten-Institut zu Karlsborg in Schwe den 424. Cadres des Deutschen Reichsheeres 64. Cadregeset in Frankreich 203. Capitulationen in Frankreich 241 - der Unteroffiziere in Rußland 415. Carcanogewehr 637. Carl, Erzherzog, über Cavallerie 524. Du Casse, Vandamme 753. Cavallerie des Deutschen Reichsheeres 66, 67, 70, in Dänemark 180, 182, in Frank reich 233, 529, in Norwegen 285, in Desterreich- Ungarn 315, 535, in Rußland 361, 392, 526, in Schweden 432, in Italien 539. Cavallerie-Divisionen des Deutschen Reichs heeres 71. Cavallerie Inspector in Desterr.-Ung. 326. Cavallerie Körper, Stärke 487, Gliederung 487, taktische Formen 488. Cavallerie Organisation in Frieden und Krieg 512. Cavallerieschule zu Saumur 253 - in Pe tersburg 368. Cavallerie Uebungen, 1873 in Deutschland 489 1874 in Deutschland 500 -- in Rußl. 529 -- in Frankr. 531 , 533 - in Desterr. Ung. 538 in Ital. 541. Central Curs in Desterreich - Ungarn für In fanterie und Cavallerie 318. Centraldepot der Artillerie zu Paris 236. Centralzündung für Geschüße 559. Chanzy, Divisionsgeneral 271 - Deuxième Armée de la Loire 748. Chassepotgewehre in Frankreich 213, 214,634. Chasseurs in Frankreich 235. Chefärzte f. Friedenslazarethe in Preußen 166. Chef des Feldsanitätsweſens in Preußen 165. Chesney essays on biography 755. Chiala. Cenni storici 751.

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De Cissey, Kriegsminister Frankreichs 222. Civilanstellungsschein für Invaliden des Deutschen Reichsheeres 99. Civilversorgungsschein für Invalide im Deutschen Reichsheere 98. Clinchant, Diviſionsgeneral 262. Coffinieres de Norded, Capitul. de Metz 747 . Colonnen bei der Cavallerie 484. Comblaingewehr 632, 635, 648. Comités in Frankreich 224. Commandirender General eines Armeecorps in Frankr. 199 — in Desterr. - Ung. 314. Compagnie- Chirurgen in Preußen 135, 136. Compagnie Colonne 458. Comprimirte Patronen 617. Concha, Marschall, fällt beim Angriff auf Estella 758. Consultirende Generalärzte in Preußen 151 . Contreminenſyſtem 698. Esten Cooke, Robert Lee, 751 . Corps P Artillerie des Deutschen Reichs heeres 74. Corps-Brückentrain in Deutschland 692. Cremer, opérations militaires 749. Cronholm, Gustav Adolph 754. Cüraß 517. Cürassiere in Frankreich 235. Curiatstimmen der Staaten des Deutschen Bundes 2. Cybulz, Terrainformenlehre 736 . Dänemarks Heerweſen 178. Deligny , Divisionsgeneral 263 l'armée de Metz 747. Denfert défense de Belfort 750. Dépot de la guerre 228. Derrécagair, histoire de la guerre 745. Detaschirte Forts 668. Deutsche militairärztliche Zeitschrift 169. Deutscher Bund , Gesez über die Kriegs verfassung vom 9. April 1821. 3. Deutsches Reich, Kriegsverfaſſung 15. Deutsche Ritterorden in Desterreich-Ungarn 327, 453. Deuxième portion des Rekrutirungs-Con tingentes in Frankreich 192. Dienstreglement in Preußen 29 — in Bayern 44 in Desterreich- Ungarn 341 . Dienstverpflichtung in Dänemark 179 - - in Frankreich 190 in Desterreich- Ungarn 295 in Rußland 386. Disciplinar Strafordnung für das Deutsche Reichsheer 103. Dislocation der Französischen Armee 261 . Dislocationsrecht der Deutschen Souveraine über die Truppen 22. Diſtrictspferde in Dänemark 180 in Norwegen 287. Divisionen des Deutschen Reichsheeres 71 in Rußland 406. Divisionsarzt in Preußen 149, 170. Diviſions-Brückentrain in Deutſchland 692. Diviſions - Concentrirungen in Oesterreich Ungarn 349. Doppelwandgranaten 549, 575.

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Alphabetisches Namen- und Sach- Regiſter.

Douay, Divisionsgeneral 264. Dragoner in Frankr. 235 - in Rußl. 529. - Guſtav Adolph 754. Droysen, Chotuſiß 754 — Dualin 622. Ducrot, Divisionsgeneral 265 — Sedan 746. Dynamit 622. Eclaireurs volontaires in Frankreich_234. Ecole supérieure de la guerre in Frank reich 227. Ehrengerichte im Deutschen Reichsheere 104 ____ in Bayern 121. Ehrenlegion 453. Eingetheilte Armee in Schweden 423. Einheits-Cavallerie 516. Einjährig Freiwillige im Deutschen Heere 51 Beförderung zu Reserve-Offizieren 83 in Frankreich 193, 200, 241 — in Desterreich Ungarn 299. Eisenbahn-Bataillon des Deutschen Reichs heeres 68, 69, 73. Eisenbahnen des Deutschen Reiches 46 Frankreichs 218. Eisenhämmer in Frankreich 236. Eisernes Kreuz 448. Clsaß -Lothringen, Militair. Verhältnisse 21 . Engere Rath der Deutschen Bundesvers. 2. Entlassung aus dem Kriegsdienst in Nor wegen 287 - in Desterreich-Ungarn 308. Ergänzung des Deutschen Reichsheeres 80, 89 - des Heeres in Oesterreich-Ungarn 298 - des Heeres in Rußland 356, 385. Ergänzungsbehörden in Desterr. -Ungarn 307. Ergänzungsbezirke in Desterr. -Ungarn 306. Erinnerungskreuz im Königreich Sachsen 452 ― in Baden 452. Ersatz- Abtheilung f. d. Sanitätspersonal 162. Ersazbehörden im Deutschen Reiche 91 in Bayern 112 - in Rußland 389. Ersay Contingent d . Deutsch. Bundesheeres 3. Ersaßreserve des Deutschen Heeres 55 in Desterreich-Ungarn 301. Ersahtruppen des Deutschen Reichsheeres 74, 75 - in Rußland 397. Espivent de la Villesboinet , Divisions general 269. Estella, Angriff der karliſtiſchen Stellung durch Concha 758. Etappen Generalarzt in Preußen 150. Etappen Telegraphie 705. Etappen- Verpflegung in Desterr.-Ungarn 333. Etatsstärke des Deutschen Reichsheeres im Frieden 67 - im Kriege 75. Evacuation der Feldlazarethe, Preußische Instruction vom 22. Mai 1866, 144. Evacuations Commiſſionen i. Preuß. 151 , 156. Exercir Reglement für die Cavallerie in Desterreich-Ungarn 347, 537 — in Preußen 484, 494 in Frankreich 531. Exercir Reglement für Infanterie in Frank reich 233 , 466 in Desterreich - Ungarn 343, 471, 537 in Preußen 459 in Rußland 470 1 in Italien 474 - in England 475 in Belgien 475 -- in Schweden 478.

Fahneneid des Deutschen Reichsheeres 25. Fahrende Infanterie 515. Faidherbe, l'armée du Nord 748. Failly, Opérations du 5. Corps 746. Fay, Journal d'un Officier 745, 222. Feld Artillerie des Deutschen Reichsheeres 68-69, 72 - in Desterreich 339 , 3418. 572 in Rußland 392 , 579 - in Schweden 425 , 432 - in Spanien 436 in England 562 in Frankreich 566 in Italien 570. Feldbefestigung 679. Felddienst in Desterreich-Ungarn 345. Feld-Eisenbahn-Abtheilungen in Deſterreich Ungarn 325. Feld Gendarmerie in Deſterreich-Ungarn 325. Feldlazarethe 127 - fliegende 131, 134 in Rußland 364. Feld-Lazareth-Reglement für die Preußiſche Armee vom 16. September 1787, 127. Feldminirdienst 700. Feld-Pionierdienst 689. Feld Post in Desterreich-Ungarn 325. Feldsignalcompagnie in Schweden 431. Feld Telegraphenwesen 703 - in Belgien 711 in England 711 - in Frankreich 712 in Italien 714 - in Desterreich Ungarn 325, 714 - in Preußen 715 in Rußland 716 in Spanien 717 in Nord-America 717. Festungs-Artillerie in Desterreich - Ungarn 340 - in Rußland 365, 399 - jiehe Belagerungs- Artillerie. Festungsbau 660. Festungs-Enceinte 668, 673 Festungs-Kriegsspiel 728. Festungs- Rayon - Gesez für das Deutſche Reich 108. Festungssystem siehe Befestigungsſyſtem. Finanzlage Frankreichs 219. Flankirung der Festungslinien 663. Forgeot, Divisionsgeneral 266. Formation des Deutschen Reichsheeres 61 . Fortbildungscurſe für Militairärzte 168. Fortification 648. Frankreichs Heerweſen 185. Franz Josef, Kaiser und König, Regierungs Jubiläum 290. Freiwillige in Frankreich 240 - in Defter reich-Ungarn 298 — in Rußland 359, 390. Freizügigkeit - militairische im Deutschen Reich 58, 110. Fremden- Regiment in Frankreich 232. Freycinet, guerre en province 748. Friedensstärke des Deutschen Reichsheeres 63. Frossard, Opérations du deuxième Corps745. Fuhrparks -Colonnen für Belagerungen 603. Fuhrwesen - Corps in Deſterreich - Ungarn 317, 320. Fuß-Artillerie des Deutschen Reichsheeres 68-69, 72, 602. Fußgefecht der Cavallerie 486. v. Gablenz, General der Cavallerie 293. Gallina, Feldmarschalllieutenant 290.

Alphabetisches Namen- und Sach- Regiſter. Gallisin, Kriegsgeschichte 755. Garden in Desterreich- Ungarn 321. Garnison- Compagnien in Bayern 113. Gebirgs- Artillerie in Desterreich- Ungarn 340. Gehaltscompetenzen in Rußland 411. Gehema , Schilderung der früheren Chi rurgen 128. Gelderländisches Thal , Stellung des selben 276. Geldern, Graf, Grundzüge der Befestigungs kunst 688. Geldgebühren in Desterreich- Ungarn 331 in Rußland 411. Gendarmerie in Frankreich 231 -— in Dester reich-Ungarn 321. Generalität in Frankreich 225. General-Inspection des Militair- und Bil dungswesens in Deutschland 82. General Inspicirungen in Frankreich 225. General Lieutenant d. ( Deutsch. ) Bundes 5. Generalstab des Deutschen Reichsheeres 78 - in Dänemark 182 - in Frankreich 226 - in Norwegen 286, 288 - in in Ruß Desterreich- Ungarn 314, 327 in Schweden 433. Land 376 Generalstabs-Akademie in Rußland 370. Generalstabsreisen in Dänemark 183 - in in Rußland 419. Frankreich 228 Generalstabswerk über Krieg 1870-71 742. Geniecorps in Frankreich 238 ――― in Dester reich Ungarn 316. Georgs-Orden in Bayern 452 - in Ruß Land 453. Geschüße in den Niederlanden 283. Geschübgießerei in Frankreich 236. Geschüßpulver 618. Geſchüßſyſtem in Preußen 545 - für Feld Artillerie Conſtr. 1873 548 für Be lagerungs- und Festungs - Artillerie 550 - in England 561 — in Frankreich 566 in Italien 570 - in Desterr.- Ungarn 572 - in Rußland 579 - in den Ver einigten Staaten Nordamericas 583 in der Schweiz 583 ― in Belgien 583 - in Dänemark 583 in Schweden Norwegen 583 - in Spanien 584. Gestüte in Frankreich 212 -- in Desterreich Ungarn 322, 328. Gewehrfabriken in Frankreich 236 --- in Rußland 367. Gewehr Modell 1871 in Deutschland 627. Gewehrpulver 617. Geworbene Truppen in Schweden 423. Girard, fortification 688. Gonneville, souvenirs 753. Görde, General-Chirurgus 130. Gougeard, deuxième armée de la Loire 784. Gouvernements - Truppen - Chef in Ruß Land 408. Granatkartätschen in Schweden 433. Grasgewehr in Frankreich 214. Gußstahl als Material für Geschüßröhre in Frankreich 216 - in Preußen 545 in Rußland 581.

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Hamburg, Militair- Convent. m. Preußen 19 Handfeuerwaffen in Oesterreich- Ungarn 338, 640 in Deutschland 624 - in Belgien 631 in Dänemark 632 in Frank in reich 633 ―――― in Griechenland 635 Großbritannien 635 - in Italien 637 - · in den Niederlanden 639 in Portu gal 642 in Rußland 642 in Schweden und Norwegen 644 ――― in der Schweiz 645 -- in Spanien 646 - in der Türkei 647 - in Brasilien 648. Haringvliet, Stellung desselben 277. Hartgußgranaten 559, 596. Haupt- Conservatorium der Armee in Bayern 119. Haupt-Contingent des Deutschen Bundes heeres 3. Heilmann, 2. Bayerisches Corps 744. Helder, Stellung an demselben 277. Hellmuth, Geist und Form 465. Helvig, 1. Bayerisches Corps 744. Henry Martini - Gewehr 636, 647. Hessen (Darmstadt) , Militair - Convention mit Preußen 19. Hoeftmann, Preuß. Ordensherold 454. Hoffbauer, Artillerie bei Mez 744. Holländische Waſſerlinie 275. Hollandsch Diep, Stellung desselben 277. Honved, Ungarische Landwehr 323, 536. Hoße, Veränderungen in Taktik der Infan terie 473. Hozier, Feldzug gegen Abessinien 751. Jäger des Deutschen Reichsheeres 66, 67 in Frankreich 232 ―― in Desterreich * Un garn 315. Jerebjewoi porjadok bei der Rekrutirung in Rußland 357. Indirecter Schuß 550, 589, 597, 598. Infanterie des Deutschen Reichsheeres 66, 67 in Dänemark 180 , 181 , 183 Frankreich 231 , 466 in Norwegen 285 - in Desterreich- Ungarn 315 - in Rußland 360, 391 -- in der Schweiz 477. Infanterie - Brigaden des Deutſchen Reichs heeres 71 . Infanterie-Feldwerk 683. Infanterie-Spaten in Dester -Ung. 344, 473. Infanterietruppen- Divisionen in Desterreich Ungarn 314. Ingenieur - Corps in Dänemark 182 - in Rußland 362, 393. Ingenieur-Depots in Rußland 400. Ingenieur-Inspectionen in Preußen 73. Inspection der Kriegsſchulen des Deutſchen Reiches 82. Inspicirungsrecht des Deutschen Kaiſers 28. Instruction über das Scheibenschießen vom 24. December 1873 für Preußen 462. Intendantur-Depots in Rußland 367. Intendanturen des Deutschen Reichsheeres 78, in Frankreich 229 - in Desterreich Ungarn 313. Intendantur-Transport in Rußland 364. Intendanz- Curs in Desterreich- Ungarn 318.

Alphabetisches Namen- und Sach-Regiſter. - in Deutschland 557 - in England Invalidenfonds für das Deutsche Reich 36. Invalidenhaus in Bayern 113. 565, 615 in Frankreich 569, 615 — in Belgien 583 - Entwickelung derselben Invalidenpensionen im Deutschen Reichs ― heere 97. 607 in Rußland 616. Invalidenwesen in Oeſterreich - Ungarn 328 Küstenbefestigung 674. - in Rußland 421. Küstenlaffeten in Deutschland 560. Johanniter Orden 451. Kuhn, v., Feldzeugmeister 290. Labrousse, Laffetenſyſtem 283. v. John, Feldzeugmeister 290. Irun, Entsag 758. Ladmirault, Diviſionsgeneral 272. Irregulaire Truppen Rußlands 371 , 401 . Laffeten für Belagerungs- und Festungsge schüße 553 ― von Eisen und Stahl 554 Junkerschulen in Rußland 369, 401. für gezogene Mörser 599 --- von Mon Bra , Oliveira) de José (Joao Junqueira crieff 564, 600 — Maskenlafſeten 600 silianischer Kriegsminister 446. für Minimalscharten 601 — Mündungs Kaisergarde in Frankreich 187. Pivot Laffeten 601. Kammerladungsgewehr in Norwegen 644. Karlistenkrieg 755. Lahitolle -System von Stahlgeschüßen in Karl'sche Zündnadelgewehre 411 , 643. Frankreich 216. Karten, neue, in den Niederlanden 284. Lahr, v. d., Anwendung der Minen 698. Lallemand, Diviſionsgeneral 267. Kaſaken 371, 381 , 402, 527. Lamarmora, un po più di luce 751. Kasanski, Kriegsspiel 727. Lancaster-Kanone 560. Klippel, Leben Scharnhorst's 753. Knorr, Main -Armee 751. Lancier Regimenter in Frankr. abgeschafft 187 . Landesvertheidigung 651 ―― in Tirol 309. Koeler, Terrainlehre 736. Landsturm des Deutschen Reiches 55 in v. Koller, General der Cavallerie 290. Kostgebühr in Desterreich-Ungarn 332. Desterreich-Ungarn 302. Krainski, Kriegsausbildung der Desterreichi Landtorpedos 700. ſchen Infanterie 473. Landwehr des Deutschen Heeres 51 - in - in Ungarn 310, 322. v. Krane , Ausbildung der Cavallerie- Re Defter. Ungarn 301 — monten 484. Landwehr-Bezirks -Commandos des Deutſchen Reichsheeres 66, 67, 80 . Krankendienst im Felde. Preuß . Reglement vom 17. Mai 1863, 138. Landwehr Compagnieführer des Deutschen Reichsheeres 85. Krankenträger-Compagnien in Preußen 137. Krankentransport-Commiſſionen in Preußen Landwehr-Offiziere des Deutschen Reichs 151 , 161. heeres 85 in Desterreich- Ungarn 305. Krankenzerstreuung 155. Landwehr-Rekruten in Preußen 10. Langgranaten 596. Kraton in Atjeh 284, Einnahme deſſelben 769. Lanze 517. Kreis-Truppen Chef in Rußland 407. Mün in Kriegs-Akademie in Berlin 82 Lartigue, Diviſionsgeneral 267. chen 118. Latterer, Praktisches Recognosciren 738. Kriegs- Budget des Deutschen Reichs 31 Layman , Principien der Infanterie - Taktik 465. Frankreichs 220. Kriegsdenkmünze für 1870/71 in Preußen 451. Lazarethgehülfen in Preußen 136. Lazareth- Reserve - Depot in Preußen 150,161. Kriegsleistungen für das Deutsche Reichs heer 106. Lazareth-Reserve-Perſonal i. Preuß. 150, 161. Kriegsmarine des Deutschen Reichs 46. Lebrun, Diviſionsgeneral 263. Kriegsmedaille in Desterreich - Ungarn 290, Lehrtruppen in Rußland 365. 337, 453. Leitner, Kriegsspiel 727. in Leuchtwirkung 601. Kriegsministerium in Frankreich 222 Lewal, Kriegsspiel 727. Dester. Ung. 311, 328 — in Rußland 373. Linnemanscher Spaten in Dänemark 180 Kriegsschachspiel 719. - in Desterreich - Ungarn 344, 473. Kriegsschaß für das Deutſche Reich 37 . Lippe-Detmold , Militair - Convention mit Kriegsschulen des Deutschen Reichsheeres 81 Preußen 19. in München 118 - in Desterreich Ungarn 318 - in Rußland 368 zu Literatur über Feldzug 1870-71 742 über Kriege der neuen Zeit 751 - über Marienborg in Schweden 424, 434. Napoleonische Kriege 752 - über Schle Kriegsspiel in Bayern 119 - Geschichte und Literatur 718 in Deutschland 724 sische Kriege und Spanischen Erbfolgekrieg im Auslande 727. über 30jährigen Krieg 754 754 über Kriegsgeschichte im Allgemeinen 755 Kriegsverfassung des Deutschen Bundes 1 über Ca 679, 688 Fortification über des Deutschen Reiches 15. vallerie 519 - über Taktik der Infanterie Krnka-Gewehre in Rußland 411 , 643. über Terrain 464, 469, 473, 475 Kronen-Orden 451. Künstliche Metallconstruction 557. Lehre 736. Küsten-Artillerie in Desterreich- Ungarn 340 Lithofracteur 622. 780

Alphabetisches Namen- und Sach-Register.

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Local-Milit.-Verwaltungen in Rußland 381. Militair Strafproceß im Deutschen Reich 103. Localtruppen in Rußland 364, 395, 408. Militair Strafvollstreckungs- Reglement für Löhlein, Corps Werder 744. das Deutsche Reich 103. Loskauf von Wehrpflicht in Rußland 359. Militair Thierarznei Institut in Desterreich 318, 328. Lübeck, Militair-Convention mit Preußen 19. Militair Transporthäuser in Desterreich Maas, Werke an derselben 279. Ungarn 319. Maasmündungen, Stellung an denselben 277. Mc. Mahon, l'armée de Versailles 750. Militair-Verdienstkreuz in Preußen 451 in Bayern 452 - im Großherzogthum Makowiczka, Festungs -Kriegsspiel 728. Hessen 452 ―― in Mecklenburg 452. Manöver Instruction in Frankreich 468, 532. Militair-Verpflegs-Magazine in Desterreich Mantelröhre für Feldartillerie 549. Ungarn 319. Mappirung in Deſterreich 733. Militair- Versorgungs - Anstalten in Dester Marschregimenter in Frankreich 187. reich- Ungarn 321. Maskenlaffeten 600. Militair = Veterinairweſen im Deutschen Mattei-Roſſi- Geſchüße in Italien 571. Reiche 88. v. Mayer, Kriegsspiel 727. Mineur Patrouille 701. Meckel, Taktik von Perizonius 465 —Kriegs Mineurwesen 697. ſpiel 724, 725. Mecklenburg- Schwerin, Militair- Convention Minimalscharten-Laffeten 601. Mitrailleusen in den Niederlanden 283 mit Preußen 19. Mecklenburg- Strelit, Militair - Convention der Ungarischen Landwehr 310, 340 - in Rußland 411. mit Preußen 19. Medaille des rothen Adler-Ordens 451 . Mitre, Brigadegeneral 440. Medicinal-Abtheilung im Preuß. Kriegs Mobilgarde in Frankreich 187. miniſterium 147. Mobilisirte Nationalgarde in Frankreich 186. Medicingroschen d. Militairärztei. Preuß. 137. Mobilmachung in Frankreich 200. Mörser, gezogene, in Preußen 550, 552 Medicinisch chirurgisches Friedrich-Wilhelms in Frankreich 570 - in Rußland 581 Institut in Berlin 135 - Josephs -Akade allgemein 595. mie in Wien 318, 327 — in Rußland 370. Meilengeschütz 552. Moncrieff Laffete 564, 600. Milbank Amsler- Gewehr 645. Montaudon, Divisionsgeneral 262. Militair - Betten - Magazine in Desterreich Montirungs -Werkstätten in Rußland 367. Ungarn 319. Montur Verwaltungs - Anstalten in Dester Militair-Bezirke in Rußland 378. reich-Ungarn 319. Militair-Commandanten i. Desterr.-Ung. 314. Mündungs Pivotlaffeten 601. Munitions- Ersaß für die Infanterie im Ge2 Militair Commiſſion d. Deutſchen Bundes 2. fechte 463. Militair Conventionen zwischen Preußen und Muszynski, Terrainlehre 737. den Deutschen Staaten 19. Napoleon, Correspondance 752. Militair-Ehrenzeichen 451 . Militair-Erziehungs- und Bildungs- Anstalten Natural-Leistungen für das Deutſche ReichsI heer 104. in Desterreich- Ungarn 318. Natural-Verpflegung in Desterreich- Ungarn. Militairfestungen 654. 331 in Rußland 412. Militair Geographisches Institut in Dester Neumann , Directiven für das Festungs reich- Ungarn 319. kriegsspiel 728. Militair Gerichtsbarkeit in Frankreich 239 in Oesterreich-Ungarn 312, 335 - in Neupreußische Befestigung 669. Nieder-Betuwe, Stellung derselben 276. Rußland 414. Militairgeſeh für das Deutſche Reich 34. Niederlande, Festungssystem und Heer wesen 274. Militair Handwerker in Frankreich 239. Nitroglycerin 622. Militairhochschule in Norwegen 287. v. Noorden, Spanischer Erbfolgekrieg 754. Militairische Gesellschaften in Bayern 119 in Desterreich Ungarn 352. Nordpol Erpedition, Desterreichische 292. Militair-Lehranstalten in Rußland 367, 401. Normal-Schießschule in Frankreich_253. Normal-Turnschule zu Vincennes 255. Militair-Medaille in Frankreich 453. Militair Medicamenten- Anstalten in Dester Norwegens Heerwesen 284. reich-Ungarn 321 . Ober-Erziehungshaus zu Güns 318, 327. Oberfeldherr des Deutschen Bundesheeres 5. Militair Sanitätskreuz in Württemberg 452. Militairſchule zu St. Cyr 253. Ober Kriegseisenbahn- Commiſſion in Frank reich 218. Militair Seelsorge in Frankreich 240 ---- in Ober-Kriegsrath in Frankreich 224. Desterreich-Ungarn 312. Ochotniki (Freiwillige) in Rußland 390. Militair-Strafanstalten in Frankreich 240 Dertlichkeiten, Vertheidigung derselben 685. in Desterreich-Ungarn 321. Militair-Strafgeset für das Deutsche Reich Desterreich Ungarns Heerwesen 290. 102 - in Desterreich- Ungarn 335. Offensiv Torpedo 677.

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Alphabetisches Namen und Sach-Register.

Offizier Casinos in Rußland 419. Offiziere des Deutſchen Reichsheeres 25 Ergänzung derselben 80 des Beur laubtenstandes 83 in Dänemark 179 in Frankreich 250 ― in Norwegen 286 in Desterreich - Ungarn 303 - in Rußland 416 - in Schweden 424, 432. Offizierfeldküche in Desterreich - Ungarn 331. Offizierschule in Dänemark 179. Offiziertöchter-Institut in Desterreich - Un garn 319. Okrug, Rekrutirungsbezirk in Rußland 357. Oldenburg , Militair-Convention mit Preu Ben 19. Olga-Orden in Württemberg 452. Opoltschenie (Reichswehr) in Rußland 355. Optische Feld Telegraphie 709. Orden und Ehrenzeichen 448. Orden pour le mérite 450. Otdattſchiki b. d. Rekrutirung i. Rußland 358. Otscherednoi porjadok bei Rekrutirung in Rußland 357. Pagencorps in Rußland 369. Aurelle de Paladines première armée de la Loire 748. Palikao, Ministère de 24 jours 746. Martin de Pallieres, Orleans 748. Panzerdrehthurm 678. Panzerschiffe 610. Panzerung von Festungstheilen 678. Paraguay, Heerwesen 442. Paris, Besayung von, 272. Paris, Graf von, Guerre en Amérique 752. Parks für Ingenieure und Artillerie in Ruß land 362. Pebble (Kieselstein-) Pulver 549, 620. Pedro II., Kaiſer von Brasilien 444. Pensionirung im Deutschen Reichsheere 96 in Dänemark 179. Percussionszünder in den Niederlanden 283. Permanente Befestigung 660. Petre, Kriegsspiel 727.. Pferde für Cavallerie 482. Pferde - Conscription in Bayern 114 - in Frankreich 212 ―― in Desterr.-Ungarn 329. Pferde-Erſaß des Deutschen Reichsheeres 95. Phosphorbronce 547. Picard, Divisionsgeneral 268. Pidoll, Kriegsspiel 727. Pioniere des Deutſchen Reichsheeres 68 und 69, 73 in Desterreich - Ungarn 316 Grundsäße der Organisation 689. Piret de Bihain , Feldmarschall-Lieut. 292. Placentia-Bergkanonen 584. Plenum d. Deutsch. Bundesversamml. 2. Podewilsgewehr in Bayern 115, 630. Pollard, life of Davis 751. Polygonaltracé 664. Polytechnische Schule zu Paris 253. Pontonierwesen 691 - in Desterreich 695 in Rußland 695 in Frankreich 237, 695 in Italien 696 - in England 696 in Belgien, Holland, Schweiz , Spanien, Schweden 696.

Popp, Vorlesungen über Feldbeſtigung 688. Portéepeefähnrich im Deutschen Reichs heere 81 . Postwesen des Deutschen Reiches 47. Pourcet, campagne sur la Loire 748. Preußen, Militair-Convention mit den Deut schen Staaten 19. Preußisches Heerwesen vor 1859 9 , Reor ganisation desselben 12. Prismatisches Pulver 559, 620. Proviantmagazin in Rußland 367. Provisorische Regimenter in Frankreich 186. Prytanée militaire zu La Flèche 253. Przihoda, Terrainlehre 737. Pulverfabriken in Frankreich 236 - in Rußland 367. v. Puttkamer, 2. Garde- Regiment 745. Quartierleistung für das Deutsche Reichs heer 104. Quetschminen 699. Ranke, Wallenſtein 754. Razenhofer , Laktiſche Lehren des Krieges 1870-71 473. Reffye-Kanone in Frankreich 215, 567. Refractions- Anomalien 334. Regional-Eintheilung Frankreichs 197. Reichswehr in Rußland 355. Reißwik, Kriegsſpiel 721 . Reitende Schüßen 515. Reit-Instruction für Cavallerie 483, 485. Rekrutirung in Frankreich 1873 206 - in in Desterreich Frankreich 1874 209 Ung. 307, 308 --— in Rußl. 356, 389 in Schweden 424 — in Braſilien 446. Rekrutirungsgeset in Frankreich 188 von 1870 in Spanien 435. Remingtongewehr in Dänemark 180, 633 – in Norwegen 288 in Schweden 425, 645 in Spanien 437, 647. Remonte Depots in Frankreich 212. Remontirung in Bayern 114 - in Däne mark 180 in Frankreich 210 in Norwegen 287 -――――― in Desterr. Ungarn 329 ―――― in Schweden 425 - in Spanien 436. Reorganisation der Preuß. Armee 1859 12. Reorganisationsproject für die Schwedische Armee 428. Repetirgewehr von Fruhwirth in Deſterreich Ungarn 338. Republicanische Garde in Frankreich 231. Reserve der activen Armee in Frankreich 210. Reserve Contingent des Deutschen Bundes heeres 3. Reservedienstpflicht in Desterr.-Ungarn 297. Reserve-Division des Deutschen Bundes heeres 4. Reserve-Offiziere des Deutschen Reichsheeres 83 - in Frankreich 259. Reservetruppen in Rußland 365, 398. Retrogradation in Frankreich 251. Réunion des officiers in Paris 257. Revolver von Gaſſer in Deſterreich-Ungarn 338, 641 -- für Cavallerie 517 - DON Chamelot-Delvigne in der Schweiz 646.

Alphabetisches Namen- und Sach- Register. Grimaudet de Rochebouet, Diviſions - Ge neral 270. Rodman-Columbiaden 582. La Roncière le Noury , marine au siège de Paris 750. Roßärzte des Deutschen Reichsheeres 88. Roßarztschule in Berlin 88. Rote in Schweden 425. Rousset les volontaires 753. Rüdgisch, Anleitung zum Recognosciren 738. Rüstow, Krieg 1870, 743. Rußlands Heerwesen 354. Rusthalter in Schweden 425. Sachsen (Königreich) Militair - Convention mit Preußen 19. Säbel in Desterreich-Ungarn 337 bei Ca vallerie 518. Salignac-Fenelon, Divisionsgeneral 270. Sanitätscorps , Organisation desselben in Preußen 147, 170. Sanitäts-Detachements in Preußen 149. Sanitätssoldaten in Schweden 434. Sanitätswesen der Bayerischen Armee 117 Entwickelung des — in der Preußischen Armee 123 ―― Instruction über das der Preuß. Armee im Felde 148 - in Frankreich 239 in Desterreich Ungarn 313, 317, 320, 325, 327, 333 -- in Nuß Land 363, 367. Sanitätszüge 157, 162. Sapeurs - Pompiers in Paris 232. Sarcey, siége de Paris 750. v. Sazenhofen, zur Taktik der Reiterei 523. Schäfer, 7jähriger Krieg 754. Schanzzeug bei Russischen Truppen 410 bei Deutschen Truppen 474. Scharochen 573, 579. Schaumburg-Lippe, Militair-Convention mit Preußen 19. Scheibert, Bürgerkrieg in Ver. Staaten 752. v. Schell, 1. Armee unter Steinmetz 744. v. Scherff, Studien zur neuen Infanterie taktik 460, 464, 471 , 514, 520 -- Zwei oder dreigliedrig 464. Schießbaumwolle 621 in England 622 Nasse Schießbaumwolle 623. Echießbaumwollgeschüße 573. Schießpulver 616. Schießstands-Ordnung in Tirol 309. Schießunterricht bei der Franzöſiſchen In fanterie 233. Schiffslaffeten in Deutschland 560. Dr. Schmidt, Chiwa 751. Schneider, Preuß. Orden, Ehrenzeichen und Auszeichnungen 454 -Krieg der Triple Allianz 751. Schönhals, Krieg 1805, 753. Schubert, 12. Corps bei Sedan 744. Schützen-Bataillone in Rußland 360, 392. Schüßengraben 683. Schulze, Chronik aller Ritterorden und Ehrenzeichen 454. Schußwaffen für Cavallerie 486 , 516 in Deutschland 626.

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Schwarmgefecht 472. Schwarzburg Sondershausen, Militair-Con vention mit Preußen 19. Schwedens Heerwesen 422. See Artillerie in Deutschland 607. Seeminendienst in Dänemark 183. Serezaner-Corps 322. Serrano, Marschall 436, 758. Servis in Rußland 413. v. Sichart, Hannoversche Armee 753. Sidonien-Orden im Königreich Sachſen 452. Signaldienst in Dänemark 183 — in Schwe den 431 . Signalpfeife 469, 472. Skugarewski, Kriegsspiel 727. Smala- System der Spahi Regimenter 234. Snidergewehr 633, 635, 639, 647. Spahi Regimenter in Frankreich 234, 530. Spaniens Heerwesen 434. Stahlbronce von Üchatius 339, 576. Stellvertretung in Rußland 359. Stieler v. Heydekampf, 5. Corps, 744. Stumm, Chiwa 751. Sturmfreiheit der Festungen 660. Subdivisionen Frankreichs 197, 202. Süd-America, Heerwesen 437. Süder-Waſſerlinie in den Niederlanden 281 . van Swieten, Generallieutenant, Oberbefehls haber der Expedition gegen Atjeh 760. Tabatieregewehr 633. Taktik der Cavallerie 480. Taktik der Infanterie in Desterreich-Ungarn Allgemein 457. 342 Taktische Rückblicke 457. Tauchlaffete 283. Technische Artillerie-Anstalten in Rußland 366, 400. Telegraphenwesen des Deutschen Reiches 47 - Frankreichs 218 - siehe Feld-Tele graphenwesen. Terrainlehre 728 - Genetische Skizze des Lehrstoffes 729. Territorial-Armee in Frankr. 200, 260, 273. Territorial - Organiſation des Deutschen Reichsheeres 76. Terrsengewehr 632. Thüringische Staaten, Militair-Convention mit Preußen 19. Tirailleur Instruction in Frankreich 467. Tirol, Landesvertheidigung 309, 536. Topographen- Corps in Rußland 377. Topographen- Schule in Rußland 369. Topographisches Bureau in Bayern 119 -in Preußen 730. Torpedos 676. Totis, Cavallerieübungen bei, 292, 347, 538. Train des Deutschen Reichsheeres 68, 69 in Frankreich 238 -- in Norweg. 285 in Desterr.-Ung. 325 - in Rußl. 362. Train Inspection in Preußen 73. Treffengliederung bei Cavallerie 494. Trigonometrische Netzpunkte 732. Trochu, page de l'hist. contemporaine 749. v. Troschke, Gen.- Lieut., Eisernes Kreuz 454.

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Alphabetisches Namen und Sach- Register.

v. Trotha, Anleit. zum Kriegsspiel 723, 725. Truppen-Divisionen in Desterr.-Ungarn 324. v. Tschischwig , Anleitung zum Kriegsspiel 723, 725. Tunkler v. Treuimfeld, Permanente Forti fication 679. Turco's in Frankreich_232. Uchatius, k. . Generalmajor 339, 576. Ueberladene Minen 699. Uhrich, siége de Strassbourg 750. Unteroffiziere des Deutschen Reichsheeres 86 in Dänemark 179 —- in Frankreich 246 in Norwegen 286 in Dester reich Ungarn 302 - in Rußland 414 in Schweden 424. Unteroffizier Dienstprämie in Desterreich Ungarn 303. Unteroffizier-Elevenschule in Dänemark 179. Unteroffizierschulen im Deutschen Reiche 86 -in Frankreich 247 — in Rußland 371. Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen in Preußen 451 - in Oldenburg 452. v. Verdy , Studien über Truppenführung 460, 514, 520. Verpflegung in der Bayerischen Armee 117 in Norwegen 288 in Rußland 411 in Desterreich - Ungarn 331 - in Schweden 425. Verschlüsse für Hinterladungsgewehre 625. Verschwindungs -Laffete 283. Versorgung der Offiziere in Rußland 421. Versorgung der Unteroffiziere und Soldaten in des Deutschen Reichsheeres 97 Desterreich Ungarn 328 — in Rußland 421. Verspyck, Generalmajor, Befehlshaber der Expedition gegen Atjeh 760. Verstärkungs-Bataillon in Dänemark 181 . Vertheidigungs - Comité in Frankreich 224. Verwaltung des Deutschen Reichsheeres 78. Veterinairwesen in Frankreich 239 - in Desterreich Ungarn 313. Vetterli Einladergewehr 638 - Repetirge wehr 645. Vinoy, siége de Paris und opérations de l'armée de Paris 749. Viollet le Duc, défense de Paris 749. Virilstimmen d. Staaten d. Deutsch. Bundes 2. Volkerak, Stellung deſſelben, 277. Waal, Werke an derselben, 279. Wänzlgewehr in Desterreich -Ungarn 338, 640. Waffenfabriken in Frankreich 236. Waffengebrauch des Militairs 39. Waffenplay 658, 668.

Wagner, Grundriß der Fortification 679 Straßburg 744. Waldeck, Militair-Convention mit Preuß. 19. Waldstätten, v., Verwendung größerer Ca valleriekörper 522. Walter, Verwendung , Organisation 2c. der Cavallerie 514, 521. Wartensleben, Graf, I. Armee unter Man teuffel 744. Wasserschleben, Fortentwickelung der Be festigungskunst 657. Wauwermans, fortification 688. Wechmar, v., modernes Gefecht und Aus bildung der Truppen 465. Weger und Graf Geldern , Grundzüge der Befestigungskunst 688. Wehrgeld in Bayern 110. Wehrpflicht im Deutſchen Reiche 48 - in Dänemark 179 - in Frankreich 189 - in Desterreich- Ungarn in Norwegen 286 — 294 im Königreich Polen 358 - in Rußland 384. Wellington, supplementary dispatches 752. Wellmann , v., Geschichte des Rheinischen Cürassir Regiments 525. Werbegesez für Finnland 360. Werder Carabiner in Bayern 115. Werder-Gewehr in Bayern 115, 629. Werder- Pistole in Bayern 115. Werndl- Gewehr in Desterreich-Ungarn 338, 641 - Carabiner 338. Wester Schelde, Stellung an derselben, 282. Wiards Geschüß 582. Wimpffen, Sedan und réponse à Ducrot 746. Winchester-Repetir-Carabiner 647. Wittenburg, v., moderner Schanzenbau 689. Wittich, v., 22. Diviſion 744. Wittich, Tilly, Gust. Adolph, Magdeb. 754. Wittwenpensionen für das Deutsche Reichs heer 96. Wohnungsgelderzuschuß für Offiziere und Beamte des Deutschen Reiches 38. Woisskos der Kasaken 371, 402. Wolosst, Rekrutirungsbezirk in Rußland 357. Woolwich System der Geschütze 559, 561. Würfelpulver 620. Württemberg, Militair- Convention mit Breu Ben 19. Yssel, Werke an derselben, 279. Zephirs in Frankreich 232. Zimmergewehr in Desterreich-Ungarn 339. Zuaven in Frankreich 232. Zündnadelgewehr 624.

Druck von E. S. Mittler & Sohn in Berlin, S.W. , Kochstraße 63, 70.

Berichtigungen zu „ Jahres - Berichten “, I., Aufſaß über Befestigungswesen. Seite 649 Zeile 5 von unten muß es heißen: Freier statt Freierer C 1 = · 649 = M.M . N = einer eine = 651 == = 3 3 = vollendet statt vollnedet = 653 P * 3 = = Communicationen statt Communication 34 654 : 14 = = = 2 : Unmöglichkeit statt Umöglichkeit M 4 = = = = 656 oben theils wahrscheinlichsten, theils gefährlichsten statt theils wahrscheinlichen, theils gefähr lichen : 656 3 12 = unten 14 = = 86 statt 36 - 657 G = 3 = weder statt werden = 658 = 10 CN = = = 1 Landeshauptstadt statt Bundeshauptstadt = 659 4 oben = = an diesen statt in diesen = 659 ፡ = 14 = # geschaffen hat, statt geschaffen == 659 ፡ 1 = unten = = permanente statt genannte : 659 ፡ = 1 = = verwandeln statt verwenden = 660 19 = = = ፡ die statt in == 662 : 3 M = B oben von statt mit = 662 = = : 4 4 N. : dann meist, statt dann, meist = 662 : 12 = = = 13 = ausgebildet, und ſtatt ausgebildet. und = 663 = ፡ 3 = ፡ = = oder statt der ፡ 663 = 16 9 = = = 1:4 Beurtheilung statt Vertheidigung : 663 = 25 == = .. = allgemein statt ungemein = 663 = 13 N. unten : ... M alle statt nur = 664 +4 = 1. 26 kann. Daß statt kann, daß 665 = 13 : = : = = Geschütz statt Geſchüß 666 = = == 1v. u.i.d.Anm. ፡ Streitschriften statt Streitfragen 667 = : = = 10 v. oben 18. Jahrhunderts statt 13. Jahrhundert = 667 = : 13 2 unten beruht statt beruhte ፡ 668 = 17 = ፡ ፡ ፡ vollkommener statt vollkommner = 670 = 21 = = = oben das statt dies 2 672 = 12 = = unten = gleichfalls statt wenigstens = 673 = 9 oben ፡ : Stelle statt Seite : 673 : 26 ፡ . : = : auskommen statt aufkommen = 674 = 21 : 2 : = ፡ einem statt einen = 17 = unten : 674 = こ ፡ in der statt in dem : 675 = 17 ፡ ፡ = oben : Nun statt Nur : 677 = 14 ፡ = = = : fördern ist, statt fördern, : 678 ፡ 17 ፡ unten B = = : statt ; 6 = = 679 H = = oben : von statt den = 679 == 22 = unten = = und statt der = 679 = 11 = 2 = incl. statt und. = 679 : 7 3 = = = = müßte statt mußte = 681 a 17 = 0 C oben = bivakirenden statt biwakirenden (noch dazu gesperrt gedruckt aus Versehen) = 683 ፡ = 6 = und statt als 0 683 = ፡ 15 unten = an statt in = 687 2 = = = = 14 : forderte statt fordert 1 690 ፡ = 5 : E oben event. statt erst - 690 = 1v. u. i. d.Anm . : = befohlenen statt befohlener 2 692 ፡ : 2 2 9 v. oben Avantgarde 2c. statt Avantgarde 3 694 = : S F 8 = die in so statt die so = 694 = 14v. u. i. d. Anm. ፡ 3 1130 u. flgde. An andern statt 1130 und an andern ፡ 694 = 10 v. u. i . d. Anm. = = der statt den = 695 = 8 v. oben N 2 höchst statt sonst = 696 = 17 : der Virago'sche statt dem Birago'ſchen : 697 ፡ = = ፡ 26 unten Hohlbauten statt Hochbauten 699 = = = = 9 3 = Verbauungen statt Vorbauungen 700 = 1 = ፡ oben : Mineur statt Minir = 700 = = 13 : unten : = 700 : 13 : : oben = = und ist auch statt und auch = 700 = 5 : unten : = ፡ der statt die =፡ 701 : 14 = : ፡ oben wichtige statt richtige =

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