Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine / Oktober bis Dezember 1875 [17]

Table of contents :
Front Cover
Umschau in der Militair-Literatur:
Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls
Studie von H Helvig, Major im Bayerischen Generalstabe
Ein Russisches Urtheil über des Obersten v Verdy Studien
Oct-Dec
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi-
Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls
123
Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem von Gr L
Geschichte der Belagerung von Belfort im Jahre 1870-71
Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi-
Der Oberst Hans von Thümen Ein kurzes Lebensbild von Carl
Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps nebst
Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 Eine
Zum Uebergange über die Beresina
Die Entwickelung der Preuszischen Festungs- und Belagerungs-
schen Entwickelung etc von A v Crousaz, Major z D

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今 RENIMENTE BLIOTHEEK

INFANTERIE

Jahrbücher

für die

Deutsche Armee

und

Marine.

Verantwortlich redigirt

von

G.

VON

MARÉES Major.

Siebenzehnter Band. October bis December 1875.

BERLIN, 1875 . F. SCHNEIDER & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi.) Unter den Linden No. 21.

LOAN STACK

VAN OORLOG MINI

-51 .

9279

CTERS : DEPOT

U3

M6 Oct -Dec 1875

Inhalts -Verzeichniss .

Seite I. II.

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 von Hermann v. Kleist, Hauptmann. (Mit einer Karte) Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Studien über Truppenführung von J. v. Verdy du Vernois, Oberst und Chef des Generalstabes I. Armeecorps . VIII.

IX.

Unsere Vorbereitung auf das Schützengefecht in der Schlacht. Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi schen Zeitschriften. (15. Juli bis 15. September 1875.) • ·

3315

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, nebst Streiflichtern auf die heutigen Türkischen Verhältnisse von A. Janke, Premierlieutenant. (Mit zwei Karten) " III. General Stonewall Jackson von Major Scheibert IV. Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812. V. Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870. Eine Studie von H. Helvig, Major im Bayerischen Generalstabe • • VI . Ein Russisches Urtheil über des Obersten v. Verdy Studien zur Truppenführung, beleuchtet von A. v. Drygalski, Premierlieute nant a. D. VII. Umschau in der Militair-Literatur :

1

63 74 89

108

115 120

123

X.

Die Schlacht bei Loigny-Poupry am 2. December 1870 von Hermann v. Kleist, Hauptmann und Compagniechef. (Schluss ) . 129 Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

XI .

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, nebst Streiflichtern auf die heutigen Türkischen Verhältnisse von A. Janke, Premierlieutenant. (Mit zwei Karten.) (Schluss) • • 144 General Stonewall Jackson von Scheibert, Major. (Schluss) • 177

XII .

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812 , bearbeitet von Heilmann, Königl. Bayerischer Oberst und • 193 Regiments-Commandeur. (Schluss) . XIII. Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbst 1870. Eine Studie von H. Helvig, Major im Bayerischen Generalstabe. (Forts. ) 208 228 XIV. Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem von Gr. L. .

199

Inhalts-Verzeichniss.

IV

Seite

XV.

Umschau in der Militair-Literatur: Zur Geschichte des 1. Rheinischen Infanterie-Regiments Nr. 25 von H. v. Loos, Generalmajor und Brigade-Commandeur • 244 Taschenkalender für Offiziere mit militairstatistischen Notizen von H. Reinhard, Oberst-Lieut. a. D., u. A. Frhr. v. Fircks, Hauptmann a. D. und Mitglied des statist. Bureaus . • •

245

Geschichte der Belagerung von Belfort im Jahre 1870-71 von .. • 246 Paul Wolff, Hauptmann im Ingenieur- Corps • Die Operationen der II. Armee an der Loire von Frhrn. · 248 v. d. Goltz, Hauptmann im Groszen Generalstabe • · · 251 Mehrere empfehlenswerthe Instructionsbücher • XVI. Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi schen Zeitschriften. ( 15. September bis 15. October 1875.) · • 252 XVII. Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung bei den • 257 Europäischen Groszmächten . XVIII. Der Oberst Hans von Thümen. Ein kurzes Lebensbild von Carl 269 von Thümen, Major z. D.. XIX. Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben von Frhr. v. Luedinghausen gen. Wolff II, Lieutenant im 2. Garde 308 Regiment zu Fusz XX. Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870. Eine Studie von H. Helvig, Major im Bayerischen Generalstabe. (Schluss.) 327 364 XXI. Zum Uebergange über die Beresina • XXII. Umschau in der Militair- Literatur : Rationelle Ausbildung des Reiters und des Pferdes in der Ca 369 • vallerie von J. Waldschmidt, Oberstlieutenant a. D. Die Entwickelung der Preuszischen Festungs- und Belagerungs 374 Artillerie von H. Müller, Major im Groszen Generalstabe Die Cernirung von Metz im Jahre 1870 von G. Paulus, Haupt mann im Ingenieur - Corps. Mit 2 Plänen, 1 Blatt Profile und 7 Beilagen 377 Das XII. (Königl. Sächsische) Armeecorps während der Ein 379 schlieszung von Paris von G. Schubert, Oberst Das Offiziercorps der Preuszischen Armee nach seiner histori schen Entwickelung etc. von A. v. Crousaz, Major z. D. . XXIII. Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze aus anderen militairi schen Zeitschriften.

(15. October bis 15. November 1875.)

380

. . 381

Beilagen. Tafel I. Plan zur Schlacht bei Loigny-Poupry am 2. December 1870. Tafel II. Uebersichtskarte zu den von S. E. dem Generalfeldmarschall Grafen v. Moltke in den Jahren 1835 bis 1839 im Orient unter

Tafel III.

nommenen Recognoscirungsreisen. Plan der Stellung bei Biredschik und der Schlacht bei Nisib.

BIBLI OTHEE K* * INFA RTER IE

I.

Die

Schlacht

bei

Loigny - Poupry

am

2. December 1870. Von Hermann von Kleist, Hauptmann und Compagnie-Chef im 3. Oberschlesischen Infanterie- Regiment Nr. 62. ( Mit einer Karte.) Die Schlacht bei Loigny - Poupry (Bazoches les Hautes) ist der glänzende Abschluss der selbstständigen Thätigkeit der Armee-Ab theilung Sr. Schwerin ;

Königl. Hoheit des Groszherzogs

ein groszer rühmlicher Erfolg

Strapatzen und kleinen Gefechten.

nach

von Mecklenburg vielen

Märschen,

Sie bildet den unmittelbaren

Anfang zu dem entscheidenden Auftreten der gesammten II. Armee unter dem Prinzen Friedrich Karl , zu der Wiedereroberung von Orléans und der Zertrümmerung der Loirearmee. Aber auch in taktischer Hinsicht ist diese Schlacht von hoher Bedeutung ; nach den Schlachten, welche Deutsche Truppen in der Defensive durchkämpften, bei Coulmiers, Beaune la Rolande und Villepion - Nonneville, ist sie im wahren Sinne des Wortes als der Uebergang der Deutschen aus der Defensive zu den nun folgen den Offensiv - Schlachten bei Orléans , Vendôme anzusehen,

zu der

Offensive, welche in den Schlachttagen von le Mans ihren Gipfel punkt erreicht. -

Das Königliche Hauptquartier zu Versailles hatte am 28. No vember die Meldung des Generals von Manteuffel erhalten, dass die I. Armee die Französische Nordarmee vollständig geschlagen und einen beabsichtigten Vorstosz der letzteren gegen Paris ver eitelt hatte. Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

1

2

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

Es erschien wünschenswerth , dass auch im Süden die Loire armee unter General d'Aurelle de Paladines aus ihrer drohenden • Stellung nördlich von Orléans vertrieben werde. Dieses Verlangen war um so gerechtfertigter, als die Schlacht bei Beaune la Rolande ein sicheres Zeichen war, dass die Französische Loirearmee, in der Stärke von 200,000 bis 250,000 Mann , aus ihrer passiven Rolle zu lebhafter Offensive überzugehen beabsichtige. Um die etwaigen Offensivversuche der Loirearmee gründlich zurückzuweisen und selbst zum Angriffe und zu der Wiedereroberung von Orléans schreiten zu können, war es nothwendig, die im Süden von Paris befindlichen Deutschen Streitkräfte unter einem Oberbefehle zu vereinigen.

Dem zu Folge erliesz das Königliche Hauptquartier

den Befehl, dass die Armee-Abtheilung des Groszherzogs von Mecklen burg-Schwerin zur Deckung der Strasze Paris - Orléans von Château dun und Bonneval an den rechten Flügel der II . Armee heranzu rücken und mit unter die Befehle des Prinzen Friedrich Karl zu treten habe. Am 29. November war es der Armee-Abtheilung in einem starken Marsche gelungen, die Strasze von Paris nach Orléans zu erreichen ; so bildete sie nun den rechten Flügel der sämmtlichen gegen die Loirearmee verwendeten Deutschen Streitkräfte. Bei Cormainville stand die 4. Cavallerie-Division, Prinz Albrecht von Preuszen (Vater), bei Orgères das 1. Bayerische Corps, [ General von der Tann, bei Santilly die 17. Infanterie-Division, General von Treskow, bei Tivernon an der Strasze Paris - Orléans die 22. Infanterie - Division, General von Wittich, während die 2. Cavallerie- Division, General Graf Stol berg, bei Bazoches les Gallerandes (östlich der Pariser Strasze) die Verbindung mit dem 9. Armeecorps

bei Pithiviers , dem rechten

Flügelcorps der bisherigen II. Armee, herstellte.

Von dieser stand

in Folge der Schlacht bei Beaune la Rolande das 9. Corps, wie eben erwähnt, bei Pithiviers, das 3. Armeecorps bei Boynes und Beaune la Rolande, das 10. Armeecorps mit der 1. Cavallerie - Division bei Beaune. Front gegen die Deutsche II. Armee, unter dem Prinzen Friedrich Karl , stand die Loirearmee, unter General d'Aurelle de Paladines. Den rechten Flügel bildeten das XVIII. und XX. Armeecorps , die am 28. November das Preuszische 10. Armeecorps bei Beaune ver geblich angegriffen hatten ; das Centrum bildete das XV. Armeecorps unter General Martin des Pallières ; der linke Flügel bestand aus dem XVI. Corps unter General Chanzy bei St. Peravy,

auf dem

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

3

halben Wege zwischen Orléans und Châteaudun, und dem XVII. Corps unter General de Sonis am Walde von Marchenoire. Am 1. December wurde zu St. Jean la Ruelle, dem Französi schen Hauptquartiere ,

die Offensive auf Betreiben des Ministers

Gambetta beschlossen.

Der Vormarsch sollte über Pithiviers auf

den Wald von Fontainebleau gerichtet sein, um hier der Pariser Armee unter General Ducrot nach dem Durchbruche der Paris um gebenden Cernirung die Hand zu reichen. Zur Offensive waren bestimmt das XVIII ., XX. , XV. und XVI. Corps , während das XVII. und das noch in der Formation befind liche XXI. die Stellung von Orléans sichern sollten. gen, die, um das Ziel zu erreichen,

Die Bewegun

ausgeführt werden sollten, be

standen zuerst in einer Rechtsschwenkung und dann aus dem Vor marsche auf Pithiviers.

Der linke Französische Flügel hatte mithin

den weitesten Weg, deswegen sollte das XVI . Corps seine Vorbe wegung einen Tag früher antreten, als die anderen Corps.

General

Chanzy, Commandeur des XVI. Corps, befahl, dass seine Truppen am 1. December aus ihren bisherigen Stellungen bei St. Peravy auf brechend an diesem Tage die Linie Guillonville, Terminiers , Sougy einnehmen, dass sie am 2. December Albaines, Poinville und Toury erreichen sollten, um am 3. December vor Pithiviers zu stehen. Um seinem Vormarsche gröszere Sicherheit zu geben, ersuchte General Chanzy das XVII. Corps , das zum Schutze von Orléans zurück bleiben sollte, sich als Echelon rückwärts bei Sougy - Patay, den linken Flügel an den Consebach gelehnt, aufzustellen, während das rechte Nachbarcorps , das XV. , tiber Dambron am 2. December Santilly erreichen sollte. Von der den rechten Flügel der II. Deutschen Armee bildenden Armee-Abtheilung des Groszherzogs stand das 1. Bayerische Corps bei Orgères und die 4. Cavallerie-Division bei Cormainville auf dem äuszersten rechten Flügel.

Bei der groszen Nähe der Franzosen

schien es dem General von der Tann geboten einen gröszeren, selbst ständigen Truppenkörper vor sein Gros zu schieben, um bei einem Angriffe des Gegners durch den Widerstand dieser Vorhut dem Gros Zeit zu geben, sich kampfbereit zu machen. Zu dieser Vorhut wurde die 1. Brigade bestimmt und belegte diese bis Mittag des 1. Decembers die Dörfer Terminiers, Favérolles, Gommiers, Gaubert und Guillonville, um am Abende die zur Ver theidigung ausersehene, aber noch nicht vorbereitete Stellung bei Nonneville - Villepion zu beziehen.

1*

4

Die Schlacht bei Loigny- Poupry am 2. December 1870. Dieses Vorschieben von Truppen führte am Nachmittage des

1. Decembers zu dem sehr heftigen Angriffe, namentlich durch die 1. Division des XVI. Corps , Admiral Jauréguiberry, auf die 1. Baye rische Brigade, welche, der Uebermacht weichend ,

ihre Cantonne

ments räumend, sich hartnäckig bei Nonneville- Villepion vertheidigte. In diesem Kampfe griffen successive auf dem rechten Flügel die 2. Brigade, auf dem linken Flügel Theile der 4. Brigade ein. Trotz äuszerst blutigem Widerstande die Stellung dem XVI. Französischen Armeecorps überlassen. - Die dem wurde nach hartnäckigem,

Verluste des Bayerischen Corps in dem Gefechte bei Villepion waren nicht unbedeutend, sie betrugen 37 Offiziere, 902 Mann. Durch das Aufgeben des Gefechtsfeldes wurde die Vorposten Aufstellung des Bayerischen Armeecorps Truppen eine zurückgezogene,

zu den nebenstehenden

so dass die Vorposten der 4. Ca

vallerie-Division weit vorspringend, die linke Flanke des XVI . Fran zösischen Armeecorps bedrohten.

Die Vorpostenlinie lief von Ba

zoches en Dunois, Bournonville über Gaubert, Villevé nach Lumeau. General von der Tann hatte die Ueberzeugung gewonnen, dass

dieser so kräftige, unerwartete Vorstosz des Französischen XVI. Armeecorps nicht ein vereinzelter sei , sondern dass der Hauptangriff noch bevorstehe. Es waren in dem Hauptquartiere des Groszherzogs schon um 6 Uhr die Befehle für den folgenden Tag , den 2. De cember, ausgegeben worden, um welche Zeit der Ausgang des Ge fechtes noch nicht bekannt war. General von der Tann erbat sich daher die Erlaubniss, sein Corps den nächsten Morgen um 62 Uhr bei la Maladerie vereinigen zu dürfen und für den voraussichtlichen Fall eines Angriffes die Unterstützung der anderen Divisionen. Bei des wurde zugesagt. Der 2. December 1870. Die um 6 Uhr Abends des 1. Decembers für den 2. ausgegebenen Befehle des Groszherzogs lauteten :

„ Die Armee-Abtheilung behält

für morgen die innegehabten Cantonnements und Vorposten. die Nachrichten über den Feind, dessen Stärke,

Um

Aufstellung und

Absichten zu vervollständigen, ist ununterbrochen Fühlung mit dem selben zu halten.

Auch sind kleinere Recognoscirungen gegen den

selben auszuführen und dabei womöglich Gefangene zu Die Gros nehmen und zwar :

um 8 Uhr

machen.

verdeckte Rendez-vous - Stellungen

die 4. Cavallerie-Division zwischen Guillonville und Gommiers , das 1. Bayerische Corps bei Loigny ,

5

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

die 17. Infanterie- Division an der Strasze Chartres - Orléans bei Santilly, die 22. Infanterie-Division bei Tivernon, aber östlich der Strasze Paris - Orléans , von der 2. Cavallerie - Division eine Brigade auf dem linken Flügel der 22. Infanterie-Division, und erwarten dort weitere Befehle."

gez. Friedrich Franz.. Dieser Befehl hatte schon eine Abänderung dadurch erfahren, dass es dem General von der Tann gestattet wurde,

sein Armee

corps am 2. December früh 61,2 Uhr bei la Maladerie zu concentriren, also sowohl an einem anderen Orte, als auch zu früherer Zeit. Auf Französischer Seite war, wie erwähnt, der 2. December zum allgemeinen Vorrücken der Loirearmee festgesetzt worden.

Alles

schien sich gut anzulassen, denn am 1. December erhielt man in Tours Nachricht von dem glücklichen Angriffe und Durchbruche der Armee von Paris unter Ducrot. dass

Die Nachricht lautete ungefähr so,

am 29. November der Ausfall mit dem rechten Flügel bei

Choissy, Chevilly und L'Hay begonnen habe, dass während der Fort dauer des Kampfes an dieser Stelle, am 30. November, General Du crot mit dem linken Flügel die Marne passirte und sich zwischen Brie und Champigny in Schlachtordnung aufstellte, dass die Deutschen nach sehr erbittertem Kampfe gewichen seien und General Ducrot mit der Armee auf dem eroberten Terrain bivouakirt habe. Paris wäre gegen einen Angriff durch ein ungemein starkes Feuer aus allen Befestigungen gesichert worden ;

an demselben Tage , dem

30. November, habe der Admiral La Roncière wiederum einen Vor stosz gegen Chevilly und L'Hay unternommen, sei bis Lonjumeau vorgedrungen und habe schlieszlich glänzend die verschanzten Stel lungen von Epinai genommen.

Den 1. December werde der Kampf

wieder beginnen und solle an diesem Tage südwärts ein Angriff des Generals Vinoy stattfinden. General Ducrot habe sich mit Ruhm bedeckt und die Dankbarkeit der Nation verdient. Mit dieser guten Nachricht konnte der Vormarsch wohl eröffnet werden, sie steigerte die Begeisterung zur Exaltation ; noch ein Gedanke :

„Nach Paris !

Nach Paris ! "

es war nur

Als nun an dem

selben Abende noch die dienstliche Meldung des Generals Chanzy über das glückliche Gefecht bei Villepion einlief,

da war kein Zweifel

mehr an dem Gelingen des Unternehmens, es schien schon gelungen ! Und doch stand man noch in den ersten Anfängen. - General Aurelle erliesz folgenden Tagesbefehl :

6

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 . „ Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Loirearmee !

Paris hat durch einen erhabenen Aufschwung des Muthes und der Vaterlandsliebe die Preuszischen Linien durchbrochen. General Ducrot marschirt an der Spitze seiner Truppen uns entgegen ; mar schiren wir ihm mit der Begeisterung entgegen, von der die Pariser Armee uns ein so glänzendes Beispiel gegeben hat. Ich appellire an die Gefühle aller Generale, wie aller Soldaten, wir können Frankreich retten.

Ihr habt jene Preuszische Armee

vor Euch, welche ihr bei Orléans besiegt habt, Ihr werdet sie wieder besiegen, gehen wir also entschlossen, vertrauensvoll vor. Vorwärts, ohne die Gefahr zu berechnen. Gott wird Frankreich schützen. " gez . d'Aurelle . Der Vormarsch war demnach beschlossen, das XVI. und zwei Divisionen des XV. Armeecorps , mit dem XVII. in Reserve hatten am 2. December den Vormarsch und den Angriff zu eröffnen. Morgen des

Am

2. Decembers las ganz Frankreich eine Proclamation

Gambetta's ; diese begann: „ Der Genius Frankreichs , einen Augenblick verhüllt , erscheint wieder ! Dank den Anstrengungen des ganzen Landes kehrt der Sieg zu uns zurück, und gleichsam, um uns die lange Reihe von Unglücks fällen vergessen zu machen, begünstigt er uns auf fast allen Punkten . " Die Proclamation zählt nun die Erfolge auf:

Amiens sei ge

räumt, die Armee der Loire habe drei Wochen lang alle Pläne des Feindes vereitelt , jetzt marschirten die beiden groszen Armeen, die von Paris und Orléans , einander entgegen.

„ Wer könnte noch an

dem Ausgange des riesenhaften Kampfes zweifeln ?"

Und ferner :

„ Der Eindringling ist jetzt auf dem Wege, auf dem ihn das Feuer der aufgestandenen Bevölkerung erwartet.

Seht Krieger, was eine

grosze Nation vermag, welche den Ruhm ihrer Vergangenheit unbe fleckt erhalten will , welche ihr Blut und das des Feindes nur ver gieszt , auf dass Recht und Gerechtigkeit in der Welt triumphiren mögen. Frankreich und die Welt werden nie vergessen, dass es Paris ist, welches dies Beispiel gegeben, diese Politik gelehrt und so seine moralische Herrschaft gegründet hat, dadurch, dass es dem heldenmüthigen Geiste der Revolution treu geblieben ist. " „ Es lebe Paris, es lebe Frankreich, es lebe die einige, untheil bare Republik !“ ― Dies war die Proclamation Gambetta's am 2. December, der noch nicht ahnte, dass die Krisis schon an diesem Tage eintreten sollte, und dass der 2. December wieder ein Tag der Trauer für Frankreichs Kinder sein werde. ――

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

7

Die Schlacht bei Loigny - Poupry (Bazoches les Hautes) am 2. December. Die Schlacht an diesem Tage entbrennt auf der Front von Artenay, an der groszen Strasze von Orléans nach Paris, bis Orgères, an der Chaussee von Châteaudun nach Janville ; eine Länge von über 2½ Meilen in der Luft gemessen.

Die Deutschen Streitkräfte,

die in den Kampf treten, gehören ausschlieszlich der Armee - Ab theilung des Groszherzogs von Mecklenburg an und kämpfen fast genau Front nach Süden, während die Franzosen, das XVI . Armee corps mit drei Divisionen den linken Flügel , das XV. Armeecorps mit zwei Divisionen den rechten Flügel, das XVII. Armeecorps bei St. Peravy die Reserve bildend , Front nach Norden hatten. ancienne route de Chartres à Orléans scheidet beide Heere.

Die Das

Terrain ist ein bekanntes, die Witterung war kalt, Frost hatte Feld und Weg gangbar gemacht, ein leichter Schnee bedeckte den Boden. Der Kampfplatz lässt sich in zwei Theile zerlegen : der auf dem einen derselben durchgeführte Kampf ist, so weit dies möglich, fast unabhängig von dem andern.

Diese Theile sind selbstverständlich

ein östlicher und ein westlicher, geschieden von einander durch die ancienne voie Romaine (de Blais à Ablis). Auf dem westlichen Theile greift vom frühen Morgen bis Mittag das XVI. Französische Armeecorps mit drei starken Infanterie und einer Cavallerie - Division die Stellung des sehr geschwächten Bayerischen Armeecorps auf der Linie Beauvillers - Château Goury mit aller Entschiedenheit an, so dass das Eingreifen der 17. Division zur unbedingten Nothwendigkeit wird , damit die Stellung gehalten werde, und sich die Lage des Kampfes für die Deutschen günstig gestalte. Die

zurückgeworfenen Französischen Truppen versuchen die

Stellung Fougeu, Loigny, Ecuillon zu halten, deren Schlüsselpunkt Loigny ist ; dieses Dorf wird am Nachmittage von der 17. Preuszi schen Infanterie-Division ganz und gar erobert , während die 4. Ca vallerie- Division, gestützt auf das 1. Bayerische Corps, den linken Französischen Flügel umgehend ,

den Rückzug des

Feindes

auf

Patay bedroht. Auf dem östlichen Theile des Schlachtfeldes treten die 22. In fanterie-Division und die Brigade von Colomb von der 2. Cavallerie Division zuerst der Division Maurandy bei dem Angriffe auf Lumeau entgegen ; alsdann nehmen sie den Kampf siegreich auf, gegen die beiden Divisionen des XV. Armeecorps, und ist der Brennpunkt des

8

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

Kampfes das Dorf und namentlich die Umgebung von Poupry.

Auch

hier endet der Kampf mit dem Rückzuge der Franzosen und zwar auf Artenay . Nachdem in dem Hauptquartiere des Prinzen Feldmarschalls durch die Recognoscirungen aller Corps sich zu ergeben schien, dass die Franzosen auf die Fortsetzung der Offensive mit ihrem rechten Flügel, dem XVIII . und XX. Armeecorps ,

verzichteten, zeigte es

sich sehr bald, dass wohl der Ausgangspunkt, doch nicht die Offen sive selbst aufgegeben sei. Das Gefecht bei Villepion war der beste Beweis. Schon am 2. December Mittags trat das 9. Preuszische Armeecorps , nach abgehaltenem Ruhetage, seinen Marsch an die grosze Strasze von Orléans nach Paris an , um der von dem linken Französischen Flügel, XV., XVI., XVII. Armeecorps, bedrohten Armee Abtheilung des Groszherzogs zur Unterstützung zu dienen.

In der

Nacht vom 1. zum 2. December war in dem Hauptquartiere des Grosz herzogs der ausführliche Bericht über das Gefecht bei Villepion ein gelaufen. Man ersah daraus die Absicht des Angriffs für den nächsten Tag mit voraussichtlich sehr bedeutender Ueberzahl bei den Franzosen. Die für den 2. December anbefohlene Rendez - vous - Stellung bei La Maladerie, Santilly, Tivernon konnte unmöglich die Schlachtlinie sein , Es erschien geboten, die Deckung der Strasze Paris - Orléans einem Corps der II. Armee zu überlassen ; es konnte dann die Vertheidi gungslinie bis auf Beauvillers - Château ,

Goury,

Lumeau verkürzt

werden, mit der 22. Infanterie - Division in Baigneaux als Echelon, sowohl zur Unterstützung des linken, Deutschen Flügels bei Lumeau, als zur Beobachtung von Artenay. Die Nacht vom 1. zum 2. December war bitter kalt.

Das 1.

Bayerische Armeecorps war schlecht untergebracht und stand be fohlener Maaszen um 1/27 Uhr Morgens in der weit zurückgelegenen Stellung bei La Maladerie in drei Treffen ; im ersten die 2. Division, im zweiten die 1. Division, im dritten Treffen die Reserve- Artillerie und die Cürassier-Brigade. Die Vorposten der 4. Cavallerie-Division und des Bayerischen Armeecorps

waren in der Nacht unbehelligt

geblieben, nur das Dorf Bourneville, ein Glied der Vorpostenkette, war von Franctireurs und Chasseurs à cheval überfallen worden, wobei, wie Französische Quellen aussagen, 40 Bayerische Reiter in Gefangenschaft geriethen. Doch am frühen Morgen des 2. Decembers meldeten die Vorposten auffällige

Rührigkeit

in

den feindlichen

Lagern und die Bewegung starker Truppenmassen auf Nonneville und Villepion . Die 17. Infanterie-Division war gedeckt in die befohlene Stellung

9

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

gerückt, und zwar die Avantgarde rechts, das Gros links der Strasze Chartres - Orléans in der Höhe der Ferme Fauconnière, die Vorposten östlich von Baigneaux vor sich. Die 22. Infanterie-Division stand vor 8 Uhr concentrirt bei Tivernon. Auch hier hatten die Patrouillen in der Nacht die grosze Regsamkeit im feindlichen Lager gemeldet, als Zeichen eines, wie es schien, baldigen Aufbruches. Entsprechend der vorerwähnten Lage der Dinge gingen am Morgen des 2. Decembers neue Befehle an die Truppen :

„ Die 17.

Infanterie-Division tritt sofort an und marschirt nach Lumeau, nimmt dort Aufstellung.

Die 22. Infanterie-Division folgt der 17. und nimmt

Aufstellung bei Baigneaux, bereit die 17. Division zu unterstützen und der Cavallerie- Brigade der 2. Cavallerie- Division einen Halt zur Deckung gegen Artenay zu geben.

Die Brigade der 2. Cavallerie

Division folgt der 22. Division. Das 1. Bayerische Armeecorps nimmt Aufstellung bei Château - Goury mit dem linken Flügel, die 4. Ca vallerie-Division auf dem rechten Flügel des Bayerischen Armeecorps. Ich begebe mich an den Süd - Ausgang von Bazoches les Hautes. Der Marsch in die angegebenen Positionen ist möglichst verdeckt zu unternehmen.

Ich rechne darauf, um 11 Uhr mit den Operationen

beginnen zu können.

Die Cavallerie , auch die der Infanterie - Di

visionen, ist gegen den Feind zur Beobachtung vorzuschieben. " gez. Friedrich Franz. Bei den kurzen Wintertagen, bei der groszen Nähe des Feindes, und da der Befehl die commandirenden Generale erst spät traf, durchschnittlich gegen 8 Uhr, war Eile geboten, sollten die An ordnungen den gewünschten Erfolg haben. Dem 1. Bayerischen Corps gelang es gerade noch im letzten Augenblicke, die befohlene Stellung vor den Franzosen

zu erreichen, und der 17. Infanterie - Division

wurde es erst nach der sehr kritischen Mittagstunde möglich, in das Gefecht einzugreifen.

I. Der Kampf des 1. Bayerischen Armeecorps in der Stellung von Beauvilliers - Château Goury und das Eingreifen der 17. Infanterie - Division. Die Stellung der Französischen Armee nach dem Gefechte bei Villepion war folgende, die 1. Division XVI. Armeecorps hielt die eroberte Linie Nonneville - Favérolles, die 2. Division stand in Ter miniers und bis Muzelles, die 3. Division hatte Sougy erreicht. Die Cavallerie - Division bivouakirte hinter Muzelles, mit einer Brigade die linke Flanke gegen Bazoches en Dunois deckend .

Von dem

10

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

XVII. Armeecorps war die Brigade Jancigny bis westlich Patay ge langt , während der Rest des XVII. Corps am Abende des 1. De cembers südlich St. Peravy eintreffen sollte. General Chanzy, Commandant des XVI. Armeecorps ,

befahl

seiner 3. Division für den 2. December, um 4 Uhr früh aufzubrechen, mit Tagesanbruch bei Terminiers bereit zu stehen, der 2. Division, von Terminiers auf Loigny zu marschiren, der 1. Division, sich als Reserve in der Höhe von Villepion zu formiren und dann der 2. Di vision in einer Entfernung von zwei Kilometern zu folgen.

Loigny

sei zu nehmen, der weitere Vormarsch gehe alsdann auf Tillai le Peneux.

Die 3. Division wurde angewiesen, von Terminiers auf

Lumeau und Baigneaux vorzugehen.

Die Brigade Jancigny vom

XVII. Corps sollte letzterer Division auf Terminiers als Soutiens folgen. Am Abende des 2. Decembers sollte die 3. Division Poinville, die 2. Division Toury , die 1. Division Janville erreicht haben.

Die

Cavallerie - Division sollte den linken Flügel bilden und über Gom miers, Nonneville entweder Orgères oder bei La Maladerie die grosze Strasze von Châteaudun nach Janville erreichen, um den linken Flügel des Corps zu schützen . Ferner befahl General Chanzy, dass die 2. Division um 8 Uhr ihren Marsch antreten sollte, die übrigen Abtheilungen hatten sich hiernach einzurichten. Schon am frühen Morgen, 6 Uhr, war der Commandant des XVII . Französischen Armeecorps , General de Sonis , bei General Chanzy eingetroffen und benachrichtigte ihn davon, dass der Rest seines XVII. Armeecorps mit dem Morgen des Tages bei Patay ein treffen würde.

Es seien die Truppen zwar äuszerst ermüdet , er

werde sie aber ausruhen und abkochen lassen ; auf jeden Fall könne man auf sie rechnen.

General Chanzy fühlte das Schwere seiner

Aufgabe wohl, rechnete nicht nur unter Umständen auf einen Angriff der Deutschen, sondern auch auf deren sehr nachhaltige Vertheidi gung; der Zahlenunterschied zwischen den Deutschen und seinem Corps konnte nicht sehr bedeutend sein.

Um so erwünschter kam

ihm die Zusage des Generals de Sonis , wodurch ihm ein starker Rückhalt gegeben zu sein schien. Bei Beginn des Tages recognoscirten von Französischer Seite, in der Richtung der Vorbewegung der 2. und 3. Division, je eine Schwadron Loigny und Lumeau und constatirten das Vorhandensein der Deutschen Vorposten in diesen Dörfern.

Um 8 Uhr setzte sich

die 2. Division, General Barry, zum Gefecht entwickelt, in Marsch auf Loigny, die Mitte der Division auf der Strasze Favérolles-Loigny;

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. eine halbe Stunde darauf folgte die

1. Division.

11

Gleichfalls um

8 Uhr brach die Cavallerie-Division Michel von Muzelles auf und setzte sich auf den linken Flügel der 2. Division, um womöglich La Maladerie zu erreichen.

Das erste Ziel Loigny war nur leicht

von Bayerischen Vorposten besetzt , welche mehr den Zweck der Beobachtung hatten, als den, das Terrain festzuhalten,

da hinter

ihnen in den angewiesenen Positionen das Gros sich zu versammeln hatte.

General Chanzy berichtet , dass Loigny im ersten Anlaufe

von der 2. Division genommen sei, und dass dieser Erfolg einen be deutenden Einfluss auf den Siegesrausch der Division ausübte.

Die

3. Division, General Maurandy, kam in die Höhe von Ecuillon- Neu villers, während der Cavallerie-Division sich drei Kilometer westlich Orgères aufstellte. Das Terrain, auf welchem nun hier gekämpft wurde, war dem allgemeinen Charakter entsprechend ein ebenes ; doch kann man zwei Terrainwellen unterscheiden, welche in ungefähr gleicher Rich tung von Südost nach Nordwest streichen und ziemlich gleich hoch sind.

Vielleicht überhöht die südliche um Weniges die nördliche.

Die südliche hatte das XVI. Französische Armeecorps inne , die nördliche besetzten die Bayern . Ein Nachtheil der nördlicheren war, dass sie die Aufstellung von Geschützen nicht begünstigte, da ihr nördlicher Abfall stark geböscht war.

Hierdurch sah man sich ge

zwungen, die Batterien weiter von dem Nordrande abzustellen, so dass sie ungemein exponirt waren.

Auf der nördlichen Terrainwelle

liegen die massive Ferme Beauvillers und das hochgelegene, starke, zu nachhaltigster Vertheidigung geeignete Château Goury, mit Park und Garten.

Beauvillers bezeichnete anfangs den rechten, Château

Goury den linken Flügel des ersten Bayerischen Treffens . Auf der südlichen Terrainwelle liegen die Orte Fougeu, Loigny, Ecuillon. Loigny ist ein Straszenknoten, von ihm laufen die Chausseen nach Lumeau und Favérolles und der alte Weg von Chartres nach Orléans, dessen Gräben in der Nähe der Ferme Morale eine Deckung boten. Loigny ist ein fester கி Ort , in hoher Lage, die Lisièren sind zur Vertheidigung geeignet ,

die Kirche bildet ein starkes Reduit,

das in dem stundenlangen Dorfgefechte, erst durch Capitulation in die Hände der Deutschen gelangte .

Das Terrain zwischen beiden

Wellen ist vollkommen eben, unbedeckt, der Wirkung des Schlusses stellt sich kein Hinderniss entgegen ; da aber die Franzosen im Be sitze eines weiter tragenden Gewehres waren, so erlitten die Bayern bedeutende Verluste, namentlich die Artillerie und die sie deckenden Truppen.

Hinter der Höhe von Beauvillers - Château Goury befindet

12

Die Schlacht von Loigny - Poupry am 2. December 1870.

sich noch eine Erhöhung , welche mit ihrem flachen Rücken von Bazoches les Hautes über Villeprévot nach Tanon streift ; es wird dadurch zwischen der ersten Linie Beauvillers - Château Goury und der zweiten Villeprévot - Tanon eine Senkung gebildet, die dem Ein blicke von Süden her 1 entzogen ist und das Aufstellen von Reserven oder das Sammeln durcheinander gekommener Truppen begünstigt. Ein Querriegel , eine unbedeutende Terrainerhebung ; verbindet von Beauvillers aus beide Höhenzüge. Nachdem das 1. Bayerische Armeecorps den Befehl um 8 Uhr erhalten hatte, die Stellung Beauvillers - Château Goury einzunehmen, marschirte es sofort links ab, die 2. Division im ersten Treffen mit der 4. Brigade an der Tete ; die 1. Division im zweiten Treffen. Die Entfernung von La Maladerie bis Beauvillers beträgt eine starke halbe Meile, nach Château Goury drei Viertel.

Der Marsch musste

auf das äuszerste beschleunigt werden, denn von Loigny und Lumeau liefen die Meldungen der Vorposten von dem Anmarsche der Fran zosen gegen diese Orte ein, und kaum war man im Marsche, so be merkte man , in der Höhe von Villeraud, Französische Eclaireurs. In Lumeau hatte das 3. Bataillon 10. Regiments auf Vorposten ge standen, es bekam den Befehl, schleunigst nach Château Goury zu rücken und diesen Punkt unter allen Umständen zu halten.

Es ge

lang auch wirklich, den Ort vor den Franzosen zu erreichen, deren Tirailleurs sich schon bis auf 600 Schritt genähert hatten.

Es be

gann hier sofort ein lebhaftes Feuergefecht, das die an der Tete marschirende 4. Brigade, in der Höhe von Beauvillers, deutlich hörte. Ein Bataillon dieser Brigade wurde sofort in den Ort geworfen, gegen welchen von Loigny und Ferme Morale her feindliche Ti Beide Flügelpunkte der Stellung railleurs im Andringen waren. waren somit besetzt ,

ein Jäger-Bataillon der 4. Brigade stellte auf

dem Höhenrücken die Verbindung zwischen beiden Stützpunkten her, und drei Batterien, dem Château Goury mehr genähert , nahmen Stellung auf dem Rücken und traten sofort in das Gefecht. Der leichteren Leitung des Gefechtes wegen und dem Terrain entsprechend, wurde der 3. Brigade die specielle Vertheidigung von Beauvillers , der 4. Brigade die des

Château Goury überwiesen.

Beide Brigaden zählten je sieben schwache Bataillone, denen je drei Batterien zugetheilt waren.

Gegen 9 Uhr rückten beide Brigaden

in die ihnen angewiesene Stellung.

Ein Jäger-Bataillon verstärkte

den rechten Flügel bei Beauvillers, während die ganze 3. Brigade, ein Regiment im ersten, eines im zweiten Treffen, östlich von Beau villers aufmarschirte. Südlich von Beauvillers an dem Höhenrande

13

Die Schlacht von Loigny - Poupry am 2. December 1870. placirte sich eine leichte Batterie.

Die 4. Brigade verstärkte die

Besatzung des Château Goury und nahm drei Bataillone in Reserve. Die

1. Division stand in der Senkung zwischen Villeprévot und

Château Goury, die Brigaden nebeneinander ; die Reserve-Artillerie auf dem von Tanon nach Allaines führenden Wege.

Die Cürassier

Brigade stellte sich auf dem rechten Flügel der 1. Division auf. Die 4. Cavallerie-Division sollte nach dem Befehle vom 1. De cember zwischen Guillonville und Gommiers stehen ; die Abänderung am Morgen des Tages beorderte sie auf den rechten Flügel des Bayerischen Maladerie. -

Corps und

Es war 9 Uhr.

sie placirte sich zwischen Orgères

und

Wie schon erwähnt, hatte das XVI . Armee

corps mit seiner 2. Division Loigny besetzt, und mit seiner 3. Di vision zwischen Ecuillon und Neuvillers, Front gegen Lumeau, Halt gemacht. Die Cavallerie-Division Michel hatte sich in nordwestlicher Richtung nach Orgères

in Bewegung gesetzt.

Durch die leichte

Einnahme von Loigny war die Stimmung der Truppen eine sehr ge hobene, die 2. Division, deployirt in ihren beiden Brigaden, ging von Loigny aus gegen die im Terrain sich scharf hervorhebenden Objecte, gegen Château Goury und Beauvillers zum Angriffe vor. Nur kurze Zeit vorher waren diese Punkte leichten Kaufes in die Hände der Franzosen gefallen, jetzt waren sie schon hinreichend besetzt. Das rasche Französische Blut übereilt sich in den Maasz regeln, welche einem Angriffe Aussicht auf Erfolg versprechen ; es wurde versäumt, denselben durch Artillerie gehörig vorzubereiten . Hinter der 2. Division marschirte die 1. Division, den linken Flügel verlängernd ,

zwischen Loigny - Fougeu gegen die Ferme

Morale auf; sie bildete die Reserve für die angreifende 2. Division. Von dieser marschirten acht Bataillone, zahlreiche Tirailleure vorauf, gegen die Stellung Beauvillers - Château Goury, welche Orte sie leicht zu nehmen glaubten. Der Angriff war rasch und lebhaft ; als aber wider Erwarten ein starkes Granatfeuer der Deutschen Batterien die Truppen empfing , begann ein Schwanken der Reihen.

Dieses be

merkend, brachen fünf Bataillone (der 3. und der 4. Bayerischen Brigade) aus der Stellung bei Beauvillers - Château Goury vor und stürmten dem Angreifer entgegen . Die schon gelockerten Französi schen Bataillone vermochten diesen Stosz nicht auszuhalten und wendeten sich in sehr ungeordneter, wilder Weise auf ihre Haupt stellung, Loigny, zurück. Durch den Erfolg fortgerissen, liesz sich das in erster Linie be findliche 3. Bayerische Regiment verleiten, dem Feinde mit Hurrah

14

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

nachzudringen ; das zweite Treffen, 12. Bayerisches Regiment, schloss sich der Bewegung an, und als es die flankirende Stellung der 1. Division XVI. Französischen Armeecorps bei Loigny, Fougeu, Morale bemerkte, schwenkte es rechts dagegen ein.

So bildeten

diese fünf Bataillone eine lange, dünne, durcheinander gekommene Gefechtslinie, die den fliehenden Feinden so weit folgte, als Athem und das rasante Feuer aus der Stellung der Französischen 1. Di vision es gestatteten. Auch auf dem linken Flügel hatte sich ein Bataillon, westlich von Goury vorbrechend, dem Vorstürmen angeschlossen und war bis Ecuillon gelangt ,

das genommen wurde.

Die Batterien bei Goury

traten ebenfalls die allgemeine Vorbewegung mit an und feuerten auf die Flanke der zwischen Ecuillon und Neuvillers haltenden 3. Di vision, deren Angriff auf Lumeau für jetzt dadurch verhindert wurde.

*

Die Französische 2. Division war bis Villepion und Favérolles ge wichen, sehr durcheinander gekommen und schwer erschüttert ; hier wurde sie wieder gesammelt , ohne aber an diesem Tage noch Be deutendes leisten zu können. Der Commandant der 1. Division XVI. Armeecorps erkannte die Lage der so weit vorgeprellten 3. Bayerischen Brigade sehr richtig ; auf eine Entfernung von 5 bis 600 Schritt überschüttete er die dünne Linie mit einem Hagel von Geschossen aus Chassepots

He

und Geschützen, und als jene gehörig mürbe war, die Munition bei den Bayern fehlte, brach er mit der Brigade Bourdillon zwischen

lusten musste der Rückzug erfolgen ; die Theile der ganz in Un ordnung gerathenen 3. Brigade sammelten sich theils bei Beauvillers, theils in der Senkung bei Villeprevost, jenachdem sie der einen oder der anderen Stellung näher waren. In anerkennenswerther Weise versuchten zwei Bataillone vom 12. Regimente, trotz groszer Verluste, sich bei Beauvillers zu ralliren, um dem nahen Sturme der 1. Division XVI. Armeecorps als taktische Körper entgegenzutreten. Im groszen Ganzen aber war die 3. Brigade für diesen Tag auszer Stande, sich ferner am Gefechte zu betheiligen. Ein günstiges Resultat hatte der brüsque Vorstosz der 3. Bri gade dennoch gehabt, den, dass die 2. Division XVI. Armeecorps nach Chanzy's Ausspruch nur schwer sich wieder zu ordnen ver mochte, und dass sie ihre rückgängige Bewegung, trotz der Unter stützung der 1. Division, fortsetzte, so dass sie um halb 1 Uhr in voller Auflösung bei Château Villepion sich wieder einfand.

Wie

27

Loigny und Fougeu vor. Dieser Stosz traf das 12. Bayerische Regi ment, welches ihn nicht auszuhalten vermochte. Unter groszen Ver

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

15

es sehr richtig war, hatte der Aufmarsch der 1. Division XVI. Armee corps seitwärts von dem Rückzuge der 2. Division stattgehabt, und, den linken Flügel verlängernd, war die linke Brigade Deplanque in Besitz der Ferme Morale gelangt.

Hierdurch wurde die Stellung

bei Beauvillers nicht nur in der Flanke gefasst , sondern es musste auch der rechte Flügel des zweiten Bayerischen Treffens bei Tanon gefährdet erscheinen .

Dieser letzte Umstand konnte um so mehr

von Bedeutung werden, als die Französische Cavallerie - Division, deren Stärke Deutscher Seits schwer zu beurtheilen war, sich bei Orgères zeigte und die Absicht zu haben schien, ihre Bewegungen mit der linken Flügel-Brigade zu combiniren. Die Lage des Bayerischen Armeecorps war um 11 Uhr, wo man deutlich die Vorbereitungen zu einem

starken Offensivstosze der

Franzosen bemerkte, keine vortheilhafte.

Auf dem linken Flügel

stand die Bayerische 4. Brigade, welche gleich bei ihrem Eintreffen den ersten Anlauf der 2. Division abgewiesen hatte, in der Stellung Château Goury, Stellung

bei

ebenfalls durch das Vorprellen geschwächt.

Beauvillers

war

momentan kaum

zu

halten ;

Die die

Artillerie der 2. Bayerischen Division war, um die zurückeilende 3. Brigade aufzunehmen, selbst vorgerückt, wurde stark in den In fanteriekampf verwickelt und musste sich beeilen in der Nähe von Beauvillers, unter groszen Verlusten , ihre verlassenen Positionen wieder einzunehmen. Verlass mehr.

Auf die zurückweichende Infanterie war kein

General von der Tann befahl nunmehr das Vorrücken

zweier Bataillone aus dem zweiten Treffen, zum unmittelbaren Schutze von Beauvillers , denen bald zwei andere der 2. mussten.

Brigade folgen

Im ferneren Verlaufe wurde der Querhügel , welcher von

Beauvillers ausgehend, den Höhenzug von Villeprevost trifft, durch den gröszten Theil der Infanterie der 1. Brigade besetzt , während der Rest der 2. Brigade die Dörfer Villeprevost und Tanon festhielt. Es rückten nicht alle Bataillone gleichzeitig in die Stellungen, son dern allmälig, je stärker der Kampf entbrannte und je mehr Ver luste er forderte. Als man glaubte mehr Terrain, wegen der drohen den Umgehung nach rechts, besetzen zu müssen, wurden auch mehr Bataillone in den Streit geworfen, so dass nur der gröszte Theil der 3. Brigade, welche sich bei Villeprevost sammelte , eine Art von Reserve bildete. Die ganze Artillerie der 2.

Bayerischen Division war in die

Stellung Beauvillers - Château Goury gebracht, noch verstärkt durch zwei Batterien der 2. Brigade, während zwei Batterien der 1. Bri gade auf dem Querhügel Beauvillers - Villeprevost standen und die

16

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

gesammte Reserve - Artillerie gegen die von Morale zum Angriffe schreitende Brigade Deplanque in den Kampf trat.

Auf dem äuszer

sten rechten Flügel bei La Maladerie hatten vier reitende Batterien, zwei der 4. Preuszischen Cavallerie - Division und zwei der Bayeri schen Cürassier- Brigade, sich aufgestellt und nahmen die bei Morale stehende Französische Brigade Deplanque unter Feuer, während die Cavallerie unter der Leitung des Prinzen Albrecht (Vater), La Mala derie und Orgères südlich lassend , im Begriffe stand , die wichtige Umgehung des Französischen linken Flügels zu beginnen. Die Französische Aufstellung

war kurz wiederholt folgende :

Zwischen Ecuillon und Neuvillers, namentlich Front nach Lumeau, die 3. Division, Maurandy, zum Theil auch auf Château Goury diri girt ; zwischen Loigny und Morale die 1. Division, auf dem linken Flügel die Brigade Deplanque.

In Reserve stand die Brigade Jan

cigny vom XVII. Corps bei Terminiers.

Gegen 11 Uhr war der

gröszte Theil des XVII . Armeecorps bei Patay angelangt, allerdings sehr erschöpft. die Artillerie

Von der 2. Division XVI. Armeecorps waren nur und

Truppenreste in der

Schlachtlinie

verblieben,

während die grosze Masse der Division in totaler Unordnung bei Villepion sich befand. westlich von Orgères .

Die Cavallerie-Division Michel recognoscirte

Es war 11 Uhr geworden, als von der 1. Division des XVI. Armeecorps die Erneuerung des Angriffes, sowohl auf Château Goury, als auf Beauvillers vorbereitet wurde, gegen ersteres dirigirte sich namentlich die Brigade Bourdillon von Loigny aus , während die Brigade Deplanque von Fougeu und Morale aus Beauvillers, Ville prevost und Tanon bedrohte. Das Bayerische Armeecorps, welches den Kampf fast allein zu dieser Zeit durchführen musste, hatte einen harten Stand . Schwer bedroht von der Uebermacht war das nur schwach besetzte, wichtige Beauvillers. In dem ganz freien Terrain war die Wirkung des über legenen Chassepotfeuers eine verheerende, und schwer musste die Bayerische Artillerie unter demselben leiden, ohne aber in ihrer Thätigkeit sich stören zu lassen.

Das sehr mitgenommene, als Di visions-Cavallerie verwendete 4. Chevauxlegers-Regiment versuchte zwar mit rühmlichem Eifer und groszer Hingebung im Kleingewehr feuer, bei dem für die Cavallerie ungünstigen, weil gefrorenem Boden, die Französischen Tirailleure zurückzuweisen, doch vergeblich. Gegen 12 Uhr erreichte der Angriff seine gröszte Heftigkeit. Von Ferme Morale, von Fougeu und Loigny drängten die dichten Französischen Tirailleurlinien, gefolgt von den deployirten Bataillonen,

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. gegen Villeprevost, Beauvillers, drohend.

17

Château Goury, sogar Tanon be

Der Angriff gegen die verschiedenen Objecte erfolgte aber

nicht gleichzeitig ; er traf zuerst auf den rechten Bayerischen Flügel Tanon - Villeprevost , sodann gegen 12 Uhr auf Beauvillers und auf Château Goury erst gegen 12

Uhr.

Je mehr die Französische

Brigade Deplanque von Ferme Morale aus sich zum Angriffe ent wickelte, wurde der Kampf auf dem rechten Bayerischen Flügel heftiger und die ganze 2. und 1. Brigade wurden zu demselben ver wendet. Tanon und Villeprevost wurden zwar nicht auf das Aeuszerste bedroht, dagegen war Beauvillers bald der Brennpunkt des Streites. Während die Bayerischen Truppen aus Tanon und Villeprevost zur Offensive gegen Ferme Morale schreiten konnten, wüthete der Kampf bei Beauvillers ganz in der Weise der modernen Schlachten ; die hier stehenden Truppen müssen Alles daran setzen, um ihre Stellung zu halten; durch das ununterbrochene Granat- und Gewehrfeuer wurden die Kräfte der Vertheidiger successive absorbirt.

Die ganze Re

serve-Artillerie des Bayerischen Armeecorps fuhr rechts von Beau villers auf, hier am rechten Flügel kämpfen also die Batterien der 2. und 3. Brigade, sowie sechs Batterien der Reserve-Artillerie ; an fangs noch unterstützt durch die vier reitenden Batterien der 4. Ca vallerie- Division und der Bayerischen Cürassier- Brigade.

Der An

griff auf Beauvillers hatte für die Franzosen keinen Erfolg, er kam nicht vorwärts , er wurde aufgehalten durch das Feuer der Bayeri schen Batterien, denen der Kampfpreis gebührt.

Die sehr durch

einander gekommene und gelichtete Infanterie vermochte nur unter dem Schutze der Artillerie auszuharren. Wie oben erwähnt, dirigirte die Brigade Bourdillon das 3. Marsch Jäger-Bataillon und das 39. Marsch - Infanterie - Regiment von Loigny aus gegen Château Goury und gegen das Terrain bis Beauvillers . Anfangs geschah das Avanciren mit geringen Verlusten ,

da die

Bayern sich noch nicht wieder vollständig geordnet hatten und die kämpfende Brigade Deplanque einen groszen Theil der Aufmerksam keit auf sich zog , aber zwischen 12 und 1/21 Uhr entwickelte sich auch hier der Kampf in voller Heftigkeit. Man erkennt aus den groszen Verlusten der Bayerischen Batterien, dem verhehrenden In fanterie-Kampfe, dem fortwährenden Bedürfnisse nach Verstärkung, aus dem Verwenden auch der letzten Soutiens auf der Linie Beau villers - Château Goury, dass die Brigade Bourdillon hier höchst An erkennenswerthes leistete und nahe an die Stellung des Gegners kam ; aber doch gelang es ihr nicht, sich des Parkes des Château Goury zu bemächtigen , wie Französischer Seits behauptet wird. 2 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

18

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

Es dürfte der richtige Ausdruck für die Sachlage sein, welchen Chanzy gebraucht, „les braves régiments cherchèrent à se maintenir “ und es schadet dem Französischen Ruhme, wenn Chanzy nachher meldet , dass Château Goury genommen und wieder genommen sei, weil dies eine positive Unrichtigkeit ist. Das Resultat des Angriffes der 1. und 2. Brigade XVI. Armee corps, welcher nach 11 Uhr, nach dem Zurückweichen der 3. Bayeri schen Brigade unternommen wurde, ist , dass es den Französischen Truppen nicht gelang , sich irgend eines Punktes der Bayerischen Stellung zu bemächtigen, dass aber die Kräfte der Bayern, schon auf das Höchste angespannt , einem neuen, mehr concentrirten An griffe wohl nicht mehr gewachsen gewesen waren. Selbst General von der Tann, der in der Nähe von Beauvillers hielt , sah die Kampfeslage seiner Truppen als eine sehr ernste an ; zu wiederholten Malen entsandte er Offiziere zu dem Groszherzoge nach Bazoches, um ihm die bedrängte Lage seines Armeecorps dar zulegen und dringend Unterstützung durch die 17. Infanterie- Division zu erbitten. Er erhielt jedesmal den Befehl, unter allen Umständen sich in seiner Stellung zu halten. Von Französischer Seite waren aber ebenfalls die anwesenden Streitkräfte grösztentheils in den Kampf verwickelt.

Während die

Haupt-Artillerie- Stellung zwischen Fougeu und Loigny sich befand, waren auf dem linken Flügel bei der Brigade Deplanque, in der Nähe der Ferme Morale, ein Theil der Divisions- Artillerie und die Mitrailleusen-Batterien verwendet, auf dem rechten Flügel bei Ecuillon befand sich die Artillerie der 3. Division, unterstützt von einer schweren 12 - Pfünder - Batterie, das Terrain zwischen Château Goury und Lumeau und beide Orte unter Feuer nehmend . Bei Loigny stand noch die Artillerie der 2. Division nebst einem groszen Theile der Reserve-Artillerie im Feuer. Von der Brigade Deplanque war das 37. Marsch- Regiment im ersten Treffen von Ferme Morale aus im Kampfe mit den Bayeri schen Truppen bei Beauvillers , während das zweite Treffen , das 33. Regiment Mobilgarden de la Sarthe, zur Verlängerung des linken Flügels links herausgezogen war und Villeprevost und Tanon be drohten. Von der Brigade Bourdillon war das erste Treffen, 39. Marsch Regiment und drei Chasseurs - Bataillone , in harten Kampf gegen Château Goury verwickelt ;

diese Truppen vermochten die Ent

scheidung nicht zu erzielen.

Das Eingreifen des zweiten Treffens,

des 75. Mobilgarden - Regiments, war unbedingt erforderlich, wollte

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

19

man hier den Erfolg erzwingen, der sich vielleicht erhoffen liesz. Das Artilleriefeuer erreichte bei Château Goury nicht die Heftigkeit, wie bei Beauvillers, obgleich schon vor 12 Uhr zehn reitende Geschütze der 17. Division auf dem linken Flügel der Bayern ins Gefecht ge treten waren. Das Gewehrfeuer der Vertheidiger und Angreifer durch dröhnte die Luft, die Verluste wuchsen, alle Kräfte der Vertheidiger von Château Goury waren in Anspruch genommen ; Munitionsmangel trat dadurch ein, dass das 13. Bayerische Regiment , mit Werder Gewehren bewaffnet, sich der anderen Patronen nicht bedienen konnte. Dem Gegner gelang es , seine Tirailleurs bis auf 500 Schritt an die Stellung heranzuschieben, und schon zeigte sich die Einwirkung des Eingreifens des zweiten Treffens , des 75. Mobilgarden - Regiments, das mit starkem Drucke den Tirailleurlinien nachrückte. Es kam hier zur Entscheidung ! - Wohin sollte sich die Wage neigen ? Zwei Bayerische Bataillone , das eine mit wenigen Patronen, das andere rasch gesammelt (eines der früher vorgeprellten), schwach und zerrissen, sollten durch einen Vorstosz den gewaltigen Angriff abweisen.

Da kam die Hülfe ! -

Die anstürmende Brigade Bourdillon , garden-Regiment , in

speciell das 75. Mobil

voller Siegeshoffnung vorgehend , traf uner

wartet ein Stosz in die rechte Flanke, so stark und so schnell, dass für den ersten Augenblick der Angriff der Franzosen stockte, dann aber, die Französischen Bataillone durcheinander geschüttelt , sich nach Loigny warfen , verfolgt von den siegreichen Truppen der rettenden 17. Infanterie- Division. Es waren dies vier Bataillone der 33. Brigade,

unter General von Kottwitz, welche in so wirksamer

Weise den Stosz ausführten.

Auf der Strasze von Champdoux nach

Lumeau, zur etwaigen Unterstützung der bei Lumeau kämpfenden Avantgarde vorgerückt, erlaubte die günstige Gefechtslage dem Ge neral von Kottwitz, mit vier Bataillonen seiner Brigade rechts zu schwenken und gerade im entscheidenden, den Bayern gefährlichsten Momente den Angriff der Brigade Bourdillon über den Haufen zu werfen.

Es war dies vor 1 Uhr.

Die allgemeine Gefechtslage ist

folgende : Die 4. Cavallerie-Division hat ihre , den linken , Französischen Flügel umgehende Bewegung begonnen, und war bis nördlich Orgères gelangt.

Von Tanon über Villeprevost bis Beauvillers kämpft die

erste Bayerische Division gegen die Brigade Deplanque und Theile der 2. Division ; es gelingt der 1. Division des Bayerischen Corps seine Stellungen zu halten.

Gegen Château Goury hatte eben die

Brigade Bourdillon den entscheidenden Angriff unternommen und 2*

20

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

war von vier Bataillonen der 33. Preuszischen Brigade, in der Flanke gefasst, nach Loigny geworfen worden. II. Der Kampf der 17. Infanterie-Division um Lumeau, das Zurück werfen der Brigade Bourdillon nach Loigny und die Weg nahme dieses Dorfes . Wie erwähnt , war die 2. Cavallerie-Division zur Deckung der Strasze Orléans - Paris und eines Theiles des 9. Armeecorps auf den linken Flügel der Armee - Abtheilung gewiesen worden. Hierdurch war am 1. December die 17. Infanterie - Division gezwungen, die Vorposten zur Sicherung der Strasze nach Chartres gegen Artenay selbst zu stellen und zwar von Villiers über Santilly nach Baigneaux, sich rechts anschlieszend an die Vorposten des 1. Bayerischen Corps, das Lumeau mit dem linken Flügel hielt. Zu den Vorposten wurde bei Tage grösztentheils Cavallerie ver wendet , bei Nacht übernahm Infanterie den Sicherheitsdienst ; bei Baigneaux das 14. Jäger- Bataillon, bei Evrards, Petites-Maisons nach Santilly zu das 1., von Santilly nach Villiers das Füsilier-Bataillon 75. Regiments.

Die Nacht war ruhig vergangen, die Anwesenheit

starker Französischer Truppenmassen in Dambron und Poupry, mit ihrem Gros in Artenay, gemeldet. Dem Befehle des Groszherzogs vom 1. December Abends 6 Uhr zufolge, stand die 17. Infanterie-Division am 2. December Morgens 8 Uhr an der Strasze von Chartres nach Orléans, in verdeckter Stellung in der Höhe der Ferme Fauconnière, die Vorposten in eben erwähnter Weise vor sich.

Gegen 8 Uhr traf der abändernde Be

fehl aus dem Groszherzoglichen Hauptquartiere ein; hiernach sollte die 17. Infanterie-Division um 11 Uhr bei dem Dorfe Lumeau stehen, fernerer Operationen gewärtig.

Eile war empfohlen.

Bei der 17. Infanterie-Division war man sich dessen klar, was der Tag bringen würde ; das Gefecht der Bayern am gestrigen Tage, sowie die Meldungen der Vorposten hatten deutlich genug gesprochen. Um daher keine Zeit zu verlieren, befahl General von Treskow auf zubrechen, ohne das Eintreffen der einzuziehenden Vorposten ab zuwarten. Die Division schlug den Weg von Ferme Fauconnière über Chauffour durch Bazoches les Hautes auf Lumeau ein ; die Straszen waren gut, doch die Entfernung 12 Meilen. Die Avantgarde vorauf, ihr folgend das 17. Dragoner-Regiment mit zehn Geschützen reitender

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. Artillerie, alsdann das Gros.

21

Dem Gros sollten die beiden, auf Vor

posten gewesenen Bataillone 75. Regiments mit einer Schwadron des 11. Ulanen - Regiments folgen.

Die Avantgarde bestand aus zwei

Bataillonen des 90. Regiments , einem Bataillon 89. Regiments, dem 14. Jäger - Bataillon, zwei Schwadronen, zwei Batterien und einer Pionier -Compagnie.

Das Ziel war das Dorf Lumeau.

Bis gegen

8 Uhr stand hier das 3. Bataillon Bayerischen 10. Regiments, dann erhielt es den bestimmten Befehl, nach Château Goury abzumarschiren und sich dieses Ortes auf jeden Fall zu versichern, da die hierher bestimmte 4. Bayerische Brigade ,

bei der drohenden Nähe des

Gegners, den Ort vielleicht nicht vor dem Feinde zu erreichen ver mochte. Das in Lumeau befindliche Bataillon hatte schon in leichtem Gefechte auf der Südseite des Ortes gestanden und war dies auch nur ein Gefecht gegen Vortruppen gewesen, so war es doch ein Fingerweis , dass der Besitz von Lumeau Französischer Seits ins Auge gefasst war. Es galt daher vor Allem, sich Deutscher Seits Lumeau's zu versichern, und zwar eher, als es den Franzosen gelänge.

Aus diesem Gesichtspunkte handelte General von Treskow,

der Commandeur der 17. Division ; der dringende Wunsch des Bayeri schen Corps, unterstützt zu werden, konnte erst in zweiter Reihe berücksichtigt werden. Um 9 Uhr waren Loigny, Fougeu, Ecuillon, Neuvillers in den Händen der Franzosen , und zwar befand sich die 2. Division bei Loigny, die 3. Division XVI. Armeecorps von Terminiers kommend bei Neuvillers . Der verfrühte Angriff der 2. Division auf Beauvillers und Château Goury, das fluchtartige Zurückweichen dieser Division bei dem Offensivstosze aus dieser Stellung, das zu heftige Verfolgen des fliehenden Gegners durch die 3. Bayerische Brigade sind bereits geschildert.

Durch das Ausfallen der 2. Division XVI. Armeecorps

war die Stellung der 3. Division gefährdet , denn sie bot ihre linke Flanke den vordringenden Bayern und wurde bald von den bei Château Goury beschossen.

stehenden Bayerischen Batterien der Länge nach

Die Truppen der 3. Division, Maurandy, beunruhigt

durch das eilige und ungeordnete Zurückweichen der 2. Division, unmittelbar vor ihren Augen, bald stark unter Feuer genommen, zeigten deutliche

Symptome ,

den

Zurückweichenden

zu

folgen.

General Chanzy dies bemerkend , schickte nach Ecuillon .eine 12 Pfünder-Batterie, um das Feuer von Château Goury zu bekämpfen, und es gelang, die 3. Division ungefähr in ihren Stellungen zu er halten, welche Lumeau bedrohten. Durch den Vorstosz der 3. Bayerischen Brigade war eine etwa

22

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

eine Stunde währende, für die Deutschen sehr günstige Gefechtspause eingetreten. Aber nicht nur Zeit war durch den Vorstosz gewonnen, es war auch der wilde Elan einer sichtbaren Nüchternheit bei den Französischen Truppen gewichen .

Allerdings schreitet die 1. Di

vision XVI. Corps nach dem Zurückwerfen der 3. Bayerischen Bri gade, mit voller Energie und dem festen Willen, Erfolge zu erringen, zum Angriffe . sagen.

Gleiches aber kann man von der 3. Division nicht

Für diese Division bildete die Brigade Jancigny des XVII.

Französischen Armeecorps eine Reserve.

General Maurandy, Com

mandant der 3. Division, erhielt gegen 1211 Uhr den erneuten Be fehl zur Fortsetzung des Vormarsches auf Lumeau,

als die 1. Di

vision für die 2. den Angriff auf die Stellung Beauvillers - Château Goury übernahm .

Die Chancen waren für die Franzosen, speciell

für die 3. Division, nun nicht mehr dieselben, wie vordem . Die 17. Infanterie-Division hatte sich mit der Avantgarde von Ferme Fauconnière über Chauffour durch Bazoches auf Lumeau in Marsch gesetzt ;

sobald die Cavallerie der Avantgarde

Bazoches

passirt hatte, meldete sie auch sofort den stark und deutlich von Es war dies Château Goury herüberschallenden Kanonendonner. ein Beweis, dass das Bayerische Armeecorps in ernstlichen Kampf Es wurde der Marsch der Avantgarde auf Lumeau

verwickelt sei .

fortgesetzt und die zehn Geschütze reitender Artillerie, unter Be deckung des 17. Dragoner- Regiments , in der Richtung auf Château Goury entsendet, um helfend einzugreifen. Wie es scheint, traten am späten Vormittage diese Geschütze in Thätigkeit , indem sie in der Nähe einer Waldparcelle zwischen Château Goury und Lumeau ab Die Wirkung dieser Geschütze ist ersichtlich aus dem protzten. Schwanken der 3. Division und in der Vorbeorderung der schweren Französischen 12 - Pfünder - Batterie nach Ecuillon. Das Marschziel der Avantgarde blieb Lumeau ; hierhin war eine Schwadron des 17 . Dragoner-Regiments entsendet worden, welche die Meldung machte, dass Lumeau noch nicht vom Feinde besetzt sei , dass dieser aber gegen dasselbe von Terminiers heranrücke und auch Baigneaux von Anneux und Domainville her bedrohe. Man musste bei der Avant garde eilen und zugleich musste auch ein Entschluss gefasst werden, ob man Baigneaux ebenfalls halten wolle . Oberst von Manteuffel, Com mandeur der Avantgarde, befahl, dass das 14. Jäger-Bataillon , welches seine Vorposten in und bei Baigneaux gehabt hatte, dieses Dorf bis zum Eintreffen der hierher beorderten 22. Infanterie - Division zu halten habe.

Zugleich wurde von der Avantgarde das 1. Bataillon

90. Regiments (Mecklenburgische Füsiliere) nach Lumeau vorgesendet,

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. um sich dieses Dorfes zu versichern.

23

Dem 1. Bataillon folgte bald

darauf das 3. Bataillon zur Unterstützung nach.

Es gelang dem

1. Bataillon gerade noch zu rechter Zeit mit drei Compagnien die Südlisière

zu erreichen und eine Compagnie in Reserve an dem

Wege nach Baigneaux

zu behalten, das,

von Südwesten bedroht,

namentlich an seiner West- und Südseite von dem 14. Jäger-Bataillon besetzt wurde. Die 17. Infanterie - Division war somit in der Be setzung der Dorfschaften Lumeau und Baigneaux dem Feinde zuvor gekommen. Nachdem gegen 1211 Uhr General Chanzy den Vormarsch der 3. Division, Maurandy, angeordnet hatte, setzte sich dieselbe mit einer Brigade auf dem rechten und einer Brigade auf dem linken Flügel auf der Linie von Domainville, Neuvillers bis nach Ecuillon hin in Marsch ;

den Tirailleuren der linken Flügel - Brigade gelang

es ungehindert bis in die unmittelbare Nähe von Lumeau zu kommen. Hier aber wurden sie durch das sehr wirksame Feuer der an der Südlisière eingetroffenen drei Compagnien 90. Regiments zurückge worfen.

Nachdem der erste Versuch, mit Tirailleurs sich Lumeau's

zu bemächtigen, misslungen war, beabsichtigte man Französischer Seits durch Beschieszung mit Artillerie und durch einen umfassenden Angriff, sich in Besitz des Ortes zu setzen.

Zu dem Zwecke fuhr

die Artillerie der Division in der Linie Neuvillers - Domainville auf, während die Infanterie-Aufstellung von Ecuillon über Neuvillers bis Anneux reichte. Die schwere 12 - Pfünder - Batterie verblieb bei Ecuillon.

Hierdurch wurde noch der Vortheil erreicht , dass der

rechte Flügel des XVI. Armeecorps mit dem bei Dambron - Poupry stehenden XV. Französischen Armeecorps in Verbindung treten konnte.

Diese Aufstellung und die ferneren Vorbereitungen zum

Angriffe waren bis gegen 12 Uhr beendet.

Um das sehr heftige

Geschützfeuer zu bekämpfen , wurden Preuszischer Seits westlich des Wäldchens von Lumeau nach einander die beiden Batterien der Avantgarde aufgefahren, und als deren Feuer nicht genügte, ver längerten noch zwei Batterien des Gros die Aufstellung, so dass hier gegen 12 Uhr vier Batterien zur Vertheidigung von Lumeau in Thätigkeit waren . Alle Anzeichen deuteten auf einen starken, un mittelbar bevorstehenden Angriff der Franzosen, nicht nur von der West- und Südseite, sondern sogar von Osten her.

Es hätte der

selbe bei der groszen Ueberlegenheit der Franzosen einen Erfolg haben können, wäre nicht auszer dem auf der Ostseite von Lumeau eintreffenden 14. Jäger - Bataillon noch die Divisions - Artillerie und die 44. Infanterie-Brigade, Oberst von Marschall, die 22. Infanterie

24

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

Division von Baigneaux her angelangt.

Es traf jetzt beim Angriffe

auf Lumeau die 3. Division XVI . Armeecorps dasselbe Schicksal, wie die Brigade Bourdillon bei Château Goury. Als nach 12 Uhr General Maurandy den energischen Vormarsch der Brigade Bourdillon sah, und da er glaubte seine Artillerie habe hinreichend gewirkt, befahl er den Angriff, und zwar seiner 2. Bri gade von der West- und Südseite, der 1. Brigade von Süden und Süd-Osten her. Mit groszer Energie und vieler Entschlossenheit wurde der Angriff von den Franzosen unternommen, doch scheiterte er an der Ruhe des Vertheidigers und dessen äuszerst wirksamem, erst auf nächste Entfernung abgegebenem Feuer.

Die rechte Flügel

Brigade schritt zwischen der Mühle von Domainville und Anneux zum umfassenden Angriffe, gerieth hier aber in das Kreuzfeuer einer Batterie östlich von Lumeau und der Divisions-Artillerie der 22. Di vision.

Trotzdem drang die Französische Brigade weiter vor, aber

der Offensivstosz des 14. Jäger-Bataillons in der Front und der 44. Brigade direct, wiederum in die rechte Flanke, warf die Französische Brigade in Unordnung, unter Zurücklassung zahlreicher Todter und Verwundeter, in die Richtung auf Sougy zurück.

Zugleich wich auch

die 2. Brigade bis hinter Ecuillon, um bald darauf in die Katastrophe von Loigny mit verwickelt zu werden. Wie hart der Schlag war,

welchen die 3. Division

erlitten,

zeigten die Resultate, welche die sofort eingeleitete Verfolgung er gab.

Zahlreiche Gefangene wurden gemacht ; der 2. Schwadrɔn 11 .

Ulanen-Regiments gelang es, eine feindliche Batterie mit ihrer vollen Bespannung zurückzubringen.

Vor dieser Front verschwand der

Feind, und hierdurch wurde sowohl die Avantgarde bei Lumeau, als auch das Gros der 22. Infanterie-Division zu weiteren Aufgaben dis ponibel ; erstere griff daher auch bald entscheidend bei dem Kampfe um Loigny ein, während letztere ihre Thätigkeit gegen das XV. Französische Armeecorps beginnen konnte. Beim Gros der 17. Infanterie-Division entwickelte sich nach und nach Folgendes :

In Folge der Meldungen der Avantgarde von dem

heftigen Kanonendonner und dem Kampfe des 1. Bayerischen Corps marschirte das Gros unter dem Befehle des Generals von Kottwitz am südlichen Ausgange von Bazoches les Hautes in Gefechts - For mation auf und blieb hier halten, um sowohl dem Bayerischen 1 . Corps, als der auf Lumeau rasch vorrückenden Avantgarde Unterstützung dienen zu können .

zur

So dringend auch schon um 11 Uhr

das Eingreifen der 17. Division Bayerischer Seits erbeten wurde, der Generallieutenant von Treskow konnte noch nicht der Auf

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

25

forderung Folge leisten, denn schwerer Kampf drohte auch seiner Avantgarde, als sie bald nach 111 Uhr Lumeau erreicht hatte. Es war klar, eine ganze Französische Division richtete ihren unmittel baren Angriff auf Lumeau, während eine Unterstützung durch die 22. Infanterie- Division nicht so rasch erwartet werden konnte. Es rückte nun General von Kottwitz, zum Gefechte entwickelt, bis über die Höhe von Champdoux hinaus der Avantgarde nach, bis an das Geschützfeuer der Französischen Batterien gegen Lumeau. Hier verblieb das Gros, den Ausgang des Kampfes um Lumeau erwartend und auf das Sehnlichste von dem Bayerischen Armeecorps zur Hülfe begehrt.

General von Kottwitz aber wartete die Entscheidung bei

Lumeau ab, und diese blieb, wie geschildert, nicht lange aus . Sobald vor Lumeau nichts mehr zu befürchten war, hatte das Gros der 17. Infanterie-Division freies Feld.

Es war aber auch die

höchste Zeit, dass dem äuszerst bedrängten Bayerischen Armeecorps die so sehnlich erwartete und für 11 Uhr versprochene Hülfe wurde. Mit Aufbietung aller Kräfte, ohne verwendbare Reserven, in ihren Truppentheilen vollständig durcheinander gekommen, kämpften die Bayern auf der ganzen Linie Tanon, Villeprevost, Beauvillers, Château Goury einen verzweifelten Kampf, und jetzt kam der Hauptangriff der Brigade Bourdillon mit zum Theil frischen Kräften zur Aus führung. Von Loigny her richtete sich der Stosz auf Château Goury, die Französischen Tirailleurs waren nur noch 600 Schritt von diesem Reduit entfernt. Nach 12 Uhr erhielt der General von Kottwitz von dem Di visions-Commandeur den Befehl , sofort rechts zu schwenken, den Feind in der rechten Flanke anzugreifen und sich der Dörfer Loigny und Fougeu zu bemächtigen.

Die Ausführung folgte dem Befehle.

Das Gros stand in zwei Treffen, im ersten das 2. Bataillon 75. Regi ments und das 1. Bataillon 76. Regiments, im zweiten Treffen das 2. und Füsilier - Bataillon 76. Regiments. waren drei Compagnien vorgezogen.

Aus dem ersten Treffen

Unter feindlichem Granat- und

Shrapnel-Feuer wurde die befohlene Rechtsschwenkung ausgeführt, die vorgezogenen Compagnien in ihrer bisherigen Direction vorge schickt, um die Verbindung zwischen der verfolgenden Avantgarde und dem angreifenden Gros herzustellen. Mit fliegenden Fahnen und Trommelschlag in bester Ordnung rückten die vier Bataillone vor ; ihr Stosz war für die Franzosen ein vernichtender.

Erst

erfolgte ein Stutzen des Gegners , dann ein

Durcheinanderfahren aller Theile, schlieszlich eine wilde, unaufhalt same Flucht auf Loigny.

Der fliehenden Brigade Bourdillon folgten

26

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

die Bataillone der Regimenter 75 und 76 ; dem 2. Bataillon 75. Regi ments war die Ortschaft Fougeu, den anderen Bataillonen Loigny als Directions- und Zielpunkt angewiesen worden.

Zugleich mit den

fliehenden Franzosen gelang es den Deutschen in beide Dörfer ein zudringen.

Fougeu wurde von Theilen des 75. und 76. Regiments

genommen,

sogleich zur Vertheidigung eingerichtet , und man ver

mochte alle späteren Versuche der Franzosen zur Wiedereroberung abzuschlagen. Es waren in Fougeu 250 Gefangene gemacht worden. Ecuillon hatten mittlerweile die drei vorgezogenen Compagnien er obert , welche hier zwei 12-Pfünder- Geschütze nahmen, deren Be deckung sie im Stiche liesz.

So fiel Fougeu , Ecuillon schon jetzt

in die Hände der Deutschen, während um den Besitz von Loigny ein stundenlanger erbitterter Häuserkampf geführt wird. Es hatte für das Bayerische Armeecorps die Stunde der Er lösung geschlagen, und eine Brigade der Division Jauréguiberry, die Brigade Bourdillon, war für das Bayerische Corps unschädlich ge macht worden.

Der Angriff der

Armeecorps ist kein einheitlicher,

1. Französischen Division

XVI.

kein mit aller disponibeln Kraft

gleichzeitig unternommener gewesen ; beide Brigaden ,

Deplanque

und Bourdillon, kämpfen nicht in vollem Einvernehmen ; der letzte Angriff der Brigade Bourdillon war der mit den meisten Kräften unternommene, darum auch gefährlichste.

Auf der ganzen Front

von Tanon über Beauvillers nach Château Goury ist der Kampf ein Auf- und Abwogen, ein Anprellen und Zurückweisen, ein Verbrauchen sämmtlicher intakten Kräfte ; dies gilt für den ganzen Zeitraum von 11 bis 1 Uhr Mittags. Auf dem linken Französischen Flügel kämpfte das 33. Mobilgarden - Regiment , unterstützt von drei Mitrailleusen Batterien, um sich in Besitz des Dorfes Tanon zu setzen. Der An griff gelingt nicht ; im Bereiche des Klein-Gewehrfeuers angekommen, ist das 33. Mobilgarden- Regiment gezwungen, Kehrt zu machen, während schon zum Offensivstosze bereit gehaltene Bataillone der 2. Bayerischen Brigade, denen zwei Bataillone der 1. Brigade folgten, aus Villeprevost vorbrechen und

dem weichenden Französischen

Regimente, das gute Haltung zeigt, das Terrain um Ferme Morale zu entreiszen versuchen.

Der Kampf war ein harter ;

erst gelang

es den Bayerischen Truppen ein Gebüsch nördlich Morale, dann den Graben der Strasze von Loigny nach Maladerie, schlieszlich auch Hier stellte sich mit dem Bajonet Ferme Morale zu nehmen. successive der gröszte Theil der 2. Brigade, untermischt mit Theilen der 1. auf. Nachdem der letzte Versuch der 1. Division gegen Beauvillers , ausgeführt durch das 37. Marsch- Infanterie - Regiment,

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

1 auch gescheitert war, gelang es

27

ebenfalls den hier aufgestellten

Theilen der 1. und 2. Bayerischen Brigade gegen Morale Terrain zu gewinnen.

Es fuhr nun die ganze Reserve - Artillerie, verstärkt

durch Batterien der 1. Bayerischen Division, zwischen Morale und Beauvillers auf und sicherten sie dadurch auch letzteres . Es waren im Ganzen sieben Batterien, welche unaufhörlich die Brigade De planque, den linken Französischen Flügel , beschossen.

Noch eine

andere grosze Gefahr drohte aber dem linken Französischen Flügel, es war dies die Umgehung durch die 4. Preuszische Cavallerie- Di vision, Prinz Albrecht (Vater), in Gemeinschaft mit der Bayerischen Cürassier-Brigade, welche zur Zeit des Eingreifens der 17. Infanterie Division Orgères erreicht hatte, also unmittelbar in der linken Flanke der Französischen Armee stand. Die Französische Cavallerie- Division Michel hatte den Platz geräumt und war unter dem Vorgeben aus ihrer Stellung bei Orgères nach Nonneville und Gommiers zurück gewichen, dass sie von da den Rückzug des XVI. Französischen Armeecorps decken wolle, da das hinter Loigny auf Patay zu lie gende Terrain von Französischen Flüchtlingen bedeckt war. — Das Blatt hatte sich gewendet. Von dem XVI. Armeecorps

waren zwei Divisionen, die 2. und 3., ganz verbraucht und zurück geworfen.

Von der 1. Division des Admirals Jaureguiberry war die Brigade Bourdillon durch Theile der Brigade Kottwitz über den Haufen geworfen, die Brigade Deplanque war, wenn auch sehr mit genommen, die einzige gefechtsfähige. Ferme Morale, Fougeu, Theile von Loigny, Ecuillon waren in den Händen der Deutschen ; es blieb dem General Chanzy nichts übrig , als sich auf seine Ausgangs Stellung Villepion - Favérolles zurückzuziehen, hierdurch sich seinen Verstärkungen zu nähern, um mit deren Hülfe das zähe festgehaltene Loigny dem Feinde wieder zu entreiszen . Die Deutsche Cavallerie belästigte in Gefahr drohender Weise seine linke Flanke und seinen Rückzug .

Die Französische Cavallerie - Division Michel hatte ohne

Gefecht das Feld geräumt und sich unmittelbar an den linken Flügel angehängt, unterstützt späterhin durch eine Brigade des XVII. Armee corps .

Der Vormarsch des XVI. Armeecorps und die Entwickelung aller seiner Theile zum Gefechte, ohne eine Reserve zu behalten,

war in sicherer Zuversicht auf die Unterstützung des XVII . Armee corps unternommen. Schon nach der Flucht der 2. Division erbat General Chanzy auf das Dringendste das schleunige Heranrücken des XVII. Armeecorps , welches aber mit zwei Divisionen erst um 11 Uhr früh bei Patay ankam, nach einem Nachtmarsche , ohne ge ruht oder gegessen zu haben. General de Sonis vermochte, trotz

28

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

besten Willens, erst spät aufzubrechen ; dann aber doch mit dem gröszten Theile der Artillerie, und den erprobtesten, besten Truppen . Die Brigade Jancigny war zum groszen Theile zur Vertheidigung von Loigny verwendet, desgleichen Truppentheile der 2. und 3. Di vision, die man zu sammeln vermocht hatte.

Trotz der ungünstigen

Lage gab General Chanzy nicht die Hoffnung auf, Loigny wieder vollständig in Besitz zu bekommen, mit Hülfe des XVII. Armee corps das Centrum der Deutschen Stellung Château Goury wegzu nehmen und dadurch sich doch noch den Erfolg des Tages sichern . -

zu

Die Stellung des XVI . Armeecorps war gegen 3 Uhr folgende : Die 1. Division reichte von Nonneville bis Villepion, bei Favérolles befanden sich Theile der 2. Division, in Loigny Theile der Brigade Jancigny, der 2. Division und der Brigade Bourdillon, bei Terrenoire und Echelles waren Theile der 3. Division eingetroffen .

Gegen

1/23 Uhr versuchte nun die erste Unterstützung die 3. Division XVII. Armeecorps bei Villepion zu debouchiren, sie gerieth hier aber in das Feuer der reitenden Batterien der 4. Preuszischen Cavallerie Division bei Ferme Chauvreux, und wich wiederum bis in die Gegend von Gommiers zurück. Erst unter dem Schutze neu auffahrender Batterien des XVII. Armeecorps gelang es, die Truppe in die Ge fechtslinie vorzuführen. General von der Tann versäumte keine Zeit, um seine Truppen zu sammeln und mit neuer Munition zu versehen.

Gegen 2 Uhr

ordnete sich die 2. Bayerische Brigade bei Ferme Morale, die 1 . Brigade bei Beauvillers ; diese beiden, die 1. Division bildenden Brigaden,

wurden

hierauf bei

Ferme

Morale zusammengezogen,

während die wiedergeordnete 3. Brigade von Beauvillers aus den ferneren Bewegungen der 1. Division als Reserve folgte. General von der Tann, der die grosze Wirkung der Umgehung durch die Cavallerie- Division erkannte, beschloss dieselbe durch Um fassung des linken Französischen Flügels wirksamer zu machen. Unter dem Schutze der zahlreichen Artillerie, welche Loigny und das westlich gelegene Terrain , wo namentlich noch Französische Batterien und wieder gesammelte Truppen standen ,

unter Feuer

nahmen, führte die 1. Division eine Linksschwenkung aus , und in der neuen Front vorrückend, reichte sie, mit der Cürassier-Brigade auf den rechten Flügel und den beiden reitenden Batterien, auf Fougeu und Loigny zu. Hier war westlich der Strasze von Loigny nach Maladerie die 4. Brigade in Gefechtsstellung aufmarschirt, nach dem sie der 33. Infanterie -Brigade, General von Kottwitz, als Soutien

Die Schlacht bei Loigny- Poupry am 2. December 1870.

auf Loigny gefolgt war.

Ein Versuch der Bataillone

29

des ersten

Treffens der 1. Bayerischen Brigade, sich des Parkes und Schlosses von Villepion zu bemächtigen, wurde durch das heftigste Gewehr und Mitrailleusen-Feuer zurückgewiesen.

Man entschied sich Bayeri scher Seits bei der groszen Ermüdung der Truppen, bei der ein brechenden Dunkelheit von weiteren Angriffen abzustehen. Auf dem rechten Flügel sechs Batterien ,

auf dem linken neun Batterien,

feuerten über achtzig Geschütze auf Villepion und

auf die nach

Patay sich zurückziehenden Franzosen, bis die Dunkelheit das Ge fecht abbrechen liesz . Bei der 17. · Division war die Brigade von Kottwitz, nachdem sie die Brigade Bourdillon über den Haufen geworfen hatte, auf Loigny gefolgt, hatte Fougeu genommen und behauptet, und war in Loigny eingedrungen. Die zu der 17. Infanterie-Division gehörige Artillerie, schliesz lich sechs Batterien, hatte sich der Schwenkung der 33. Brigade und deren Vormarsch, das Feuer auf die Flüchtlinge und auf Loigny er öffnend, angeschlossen.

Sie gerieth in einen harten Kampf mit der

südwestlich von Loigny aufgefahrenen Artillerie des XVI. Armee corps und in das Chassepot-Feuer der Vertheidiger von Loigny.

Zu

ihrer Unterstützung wurden zwei der bei Château Goury aufgestellten Batterien auf Befehl des Groszherzogs nachgesendet, welche auf der Ostseite des Dorfes abprotzten.

Das zu erringende Ziel war Loigny ;

mit der Wegnahme dieses fiel die Möglichkeit einer nochmaligen, wirkungsvollen Offensive der Franzosen. Doch wurde dies ein hart näckiger Kampf; es währte fast drei Stunden ein Dorfgefecht ohne Gleichen, bei welchem man einen Vortheil weder auf der einen, noch auf der anderen Seite zu erkennen vermochte.

Gleichzeitig

mit den Fliehenden waren auch das 2. Bataillon 76. Regiments und Schützenzüge des 75. Regiments in die ersten Gehöfte eingedrungen, ohne aber weiter vorwärts kommen zu können. Nicht nur ent wickelten die Franzosen den zähesten Widerstand , auch Offensiv stösze von frischen Truppen auszerhalb des Dorfes, oder von ge schickt zur Disposition gestellten kleineren Soutiens in den Dorf straszen, warfen die vordringenden Deutschen häufig aus den eben genommenen Oertlichkeiten wieder hinaus . Man war gezwungen, sich des Feuers zu bedienen, sowohl um den Feind zu vertreiben, als um ein Hinderniss

zwischen sich und den Gegner zu bringen.

Es wurde 2 Uhr ; die Franzosen hatten die ganze westliche und südliche Seite des Dorfes , vor Allem noch die Kirche inne, sie

30

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

machten aber auch Miene durch herangezogene Verstärkungen die Deutschen aus Loigny wieder zu vertreiben .

In Folge dessen be

fahl General von Treskow der bei Lumeau disponibel gewordenen Avantgarde ,

unter Zurücklassung der nothwendigsten Besatzung,

nach der Südseite von Loigny abzurücken, um von hier in das Dorf einzudringen.

Desgleichen wurden die noch in Reserve gehaltenen

zwei Bataillone 75. Regiments , welche bei Champdoux bis gegen 1 Uhr verblieben waren, nach Loigny herangezogen und dort als letztes geschlossenes Soutiens bereit gehalten.

Das Bayerische Ge

neralcommando wurde auszerdem um Zuweisung der 4. Brigade, die bei Château Goury sich wieder gefechtsmäszig gesammelt hatte, er sucht , und diesem Wunsche wurde auch nachgekommen.

Dem zu

Folge nahm die 4. Brigade eine Stellung zwischen Fougeu und Loigny, auf der Westseite der Strasze Fougeu- La Maladerie, und versuchte von hier aus die Westseite von Loigny von ihren Ver theidigern zu säubern.

Dem erhaltenen Befehle gemäsz traf die

Avantgarde der 17. Division gegen 1/23 Uhr an der Süd- Ostecke von Loigny über Ecuillon her ein, sie bemächtigte sich mit dem 1. und 3. Bataillon 90. Regiments einiger Gebäulichkeiten. Das weitere Vordringen war ein äuszerst langsames .

Zu dem bemerkte man

Deutscher Seits sehr wohl die von Patay anrückenden Französischen Verstärkungen des XVII . Armeecorps , sowie die Vorbereitungen zu einem letzten Hauptangriffe und einer letzten Kraftanstrengung der Franzosen , über die (sowohl über das XVI., als über das XVII . Armeecorps) General Chanzy das Commando übernahm. Um sich bei dem bevorstehenden Angriffe vor einer Umfassung, von Süden oder Südosten her,

zu schützen , wurde ein südlich von

Loigny liegendes Gehölz von zwei Compagnien 89. Regiments und dem 14. Jäger-Bataillon besetzt , während noch weiter südlich die Ferme Villours

einer Compagnie 90. Regiments zur Vertheidigung

überwiesen wurde.

Den äuszersten linken Flügel sicherte das 17.

Dragoner-Regiment, das in heftiges Geschützfeuer von Villepion aus gerieth. Noch einmal schienen dem General Chanzy neue Aussichten auf günstigen Erfolg zu erwachsen. Gegen 123 Uhr war allerdings die 3. Division XVII. Armeecorps am Debouchiren aus Villepion durch die Deutschen Batterien verhindert worden, jetzt war es der Division mit Hülfe mehrerer vorgezogener Batterien gelungen.

Es

war zwischen 3 und 14 Uhr, als die Truppen disponibel waren, um Loigny wegzunehmen und das Glücksrad zu Gunsten der Fran

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. zosen zu drehen.

31

General de Sonis brannte vor Ehrgeiz, mit seinem

neugeschaffenen Corps den Preis des

Tages zu gewinnen.

Der

Muth und Elan der Truppe wurde noch erhöht durch das plötzliche , sehr deutliche und unablässliche Herüberschallen des Kanonendonners und des Knatterns der Mitrailleusen aus der Richtung von Poupry ; man

glaubte das

XV. Französische

Armeecorps

marsche auf Mameraut und Domainville.

schon im

An

General Maurandy raffte

an Truppen der geschlagenen 3. Division XVI . Armeecorps zusam men, was zu erreichen war, um einen Vorstosz gegen Lumeau zu erneuern.

Es bedurfte nur der Wiedernahme von Loigny, und die

Lage der Deutschen würde eben so ungünstig gewesen sein, als die der Franzosen jetzt. Der Aufgabe, der Wegnahme von Loigny, unterzog sich General de Sonis mit seiner 3. Division . Die päpstlichen Zuaven, die Legion der Côte d'or voran, stürmte die Division, ihren commandirenden General an der Spitze, zwischen Favérolles und Terrenoire vor .

Der

wüthende Stosz traf zuerst die Compagnie in Villours ; die in Flam men stehende Ferme wurde geräumt.

Die sich fortwährend ver

theidigende, den Feind aufhaltende Compagnie zog sich auf ihre Unter stützung, auf die in dem Gehölze südlich von Loigny aufgestellten Com pagnien des 14. Jäger- Bataillons und auf die Compagnien 89. Regiments zurück.

Aber auch diese Truppen vermochten nicht die Wucht des

Stoszes auszuhalten. Die 3. Division XVII . Armeecorps, mit General de Sonis , drang unaufhaltsam auf Loigny vor.

Die Französischen

Berichte lassen die Sturmcolonnen nicht nur Loigny,

sondern sogar

dessen nördlichen Ausgang gewinnen, während die Deutschen Nach richten den Anprall bis an die Südlisière

gelangen lassen.

Auf

jeden Fall war Deutscher Seits das Festhalten von Loigny auf das Aeuszerste gefährdet.

Da, in dem Augenblicke der höchsten Ge

fahr, befahl General von Treskow das Eingreifen der letzten Re serve, der beiden auf Vorposten gewesenen, bisher beharrlich in dem Granatfeuer ausgeharrt habenden Bataillone

75.

Regiments .

Mit

schlagenden Tambours stürzen sich die so lange zurückgehaltenen Bataillone auf den anstürmenden Feind . von Loigny her das belebende, ciren ! "

Zu gleicher Zeit erschallt

Preuszische Signal :

„ Rasch Avan

das der General von Kottwitz hatte geben lassen, und mit

lautem Hurrah stürzt sich Alles dem stutzenden Feinde entgegen, der in wilder Hast Kehrt macht und in dem einbrechenden Dunkel verschwindet. ein General.

Hier wurden zahlreiche Gefangene gemacht, darunter

32

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 . Mit eine Ursache der überwältigenden Panik ,

welche diese

Truppen zurückriss, mochte der Tod des tapferen Führers, Generals de Sonis , sein , dem gerade im entscheidenden Augenblicke eine Granate das Kreuz zerschmetterte ; auch der Führer der päpstlichen Zuaven, der bekannte Marquis de Charette, ein Haupt der Fran zösischen clerical- legitimistischen Partei, fiel schwer verwundet. General Maurandy hatte vergeblich versucht, seine gesammelte Schaar vorwärts auf Lumeau zu führen, sie wich vor dem ver nichtenden Artillerie-Feuer zurück.

Trotz aller dieser für die Fran

zosen ungünstigen Ereignisse blieb ein Theil von Loigny doch in ihren Händen ; erst als das Feuer ringsum schwieg und den tapferen Vertheidigern, namentlich denen in der Kirche, nirgends mehr Aus sicht sich bot, kamen diese Baulichkeiten durch Capitulation in die Hände der 17. Division . Der Sieg war Deutscher Seits erfochten.

Von Nonneville nach

Villours, von Neuvillers nach Anneux dehnten sich die Vorposten des 1. Bayerischen Armeecorps und der 17. Infanterie-Division aus . Die Ehre des Tages gebührt beiden, sowohl dem 1. Bayerischen Armeecorps, als der so glänzend eingreifenden und das Gefecht so energisch durchführenden 17. Infanterie-Division.

"

Die zahlreichsten

Trophäen hatte letztere aufzuweisen, sie bestanden in fünf bespannten Geschützen, sieben bespannten Munitionswagen, drei unbespannten

ปี

Geschützen ; an Gefangenen hatte die Division gemacht 20 Offiziere, darunter einen General, und 2000 Mann.

(Schluss folgt.)

7

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls etc.

33

II.

Ueber

den

Aufenthalt

Seiner

Excellenz

des

General -Feldmarschalls Grafen v. Moltke im

Orient

in den Jahren 1835 bis 1839, nebst Streiflichtern auf die heutigen Türki schen Verhältnisse.

Von A. Janke, Premierlieutenant à la suite des 3. Pommer'schen Infanterie-Regiments Nr. 14 und Lehrer an der Kriegs schule zu Metz. (Mit zwei Karten.) *) Als ich im Jahre 1871 den Orient bereiste , drängte es mich ganz besonders, die Stätten zu besuchen, auf denen einer unserer gröszten Männer vor bereits vier Decennien sich Ruf und Ruhm erwarb. Eine nur zu wissenschaftlichen Zwecken unternommene Reise führte im Jahre 1835 den Hauptmann im Generalstabe v. Moltke in Begleitung eines Baron v. Berg nach dem Orient. Durch die Wallachei, Bulgarien und Rumelien gelangte Hauptmann v. Moltke Ende No vember bis dicht an die Türkische Hauptstadt.

Er sah hier die

Sonne hinter einem fernen Gebirge emporsteigen, an dessen Fusz ein Silberstreifen sich hinzog - es war Asien, die Wiege der Völker, es war der schneebedeckte Olymp und die klare Propontis, auf deren tiefem Blau einzelne Segel wie Schwäne auftauchten.

Dann leuchtete

aus dem Meere ein Wald von Minarets, von Masten und Cypressen empor - es war Constantinopel. Der Eindruck, den der erste Anblick dieser Stadt auf den Rei senden macht , ist fast immer derselbe. ob des wundervollen Panorama's ,

Er gipfelt in dem Staunen

das sich vor seinen Augen ent

faltet, und man muss Lord Byron Recht geben, wenn er sagt : „ Ich sah Athens heilige Räume, ich sah die Tempel von Ephesus und

*) Die zweite Karte wird dem Inhalte des Aufsatzes entsprechend dem Schlusstheile desselben beigegeben. 3 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

34

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

von Delphi , ich habe Europa durchstreift von einem Ende

zum anderen und die schönsten Länder Asiens besucht, aber nirgend er freute mein Auge ein Anblick, dem von Constantinopel vergleichbar. “ Versunken in diesen Anblick stört nur der Gedanke, solch einen Punkt, den schönsten Europa's, in den Händen der Türken zu wissen, einer Nation, die um Jahrhunderte zurück ist in der Cultur, und die sich , auf veraltete Vorschriften steifend , gegen jeden Fortschritt sperrt.

Will man sich diesen feenhaften Eindruck bewahren, dann

möge man sich mit dem ersten Anblicke begnügen ; denn betritt man erst den Boden dieser Stadt , so wird man angeekelt von dem Schmutze, der in den engen,

winkeligen Straszen herrscht, deren

Häuser, die von Pera und Galata ausgenommen, elende Holzhütten sind, in demselben Maasze hässlich, wie die öffentlichen Gebäude groszartig.

Dieser Schmutz des Orients, den man in allen seinen

Städten findet, ist ein Factor, mit dem die Phantasie, wenn sie sich in den Orient versetzt, nicht rechnet ; man muss ihn gesehen haben, und ein Theil der Poesie ist verschwunden. Der Hauptmann v. Moltke beabsichtigte nur drei Wochen in Constantinopel zu

bleiben und dann über Athen zurückzukehren .

Ein eigenthümlicher Zufall sollte jedoch diese Disposition vollständig umstoszen. Die Pforte wünschte Preuszische Offiziere als Instructoren und hatte zu diesem Zwecke bereits den damaligen Preuszischen Gesandten , Grafen Königsmark ,

um seine Vermittelung ersucht.

Letzterer war nicht darauf eingegangen, sondern hatte nur die Aus sendung Türkischer Militair - Zöglinge Anstalten angerathen .

auf Europäische Bildungs

Der mächtigste Mann nächst dem Groszherrn war zu jener Zeit der Seraskier oder Kriegsminister Mehmet Chosrew Pascha , ein Greis von nahezu 80 Jahren , der die ganze Lebendigkeit, Rührig keit und Laune eines Jünglings bewahrt hatte.

Diesem wurde der

Hauptmann v. Moltke vorgestellt und von ihm über die Preuszischen Militair - Einrichtungen befragt.

v. Moltke's Auskünfte und Rath

schläge erschlossen ihm gleichsam eine neue Welt militairischen Wissens, und die Persönlichkeit desselben machte auf ihn einen so günstigen Eindruck, dass er den Sultan veranlasste, sich persönlich an den König von Preuszen mit der Bitte zu wenden, den Haupt mann v. Moltke zu längerem Aufenthalte in Constantinopel zu be urlauben. Der König von Preuszen , ebenso zurückhaltend mit seinen Diensten, wie die anderen Mächte mit denselben aufdringlich waren,

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

35

bewilligte dem Hauptmann v. Moltke zunächst nur eine Urlaubsver längerung von drei Monaten.

Jedoch war dies der Anfang zu den

näheren Beziehungen zwischen dem Preuszischen und Türkischen Hofe, welchen der letztere grösztentheils das gelungenste Stück seiner Reformbestrebungen , die bessere Organisation des Kriegswesens , ver dankt.

Man muss jedenfalls den scharfsichtigen Blick des alten

Chosrew Pascha bewundern, der in dem Hauptmann v. Moltke die dazu geeignetste Persönlichkeit sofort erkannte. Die erste Thätigkeit des Hauptmanns v. Moltke während des Jahres 1836 bestand nun in verschiedenen Recognoscirungen und Terrain-Aufnahmen .

Begleiten wir ihn zunächst nach den Dar

danellen , die er zu wiederholten Malen besucht hat.

Man fährt durch das Marmora-Meer und gelangt bei Gallipoli in die Strasze der Dardanellen *) vor dem alten Hellespont, der eine Länge von acht , eine Meile hat.

eine durchschnittliche Breite von ein Viertel bis Die Ufer sind nicht so schön als die des Bosporus,

aber auch sie sind interessant durch die geschichtlichen Erinnerun gen, welche sie erwecken. Gallipoli gegenüber, auf Asiatischer Seite, liegt zwischen Oliven und Weingärten das unbedeutende Dorf Lampsaki , wo einst das blühende Lampsakos stand.

In der geräumigen Bucht daselbst hatte

Lysander die Spartanische Flotte versammelt .

Es schien, als wiche er jedem Angriffe aus, doch im richtigen Momente galt sein Angriff

der Athenischen Flotte, die sich schräg gegenüber an der Mündung des Aegospotamos (jetzt Karaovasu)

vor einem solchen geborgen

glaubte . Dort wo der Granikos (jetzt Demotiko) auf Asiatischer Seite mündet, eröffnete Alexander der Grosze seine Siegerlaufbahn durch

*) Vergl. die Pariser Meerengen - Convention (Annex A des Pariser Ver trages vom 30. März 1856). Art. 1. S. M. der Sultan erklärt , dass er des festen Willens ist , in Zu kunft das als alte Regel seines Reiches unwandelbar festgestellte Princip, in Folge dessen es den Kriegsschiffen der fremden Mächte zu allen Zeiten unter sagt war, in die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus einzulaufen, aufrecht zu erhalten, und dass, so lange die Pforte sich im Frieden befindet, S. M. kein fremdes Kriegsschiff in die genannten Meerengen einlassen wird. Art. 2. Wie in früherer Zeit behält sich der Sultan vor, denjenigen leichten Fahrzeugen unter Kriegsflagge Passagefermane zu ertheilen, welche, der Ge wohnheit gemäsz, im Dienste der Gesandtschaften der befreundeten Mächte verwendet werden sollen. 3*

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Asien.

Der Hellespont würde sich schämen, wenn wir dieses Flüss

chen fürchteten, antwortete er seinem Freunde Parmenio, als dieser vom Uebergange abrieth. Allmälig verengt sich der Hellespont, um selbst, wie es scheint, die Heeresstrasze für die vielen Eroberungszüge zu bilden, die hier von Europa nach Asien und umgekehrt unternommen worden sind . Denn dort, wo Alexander hinüberzog, hatte auch Xerxes seine Bru cken schlagen lassen, wie einst sein Vorgänger Darius über den Bosporus .

Lange hat man geglaubt ,

es sei

dies an der engsten

Stelle bei den Dardanellenschlössern gewesen, wo auch Sestos und Abydos gestanden hätten.

Doch nimmt man jetzt allgemein an und

die Terrainbeschaffenheit der Ufer spricht namentlich dafür, dass Abydos an dem heutigen Cap Nagara und Sestos nördlich ihm gegen über gelegen habe .

Von letzterem scheinen die Ruinen an der Ak

Baschi-Bay herzurühren und letztere wäre dann der Hafen von Sestos gewesen.

Die Brücke befand sich nach dieser Annahme zwischen

beiden Städten, d . h. nördlich von Abydos und südlich von Sestos, wo auf Thracischer befindet.

Seite die

einzige

niedrige Uferstrecke

sich

In dieser Gegend landeten auch die Osmanen unter Soliman, und bei dem alten Choiridocastron pflanzten sie 1360 zum ersten Male den rothen Sandschak und das Zeichen des Halbmonds auf. Hier eilte Leander durch die Wogen zu seiner Hero ; hier schwamm auch Lord Byron in einer Stunde und zehn Minuten durch den Hellespont ; ein Fieber war die Folge dieses Wagnisses . Dann endlich kommt die engste Stelle,

99 wo der Hellespont die Wellen

brausend durch der Dardanellen hohe Felsenpforte rollt“ . Der Name der Dardanellen rührt von einer alten Stadt Dardanos her, deren Ruinen sich südlich davon auf Asiatischer Seite vorfinden. Den Abschluss findet die Meerenge bei den sogenannten Neuen Schlössern, von denen das südliche an der Mündung des alten Simois (jetzt Mendereh) liegt. Zu beiden Seiten des letzteren breitet sich eine einsam öde Landschaft aus , es ist die Ebene von Troja , die mehr als jede andere Gegend mit dem Zauber der Fantasie um woben ist und jeden Besucher mit ihrer Mahnung an die Vergäng lichkeit alles Irdischen eigenthümlich ergreifen muss. Ist doch vom heiligen Ilion kaum eine Ruine vorhanden !

Wo das alte Troja ge

standen hat, ist noch heute eine offene Streitfrage.

Die vorhandenen

Ruinen sind bis jetzt noch so spärlich, dass sich ein fester Schluss aus ihnen nicht ziehen lässt. Wenn man den Lauf des Simois von

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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seiner Mündung drei Stunden aufwärts verfolgt, so schlieszt sich die weite Thalebene an eine Hügelkette ,

auf deren Fusz das Dorf

Bunarbaschi liegt , so genannt von der Quelle des Scamandros, der hier aus dem Kalksteine hervorsprudelt.

Besteigt man alsdann in

östlicher Richtung den sanften Hügel , so gelangt man nach einer halben Stunde auf den Punkt , der von den meisten Autoritäten als die Stätte des alten Ilion bezeichnet wird , dessen Mauern nach Homer's Beschreibung der Simois bespülte und an dessen Fusz der Scamandros entsprang. Noch flieszen die beiden Quellen des letzteren, die eine wärmer, die andere kälter, in welchen die Troischen Frauen ihre leuchtenden Gewänder wuschen ; noch flieszt der Simois vom weiszen Ida herab, von dem Zeus dem Treiben der Götter und Men schen zusah und wo Paris den Streit zwischen Aphrodite, Here und Pallas Athene um den goldenen Apfel entschied. Ruinen sind in groszer Zahl vorhanden, aber sie sind späteren Ursprungs und lässt sich ihre Existenz nicht bis auf den Trojanischen Krieg zurückleiten, von dem man ja überhaupt nicht bestimmt weisz, ob seine Helden und einzelnen Ereignisse, wie sie Homer uns be schreibt, Wahrheit oder Dichtung sind. Nur das scheint festzustehen, dass Homer diese Gegend vor Augen gehabt, und so lässt sich das ganze Ilion in Gedanken aufbauen, nicht wie es gewesen, vielleicht aber wie es Homer sich gedacht. Alexander der Grosze veranstaltete um die hier vorhandenen Grabhügel glänzende Leichenspiele, da er die Sage von ihnen glaubte, oder wie wir ehrte.

Auch Hauptmann v. Moltke stand sinnend am

Grabe der mythischen Helden. Nordöstlich von Bunarbaschi liegt der Ort Hissarlik und die Ruinen daselbst werden gewöhnlich als Neu - Ilion bezeichnet .

In

neuester Zeit hat Dr. Schliemann daselbst werthvolle Entdeckungen gemacht und behauptet mit mehreren Anderen, dass dort das alte Ilion gestanden habe.

Ob er aber zu der apodiktischen Gewissheit,

mit der er seine Funde bezeichnet, berechtigt ist, bleibt fraglich. Steigt man südwestlich von Bunarbaschi zur Küste herab , so stöszt man auf colossale Ruinen, welche man als das Alexander dem Groszen zu Ehren gegründete Alexandria troas bezeichnet. Küste liegt der ärmliche Ort Eski - Stambul ,

An der

an dem sich Molen

Ueberreste von dem zu Alexandria troas gehörigen Hafen vorfinden. Vom Grabe des Patroclus, das in der Nähe sich vorfindet, nahm Hauptmann v. Moltke einen Oelzweig mit und kehrte alsdann nach den Dardanellen zurück. Die Trojanische Küste fällt steil zum Meere ab ; es finden sich

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

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gute Ankerplätze vor, die durch die vorliegende Insel Tenedos ge schützt sind. Speciell die Besika - Bay diente 1854 der Englisch Französischen Flotte als Sammelpunkt. Betrachten wir die Befestigungen der Dardanellen, die früher den Ruf der Unüberwindlichkeit hatten, nach ihrer heutigen Be schaffenheit, so finden wir, dass sie diesen Ruf nicht mehr verdienen. An der beinahe eine halbe Meile breiten Einfahrt liegen die „ neuen Schlösser ", so genannt, weil sie erst im 17. Jahrhundert vom Sultan Mohammed IV. erbaut worden sind, als sich die Venetianische Herr schaft auch auf diese Meere zu erstrecken drohte . Sie bilden gleich sam einen vorgeschobenen Posten zu der eigentlichen, an den alten Dardanellenschlössern beginnenden Vertheidigung. Auf Europäischer Seite liegt Sedil-Bahr, der „ Schlüssel des Meeres ", ein unregelmäszi ges Sechseck mit mehreren Thürmen und zwölf Paixhans.

Die

Mauern sind hoch und stark ; vor ihm liegen zwei Erd-Batterien, unmittelbar am Wasserspiegel, durch verbunden.

einen Graben

mit einander

Auf der Höhe über dem Orte liegt noch ein altes Fort,

das aber ganz verfallen ist.

Oestlich davon an einem vorspringen

den Punkte hat der Französische Ingenieur Tott aus den Trümmern eines alten Schlosses ein Werk gebaut , das noch heute Tott's Bat terie genannt wird. Das Asiatische Schloss Kum - Kaleh , „ Sand schloss " , ein Rechteck mit bastionartigen Vorsprüngen , liegt auf ganz

ebener Sandzunge

an derselben Stelle,

wo zwischen

dem

Sigäischen und Rhätischen Vorgebirge die Hellenische Flotte . an das Ufer gezogen sein soll.

Letzteres heiszt heute Janissari und ist mit

einer Menge von Windmühlen bedeckt.

Das Schloss enthält zehn Paixhans und zehn alte Kamerliks (Mörser mit Steingeschossen).

Die meisten Geschütze haben keine Lafetten , sondern liegen auf losen Klötzen. nicht.

Pulvermagazine und bombensichere Räume existiren

Die verfallenden Werke harmoniren auffallend mit der ein

tönigen Umgebung und gewähren nichts weniger als einen kriegeri schen Anblick.

Oestlich von der Einfahrt erweitert sich die Meerenge bis zur Breite von einer Meile, indem das Asiatische Ufer in groszem Bogen zurücktritt. Auf der ganzen Strecke von circa zwei Meilen ist kein Werk vorhanden ; erst wo die Ufer sich wieder bis auf 3000 Meter nähern, beim Cap Barber (Kepes-Burun) finden sich auf jeder Seite alte verfallene Batterien. Noch einmal macht das Asiatische Ufer einen Bogen, bis sich beide bei den alten Dardanellenschlössern auf circa 1500 Meter Hier beginnen die Hauptvertheidigungswerke und zwar nähern.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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zunächst auf Europäischer Seite, eine in neuerer Zeit angelegte vor geschobene Batterie, mit der Front naeh Süd-West. Dann auf der Hälfte zwischen dieser und dem Orte, das Fort von Namasia, das vom General Bluhme ausgeführt ist.

Es besteht aus Mauerwerk und

Erde, hat bombensichere Räume und ein Pulvermagazin, und ist mit 23 Paixhans und einem Armstrong - Geschütz (300-Pfünder) armirt. Nördlich von diesem Fort und mit ihm durch hohe Mauern verbunden ist das alte Dardanellenschloss , „Kilid Bahr ", d. h.

„ Vorlegeschloss

der See", ein fast regelmäsziges Viereck mit flankirenden Thürmen, das durch ein nach drei Seiten bogenartig vorspringendes Reduit mit hohem viereckigen Thurme überragt wird und sich an einen Neun Kamerliks feuern aus den Scharten dieses Hügel anlehnt. Schlosses .

An der Asiatischen Seite liegt auf ebener Landzunge

vor dem Orte Tschanak Kalessi, d . h. Töpferburg, das Schloss Sultani Hissar, das gröszte der alten, von Sultan Mohammed II. im 15. Jahr hundert erbauten Dardanellenschlösser.

Es ist jetzt der Sitz des

Höchst-Commandirenden in den Dardanellen, bei dem man die Er Auch der laubniss zur Besichtigung der Werke einholen muss. Hauptmann v. Moltke nahm hier Wohnung für die Zeit , in der er die Dardanellen recognoscirte. Es ist ein längliches Rechteck mit Thürmen, dessen schmale Seite der See zugekehrt ist. In der Mitte ist ein groszes abgesondertes Gebäude ; nach der Landseite wird das Fort von einem trockenen, nicht tiefen Graben umgeben, während nach der Seeseite und den anstoszenden Flanken eine Mauer mit Schiesz scharten demselben vorliegt. merliks ausgerüstet.

Es ist mit 22 Paixhans und vier Ka

Bei Tschanak Kalessi liegt das Fort Medjidié,

das ebenso wie jenes von Namasia in neuester Zeit vom General Bluhme erbaut ist. Es ist mit 11 Paixhans und einem Armstrong Geschütz (300-Pfünder) armirt. Jenseits dieser engsten Stelle tritt das Europäische Ufer zurück und es entsteht durch das Vorspringen des Cap Naghara eine see artige Erweiterung mit einer Längen- und Breiten - Ausdehnung von fast einer Meile - an deren wichtigsten Stellen Befestigungs werke errichtet sind .

Sie liegen unmittelbar am Wasserspiegel und

könnten ein sehr wirksames Kreuzfeuer abgeben, doch die Mehrzahl von ihnen ist verfallen und nicht armirt.

Auf Europäischer Seite

sind es die Forts Deïermen- Burun und Tscham-Burun, auf Asiatischer ihnen gegenüber

eine grosze Batterie bei

Hassa - Hane und am

nächsten Vorsprunge bei Koise-Burun ein gemauertes Fort mit Block häusern, und auf der Höhe darüber zwei Erdfleschen mit der Front nach der Landseite. Ueber dem Cap Naghara , auf dem circa

40

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

94 Meter hohen sogenannten Xerxes-Hügel, befindet sich eine vier seitige Redoute, und endlich am Cap selbst das Fort Naghara, das mit dem ihm auf Europäischer Seite gegenüberliegenden Fort Bochaly den Abschluss der Dardanellenbefestigungen bildet.

Beide Werke

sind an geeignetster Stelle angelegt und sperren die daselbst 2124 Meter breite Meerenge deren Fahrwasser jedoch auf eine noch viel geringere Breite beschränkt ist — auf eine sehr wirksame Weise. Fort Bochaly ist eine gemauerte Redoute mit 12 Geschützen, Fort Naghara ist ein altes Steinschloss , neben dem sich ein un vollendetes Erdwerk befindet.

Diese sowohl ,

wie die vorhin er

wähnten, zwischen den beiden Engen gelegenen Werke sind mit alten eisernen oder bronzenen Geschützen und mit einigen Paixhans armirt.

Als Besatzung sämmtlicher Werke dienen zwei Festungs

Artillerie-Regimenter,

die den Titel

ganges vom weiszen Meere" führen .

„ 1. und 2. Regiment des Ein Sie sollen im Kriege 4080

Mann stark sein, im Frieden zählen sie kaum ein Drittel dieser Stärke. Die Dardanellen haben lange den Ruf der Untiberwindlichkeit gehabt.

Der Vertheidiger wird allerdings durch die Natur auszer

ordentlich begünstigt.

Die Küsten mit ihren Windungen und Krüm

mungen sind wie geschaffen zur Anlage von Befestigungen. fache Klippen und Sandbänke erschweren die Durchfahrt.

Viel

Dennoch

ist dieselbe möglich , wie bereits das Jahr 1807 bewiesen hat , als die Englische Flotte unter Lord Duckworth sie erzwang, fast ohne Widerstand zu finden.

Während der kurzen Zeit , welche die Eng

lische Flotte im Marmara-Meere zubrachte, wurden die Werke, welche sich allerdings im kläglichsten Zustande befanden, in aller Eile ver bessert, und so kam es, dass die Englische Flotte auf ihrem Rück wege gröszere Verluste erlitt, als bei ihrem Einlaufen. Der Haupt mann v. Moltke berichtete im Jahre 1836 : 99 wenn das Artillerie material in den Dardanellen geordnet sein wird, so glaube ich nicht, dass irgend eine feindliche Flotte der Welt es wagen dürfte, Strasze hinauf zu

segeln " .

die

Das Artilleriematerial ist aber noch

heute nicht geordnet, und überhaupt hat die Marine in ihrer ganzen Ausrüstung einen so gewaltigen Umschwung genommen, dass nur Werke, die dem entsprechend angelegt und armirt sind , ihr Wider stand zu leisten vermögen.

Augenblicklich sind

die Werke der

Dardanellen nichts weniger als unüberwindlich , zumal wenn das Einlaufen einer Flotte durch Cooperationen zu Lande unterstützt wird.

Gerade letztere bieten günstige Chancen, da der gröszte Theil

der Werke nur gegen einen Seeangriff angelegt ist

und keinen

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc. Kehlverschluss hat. fehlt es nicht.

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An Landungsplätzen auszerhalb der Dardanellen

Gallipoli, am Ende des Hellespont gelegen, ist ein sehr wichti ger Punkt, aber unbefestigt ;

wenigstens dürfte sein altes Castell

nicht in Betracht kommen. Bei Beginn des Orient-Krieges 1854 be setzten die Franzosen und Engländer diesen Ort und errichteten, um die Landseite der Dardanellen gegen einen Angriff der Russen von Adrianopel her zu sichern, an der schmalsten Stelle des Thraci schen Chersonnes eine zusammenhängende Reihe von Feldschanzen, welche letzteren recht wirksam abschlieszen und , wenn sie durch permanente Werke ersetzt würden, zur Sicherung der Dardanellen auszerordentlich beitrügen. Begeben wir uns von den Dardanellen nach dem Bosporus. Seine Ufer sind überaus reich an Farben und Formen ; an Mannig faltigkeit der Scenerie übertreffen sie die des Rheins und der Donau an ihren schönsten Stellen.

Es reiht sich hier Ortschaft an Ort

schaft , Palast an Palast ; das Auge kann sich nicht satt sehen an diesem Reichthume, und , wohin wir es richten, schaut es zugleich sagenumwebte, classische Punkte. An der Spitze von Scutari ragt ein einsamer Thurm aus dem Meere hervor ; die Türken nennen ihn Kiskalessi , d. h. Jungfern thurm. Sage ,

Auch Leanderthurm wird er genannt , obwohl er mit der deren Schauplatz der Hellespont war, nichts zu thun hat.

Von ihm aus wurden einst Ketten über das Meer gelegt , um den Bosporus und das goldene Horn abzusperren.

Links bleibt Dolma

baghtsche, der Winterpalast des Sultans, liegen ; der Styl ist eine Art Rococco, gemischt mit Korinthischen und Maurischen Formen ; von Weitem erscheint er nicht übel, nahebei jedoch vielfach überladen und unsymmetrisch. Bei Beschiktasch soll Mohammed II. die flachen Boote gebaut haben, die er auf Rollen hinter Galata herum nach dem inneren Ende des goldenen Horns schaffte, als er den letzten Sturm auf Constantinopel unternahm.

Dann kommt der Palast von

Tschiragan und rechts der neue Palast von Bejlerbeg, der meist den Gästen des Sultans angewiesen wird und auch von unserem Kron prinzen bewohnt wurde.

Unvollendete Palastbauten fehlen nicht,

angefangen von Solchen, die zu Macht und Reichthum gelangt waren und plötzlich in Ungnade fielen . Bauten zu vollenden.

Niemand denkt daran, derartige

Jenseits des Cap Defterdar Burun bei Ku

rutscheskme soll Medea einen Lorbeerbaum gepflanzt haben, als sie auf ihrer Flucht mit Jason daselbst landete. Mehr und mehr

verengt

sich der Bosporus ;

die

von dem

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

schwarzen nach dem Marmara - Meere gehende Strömung wird so an Tauen hinaufgezogen werden müssen. von Bebek, wo im Alterthume ein Tempel Bucht Hinter der lieblichen stark , dass die Boote

der Diana gestanden haben soll , wird die Reihe der Häuser zum ersten Male durch einen Cypressenhain unterbrochen, der einen Fried hof zu beschatten scheint, und kurz darauf schieben sich die beiden Hissaren wie Riegel der engsten Stelle des Bosporus vor und bilden eines der pittoreskesten Landschaftsbilder, das man sich denken kann. Malerisch ziehen sich ihre Mauern, von Cypressen und Epheu bedeckt, die Berge hinan.

So seltsam sind z. B. die des Europäi

schen Schlosses geformt , dass man erzählt,

der Erbauer habe die

Arabischen Schriftzeichen seines Namens Mohammed als Bauplan Es wurde von Mohammed II. zwei Jahre vor der Er oberung Constantinopels erbaut, und wohl mochte Kaiser Constantin

hingestellt.

mit Besorgniss solche Werke entstehen sehen, denn er schickte Ge sandte zum Sultan, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Bau im Widerspruche zu dem mit seinen Vorgängern abge schlossenen Vertrage stände.

Jener antwortete, dass er keineswegs

mit seinen Vorfahren zu vergleichen sei,

und dass er den nächsten

Gesandten des Kaisers lebendig schinden lassen werde. bietung aller Kräfte wurde

Mit Auf

an dem Bau gearbeitet und innerhalb

dreier Monate war die Feste Rumeli - Hissary mit ihren 9 Meter starken und 18 Meter hohen Mauern vollendet. Das Asiatische Schloss Anadolu - Hissary war schon vorher von Mohammed I. erbaut worden. In späterer Zeit war es unter dem Namen „der schwarze Thurm " eines der gefürchtetsten Staatsgefäng nisse . Neben ihm mündet der Bach Gök - Ssiy, der das Thal der süszen oder himmlischen Wasser bildet, welches von den Türkischen Dichtern als das schönste Thal der Welt gepriesen wird.

Der Rasen

platz an seiner Mündung ist ein Lieblingsplatz der Türkischen Frauen, die sich hier in bunten Schaaren einem süszen Nichtsthun hinzugeben pflegen . Zwischen den beiden Schlössern soll die Brücke des Darius ge standen haben, über welche er seine Armee nach dem Scythenlande führte ; doch muss dies wohl ein wenig mehr oberhalb gewesen sein, da gerade bei den Schlössern die stärkste Strömung, Akhyndyssy, d. h. Teufelsstrom genannt, vorbeiführt. Auf dem Vorgebirge Hermäon, wo eben jetzt Rumeli-Hissary steht, war der Thron in den Fels ge hauen, von dem Darius dem Uebergange zusah, und neben dem selben standen die berühmten Säulen, auf welchen in Assyrischer und Griechischer Schrift der Uebergang beschrieben wurde.

Vielleicht

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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sind auch sie, wie die Altäre und Pfeiler der umliegenden Kirchen, zu dem Bau des Schlosses Rumeli verwandt.

Jenseits der Hissaren erweitert sich die Meerenge wieder, ge räumige Buchten mit sehr geschützten Rheden sind namentlich auf der Westseite zu finden ; sie haben oftmals von der sagenhaften Argonauten-Zeit bis zu der der Venetianer und Genuesen den Schau platz für Schiffs-Unternehmungen und Seegefechte gebildet.

In der

Bucht von Istenia, die schönste Rhede des Bosporus, rüsteten sich die Argonauten zu dem Kampfe gegen den König Amykos und errichteten dem Genius, der ihnen in demselben beistand , einen Tempel. Die Bucht von Therapia wurde wegen des Giftes , das Medea dort ausgestreut haben sollte, Pharmakia genannt, doch die Griechen wandelten den Namen in das Gegentheil um und noch heute ist es wegen seiner gesunden Lage, wegen der Kühle, die bereits vom schwarzen Meere dorthin weht, ein sehr beliebter Aufent haltsort. Das Französische und Englische Gesandtschafts-Palais be finden sich daselbst. Gegenüber von Therapia erinnert ein Denkmal an das Lager, das 1833 die Russische Armee auf dem Plateau dartiber aufgeschla

Igen hatte.

In dem Dorfe Chunkiar - Kalessi wurde in demselben

Jahre der bekannte Freundschafts -Vertrag zwischen Russland und der Türkei abgeschlossen, in dem sich letztere verpflichtete, im Falle der Noth, den der Russische Gesandte zu beurtheilen hatte , die Dardanellen allen fremden Flotten zu verschlieszen. Dasselbe Dorf ist ein Lieblings - Aufenthalt der Armenier ; in ihm feierten sie im Sommer 1870 den zehnten Jahrestag ihrer Verfassung, während eine grosze Asche legte .

Feuersbrunst

in

Pera

fast

ihr ganzes

Viertel in

Westlich öffnet sich die weite Bucht von Bojukdereh.

۱۳

Das an

stoszende Thal führt zu dem schönen Walde von Belgrad , der den nordischen Wanderer an seine Heimath erinnert. In diesem Thale, an dessen Hintergrunde man die nach Pera führende Wasserleitung erkennen kann, lagerten die Kreuzfahrer, als sie von hier nach Je rusalem zogen und jene Platanen, die man Yedi-Kardasch, d . h. die sieben Brüder nennt , werden mit Gottfried von Bouillon in Ver bindung gebracht. Bojukdereh macht in seiner oberen Hälfte, wo die Paläste der fremden Gesandtschaften sich befinden, einen statt lichen Eindruck. Die Gegend nördlich von Bojukdereh wird eine andere ; statt des üppigen Anbaues , statt der endlosen Reihe von Häusern und Dörfern, die sich im südlichen Theile des Bosporus vorfinden, sieht

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

man jetzt kahle, rauhe Berge und unheimliche, mit Feuerschlünden gespickte Schlösser, an deren steilen Fels-Abhängen nur einzelne Fischerhütten wie angeklebt erscheinen. Auf Asiatischer Seite er hebt sich zur Höhe von 162 Meter der Riesenberg, der seinen Namen von einem colossalen Hünengrabe hat , das die Türkische Sage für das Grab Josua's, die classische für das des Amykos hält. Letzterer soll dort zur Argonauten- Zeit geherrscht und Alle, die landeten, zum Zweikampfe auf den Cestus herausgefordert haben, den er meister haft zu führen verstand.

Nördlich dieser Gegend beginnt bei der

Enge Hieron, wie sie im Alterthume hiesz, die Hauptvertheidigungs linie des Bosporus ; auf Asiatischer Seite ist das alte Genuesische Castell noch ziemlich gut erhalten , seine Mauern (sind von Lorbeer und Epheu dicht umrankt. Das Byzantinische auf Europäischer Seite liegt fast ganz in Trümmern ; Mauern führten von ihnen hinunter zu den Batterien am Wasserspiegel ;

eine Kette zwischen beiden

Schlössern sperrte den Bosporus und jedes Schiff musste einen Zoll entrichten. An der schroffen Felswand , die auf Europäischer Seite hinter dem Defilee von Mauromolo 156 Meter hoch aus dem Meere aufsteigt , hauste der von den Harpyen gequälte Phineus, bis die Argonauten ihn befreiten, und das Cap, an dem das Fort Karybdsche liegt, hiesz im Alterthume Gypopolis, die Geierstadt. Ihm gegenüber liegt das Cap Poiras, dessen Name wohl gleichbedeutend mit Boreas ist.

Jenseits beider erweitert sich der Bosporus mehr und mehr, bis

er bei den beiden Grenzsäulen das Ankercaps und der Cyaneischen Felsen sich dem offenen Meere vermählt. Das erstere hat seinen Namen von dem Anker, den Jason hier auf seiner Fahrt nach Kolchis mitnahm, letztere von der dunkelblauen Farbe, oder sie werden auch als Symplegaden bezeichnet , weil sie aneinander geschlagen haben sollen, wie die Kinnladen eines kauenden Ungeheuers . Man ver muthet , dass der Grund zu dieser Sage in dem plötzlichen Ver schwinden und Sichtbarwerden zu suchen sei, wenn die schäumenden Fluthen an dem 2 bis 4 Meter hervorragenden Felsen sich zu brechen pflegen. Betrachten wir die Befestigungen des Bosporus , beschaffen sind, näher.

wie sie heute

Seine Breite ist durchschnittlich nur halb so

grosz als die der Dardanellen, die Werke sind zahlreicher, die Küsten des schwarzen Meeres gerade nicht für Landungen günstig, und bei der groszen Nähe der Hauptstadt muss man doch darauf rechnen, dass dieselben hinreichend bewacht und besetzt sind ,

so dass nach

alle dem ein Forciren der Einfahrt in den Bosporus mit gröszeren Schwierigkeiten verbunden sein dürfte

als

bei den Dardanellen.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahreu 1835 bis 1839, etc.

B

45

Ueberdies würde bei der groszen Zahl der Werke beider Ufer eine Landung auf dem Europäischen sowohl, wie auf dem Asiatischen erforderlich sein, um erstere von der Landseite anzugreifen. Wäre die Landung erfolgt , so würden noch Terrain - Schwierigkeiten zu

i

überwinden sein, denn Bergrücken, von vielen kurzen Wasserläufen zerklüftet , begleiten beide Ufer und erreichen nach dem schwarzen Meere zu die Höhe von circa 240 Meter, während sie nach dem Marmara-Meere niedriger werden'; ihr Abfall nach dem Bosporus ist durchschnittlich sehr steil.

Gelingt es aber, die Schwierigkeiten der

Landung und des Terrains zu überwinden, dann allerdings gerathen die Befestigungen in eine sehr üble Lage, da die meisten von ihnen vollständig dominirt werden und in der Kehle nicht geschlossen sind. Zu beiden Seiten der Einfahrt sind gegen Landungen Werke E

errichtet , und zwar

4 Meilen davon auf Europäischer Seite das

Schloss Rilia, ein Viereck mit starken Mauern, 30 Meter über dem Meere gelegen. Als Stützpunkt für die dort aufgestellten Truppen wäre es geeignet, aber eine Landung zumal wenn sie weiter westlich davon, wo das Ufer niedrig und sandig ist, unternommen wird - kann es nicht verhindern . Etwas näher der Einfahrt liegt

be auf Asiatischer Seite das Schloss Riva, 20 Meter über dem Meere, von ähnlicher Beschaffenheit wie das vorige. Es würde ebensowenig 2

eine Landung verhindern können , wenn nicht die ganze Küsten bildung mit ihren schroffen Abfällen zum Meere einer solchen auszer ordentlich ungünstig wäre. Beide Werke befinden sich übrigens in ganz verwahrlostem Zustande. In der Nähe der Einfahrt , die man im Kriegsfalle durch Tor pedo's zu sperren gedenkt, liegen zunächst auf Europäischer Seite das Schloss Rumeli Fener, die Leuchtthurm-Batterie Ischaret, eine offene

Flesche, und die Batterie Papas Burun, eine geschlossene

Mauerflesche ; sämmtlich circa 20 Meter über dem Meere mit steilem Felsabsturze zu demselben, während die Höhen rückwärts sich flach erheben .

Die Breite der Einfahrt von dort bis zur gegenüberliegen

den Batterie Anadolu Fener beträgt 3 bis 4000 Meter. e

Letztere,

circa 20 Meter über dem Meere, ist ein Rechteck mit Cavalier, und ein steiler Felsabhang umgiebt sie auf allen Seiten. Die nächste Vertheidigungslinie, bei der die beiden Ufer sich bereits auf 1500 bis 1100 Meter nähern, wird durch zwei Schlösser und zwei Batterien gebildet. Auf Europäischer Seite ist das Schloss Karybdsche, 20 Meter über dem Meere, auf einem schmalen in den Bosporus vorspringenden Rücken erbaut. Es ist ein unregelmäsziges Viereck mit drei Etagen, von denen die zweite casemattirt ist, und

46

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General- Feldmarschalls

eignet sich im Vereine mit dem ihm gegenüberliegenden Schlosse Poiras sehr zur Beherrschung der schmalen Einfahrt. Letzteres ist von ähnlicher Beschaffenheit.

Auf den beiden dominirenden Höhen

dienen zwei

casemattirte runde Thürme zur Vertheidigung gegen

Landangriffe.

Unterstützt werden beide Schlösser durch die rück

wärts gelegenen Batterien von Bujuk Liman und Fil Burun, erstere unmittelbar, letztere circa 20 Meter über dem Meere. offen, aber an wirksamster Stelle angelegt.

Beide sind

Die sämmtlichen bis

jetzt erwähnten Werke befinden sich übrigens in keinem sonder lichen Zustande und sind nur mit alten eisernen Geschützen armirt. Die Hauptvertheidigung beginnt dann an der schmalsten Stelle, wo der Bosporus sich auf 1100 bis 1000 Meter verengt, mit vier sich gegenseitig wirksam unterstützenden Forts.

Neuerdings ist an dem

Vorgebirge, das die Buchten von Rumeli Kawaghy und Bujuk Liman trennt, mit dem Bau eines neuen Forts begonnen , über welches noch nichts Näheres bekannt ist. Zunächst liegt

auf Europäischer

Seite

das

Schloss

Rumeli

Kawaghy und das Fort Telli Tabia, beides alte Steinforts und am Wasserspiegel gelegen ; ersteres hat zwölf Paixhans und acht eiserne Geschütze ,

Ihnen gegenüber liegt

letzteres fünf Paixhans .

auf

Asiatischer Seite das Fort Anadolu Kawaghy, das nach neuen Prin cipien umgebaut wird und in einigen Jahren fertig werden soll, mit sieben Paixhans und siebzehn eisernen Geschützen. Unmittelbar am Fusze der Uferhöhe gelegen , wird Castell auf der Höhe überragt.

es von einem alten Genueser

Südwestlich davon liegt ebenfalls

auf Asiatischer Seite das Fort Madschjar Kalessi, das bedeutendste der vier Werke, das erst kürzlich nach dem Plane des Generals Bluhme ausgebaut ist und bombensichere Hohltraversen, Pulvermaga zine und Casematten enthält. Es ist mit fünfzehn Paixhans ausge rüstet , wozu noch fünfzehn Geschütze schwersten Kalibers hinzu treten sollen.

Mehrere Blockhäuser an halber Höhe des Riesenberges

sollen es gegen Landangriffe schützen. Hiermit endete die eigentliche Befestigung am nördlichen Bos porus ; weiter nach Süden befanden sich, namentlich auf Europäischer Seite, noch eine Reihe von Batterien, die aber jetzt eingegangen sind.

Als den Abschluss der Befestigungen des Bosporus könnte

man schlieszlich die beiden alten Schlösser Rumeli und Anadoly Hissary betrachten ,

die einen imposanten , aber ruinenhaften Ein

druck machen und nicht armirt sind . nur 300 Meter breit.

Der Bosporus ist bei ihnen

Die artilleristische Besatzung besteht nur aus dem „ Regimente

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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des Einganges vom schwarzen Meere", das im Frieden 680 Mann stark ist und im Kriege auf 2040 Mann gebracht werden soll. Ab sperren durch Torpedo's und Mitwirkung der Flotte werden auch bei der jetzigen Beschaffenheit der Werke das Eindringen einer Flotte erschweren ; letzteres wird unmöglich sein, wenn die Werke, sowie Anadolu Kawaghy und Madschjar Kalessi nach neuen Prin cipien umgebaut und mit neuen Geschützen armirt sein werden. Im Inneren dieser beiden vorgeschobenen Posten des Bosporus und der Dardanellen liegt nun gleichsam als Reduit die Türkische Hauptstadt , die unbefestigt ist und die nur in dem eigentlichen Theile, welchen man Stambul nennt, von einer Mauer umgeben wird, die mehr historisches als militairisches Interesse erregt. Es ist die alte Theodosische Mauer, welche namentlich auf der Landseite in unveränderter Gestalt vorhanden ist , wenigstens haben Menschen hände seit dem Sturme der Türken im Jahre 1453 nichts an ihr gethan, nur der Zahn der Zeit arbeitet an den Lücken weiter, die Epheu umrankt das röthlich - graue jener Sturm ihr beigebracht. Gestein und verleiht ihm im Vereine mit dem Ruinenhaften ein ma lerisches Aussehen. Am Südende liegt das Schloss der sieben Thürme ; es bildete den Haupttheil der Befestigungen auf dieser Seite, liegt aber heute fast ganz in Trümmern . Noch im vorigen Jahrhundert wurden in ihm die Gesandten der fremden Mächte, mit denen die Türkei in Krieg gerathen, gefangen gehalten. In der Nähe muss das goldene Thor gewesen sein , durch welches die Griechischen Kaiser ihre Triumphzüge hielten. Heute ist weder von diesem Thore noch von den Palästen der Blachernen oder Belisar's , deren Pracht die Kreuzfahrer in Staunen versetzte, irgend eine Spur vorhanden. Etwa auf der Hälfte der Landseite bei dem Thore des heiligen Ro manus , das heute Top Kapussi oder Kanonenthor heiszt, war es, wo der Hauptangriff der Türken erfolgte, und wo Constantin, der letzte der Paläologen , den Heldentod suchte und fand. Zur Linken be gleiten Friedhöfe in fast ununterbrochener Reihe die Strasze ; Millionen von Grabsteinen liegen im Schatten der hohen Cypressen, die schon von Weitem die Wohnungen der Todten verkünden .

Es ist eine der

interessantesten Excursionen, 6 ein Ritt längs der Mauern von Con stantinopel. Die Stadt selbst, 1 wie der ganze Bosporus wurden im Auftrage des Sultans von Hauptmann v. Moltke mit dem Messtische aufge nommen.

Er hat die ganze Gegend durchstreift , wie es nur einem

Topographen möglich ist.

Es war das erste Mal , dass ein Franke

seinen Messtisch in den Höfen der Serails aufstellte, und die Auf

1

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

merksamkeit , welche er erregte , war gewiss keine geringe.

Die

Einen hielten ihn für einen Moabidschi , einen Mann, der Süszig keiten auf einer weiszen Scheibe zum Verkaufe herumträgt , und darum suchten namentlich die Kinder mit ihm Freundschaft zu schlieszen. Am neugierigsten waren die Frauen, und groszes Ver gnügen machte es ihnen, wenn er sie abzeichnete. Es war nichts leichter als dieses ; ein groszer weiszer Schleier, aus dem zwei schwarze Augen, ein Endchen Nase und breite zusammenstoszende Augenbrauen herausschauten - und jede glaubte sich getroffen. Die Aufnahme *) fiel ,

abweichend von der bei uns üblichen Ver

messungsperiode, in die Zeit vom September 1836 bis Februar 1837 . Aus dem Jahre 1836 ist noch zweier Excursionen nach Brussa und Smyrna Erwähnung zu thun, welche der Hauptmann v. Moltke im Juni und August unternahm.

Bei ersterer fuhr er zu Schiff an

den schönen Prinzen- Inseln und dem Felsen-Vorgebirge von Posidoni (jetzt Bos-Burun) vorbei nach dem an der gleichnamigen Bucht ge legenen Dorfe Mudania, das die Stätte des alten Apamea einnimmt. Die Gegend südlich davon ist mit Reben und Maulbeerbäumen schön bebaut und erinnert an die Lombardei.

Es führt jetzt zwar eine

Fahrstrasze nach Brussa, aber sie ist von solcher Beschaffenheit, dass die Tour zu Pferde, wie sie auch der Hauptmann v. Moltke machte, vorzuziehen ist.

Brussa, das seinen Namen von Prusias, dem Gönner

und Beschützer Hannibals erhalten hat , ist herrlich an dem Fusze des schneebedeckten, fast 2000 Meter hohen Bithynischen Olymps gelegen.

In Folge des groszartigen Wasser - Reichthums wird das

Auge durch eine überaus grüne Landschaft erfreut , wie selten im Orient.

Die eigentliche Stadt steht theilweise auf senkrecht ab

fallenden Felsen, zwischen denen schöne alte Bäume ihre laubigen Wipfel zeigen, ist mit Mauern und Wällen umgeben und wird durch ein auf einem anderen Felsen erbautes Castell , dessen cyklopische Mauern auf hohes Alterthum hinweisen, beherrscht.

Der warmen

Quellen von Brussa thut schon Plinius der Jüngere, der als Gouver neur der Provinz Bithynien daselbst residirte, in seinen Briefen an Trajan Erwähnung.

Sie sind stahl- und schwefelhaltig, und hängen

*) Vergl. 1. Karte von Constantinopel , den Vorstädten, der Umgegend und dem Bosporus, auf Befehl Seiner Hoheit des Sultans Mahmud II. in 1 : 25,000 aufgenommen vom Freiherrn v. Moltke, Hauptmann im Generalstabe. Berlin 1842. 2. Karte des nördlichen befestigten Theils des Bosporus von den Hissaren bis zu den Leuchtthürmen am schwarzen Meere. Vier Blatt in 1 : 25,000 von demselben Verfasser. Berlin 1856.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1836 , etc.

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wohl mit vulkanischen Erscheinungen zusammen, denn die Gegend wird häufig von Erdbeben heimgesucht.

Mehrere hundert Moscheen weisen auf das Mittelalter hin, als Brussa Osmanische Residenz war.

Die heutige Stadt (73,000 Einwohner) ist eine der ersten Fabrik städte des Türkischen Reichs. Namentlich die Seiden-Industrie ist verhältnissmäszig bedeutend. Von Brussa begab sich der Hauptmann v. Moltke zu Pferde über Gemlik nach Isnik an den gleichnamigen See. Die riesen haften Mauern und Thürme umschlieszen heute ein elendes Dorf mit etwa hundert Häusern.

Einst schützten sie das mächtige, durch

seine Kirchenversammlungen hochberühmte Nicäa.

Die Stelle, wo

diese abgehalten worden sein sollen , wird auszerhalb der Mauern am Ufer des See's

gezeigt.

Von Isnik kehrte

der Hauptmann

v. Moltke über Gemlik und Mudania nach Constantinopel zurück, um alsdann im August eine Reise zu Schiff nach Smyrna an zutreten. Der Busen, in dessen Hintergrunde Smyrna liegt, die liebliche, die Krone Ioniens , wie sie bei den Alten hiesz , oder Ismir, d . h. wie die Türken sie nennen , wird von hohen Gebirgs gruppen umgeben, die kahl , von der Sonne verbrannt sind , aber

Königin ,

überaus schöne Formen zeigen.

Sein Wasser zeichnet sich durch

eine eigenthümlich grüne Farbe aus , und üppig grüne Flachküsten liegen vor den Bergen, so dass die ganze Landschaft einen zugleich lieblichen Charakter erhält.

Ein Theil von Smyrna liegt in der

Ebene, ein anderer zieht sich an dem 300 Meter hohen Pagos hinauf, dessen Gipfel ein Felsenschloss aus der Genueser - Herrschaft trägt. Von ihm aus hat man eine groszartige Aussicht auf das Meer und die Berge, die bei der Morgen- und Abendbeleuchtung in wunder barer Gluth strahlen , man überschaut die Ebene im Osten, durch welche sich der Hermos windet, und im Süden das Thal des Meles, an dessen Ufern Homer, nach Angabe der Smyrnioten, geboren ist, und an dessen Quelle er in dunkler Felsengrotte seine unsterblichen Smyrna ist die einzige von den Gesänge gedichtet haben soll. zwölf Städten der Ionischen Colonie, die ihre Herrlichkeit in die Neuzeit gerettet hat. Sie ist die bedeutendste und blühendste Stadt Klein-Asiens ( 150,000 Einwohner), ein Hauptverkehrsplatz zwischen Asien und Europa *). Eisenbahnlinien führen ihr die Erträge aus

*) Vergl. v. Scherzer : Smyrna mit besonderer Rücksicht auf die geogra phischen, wissenschaftlichen und intellectuellen Verhältnisse von Vorder-Klein Asien. Wien 1873. 4 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

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dem Inneren zu ; die eine Linie geht im Hermos -Thale nördlich um den Sipylos -Berg herum bis Kassaba, die andere südlich nach Aidin im Mäander-Thale. Wo letztere sich am meisten dem Meere nähert, liegt zwischen ihr und dem Kaystros das ausgedehnte Trümmerfeld von Ephesus * ).

Auch von dem hochberühmten Dianentempel und

seinen Riesensäulen ist nicht viel mehr erhalten ; seine Lage ist erst durch neuere Entdeckungen nachgewiesen. In die Zeit nach Beendigung der Aufnahme fällt eine Reise, auf welcher der Hauptmann v. Moltke den Sultan durch Bulgarien und Rumelien begleiten , musste.

Am 24. April 1837 verliesz die

Fregatte Nusrethieh, d. h. die siegreiche des Bosporus, dessen Ufer von dem Donner der Geschütze wiederhallten, und lief gegen Abend in den Hafen von Warna ein. An der Stätte des alten Odessos im Hintergrunde einer von zwei Hügelketten eingeschlossenen Bucht gelegen, gewährt die Stadt von der Seeseite einen stattlichen Anblick. Nur gegen Westen ist offenes Terrain, welches sich nach dem Thale hinaufzieht, wo die beiden Dewna- Seen liegen. Es ist der nördlichste gute Hafen der Türkei am schwarzen Meere, und daher ist die Stadt (20,000 Ein wohner) sowohl in commercieller und administrativer, als auch in strategischer Beziehung wichtig und deshalb oft schon der Schau platz von Kämpfen gewesen.

Der Hauptmann v. Moltke , welcher

im erzbischöflichen Palaste , einer bescheidenen Bretterbude, ein quartiert war, begleitete am Tage nach der Ankunft den Sultan bei Besichtigung der Festungswerke. " Letztere bestanden 1828 aus einer bastionirten Enceinte und einer an der Südseite gelegenen Citadelle. In dieser Verfassung widerstand die Stadt drei Monate lang den Russen, welche die Belagerung anfangs mit unzureichenden Mitteln begonnen hatten, bis Jussuf-Bey, der zweite Commandant, gegen den Willen des in der Citadelle commandirenden Kapudan-Pascha capitu lirte.

Es war dies der einzige ernste Erfolg , den die Russen in

diesem Feldzuge **)

erzielten .

Bei Ausbruch

des

Krim - Krieges

wurden die Festungswerke verstärkt und Warna wurde Sammelpunkt Die Werke sind

der Englisch - Französisch - Türkischen Streitkräfte.

heute jedoch der Bedeutung des Platzes durchaus nicht entsprechend

*) Vergl. Beiträge zur Geschichte und Topographie von Klein - Asien (Ephesus, Pergamos, Smyrna, Sardes), in Verbindung mit den Herren Major Regely, Baurath Adler, Dr. Hirschfeld und Dr. Gezler, herausgegeben von Ernst Curtius. Berlin 1872. **) Vergl. v. Moltke, der Russisch-Türkische Feldzug in der Europäischen Türkei 1828 und 1829. Berlin 1835 .

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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und machen im Gegentheil einen trostlosen Eindruck.

Nun hat sich

neuerdings die Pforte zu Neu-Arbeiten entschlossen .

Nach den von

Bluhme - Pascha entworfenen Projecten sollen im Laufe von drei Jahren die bastionirten Fronten der fortlaufenden Enceinte wieder hergestellt und starke Forts auf den nordwestlichen Anhöhen beim Dorfe Frangi, sowie auf der Südseite bei Galata errichtet werden, mit deren Bau bereits im Juni 1874 begonnen worden ist. energische Anlauf zum Ziele führen wird,

Ob dieser

muss nach den häufigen

Beweisen des Gegentheils dahin gestellt bleiben. Von Warna ging die Reise nach Schumla.

Statt eines vor

schriftsmäszigen Koffers gebot der Hauptmann v. Moltke über einen Tross von zwei vierspännigen Wagen, sieben Handpferden, zwei Maulthieren, vier Kutschern und einigen Pferdejungen .

Der Zug

passirte die Ortschaften Prawady und Kulewdscha, welche in dem Feldzuge von 1829 eine Rolle gespielt haben.

Bei letzterem Orte

brachte Diebitsch in offener Feldschlacht dem Türkischen Corps eine entscheidende Niederlage bei.

Da die Defileen von Madara von den

Russen besetzt waren, konnten die Türken nur auf Umwegen nach Schumla zurückgelangen.

Dies Madara hatte früher nur eine weib

liche Bevölkerung , und war der Zufluchtsort aller gefälligen, ihren Ehemännern verfolgten Schönen aus der Türkei.

von

Noch 1829

lebten dort 2000 Mohammedanerinnen , die unverschleiert gingen, keine alten oder häszlichen Frauenzimmer unter sich duldeten, und die Reisenden ebenso gastfreundlich als in jeder Beziehung gefällig aufnahmen. In Schumla wurde dem Exerciren eines Landwehr - Bataillons beigewohnt.

Bei letzterem sasz der Sultan 1000 Schritt davon in

einem Zelte und rauchte, während das Gefolge an der Erde kauerte. Auch wurden die Festungswerke besichtigt.

Schumla ist in land

schaftlicher Beziehung ebenso schön, als es in militairischer interessant ist.

Es vereinigen sich daselbst die Hauptstraszen, welche von den

Donaufestungen über den Balkan nach Rumelien führen , und so bildet es eine wichtige Centralstellung zwischen der Donau und dem Balkan, ein Hauptbollwerk der Pforte, als welches es sich in allen Kriegen gegen die Russen bewährt hat, die dasselbe vergeblich ein geschlossen haben.

Die Stadt (circa 60,000 Einwohner) liegt am

östlichen Fusze einer Gruppe von Höhen, die durch den Kamdschik vom Balkan getrennt sind, und zwar in einem hufeisenförmigen Thale, dessen Seiten steil und zum Theil felsig sind .

Die Stadt , eine

vollkommene Militair- Colonie, ist offen ; dagegen sind die Höhen von Werken gekrönt , und zwar von einem doppelten Gürtel von Forts 4*

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

und Erdwerken, erstere zum Theil casemattirt ; auszerdem ist im Norden und Süden je eine Redoute .

Bei Ausbruch des Krimkrieges

war Schumla das Hauptquartier Omer Pascha's und Concentrations punkt der Türkischen Armee.

Auch heute bildet es einen der weni

gen Punkte, bei dem gröszere Concentrationen von Truppenmassen stattfinden, und die Türken sind stolz auf diese Festung.

Als be

festigtes Lager wird diese günstige Position am Nordfusze des Balkan immer eine gewisse Bedeutung haben, umsomehr als es in Zukunft Ausgangspunkt für eine durch Rumelien nach Adrianopel führende Bahn werden wird . Die Reise des Sultans wurde # darauf nach den wichtigen Donau festungen Silistria und Rustschuk ausgedehnt.

Die Donau bildet

eine um so wichtigere Vertheidigungslinie als das feste südliche Ufer das sumpfige Wallachische mit den zahlreichen davorliegen den Flussinseln fast durchgängig überhöht. Die an ihr gelegenen Festungen Widdin, Rustschuk und Silistria zählten früher zu den verhältnissmäszig besten der Türkei ,

entsprechen aber in ihrem

heutigen Zustande keineswegs den Erwartungen, welche man sich darauf hin von ihnen macht.

Was Silistria (23,000 Einwohner)

betrifft, so wurde es 1828 eingeschlossen, aber ohne Erfolg ; 1829 regelmäszig belagert , musste es capituliren.

Seit 1849 ist es zur

Festung ersten Ranges erhoben und seit Beginn des Krimkrieges be deutend verstärkt.

Wie 1829 war auch 1854 die Belagerung Si

listria's die erste Operation der Russischen Hauptarmee nach ihrem Uebergange über die Donau, um durch Eroberung dieses Platzes eine sichere Basis zu weiterem Vorgehen gegen die Türkische Balkan Armee zu gewinnen. Aber die regelmäszige Belagerung führte dies mal nicht zum Ziele.

Die Russen gingen auf das linke Donau-Ufer

zurück, zumal sich bereits Omer Pascha mit seiner Hauptmacht von Schumla, die alliirten Franzosen und Engländer von Warna aus zum Entsatze des Platzes in Bewegung gesetzt hatten.

Heute haben die

Werke von Silistria ihre Bedeutung verloren, da sie halb in Ruinen liegen ; eine Wiederinstandsetzung des damals von den Türken tapfer vertheidigten Forts Arab Tabia würde voraussichtlich gröszere Sum men erfordern als ein Neubau. Ein Dampfschiff brachte die hohen Reisenden von Silistria nach Rustschuk. Ein seltsam wehmüthiges Gefühl bemächtigte sich des Hauptmanns v. Moltke, als er am gegenüberliegenden Ufer in Gjurgewo zum ersten Male seit langer Zeit eine christliche Kirche erblickte, und als der befreundete Schall der Glocken durch die klare Abendluft herübertönte.

Wenig hatte das Land jenseits des Stromes

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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mit seiner nordischen Heimath gemein, dennoch rückte es seinem Herzen durch die Glockentöne näher und er grüszte hinüber, als sei es die Heimath. Rustschuk (30,000 Einwohner) liegt auf einer Höhe, die 20 Meter senkrecht zur Donau abstürzt.

Es war in den früheren Feldzügen

der Russen gegen die Türken ein Hauptpunkt militairischer Ope rationen. Im Kriege 1828 bis 1829 wurde es von den Russen nicht angegriffen ; nach dem Frieden von Adrianopel, der diesem ein Ende machte, hörte die Stadt auf Festung zu sein,

Seit dem Herbste 1853

wurden auf den südwärts der Stadt liegenden Höhen wieder mehrere Zwischen der Stadt und dem gegenüberliegenden Forts erbaut. Gjurgewo befinden sich mehrere Inseln ,

die von den Russen im

Orientkriege mit Batterien und Schanzen versehen wurden und den Schauplatz kleinerer Unternehmungen abgaben.

Ueber sie würde

die Brücke führen, mit deren Bau man seit längerer Zeit umgeht, um die seit 1867 bestehende Eisenbahnlinie Warna-Rustschuk mit derjenigen von Gjurgewo - Bukarest

zu

verbinden .

Rustschuk hat

zwar noch einige Bastione in der Nähe des Bahnhofs und an anderen Orten, aber sie sind schon längst isolirt, von der fortificatorischen Linie getrennt und völlig desarmirt. Von Rustschuk erfolgte die Rückreise und es wurde zunächst in Tirnowa Station gemacht, welches nicht mehr als 15,000 Ein wohner hat, aber doch wegen seiner Lage im Mittelpunkte des Landes und seines Verkehrs als die Hauptstadt der Bulgarei zu be trachten ist.

Die Stadt , über welcher die Ruinen eines Schlosses

liegen, in dem die alten Bulgarenkönige residirten, wird vom Jantra Fluss bespült.

Das von letzterem durchflossene Gebirgsthal weist

groszartige Felsbildungen auf und erinnert an das Elbthal zwischen Königsstein und Lilienstein .

Der Balkan wurde im Tschipka - Pass

auf einer speciell für den Sultan erbauten Strasze überschritten.

An

seinem jäh abfallenden Südfusze liegt inmitten eines überaus frucht baren Thales Kasanlik, das Kaschmir Europa's .

Die Rosen werden

dort nicht wie bei uns in Töpfen und Gärten, sondern auf den Fel dern und in Furchen wie die Kartoffeln gezogen. In Adrianopel , der zweiten Residenz des Türkischen Reichs, wurde ein längerer Aufenthalt genommen.

Bauten, wie die mit der

Aja Sosia wetteifernde Moschee Selim's II., geben Zeugniss von der früheren Glanzzeit dieser Stadt .

Die Lage derselben auf dem Wege

nach Constantinopel und am Zusammenflusse der Arda, Tundscha und Maritza verleihen ihr neben der commerciellen Wichtigkeit auch militairische Bedeutung, die vielfach in der früheren Kriegsgeschichte

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

hervortritt. Von den alten Befestigungen sieht man nur noch Ruinen. Die auf einer Anhöhe an der Tundscha gelegene Citadelle vermochte 1829 nicht die Russen zurückzuhalten, welche von hier aus dem Sultan den Frieden dictirten.

Adrianopel (100,000 Einwohner) ist

wichtiger Fabrik- und Handelsplatz , dessen Bedeutung noch zu nehmen wird, wenn das Türkische Eisenbahnnetz, an dem noch die Strecke Sarembeg - Weiszkirchen vollendet sein wird.

und Adrianopel - Schumla fehlen,

Nach einer Anwesenheit von 43 Tagen kehrte der Sultan nach Constantinopel zurück, und der Hauptmann v. Moltke hatte die Freude, Kameraden begrüszen zu können.

Wie bereits oben ange

deutet, hatte die Pforte sich an die Preuszische Regierung mit der Bitte um Absendung mehrerer Offiziere gewendet.

Nach der uner

müdlichen Thätigkeit des Hauptmanns v. Moltke war es nicht zu verwundern, dass erstere eine besondere Vorliebe für Preuszische Instructoren hegte und den Beschluss fasste, die Preuszische Armee Organisation, natürlich unter denjenigen Modificationen, wie die Zu stände des Reichs sie mit sich brachten, und wie sie der Hauptmann v. Moltke in seiner darüber dem Divan eingereichten Denkschrift angegeben hatte, auch für das Türkische Heerwesen zu Grunde zu legen.

Welchen hohen Werth der Sultan auf die Gewährung seiner

Bitte legte, zeigte er unter Anderen dadurch, dass, als sich die An kunft der Offiziere in die Länge zog , bei einer im August 1837 dem Preuszischen Gesandten Grafen Königsmark ertheilten Audienz diesen persönlich um seine Fürsprache ersuchte .

Es war dies nicht mehr

nöthig, die Bewilligung war bereits erfolgt, und nur wenige Wochen darauf trafen die Hauptleute v. Vincke - Olbendorf und Fischer vom Generalstabe, v. Mühlbach vom Ingenieur - Corps in Constantinopel ein. Als dann im Herbste desselben Jahres der Prinz August von Preuszen Constantinopel besuchte ,

nahm der Sultan Gelegenheit

seinen Dank für das dem Türkischen Heerwesen gewidmete Interesse persönlich abzustatten und ihn um seine Vermittelung behufs fernerer Gewährung eines Artillerie-Commando's zu bitten *). Schon im October begaben sich die sämmtlichen Preuszischen Offiziere auf Recognoscirungsreisen. In Adrianopel trennten sie sich. Der Hauptmann v. Moltke

reiste in Begleitung

des Hauptmanns

*) Nachbenannte Preuszische Offiziere befanden sich zur Zeit noch in ' der Türkei : die Generale Bluhme- Pascha , Strecker (Reschid-Pascha) , Malinowski (Emir-Pascha), Grünewald (Iskender-Pascha), Wendt und die Obersten Lehmann und v. Drygalski. Letzterer ist General - Inspector der von der Europäischen Donau-Commission unternommenen Arbeiten.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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v. Vincke nach Burgas am schwarzen Meere, schiffte sich dort nach Sisebulo und Anchialo ein , überschritt den Balkan und reiste zu Lande nach Warna. derum besucht.

Von dort wurden Schumla und Silistria wie

In letzterem Orte gab der commandirende General,

ein Pascha mit drei Rossschweifen, ein Diner alla franca, d. h. mit Gabeln und Messern, bei dem der Champagner in Strömen floss. Nur hin und wieder, sozusagen confidentiellement, bedienten sich der Pascha und seine Türkischen Gäste der fünfzinkigen Gabeln, d. h. der Finger zum Essen. Art.

Dem Diner folgten Lustbarkeiten aller

Unter Anderem trat der Hofnarr, ein bezahlter Spaszmacher,

als Sänger auf.

Es war ein Jude, und der Hauptscherz bestand

darin , dass, während er sang, Jemand sich ihm unbemerkt näherte, ihm den Mund voll Seife schmierte, das Gesicht mit Asche färbte oder einen Kübel Wasser über den Kopf goss.

Schlieszlich wurde

dem Juden der Bart verbrannt, worüber Seine Excellenz der Com mandirende tüchtig lachten. Ein neuer interessanter Terrainabschnitt , der von den beiden Offizieren recognoscirt wurde, war die Dobrudscha .

Es ist dies

'die halbinselartig von den Vorbergen des Balkan gegen Nord- Ost vorspringende, vielfach zerschnittene Hochfläche , welche unterhalb Silistria die nördliche Wendung der Donau veranlasst und theils mit steppenartiger Vegetation, theils aber auch mit ausgedehnten Ge treidefeldern bedeckt ist. Schon die Römer betrachteten die Do brudscha als ein Land, welches man den nördlichen Barbaren Preis " geben müsse. Noch ragen die Trümmer einer fast zweitausendjähri gen Vergangenheit in die Gegenwart hinein.

Der doppelte, stellen

weise dreifache Wall , welchen Kaiser Trajan von Tschernawoda an der Donau hinter der Seenreihe von Karassu bis Köstendsche, dem alten Constantia, am schwarzen Meere erbauen liesz, ist überall noch circa 3 Meter hoch erhalten.

Nach Auszen ist der Graben einge

schnitten, nach Innen liegen grosze behauene Steine, weiter rück wärts findet man noch in gewissen Zwischenräumen die Spuren der alten Castra. Unwirthlich , heute .

wie Ovid sie uns schildert, ist die Gegend auch

Der kleine Ort Anadol Kiöi, in der Nähe von Köstendsche,

wird für das Tomi gehalten, wohin das Machtgebot des erzürnten Herrschers den Dichter verbannte, der einst in blühender Jugendzeit aus der Heimath seinem Mädchen ahnungslos die Worte

zusang,

wenn sie nicht in der Nähe sei , komme es ihm vor, als athme er nicht die gesunde Luft seiner Heimath , sondern als wohne er bei den Scythen und am unwirthlichen Kaukasus.

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls Der nördliche Theil bildet das sumpfige Deltaland der Donau,

welches seit dem Frieden von Adrianopel 1829 zu Russland gehörte, aber im Pariser Frieden 1856 wieder an die Pforte abgetreten wurde. Die damals eingesetzte, auf der Pontus - Conferenz 1871 für einen weiteren Zeitraum von zwölf Jahren bestimmte Donau- Schifffahrts Commission sorgt in wirksamster Weise für die Beseitigung der die Schifffahrt erschwerenden Hindernisse, so dass der Schiffsverkehr, trotz der Concurrenz der seit 1860 bestehenden Danubisch-Pontischen Eisenbahn, von Tschernawoda nach Köstendsche in steter Zunahme begriffen ist. Die Dobrudscha hat trotz der für die Bewegung einer Armee ungünstigen Bodenbeschaffenheit doch grosze strategische Wichtig keit , indem sie von Norden her den bequemsten Weg nach Con stantinopel bietet.

Ihn schlugen die Russen 1828 mit Erfolg ein,

auch 1854 überschritten sie bei Braila , Galatz und Tultscha die Donau , eroberten Matschin und nahmen Stellung am Trajanswalle. Nach ihrem Rückzuge von dort unternahm im Sommer 1854 die Französische Division Espinasse einen Zug in die Dobrudscha,

auf

dem dieselbe bekanntlich durch den Mangel an allem Nothwendigen, namentlich an Wasser,

sowie durch die Hitze und die

Cholera,

welche sich an den ungesunden Sumpfstrichen der Küste und der Donau besonders steigerte, sehr empfindliche Verluste erlitt. Nachdem diese Gegend nach verschiedenen Richtungen bereist war, kehrten die beiden Preuszischen Offiziere im November 1837 nach Constantinopel zurück. In dem Feldzuge der Türken gegen die Aegypter sollten nun mehr aber die Preuszischen Offiziere zu eigentlicher militairischer Thätigkeit gelangen.

In Aegypten

herrschte

bekanntlich

Mehemed Ali.

Dieser,

aus Macedonien gebürtig , wurde durch den Krieg aus seiner Lauf bahn als Tabakshändler gerissen. Sein Oheim musste nämlich im Jahre 1799 in Folge Aufgebots der Pforte ein Contingent von 300 selbst ausgerüsteten Soldaten gegen die Französische Invasions-Armee nach Aegypten schicken. Seinem dieselben commandirenden jungen Sohne gab er den älteren erfahrenen Vetter Mehemed Ali bei. Letzterer wurde bald thatsächlich der Führer und zeichnete sich vor Rosette so aus , dass er noch im Jahre 1801 zum Major befördert und dem neuernannten Türkischen Statthalter Chosrew-Pascha, dem selben, der zu v. Moltke's Zeit Kriegsminister in Constantinopel war, Durch List und Gewalt gelang es ihm im

warm empfohlen wurde.

Jahre 1805 sich zum Pascha von Aegypten aufzuschwingen ;

der

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

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Pforte blieb nichts anderes übrig, als die vollendete Thatsache an zuerkennen und Chosrew-Pascha abzurufen. Im Vertrauen auf seine nach Französischem Muster eingerichtete und ausgebildete Militairmacht unternahm es Mehemed Ali das ihm lästige Verhältniss zum Sultan zu lösen.

Im Sommer 1831 hatte er

seine Rüstungen beendet und beauftragte im November seinen Sohn Ibrahim Pascha , dem als Chef des Generalstabes Soliman Pascha, der zum Islam übergetretene Französische Oberst Sèves, zugetheilt Letztere gelang ;

wurde, mit der Eroberung Syriens.

zu Ende des

Sommers 1832 waren die gegen ihn entsendeten Türkischen Truppen geschlagen und nach Koniah in Karamanien zurückgewichen, während die Aegypter bei Adana, der Hauptstadt Ciliciens , standen . Trotz des bevorstehenden Winters beschloss Ibrahim die Fortsetzung des Krieges, überschritt im October den Taurus in zwei Colonnen, nahm Eregli ohne Schwertstreich und erreichte am 18. November Koniah, von wo sich die Türken in die schwer anzugreifende Position von Akschehr zurückgezogen hatten . Der Sultan befahl darauf ein ener gisches Vorgehen des Türkischen Heeres . Reschid Pascha rückte Am 21. December kam es zur

in Folge dessen gegen Koniah vor.

Schlacht an diesem Orte, welche nach 71stündiger Dauer mit einer schweren Niederlage für die Türken endete. Gefangenschaft.

Eine Umgehung

entschied den Sieg Ibrahim's *). porus offen.

Reschid Pascha fiel in

des linken Türkischen Flügels

Letzterem lag der Weg zum Bos

Die Trümmer des Türkischen Heeres waren nicht mehr

im Stande ihn aufzuhalten.

Die Pforte sah sich genöthigt, die Euro

päischen Mächte um Vermittelung resp . Unterstützung anzugehen . England und Frankreich machten nichts als Versprechungen, nur Russland erklärte sich zur Hülfe bereit. Während dieser Verhandlungen rückte Ibrahim im Februar 1833, ohne Widerstand zu finden, über Kutajeh in der Richtung auf Brussa vor.

Diese gefährliche Nähe bewog

endlich den Sultan, von den

Russen, seinen bisherigen Feinden, Schiffe, Geld und Soldaten anzu nehmen, und die Welt erblickte das auszerordentliche Schauspiel, 15,000 Russen, die auf den Asiatischen Hügeln am Bosporus lager ten, um den Groszherrn gegen die Aegypter . zu schützen .

Dem

gegenüber suchten die anderen Europäischen Mächte, um den Ein *) Mehemed Ali und Ibrahim liebten es, bei jeder Gelegenheit ihrer Er gebenheit und ihrem Gehorsam gegen den Sultan Ausdruck zu geben. Ibrahim behandelte den gefangenen Reschid Pascha mit der gröszten Ehrerbietung, richtete an den Sultan wegen der verlorenen Schlacht ein Condolenzschreiben und bat ihn wegen seines Sieges um Verzeihung.

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Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

7 fluss Russlands nicht zu grosz werden zu lassen, einen Frieden zu vermitteln, der dann auch nach langen Verhandlungen am 5. Mai zu Kutajeh zu Stande kam, Mehemed Ali in dem Besitze von Syrien und Palästina bestätigte und ihm auch das Paschalick von Adana, dieser wichtigen Grenzprovinz, zusicherte *).

Die Armee Ibrahim's

ging bis an den Taurus zurück . Eine Einigung war nun zwar erfolgt , eignet, für immer bestehen zu bleiben.

aber sie war nicht ge

Der durch den Frieden von

Kutajeh geschaffene status quo war ein unhaltbarer.

Nur der Noth

wendigkeit folgend , hatte Sultan Mahmud den Frieden geschlossen. Seitdem war sein ganzes Streben darauf gerichtet, diese Schmach zu tilgen.

Aus diesem Grunde schreiben sich alle seine Reform

bestrebungen, namentlich die das Heer betreffenden her, denn nur durch ein tüchtiges und zahlreiches Heer war es ihm möglich, seine Pläne auszuführen.

Da das Paschalik Adana in den Taurus - Pässen den Zugang nach Syrien verschloss, erschien Kurdistan als eine geeignete Basis. Bereits 1834 wurde ein Armeecorps dorthin geschickt unter dem

*) Die Art , wie dem Mohammedanischen Publicum in dem Türkischen Staats-Anzeiger damals die Beilegung der Streitigkeiten mit dem Vicekönige mitgetheilt wurde, ist eine so eigenthümliche, dass ich sie ihrem Wortlaute nach mittheile : „Von Kutajeh zurückgekehrt, legte der Amadji-Effendi (der Friedens Commissar) die Zeugnisse des vollkommensten Gehorsams und der zweifel losesten Unterwürfigkeit Ibrahim - Pascha's, sowie seine Wünsche und Bitten, mit der Statthalterschaft von Adana begnadigt zu werden, zu den Füszen des Thrones nieder. Der Groszherr, der Schatten des Allmächtigen auf Erden, ist als Empfänger seiner göttlichen Eingebungen sich bewusst, dass , wie einerseits die Würde und Majestät eines Herrschers die Anwendung von Strenge gegen diejenigen erheischt, welche seinem Willen Widerstand zu leisten wagen, auf der anderen Seite ihm das schöne Vorrecht zusteht, gegen solche, die in De muth seine Gnade anrufen, Milde zu üben, Added das gemeine Volk aber, welches von den die Entschlüsse der Herrscher leitenden göttlichen Eingebungen keine Ahnung hat, vermag dieselben weder zu begreifen, noch zu würdigen. So hat denn Seine Kaiserliche Majestät nicht verschmäht , dem Pascha die nachge suchte Verzeihung zu gewähren, seinen Wünschen ein gnädiges Ohr zu leihen und ihm die Statthalterschaft von Adana zu übertragen. " Das ist allerdings eine Kundgebung, aus der man den Ausgang eines beispiellos unglücklichen Krieges , der die Türkei um ein Drittel ihrer Provinzen beraubte, nicht heraus zulesen vermag. In civilisirten Ländern würde eine solche Entstellung der Thatsachen, wie sie es verdient, gebrandmarkt werden ; der Orientalische Leser dagegen genieszt dieselbe mit einer gewissen Bewunderung , die er der sinn reichen Anordnung so schwer in den herkömmlichen Staatsschriftenstyl zu bringender Thatsachen zollt. Vergl. Rosen, Geschichte der Türkei. I. p. 182 .

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

59

Vorwande , dass es die unbotmäszigen Kurdenfürsten unterwerfen solle. Später wurde ein zweites bei Koniah und ein drittes bei Angorah versammelt. Die Gegenwart eines Türkischen Heeres machte die eines Aegyptischen nöthig und umgekehrt.

Kurdistan

und Syrien seufzten gleich sehr unter dem Drucke der Osmanen, und beide Provinzen riefen die Waffen des Gegners zu ihrer Be freiung herbei.

Aegypten absorbirte die ganze Kraft der Pforte und

die Pforte die ganze Kraft Aegyptens .

Dies

war der status quo ,

wie er sich bis in die Jahre 1838 und 1839 hinzog. Im Laufe des ersteren wurden die Preuszischen Offiziere den einzelnen Corps als Müsterschars, d. h. Rathgeber zugetheilt , und zwar gingen die Hauptleute v. Moltke und v. Mühlbach im März 1838 zur Hauptarmee, Fischer im April nach Koniah und v. Vincke später im December nach Angorah ab. Sie erhielten weder Voll machten noch bestimmte Instructionen, sondern nur nachdrückliche Empfehlungen des Groszherrn und den Auftrag, sich so nützlich als möglich zu machen .

Ende October gesellte sich zu ihnen noch der

vormals Preuszische Hauptmann Laue, welcher als nicht mehr im Königlichen Dienste stehend niss trat.

in ein noch schwierigeres Verhält

Folgen wir zunächst dem Hauptmanne v. Moltke.

Vor seiner

Abreise gewährte ihm der Sultan eine Abschieds - Audienz, es war die vierte überhaupt ;

in der ersten,

die stattfand ,

als der Haupt

mann v. Moltke die Aufnahme des Bosporus beendet hatte, erhielt er den Nischan-Orden, in der zweiten eine Tabatière, in der Ab schieds - Audienz einen Pascha - Säbel mit prachtvoller Damascener Klinge. Die Hauptleute v. Moltke und v. Mühlbach begaben sich auf ein Dampfschiff, fuhren durch den Bosporus und an der auszerordent lich schönen Küste des Euxin entlang .

In Sinope wurde zuerst

angelegt, um Kohlen einzunehmen, und die Gelegenheit zur Besichti gung der Festungswerke benutzt. Dieselben bestehen aus einem groszen viereckigen, von drei Mauern und einem Graben umgebenen Castell, das aus Byzantinischer Zeit stammt und, auf einem Isthmus gelegen, die Stadt und eine bergige_Halbinsel vom Festlande ab sperrt. Auszer den in die Mauern des Castells hineingebauten Säulen und Fragmenten ist von der blühenden Hellenischen Colonie, dem Geburtsorte des Diogenes, der Residenz des Mithridates, nichts mehr übrig.

Die 1808 von Französischen Ingenieur - Offizieren zur Ver

theidigung des Hafens angelegten Werke sind theils unvollendet ge blieben, theils verfallen . Da keine Molen vorhanden sind , kann

60

Ueber den Aufenthalt seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

man eigentlich nur von einer Rhede sprechen, die von einem hammer artigen Vorgebirge umgeben wird ,

und den sichersten Ankerplatz

zwischen dem Bosporus und Batum gewährt.

Diese Bucht bildete

den Schauplatz der für die Pforte so unglücklichen Seeschlacht , in welcher am 30. November 1853 eine Türkische Flotten-Abtheilung unter Omer-Pascha von einer überlegenen Russischen unter Nachimoff angegriffen und nach kurzem Kampfe völlig vernichtet wurde.

Das

heutige Sinob ( 10,000 Einwohner) ist wichtig wegen seiner Schiffs werfte , den einzigen, welche die Türkei auszerhalb Constantinopel besitzt. Die benachbarten Eichenwälder liefern ein vorzügliches Material dafür.

Sonst befindet sich die Stadt in ärmlichem Zustande

und ihr Handel ist unbedeutend. Von gröszerer Bedeutung in dieser Beziehung , namentlich als Ausgangspunkt der Carawanenstrasze nach den Ländern des Euphrats und Tigris, ist Samsun (7000 Einwohner). Es liegt östlich von Sinob an einer Bucht , welche durch die von Halys und Iris ange schwemmten Landzungen gebildet wird.

Dort stiegen unsere Rei

senden aus, um auf dem Landwege ihr Ziel zu erreichen.

Der kurze

Aufenthalt wurde zur Aufnahme des Orts und seiner Umgebung be nutzt; es war jedenfalls das erste Mal, dass ein Messtisch im Lande des Mithridates aufgestellt wurde.

Von dem alten Amisus , in dem

dieser mächtige Römerfeind einst herrschte, finden sich Ruinen eine Viertel-Meile von Samsun.

Sie sowohl, wie die Bauten der Genuesen,

welche im Mittelalter Herren aller Hafenplätze Klein-Asiens waren, verspotten durch ihre Festigkeit die späteren Türkischen Anlagen, welche dem Verfalle entgegengehen . Von Samsun schlug die aus etwa 30 Pferden bestehende Cara wane, der sich mehrere Türkische Offiziere angeschlossen hatten, den Weg in das Innere von Klein-Asien ein ; es waren häufig nur Fusz pfade, welche steile Höhen erklommen oder angeschwollene Bäche durchschnitten, während heute eine gute von Europäischen Ingenieuren angelegte Strasze hindurchführt.

Am zweiten Tage wurden die Rei

senden durch einen prachtvollen Anblick belohnt ; vor ihnen lag plötzlich in tiefem, von hohen Felswänden eingeschlossenem Gebirgs kessel das uralte A m'asia , die Geburtsstadt des Mithridates und Strabo.

Interessant sind die colossalen Felsenkammern, welche in

den fast senkrechten Wänden des nördlichen Felsens eingemeiszelt und durch Gallerien und Treppen mit einander verbunden sind.

Es

müssen Wohnungen der Todten gewesen sein, und wohl mit Recht hält man sie für die Gräber der Könige von Pontus.

Auf der

höchsten Kuppe finden sich Mauerreste aus ältester Zeit und an

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

61

vorspringender Klippe an der Stelle der antiken Akropolis ein festes fünfeckiges Genueser - Castell , das als Citadelle dient und der Lage nach eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Ehrenbreitstein hat.

Von

ihm aus bietet sich eine prachtvolle Aussicht auf die an Moscheen und Minarets überreiche Stadt, von denen sich namentlich eine mit vergoldeter Kuppel auszeichnet. Westlich schlieszen sich Gärten und Maulbeerplantagen an, in welche durch zahlreiche Mühlen das Wasser des rauschenden

Iris

(heute Jeschil Irmak) geleitet wird.

Die

heutige Stadt (circa 300,000 Einwohner) hat reiche Seidenanlagen und Fabriken. Am 8. März erreichten unsere Reisenden das an der Stätte des alten Phazemon am Iris gelegene Tokat , welches früher ein wichti ger Handelsplatz gewesen ist.

Die Stadt (circa 40,000 Einwohner)

besitzt noch ausgedehnte Kupferschmelzen ,

welche ,

früher

unter

Leitung eines Oesterreichischen Bergmannes musterhaft betrieben, jetzt unter Türkischer Leitung heruntergekommen sind.

Das Erz kommt

aus dem 14 bis 16 Tagereisen gegen Süd- Ost entfernten, unweit der Tigris - Quellen bei Arghana liegenden Bergwerke Maaden - Chapur, und wird von den Bewohnern gewisser Dörfer gegen Erlass anderer Abgaben nach Tokat befördert, wo es, in den Hütten verschmolzen, von zahlreichen Kupferschmieden verarbeitet oder nach Constantinopel versendet wird.

Der Durchgangshandel von Tokat ist bei der Lage

an der Hauptstrasze nach Ersirum noch immer ausgebreitet , doch ebenfalls in neuerer Zeit viel geringer geworden. Nordöstlich von Tokat liegt unter mächtigen Felsen erbaut das Dorf Gümenek und eine Achtel-Meile von diesem das weite Trümmerfeld von Comana Pontica, einer berühmten altassyrischen Tempelstadt. Ein höchst beschwerlicher Marsch auf verschneitem Saumpfade führte von Tokat nach Siwas (30,000 Einwohner), das in einer vom Kysyl Irmak, dem alten Halys, bewässerten, kornreichen Ebene liegt. Eine Citadelle ist auf einem Hügel, eine andere im Innern der Stadt erbaut ; die von letzterer eingeschlossene Moschee hat eine auszer ordentlich reiche Façade ; man führt diese zierliche und geschmack volle Arbeit, die sich auch bei anderen Gebäuden der Stadt vorfindet, auf die Zeit der Persischen Herrschaft zurück . Südlich von Siwas wurde der 200 Meter breite Halys über schritten und eine salzreiche, vegetationslose Hochebene im Antitaurus erstiegen, dessen höchste Stufe der 1565 Meter hohe Delikli - Tasch, die Wasserscheide des schwarzen , mittelländischen und indischen Meeres bildet.

Sanft fällt die Hochebene gegen Süden ab ;

es ist

62

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls etc.

eine vollständige Einöde, die trotz des 39. Breitengrades noch im März mit tiefem Schnee bedeckt war. Von den Saumthieren war ein Fuszpfad gebahnt , und auf dieser schmalen Linie ging der Marsch mühsam und langsam von Statten.

Bei Hassau - Tscheleby

hörte die Schneeregion auf; mächtige Felswände erhoben sich, welche in ihren Formen den Wogen eines stürmischen Meeres glichen, und am 16. März erblickten unsere Reisenden tief unter sich in einer engen Schlucht den Fluss, den die gröszten Römischen Imperatoren als die natürliche Grenze ihres unermesslichen Reiches ansahen. Sie überschritten ihn bei dem Städtchen Kjeban Maaden , dass Fusze einer schmalen Reihe zackiger Berge gelegen ist , Fluss zu einer weiten Windung nöthigen.

am

die den

Der Euphrat gleicht hier

der Mosel ; eine Stunde oberhalb vereinigen sich der aus der Gegend des Ararat kommende Murad mit dem von Ersirum kommenden Frat.

Der gröszte Theil der aus 400 bis 500 Familien bestehenden

Bevölkerung wird in Blei- und Silberminen beschäftigt.

Griechen

sind die Arbeiter, Armenier die Handwerker, Türken die Directoren. Letzterer Umstand beweist schon, dass der Ertrag der Minen kein bedeutender sein kann. Noch ein Tagemarsch trennte die Carawane von ihrem Ziel ; sie erreichte letzteres in Charput , wo das Hauptquartier der soge nannten Taurus- oder Ost-Armee sich befand, und wo sich die beiden Preuszischen Offiziere bei dem Commandirenden Hafiz Pascha mel deten, der sie freundlich empfing. Die Türken exercirten daselbst auf den Dächern der Häuser, als den einzigen horizontalen Ebenen dieser Gebirgsstadt. Sie hat eine Citadelle und ist auf einem Hügel mit schroffen Felswänden erbaut, der sich aus der Ebene erhebt und von den ringsumherliegenden Höhen überhöht wird . verhältnissmäszig wohlhabend und productiv.

(Schluss folgt. )

Die Gegend ist

General Stonewall Jackson.

63

III. General Stonewall Jackson.

Von Major Scheibert. I. Keine Persönlichkeit stellt uns den Südländer in seinem Denken, Treiben und Handeln so trefflich dar, als die des Generals Jackson. Derselbe ist sogar ein treueres Abbild des Virginiers als General Lee, weil Letzterer über der Masse, in gewisser Beziehung über den Lee war aus altem Geschlechte hervorgegangen, Parteien stand. dessen Ahnen bis zu den Kreuzztigen emporreichten, ein Sprosse der altenglischen Aristokratie, welche dem Puritanismus wich , ein Bild jener selbstständigen südlichen Republikaner, welche die unwissende Deutsche Presse mit dem Titel „ Sclavenbarone " gebrandmarkt hat. In den Händen seiner Väter und in den seinigen hatten sich die Fäden der Politik oft vereint gefunden, und so war ihm ein weiterer Blick auch über die staatlichen Verhältnisse gegeben . daher den Entschluss ,

Lee konnte

die Partei zu ergreifen, der er später mit

Leib und Seele angehörte, nicht mit dem blinden Enthusiasmus seiner Landsleute fassen.

Er erkannte die Fehler, welche auf beiden Seiten

gemacht wurden, er sah die blutige Fackel eines grässlichen Bürger krieges

sich entzünden,

und vielleicht ahnte er in dunkler Vor

empfindung den traurigen Ausgang des Bruderzwistes.

Jackson trat

dagegen mit der rückhaltslosen , feurigen Leidenschaftlichkeit des Amerikaners für die verkürzten Staatsrechte ein und gab sich ohne Skrupel der vaterländischen Sache hin , weil er nur Gerechtigkeit erblickte, wo Lee auch Einseitigkeit fühlte und er sich ganz und voll der tosenden Flut anvertraute, wo Jener auch die nachkommende Ebbe spürte. Wie Lee, war auch Jackson in seiner frühesten Kindheit eine Waise geworden, doch hatte er auch die Mutter verloren und war in den ärmlichsten Verhältnissen zurückgeblieben, so dass er unter Hierdurch erhielt er zwar Verwandten und Fremden aufwuchs. seinen festen unbeugsamen Charakter, aber auch jenes Eckige und Scheue, welches sofort bei ihm auffiel und ihn nie verlassen hat. Während Lee sich, selbst in abgetragenen Kleidern, peinlich sauber hielt und zu Fusz und Pferde eine elegante Erscheinung war, so

General Stonewall Jackson.

64

legte Jackson auf sein Aeuszeres gar keinen Werth.

Niemand hätte

in dem Dahinschlendernden den groszen Feldherrn vermuthet.

Mit

krummen Knieen , in langen Stiefeln, vorneüber gebeugt , ging er einher, wobei er das eine Bein etwas nachzog. ständig abgetragen.

Sein Rock war voll

Man sah, dass Wind und Wetter, der Schmutz

der Bivouaks , zahlloser Regen und heisze Sonne versucht hatten, das ursprüngliche Grau in eine unbestimmte Farbe zu verwandeln. Das Käppi, welches einen gelben Ton erhalten hatte, sasz so tief in der Stirne, dass der General den Kopf hoch halten musste, um unter dem Schirme wegsehen zu können .

Sein Gesicht war mild und fast

einem Christuskopfe ähnlich, wozu die leise Sprache, ein wallender, schwarzer Bart und das lange, etwas lockige Haar trefflich passten. Auf seinem abgetriebenen, nichts weniger als schönem Dunkelfalben sasz er gebückt und mit kurzen Bügeln, die Zügel nachlässig haltend. Nichts an ihm verrieth den feurigen General.

Im Schlachtgetümmel

war er allerdings ein anderer ; dort befand er sich in seinem eigent lichen Elemente .

Dann hob sich seine gebeugte Gestalt, dann fun

kelten seine sonst milden Augen Feuer und Glut , dann war seine Stimme von ergreifender Gewalt und durchdringender Schärfe. Lee behauptete in allen Lagen des Lebens

eine würdevolle

Haltung , welche eine gewisse Unnahbarkeit aussprach , und selbst im Bivouak, bei dem abscheulichsten Wetter wusste er seinem Auf treten einen besonderen Adel zu bewahren. Sein einfaches Zelt, welches sich von dem des Soldaten nicht unterschied, und in welchem ich im April 1863 die Ehre hatte, acht Tage zu campiren, war ein Muster von Ordnung und Sauberkeit. Jackson hingegen schien die originellen Stellungen zu lieben, entweder lag er an einen Fence zaun gelehnt , oder er sasz auf einer Protze oder sonst einem nur irgendwie benutzbaren Gegenstande, oft mitten unter den Soldaten. Sein Zelt und dessen Umgebung entsprachen der nachlässig genialen Cooke, den ich im Stabe Stuarts kennen lernte,

Weise des Insassen .

und welcher lange ein Begleiter Jacksons war, verdanken wir eine treffliche Biographie des verehrten Helden.

Er beschreibt das Haupt quartier desselben bei Moss Neck im Winter 1862-63 , welches uns an ein ähnliches in Jütland erinnerte. Ehe sein Zelt ankam , schlug

Jackson sein Hauptquartier in einem kleinen Nebengebäude des Corbin House auf; Alle, die damals bei ihm zu thun hatten, waren über die sehr eigenthümliche Art überrascht, in welcher die Wände der Räumlichkeiten verziert waren. Hier hing das Portrait eines berühmten Kampfhahns, bereit seinen Gegner zu empfangen, dort wüthete ein bekannter Rattenpinscher unter den ihn umzingelnden

General Stonewall Jackson. Vierfüszlern ;

dazwischen hingen Racepferde ,

65 Portraits berühmter

Leute etc., so dass, als der stets aufgeräumte Stuart ihn einst be suchte, er sagte : Ich möchte Sie mit ihrer ganzen Umgebung photo graphirt haben mit der Unterschrift :

„ Anblick des Winterquartiers

von General Jackson, welches ein Bild der Neigungen und Sitten des Besitzers darstellt" . Jackson's herzliches Gelächter folgte diesem Scherze.

Ueberhaupt konnte Jackson von Herzen, man möchte sagen,

wie ein Kind fröhlich sein ; hundert liebenswürdige Anekdoten existir ten über ihn.

Auch hierin unterschied er sich von Lee, der über

den Anekdoten stand und dessen, wenn auch stets freundliche Züge, selten mehr als ein Lächeln überflog.

Durch alle diese Eigenschaften

wirkte Jackson unmittelbarer auf seine Umgebung ein und war so im weitesten Sinne ein „ Truppenführer". Noch mehr tritt dieser Umstand zu Tage, wenn man die Art der Truppenführung Jackson's wirft.

einer näheren Untersuchung unter

Jackson schöpfte seine Pläne und Anschläge aus einem un

versiechbaren Füllhorne ; seine geniale Natur, die von Grund aus zum „ Soldaten" angelegt war, liesz ihn nię im Stiche, er besasz gewisser maaszen eine Auswahl von Anschlägen, eine Ueberfülle von Ein fällen, die ihm zur Verfügung standen ; rasch plante er daher wie ein Reiter aus dem Sattel und pfeilschnell folgte dem Gedanken blitze der Schlag. „ Lee dagegen arbeitete langsam, indem er müh sam combinirte und rastlos verglich ;

er fühlte die übergrosze Ver

antwortlichkeit, die auf seinen Schultern lag, er sah. die besten Söhne des Volkes , das Schicksal seines Landes in seine Hand gegeben, ihn drückte das rücksichtslose Vertrauen, welches Alles auf ihn setzte. So trieb ihn seine tief gefühlte Verantwortlichkeit vor Gott und den ihm vertrauenden Volke an, alle seine Kräfte darauf zu richten, seine Pläne so vollendet wie möglich zu machen, durch Ab wägen aller Chancen und durch Vermeiden des kleinsten Unfalles , der seine Rechnung durchkreuzen und dem Ganzen Schaden bringen könnte “ *). Lee hätte es in jedem Stande durch seinen eisernen Fleisz , seine vielseitigen Kenntnisse und seine Pflichttreue zu etwas Her vorragendem gebracht ; er hätte in jedem Boden Wurzeln geschlagen und Früchte getragen. Anders Jackson . Er war ein Soldat . Er athmet Schlacht und Gefecht.

Seine milde Natur sprüht Feuer, so

bald das Schlachtgetöse beginnt, seine sonst sanften Augen funkeln,

Die Saturday Review schreibt über dieses Urtheil des Verfassers : „ Nie ist wohl je ein General treuer geschildert worden". Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII. 5

General Stonewall Jackson.

66

seine sonst zarte Stimme gellt, seine gebückte Haltung hebt sich, sein ganzes Wesen jauchzt , wenn die Kriegstrompete schmettert. Da gegen schrumpft er als Professor zu einem Nichts , zu einem von den Knaben selbst verspotteten Sonderling zusammen, sobald der Frieden ihn umgiebt. Die Blume vertrocknete , sobald sie vom Schlachtfelde versetzt ward. Es war wohl kein Wunder, dass zwei so verschieden angelegte Naturen, die einem Ziele zustrebten, sowohl als Soldaten, wie als Christen sich ergänzten, zu einem glänzenden Ganzen sich verbinden mussten ; der äuszerlich kühle, der anglicanischen Kirche in gläubi ger Hingebung angehörende Lee und der mit kindlichem, felsenfestem Vertrauen zu

der presbyterianischen Confession sich bekennende

Jackson, dessen Wesen Gebet athmete, wie Cooke sagt, und dessen unerschütterliche Zuversicht auf die Führung Gottes ihn zu einem unüberwindlichen Helden erhob. ―――― II. Thomas Jonathan Jackson, dessen Groszeltern in Amerika ein gewandert waren, wurde am 21. Januar 1824 zu Clarksburg in Vir ginien geboren.

Sein Vater, ein Rechtsanwalt, welcher später gänz

lich verarmte, hinterliesz vier unmündige Kinder, von denen Thomas, der Jüngste, erst drei Jahr alt war.

Nach einer unter harten Ent

behrungen verbrachten Jugend, gelang es ihm nur mit vielen Schwierig keiten im Jahre 1842 als Eleve in West Point aufgenommen zu werden. Im Juli 1846 , also 22 Jahre alt, nachdem er mit Auszeichnung sein Examen absolvirt hatte, wurde Jackson Secondelieutenant der Artillerie und sofort nach Mexico gesandt,

wo der Krieg wüthete.

Sein unerhört schnelles Avancement in diesem Feldzuge bekundete damals schon den tüchtigen Soldaten. er Premierlieutenant ,

im August

Schon im August 1847 wurde

1848 für Auszeichnung in den

Schlachten von Contreras und Churubusco Capitain, und im März 1849 für sein Benehmen in der Schlacht von Chepultepec Major mit vordatirtem Patent. Kein Offizier der Nordamerikanischen Armee konnte eine ähnlich schnelle Beförderung aufweisen. Allein das Klima hatte die Gesundheit Jackson's ernstlich gestört, und so musste er im Februar 1852 seinen Abschied nachsuchen und erhielt eine Anstellung als Professor an dem Militair-Institut in Virginien .

Hier

heirathete er die Tochter eines Geistlichen, Miss Junkin , welche aber bald starb ; später vermählte er sich mit Miss Morrison ; diese schenkte ihm nicht lange vor seinem Tode ein Töchterchen.

General Stonewall Jackson.

67

Von Jackson's Treiben in Mexico ist wenig zu uns herüber gekommen, nur dass er fest an eine Vorherbestimmung glaubte, ohne, Sein Spruch war „Thue deine wie Napoleon, Fatalist zu sein. Pflicht und überlasse das andere Gott" . In diesem Sinne setzte er sich oft dem dichtesten Kugelregen aus, kaltblütig seinen Kameraden zurufend : „ Ihr seht, das schadet mir Nichts ! " Als Professor war er weder bei seinen Schülern, noch bei seinen Collegen sehr beliebt , oder besonders hoch geschätzt ; die Eleven machten oft Scherze über seine sonderbaren Manieren, und unzählige Anekdoten über den „ Old Tom " machten die Runde. Es ist ja bekannt, wie oft dies Verkennen in Friedenszeiten vorkommt. Ein anderer Professor z. B. an derselben Akademie, ein Oberst G., hatte durch seine vorzüglichen taktischen Vorträge und die Würde und Lebhaftigkeit seiner äuszeren Erscheinung die Aufmerksamkeit aller Collegen und auch der Behörden auf sich gerichtet.

Ihm wurde

daher ein wichtiges Commando anvertraut, als der Bürgerkrieg aus brach. Doch bald wurde seine vollständige Unfähigkeit zur Truppen führung erkannt, so dass er in geringeren Stellungen verbraucht werden musste. Wie anders entwickelte sich die Grösze des halb vergessenen und häufig verspotteten Jackson ! Durch den Gouverneur von Virginien, Letcher, zum Commandeur eines kleinen Observationscorps bei Harpers Ferry ernannt, welches er mit dem Range eines Obersten am 3. Mai 1861 übernahm, wandte Jackson sofort seine Aufmerksamkeit der Ausbildung seiner Leute zu, die er in fortwährendem Drill und in rastloser Thätigkeit erhielt. Das Frühjahr des Jahres 1861 war nicht dazu geeignet, grosze mili tairische Lorbeeren zu ernten.

Es begann mit Gefechten halb un

disciplinirter Truppen , die zu keinen nennenswerthen Resultaten führten.

Dennoch zeigte Jackson schon in den ersten, kleinen Unter

nehmungen Festigkeit in der Ausführung und eine grosze Geschick lichkeit, die Truppen zu handhaben. In der Schlacht bei Bull Run kamen bereits die Früchte seiner Anstrengungen zur Geltung , denn dort erhielt seine Truppe den ehrenden Beinamen „ Stonewall- Brigade ", ein Epitheton, welches den Führer kennzeichnete .

Die Mähre sagt (wie überhaupt die Rapporte

über die Schlacht bei Bull Run etwas Sagenhaftes an sich tragen), dass General Bee, ehe eine Kugel ihn tödtete, seinen Leuten zuge rufen haben soll : „ Da steht Jackson wie eine Felsmauer (Stonewall). Lasst uns hier sterben und wir werden siegen. Folgt mir! " Jeden falls war nach dieser Schlacht schon der Name Jackson's in aller Munde, und sein Ruf so grosz, dass ihm das wichtige selbstständige 5*

General Stonewall Jackson.

68

Commando im Virginienthale anvertraut wurde,

bei dessen Ueber

nahme ihn nur der Abschied von seiner ihm lieb gewordenen Bri gade schmerzte .

Nun sollte sich das Talent als Truppenführer bald

in seiner ganzen Grösze entfalten. Das ihm anvertraute Commando übernahm Jackson im November zu Winchester über ein Corps von nicht ganz 4000 Mann.

Obgleich

der Winter alle Operationen in Amerika verbietet, so lag doch Jack son in seiner isolirten Stellung Alles daran, sich gefürchtet zu machen. Er unternahm daher im Januar im schauderhaftesten Wetter und auf Straszen, iu denen Mensch und Vieh fast versanken, eine Expedition, um den in Bath und Romney, in einem Seitenthale sich befindenden Nordländern einen Besuch abzustatten.

Obgleich dieser Zug glückte,

so wurde der Führer doch getadelt, da Niemand im Süden die Ab sicht ahnte, welche Jackson mit diesem Unternehmen verband. Wenn man die Blätter jener Zeit lies't , glaubt man, dass nur ein halb Toller solch eine, Truppen und Pferde ruinirende Marschübung planen konnte.

Erst als die späteren Schläge lehrten, dass dieser Hieb eine

nothwendige Ouvertüre zu dem glänzenden kriegerischen Drama des Frühjahres 1862 war, wurde der kühnen Bewegung der Beifall ge zollt, der ihr gebührte.

Um die bei Winchester stehende kleine Schaar zogen sich von allen Seiten die Gewitter zusammen :

Südlich Harpers Ferry stand das Corps Banks , welches über 30,000 Mann zählte. General Fremont mit zwei Divisionen operirte westlich des Aleghany gebirges, etwa bei Franklin .

Zwischen der blauen Kette und Fre

dericksburg ( 19 Meilen östlich) stand das Corps Mac Dowall , welches vorläufig die Division Sigel gegen das Virginienthal detachirte. 1 Das Corps Mac Dowall sollte gewissermaaszen à deux mains gebraucht werden.

Einmal um General Mac Clellan zu unterstützen,

welcher mit gegen 100,000 Mann auf der sogenannten Halbinsel ge landet war, um Richmond einzunehmen , andererseits um die kühnen Züge Jackson's im Virginienthale zu paralysiren, welche Washington zu bedrohen schienen und die Regierung daselbst in Furcht und Schrecken versetzten .

Wir können gleich voranschicken, dass, Dank

der ängstlichen und laienhaften Direction der Operationen von Seiten des Washingtoner Cabinets, das Corps Mac Dowall keines jener Be stimmungen erfüllen konnte, sondern unter fortwährenden Hin- und Hermärschen nutzlos die kostbarste Zeit vergeuden musste.

General Stonewall Jackson.

69

Skizze der Operationen im Virginien -Thal . Potomak

o Bath

o Harpers Ferry

o Martinsburg o Romney

o Winchester

o M. Jackson

Mannassas Pass Front Royal

25 Meilen

Blaue

Virgini Thal en .

o Straszburg ·

-

Aleghany Berge

N

Kette

Snickers Pass o Kerrtown

Luray

o Harrisonbury

O Franklin

Cross Kays

o Port Republic

O Mac Dowall

o Staunton Bahn nach Richmond

(20 Meilen).

Im Anfange März 1862 setzte sich das Corps Banks in süd licher Richtung in Marsch.

Jackson, nachdem er alles bewegliche

Eigenthum vorausgeschickt hatte, wich langsam nach Süden aus, in dem er seinen Rückzug durch die Cavallerie unter Ashby's genialer Leitung decken liesz.

Bei Harrisonbury etwa erhielt er durch Ashby

die Meldung, dass der Feind von Straszburg abziehe und offenbar einen groszen Theil der Truppen nach dem Snickers-Pass absende, um Mac Clellan gegen Richmond zu detachiren.

Dies wollte Jackson

um jeden Preis verhindern, er ging deshalb in Eilmärschen nördlich und schlug auf den zurückbleibenden, wenn auch noch 13fach über legenen Feind bei Kerrtown los .

Wenn die Schlacht auch unent

schieden blieb, so war sie dennoch von groszem Erfolge, indem das nach Osten gesandte Detachement , die Division Sedgwick, wieder zurückgeholt wurde, und so 15,000 Mann im Thale verblieben, statt Mac Clellan's Armee zu verstärken.

General Stonewall Jackson.

70

Vor der nun vereinten Macht zog sich Jackson wieder zurück, und hielt durch eine äuszerst vortheilhafte Stellung bei Mt. Jackson den Feind 14 Tage lang in Schach.

Dann zog er sich weiter süd

lich, wobei Banks ihm vorsichtig bis Harrisonbury folgte.

Jackson

näherte sich inzwischen seinen Verstärkungen, den Divisionen John son und Ewell, welche in der Gegend von Staunton zu ihm stieszen. Durch diesen Zuwachs, welcher sein Corps auf etwa 15,000 Mann brachte, fühlte er sich stark genug, die Vereinigung der Corps Banks und Fremonts zu verhindern, die sich bedenklich einander genähert hatten.

Er liesz deshalb Ewell dem General Banks gegenübertreten

und fiel selbst mit seiner und Johnsons Division mit jener Heftig keit , die ihn auszeichnete, am 7. Mai über das nach Osten vor schreitende Corps Fremont her, dessen vorderste Divisionen Schenk und Milray er schlug und bis Franklin verfolgte.

Zu seinem Leid

wesen entriss das sehr coupirte waldreiche Terrain ihm die materielle Ernte der Verfolgung und er musste sich mit dem allerdings groszen moralischen und strategischen Erfolge begnügen.

Banks,

statt mit

aller Kraft zu versuchen, die so wichtige Verbindung mit seinem Kameraden im Westen zu erstreben (die Eifersucht der Commandeure war wohl der Hauptgrund der Zögerung), zog sich inzwischen, lang sam von Ewell gefolgt , nach Straszburg zurück ,

wo er sich ver

schanzte. Jackson liesz seinen Gegner westlich des Aleghanygebirges bald los und ging nun mit vereinter Macht seinem nördlichen Gegner zu Leibe ; allein hierzu nahm er nicht den directen Weg, sondern marschirte über Luray auf Front Royal zu , um einestheils die Verbindung zwischen Banks und Mac Dowall zu durchschneiden, andererseits um auf die Rückzugslinie des Ersteren zu drücken und ihn aus seiner festen Position bei Straszburg hinaus zu manövriren. Dem Plane gemäsz sprengte er am 23. Mai die Besatzung von Front Royal auseinander ,

und ging dann in schnellen Märschen nach

Westen, um nördlich von Straszburg die Strasze zu durchschneiden und so das nördliche

Corps

vom Potomac abzuschneiden ;

doch

Banks war der Schlinge entgangen, indem er, gefolgt von Ashby, ziemlich rechtzeitig von Straszburg abmarschirte , so dass nur ein zelne seiner Abtheilungen und Colonnen abgeschnitten wurden.

Ihn

selbst jedoch holte Jackson bei Winchester ein und ihn auf beiden Seiten umfassend , schlug er den überlegenen Gegner vollständig in die Flucht und jagte ihn über den Potomac.

Allein selbst jetzt war

Jackson's Aufgabe im Virginienthale noch nicht erfüllt ,

denn noch

waren die Corps Fremont und Mac Dowall im Stande, nach Rich mond zu folgen, sobald Jackson sie losliesz .

Er musste auch diese

1

General Stonewall Jackson. beiden Gegner erst überwinden.

71

Dieselben hatten die Zeit der

Schlacht bei Winchester und der Verfolgung benutzt , um sich ein ander zu nähern, und war das Corps Fremont einerseits bis Strasz burg, die Division Shields vom Corps Mac Dowall andererseits bis Front Royal gekommen ,

und ein forcirter Marsch konnte diese

Gegner zu einer gefährlichen Uebermacht vereinen.

Jackson liesz

daher nur eine schwache Truppe am Potomac stehen und eilte nach Süden, um sich zwischen die beiden feindlichen Corps zu werfen, was ihm auch unter vielen Scharmützeln gelang.

Da seine beiden

Gegner immer weiter südlich marschirten, um ihre Vereinigung zu bewirken, so hielt Jackson dieselbe Marschrichtung ein, sich stets in der Mitte derselben haltend, bis endlich südwestlich Harrisonbury die beiden Colonnen so nahe an ihn herangekommen waren, dass er gleichzeitige Fühlung mit beiden Corps hatte. lichen Augenblicke beschloss er ,

In diesem gefähr

die Gegner abzuschütteln.

8. Juni früh stiesz der niemals zaudernde General die Avantgarde des östlichen Feindes

zurück , gleichzeitig im Westen gegen den

offensiv verfahrenden Fremont in gut gewählter Position bei Cross Kays Front machend .

Fremont griff auch wirklich noch an dem

selben Tage an ; doch erlitt er eine gänzliche Niederlage, die ihn veranlasste, Jackson loszulassen und in vollem Rückzuge das Thal hinab zu marschiren .

So von einem Gegner befreit , warf unser

Held sich am nächsten Tage mit seiner ganzen Wucht auf General Shields, schlug denselben bei Port Republic vollständig in die Flucht und verfolgte ihn einen Tagemarsch weit nach Norden zu , Schrecken und Verwirrung in dessen Colonnen bringend. So hatte Jackson mit seinen 15,000 Mann nicht nur Furcht und Entmuthigung unter seine Gegner, Banks und Fremont, die gegen 50,000 Mann zählten, gebracht, sondern auch durch das Zertrümmern der Division Shields die Panik bis ins Cabinet von Washington ge tragen, welches in Folge der vielen Niederlagen für die Hauptstadt fürchtete und in der Besorgniss um das eigene Wohl nicht nur das Corps Mac Dowall unthätig bei Fredericksburg stehen liesz, sondern auch dem zu verschiedenen Malen geschlagenen Mac Clellan alle Verstärkungen zur Vertheidigung der eigenen Existenz entzog . Aber selbst jetzt sollte das fast übermenschlich angestrengte Corps Jackson's noch keine Ruhe haben ; schon hatte die wieder holte Aufforderung Lee's ihn erreicht, ihm, wenn es ginge, Hülfe nach Richmond zu senden, da die Absicht vorläge, gegen Mac Clellan offensiv vorzugehen.

Diesem Rufe konnte jetzt Jackson in mehr

als je gehoffter Weise gerecht werden. Er sandte nicht nur Truppen

General Stonewall Jackson.

72

theile fort , sondern indem er seine erschrockenen Feinde fast ohne einen Mann zurückzulassen im Virginienthale stehen liesz, begab er sich mit seinem ganzen Commando in forcirten Märschen nach Richmond ,

um Lee gegen seinen überstarken Gegner beizustehen.

Er hatte gerade die rechte Zeit gewählt.

In der Schlacht bei Cool

Harbour, der zweiten, welche Lee gegen Mac Clellan ausfocht, stan den gegen 5 Uhr Abends die Sachen sehr zweifelhaft , als Jackson plötzlich und ganz unerwartet von Mac Clellan, welcher ihn weit im „ Thale" vermuthete, auf dem linken Flügel der Conföderirten an kam , und die Schlacht natürlich zu Gunsten der Südländer entschied. Wie bekannt , wurde Mac Clellan durch den Verlust dieser Affaire gezwungen, den fürchterlichen Rückzug durch den White oak Morast nach dem Jamesflusse zu bewerkstelligen.

So war Richmond befreit,

und das Hauptverdienst gebührte unserem Helden. Man wird es entschuldigen, dass ich den Abschluss einer Epi sode benutze, um nachträglich einige Reflexe zu bringen, welche sonst die Darstellung der Thatsachen unterbrochen hätten.

Als Baron

Jackson seinen Säbel im Virginienthale schwang, schrieb er an seinen Vorgesetzten einen Brief über die militairische Lage, welcher den Verfasser vollständig kennzeichnet :

"9 Mein Plan ", schrieb er am 3. März,

„ ist der, eine so kühne

Stirn als möglich zu zeigen und alle nur erdenklichen Mittel zu be nutzen, um den feindlichen Vormarsch aufzuhalten, bis unsere Re organisation beendet ist.

Was ich wünsche, ist, das Land so lange

zu behaupten, bis wir selbst angreifen können, und dann, mit Gottes Segen, wollen wir aber auch gründlich aufräumen. gefähr 35,000 Mann unter sich hat ,

Banks, der un

steht südlich Harpers Ferry ;

Kelly, der Nachfolger von Lander, mit etwa 11,000 Mann bei Paw Pano (westlich am Potomac) .

So sehen Sie zwei Generäle mir

gegenüber, deren vereinte Kräfte nahe 40,000 Mann zählen, welche alle für die Dauer des Krieges ausgehoben und organisirt sind. (Jackson hatte damals erst 4000 Mann .)

Aber ich fühle mich nicht

muthlos. Geben Sie mir aber, was Sie irgend an Truppen ent behren können Ich freue mich zu hören, dass Virginien ent schlossen ist, alle Kräfte anzuspannen, um sich selbst zu ver theidigen. sehen .

Nun können wir dem Ernste des Krieges ruhig ins Auge

Ich möchte nur eins betonen, das ist , wenn das Vir

ginienthal verloren ist , ist auch Virginien verloren. “ Dieser letzte Satz bewahrheitete sich später, denn als das „ Thal“ verloren war, war der Widerstand Lee's bei Petersburg nur noch eine Frage der Zeit.

General Stonewall Jackson . Ein Punkt, auf den der militairische

73 Leser aufmerksam zu

machen ist, ist die Heimlichkeit , mit welcher Jackson seine schnellen Züge ausführte .

Er erreichte dieselbe nicht nur durch die geschickte

Leitung der Bewegungen, nicht nur durch das Verschleiern seiner Märsche durch die vortrefflich geleitete Cavallerie, sondern auch da durch, dass er Niemandem von seinen Plänen Mittheilung machte, selbst den Offizieren seines Stabes nicht. Einst sagte er : „ Wenn ich merken würde, dass mein Rock meine Gedanken errathen hätte, würde ich ihn ausziehen und verbrennen. Heimlichkeit Heim lichkeit, das ist das Geheimniss des Sieges. " Lee, der während dieser Episode an General Jackson eine De pesche sandte, konnte als Adresse nur hierauf schreiben :

„ General

Jackson, anywhere " . Als Jackson, gleich im Beginne des Feldzuges, dicht bei Staunton stand, und plötzlich nach Norden gegen Kerrtown marschirte, legte er in 11, Tagen mit noch nicht sehr marschgeübten Truppen gegen 11 Meilen zurück, wobei allerdings Alles liegen blieb, Ermüdung nicht folgen konnte.

was wegen

So behielt Jackson nur 2700 Mann,

welche er sofort nach ihrer Ankunft bei Kerrtown ins Gefecht führte, in der Hand.

Obgleich er natürlich nicht siegen konnte, so fügte

Jackson mit seinen dünnen Linien den dicht gedrängten überraschten Gegnern doch schwere Verluste bei und verhinderte, was die Haupt sache war, die Detachirung von 15,000 Mann nach Richmond ; end lich aber erwirkte er durch diese überraschende Schnelligkeit seines Zuges ein Unsicherheitsgefühl des Feindes , der sich nirgends mehr geborgen fühlte. Seine demnächstige heimliche Vereinigung mit Ewell und John son und die Ueberraschung des Corps Fremont fast in Gegenwart des nördlich stehenden überlegenen Corps Banks, zeugt von kühner Conception und schnellem Entschlusse ; ebenso die Marschbewegung über Front Royal nach Winchester, durch welche er gewissermaaszen zwei Fliegen mit einer Klappe schlug, rechts, indem er den be setzten Pass überrumpelte und die Verbindung von Banks mit Mac Dowall unterbrach, und links, indem er das Corps Banks vollständig in die Flucht trieb. Banks schreibt in seinem officiellen Berichte,

nachdem er die

Trümmer seines Corps auf das nördliche Ufer des Potomac glücklich gerettet hatte, Folgendes : „ Mein Commando ist weder einem Angriffe gewichen, noch in Unordnung gerathen.

Es hat einen wohl durch

dachten (premeditated) Marsch von nahe 60 Meilen im Angesicht

General Stonewall Jackson.

74

des Feindes ausgeführt, seine „ sämmtlichen Pläne vereitelt" und ihm Gefechte geliefert, wo man ihn fand. " Tadellos ist Jackson's Marsch, um zwischen Fremont und Shields zu bleiben, und von fesselnder Kühnheit sein Kampf gegen seine überlegenen Gegner, die ihn gleichzeitig in der Front und im Rücken fassten, in den Schlachten bei Cross Keys und Port Republic.

Hier

weisz man nicht , soll man mehr die köstliche Energie und kühne Planfassung Jackson's bewundern oder über die kopflose Unent schlossenheit seiner Gegner in dem Momente, wo nur gleichzeitiges kühnes Handeln die lang ersehnte Vereinigung herbeiführen konnte, staunen. Die Krone

setzte aber unser kühner Held seiner Bewegung

durch die geniale Conception seines Marsches nach Richmond auf, indem er seine erschütterten Gegner, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, verlässt, um schleunigst mit seiner ganzen Wucht die Parthie vor Richmond zu Ende zu bringen.

Erst als dies gründlich

gethan ist, kehrt er wieder zu seinen Gegnern im "" Thale" zurück.

(Schluss folgt.)

IV.

Die Bayerische Cavallerie - Division

Preysing

im Feldzuge von 1812 . Am 16. Juli 1812 erhielten die beiden Bayerischen Cavallerie Brigaden von Napoleon den Befehl, mit der leichten Batterie Wiedn mann zum IV. Corps der groszen Armee zu stoszen ; sie machten demnächst den Feldzug unter den Befehlen des Vicekönigs von Italien mit.

Generalmajor Graf Preysing hatte das Commando über

beide Brigaden ; der Oberst von Elbracht befehligte die 21. Brigade : 3. Chevauxlegers -Regiment Kronprinz und 6. Chevauxlegers- Regiment Bubenhofen ; Oberst Graf Seyssel die 22. Brigade : 4. Chevauxlegers Regiment König u . 5. Chevauxlegers- Regiment Leiningen *). Die Division

*) Das 1. und 2. Chevauxlegers - Regiment waren schon am 7. April vom Bayerischen Corps abgetrennt worden, um unter dem Commando des Generals Domanget gemeinschaftlich mit dem Sächsischen Chevauxlegers- Regiment Prinz

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

75

Preysing zählte demnach vier Regimenter oder sechszehn Escadronen, jedes Regiment zu vier Escadronen.

Da jedes Regiment 521 Mann

und 501 Pferde, und die Batterie Wiednmann 174 Mann und 150 Pferde stark war, so ergiebt sich eine Gesammtsumme von 2238 Mann und 2154 Pferde für die Kopfzahl der Division. Am 21. Juli vereinigte sich die Bayerische Cavallerie - Division bei Puichna mit dem Corps des Vicekönigs und langte mit dem selben am 24. Juli bei Beszenkowitsche an der Düna an. Hier setzte die Division schwimmend über den Fluss, um die am anderen Ufer befindlichen Russen zu vertreiben.

Die Aufgabe war ziemlich

gefährlich, sowohl wegen der Tiefe und reiszenden Strömung der hier schon über 350 Fusz breiten Düna, als auch weil die Ufer an dieser Stelle sehr steil und steinig sind.

Der Vicekönig befahl da

her dem Grafen Preysing mündlich , wenn er beim ersten Versuche den Uebergang zu schwierig finden sollte, so möge er ihn ganz unterlassen.

Dies war denn freilich für die Bayerischen Chevaux

legers und ihre kühnen Führer nur ein Antrieb mehr, die ehrenvolle Aufgabe um jeden Preis zu lösen. Spitze,

Ihren General Preysing an der

warfen sie sich in die schäumenden Wellen ; ein Wacht

meister und sechs Mann, von der Strömung fortgerissen, ertranken, die Uebrigen kamen glücklich ans rechte Ufer * ). Der Feind wartete den Angriff der Bayerischen Schwadronen nicht ab, sondern zog sich in die naheliegenden Waldungen zurück, in deren Nähe die diesseitige Cavallerie Stellung nahm.

Gegen

6 Uhr Nachmittags traf der Kaiser mit dem Könige von Neapel auf dem rechten Ufer ein, entsandte zwei Schwadronen des 5. Chevaux legers-Regiments unter Major Rittmann in der Richtung gegen Wi tebsk und unternahm mit dem Gros der Division persönlich eine Recognoscirung gegen Kourilovchtchizna , das an der Strasze von Witebsk nach Polotzk liegt.

Da er nirgends auf den Feind stiesz,

Albert die 3. Brigade der Cavallerie - Division Chastel des III. Cavallerie - Re serve- Corps Grouchy zu bilden. *) Labaume in seiner relation circonstanciée de la campagne de Russie en 1812 bemerkt : „Bei dieser Gelegenheit bewunderten wir die Art, wie die Bayern marschirten ; die Bestimmtheit ihrer Schwenkungen und die Einsicht, mit der sie Alles ausführten, können für alle diejenigen, welche militairische Selbst Recognoscirungen anstellen müssen, als Muster angesehen werden.“ ― Thiers, tome XIV pag. 107 vermag dieses Mal nicht zu verschweigen , dass : „ces escadrons, mieux conservés que l'infanterie bavaroise, galopant à la suite des Russes, se firent, admirer de toute l'armée par la precision et la rapidité de leurs manoeuvres."

76

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

so wurde es ihm klar, dass die Armee Barklay's bereits in der Nähe von Witebsk angelangt sein müsse. Die Meldung des gegen Abend wieder vor Beszenkowitsche ein treffenden Major Rittmann, welcher in der Richtung gegen Witebsk auf ein Lager des Feindes gestoszen und einige Russische Husaren gefangen genommen hatte, bestätigte die Richtigkeit dieser Ansicht. Napoleon verfügte sich wieder an das linke Dünaufer; die Bayerische Cavallerie - Division bezog vor ihrem Uebergangspunkte auf dem rechten Ufer ein Bivouak, um am folgenden Tage, den 25. Juli, mit dem bei Polotzk über die Düna gegangenen II. Cavallerie-Reserve Corps unter General Montbrun den Vormarsch fortzusetzen. Mit Ausnahme einer Escadron vom 3. Chevauxlegers -Regiment, welche zur Deckung der auf dem linken Dünaufer verbliebenen Batterie Wiednmann dorthin zurückbeordert wurde, rückte die gesammte Di vision Preysing an der Tête des II . Cavallerie- Corps auf dem rechten Dünaufer aufwärts und stiesz bei dem Dorfe Misajedi auf die Nach hut vom VI. Russischen Corps Dochturow, welches im Vereine mit dem III . Cavallerie- Corps Pahlen die Arrièregarde der ersten West Armee bildete. Trotz der Uebermacht des Gegners --- die Russische Nachhut bestand aus sechszehn Schwadronen Husaren, den Regi mentern Sum und Mariupol, zwei Jäger-Regimentern und der reiten den Batterie Nr. 9 ― und trotz des Mangels an Geschützen griffen das 3. und 6. Chevauxlegers-Regiment und das 5. Französische Hu saren -Regiment mit Ungestüm den Feind an und warfen ihn durch mehrmal wiederholte Attaken über Litskovitzje zurück, vor welchem Orte sie Abends ein Bivouak bezogen.

Der Verlust der Division

am 25. Juli betrug fünf Mann und fünf Pferde an Todten und Ver wundeten. Nachdem die Division am 28. Juli die Düna bei Witebsk über schritten hatte ,

marschirte sie bis

zum Potemkin'schen Schlosse

Kiariaki, von wo aus Oberst Elbracht an die Kasplia vorging und sich des Städtchens Poriatsche nach kurzem Gefechte bemächtigte. Die Division war inzwischen wieder unter die Befehle des Vicekönigs von Italien getreten. Anfangs August ging die Division bis Suraj zurück.

In Ver

khoria, wo sie einige Tage gestanden, war die Batterie Wiednmann nebst ihrer Bedeckungs - Escadron vom 3. Chevauxlegers - Regiment wieder bei der Division eingetroffen . Auszer den ziemlich unblutigen Gefechten vom 24. und 25. Juli hatten die vier Bayerischen Chevauxlegers - Regimenter bisher keinen ernsthaften Zusammenstosz mit dem Feinde gehabt ; ihre Verwendung

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

77

in der Avantgarde des stets auf der linken Flanke der groszen Armee marschirenden Corps hatten ihnen zudem die Annehmlichkeit gewährt, durch Gegenden und Ortschaften ziehen zu können, die von den Franzosen noch nicht betreten, von den Russischen Truppen nicht verwüstet oder verbrannt, von ihren Bewohnern nicht verlassen waren.

Während das Gros des Hauptheeres und namentlich die In

fanterie schon lange an empfindlichen Entbehrungen zu leiden hatte, erfreute sich die an der Tête des Seitencorps marschirende Reiterei einer verhältnissmäszig behaglichen Existenz ;

sie fand reichliche

und nahrhafte Verpflegung in ihren Quartieren und die nicht unbe trächtlichen Lebensmitteltransporte, welche häufig dem Feinde abge jagt wurden, lieferten vornehmlich einen Vorrath von Mehl, Brod, Branntwein, Hafer und anderen Gegenständen, die bei der übrigen Armee schon damals , wenn überhaupt , nur sehr schwierig zu er langen waren.

Und dennoch befand sich die Bayerische Cavallerie

Division schon in den letzten Tagen des Juli in einem solchen Zu stande der Auflösung, dass ihr Commandeur General Graf Preysing am 1. August von Kiariaki an Wrede schrieb,

„ dass sie ohne ein

tretende Ruhe in wenigen Tagen ganz undienstbar werden würde, und dass dies schon jetzt der Fall wäre, wenn sie nicht seit mehreren Tagen viel Hafer bekommen hätte". Da es von Interesse sein dürfte, die Ursachen kennen zu lernen, durch welche eine so

vortreffliche Truppe, wie die Bayerischen

Chevauxlegers zu allen Zeiten waren, trotz der verhältnissmäszig günstigen Umstände, in denen 1 sie sich im Anfange des Feldzuges von 1812 befanden , innerhalb kurzer Zeit so sehr heruntergekommen waren, so sei es versucht, die obwaltenden Verhältnisse näher ins Auge zu fassen.

Die erste und Hauptursache der raschen Auflösung

war unstreitig die rücksichtslose Verwendung, die alle Französischen Generale, auch der Vicekönig von der nichtfranzösischen Ca vallerie machten.

Wo es irgend eine schwierige Unternehmung

zu vollführen , eine gefährliche Aufgabe zu lösen gab , da bestimmte man hierzu beim IV. Corps die Bayerischen Chevauxlegers , nur, weil sie sich vorzüglich hierfür eigneten,

nicht

sondern auch, weil

man hierdurch die Französischen Regimenter schonen konnte . In so rücksichtsloser Weise hat kein Staat zu keiner Zeit die Kräfte seiner Verbündeten auszubeuten gewusst, als es die Franzosen von jeher, namentlich aber unter dem ersten Kaiserreiche, verstanden . Die nachtheiligen Folgen der Ehre, mit der „ grande armée " gemein schaftlich operiren zu dürfen, haben sämmtliche nichtfranzösischen Truppen im Jahre 1812, wie auch früher zu verspüren hinreichend

78

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Gelegenheit gehabt. Cavallerie - Division

Was aber das Verhältniss für die Bayerische doppelt

drückend

machte ,

war

der

häufige

Wechsel der Obercommandanten, denen diese Division auf dem Zuge nach Moskau unterstellt waren. So stand sie anfangs unter Gouvion St. Cyr ; dann marschirte sie vom 17. bis 21. Juli unter dem Befehle des Marschalls Bessières mit den Garden ; vom 21. bis 26. Juli folgte sie dem Vicekönig ; vom 26. bis 30. Juli unter General Montbrun verwendet, trat sie an letzterem Tage wieder unter den Befehl des Vicekönigs, bei dem sie , mit einer kurzen Unterbrechung, während welcher sie dem General Pajol untergeordnet war, bis zur Schlacht von Borodino blieb, in welcher dann General Ornano das Commando tiber sie erhielt. All' diese Herren suchten nun selbstverständlich aus der augenblicklichen Anwesenheit dieser Regimenter möglichsten Nutzen zu ziehen, ohne sich darum zu kümmern, ob Mann und Pferd darüber zu Grunde gingen oder nicht ; wusste doch keiner von ihnen, ob er sie jemals wieder unter seinen Befehl bekommen würde. So ging die Bayerische Cavallerie - Division von einer Hand in die andere und verlor bei jedem Wechsel an Brauchbarkeit, bis sie endlich völlig werthlos und zu jeder Dienstleistung unbrauchbar geworden .

Um wie viel länger

hätte sie wesentliche Dienste zu leisten vermocht ,

wenn sie nicht

die Rücksichtslosigkeit des Kaisers vom VI. Corps losgerissen hätte, welches hierdurch von aller Reiterei entblöszt und, wenn es welcher bedurfte , auf die wiesen war.

Gefälligkeit (!) Französischer Generale

ange

Zu diesem speciellen Missgeschicke der Bayerischen Cavallerie Regimenter kamen dann noch die allgemeinen Ursachen, welche den Bestand der groszen Armee in so entsetzlicher Schnelligkeit ver ringerten.

Dazu

sind zu rechnen die anhaltenden

und

starken

Märsche, welche oft länger als eine Woche, von keinem Rasttage unterbrochen, und eine Folge der auf Ueberraschung und Einschüch terung berechneten Operationsweise Napoleons waren, die auf einem engbegrenzten Kriegstheater

allerdings Unglaubliches zu erreichen

vermochte, aber in den weiten Räumen Russlands an der Grösze der Entfernungen scheitern musste .

Ferner die grosze Hitze , die im

Juli und den ersten Tagen des Augusts herrschte und den Marsch durch die mit tiefem und feinstem Staubsande bedeckte Gegend zwischen Düna und Dniepr höchst beschwerlich machte. Gleich zeitig entstand durch die grosze Trockenheit des Sommers ein höchst empfindlicher Wassermangel , da an vielen Orten nicht nur die in Flachländern ohnehin nur spärlichen Quellen versiechten, sondern

Die Bayerische Cavallerie- Division Preysing im Feldzuge von 1812.

79

auch die meisten Bäche so seicht wurden, dass es unmöglich war, die Pferde zu tränken , ohne gleichzeitig das Wasser zu trüben und In der zweiten Woche dadurch wieder ungenieszbar zu machen. des Augusts trat dann ein strömender Regen ein, der alle Wege völlig grundlos machte, was die schon ermatteten Pferde noch mehr entkräftete.

Auch die Unmöglichkeit, die Thiere während der Nacht

abzusatteln und ihnen die

nach

anstrengenden Märschen doppelt

nöthige Ruhe zu gewähren, trug hierzu wesentlich bei ; denn die fortwährenden Neckereien der die Armee zahlreich umschwärmenden Kosaken

machte

eine

ununterbrochene Kampfbereitschaft nöthig,

deren Vernachlässigung sich bitter gestraft haben würde. Endlich that auch die unverhältnissmäszig schwere Ausrüstung, mit welcher sowohl Mann als Ross bei der Bayerischen Cavallerie damals, wie auch noch jetzt belastet waren, das Ihrige, um die theils im Lande mit groszer Sorgfalt ausgesuchten, theils aus Polen und der Moldau bezogenen, im Durchschnitte sehr kräftigen und ausdauernden Pferde der Chevauxlegers - Regimenter einer völligen Kraftlosigkeit und Er schöpfung rasch entgegenzuführen. So befand sich denn die Bayerische Cavallerie - Division schon Anfangs August in einem nichts weniger als glänzenden Zustande . Wenn sie auch von ihrer ursprünglichen Stärke bis dahin noch nicht viel eingebüszt haben und noch immer an 2000 Reiter betragen mochte, so waren doch die Pferde trotz der längeren Ruhe und des vorgefundenen guten Futters

noch immer im höchsten Grade, matt

und kraftlos ; die Leute, in ihrer Montur sehr herabgekommen, hatten durch das fortwährende Plänkeln mit dem Feinde beinahe all' ihre Munition verfeuert ; zudem fehlte vorläufig die Möglichkeit, * diese Abgänge an Monturstücken und Munition zu ersetzen, da die wenigen vorhandenen Reservevorräthe beim Bayerischen Armeecorps an der Düna zurückgelassen worden waren.

Es war dies hauptsächlich

deshalb geschehen, weil sowohl General Graf Gouvion St. Cyr, als auch die Bayerischen Generale noch immer nicht an eine bleibende Trennung der Bayerischen Cavallerie - Division vom VI. Corps glaubten, und noch weniger daran dachten, dass diese vom Kaiser bis nach Moskau mitgenommen werden würde. Am 11. August brach die Division Preysing von Suray auf und marschirte nach Janovitschi, den 12. nach Velechkovitschi, den 13. nach Lioszna, den 14. nach Lieuvaritschi, den 15. überschritt sie bei Khomino, ein paar Stunden aufwärts von Rasasna, den Dniepr, wobei die Cavallerie eine vorhandene Furth benutzte, während die Batterie sich einer schwachen Bockbrücke bediente, und bezog dann unweit

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Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Liadui ein Bivouak.

Den 16. August rückte sie auf der groszen

und prächtig gebauten Moskauer Strasze bis nach Simiaki unweit Krasnoi vor, von wo sie aber schon am 17. August wieder zurück nach Liadoui und Khomino beordert wurde, um durch Besetzung des dortigen Dniepr - Ueberganges den Rückzug der nach noch jenseits befindlichen und vom Feinde hart gedrängten leichten Reiterei - Di vision Pajol vom II. Cavallerie-Reserve-Corps zu beschützen. Am 19. August rückte die Division wieder gegen Smolensk vor, ungeduldig , dort, anzukommen, von wo bereits seit zwei Tagen an haltendes Geschützfeuer zu hören gewesen war. Bei Krasnoi bezog sie für diese Nacht ein Bivouak, inmitten der unbeerdigten Leichen aus den Gefechten vom

14. und 15. August , unter denen auch mancher Brave von den beiden ersten Chevauxlegers - Regimentern zu finden war, die mit dem III . Cavallerie-Reserve-Corps Grouchy hier gekämpft hatten.

Am 20. August Morgens verliesz die Division

Preysing diesen unheimlichen Lagerplatz, den sie unter weit düsteren Verhältnissen nach drei Monaten noch einmal durchziehen sollte, und überschritt den Dniepr bei Smolensk, dessen noch brennenden Ruinen die bereits eingebrochene Dunkelheit schauerlich erhellten . Durch den gänzlichen Mangel an Lebensmitteln, der bei der Anwesenheit der ganzen Armee in der nächsten Umgebung von Smolensk herrschte, sah sich General Graf Preysing am Morgen des 21. August genöthigt , seine Division wieder an das linke Dniepr Ufer, nach dem zwei Stunden südlich von Smolensk gelegenen Dorfe Wiolkovitsche zurückzuführen, wo sie bis zum 23. August verbleiben und so einer nach den anstrengenden Märschen der letzten Tage höchst nöthigen Ruhe genieszen durfte.

Am genannten Tage über

schritt sie bei Smolensk abermals den Dniepr und schlug jenseits die nördlich nach Doukhovtschina führende Strasze ein, auf welcher sie bis nach Volodimerova vorrückte und dort das voranmarschirende IV. Corps der groszen Armee wieder einholte .

Während nun dieses

am 24. August Morgens die Strasze verliesz und sich rechts gegen Pologhi am Wop wandte, zog die Bayerische Division an diesem Tage nach Doukhovtschina ,

welchen Ort

sie jedoch

schon am

25. August Morgens wieder verliesz und, bei Pologhi den später so verhängnissvoll werdenden Wop überschreitend, das IV. Corps bei Zaselé einholte.

An der Spitze dieses Corps und im unmittelbaren

Gefolge des Vicekönigs marschirte die Division Preysing mit ihrer Batterie am 26. August nach Mikailowsko, passirte am 27. August bei Blaghové den Dniepr und rückte am selben Tage noch bis Kanouchkino vor. Am 28. August, noch immer die grosze Strasze

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

81

nach Moskau rechts lassend , marschirte sie bis nach Bweski und traf am 29. August Mittags auf den westlich von Wiazma gelegenen Höhen ein, jenseits welcher Stadt die Französische Avantgarde mit der Russischen Nachhut sich im Vorpostengefechte befand .

Aus der

Hartnäckigkeit desselben glaubte man den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Russen hier die Schlacht annehmen würden, die Napoleon und die ganze Armee so heisz ersehnten. Bald zeigte

sich aber ,

dass die Russische Armee auch bei

Wiazma, wie früher bei Ostrowno und Krasnoi und später bei Tzarévozalomichtché und Ghjat, noch nicht den Zeitpunkt für einen ‫די‬

Entscheidungskampf gekommen hielt, denn ihre Arrièregarde brach das Gefecht allmälig ab und zog sich, wie immer, in bester Ordnung und jeden Fuszbreit Boden vertheidigend, auf der Moskauer Strasze zurück.

Das IV. Corps und mit ihm die Bayerische Cavallerie - Di

vision, welche, ohne am Gefechte Theil zu nehmen, in ihrer ersten Aufstellung verblieben waren, gingen gegen Abend, die brennende Stadt rechts lassend , über die Wiazma und rückten bis nach dem Schlosse Novoe vor, an welchem Orte der Vicekönig mit seinem Corps theilweise auch noch während

des

30. August

verweilen

konnte. Obwohl die Märsche der letzten acht Tage im Durchschnitte ziemlich stark waren und jene vom 23., 25. und 29. August über zehn Wegstunden betrugen, so hatten demungeachtet die Regimenter hierdurch nicht wesentlich gelitten, da die von ihnen durchzogenen Gegenden schönes , fruchtbares Land sind , dessen blühender Zu stand schon damals die Cultur und Wohlhabenheit seiner Be wohner zeigte . Noch am Nachmittage des 30. August musste die Division Prey sing aus dem Bivouak bei Novoe aufbrechen und auf der von Wiazmo nach Norden führenden Strasze bis

nach Tarbeyewa

vorrücken .

Dort angelangt , wurde das 5. Chevauxlegers - Regiment rechts der Strasze entsandt , um die Communication mit dem Cavallerie- Corps Grouchy herzustellen , welches links der Moskauer Hauptstrasze vor gerückt war. In die linke Flanke dagegen, nach* Iwaniki, wurde das 4. Chevauxlegers - Regiment detachirt, welches , nicht ohne mit dem Feinde hart zusammenzustoszen , gegen Abend dort anlangte. Das 6. Chevauxlegers - Regiment blieb mit der Batterie Wiednmann auszerhalb Tarbeyewa auf der Strasze stehen und wies dort wieder holte Angriffe feindlicher Kosakenhaufen mit Kaltblütigkeit zurück. Das 3. Chevauxlegers- Regiment, welches an diesem Tage die Arrière garde des IV. Corps zu bilden bestimmt war, hielt für die Nacht an der Queue dieses Corps, welches in der Umgegend von Novoe lagerte. Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII. 6

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Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Da am Morgen des 31. August weit und breit nichts mehr vom Feinde zu erblicken war, brach die Division Preysing wieder auf und marschirte durch die sumpfige und unwegsame Gegend nördlich der Strasze von Wiazma nach Ghjat über Léontéva nach Pokrov, wo sie alsbald wieder den Sicherheitsdienst für das ebenfalls dort eingetroffene IV. Armeecorps übernehmen musste. Am 1. September früh 6 Uhr marschirte die Division Preysing Schon auf aus ihrem Bivouak ab und rückte gegen Ghjat vor. halbem Wege bei Baskakovo stiesz sie auf eine Schaar bewaffneter Bauern, welche sich ohne Widerstand gefangen nehmen lieszen und aussagten, dass erst vor einer Stunde mehrere feindliche Husaren und Kosaken-Regimenter abmarschirt wären.

Gleichzeitig ging auch

von der Tête der Avantgarde die Meldung ein, dass sich sowohl vor der Front ,

als auch in der linken Flanke Russische Cavallerie-Ab

theilungen * ) sehen lieszen .

General Graf Preysing eilte sogleich

vor und gewahrte hinter einem Defilé, durch welches die Strasze führte, etwa 6-800 Kosaken nach ihrer gewöhnlichen Art — zu Fusz neben ihren Pferden stehend ― aufmarschirt. Ihr rechter Flügel war an eine Waldspitze gelehnt , in der man einzelne In fanteristen bemerkte ; in dem Dorfe, auf das sich ihre linke Flanke stützte, gewahrte man dagegen Russische Husaren. Da unter diesen Verhältnissen ein sofortiger Angriff zu gewagt schien, so liesz Ge neral Graf Preysing die vorausmarschirende 21. Cavallerie- Brigade Elbracht zum Gefechte formiren, und die bei der nachrückenden 22. Brigade Seyssel befindliche Batterie Wiednmann im Trabe vorrücken. Einige Granaten, welche dieselbe von einer vor der Front gelegenen kleinen Anhöhe auf die feindliche Stellung warf, hatten alsbald zur Folge, dass sich die Russen schleunig auf eine stärkere Abtheilung zurückzogen, welche etwa einen Werst rückwärts eine durch starke Zäune gedeckte , vortheilhafte Aufstellung zwischen zwei Dörfern inne hatte. Indessen war auch der Vicekönig bei seiner Avantgarde einge troffen und hatte· den Befehl zu weiterem Vorrücken ertheilt. Oberst Elbracht schickte nun sämmtliche Plänklerzüge seiner Brigade gegen die feindliche Stellung vor, und entsandte gleichzeitig, um diese in den Flanken zu decken, zwei Escadronen des 3. Chevauxlegers-Regi ments Kronprinz rechts und zwei Escadronen des 6. Chevauxlegers

*) Diese Cavallerie-Abtheilungen gehörten zu dem Corps Winzinggerodes, welches die rechte Flanke der zurückweichenden Russischen Hauptarmee zu decken bestimmt war.

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

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Regiments Bubenhofen links der Plänklerkette gegen den Feind. Diese Maaszregel hatte den gewünschten Erfolg.

Die Plänkler, voll

Begierde , endlich einmal mit dem Feinde handgemein zu werden, der bisher vor ihnen immer zurückgewichen war, attakirten zwar zu hitzig auf die weit überlegenen Kosaken. Nicht ohne Verlust wur den sie denn auch auf die nicht so rasch folgenden Unterstützungen zurückgeworfen, vor deren geschlossenem Angriffe die Kosaken nun ihrerseits wieder zurückwichen. Die auf beiden Flanken detachirten vier Escadronen griffen hierauf,

unterstützt von dem Feuer der

Batterie Wiednmann, die auf beiden Flügeln der Russischen Auf stellung befindlichen Dörfer mit vielem Erfolge an, wodurch sich die Russen gegen Mittag genöthigt sahen, abermals ihren Rückzug anzutreten, den sie auf das rechte Ufer des von Ghjat nach Norden flieszenden gleichnamigen Flüsschens fortsetzten . General Graf Preysing folgte ihnen mit seiner Division bis an das linke Ufer, ohne ferneren Widerstand zu finden .

Da jedoch

die 21. Brigade durch die wiederholten Attaken sehr ermüdet war, so zog er die 22. Brigade unter Oberst Graf Seyssel, die, bisher in der Reserve, noch nicht am Gefechte Theil genommen hatte, an die Tête vor. Nachdem der Vicekönig die Ufer des Flusses und die jenseitige Aufstellung des Feindes hatte recognosciren lassen, erhielt Oberst Seyssel den Befehl , mit seiner Brigade die Ghjat zu überschreiten und den jenseits befindlichen Feind aus seiner den Uebergang des Armeecorps erschwerenden Aufstellung zu vertreiben. Oberst Seyssel entsandte sogleich zwei Escadronen des 4. Chevauxlegers -Regiments unter Major Baron Zandt gegen die Stadt Ghjat , um sich mit dem dort vorrückenden Cavalleriecorps Grouchy in Verbindung zu setzen ; einen Zug vom 5. Chevauxlegers-Regimente unter Lieutenant Murald liesz er abwärts von der gefundenen Furth, dem eigentlichen Ueber gangspunkte, einen Schein - Angriff ausführen ; er selbst aber, mit den noch übrigen beiden Escadronen vom 4. und zwei Escadronen des 5. Chevauxlegers- Regiments, forcirte im nämlichen Augenblicke den Uebergang und warf mit den Plänklern des 4. Chevauxlegers Regiments, ungestüm vorwärts dringend, die überraschten Feinde aus dem Dorfe, das, hart am Ufer liegend, von ihnen besetzt war. Jen seits desselben liesz Oberst Seyssel seine Escadronen aufmarschiren und die steile Anhöhe hinauf attakiren. Trotz ihrer Ueberlegenheit an Zahl und günstigeren Aufstellung wurde die feindliche Cavallerie geworfen und unter beträchtlichem Verluste von Anhöhe zu Anhöhe getrieben, bis sie in einiger Entfernung wieder eine von starken 6*

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Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Zäunen in der Front gesicherte, günstige Stellung erreichte, in welcher sie abermals Stand halten zu wollen schien. Inzwischen hatte Oberst Seyssel die unter dem Major Zandt gegen Ghjat entsendeten Es cadronen vom 4. Chevauxlegers -Regiment an sich gezogen und be schloss, durch diese verstärkt , den Feind auch aus seiner neuen Aufstellung zu delogiren.

Um jedoch in dem sehr durchschnittenen

Terrain, auf welchem sich zudem überall kleine feindliche Reiter Abtheilungen sehen lieszen, seine beiden Flanken zu sichern, de tachirte Oberst Seyssel den Major Bieber mit zwei Escadronen des 4. Chevauxlegers - Regiments auf den rechten, den Major Rittmann mit zwei Escadronen des 5. Chevauxlegers- Regiments auf den linken Flügel seiner Linie ; er selbst führte die noch übrigen zwei Escadro nen vom 4. Chevauxlegers - Regiment mit vorgeschobenen Plänkler zügen gegen den Feind . Die Plänkler, am Zaune angelangt, spran gen vom Pferde, und während ein Theil von ihnen dieses Hinder niss zerstörte und

ausriss, deckten die Anderen die Arbeitenden

durch ein gut unterhaltenes Feuer mit ihren Karabinern .

Nachdem

die Passage geöffnet, drang Oberst Seyssel mit seinen beiden Schwa dronen auf die feindliche Cavallerie

ein und warf sie nach hart

näckiger Gegenwehr in gröszter Unordnung abermals zurück.

Ueber

das Schicksal seiner beiden Flanken-Detachements in Ungewissheit, wagte er jedoch nicht den fliehenden Feind zu verfolgen ; er sandte ihm daher nur zwei Plänklerzüge nach ,

die übrigen sammelte er

und trabte mit ihnen wieder nach rückwärts .

Diese kluge Vorsicht

rettete den Major Bieber und seine Escadronen vor gänzlicher Ver nichtung ; dieser Stabsoffizier hatte nämlich die eine seiner Escadro nen, jene des Rittmeisters Baron Hertling , als Stützpunkt zurück gelassen und war mit jener des Rittmeisters Baron Zandt dem Vor rücken des Oberst Grafen Seyssel langsam in der rechten Flanke gefolgt.

Eine etwa 160 Mann starke Abtheilung Kosaken ,

auf die

er stiesz , zurückwerfend und langsam verfolgend , sah er sich plötz lich auf allen Seiten von einer über 1000 Mann zählenden Horde von Kosaken umringt, die wie eine Gewitterwolke über ihn losbrach. Umsonst griff dieser Stabsoffizier mit seinen Tapferen immer und immer von Neuem an ; die Ueberzahl war zu grosz . Vor der Wucht seines Angriffes wichen zwar die Kosaken stets nach allen Richtun gen auseinander, aber nur, um sich auf einer anderen Seite wieder zu sammeln.

Rittmeister Baron Hertling vermochte seinem Major

nicht zu Hülfe zu eilen, da er ebenfalls von einer weit überlegenen Kosakenschaar angegriffen und umzingelt worden war. Schon ge dachte Major Bieber, dessen Mannschaft und Pferde durch das un

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

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unterbrochene Gefecht aufs Höchste erschöpft waren, sich im Faust kampfe nach rückwärts durchzuschlagen - da traf im gefährlichsten 1 Momente, von der Verfolgung des Feindes zurückkehrend, Oberst Graf Seyssel mit seinen beiden Escadronen als Retter in der Noth auf dem Kampfplatze ein.

Wie Spreu vor dem Sturmwinde , so

stoben die Kosaken vor den Bayerischen Reitern auseinander, welche fest geschlossen und mit hochgeschwungenen Säbeln auf sie ein drangen.

Die zwei Escadronen des 5. Chevauxlegers - Regiments,

von dem General Grafen Preysing persönlich vorgeführt, hatten um die gleiche Zeit der ebenfalls in höchster Bedrängniss befindlichen Escadron Hertling den gleichen Dienst erwiesen und sie degagirt. Weiters trafen auch noch die 21. Brigade Elbracht und die Batterie Wiednmann auf dem Schlachtfelde ein .

Einige Kanonenschüsse ge

nügten, den Feind bis auf den letzten Mann verschwinden zu machen. Auf der linken Flanke hatte sich Major Rittmann mit seinen beiden Escadronen vom 5. Chevauxlegers - Regiment ebenfalls

mit einem

zahlreichen Kosakenschwarme tapfer herumgeschlagen und ihn zu letzt ohne fremde Hülfe aus dem Felde gejagt. Das Gefecht bei Ghjat am 1. September 1812 blieb zufolge der localen Verhältnisse allerdings ohne wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der groszen Kriegsoperationen, fügte aber der Geschichte der Bayerischen Cavallerie - Regimenter abermals ein ruhmreiches Blatt bei. Die Lorbeeren des Siegers waren jedoch ziemlich theuer erkauft ; die 22. Cavallerie- Brigade Seyssel hatte einen Verlust von 16 Todten und 19 schwer Verwundeten *) ,

die meistentheils in den nächsten

Tagen starben ; etwa 30 Mann waren leichter verwundet , dann 24 Pferde zu Verlust gegangen ; die 21. Cavallerie - Brigade und die Batterie Wiednmann zählten etwa ein Dutzend leicht Verwundeter und 12 bis 15 todte Pferde .

Der Verlust der Russen muss ein viel

beträchtlicherer gewesen sein, da sie aber stets den gröszten Theil ihrer Verwundeten noch während des Gefechtes zurückschafften, so fehlen darüber alle näheren Anhaltspunkte. Den Bayern blieb keine Zeit, ihre auf dem Felde der Ehre ge bliebenen Kameraden zu beerdigen ; auch die schwer Verwundeten mussten, mit einigem Gelde und Lebensmitteln versehen , in den Häusern des nächstgelegenen Dorfes zurückgelassen werden.

Auf

den Wunsch des Königs von Neapel , welcher mit dem Gros der

*) Die Blessirten hatten grösztentheils Pikenstiche ; Manche von ihnen zählten deren acht bis zehn.

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Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Cavallerie auf der Moskauer Strasze vordrang , musste die Division Preysing nach dem Gefechte bei Ghjat noch über eine Stunde vor rücken, um dadurch der im Gedränge befindlichen Avantgarde des Königs Luft zu machen.

Ein bei sinkender Nacht bezogenes Bi

vouak, dem mit Ausnahme von trübem Sumpfwasser Alles mangelte, war die einzige Erholung ,

welche der so sehr erschöpften Bayeri

schen Cavallerie nach der blutigen Arbeit dieses Tages wurde . Das IV. Armeecorps lagerte während der Nacht bei Pawlowa an der Ghjat. Schon seit den letzten Tagen des Augusts war in den Reihen des Heeres der Verbündeten die Ueberzeugung entstanden, dass in allernächster Zeit eine Entscheidungsschlacht bevorstehen müsse. Theils war die Nachricht von der Uebernahme des Russischen Ober befehles durch den Feldmarschall Kutusow und von dessen Ent schluss, dem seine Armee entmuthigenden Rückzuge ein Ende zu machen , aus dem feindlichen Lager herübergedrungen, theils sah man voraus, dass das Russische Heer, nicht ohne das Glück der Waffen versucht zu haben, die Hauptstadt dem Feinde überlassen würde.

Auch war in den letzten Tagen der Widerstand der feind

lichen Arrièregarde sichtlich hartnäckiger und zäher geworden ; jeden Tag stiesz die an der Tête marschirende Cavallerie der Verbündeten kurz nach dem Aufbruche aus dem Nachtlager auf den Feind, der sich unter fortwährendem Gefechte und Kanoniren langsam von einer Position in die andere zurückzog, keine ernsthaft haltend, aber auch keine unvertheidigt räumend . Der Verlust an Mannschaft und Pferden war hierbei auf keiner Seite beträchtlich ; desto empfind licher aber waren die Fatiguen , denen sich die Avantgarde der ver bündeten Armee unterziehen musste, besonders bei dem im höchsten Grade eingerissenen Mangel an Lebensmitteln und Fourage. Während des 2. und 3. Septembers, an welchen Tagen ein ab scheuliches Wetter herrschte, verblieb die Cavallerie-Division Prey sing - wie die meisten Abtheilungen der groszen Armee - in der

4

am Abend des 1. Septembers eingenommenen Stellung ; erst am 4. September setzte sie sich an der Spitze des IV. Armeecorps wie der in Marsch. Durch die waldigen Gegenden nördlich der Mos kauer Strasze ziehend und fortwährend von Kosaken umschwärmt, hörte die Bayerische Division, bei Lousos angelangt, in ihrer Rechten heftiges Geschützfeuer.

Beim weiteren Vorrücken gewahrte der mit

der Avantgarde reitende Vicekönig Eugen, als man aus dem dichten Walde debouchirte, die Französische Vorhut unter dem Könige von Neapel in der rechts liegenden freien Ebene und weiter zurück ein

T

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

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starkes Russisches Corps - es war der General Konownitzyn mit 25 Bataillons und 68 Schwadronen - das die Höhen von Gridnovo besetzt hielt.

Augenscheinlich vertheidigten die Russen ihre nur von

der Front angegriffene Position sehr hartnäckig ; der Vicekönig be schloss daher sogleich , dieselben auch in ihrer rechten Flanke zu bedrohen. Während er die Infanterie seines Corps geschlossene Co lonnen formiren liesz, entsendete er die Italienische Cavallerie- Brigade Vilata in die Richtung gegen Gridnevo mit dem Auftrage, der im Gefechte mit Murats Cavallerie befindlichen Russischen Reiterei in die Flanke zu fallen.

Als letztere das Anrücken der Italienischen

Chasseurs gewahrte, hielt sie es für gerathen, das Gefecht in der Ebene abzubrechen und sich unter dem Schutz ihrer Infanterie und Artillerie zurückzuziehen.

Während dessen war jedoch aus einem naheliegen

den Walde eine grosze Anzahl regulairer Kosaken auf die beiden Chasseurs- Regimenter eingedrungen, und würde ( denselben trotz ihrer muthigen Gegenwehr bedeutenden Verlust zugefügt haben, wenn nicht glücklicherweise die Bayerische Cavallerie-Division Preysing in Eile als Unterstützung vorgegangen und die Kosaken in den schützenden Wald zurückgetrieben hätte. Die Brigade Vilate und die Division Preysing setzten nun ihren Marsch gegen Gridnevo ohne weitere Störung fort ; die Bayerische Batterie Wiednmann, welche eine nahe vor dem Orte gelegene, sanfte Anhöhe besetzt hatte, beschoss von dort mit vielem Erfolge die feind liche Aufstellung.

Bald aber zog sie das Feuer der auf den jen

seitigen Höhen postirten Russischen Geschütze auf sich ; obgleich nun noch eine Französische reitende Batterie neben der Bayerischen auffuhr, so wären doch mit der Zeit die Chancen des Kampfes zu ungleich geworden, da der Vortheil der Stellung, die Mehrzahl der Geschütze und die Stärke des Kalibers auf Seite der Russen waren. Indessen befreite der König von Neapel die beiden Batterien des IV. Armeecorps von der Nothwendigkeit sich aus dem Gefechte zu rückziehen zu müssen, da er sich der Mitte der feindlichen Stellung bemächtigte und dadurch deren Flügel zum eiligen Rückzuge nöthigte. So endete gegen Abend das Gefecht bei

Gridnevo, welches der

Batterie Wiednmann einige verwundete Kanoniere und etliche todte Pferde gekostet hatte. Da in der Umgegend von Gridnevo gänzlicher Mangel an Grün futter herrschte, so musste die Division Preysing mit der Batterie, um zu bivouakiren, wieder nach Lousos zurückgehen, von wo sie am 5. September früh Morgens aufbrach und beim Abmarsche des IV. Corps wieder die Vorhut übernahm,

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Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812 . Auch an diesem Tage bewirkte das Erscheinen der Italienisch

Bayerischen Cavallerie in der rechten Flanke des Feindes , dass Generallieutenant Konownitzyn seine feste Stellung bei dem groszen Kloster Kolotzkoy gegen Mittag räumte und sich über die Brücke von Borodino hinter die Kalotscha zurückzog.

Während die Di

visionen Compans, Friant und Morand vom Corps Davoust , die Ca vallerie - Reserve - Corps von Nansouty und Montbrun, dann Ponia towsky's Polen die von Gortschekow vertheidigte Redoute bei Sche wardino angriffen und nach heiszem Kampfe gegen Abend be haupteten, zog das IV. Armeecorps, der Russischen Nachhut unter Konownitzyn auf dem linken Ufer der Kalotscha folgend, der groszen Strasze entlang bis über das letzte Seitenthal vor Borodino, welchem Orte gegenüber die Infanterie auf einer waldigen Höhe ihren Bivouak bezog.

Die Cavallerie sah sich wegen Mangels an Grünfutter aber

mals genöthigt, weiter rückwärts ihr Nachtlager aufzuschlagen. Die noch gegen Abend am 5. September auf Fouragirung aus gesandten Leute konnten jedoch erst mit Tagesanbruch nothdürftiges Pferdefutter abliefern ; für die Menschen waren dagegen fast gar keine Lebensmittel aufzutreiben gewesen *) ; denn da es die Absicht der Russen war, den Feind vor dieser Stellung aufzuhalten, so hatten sie die ganze Umgegend auf das Gründlichste verheert.

Das grüne

Getreide war abgeschnitten, die Wälder waren umgehauen, die Orte verbrannt, die Bewohner geflüchtet . Ein Paar alte Mönche, in den weiten Räumen des prachtvollen Klosters Kolotzkoy zurückgeblieben, waren die einzigen lebenden Wesen, welche die Französische Armee in diesen Tagen ohne Waffen angetroffen hatte.

*) Das Tagebuch des Adjutanten Preysing's sagt beim 4. September la konisch : „Es fing an, sehr an Lebensmitteln zu fehlen ".

(Schluss folgt.)

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

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V.

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spät herbste 1870. Eine Studie von H. Helvig , Major im Bayerischen Generalstabe, commandirt zur Dienstleistung beim groszen Generalstabe. Mit dem Siege von Sedan, mit der Capitulation der Französi schen Armee, welche dort so tapfer und aufopfernd gekämpft , dass sie mit Recht von dieser Niederlage sagen durfte : „ Alles ist ver loren, nur die Ehre nicht ", mit diesem Tage musste für die Deutsche Armee eine neue Art der Kriegführung beginnen, mussten für beide Theile andere Factoren in Rechnung gezogen werden , wie jene, welche von Weiszenburg bis Sedan den strategischen und taktischen Erwägungen zu Grunde lagen.

Bisher hatte die Deutsche Heer

führung den Combinationen erprobter Heerführer und eines, wenig stens in der allgemeinen Meinung als tüchtig geltenden General stabes entgegenzutreten oder denselben, wie es thatsächlich geschah, zuvorzukommen ; die Deutsche Armee hatte auf allen Schlachtfeldern, von den kleinen Scharmützeln an der Grenze bis zum Abende des 1. Septembers, der Französischen Berufs-Armee gegenübergestanden, einer Armee, die stolz war und stolz sein durfte auf ihre Traditionen, einer Armee, die geführt von ausgezeichnet tapferen Offizieren, und trotz ihrer Unfälle in allen Kämpfen sich jener Traditionen würdig zeigte.

Es verkleinert wahrlich den Ruhm des Siegers nicht , wenn er zugesteht, wie schwer ihm dieser Sieg geworden ; und schwer genug wurde er in den heiszen Tagen des Augusts 1870 errungen ! Man erinnere sich an die kritischen Momente in den Schlachten von Spichern und Wörth, an jene bei Vionville und Gravelotte ! Enorm waren die Verluste in diesen Kämpfen ; hältnissmäszig kurzer Zeit erlitten

meist in ver

sind sie nicht allein der

Wirkung der heutigen Waffen zuzuschreiben, sondern zum gröszten Theil, und zwar auf beiden Seiten , die Folge einer aufopfernden, todesmuthigen Tapferkeit, welcher aber für die derzeitige Bewaffnung und die daraus hervorgehende Kampfweise noch die richtige Form fehlte . Nach langem , manchmal bedenklichen Schwanken neigte sich

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Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 .

der Sieg endlich dahin, wo nach diesem blutigen Ringen noch ein Ueberschuss an moralischer Kraft blieb. Dass dies mora lische Uebergewicht auf Deutscher Seite sich fand, in diesem Kriege stets zu finden war, darin lag die wahre Ueberlegenheit der Deut schen Armee auf dem Schlachtfelde. Nicht neue überraschende Manöver, am allerwenigsten die Bewaffnung und die taktischen Formen des Kerns Armee ,

der Infanterie ,

errangen den Sieg ;

der

diesen verdankt die

Deutsche Armee zum gröszten Theil ihren moralischen Werth, der nicht blos auf Traditionen , auf einem zur groszen That aufge bauschten Abenteuer -wie es bei unserem Gegner mit der Ex pedition nach Mexiko der Fall war - sich stützt, sondern aus dem angeborenen und ausgebildeten Pflichtgefühle , dem sich seines Zieles bewussten festen Willen und der tieferen,

ernsteren

Geistesrichtung hervorgeht , welche die Offiziere und ein beträcht licher Theil der Mannschaften des Deutschen Heeres sich zusprechen dürfen. Ist es nicht ein Beweis des Uebergewichtes an wahrer morali scher Kraft, wenn am 16. August nach solchen Verlusten, wie sie an diesem Tage das III. und X. Armeecorps , einzelne Regimenter der 5. und 6. Cavallerie-Division und die Garde - Dragoner-Brigade erlitten, eine Cavallerie-Brigade nochmals in die Dunkelheit hinein zum Angriff reitet , um hierdurch dem Feinde fühlbar zu machen, dass Preuszischerseits trotz aller Erschöpfung, trotz des zehnstündigen Ringens gegen doppelte Uebermacht, noch der Wille zur Offensive nicht gebrochen ist ? Ist es nicht ein Beweis der moralischen Ueber legenheit , der höchsten Herrschaft des Pflichtgefühles über die rein menschlichen Empfindungen, wenn die Preuszische Garde am 18. Au gust , nachdem sie gegen einen kaum sichtbaren, mit den eigenen Waffen nicht zu erreichenden Feind in wenigen Minuten über 4000 Mann verliert , keinen Schritt zurückweicht , sondern die Ba taillone auf dem Terrain, welches sie so theuer erkauft, obwohl zer rissen und zerschossen, eisern aushalten, bis die Zeit zum Sturme eine günstigere geworden ? Vom rein theoretischen Standpunkte aus betrachtet , kann weder die eine, noch die andere der eben angeführten Thaten voll ständig gerechtfertigt erscheinen. Die abendliche Attake der Husaren-Brigade konnte im besten Falle , so wie die Verhältnisse wirklich lagen, keinen durchschlagenden nennenswerthen Erfolg haben, gestalteten sich aber die Verhältnisse ungünstiger, so hätte es möglich sein können, dass die Husaren übel zugerichtet zurück

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

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gekommen wären und der Schluss

dieses blutigen Tages einen weniger erhebenden Eindruck gemacht hätte. - Ebenso wären die ganz abnormen Verluste der Garden vielleicht zu vermeiden gewesen, wenn die Artillerie den Angriff kräftig vorbereitet hätte und den zum Sturme bestimmten Truppen Zeit gelassen worden wäre, sich vorher dem Terrain und den Verhältnissen gemäsz zu entwickeln, denn auch für die Garden ist nun einmal die Logik der Thatsachen unerbittlich ! Dieser Conflict , in welchem die eben erwähnten Momente mit dem ruhigen Zweckmäszigkeitscalcul einerseits und mit den takti schen Grundregeln andererseits stehen, schmälert aber in Nichts das jenige, worauf wir oben das Hauptgewicht gelegt, nämlich den tiefen inneren Gehalt , die hohe moralische Ueberlegenheit , welche die Deutsche Armee, und , man wird uns nicht missverstehen, speciell die Preuszische Armée besasz ! Als am 2. September Frankreich zunächst aufgehört hatte, eine Feld - Armee zu besitzen, lag des Feindes Land so zu sagen offen und wehrlos zu den Füszen des Siegers , der einzige Schutz , den Frankreich in diesen Tagen des Septembers hatte, lag factisch nur in seiner Ausdehnung ! So weit die Deutschen marschiren und ihre Pferde laufen konnten, so weit war Frankreich unterworfen, denn das wusste man bis herab zum jüngsten Tambour, im offenen Felde konnten uns die Franzosen an keinem Punkte ihres Landes, wohin die Deutsche Invasion sich auch wenden würde, für's Erste mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten und bis sie es wieder konnten , ― nun bis dahin ist der Krieg durch einen neuen „Frieden von Paris " längst beendet ! --So dachte man in jenen Tagen, und zwar nicht blos in den Reihen der siegesfrohen Truppen, die trotz Regengüssen und Hitze übermüthig heiter,

theilweise wie im Friedensmarsche gegen Paris

rückten, sondern auch in den Stäben der höheren und höchsten Führer.

Nur manchmal , wenn Meldungen über auffallende Keckheit

der organisirten Franctireurs und bewaffneten Einwohner einliefen, mit welcher diese sich im durchschnittenen und bewaldeten Terrain einzelnen kleineren Truppentheilen überraschend

entgegengestellt,

sah man im Geiste, wie ein Gespenst das hässliche Zerrbild des ritterlichen Krieges , den Volkskrieg , mit all seinen Schrecken und Auswüchsen, in der Ferne aus dem Boden emporsteigen ! Wenn man zurück dachte an die Tage von Weiszenburg, Wörth, Spichern, Colombey, Vionville, Gravelotte, Beaumont und Sedan, als ebenso viele glänzende blutige Siege, wenn sich die Truppen freudig

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Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

erinnerten, wie sie die steilen Höhen von Spichern und Wörth ge stürmt , der mehr als doppelten Ueberlegenheit bei Vionville wider standen, den Feind bei Beaumont überfallen und ohne Halt ,

ohne

Stocken in einem Zuge geworfen, wie sie endlich bei Sedan die besten Elite - Truppen im erbitterten Häuserkampfe überwältigt und ― den wilden Ansturm der tapferen Französischen Reiter abgewiesen, was konnte bei solchen stolzen Erinnerungen den Deutschen Truppen noch schwierig scheinen ? was konnte ihnen entgegentreten , das besser, tapferer und begeisterter war, und das sie nicht schon besiegt, dem sie nicht schon widerstanden hatten ? Und nun die oberste Heeresleitung , die Führer der Armeen, welche Schwierigkeiten hatten diese nicht überwunden?! Wie war es diesen gelungen, alle Absichten des Feindes richtig zu erkennen und zu vereiteln, und dem Gegner die Initiative des Entschlusses zu entwinden, vom Aufmarsche an der Deutschen Grenze bis zur Ein schlieszung der einen feindlichen Armee in Metz, bis zur vollständi gen Umfassung und Gefangennahme der anderen bei Sedan. ――――――― Einer solchen sieggewohnten Armee, einer solchen siegessicheren Führung konnte Nichts mehr ernstlich widerstehen ―――― und , so dachte man, deshalb werden die Franzosen überhaupt nicht mehr zu widerstehen versuchen. Ist es unter solchen Verhältnissen nicht erklärlich, dass in der kommenden Kriegszeit , die noch fünf Mal länger währte, als die bereits durchkämpfte, die Operationen und Gefechte unter ganz ab normen Verhältnissen geführt, und jenen wie wir oben gesagt ganz andere Factoren zu Grunde lagen, als im ersten Theile dieser Kämpfe, andere , als sie die Theorie des groszen Krieges sowohl, als die taktischen Grundsätze bei normalen Factoren verlangen. Die nachfolgende Studie soll versuchen, in groszen Zügen einen Theil dieser, man könnte sagen, improvisirten Kriegführung, und zwar improvisirt auf beiden Seiten, darzustellen und bei einzelnen besonders markirten Momenten darauf hinzuweisen, wie unter den factisch gegebenen Verhältnissen Manches ungestraft gewagt wer den durfte und glänzend gelang , was unter anderen Umständen höchst nachtheilige Folgen hätte haben können. Bis zu einem gewissen Grade ist die durch eine Bescheidenheit höchst verdächtigen Ursprungs moralisch so streng verurtheilte „ An betung des Erfolges " kein so gar verdammungswürdiger Götzendienst, zu den ihn solche, durch Erfolg meistens wenig beglückte Moralisten stempeln wollen .

Wenn Erfolge, wie sie die Deutschen nach der

Einschlieszung von Paris im Süden und Norden dieser Stadt er

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

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langten, nicht blos das Resultat des reinen Zufalles, oder besser ge sagt, der für Menschen unerklärlichen blinden Laune des Schicksales sind, - wenn diese Erfolge vielmehr angebahnt werden durch richti ges Erkennen, verbunden mit Kühnheit im Entschlusse und Energie in der Ausführung , und die belebende Sonne des Glückes reift diese geistigen und materiellen Anstrengungen der Menschen zur glänzenden That, zum gewaltigen Erfolge, so gebührt doch wahrlich dieser Menschenarbeit auch ein bischen Anerkennung, und nament lich die , dass man sich bemüht, aus dem gebotenen reichen Materiale für alle Zukunft zu lernen. Ohne Glück', ―――― oder wer will , setze statt dieses Wortes einen anderen, besseren Ausdruck, ―――― ohne Glück giebt es überhaupt keinen Erfolg , -

dass aber dieses Glück uns

im letzten Kriege hold , sehr hold war, das dürfen wir Alle unum wunden und in diesem Falle mit wahrer Bescheidenheit einge stehen. In dieser Studie wird dann vor Allem der Grundsatz zum Aus drucke gebracht werden, dass es in keiner Kunst, in keinem mensch lichen Wirken und Streben weniger absolut bindende und für alle Fälle gültige Regeln giebt , als in der schwierigen Kunst, die Truppen zum Kampfe und im Kampfe zu führen ; dass es da her nirgends gefährlicher ist ,

sich an abstracte Grundsätze zu

binden, als in der Leitung der Heere und der Gefechte.

Nur durch

leidenschaftsloses und hierdurch klares und objectives Erkennen der wirklichen Sachlage ist es möglich , für die jedesmaligen Um stände das Richtige zu finden ; je mehr jene Situation sich von einer sogenannten normalen entfernt, desto weiter dürfen und müssen auch die zu ergreifenden Maasznahmen von der alltäglichen Regel abgehen und sich frei machen von jeder Art Chablone. Um dies aber thun zu können, muss die oberste Heeresleitung von selbstständigen, intelligenten, das Detail kennenden und die all gemeine Lage erfassenden Unterführern kräftig ,

aufopfernd, ohne

jede Selbstsucht unterstützt werden und als Werkzeug eine Armee in der Hand haben, welche geschult und disciplinirt , ihren inneren festen Halt in dem Bewusstsein findet , dass ihr keine Aufgabe zu schwer. Endlich soll auch in diesen Zeilen die Ueberzeugung zu Worte kommen, dass, eben weil keine Form, keine Regel in der Krieg führung absolut bindend sein kann und darf, und eine, wenn auch noch so gute äuszere, formelle Ausbildung nie für alle Even tualitäten genügt, der gröszte Werth auf die geistige Ausbildung, auf das Denken und auf die Anerziehung und Hebung des

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Der erste Theil des Loire- Feldzuges im Spätherbste 1870 .

moralischen Elementes gelegt werden müsse .

Nur durch jene

moralische Ueberlegenheit , welche auf den Schlachtfeldern von Spichern und Wörth zum ersten Mal sich so glänzend bewies, mit jedem Schlachttage und Siege bis zum unerschütterlichen Selbst vertrauen wuchs ,

nur

dieser Art von Ueberlegenheit hatten die

Deutschen die Erfolge zu verdanken, welche sie in den Monaten November, December und Januar trotz der feindlichen numerischen Uebermacht und trotz der eigenen , kühnen - Fehler stets er reichten. -

Mit dem Tage der Capitulation von Sedan begann für Deutschen

eine Reihe von Enttäuschungen

die

oder vielmehr Ueber

raschungen, die im Groszen und Ganzen stets darin gipfelten, dass man die Widerstandsfähigkeit und Elasticität Frankreichs

ebenso

wie seine enormen Hülfsmittel und die Wirkungen eines bis aufs Aeuszerste angeregten Patriotismus unterschätzte, dass man in Folge dessen zur Erreichung bestimmter Zwecke häufig zu wenig Kräfte verwendete, theils aus dem sehr einfachen Grunde, weil man nicht mehr zu verwenden hatte, manchmal aber auch, weil man die feind lichen Streitkräfte für viel zu unbedeutend hielt , und erst im Con tacte mit dem Gegner über das Unzutreffende dieser Annahme, und zuweilen sehr blutig, aufgeklärt wurde. In beiden Fällen musste die energische, kühne Führung und der innere Werth der Truppen über die Schwierigkeiten hinweghelfen , welche Mangel an Hülfsmitteln oder Unkenntniss über die wahre Sachlage herbeigeführt hatten. Eine der kühnsten Maaszregeln der Deutschen Heeresleitung war die vollständige Einschlieszung der Riesenstadt Paris ; - eine Maaszregel, welche, gestützt auf Voraussetzungen, die sich von Woche zu Woche mehr und mehr als nicht zutreffend erwiesen, schlieszlich durch kühne Aus nur durch die denkbar genialste Leitung und dauer der obersten Heerführung sehr bedenklich sich anlassende Verhältnisse überwand.

Mit der Einschlieszung von Paris hat man ganz gewiss anfäng lich nur einen moralischen Druck auf Frankreich ausüben wollen, und am 19. September, als die letzten alten Französischen Linien truppen, die jetzt noch den Deutschen gegenübertreten konnten, die Truppen des Vinoy'schen Corps, total geschlagen hinter die Mauern und Forts von Paris flohen, da glaubte man sicher , dass wenige Wochen hermetischer Absperrung genügen würden, um den Parisern ihre Existenz unerträglich zu machen. Wie konnte

man

auch von den Parisern, von diesem ganz

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870. eigenen Volksschlage mitten im Volke Frankreichs

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voraussetzen,

dass sie eine Trennung von der Welt, die sich daran gewöhnt hatte auf die Hauptstadt Frankreichs zu sehen, wie ein Orchester nach dem Dirigenten, dass sie diese Trennung länger als einen Monat erdulden würde ; ―― ein Monat konnte genügen, um den Parisern die inter essante Abwechselung , belagert zu werden, besonders wenn diese Abwechselung mit einigen Kosten und Gefahren verbunden ist , all mälig den Reiz des Piquanten, des Heldenhaften zu nehmen, und dann unter einem schicklichen, möglichst hochtönenden Vorwande ihre Thore, Boulevards ----- und Cafe's den Deutschen zu öffnen. Es war dies die erste grosze Täuschung , die gleichsam den Ausgangspunkt aller nun folgenden Ueberraschungen bildete. Der Befehl zur Cernirung von Paris wurde vom Groszen Haupt quartiere aus gegeben,

als die Maas - Armee (4., 12. , Garde - Corps

*und Würtembergische Division) die Linie Villiers - Cotterets - La Ferté Milon - Lizy sur Ourcq nördlich der Marne, die III. Armee (5., 6. und 2. Bayerisches Corps) die Linie Meaux - Coulomniers - Rozoy en Brie erreicht hatte. Die bei der Maas-Armee befindlichen Cavallerie Divisionen (5.

und 6.) waren an diesem Tage nach Nanteuil le

Haudouin und Senlis vorgeschoben, die der III. Armee zugewiesenen Cavallerie - Divisionen (2. und 4. ) standen in Tournan und Provins. Vom rechten Flügel der Maas-Armee (4. Corps ; Villiers - Cotterets) bis zum linken Flügel der III . Armee (2. Bayerisches Corps ; Rozoy) hatte die Deutsche Armee eine Ausdehnung von neun Meilen ; ge nau ebenso grosz war die Entfernung eines jeden dieser Flügel von jenem Punkte, an denen sie sich zur Schlieszung des Ringens um Paris vereinen sollten, als welcher Punkt St. Germain zu be trachten sein dürfte .

Die äuszersten Flügel (4. und 2. Bayerisches

Corps) hatten also drei Tagmärsche bis zu ihrem Vereinigungspunkte . hierbei fällt aber zunächst auf, dass bei der III. Armee der bis herige linke Flügel , das 2. Bayerische Corps, nicht auch linker Flügel der Cernirungslinie der III. Armee blieb, sondern insofern eine Ver schiebung eintrat , als das bisher im Centrum befindliche 5. Corps zum linken Flügel dieser Armee bestimmt wurde. ―――――

Die Intention bei den Anordnungen zur Einschlieszung war sichtlich , die letztere möglichst gleichzeitig am 19. September auf allen Punkten durchzuführen ; die Maas - Armee hatte hierbei kein wesentliches Terrainhinderniss zu überwinden, währeud die III. Armee, um ihren Rayon zu erreichen, die Seine überschreiten musste, über welche, wie man voraussetzen durfte, die Brücken von den Fran zosen abgebrochen waren. Deshalb wurde auch die Maas - Armee

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Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

in ihrem Vorrücken am 17. September angehalten, während die Corps der III. Armee diesen Tag benutzten, um sich hart an die Seine heranzuschieben oder sie zu überschreiten. Das Letztere geschah zunächst durch den linken Flügel (2. Bayerisches Corps) , während die Mitte (5. Corps) hart an den Fluss nach Villeneuve St. Georges rückte, der rechte Flügel (6. Corps) an diesem Tage Ouzouer la Ferrières erreichte . Gemäsz Befehl der obersten Heeresleitung war bestimmt , dass bei der III. Armee am 18. September das bereits übergegangene Corps (2. Bayerisches) (nach Longjumeau vorrücken sollte, während das 5. Corps

die Seine zu überschreiten und am

2. Bayerischen Corps vorbei , nach Palaiseau zu marschiren hatte, das 6. Corps dagegen sollte an Stelle des 5. Corps nach Villeneuve St. Georges rücken. Hierbei drängen sich zwei Fragen zur nähern Betrachtung auf : die eine ist , warum nicht das zunächst an Villeneuve St. Georges befindliche 5. Corps bei diesem Orte am 17. September die Seine überschritten, Stellung gegen Paris genommen und so das Ueber schreiten dieses Flusses den anderen Corps

gesichert hat ?

Das

2. Bayerische Corps stand allerdings am 17. September auf dem linken Ufer eng concentrirt um Corbeil , wenn aber anderen Tages (am 18. September)

der Feind energisch längs des linken Ufers

über Villejuif gegen Juvisy vorgestoszen hätte, so traf er das 5. Corps im vollen Debouchiren ; ein Vorgehen des 2. Bayerischen Corps über Longjumeau konnte allerdings diesen Offensivstosz eines Gegners , wie man ihn jetzt nur noch zu finden erwarten durfte , abweisen, aber gesetzt , es wäre den Franzosen gelungen, das De bouchiren des 5. Corps zu hindern und längs der Seine vorzudringen, so befand sich möglicherweise das 2. Bayerische Corps in sehr pre cärer Lage und wurde die Cernirung , mindestens auf der Südseite, um ein bis zwei Tage verzögert.

Die zweite Frage wurde bereits

oben angeregt , warum nämlich das 2. Bayerische Corps als seit heriger linker Flügel bei Longjumeau hält und die bisherige Mitte, das 5. Corps, an ersterem vorbeimarschirt, um nunmehr linker Flügel zu werden ? Die Maas - Armee blieb , wie erwähnt , am 17. September noch vier bis fünf Meilen von Paris ab, rückte am 18. September hart an diese Stadt , in die Linie Ménil Amelot - Thieux - Claye , um am das 4. Corps am 19. September in ihrer bisherigen Eintheilung , rechten, das 12. Corps am linken Flügel, die Garde im Centrum, die Cernirung nördlich Paris von Argenteuil bis an die Marne zu vollziehen.

97

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

Bei der III. Armee hatte sich das 5. Corps am 18. September auf den linken Flügel gesetzt und kam somit an die Tête des am 19. September beginnenden Flankenmarsches. --- In diesen Flanken marsch stiesz der Angriff Vinoy's am Morgen desselben Tages .

Die

angegriffenen Theile des 5. Corps befanden sich einem weit über legenen Gegner gegenüber, aber die stets und in allen Lagen sich gleich bleibende altpreuszische Tapferkeit , die rechtzeitige, äuszerst energische und mustergültig geleitete Unterstützung des 2. Bayeri schen Corps (6. Infanterie - Brigade) , und endlich der Mangel an innerem Halte und Tüchtigkeit auf Seite der Franzosen lieszen den Sieg nicht lange zweifelhaft bleiben ; die feindlichen Truppen, fast ausschlieszlich Linientruppen,

wurden im wahrsten Sinne des

Wortes in Auflösung gegen Paris zurückgeworfen und räumten selbst eine auf dem beherrschenden Punkte (Moulin de la Tour) des Plateau's erbaute Schanze unter Zurücklassung von sieben Geschützen .

Diese

Schanze dominirte das ganze Plateau, eine ernstliche Cernirung von Paris ohne den Besitz derselben war nicht möglich, und ein Angriff auf dieselbe, wenn sie kräftig vertheidigt worden wäre, hätte Zeit und wahrscheinlich viele Opfer gekostet.

Das General - Commando

des 2. Bayerischen Corps hatte schon Befehl gegeben sich mit der bisher errungenen Position zu begntigen und diese festzuhalten, als Bayerische Infanterie, die weiter als befohlen vorgegangen war, die Franzosen im ungeordneten weiteren Rückzuge sah , und von der hiermit war der Schanze, aus der kein Schuss fiel, Besitz ergriff, wichtigste Terrain- Abschnitt um Paris leichten Kaufes

von den

Deutschen gewonnen. Ehe man diesen ersten Act einer auszerordentlich kühnen , auf dem abnormen Unterschiede an moralischer Kraft basirten Krieg führung verlässt , wäre noch ein Blick auf die Thätigkeit der Ca vallerie - Divisionen bei diesen Ereignissen zu werfen. Während in den Augusttagen, als man Fühlung mit der neuge ordneten Französischen Feldarmee suchte, die Cavallerie - Divisionen circa zehn bis zwölf Meilen vor der Front der III. Armee sich be fanden, und ihnen zum gröszten Theil das Verdienst gebührt , den Marsch Mac Mahon's auf Reims und von da auf Vouziers entdeckt zu haben, sehen wir die Cavallerie-Divisionen in den letzten Tagen vor der Einschlieszung von Paris, also zu einer Zeit, wo man wusste, dass keine geschlossene Armee im Felde sei, wo es nur darauf an kam, allenfallsige Zuzüge von Mobilgarden, vor Allem aber jede Art von Verpflegstransporten zu Land, zu Wasser und mittelst Eisenbahn so bald nur immer möglich zu unterbrechen, in ganz ungewohnter 7 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

98

Weise nahe an den Têten der Armeen.

Es herrschte bei den Ca

vallerie- Divisionen in diesen Tagen nicht jene, auf die eigene Kraft und die Ueberraschung des Gegners

vertrauende, kühne

Selbst

ständigkeit, die gerade in dieser Zeit, im September, der Deutschen Armee manche schwere Woche des Winters ersparen konnte. Bei der Maas - Armee sehen wir die Cavallerie (5. und 6. Ca vallerie- Division) am 17. September, kaum drei bis vier Meilen vor der Front , an der Oise einen Rasttag halten ; bei der III. Armee geht die eine Cavallerie-Division (2. ) erst gleichzeitig mit dem 2. Bayerischen Corps am 17. September über die Seine und rückt am anderen Tage nicht weiter als zwei Meilen gegen Westen, um die ihr aufgetragene Verbindung mit der Cavallerie der Maas -Armee zu suchen.

Letzteres

wäre ihr auch bei weiterer Vorrückung

wohl

nicht gelungen, da die der Maas - Armee zugewiesenen Cavallerie Divisionen, wie eben gesagt , am

17. September an den Ufern der

Oise rasteten, und erst am 20. September , also nachdem die Einschlieszung durch die Infanterie bereits vollzogen , in den ihr zum Theil schon für den 18. September angewiesenen Stellun gen einrückte. Die 4. Cavallerie- Division, ebenfalls der III. Armee zugewiesen, hatte den Auftrag, die Seine bei Fontainebleau zu überschreiten und gegen Süden aufzuklären ; an letzterem Orte stiesz dieselbe jedoch auf ziemlich ansehnliche Banden Franctireurs und neuorganisirter Mobilgarden, und war gezwungen, weiter abwärts, in der Gegend von Melun den Fluss zu überschreiten. Es drängt sich hier die Frage auf, warum gerade in diesen Tagen die selbstständigen Cavallerie - Divisionen sich so nahe an den Têten der betreffenden Armeen hielten ? Ob es nicht erlaubt, sogar geboten gewesen wäre, wenigstens zu versuchen, mit der Cavallerie die Einschlieszung zu vollziehen, ehe dieselbe durch die Infanterie factisch ausgeführt wurde ?

Ferner möchte man fragen, ob es nicht

möglich gewesen wäre, die nach Paris führenden Eisenbahnlinien, welche rastlos dorthin Verstärkungen an Mannschaften und Kriegs material und vor Allem Massen von Verpflegungsmitteln beförderten , mehrere Tage früher, vielleicht schon am 15. oder 16. September zu zerstören ? und warum es der 5. und 6. Cavallerie-Division, ob wohl dieselben bereits am 17. September an den Ufern der Oise angekommen, nicht gelang , sich Kenntniss von den Uebergangsver hältnissen dieses Flusses und vor Allem jener der Seine zu ver schaffen, um wenigstens am 19. September diesen letzteren Fluss überschritten haben zu können ?

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

99

Wie eben gesagt , man wusste sicher, in diesen Tagen eine 1 feindliche Armee im Felde nicht zu finden, man wusste aber auch, dass Alles, was Paris noch irgendwie erreichen könne, dorthin eile, dass dort allein der allenfalls zu erwartende . Widerstand sich vor bereite, und dass es daher vor Allem darauf ankomme, diesem Wider stande die sich ansammelnden Hülfsmittel an lebendem und todtem Material zu entziehen . Wäre es gelungen am 18. September die Einschlieszung durch Cavallerie zu vollziehen und hiermit für die nachrückenden Corps gleichsam einen Schleier zu bilden, so hätte der Flankenstosz am 19. September gegen das 5. und 2. Bayerische Corps nicht so über raschend sein können, wie es wirklich der Fall war ; ein derartiger Ausfall konnte zwar von der Cavallerie allein nicht zurückgewiesen werden, aber man wäre rechtzeitig avertirt worden, woher die Ge fahr drohe, und konnte Maaszregeln dagegen treffen. — Höchst lehrreich bleibt es stets , bei der Einschlieszung von Paris auf das gegenseitige Zahlenverhältniss hinzuweisen, denn eben hier durch zeigt es sich auf welch' ganz anderer Basis der Calcul ge macht und von den gewöhnlichen Regeln des Krieges abgegangen wurde. Die

Stadt Paris mit

einer Bevölkerung

von

zwei Millionen

Menschen hatte, wie man damals schätzte, etwa 300,000 gut be waffnete Mann hinter ihren Mauern und in ihren Forts ; die ganze Bevölkerung durfte man in jener, halb aus Verzweiflung , halb aus tief verletzter Eitelkeit hervorgehenden Stimmung voraussetzen, welche zu einer verzweiflungsvollen That befähigt und verleitet. Diese Riesenstadt, dieser Staat im Staate, wird von einer nicht ganz 150,000 Mann starken Armee, darunter nur 130,000 Mann Infanterie und

600

Feldgeschütze ,

an

einem

Tage

eingeschlossen .

Am

19. September bewegt sich die Deutsche Armee in zwei , nahezu gleiche Theile getrennt in einem Flankenmarsche von sehr groszer Ausdehnung im Norden und Süden von Paris, wobei die III. Armee ihre Têten in Versailles, ihre Queue aber in Villeneuve St. Georges hatte, bis sich die Spitzen der beiden Hälften im Westen der Stadt berühren und durch das Einschieben der Würtembergischen Division zwischen Seine schlossen wird.

und

Marne

im

Osten

von

Paris

der Ring ge

Der Kreis, den die Deutsche Armee besetzte, betrug (10 Meilen) 100,000 Schritt, so dass , die Cavallerie mitgerechnet, kaum 1½ Mann auf den Schritt trafen, und auszerdem ,

wenigstens in den ersten

Tagen, kein einziges Bataillon in Reserve stand ! 7*

Die sehr

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 .

100

geschwächten,

von Sedan nachrückenden Corps

(das

11. und

1.

Bayerische Corps) standen am 19. September noch drei Tagemärsche weit zurück ― vor sich aber hatte die Einschlieszungsarmee die Stadt Paris , aus der man jede Stunde einen Verzweiflungsstosz er warten durfte, und im Rücken, von der Loire her, drangen die Ge rüchte von der Formirung einer Entsatzarmee immer bestimmter vor. Nur eine groszartige Führung , die frei und erhaben über den kleinlichen Wahrscheinlichkeitsrechnungen gewöhnlicher Menschen stand , konnte solches wagen, konnte überhaupt wagen in des Wortes vollster Bedeutung . Clausewitz, der, wie kein Militairschriftsteller vor und nach ihm, mit solcher Tiefe die im Kriege wirkenden Gemüthseigenschaften bespricht, sagt über die Kühnheit : „ Gestehen wir uns nur : sie hat im Kriege sogar eigene Vor rechte .

Ueber den Erfolg des Calculs mit Raum, Zeit und Grösze

hinaus müssen ihr noch gewisse Procente zugestanden werden,

die

sie jedesmal , wo sie sich überlegen zeigt , aus der Schwäche der anderen zieht. Sie ist also eine wahrhaft schöpferische Kraft. Dies ist selbst philosophisch nicht schwer

nachzuweisen.

So oft die

Kühnheit auf die Zaghaftigkeit trifft, hat sie nothwendig die Wahr scheinlichkeit des Erfolges für sich , weil Zaghaftigkeit schon ein verlorenes Gleichgewicht ist.

Nur wo sie auf besonnene Vorsicht

trifft, die, man möchte sagen ebenso kühn , in jedem Falle eben so stark und kräftig ist, als sie selbst, muss sie im Nachtheile sein ; das sind aber schon die seltenen Fälle.

In der ganzen Schaar der Vor

sichtigen befindet sich eine ansehnliche Majorität, die es aus Furcht samkeit ist:" und an einer anderen Stelle : „Je höher wir in den Führerstellen hinaufsteigen,

um so mehr

wird Geist, Verstand und Einsicht in der Thätigkeit vorherrschend, um so mehr wird also die Kühnheit , welche eine Eigenschaft des Gemüthes ist , zurückgedrängt , und darum finden wir sie in den höchsten Stellen so selten, aber um so bewundernswürdiger ist sie auch dann.

Eine durch vorherrschenden Geist geleitete Kühnheit

ist der Stempel des Helden ; diese Kühnheit besteht nicht im Wagen gegen die Natur der Dinge, in einer plumpen Verletzung des Wahr scheinlichkeitsgesetzes, sondern in der kräftigen Unterstützung jenes höheren Calculs, den das Genie, der Tact des Urtheils in Blitzes schnelle und nur halb bewusst durchlaufen hat, wenn er seine Wahl trifft.

Je mehr die Kühnheit den Geist und die Einsicht beflügelt,

um so weiter reichen diese mit ihrem Fluge, um so umfassender wird der Blick , um so richtiger das Resultat ; aber freilich immer

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

101.

nur in dem Sinne, dass mit den gröszeren Zwecken auch die gröszeren Gefahren verbunden bleiben. Der gewöhnliche Mensch , um nicht von dem schwachen und unentschlossenen zu reden, kommt höchstens bei einer eingebildeten Wirksamkeit auf seinem Zimmer, entfernt von Gefahr und Verantwortlichkeit, zu einem richtigen Resultate, so weit nämlich ein solches ohne lebendige Anschauung möglich ist. Treten ihm aber Gefahr und Verantwortlichkeit überall nahe, so ver liert er den Ueberblick, und bliebe ihm dieser etwa durch den Ein fluss Anderer, so würde er den Entschluss verlieren, weil da kein Anderer aushelfen kann. "

Diese hohe Kühnheit der Führung tritt noch prägnanter hervor, wenn man einen Blick auf die Verbindungen wirft. Als die eben erwähnte , nicht mit Unrecht mit einem Glashause verglichene Cernirung sich vollzogen hatte, waren die Verbindungen mit der Deutschen Grenze über 50 Meilen lang , und keine einzige Eisenbahnlinie führte direct bis zur Armee vor Paris.

Die von Saar

brücken kommende Linie war gesperrt durch Metz , dann durch Thionville, Montmédy, Mezières ; die andere Hauptlinie, welche von Straszburg , beziehungsweise Landau über Nancy nach Frankreich führte, war unterbrochen durch die Festung Toul.

Keine einzige

Festung, mit Ausnahme der abseits liegenden kleinen Festung Sedan, deren Besatzung noch dazu von Montmédy und Mezières aus be lästigt wurde, war in den Händen der Deutschen, dagegen deren ganze Armee, nunmehr vor den beiden groszen Festungen Metz und Paris, verwendet. Die um Metz vereinten Deutschen Streitkräfte konnten bei der Nähe der Deutschen Grenze mit dieser ohne grosze Schwierigkeit die Verbindung erhalten ;

zur Sicherung der Terrainstrecke aber

zwischen der Mosel und Paris wurden schon, ehe die Hauptstadt er reicht war, Maaszregeln von Seiten der Armeeleitung getroffen. Der Groszherzog von Mecklenburg- Schwerin, welcher ein aus der 17. In fanterie-Division und 2. Landwehr- Division gebildetes Corps führte, hatte Befehl erhalten, mit seinen Streitkräften aus der Cernirungs linie südöstlich von Metz abzurücken, mit der 17. Infanterie-Division die Wegnahme der für die Sicherstellung der Operationen vor Paris auszerordentlich wichtigen Festung Toul zu beschleunigen, mit der Landwehr- Division dagegen Châlons und Reims stark zu besetzen. Der Groszherzog nahm am 23. September Toul, am 15. October Soissons, und hiermit wurde eine Existenzfrage der Armee vor Paris glücklich gelöst ; nachdem am 27. September auch Straszburg ge fallen war, konnte jetzt über die Linie Straszburg - Nancy - Chalons

102

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 .

und von hier über die beiden Linien Reims - Soissons und Epernay Château Thierry verfügt werden. Das Corps des Groszherzogs von Mecklenburg war in den letzten

Tagen des Monats August in Saarbrücken debarkirt und so in Marsch gegen Metz gesetzt worden, dass es dort am 1. September hinter dem Corps des Generals Manteuffel eintraf, somit gerade am rechten Flecke und zur rechten Zeit für den Fall, dass Bazaine seinen Tags vorher begonnenen Durchbruchsversuch an diesem Tage mit aller Kraft fortsetzte. Das Auftreten der Truppen des Groszherzogs von Mecklenburg in dem Raume westlich der Mosel kann, auszer der besprochenen kühnen Umfassung von Paris , als der erste Act jener nach der Schlacht von Sedan sich entwickelnden Kriegführung betrachtet wer den, zu welcher schon jetzt die eigenthümlichen Verhältnisse zwan gen. Die Armee-Abtheilung des Groszherzogs betrug incl. des ihr zugewiesenen und vor Verdun stehenden Detachements Bothmer etwa 24,000 Mann, es sollte, wie erwähnt , so bald als möglich Toul er obert werden, dann war vom Obercommando ebenso dringend die Wegnahme von Soissons

und nach dieser die Besitzergreifung von

Mezières und La Fère gewünscht.

Noch ehe aber Soissons gefallen

war, wurde die 17. Division in der Stärke von zwölf Bataillonen, vier Escadrons und vier Batterien nach Paris, vorläufig in die Gegend von Coulommiers heranbeordert. — Der dem Groszherzoge verblei bende Rest an Truppen hatte Toul , Châlons, Epernay, Reims und Laon besetzt zu halten, musste Soissons belagern, Mezières und Verdun einschlieszen und sollte endlich auch von Laon aus eine Expedition nach St. Quentin unternehmen.

Soissons ist von Mezières

15 Meilen, von Toul 28 Meilen entfernt, und in dem ganzen Dreieck Mezières - Toul - Soissons standen kaum 12,000 Mann zur Disposition, um alle die oben angeführten Belagerungen, Einschlieszungen und Besetzungen durchzuführen . Nur durch die gröszte geistige Energie von Seite der Leitung, durch die aufopfernde Thätigkeit der meist aus Landwehren formirten Abtheilungen waren die Aufgaben zu lösen, die Lösung über haupt aber nur möglich und in ihrer Gesammtanordnung motivirt , weil keine feindlichen, organisirten Streitkräfte sich im freien Felde sehen lieszen, weil man wusste, dass der Gegner nur in jenen Festungen zu finden war, und endlich weil auf Seite der Deutschen das Bewusstsein, alle Schwierigkeiten zu überwinden, ebenso stark war, als auf Seite der Franzosen die Ueberzeugung, dass diese kleineren Festungen gegen die Deutschen Hülfsmittel

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 .

103

doch nicht auf die Dauer zu halten wären und es nur darauf an komme, der Waffenehre durch eine entsprechend lange Vertheidigung Genüge zu thun. Während somit in den letzten Tagen des Monats September und in den ersten Tagen Octobers Metz immer fester und stärker ein geschlossen wurde , Straszburg nach tapferer Gegenwehr fiel , Toul genommen wurde und der Groszherzog von Mecklenburg durch Be setzung der wichtigsten Punkte in dem Lande zwischen Mosel und Marne erst die materielle Existenz

für die vor Paris

befindliche

Armee sicher stellte, machten sich bei dieser bereits Anzeichen fühl bar, dass auszer den eingeschlossenen Parisern bald auch andere Feinde zu bekämpfen sein würden. --Ein Theil der Pariser Garnison hatte am 30. September einen lebhaften Ausfall gegen das 6. Corps gemacht , war aber ohne Schwierigkeit zurückgewiesen worden ; solche Ausfälle hatte die Deutsche Armee nicht gerade zu fürchten, jeder Tag schuf neue Verstärkungen und Verschanzungen, dazu kam das moralische Ueber gewicht auf Seite der Deutschen, während andererseits auf Seite der Franzosen mit jedem nach stattgefundenem Ausfalle erfolgten Rückzuge, auch wenn dieser Rückzug militairisch von vornherein intentirt war, an moralischem Gehalte verloren . Was für die Situation vor Paris bedenklich war und während der ganzen Be lagerung stets blieb , das war nicht der überraschend zähe Wider stand, den die Pariser leisteten, sondern die manchmal bis in drohende Nähe kommenden Entsatzversuche. Später, im November und December, hatten die Feinde mit be wunderungswürdiger Ausdauer neue Armeen geschaffen und sowohl im Norden, wie im Süden von Paris ihre Entsatzversuche immer und immer wiederholt, - aber da fiel Metz zu rechter Zeit und die bisher dort festgehaltene Deutsche Armee war disponibel geworden. Bedenklich schien hauptsächlich die Lage im Monat October, weniger wegen der besonderen Anstrengung, welche der Feind gemacht, sondern hauptsächlich wegen der factischen Unmöglichkeit, jenen, wenn sie auch nur halb so stark wie im November ausgeführt worden wären, genügende Kräfte entgegenzusetzen. Am 22. September war das 11. Corps bei Boissy St. Léger vor Paris angekommen und in die Cernirungslinie zwischen dem 6. Corps und der Würtembergischen Division eingerückt ;

das 1. Bayerische

Corps traf an gleichem Tage in Longjumeau und Umgebung ein, nachdem es vorher schon ein Detachement von drei Bataillonen und zwei

Batterien

zur

Unterstützung

der

bei

Fontainebleau durch

104

Der erste Theil des Loire- Feldzuges im Spätherbste 1870 .

Franctireurs-Banden aufgehaltenen 4. Cavallerie- Division über Melun entsendet hatte. Die Einschlieszungslinie vor Paris war aber dennoch an manchen Stellen zu dünn, so dass das 11. Corps bestimmt wurde, den linken Flügel bei Versailles zu verstärken, während , wie bereits erwähnt, die 17. Infanterie-Division unterm 29. September angewiesen wurde, die bisherige Stellung des 11. Corps einzunehmen ; auch die Garde Landwehr-Division sollte so schleunig als möglich mittelst Eisenbahn von Straszburg , woselbst sie verfügbar geworden war, nach Paris geschafft werden.

Nach dem Eintreffen des 1. Bayerischen Corps hatte die Cernirungsarmee endlich, wenigstens für die Südseite eine Reserve geschaffen ; sie betrug freilich nur 12,000 Mann mit Ge

schützen, aber es war doch wenigstens eine Truppeneinheit, mit welcher man auszerhalb der Cernirungslinie strategisch und taktisch rechnen konnte. Die Beunruhigungen im Rücken der Cernirungsarmee begannen wenige Tage

nach

vollzogener Einschlieszung.

Im

Rücken

der

Garden machten sich bewaffnete Trupps bei Pontoise und Beaumont sur Oise in den letzten Tagen des Septembers fühlbar, wurden aber rasch von einem gemischten Detachement unter dem Prinz Albrecht (Sohn) in nordwestlicher Richtung gegen Gisors und Gournay ge drängt ; den Rücken des 12. Armeecorps musste Sächsische Cavallerie, verstärkt durch Infanterie, in derselben Zeit gegen Mobilgarden und Franctireurs säubern , welche ihren Ausgangspunkt in Amiens zu haben schienen ; die Würtemberger endlich waren etwas später ge zwungen, um ihren Rücken frei zu machen, Montereau zu besetzen, und hatten ein ziemlich lebhaftes Gefecht bei Nogent sur Seine zu bestehen. Hatten so die nördlich und östlich von Paris stehenden Truppen nicht allein auf die Vertheidiger der Stadt ihr Augenmerk zu richten, sondern sich auch gegen einzelne kecke Unternehmungen in ihrem Rücken zu sichern, so drohte doch die Hauptgefahr von Süden, von der Loire.

Dass dort ein neues Heer, dessen Stamm die aus Algier

herangezogenen Truppen bildeten, in der Formirung begriffen war, wusste die oberste Heeresleitung bereits während des Anmarsches auf Paris . Ueber Stärke, Zusammensetzung und den eigentlichen Sammel punkt dieser „ Loire - Armee ", wie sie später genannt wurde, fehlten aber verlässige Angaben. Wie bereits erwähnt , war die 4. Cavallerie-Division (Prinz Al brecht, Vater) bestimmt , am 17. September in der Nähe von Fon tainebleau die Seine zu tiberschreiten, um sodann gegen Süden auf

Der erste Theil des Loire -Feldzuges im Spätherbste 1870.

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zuklären ; der Uebergang aber konnte erst am 18. September bei Melun bewerkstelligt werden.

In den nächsten Tagen streiften die

Spitzen dieser Cavallerie- Division bis Artenay, woselbst sie auf feind liche Truppen aller Waffen stieszen ; das Gros der Division nahm Stellung in und um Toury. In den ersten Wochen der Cernirung sehen wir die vier selbst ständigen Cavallerie - Divisionen in der hauptsächlich gefährdeten • Richtung weit vorgeschoben, um so einerseits das Anrücken starker feindlicher Kräfte bald zu erkennen,

andererseits , um den Rayon

thunlichst zu vergröszern , aus →welchem die Einschlieszungsarmee ihre Subsistenzmittel beziehen konnte. Am weitesten vorgeschoben befand sich die 4. Cavallerie -Division in Toury, circa neun Meilen oder drei Tagmärsche vom Rücken der Cernirungsarmee ; die 6. Ca vallerie-Division befand sich auf circa vier Meilen Entfernung in der Umgebung von Rambouillet und sicherte die von Le Mans über Chartres gegen Paris führenden Straszen ; von der 5. Cavallerie- Di vision wurden zwischen Mantes und Houdan die aus westlicher Richtung über Evreux und südlich der Seine von Rouen kommenden Wege beobachtet ; die 2. Cavallerie-Division endlich konnte als eine Art Reserve für die 4. Cavallerie - Division betrachtet werden und stand am linken Flügel dieser letzteren im Seine-Thale nördlich von Corbeil. Durch diese Verwendung der gesammten gröszerén, selbstständi gen Cavalleriekörper wurde im Allgemeinen ein Raum von drei bis vier Tagmärschen, speciell im Rücken der III. Armee gesichert, ge nügend, um im ungünstigsten Falle Zeit zu finden, das linke Seine Ufer zu räumen, ohne in ernstliche Berührung mit einer allenfalls anrückenden bedeutenden Entsatzarmee zu kommen. Diese Cavallerie-Divisionen wurden am 29. September durch sechs Bataillone des 1. Bayerischen Corps verstärkt, welches hierdurch allerdings bei seinem ohnehin sehr geringen Stande an Infanterie wesentlich geschwächt wurde . Jedoch war hierbei zu erwägen, dass, wenn das 1. Bayerische Corps genöthigt werden sollte, durch ein Vorgehen gegen die Loire die Cernirung zu decken,

einige Cavallerie - Divisionen ebenfalls in

dieser Richtung verwendet und hierdurch wenigstens ein Theil der abgetrennten Bataillone zu gleichem Ziele und Zwecke in Thätigkeit gesetzt würden. Die hier stattfindende Zutheilung von Infanterie an die Cavallerie Divisionen dürfte unter einem wesentlich anderen Gesichtspunkte zu betrachten sein, als die principielle Zutheilung von Infanterie

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Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

(auf Wagen) an solche Divisionen, deren Vor- und Nachtheile noch vielfach Gegenstand der militairischen Streitfragen sind . — Eine Cavallerie- Division vor der Front einer sich bewegenden Armee hat keine Stabilität , sie kann nicht einmal ganz bestimmte Marschlinien einhalten, höchstens eine allgemeine Marschrichtung ; marschirende Infanterie würde, wollte sie der Cavallerie nahe folgen, in wenigen Tagen aufgerieben sein ; fahrende Infanterie brächte einen kleinen Fuhrenpark mit sich und wäre in Folge dieser Transportmittel meist auf die Straszen verwiesen, in das coupirte und bedeckte Terrain, wo sie der Cavallerie am nützlichsten sein könnte, vermöchte sie aber nicht fahrend zu folgen. Dass es in vielen Fällen auszerordentlich erwünscht für die Cavallerie- Division wäre, Infanterie bei sich zu haben, ist gewiss nicht zu läugnen und in der neuesten Kriegsgeschichte wiederholt bewiesen ; es fragt sich nur, ob der Vortheil, an gewissen Punkten im Gefechte Infanterie bei sich zu haben,

für die Cavallerie - Division den Nachtheil auf

wiegt, vor dem Gefechte weniger rasch vom Flecke gekommen zu sein, weil sie durch die beigegebene Infanterie gehemmt war. Kann ein gröszerer Cavalleriekörper, nur von reitender Artillerie begleitet, in der Bewegung schärfer und unternehmender sein, wenn er auf keine Infanterie Rücksicht zu nehmen hat, so darf und kann dagegen eine Cavallerie, die stabil ist und von einem gewissen Rayon aus nach vorwärts streifen und sichern soll, nur dann keck und zuversichtlich auftreten, wenn sie von Infanterie unterstützt wird. Die Thätigkeit der Cavallerie wird in letzterem Falle durch die ge ringere Beweglichkeit der Infanterie nicht gehemmt, denn die räum lichen Verhältnisse für die von der Reiterei zu lösenden Aufgaben wechseln nicht so häufig ; das Ziel ist ein constanteres und die In fanterie verschafft einerseits durch Besetzung zur Vertheidigung ge eigneter Abschnitte den weitausholenden Aufklärungen der Cavallerie einen sicheren Rückhalt , andererseits giebt sie den Offensiv - Be wegungen der

Cavallerie

erst jene nachhaltige Kraft , durch

welche das Erreichte auch festgehalten werden kann . Die Deutsche Armeeleitung scheint sohin die

oben erwähnte

Streitfrage, ob den Cavallerie-Divisionen Infanterie zuzutheilen oder nicht, am richtigsten und principiell gelöst zu haben : Cavallerie vor der Front einer sich bewegenden Armee ohne Infanterie, Ca vallerie im stabilen Verhältnisse, als Deckung und Sicherung einer nicht marschirenden Armee mit Infanterie. In den ersten Tagen des Monats October gewannen die Nach richten über das Anrücken feindlicher Kräfte eine thatsächliche Be

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stätigung, indem die 5. Cavallerie- Division am 4. October bei Epernon (fünf Meilen von Versailles ), die 4. Cavallerie -Division am 5. October bei Toury (neun Meilen von Paris) ernstliche Zusammenstösze mit dem Feinde hatten.

Dieser schien mit den Hauptkräften auf der

groszen Strasze Orléans - Toury - Arpajon vorzugehen. Bei jeder Einschlieszung verlangt die Theorie, dass genügende Reserven hinter jenen Punkten vereinigt werden, wo ein Durch bruchsversuch des Eingeschlossenen die gröszte Aussicht auf Erfolg hat ; ferner verlangt die Theorie dort einen entsprechenden Truppen theil auszerhalb der Cernirungslinie in Reserve, von wo einem von Auszen kommenden Entsatzversuche am geeignetsten entgegen getreten werden kann ; schlieszlich fordert diese Theorie noch, dass zur ernstlichen Cernirung und sicheren Verhinderung jedes Durch bruchs ungefähr doppelt so viele Kräfte verwendet werden, als eingeschlossen sind ! Um Paris standen (nach Eintreffen des 1. Bayerischen und 11. Corps) circa 150,000 Mann, in Paris befanden sich circa 400,000 Mann organisirte und grösztentheils sehr gut bewaffnete Streitkräfte. Als Reserve sowohl gegen Innen, als gegen Auszen war nur das 16,000 Mann starke 1. Bayerische Corps zur Disposition ; der Feind drohte am 5. October westlich mit einem Entsatzversuche , diesem entgegenzutreten war nur das 1. Bayerische Corps zur Hand ; des verschiedene Anzeichen lieszen zu gleicher Zeit aber auch einen ernstlichen Durchbruchsversuch erwarten , und gegen einen solchen stand wiederum nur das 1. Bayerische Corps als ein zige Reserve zur Disposition .

Die Situation war kritisch. Einsicht und geniales Wissen genügte hier nicht mehr auf Seite der Führung , es gehörte jene hohe innere Kraft , die ächte, wahre Kühnheit der Heeresleitung dazu, um durch die drohenden Möglich keiten, welche bei der vorhandenen hohen Einsicht um so klarer zum Bewusstsein kommen mussten, sich nicht schwankend zu zeigen. Das 1. Bayerische Corps, die allgemeine Reserve, machte dem nach am 6. October nach zwei Seiten Front. ― Der eine stärkere Theil war bereit von Longjumeau aus gegen einen Durchbruchsver such aufzutreten, während der andere schwächere Theil bei Arpajon sich concentrirte, um die 4. Cavallerie- Division eventuell aufzunehmen und einen feindlichen Entsatzversuch abzuweisen. Die Pariser aber machten weder einen Ausfall , noch die neu formirte Loire- Armee einen Entsatzversuch. - Das Obercommando beschloss,

sich im Süden der Cernirung Ruhe zu verschaffen, und

Ein Russisches Urtheil über des Obersten v. Verdy

108

beorderte das 1. Bayerische Corps, verstärkt durch die 22. Infanterie Division und unterstützt durch die 2. und 4. Cavallerie - Division, einen Vorstosz bis an die Loire auszuführen. Man glaubte, diese Truppen für die nächste Zeit vor Paris entbehren zu können , da inzwischen die 17. Infanterie - Division in der Nähe der Cernirung (bei Coulommiers) eingetroffen war und die Garde-Landwehr-Division von Straszburg allmälig mittelst Eisenbahn anlangte. ―――― (Fortsetzung folgt.)

VI . Ein

Russisches

v. Verdy

Urtheil

Studien über

über

des

Obersten

Truppenführung,

beleuchtet von A. von Drygalski , Premierlieutenant a. D. Bekanntlich lässt man es werthem Eifer angelegen sein ,

sich in Russland mit anerkennens die hervorragendsten Werke der

fremdländischen Militair-Literatur durch Uebersetzung ins Russische dem Studium seitens der Russischen Offiziere zugänglich zu machen. Es werden diese Uebertragungen gewöhnlich von Offizieren des Generalstabes vorgenommen, und die betreffenden Werke vermittelst Einverleibung in die sogenannte, in einer groszen Anzahl von Exem plaren verbreiteten "" Militairbibliothek " jedem kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Wissensbedürftigen

Auszer den Generalstabswerken über die Kriege

von

1866,

1870-71 enthält die als eine Art von Encyklopädie zu bezeichnende 99 Militairbibliothek " von neueren Deutschen militairliterarischen Er scheinungen die Schriften Waldersee's , Perizonius , Rüstow's, Bogus lawski's, Wechmar's, Scherff's und Anderer, zu denen seit dem Früh jahre 1874 die beiden ersten Theile der Verdy'schen „ Studien zur Truppenführung", neuerdings auch die beiden folgenden Theile hinzu gekommen sind . Schon als die ersten Hefte des epochemachenden Verdy'schen Werkes erschienen, sprach sich die Russische Kritik vielfach auszer ordentlich anerkennend über die eingeschlagene Methode und ihre Durchführung aus ; auch jetzt, nachdem die Uebersetzung des dritten und vierten Theiles der "2 Studien " durch den Generalstabscapitain

Studien über Truppenführung.

109

Pusuirenski unter der Redaction des Professors A. E. Stankewitsch von der Generalstabsakademie zum Abschlusse gelangt ist , wird im Russischen Invaliden das Studium des Werkes den Russischen Offi zieren angelegentlichst empfohlen. Wir geben im Verfolge einen Auszug der Russischen Meinungs äuszerung nicht, um auf den Scheitel des Autors neue Lorbeeren zu sondern weil uns das von einem häufen er bedarf deren nicht bewährten Kritiker über sein Werk Gesagte

für

die

Russischen

Armeeverhältnisse und Anschauungen sehr charakteristisch erscheint. Herr A. . . bow schreibt im Invaliden :

„ Dank der in vieler

Hinsicht vortrefflichen Ausgabe des Herren Pusuirenski, ist der Name des Obersten v. Verdy und die von ihm eingeschlagene Methode der Behandlung taktischer Fragen bei unserer Armee so populair geworden, dass keine Nothwendigkeit vorliegt , auf diese Fragen nochmals Bezug zu nehmen.

Theil drei und vier sind thatsächlich

directe Fortsetzungen der beiden vorhergehenden Abschnitte und hat der Autor fast auf jeder Seite Gelegenheit gefunden die gewichtigsten Bemerkungen sowohl hinsichtlich der Thätigkeit der Truppen, als der von den Führern zu ertheilenden Befehle anzubringen. Der vierte und letzte Theil schlieszt mit einer Musterrelation des von einer Division geführten Kampfes . Für den, den Inhalt der Schrift aufmerksam verfolgenden Leser ist der Vergleich des Ganges des Gefechtes mit dem Texte der Relation im höchsten Grade be lehrend.

Bei uns sieht man die Relation häufig als eine

Art märchenhafter Epopöe von halb mythischem Cha rakter an , welche keinen anderen Zweck hat , als wirk liche oder eingebildete Heldenthaten zu verherrlichen. Wer kennt nicht die bezeichnende Anekdote von dem Anführer, der, unzufrieden mit der in der Relation angeführten geringen Zahl ge fallener Feinde, ausrief: „ Wer wird das ungläubige Volk schonen ! Schreibt anstatt hundert - tausend !" Und doch ist die Herstellung der Relation eine Sache von der äuszersten Wichtigkeit, die ebensoviel Zuverlässigkeit als Befähigung zur Darlegung von Einzelnheiten erfordert. " Der Autor charakterisirt die Bedeutung der Relatiou auszer ordentlich zutreffend in den Worten :

„ Die sofort nach der Action

niedergeschriebenen Daten tragen den wahren Stempel des wirklich Durchlebten ; sie bilden die Anhaltspunkte für künftige genauere Nachrichten.

Zögert man mit derartigen Aufzeichnungen , so ver

anlasst die Einbildungskraft wunderbare Verdrehungen und bei dem ehrlichsten Wunsche, nur

wirklich Geschehenes

niederzuschreiben,

110

Ein Russisches Urtheil über des Obersten v. Verdy

vermischen sich damit die alleroriginellsten Phantasiegemälde . " Es ist einleuchtend, dass, wo derartige ehrliche Absichten nicht vor handen sind, die Arbeit der Einbildungskraft noch ungezügelter auf tritt und die Wahrheit nur noch mehr entstellt. Wir gehen jetzt zu einer zweiten, höchst wesentlichen Frage über, nämlich zu der, in welchem Maasze das Buch des Obersten v. Verdy zur Entwickelung der militairischen Kenntnisse in unseren militairischen Kreisen beizutragen vermag. Wir berühren diesen Punkt mit Bezug darauf, dass wir mitunter die An sicht aussprechen hören, das von Deutschen Köpfen Erdachte wäre für unseren sogenannten „ einfachen und gesunden Russi schen Sinn " nicht anwendbar. Diese Zweifel führen zu folgenden Annahmen : 1 ) Bei der bekannten Beschaffenheit des Russischen Ver standes ist die Verdy'sche Methode zur militairischen Ausbildung unserer Offiziere nicht brauchbar. 2) Auszerdem kann das Studium der Taktik nicht darauf begründet werden , weil diese Methode , als nur einzelne Fälle ins Auge fassend, nicht im Stande ist, auf sämmt liche Einzelnheiten Bezug zu nehmen Untersuchen wir in wie weit diese Meinungen richtige sind . Es unterliegt keinem Zweifel , dass bei Anwendung bestimmter Lehrmethoden den nationalen Eigenthümlichkeiten ebensoviel Rech nung getragen werden muss , als den persönlichen. Ebenso wichtig ist es auch, dass die Verschiedenartigkeit dieser Beanlagungen sich dort stärker erweist, wo wir es mit den untersten, anfänglichsten Bildungsstufen , so zu sagen mit rohen, durch Wissenschaft noch nicht erleuchteten Menschen zu thun haben.

die So

kann man z . B. mit voller Berechtigung behaupten, dass bei der Elementarausbildung , bei der anfänglichen Entwickelung des Ver standes , bei der Unterweisung im Lesen, Schreiben und Rechnen diese oder jene Deutsche Lehrmethode für unseren Russischen AB C Schützen und vice versa nichts taugt.

Gehen wir aber einmal aus

der Sphäre der Elementarbildung heraus und auf die der Special bildung über, so verlieren die nationalen Verschiedenheiten durchaus ihre frühere Bedeutung.

Auch auf speciellem Gebiete müssen wir

jedoch zwei verschiedene Abstufungen unterscheiden : die vorange gangene geistige Ausbildung des Soldaten und die des Offiziers. Man gebe dem Russischen Cantonnisten die Deutsche Recruten schule in ganz unveränderter ursprünglicher Weise, man gebe ihm Instructoren in der Gestalt der alleremsigsten Deutschen Offiziere, die natürlich Russisch sprechen müssten, und dennoch würden aller Wahrscheinlichkeit nach die Resultate ganz andere, als die in der

Studien über Truppenführung. Deutschen Armee erlangten sein.

111

Was dagegen den Offizier und

die von ihm zu erreichende Ausbildung in den jedem Militair jed weder Armee nothwendigen kriegerischen Disciplinen anbetrifft , so existirt kein Grund zu der Annahme, dass z. B. die Lösung takti scher Aufgaben auf dem Plane oder im Terrain, welche dem Stand punkte des Preuszischen Offiziers entsprechen, nicht auch dem unserer Offiziere angemessen sein sollte.

In beiden Fällen wird von dem

Lernenden dieselbe geistige Vorbildung verlangt , in beiden Fällen liegt dem Verstande die gleiche logische Arbeit ob , die Resultate müssen demnach dieselben sein

nämlich die Erlangung der Fähig

keit, die allgemeinen Regeln der Kunst und die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Waffengattungen in concreten Fällen zur An wendung zu bringen. Es gilt das auch von der Verdy'schen Methode. Bekanntlich besteht dieselbe darin, dass der Autor eine fingirte kriegerische Episode ausführlich darstellt und alle Theilnehmer, vom Corpscommandeur bis herab zum Zugführer, handeln und sprechen lässt. Es ist das gewissermaaszen die dramatische Seite der Unter weisung, der sodann die didaktische folgt -- bestehend in Bemer kungen und Betrachtungen des Autors,

vermittelst welcher er die

angeführten Maasznahmen der handelnden Personen gutheiszt oder tadelt.

Um der sehr ins Detail gehenden Auseinandersetzung mit

vollem Interesse und Nutzen folgen zu können , wird allerdings von dem Leser

eine

angespannte Aufmerksamkeit und selbstständige,

geistige Thätigkeit verlangt. Er soll sich in verschiedenartige Lagen versetzen, sowie die ihm aufstoszenden Fragen selbst entscheiden können, was ein un cultivirter Verstand natürlich nicht zu leisten vermag, so dass in diesem Falle die auf das Studium verwendete Zeit eine vollständig verlorene sein würde. Die nothwendige Vorbereitung

zu einer

derartigen

Geistes

gymnastik erfordert aber keineswegs irgend welche besonderen na tionalen Beanlagungen, vielmehr sind die Entwickelung des Ver standes und der Phantasie, sowie die Folgerichtigkeit des Gedankens als allgemein menschliche Attribute zu bezeichnen, bei denen die Nationalität keine Rolle spielt. (?) Wollte man nun gar in Bausch und Bogen behaupten,

die

Russischen Köpfe wären zu einer derartigen logischen Arbeit voll ständig unfähig, so würde man damit einen groben Irrthum begehen. Liegt doch gerade darin unser Fehler , dass wir uns viel zu häufig auf angeborene Fähigkeiten berufen ,

112

Ein Russisches Urtheil über des Obersten v. Verdy

auf Grund deren jedes Studium als vollständig über flüssig bei Seite gelassen werden könne. Der zweite Einwand bezieht sich nicht auf die Anwendung der Verdy'schen Methode, sondern auf deren Wesenheit : da heiszt es, man kann Bücher schreiben, so viel man will, und dennoch vermag man auf diesem Wege nicht alle einzelnen Fälle und Combinationen darzustellen und noch viel weniger zu erlernen. Es hat das vollständig seine Richtigkeit, und wir selbst würden einen Versuch ,

die Taktik in ihrem ganzen Umfange in dieser

Richtung zu bearbeiten, als eine Thorheit bezeichnen müssen. Es fällt aber auch Niemand ein , die Verdy'sche Methode als den einzigen Weg zur Erlernung der Taktik zu empfehlen. bedarf es verschiedener Mittel.

Dazu

Das erste besteht in der dogmatischen Auseinandersetzung, ver mittelst welcher militairische Schriftsteller die taktischen Regeln in Cursen und theoretischen Tractaten darlegen . Diese älteste Methode muss auch heute noch der Betrachtung der einzelnen Fälle als Basis dienen. Im nächsten Zusammenhange mit der dogmatischen Be handlung befindet sich die Kriegsgeschichte in Form von Beispielen oder von Uebersichten einzelner Episoden oder ganzer Feldzüge. Es folgen demnächst als Ausbildungsmittel taktische Aufgaben zuerst auf der Karte und dann im Terrain. Beginnend mit den allereinfachsten Voraussetzungen und der geringsten Zahl von Streitkräften, müssen sie schlieszlich bis zur Verwendung gröszerer Detachements mit gemischten Waffen fort schreiten.

Selbst nach Lösung dieser Aufgaben aber wird immer

noch viel Unvollendetes, Unklares übrig bleiben. Die Bedingungen der Aufgaben und die Art der Vornahme der vorhin erwähnten Beschäftigungen machen es unmöglich

auf um

fassendere Combinationen einzugehen und die Functionen aller Theil nehmer an der kriegerischen Action vollständig zu erläutern. Hierbei kann nun ein Buch, wie das des Obersten v. Verdy, welches nicht nur eine vollständige militairische Sachlage, sondern auch die Betheiligung sämmtlicher Befehlshaber in kritischer Weise schildert, von eminen tem Nutzen sein. Es versteht sich dabei von selbst, dass die von dem Autor dem Leser vor Augen geführten Darstellungen keine phantastischen sein dürfen, sondern die Wirklichkeit genau wiedergeben müssen. ihm wird eine grosze kriegerische Erfahrung , eine obachtung und ein nicht geringes Talent verlangt.

Von

allseitige Be

Studien über Truppenführung.

113

Ohne diese Eigenschaften hat ein noch so schön geschriebenes Buch nicht den geringsten Werth . Wir haben daher auch kein Recht anzunehmen, dass ähnliche Werke häufig in der Militair-Literatur auftauchen werden. Um so mehr sind wir aber verpflichtet das zu schätzen, was uns geboten ist, und um so eifriger sollten wir uns bemühen, aus der unter vielen Opfern gemachten fremden Erfahrung Nutzen zu ziehen. ist die eigene Erfahrung noch überzeugender.

Natürlich

Wir brauchen aber

nur etwas rückwärts zu schauen, um uns zu erinnern, wie theuer eine derartige Erfahrung erkauft wird.

Also an die Arbeit !"

Wir können uns unsererseits mit den Aeuszerungen des Herrn A ... bow fast in allen Punkten einverstanden erklären. Er hat das Wesen und die allgemein militairische Bedeutung des Verdy'schen Systems in vortrefflicher Art geschildert, nur in einer einzigen und noch dazu secundairen Hinsicht weicht unsere Anschauung von der seinigen ab. Herr A. . . bow ist nämlich, wie wir gesehen haben, der Mei nung, dass der Russische Offizier im Allgemeinen auf derselben Stufe geistiger Entwickelung und fachwissenschaftlicher Ausbildung stehe wie der Deutsche, mithin ein Lehrsystem, das Letzterem zum Nutzen gereiche, auch für den Russischen Offizier anwendbar sei.

Dem ist

nach1 Allem, was uns über die bisherigen Verhältnisse der Russischen Armee bekannt geworden ist , nicht so. Die Russischen Offiziere hatten bisher der Majorität nach weder die wissenschaftliche Vor bildung, welche wir von unseren Offiziersaspiranten verlangen, noch konnte aus Mangel an Zeit ihre militairtheoretische Ausbildung in der bei uns als Norm gültigen Weise gefördert werden .

Dieser in

neuerer Zeit immer mehr verschwindende geistige Niveauunterschied, den selbst kein vorurtheilsfreier Russe läugnet, hat aber unserer An sicht nach nur auf die Aneignung abstracter Lehrgegenstände, nicht aber auf die nutzbringende Erfassung realer Verhältnisse einen we sentlichen Einfluss. Da nun ferner die Russische Nationalität , der es übrigens auch an tiefen Denkern keineswegs fehlt, thatsächlich eine ganz besonders praktische Ader, eine besondere Fähigkeit zur Verwerthung über kommener Errungenschaften auf geistigem und mechanischem Ge biete besitzt , so glauben wir, dass gerade aus diesem von Herrn A ... bow nicht berührten Grunde, gerade des einfachen und gesunden Russischen Verstandes wegen die Verdy'sche Lehrmethode für das Russische Offiziercorps ganz besonders und selbst mit noch gröszerem Nutzen als bei uns anwendbar ist. Scheint 8 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Ein Russisches Urtheil über des Obersten v. Verdy etc.

114

uns doch der Hauptvorzug der Verdy'schen Methode, gegen die sich vom Standpunkte der idealen Wissenschaftlichkeit Manches lässt ,

eben in ihrer urpraktischen ,

sagen

applicatorisch - anschau

lichen , allen Capacitäten angepassten, vom Leichteren zum Schwe reren fortschreitenden Richtung zu liegen. Aus den Verdy'schen Beispielen und Vorschriften kann Jeder, mag sein geistiger und technischer Standpunkt sein, welcher er wolle, etwas, der Eine mehr, der Andere weniger lernen, während die sublimere ,

rein theoretisch - dogmatische Methode den Adepten nur zu häufig abschreckt , oder aber Anschauungen bei ihm ent wickelt , die man als unreife , von noch unverdauter geistiger Kost herrührende zu bezeichnen pflegt.

Wie auch der Schachspieler erst

dann Neigung zum Studium der Wissenschaft des Spiels bekommt, wenn er mit den ersten Rudimenten desselben vertraut ist , wie der Musikbeflissene nicht mit dem Generalbass,

mit Contrapunkt und

Fuge anfängt, sondern endigt, wie der Englische Jünger des Aesculap und der Justitia zuerst die mechanische und dann die geistige Seite seines Berufs sich aneignet , so ist es auch für den Soldaten rath samer, erst die Handgriffe seines Berufs zu erlernen und erst dann auf die Erforschung jenes Steins der Weisen auszugehen, dessen Besitz dem Glücklichen die ganze grosze und kleine Welt erschlieszt. Es ist dabei nicht unsere Absicht, der reinen Empirik bei der ersten Heranbildung des künftigen Befehlshabers das Wort reden, die Kriegs kunst auf die Stufe des Handwerks stellen zu wollen . Im Gegentheil, wir erkennen der mit der Praxis Hand in Hand gehenden Theorie behufs gründlicherer Befestigung und umfassenderer Anwendbarkeit der ersteren ihr volles Recht zu . Das auf den Russischen Junkerschulen und noch mehr auf den Kriegsschulen den Offiziersaspiranten verabreichte Quantum theoretischer Kenntnisse, obwohl etwas geringer als bei uns ,

reicht aber zu diesem Behufe

vollkommen aus , und die neuerdings in den Aufnahmebedingungen und in dem Unterrichtsplane dieser Lehranstalten eingetretenen Ver änderungen lassen erwarten, dass selbst die in Russland ebenfalls sehr wohlwollend aufgenommenen Scherff'schen Doctrinen nicht mehr über den geistigen Horizont der groszen Majorität hinausgehen, son dern mit zur höheren Erleuchtung ihrer Intelligenz beitragen werden. Schon jetzt wird das Studium beider Methoden und anderer Deutscher militairischen Werke von der, wenn wir uns so ausdrücken dürfen ,

geistigen Aristokratie unter dem Russischen Offiziercorps

eifrig gepflegt und besprochen ,

wozu die neueingeführten und in

rapider Entwickelung begriffenen militairischen Vorträge in den ein

T

Umschau in der Militair-Literatur. zelnen Garnisonen vielfache Veranlassung geben.

115

Andererseits weist

ein neuerer kriegsministerieller Befehl sämmtlichen Offizieren der Armee die geschärfte Aufgabe zu , sich auch des Kriegsspieles, sowie der Lösung taktischer Aufgaben auf dem Plane und im Felde unausgesetzt zu befleiszigen, die Theorie somit stets mit der Praxis zu verbinden.

VII. Umschau in der Militair- Literatur. Studien über Truppen-Führung von J. v. Verdy du Vernois, Oberst und Chef des Generalstabes I. Armee Corps . II . Theil . Die Cavallerie - Division im Armee - Verbande. Drittes ( Schluss ) -Heft. (Mit einer Skizze). Mittler und Sohn . 8º. 180 S.

Berlin 1875.

E. S.

Die Studien über Truppenführung des Obersten von Verdy sind, wie ja auch der vorstehende Aufsatz beweist, so allgemein bekannt, dass eine Besprechung des neuesten vorliegenden Heftes einleitender Worte gewiss nicht bedarf. Wenn ich dem Gesammteindrucke , Heftes auf mich gemacht hat , bekennen ,

dass

welchen der Inhalt dieses

Worte verleihen darf,

die gewandte Darstellungsweise ,

so muss ich

die klare und

warme Schilderung der einzelnen Begebenheiten, die Sicherheit, mit welcher der Verfasser stets die gesammten Verhältnisse beherrscht, eine grosze Anziehungskraft , Studium ausgeübt haben. trachtungen

immer neuen Reiz zum gründlichen

Mehrmals und namentlich bei den Be

des geschilderten Cavallerie - Gefechtes ist in diesem

Schlusshefte allerdings nicht von der Sachlage ausgegangen, wie sie den Handelnden in dem Augenblicke des Entschlussfassens erschien, sondern wie sie sich aus einer nachträglichen Zusammenstellung sämmtlicher Umstände ergeben hat.

So lehrreich wie auch diese

Art von Betrachtungen ganz ohne Zweifel ist , so streift sie doch zu sehr an das Gebiet rein theoretischer Speculation ; hierbei Manches ,

man lernt

aber nicht das Entschlussfassen , das Benutzen

der obwaltenden Umstände.

In

dieser Richtung liegt im Allge

meinen aber das grosze Verdienst der vorliegenden Studien über Truppenführung.

Was die Aeuszerlichkeiten ,

Satzbildung betrifft ,

Ausdrucksweise und

so dürfte selbst dem engherzigsten Kritteler

selten Gelegenheit gegeben sein ,

für sein unerfreuliches Amt in 8*

Umschau in der Militair-Literatur.

116

diesem Hefte Nahrung zu finden ; „ eingeschossene " Geschütze d. h. solche, welche sich eingeschossen haben - trifft er allerdings auf S. 60, ein „flankirendes " Verfahren auf S. 64, „ gefolgte " feind liche Cavallerie auf S. 112 u. s. w. Wenn ich nunmehr dem In halte der einzelnen Abschnitte näher trete ,

so wird in dem ersten

der allmälige Rückzug der 1. Cavallerie-Division bis an die Spitzen der vorderen Infanterie - Corps geschildert * ). hatte den Befehl erhalten , zu halten ;

die Richtung

eines

etwa nothwendigen Ausweichens

vor dem Feinde ist ihm vorgeschrieben ; Armee- Corps heran .

General-Lieutenant A.

unausgesetzt mit dem Feinde Fühlung

hinter ihm rücken zwei

Man hat am Tage vorher schon Fühlung mit

dem Feinde erlangt , der mit überlegenen Cavallerie - Massen gegen über steht und auch bereits starke Infanterie- Abtheilungen gezeigt hat. An welchen Punkten seiner ausgedehnten Linie und in welcher Stärke der Feind vorbrechen werde , dies festzustellen durfte der General- Lieutenant A. also wohl als die Aufgabe ansehen , ihm zunächst zufiel.

Um dieselbe zu erfüllen ,

musste

welche

er durch

seine Abtheilungen möglichst viel umherspähen , an den Stellen, wo gröszere Abtheilungen des Feindes erblickt worden waren, hinfühlen , einem heftigen Vordringen des Gegners namentlich durch Artillerie, ― es war ihm noch eine dritte Batterie überwiesen worden - ent gegentreten lassen . Die Maaszregeln, welche der General in diesem Sinne trifft, wirken derartig , dass der Feind nur sehr langsam und mit gröszter Vorsicht vorgeht.

Ungefähr 4 Stunden lang haben die

Cavallerie - Abtheilungen des General - Lieutenants A. den Feind be obachtet, seine Stärke, seine Bewegungen festgestellt, sie haben die Stirn geboten so lange und wo es möglich war , den Gegner aufzu halten ,

die Artillerie hat die wichtigsten Defiléen eine Zeit lang

unter Feuer gehabt.

Nach und nach vor groszer Uebermacht zu

rückweichend , gelingt es General-Lieutenant A. schlieszlich, in der Höhe der von der Infanterie besetzten Stellungen seine ganze Division vereinen zu können , ohne dass ein Theil derselben erhebliche Ver luste erlitten hätte. - Durfte General- Lieutenant A. mit diesem Ergeb nisse zufrieden sein ? Ich neigte mich, ehe ich die in dem zweiten Ab schnitte dieses Heftes enthaltenen Betrachtungen las , zu einer be jahenden Antwort und konnte mich , selbst als ich diesen Abschnitt durchgelesen hatte, obwohl er das Gegentheil darzulegen sucht, nicht vollständig bekehrt erklären. Seite 21 heiszt es : General-Lieutenant A. habe es nur dem Zufalle zu verdanken gehabt, wenn die Division *) Die Kenntniss der allgemeinen Situation, wie sie am Schlusse des zweiten Heftes geschildert, muss vorausgesetzt werden.

Umschau in der Militair-Literatur.

117

ungefährdet die Gegend von Riedseltz-Oberdorf erreichte ; der Zufall wollte, dass Missverständnisse, Uebereilungen oder berechtigte Eigen mächtigkeiten bei den getrennten Gliedern nirgends eintraten. Da dürfte denn doch ein Vertheidiger des Generals A. einwenden : Es giebt keinen Zufall ! oder fragen :

Was ist nicht Zufall ?

behaupten : Wenn kein Missverständniss vorkam , den

klaren ,

sachgemäszen

Befehlen des

oder

so lag dies an

Generals ;

wenn keine

Uebereilung oder Eigenmächtigkeit gegen den Sinn der Befehle vorkam, so lag dies an der tüchtigen Erziehung der Untergebenen ! Dann heiszt es Seite 25, dass bei einem anderweitigen Verhalten des Gegners der Division das eingeschlagene Verfahren theuer hätte zu stehen kommen können. Dieses Können mit mathematischer Bestimmtheit zu widerlegen , ist dem Vertheidiger des Generals A. allerdings wohl nicht möglich .

Wer will aber die Behauptung des

selben zu nichte machen , dass , wenn der Gegner sich anders ver halten hätte , auch General A. sein Verfahren ändern konnte ? " Für die Abtheilungen des Generals bedurfte es im Wesentlichen eines mit Fühlen verbundenen Sehens , so weit wie man nur immer konnte ; dies musste dann schlieszlich mit einer Concentration der Division enden.

Als Resumé der Betrachtung über das Auftreten

der Cavallerie in dem gegebenen Falle wird aber in dem vorliegen dem Hefte als dargethan hingestellt, dass eine Cavallerie- Division in diesem Verhältnisse stets mehr zusammengehalten werden müsse, als es General A. gethan .

Die zu diesem Zwecke gemachten Aus

einandersetzungen sind von dem gröszten Interesse und bieten viel des Lehrreichen . General A. ist mit seiner gesammelten Division also glücklich bis in die Linie der vordersten Infanterie - Abtheilungen der her anrückenden Armee angelangt. Damit hört für das Erste sein Verhältniss , schleiern, auf.

vor der Front der Armee

aufzuklären und

zu ver

Was nun beginnen ? Kampflust beseelt den General ;

„die Stimmung in seiner Division war dem Gedanken zum Angriff Er der feindlichen Cavallerie im höchsten Grade zugewandt." zögert noch einen Augenblick ,

was

er thun soll.

Es vergehen

Viertelstunden , ohne dass die feindliche Infanterie zum Vorscheine kommt. Da General A. mit den Commandeur der zur Seite stehen den Infanterie-Division beschlossen hat , nicht weiter zurückzugehen, sondern dem Vorgehen des Feindes den äuszersten Widerstand ent gegenzusetzen , so betrachtet er es nunmehr als die besondere Auf gabe seiner Cavallerie - Division , Gegners festzustellen.

den Verbleib der Infanterie des

Ein Zurückwerfen der gegenüberstehenden

118

Umschau in der Militair-Literatur.

überlegenen Cavallerie muss vorher ausgeführt werden.

Die vereinte 1. Cavallerie - Division führt nun ein Cavallerie - Gefecht mit dem

Feinde durch , dessen Ausgang der ist , dass man sich , abgesehen von nicht unbedeutenden Verlusten, zurückziehen muss , und genau in derselben Lage befindet , wie vor dem Gefechte .

Die Entwicke

lung zu diesem Gefechte und der Verlauf desselben sind in dem dritten Abschnitte des Buches dargestellt , während der vierte die Betrachtungen über das Gefecht und über die Motive zu demselben enthält.

In den letzteren wird die Handlungsweise des Generals A.

als eine vollkommen richtige dargestellt , denn ,

so heiszt es ,

die

moralischen Factoren verlangten diesen Kampf, zu dem die Gelegen heit günstig war. Beim Vertiefen in diese Betrachtungen drängt sich aber wohl vor Allem die Frage auf : Wenn eine Cavallerie Division nicht mehr strategisch aufklären, nicht mehr verschleiern kann, wenn es feststeht , dass die Spitzen zweier Heeresmassen auf einander gestoszen sind , gehört erstere dann noch in die Reihe der vordersten , zum Kampfe bestimmten Truppen ? Wenn man die In fanterie des Gegners in der Nähe weisz , sie aber wider Erwarten lange aus dem Gesichte verloren hat , ist es hier , wo es sich nur um geringe Entfernungen handelt , wo die Aufklärung mehr und mehr eine taktische wird , Sache der Cavallerie - Division, die Auf klärung durch einen Kampf zu ermöglichen, oder fällt dies den an rückenden Armee-Corps und deren Cavallerie zu ? War die Caval lerie - Division nach ihrem Eintreffen bei der Infanterie vielleicht nicht sofort nur zur Unterstützung derselben bereit zu halten , hatte sie ihre gesammten Kräfte nicht für das Eingreifen in die bevor stehenden gröszeren Kämpfe aufzusparen ? Solche Fragen hätte gewiss ein Jeder hier gerne von dem erfahrenen Meister beantwortet gesehen. Diesem aber drängt es über die Vorbereitungen schnell hinweg, um sich mit ganzer Lust und Kraft , mit der ganzen Macht seiner Darstellungsfähigkeit den Grundsätzen über das moderne Cavallerie Gefecht zuzuwenden. Mag der General A. von dem Gefechtsbildner zu einem Kampfe gezwungen worden sein , der der Entschuldigung bedarf, mag der Meister der applicatorischen Lehrmethode in seinen anknüpfenden Betrachtungen die

Verhältnisse

zu

Grunde

gelegt

haben ,

wie sie erst die spätere kriegsgeschichtliche Darstellung bieten kann, mag er in Folge dessen sich zuweilen auf das Gebiet rein theoretischer Abstractionen begeben haben

dies Alles ver

gisst man über das Treffliche, was an dieser Stelle des Heftes über Form und Verwendung der drei Cavallerie - Treffen gesagt ist. Die Kritik beginge eine schwere Sünde , wollte sie mit dem Verfasser

Umschau in der Militair-Literatur.

über einige anfechtbare schnittes hier rechten ;

Ausdrücke

und

Nutzen

harmonisches Ganze für

den Leser

Wendungen

dieses

Ab

man einzelne Theile des Gesagten

wollte

herausnehmen und hier wiedergeben , schönes ,

119

man

zerstückelte

nur

ein

zum Sehaden desselben und ohne

dieser

Zeilen ;

denn

solche Bruchstücke

können weder voll befriedigen , noch wirklich belehren.

Genug

Jeder , der noch einiges Streben in sich fühlt , der seinem Berufe mit ganzer Seele obliegt , wird , wenn er die Betrachtungen und Grundsätze über das Cavallerie - Gefecht liest ,

sich erwärmt

fühlen , voll genieszen und gelernt , viel gelernt haben , oder aber sich sagen dürfen : Simon Petrus , stecke dein Schwert in die Scheide. Du bist kein Cavallerist und wirst nie einer werden ! - Einen be sonderen Unterabschnitt in der Betrachtung über das Cavallerie Gefecht bildet dann ein näheres kritisches Eingehen auf die Ver wendung der Artillerie bei diesem Gefechte. Klar und überzeugend ist hierbei dargethan, dass in Momenten , wie den gegebenen , auch die Artillerie der Cavallerie - Divisionen in der gemeinschaftlichen Thätigkeit sämmtlicher Geschütze , in dem Streben nach gröszter Kraftentwickelung ihre Hauptaufgabe suchen muss. Die Hauptkraft der Cavallerie-Division des Generals A. ist nach dem ergebnisslosen Gefechte für den Tag dahin ;

sie sammelt sich,

bleibt noch einige Zeit dem Feinde gegenüber beobachtend halten, und begiebt sich dann, sobald weitere Infanteriemassen angelangt sind, in weiter rückwärtsliegende Cantonnements . Für Verpflegung, Munitions ergänzung, für die Verwundeten wird gesorgt, Rapporte werden ge macht und die in den letzten Tagen eingetretenen Schäden nach Mög lichkeit ausgebessert ;

die Verhältnisse bedingen es dann , dass die

Selbstständigkeit der Cavallerie-Division vorläufig ein Ende erreicht. Die nähere Schilderung dieser Verhältnisse und eine eingehende Be trachtung

der

letzteren bilden

die

beiden Schlussabschnitte des

Heftes . Die aufgeführte Verlustliste dürfte vielleicht von Seiten des Ober-Commando's wieder zur Vervollständigung zurückgegeben worden sein , denn sie führt nur ganz summarisch die Verluste an, ohne die Todten , Verwundeten und Vermissten zu trennen.

Die

Verluste der 1. Cavallerie- Division , welche sich auf fast 500 Köpfe beliefen , wären bei dieser Gliederung vielleicht auch nicht ganz so bedeutend erschienen ?! Am Schlusse dieses seines dritten Heftes erhebt der Verfasser seine gewichtige Stimme noch einmal dafür , dass der Reiterei die allseitigste und reichste Gelegenheit geboten werde, sich hinreichend für den Krieg vorzubereiten

und

zwar

in der Organisation , in

Umschau in der Militair-Literatur.

120

welcher sie auf den Kriegsschauplatz auftreten soll, und herange bildet von denjenigen Männern , die auch dort ihre Führer sein werden ! ――――― Es hat allen Anschein , als wenn dieser gebieterischen Forderung in der Deutschen Armee mehr und mehr Rechnung ge tragen würde. Kämpft der Herr Verfasser mit Wort und Schrift für diese Sache weiter , so darf man überzeugt sein , dass etwaige Zweifel und Unklarheiten auf diesem Gebiete gewiss baldigst be Es ist daher auch ein lebhafter und sehr ge

seitigt sein werden .

rechtfertigter Wunsch ,

der hier im Namen eines groszen Theiles

der Deutschen Armee geäuszert wird , dass Herr Oberst von Verdy dieser 13 unmehr abgeschlossenen Studie über die Cavallerie-Division im Armee-Verbande recht bald eine neue Studie folgen lässt.

Unsere Vorbereitung auf das Schützengefecht in der Schlacht. Berlin 1875.

Rob . Oppenheim.

8 °.

In dem groszen Broschürenstrome , literatur anbelangt ,

seit 1871

48 S.

Preis 0,60 M.

welcher , was die Militair

sehr ergiebig dem Meere der Ver

gessenheit zuflieszt, drohte auch die kleine oben genannte Broschüre mit

fortgespült zu

werden.

Denn welche

Berechtigung ,

gefischt zu werden aus diesem Strome , hat ein Büchlein ,

heraus das den

Namen seines Verfassers nicht an der Stirne trägt und über Taktik handelt ? Ein Thema also , an welches man nur unter auszerge Und um SO wöhnlichen Verhältnissen erwartungsvoll herantritt. weniger durften sich die vorliegenden wenigen Zeilen eine beson dere Beachtung versprechen , standen hat ,

als ihr anonymer Verfasser es ver

seine Gedanken derartig in unzutreffende Worte und

Bilder zu kleiden ,

dass sie meistentheils nur sehr schwer zu ver

stehen sind . Stolpernd erscheint fast jeder Gedanke auf der Bühne, er führt dann seine Handlung mit so viel Unruhe und Wortschwall durch , > dass ihn ein Lächeln des wohlwollenden Publikums be gleitet und wenn er von der Bühne abtritt, man kaum recht weisz, — was er denn eigentlich wollte. Dies war ungefähr der Eindruck, der nach dem ersten Durchsehen des Büchleins bei uns zurückblieb • Da brachte ein günstiger Zufall, süsze Muszestunden, dasselbe noch mals in unsere Hände , und siehe da , es entrollte sich beim Lesen vor unseren Augen nach und nach ein Werk, welches groszes Ver ständniss der Sache verräth und wohl verdient, trotz der oft unge schickten , ja oft entstellenden Figuren, der wenig passenden Ge wänder ,

der

wenig

Menge bekannt Auszenseite

des

künstlerischen

zu werden .

Farbenzusammenstellung

der

Arbeitet man sich durch die rauhe

Buches durch ,

kommt man

nach

wiederholtem

Umschau in der Militair-Literatur. Lesen endlich auf das,

was der Verfasser

121

wahrscheinlich sagen

wollte, so findet man in demselben treffliche Grundsätze, praktische Winke zur Vorbereitung

unserer Infanterie, wenn auch nicht auf,

so doch für das offensive Schützengefecht in der Schlacht.

Be

seelt von dem Wunsche , dass Alles , was , wie es uns dünkt , der anonyme Verfasser sagen wollte ,

die gröszte Verbreitung bei der

Deutschen Infanterie finde , wollen wir den Hauptinhalt des Büch leins hier in kurzen Worten wiedergeben. In dem ersten Capitel sagt der Verfasser , dass er durch das Scherff'sche Wort 99 Was es ist um eine Schlacht" zu seiner Arbeit angeregt worden sei ;

er charakterisirt dann allgemein und kurz

das Wesen der heutigen Kämpfe und verlangt ,

ob mit

vollem

Rechte lassen wir dahingestellt , dass „ auf Allen gemeinschaftliche einzuübende Formen hinzuarbeiten" sei ; das Reglement soll umge arbeitet und in demselben für das Bataillon wie für alle „ Combi nationen" mehrerer Bataillone Vorschriften gegeben werden, welche eine „ intensive " Wirkung ermöglichen. Wir wollen der alten Streit frage : „ ob ein neues Reglement nöthig ist oder nicht ", hier nicht näher treten , sondern , unsere eigene Ansicht in dieser Beziehung zurückhaltend , nur für jetzt referiren. In dem zweiten Capitel eifert der Verfasser mit aller Kraft gegen die Manie, mit den einrückenden Verstärkungen die Schützenlinie zu verlängern.

Dies führt natürlich, wie der Feldzug 1870 ja vielfach

auf Deutscher Seite gezeigt hat, zu langen, dünnen, nicht mehr führ baren Gefechtslinien ohne Reserven. Dagegen muss allerdings von jeder Stelle aus gekämpft werden ;

aber nicht nur bei gröszeren

Massen, wie Verfasser meint, sondern schon beim Exerciren der Com pagnie und des Bataillons können und sollten die Grundsätze des Fechtens aus der Tiefe zur Geltung gebracht werden. Eine strenge Disciplin, unbedingtes Vertrauen auf die Vorgesetzten, auf Kamera den, erzeugt durch die Macht der Gewohnheit bei dem dienstlichen und auszerdienstlichen Zusammenleben in der Compagnie, betrachtet der Verfasser in dem dritten Capitel seines Büchleins als das beste Mittel , um in den auflösenden Elementen des modernen Gefechtes den inneren Halt und Zusammenhang einer Truppe zu erhalten . Den gewählten Ausdrücken dieses Capitels stimmen wir nicht, dem Inhalte aber gern und voll bei. Eine Compagnie, nach den ange gebenen Grundsätzen erzogen , wird im Gefechte ohne zu grosze Gefahr in sich ganz durcheinander gemischt werden können , wenn sie nur im Frieden fleiszig entsprechende Uebungen betrieben hat. Solche unvermeidliche Vermischung der fechtenden Schützen , legt

Umschau in der Militair -Literatur .

122

der Verfasser dann im vierten Capitel dar , kann unbedenklich auf das Bataillon, auf das Regiment ausgedehnt werden, darüber hinaus aber nicht ; also im Bataillon , im Regiment mit den einzelnen Kör pern aus der Tiefe fechten ;

beim Kämpfen mit Brigaden etc. ist

hierauf nicht mehr so viel Werth zu legen.

Wieder viel gute Ge

danken in diesem Capitel, wenig gute Worte . Capitel 5 schildert uns demnächst ziemlich ausführlich die Art und Weise , wie die Schützenlinien heute vorgehen werden ; bis auf 1000, 600 Schritt werden sie bald gehend, bald laufend, an den Feind gelangen. Alles wirft sich dann hin und sieht ein, dass es sich nun so ohne Weiteres nicht mehr vorgehen lässt. Was nun ? Soll man zug weise in einzelnen Anläufen weiter vordringen, und durch die liegen bleibenden Abtheilungen den Feind beschäftigen , diese Abtheilungen lenken ? zugweise Vorgehen. „ Zug" hält ;

Er

dessen Feuer auf

Verfasser ist entschieden gegen dieses

hat recht ,

wenn

er sich an das Wort

aber Scherff und Diejenigen , welche seine Ideen ver

ständig ausführen, legen doch wohl weniger Werth darauf, dass ge rade ein Zug vorgeht, als dass eine einheitlich geführte Abtheilung, begrenzt durch Terrain und die übrigen Verhältnisse , sprungweise weiter vorgelangt.

Jeder, der die wahren Bedürfnisse der heutigen Taktik erkannt hat, wird finden, dass Alles, was der Verfasser hier gesagt hat , vollständig sachentsprechend ist und im vollen Ein klange mit den Scherff'schen Grundsätzen steht. Gewiss : das gleich zeitige Vorgehen der ganzen Linie , so weit sie einheitlich zu führen ist , das ist allein das Richtige ! --- Wird man aber mit der ganzen Linie so einfach auf den näheren Distanzen vorgehen können ? fragt Verfasser im sechsten Capitel. Gewiss nicht , ist seine Antwort. Es bedarf fühlbarerer, sichtbarerer Unterstützungen . Nicht in dünner Linie, sondern in dichten Haufen, mit allen Zeichen belebenden Muthes, sich an denjenigen Stellen mit den voreilenden Abtheilungen in die Schützenlinie werfen , wo diese in bedenklicher Lage, sich vielleicht zurückgebogen hat, nicht mehr recht weiter kann ! Durch solch begeistertes Vorstürmen werden dann auch die anderen Theile der Schützenlinie fortgerissen und vorwärts getragen. Mittelst dieser wiederholten Auffrischungen der Schützenlinie erreicht man dann endlich die Entfernung, von wo aus nach hinlänglicher Feuer Vorbereitung durch geschlossene Abtheilungen, welche in die Schützen linie mit Hurrahruf, Trommelwirbel und Hornsignalen hineinstürzen, der Versuch gemacht werden muss , in die Stellung des Feindes zu gelangen. Capitel.

Treffliche Ansichten , treffliche Vorschläge enthält dieses Gern wollen wir es gestehen ,

es wurde uns ordentlich

Umschau in der Militair-Literatur. warm um's Herz ,

123

als wir mit den Schützen des Verfassers immer

weiter vorstürmten ,

im Geiste klang Horn und Trommel an unser

Ohr und mit kräftigem Hurrah sahen wir die Stellung des Feindes Dies sind wohl die Hauptgedanken, mit denen sich die

i stürmen.

vorliegende Broschüre das Schützengefecht durchgeführt denkt ; im siebenten, dem Schlusscapitel, macht der Verfasser dann Vorschläge, wie diese Grundsätze im Frieden zur Gewohnheit gemacht werden sollen.

Viel Exerziren mit Platzpatronen, den Gefechtsverhältnissen

entsprechende Tiefe der Exercirplätze , auf denen dann nicht , wie bisher, in der Regel halbe Distanzen zur Anwendung kommen, sind die gewiss gerechtfertigten und leicht erreichbaren Wünsche des Verfassers.

In der Ueberzeugung , dass die Broschüre überall , wo

sie verstanden wird ,

Beifall findet 1 und

guten Samen ausstreut,

wünschen wir, wie gesagt, derselben die ausgedehnteste Verbreitung in unserer Armee .

Wenn wir im Beginne unserer Besprechung etwas scharfe Ausstellungen über das Aeuszere des Büchleins ge macht haben, so geschah es nur im Bedauern darüber , dass so viel Gutes sich selber durch solch' ungeschickte Formen zu schaden be müht ist. Sicher erlebt die kleine Broschüre eine zweite Auflage und dann hat dieses Aufmerksammachen auf die Form vielleicht das Gute gehabt, dass der Verfasser sich bemüht, seine vortrefflichen Gedanken leicht und vollständig der Menge geniessbar zu machen .

VIII. Verzeichniss

der

bedeutenderen Aufsätze

aus

anderen militairischen Zeitschriften . (15. Juli bis 15. September 1875.) Allgemeine Militair - Zeitung (Nr. 27-35) : Das Gefecht von Coulmiers am 9. November 1870. ― Ueber die Militair-Karten-Her stellung in Oesterreich. - General Lee. Ueber die gegenwärtige Bedeutung der Festungen. - Die Neubefestigungen der Französi schen Ostgrenze . — Die beabsichtigte Neubefestigung von Lyon. Der Aufstand in der Herzegowina. Zur Enthüllungsfeier des Hermanns - Denkmals . ――― Wie kann der materiellen Noth der be

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze

124

dürftigen jungen Offiziere abgeholfen werden ? -

Das Gefecht an

der Suffel und die Einschlieszung von Straszburg im Jahre 1815. – Ueber Organisation, Bewaffnung und Taktik der drei Waffen unserer Die diesjährigen groszen Herbstübungen

Feld - Armee seit 1871. in Lothringen.

Archiv für die Artillerie- und Ingenieur- Offiziere des Deutschen Reichsheeres (78. Band , I. Heft 1875) : Das 25jährige Jubiläum des Königl. Bayerischen 3. Artillerie- Regiments als Regiment Ihrer Maje stät der Königin-Mutter von Bayern. - Neue Verbesserungen in der Fabrikation des Pebble-Pulvers. - Beschreibung des Säulen-Shrapnel Zünders . ― Von der taktischen Anwendung der Feldbefestigung in den verschiedenen Epochen der Kriegsgeschichte. Organ der militair- wissenschaftlichen Vereine (XI . Band , I. Heft): Ueber das militairische Berufswissen. ― Das jährliche Programm der Infanterie-Truppen-Uebungen. - Der Bürgerkrieg in Spanien. Die Belagerung von Paris und die Befestigungsfrage der

Grosz

städte. — Die Russische Expedition gegen Chiwa im Jahre 1873. Jahrbuch der militairischen Gesellschaft in München 1874-75 : Ueber die Deutsche Militair-Literatur. - Aphoristisches aus takti schen Studien. ――― Betrachtungen über die Verwendung der Feld Artillerie im Gefechte. - Die Entwickelung der Taktik des Festungs kriegs in der neuesten Zeit. ―――― Die Schwäbisch - Bayerische Hoch ebene . ―――――――――――― Russische Reise- Erinnerungen . - Ueber die Erziehung des Soldaten. Oesterreichische Militair - Zeitung (Nr. 55-72) : Der Telegraph und die Eisenbahnen vom militairischen Standpunkte. ―――― Betrachtun gen über Vertheidigungs- Instandsetzung respective ' Armirung fester Plätze. Beiträge zur Ergänzung der Organisation der K. K. Armee. - Das Kriegsbudget pro 1876. - Italiens Heeresreform. Frankreichs Artillerie. - Das Pensionsgesetz und der Staat. Der internationale geographische Congress und seine Ausstellung in Paris 1875. ―――― Von der unteren Donau. ― Das Kriegsreporterwesen. ― Liegt der Erfolg in der Nachahmung ? Oesterreichisch - Ungarische Wehr - Zeitung

( Nr. 56-71) :

Das

K. K. militair - geographische Institut und seine neuesten Erzeug nisse. ――――――― Betrachtungen über die Organisation der Infanterie. Der Fortschritt unserer Festungs -Artillerie. - Das Etapenwesen . Die Herzegowina. ――― Betrachtungen über die Organisation der Mili tair-Verwaltung. - Bosnien .

aus anderen militairischen Zeitschriften.

125

Oesterreichisch- Ungarische militairische Blätter (II . Band, 2. Heft) : Der Kampf um Feldschanzen und die Placirung der Geschütze inner halb oder auszerhalb der Schanzen. - Militairische Studien aus dem ▬▬▬▬▬▬▬▬▬ Gebiete des Festungskrieges und der Landesvertheidigung . 3. Heft : Die Entpanzerung der Kriegsschiffe . - Oberst Lavroff über Stahlbronze. ―――――― Die Europäischen Heere im Jahre 1874. Oesterreichisch-Ungarische Militair- Oekonomie-Zeitung ( Nr. 47) : Die Mannschaftsküche. Oesterreichisch - Ungarische Militair-Zeitung ( Nr . 29–36) : Be merkungen über den II. Theil des Exercir - Eeglements . Der Deutsche Ritterorden und dessen Exposition im Weltausstellungs gebäude. - Kartographische Briefe . --- Eine Infanterie - Gefechts Das Heiraths - Normale. Uebung. - Die Feldgeschützfrage . ― ―――― Das neue Französische In Vom neuesten Schlachten-Bummel.

fanterie- Reglement. Streffleur's Oesterreichische militairische Zeitschrift (6.

und

7. Heft) : Machtverhältnisse der Haupt- Staaten Europa's in der alten und neuen Zeit, nebst einem allgemeinen Blicke auf das Europäische Gleichgewicht. ― Die Reorganisation der Französischen Heeres Allgemeine Terrainlehre. ―――――― Ueber Schieszversuche mit dem Infanterie-Gewehre. ― Die Ausnützung der latenten Volkskräfte zu Landesvertheidigungszwecken in den Staaten Europa's. - Ge macht.

schichte der Stahlbronce. Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens (4. Heft) : Bestrebungen zur Verbesserung des Oesterreichischen Feld Artillerie-Materials . - Uebersicht der vorzüglichsten Versuche auf dem Gebiete des Artillerie- Wesens während der Jahre 1873 und 1874. ―― Das Genie-Wesen in den Europäischen Heeren : I. Russ land. ――――――― 7. Heft : Zünder-Versuche. - Krupp'scher Gussstahl contra Englischen Panzerstahl. ―――― Beitrag zur Frage des Luftwiderstandes gegen die Bewegung von Geschossen . -

Correctur-Regeln für das Schieszen aus Französischen 7 Ring und 5 Ring Kanonen . 8. Heft : Feldmarschall- Lieutenant Julius von Wurmb. ―――― Die Vertheidigung von Portugal etc. Beitrag zur Ballistik der Feldgeschütze und Handfeuerwaffen. Der Stahl als Geschützrohr-Metall . Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens (Heft 7, 8 u. 9) : Der Verkauf der Italienischen Kriegsschiffe vor dem Parlament. Die Küstenbeleuchtung Oesterreich-Ungarns . ――――――― Zur Geschichte der Russischen Marine . -- Das Torpedoschiff Desuvins. - Die meteoro

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze

126

logischen Beobachtungen und die Analyse des Schiffscurses während der Polarexpedition unter Weyprecht und Payer 1872-1874. Ueber die Ventilation der Schiffe. ― ― ― ― ― ― Staaten. ➖➖➖ Nebelsignale .

Die Flotte der Vereinigten

Die Elite-Truppnn. - Ca ――――――――― Russische Armee. perei. ―――― Die Manöver von Beverloo 1875. Ueber Offiziers - Instruction. - Die Offizierspferde. --- Die Ver wundeten und die Invaliden. --- Das neue Reglement für die In L'avenir militaire (Nr . 295-305) :

fanterie-Manöver. --- Die Compagnieschule . Die geographische Der Französische Mi Ausstellung. Der Reserve -Offiziers-Etat. litair - Etat vom Auslande beurtheilt. -- Das neue Cavallerie - Exer cier- Reglement . ――

Der Gesetzvorschlag betreff der Recrutirung in -Algier. Entziehung der Pferde den Tirailleur - Hauptleuten. Der Militair - Dienst und die Civilärzte. — Die Herbstmanöver in Algier. Le Spectateur militaire (Juli- u . August- Heft 1875 ) : Wilhelm III re 1873 . geschichtliche und militairische Studie. - Das Gewehris -- Versuch einer practischen Methode zum Unterrichte im 1: Gefechte. --- Die Schieszübungen der Niederländischen Infanterie. Infanterie- Führung gegen Cavallerie - Angriffe . Die Armee in Oesterreich -Ungarn .

Die Strategen und das militairische Genie.

Journal des sciences militaires (August- u . September- Heft 1875) : Marschtaktik. Der Krieg von 1870-71 . Die professionelle In struction in den Artillerieschulen. Geologie und Geographie. Militairische Organisation der Eisenbahnen . Revue d'Artillerie (Juli- u . August- Heft 1875 ) : Ueber die Me tallurgie der Geschützbronce. ―― Beschreibung der Italienischen Brückenequipage. - Mechanische Versuche des Obersten Rosset be treff des Widerstandes der hervorragendsten Kanonen-Metalle . - Ar tillerie-Taktik während des Krieges von 1866. Ueber Züge der Geschütze von groszem Caliber. — Bemerkungen über die Fabrication der Armstrong-Geschütze. Revue Maritime et Coloniale (August- u . September- Heft 1875) : Das Budget der Italienischen Marine .

Die Luftschifffahrt. - Die

Artillerie der Englischen und der fremden Marine. Revista militar (Nr. 13 ) : Militairischer Geist und Kriegergeist. Rivista marittima (Juli- u . August-Heft 1875) : Torpedo's und electrische Schwimmer. - Johnson's Methode zur Bestimmung der geographischen Länge und Breite und des Verticalkreises der Sonne. 1 Die Panzerflotten.

aus anderen militairischen Zeitschriften.

127

Rivista militare italiana (Juliheft 1875) : Einige Reflexionen über ――― das Heer, betrachtet vom Standpunkte der nationalen Gesittung. Die Neuorganisation des Französischen Heeres . - Studien betreff der Recrutirung und Ordnung der Heere von Deutschland, Oester reich, Frankreich und Italien. - Die Reiterei Friedrichs II. ―――― Das Garnisonssystem mit Bezug auf die politischen und militairischen Be dingungen Italiens.

England und die Hinterlader-Geschütze.

L'Esercito (Nr. 83-104) : Längste mittlere Entfernung der In fanterie-Etappen, nach Erfahrungsdaten. -- Die Militair-Verschwö rung von 1814.

Von der militairischen Anerkennung.

Be

trachtungen über einige Versuche, die im Jahre 1874 mit Straszen Locomotiven angestellt wurden. Der bewaffnete Friede und das Italienische Heer. Das Pieri-Gewehr. — Das Scheibenschieszen. ― ―――――― Die Einnahme Roms im Jahre 1870. Taktische Fragen. Das Hermanns- Denkmal. - Die Streitkräfte der Türkei. Giornale d'Artiglieria e genio (5. Heft, 2. Theil) : Uebersicht Strettailleusen in den Jahren 1872-74 angestellten Versuche . Het en anlässlich der Versuche des Pariser Conservatoriums für Kunst und Gewerbe betreff einer Straszenlocomotive. -- Transport der 32 Cm. Kanone von der Gieszerei zu Turin nach der Batterie „ Duca di Genova" auf dem Campo di S. Maurizio . Norsk Militaert Tidsskrift ( 1875 , 4. und 5. Heft) :

Ein Avant

garde- Gefecht. - Infanterie- Schieszübung in Aaret 1874. Allgemeine Schweizerische Militair - Zeitung ( Nr. 28-36) : Ge neral Dufour. - Wie erreichen wir ein ausgiebiges Infanteriefeuer ? Bekleidung und Ausrüstung der Armee. ――――― Eidgenössisches Offi ziersfest in Frauenfeld,

10., 11. und 12. Juli 1875. - Die Feld

Sanitätsanstalten der Oesterreichischen Armee. Befestigungen. Ist eine Vermehrung unserer Der Mannschaftsersatz des Heeres. Cavallerie Bedürfniss , und welches sind die Mittel und Wege dazu , um auf Erfolg zu hoffen. Revue militaire suisse ( Nr. 14-16 ) : Verbesserung unserer be festigten Plätze. ――― General Dufour. - Schieszunterricht vom Ge sichtspunkte der Infanterie aus . La Belgique militaire (Nr . 236-242) : Erster dreijähriger Be richt über die Belgischen Militair - Unterrichts - Anstalten . - Die Dampfblockwagen. ―― Militairische Be Manöver von Beverloo . trachtungen. - Kann unsere Armee ihre Mission erfüllen ?

1

128

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.

De nieuwe militaire spectator (Nr. 8 und 9) : Louvois und die Republik der vereinigten Niederlande. — Atsjin, der General Van Swieten. - Die neue Holländische Wasserlinie. Army and Navy Gazette (Juli und August 1875) : Lee verglichen mit einigen Generalen. ― Schwere Artillerie. - Militair - Train. Die Manöver zu Aldershot. - Feld-Artillerie - Experimente. ―――― Ar tillerie-Experimente in Dartmoor. Naval science *) (Juli 1875 ) : Die Marine-Abtheilung der Wiener Weltausstellung .

*) Der Herausgeber zeigt an, dass diese Zeitschrift zu erscheinen aufhört. Als Grund wird der Mangel an Zeit des Redacteurs Herrn Reed angegeben.

Das Verzeichniss der betreffenden Aufsätze

aus der

Russischen

Militair-Literatur für die Zeit vom 15. Juli bis 15. September wird im November-Hefte gebracht werden .

Verantwortlich redigirt von Major v. Marées, Berlin, Derfflinger Str. 1 . Verlag von F. Schneider & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi), Berlin, Unt. d. Linden 21 . Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

RECIMENT 3: * BIBLIOTHEEK * INFANTERIE

1 IX .

Die

Schlacht

bei

Loigny - Poupry

am

2. December 1870. Von Hermann von Kleist, Hauptmann und Compagnie-Chef im 3. Oberschlesischen Infanterie- Regiment Nr. 62. (Mit einer Karte.) (Schluss .) *) III. Die Theilnahme der 22. Infanterie-Division an dem Gefechte bei Lumeau und der Kampf derselben gegen das XV. Fran zösische Armeecorps bei Poupry. Der 22. Infanterie - Division war seit dem 30. November der Cantonnementsbezirk östlich und westlich der groszen Strasze von Orléans nach Paris angewiesen, mit dem Hauptquartiere Toury ; der gröszere Theil lag östlich der Strasze.

Die 2. Cavallerie- Division

hatte die Aufgabe, sowohl die Deckung nach Süden unmittelbar vor der 22. Infanterie - Division , als auch mit zwei Brigaden, der 4. und 5. , den Sicherheitsdienst vor dem links nach Pithiviers herange zogenen Theile der II . Armee zu übernehmen.

Um den weit vor

geschobenen Cavallerieposten mehr Halt zu geben, waren die Ort schaften in vorderer Linie von Infanterie- Abtheilungen besetzt , und speciell waren bei der 22. Infanterie- Division dazu zwei Bataillone des 32. Infanterie- Regiments, sowie eine Pionier Compagnie verwendet. Der Befehl vom 1. December Abends 6 Uhr aus dem Groszherzog lichen Hauptquartiere hatte angeordnet, das die 22. Infanterie-Division am 2. December um 8 Uhr Morgens in gedeckter Rendez - vous Stellung, östlich der Strasze Orléans-Paris , bei Tivernon, stehen solle.

*) Vergl. Jahrbücher Band XVII, Seite 1 (October 1875). Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

9

130

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

Dies wurde ausgeführt ; doch blieben die beiden Bataillone 32. Regi ments in den ihnen zur Vertheidigung zugewiesenen Dörfern mit dem Füsilier- Bataillon und einer Batterie als Soutien. Um 8 Uhr lief bei dem Divisions Commandeur, General von Wittich, der Befehl des Groszherzogs ein, demzufolge die 17. Division nach Lumeau be ordert wurde ;

der

17. Division sollte die

22. folgen ,

sich bei

Baigneaux aufstellen, um von hier die erstere unterstützen und der 3. Cavallerie-Brigade, von Colomb, einen Rückhalt bieten zu können . Um 11 Uhr sollten die Operationen aus den neuen Stellungen be ginnen. Auch bei dieser Division folgte der Abmarsch sofort dem ge gebenen Befehle. Der Vormarsch geschah über Santilly levieux, von Dieser Ort wurde wo die grosze Strasze nach Baigneaux führt. vor 11 Uhr erreicht und nördlich eine Stellung genommen.

In der

Ferne im Westen hörte man den Kampf, in welchen das Bayerische Armeecorps verwickelt war, während es bei Lumeau verhältniss mäszig still blieb .

Die linke Flanke des Vormarsches deckte die

3. Cavallerie - Brigade, welche der Division zugetheilt war und die Strasze von Artenay nach Paris im Auge behielt.

Bald zogen die

Meldungen derselben die Aufmerksamkeit des Divisions-Commandeurs auf sich, denn sie besagten, dass starke, Französische Colonnen auf Lion en Beauce *) vorrückten.

Es heben sich schon jetzt die beiden

Seiten der Aufgabe hervor, welche der Division gestellt war, sowohl der 17. Infanterie- Division, als auch der 3. Cavallerie - Brigade zur Unterstützung zu dienen.

Das 32. Regiment , welches bisher zum

Soutien für die Cavallerie - Vorpostenstellung gedient hatte, folgte, als diese aufgegeben wurde, der Division. Gegen 11 Uhr war der Aufmarsch der Division beendigt ; man bemerkte den Kampf der Bayern rechts rückwärts , während vor wärts, in der rechten Flanke, Lumeau von der 17. Division gehalten wurde, allerdings nur erst gegen die ersten Versuche der Division Maurandy.

Der Vormarsch von Theilen dieser letzteren Division,

wie es schien, auf Baigneaux

dirigirt , erwies sich bald als

auf

Lumeau gerichtet, denn die Französische 1. Brigade nahm Stellung von Anneux bis zu dem Windmühlenberge, südlich von Lumeau. Es war dies die 1. Brigade ; die 2. Brigade der 3. Division XVI. Armee corps bedrohte von Ecuillon und Neuvillers aus die Südwestseite von Lumeau.

Die Französische Divisions - Artillerie war zwischen Do

mainville und Neuvillers aufgefahren und beschoss Lumeau.

*) Lion en Beauce, Dorf zwischen Artenay u. Toury, östlich der groszen Strasze.

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

131

Es stimmen hier die Zeitangaben auf allen Seiten auffallend gut überein. Um 11 Uhr nahm die 22. Infanterie - Division nördlich von Baigneaux Stellung ; der Avantgarde der 17. Division gelang es Lumeau zu besetzen, das 14. Jäger-Bataillon konnte, in Baigneaux abgelöst , zur Verstärkung der Avantgarde nach Lumeau abrücken, und beide Französischen Brigaden der 3. Division bereiteten sich ernstlich zum Angriffe auf Lumeau vor. Von der Stellung nördlich von Baigneaux hörte der Commandeur der 22. Infanterie - Division, General von Wittich , den rechts rück wärts tobenden Kampf gegen das 1. Bayerische Corps ; er sah ferner die sehr ernstlichen Vorbereitungen der Franzosen durch umfassen den Angriff von Süd - West und Süd - Ost her, nach gehöriger Be arbeitung durch die drei Batterien der Division zur Wegnahme von Lumeau. Er beschloss mit seiner Division, seiner Aufgabe gemäsz , die 17. Infanterie-Division durch einen Vorstosz in die rechte Fran zösische Flanke, in der Richtung von Anneux zu unterstützen, um so mehr als ihm, dem General von Wittich, das Dorf Terminiers als Directionspunkt für seine weiteren Operationen angegeben war.

Eine

von der 17. Division erbetene Unterstützung auf deren rechtem Flügel musste er ablehnen, konnte jedoch seine unmittelbare Mithülfe auf dem linken Flügel bei Anneux zusagen.

Demzufolge trat die Di

vision mit der 44. Infanterie - Brigade und der Divisions - Artillerie ihren Marsch an ; Baigneaux wurde passirt, und alsbald fand die vor eilende Divisions-Artillerie ein vortheilhaftes Object in der bei Anneux stehenden Französischen Brigade, welche schon von der östlich von Lumeau stehenden Avantgarden- Batterie der 17. Division beschossen wurde.

Die schon im Angriffe befindliche Französische Brigade kam

hierdurch in ein sehr wirksames Kreuzfeuer, und wenn auch durch dieses die Vorwärtsbewegung auf Lumeau nicht aufgehalten werden konnte , so gerieth sie doch ins Schwanken .

Der wirkliche Stosz

gegen diese Brigade wurde aber rasch und entscheidend von der rechts der Artillerie, mehr auf Lumeau zu vorrückenden 44. Brigade, Oberst von Marschall , mit den Regimentern 83 und 94 ausgeführt. Ebenso wie der Stosz der Brigade Kottwitz die Brigade Bourdillon in ihrem Angriffe auf Château Goury über den Haufen warf, so wurde auch hier die 1. Brigade der 3. Division vollständig überrannt, in totaler Unordnung aus Ferme Anneux herausgeworfen und für diesen Tag nicht mehr gesehen ; denn die Franzosen eilten bis nach Sougy *). Nachdem so der Besitz von Lumeau für die Deutschen sicher

*) Auf dem Plane ( October-Heft) irrthümlich Saugy genannt. 9*

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

132

gestellt war, und es sich um die Eroberung von Loigny handelte, erhielt der General von Wittich von dem Groszherzoge, der von dem Süd- Ausgange von Bazoches das Ganze leitete, den Befehl, mit der 22. Infanterie - Division der folgen.

17. als Echelon links auf Loigny zu Der zweite Theil der Tages-Aufgabe für die 22. Division

verhinderte aber die Ausführung dieses Befehles . Wie erwähnt, war noch die 3. Cavallerie-Brigade, von Colomb, der 22. Infanterie- Division zugewiesen worden, mit dem Auftrage, das Terrain westlich der Strasze Orléans Paris zu decken und gegen Artenay scharf zu beobachten.

Um dieser Cavallerie - Brigade für

den voraussichtlichen Angriff der Franzosen von Artenay aus den nothwendigen Rückhalt zu bieten, war sie an die 22. Infanterie- Di visiong ewiesen.

Schon vom frühen Morgen her liefen von dieser

Cavallerie- Brigade vielfach Meldungen ein, welche das Debouchiren zahlreicher und starker Colonnen aus Artenay meldeten.

Ein Theil

dieser Truppe, acht bis zehn Bataillone nebst zugehöriger Artillerie, dirigirte sich gegen Mittag auf die von der 2. Cavallerie - Division, östlich der Strasze Orléans -Paris , gebildete Vorpostenstellung , speciell auf die Dörfer Spuy und Oison ; hier aber nur schwache feindliche Ab theilungen treffend, kehrten sie wieder in ihre alte Stellung bei Artenay zurück.

Diese Truppen gehörten zu dem XV. Französischen Armee

corps unter dem Befehle des Generals Martin des Pallières ; hier bei Artenay standen die 2. und 3. Division dieses Corps ; die 1. Division, unter besonderer Leitung des Corps - Commandeurs, sollte an dem 2. December eine Recognoscirung von Chilleurs aux Bois aus auf Pithiviers unternehmen .

Nach dem Befehle des général en chef,

d'Aurelle de Paladines, brachen am 2. December die

2. und 3. Di

vision des XV. Armee corps, verstärkt durch Cavallerie, am Morgen von Chevilly auf, erreichten Artenay und debouchirten aus demselben. Während die 2. Division ihren vergeblichen Vorstosz auf Spuy und Oison mit einer Brigade machte, entwickelte sich die 3. Division von Artenay aus über Dambron auf Santilly zu. Diese Entwickelung meldete die Preuszische Cavallerie- Brigade von Colomb, und ferner, dass gegen Mittag , nachdem der Angriff auf Lumeau glänzend zu rückgeworfen war, Dambron von den Franzosen besetzt sei . Hier durch wurde aber die linke Flanke und der Rückzugspunkt Baig-. neaux für die 22. Infanterie-Division ernstlich bedroht, und als nun noch die Meldung einlief, dass die Franzosen das Dorf Poupry er reicht und besetzt hätten, liesz General von Wittich dem Groszher zoge Kenntniss von der Sachlage geben und zugleich melden , dass er dem Befehle, auf Loigny zu marschiren, nicht nachkommen könne,

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

133

dass er sich vielmehr sogleich über Poupry gegen Artenay dirigiren werde. Als der Befehl zu dem Einschlagen der neuen Direction erging, stand die 44. Brigade auf dem rechten Flügel in der Nähe der Ferme Anneux, Front gegen den Windmühlenberg, südlich Lumeau ; die Divisions-Artillerie bei Ferme Anneux , hinter und etwas links von der Artillerie die 43. Brigade .

Die ganze Division hatte die

Strasze Lumeau-Poupry überschritten. General von Wittich ertheilte der 43. Infanterie- Brigade, von Kontzki , den Befehl zum Marsche und Angriffe von Poupry. Dieses Dorf sei unter allen Umständen den Franzosen zu entreiszen . Die Ausführung folgte dem Befehle schnell und prompt, so dass die in Poupry eingedrungenen Französischen Truppen nicht Zeit ge wannen, sich zur Vertheidigung einzurichten ; die 43. Brigade warf den Gegner aus Poupry hinaus und besetzte die Lisiere, Front nach Artenay. Die sechs der Division zugetheilten Batterien wurden vom Obersten von Bronikowsky südlich von Poupry placirt und dadurch gesichert ,

dass das Füsilier - Bataillon 83. Regiments ,

den rechten

Flügel bildend, bis über Ferme Morale hinaus vorgeschoben wurde. Die beiden feindlichen Abtheilungen standen sich jetzt gegen über ; die 22. Infanterie- Division Front nach Osten, die 3. Division XV. Französischen Armeecorps, unter General Peytavin, Front gegen Westen ; doch überflügelte die Stellung der Franzosen , namentlich im Norden, die der Deutschen, durch den Besitz des Dorfes Dambron. Das Terrain des Gefechtsfeldes ist ein gleiches , wie bisher .

Die drei Dörfer Baigneaux, Poupry, Dambron liegen in einem Winkel zu einander, auf dessen Fläche, namentlich nach dem Scheitelpunkte Poupry zu , mehrere Waldparcellen die gedeckte Annäherung von Dambron nach dem Dorfe Poupry zu erleichterten . Desgleichen be günstigten vielfache Hecken und Gräben das Einnisten der Fran zösischen Tirailleure in einer Nähe der Deutschen Batterien, welche für dieselben mindestens sehr bedrohlich war ; auch konnte hier durch jeder neue Offensivversuch der Franzosen günstig vorbereitet werden. Im Allgemeinen war

die Stellung nach der Wegnahme von

Poupry bei der 22. Division folgende : Auf dem linken Flügel, nörd lich der Waldparcellen, die 2. Cavallerie -Brigade von Colomb, in Poupry, nördlich und südlich davon die 43. Infanterie- Brigade mit dem 95. Regimente auf dem linken Flügel, 300 Schritt südlich des Dorfes in der Richtung auf Ferme Morale die sechs Batterien der Division, während diese Ferme und das Terrain davor von dem

134

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

Füsilier - Bataillon 83. Regiments gehalten wurde .

Den äuszersten

rechten Flügel bildete das 13. Husaren- Regiment.

Die 44. Brigade

war auf Mameraut und von da nach Abgabe des Füsilier-Bataillons 83. Regiments mit fünf Bataillonen hinter Poupry gerückt. Als Gegner hatte sich die 3. Division XV. Armeecorps westlich Artenay, in der Linie Autroches - Dambron aufgestellt. Die ganze Divisions-Artillerie und nach und nach der ganze zur Stelle befind liche Theil der Corps-Artillerie standen vor der Front, zuletzt acht Batterien, in einer Stellung vor Artenay.

Bei Dambron war eine

Brigade, die zweite im Gefechte gegen Poupry, während die noch dis ponible Brigade der 2. Division sich westlich Artenay entwickelte. Nachdem der Groszherzog

von Mecklenburg, von der Links

schwenkung der 22. Division unterrichtet, diese gut geheiszen hatte, entsendete er aus dem Kampfe um Loigny das 17. Dragoner-Regiment zur 22. Division, um Verbindung zwischen beiden kämpfenden Di visionen, der 17. und 22., zu halten . General von Wittich fasste nach Wegnahme von Poupry den festen Entschluss, um keinen Preis aus der eingenommenen Stellung zu weichen.

War auch die Weg

nahme von Poupry ohne zu grosze Opfer erreicht, und war es auch der 22. Division gelungen , in Front gegen das XV. Französische Armeecorps aufzumarschiren, so schien der Gegner doch durchaus nicht geneigt, das Feld zu räumen.

In den Waldparcellen nördlich

von Poupry währte das Infanteriegefecht hartnäckig fort , und das hier kämpfende 95. Regiment vermochte, ohne weitere Verstärkungen, keine Fortschritte zu machen. Denn nachdem man Französischer Seits die Wegnahme von Poupry, zugleich aber auch das zähe Fest halten der Waldparcellen bemerkt hatte,

wurden

nicht nur fort

während neue Verstärkungen in den Kampf geworfen, sondern der General Peytavin beschloss auch , durch weitere Verlängerung und Verstärkung des rechten Französischen Flügels, den linken Deutschen zu umfassen, und hierdurch sich wieder in Besitz von Poupry zu setzen.

Das 32. Preuszische Regiment bildete den gröszten Theil

der Besetzung dieses Dorfes und des Terrains unmittelbar davor ; es hatte zu kämpfen gegen die aus dem Dorfe hinausgeworfenen Truppen, welche bald, aus der Hauptstellung verstärkt, von Neuem gegen das Dorf vorgingen und die vor demselben befindlichen Hecken und Gräben besetzten . Von hier aus überschütteten sie nicht nur die Vertheidiger der Lisiere ,

sondern auch die zunächst

südlich von

Poupry aufgefahrenen Batterien, von Gillern, Gossler und Kühne, mit einem Hagel von Geschossen.

Oberst von Bronikowsky, der

Commandeur der Artillerie, liesz in Folge dessen die drei genannten

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870 .

135

Batterien zurückziehen und dann den rechten Flügel der Artillerie Aufstellung mit

denselben verlängern .

Auf dem rechten Flügel

deckte, wie erwähnt, diese Artillerie das Füsilier- Bataillon 83. Regi ments , das unter groszen Verlusten, bei thätiger Mithülfe des 13. Husaren- Regiments , mehrere Versuche des Gegners , auch den dies seitigen rechten Flügel zu forciren, vereitelte. Oberst von Kontzki, der Commandeur der 43. Infanterie-Brigade, liesz gegen 2 Uhr melden, dass er Poupry und seine unmittelbaren Umgebungen halte, dass hier keine Gefahr sei, dass aber die Fran zosen von Dambron her mit starken Massen gegen die nördlich von Poupry gelegenen Waldparcellen entschieden vorgingen.

In Folge

dessen wurde vom General von Wittich das 94. Regiment aus der Reserve hinter Poupry zur Unterstützung des im Walde kämpfenden 95. Regiments vorgesendet , und zu gleicher Zeit die nördlich davon haltende 3. Cavallerie - Brigade zur eventuellen Mitwirkung aufge fordert. Der Angriff hatte einen glänzenden Erfolg , während das 94. Regiment von der Ost- und Südostseite eindrang, brach das 95. Regi ment von Poupry aus ein ; die Franzosen wurden aus dem Gehölze herausgeworfen.

Die ferneren Versuche der starken, Französischen

Reserven zur Wiedernahme scheiterten an der entschiedenen Haltung der beiden Regimenter und an dem für die Franzosen sehr bedroh lichen Vorgeben der 3. Cavallerie- Brigade Colomb.

Fast zu gleicher

Zeit , etwas später, brachen auch die Vertheidiger von Poupry, Theile des 95. und des 32. Regiments , als sie den günstigen Erfolg sahen, gegen die ihnen gegenüber liegenden Französischen Linien vor und warfen sie zurück. Hierbei fiel der Commandeur der 43. Brigade, Oberst von Kontzki. Trotz des günstigen Erfolges stellte sich die Gefechtslage für die 22. Infanterie-Division immer bedrohlicher. des Gegners war eine

Die Ueberlegenheit

übergrosze und wuchs mit jeder Stunde .

Hatte General von Wittich, in Folge vertraulicher Mittheilung , auf eine Mitwirkung des 9. Preuszischen Armeecorps gerechnet, welches von Pithiviers an die Strasze Orléans-Paris am 2. December Mittags aufbrach, so erwies sich diese Hoffnung auf Hülfe bald als eine leere, denn von der östlich der groszen Strasze befindlichen 2. Cavallerie Division lief die Meldung ein, dass weit und breit Nichts vom 9. Armeecorps

zu sehen sei .

Dafür kamen aber um so günstigere

Nachrichten von der 17. Division über deren Kampf um Loigny an . Bald nachdem die äuszerste Gefahr auf dem linken Flügel , an den Waldparcellen, abgewiesen war, steigerte sich die Heftigkeit

136

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

des Kampfes südlich von Poupry wesentlich.

Die Franzosen waren

in ihrer Artillerie Stellung, westlich von Artenay, schon im Ueber gewichte ; einige Mitrailleusen-Batterien verstärkten diese aber bald noch, und nun wurde die ganze Stellung südlich von Poupry von Granaten-

und

Mitrailleusen - Geschossen

überschüttet.

Zugleich

machte die Französische Infanterie Versuche, sich der Ferme Morale zu bemächtigen.

Das

hier allein stehende Füsilier - Bataillon 83.

Regiments litt ungemein ; eine letzte Verstärkung, die beiden Pionier Compagnien, wurde aus Poupry herangezogen ; es Morale zu behaupten .

gelang Ferme

Aber Französischer Seits gab man das Gefecht nicht verloren. General Peytavin erkannte die numerische Schwäche seines Gegners, er hörte den Kampf um das 12 Meilen entfernte Loigny, sowie aus dem sich immer mehr nach Süden ziehenden Kanonendonner, dass die Lage des

XVI.

und XVII . Französischen Armeecorps

keine

günstige war. Gelang es ihm den Gegner bei Poupry zu schlagen, so vermochte er dem General Chanzy nochmals Gelegenheit zu bieten, mit der Hülfe der beiden Divisionen XV. Armeecorps den Gegner zu werfen.

Die Mittel zu einer erneuten, starken Offensive boten

sich in der von der Recognoscirung gegen Spuy und Oison zurück kehrenden Brigade, sowie in der noch wenig zur Verwendung ge kommenen Brigade der 2. Division .

General Peytavin richtete den

Angriff wiederum namentlich gegen den linken Deutschen Flügel in den Waldparcellen . Die mit der Brigade zurückgekehrte Französische Batterie fuhr westlich von Dambron auf und unterstützte hierdurch nicht nur das

erneuerte Vordringen der Französischen Infanterie

gegen die Waldparcellen, sondern sie enfilirte auch die südlich von Poupry stehenden Batterien. Der Kampf des 94. Regiments wurde ein verzweifelter ; es war noch das eine der beiden in Reserve hinter Poupry haltenden Bataillone 83. Regiments in den Kampf nördlich des Dorfes gezogen, ohne wesentliche Hülfe bringen zu können. Der Regiments - Commandeur, Oberstlieutenant von Palmenstein, und 16 Offiziere waren gefallen,

der gröszte Theil des Regiments

hatte sich völlig verschossen und war bei dem Waldgefechte durch einander gekommen .

Oberst von Marschall, der hier an Stelle des

gefallenen Obersten von Kontzki

das Commando führte , sah sich

genöthigt, die nördliche Waldparcelle aufzugeben und versuchte, das 94. Regiment in dem Raume zwischen dem Dorfe und den Gehölzen zu sammeln und zu ordnen . Es konnte dies aber nur unter dem Schutze von Artillerie ge schehen ; in Folge dessen befahl der General von Wittich die Unter

Die Schlacht von Loigny - Poupry am 2. December 1870.

137

stützung des linken Flügels durch Artillerie, und Oberst von Broni kowsky entsendete die Batterie Gossler gegen das Wäldchen, während die Batterie von Gillern hinter Poupry in Reserve genommen wurde und ihren Platz neben dem letzten disponibeln Bataillone 83. Regi ments fand . Hierdurch und durch den eintretenden Mangel an Munition ver minderte sich das Feuer der Deutschen Batterien, während das Feuer der Französischen an Heftigkeit zunahm, namentlich traten auf dem linken Französischen Flügel die Mitrailleusen- Batterien in lebhafte Thätigkeit.

Der Donner dieses Geschützkampfes war es,

welcher Chanzy nach dem Eintreffen neuer Verstärkungen durch das XVII. Corps neue Aussichten und neue Hoffnungen zur Wegnahme von Loigny gab. Die Dunkelheit des kurzen December - Tages drohte hereinzu brechen ; Französischer Seits glaubte man den Angriff auf die Ge hölze gehörig vorbereitet und schritt nun zu

deren gewaltsamen

Wegnahme durch Infanterie. Dichte Tirailleurschwärme vorauf, denen Colonnen folgten , brachen die Franzosen in der Richtung von Dambron her zum erneuerten Angriffe vor. Die Lage war kritisch ; man musste Preuszischer Seits die letzten Kräfte zur Abwehr ein setzen.

Die an der Nordlisiere der Gehölze aufgefahrene Batterie

Gossler vermochte den Anlauf nicht aufzuhalten ;

da erhielt die in

Reserve gehaltene Batterie von Gillern den Befehl zur Unterstützung. In dem freien Raume zwischen Poupry und den Waldparcellen fuhr sie bis auf 500 Schritt an die Französischen Tirailleur - Schwärme heran, trieb sie durch Kartätschenlagen zurück und brachte durch wohlgezieltes Granatfeuer die nachrückenden Bataillons- Colonnen zum Wanken ; zugleich brach das noch in Reserve gehaltene Bataillon 83. Regiments vor, und eine mit glänzender Bravour unternommene Attake der 3. Cavallerie-Brigade von Colomb, von Norden her, rollte die Französischen Tirailleurlinien auf und warf sie auf ihre Colonnen, welche von der Preuszischen Cavallerie aber nicht gesprengt werden - Trotzdem war das Abweisen des Angriffes ein so nach konnten. drückliches und der Eindruck des energischen Vorstoszes ein so nachhaltiger, dass die Franzosen ihr Vorgehen nicht nur einstellten, sondern ihren Rückzug auf Artenay antraten .

Dieses Zurückgehen

der Französischen Infanterie geschah unter dem Schutze sämmtlicher anwesenden Artillerie des XV. Corps , deren Feuer namentlich auf die südlich von Poupry haltenden vier Preuszischen Batterien ge richtet war. Bald verschwanden in der herabsinkenden Dunkelheit die Französischen Colonnen in der Richtung auf Artenay.

Von der

138

Die Schlacht von Loigny - Poupry am 2. December 1870.

22. Division wurde nun eine Avantgarde formirt , welche für heute die Sicherung übernahm.

Diese Avantgarde bestand aus dem 32.

Regimente, dem 13. Husaren - Regimente , unter dem Befehle des Obersten von Heuduck.

Die Vorpostenlinie lief von Les Petites

Maisons an der Orléans-Chaussee, östlich von Baigneaux und Poupry, bis Ferme Morale, wo sich im rechten Winkel fast , nach Westen, die Vedetten des 17. Dragoner-Regiments anschlossen.

an

So endet der Kampf dieses Tages , an drei Stellen entbrannt, den drei Stellen mit dem Zurückwerfen der Französischen

Offensive. Fasst man die Aufgaben der beiden kämpfenden Parteien ins Auge, sowie das Resultat, das sie erzielten, so ergiebt sich Folgendes : Auf Französischer Seite sollte der Disposition des Generals Chanzy gemäsz von Nonneville , Villepion und Terminiers

aus die Linie

Janville - Poinville erreicht werden , um, mit anderen Worten,

am

frühen nächsten Morgen, des 3. Decembers, die grosze Strasze nach Paris in der Richtung auf Pithiviers zu überschreiten .

Die beiden

Divisionen XV. Armeecorps sollten am 2. December Abends über Artenay bis in die Gegend von Santilly gelangt sein, um sich bei Château Gaillard der groszen Strasze zu versichern . nicht.

Dies gelingt

Das XVI . Armeecorps findet sich am Abend, zum Theil sehr

in Unordnung, wiederum bei den Dörfern Villepion, Nonneville, Ter miniers ein, untermischt mit dem ganz kampfunfähigen XVII. Armee corps , das ohne Führer, fast aufgelöst ist. Die beiden Divisionen XV. Armeecorps haben Dambron nur zeitweise gehalten, und sind gezwungen, am Abende, nach erlittenen groszen Verlusten, bei Ar tenay sich wieder zu sammeln. Auf Deutscher Seite dagegen wird die Aufgabe des Tages über alles Erwarten günstig gelöst ; nicht nur, dass der Angriff der Fran zosen überall zurückgewiesen ist, auf dem rechten Flügel wird auch das am Tage vorher verlorene Terrain zum Theil wieder gewonnen, auf dem linken Artenay unmittelbar bedroht. — Es ist dies um so auffallender, als am 2. December günstige Chancen für die Französische Offensive vorhanden waren ; der Enthusiasmus der Französischen Truppen war durch die Nachricht von den Pariser Erfolgen auf das Höchste gesteigert ; das Gefecht bei Villepion war ein glückverheiszender Anfang , es gab dem Ge neral Chanzy Vertrauen zu der Leistungsfähigkeit seiner Truppen und diesen wiederum Vertrauen zu ihren Generalen. War die numerische Stärke des XVI . Armeecorps der Heeres-Abtheilung des Groszherzogs gleich , so änderte sich durch die Theilnahme des

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

139

XVII. Armeecorps und der zwei Divisionen des XV. Armeecorps das Zahlenverhältniss sehr zu Gunsten der Franzosen. Die Fran zösischen Truppen waren,

mit Ausnahme des XVII . Armeecorps,

wohl ausgeruht und vollständig ausgerüstet, mit Ausnahme der Ca vallerie, während die Truppen des Groszherzogs die Strapazen der anstrengendsten Märsche und zahlreicher Gefechte ertragen und in Bezug auf Ruhe, Completirung der Ausrüstung viel entbehrt hatten. Auszerdem konnte sich unter diesen Truppen eine gewisse Unruhe Vorbereitet haben durch die vielfach geänderten Marschdirectionen und Gefechtszwecke des verflossenen Monats . Selbst der Mann in Reih und Glied fühlte wohl instinctiv das Herannahen einer Krisis , und der Tag von Villepion war für die Deutschen kein guter Anfang. Trotz alledem scheitert die Offensive der Franzosen, ungeachtet des Daransetzens aller Uebermacht gegen die, zum Theil unter ungünsti gen Umständen kämpfende, Armee - Abtheilung des Groszherzogs . Die Ursachen des Französischen Misserfolges liegen hauptsächlich in der mangelhaften einheitlichen Leitung , in groszen taktischen Fehlern und namentlich wohl in der groszen Unzuverlässigkeit und Unfähigkeit der Truppen. Der einheitliche Oberbefehl wird vor Allem vermisst bei der Mitverwendung des XVII. Armeecorps und bei dem späten Eingreifen der zwei Divisionen des XV. Armeecorps, welche speciell nach dem Befehle des Generals d'Aurelle handelten. Nach dem im Haupt quartiere am 30. November festgesetzten Plane sollte das XVII. Ar meecorps nicht zur Operationsarmee gegen die Deutschen gehören, sondern die Stellung von Orléans decken, und daher vom linken Heeresflügel, hinter der Front der Armee weg, Chevilly gezogen werden .

in die Richtung auf

General Chanzy aber, in Erkenntniss der

Schwierigkeit seiner Aufgabe, suchte sich eine starke Reserve zu bilden, und wusste den General de Sonis zu bewegen, sich als un mittelbare Schlachtreserve für das XVI. Corps am 2. December zu betrachten.

Hierdurch wurde die dem XVII. Armeecorps gestellte Aufgabe ganz verändert , was um so mehr von Einfluss werden musste, als es in Bezug auf Festigkeit seiner Formation und Vollendung seiner Ausrüstung noch Vieles zu wünschen übrig liesz . Es wurde seine Marschdirection geändert ; die Märsche für dasselbe wurden gröszer und mussten in kürzerer Zeit zurückgelegt , die Verpflegung konnte nicht beschafft werden ; kurz es wurden Anforderungen an das Corps gestellt, welche nur ganz vorzügliche Truppen hätten erfüllen können .

140

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. Der Werth des Versprechens, welches General Sonis am 2. De

cember Morgens 6 Uhr an General Chanzy gab, war illusorisch ; hätte General Chanzy den Oberbefehl auch über das XVII. Corps geführt , so würde

er besser unterrichtet gewesen sein von den

Stellungen und Märschen dieser Truppen und von ihrer Verfassung. Ebenso Er würde diesen Factor haben richtig schätzen können . nothwendig wäre es gewesen, den Oberbefehl dem General Chanzy für diese Tage über die beiden Divisionen XV. Armeecorps anzu vertrauen ; dann hätten das XVI., XVII. und zwei Divisionen des XV. Armeecorps einheitlich gegen die Armee-Abtheilung des Grosz herzogs geführt werden können.

Es wäre dann nothwendig ge

worden, die Zeit zum Hauptangriffe nicht in die Morgenstunden, sondern auf den Mittag zu verlegen .

Das XVI. und XV. Armee

corps hätten dann insgesammt gleichzeitig gegen die Stellungen der Deutschen geführt werden können, während das XVII . Armeecorps sich bei Terminiers als Reserve formirte. Das Zahlenverhältniss hätte sich dann so gestellt , dass gegen das Bayerische Armeecorps und die 17. Division drei Divisionen des XVI. Corps und gegen die 22. Division zwei Divisionen XV. Armeecorps gekämpft hätten, ein unbedingt für die Franzosen günstigeres Verhältniss, als das durch die Gefechtslage bedingte successive Auftreten der Französischen Divisionen . Die taktischen Fehler haben sich an diesem Tage sowohl bei den Franzosen, als bei den Deutschen schwer gerächt. Das Ver halten der Cavallerie- Division Michel ist ebenso wenig sachgemäsz, A wie das der Cavallerie unter General Reyau bei Coulmiers ; beiden Tagen sind die Leistungen bedeutungslos.

an

Die am linken

Französischen Flügel befindliche Cavallerie - Division war ein Blei gewicht am Französischen XVI. Armeecorps , während die gleich falls am Flügel befindliche Cavallerie-Division des Prinzen Albrecht (Vater) verschiedene Male ein Hebel wurde, der zu den feindlichen Stellungen richtig eingesetzt, diese erschütterte und bedrohte, und die den in der Front kämpfenden Truppen die Ueberwindung des ihnen entgegenstehenden Hindernisses sehr erleichterte. Der nicht durch Artillerie vorbereitete Angriff der 2. Division, Barry, gegen Beauvillers - Château Goury endete mit der Flucht die ser Division vom eigentlichen Schlachtfelde , wodurch die kämpfen den, Französischen Truppen um fast ein Drittel ihrer Stärke ge schwächt wurden. Noch viel schwerer rächte es sich aber, dass der gröszte Theil der 3. Bayerischen Brigade

sich so übereilt

zur Verfolgung des

‫ני‬

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

141

fliehenden Feindes hinreiszen liesz . Die Bayerische Stellung wurde durch das Ausfallen fast des vierten Theiles ihrer Stärke auf das Aeuszerste gefährdet, und hätte der Angriff der 1. Division, Jaure guiberry, welcher die vorgeprellten Bataillone zurückwarf, mit aller Stärke der ganzen Division und zu gleicher Zeit stattgefunden, so wäre die Stellung des halten gewesen .

1. Bayerischen Armeecorps wohl nicht zu

Das Auftreten der 3. Division , Maurandy, gegen Lumeau ist obne Energie ; erkennen.

dagegen ist das der 17. Division nicht genug anzu Bei der Vertheidigung von Lumeau gegen die 3. Division

XVI. Corps wird sehr glücklich der vielfach vorkommende Fehler vermieden,

zu viele Truppen unmittelbar in der zu vertheidigenden

Oertlichkeit zu verwenden, oder bei Durchführung des Kampfes fort während neue Verstärkungen hinein zu werfen . Nur hierdurch wurde es möglich , die vier Bataillone des Generals von Kottwitz für alle Eventualitäten bereit zu halten, um sie nachher so glänzend zu verwenden,

wie es geschah.

Ebenso rechtzeitig und durch

schlagend, wie die Unterstützung dem 1. Bayerischen Corps zu Theil wurde, ebenso prompt griff auch die 22. Infanterie- Division mit ihrer 44. Brigade gegen den Angriff der Division Maurandy bei Anneux ein. Die Schlacht vom 2. December liefert schlagende Beispiele über die Führung eines Offensivstoszes bei der Vertheidigung ; der selbe muss aus der Flanke und durch Truppen erfolgen, welche nicht unmittelbar an der Vertheidigung betheiligt sind . Deshalb war der Vorstosz der 3. Bayerischen Brigade taktisch nicht ganz sachgemäsz , der Vorstosz der 33. Brigade, Kottwitz , und der 44. Brigade, von Marsehall, richtig und daher auch erfolgreich. Auf demselben Grundsatze ,

auf welchem

die Leitung eines

Offensivstoszes aus der Defensive beruht , basirt sich auch die Vor führung von Verstärkungen zur Aufrechterhaltung der vorderen Ge fechtsstellung.

Das Heranführen der Theile des XVII. Corps zur

Unterstützung des XVI., welches von hinten nach vorn geschah, er weist sich fast als resultatlos . Nur der letzte Französische Vorstosz gegen Loigny war durch seine bedeutende Stärke von Wirkung ; dagegen war die seitwärtige Aufnahmestellung der 1. Division, Jaurė guiberry, bei dem wilden Zurückeilen der 2. Division so richtig und erfolgreich, dass durch diese allein die Entscheidung bis zum sinken den Abende hingehalten wurde.

Der Kampf um Poupry hatte für das XVI. und XVII. Fran zösische Armeecorps wenig Erfolg, und es muss von den Franzosen schmerzlich eingesehen werden, wie es für sie sehr nachtheilig war,

142

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870.

dass das Wirken der beiden starken Divisionen XV. Corps nicht mehr dem Hauptkampfe und Zwecke angepasst wurde .

Ebenso er

folglos , wie der Kampf um Poupry für die Franzosen war, ebenso ruhmvoll ist er für die Preuszische Division. Der Zweck, das weitere Vordringen der beiden Französischen Divisionen zu verhindern, ge lang vollständig, namentlich durch die Leichtigkeit und Energie, mit der sich jede Truppe in die ihr gestellte Aufgabe fand und diese löste, so dass gerade das Gefecht bei Poupry ein sicher durchge führtes, mustergültiges Beispiel liefert für das Zusammenwirken der verschiedenen Waffen. Während wir die Deutschen Truppen überall als Sieger hervor gehen sehen, weichen die Franzosen an allen Orten zurück, und ver mögen keinen Erfolg zu erreichen, denn eine ganz prononcirte Un solidität ist der Charakter der Französischen Truppen. Nur in der Hand ganz energischer Führer leisten sie Tüchtiges , und wie am 1. December, so ist es auch am 2., namentlich die 1. Division unter dem

Befehle des Admirals Jauréguiberry , auf der die Last des

Hauptkampfes ruht, und die, wenn auch unglücklich, doch ehrenvoll und rühmlich kämpft.

Gleiches kann weder von der 2. , 3.,

noch

der Cavallerie-Division XVI. Corps gesagt werden ; sie gaben zum Theil auf nicht rühmliche Weise bei dem ersten Stosze des Gegners das Schlachtfeld, selbst ihre Artillerie, Preis. Der Sieg war von den Deutschen übrigens nicht ohne grosze Verluste erkauft worden.

Bei dem 1. Bayerischen Corps waren : Todt Verwundet

15 Offiziere

143 Mann.

1718

85 -

99 99 342 Vermisst "" 99 Zusammen 100 Offiziere 2203 Mann .

Bei der 17. Division : Todt

10 Offiziere

184 Mann.

Verwundet Zusammen

34 99 44 Offiziere

814 " 998 Mann.

Bei der 22. Division incl. 3. Cavallerie-Brigade : Todt

4 Offiziere

73 Mann.

Verwundet

25

99

499

29

Vermisst

2

29

70

99

Zusammen

31 Offiziere

1. Bayerisches Corps 100 17. Infanterie - Division 44

"9 99

642 Mann. 2203 99 998 "

Hauptsumme 175 Offiziere 3843 Mann.

Die Schlacht bei Loigny - Poupry am 2. December 1870. Der Erfolg dieses Tages erleichterte und

bereitete

143 auf das

Zweckmäszigste die Ausführung des Befehles vor, dass die II. Armee die Offensive

gegen die Loire - Armee

zur Wiedereroberung von

Orléans zu ergreifen habe. Schlacht am 2. December bei Loigny und Poupry be zugleich die Offensive der Loire - Armee zur Befreiung von endet Paris. Die

Die Verluste Französischer Seits sind nicht zusammengestellt, müssen aber sehr beträchtlich gewesen sein, wie aus den Verlust listen einzelner Regimenter hervorgeht ; so verlor das 75. Mobil garden-Regiment (Loire et Cher) 3 Offiziere todt, 17 Offiziere ver wundet, 4 Offiziere gefangen ; das 71. Mobilgarden-Regiment (Haute Vienne) 2 Offiziere todt, 7 Offiziere verwundet ; das 22. Mobilgarden Regiment (Dordogne) 4 Offiziere todt , 9 Offiziere verwundet ; das 66. Mobilgarden-Regiment 1 Offizier todt, 7 Offiziere verwundet. Es betragen die Verluste dieser vier Regimenter allein 54 Offiziere, die Truppenstärke erreicht mit vier Regimentern noch nicht die einer Division , es wird demnach nicht zu hoch geschätzt sein , wenn wir annehmen, dass durch die Schlacht am 2. December die Fran zösischen Corps um 200 Offiziere geschwächt wurden. Der Abgang an Mannschaften ist bis jetzt nicht näher zu ermitteln gewesen.

144

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

X. Ueber

den

Aufenthalt

Seiner

Excellenz

des

General - Feldmarschalls Grafen v. Moltke im

Orient

in den Jahren 1835 bis 1839, nebst

Streiflichtern auf die heutigen schen Verhältnisse.

Türki

Von A. Janke, Premierlieutenant à la suite des 3. Pommer'schen Infanterie-Regiments Nr. 14 und Lehrer an der Kriegs schule zu Metz. (Mit zwei Karten.)

(Schluss. )*) Schon am 23. März

verliesz der Hauptmann v. Moltke das

Hauptquartier, da ihn der Pascha mit einer Recognoscirung der Syrischen Grenze beauftragt hatte.

Er brach mit kleinem Ge

folge auf, überschritt bei dem Kurdan-Dorfe Izoglu den Euphrat, der sich daselbst zwischen hohen schwarzen Mauern bis auf 64 Meter verengt. In Malatia besuchte er einen ihm von Charput her bekannten Türkischen Artillerie-Obersten, dem er seine Ernennung zum Pascha überbrachte .

Aus Freude verspricht dieser, ihm ein Paar Stiefel zu

machen, indem er früher Paputschi oder Pantoffelmacher gewesen war und seine Kunst• als Dilettant zuweilen noch fortsetzte. Als zu Malatia gehörig wird das südwestlich davon in einem Walde von Obstbäumen gelegene Asbusu betrachtet , wohin sich die ganze Be völkerung von Malatia während der Sommermonate begiebt, so dass letzteres dann wie ausgestorben ist. Ueber den Pass von Erkenek und das kleine Städtchen Belweren, wo ein flacher Rücken die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen des Arabischen und des Mittelländischen Meeres bildet, erreichte der Hauptmann v. Moltke nach 65stündigem Ritte am 27. März Marasch , eine Stadt mit circa 25,000 Einwohnern, in der ihm der Pascha seine Redif- Bataillone zeigte.

Nur ungern wandte v. Moltke dem schönen

*) Vergl. Jahrbücher Band XVII, Seite 33 (October 1875).

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

145

Syrien, dem er hier so nahe war, den Rücken, durchzog am 29. März das Gebiet mehrerer Turkmanenstämme, die unter eigenen Fürsten stehen, und wandte sich von Belweren östlich nach Adiaman, einer beträchtlichen, aber sehr verwüsteten Stadt mit zerstörter Akropolis. Ein 20stündiger Marsch auf halsbrechenden Gebirgswegen und durch angeschwollene Bäche führt ihn nach Gerger, einem alten uneinnehm baren Castelle, auf einer Felsenspitze am Euphrat , den er alsdann bis Biredschik verfolgt.

Da liegt zunächst Samsat , welches heute

nicht ein Zwanzigtheil des

alten Samosata , der Hauptstadt der

Syrischen Provinz Commagene , einnimmt.

Zahlreiche Ruinen von

Wasserleitungen, ein Thürbogen und Säulen geben Kunde von ihr. Bei Rum Kaleh befinden sich die Ruinen des alten Römerschlosses Zeugma.

Auf diesen Trümmern stand v.

sternenhellen Nacht.

Moltke

einst in einer

Der Euphrat glitzerte tief unten in einer felsi

gen Schlucht und sein Rauschen drang weit hinaus in die stille Natur. Da schreiten Cyrus und Alexander, Xenophon, Cäsar und Julian im Mondenscheine an ihm vorüber ; von diesem selben Punkte hatten sie das Reich der Chosroës jenseits des Stromes gesehen, und gerade so gesehen, denn die Natur ist hier von Stein, sie ändert sich nicht. Da beschlieszt der Hauptmann v. Moltke dem Andenken des groszen Römervolkes goldene Tropfen der Rebe zu weihen, die sie zuerst nach Gallien gebracht, und deren Saft er von ihres weiten Reiches westlicher Grenze bis zur östlichen mit sich geführt. Er schleudert die Flasche von der Höhe hinab ; sie taucht, sie tanzt und gleitet den Strom entlang dem Indischen Weltmeere zu . Er stand da wie der alte Zecher:

27 Trank letzte Lebensgluth Und warf den heiligen Becher Hinunter in die Fluth. Er sah ihn stürzen, trinken Des Euphrat gelbe Fluth, Die Augen thäten ihm sinken." Er trank nie einen Tropfen mehr.

Die Flasche hatte einen Fehler

gehabt ; sie war die letzte ihres Stammes. Von Rum Kaleh begab sich der Hauptmann v. Moltke nach Biredschik , wo der Euphrat in die Ebene tritt und schiffbar wird . Es ist ein wichtiger Straszenpunkt mit fester Citadelle auf isolirtem Felskegel.

Hier war der Englische Oberst Chesney seit 1831 mit

den Vorbereitungen für die Dampfschifffahrt beschäftigt, welche Ost Indien mit Europa in Verbindung setzen sollte, ein Unternehmen, dessen Verwirklichung namentlich für die Engländer von unberechen barem Nutzen gewesen wäre. Nach zweijährigen mühsamen Arbeiten 10 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

146

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

reichte Chesney der Englischen Regierung seinen der Ausführung günstigen Bericht ein, und es begannen die diplomatischen Verhand lungen, um die nöthigen Concessionen zu erlangen.

Dieselbe wurde

den Engländern trotz Russlands Einsprache 1835 für die Strecke von Biredschik bis Basra ertheilt. Das Unternehmen scheiterte aber an dem Einspruche Mehemed Ali's , da die ergänzende Concession für die Strecke von der

Orontes - Mündung bis Biredschik

seine

Territorialrechte berührte. Abgesehen hiervon, würde das Unternehmen voraussichtlich dennoch an den localen Schwierigkeiten gescheitert sein, die das stellenweise von Felsen starrende Flussbett ihm ent gegengestellt

hätte .

Ob

nun die

zahlreichen

Eisenbahnprojecte,

welche auch Klein -Asien und speciell das Euphrat- und Tigris-Land in den allgemeinen Weltverkehr hineinziehen sollen,

einer nahen

Verwirklichung entgegensehen, muss dahin gestellt bleiben. Jeden falls würde derselbe, der im letzten Jahrtausend vor und im ersten nach Christo von diesen Gegenden ausging , alsdann seinen Kreis lauf vollenden, nur mit dem Unterschiede, dass diesmal die Cultur von Westen ausgeht. Von Biredschik führt eine enge, schlechte, aber fahrbare Strasze durch die Steinwüste, d . h. den oberen Theil von Mesopotamien, zu nächst nach Urfa oder Edessa, Alterthum hinaufreicht.

dessen Ursprung in das früheste

Es spielte einst eine bedeutende Rolle in

der Geschichte der christlichen Kirche, bis es im 12. Jahrhundert dem Islam zufiel und mit ihm dem Ruine entgegenging.

Von Alter

thümern sieht man nur noch die Trümmer der alten Burg , von der Sage für den Palast Nimrod's gehalten, und die Katakomben im Felsen unter derselben.

Sonst ist noch die dem Abraham geheiligte

Moschee mit dem aus der Abrahams- Quelle gebildeten Fischteiche merkwürdig, in welchem fortwährend geheiligte Fische unterhalten werden.

Ueberhaupt gilt Edessa ebenso wie das einige Meilen süd

östlich davon gelegene Harran im Orient für eine durch Abraham's Aufenthalt geheiligte Stadt.

Das heutige Urfa ( circa 50,000 Ein

wohner) ist eine grosze und schöne Stadt, gauz aus Steinen gebaut und mit stattlichen Mauern umgeben. Es bildet mit seinen Obst und Weidenbäumen eine Oase in dem oberen Theile der Sand- und Steinwüste Tschöll. Letzterer legt sich nördlich der rauhe Karadscha Dagh vor, der zu überschreiten ist , wenn man in die wegen ihrer Fruchtbarkeit altberühmte Hochebene von Diarbekr am Tigris ge langen will. Die Stadt Diarbekr liegt pittoresk, von grünenden Baum gärten umgeben, auf einer über 30 Meter hohen basaltischen Fels

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

147

masse, welche steil zu dem nahen rechten Ufer des 120 Meter breiten Tigris abfällt.

Sie wird von einer hohen und starken, aus schwarzen

Basaltquadern aufgeführten Mauer mit zahlreichen Thürmen umgeben. Am Nordende der Stadt ,

durch eine besondere Mauer geschieden,

erhebt sich, ebenfalls aus Basalt erbaut, die Feste Itsch-Kaleh auf jähem Felsabhange über dem Flusse .

Stadt- und Festungsmauern

sind die Reste des vielbelagerten Amida ; sie sind unter Justinian wieder hergestellt und von bewunderungswürdiger Haltbarkeit , die in seltsamem Contraste steht zu dem verfallenden Inneren der Stadt. Früher eine der reichsten Städte Asiens, in der sich der Handel mit Indien über Baghdad, mit Europa über Aleppo concentrirte, und die noch im vorigen Jahrhundert 400,000 Einwohner gehabt haben soll, ist sie jetzt auf 45,000 Einwohner herabgesunken. Erst ganz neuer dings scheint sie einen Aufschwung genommen zu haben. Von Diarbekr abwärts wird der Tigris schiffbar, d . h. nur für Flösze oder Keleks, wie sie schon zu Cyrus' Zeiten construirt wurden und wie sie auch heute noch das landesübliche Beförderungsmittel bilden .

Auch die Türkischen Pontonniere kennen bis jetzt kein

anderes Transportmittel.

Die Keleks bestehen aus 40 bis 60 auf

geblasenen Hammelhäuten , welche in mehreren Reihen unter ein leichtes Gerüst von Baumzweigen gebunden werden und eine grosze Tragfähigkeit besitzen .

Laub , Matten, Teppiche werden darüber

ausgebreitet, und so fährt man bequem und schnell den Fluss hinab. Auch der Hauptmann v. Moltke bestieg ein solches Kelek und fuhr den Tigris hinab, der von Diarbekr abwärts zunächst in einer weiten blumenreichen Ebene flieszt und dann bei der Mündung des Batman Su in ein hohes Sandsteingebirge tritt. Dieser, sowie andere Zu flüsse aus den Hochländern zwischen Iran und Armenien machen den Tigris * ) bald sehr wasserreich .

Steil, oft senkrecht steigen die

Felswände zu beiden Seiten empor,

und hoch oben an der meist

bewaldeten Berglehne sieht man hin und wieder einzelne Ortschaften, deren Kurdische Bevölkerung die alten in den Fels gehauenen Gräber -- so weit sie zugänglich sind — sich zu Wohnungen ein gerichtet hat. samen Anblick.

Die alte Stadt Hassn - Keifa gewährt so einen selt Die Höhlungen sind so zahlreich, dass der Felsen,

auf dem sie ruht , aussieht wie eine Honigscheibe.

Ruinen einer

Brücke mit gewaltigen Bogen von circa 30 Meter Spannung sind noch vorhanden. Ueber die Zeit der Erbauung ist man im Unklaren ,

*) Der Name wird von dem altpersischen Worte tigra = Pfeil abgeleitet und bezieht sich auf das reiszende Gefälle. 10 *

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

148

ebenso über die Ruinen von Dschesireh , welches vom Tigris und einem Arme desselben umschlossen und von Einigen für das alte Bezadbe gehalten wird. von der

noch

Hier führte eine Brücke über den Tigris,

ein Bogen übrig ist.

Die heutige

Stadt ist ein

Trümmerhaufen. Weiter unterhalb tritt der Tigris in eine einförmige Ebene und entfernt sich von dem hohen prachtvollen Dschüdid-Ge birge ,

auf dessen leuchtenden Schneegipfeln nach der Sage des

Volks Noah mit seiner gemischten Gesellschaft debarkirt haben soll . Nach einer interessanten Fahrt von 32 Tagen, während welcher in Folge zahlreicher Stromschnellen manch unfreiwilliges Bad ge nommen wurde, gelangte unser Kelek nach Mossul , das am hüge ligen rechten Ufer des Tigris den Ruinen der alten Königspaläste von Niniveh gegenüber liegt und vielleicht selbst einen Theil dieses berühmten Herrschersitzes gebildet haben mag. Es macht einen nicht unfreundlichen

Eindruck ;

ausgedehnte Melonenfelder

ziehen sich am Flusse hin, weiter sieht man allerdings nichts als gelbe kahle Flächen .

Die hoch über dem Tigris gelegene Festung

und die ausgedehnte Stadtumwallung sind für orientalische Verhält nisse in leidlichem, nach unseren Begriffen in elendem Zustande. Im Innern ist die Stadt eng und winkelig gebaut, die Straszen sind jedoch ziemlich reinlich , und man findet hobe Mauern mit Erkern, holzgeschnitzten Gallerien und schöne steinerne Portale . Die Dächer sind flach, von gestampfter Erde und von niedrigen Mauern mit Scharten brustwehrartig umgeben.

Die Bewohner von Mossul ( circa

30,000 Einwohner) sind ein Gemisch aus den ursprünglichen Chal däischen Einwohnern mit den Arabern, Kurden, Persern und Türken, welche nacheinander zur Herrschaft gelangt sind.

Die allgemeine

Sprache ist die Arabische . Früher war Mossul eine blühende Fabrik stadt , ein bedeutender Stapelplatz für orientalische Waaren *) .

In

neuerer Zeit hat der Handel sehr gelitten, seitdem die Verbindung Indiens mit Europa durch den Weg über Aegypten eine leichtere geworden ist.

Sehenswürdigkeiten bietet die Stadt selbst nicht, um

so interessanter sind die Ruinen in der Umgegend, welche übrig ge blieben sind von den Weltreichen, die sich hier zwischen Euphrat und Tigris einander abgelöst, von den Riesenstädten, in denen sie ihre Macht und Grösze zur Erscheinung gebracht haben. Der Hauptmann v. Moltke fand auf dem linken Ufer des Tigris nur einen 3 bis 8 Meter hohen Erdwall von einer Meile im Umfange,

*) So hat von Mossul der Musselin den Namen, obwohl dieser Stoff jetzt nicht mehr dort verfertigt wird.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

149

welcher für die Umwallung von Niniveh gehalten wurde. Ein Schutt von 3000 Jahren lag über der Assyrischen Metropole, bis die Aus grabungen 1842 durch Botta *) begannen, und von 1845 bis 1856 durch Layard **), seit 1872 bis auf die neueste Zeit durch G. Smith ***) fortgeführt wurden .

Dieselben haben ergeben, dass das Ruinenfeld

nicht von einer, sondern von mehreren, verschiedenen Epochen an gehörenden Anlagen herrührt. Man unterscheidet nach den in der Nähe befindlichen Dörfern drei Haupt-Ruinenstätten, und verlegt die älteste nach Nimrud vier Meilen südöstlich ,

die folgenden nach

Kojundschuk gegenüber und nach Chorsabad 32 Meile nordnord westlich von Mossul , die jüngste wieder nach Nimrud .

Die Städte

bestanden aus leichten Lehmhütten, die schnell aufzurichten und ab zureiszen waren .

Die Ansiedelung folgte im Laufe der Jahrhunderte

den verschiedenen Dynastien von einem Königsitze nach dem anderen. Die neue Ansiedelung ging der Blüthe entgegen, während die alte verfiel und verschwand .

So erklärt man es , dass Xenophon die

Ruinen von Nimrud und Kojundschuk

mit verschiedenen Namen

Larissa und Mespila belegt, diejenigen von Chorsabad gar nicht er wähnt.

Jeder der Königssitze war besonders befestigt , man kann

die Mauern bei Nimrud und Chorsabad noch deutlich verfolgen ; bei Kojundschuk sind sie völlig erhalten. Bei letzterem entdeckte Layard 1848 in dem gröszeren der beiden Trümmerhügel den Palast Sanheribs (703) .

Der mächtige Palasthügel ist jedoch noch nicht

systematisch ausgegraben, sondern man begnügte sich, die gefundenen Kunstgegenstände hervorzuziehen , welche alsdann dem Britisch Museum einverleibt worden sind. Das Ganze ähnelt heute einem groszen Maulwurfshaufen von 600 Meter Länge und 360 Meter Breite. Auf dem kleineren südlichen Trümmerhügel , der Nebbi Jûnus ge nannt wird , weil der Prophet Jonas daselbst gepredigt haben soll, erhebt sich ein Kuppelbau, der das Grab des Propheten birgt.

Die

Heiligkeit des Orts hat bis jetzt die Ausgrabungen an diesem Hügel, der jedenfalls noch viele Alterthümer birgt, verhindert. Der Haupt mann v. Moltke erhielt durch besondere Erlaubniss Zutritt zur Moschee und fand unter ihr Reste einer uralten christlichen Kirche.

*) Vergl. Monuments de Niniveh, découverts et décrits par Botta, mesurés et dessinés par Flandin . Paris 1849 bis 1850. 5. Bd ., gr Fol. **) Vergl. Layard : Niniveh and its remains. London 1848. 2. Bd. Dasselbe Deutsch von Meiszner. Leipzig 1850. 2. Bd. Layard : discoveries in the ruins of Niniveh and Babylon . London 1853. ***) G. Smith : Bericht der Forschungen und Entdeckungen an der Stelle von Niniveh während der Jahre 1873 bis 1874. London .

150

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls Chorsabad, am Fusze des von Jeziden oder Teufelsanbetern be

wohnten Dshebel Maklul gelegen, ist von Botta durchforscht worden, und die gefundenen Schätze sind in das Louvre gewandert.

Noch

liegt ein kolossaler geflügelter Stier mit Menschenkopf aus weiszem Marmor im Sande, der beim Transport nach dem Tigris liegen ge blieben zu sein scheint.

Sonst bietet das Trümmerfeld einen ähn

lichen Anblick wie das von Kojundschuk. Anders

bei Nimrud , einem Dorfe, das den Namen desjenigen

trägt, der nach der Genesis Niniveh gegründet hat. Man vermuthet in demselben die Stelle des ebenfalls in der Genesis erwähnten Calah. Da ist zunächst eine 45 Meter hohe End-Pyramide, von deren Gipfel man die von schönen Gebirgen eingeschlossene Ebene von Niniveh überschaut ; seltsam contrastirt die kahle Oede mit der Pracht, welche man aus den zu Füszen liegenden Assyrischen Palästen errathen kann. Letztere sind systematisch aufgedeckt und liegen in ihrem Grundrisse offen zu Tage. Die Ausbeute hier ist eine auszerordent liche gewesen, und nur diesen Arbeiten verdanken wir Alles , was wir über die Geschichte Assyriens vor Sargon (720-703 v. Chr. ) wissen. Namentlich G. Smith ist der glückliche Entdecker zahl reicher und höchst wichtiger Inschriften gewesen, von denen ich nur an den Chaldäischen Bericht über die Sündfluth erinnere . Die ent deckten Inschriften sagen nichts mehr von dem Sturze Niniveh's, sprechen aber noch von Kasbariti oder Cyaxares nach Herodot, dem Assyrischen Könige, welcher von den Medern und ihren Verbündeten besiegt wurde . Es fehlt also nur noch die Erzählung von der end lichen Eroberung Niniveh's, des Einsturzes seiner Mauern durch die Ueberschwemmung des Tigris , von dem Eindringen der Plünderer und dem letzten Assyrischen Könige, welcher sich mit seinem Pa laste verbrannte .

In letzterem sind die Sculpturen noch vorhanden ;

es stehen noch jetzt die Säle mit ihren marmorgezierten und mit Basreliefs geschmückten Wänden, wie vor 2500 Jahren, und die selben Löwen und Stiere hüten den Eingang zu ihnen noch heute. Die Wüste hatte den Palast mit einer schützenden Decke überzogen, daher Alles so wohl erhalten , als hätte der Künstler die Arbeit soeben verlassen. Unterhalb von Nimrud rauschen die Fluthen des Tigris noch an weiteren Resten alter Culturstätten , an Kalah

Schergat ,

Tekrit,

Samera und unterhalb der Khalifenstadt Baghdad an Seleucia und Ctesiphon vorüber, von denen die letzteren entstanden, nachdem im Gartenpalaste Nebukadnezar's seinen Geist ausgehaucht.

zu Babylon Alexander

der Grosze

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

151

Die Ruinen von Babylon *) speciell liegen bei dem Städtchen Hillah zu beiden Seiten des Euphrat und lassen sich in ihren Resten ziemlich sicher nachweisen. Was die Ausdehnung der Stadt betrifft, so war der allgemeine Charakter ein ähnlicher wie der von Niniveh, und die Angaben Herodot's sind keineswegs übertrieben. ist der Untergang beider ein ganz verschiedener gewesen.

Dagegen Niniveh

wurde von Babyloniern und Medern mit Sturm genommen, der Kö nigspalast verbrannt und die Stadt vom Sieger mit Gewalt ent völkert, Babylon dagegen zerfiel nach Alexander des Groszen Tode allmälig durch die Nachbarschaft Seleucia's, dessen Blüthe die Be völkerung nach und nach herüberzog .

So ist denn auch die Aus

beute an Alterthümern bei Babylon ungleich geringer, da die Aus wanderer vollauf Zeit hatten, ihre Kostbarkeiten mitzunehmen. Zehn Meilen von Babylon wurde die Schlacht von Kunaxa um das Jahr 400 geschlagen, nach welcher Xenophon mit den 10,000 Griechen den Tigris aufwärts marschirte. In der Nähe von Mossul , sieben Meilen nordöstlich davon, er focht Alexander der Grosze 331 v. Chr. den entscheidenden Sieg bei Gaugamela . Das Schlachtfeld bildete eine sandige, nur von wellenförmigen

Hügeln

unterbrochene

Ebene

und

vortrefflich für die Verwendung groszer Reitermassen.

eignete

sich

Es lag zwi

schen dem Ghazyr Su, dem alten Bumodus, und dem Zab, dem alten Lycus .

Ueber letzteren verfolgte Alexander den fliehenden Darius,

erreichte Tags darauf Arbela und bemächtigte sich aller dort aufge häuften Schätze und Vorräthe des Feindes . Der Ort hat also mit der Schlacht selbst gar nichts zu thun, und es ist nicht recht er findlich , weshalb die Doppelbenennung die übliche geworden ist. Arbela liegt sechs Meilen östlich vom Schlachtfelde, elf Meilen öst lich von Mossul .

Heute entspricht ihm das kleine Städtchen Erbil,

welches grösztentheils am Fusze, zum Theil auch am Abhange eines künstlichen Hügels von circa 20 Meter Höhe erbaut ist, auf dem eine Feste steht.

Der dortige Boden ist des höchsten Ertrages fähig.

Wenn im ninivitischen Frühlinge die Jagdhunde in die Wildniss rennen, kommen sie vom Blüthenstaube gelb gefärbt zurück.

Da

aber die Canäle, welche das Land im Alterthume durchzogen, zum groszen Theil zerstört sind, so wandelt man jetzt im Sommer durch eine Wüste.

Das ist das traurige Loos dieser so hochinteressanten

*) Vergl. Oppert, Expédition scientifique en Mésopotamie. Paris 1853 . v. Thielmann : Streifzüge in Kaukasus, in Persien und in der Asiatischen Türkei. Leipzig 1875.

152

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Gegenden im Besonderen , sowie von ganz Klein - Asien überhaupt. Früher eines der schönsten Länder der Erde mit den reichsten Städten, ist es, seitdem statt der früheren Sonne nur noch der bleiche Halbmond diesen unerschöpflich reichen Boden mit seinem Halblichte bescheint, in einem Zustande der Verwilderung und des Elends, der nur zu häufig

in vollständige Hungersnoth übergeht.

Es ist ,

als

sollte hier das Syrische Sprichwort seine Bestätigung finden, das da lautet : 19 Wohin der Türke seinen Fusz setzt , da verdorret das Gras". Mossul war des Hauptmanns v. Moltke östlichster Punkt ; ihm wurde daselbst von dem Gouverneur mit besonderer Auszeichnung begegnet.

Zur groszen Freude des letzteren wurde Mossul aufge nommen und der Plan zu einer neuen Caserne entworfen, wofür der Hauptmann v. Moltke mit Pferden und Maulthieren zur Rückreise durch die Wüste beschenkt wurde.

Auf letzterer schloss er sich

einer groszen Karawane an, die wegen Unsicherheit der Gegend eine Bedeckung von 40 irregulairen Reitern erhielt. Während fünf Tagen durchzog die Karawane die Tschöll oder die Wüste des nördlichen Mesopotamien, ohne irgend eine menschliche Wohnung zu erblicken. So weit das Auge reichte, sah man nur eine unbegrenzte Fläche, nur zeitweise war sie von sanften Terrainwellen unterbrochen. Zur Frühlingszeit , wenn reichlicher Thau fällt , ist auch sie eine grüne Ebene, sonst nichts als eine von der Sonne versengte Einöde. Am fünften Tage erreichte ein Theil der Karawane das Dorf Tillaja, am Fusze des Karadscha - Dagh und einem klaren Bache gelegen.

1 Es ist vermuthlich das alte Tilsaphata, wo das verhungerte Heer Jovians auf seinem Rückzuge aus Persien nach Nisrbin die ersten Lebensmittel wieder erhielt. Daselbst erfuhr v. Moltke, dass am nämlichen Morgen Mehmet- Pascha, einer der unter Hafiz - Pascha stehenden Generale, mit einem circa 3000 Mann starken Truppen corps nördlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden marschirt sei , beschloss sofort, sich derselben anzuschlieszen, und erreichte noch am Abende das Türkische Lager. Das Osmanische Reich umfasst weite Länderstrecken, in denen dasselbe thatsächlich gar keine Autorität besitzt.

Zu diesen gehört

das Gebirgsland zwischen der Persischen Grenze und dem Tigris, welches von Kurden *) bewohnt wird , einem kriegerischen Volke, das in zahlreiche, unter eigenen Fürsten stehende Stämme zerfällt. Namentlich der Steuereinziehung und der Truppenaushebung wider

*) Xenophon berichtet von dem Räubervolk der Karduchen.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

153

setzen sie sich, so dass letztere factisch noch heute nicht zur völligen Durchführung gelangt ist.

Die Kurden - Fürsten suchen ihre letzte

Zuflucht in festen Schlössern, welche sie sich im Gebirge erbaut haben. Diese sind zwar nicht gegen Geschützfeuer eingerichtet , aber doch so vom Terrain begünstigt , können.

dass sie sich wochenlang halten Gegen eines dieser Schlösser, das der Centralpunkt des

Widerstandes gegen die Pforte war, wurde von Mehmet-Pascha eine Expedition unternommen. Fünf Tage nach Eintreffen des Geschützes war der Platz zur Uebergabe gezwungen. Man schritt darauf zur Bezwingung des ganzen, Karsanu genannten, Gebiets , und Hafiz Pascha selbst rückte mit 3000 Mann zur Verstärkung heran. Es musste ein Guerillakrieg geführt werden, wobei es nicht ohne Grau samkeiten abging.

Der Hauptmann v. Moltke war daher froh , als Ende Juli der Befehl zum Rückmarsche gegeben wurde. Letzterer erfolgte durch äuszerst schwieriges Terrain. Der Batman - Strom wurde auf einer antiken Brücke von 30 Meter Span nung und 24 Meter Höhe überschritten und Meja Farkim, das alte Tigranocerta, berührt, wo sich die mächtigen Könige von Armenien eine Residenz geschaffen, die mit Niniveh und Babylon zu rivalisiren

vermochte.

Es war die Gegend ,

einem kleinen Heere

in der Lucullus 69 v. Chr. mit

„ zur Gesandtschaft zu viel , zum

Heere zu

wenig" trotzdem einen glänzenden Sieg über das zwanzigfach stär kere Heer des Tigranes

erfocht.

Ueber Ylydscha ging es nach

Siwan Maden, das in sehr eisenhaltiger Gegend liegt , dann einen Zufluss des Tigris hinauf zur Wasserscheide zwischen ihm und dem Euphrat.

Es ist überraschend, wie nahe die Quellen des Tigris

am Euphrat liegen. bis 1200 Meter. scheiden.

Die Entfernung beträgt kaum mehr als 1000

Es sind zwei Hauptquellflüsse des Tigris zu unter

Der westliche, Egil, entspringt nur eine Stunde nordwest

lich von Telek, wo der Euphrat bis auf 28 Meter eingeschnürt wird, aus dem kleinen Gokcha- See.

Der östliche, Dibenek- Su, flieszt nach

etwa einstündigem Laufe eine halbe Meile unterirdisch in der Höhle Korkhar, welche Taylor 1862 auffand, und wo er wichtige Assyrische Inschriften aus der Zeit Sardanapals entdeckte.

Oberhalb Diarbekr

vereinigen sich alle Quellflüsse. Hafiz - Pascha erkannte die Wichtigkeit des als Wasserstrasse ;

die Ufer

des

oberen Euphrat

oberen Flusses besitzen nämlich

Alles, was den unteren fehlt, als Holz, Eisen, Korn.

Der Versuch,

ihm mit Flöszen zu befahren, war bis jetzt zweimal missglückt ; trotzdem ersuchte in Bezug

er den Hauptmann v. Moltke, ihn noch einmal

hierauf zu recognosciren.

Die Strecke

von Palu bis

154

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Samsat , auf der er den Taurus durchbricht, war eine terra in cognita, eine pfadlose Wildniss , in die noch kein Europäischer Be obachter eingedrungen war.

Längs der Ufer ist gar nicht fortzu

kommen, sondern nur auf dem Flusse selbst und auf diesem wieder mit nichts Anderem, als mit Keleks . In Palu wurde ein groszes Floss aus 60 Hammelhäuten gebaut, das der Hauptmann v. Moltke am 10. Juli in Begleitung einiger bewaffneter Leute und mit Boussole und anderen Instrumenten ver sehen bestieg .

Die schwierigste Stelle beginnt in der Gegend von

Malatia bei Kymyrhan oberhalb Izoglu, wo der Fluss sich auf 60 Meter verengt und durch tiefe Felsenspalten hindurch braust ; es entstehen eine grosze Menge von Stromschnellen ― die cataractae Euphratis circa 300 auf der 20 Meilen langen Strecke bis Gerger. In der äuszersten östlichen Ecke bei Telek verengt er sich bis auf 28 Meter.

Von dort aus biegt er nach S.W. um; von Gerger ab

wärts flieszt er zwar auch noch zwischen 130 Meter hohen Fels wänden,

aber die Stromgeschwindigkeit lässt nach und die Strom

schnellen hören auf; bei Khoros, dem alten Choris, tritt er in ein offenes Hügelland und sieht der Oder bei Frankfurt ähnlich, bis er bald unterhalb Samsat in die Steinwüste tritt.

Da der Hauptmann

v. Moltke von dort bis Bireschik den Euphrat bereits zu Lande re cognoscirt hatte, kehrte er über Adiaman, Abdulharab, Asbusu quer durch das Gebirge nach Malatia und Charput zurück, wo die Zeit vom Juli bis October mit Ausnahme kleinerer Recognoscirungs touren in Unthätigkeit zugebracht wurde.

Die Hitze war so grosz,

dasz Nichts unternommen werden konnte, auch war der Gesundheits zustand, namentlich unter den Truppen der Landwehr, ein sehr be denklicher. Anfang Octobers unternahm v. Moltke wieder Recognoscirungsreise

nach Koniah

und zwar

eine

gröszere

zunächst auf dem

selben Wege, den er im Frühjahre zurückgelegt, über Hekim-Chan und Delikli Tasch auf die Hochebene des mittleren Klein- Asiens, von dort unter Bedeckung gegen die räuberischen Awscharen nach Gemerik, Pallas und endlich nach Kaisarieh. In seiner Nähe finden sich noch Reste von dem alten Cäsarea, das eine der Hauptmünzstätten des Römischen Reiches in Asien war. Kaisarieh (40,000 Einwohner) ist noch immer der Haupthandelsplatz im Centrum von Klein-Asien , wenngleich auch seine Bedeutung im Abnehmen begriffen ist. Südlich davon erhebt sich bis zur Höhe von fast 3800 Meter der ewig mit Schnee bedeckte,

einst vulkanische Erdschisch oder Arghi - Dagh.

Die relative Höhe des Mons Argäus , wie er bei den Alten hiesz ,

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

155

über der Fläche der Hochebene beträgt 2500 Meter, steil und wild starrt er mit seinen Kratern und Felsgebilden zu dauernder Schnee höhe empor und gewährt demnach den groszartigsten Gebirgs -Anblick in Klein - Asien, der von jeher in diesem Lande die Bewunderung erregte. In Newschehr machte der Hauptmann v. Moltke die Bekannt schaft desjenigen Mannes, der die erste Kartätschladung auf die Janit scharen abgefeuert hatte.

Es war dies eine Notabilität des Landes,

die den Titel Kara - Djehenna, d. h. schwarze Hölle, führte.

Beide

begegneten sich wie zwei Männer, die gleich sehr bemüht sind, sich nichts von ihrer Würde zu vergeben.

Von Akserai bis Koniah ist

die Gegend vollständig eben und grösztentheils mit Salz und Sal peter gesättigt ; der gänzliche Mangel an Wasser macht jeden An bau unmöglich .

In einer kesselartigen , wohlbewässerten Vertiefung

der Steppenebene von Karamanien liegt dann Koniah , das alte Iconium,

das als Hauptstadt Lycaoniens

und auch in

von alten Schriftstellern

der Apostelgeschichte erwähnt wird.

Im Mittelalter

war es Residenz der Seldschucken-Sultane, aus welcher Zeit seine Mauern und Thürme stammen. 1190 erfocht Kaiser Friedrich Bar barossa einen Sieg über die Seldschucken und nahm die Stadt, nicht aber die im Inneren gelegene Burg ein. Es war seine letzte glänzende Waffenthat. 1832 fand nördlich der Stadt die bereits erwähnte 1 Schlacht statt, in der Ibrahim einen Sieg errang .

Das heutige Koniah

(60,000 Einwohner ) liegt grösztentheils auszerhalb der Mauern ; der innere Raum zeigt nur Trümmermassen der früheren Herrlichkeit. In Koniah musste sich auf Befehl des Gouverneurs der Civil Gouverneur der Reise anschlieszen, die dann über Karabunar nach Eregli fuhrte, einer groszen, aber fast ganz entvölkerten Stadt (5000 Einwohner), in deren Nähe sich warme Quellen vorfinden. Dieselben werden schon von Xenophon erwähnt und haben, als dem Hercules geweiht, wohl dem Orte seinen Namen gegeben,

Die Ebene ver

engt sich alsdann östlich in ein Thal, welches immer schmäler zu sammenläuft ; zur Rechten erhebt sich der Bulghar-Dagh, der wie eine Mauer Adana von Klein - Asien trennt und einen Theil des Ci licischen Taurus ausmacht, an dessen Südhängen der Cydnus ent springt, der mit seiner eisigen Fluth Alexander den Groszen an den Rand des Todes brachte, und der Kali - Kadnus, Friedrich Barbarossa in seinen Wellen begrub.

der den Kaiser Zwischen dem

Bulghar- Dagh und dem nordöstlich anstoszenden Alah- Dagh führt nur ein einziges Thal oder vielmehr eine einzige Schlucht hindurch. Sie bildet die Cilicischen Pässe oder Pylen, heute Kulek Boghas

156

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

(300 Meter hoch) , welche daher von Cyrus, Xenophon und Alexander dem Groszen bis auf Ibrahim- Pascha in den Zügen der Heere eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Pforte hat

häufig das Unglück bei Grenz - Regulirungen

gehabt, die militairisch wichtigen Punkte in den Händen ihrer Nach barn zu lassen.

So war auch nach dem Friedensschlusse vou Kuta

jeh der wichtige Punkt Ak Köpry in Aegyptischem Besitz geblieben und durch eine mit 80 Geschützen besetzte Verschanzung gedeckt. Westlich davon theilt sich die Strasze -- die eine führt nach Koniah, die andere nach Kaisarieh- und man musste behufs Verschlieszung derselben auf zwei verschiedenen Punkten , die sechs Meilen auseinander lagen und deren Verbindung nur auf beträchtlichen Umwegen statt finden konnte, Verschanzungen anlegen, wodurch die Ausdehnung der Werke, die Zahl der zur Besetzung nöthigen Truppen und die Kosten des Baues erheblich vergröszert wurden.

Diese Aufgabe,

welche bei der Unbereitwilligkeit der Administrativ - Behörde , der Unwissenheit der Türkischen Ingenieure, der Trägheit der Arbeiter und der Unzulänglichkeit der Mittel eine auszerordentlich schwierige war, fiel dem Hauptmanne Fischer zu .

Der Hauptmann v. Moltke

traf seinen Kameraden in Tschifte - Hann,

wo sich das Thal zur

Schlucht verengt, in einem feuchten Zimmer, von heftigem Fieber geschüttelt, von aller Bequemlichkeit und Pflege entblöszt . Trotzdem raffte er sich auf und begleitete den Hauptmann v. Moltke nach den Werken. Zunächst wurde ein solches für 300 Mann und 6 Geschütze mit einem Reduit-Blockhaus auf einer flachen Anhöhe, welche die Thal sohle beherrschte, erbaut.

Zwei steinerne Gebäude an der Brücke,

auf welcher die Strasze den Tarbas - Bach überschreitet, wurden in bewohnteren Stand gesetzt und mit einer crenelirten Mauer um schlossen . Die umgebenden Höhen und Felsgipfel wurden mit kleineren Werken und Wachblockhäusern in der Art gekrönt, dass das Hauptwerk gegen Ueberhöhung geschützt , die kleineren Fusz wege beherrscht wurden und die Besatzung gegen jede Umgehung gesichert war. In ähnlicher Weise wurde die Strasze nach Kaisarieh bei Dschevisly - Hann gesichert. Ferner wurden bei Tagta - Köpry, gegenüber von Ak Köpry 2 Blockhäuser errichtet, welche einen vor trefflichen vorgeschobenen Posten bildeten, um die Unternehmungen des Gegners zu beobachten und von ihnen aus eventuell die Offen sive ergreifen zu können . Der Hauptmann v. Moltke trennte sich darauf in Maden von seinem Kameraden und es kam ihm darauf an, einen Weg durch das Gebirge direct auf Malatia zu finden .

Es gelang ihm dies auch

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc. unter den

157

gröszten Schwierigkeiten, inden er zunächst am West

rande des Gebirges die Strasze nach Develii, in dessen nächster Nähe die Städte Derbe und Lystra gelegen haben müssen, Tomarze und Ekrek einschlug ;

von dort erst bot sich in einer Oeffnung nach

Osten ein Durchgang durch den Antitaurus, den er benutzte, um über Göksun und Jarpus, in dessen Trümmern man die Stätte des alten Germanicia vermuthet, dort

nach Albistan zu gelangen und von

auf schwierigem Gebirgswege

nach Malatia

hinabzusteigen.

Er kam am 29. October glücklich daselbst an, nachdem er in 26 Tagen 190 Deutsche Meilen geritten war, und spricht sich selbst bei dieser Gelegenheit folgendermaszen aus : „ Die besonderen Verhält nisse, unter denen ich reise, schlieszen mir Gegenden auf, die zu durchreisen jedem Europäer bisher unmöglich war, Gegenden, die man noch heute zum Theil nicht ohne militairische Escorte durch ziehen oder, wie den Karsann- Dagh, nur im Gefolge eines Heeres betreten kann.

So günstige Umstände vereinigen sich selten und

ich benutze sie gewissenhaft ; ich habe bis jetzt auf mehr als 700 geographische Meilen das Land durchkreuzt (circa 300 Meilen kommen noch später hinzu ) und von sämmtlichen die Itinerairs gezeichnet. Als wirklichen Gewinn rechne ich die Berichtigung der Zuflüsse der Sey hun und Dschiban und des mittleren Laufes des Murad oder Euphrat. Auf diesem konnte bis jetzt kein Reisender vordringen, da die immer sehr missliche Flöszbarkeit gemacht ist. "

Daher

erst eben durch Sprengungen möglich

hebt Ritter in dem Vorworte zu dem 1841

anonym erschienenen v. Moltke'schen Werke „ Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei 1835-1839 " mit Recht hervor, welch ein reicher Gewinn daraus auch für die geographische Wissen schaft *) hervorgeht. Der Winter

1838-1839

wurde

nun

dem Auszeichnen der

Karten ** ) und besonders den Exercitien gewidmet . Die Preuszischen *) Unsere geographische Kenntniss von Klein-Asien ist noch heute nicht derartig, wie man von einem so nahe an Europa gelegenen Lande erwarten sollte . Selbst auf der neuesten Kiepert'schen Karte von Klein - Asien finden wir leere Stellen und punktirte Flussläufe. Unternehmungen, diesem Uebel stande abzuhelfen , sind daher nicht genug anzuerkennen. Ich erwähne an dieser Stelle nur die von Dr. G. Hirschfeld durch die alten Provinzen Pam phylien, Pisidien, Phrygien, Karien im Jahre 1874 gemachte Reise, welchen eben archäologischen Forschungen, speciell auch den Zweck verfolgte, durch topo graphische Aufnahmen Lücken obiger Art auszufüllen. **) Vergl. Plan-Atlas von Klein - Asien, aufgenommen und gezeichnet in den Jahren 1838 bis 1839 von Baron v. Vincke, Fischer und v . Moltke, be stehend aus 11 Blättern . Berlin, bei Schropp . 1854.

158

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General -Feldmarschalls

Offiziere hatten das Türkische Heer als eine unorganische Masse von Bataillonen, Escadrons und Geschützen vorgefunden.

Der Regi

ments -Verband war nur eine öconomische Eintheilung, Brigadeu be standen kaum dem Namen nach und taktische Körper, aus gemischten Waffen bestehend, hatten noch nie manövrirt. Die Preuszischen

11

Offiziere befolgten den Grundsatz , nirgends zu zerstören ; sie behielten

D

das Französische Reglement bei, vereinfachten es aber, indem alle nicht unumgänglich nothwendigen Evolutionen unterblieben. Als für das Bedürfniss gerade den Türkischen Truppen unentbehrlich wurde aus dem Preuszischen Reglement die Colonne nach der Mitte, das Massen-Carré, das Tirailliren und das Brigade-Exerciren hinzugefügt. Hauptmann v. Vincke hatte ein vollständiges , alle diese Punkte um fassendes Reglement ausgearbeitet, welches in das Türkische über tragen, und nach dessen Vorschrift exercirt wurde . Auszerdem hielten die Offiziere den Pascha's und Obersten Vor ww träge über das Wichtigste aus der Taktik, leiteten die Uebungen zur Erlernung des Vorposten- und Lagerdienstes und richteten ihr Augen merk auf die Vervollständigung des Materials .

Mit letzterem hatte

namentlich der Hauptmann Laue, dem die Organisation der Artillerie bei der Haupt- Armee zufiel, zu thun .

In welchem Zustande sich

diese Waffe noch im August 1838 befand, geht daraus hervor, dasz von 108 Geschützen, die damals in Malatia waren, bei einer Be sichtigung nur 14 bespannt ausrücken konnten und dasz, als zur Feier einer kaiserlichen Botschaft geschossen werden sollte, die Artillerie auf dem Marsche zur Parade in der Ebene stecken blieb, ihre Salutschüsse

aus der Entfernung von 3/4 Stunden abgab und

auch diese nicht einmal in der vorgeschriebenen Zahl mit den vor handenen Schlagröhren leisten konnte.

Hauptmann Laue bewirkte

die Vervollständigung und Instandsetzung des ganzen Materials, die Anschaffung der Pferde und die Anfertigung einer doppelten Char girung für alle Geschütze; er unterrichtete die Fahrer und leitete die Schieszübungen.

Eine Eintheilung in Batterien wurde vorge

nommen, diesen die Pferde förmlich übergeben und die Chefs für dieselben verantwortlich gemacht.

So ward es möglich, dasz man

6 Monate später mit 120 bespannten Geschützen und 200 gefüllten Munitionswagen aufbrechen konnte. Die Stellung der Preuszischen Offiziere im Allgemeinen war Sie standen bei allen ihren Unternehmungen eine schwierige . isolirt, sie fanden in den Türkischen Offizieren bei ihrer völligen keine Stütze und mussten neben der obersten Unkenntniss Leitung

auch

das

kleinlichste Detail besorgen.

Sie hatten den

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc. Wirkungskreis Schreibers,

des

Generalstabes

mit dem

eines Zeichners

159 und

die Stellung eines Chefs der Artillerie mit der eines

Feuerwerkers zugleich auszufüllen .

Sie kämpften gegen Vorurtheil,

Unwissenheit, Trägheit und Fahrlässigkeit. Dennoch wurde die Armee, was die Ausbildung betrifft, auf eine Stufe gebracht, wie man sie noch nie früher wahrgenommen hatte. Was aus dem Stoffe gemacht werden konnte, wurde gemacht, aber der Stoff selbst liesz sich nicht ändern.

„ Das Heer glich einer Klinge, die nach allen Regeln der

Kunst, nur nicht von Eisen, sondern von Blei geschmiedet wurde, und welche zerfloss, als sie im Feuer der Erfahrung gehärtet werden sollte." Die Armee hatte während der letzten Jahre bedeutend durch Krankheiten gelitten.

Man suchte die Lücken durch Recruten- Ein

stellungen auszufüllen und so war der Ersatz während dreier Jahre nur aus Kurdistan entnommen .

Die Armee bestand zum gröszeren

Theile aus Kurden, d . h. eben erst besiegten Feinden, welche ge knebelt eingebracht und während ihrer Dienstzeit als Gefangene beaufsichtigt werden legenheit

mussten .

Sie benutzten

natürlich jede Ge

zur Desertion und dichte Postenlinien muszten um

die

einzelnen Regimenter ausgestellt werden, um sie daran zu verhindern. „ Der Soldat war gut bezahlt, wohl gekleidet, reichlich ernährt und milde behandelt, aber fast kein Kurde hielt länger als zwei Jahre aus ; er ging in das Lazareth, starb oder lief davon . position

Neben dieser Dis

von zwei Dritteln des Heeres muse der gänzliche Mangel

an tüchtigen Offizieren genannt werden ; man sollte daher meinen , mit solchen Militairs sei kein Krieg zu führen . “ Was die Offiziere betrifft, so waren von den General- Lieutenants zwei aus dem Serail Mehemet Chosrews hervorgegangen, einer war 10 Jahre vorher noch Hamal oder Lastträger und der vierte war bei Gelegenheit

der Errichtung des Nizam

Truppen von den Galeeren genommen.

oder

der regulairen

Unter den Brigade - Gene

ralen und Obersten waren einige tüchtige Leute ;

sie

waren die

eigentlichen Triebfedern, welche das Ganze im Gange erhielten, wurden aber fast in Nichts von den niederen Offizieren unterstützt. Majors wurden oft sehr junge Leute, Pfeifenstopfer oder Waffen diener eines Pascha's, die unmittelbar den Befehl über ein Bataillon erhielten. Die Capitains und Lieutenants waren ältere Soldaten, denen man einen vergoldeten Halbmond anheftete, und zur Unter offizieren wurden häufig Recruten gemacht. Wissenschaftliche Bildung in unserem Sinne hatte Niemand , Kriegserfahrung Wenige. Das war die Armee, von der man die Eroberung Syriens er

160

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

wartete.

Unternehmen

Das

würde überhaupt unbegreiflich

sein,

wenn nicht die Aegyptische Armee in einem ähnlichen Zustande ge wesen wäre.

Dieselbe war durch die Kämpfe gegen die Drusen

sehr geschwächt.

Als Ersatz dafür war ein groszer Theil der Mann

schaften in Syrien selbst ausgehoben, die natürlich mit dem Aegyp tischen Joch wenig zufrieden waren und in ähnlicher Weise deser tirten, wie die Kurden auf Türkischer Seite. Als sich beide Armeen gegenüberstanden, gingen von den Aegyptern in jeder Nacht 50 bis 60 Mann mit Gewehr und Waffen zu den Türken über. Diese Un zuverlässigkeit war ohne Zweifel auch der Grund, weshalb Ibrahim Pascha gar keine Vorposten ausstellte, sondern seine Leute in Haufen dicht zusammen behielt. Die Administration war noch schlechter, die Verpflegung in den bereits ausgesogenen Landstrichen eine sehr schwierige und der Sold seit 18 Monaten rückständig . Da gegen waren die Aegyptischen Truppen den Türkischen an Manövrir fähigkeit überlegen,

da sie schon seit längerer Zeit nach Euro päischem Muster eingerichtet und ausgebildet waren, und was die Hauptsache war in Syrien stand ein Mann an der Spitze , um dessen Existenz es sich handelte, und der alle seine Streitkräfte zusammenhielt.

Dem gegenüber sehen wir die Türkischen Streit

kräfte befehligt durch vier von einander unabhängige, in ihren Inter essen getrennte Generale. Es standen nämlich auf dem rechten Flügel 25,000 Mann unter Hadji- Aly - Pascha zu Koniah, da wo die geradeste und gangbarste Strasze aus Syrien und Adana durch die Pässe des Bulghar-Dagh auf Die Befestigung dieser Pässe war daher Constantinopel führt. durchaus nothwendig und wir haben bereits gesehen, wie der Haupt mann Fischer diesen Auftrag erfüllte. Auf dem linken Flügel befanden sich 43,000 Mann unter Hafiz Pascha. Die Zustände in Kurdistan, welche wir kennen gelernt haben, bedingten es , dass dort bei Malatia und Charput in der Nähe des Euphrat eine so grosze Truppenmasse angehäuft werden musste. Als Reserve dienten 17,000 Mann, welche unter Isset-Mehmet Pascha zu Angorah und Osman-Pascha zu Kaisarieh zusammenge zogen wurden. Dazu kamen noch 3000 Mann aus Ersirum und 1000 Mann aus Musch, so dass die Türkei über circa 89,000 Mann verfügte, während Ibrahim's Kräfte nur auf circa 45,000 Mann zu schätzen waren.

Dieser seiner Schwäche schien sich Ibrahim bewusst zu

sein ; er war nicht der thatkräftige Mann mehr, als welchen wir ihn in den Jahren 1832/33 kennen gelernt haben ; die finanziellen Schwierigkeiten und die missliche Lage Syriens lasteten zu sehr

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

161

auf ihm, so dass er die Türkischen Befestigungsarbeiten nicht im Geringsten zu stören versucht hat. Der Sultan Mahmud drängte bereits zu Anfang des Jahres 1839 zur Action ; er hatte den Marschbefehl bereits ertheilt, als die Gegen vorstellungen

der

erschreckten Diplomatie

gängig zu machen wussten.

denselben noch rück

Auch die Preuszischen Offiziere ver

langten unter Hinweis auf die schlechte Jahreszeit und die noch nicht genügend vorgeschrittene Organisation einen Aufschub .

Dieselben

hatten ihre Erfahrungen über den Zustand der Truppen und die Kenntniss , welche sie durch ihre Reisen von der Beschaffenheit des Landes erlangt, gegenseitig ausgetauscht und waren in allen Haupt punkten über Vorbereitung, Einleitung und Fortführung eines even tuellen Feldzuges vollkommen einverstanden, obwohl sie sich ge wissenhaft

enthielten,

weder zu einem Kriege zu rathen,

dessen

Folgen nicht abzusehen waren, noch zu einem Frieden, desseu Fort dauer der Pforte ebenso verderblich werden konnte, wie der Krieg. Die Ueberlegenheit der Türkischen Kräfte war bedeutend , wenn sie vereinigt und rechtzeitig unter einen Oberbefehl gestellt worden wären.

Das Corps von Hadji- Aly- Pascha musste bei Koniah stehen

bleiben, der Rest von 64,000 Mann aber, nachdem die Gegend von Malatia ganz ausgesogen war, bei Karakaik , 5 Stunden unterhalb von Samsat am Euphrat, concentrirt und Biredschik mit einer starken Avantgarde besetzt werden.

Der ganze Landstrich zwischen dem

Bulghar - Dagh und dem Euphrat bei Rum Kaleh ist theils Hochge birge, theils eine so unwegsame Steinwüste, dass sie nur von Fusz wegen durchschnitten wird, auf denen an ein Fortkommen von Artillerie gar nicht zu denken war. und offensiv günstig . an Aleppo.

Die Stellung bei Karakaik war defensiv

Sie bannte die Hauptmacht Ibrahim-Pascha's

Eine Offensive seinerseits über den Bulghar- Dagh hinaus

gegen Constantinopel

war unmöglich, so lange eine Armee von 64,000 Mann in seiner Flanke — nur sechs Märsche entfernt ――― stand . Seine Operationen mussten damit beginnen, die Armee am Euphrat über den Haufen zu werfen. In diesem Sinne berichteten die Preuszischen Offiziere , ein jeder von seinem Standpunkte nach Constantinopel, doch dort sah man die Wichtigkeit dieser Vorschläge nicht ein. Persönliche Rücksichten, die Feindschaft der Pascha's unter sich, und das Geheimniss, welches man bis zuletzt beobachten wollte, verhinderten die Ernennung eines Oberbefehlshabers, bewirkten, dass man den Hauptmann v. Vincke gerade zur Zeit der wichtigsten Vorbereitungen aus seiner Stellung beim Kriegsminister zu Constantinopel entfernte und nach Angorah 11 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

162

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

schickte, dass man Hauptmann Fischer ganz abreisen liesz , als gerade seine Anwesenheit bei den Cilicischen Pässen durchaus nothwendig war, um Hadji -Aly- Pascha an seiner gänzlichen Passivität zu verhindern. So kam es, dass endlich nur eines der disponibeln Corps den Kampf mit der Gesammtmacht des Feindes aufzunehmen hatte. Hafiz -Pascha, der über dies Corps den Oberbefehl hatte , war der Sohn eines Tscherkessischen Häuptlings. Er verlebte seine früheste Jugend in den Fehden und Raubzügen der heimathlichen Berge .

Verschiedene Male war er desertirt ;

einmal,

als ihn der

Vater an eine lange Kette gelegt hatte, war er mit sammt der Kette auf 3 Monate fortgezogen. Constantinopel verkauft.

Später wurde

er in das Serail nach

Hier hatte er das Glück, unter die Zahl

der Aga aufgenommen zu werden, welche die nächste Umgebung des Groszherrn bilden. Als Major in der Garde focht er in dem Russischen Feldzuge 1828/29 und theilte die Widerwärtigkeiten und Rückzüge desselben.

Als Oberst führte er ein Cavallerie-Regiment

in dem unglücklichen Kampfe gegen die Aegypter, ohne Gelegen heit zu finden, sich besonders hervorzuthun . Er begleitete darauf die Botschaft des Sultans nach St. Petersburg ; der ausgezeichnete Empfang, der dem Türkischen Abgesandten in der Czaarenstadt zu Theil wurde, hatte in ihm eine dankbare Erinnerung und zugleich die Ueberzeugung wach gerufen, wie unendlich die Europäischen Einrichtungen denen des Orients überlegen waren. Nach Reschid Pascha's Tode erhielt er den Oberbefehl über die Taurus - Armee. Er war von mittlerem Wuchse, athletisch gebaut, vortrefflicher Reiter und Bogenschütze.

Wie alle Orientalen liebte er Weichlichkeit und

Ruhe, aber mit Leichtigkeit ging er zur anhaltendsten Thätigkeit Seine wissenschaftliche Bildung war gröszer, als man sie über. gewöhnlich im Oriente zu finden pflegt, was allerdings noch nicht viel sagen will . Aber er konnte geläufig schreiben und lesen, hatte etwas Kenntniss

von der Geschichte

und Geographie

und

groszer Liebhaber von alten Manuscripten und Landkarten.

war Hafiz

war genöthigt, einen harten Druck auf das Land auszuüben, aber er that es für das Bedürfniss des Heeres, nie um sich selbst zu bereichern. Er sorgte gewissenhaft für die Soldaten. Den herrschenden Missbräuchen suchte er durch Klugheit und List entgegenzutreten. Er selbst gab in jeder Beziehung das beste Beispiel. hing

er

Uebrigens

mit orientalischer Phantasie am Auszerordentlichen und

Wunderbaren und war in Bezug hierauf Einflüsterungen leicht zu gänglich.

Nachdem schon zwei frühere Termine anberaumt waren, sollten

163

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

endlich in der Mitte des April's alle Truppen der Corps gleichzeitig aus ihren Quartieren aufbrechen . Bevor ich jedoch auf diesen Marsch näher eingehe , muss ich noch zweier Reisen Erwähnung thun .

Die

eine wurde im Januar 1839 behufs Recognoscirung der Syrischen Grenze unternommen und erstreckte sich über Erkenek, Adiaman, Samsat bis Urfa und Biresdchik, wobei bereits das Städtchen Nisib *) berührt

wurde,

fallen sollte . und Behesni.

bei

dem

einige Monate später die Entscheidung

Die Rückreise erfolgte im Februar über Rum Kaleh

Die andere galt der Erforschung des Terrains beiden Armen des Euphrat.

zwischen den

Der Hauptmann v. Moltke begab sich

zu diesem Zweck nach Arabkir , einer beträchtlichen Stadt, die an einem Nebenflusse des Euphrat liegt.

Es ist dies eine der wenigen

Städte Kleinasiens von denen man sagen kann, dasz sie im Auf schwunge begriffen ist. lebhaften Webe -Industrie.

Sie erfreut sich seit einigen Jahren einer Von Arabkir führt ein Saumpfad an den

Euphrat, der dort zwischen 1000 Meter hohen, steilen Felswänden hindurchflieszt. An seinem rechten Ufer liegt Egin , das einen noch groszartigeren und schöneren Anblick gewährt als Amasia.

Ueber

Tchymyschgesek nahm der Hauptmann von Moltke seinen Rückweg, überschritt den südlichen Arm des Murad bei dem alten Castell von Perteg und kehrte über Charput nach Malatia zurück .

Von dort wurde noch einmal der Versuch gemacht, den Euphrat bei hohem Wasser zu befahren.

Ein Kelek führte den Hauptmann v. Moltke an Telek vorbei nach Gedger, aber nur unter den gröszten Schwierigkeiten, denn aus den Stromschnellen waren vollständige Wasserfälle geworden und mehrere Male musste das Kelek ganz auseinander genommen werden. Der Versuch erwies die Unmöglich keit, den Euphrat zum Gütertransporte zu benutzen . Auf dem Land wege kehrte v. Moltke zurück, um dem Pascha diese unerfreuliche Nachricht zu überbringen .

*) Nicht zu verwechseln mit Nisibis (das Nasibina der Keilinschriften, bei den Arabern Nisibin) , einer der ältesten und berühmtesten Städte Mesopotamiens, welche am Flusse Mygdonius lag und in der Kriegsgeschichte des Alterthums eine wichtige Rolle gespielt hat. Noch unter den Arabern war es eine be deutende Stadt. Seit den Zügen Tamerlan's sank die Stadt zu einem elenden Flecken herab. Einzelne Ruinen in der jetzt öden Ebene zeugen noch von der einstigen Pracht. Hafiz - Pascha machte den Versuch, daselbst an der vielbe suchten Strasze eine neue Stadt zu gründen . Er erbaute eine Caserne für ein Cavallerie-Regiment, es entstanden Straszen und Bazare. Mit seiner Niederlage hörte jedoch Alles wieder auf. 11 *

164 Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls So blieben nur zwei Wege durch den Taurus, der eine über Sürgü für die Artillerie, der andere über Abdul harab und Adiaman für die Infanterie.

Am 14. April brachen sämmtliche Truppen des Corps

auf, um Karakaik am Euphrat zu erreichen.

Die Jahreszeit war

äuszerst ungünstig, aber ein Aufschub unstatthaft, denn am folgenden Tage begann der Türkische Monat Sefer, welcher von unglücklicher Vorbedeutung war.

29 Tage lang regnete es ununterbrochen ; die

Gebirge waren mit Schnee bedeckt, die Ebene bodenlos aufgeweicht, alle Bäche und Flüsse waren hoch angeschwollen. Die Heranschaffung von Lebensmitteln und Brennmaterialien war fast unmöglich, das Gepäck blieb zurück, da die Maulesel im tiefen Schnee versanken . Die vorzügliche Bespannung der Artillerie war in wenigen Wochen zu Grunde gerichtet.

Der Marsch über den Taurus kostete den

Türken gegen 6000 Mann an Deserteurs, Kranken und

Todten .

Die Preuszischen Offiziere fanden häufig Gelegenheit, sich durch Auf suchen von Wegen, Brückenbauen und schnelles Eingreifen nützlich zu machen. Hafiz - Pascha hatte den Hauptmann v. Moltke nach Karakaik vorausgeschickt, um Lagerplätze für das ganze Corps auszusuchen ; er selbst war nach Biredschik vorausgegangen, wo der Haupt mann v. Mühlbach mit Anlage eines Brückenkopfes am rechten Ufer des Euphrat beschäftigt war. Der Pascha verliebte sich sofort in diese Stellung und befahl ohne Weiteres, dass Alles dorthin

ab

rücken sollte, d . h. er verlegte den Sammelplatz unter sich getrennter Colonnen unter den Bart des Feindes . einbarungen wurden

Alle vorher getroffenen Ver

dadurch umgestoszen.

Während des ganzen

Feldzuges hat sich die Armee nie in einer bedenklicheren Lage be funden, als in der ersten Hälfte des Mai's 1839. Die Infanterie befand sich in zwei Hälften zu beiden Seiten des Euphrat, die Artillerie stak in einem 20 Stunden langen Defilée.

Der Vereinigungspunkt aller

dieser getrennten Colonnen lag zwei Märsche vom Feinde entfernt. Vor Biredschik hinter unvollendeten Verschanzungen am rechten Ufer des Euphrat stand der Commandirende mit 7 Pascha's, aber nur einer Brigade Infanterie und 10 Geschützen. Jeder war sich des Gefährlichen dieser Situation bevisst und die Infanterie rückte in Gewaltmärschen heran.

Ibrahim musste diese Lage erkennen ;

seine irregulaire Cavallerie zeigte sich 11/2 Stunden davon und Kund Er muss selbst in auszer schafter beobachteten den Uebergang. ordentlich schwierigen Verhältnissen gewesen sein,

sonst hätte er

gewiss angegriffen. v. Moltke eilte nunmehr nach Biredschik und erlangte wenigstens

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839 , etc.

165

vom Pascha durch Abänderung eines bereits gegebenen Befehls, dass die Artillerie in Sübürgisch am Euphrat auf Keleks

eingeschifft

werden sollte, was ihr Herankommen wesentlich beschleunigte.

Am

6. Mai führte Hauptmann Laue die ersten Geschütze auf Flöszen heran.

Erst Ende Mai langten die letzten Geschütze und Munitions

wagen in Sübürgisch und von da zu Wasser im Lager an und es belief sich alsdann die Gesammtstärke der Türkischen Truppen auf 53 Bataillone, 8 Cavallerie - Regimenter, 100 Geschütze, in Summa auf circa 30,000 Mann inclusive irregulairer Truppen. Nachdem

das Corps

einmal

auf dem rechten Euphrat - Ufer

Biredschik gegenüber vereinigt war, befand es sich in taktischer und strategischer Beziehung

in

günstigerer Lage .

Von einem weiten

Bogen des Euphrat auf drei Seiten umgeben, bot die Stellung *) eine Angriffsfront von nur 2800 Meter, welche Hauptmann v. Mühlbach durch vier starke Redouten zweckmäszig verschanzt hatte. Die beiden Flügel lehnten sich an den 400 bis 640 Meter breiten Fluss und konnten weder umgangen, noch umfasst werden. Vor der Front befand sich eine Art Glacis von 480 Meter Ausdehnung und ein kleines, völlig eingesehenes Thal ; jenseits desselben waren sanft ansteigende Höhen .

Vier Brigaden Garde und Linie besetzten den

Raum zwischen und hinter den Werken ; das schwere Geschütz war grösztentheils in den Werken aufgestellt, während vier Brigaden Redif (Landwehr), die Reserve - Cavallerie und die Reserve-Artillerie rück wärts am Fusze der Höhe vollkommen gedeckt und ungesehen standen.

Das aus 4000 Zelten bestehende Lager **) lag circa 800

Meter hinter der Gefechtsstellung. wurde häufig gerade dies

geübt. galt

Schnelles Einrücken in letztere

Eine Rückzugslinie

war nicht vorhanden ;

mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten der

Türkischen Soldaten für einen Vorzug .

Eine Brücke würde un

mittelbar hinter dem Schlachtfelde nur den Ausreiszern nützlich ge wesen sein ; jetzt wusste Jedermann , dass er stehen oder verderben müsse . Die Kriegsgeschichte ist reich an Beispielen dafür, dass sich die Türken in Festungen , in verschanzten Lagern, in starken Stellungen auf's tapferste vertheidigt haben ; sie weist aber kaum ein Beispiel auf, wo ein einmal geschlagenes Türkisches Heer zu neuem Widerstande sich gesammelt hätte. Die wildeste Flucht ist fast immer einer Niederlage gefolgt, wie das Beispiel von Nisib am eclatantesten beweisen sollte.

*) Vergl. Plan zur Schlacht bei Nisib BB. **) Vergl. Plan AA.

166

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Auch in strategischer Beziehung war die Stellung sehr vortheil haft.

Ohne

seine

eigene Flanke Preis

zu geben,

bedrohte das

Türkische Corps von Biredschik aus die der Aegypter und fesselte Ibrahim-Pascha an die Gegend von Aleppo .

Für Heranschaffung

von Lebensmitteln bot der Euphrat eine günstige Communications linie ; sie wurden in kolossalen Massen im festen Schlosse von Biredschik angehäuft ; Kähne mit dem rechten Ufer.

und Flösze dienten zur Verbindung

In dieser Stellung verblieb Hafiz- Pascha fünf Wochen ; er suchte anscheinend

eine Entscheidung herbeizuführen,

Pascha sie zu vermeiden schien.

während Ibrahim

Ersterer mochte ganz richtig ver

muthen, dass Isset Mehemet Pascha, der in Angorah commandirte, auch wenn er unter seinen Befehl gestellt wäre, dennoch Mittel und Wege finden würde, nicht bei ihm einzutreffen.

Er kannte seinen

Ehrgeiz, zumal derselbe aus einer angesehenen Familie stammte und schon frühzeitig die höchsten Staatsämter bekleidet hatte .

Er war

Groszvezir und endlich Muschir von Angorah zu einer Zeit, als Hafiz - Pascha noch Oberst von der Cavallerie war. Andererseits hegte Hafiz -Pascha wahrscheinlich den Wunsch, das Verdienst der Eroberung Syriens, auf die er zuverlässig rechnete,

mit keinem

Anderen zu theilen. Die an Hafiz ergangene Bitte eines Syrischen Dorfes, es gegen Beduinenstämme zu schützen, gab ihm die nächste Veranlassung, am 23. Mai 400 Mann Cavallerie über die Syrische Grenze zu werfen, nachdem schon am Tage vorher die aus zwei Brigaden bestehende Avantgarde des Türkischen Heeres nach dem nur 2 Stunden von der Grenze entfernten Orte Nisib vorgeschoben worden war. Abgesandte aus zahlreichen Ortschaften des nördlichen Syrien trafen bei Hafiz ein, baten ihn um Befreiung und versicherten ihm, er brauche nur den Syrischen Boden zu betreten, so würde das ganze Land die Waffen ergreifen ;

Ibrahim sei schwach und muthlos, er werde, ohne eine

Schlacht zu wagen, zurückgehen.

Diese Aussagen, sowie die Rath

schläge der zahlreichen Rechts- und Gottesgelehrten, welche Hafiz um sich hatte, fanden schlieszlich bei dem Feldherrn einen er giebigeren Boden, als die der Preuszischen Offiziere. Am 29. Mai flog innerhalb der Stellung bei Biredschik

ein

steinernes Gebäude mit der gesammten Reserve- Munition (circa 1000 Centner) in die Luft.

Ein Oberst und 200 Mann waren das Opfer

einer Unvorsichtigkeit. Hauptmann Laue erhielt drei Contusionen ; dennoch eilte er hinzu, um eine bereits brennende Granatprotze zu löschen.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

167

Gegen den ausdrücklichen Rath der Preuszischen Offiziere, welche ein Abwarten bis zur Ankunft von Verstärkungen empfahlen, brach am 9. Juni das ganze Corps nach Nisib auf. Um ihren Credit zu retten, blieb den ersteren nichts anderes übrig, als sich an die Spitze solcher Unternehmungen zu setzen, die zu hintertreiben ihnen nicht gelang. Die neue Stellung *) wurde durch den Hauptmann v. Moltke ausgewählt und durch den Hauptmann v. Mühlbach verschanzt.

Die

beiden Flügel lehnten sich an vorspringende steile Höhen, die Front war ein wenig einwärts gebogen und hatte vor sich flaches , freies Terrain.

Das Lager war zu beiden Seiten des Nisibbaches ;

das

Einnehmen der Gefechtsstellung , sowie ein Manöver, dem Feinde offensiv entgegen zu gehen, wurden eingeübt. In taktischer Beziehung war die Stellung günstig ;

sie hatte

zwar nach unseren Grundsätzen etwas viel Front (circa 6400 Meter) und wenig Tiefe ( circa 1000 Meter) , auch war von Hause aus viel Artillerie aufgestellt, indessen gerade diese Eigenthümlichkeiten waren durch die Fechtweise der Orientalen bedingt ,

die gewöhnlich beim

ersten Angriffe die Entscheidung sucht und ein allmäliges Verwenden der Reserven nicht begünstigt. In strategischer Beziehung war das Einnehmen dieser Stellung nur eine halbe Maaszregel . Das Aufgeben der noch besseren Stellung bei Biredschik hatte nur Sinn, wenn man unverzüglich den Feind angreifen wollte . Das geschah nicht, sondern man blieb wieder zwei Wochen stehen. Inzwischen war nun auch endlich von Constantinopel aus der Befehl zur Vereinigung der verschiedenen Corps unter Hafiz- Pascha ertheilt. Isset- Pascha sollte mit dem III. Corps von Angorah nach Merasch, Hadji-Aly-Pascha mit dem II. Corps nach den Cilicischen Pässen rücken. Der Befehl erreichte Isset am 4., Hafiz am 14. Juni. Wäre der Befehl rechtzeitig ertheilt , so war die Türkische Armee der Aegyptischen um das Doppelte überlegen ; jetzt war es zu spät, und auf Aegyptischer Seite eine Ueberlegenheit von circa 10,000 Mann .

In Aintab hatten um diese Zeit die Einwohner die Aegyptische Garnison theils verjagt, theils auf eine alte Citadelle beschränkt. Ein Detachement von fünf Bataillonen, etwas Cavallerie und sieben Ge schützen, dem der Hauptmann v. Mühlbach zugetheilt war, wurde mit der Wegnahme der Citadelle beauftragt. Eine Beschieszung mit

*) Vergl. Plan DD.

168

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Granaten blieb erfolglos , dagegen capitulirte die aus 800 Mann Regulairer bestehende Besatzung gegen Zusicherung des rückständi gen Soldes von 18 Monaten nicht nur, sondern sie trat sogar förm lich in Osmanische Dienste über. Vielleicht wäre ganz Syrien er kauft worden, wenn der später nicht publicirte Ferman, in welchem der Sultan den Aegyptischen Truppen die Auszahlung der 18monat lichen Rückstände versprach , 14 Tage vor der Schlacht , statt nach der

Schlacht angekommen wäre.

Aintabs Fall war jedoch für

Ibrahim das Signal zum Handeln . Mitte Juni hatte er von Mehemed Ali den Befehl erhalten, auch seinerseits zur Offensive überzugehen ; am 20. Juni erschien er mit seinem ganzen , aus 40,000 Mann und 150 Geschützen bestehenden Heere bei Misar und lagerte östlich davon.

Die Cavallerie - Brigade ,

welche Türkischer Seits daselbst

auf Vorposten gestanden hatte, wich in Unordnung von Misar zurück und liesz sogar ihre Zelte im Stiche. Hafiz - Pascha liesz sofort allarmiren, rückte mit dem ganzen Corps in die Gefechtsstellung und brachte den Rest des Tages, sowie die Nacht unter den Waffen zu. Ein Angriff der Aegypter erfolgte jedoch nicht. Am Morgen des 21. Juni schickte Ibrahim 9 Regimenter Ca vallerie, 18 Geschütze der reitenden Artillerie, 1 Brigade Infanterie und

1 Fusz - Batterie gegen die Front und den linken Flügel der

Türken vor * ).

Hauptmann v. Moltke, der von dem groszen Spitz

berge auf dem rechten Flügel den Anmarsch des Feindes beobachtete, erkannte sofort, da das Gros der Infanterie und Artillerie im Bivouak blieb, dass es nur auf eine Recognoscirung abgesehen war.

Es

kam zu einer Kanonade auf weite Entfernung und zu leichtem Hand gemenge der irregulairen Reiterei, worauf sich die Aegypter wieder zurückzogen ; es schien, als hätte Ibrahim, der selbst mit vorgerückt war, sich von der

Stärke der Stellung überzeugt **).

Zu

einer

Offensive Türkischer Seits war bei dem schwierigen Terrain nicht zu rathen.

Es wurde vorgeschlagen, nur die Truppen des ersten

Treffens bivouakiren zu lassen, die übrigen, besonders die Pferde,

*) Vergl. Spectateur militaire. Tome XXVIII. Janvier 1840. Relation de la bataille de Nizib par Soliman-Pacha (Sèves, Ancien officier français, actuelle ment major général de l'armée égyptienne) . Nach diesem Berichte waren es nur 1500 Beduinen, 4 Cavallerie-Regimenter und 2 reitende Batterien, die zur Recognoscirung verwandt wurden. **) Vergl. Sèves : „ Pendant que nos troupes legères tiraillaient et que l'ar tillerie échangeait quelques coups de canon , nous reconnûmes leur position trop forte pour être attaquée de front et de flanc."

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc. während der Nacht in das Lager zurückzuschicken .

169

Diese Maasz

regel unterblieb jedoch aus übergroszer Vorsicht, und so musste das ganze Corps auch die zweite Nacht unter den Waffen zubringen. Am 22. Juni vor Tagesanbruch bemerkte man grosze Bewegung in dem Aegyptischen Lager ; man sah, dass die Truppen durch das Defilee von Misar zurückgingen.

Hafiz- Pascha nahm an, dass Ibra

him sich in das Innere von Syrien zurückziehen würde, und wollte den Vorstellungen der Preuszischen Offiziere, die sehr bald in dem Abmarsche eine beabsichtigte Umgehung *) erkannten, keinen Glauben schenken.

Das Gros der Aegyptischen Armee defilirte durch Misar,

der gröszere Theil befand sich noch diesseits dieses schwierigen Passes. Damals oder nie war der geeignete Moment zur Offensive. Die drei Preuszischen Offiziere schlugen einstimmig gegen 10 Uhr einen allgemeinen Angriff vor. Er wurde nicht ausgeführt. Als im Laufe desselben Nachmittags die Aegyptischen Colonnen sich allmälig bereits der Kersun- Brücke ** ), anderthalb Stunden unter halb 1 Nisib, näherten, erklärte der Hauptmann v. Moltke dem eben falls auf dem Spitzberge sich aufhaltenden Hafiz, das einzige Mittel, um einer Katastrophe zu entgehen, sei der Rückzug in die feste Stellung von Biredschik, und lehnte jede Verantwortlichkeit für die Folgen ab, als Hafiz auch hierauf nicht einging und einen Rückzug für schmachvoll und für seine Truppen demoralisirend erachtete. Fast gelang es ihn umzustimmen ; es wurden wenigstens schon die Zeit des Aufbruchs, die Zahl der Colonnen etc. berathen. Nach einer Stunde meldete ihm der Hauptmann v. Moltke, dass das Gros ebenfalls die Richtung auf die Kersun- Brücke einschlage, und dass die Avantgarde diesen Punkt sogleich erreichen würde . Er traf Hafiz - Pascha völlig umgestimmt im Kreise der Pascha's, Die Meinungen der Pascha's Mollah's und Imame (Geistlichen). waren getheilt, die Mollah's aber erklärten, die Sache des Sultans sei gerecht, Allah werde ihm Hülfe verleihen, und jeder Rückzug sei schimpflich.

Auch der Münedschin (Astrologe und ebenfalls Geist

licher) erklärte , die günstige Stunde zum Handeln sei noch nicht Von einigen wird die Vermuthung ausgesprochen, dass

gekommen.

diese Geistlichen, denen die Reformen Mahmud's II. nicht zusagten, im geheimen Einverständnisse mit Mehemed Ali gestanden haben, der sich den Ruf eines strenggläubigen Muselmannes zu verschaffen gewusst hatte. *) Vergl. Sèves : „ Il fut proposé de tourner l'ennemi par sa gauche par une marche de flanc." **) In dem Berichte von Sèves wird sie Pont de Horgun genannt.

170

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls Die eindringlichsten Vorstellungen des Hauptmanns v. Moltke,

die Ankündigung, dass Hafiz am nächsten Morgen, wenn die Sonne hinter den Bergen untergehe, wahrscheinlich ohne Heer sein würde, fruchteten nichts . Der Abend brach herein ; auf Aegyptischer Seite war die Flankenbewegung ausgeführt und auf Türkischer Seite noch kein Entschluss gefasst.

Hafiz-Pascha begab sich nach dem linken

Flügel, um selbst eine Stellung zu suchen, und wies den noch ein mal gemachten Vorschlag des Hauptmanns v. Moltke, nach Biredschik zu gehen , mit Entschiedenheit ab , worauf Letzterer seine Stellung als Müsterschar oder Rathgeber niederlegte. Hafiz erklärte, nach Biredschik gehe er nicht, eher lasse er sich in Stücke reiszen, nahm im

ersten Unmuthe v. Moltke's Entlassung an, kehrte aber nach

einigen Minuten zurück und bat, ihm gerade jetzt nicht seinen Rath zu entziehen. Der Hauptmann v. Moltke führte noch während der Nacht es war Vollmond die Truppen, so gut es ging , in eine neue Stellung *) auf dem linken Ufer des Nisibbaches.

Der rechte Flügel

lehnte sich an die Schanzen des früheren linken, der jetzige linke Flügel wurde durch eine starke Batterie geschützt ; lag ein Ravin.

vor der Front

Am frühen Morgen des 23. Juni's war die Stellung zu Hafiz' groszer Zufriedenheit eingenommen , und die Truppen hatten die dritte Nacht unter den Waffen zugebracht. Es war indessen voraus zusehen, dass der linke Flügel in dieser Stellung umfasst werden würde. Zur selben Zeit überschritt Ibrahim mit dem Reste seines Corps die Kersun-Brücke und bezog ungestört ein Lager östlich der selben in dichten Haufen, die Artillerie vor der Front.

Im Laufe des Tages passirte Nichts.

Gegen Abend recognos

cirte der Hauptmann v. Moltke das feindliche Lager und führte, nachdem er eine günstige Geschütz -Aufstellung etwa 1200 bis 1300 Meter vom Feinde gefunden hatte, eine Stunde vor Mitternacht zwölf Haubitzen und eine Infanterie-Brigade längs des von Nisib nach der Kersun-Brücke führenden Weges vor. Charakteristisch ist, dass die Türkischen Führer mehrere Male anfragten, ob man nicht bald nahe genug sei, dass es wohl eine Viertelstunde dauerte, ehe die Artillerie aus der Colonne zu Zweien aufmarschirt war und Hauptmann Laue den Befehl zum Feuern geben konnte, nachdem er selbst die erste Richtung bei jedem Geschütze nachgesehen. Das Aegyptische Lager wurde mit Granaten beworfen, die anscheinend bedeutende

*) Vergl. Plan EE.

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839 , etc. Verluste *) verursachten.

Nachdem der Zweck ,

Lager zu allarmiren, erreicht war,

171

das Aegyptische

kehrte die Expedition, die nur

wenige Verwundete gekostet hatte, zurück.

Wenn auch die Recog

noscirung ergab , dass die Aegypter wenig Vorsichtsmaaszregeln zu ihrer Sicherheit getroffen hatten, so war doch ein allgemeiner nächt licher Angriff bei der Qualität der Türkischen Truppen nicht aus führbar, mit denen ihr eigener Feldherr am Tage vorher und un verfolgt einen Rückzug von drei Stunden auszuführen nicht ge wagt hatte. In der Frühe des 24. Juni's brach Ibrahim auf und schlug in drei Colonnen die Richtung nach Biredschik ein. Den Türken schnitt er dadurch den Rückzug nach letzterem Orte ab ;

verlor er die

Schlacht, so war er ohne Rückzug, aber er setzte Alles aufs Spiel, um Alles zu gewinnen. Auf die Nachricht vom Marsche Ibrahim's wurde auf Türkischer Seite sofort eine Frontveränderung gegen Osten ** ) vorgenommen, bei der die eine schwere Batterie von 24 Geschützen und die Garde Brigade unter Mustapha - Pascha , welche während der Nacht den linken Flügel gebildet hatten, jetzt als rechter Flügel stehen blieben. Links davon kamen die drei Linien-Brigaden Ismael, Halid, Heyder Pascha, alle in zwei Treffen aufgestellt.

Hinter dem rechten Flügel

blieb die Landwehr-Brigade Maschar, hinter dem linken die Land wehr - Brigade Mahmud - Pascha in Reserve .

Die beiden Brigaden

Bachry- und Bekir-Pascha, 8 Cavallerie- Regimenter und 13 Geschütze bildeten die Hauptreserve und waren in einem Grunde aufgestellt, welcher sie den Blicken des Feindes gänzlich entzog. In erster Linie,

zum Theil hinter Verschanzungen , welche der Hauptmann

v. Mühlbach in der vergangenen Nacht zur Deckung des damaligen linken Flügels aufgeworfen hatte, befanden sich 92 Geschütze.

Das

erste Treffen war deployirt, im zweiten und der Reserve standen die Bataillone in Colonne nach der Mitte.

Der rechte Flügel lehnte

sich an den steilen und schwierigen Uferrand des Nisibbaches , der linke an einen lichten Olivenwald , Truppen aufgestellt waren.

in welchem die irregulairen

Eine vor dem linken Flügel befindliche

Höhe und die geringe Tiefe der Stellung waren Nachtheile, die man mit in den Kauf nehmen musste, nachdem man auf die Freiheit, ein besseres Schlachtfeld zu wählen, verzichtet hatte. *) Vergl. Sèves : „Nous eûmes 7 à 8 hommes tués et une trentaine blessés. Il paraît que l'ennemi avait relevé la direction de la tente de Soliman-Pacha car le plus grand nombre des obus vint tomber autour d'elle." **) Vergl. Plan FF.

172

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Ibrahim-Pascha hatte in richtigem Vertrauen auf die Untüchtig keit der Türkischen Cavallerie ungestört eine Stunde von der Türkischen Front -- seinen Flankenmarsch in drei Colonnen ange treten.

Die linke bestand aus fast der gesammten Artillerie (circa

120 Geschütze) und Cavallerie, die anderen beiden aus der Infanterie und der Reserve .

In dem Augenblicke, als die Tête bis an den von

Nisib nach Biredschik führenden Weg gelangte , machten die Co lonnen Halt-Front und bildeten eine ausgedehnte, etwas nach innen gekrümmte, die Türkische Stellung wenig umfassende Linie *). Die Schlacht wurde alsbald gegen 9 Uhr mit einem raschen Vorgehen der gesammten, von der Cavallerie flankirten Artillerie eingeleitet. Letztere protzte circa 1500 Meter von dem rechten Türkischen Flügel ab - dem linken war sie ein wenig näher ge rückt — und es entstand auf der ganzen Linie ein Artilleriekampf. Die Aegyptische Artillerie schoss bei der bedeutenden Entfernung mit groszer Elevation und brachte dadurch auch der zweiten Linie und den Reserven Verluste bei , denen diese bei geringerer Ent fernung entgangen wären. Wenn dies auch schon ungünstig auf den moralischen Zustand der Truppen einwirkte , so war doch während der ersten 3/4 Stunden die Türkische Stellung noch nicht erschüttert.

Nur der linke Flügel,

wo der feindliche Angriff am heftigsten erfolgte, war theilweise zu rückgegangen, doch kam das Gefecht wieder zum Stehen. Die Ba taillone standen mit erhobenen Händen und beteten. Hauptmann *) Vergl. Sèves : „Nous nous dirigeâmes sur un mamelon, qui se trouvait à hauteur de la droite, devenue gauche par leur mouvement de face en arrière. Nous avions l'intention d'attaquer avec notre droite en refusant le centre et la gauche. En conséquence, nous nous dirigeâmes obliquement par rapport à leur ligne de bataille. Notre but était, dans le cas où nous n'aurions pas réussi avec la droite, de la retirer sous la protection de la cavalerie, et d'attaquer avec le centre et la gauche à l'instant même où la droite aurait commencé son mouvement de retraite. L'armée étant arrivée à 200 ou 300 pas du mamelon, ou fit prendre l'ordre de bataille, ce qui fut exécuté très lestement et avec beaucoup d'ensemble. Pendant que l'armée exécutait ces divers mouvements, ou fit sur-le-champ occuper par une batterie de gros calibre le mamelon, que son importance rendait la clef du champ de bataille. Les Turcs sentant, mais trop tard, l'avantage de cette position, ouvrirent leur feu d'artillerie, ce qui ne nous empêcha d'assurer la position de la batterie, et d'indiquer aux canonniers sur quel point ils devaient tirer. " Was diese bereits oben erwähnte Höhe be trifft, so konnte Türkischer Seits in dem Augenblicke, wo der Feind im vollen Marsche war, den linken Flügel zu umgehen, eben dieser Flügel nicht so weit vorwärts gebeugt werden. Natürlicher war es jedenfalls, ihn zurückzunehmen, zu verlängern und an den Wald zu lehnen .

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc.

173

Laue hatte einen Artillerie- Capitain, der mit seiner halben Batterie abgefahren war, mit vorgehaltenem Pistole wieder in die Schlacht linie zurückgeführt.

Auch der Hauptmann v. Moltke bemühte sich

die Truppen des linken Flügels wieder vorzubringen. Da ging plötzlich ohne Befehl des Obercommando's die Garde Cavallerie - Brigade aus eigenem Antriebe und anscheinend nur aus Unbehagen zu einer Attacke gegen die Aegyptische Artillerie vor, die nicht über die eigene Infanterie - Linie hinausreichte .

Einige

Granaten schlugen in die dichten Massen und bewogen sie zum Um kehren. Sie stürzten in voller Auflösung zurück und rissen die In fanterie mit sich fort. Hafiz - Pascha begab sich nach dem rechten Flügel ,

ergriff die

Fahne eines Redif- Bataillons , aber das Bataillon folgte nicht. Die Brigaden Mustapha und Ismael , welche weniger gelitten hatten als die anderen, wichen zuletzt , nachdem sie einen Cavallerie - Angriff abgeschlagen hatten . Halid-Pascha, einem der tüchtigsten Generäle, wurde vor der Front seiner Brigade durch eine Kugel der Kopf ab gerissen, was die Truppen sehr erschütterte.

Das 1. Regiment der

Brigade Hayder - Pascha, welches zuerst gewichen war, hielt nachher Bei ihm allein war es zu einem Nahgefechte

am längsten Stand .

der Infanterie gekommen , in welchem der Türkische Führer gefangen genommen wurde. Sonst wurde das Feuer der Infanterie auf grosze Entfernungen abgegeben, die Cavallerie hatte sich zerstreut und die Artillerie folgte, nachdem sie zuerst das Feuer des Feindes lebhaft erwiedert hatte, den Bewegungen der Infanterie, wobei der gröszte Theil der Geschütze auf dem Schlachtfelde zurückgelassen wurde. Die Schlacht von Nisib gestaltete sich zu einem bloszen Frontal gefechte *), bei dem die Artillerie entschied.

Sie hätte vielleicht eine

andere Wendung genommen, wenn die Türkischen Truppen länger Stand gehalten hätten , denn im Aegyptischen Heere scheint die

*) Späteren Nachrichten zufolge soll Ibrahim Pascha mit bedeutender Ca valleriemasse eine weitläufige Umgehung des Türkischen linken Flügels gemacht haben und hinter Nisib herum gleich Anfangs in das Türkische Zeltlager ge rathen sein , wo wie es scheint - das Feuer seiner eigenen Batterien ihn wieder verjagt hätte. So viel ist gewiss , dass man während des Gefechts durchaus keine Wirkung von einem solchen Manöver verspürte, und dass es, selbst wenn es ausgeführt worden wäre, in Nichts zur Entscheidung beigetragen hätte. Auch Sèves erwähnt dasselbe in seinem Berichte nicht, sondern spricht nur von zwei Infanterie- und vier Cavallerie - Regimentern, welche auf den äuszersten rechten Flügel geschickt worden sind, um den Angriff desselben zu unterstützen .

174

Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General-Feldmarschalls

Verwirrung

nicht geringer gewesen zu sein als im Türkischen.

Gingen doch während der siegreichen Schlacht zwei

Aegyptische Bataillone zu den Türken über und Aegyptische Cürassiere sah man mitten unter den Türkischen Flüchtlingen. Der beste Beweis aber ist der, dass Ibrahim - Pascha auch nicht einen Marsch über das Schlachtfeld hinaus verfolgte. Er begnügte sich mit Erbeutung des Lagers, des gesammten Geschützmaterials und der kolossalen Vor räthe, welche in Biredschik aufgehäuft waren *) . Der Verlust der Türken während der Schlacht war nicht be deutend ,

er wird kaum über 1000 Todte betragen haben, aber der

Rückzug löste alle Bande der Disciplin,

die Kurden schossen auf

ihre eigenen Offiziere oder kehrten fröhlich singend in ihre Heimath zurück.

Hafiz - Pascha, der im dichtesten Kampfgewühle den Tod

gesucht hatte, musste sich auf dem Rückzuge mehrere Male mit Säbel und Pistole gegen seine eigenen Soldaten vertheidigen. Der Rückzug ging über Aintab nach Merasch , wo sich die Trümmer des Corps, etwa ein Sechstel des Ganzen, sammelten, um dann weiter nach Malatia zurückzugehen. Es ist eigenthümlich, dass die Türken eigentlich auf die Schlacht von Nisib stolz waren.

Die

jenigen Offiziere, welche die früheren Feldzüge gegen die Aegypter, die Schlachten bei Homs, Beylan und Koniah mitgemacht, behaupte ten, noch nie so energisch angegriffen worden zu sein, und nie so lange Stand gehalten Uebermacht fochten .

zu haben,

als bei Nisib , wo sie gegen die

Gegen das Ende der Schlacht hatten sich die Preuszischen Offi ziere v. Mühlbach, Laue und v. Moltke im Centrum vereinigt, waren durch den erwähnten Cavallerie - Angriff von Hafiz- Pascha getrennt, begaben sich voll Kummer und Unmuth , eine Sache verloren zu sehen, die so leicht hätte gewonnen sein können, ebenfalls auf den Rückmarsch und stieszen in Albistan auf das Corps von Isset- Pascha. Letzterer stand am Tage der Schlacht von Nisib noch in der Gegend von Kaisarieh , und war von dort aus auf die Nachricht von der verlorenen Schlacht gegen den Vorschlag des Hauptmanns v. Vincke, der eine Aufnahmestellung bei Kaisarieh empfahl, durch die schwie

*) Vergl. Sèves : „Nous avions pris dans le camp ennemi 144 pièces de canon avec leurs caissons, 35 pièces de gros calibre dans les redoutes de Bire dschik, abandonnées par les Turcs toutes les tentes depuis celle de Hafiz- Pacha jusqu'à celles des derniers soldats, 18 à 20,000 fusils et 12 à 15,000 prisonniers, qui ont été sur-le-champ renvoyés dans les endroits qu'ils ont choisis, soit en Turquie, soit dans les possessions de Méhémed - Ali. "

Grafen v. Moltke im Orient in den Jahren 1835 bis 1839, etc. rigste Gebirgsgegend nach Albistan aufgebrochen.

175

Die Nachricht

jedoch, dass Ibrahim - Pascha mit 12,000 Mann in Merasch stände, bestimmte den bis dahin so kriegslustig erscheinenden Pascha zum sofortigen Rückmarsche auf Derindeh,

ohne einen Ruhetag zu ge

währen , dessen die der Auflösung nahen Truppen seines dringend bedurften .

Corps

Auch die am 4. Juli daselbst eingetroffenen Preuszischen Offiziere von der Taurus-Armee vermochten eine Aenderung dieses Beschlusses nicht durchzusetzen.

Die Folge war, dass,

ähnlich wie bei dem

Corps von Osman - Pascha, 3000 Mann bei Görün, acht Tage später 12,000 Mann vom Corps Isset - Pascha's bei Derindeh die Waffen wegwarfen und davon liefen .

Die Türkischen Offiziere bemühten

sich nicht, sie aufzuhalten, sondern vom Capitain abwärts entwichen sie mit ihnen . Die Preuszischen Offiziere hatten sich rechtzeitig von Isset Pascha entfernt ,

um nicht Zeugen eines so traurigen Auftrittes zu

sein. Sie begaben sich nach Malatia, wo sie Hafiz- Pascha mit circa 8000 Mann, dem Reste seines ganzen Corps , fanden. Am

10. Juli traf die Nachricht von dem Hinscheiden Sultan

Mahmud's II. bei der Armee ein ;

er hatte die Kunde der Nieder

lage von Nisib nicht mehr erhalten.

Er war am 30. Juni 1839 ge

storben, und seine letzten Worte waren :

„ Ist noch kein Tartar mit

Nachrichten von der Armee aus Syrien gekommen ?" Mahmud's ganzes Streben war auf die Wiederherstellung der Osmanischen Macht gerichtet ; dieses Ziel verfolgte er mit seltener Energie, und wenn es ihm auch nicht vergönnt gewesen ist , irgend eine Frucht seiner Reformen zu genieszen, so lebt dennoch sein Werk weiter und wird leben , so lange es

ein Türkisches Reich giebt.

„Nicht das Vollbrachte, sondern das Erstrebte, muthig Begonnene ist der Maaszstab. Unbestreitbar steht ihm das Verdienst zu, den Boden für den nöthig gewordenen Neubau geebnet , den widerspenstigen Schutt mittelalterlicher Barbarei weggeräumt zu haben.

Er ist der

Begründer einer neuen Zeit, wie Peter der Grosze, mit dem er sich zu vergleichen liebte, für Russland ; und wenn er, was die Erfolge betrifft, weit hinter diesem Reformator zurückbleibt, so lag der Grund nicht sowohl in seinen Geistes- und Charakter-Anlagen, als in der Ungunst der Verhältnisse , welche ihm Busze für die 200jährigen Regierungssünden seiner Vorfahren auferlegten.

Wie Joseph II . und

Friedrich II., so lebte er ein Vierteljahrhundert noch mit zahllosen Anekdoten im Munde des Volkes, während ein Lustrum genügt hat,

176 Ueber den Aufenthalt Seiner Excellenz des General- Feldmarschalls etc. seinen Sohn und Nachfolger Abdul - Medschid

in verdienter Ver

gessenheit zu begraben“ *). Der Letztere entsetzte Hafiz - Pascha des Oberbefehls über die Taurus Armee. Rückweg.

Die Preuszischen Offiziere begaben sich auf den

Am 3. August 1839 schifften sie sich in Samson auf einem

Oesterreichischen Dampfer ein.

Ihr Aeuszeres war wenig Vertrauen

erweckend ; mit langen Bärten und Türkischem Gefolge, in zer lumpter Türkischer Kleidung, mager und abgezehrt, verweigerte man ihnen

anfangs den Eintritt in die erste Kajüte.

Stühle ,

Tische,

Spiegel, Messer und Gabeln, Kartoffeln und Champagner waren lang entbehrte Genüsse , und man kann sich die gehobene Stimmung denken, in der die vier Preuszischen Offiziere hier auf den Wellen des schwarzen Meeres den Geburtstag ihres Königs feierten. In Constantinopel angekommen, wurde ihnen überall ein ausge zeichneter Empfang zu Theil .

Auch der neue Sultan Abdul- Medschid

empfing sie huldreichst und entliesz sie mit Geschenken und Ehren zeichen.

Diese öffentliche Anerkennung war ein Zeichen dafür, dass

man ihnen keinen Theil an den Ursachen der Misserfolge zuschreiben konnte. Auch gelang es ihnen , die gegen Hafiz - Pascha vorge brachten Anschuldigungen zu widerlegen.

Die fehlerhafte Einleitung

des Feldzuges , der Mangel an einem festen Operationsplane, der schlechte Zustand der Truppen , die verspätete Ernennung eines Oberbefehlshabers waren Fehler, die nicht dem Commandirenden der Taurus - Armee zur Last gelegt werden durften. Am 9. September 1839 kehrten die Preuszischen Offiziere in ihre Heimath zurück .

Bald erschien ihnen die Zeit , welche sie im Orient zugebracht, wie ein lebhafter Traum, der in dem Strudel des Lebens der Groszstadt mehr und mehr zurücktrat. Fast vierzig

Jahre sind seit jenen Tagen verflossen, da Hauptmann v. Moltke sich in der Türkei besonders verdient gemacht hat. Das spätere thatenreiche Leben desselben, der Ruf und Ruhm, welchen sich der Feldmarschall erworben, bat jene früheren bewegten Jahre an Be deutung verlieren lassen.

Aber auch jetzt noch gedenkt der ruhm

gekrönte Stratege, wenn auch mit wesentlich anderen Gefühlen, in seinen Aeuszerungen öfters der Zeiten, da sein Rath nicht beachtet wurde, und er in Folge dessen Augenzeuge einer Niederlage sein musste.

*) Vergl. Rosen : Geschichte der Türkei.

General Stonewall Jackson.

177

XI. General Stonewall Jackson.

Von Major Scheibert. (Schluss .) * ) III. Im Norden hatte inzwischen die radicale Partei sich vollständig der Zügel bemächtigt.

Mac Clellan's Kriegführung wurde verdammt,

nicht nur weil sie , wenn auch ohne sein Verschulden , zu keinem Endziel geführt , sondern auch weil sie sich in den Grenzen des völkerrechtlichen Kriegsgebrauchs gehalten hatte.

Der Hass ver

langte mehr, aber Mac Clellan war ein Gentleman ; dies genügte , ihn Neue Verordnungen in Betreff der Kriegführung waren

zu stürzen .

Folge dieses Umschwunges der öffentlichen Meinung ; unter Anderem wurden die Sklaven confiscirt und zum Widerstande bewaffnet , so wie das Eigenthum der Conföderirten den Commandeuren der nörd lichen Truppen zu Kriegszwecken Preis gegeben.

Zur Ausführung

des neuen Programmes wurde vom Präsidenten General Pope aus ersehen , welcher allerdings dem Volke durch seine bombastischen Reden sowohl , als auch durch die Brutalitäten , die er sanctionirte, gefiel .

Er erklärte u . A. , „ dass er vom Feinde bis jetzt nur den

Rücken gesehen hätte “,

auch gab er einen Armeebefehl ,

die nördliche Presse in Entzücken versetzte ; wünsche ,

welcher

es heiszt darin :

„ Ich

dass allerseits Abstand von verschiedenen Phrasen ge

nommen wird, die ich bedauere, in der Armee zu finden.

Ich höre

fortwährend ,

dass man starke Position nimmt und solche festhält, Lasst uns ich höre von Rückzugslinien und Verpflegungsbasis . diese Ideen verbannen ! Die stärkste Position, welche ein Soldat zu nehmen wünschen muss , ist die , von welcher aus er am leichtesten gegen den Feind avanciren kann. Lasst uns lieber die Rückzugs linie des Feindes studiren und unsere dem Schicksal überlassen.

Lasst uns vorwärts , lauern hinter uns. "

nicht zurück blicken.

Unglück und Scham

Statt zu recognosciren und Fühlung mit dem Gegner zu halten, verschwendete Pope seine Zeit damit, die Einwohner zu brandschatzen *) Vergl. Jahrbücher Band XVII , Seite 63 u. f.; daselbst muss es auf Seite 72, Zeile 17 anstatt „Als Baron Jackson" heiszen : 29 Bevor Jackson". 12 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine, Band XVII.

General Stonewall Jackson.

178

und durch Erzwingung des Eides für die Union zum Aeussersten zu bringen.

Die Folgen

zeigten sich bald

in dem Nachlassen der

Disciplin in der Armee und noch unheilvoller in dem Ausgang der Campagne. Pope hatte vorläufig den Befehl über die Corps Banks , Sigel (früher Fremont) und Mac Dowall übernommen. Diesen stand bis vor Kurzem Jackson im Virginienthale gegenüber, derselbe hatte sich dann aber nach Süden gewandt, um wo möglich Gordonsville, den Knotenpunkt der Bahnen nördlich von Richmond zu besetzen . Auf diesem Marsche war er am Rapidan angekommen, als sich ihm die Nothwendigkeit aufdrang, seinen alten Feinden aus dem Virginienthale von Neuem entgegen zu treten. Die feindlichen Corps hatten jetzt endlich ihre Vereinigung be wirkt , und demgemäsz musste Jackson auf andere Mittel sinnen, sie von Gordonsville so lange fern zu halten , bis die Hauptarmee herangekommen.

Dies konnte nur durch vorsichtige und geschickte

Manöver geschehen, und hierin zeigte sich Jackson eben so tüchtig, als früher in dem kühnen Handeln . Er hatte bemerkt , dass die Front der Föderirten sehr ausgedehnt war und obgleich nur halb so stark als der Gegner, suchte er durch offensive Drohungen , denen er durch schnelle Märsche gegen den feindlichen äusseren rechten Flügel Gestalt gab , den Feind zu noch gröszerer Ausbreitung zu veranlassen , was ihm auch vollständig gelang .

Pope , welcher sich

gegen die anfänglichen Bewegungen Jackson's etwas zurückgezogen hatte , weil er glaubte , die ganze Armee Lee's vor sich zu haben, fing in groszer Breite und vorsichtig an , wieder zu avanciren , er sicher war, nur Jackson's Corps gegen sich zu haben .

als

Doch un

vermuthet fand er im Centrum seiner Linie , im waldigen Terrain des Cedar- Berges , Jackson in wohlgewählter Stellung vor sich . Es entspann sich nun ein zufälliges Gefecht , welches gröszere Dimen sionen annahm und deshalb von den Nordländern ohne rechten Zu sammenhang geschlagen wurde ;

die Folge war , dass der in einer

Schlacht endende , nach der Breite zu nicht unterstützte Vorstosz zurückgeschlagen wurde. Das Gefecht währte bis in die späte Nacht, und da Jackson die Dunkelheit benutzte , um nach einer Ruhepause die erschütterten Nordländer mit einem heftigen Artilleriefeuer zu überschütten, so artete der Rückzug des Banks'schen Corps , auf das der Schlag gefallen war, in vollständige Panik aus . Jackson liesz sich trotz der verlockenden Umstände nicht zur Verfolgung verlei ten ,

sondern bat sogar um einen Waffenstillstand , die Todten zu

begraben und zog sich , wie eingeschüchtert , am zweiten Tage über

General Stonewall Jackson. den Rapidan zurück.

179

Pope , statt diese Finte des alten Führers zu

verstehen , ging in die Falle und telegraphirte einen groszen Sieg nach Hause. Die Absichten der südlichen Generale gingen nämlich auf eine gröszere Ernte aus.

Lee, der die genauesten Nachrichten über seine

Feinde hatte , erhielt die Meldung , dass die ihm südlich von Rich mond bei B Harrison Landing gegenüber stehende Armee Mac Clellan's sich allmälig abziehe , um Pope in Nord - Virginien zu verstärken. Um ebenso viel verstärkte Lee natürlich die Armee Jackson's . Da nun aber die Linie Richmond-Rapidan ein Drittel so lang war , als die Linie Harrison-Landing-Alexandria- Rapidan , so konnte bei Be nutzung der günstigen Chancen die Südarmee mit der ganzen Macht über Pope herfallen , ehe Letzterer seine Verstärkungen an sich ge zogen hatte.

Mit jedem Marsche aber, den Pope nach Norden that,

wurde natürlich die Operationslinie der Südländer länger und die des Nordens kürzer, so dass also ein Festhalten Pope's am Rapidan in dem dringendsten Wunsche der südlichen Generale liegen musste ; und wir sehen, wie Jackson's geschicktes Manöver dieses erreichte.

Wie bei den meisten Operationen der Südländer ,

so spielte

auch bei diesen Zügen die Cavallerie , unter Stuart's geschickter und kühner Führung eine hervorragende Rolle ; sie gestattete dem Feinde weder eine Recognoscirung ,

noch die Detachirung kleiner

Beobachtungsposten oder dergleichen, und hüllte das Corps Jackson selbst und dessen Bewegungen in einen undurchdringlichen Schleier ein, hinter welchem dasselbe stets unvermuthet erscheinen und spur los verschwinden konnte. Da Jackson , ehe Lee mit seiner Haupt macht ankam , viel daran gelegen sein musste , genau zu wissen, wie weit die Verstärkungen aus Washington resp. Alexandria im Rücken Pope's angelangt seien , sandte er den General Stuart um den rechten Flügel des Feindes herum. Stuart nahm hierzu 3000 Pferde, umging den Feind, und da er im Rücken des Feindes Nichts von Verstärkungen bemerkte, beschloss er nichts Geringeres, als den feindlichen General Pope selbst in seinem Lager aufzuheben. Doch glücklicherweise war derselbe, wie schon früher erwähnt, abwesend,

und es gelang der Cavallerie daher, nur seine Bagage, seine Papiere und einen Theil seines Stabes mitzunehmen ; auch wurden die groszen

Vorräthe ,

welche Pope in Catlett-Station aufgestapelt hatte , ver

brannt. Die von Pope schlecht behandelten Einwohner waren der Cavallerie die sichersten Führer gewesen . Nachdem man durch diesen kühnen Ritt und die dabei aufge fundenen Papiere im südlichen Hauptquartiere über Stellung, Stärke 12 *

180

General Stonewall Jackson.

und Pläne des Feindes genau orientirt war , schritt man zur Aus führung des geplanten Unternehmens , welches auf vollständige Um gehung des Feindes mit der ganzen Südarmee hinauslief.

Voran

musste, wie bei allen kühn erdachten Bewegungen, Jackson gehen ; derselbe marschirte im groszen Bogen durch die unwirthsame Gegend am Fusze der Blauen Kette auf Feldwegen, ohne Bagage, das Corps nur von frischem Mais lebend , um die feindliche Armee herum. Er kam ungehindert durch den wichtigen Engpass bei Thoroughfare und war im Rücken des Feindes, ehe derselbe ahnte, dass mehr wie ein Cavallerie-Raid ihn umgangen hatte.

Bei Mannassas - Junction fand

Jackson am 26. August enorme Vorräthe des Feindes, welche er am 27. August einheimste resp . verbrannte. Lee hatte unterdessen die Hauptarmee noch zurückgehalten, um Pope am Rappahannock zu fesseln und folgte erst einige Tage später der starken Vorhut.

Als Jackson am Orte seiner Bestimmung

angekommen war , nahm er (am 28. August) nördlich des Bull- Run, an derselben Stelle, an welcher vor einem Jahre die Nordländer in der Schlacht gleichen Namens gestanden hatten , eine Position ein, welche ihn fast zwischen die feindliche Armee und Washington brachte. Als Pope, wenn auch fast zu spät, den Zusammenhang der Operationen begriff, machte er Kehrt , um mit seiner dreifachen Ueberlegenheit Jackson's Armeetheil zu

sprengen ,

ehe das Gros

unter Lee nachfolgte, welches auf demselben Wege herbeigeeilt kam den Jackson eingeschlagen hatte.

Die Lage des Letzteren war eine

höchst bedenkliche ; nicht nur konnte er auf seinem rechten Flügel von dem Hauptcorps abgedrängt werden, sondern die nun von Nor den inzwischen herkommenden Verstärkungen waren im Stande, ihn auch in der linken Flanke und im Rücken zu fassen. Ein mittel mäsziger Führer hätte sich nach Westen resp . Nordwesten gezogen, um der nachkommenden Hauptarmee näher zu sein , den rechten Flügel zu sichern und seinen linken Flügel den drohenden Unan nehmlichkeiten zu entziehen. Jackson aber wagte das hohe Spiel durch welches allein das grosze Resultat der gehofften Vernichtung der feindlichen Armee zu erreichen war ; er blieb isolirt im Rücken des Feindes stehen und erwehrte sich so gut er konnte seiner über mächtigen Angreifer.

Dieser Angriff, der allein Pope aus seiner

unangenehmen Lage befreien konnte , geschah mit drei Corps am 29. August bei Mannassas und misslang vollständig , wenn auch Abends auf dem rechten Flügel Jackson's die Südländer, ermatte ⚫ und ohne Munition , wichen . In diesem kritischen Momente aber erschienen plötzlich die Spitzen des Corps Longstreet ,

deren An

General Stonewall Jackson.

181

kunft neuen Muth in die Reihen der fast vernichteten Conföderirten und Niedergeschlagenheit in die Gemüther der auch sehr erschöpften Trotz der groszen Tapferkeit der Nordländer, welche noch am 30. August den ehernen Ring sprengen wollten ,

Unionisten brachte.

der sie umspannt hatte ,

gelang keiner der wiederholten Angriffe,

und vollständig zertrümmert suchten die Truppen die letzte Strasze nach Washington zu gewinnen, wo sie willkommene Retranchements aufnahmen. Die gänzliche Ermattung der Conföderirten , • so wie das Neu ankommen frischer Truppen aus Washington schloss jede Verfolgung aus , doch genügte schon ein leiser Druck , den Jackson durch eine Bewegung nach Osten auf die zurückströmende Masse ausübte , die selbe in vollständiger Auflösung weiter zu treiben. Nach diesen Schlägen forderte die Nordarmee mit Einmüthigkeit die Wiedereinsetzung des als tüchtiger Führer bewährten Mac Clellan und das Cabinet von Washington ,

voll Angst über die trostlosen

Folgen der Wahl eines von ihm ausgesuchten Oberführers , gewährte gerne jedes Mittel, um den drohenden Sturz der Sache zu verhindern. Die Südländer hingegen beeilten sich die gewonnenen Vortheile durch einen weiteren Vorstosz nach Norden auszubeuten, gleichzeitig hoffend ,

den Staat Maryland , dessen Einwohner vielfach mit den

Südländern sympathisirten, vielleicht in die Conföderation hineinzu ziehen. Lee ging deshalb über Leesburg nach Frederick, den Poto mac überschreitend , und detachirte Jackson , um sich des seitwärts liegenden, mit 11,000 Mann besetzten Harpers Ferry zu bemächtigen. Die Einnahme dieses Ortes wollen wir Jackson selbst beschreiben lassen , um gleichzeitig zu zeigen , in welcher Weise derselbe seine officiellen Rapporte schrieb und wie er im Detail operirte. „ Den Instructionen des Ober- Commando (General Lee) zu Folge und in der Absicht , die föderirten Truppen und Vorräthe in Martinsbury und Harpers Ferry zu sengen resp . wegzunehmen, ver liesz

mein

Commando

am 10. September die Nachbarschaft von

Frederick und schritt, den Weg über Middletown Boonsborough und Williamsport nehmend , in schnellem Marsche den Potomac zurück nach Virginien am 11. September ; das Corps passirte hierzu die Lights Furth. General Hill (Division) ging direct auf Martinsbury los. Die Divisionen Jackson und Ewell marschirten nach dem North Mountain- Depot an der Baltimore-Ohio- Bahn, etwa 7 Meilen nord westlich von Martinsbury. Nähe des Depots .

Sie bivouakirten während der Nacht in der

Um die in Martinsbury stehenden Truppen nicht

nach Westen entwischen zu lassen , wurde die Cavallerie auf die

General Stonewall Jackson.

182

dorthin führenden Straszen vorangeschickt.

General White, welcher

die Föderirten daselbst commandirte, erhielt schon in der Nacht vom 11. September Winke über unsere Annäherung und marschirte mit seinem Commando (östlich) nach Harpers Ferry.

Am Morgen des

12. Septembers marschirte die Cavallerie , so wie das Gros meines Corps in Martinsbury ein.

Hier fielen reiche Proviant- und Muni

tionsvorräthe in unsere Hände.

Am Morgen des 13. Septembers, etwa

um 11 Uhr, stiesz beim Weitermarsch unsere Vorhut auf den Feind, welcher sich auf den Bolivar Höhen in Schlachtordnung aufgestellt hatte .

General Hill , welcher die Avantgarde commandirte, ging bei

Halltown , etwa eine halbe Meile vor der feindlichen Stellung , ins Bivouak.

Die beiden andern Divisionen lagerten in der Nähe.

Maryland Höhen o Williamsport

Bo

H va öhe Harpers r Ferry Loudoun Höhen

Halltown o

doah

li

Potomac

Shenan ->

oMartinsbury

Der commandirende General (Lee) hatte inzwischen dem General Mac Laws den Befehl gegeben, mit seiner und General R. H. Ander son's Divisionen die Maryland - Höhen zu besetzen , von denen aus man Harpers Ferry übersieht , und auszerdem dem General J. G. Walker Anweisung ertheilt ,

über den Potomac zu gehen und die

Loudoun-Höhen einzunehmen.

Da beide Generale (die nicht zu Jack

son's Commando gehörten) mit mir cooperiren sollten, so musste ich mir Gewissheit über deren Anwesenheit auf den bezeichneten Punkten verschaffen, ehe ich angreifen konnte.

Da die Signalstationen mich

nicht genau informiren konnten , so sandte ich nach beiden Aufstel lungen Ordonnanzen ab.

In der Nacht kam die Ordonnanz von

General Walker mit der Meldung zurück , dass er in Position stände. Zu derselben Zeit hatte Mac Laws die feindlichen Posten, welche zur Vertheidigung der Maryland- Höhen zurückgelassen waren, angegriffen, dieselben vertrieben und sich in Besitz des Terrains gebracht , wel ches die feindliche Stellung vollständig dominirte.

Der Potomac floss

zwischen den Stellungen, welche Mac Laws und ich inne hatten und

General Stonewall Jackson .

183

der Shenandoah trennte mich vom General Walker ,

weshalb wir

übereinkamen, uns zur gegenseitigen Communication der Signale zu bedienen.

Ehe also die Anordnungen getroffen waren, war der Tag

schon weit vorgerückt.

Der Feind hatte die ohnedies starke Po

sition der Bolivar Höhe , welche sich vom Potomac bis zum She nandoah ausdehnte , noch durch fortificatorische Anlagen verstärkt. Mac Laws und Walker , welche durch die Flussthäler vom Feinde getrennt waren , konnten nicht viel mehr zu meiner Unterstützung thun, als höchstens mit Artilleriefeuer den Gegner beunruhigen und die Ausgänge bewachen , konnte.

aus denen

derselbe

etwa entschlüpfen

Aber die Signale brachten die Meldung ,

dass auch vom

Artilleriegefecht keine groszen Resultate zu erwarten seien , da die Breite der Thäler mit der Schussweite der Geschütze nicht im Ein klange ständen , und besonders Nichts zu erreichen sei, so lange der Feind die vorgeschobene Stellung auf den Bolivar Höhen inne hätte . Am Nachmittage des 14. Septembers erhielt Hill den Befehl, sich längs des linken Ufers des Shenandoah entlang zu schieben, den linken Flügel des Feindes zu umgehen und Harpers Ferry zu nehmen.

General Lawton , der Ewell's Division commandirte, sollte

auf der nach Norden führenden Chaussée vorgehen , Hill secundiren resp . nach eigenem Ermessen gegen den linken Flügel des Feindes operiren. General J. R. Jones , der Jackson's Division befehligte , erhielt den Auftrag, mit einer Brigade und einer Batterie eine Demonstration gegen den rechten Flügel des Feindes zu machen , während sein übriges Commando als Reserve folgte. Major Massie mit der Ca vallerie sollte sich auf dem äuszersten linken Flügel aufhalten , um ein Entweichen

des Feindes

in dieser

Richtung

zu verhindern .

General Walker bewachte den Shenandoah-Fluss , und da ich fürch tete , der Feind könnte über den Potomac ausweichen wollen ,

so

signalisirte ich dem General Mac Laws , der auf den Maryland Höhen commandirte , dass er ein wachsames Auge auf solch einen Versuch haben möchte. Die Demonstration auf unserer linken gegen des

Feindes rechte Flanke wurde von Winder's Brigade (welche

Oberst Grigsby commandirte) ausgeführt.

Ihr war befohlen worden,

sich eines Hügels nahe dem Potomac zu bemächtigen. prompt ausgeführt ,

Dies wurde

die dort haltende Cavallerie zerstreut , und der

Hügel von den Batterien Poagne und Carpenter besetzt, welche von dort aus bewunderungswürdigen Erfolg hatten.

Hill marschirte zur

Ausführung seines Auftrages halb rechts, bis er an den Shenandoah gelangte.

Daselbst bemerkte derselbe eine Höhe, welche den linken

General Stonewall Jackson.

184

Flügel des Feindes beherrschte und nur von Infanterie besetzt war, einige Verhaue vertheidigten den Zugang ; deshalb wurden die Bri gaden Pender , Archer und Brockenborough abgeschickt , den Hügel zu stürmen ,

während Branch und Gregg den Fluss weiter hinauf

marschiren sollten, um in der Nacht sich der Schluchten zu bemäch tigen , welche dicht am Ufer in die Gelände einschneiden , und von wo aus sie den Feind in Flanke und Rücken nehmen konnten. Thomas folgte als Reserve.

Die Ausführung des ersten Auftrages

wurde Pender anvertraut , der sich desselben nach kurzem Gefechte entledigte ; während der Nacht brachte Oberstlieutenant Walker, der Hill's Artillerie commandirte , die Batterien der Capitaine Pegram, Mac Intosh, Davidson, Braxton und Crenshaw auf den genommenen Hügel.

Branch und Gregg gewannen ebenfalls die ihnen bezeich

neten Stellungen , und die Morgendämmerung fand sie im Rücken der feindlichen Stellung. General Lawton, welcher Ewell's Division commandirte, rückte, wie befohlen, in 3 Colonnen ( eine auf der Strasze, die andern neben derselben) auf der groszen Hauptstrasze vor , bis er Halltown er reichte , dann deployirte er und ging bis an die Waldungen des Schulhaus- Hügels vor. Die Division ruhte in der Nacht unter den Waffen , Lawton und Trimble in Linie auf der rechten Seite der Strasze, und Hays auf der linken mit Ewell als Reserve dicht hinter ihm.

Während der Nacht brachte Oberst Crutchfield, mein Artillerie

chef,

10 Geschütze über den Shenandoah und pflanzte sie so auf

dem rechten Ufer auf, dass er die ganze Position der Bolivar Höhen enfilirte und die nächsten und stärksten Werke in den Rücken fassen konnte.

Die übrigen Batterien der Division Ewell

wurden auf dem Schulhaus- Hügel , seitwärts der Hauptstrasze , auf gestellt. In der Morgendämmerung des 15. Septembers stiesz General Lawton mit seiner Division bis zur Lisière der Waldungen vor, Lawton's Brigade (von Oberst Douglas commandirt) ging von der Seite her in die Schlucht, welche die Bolivar-Höhen vom Schulhaus-Hügel trennte, um das Vorgehen des General Hill zu unterstützen. Oberstlieutenant Walker eröffnete mit all seinen Batterien ein enfilirendes

Schnellfeuer auf etwa 1000

Meter Schussweite.

Die

Batterien am Schulhaus-Hügel griffen die feindliche Linie in der Front an. Bald darauf eröffneten die Geschütze der Capitaine Brown, Garber, Latimer und Dement unter Leitung des Obersten Crutchfield ihr Feuer im Rücken des Feindes , die Batterien Carpenter und

General Stonewall Jackson .

185

Poagne feuerten in die rechte Flanke der Stellung . Die Artillerie des General Walker auf den Loudoun-Höhen unter Capitain French, welcher am Abende vorher eine nahe Batterie zum Schweigen ge bracht hatte , schoss nach Harpers Ferry hinein und sogar einige Geschütze des General Mac Laws suchten von den Maryland -Höhen aus sich am Kampfe zu betheiligen .

In einer Stunde schien das

feindliche Feuer zum Schweigen gebracht zu sein und Hill's Batte rien erhielten den Befehl, das Feuer einzustellen , was zugleich das Signal zum allgemeinen avancirte ,

Sturm

sein

sollte.

Als General Pender

fing der Feind von Neuem an zu feuern , worauf die

Batterien Pegram und Crenshaw bis auf nahe Distancen herangingen und ein heftiges Schnellfeuer in die feindlichen Reihen schleuderten. Darauf wurde die weisze Flagge aufgehisst und kurz darauf ergab sich General White (da der Commandant, Oberst D. J. Miles tödtlich verwundet war)

mit

einer Garnison von

11,000 Mann kriegsge

fangen. Eingeschlossen in die Capitulation waren 73 Geschütze 13,000 Gewehre und andere Vorräthe. Dem General White und seinen Offi zieren wurden liberale Bedingungen zugestanden, welche zu meinem gröszten Bedauern von ihrer Regierung falsch ausgelegt worden sind. Ich liesz Hill an Ort und Stelle, um die weiteren Capitulationsaus führungen, sowie die Sicherung des gewonnenen Materials zu Ende zu bringen, und machte mich sofort auf den Weg, um zu der Haupt armee zu gelangen, die ich auch nach einem forcirten Nachtmarsch am 16. früh bei Sharpsbury erreichte . “ (Hier fand bekanntlich am 17. September die Schlacht am Antie tam statt, deren Beschreibung nun folgt :) „ Für diese groszen Siege ( 1862) haben wir dem allmächtigen Gott demüthigen und aufrichtigen Dank zu sagen. Bei allen solchen Gelegenheiten sollten wir immer nur Seine Hand erkennen, die im Himmel und auf Erden regiert.

Wenn man auf die groszen An

strengungen und schweren Strapazen zurückblickt, welche die Truppen zu ertragen berufen waren Lage , vielfach

in

welcher

sich

das

und auf die Commando

isolirte und befand ,

überlegenen Feinde gegenüberstand ,

als

gefährdete es einem

so fühlten wir den

ermuthigenden Trost, dass Gott mit uns war und uns den Sieg gab und Seinem heiligen Namen sei Preis und Dank.

Ich bin, General, hochachtungsvoll, Ihr sehr ergebener Diener T. J. Jackson Generallieutenant. "

General Stonewall Jackson.

186

In der Schlacht bei Sharpsbury (Antietam) nahm Jackson's Corps regen Antheil an dem Gefechte auf dem rechten Flügel. Bekanntlich endigte die Schlacht unentschieden ; trotzdem zog Lee es vor, • nachdem er noch einen Tag seine Stellung behauptet hatte, das Südufer des Potomac zu gewinnen . Auch die Nordländer waren stark erschüttert ; dennoch wurde Mac Clellan von seinen übermäch tigen Feinden arg mitgenommen und heftig getadelt, dass er nicht heftig verfolgt habe. Die Stimmung der Südarmee beim Rückzuge schildert v. Borcke in seiner drastischen Weise :

"" Mac Clellan hatte einen Theil der Truppen über den Potomac geschickt.

General Lee,

dieses

voraussehend,

hatte Jackson zur

Sicherung des Rückzuges bestimmt ; der alte Stonewall liesz nun so viel Yankees über den Fluss kommen, als er für passend hielt, und brach dann in seiner ungestümen kräftigen Art auf sie herein, schlug sie gänzlich in die Flucht, verwundete und tödtete eine grosze Zahl und

nahm 2000 gefangen .

Alle, die durch

diesen heftigen

Stosz nicht auszer Gefecht gesetzt waren, trieb er in die Fluthen des Potomac, die stundenlang mit Leichen getödteter oder ertrunkener Nordländer dahinflossen .

So hatte der zurückgehende Löwe seinem

Verfolger eine scharfe Lection ertheilt, die hinreichend war, unsere Armee in Virginien lange Zeit hindurch vor jedem Versuche der Nordländer, die Ruhe zu stören, sicher zu stellen. " Hiermit

war

der Feldzug 1862 beendet und wir wollen die

die Rast benutzen, welche Jackson mit der Armee zur wohlver dienten Erholung am Rappahannock genoss,

um wiederum

einige

Details zur Charakterisirung dieses originellen und auch als Menschen hochinteressanten Mannes zu , geben. Der klare Rapport, den wir oben gaben, der mit der Durchsich tigkeit seiner Dispositionen in engster Wechselwirkung stand, macht es kaum nöthig, zu versichern, dass Jackson ein lebhafter Freund der Wahrheit war ; allein wir halten es nicht für überflüssig, einige Bemerkungen Cooke's, welcher öfter für Jackson arbeiten musste, einzuschalten,

um so weniger, als

bekanntlich viele Europäische

Schriftsteller aus den nichts weniger als durchaus glaubwürdigen Rapports der Nordstaaten schöpfen, welche mindestens mit groszer Vorsicht zu gebrauchensind. „General Jackson benutzte die Ruhepausen," sagt Cooke, seine Rapporte anzufertigen.

99 um

Das Zusammentragen der Thatsachen

war dem Oberstlieutenant Faulkener seines Stabes übertragen ; allein Jackson ging die Manuscripte genau durch, und so sorgsam suchte

General Stonewall Jackson.

187

er seine Darstellungen vor Irrthümern zu bewahren und so strenge sichtete er das Material und alle Ausdrücke bis auf die geringsten Wendungen, dass man die von ihm unterzeichneten officiellen Schrift stücke als die Quintessenz der Wahrheit betrachten darf, und alle zukünftigen Schriftsteller sie für alle Zeiten als die vereideten Bestätigungen

eines Mannes betrachten können,

der lieber sein

Leben gelassen hätte, als seinen Namen unter Etwas gesetzt, was parteiisch oder unedel oder nicht die absolute einfache Wahrheit gewesen wäre. Landsleute)

Er hasste auszerdem (gegen die Gewohnheit seiner

alle schönartigen Ausschmückungen der Berichte und

gab seinem Stabe selbst das Beispiel der einfachsten Bescheidenheit in den Ausdrücken. " Man wird es mir verzeihen, wenn ich wiederum die Memoiren unseres Landmannes von Borcke citire, welcher häufiger mit Jackson zusammen kam, und einige hübsche Züge unseres Helden erzählt : „ Ich hatte ," schreibt derselbe , „ einige geringfügige Meldungen dem General Jackson zu überbringen und war auszerdem mit dem angenehmen Auftrag beehrt worden, dem alten Stonewall als ein kleines Zeichen der Hochachtung Stuart's, einen neuen und sehr nett ausgestatteten Uniformrock zu überbringen, welcher soeben aus dem Atelier eines Richmonder Schneiders angekommen war. Das hübsch zusammengerollte Kleidungsstück wurde an den Sattel einer Ordon nanz befestigt und so kam ich vor dem Zelt des Generals dicht vor dem Mittagessen an . Ich traf ihn in seinem alten verschossenen Rock, dem alle Knöpfe fehlten, die ihm von patriotischen Damen längst

abgeschnitten worden waren ; und da Wetter, Regen und

Pulverdampf das alte Kleidungsstück fürchterlich mitgenommen hatten und dasselbe voller Flicken und zugenähter Risse war, so sah es allerdings sehr wenig repräsentabel aus . Als ich meine Meldung ab solvirt hatte, brachte ich das Geschenk Stuart's zum Vorschein, in aller seiner Herrlichkeit, mit goldenen Knöpfen, schönen Litzen und Goldstickerei, und amüsirte mich herzlich über die bescheidene Ver wirrung, mit welcher der Held so vieler Schlachten die schöne Uni form von allen Seiten betrachtete und kaum wagte, dieselbe anzu rühren, und über die ruhige Art, mit welcher er das Ding in den Koffer steckte, mit den Worten : „ Sagen Sie Stuart meinen schönsten Dank, lieber Major - der Rock ist viel zu schön für mich, aber ich werde ihn gut aufheben und als liebes Andenken behalten. Und nun kommen Sie, essen Sie mit uns. " Aber ich protestirte energisch gegen diese summarische Behandlung der Sache und erklärte meine Sendung nur halb erfüllt, denn Stuart würde doch sicherlich fragen,

General Stonewall Jackson.

188

wie die Uniform dem General säsze , und erbat es als persönliche Gunst, dass der Rock wenigstens einmal angezogen würde. Mit einem Lächeln erklärte sich der alte Herr dazu bereit, steckte sich in den neuen Anzug und führte mich am Arm aus dem Zelt ins Freie, wo das Essen servirt war.

Der ganze Stab gerieth in Ek

stase über des Chefs brillante Erscheinung, und der alte Neger, der gerade einen gerösteten Puter auftischen wollte, blieb mit offenem Munde wie angenagelt stehen und starrte seinen Herrn an, als wenn derselbe aus einer anderen Welt herabgekommen wäre. Mittlerweile drang das Gerücht der groszen Begebenheit in die herumliegenden Lager und die Soldaten kamen hundertweise herbeigerannt, um ihren be liebten Commandeur im neuen Staate zu bewundern ; und gewiss hat das erste Anlegen einer neuen Robe eines Ludwig XIV. , bei dessen Morgen- Toilette die elegante Welt sich zu versammeln pflegte in Versailles nicht halb so viel Sensation erregt, als das Anlegen eines

neuen Dienstrockes von Seiten Jackson's in den Wäldern

Virginiens. - Bei einer anderen Gelegenheit ritt ich mit Stuart in das Haupt quartier Jackson's, wo wir zum Essen aufgefordert wurden ; während der Mahlzeit zog mich Stuart mit den Fehlern auf,

die ich

im

Englischen häufig machte, und so erzählte er, ich hätte gesagt „ it gave me heartburn to hear Jackson talk", was natürlich die gröszte Heiterkeit unserer kleinen Gesellschaft erregte. Jackson selbst nahm an der allgemeinen Lustigkeit nicht Theil, sondern sah mir mit seinen groszen ausdrucksvollen Augen fest in das Gesicht und drückte mir über den Tisch weg herzlich die Hand ; und indem ein kaum merkbares Lächeln über seine Züge flog, sagte er : „ Machen Sie sich nichts daraus, Major, wir verstehen uns , und ich bin stolz auf die Freundschaft eines so guten und ritterlichen Soldaten, wie Sie sind. " Ich fühlte, dass ich unter dem Barte roth wurde, aber zugleich ein glühendes Gefühl des Stolzes, und ich hätte in dem Augenblicke diesen ein fachen ernsten Beifall des alten Kriegers für keinen Orden oder Ehrenkreuz Europa's vertauscht.

„ Hurrah for Old Von ! (Beiname

Borcke's) and now let us be off ! "

sagte Stuart, und schlug mir auf

die Schulter, um seine eigene Verlegenheit zu verbergen. " IV. Mac Clellan's Gegner erreichten seinen Sturz ; und mit ihm fiel der einzig haltbare Plan, welcher schlieszlich von Grant durchge führt wurde, Richmond von der See aus anzugreifen ; dagegen wurde das Unternehmen, welches stets vom Cabinet in Washington auf

General Stonewall Jackson.

189

recht erhalten war, und gegen welches Mac Clellan sich entschieden ausgesprochen hatte , den directen Weg auf die südliche Hauptstadt von Norden her zu erzwingen , wieder in die Wege geleitet.

Mit

der Ausführung ward General Burnside betraut. Ohne Zögern machte sich dieser General im December 1862 an die Aufgabe, ging bei Fredericksburg über den Rappahannock und griff die in concentri scher, musterhaft gewählter Position, auf den Höhen

südlich der

genannten Stadt lagernde Südarmee mit aller Macht und groszem Ungestüm an. Hauptsächlich hatte auch der rechte Flügel, wo Jack son commandirte, vom Anprall zu leiden, der mit solcher Bravour geführt wurde, dass wirklich ' die erste Linie zu weichen begann. Unser General brachte jedoch bald seine Reserven ins Feuer und stiesz nicht nur den Angreifer zurück, sondern trieb ihn auch fliehend über die Ebene.

Da aber Burnside klüglicher Weise das Nordufer

des Flusses mit starken Batterien ( 12 - Pfündern) besetzt hatte, wurde die Verfolgung eingestellt .

so

Die Nordarmee erlitt entsetzliche

Verluste und Burnside verlor seine Stelle . Wiederum machten die entsetzlichen Wege die Operationen un möglich, welche nur auf verunglückte Versuche der Nordländer und kleine Scharmützel der Cavallerie sich beschränkten und erst Ende Aprils 1863 wieder aufgenommen wurden. Jackson hatte sein Haupt quartier bei Moss Neck, wo er der Anziehungspunkt vieler Besuche aus den anderen Hauptquartieren und auch Europäischer Fremder war, aufgeschlagen. Gegen Ende April's machte Hooker, welcher Burnside's Com mando übernommen hatte, seinen groszen Vorstosz gegen Chancellors ville, während gleichzeitig Sedgwick , Fredericksburg und die Stellung hinter derselben (Mary's Heights) angreifen sollte . Doch haben wir schon an anderem Orte diesen Plan näher betrachtet, und wäre hier nur noch hinzuzufügen, dass nach den officiellen Rapporten der Nordländer die Armee Hooker's 159,000 Mann zählte, während Lee, inclusive Early, welcher die Mary's Heights mit 9000 Mann ver über 50,000 Mann stark war * ). Wir sahen

theidigte, nur etwas

früher schon, wie Jackson den Befehl erhielt, den rechten Flügel Hooker's, das 11. Corps, zu überfallen. Da ich mich der Umgehungs colonne angeschlossen hatte, war ich Zeuge der Lust, mit welcher Cavallerie und Infanterie (erstere commandirte General Fitz Lee), die Reiterei den Vormarsch verschleiernd, durch die dichten Wal dungen marschirten, weil sie am ganzen Wesen des alten Helden

*) The Campaigns of Gen. R. E. Lee by Gen. Early.

General Stonewall Jackson .

190 sahen,

dass

auszerordentliche Resultate in Aussicht ständen.

Als

unsere Tête in der Nähe des Flügels angekommen war, führte der General Fitz Lee den General Jackson allein nach vorwärts und zeigte ihm aus einem Versteck in nächster Nähe die Feinde, welche, uns in fast entgegengesetzter Richtung und in weiter Ferne wähnend, ruhig

abkochten und

ihren Lagergeschäften nachgingen.

Darauf

liesz Jackson die erste Division in Linie aufmarschiren, die anderen mussten wegen der unentwirrbaren Dichtigkeit des Unterholzes in diesem mit Recht Wilderness genannten Waldtheile in Colonnen Unsere erste Linie ward sorgfältig in auf der Strasze bleiben. Schlachtordnung aufgestellt und in solcher Nähe des Feindes, dass man alles lautere Geräusch hörte, Maulesel u. s. w.

wie Trommeln,

Schreien der

Man kann sich denken, welchen fürchterlichen Eindruck das wilde, ungestüme Vorbrechen der Jackson'schen Truppen auf die überraschten Feinde (es waren Sigel's Deutsche) machte ; ohne einen Schuss zu thun, rannten sie davon, die Batterien fuhren sich zwischen Bäumen und Zäunen fest und auf den wenigen Straszen, von unseren Batterien bestrichen und unseren Kugeln verfolgt, drängten sich in wildemDurcheinander dieMassen von Menschen , Pferden und Geschützen vorwärts . Kein Schuss fehlte, und Haufen von Leichen thürmten sich überall auf. Obgleich die Dunkelheit der Verfolgung ein Ende setzte, so konnte Jackson's erwachter Schlachtenrausch keine Ruhe ertragen, „ er machte sich noch in der Nacht mit je einem Regiment Infanterie und Cavallerie auf, um noch weiter im Rücken des Feindes den Schrecken und die Verwirrung zu verbreiten und zog sich, tief in die Wälder dringend, weiter nach links.

Doch auch ihm sollte

die Dunkelheit verderblich werden ; zurückkehrend von der Recog noscirung, welche er stets selbst vor seinen Bewegungen auszuführen pflegte, gerieth er mit seinem Stabe auf die eigenen Leute, welche das Gefolge für angreifende Cavallerie eine Salve abgaben.

hielten und

auf dasselbe

Der Erfolg war traurig ; nicht nur wurde ein

Hauptmann des Stabes und zwei Ordonnanzen getödtet, und Viele ver wundet, sondern Jackson selbst erhielt eine Kugel in den linken Arm, dicht an der Achsel, welche den Arm zerschmetterte und die Hauptarterie löste,

eine zweite zerbrach den Untertheil desselben

Armes und drang durch die Hand, eine dritte endlich ging durch die rechte Hand mitten hindurch und verletzte zwei Handknochen. Jackson fiel vom Pferde und rief: „ Alle Wunden habe ich von den eigenen Leuten “ .

Das Gefecht, welches sich

entspann, ging über

seinen Körper hin und her, doch gelang es schlieszlich,

ihn auf

General Stonewall Jackson.

191 1 einer schnell bereiteten Tragbahre fort zu bringen ; aber unglück

licherweise wurde einer der Träger erschossen und der Verwundete stürzte von der Höhe der Schultern, auf denen ihn die Leute trugen, auf die Erde herab. Die Erschütterung, die er auszer dem Blut verluste durch diesen Fall erlitt, führte später seinen Tod herbei. Das glänzende Resultat der Bewegung Jackson's hatte die Nord länder erschüttert und , wie alle nordischen Schriftsteller jener Zeit versichern, eine nicht zu überwindende Demoralisation in der Armee hervorgebracht, so dass die unmittelbar folgenden glänzenden Siege bei Chancellorsville und an der Banks-Furth, Folgen der so wohl disponirten, als schneidig ausgeführten Umgehung Jackson's waren. Jackson, obgleich sein Arm amputirt werden musste, lebte noch so lange, dass er die Siegesnachrichten vernehmen konnte . General Lee schrieb an ihn, kurz nachdem er die Meldung von der Ver wundung erhalten hatte : „ Ich habe Ihre Meldung, dass Sie verwundet wurden, soeben empfangen. Ich bin nicht im Stande, meinem Bedauern über diesen traurigen Vorfall Worte zu leihen .

Hätte ich die Macht, die Ereig

nisse zu leiten, ich würde zum Besten des Landes wählen, statt Ihrer verstümmelt zu sein.

Ich spreche Ihnen die besten Glück

wünsche zu dem Siege aus, den wir Ihrem Geschick

und Ihrer

Energie verdanken. R. E. Lee." Als die Nachricht von dem nahenden Ende Jackson's dem Gene ral Lee überbracht wurde, war er kaum im Stande, sein Gefühl zu bemeistern, ihm fehlte die ausführende Hand für seine kühnen Pläne. „Ja," sagte er einst, „ Jackson ist zu bedauern, er hat seinen linken, ich aber noch viel mehr, ich habe meinen rechten Arm verloren. " Es wird Niemand wundern,

dass bei dem Vorherrschen des

Gefühles bei den Südländern, sich eine tiefe Trauer der Truppen bemächtigte, als das nahe Ende des groszen Führers bekannt wurde. Es war bei einem Gottesdienst im Walde, als der langjährige intime Freund des Verwundeten, der Prediger Dr. Lazy, die Nachricht brachte, dass auf keine Rettung mehr zu hoffen sei .

Selten habe ich eine

inbrünstigere Andacht gesehen, als die, mit der die vielen Hundert Soldaten auf die Knie sanken und für das Wohl ihres militairischen und geistlichen Führers beteten ; denn Jackson war nicht nur ihr Idol als schneidiger, Alles vor sich her zertrümmernder Soldat, sondern auch gleich Cromwell als dichtesten Kugelregen,

frommer Christ, der selbst mitten im

wenn die

Schlachtlinien schwankten,

die

General Stonewall Jackson.

192

Arme gen Himmel hob, um dort Hülfe zu holen, wenn hier seine Kraft zu Ende war. Seinen einfachen starken Glauben behielt er bis Zu Dr. Lazy sagte , er nach seiner Amputation :

zum Ende.

„ Ich weisz , dass

Denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Ich wünschte, selbst wenn ich es erbitten könnte, nicht wieder in Besitz meines Armes zu sein ! "

Als seine Frau ihm mittheilte, dass der Tod sicher

zu erwarten sei, nickte er mit dem Kopfe und sagte : Very good, very good, it is all right ! " " In dem letzten halb bewusstlosen Zustande träumte

er nur

von Schlacht und Kampf; er gab Befehle an die Intendanten, Aerzte und Führer.

Sein letztes Wort, was er laut sprach, war sehr ähn

lich dem Lee's und lautete : „ A. P. Hill, machen Sie sich kampf bereit !" Mit Jackson

verlor das

conföderirte Heer Unersetzliches ; er

war nebst Lee das Ideal eines pflichttreuen, sich selbst beherrschen den Offiziers . Sein christlicher Glaube, sein ernstes, keusches Ge müth, seine Schüchternheit selbst Männern gegenüber, sein Wider gegen jede Lobhudelei in den amerikanischen Blättern

wille

und seine echte Bescheidenheit hielten ihn nicht ab, die strengste Disciplin zu handhaben, und sein Leben wie Nichts zu achten, sie machten ihn nicht weichlich, sondern im Gegentheil, sie gaben den besten Hintergrund zu dem gaudium certaminis, welches über ihn kam, sobald der erste Schuss fiel, zu der Schlachtenwuth, die ihn zum unbesiegbaren Fechter machten. schüchtern abwandte,

Er, der sich erröthend und

als ein Kind ihn küssen wollte,

der sanft

lächelnd abbog, als ich vor der Schlacht bei Wilderness aus einem Versteck, in dem ich mich unbemerkt glaubte, versuchte, seine Gestalt in meinem Tagebuche zu fixiren,

hielt

eine Stunde

später,

eine

eiserne unnahbare Gestalt, mitten im Stabe, seine Befehle kurz und energisch hervorstoszend, indem seine Augen voll Siegesgewissheit funkelten.

Dieser feste Hintergrund gab unserm Helden auch die

Kraft, lächelnd zu sterben, denn bei ihm war die Vergangenheit und Zukunft, Alles in Ordnung ――― all right ! ―――――――――――

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

193

XII.

Die Bayerische Cavallerie

Division

Preysing

im Feldzuge von 1812.

Mitgetheilt von Heilmann, Königl. Bayerischer Oberst und Regimentscommandeur. (Schluss.) *) Es

würde den

Rahmen

dieser

auf eine ausführliche Schilderung der eingegangen würde , die

Zeilen nun

überschreiten ,

wenn

stattfindenden Kämpfe

zudem in verschiedenen kriegsgeschicht

lichen Werken , vor Allem in Bernhardi's „ Leben des Grafen Toll “ zu finden ist. Wir beschränken uns darauf, hier nur die Theilnahme der Bayerischen Division wiederzugeben. Dieselbe rückte nebst dem IV. Cavallerie-Corps und der Italie nischen Brigade Vilata, die dem General Ornano unterstellt war, am Morgen des 6. Septembers , an welchem Tage bei den Armeen die Vorbereitungen zur Schlacht getroffen wurden , in die Schlachtlinie ein, überschritt bei Bessubowo die Woina und bezog auf deren linkem Ufer ein Bivouak , in dem sie den Rest des Tages , sowie die kalte und regnerische Nacht vom 6. auf den 7. September verblieb , nicht ohne von schwärmenden Kosakenhaufen während derselben mehr als ein Mal allarmirt zu werden.

Am 7. September früh Morgens ver

lieszen die Bayerischen Reiter diese exponirte Stellung , zogen bei Bessubowo wieder über die Woina zurück und machten am Rande eines im Rücken des linken Französischen Flügels gelegenen dichten Gehölzes Halt. Hier traf auch General Graf Ornano bei den ihm unterstellten Truppen ein , liesz den Tagesbefehl des Kaisers vor lesen und befahl dann , den Uebergang bei Bessubowo nur durch vier schwache Züge des 4. Chevauxlegers-Regiments zu besetzen, ob wohl ihn sowohl Graf Preysing, als der Oberst Elbracht aufmerksam gemacht hatten , dass dieses Detachement ohne Infanterie nicht im Stande sein würde , die stehen gebliebene Brücke dieses Dorfes mit Erfolg zu vertheidigen . Später wurde zur Deckung der linken Flanke der Division,

welche Borodino besetzt hielt , die 21. Cavallerie-Brigade Elbracht *) Vergl. Jahrbücher Band XVII, Seite 74 ( October 1875) . 13 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

194 Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

über den Damm auf das linke Ufer der Woina vorgeschoben , wo sie sich nördlich und nahe vor Borodino neben dem 84. Französi schen Infanterie - Regiment aufstellte ; die Artillerie des IV. Corps rückte nach der Wegnahme des Dorfes ebenfalls dahin vor und nahm am linken Ufer der Kalotscha , zwischen dem 84. Regiment und Borodino eine günstige Aufstellung. So blieben denn im west lichen Winkel des Schlachtfeldes nur noch die 22. Cavallerie- Brigade Vilata und die Bayerische Batterie Widnmann zurück . Nachdem die Schlacht ein paar Stunden gewüthet hatte , be schloss Kutusow den äuszersten linken Flügel der Verbündeten , wo die Bayerische Cavallerie- Division stand , durch das I. Reiter-Corps und die Kosaken-Regimenter Platow's angreifen zu lassen. Diese ganze beträchtliche Reitermasse (28 Schwadronen regu lairer Cavallerie , 14 Kosaken - Regimenter unter Platow , 3 leichte Batterien mit 36 Geschützen) setzte durch eine Furth unterhalb Staroë über die Kalotscha und rückte in einem weiten Bogen , um die Quellen einiger kleinen und sumpfigen Gewässer , die hier von Nordwest der Kalotscha zuflieszen, gegen Borodino. Es war --- wie der Augenz euge Clausewitz berichtet - zwischen 11 und 12 Uhr, als das vorausziehende Corps von Uwarow an der

Woina ankam ; links lag das Dorf Borodino , worin sich die Truppen des Vicekönigs festgesetzt hatten , vor sich hatte es den obenge nannten Bach , der in einer schmalen , aber sumpfigen Wiesenein fassung flieszt. Diesseits des Baches standen das 3. und 6. Baye rische Chevauxlegers - Regiment vor dem Dorfe , jenseits hielten das 4. und 5. Bayerische Chevauxlegers - Regiment * ) , die Italienische Cavallerie -Brigade Vilata und die Batterie Widnmann . General Uwarow, der es nicht wagen wollte , mit seiner Cavallerie auf dem schmalen Damm über die Woina zu setzen , um die jenseits befind liche Bayerische Reiterei anzugreifen , entsandte die Kosaken - Regi menter Platow's gegen rechts , um einen passenderen Uebergangs punkt aufzusuchen . Zugleich liesz er vor seiner Front die Batterie auffahren und die jenseitige Reiterei beschieszen ; um aber auch seine linke Flanke zu sichern , beorderte er einen Theil seines Corps die auszerhalb des Dorfes stehenden Truppen zu attakiren . Von diesen hatte das hart am Ufer der Kalotscha stehende 84. Fran zösische Regiment gleich beim Erscheinen des Feindes Carré formirt

*) Die vier Chevauxlegers-Regimenter mochten damals noch eine Stärke von 1200 Mann und 1150 Pferden besitzen ; wie stark die Brigade Vilata war ist nirgendswo zu ersehen.

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

195

während Oberst Elbracht seine Cavallerie - Brigade mit dem linken Flügel an das steile Ufer der Woina zurücknahm und ihren rechten Flügel an das 84. Regiment anlehnte , so zwar , dass die beiden Chevauxlegers- Regimenter treffenweise hintereinander in Linie mit der Front gegen Norden standen. In der Ueberzeugung , dass die schlecht gefütterten müden Pferde seiner Chevauxlegers gegen die vollkommen ausgeruhten und gut genährten des Feindes unfehlbar den Kürzeren ziehen müssten , gab Elbracht dem im ersten Treffen stehenden 6. Chevauxlegers - Regiment den Befehl , den Angriff des Feindes stehenden Fuszes, und mit dem Carabiner in der Hand, ruhig abzuwarten und erst dann, wenn dieser durch das abgegebene Feuer zurückgewiesen wäre, zum Nachhauen vorzugehen . Der Verlauf des Gefechts entsprach vollständig der klugen Vor aussicht des Brigadecommandeurs ; die Russische Cavallerie, an ihrer Spitze das Garde- Husaren- Regiment, attakirte in vollem Rosseslaufe, wurde aber von dem Musketenfeuer des Französischen Carré's in der Flanke, von dem Carabinerfeuer des 6. Chevauxlegers-Regimentes in der Front gefasst und dadurch

unter namhaftem Verlust zum

Jetzt gingen die Plänklerzüge der eiligen Rückzuge genöthigt. beiden Bayerischen Chevauxlegers - Regimenter zum Nachhauen vor und verfolgten den fliehenden Feind bis

zum Aufstellungspunkte

seiner Haupttruppe. Gegen seine linke Flanke den Angriff zu wieder holen , hatte General Uwarow nach dem ersten verunglückten Ver suche alle Lust verloren. Während dieses Vorganges hatten die Geschütze der Russen ununterbrochen auf die am rechten Ufer der Woina stehenden Ca vallerie - Regimenter gefeuert ; ihrem Feuer wurde jedoch von der Bayerischen Batterie Widnmann mit Nachdruck entgegnet ; zwei mal versuchte

auch die regulaire Reiterei

des Feindes auf dem

Damme den Uebergang über die Woina zu forciren , aber jedesmal wurde sie von dem nahen

Kartätschenfeuer der Bayerischen Ge

schütze an der Ausführung verhindert.

Da erschienen , etwa um

12 Uhr , plötzlich in der linken Flanke auf dem rechten Ufer der Woina die Kosaken Platow's, welche die bei Bessubowo aufgestellten vier Plänklerzüge des Bayerischen 4. Chevauxlegers - Regiments über wältigt hatten und mit ihnen gleichzeitig vor der am äuszersten linken Flügel stehenden Italienischen Cavallerie- Brigade Vilata an langten.

Von dem unerwarteten und heftigen Stosze in Verwirrung

gebracht, leistete diese nur geringen Widerstand und sah sich bald auf die Bayerische 22. Cavallerie-Brigade zurückgeworfen , die General Graf Preysing soeben persönlich gegen den Feind vorführen wollte. 13 *

196

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Obwohl durch die in wilder Hast zurückbrausenden Italienischen Reiter etwas in Unordnung gebracht, gelang es den beiden Chevaux legers - Regimentern dennoch , die Kosaken durch einige ruhig abge gebene Carabinerdechargen zum Rückzuge nach dem nahen Walde zu nöthigen , wo sie sich wieder zu sammeln suchten.

Nun ging

aber ihrerseits die Bayerische 22. Cavallerie - Brigade , das 4. Che vauxlegers - Regiment links , das 5. Chevauxlegers - Regiment rechts zum concentrischen Angriffe auf den Feind vor und tummelte sich mit ihm am Saume des Waldes umher, während sich die Italienische Cavallerie-Brigade weiter rückwärts wieder ralliirte.

Dadurch war

aber die Batterie Widnmann hart am Rande der Woina ohne irgend eine Bedeckung geblieben, und gerade in diesem Augenblicke ver suchte die regulaire Reiterei des Feindes zum dritten Male, die Woina auf dem Damme zu passiren, um ihren diesseits im Gedränge befind lichen Kameraden zu Hülfe zu kommen. Da war denn freilich für die Batterie kein Bleibens mehr ; die Geschütze in's Shlepptau neh mend, suchte sie Hauptmann Widnmann durch schleunigsten Rückzug zu retten. Es war die höchste Zeit , denn kaum hatte die Batterie sich zurückgezogen, als die Gardekosaken

wie der Augenzeuge Clau

sewitz berichtet — wie eine Rakete mit einem langen Schweif auf den Damm losfuhren. Wie ein Blitz waren sie hinüber und in den Wald hinein zu ihren Brüdern .

Das Garde-Uhlanen- Regiment , die

Garde-Husaren und Garde- Dragoner , dann die Husaren vom Regi ment Elisabethgrod und Niamschin - Dragoner folgten ihnen und warfen sich den beiden Bayerischen Chevauxlegers - Regimentern in Flanke und Rücken. Umsonst suchte General Ornano mit der wieder geordneten Italienischen Chasseur - Brigade Vilata die Baye rischen Reiter zu degagiren.

Die feindliche Uebermacht war zu

grosz und in wirrem Handgemenge und völliger Auflösung stürmten Freund und Feind gegen die neue Moskauer Strasze, hart am linken Ufer der Kalotscha , in deren Nähe die Batterie Widnmann Position genommen hatte. Zwei Geschütze waren bereits vom Husaren Regiment Elisabethgrod genommen , ihre Bedienungsmannschaft zu sammengehauen und die Russen schickten sich eben an, sie zurück zuführen, als um 12½ Uhr, also im gefahrdrohendsten Augenblicke, der Vicekönig mit der Italienischen Garde auf dem Kampfplatze er schien. Auf die erste an ihn gelangte Nachricht von dem Anrücken beträchtlicher Cavalleriemassen nördlich von Borodino hatte er näm lich seine Garde an das linke Ufer der Kalotscha geführt, um seinem bedrohten linken Flügel zu helfen. Unter den Bajonneten der

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

197

Garde-Infanterie und gedeckt von der sogleich zum Angriffe vor gehenden Italienischen Garde - Cavallerie - Brigade, gelang es der Reiterei des Generals Grafen Ornano , sich wieder vollständig zu ordnen.

Die feindliche Cavallerie , durch den unverhofft gefundenen

Widerstand eingeschüchtert , zog sich in Eile wieder auf das linke Ufer der Woina zurück, an deren rechtem Ufer die Brigaden Seyssel und Vilata ,

so wie die Batterie Widnmann

alsbald wieder ihre

frühere Stellung einnahmen. Der Kampf auf diesem Theil des Schlachtfeldes mochte ungefähr eine Stunde gedauert, also gegen 1 Uhr geendet haben ; von Bedeutung ,

nach dieser Zeit geschah hier nichts mehr

denn die Russischen Generale getrauten sich nach

den bereits gemachten Erfahrungen nicht , ihren Angriff zu wieder holen , obgleich von Bennigsen und Barklay sowohl , als auch von Kutusow abgesandt, noch mancher Adjutant und Generalstabs-Offizier und zuletzt Toll selbst , herüberkamen , um sich persönlich von der Unmöglichkeit, hier etwas Erfolgreiches auszuführen, zu überzeugen. Selbst im glücklichsten Falle würde aber auch ein auf dieser Stelle errungener Vortheil ohne Einfluss auf den Gang der Schlacht ge blieben sein , die sich kurze Zeit darauf in der Rajewskyschanze entschied. Der Verlust der Cavallerie-Division Preysing an Todten betrug am 7. September 1 Offizier (der Rittmeister Moncrit vom 5. Regi ment) , 15 Mann und 74 Pferde , an Verwundeten 4 Offiziere , 47 Mann und 8 Pferde . Das IV. Corps , zu welchem am Morgen dieses Tages wieder die in Witebsk zurückgebliebene 15. Division Pino gestoszen, brach gegen Mittag auf, setzte bei Borodino über die Woina und rückte mit der Reiterei unter Ornano an der Tête , bis an das rechte Ufer der Moskwa und lagerte während der Nacht bei dem Dorfe Krasnoe. Am 9. September passirte das ganze Corps die Moskwa und mar schirte nördlich an Moshaisk vorbei über Vedenskoe und Vrouin kowo

nach

Rouza , wo die

an der

Vorhut befindlichen

Baye

rischen Chevauxlegers - Regimenter erst nach einem lebhaften Ge fechte mit den sich zur Wehre setzenden Einwohnern einrücken konnten.

Der Rasttag , welchen das IV. Corps in diesem von der

groszen Moskauer Strasze weit abliegenden und deshalb nicht ver lassenen Städtchen am 10. September halten durfte, kam Mann und Pferd trefflich zu Statten. Selbst das unerwartete Erscheinen ver einzelter

Kosakenhaufen

vermochte

den

ausgehungerten und er

schöpften Soldaten nicht aus der behaglichen Stimmung zu scheuchen, in welche ihn der langentbehrte Anblick einer wohlbesetzten Tafel

198

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

und gefüllter Weinflaschen versetzt hatte.

Nachdem der Vicekönig

in Rouza einige hundert Mann als Besatzung des zur Vertheidigung eingerichteten Schlosses

zurückgelassen hatte ,

marschirte er mit

seinem Armeecorps am 11. September wieder ab und sich der Haupt strasze nähernd, über Apalchtchouina nach Zwenighorod, welches er am 12. September Nachmittags erreichte.

Er fand die grosze alte

Abtei nur noch von einigen wenigen Mönchen bewohnt ; alle sonsti gen Bewohner des Ortes waren mit ihrer werthvollsten Habe in die nahen Waldungen geflohen : so sehr hatte die Nachricht von der gewaltsamen Wegnahme Rouza's auch hier schon erschreckend ge wirkt.

Am 13. September rückte das IV. Armeecorps, dem linken

Ufer der Moskwa folgend ,

nach Spaskoé,

setzte dort über diesen

Fluss und vereinigte sich bei Buzajewo wieder mit dem Centrum der groszen Armee, welches auf der Hauptstrasze von Moschaisk gegen Moskau vorrückte, während ihr rechter Flügel, das V. Corps, unter Poniatowsky sich über Wereja und Fominskoé der alten Czaarenstadt näherte. Am 14. September ging das IV. Armeecorps links von Murat und unter steten Gefechten mit der nur langsam zurückweichenden leichten Russischen Cavallerie (von Winzigerode's Corps, das später nördlich von Moskau Stellung nahm und die Petersburger Strasze deckte) bis an die Moskwa vor und schickte sich am Nachmittage eben an, bei Tscheropkowa abzukochen, als die auf Vorposten stehen den Italienischen Chasseurs von über den Fluss gegangenen Kosaken angegriffen und auf die Infanterie zurückgeworfen wurden.

Um sich

vor abermaligen Angriffen dieser Störenfriede sicher zu stellen , liesz der Vicekönig die vier Bayerischen Chevauxlegers-Regimenter wieder aufsitzen und befahl dem Grafen Preysing, den Feind vom jenseitigen Ufer zu verjagen.

Die beiden Brigaden setzten durch die Moskwa

und attakirten den Feind, dessen grobes Geschütz den Bayern eini gen Verlust zufügte, aber durch wenige Granaten der Bayerischen Batterie Widnmann bald zum Schweigen gebracht wurde.

Als die

Kosaken den ernstlichen Angriff der Bayerischen Reiter herannahen sahen, gaben sie bereitwillig Fersengeld und zogen sich auf ihr Hauptcorps

zurtick .

Bei dem Dorfe Khorochévo auf dem linken

Ufer der Moskwa bezogen die beiden Bayerischen Brigaden Bivouak, während das IV. Corps jenseits lagerte und über den Fluss mehrere Brücken geschlagen wurden . Eine kleine Strecke östlich von Khorochévo erhebt sich eine sanfte Hügelreihe,

welche nach dem Beziehen des Lagers

Chevauxlegers - Offiziere bestiegen ,

um vielleicht bei

einige

den letzten

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

199

Strahlen der eben untergehenden Sonne noch Etwas von den Be wegungen des sich zurückziehenden Feindes zu erkennen.

Da ver

nahmen plötzlich die in der Ebene Zurtickgebliebenen von dem Gipfel Im Nu war die der Höhen den lauten Ruf : Moskau ! Moskau ! ganze Bayerische Division auf dem Hügel : General und Soldat, Offi zier und Trompeter -wer nur irgend fort konnte, eilte hinauf. In langer Reihe standen Alle und starrten mit funkelnden Augen nach dem so lange und heisz ersehnten Ziele so vieler blutiger Anstren gungen, so schwerer Entbehrungen und Leiden, nach dem endlich erreichten Ziele, das, wie Alle hofften, allem Uebel ein Ende machen „ Die mannigfaltigsten Gefühle"

und den Frieden geben sollte.

so schreibt ein Augenzeuge dieses Auftrittes - „ erhoben sich in der Brust eines jeden Kriegers ; Hoffnung auf eine baldige, bessere Zu kunft nahm in derselben wieder Raum, und so bitter diese Hoffnungen auch getäuscht wurden, Moskau's erster Anblick wird ebenso wenig aus der Erinnerung Jener schwinden, welche der ewig furchtbaren Katastrophe in Russland entkamen, als Jerusalems erster Anblick in der Seele Derer, die als die Reste von Gottfried's Kreuzheer zu rückkehrten, je erloschen sein wird ! " Als der Vicekönig von der Besetzung Moskau's durch Murat Kenntniss erhalten hatte, sog er am frühen Morgen des 15. Septembers mit seinem Corps über die Moskwa und führte es gegen die Stadt. Vor ihren Thoren angelangt , wandte er sich aber links, marschirte um die Umfassungsmauern herum und rückte

gegen die Petersburger Strasze

dann auf dieser gegen Norden bis zum Kaiserlichen

Lustschlosse Petrowskojé, um welches sich gegen Mittag das Corps lagerte.

Die

Cavallerie Ornano's , die noch eine

Strecke weiter

gegen Twer vorgerückt war und dort Vorposten ausgestellt hatte, musste im Laufe des Nachmittags quer durch die vollständig ver wüsteten Felder nach der gegen Dmitrow führenden Strasze ab marschiren, auf der sie gegen Abend bivouakirte.

Eine Escadron

des 5. Chevauxlegers - Regiments, welche seitwärts gegen die Strasze nach Jaroslawl abgesandt worden war und dort die Vorposten be ziehen sollte, wurde noch am späten Abende durch einen Kosaken schwarm angegriffen und unter starkem Verluste an Mannschaft und Pferden auf die Haupttruppe zurückgeworfen.

Die Verstärkung,

welche Graf Preysing schleunig herbeiführte, trieb jedoch den Feind alsbald wieder zurück, und die Aufstellung der Bayern wurde sowohl während der folgenden Nacht , als am 16. September auf beiden Straszen nicht mehr beunruhigt .

Am 17. September Morgens rückte Ornano auf die Strasze nach

200

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812 .

Jaroslawl hinüber, da die Corps Grouchy und Nansouty zur Deckung der Straszen nach Petersburg und Dmitrow genügten. Jaroslawler Strasze ,

Eine an der

eine Stunde auszerhalb Moskau auf einer An

höhe gelegene grosze Kirche wurde von der Mannschaft der Batterie Widnmann belegt , deren Pferde in den um die Kirche laufenden Hallen untergebracht waren ; die Geschütze standen auf dem freien Platze vor der Kirche aufgefahren. Um das Dorf Alexciskojé, welches längs der Strasze am Fusze dieser Anhöhe gebaut ist ,

lagerten auf einem trockenen Wiesengrunde die Reste der vier Cavallerie - Regi menter. Eine gegen Norden vorgeschobene starke Postenkette

sicherte das Lager. Die Infanterie des IV. Armeecorps wurde in den nördlichen Vorstädten von Moskau einquartiert. Schon auf dem Anmarsche gegen Moskau, am Morgen des 15. Septembers , hatte man an einzelnen Punkten der Stadt dichte Rauchwolken aufsteigen sehen.

Der anfängliche Glaube, dass durch

die Unvorsichtigkeit Französischer Soldaten zufällig Feuer ausge brochen sei, wurde bald zerstört, als sich in der Nacht vom 15. auf den 16. September die Anzahl der Feuerheerde auf allen Punkten Inzwischen aus der der weiten Ebene erschreckend vermehrte. Stadt im Lager eingetroffene Offiziere und die unerwartete Ankunft Napoleon's in Petrowskojé , wohin derselbe am 16. September aus dem von den Flammen bedrohten Kreml sein Hauptquartier verlegen musste, bestätigten in bedenklicher Weise die Vermuthung von der planmäszigen und durch Gouverneur Rostopschin anbefohlenen Ver brennung der Russischen Metropole. An diesem Tage erhielten auch sämmtliche in den Vorstädten lagernden Corps den Befehl, unverzüglich starke Truppenabtheilungen nach der inneren Stadt von Moskau zu schicken, um die in den dortigen Kellern noch in ungeheueren Massen vorhandenen Vorräthe aller Arten von Lebensmitteln, Weine etc. womöglich vor den Flam men zu retten und in die Lager zu schaffen .

Bekanntlich ward

dieser Befehl eine der Hauptursachen zu der beispiellosen Plünderung der unglücklichen Stadt und dadurch zur gänzlichen Lockerung der schon gefährdeten Disciplin im Französischen Heere .

Zu ihrer Un

zufriedenheit, aber auch zu ihrem Glücke, hielt die Bayern ihre gegen den Feind vorgeschobene Stellung von aller und jeder Theilnahme an diesen geduldeten Räubereien zurück, deren Früchte ihnen jedoch in reicher Zusendung von seit lange entbehrten trefflichen Lebens mitteln wohl zu Statten kamen .

In verhältnissmäszigem Ueberflusse

schwelgend , sahen sie, um ihre kleinen Bivouakfeuer gelagert, von ferne dem groszen Brande zu, der eine Weltstadt in Asche legte

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

201 ·

und dessen flammende Helle die Sonne ersetzen musste, welcher die dichtgeballten, schwarzen Rauchwolken die Erleuchtung der Erde Mit der Sorglosigkeit und dem leichten Sinne, der den

verwehrten.

auf den Genuss des Augenblickes angewiesenen Soldaten charakteri sirt, leerten die Bayerischen Reiter, ihrer Lieben in der Heimath ge denkend und unter heiteren Gesprächen und Gesängen, die Becher, angefüllt mit dem schweren Blute der Trauben von Chios oder dem perlenden Weine der fernen Champagne. Das Heulen des Windes, das selbst auf diese Entfernung wabr nehmbare donnerähnliche Krachen der einstürzenden Paläste und Kirchen liesz ihnen die furchtbare Katastrophe eher als ein schreck liches Naturereigniss , denn als ein Werk von Menschenhänden er scheinen, und nur einzelne Wenige ahnten, dass von da an Mühe und Elend, Leiden und Entbehrungen, denen man nun glücklich ent ronnen zu sein wähnte, erst recht beginnen würden. In dieser Stellung bei Alexciskoje, nördlich von Moskau, ver blieben die Bayerischen Chevauxlegers- Regimenter bis zum 22. Sep tember, an welchem Tage ein plötzlich eintreffender Marschbefehl sie aus der behaglichen Ruhe ihres Bivouaks aufschreckte, welche vereint mit guter und reichlicher Verpflegung auf den Gesundheits zustand und die Körperkraft von Mannschaft und Pferden bereits günstig zu wirken begonnen hatte. Am 22. September verliesz die Bayerische Cavallerie - Division Preysing, welche auf 700-800 nur noch mangelhaft berittene Leute herabgesunken war, das Bivouak bei Alexciskoje und marschirte bis Bezowke, wo sie nebst der Division Broussier vom IV. Corps zur Deckung der Strasze nach Moshaisk Stellung nahm. Als General Ornano mit der Italienischen Cavallerie - Brigade eingetroffen war, rückte er mit dieser, der 21. ( 1. Bayerischen) Cavallerie - Brigade unter Oberst Elbracht und der halben Bayerischen Batterie bis zum Schlosse Miszkowo

an der Smolensker Strasze, während General

Preysing mit der 22. (2. Bayerischen) Cavallerie-Brigade unter Oberst Seyssel und der anderen Hälfte der Bayerischen Batterie bis Joudnia vorgeschoben

ward ;

rückwärts

von

Ornano

stand die

Division

Broussier.

Von dieser Aufstellung aus führte die Cavallerie ihre Razzia's in der Richtung gegen Moshaisk" aus ; bei einer derselben

gelang es der 22. Cavallerie-Brigade, dem 4. und 5. Chevauxlegers Regimente, einer Russischen Reiterabtheilung einen von ihr genom menen Französischen Moskau zu schaffen.

Artilleriepark wieder

abzujagen

und

nach

Am 15. Octoben brachen die leichte Reiterei Preysing's und die

202

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Division Broussier von der Smolensker Strasze auf, um Stellung auf der Strasze nach Kaluga zu nehmen ; Preysing bezog eine Stellung bei dem Dorfe Masikowa, während die Division bei Fomniskoé ver blieb. Während dieses Marsches wurde die Traincolonne von Ko saken angefallen, welche Menschen und Pferde mit ihren langen Piken niederstachen und sodann die Wagen zu plündern begannen. Die rasch herbeieilende Bedeckungsmannschaft verjagte jedoch diese beutelustigen Gesellen schon durch ihr bloszes Erscheinen. Aus dieser Aufstellung wurde im Laufe des 17. Octobers eine Recognoscirung unternommen, wobei man nach allen Seiten auf umherschwärmende Kosakenabtheilungen stiesz und zugleich erfuhr, dass auch Infanterie im Anmarsche sei.

Um sich über die Richtig

keit dieser letzteren Angabe zu vergewissern, erhielt General Graf Preysing den Befehl , am folgenden Tage mit dem 3. und 6. Che vauxlegers -Regimente, 300 Mann Französischer Infanterie und einem Geschütze in der Richtung gegen Borowsk vorzugehen .

Allein kurz

vor dem Abmarsche dieses Detachements am frühen Morgen des 18. Octobers wurden die bei Masikowa stehenden Französischen Chasseurs angegriffen und zurückgeworfen . bestimmte Aufstellungslinie

ein,

Alles rückte nun in die

die Chasseurs

zur Deckung der

Front, die 21. Brigade zur Deckung der linken Flanke, die bereits von einer Abtheilung von 400-500 Kosaken umgangen zu werden begann.

Deshalb wurde das 3. und 6. Chevauxlegers - Regiment mit

zurückgehaltenem linken Flügel aufgestellt , während die Batterie bei dem mit Infanterie besetzten Dorfe Masikowa zurückblieb . In dieser Aufstellung sah die Cavallerie Preysing's alsbald eine starke feindliche Cavalleriemasse gegen sich anrücken.

Es war dies die

Abtheilung des Generals Dorochow, welcher mit dem Leib-Dragoner Regimente, den Husaren Elisabethgrod und drei Kosaken-Regimentern, in Summa 2000 Mann, nach Katowo detachirt worden war, um die Aufstellung der Französischen Armee auf der neuen Kalugaer Strasze zu recognosciren . Dorochow ging sofort zum Angriffe über, durch brach das an der Tête stehende 9. Französische Chasseurs- Regiment und drang bis an die Umzäunung des Dorfes vor.

Der elende Zu

stand ihrer Pferde hatte die Chevauxlegers gehindert in mehr als einem matten Trabe der ihnen gegenüberstehenden Russischen Ca vallerie entgegenzureiten ; als diese aber im raschesten Rosseslaufe durch die Bayerische Aufstellung hindurchsauste und aufgelöst auf die Batterie losstürmte, eröffnete das zweite Glied des 6. Chevaux legers - Regiments ,

indem

es

auf Befehl Preysing's linksumkehrt

machte, ein so nachdrückliches und gutgezieltes Carabinerfeuer auf

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

203

den Rücken ihrer Angreifer, welche zudem von der in Masikowa versteckten aufgestellten Infanterie der Division Broussier in ihrer linken Flanke beschossen wurde, dass die Russischen Reiter ihre Angriffspläne

auf die Bayerische Batterie

aufgaben

und

ebenso

schnell , wie sie gekommen, auch wieder davonjagten. Kaum sah Widnmann seine Batterie von den unmittelbaren Angriffen der feind lichen Reiterei befreit, als er mit der einen Hälfte seiner Batterie in die Flankenstellung der 21. Cavallerie- Brigade voreilte und der da voneilenden

feindlichen

Reiterei

einige

Kartätschschüsse

nach

sandte, die dieser empfindlichen Verlust beibrachten . Gleichzeitig war auch Lieutenant Rhodius mit einem Geschütze in die Aufstellung der Italienischen Cavallerie - Brigade vor dem Dorfe vorgegangen, welche von der Infanterie behauptet worden war, und hatte eben falls zu feuern begonnen . Durch dieses so unerwartet und an zwei Punkten zugleich er öffnete Geschützfeuer, welches, auf nahe Entfernungen abgegeben, den in dichten Massen sich sammelnden Russischen Reitern sehr verderblich ward , auszer Fassung gebracht , befahl Dorochow den Rückzug, nur bedroht von den Bayerischen Geschützen, da die Pferde der Bayerischen und Italienischen Reiter zu einer energischen Ver folgung zu ermüdet waren. Für die nächsten Tage wurden die Bayern in ihrer Aufstellung vor Fominskoé durch ernstliche Angriffe nicht wieder gestört , so sehr hatte die erhaltene Lection den Russen die Lust der Wieder holung ihres Versuchs verleidet.

Nichtsdestoweniger und obwohl

auch die beiden anderen Chevauxlegers - Regimenter der

22. Ca

vallerie - Brigade in die Stellung bei Masikowa wieder vorgerückt waren, blieb diese doch im höchsten Grade misslich, da die Nähe eines weitüberlegenen Gegners die Beitreibung von Lebensmitteln und Fourage hemmte und zu steter erschöpfender Kampfbereitschaft nöthigte. Nach dem Eintreffen des IV. Corps in Fominskoé *) ward die Division Delzons und das vom Oberst Diez befehligte 6. Bayerische Chevauxlegers - Regiment , mochte,

welches

etwa noch

200

Pferde

zählen

als Avantgarde für den Vormarsch des IV. Corps nach

*) Die ganze Hauptarmee folgte auf dieser Strasze. Was Napoleon ver anlasste, seine aus Moskau abziehende Hauptarmee anfänglich die alte Strasze nach Kaluga einschlagen und dann längs der Pachra auf grundlosen Seiten wegen die neue Kalugaer Strasze gewinnen zu lassen, statt sofort auf der Strasze nach Smolensk zurückzugehen, wird schwerlich zu enträthseln sein.

204

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

Borowsk bestimmt.

Am 22. October um 7 Uhr Morgens setzte sich

diese Avantgarde in Marsch und begegnete

schon bei Masikowa

wieder einer Abtheilung Kosaken, die jedoch bald wieder verschwand. Bei Mitcariva, am Ausgange eines dichten und über zwei Stunden langen Waldes, den diese Abtheilungen zu säubern hatten, stieszen sie auf eine Abtheilung von 3000 Kosaken ; trotz dieser Ueberzahl besann sich Oberst Diez nicht einen Moment ,

sondern führte seine

Escadronen so schnell als die müden Pferde zu laufen vermochten, dem Feinde entgegen.

Ein lebhaftes Feuer des 92. Französischen

Infanterie - Regiments unterstützte

auf's

wirksamste diese Attake,

welche damit endete, dass die Kosaken Reiszaus nahmen .

Hierauf

rückte die Avantgarde mit dem 6. Chevauxlegers - Regimente an der Spitze gegen Borowsk vor. Bei diesem Orte zeigte sich abermals eine mehr als

500 Mann zählende Kosakenabtheilung ;

abermals

attakirten die Bayerischen Chevauxlegers , diesmal unterstützt von der im Laufschritte auf der Strasze nachrückenden Brigade Bertrand, den Feind , warfen ihn unter starkem Verluste in die Straszen von Borowsk und verfolgten den fliehenden Rest in der Richtung nach Malo Jaroslawetz *). Am Abende des 23. Octobers traf die Division Delzons

und

Ornano mit der Division Preysing und der Italienischen Cavallerie Brigade bei Malo Jaroslawetz ein. In einem Kriegsrathe, der am 26. October stattfand , beschloss endlich Napoleon über Borowsk nach Moshaisk zu marschiren und von da auf der Smolensker Strasze seinen Rückzug fortzusetzen. Am 28. October bog die Hauptarmee von Borowsk über Wneija bei Moshaisk auf die Smolensker Strasze ein. Die Bayerische Cavallerie - Division Preysing , welche an der Schlacht von Malo Jaroslawetz am 25. October sich nicht activ be theiligt hatte,

rückte am 27. October, die Nachhut des IV. Corps

bildend, nach Borowsk, am 28. nach Wareija, am 29. nach Ghorodoh Borisow und den 30. October , hart an Moshaisk vorüberziehend, auf das Schlachtfeld von Borodino, wo sie die Nacht über bivoua kiren musste. Seit der Plünderung Moskau's war die Disciplin sehr gelockert *) Delzons sagt in seinem Berichte : „ Le colonel Diez se mit à la tête de ses escadrons et les a conduit de la manière la plus brillante. Les cosaques, surpris de cette attaque, ont précipité leur fuite dans la ville ; ils ont été poursuivis l'épée dans les reins . Je ne saurais assez faire l'éloge de la bonne conduite des Bavarois ; ils ont montré dans cette journée beaucoup d'intrepidité et de devouement." Etc.

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812. worden.

Sie drohte in kürzester Zeit gänzlich zu verfallen.

205

Schon

waren die Dörfer, durch welche Franzosen zogen, fast ohne Aus nahmen in Flammen aufgegangen ; jetzt vollends wurde der grau same und unkluge Befehl gegeben, menschlichen Wohnstätten,

alle Städte und Dörfer, alle

die man berührte, ja die man nur er

reichen konnte, niederzubrennen .

Ein Augenzeuge vergleicht diesen

Rückzug mit dem Zuge der Israeliten durch die Wüste : eine Rauch säule am Tage, Feuersäulen in der Nacht bezeichneten den Weg, den das flüchtige entfesselte Heer nahm. Am 3. November fand die Schlacht bei Wiasma statt.

Die vier

Bayerischen Chevauxlegers - Regimenter, deren numerische und phy sische Schwäche schon ein entscheidendes Eingreifen in den Verlauf e dieser Schlacht nicht gestattet hätte,

waren zudem durch die An

ordnung des Vicekönigs von Italien in so kleine Abtheilungen zer rissen, dass von einem gemeinschaftlichen Wirken ohnehin keine Rede sein konnte.

Es befanden sich nämlich an diesem Tage das

4. Chevauxlegers -Regiment mit der 13. Division bei der Avantgarde, das 3. Chevauxlegers- Regiment und 60 Pferde des 6. Chevauxlegers Regiments beim Gepäcke des IV. Armeecorps als Bedeckung com mandirt, Graf Preysing endlich mit dem 5.

und dem Reste des

16. Chevauxlegers - Regiments bei der 14. Division zugetheilt.

Dem

ungeachtet waren die Anstrengungen wie die Verluste der Bayeri

schen Reiterei in diesem Gefechte sehr bedeutend . Preysing be $ zeichnet in seinem Berichte hierüber, d . d . Jarosloff den 10. Februar 1813, diese Affaire als die hitzigste in der ganzen Campagne und 99 dass selbst in der blutigen Schlacht bei Borodino die

fügt bei,

Bayerische Cavallerie keinem so heftigen und verheerenden Kanonen feuer ausgesetzt war".

Aber auch durch die blanke Waffe wurde

den Chevauxlegers kein unerheblicher Verlust zugefügt ; so wurde gegen Ende des Gefechts

General Preysing , der mit dem 5. und

einem Theile des 6. Chevauxlegers-Regiments, um den hartbedrängten Plänklern der 14. Division Luft zu machen, eine Attake en debandade auf die feindlichen Plänkler ausgeführt hatte , von einer starken Dragonerabtheilung

des

4. Russischen

Reitercorps in der linken

Flanke gefasst , so dass der General, unterstützt vom Oberst Diez, kaum noch Zeit gewann einige Leute um sich zu sammeln und sich den feindlichen Dragonern entgegenwarf , die, von solcher Kühnheit verdutzt, umwandten und davonjagten. Die beim Gepäcke comman dirten Escadronen hatten von den Lanzen der Kosaken viel zu leiden, welche die Hoffnung auf Beute herangezogen hatte . Glücklicher war das 4. Chevauxlegers- Regiment , welches nach

206

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

der Vereinigung des I. und IV . Corps am rechten Flügel des letzteren eine gedeckte Aufstellung genommen hatte.

Oberst Graf Seyssel, der von seinen Vorposten die Meldung erhalten hatte, dass ein feind liches Dragoner-Regiment den Weg durch eine in der Nähe befind liche enge Schlucht eingeschlagen habe , um einem Französischen Infanterie - Regimente in den Rücken zu fallen, wartete in seinem Verstecke unbeweglich den Zeitpunkt ab, in welchem die Dragoner aus der Schlucht herauskommen und sich zum Angriffe in Bewegung setzen würden. Kaum waren die Dragoner in Sicht, als auch schon Seyssel mit dem 4. Chevauxlegers - Regimente aus dem Hinterhalte hervorbrach und links einschwenkend , so rasch als die elenden ab getriebenen Pferde es gestatteten, dem Feinde in den Rücken fiel. Dieser unerwartete Angriff, der den Russen zudem jede Möglichkeit eines Rückzuges versperrte, brachte in ihren Reihen die gröszte Ver wirrung hervor. Nur Wenige von ihnen suchten Widerstand zu leisten, wurden aber von den Bayern theils zusammengehauen, theils niedergeschossen. Die Uebrigen, welche ihr Heil in der Flucht ge sucht hatten, die nur noch nach einer Seite hin möglich war, ge riethen in einen sumpfigen, bodenlosen Grund, wo sie von den nach setzenden Chevauxlegers alsbald eingeholt wurden ; ein Offizier und 42 Mann ergaben sich hier als Gefangene ;

viele wurden in den Sumpf gesprengt, wo sie ertranken, nur Wenige entkamen. Es war dies eine der glänzendsten, aber auch die letzte Waffen that der Bayerischen Cavallerie- Division in diesem Feldzuge, denn nach der Schlacht war keines der Cavallerie - Regimenter vom IV. Corps mehr im Stande, eine Escadron zu formiren. legers - Regiment war sogar bis

Das 5. Chevaux

auf wenige Reiter zusammenge

schmolzen. Der anstrengende Dienst der nächsten Tage reichte hin, um auch die letzten noch vorhandenen spärlichen Reste der Bayeri schen Cavallerie - Regimenter der gänzlichen Auflösung bringen.

nahe zu

General Preysing, der während des Gefechts bei Wiasma

eine bedeutende Contusion erhalten hatte, formirte aus sämmtlichen Berittenen seiner Division eine Escadron, bei der wir alle noch vor handenen Offiziere der vier Regimenter in Reih' und Glied stehend finden, und die etwa drei schwache Züge zu je 20 Mann formirend, von dem Major Baron Zandt des 4. Chevauxlegers -Regiments com mandirt wurde. Auf dem ferneren Rückzuge mussten auch sämmtliche Geschütze der Batterie Widnmann dem Feinde überlassen werden , nachdem sich die Batterie schon seit Ende October wegen Mangels an Pa tronen dem Haupt-Artilleriepark des IV. Corps angeschlossen hatte.

Die Bayerische Cavallerie-Division Preysing im Feldzuge von 1812.

207

Die noch vorhandenen Pferde und Mannschaften wurden der Che vauxlegers-Abtheilung unter Major Zandt einverleibt.

Am 15. November verliesz eine kleine Schaar Chevauxlegers, ihren würdigen Führer General Graf Preysing umgehend, mit der Vor hut des IV. Corps Smolensk ; im Gefolge Napoleon's befanden sich einige wenige Offiziere, welche von den ersten beiden Chevauxlegers Regimentern noch übrig geblieben waren *). Was an Bayern noch kampffähig war, ward nach der Schlacht von Krasnoe der éscadron sacré eingereiht , welche, die persönliche Schutzwache Napoleon's bildend, denselben bis an die Beresina be gleitet hatten ; nach dem Uebergange über diesen Fluss löste sich auch noch dieser geordnete Reiterhaufe vollends in einzelne, für sich marschirende Trupps auf. Die Bayern blieben fest beisammen ; ihre Zahl verminderte sich jedoch mit jedem Tage, sei es , dass die einen dem Feinde in die Hände, andere der Krankheit oder Kälte zum Opfer fielen. Wie dieser kleine Rest durch Zufall auf die von Polozk zurück marschirende Infanterie unter Wrede stiesz , und wie der tapfere Commandeur der einst so schönen Chevauxlegers-Division General major Graf Preysing in feindliche Gefangenschaft fiel , davon haben diese Blätter im XIII . Bande Erwähnung gethan. Uns bleibt es nur übrig zu erwähnen, dass dieser kleine Rest schlieszlich, in den Strudel der allgemeinen Auflösung mit fortgerissen, bis auf einige wenige harte Naturen vernichtet wurde. -

Durch einen Courier, den General Graf Wrede abgeschickt, erhielt General Preysing in Smolensk eine beträchtliche Summe Geld zur Ausbezahlung der fälligen Gagen und Löhnungen . Mit Hülfe dieser allerdings höchst nöthigen Unterstützung vermochten sich Offiziere und Soldaten mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken zu versehen ; so, wenn auch nicht aller Entbehrung enthoben, doch für die nächsten Tage vor Mangel geschützt, setzten sie neu gestärkt und ermuthigt ihren Rückmarsch fort.

208

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

XIII .

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spät herbste 1870 . Eine Studie von H. Helvig , Major im Bayerischen Generalstabe, commandirt zur Dienstleistung beim Groszen Generalstabe. (Fortsetzung.) * )

Die unter Befehl des Bayerischen Generals von der Tann gegen Süden entsendete Armee- Abtheilung bestand aus circa 21,000 Mann Infanterie, 6700 Mann Cavallerie und 160 Geschützen, eine Zusammen setzung, wie sie unter den gegebenen Verhältnissen , - offenes ebenes Terraiu und einen locker organisirten, speciell an Hülfswaffen schwachen Gegner -— nicht günstiger gedacht werden konnte . Bis zum 8. October hatte man noch gehofft, die feindliche Armee würde selbst zum Angriff übergehen, und war dann beabsichtigt, die durch die starke Artillerie gegebene grosze Defensivkraft auszunutzen, den Feind anrennen zu lassen und hierauf erst zur Offensive über zugehen. Der Gegner war allerdings vorgegangen, aber mit seiner Hauptstärke in der Richtung auf Pithiviers ; wahrscheinlich in der Absicht, im Seine-Thal abwärts gegen Paris zu drücken . Es drängt sich hier die Frage auf, ob nicht General von der Tann, sobald er über die Anwesenheit stärkerer feindlicher Kräfte bei Pithiviers Kenntniss hatte, sich mit seiner Armee - Abtheilung gegen letzteren Ort hätte wenden sollen, anstatt die Richtung auf Orléans beizubehalten .

Die Weisung, welche der General aus Ver

sailles hatte, lautete allerdings dahin : ,,gegen Orléans vorzurücken “, allein der angehängte Passus : „ und das Land bis an die Loire vom Feinde zu säubern", konnte den Führer der Armee- Abtheilung nicht allein berechtigen, sondern gewissermaaszen auch verpflichten, alle feindlichen Kräfte direct anzugreifen, welche im Operationsbereiche der Armee-Abtheilung sich nördlich der Loire zeigten. General von der Tann in richtiger Erwägung der wahren Sachlage beschloss, gegen Orléans vorzurücken und zwar, einerseits , weil man über das wirkliche Vorhandensein bedeutender feindlicher Streitkräfte

*) Vergl. Jahrbücher Band XVII , Seite 89 (October 1875) .

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

209

bei Pithiviers keine absolut sichere Nachricht hatte und anderer seits, weil man den Gegner in moralischer und materieller Beziehung nicht stark genug hielt, eine so kühne Operation längs der Seine gegen Paris fortzusetzen, während in seinem Rücken Orléans genom men würde ; man glaubte, dass die Cernirungsarmee im Stande sei, einem solchen abenteuerlichen Beginnen genügende Kräfte entgegen zusetzen, um im Vereine mit der inzwischen weiter gegen Orléans vorrückenden Armee - Abtheilung dem kecken Entsatzversuche eine Katastrophe zu bereiten . Bei dem Commando der zweiten Cavallerie Division wurde ebenfalls die Möglichkeit lebhaft erwogen, dass der Feind von Pithiviers aus gegen Paris weiter vorrücke, und wurde demgemäsz bei General von der Tann der Antrag gestellt, die zweite Cavallerie-Division wieder in der Richtung auf Corbeil zurückgehen zu lassen, um von dort die Deckung des Seine-Thales gegen den drohenden Entsatzversuch zu übernehmen. General von der Tann konnte diesen Vorschlag nicht annehmen ,

er blieb fest dabei , mit

allen Kräften gegen Orléans vorzurücken

in der Ueberzeugung,

hierdurch jene Bewegung des Feindes nach Pithiviers am besten zu paralysiren.

Der Erfolg bewies die Richtigkeit der Ansicht und

der Consequenz des Generals von der Tann. Wäre es aber, - um der Tendenz dieser kleinen Studie ge recht zu werden - unter normalen Kriegsverhältnissen ganz

gerechtfertigt gewesen, an den bei Pithiviers stehenden, auf 10 12,000 Mann geschätzten feindlichen Kräften einfach vorbei zu gehen und gegen Orléans vorzurücken, während man durch aus

nicht

wusste,

welche feindliche

Kräfte

dort

standen ?

Wäre

es unter anderen Verhältnissen nicht nöthig gewesen, ent weder in der Richtung auf Orléans, in dessen Umgegend man zur Zeit nichts Wesentliches vom Feinde gefunden nur zu be obachten und mit allen Kräften über den bei Pithiviers stehenden Gegner herzufallen, oder umgekehrt, gegen diesen letzteren Punkt stark zu detachiren und mit dem Uebrigen gegen Orléans vorzugehen ? In letzterem Falle konnte es allerdings zutreffen, dass

man bei

Orléans überraschend auf einen stärkeren Gegner stiesz und das Seiten - Detachement gegen Pithiviers dem Feinde nicht zu wider stehen vermochte.

Man war jedoch, wie wiederholt erwähnt, schon

in jene Phase der Kriegführung eingetreten, wo ein anderer Calcul Platz greifen musste, wollte man wirklich aus der allgemeinen Lage der Situation den Vortheil ziehen, der dem kühnen Unter nehmungsgeist nach dem bereits Errungenen gebührte .

Zunächst

bewährte sich die Voraussicht des Generals von der Tann, der Feind 14 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

210

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

würde den Vormarsch im Seine-Thale einstellen, sobald er wahrnähme, dass die Bewegung gegen Orléans nicht unterbrochen werde .

Der

Feind verliesz Pithiviers, um Orléans zu decken, und es waren die selben Truppentheile, welche dort gestanden, die der Armee - Ab theilung den ersten ernstlichen Widerstand leisteten. Nachdem am 9. October einige Franctireurs- Banden zersprengt worden waren, setzte die Armee- Abtheilung am 10. October in breiter Front den Vormarsch fort. Im Allgemeinen war die befohlene Marsch formation wie geschaffen, einen allenfalls Stand haltenden Gegner in der Front zu beschäftigen, mit überlegener Artillerie zu erschüttern, um dann ihn in beiden Flanken mit Infanterie anzugreifen und mit zahlreicher Cavallerie vollends zu umfassen. Auf den beiden äuszersten Flügeln marschirten die Cavallerie - Divisionen ;

die 4. Cavallerie

Division, verstärkt durch die Bayerische Cürassier-Brigade, sollte auf dem rechten Flügel über Patay in die Gegend von Tournoisis, die 2. Cavallerie -Division auf dem linken Flügel, unter scharfer Recog noscirung schiren.

gegen Pithiviers, in die Gegend von Grigneville mar Auf der Hauptstrasze, in der Mitte, marschirte an der Tête

die durch zwei Batterien der Corps -Artillerie verstärkte 1. Bayerische Infanterie-Division, hinter ihr die Preuszische 22. Infanterie- Division; rechts der Hauptcolonne,

zwischen dieser und der 4. Cavallerie

Division marschirte die Bayerische 4. Infanterie - Brigade mit zwei Batterien Divisions- Artillerie und zwei Batterien Corps -Artillerie, ihr folgte der Rest der Corps -Artillerie (4 Batterien) ; endlich links der Hauptcolonne zwischen dieser und der 2. Cavallerie - Division marschirte die Bayerische 3. Infanterie - Brigade, ebenfalls mit zwei Batterien Divisions-Artillerie. Als

die Spitze

der

mittleren Colonne (Hauptcolonne) einige

Tausend Schritte nördlich Artenay eintraf, erhielt sie Artillerie- und Infanterie-Feuer. Es entspann sich das erste Gefecht mit der ,,Loire Armee" und hiermit der Beginn einer Reihe von blutigen Kämpfen, auf die man Deutscher Seits nicht gerechnet und die unstreitg in ihrem weiteren Verlaufe für die freudige Ausdauer und den hohen mora lischen Werth der Deutschen Truppen das glänzendste Zeugniss ablegten, aber auch nicht minder ehrenvoll für den Patriotismus und die Opferwilligkeit unserer Gegner sprechen. ― Die Armee - Abtheilung entwickelte in der Front die 1. Baye rische Infanterie-Division gegen die vom Feinde besetzte Stellung, gegen deren Flügel die rechts und links der Hauptstrasze marschi renden beiden Brigaden der

2. Infanterie - Division im Anrücken

waren ; die beiden Cavallerie - Divisionen aber wusste man auf den

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870. äuszersten Flügeln und war fest überzeugt ,

211

dass die Führer der

selben eingreifen würden, sobald sie den Kanonendonner hörten ; auszerdem wurde die 4. Cavallerie - Division von dem sich all mälig ernster entwickelnden unterrichtet. Die

Gefechtsgange

durch einen Offizier

1. Bayerische Division, mit einer Stärke von 31½ Com

pagnien in 9 Bataillonen, wurde nach und nach in ein lebhaftes Feuergefecht verwickelt ; die 2. Infanterie-Division mit ihren beiden Brigaden, wie erwähnt, gegen die feindlichen Flügel im Anrücken, kam mit ihrer Infanterie nicht

zur Action,

auch die Infanterie

der 22. Preuszischen Infanterie - Division nahm nicht an dem Ge fechte Theil. General von der Tann hatte von dem Augenblicke an, als man erkannte,

stärkere Kräfte vor sich zu haben, die Intention, den

Gegner in der Front durch Infanterie vorläufig nur festzuhalten und mit seiner überlegenen Artillerie gegen ihn zu wirken , um erst zum directen Angriff überzugehen, wenn die Cavallerie - Divisionen um Dies Letztere traf circa gegen 3 Uhr Nach eingriffen.

fassend

mittags ein ; die 4. Cavallerie-Division drückte energisch gegen die linke Flanke und die Rückzugslinie des Feindes in der Richtung gegen Creuzy, während ebenso die 2. Cavallerie- Division die feind liche rechte Flanke bedrohte. Der erfolgende Frontal-Angriff (Artenay umfassend) der Bayerischen ersten Division gelang leichter Mühe und ohne besondere Verluste. Hinsichtlich dieses

ersten Gefechtes

nunmehr mit

gegen die

Loire-Armee

drängen sich nachfolgende Bemerkungen und Erwägungen auf : Zu nächst ist es die schon im Anmarsche getroffene Eintheilung der Artillerie , welche auffällt.

Schon seit längerer Zeit hatte jede Bri

gade des Bayerischen Corps eine 4pfündige Batterie , gleichsam als Brigade- Batterie, zugetheilt, während die beiden 6pfündigen Batterien der Division in der Hand des Divisions-Commandeurs verblieben ; bei dem

Vorrücken gegen Orléans aber war jeder Brigade auch

eine 6pfündige Batterie zugewiesen , auszerdem jeder Division zwei Batterien aus der Corps- Artillerie, so dass diese (incl. der aus Deutsch land eingetroffenen Verstärkungen) nur noch aus drei 6pfündigen, einer 12pfündigen und einer Kartätsch- Batterie bestand.

Es ist dies,

wenigstens annähernd , eine Vertheilung der Artillerie ,

wie sie in

letzterer Zeit häufig besprochen und deren Vor- und Nachtheile er wogen worden , - nämlich die Zutheilung eines ganzen Artillerie Regimentes an die Division und Aufhören der Corps-Artillerie .

Die

Lösung dieser Frage bedürfte eingehenderer Detailstudien aus dem 14 *

212

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

letzten Kriege , ehe sie definitiv gelöst werden könnte.

Im vor

liegenden Falle war die Ueberweisung von 2 Batterien an jede Bri gade und die fernere Zutheilung von 3 Batterien der Corps - Artillerie an die Division hauptsächlich auf die Tendenz gegründet , die In fanterie, soweit nur immer möglich, zu schonen und der Artillerie, deren Ueberlegenheit man kannte, die schwere Arbeit zu überlassen; zudem muss aber noch erwähnt werden , dass das Commando des I. Bayerischen Armee-Corps immerhin noch 5 Batterien zur Ver fügung behielt.

Eine weitere Betrachtung bezüglich Verwendung

der Artillerie drängt sich auf, wenn man bedenkt, wie viel Deutsche Batterien gegen die an Zahl und Material geringere Französische Artillerie in Thätigkeit waren, ohne dass es, trotz aller anerkannten Tüchtigkeit , gelang , die feindlichen Batterien sofort zu vertreiben oder gar zu demontiren.

Schon zwischen 10 und 12 Uhr Vormit

tags hatten die Deutschen bereits 6 Batterien (2-8 Centimeter und 4-9 Centimeter) im Feuer ; mehr als 6 Batterien hatte aber der Gegner keinesfalls ;

in der Zeit von 12 bis 3 Uhr Mittags kamen

noch weitere 6 Batterien der 2. Infanterie- Division dazu , mit deren Feuer 4 reitende Batterien , 2 Bayerische und 2 Preuszische , der 4. Cavallerie- Division und 2 reitende der 2. Cavallerie-Divisiou sich vereinten ; somit waren im Ganzen 18 Batterien in einem groszen Halbkreise von allerdings nahezu 10,000 Schritt Ausdehnung gegen die feindliche Artillerie thätig. Von diesen 18 Batterien haben 10 Batterien (6 der 1. Infanterie - Division und 4 der 2. Baye rischen Division) gegen die bei Artenay befindliche feindliche Ar tillerie zwei Stunden lang gewirkt , ohne einen durchschlagenden Erfolg zu erringen , - von den dem Feinde abgenommenen Ge schützen war eines stehen geblieben und wurde je eins von der Preuszischen Cavallerie im Abfahren erbeutet, - als demontirt blieb dagegen

kein

einziges

feindliches

Geschütz

liegen.

Diese Betrachtung über die factische Wirkung solcher doch immer hin bedeutenden Artilleriemassen von 60 (beziehungsweise 108) Geschützen dürfte die Anschauungen über verschiedene Punkte der Artillerie - Verwendung neuerdings befestigen .

Eine Artilleriemasse

kann nur dann eine wuchtige , ihrer kolossalen Zerstörungskraft entsprechende Wirkung haben, wenn diese ihre Kraft einheitlich . geleitet ist ;

im vorliegenden Falle scheinen die Batterien , je

nach ihrem Einrücken in die Feuerlinie , sich beliebig ihr Ziel ge wählt zu haben und hierbei, ―― der Unmöglichkeit eingedenk gedeckte Infanterie auf grosze Entfernung zu erkennen , ― sich in ein auf bedeutende Distanz geführtes , etwas künstliches Schie sz - Duell

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

213

mit den feindlichen Batterien eingelassen zu haben , bei welchem gewöhnlich nicht viel herauskömmt.

Die Leitung des massirten

Artilleriefeuers scheint in der Offensive noch nöthiger zu sein, als in der Vertheidigung, da bei Letzterer die Bewegungen des Angreifers gewöhnlich der Artillerie des Vertheidigers eine be stimmte Direction geben ,

wogegen im Angriff,

besonders auf

freiem Gefechtsfelde , wo bestimmte Stützpunkte des Vertheidigers, welche zerstört und unhaltbar gemacht werden sollen und sohin das Feuer gleichsam concentrisch auf sich ziehen, nicht leicht zu erkennen sind , die oberste Artillerieleitung diese gewaltige Feuerwirkung un bedingt dirigiren muss. - Bezüglich der Artillerie - Verwendung bei Artenay wäre die Beantwortung zweier Fragen interessant. Hat das Commando der Armee- Abtheilung der Artillerie , oder vielmehr dem Befehlshaber der Feldartillerie , gegeben, reitung

eine bestimmte Instruction

in welcher Richtung alsdann nach genügender Vorbe durch Artillerie der Angriff der Infanterie statt

finden soll ? oder , wenn dies nicht der Fall, hatten die einzelnen Batterien, beziehungsweise Abtheilungen, durch eine höhere Artillerie leitung Weisungen erhalten ,

wie sie ,

sich gegenseitig unter

stützend und ergänzend , die feindliche Artillerie bekämpfen, die feindliche Infanterie beschies zen und erschüttern soll ten ? - Wenn beide Fragen mit ne in beantwortet werden müssten, dann wäre es allerdings nicht sehr zu verwundern , dass 18 Batte rien gegen vielleicht 6 während nahezu 5 Stunden keine gröszere Wirkung erreichten , da dann wahrscheinlich jede einzelne Batterie oder höchstens je 2 Batterien zusammen auf eigene Faust, auf eigene Rechnung und Gefahr , ohne besondere Rücksicht auf die übrigen fechtenden Theile in den Kampf eingriffen. Eine andere auffallende Erscheinung in diesem Gefecht ist das Auftreten ganz bedeutender Cavalleriemassen Deutscher Seits , wäh rend bei den Franzosen die Reiterei zu nichts Anderem brauchbar schien , als um sich ein wenig zu zeigen und dann davonzureiten ; denn die Preuszischen und Bayerischen Cavallerie-Brigaden traben gegen Ende des Gefechtes bei ihren verschiedenen Attacken nur auf zurückgehende Infanterie und Artillerie, an keinem Punkte stiesz man auf geschlossene Französische Cavallerie ; diese war, wie es scheint, schon lange vor der Infanterie und der zäh und brav aushaltenden Artillerie in den Schutz des Waldes von Orléans zurückgegangen. Die Stärke der bei Artenay aufgetretenen Französischen Ca vallerie hat ca. 8 Escadrons betragen, dagegen waren auf Seite der Deutschen im Ganzen 592 Escadrons zur Hand (hier ist von der

214

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

4. Cavallerie-Division die 9. Cavallerie-Brigade ausgeschlossen) ; die selben vertheilten sich folgendermaaszen : vom I. Bayerischen Corps 8 Escadrons , bei der 22. Division 32 Escadrons als Divisions Cavallerie ; 2. Cavallerie-Division 24 Escadrons , 4. Cavallerie- Divi sion 16 Escadrons (excl. der 9. Brigade) , bei letzterer die Baye rische Cürassier-Brigade mit 8 Escadrons, ―― in Summa die ansehn liche Reiterschaar von 59 , Schwadronen mit nahezu 6000 Säbeln. Diese Cavalleriemasse hatte zur Seite eine Infanterie in der Stärke von 20,000 Mann und auszer ihren eigenen 36 reitenden Geschützen noch 124 Geschütze der 22. Preuszischen Division und des I. Baye rischen Corps , - das Material , und vor Allem die Führung und der Geist dieser stolzen Reiterschaaren waren wie geschaffen zum kühnen, todesmuthigen Wagen, und noch dazu von der Armeeleitung, so recht der Reitertaktik entsprechend , gegen beide Flanken

und

die Rückzugslinie des Feindes dirigirt. Und dieser Feind ? an Zahl und Geist geringer , von einer, wenn auch anerkennenswerth ausdauernden Artillerie unterstützt, war seine Cavallerie bereits vom Gefechtsfelde verschwunden , als die Deutschen Schwadronen zur Entscheidung heranrasselten. Bei diesem stolzen , unternehmenden , kampfeslustigen Geiste , bei dieser richtigen Leitung und kühnen Führung , bei dieser sicheren Unter stützung von Seite der anderen Waffen , endlich bei dieser nume rischen Ueberlegenheit was konnte die Cavallerie factisch leisten ? -―――― Als bei Beginn des Gefechtes die Bayerischen Chevaux legers zum Angriffe auf die um jene Zeit noch an Zahl überlegene Französische Cavallerie vorgehen wollte , zog sich diese hinter ihre intakte, geschlossene Infanterie zurück und wich der Attacke aus ; die 2. Cavallerie- Division erreichte , dem Kanonendonner folgend, nachdem sie von 6 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittags 16 Stunden zurückgelegt , den Kampfplatz und griff sogleich am linken Flügel der Armee-Abtheilung ein ; einige vom Feinde besetzte Gehöfte ver hinderten anfänglich das Vorrücken, durch Artilleriefeuer wurde der Gegner daraus vertrieben , - ein Bahndamm und der nahe Wald deckten den Abzug des Gegners, dem durch die kühne Attacke einer Escadron des Schlesischen Uhlanen-Regiments Nr. 2 noch ein be spanntes Geschütz abgenommen wurde.

Die 4. Cavallerie - Division

attackirte ebenfalls mit Dragonern, Husaren und Bayerischen Cüras sieren ; dieselben wurden durch den von Infanterie noch besetzten Eisenbahndamm aufgehalten , aus dem nahen Walde beschossen , er beuteten aber doch, gleich wie die 2. Cavallerie-Division , durch die

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

215

Attacke des Husaren- Regiments Nr. 2 ein bespanntes Geschütz und machten zahlreiche Gefangene. Wie mehrfach erwähnt, wird die strengste Kritik weder an der Leitung und Führung , noch am Geist und Tüchtigkeit dieser Ca vallerie etwas auszusetzen haben und doch was konnte sie selbst schwächeren und zum Theil aufgelösten Ein etwa 800 Gefangene und 2 Geschütze !

gegen den geschlagenen , Feind erreichen ?

neuer Beweis , wie abhängig auch die beste Cavallerie von dem Terrain ist ; ein Paar besetzte Höfe oder ein Waldstreifen, ein durch eine Plänklerlinie vertheidigter Eisenbahndamm, — und dem stürmischen Anbrausen der Reiterei ist Halt geboten ! Es wird in letzterer Zeit viel darauf gewirkt und gearbeitet, der Deutschen Reiterei wieder jenen Geist einzuhauchen und anzu erziehen , welcher im siebenjährigen Kriege und in den Napoleoni schen Feldzügen diese Waffe beseelte , ―― aber wir behaupten , und der letzte Krieg hat es vielfach bewiesen , dieser Geist allein kann gegen die einmal nicht weg

zu disputirende Thatsache

der modernen Bewaffnung und Taktik keine groszen Er folge

erringen.

Kühner

und

bis

zur

Verzweiflung

entschlossen,

konnten auch die Reiter des groszen Königs nicht anreiten , als die Französischen Cürassiere

bei Reichshofen und jene Schwadronen

bei Sedan, und was haben diese Letzteren erreichen können ?

Man

strebt , diesen Friedericianischen Geist wieder zu erwecken , als das unfehlbare Mittel , der Reiterei auch in Zukunft wieder ihre Ent ――――――――――― man scheidungsstimme in den modernen Schlachten zu sichern , übersieht aber hierbei doch einigermaaszen, dass, - abgesehen von der Bewaffnung,

das Selbstvertrauen der heutigen In

fanterie ein ganz anderes ist , als vor 100 oder vor 80 Jahren. Die Erziehung des Soldaten , das Vertrauen , welches derselbe in seine Waffe setzt , die Erfahrungen des letzten Krieges , Alles dies trägt dazu bei, der Reiterei im Kampfe gegen Infanterie jenen Nim bus zu nehmen , welchen sie in den Schlachten des vorigen Jahr Der grosze hunderts und in jenen des Kaiserreichs errungen . Schlachtenmeister Napoleon I. konnte es am Schlusstage seiner Herrschaft, bei Waterloo, noch versuchen, die Reihen der Engländer durch den geschlossenen Choc seiner erprobten Reiter - Regimenter unter Führung Ney's , „ des Tapfersten der Tapferen" , zu durch brechen, vergeblich, die Französischen Reiter mussten nach drei maligem Anstürmen , nach fast einstündigem Kämpfen zurück.

Die

Söhne jener Veteranen von Waterloo , sie hatten gewiss den Geist und die Tapferkeit ihrer Väter, ――― bei Elsasshausen und Illy waren

216

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

sie durch das Feuer einiger Preuszischen Bataillone in wenigen

Minuten

nahezu

bis

zur Vernichtung

zerschossen !

Keine Waffe wirkt so auf die Phantasie , als die Reiterei , aber die Welt und mit ihr auch die Soldaten sind hierin nüchterner und praktischer geworden ; jene Wirkung auf die Phantasie hat zum gröszten Theil aufgehört , weil der Infanterist recht gut weisz, wie oft er mit seiner Waffe schieszen kann, bis jenes Dröhnen und Rasseln , das ihn sonst betäubte , jene im Staube daherbrausende Reiterschaar ihn erreichen kann ! Wir sind in unseren Betrachtungen von dem Gefechtsfelde bei Artenay weit abgegangen, aber uns dünkt, es sei eines jeden Pflicht, so viel es in seinen Kräften steht , zur Klärung von Fragen beizutragen , die erledigt sein müssen ,

ehe es wieder zum

Kampfe kömmt. Uns aber scheint es manchmal, als würde mit dem 99 Wiedererwecken des alten Reitergeistes " ein Cultus getrieben , der leicht missverstanden werden und zu bedenklichen Thaten verleiten kann.

Der ächte , kühne Reitergeist , er soll wieder wach gerufen,

oder , wie wir vielleicht besser sagen , sorgfältig erhalten bleiben, aber ein Geist , der die nunmehr bestehenden factischen That sachen und die Mittel, ihnen gerecht zu werden, ruhig und nüchtern in Erwägung zieht. Man halte die Erinnerung an die groszen Reiter thaten einer vergangenen Zeit hoch , sie soll die jetzige Generation anspornen zu neuen kühnen Thaten, aber zu Thaten, die in den Geist der Zeit passen , in der wir leben . Auch der Reitergeist muss sich dem Zeitgeist anschmiegen, soll er nicht Thaten zu Tage fördern, die das Schicksal von Schlachten und Staaten gefährden . - Unsere Feinde haben Manches gelernt , - grosze Reitermassen werden das nächste Mal uns zuerst entgegentreten ; diese zu fassen und zu schlagen und hierdurch den Sieg der nachrückenden Armee vorzu bereiten , wird die erste Aufgabe sein, welche - vielleicht wenige Tage nach erfolgter Mobilmachung ―――― an die Deutschen Reiter Divisionen herantritt.

Deshalb sollten sie schon im Frieden in

taktische Verbände vereint und für diese ächten Reiterkämpfe ge übt werden ; wenn aber diese Tradition der Friedericianischen Reiter dazu verleiten sollte , die Cavallerie in Massen durch die Treffen oder auf den Flügeln vorzuführen , um den vielleicht wanken den oder im Angriff stutzenden Feind zu überreiten und hierdurch die Entscheidung mit einem wuchtigen Schlage herbeizuführen, so werden auch die besten Schwadronen und Regimenter zerschossen und zerrissen zurückkommen, ohne einen andern Zweck erreicht zu haben, als ihre ohnedies nie angezweifelte Kühnheit und

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

217

Aufopferungsfähigkeit bewiesen zu haben. Der Hauptnachtheil wird aber die Reaction sein , welche unvermeidlich eintritt und dann wieder weit über die richtigen Grenzen gehen wird , so bald die wackeren Reiterschaaren mit schwerstem Verlust einsehen gelernt , dass gegen Hinterlader nicht mehr anzureiten ,

wie

einst gegen die Oesterreichischen Linien oder gegen die zusammen gewürfelten Haufen einer weiland Deutschen Reichsarmee ! Schlieszlich noch ein Wort über die Gefechtsweise der Infanterie. Bei der ausgesprochenen und consequent durchgeführten Tendenz, mit der Infanterie den Kampf hinzuhalten , bis die überlegene Ar tillerie den Feind gründlich erschüttert und die heranrückende Ca vallerie ihn umfasst , war es natürlich , dass General von der Tann von seiner Infanterie nur 912 Bataillone zu diesem hinhaltenden Feuergefecht verwendete, starke Schützenlinien mit kleinen Soutiens und einer oder zwei Compagnien als Reserve , ― Letztere meist in Colonne , Alles liegend und die geringen vorhandenen Terrain-Un ebenheiten nach Thunlichkeit benutzend, dies war die allgemeine Formation ;

ein zweites Treffen gab es nicht , ein solches bildete

eigentlich die Artillerielinie. -- Hauptreserven waren genügend vor handen, nämlich die ganze Preuszische 22. Division und die 2. Baye rische Division mit je einer Brigade hinter den beiden Flügeln der entwickelten 1. Infanterie-Division. Die 3. Bayerische Brigade war, wie oben erwähnt , links (östlich) der groszen Strasze und Haupt colonne marschirt ; als während des Marsches der Kanonendonner von Artenay her vernommen wurde , dirigirte der Commandeur so fort seine Brigade gegen die feindliche rechte Flanke (la maison brulée) ; General von der Tann aber hielt es noch nicht an der Zeit , mit Infanterie anzugreifen und zog die Brigade in eine Reservestellung hinter seinen linken Flügel. Es drängt sich hierbei jedoch unwillkührlich die Frage auf, ob es nicht erfolgreicher gewesen wäre , diese Brigade ohne Zaudern gegen die feindliche rechte Flanke zu entwickeln und angreifen zu lassen ;

wahrscheinlich wäre es gelungen , den Feind ,

wenigstens

zum Theil , von der groszen Strasze abzudrängen und in das offene Terrain in der Richtung auf La Provenchère

zu werfen. - Dort

war dann die richtige Aufgabe für eine gröszere Cavalleriemasse, die 4. Cavallerie- Division, ― offenes Terrain, ein Feind der von In fanterie geschlagen und gedrängt , kein Wald , keine Ravins und Dämme , welche die Bewegungen der Cavallerie hemmen und auch einem weichenden Feinde erlauben , sie ungestraft mit Feuer zu überschütten, und zu allen diesen günstigen Vorbedingungen für

218

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

das Gelingen eines groszen Reiterangriffes noch das Nachdrängen und Zurhandsein der eigenen Infanterie. Unerwähnt kann endlich die schon oben angedeutete grosze

Widerstandsfähigkeit einer einzigen Division

nicht bleiben ;

diese

Widerstandsfähigkeit liegt aber nie allein in der absoluten Wider stands kraft , in der positiven Waffenwirkung, sondern ist ein Pro duct aus sehr verschiedenen Factoren, wie : Zeitbedarf zum Erkennen, zur Entwickelung der Stellung des Vertheidigers , zum Heranziehen der entfernteren Colonnen und endlich Abwarten einer factischen und wenn, Wirkung des eigenen Feuers auf den Vertheidiger wie bei Artenay und wohl in den meisten Angriffsgefechten ,

diese

Factoren zum Theil jene Unsicherheit an sich tragen, die sich mehr empfinden als bemerken lässt und die aus der Ungewissheit über die Stärke und Absicht des Gegners hervorgeht, so ist es wohl erklärlich, dass die Französische Division bei Artenay ca. 6 Stunden Widerstand leisten konnte und nicht sofort über den Haufen geworfen wurde. Am Abend des 10. Octobers hatte man im Hauptquartier der Armee-Abtheilung zu Artenay keine bestimmten Nachrichten vom Feinde, weder über diejenigen Kräfte, welche während des Gefechtes gegenübergestanden , noch viel weniger über jene , welche allenfalls noch in Orléans waren. Man hielt es im Ganzen für möglich , aber nicht für wahrscheinlich , dass der Feind diesseits der Loire, das Defilée im Rücken , nochmals ernstlichen Widerstand leisten würde, obwohl es nicht ausgeschlossen schien, an einzelnen, zur Ver theidigung besonders günstigen Punkten noch auf feindliche Kräfte zu treffen. --- Keinesfalls aber glaubte man , der Feind liesze es noch auf einen bis zur letzten Entscheidung ausgefochtenen Kampf diesseits Orléans kommen. Die Disposition zum weiteren Vorrücken bis in diese Stadt wurde am 10. October Abends in Artenay aus gegeben ; der Grundgedanke derselben war , den Gegner , falls er noch das Terrain nördlich Orléans halten würde , umfassend anzu greifen und

dabei das waldige Terrain nordöstlich dieser Stadt möglichst zu vermeiden . ― Es sollte in drei Colonnen vorgegangen werden : die erste oder rechte Colonne bildete die 22. Infanterie Division (33 Compagnien in 9 Bataillonen, 4 Batterien und 3½ Es cadrons) , verstärkt durch 5 Batterien der Bayerischen Corps -Artil lerie und 8 Escadrons Bayerischer Cürassiere , 33 Compagnien, 9 Batterien, 11½ Escadrons.

somit im Ganzen :

Die zweite (mittlere)

Colonne wurde gebildet durch die 4. Bayerische Infanterie- Brigade (7 Bataillone ,

4 Batterien und 22 Escadrons ) ; die dritte (linke) Colonne durch die 3. Bayerische Infanterie - Brigade (7 Bataillone,

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

219

2 Batterien , 12 Escadrons) ; als allgemeine Reserve folgte hinter dem linken Flügel die 1. Bayerische Infanterie-Division (10 Ba taillone , 4 Escadrons ,

6 Batterien).

Die 2. Cavallerie - Division,

welche durch die angestrengten Märsche der vorhergegangenen Tage ziemlich mitgenommen war und in dem vor ihr liegenden waldigen Terrain nicht wohl zu gebrauchen war ,

sollte nur demonstrativ

wirken , während die 4. Cavallerie-Division den rechten Flügel und den

Rücken der Armee- Abtheilung decken sollte und demgemäsz

ersucht wurde , gegen Chateaudun aufzuklären und die Eisenbahn Orléans-Blois , so wie die Loire - Uebergänge in der Richtung auf Meung zu recognosciren. Die Punkte, wo jede der drei Colonnen sich vereinen und von wo gleichzeitig die Vorrückung gegen Orléans beginnen sollte, waren, — vom rechten Flügel beginnend : Les Barres, Gidy und Chevilly, Diese Aus mit einer Frontausdehnung von circa 14,000 Schritt. dehnung verringerte sich allerdings mit jedem Schritte, den die Co lonnen im concentrischen Vorrücken gegen die einzunehmende Stadt gewannen, ――――― aber, es muss zugegeben werden, dass der Eindruck, welchen der Schluss des Gefechtes von Artenay machte, und der sich dahin resumirte, dass ein ernstlicher, nachhaltiger Widerstand wohl nicht mehr zu erwarten sei , auf die Disposition von wesent lichem Einflusse war.

Abgesehen von der eben erwähnten, nahezu

drei Stunden betragenden Frontausdehnung dürfte auch die Direction der Haupt- Reserve, der 1. Bayerischen Infanterie-Division, einer Be trachtung zu unterziehen und hierbei zwei Erwägungen zu Grunde zu legen sein. Verhielt sich der Vertheidiger von Orléans rein defensiv , besetzte er in einem mehr oder minder groszen Bogen das Terrain nördlich (ebenso nordöstlich und nordwestlich) der Stadt, hatte er die besonders günstigen Punkte zur Vertheidigung einge richtet und verstärkt, so war der umfassende Angriff jedenfalls der geeignetste, um alle feindlichen Kräfte zu fassen und zu binden. Gegen einen Punkt jedoch musste der Angreifer die Haupt wucht des Stoszes verlegen, um dort den Vertheidigungskreis mit möglichst sicherer Aussicht auf Erfolg zu durchstoszen. Wo war aber dieser Punkt ? Ein in der Richtung der Hauptstrasze, von Nord nach Süd ,

geführter Hauptangriff drängte den Gegner frontal

gegen die Stadt und dann, durch diese gedeckt, über die Loire Brücke zurück, - der Feind konnte dem in dieser Richtung er folgenden Hauptangriffe Schritt für Schritt , und

zwar durch die

Terrain- und Culturverhältnisse begünstigt , sehr langsam nach geben ,

ohne

eine

Bedrohung

seiner Rückzugslinie

fürchten

zu

220

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

müssen. -

Wurde dagegen der Hauptangriff gegen eine Flanke der

Stellung , so zu sagen gegen einen Endpunkt des Vertheidigungs Halbkreises dirigirt und die übrigen Theile desselben nur beschäftigt und festgehalten, so wurde der Rückzug des Feindes ernstlichst be droht, ein fortgesetztes Festhalten der übrigen Theile der Vertheidi gungsstellung wurde unmöglich, sobald an der Flanke dem Angriffe es gelungen, eine Lücke zu stoszen.

Diese Erwägung hätte vielleicht

dahin führen können, die Haupt-Reserve ( 1. Bayerische Infanterie Division) nicht hinter der linken Flügelcolonne, also zu einer allen fallsigen Verstärkung des Frontalangriffes , sondern hinter die rechte Flügelcolonne (22. Infanterie-Division) zu dirigiren, wodurch dieser gegen die Flanke der Vertheidigungslinie zu richtende Stosz von circa 19 Bataillonen, 15 Batterien und 71/2 Escadrons hätte ge führt werden können, während die beiden anderen Colonnen, 3. und 4. Bayerische Infanterie- Brigade, nur die Aufgabe hatten, den Feind ernstlich zu beschäftigen und mit ihm in Fühlung zu bleiben . ——— Eine zweite Erwägung , welche in der Disposition in Betracht gezogen hätte werden können, ist die, dass der Gegner nicht ab solut defensiv verbleibt , sondern einen mehr oder minder energischen Vorstosz versucht. In welcher Richtung durfte man nun erwarten , oder musste wenigstens darauf gefasst sein, dass ein solcher Gegenstosz geführt werde ?

Ein von den Franzosen in der Richtung von Süd nach

Nord, längs der groszen Strasze nach Paris, versuchter Angriff hätte dieselben, selbst im Falle, dass er gelungen wäre, weiter von Orléans und der dortigen Brücke entfernt und einer auf der Strasze Château dun - Orléans vorgehenden Colonne (22. Division) das Eindringen in die Stadt und damit die Wegnahme der Rückzugslinie wesentlich erleichtert, - diese Richtung eines Gegenangriffes musste daher für den

Feind

als

die

ungünstigste

erscheinen

und

durfte

dem

gemäsz auch für die Deutschen bei Anlage der Disposition als un wahrscheinlich in Erwägung gezogen werden.

Ein Vorstosz in nord

westlicher Richtung, längs der Strasze Châteaudun - Orléans ,

ent

fernte allerdings auch die zum Angriffe bestimmten Französischen Truppentheile von Orléans , aber dieselben wurden durch die allen falls inzwischen eingetretene Wegnahme von Orléans

nicht von

ihrer Basis, als welche im Allgemeinen die Linie Tours-Bourges an genommen werden durfte, abgedrängt, sondern sie konnten sich längs der Loire gegen Beaugency und weiter gegen Blois zurückziehen. Diese Vorstoszrichtung schien also schon bedeutend günstiger für den Feind , als die erstgenannte,

und musste somit darauf Bedacht

221

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

genommen werden, den rechten Flügel der Deutschen Armee - Ab theilung besonders stark zu machen. Es wäre aber noch eine dritte Möglichkeit zu erwägen gewesen : dass nämlich die Franzosen nur mit einem kleinen Theile ihrer Kräfte Orléans festhielten, direct ver theidigten, während die Hauptkräfte sich auszerhalb Orléans con centrirten und zum Angriffe übergingen.

Sowohl das Terrain,

aber

namentlich wiederum die Lage der feindlichen Rückzugslinie, musste erwarten lassen, dass, wenn die Franzosen sich zu dieser Art der offensiven Vertheidigung von Orléans entschlieszen, dieser Angriff aus der Richtung von Meung oder La Chapelle gegen Ormes , also gegen den rechten Deutschen Flügel geführt würde. — Abermals eine Erwägung ,

welche die

Disposition veranlassen durfte ,

den

rechten, anstatt den linken Flügel der Armee-Abtheilung stärker zu machen. Bei der

groszen

moralischen

Ueberlegenheit

auf Seite der

Deutschen, bei der durch das Gefecht von Artenay noch mehr be stärkten Ueberzeugung, dass es nur darauf ankomme, den neu auf tretenden Gegner an möglichst vielen Punkten zu fassen, - bei der ziemlich allgemeinen Auffassung , es handle sich hier bei Orléans nur darum, eine aus den letzten Resten der früheren Französischen Heere zusammengewürfelte Armee zu vernichten und für diesen Krieg ebenfalls unschädlich zu machen, - bei allen diesen Einflüssen und Eindrücken mochte eine Angriffs- Disposition natürlich und gewisser maaszen sehr zweckmäszig sein, die, hätte man auf Seite des Gegners mit normalen , materiellen und moralischen Verhältnissen zu rechnen gehabt , möglicher Weise grosze Schwierigkeiten in der Ausführung gefunden hätte. Diese groszentheils

begründete Anschauung der herr

schenden Situation mochte auch die Ursache sein, dass in der aus gegebenen Disposition nirgends davon die Rede ist ,

welche Co

lonne eigentlich den Hauptangriff auszuführen, wohin also der -Schwerpunkt des Angriffes zu verlegen sei. Diese letztere Unterlassung, sowie die Instradirung der Reserve hinter den linken, anstatt den entscheidenden rechten Flügel , machten sich während des Gefechtes empfindlich fühlbar und hatte das Erstere einen viel leicht zu vermeidenden, erbitterten und verlustreichen Häuserkampf, das Andere eine zeitraubende Verschiebung der Kräfte zur Folge, ehe die Entscheidung erreicht wurde. Die 2. und 3. Colonne begannen von den in der Disposition be " fohlenen Punkten nahezu gleichzeitig ihre Vorrückung .

Die linke

Colonne (3. Brigade) entsendete bei Beginn des Vormarsches noch

222

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

eine Seitencolonne (zwei Bataillone) links , welche durch das Wald terrain gegen die Vorstadt Les Aides vordringen sollte. - Die rechte Colonne (22. Division) traf, ehe sie noch ihren Rendez-vous-Punkt, Les Barres , erreichte , auf einigen Widerstand , indem der Feind diesen Ort, sowie die anliegenden Waldungen mit Infanterie (Franc tireurs ) besetzt hatte . Das Feuer der vier Batterien der Divisions Artillerie vertrieb hier rasch den Feind, und die Entwickelung und weitere Vorrückung der 22. Division konnte ohne weiteres Hinder niss beginnen, bis man zwischen Ormes und der Ferme La Borde auf feindliche, stark besetzte Schanzen stiesz und aus Geschütz-Em placements, welche südlich der groszen Strasze aufgeworfen waren, von lebhaftem, gut gerichtetem Artilleriefeuer empfangen wurde.

Die

ganze Haltung der gegenüberstehenden feindlichen Kräfte, das wohl genährte Feuer und die Verschanzungen lieszen darauf schlieszen, dass auf dieser Seite von Orléans der Gegner seine Hauptkraft con centrirt habe, und es schien dem Commandeur der Armee-Abtheilung, der auf diesem Theile des Gefechtsfeldes anwesend war, nicht un wahrscheinlich, dass der Feind hier einen Offensivstosz gegen die rechte Flanke beabsichtige .

Um einen solchen zu pa

riren, wurde zunächst die 4. Cavallerie - Division, Gros bei St. Péravy stand ,

welche mit ihrem

herangeholt, und bald darauf , als der

Widerstand des Gegners sich als nachhaltig ernst zeigte, ging auch an die auf der Hauptstrasze, hinter dem linken Flügel, marschirende Haupt- Reserve die Weisung , schleunigst die 1. Infanterie - Brigade (fünf Bataillone) nach Ormes zu entsenden . — Die Entfernung von Ormes bis dahin, wo dieser Befehl die 1. Infanterie-Brigade ungefähr treffen konnte, nämlich nördlich Cercottes , betrug , in der Luft linie gemessen, 10,000 Schritt ; der betreffende Offizier war etwa um 11 Uhr 30 Minuten abgeritten, konnte der 1. Infanterie-Brigade um 12 Uhr Mittags den Befehl übermitteln ,

welche aber im besten

Falle erst zwischen 2 und 3 Uhr am rechten Flügel eintreffen konnte . Im Fall der Feind hier also wirklich einen ernsten Offensivstosz versucht haben würde, wäre die 22. Division gezwun gen gewesen, etwa vier Stunden Stand zu halten , ehe Unter stützung eintreffen konnte. Doch obwohl die Situation unter normalen Umständen eine nicht ganz glückliche gewesen wäre, -- der Erfolg bewies , dass man eben mit anderen als den normalen Factoren hatte rechnen Nachdem General v. Wittich , Commandeur der 22. Di

dürfen.

vision, durch sechs Batterien (3 bis 8 Centimeter und 3 bis 9 Centi meter Batterien) die Verschanzungen auf nahe Distance hatte be

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870. schieszen lassen

und

mehrere

schüchterne

Offensivversuche

223 des

Feindes abgewiesen waren, wurden die Schanzen von den Preuszen mit Hurrah genommen , der Feind ging fluchtartig gegen Orléans zurück , in den Händen der verfolgenden Abtheilungen gegen 1000 Gefangene lassend.

Unterdessen war die 2. Colonne von Gidy gegen

Sarau vorgerückt und in der Umgebung des letzteren Ortes,

ohne

jedoch in Fühlung mit der 1. Colonne zu stehen, in ein lebhaftes Infanteriegefecht verwickelt worden, da das Terrain und die Be bauung die Verwendung von Artillerie nur im geringen Grade er laubte, jene von Cavallerie aber vollständig ausschloss . lonne (3. Brigade) ,

Die 3. Co

sowie dessen linkes Seiten-Detachement ( zwei

Bataillone) war, ohne besonders hartnäckigen Widerstand zu finden, bis an die äuszersten Ausläufer der nördlichen Vorstadt Les Aides gekommen. Während die rechte Colonne ( 22. Division ) zu beiden Seiten der Hauptstrasze im langsamen Vorrücken blieb und dann ungefähr in der Höhe von Ingre das Eintreffen der 1. Infanterie - Brigade ab wartete, die 4. Brigade aber (2. Colonne), nachdem sie den Wider stand bei Sarau überwunden, sich allmälig rechts (südlich) zum An 1 schlusse an die 1. Colonne zog und mit dem linken Flügel Ver bindung nach der 3. Colonne (3. Brigade) suchte, hatte diese in der Vorstadt Les Aides nunmehr erst den hartnäckigsten, zähesten Wider stand gefunden . Die Ausdehnung der Frontlinie hatte sich durch das concentrishe Vorrücken allmälig von 14,000 auf nahezu 5000 Schritt vermindert, aber dennoch gelang, wie es scheint, eine directe Verbindung zwischen dem rechten und linken Flügel nicht ,

wodurch eine gegenseitige Mittheilung über die Lage des Gefechtes und ferneren Intentionen hätte möglich sein können .

Bei der 3. Colonne (3. Bri

gade) hörte und bemerkte man nichts von dem weiteren Vordringen der mittleren (4. Infanterie - Brigade) und rechten Colonne (22. Di vision), und war der Meinung , dass man bei dieser eine De gagirung durch die 3. Colonne erwarte . Der Angriff auf die Häuser von Les Aides wurde deshalb hier energisch angeordnet und von den Truppen, aber ebenso von dem Vertheidiger, energisch aufgenommen , man konnte hier trotz aller Bravour und Verluste keinen nachhaltigen Erfolg erringen ! Unterdessen hörte man bei der 1. Colonne , woselbst eben die 1. Bayerische Infanterie - Brigade nach anstrengendem Marsche ein getroffen, das auf dem linken Flügel plötzlich wieder entbrennende heftige Infanteriefeuer,

und glaubte hier,

die 3. Colonne (linken

224

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

Flügel) degagiren zu müssen. Von der 1. Infanterie - Brigade wurden drei Bataillone in die Lücke zwischen der unterdessen nahe herangekommenen 2.

und 1. Colonne geschoben,

zwei Bataillone

wurden direct auf der Strasze zum Sturm vorgeführt.

Der Feind

räumte vor diesem vereinten Angriffe seine starke Stellung hinter dem Eisenbahndamm, und auch die dem linken Flügel gegenüber stehenden Französischen Truppentheile, welche bis zu dieser Zeit noch nicht geworfen werden konnten, verlieszen

eiligst

die von

ihnen besetzt gehaltene Vorstadt, als sich dieser Flankenstosz fühl bar machte . Mit einem Gesammtverluste von 57 Offizieren uud circa 1000 Mann war Orléans am Abende des 11. Octobers von der Armee Abtheilung genommen, weitaus den gröszten Verlust hatte hierbei die linke Colonne (3. Brigade). Betrachtet man das Treffen bei Orléans näher, so geschehen die dabei zu machenden Bemerkungen, nicht um das Verdienst von Führern und Truppen auch nur im Geringsten verkleinern zu wollen, ――――――― ein solcher Vorwurf würde überhaupt jedes Studium aus schlieszen und vielleicht nur dazu berechtigen, die Gefechtsführung unserer Feinde zu studiren, dagegen die eigene als mustergültig in keiner Weise anzutasten. Es können und werden in solchen Be trachtungen sich Irrthümer einschleichen , aber das schadet Zwecke nicht , und dieser ist unter welchen wir gesiegt ,

dem

Klarlegung der wahren Verhältnisse,

um hieraus die Bedingungen zu ent

wickeln, unter welchen wir auch ferner siegen werden. — Schon bei Erwähnung der am 10. October ausgegebenen Dis position wurde angeführt, dass nicht ausgesprochen war, durch welche Colonne eigentlich der Hauptstosz zu führen sei, — liesz auch die Direction der 22. Division (sie war allerdings nicht stärker als eine der Bayerischen Divisionen, aber am Tage vorher vollständig intakt geblieben), deren Verstärkung durch fünf Baye rische Batterien und acht Bayerische Escadrons voraussetzen, dass von hier der Hauptangriff geschehen solle, so konnte andererseits die Belassung der Hauptreserve hinter dem linken Flügel auch wieder der Vermuthung Raum geben, dass hier, also am linken Flügel, der Hauptstosz beabsichtigt sei.

Wäre die bestimmte Andeutung

in der Disposition gegeben gewesen, welche der drei Colonnen den Hauptangriff machen sollte, die richtige Dirigirung der Hauptreserve hätte

sich dann,

gleichsam

von selbst,

ergeben !

Man dachte

ganz gewiss daran, der 22. Infanterie-Division den entscheidenden

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

225

Angriff zu überlassen und den anderen Colonnen eine mehr fest haltende und

weniger aggressive

Rolle

zuzuweisen ,

aber man

sprach dies nicht aus , man sanctionirte es nicht schwarz auf weisz ; hätte man dies gethan, man würde unwillkürlich sofort auch der . Reserve nach der Hauptangriffscoloune erwähnt und erstere dementsprechend dirigirt haben. --- Dieses Unterlassen und die dar aus hervorgegangene Unsicherheit ist zunächst die Ursache jenes oben erwähnten blutigen Angriffes der linken Flügelcolonne.

Die

Führung derselben hatte bei der herrschenden Unsicherheit, wo denn eigentlich der entscheidende Stosz

stattfinden solle,

von ihrem

speciellen Standpunkte aus vollständig Recht , diesen Stosz ihrerseits zu versuchen, nachdem sie von einem solchen bei den anderen Corps nichts hörte und weder durch die Dispo sition noch durch Nachrichten während des Gefechtes davon unterrichtet worden war, dass ein solcher von der rechten

oder

mittleren Colonne eingeleitet oder überhaupt intentirt sei. — Ueber die Wichtigkeit des rechten Flügels der Armee-Abthei lung, sowohl in offensiver, wie defensiver Hinsicht, wurde bei Be trachtung der Disposition

bereits Einiges erwähnt.

Es zeigt das

Studium des Treffens bei Orléans neuerdings , dass durch den Ver lauf des Gefechtes sich meistens der richtige Schwerpunkt, wohin die Hauptkraft zu verlegen, von selbst entwickelt.

Derjenige Theil,

welcher entweder schon in der Anlage diesen Schwerpunkt erkannt und demgemäsz seine Kräfte disponirt hat,

oder letztere doch so

gruppirte, dass Raum und Zeit eine rechtzeitige Vorschiebung der Kräfte gegen diesen Schwerpunkt noch gestatten, - dieser Theil hat bei sonst gleichen Verhältnissen die meisten Chancen für den G Im vorliegenden Falle lag der Schwerpunkt für die

Erfolg.

Kräfteentwickelung der Deutschen unstreitig auf dem rechten Flügel ; dass dieses schon gleich anfänglich empfunden wurde, beweist die Verstärkung der rechten Flügelcolonne an Artillerie und Cavallerie ; bald nach Beginn des Gefechtes trat es aber noch prägnanter hervor und der Commandirende zog die 4. Cavallerie - Division und eine Brigade aus der Hauptreserve heran. Raum und Zeit waren gemäsz der Gruppirung der Streitkräfte für eine rechtzeitige Vorschie ――― bung, beziehungsweise Heranziehung der Reserven nicht günstig, dieselben hätte sehr leicht zu spät kommen können , - dagegen war günstig für die Deutschen,

dass die Verhältnisse auf Seite des

Gegners keine normalen waren, weil dieser nicht so zähe wider stand, als er es wirklich hätte thun können, und weil er, obwohl 15 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

226

auf diesem Flügel seine Hauptkraft stand, doch im Ganzen, und be sonders an Artillerie, weit schwächer war. Auch die Wichtigkeit des rechten Flügels in offensiver Hinsicht markirte sich im Gange des Gefechtes äuszerst erkennbar. Während die Franzosen den von Norden und Nordwesten kommenden Angriffen einen

zäh

hinhaltenden Widerstand

entgegensetzten,

Schritt für

Schritt jeden Garten, Hof oder Dorfabschnitt vertheidigten und dies unbesorgt um ihren Rückzug auch thun konnten, so lange der Fran zösische linke Flügel Stand hielt, ging dieser vollständig zurück, liesz selbst die sämmtlichen dort verwendeten Batterien rasch über die Loire - Brücken abziehen, nachdem die Schanzen durch die Preuszischen Truppen genommen waren. - Und als endlich später durch Theile der 22. Division, der 4. und 1. Infanterie-Brigade auch der bis

zuletzt vertheidigte Bahndamm genommen wurde, erlosch

fast mit einem Schlage der Widerstand

gegen den vom Norden

kommenden Angriff (3. Bayerische Infanterie - Brigade), Les Aides, — die Bahnhofsgebäude wurden geräumt, denn jede Viertelstunde längerer Widerstand machte den Rückzug über die Loire - Brücke ---schwieriger, wenn nicht unmöglich. Will man, analog wie es bei dem Gefechte von Artenay ver sucht wurde, einen Blick auf die Verwendung der verschiedenen Waffen werfen, so fällt zunächst das richtige, zweckentsprechende Zusammengreifen

der

drei Waffengattungen

rechten Flügel in die Augen .

auf dem Deutschen

Nachdem die vorgeschobenen Preu

szischen Husaren die Ortschaft Les Barres besetzt gefunden, wurde sofort die nahe an der Tête marschirende Artillerie der 22. Division in Thätigkeit gesetzt, um die Wegnahme dieses Ortes vorzubereiten, und als dieser vom Gegner verlassen und hiermit Raum zur Ent wickelung gewonnen wurde, vollzog die 22. Division ihren taktischen Aufmarsch.

Als man nun auf die feindlichen Verschanzungen und

ernstlichen Widerstand stiesz, ging die Infanterie nicht sogleich zum Sturm vor, sondern sechs Batterien richteten ihr concentrisches und einheitlich geleitetes Feuer auf nahe Distance gegen die der Strasze zunächst befindlichen Schanzen und bereiteten so den Frontal - Angriff vor , während gleichzeitig ein Preuszisches Infanterie - Regiment vom linken Flügel der 22. Infanterie - Division eine umgehende Bewegung begann, um später im Ein klang mit dem Frontal-Angriff einzugreifen. Eine Cavallerie-Bri gade (Bayerische Cürassier - Brigade) endlich wurde gedeckt bereit gehalten, um sich einem feindlicher Seits allenfalls beabsichtigten Ausfall entgegenzuwerfen.

Die hier, bei Ormes, zwischen 11 und 2

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

227

Uhr getroffenen Maaszregeln dürften wohl als mustergültig betrachtet werden

und hätten gewiss auch gegen einen weit energischeren

Feind, wenn auch mit gröszeren Verlusten, Erfolg gehabt. Bei der mittleren Colonne (4. Infanterie-Brigade) konnte Artillerie höchstens zugweise in dem dicht mit Weincultur bewachsenen Ge lände verwendet werden ; der Kampf war hier, nachdem der erste zähere Widerstand bei Sarau überwunden war, in des Wortes vollster Bedeutung ein Gefecht in aufgelöster Odrnung , indem Compagnien, stellenweise sogar Züge, die taktische Einheit wurden. Von einem Zu sammenwirken der drei Waffen (Cavallerie war gar nicht zu verwenden) konnte nicht die Rede sein ; der allgemeine Drang nach vorwärts, in der Richtung auf die Thürme der Kathedrale von Orléans, war der Er satz für die durch das Terrain unmöglich gemachte taktische Leitung, und die Bravour und Opferwilligkeit der Offiziere und Mannschaften wusste dieser Art von Direction glänzend zu entsprechen . Die linke Colonne endlich (3. Infanterie-Brigade) hatte die un dankbarste Aufgabe und dabei den verlustreichsten, blutigsten Kampf. Es war ein reiner Frontal - Angriff mit allen seinen Conse quenzen, den sie durchführte, und noch dazu ein Frontal-Angriff, der durch Artillerie nicht vorbereitet werden konnte , weil die Terrain verhältnisse es nicht gestatteten. Dieser Frontal- Angriff führte auch für sich zu keinem Resultate, - erst als der Druck auf die feind liche Flanke sich fühlbar machte, wich der Gegner zurück. Noch eine fragende Bemerkung Betreffs der Verwendung der 4. Cavallerie- Division.

Diese war ersucht worden, gegen die Loire

zu streifen und eventuell eine Brigade zum Flussübergange bereit zu halten.

Die demnächst in südlicher Richtung vorgehenden Re

cognoscirungen stieszen auf besetzte Waldungen, und der Versuch, weiter gegen die Loire vorzugehen, wurde aufgegeben.

Wäre es in

diesem Falle nicht angezeigt gewesen, durch abgesessene Reiter, durch ein Fuszgefecht zu constatiren, was und wie viel denn eigentlich diese Waldungen besetzt hielt ? und wenn dies festgestellt war, hätte nicht vielleicht durch ein ganzes Regiment das Feuergefecht geführt werden können, während eine

Brigade

unterdessen keck zwischen den Waldparcellen hindurch oder auch mit gröszerem Umwege die Ufer der Loire erreichte ? Dürfte dies nicht einer jener Momente sein, in welchem die Cavallerie durch möglichste Ausnutzung der ihr zu Gebote stehenden Feuerwirkung allein ihre volle Selbstständigkeit und hiermit die Lösung einer ihr gestellten wichtigen Auf 15 *

228

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

gabe sichern kann? ―― Man bedenke, welche weittragenden Folgen es haben konnte, wenn einer Cavallerie- Brigade es gelungen wäre, die Loire zu durchfurthen und sich auf die gegen Süden in Unordnung abziehenden feindlichen Colonnen zu werfen! (Schluss folgt.)

XIV . Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem. Ortsgeschichtliche und militairische Rückblicke. Motto: ,,Go ahead !" Es giebt keine vergilbte Urkunde,

die uns berichtet von der

„ Begründung" Berlin's ; aber an sein organisches Wachsen von innen nach auszen erinnert uns ein verstaubter Stein.

Um diesen grau

ehrwürdigen Alten zu befragen, muss man sich nach der Wallstrasze begeben.

Dort über der Thür des Hauses Nr. 25 ist eingemauert

eine steinerne Gedenktafel , welche Simson darstellt , wie er einen schweren Thorflügel hinwegträgt.

In der linken Ecke dieser Haus

marke erkennt man deutlich das Abbild eines Festungsthores .

Aus

Letzterem entnahm der starke Mann, was er auf seinem breiten Rücken jetzt , vor unsern Augen, entführt.

Es wird uns also eine

Entfestigung und Stadterweiterung dargestellt.

Ob eine, auf diese

Thatsache bezügliche, kurze In-, Bei- oder Umschrift im Laufe der Jahre unsichtbar geworden, wer weisz es ? Schon der Name „ Wallstrasze " deutet an, dass Berlin ehedem Festung.

Bevor König Friedrich Wilhelm I. die Wälle auf der

linken Spreeseite abtragen liesz , stand an Stelle des Hauses Wall strasze 25 das 1658 erbaute „ neue Köpenicker Thor" .

Das alte,

bisher dem Stadtumfange genügende, hatte seine Stelle (weiter rück wärts) in der „Alten Roszstrasze ", nahe der Brücke. Unser werther steinerner Kauz (Simson) mahnt uns also an die Haupt -Vorwärtsbringer : König Friedrich Wilhelm I. und Friedrich Von des Erstgenannten ebenso

Wilhelm der grosze Kurfürst. strenger, wie selbstloser der Einzige :

Bauthätigkeit in Berlin rühmt Friedrich

„ Er vollführte für Sich nicht das geringste Gebäude,

sondern Alles für Seine Unterthanen."

(Oeuvres T. I, 235.)

Ueber

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

229

den groszen Kurfürsten, als Bauherrn in der Landeshauptstadt, wer den wir später reden . Zuvörderst müssen wir uns (zur Vermeidung von Verwechslun gen) erläutern den topographischen Begriff „ Berlin " .

Dieser Orts

name, als Gesammtbezeichnung des Staatscentrums , kam erst im Jahre 1709 zur Geltung, in Folge eines Rescripts König Friedrich's I., welches — fünf bisher getrennte Magistraturen vereinigend ――― an befahl , dass

„ hinfüro Unsere Residenzen (an der Spree) sämmtlich

den Namen von Berlin tragen sollen " .

Sprach man früher von

„Berlin", so meinte man eigentlich nur den ältesten Stadtt heil. Dieser, während des 12. Seculums begründet im bisherigen Slawen gau Zpriawani, wurde von den durch Albrecht den Bären herbeige rufenen Niederländischen Ansiedlern „to dem Berlin" genannt, d . h. ein Wohnsitz auf wüstem Acker.

So hiesz derselbe bis ins 15 .

Jahrhundert. Gegenüber, auf der linken , fruchtbaren Spreeseite hausten in Pfahlbauten („ Kollne ") die Reste der besiegten Wenden.

An ihr dortiges Fischerdorf erinnern die jetzt noch bräuchlichen Ortsbe zeichnungen : „ Köllnischer Fischmarkt “, „ Fischerstrasze “ , „ Fischer brücke " .

Allmälig entstand aus diesem Dorfe, durch Vermischung

mit den „ Berlinern ", die Stadt „ Kölln an der Spree ". Berlin, fleiszig in der Wollmanufactur und im Handel , ging rüstigen Schrittes vorwärts.

(Die dem Schutzpatrone der Kaufleute

und Schiffer gewidmete Nikolai - Kirche datirt aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts .)

Kölln aber blieb zurück.

Die Hof

haltung der Markgrafen in Spandau förderte zwar das Anwachsen beider Städte ; indess der Platz , wo jetzt das Königliche „ Schloss " steht, war bis 1442 unbebaut, und der jetzige „ Lustgarten “ bis 1573 ein Sumpf. Seit dem Bayerischen Ludwig I. ( 1323-51 ) pflegten die Landes herrn öfter in 99 Berlin" zu residiren,

und zwar in ihrem „ hohen

Hause " in der Klosterstrasze. (Die jetzt dort stehenden Gebäude General- Militair- Casse etc. ――― sind zumeist nachmittelalterlichen Ur sprungs.)

Der Hohenzoller Friedrich II .

1443-1451

eine „Burg" bauen

in Kölln.

„ Eisenzahn "

liesz

sich

Kurfürst Joachim II.

(15351571 ) verwandelte dieselbe in ein für damalige Verhältnisse prachtvolles Schloss . Ein Erker an der „ langen Brücke " und ein Theil der malerischen Front an der Wasserseite geben davon Zeugniss* ) .

*) Genaues über die Gründung des „ Schlosses" in v. Ledebur's Allgem . Archiv, Bd. II. Berlin 1830 .

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

230

Wenn wir nach dieser specialgeographischen Feststellung was heiszt Berlin, und wo residirten die Brandenburgischen Regen ten ? - zurückkehren zur Geschichte der hauptstädtischen „ Fortifi cation", so ist vorerst erwähnenswerth, dass nicht nur bei der Ent festigung, sondern auch bei der Befestigung das Wachsthum dieser Stadt berücksichtigt und begünstigt worden ist.

So z. B. entstand

sehr wahrscheinlich der „ Neue Markt " , als Berlin unter den Mark grafen Johann I. und Otto III. ( 1220 bis 66 , resp . 67) mit einer Stadtmauer umzogen ward . Der „ Molkenmarkt " ist bis dahin der einzige Marktplatz gewesen. Die nächstfolgende Umgrenzung der Städte Berlin und Kölln geschah vermuthlich im Anfange des 14. Jahrhunderts, und zwar durch eine 6 Fusz dicke, 30 Fusz hohe , mit Thürmen versehene Mauer. Diese Schutzwehr wurde im Laufe der Zeit so lückenhaft, dass Kurfürst Georg Wilhelm (1619-40) im Jahre 1630 einen Trompeter an den Kaiserlichen Feldmarschall v. Arnim schickte mit der Bitte, ihm einen Ingenieur zu leihen, welcher 99 die Residenz in Eile etwas befestige ".

Im Jahre 1634 begann man förmlichst ein fortificato

risches Flickwerk ; aber von einer ernstlichen Verwerthung desselben wissen wir Nichts . nauen Beschreibung

Ganz im Gegentheile ersehen wir aus der ge Berlin's von Nicolai * ) :

Zu Kurfürst Georg

Wilhelm's Zeiten pflegte die unbeträchtliche hauptstädtische Garnison nach Spandau oder Brandenburg abzuziehen beim Herannahen des Feindes , weil der Stadtrath dies erbat , verhüten" .

"9 um mehreres Unglück zu

Friedrich der Grosze berichtet (Oeuvres T. I, 47) : „400

Brandenburger verlies zen die Stadt, als die Schweden im Jahre 1639 vor den Thoren erschienen."

Demgemäsz erfolgte anno 1639 die fünfte der Brandschatzun gen, welche die Hauptstadt seit 1628 erduldete . Jeder Hausvater musste seinen letzten silbernen Löffel und Becher einliefern . Die meisten Bewohner der Vorstädte flüchteten .

Der weitaus mehr auf

Oesterreichs und seinen eigenen persönlichen Vortheil als auf die Brandenburgische Landeswohlfahrt bedachte Statthalter Graf Schwar zenberg liesz die vorstädtischen Häuser gröszerntheils niederbrennen, sowie auch die nahe an der Stadtmauer liegenden Gebäude und Gärten verwüsten . Wenn wir zurückblicken in

die

Unglücksjahre unter Georg

Wilhelm, so zeigt die Brandenburgische Metropole (! ) ein Bild des

*) 3. Aufl., Berlin 1786 ; neben Fidicin's gediegenem Buche (Berlin 1843) reichhaltig an Stoff zu localhistorischen Studien.

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem. tiefsten Elends und der bittersten Noth.

231

Anno 1626 hielt die

Pest, zum zweiten Male in diesem Jahrhundert, ihren Einzug in der Mark. (Den ersten 1611.) Um so drückender war damals den Berlinern die Ausschreibung einer „ Defensionssteuer ", mittelst deren, fortan, seitens der Bürgerschaft die Besatzung besoldet werden musste . Ein neuer Ausbruch der Pest, 1631 , raffte den vierten Theil der Be wohner der Brandenburgischen Hauptstadt hinweg. und Wipperunwesen holten sich.

dauerte

fort.

Starke

Das Kipper

„ Auflagen "

wieder

Für die Leere der Kurfürstlichen Kasse spricht folgende Thatsache : Im Jahre 1636 konnte ein Handwerker die ihm, für gelieferte Arbeit , schuldigen 100 Thaler nicht erhalten, weil der Kurfürstliche

"" Pfennigmeister"

sich damit ent

schuldigte, die täglich vorfallenden Ausgaben, auch die für Sr. Durchlaucht Eigenen Leib, behinderten Solches . Der Verfall des „ Schlosses " nahm, seitdem Georg Wil helm in Königsberg residirte , so zu , dass man dasselbe durch Hunderte von Pfählen zu stützen genöthigt war. Die Dächer und Fenster machten in ihrer wachsenden Schad haftigkeit einen betrübenden Eindruck . ein damaliger Chronist ausrufen :

Mit Recht konnte

„ Wenn Fremde dieses

Kurfürstliche Schloss sähen, so müsste man sich vor ihnen schämen. "

Die Kaiserlichen brandschatzten in der Brandenburgischen Haupt stadt zwei Mal ( 1628 und 1633) , die Schweden drei Mal ( 1636 ; 1638 ; 1639 ) . Alte Kirchenbücher aus den Jahren 1637 und 1638 weisen eine verhältnissmäszig grosze Zahl von Pesttodesfällen nach. Die überhandnehmende Theuerung mehrte Krankheit und Siech thum.

Beelzebub Schwarzenberg bekam auf die Klage über das

(zumeist durch ihn verschuldete) bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Elend den Bescheid aus Königsberg : man müsse sich beruhigen, bis die Umstände sich änderten. Kurfürst Georg Wilhelm starb in seinem Königsberger Schlosse 1640, den 21. November alten Stils ; 47 Jahre alt. mäszen Beerdigung musste eine besondere

Zur standesge

Steuer ausgeschrieben

werden. Der erst 20jährige Thronerbe Friedrich Wilhelm übernahm die schwierige Aufgabe : seines Vaterlandes und seiner Vaterstadt (an der Spree) „ Umstände zu ändern ". Die einfache Darlegung des Lebensganges dieses Monarchen enthält - so sagt Friedrich der Grosze ebenso schön wie wahr

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

232

„ Seine Lobrede" . Gleiches gilt von dem Verfolge der Ortsgeschichte Berlin's innerhalb der Jahre 1640-1688. Wir wissen, dass eine Menge von Feldzügen, innerhalb dieser Periode, das Wiederemporkommen der Landeshauptstadt verzögerte. Wir ermessen die den groszen Kurfürsten persönlich bedrängende Geldnoth.

( Im Jahre 1648

musste

Er beim Commandanten von

Spandau eine Anleihe machen, um die allernothwendigsten Aus besserungen Seines Schlosses in Kölln an der Spree bezahlen zu können. )

Wenn wir nun einander gegenüberstellen eine 1640 in

jeglicher Beziehung herabgekommene und eine 1688 in wohlgeordne ten Verhältnissen wieder aufrecht stehende Culturstätte, so müssen wir anstaunen die Ausdauer, die Mannigfaltigkeit, die Grösze der Hülfsleistung dieses Fürsten , welcher -- trotz Seiner anderweiten schwierigen und umfangreichen Unternehmungen ――― den Residenz bewohnern es ermöglichte, von Neuem „ rustig vorwärts zu gehen “ . In einer 1632 gedruckten Beschreibung Deutscher Städte heiszt es von Berlin und Kölln (an der Spree), sie seien „ nicht grosz und von schlechten Gebäuden ". Das Beiwort 22 schlecht" genügt nicht mehr zur Schilderung des dortigen baulichen Zustandes im Jahre 1640 ;

hier

gelten lassen.

müssen wir den

wahrheitsgetreuen

Superlativus

Als Friedrich Wilhelm zur Regierung kam, bestanden

das verödete und verarmte Berlin und Kölln aus ungefähr 1200 alten, zum Theil hölzernen Häusern, deren Giebelseite der Strasze zuge wendet war. Es gab im Jahre 1640 in Berlin 200 unbewohnte Häuser, und in Kölln anno 1645 150.

Die Unschönheit und Erbärm

lichkeit dieser Schwesterstädte grenzt an's Unglaubliche. Viele Häuser waren schindelbedacht ; in der Klosterstrasze (un weit des Spandauer Thores) standen im Jahre 1651 noch Scheunen mit Strohdächern.

(Erst 1708 verschwanden die Stroh- und Schindel

dächer gänzlich.)

Wenn man irgendwo einen Schornstein sah ,

war derselbe nur aus Holz oder Lehm. es Häuser ohne Schornstein.

so

(Noch im Jahre 1728 gab

Eine Königliche Cabinetsordre musste

nachhelfen, der Feuergefährlichkeit wegen. ) Von der Beleidigung des nervus olfactorius - durch Schweinemästerei und cloacale Ver sumpfung

wollen wir füglich schweigen.

Das Straszenpflaster und die Tragfähigkeit der Brücken befan den sich in äuszerst mangelhafter Verfassung. Die Kübel-Brunnen —- wie wir Solche jetzt nur in Dörfern finden entbehrten der Eindeckung . Wasser.

Die meisten derselben enthielten ein verschlammtes

Anno 1640 existirte die Burgstrasze noch gar nicht.

( 1657 ihr

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

Entstehungsjahr ;

1677 ihre Benennung.)

233

Die Heiligegeist - Strasze

war ein wüster Platz , von den Tuchmachern benutzt zum Aus spannen ihrer Zeuge. Die „ Rosenstrasze " führte diesen hochtönen den Namen ganz mit Unrecht, weil sie ein unsauberes Gässchen, von welchem noch 1678 der Stadtrath in einem Berichte an den Kur fürsten sagt : „ Hier stehen nur elende Hütten " . wurde verengt und verunstaltet durch Fleischscharren. strasze “ .)

(Daher

der

Name der

Die Breite Strasze

hölzerne

Krambuden

angrenzenden

und

„ Scharrn

Der „ Lustgarten" war vornan , dem Schlosse zunächst,

ein dürrer Sandfleck, weiterhin ein verwilderter Busch, hinten ver U. s. w. sumpft. ―

Die Einwohnerzahl hatte sich während der Regierung Georg Wilhelm's um die Hälfte verringert. Wir können sie nur auf unge fähr 5000 schätzen. Dem groszen Kurfürsten fehlten zu den Re constructionsarbeiten in der Landeshauptstadt die geeigneten Bau handwerker.

So z. B. musste Er, um gegen die Brunnenvergiftung

anzukämpfen, einen Röhrmeister aus Cüstrin kommen lassen.

(Die

Pumpbrunnen wurden, statt der Ziehbrunnen, erst seit 1709 allge mein bräuchlich in Berlin.) Im Jahre 1647 nahm der Kurfürst im Haag einen Zimmermann und einen Steinmetz in Seinen Dienst, für die Wiederherstellung Seines Schlosses.

Aus der Zeit Georg Wil

helm's ist nur ein einziges Bauwerk nennenswerth : das (1624) für einen Herrn v. Ribbeck erbaute Haus in der Breiten Strasze, dessen Vorderseite ――――― im Renaissancestil , mit reicher Bildwerkver zierung jetzt noch vorhanden ist , als zum Königlichen Marstalle

gehörig. Die Totalität der hauptstädtischen Verkommenheit erinnert uns lebhaft an König Friedrich's des Groszen „ Stück Anarchie " an der Weichsel und Netze.

( Die Bromberger Kammer berichtete im Jahre

1775 : „ Hierselbst manquiren die mehrsten nützlichen Professionisten. ") Uns beschäftigt hier, überwiegend , der Verfolg äuszerer Ange legenheiten ; aber es ziemt sich, Notiz zu nehmen von der Gründung der jetzt am Opernplatze befindlichen Staatsbibliothek (1658 resp . 1661) und von der Erneuerung der ebenfalls im Kurfürstlichen Schlosse beherbergten, während des 30jährigen Krieges beinah zu Grunde ge gangenen Joachimsthaler Schulstiftung. Der grosze Kurfürst brachte nicht nur die in Trümmern liegen den Schwesterstädte Kölln und Berlin unter Dach und Fach, sondern Er fügte noch zwei neue Stadttheile hinzu . Dorotheenstadt.)

(Friedrichs werder und

Während Seiner letzten 17 Regierungsjahre ver

dreifachte sich die Bürgerzahl. (Von der Französischen Einwanderung,

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

234

1685, die uns viel Gutes aber auch manches Unvortheilhafte brachte, sagt der geistvolle Spötter Voltaire iu einem Schreiben an Kronprinz Friedrich 1736 : „Ludwig XIV lernte nur tanzen und Guitarre spielen. Er las nie.

Hätte er gelesen und Geschichte studirt, so würden Sie

nicht so viel Franzosen in Berlin haben. ") Wie der Sieger von Fehrbellin dem gesammten Brandenburg Preuszischen Staatswesen den militairischen Schwerpunkt gab, so rüstete Er auch die Landeshauptstadt angemessen aus mit Schutz und Trutzwehr.

Einem vernichtenden Lavastrome ähnlich, hatten

unaufhaltsam die Heereszüge während des 30jährigen Krieges herein brechen können bis ins Brandenburgische Landcentrum. Bald nach der Schlacht bei Warschau verursachte die Nachricht vom Erscheinen Polnischer Reiterschwärme in der Neumark panischen Schrecken bei den Berlinern . Der wackere Derfflinger befreite sie von der Angst. Der Blick auf eine Karte jener Zeit zeigt uns die gefahr drohende Nähe der Schwedischen und Polnischen Grenzen . Die Befestigung der Landeshauptstadt war demnach nothwendig ; die Art ihrer Ausführung wurde den Bewohnern vortheilhaft. Die neuen Gräben verringerten die Wassermasse der Oberspree ; man konnte sumpfige Uferstellen austrocknen, und gewann Raum zu Straszenanlagen.

Die Verlegung und Mehrung der Stadtthore för derte zwischen Gärten und Aeckern das • Entstehen neuer Häuser

reihen.

Ueber 400 Morgen Land sind hineingezogen worden in die

Festung.

Ein altes niederdeutsches Sprichwort lautet : „ Lübeck is in eenem Dag stift't , aver nig in eenem Dag boet. " Denn - so lehrt uns ein hochdeutsches Dictum ― ,Bauen kann nur Habich " (nicht Hättich).

Im Jahre 1658 begann der grosze Kurfürst die Neube festigung ; aber erst 25 Jahre später konnte Er Sich der Vollendung erfreuen. Die alten Chroniken melden, dass die Geldknappheit schon

in den ersten zwei Baujahren behinderte, die volle Arbeiterzahl an zusetzen. Auf die Ausführung des vom Kurfürsten Selbst , unter Beirath Seines Feldmarschalls ( Sparr) geplanten Entwurfes scheint von Einfluss gewesen zu sein ein Werk über Befestigungskunst, welches der 1672 gestorbene Kurfürstliche Resident im Haag, Mathias Dögen, verfasste. Der Niederländer Memmhard, 1650 als Baumeister und Ingenieur in des Kurfürsten Dienst berufen , prüfte an Ort und Stelle die Einzelnheiten , zeichnete den Grundriss und leitete bis zu seinem Sodann führten militairische Tode 1678 den Fortificationsbau .

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

Specialcommissarien die Oberaufsicht. dem

235

Der grosze Kurfürst widmete

guten Fortgange dieser Angelegenheit

Seine

entschiedenste

Aufmerksamkeit. Man musste Ihm während der Feldzüge immer davon berichten ; und mehrmals schickte Er kriegsbautenverständige Offiziere ab , um genaue Auskunft zu erhalten. Nach der Fehr belliner Schlacht kam Er Selbst , zur Besichtigung der Festungs werke, auf einen Tag nach der Residenz . Eine förmliche Belagerung hat niemals den Werth dieser „ Forti fication " auf die Probe gestellt.

Wenn Friedrich

der Grosze die

Leistungen der Ingenieure Seines Urgroszvaters summarisch bemän gelt (Oeuvres T. I , 185) , so ist zu berücksichtigen, dass Er die Reitertruppen Seines Vaters ebenfalls zu schroff beurtheilt (ibid . 193 u. T. III, 106).

Währten die Festungsbelagerungen in der 2. Hälfte

des 17. Jahrhunderts geraume Zeit , so liegt der Hauptgrund wohl nicht in der Angriffsform, sondern in der Hartnäckigkeit der Festungs befehlshaber , welche sich so gut und so lange , als irgend möglich, dem Eindringen der Angreifer widersetzten, weil der 30jährige Krieg eine hartherzigste Verwirklichung des ,, Vae victis" zur Regel er hoben hatte. Der im zweiten Viertel unseres Jahrhunderts als sondergeartet hervortretenden „ neupreuszischen" Befestigungsart dürfen wir füglich zur Seite stellen die „ neubrandenburgische", mit welcher der grosze Kurfürst zwar nicht epochemachend geworden ist in der Geschichte der Ingenieurwissenschaft , wohl aber in der Baugeschichte Berlin's und in den Annalen des segensreichen „, Militarismus". - Wir er innern uns des

(rückschrittlichen) Flankenmarsches ,

welchen im

Jahre 1639,400 Brandenburger" in Berlin antreten mussten. der grosze Kurfürst starb, hatte die Hauptstadt eine ungefähr 4000 Köpfe starke Festungsbesatzung, d. h. der fünfte Mensch allda war Soldat.

(Circa 20,000 die Gesammt-Bewohnerzahl ; noch nicht die

Hälfte also von dem jährlichen Zuwachs Berlin's in allerneuester Zeit.) Wo jetzt der Hausvogteiplatz , da lag eine der Bastionen des groszen Kurfürsten . ( 1733 entstanden hier Häuser.) An der Stelle der Werders'chen Kirche befand sich ehedem das Kurfürstliche Reit haus .

Es war während des 30 jährigen Krieges dachlos geworden

und 1648 fielen 30 Fächer ein.

Der, in Folge landesherrlichen Privi

legs vom 19. November 1660, westlich des Schlosses angebaute Stadt theil erhielt 1662 , als ,, Friedrichswerder ", eigenes Stadtrecht.

Die

weiterhin westlich sich anschlieszende Ansiedlung auf einem

bis

herigen Vorwerke der Kurfürstin Dorothea (zweite Gemahlin des groszen Kurfürsten ) wurde seit 1676 , die neue Dorotheenstadt" ge

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

236

nannt. Für unsere Prachtstrasze „ Unter den Linden " pflanzte diese Fürstin den ersten Baum Eigenhändig.

Schon im 16. Jahrhundert lag in jener Gegend eine Hauptver kehrslinie : die von Spandau über Liezen (Charlottenburg) nach der 29,Hundebrücke" (jetzt Schlossbrücke) führende Landstrasze. Bis zu dieser Brücke dehnte sich der „ Thiergarten" aus ; andererseits reichte er bis zum jetzigen Dönhofsplatze , bis zur Kronenstrasze und zum Gensd'armenmarkte. Freilich vermochte der grosze Kurfürst nicht , die traurige Um gegend pittoresk zu gestalten.

(Die aus dem „ schönen Frankreich"

hier Eingewanderten scheinen die Väter

des geflügelten Wortes :

,,Berlin, auch eine schöne Jejend ! ") Aber , was dieser Monarch , als Eichenanpflanzer und Gartenfreund, ins Leben rief zum landschaft lichen Schmuck, sei unvergessen ; Ihm zumeist verdanken wir einen Park vor dem Brandenburger Thore , welchen der hochselige König Friedrich Wilhelm IV. ,,eine Lunge Berlin's" zu nennen pflegte. Erst nach dem Frieden von St. Germain ( 1679) konnte der grosze Kurfürst ungestört Seiner Residenz dasjenige Aussehen geben, welches der Machtstellung des neuen ,,Staats" entsprach. Als Haupt bauten des trefflichen Nering sind aus den Jahren 1684-88 zu er wähnen das Schloss, der Marstall , die Mühlendamm-Arkaden und die Paläste des Geheimrathes v. Dankelmann (im östlichen Ausgange der Jägerstrasze) und des Feldmarschalls Freih. v. Derfflinger , am Köllnischen Fischmarkte. Der grosze Kurfürst starb , 68 Jahre alt , den 19. April (alten Stils ) 1688 zu Potsdam. Hier hatte Er Sich ein Schloss bauen lassen durch de Chiese, einem Piemontesen, welcher 1661 aus Schwe dischen in Brandenburgischen Dienst trat und als Generalquartier meister 1673 starb.

Die zweite Gemahlin des groszen Kurfürsten

fand ein besonderes Gefallen an Potsdam ; und ihr zu Liebe hielt Sich Friedrich Wilhelm in Seinen längere Zeit auf.

letzten Lebensjahren gern dort

Es liegt die Frage nahe : Weshalb verlegte dieser

Monarch den Staatsregierungssitz nicht aus der verwüsteten Spree stadt in die schöne Havellandschaft ? Hieran aber mögen Ihn behin dert haben : 1 ) die Anhänglichkeit an Seinen Geburtsort, 2) die da malige Unbedeutendheit Potsdam's. Dieses Städtchen bestand bis zum Jahre 1671 nur aus vier Straszen. (Noch 1690 gab es dort blos 200 Bürgerhäuser.)

Indem wir schlieszlich anfügen , dass der grosze Kurfürst die Vergröszerung Berlin's vervollständigte durch Begünstigung des Wie

!

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

237

deranbaues von Garten-, Land- und Wohnhäusern jenseit der Wälle , gehen wir über zur Bauperiode unter Kurfürst Friedrich III. , dem ersten Preuszenkönige. An die Erweiterung des nördlichen Stadttheiles erinnert der Name „ Linienstrasze". dauer Vorstadt umrahmt.

Mit diesem Straszenzuge wurde die Span Schon im Anfang der Regierungszeit des

groszen Kurfürsten hatte man geeifert gegen die Viehwirthschaft innerhalb der Stadt. *) Eine vollständige Beseitigung dieses Uebel standes konnte erst 1699 bewirkt werden, durch Anweisung von Bau stellen in den Vorstädten an die Viehhalter.

Wir erwähnen dies sehr

absichtlich , um ein Streiflicht fallen zu lassen in die bukolischen Urzustände der späteren Groszstadt. Das Hauptwerk Friedrich's III. , als Erweiterer des hauptstäd -―――――――――― tischen Weichbildes , ist die schon 1688 durch Ihn, zwischen der jetzigen Kronen- und Jägerstrasze begonnene - Anlage der Fried richsstadt.

Nicht nur eine in ihrer Häuserzahl gröszere, sondern

auch eine schöne , glanzerfüllte Residenzstadt wollte dieser prunk liebende Fürst bewohnen. Er befahl 1689 und 1691 wiederholentlich, Niemand solle anders bauen als nach Nering's Entwürfen oder nach Rissen , welche dieser gutgeheiszen ; widrigenfalls würden die Häu ser wieder abgetragen werden. Nach Nering's schon 1685 entworfenem Plane wurde 1695 der Bau

des Zeughauses begonnen . Nering starb im October 1695 . — unser Michelangelo, geb. 1664 als Sohn eines Bildhauers

Schlüter

in Hamburg - schmückte den Hof dieses quadratischen Gebäudes mit jenen 21 ,,Masken", welche heut noch zu dem Sehenswürdigsten unter den Berliner Kunstschätzen gehören.

Ebenmäszig bewunderns

werth ist das von demselben Meister modellirte , von Joh. Jacobi (am 22. October 1700 , „ im Gieszhause hinter dem Arsenal") in Erz gegossene Reiterstandbild des groszen Kurfürsten auf der „ langen Brücke". (Zum Verständnisse des Beiwortes ,,lange" muss man wis sen , dass sie so ,

wie wir sie sehen ,

1692-95 von Pirnaischen

Quadersteinen durch Nering und Schlüter erbaut wurde , in alten Zeiten aber , bis in die Gegend der Heiligengeist- Strasze sich aus dehnend , die längste Brücke der Stadt war. In einer Urkunde

*) In der Bauordnung vom 30. November 1641 heiszt es : „Es unterstehen sich auch viele Bürger, dass sie auf den freien Straszen und oft unter den Stubenfenstern Schweineställe machen , welches E. E. Rath nicht leiden und haben will."

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238

aus dem Jahre 1432 wird vier Mal ,,dat Radhus by der langen Brüg gen" erwähnt. ) *) An König Friedrich I. persönlich erinnern 1 ) das „ Königs Schloss", welches mit starkem Kostenaufwande entstand aus den bis herigen disjectis membris in seiner jetzigen, durch groszgeartete Ein heit imponirenden Gestalt.

2) Das sprechend ähnliche , vergoldete

Bildniss, en médaillon, über dem Hauptthore des Zeughauses . 3) Der Name „ Königs - Strasze".

Man gab ihr diese Bezeichnung , statt

„Georgenstrasze“, nachdem König Friedrich I. hier Seinen festlichen Einzug gehalten, 1701 , bei der Rückkehr von der Königskrönung in Königsberg . ― Uebrigens wird auch unser Ohr erinnert an Fried rich I .; denn Er erkaufte in Holland ein Glockenspiel für den (ver unglückten) hohen Schlossthurm , welches im Thurme der ( 1695 bis 1703 erbauten) Parochialkirche aufgehängt worden ist. Die Einwohnerzahl Berlin's betrug bei König Friedrich Wilhelm's I. Regierungsantritt ( 1713) beinah 62,000 ; die Garnison incl.

Bei Auf

nahme des ersten Feuerkatasters 1712 wurden 4408 Häuser abge schätzt. (Die Kirchen , die Königlichen und „, eximirten" Häuser excl.)

Wie des Baumes Wachsthum sich abzeichnet durch neue Ringe, so bietet auch die periodenweis neue Umgrenzung Berlin's ein auto graphes Bild für die Ortsgeschichte .

Wir accentuirten schon im Ein

gange unserer Abhandlung die Stadterweiterung durch König Fried rich Wilhelm I. Dieser Monarch liesz die Friedrichsstadt vergröszern (von der Mauersstrasze bis zur Wilhelmstrasze) und dieselbe nebst der Köllnischen Vorstadt mit einer erst in neuester Zeit entfernten, 14 Fusz hohen - Mauer umziehen, die mit vier Thoren versehen wurde. Die Krummlinigkeit der ,,Mauerstrasze" und der „ Junkerstrasze " (Ver längerung jenseit der Mauerstrasze ) markirt die vorherige Grenze der Friedrichsstadt. In Letzterer wurden während der Jahre 1721 bis 1737 985 neue Häuser gebaut (von denen nur ein geringer Theil Hinterhäuser ). Die Stadtmauer , die Straszendamms-Erhöhungen , das Pflastern, sowie mehrere Kirchenbauten (Garnisonkirche 1720-22) kosteten dem haushälterischen Könige ein schweres Geld. Kein Wunder also, dass Seine Minister nicht wagten , Ihm die Anschläge vorzulegen

*) Ueber den „triumphalischen Aufzug" bei Enthüllung jener Reiterstatue, am 12. Juli 1703, findet man einen Bericht in Küster's „ Altes und neues Ber lin", 3. Abtheil.; Berlin 1756 , Folio. Ueber den Zeughausbau s . des Prof. Dr. Woltmann „ Baugeschichte Berlin's bis auf die Gegenwart“ (S. 52 u . ff.) ; Berlin 1872 bei Paetel, 312 Seiten 8º mit 29 Holzschnitten.

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

239

für die Höchstselbst geplante Anlage von Springbrunnen in der Friedrichsstadt. Die Ausgabe hatte 100,000 Thaler betragen. Man liesz die Angelegenheit in Vergessenheit gerathen. Hinsichtlich des Neubaues von Wohnhäusern wusste Friedrich Wilhelm die Schultern der Berliner Einwohner zu ,,Markgrafenstrasze"

belasten .

Die

hätte füglich 99 Geheimraths - Strasze " heiszen

können ; ein gut Theil derselben entstand durch Geheimräthe, welche der König zum Hausbaue nöthigte.

Man nannte diese neue Häuser

reihe „ Markgrafenstrasze “ nach dem, ihrem Eingange in der Behren strasze gegenüberliegenden Palais des Markgrafen Philipp Wilhelm von Brandenburg- Schwedt, Königl. Preusz . General - Feldzeugmeister, Statthalter zu Magdeburg , „ Obrister über ein Regiment zu Pferde und eins zu Fusz " . Die genaue Gradlinigkeit der Straszenzüge und die Gleichmäszig keit der Häuserhöhe gab dem neuesten Stadttheile ein nüchternes Aussehen ; aber es entstand unter König Friedrich Wilhelm I. doch Manches , was dem Auge gefällig .

Die Allee "" Unter den Linden "

wurde verlängert (von der Schadowstrasze bis zum Pariser Platze) ; die „Wilhelmsstrasze" zwischen den „ Linden "

und der Leipziger

strasze reihte sich an, seit 1734 , als stattliches 99 Westend “ auf den vom Könige an wohlhabende Offiziere und hohe Staatsbeamte ge schenkten Thiergartenparcellen .

Der Generalmajor v. Schulenburg liesz sich das nachmals Radzi willsche Palais erbauen nach in Italien angefertigtem Plane. Der später Gräflich Sackensche Palast (Nr . 73 ) ist gebaut worden für den Generallieutenant und Landjägermeister v. Schwerin, das jetzige Das Justizministerium für den Oberstlieutenant v. Pennavaire . nach dem Tode des General der Inf. z. D. Graf v. Voss ( 1871 ) nie dergerissene grosze Haus mit breiter Auffahrt (Nr. 78 ) datirte von dem Minister v. Marschall. U. s. w. Für den Hausbau in der Friedrichs- und Leipzigerstrasze hatte der König

einzelne

Gewerksgenossenschaften

verpflichtet ;

eben

mäszig beanspruchte Er den Johanniterorden für die Erbauung eines 19 Ordenspalais " . ( 1827 und 1828 durch Schinkel umgestaltet für Se. Königliche Hoheit den Prinzen Karl. ) König Friedrich Wilhelm I. liesz in Seinem Eigenen Architek turbereiche sozusagen eine „ Kunstpause " eintreten. Er gab nur Geld aus für das ,

was ihm wirklich nothwendig und zweifellos

nützlich dünkte . Er brachte, als Schlossbauherr, blos das von Seinem Vater Begonnene unter ein solides Dach (Kupfer aus Ungarn), liesz einzelne Räume ausbauen und das Ganze mit einer Wasserleitung

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

240 versehen.

(Das 22 Schloss " schied 1723 aus der Feuersocietät. )

Die

Fenster in des Königs Erdgeschosszimmern wurden vergröszert, ob schon dies das Ebenmaasz der Front nach dem Lustgarten störte. Wir aber haben unsere Freude an diesem unsymmetrischen Lugins land. Friedrich Wilhelm verwandelte nämlich den „ Lustgarten" beim Potsdamer Schloss und ebenso den beim Berliner in einen Tummelplatz für Seine scharf unter Augen

"" blauen Kinder " .

haben ;

und wohl

Diese wollte Er uns ,

allzeit

dass Friedrich

oft

hinausschaute in der Richtung nach unserm Museum , weil Ihm der kräftige Gleichschritt und die Salven " ohne Plackern " wichtiger als die Uniformität der Fensterkreuze . Man behauptet, der " weisze Saal " führe diesen Namen , weil Friedrich Wilhelm Sich damit begnügt habe , diesen Festraum weiszen"

zu lassen.

Ausstattung

,,an

Die von Augsburger Goldarbeitern gelieferte silberne Spiegelrahmen , Prachtgemächer ―

einiger Kron- und Armleuchter, ein massives silbernes Chor u. s. w. -

war,

nach des Nationalökonomen Roscher Unterscheidungsart, 29 nützlicher" Luxus, d. h. Sparpfennig. Wir kennen das spätere Schicksal dieser Herrlichkeiten. Wir wissen von einer Auswanderung in die Münze, während einer Novembernacht 1745, zur Verwerthung für die Kriegs kasse. *) Die geschichtswissenschaftliche Kritik (Droysen) hat hinlänglich dargethan, dass zur Beurtheilung Friedrich Wilhelm's I. die „ Memoiren der Markgräfin von Baireuth" eine unlautere Quelle sind.

Wollte man diesem Machwerke Glauben schenken, so könnte

man zu der ganz irrigen Vorstellung gelangen : Friedrich Wilhelm I. sei durchweg ein „ Barbar “ gewesen.

Die Kunst des Apelles wurde

von Ihm ebenso „ angemessen " bezahlt , wie seitens Seines kunst sinnigen Thronerben . Während der Rector Weidemann sich den Fortbezug eines Jahrgehalts von 600 Thalern für eine besondere Gnade anrechnen musste , besoldete Friedrich Wilhelm den Maler Pesne mit 1500 Thalern jährlich.

Friedrich dem Groszen wurde im

Jahre 1773 ein „ Correggio “ angeboten von einem Kloster, für 14,000 Ducaten ; Er liesz antworten :

12,000 Thaler wolle Er baar zahlen,

was darüber hinaus sei Narrheit. **) Anno 1740 wohnten insgesammt in Berlin über 90,000 ; mehr als 1% dieser Einwohnerzahl gehörte der Garnison an. Man taxirte Letztere im Jahre 1735 auf 16,000 Köpfe ; die Frauen und

*) Oeuvres T. III, 147. **) Brief an de Catt.

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem. Kinder incl.

141

Der Feuersocietäts - Taxwerth sämmtlicher Gebäude,

mit Ausschluss

der Königlichen , betrug im Jahre 1737 in runder

Zahl 4,260,000 Thaler. Baron Bielfeld, der geistvolle Verfasser, der als wahrheitstreu sehr schätzenswerthen Lettres familières (herausgegeben im Haag 1763), vergleicht in der 3. Dekade des vorigen Jahrhunderts Berlin und Potsdam

mit Rembrandtschen Bildern ,

und das Kronprinzliche

Rheinsberg mit einem Watteauschen Gemälde. Friedrich, zum Thron e gelangt , schuf Sich Sein ,, Sans- Souci ", als ein potenzirtes Rheins berg.

Derselbe heitere Sinn , welcher sich ausprägt in diesem un

vergleichlich schönen Buen Retiro (bei Potsdam), begegnet uns auch in einzelnen Berliner Bauwerken des groszen Königs. So z. B. die beiden Thürme, welche mit ihren hohen Kuppeln den Gensd'armen markt und die ganze Stadt Berlin zieren.

(Die angrenzenden un

scheinbaren zwei Kirchen sind durch König Friedrich I. begründet.) Im VII. Bande der Oeuvres de Frédéric le Grand (edit . Preusz) liegt vor uns die akademische Lobrede des Königlichen Bauherrn für Seinen am 16. September 1753 , 54jährig , gestorbenen Archi tekten v. Knobelsdorff (Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften , Hauptmann a. D.) .

Sie enthält ein sehr anziehen

des Stück Berliner Baugeschichte ,

beurkundet Friedrich's Werth

schätzung der Kunst und das tiefe Verständniss ihres Wesens, be richtet den Entwickelungsgang Knobelsdorff's und widmet seiner menschlichen Gediegenheit ein Denkmal . Dass Friedrich der Grosze in der Regel Selbst die Entwürfe feststellte für die Ihm wichtigeren Bauten, beruht auf Seiner theo retischen Bekanntschaft mit den Architektur- und Sculpturschön heiten

Italiens.

Hätte Friedrich

eine sogenannte

Cavalierreise

machen können , in Seiner Kronprinzenzeit , so würde Er von dem Resultat der Ausführung Seiner Bauprojecte vorweg eine genaue Vorstellung gehabt haben.

( Uebereinstimmung mit der Umgebung.

Hinlänglichkeit des inneren Raumes . U. s. w. ) Verschiedene noch vor findliche, zum Theil sehr genaue Zeichnungen von Friedrich's Hand beweisen uns , dass Er schöne Façaden sehen wollte.

Die Bau

meister mussten sich der Geschmacksrichtung ihres Gebieters fügen. Somit entstand Einzelnes , was nicht allgemeinen Beifall fand . Bespöttelung Witz.

Die

der Bibliothek - Roccococommode ist ein altbackener

Dennoch kann jeder Berliner stolz sein auf den stattlichen

Opernplatz .

Unbewusst ebnete

der grosze König Sich auch hier

die Stelle , auf welcher die Nachwelt Ihm ein eigenes Monument errichtete. 16 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem.

242

König Friedrich Wilhelm I. wollte am Eingange der „ Linden" eine Statue Seines Vaters aufstellen. Friedrich der Grosze liesz die begonnenen Fundamentirungsarbeiten nicht fortsetzen.

Das Stand

bild des ersten Königs wurde schlieszlich in Königsberg postirt ; und nur ein Gypsabguss befindet sich in Berlin ; im Treppenhause der ,,Akademie". Auf der linken Spreeseite waren, wie bereits

erwähnt , die

Städte und Vorstädte vom Schlesischen Thore bis zum ,,Unterbaum" mit einer (2169 Rheinische Fusz langen) Mauer umschlossen worden. Rechtsseitig bildete eine Palisadenreihe die Grenze ; Friedrich der Grosze liesz dieselbe hinausrücken.

Die Beseitigung aller Wälle im

Alt- Berliner Stadttheile begann 1746. Eine neu entstehende Häuser reihe diesseit des äuszersten Stadtgrabens, zwischen Königsstrasse und ,,Pomeranzenbrücke“, veranlasste den Namen „ Neue Friedrichs strasze". Der Wall in der Gegend des Opernhauses ist schon 1740 entfernt worden. Friedrich der Grosze erkannte, dass für die Vorstädte noch viel zu thun sei . Während Seiner Regierung mehrte sich in denselben die Zahl der Einwohner und ansehnlichen Häuser. Das Königsthor wurde auf Konigliche Kosten 1746 abgebrochen , das ,,neue Span dauer Thor" 1750. (Das alte , 1662 als Festungsthor erbaut, stand in der Gegend der Garnisonschule. ) Die Bebauung der Contrees carpe in der jetzigen Alexanderstrasze erweiterte die Stralauer Vor stadt.

Ebenso entstand der ,,Hackesche Markt" u . A. m. „ auf der

Contreescarpe". Sächsische Bauhandwerker besiedelten das ,,Voigt land" (vor dem Rosenthaler Thore) ; eine Vorstadt im engeren Wortsinne .

Als Pater Patriae nach dem 7jährigen Kriege betheiligte Sich Friedrich mit reichen Spenden an dem Entstehen neuer Bürgerhäuser. Er hielt auf solide Eckgebäude ; so z . B. das Hôtel de Brandenbourg. Während der Jahre 1769-77 liesz der König auf Seine Kosten 149 Häuser abtragen, und schenkte die schöner aufgebauten den vorherigen Eigenthümern.

(,,Unter

Jahren 1771-76 auf Seine Kosten Häuser erbaut. )

den Linden" hat

Er in den

44 meist vier Geschoss hohe

Obwohl Seine Gnade mehrmals mit Undank be

lohnt worden , gewährte Friedrich nach dem Bayerischen Erbfolge kriege von Neuem der Berliner Bürgerschaft Bauhülfe *). Zu den

*) Was und wie für Friedrich den Groszen 1784 in Berlin gebaut wurde, ist zu ersehen in Hausen's Staatsmaterialien , Bd . I.

Unsere Deutsche Kaiserstadt ehedem .

243

letzten Berliner Bauten unter dem groszen König gehört ( 1786) ein Flügel der Caserne am Schlesischen Thore. Die philanthropische Seite der Fridericianischen Bauperiode ist armee geschichtlich denkwürdig durch zwei lateinische Hausauf schriften, die ―― trotz ihrer lapidarischen Kürze - vielsagend vom Herzen zum Herzen gingen : ,,Laeso sed invicto militi"

über dem

Haupteingange des Invalidenhauses ; „ Martis et Minervae Alumnis“ am Giebel des Cadettenhauses. Die Landeshauptstadt erhielt nach ihrer vollständigen Entfesti gung einen Umfang von 2 Jahre 1850.

Meilen.

Derselbe hat genügt bis zum

Anno 1786 gab es in Berlin 15 Thore , 268 Straszen

und Plätze , 36 Brücken (von denen sieben steinern) , 33 Kirchen, 6644 Vorderhäuser. 147,000.

Die Einwohner bezifferten sich mit ungefähr

Wir haben im Voranstehenden verfolgt, wie ein Oertlein an der Spree, welches, halb Stadt halb Fischerdorf, sich emporarbeitete zur ersten Stadt im Märkischen Städtebunde, herabsank zu einer Land stadt und dann neubegründet wurde vom groszen Kurfürsten als Staatshauptstadt Landesherrn .

und

(neben

Im Anfange

Potsdam)

ständigen

Residenz

des vorigen Jahrhunderts

des

ward Berlin

Königsstadt, 170 Jahre später „ Kaiserstadt". Wo jetzt das schöne Brandenburger Thor steht , da war bis 1789 nur eine hölzerne Pforte mit zwei Steinpfählen. Bei dem „ neuen Köpenicker Thore" begannen wir unsere localhistorische Studie ; mit unseren Spreeatheniensischen Propyläen schlieszen wir dieselbe . Fast könnte

man diesen Monumentalbau ,,Victoriathor"

nennen ;

denn

sein Anblick weckt die Erinnerung an etwelche Siegereinzüge , mit denen die Vorsehung uns im 19. Seculum begnadete .

Nebstbei ge ➖➖ denken wir an dieser Stelle wohl auch des peripatetischen Jahn._ *) Die nächste Volkszählung stellt wahrscheinlich fest, dass Berlin ein ,,Millionair".

Wer nicht vorwärts kommt, kommt rückwärts !

(Gr. L.)

(Geschrieben Anfang Mai 1875.)

*) Jahn (s. S. Hirsch „Erinnerungen an die Jahre 1807 bis 1813" ; Berlin 1859 ; Seite 24) übertrug bei einer Turnfahrt, 1811 , in grobe Prosa, was Fouqué (Freiherr, Friedrich, gest. 1843 in Berlin, als Major a. D.) in seinem Drama „Heimkehr des groszen Kurfürsten" poetisch in die Worte kleidete : „Wenn die gestrenge Heldenmannszucht fehlt, da ist es mit den Siegen aus."

16 *

Umschau in der Militair-Literatur.

244

XV .

Umschau in der Militair-Literatur .

Zur Geschichte des 1. Rheinischen Infanterie - Regiments Nr. 25. - 1. Gefecht bei Villersexel , den 9. bis 10 . Januar. 2. Gefecht bei Arcey , Ste . Marie und Aibre , den 13. Januar 1871. ――― Zwei Pläne und eine Uebersichtskarte. - Von H. von Loos , General-Major und Commandeur der 28. Infanterie -Brigade. — 8º. — 66 S. — Die kleine vorliegende Schrift weiht uns in einen Theil der Ge fechte ein , welche den Entscheidungskämpfen an der Lisaine im Januar 1871 vorangingen. Wennwohl die Darstellung dieser Gefechte im Wesentlichen nur für das 25. Infanterie - Regiment niederge schrieben ist, so ist dieselbe doch so gehalten, dass dem Leser der Gesammtverlauf der betreffenden Gefechte vollständig klar vor Augen liegt.

Daher dürfte das Werk auch über die ihm eigentlich zuge

dachte Grenze Verbreitung verdienen ,

und dies um so mehr , da

über die Einzelheiten dieser wichtigen Gefechte bisher wenig Zuver lässiges erschienen war. Die Darstellung ist übersichtlich und klar, ohne Ruhmrederei giebt sie - das empfindet man bei jeder Zeile - die volle Wahrheit, ob die eignen Masznahmen gut oder schlecht waren. Bei der Gründlichkeit , mit welcher fast bei jeder Gelegenheit das Verhalten eines jeden Zuges erwähnt wird , dürfte die kleine Bro chüre sich ganz besonders zu einer Grundlage für taktische Studien eignen.

Auf Seite 38 und 40 scheinen sich übrigens einige kleine

sinnentstellende Druckfehler eingeschlichen zu haben ; auf ersterer Seite muss es wohl Zeile 9 von unten anstatt 6. Compagnie 8 Compagnie heiszen , während auf letzterer es in der Zeile 4 von oben wohl rechte anstatt linke Flanke , in der Zeile 12 6. und 7. Compagnie anstatt 5. und 8. heiszen muss. Den Gefechtsschilderungen sind auszer der Rang-, Ordens- und Verlustliste des 25. Regiments noch Schlussbemerkungen beigefügt worden, welche gegen das Wenge'sche Buch „ Die Kämpfe vor Bel fort" gerichtet sind .

Ob

dies Angesichts der äuszerst ruhig und

objectiv gehaltenen Gefechtsschilderungen noch nöthig und bei dem

Umschau in der Militair-Literatur. Zwecke dieses Büchleins zu bezweifeln sein.

245

hier überhaupt angebracht war , möchte

Die beigegebenen Pläne und die Uebersichts

karte entsprechen vollständig den Verhältnissen.

Taschenkalender für Offiziere.

Mit militairstatistischen No

tizen. Bearbeitet von H. Reinhard , Oberst-Lieutenant a. D. und A. Frh. von Firks , Hauptmann a. D. und Mitglied des Königlichen statistischen Büreau . 1876. Dritter Jahrgang. 2 Theile. Berlin , F. Schneider u. Comp. 1. Theil 430 Seiten ,

2. Theil 120 Seiten . Preis für beide Theile: 3 Mark 50 Pf. - Für 1. Theil allein : 3 Mark, für 2. Theil allein : 1 Mark. -

Wir begrüszen mit Freuden diesen dritten Jahrgang des Ka lenders, der in der kurzen Zeit seines Bestehens bereits eine grosze Verbreitung gefunden hat. Trotzdem, dass die Herren Verfasser beim zweiten Jahrgange darum gebeten haben ,

man möge ihnen Ver

besserungsvorschläge etc. zur nächstjährigen Verwerthung mittheilen, scheint in dieser Beziehung der Kalender bisher schon allen Wün schen entsprochen zu haben ; wenigstens ist derselbe in seinem ersten Theile so gut wie unverändert geblieben. Veränderungen

und Berichtigungen

in

Auszer einzelnen kleinen den

kriegsgeschichtlichen

Notizen etc. des Tages- Kalenders ist in diesem Theile nur ein recht practisches alphabetisches Verzeichniss der Schlachten- und Gefechts orte eingefügt worden. Der zweite Theil , welcher in seinen einzelnen Capiteln auch nicht verändert worden ist , bringt in dem statistischen Theile eine reiche Menge neuen Materials . Dieses steht dem Herrn Verfasser als Mit glied des Königlichen statistischen Büreau zuverlässigster Weise zur Verfügung .

gewiss in

bester und

Ob aber der , so zu sagen,

mehr oder weniger leichte Erwerb dieses Materials nicht dazu ver leitet , Notizen zu bringen , welche eigentlich nicht so recht unter militairstatistische gehören, so z . B. Reichspost 1873 und 1874, Ver sicherungswesen im Deutschen Reiche, Ungedeckter Notenumlauf der Deutschen Banken u . s. w.: diese Frage möchte nicht so ohne Weiteres mit Nein beantwortet werden können . Jedenfalls lag es in der Absicht der Verfasser , recht viel und recht Gutes zu bringen, das sieht man, fühlt man, das ist auch geschehen.

Wir wollen deshalb

Umschau in der Militair-Literatur.

246

wegen Kleinigkeiten

nicht

weiter mäkeln ,

sondern

auch diesen

zweiten Theil des dritten Jahrganges, sowie er vor uns liegt, herzlich willkommen heiszen.

Geschichte der Belagerung von Belfort im Jahre 1870 bis 71 von Paul Wolff, Hauptmann im Ingenieur- Corps. - Auf Befehl der Kgl. General-Inspection des Ingenieur- Corps und der Festungen unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet. Mit 3 Plänen, 5 Blatt Zeichnungen

und 13 Anlagen .

Berlin

1875 , F. Schneider u . Comp . (Goldschmidt und Wilhelmi).— Gr. 8°. - 418 Seiten. ― Preis 18 Mark. Unter den Belagerungen Französischer Festungen während des Feldzuges 1870 bis 71 ist die von Belfort nach mehreren Richtungen hin besonders lehrreich und interessant gewesen. Die Festung, von einem energischen Ingenieuroffizier, aber wenig zuverlässigen Truppen vertheidigt ,

ist die einzigste ,

welche in sachgemäszer Weise den

Angreifer das Vorterrain Schritt für Schritt zu erobern zwingt ; das Belagerungscorps, anfangs schwächer, niemals erheblich stärker als der Belagerte, muss die Sicherung gegen Entsatzversuche theilweise selbst übernehmen ; fast unter dem Geschützbereiche der Festung, unter Mitwirkung der Belagerungstruppen und auch von Belagerungs geschützen wird ein übermächtiger Gegner , welcher zum Entsatze anrückt , zum Rückzuge gezwungen.

Auch bei dieser Belagerung

tritt, wie an andern Orten, die Meinungsverschiedenheit über das Vor gehen gegen die Festung zwischen dem Artillerie- und Ingenieur Offizier anfänglich ziemlich

scharf hervor ; das ins Werk gesetzte

Bombardement versagt die gewünschte Wirkung.

Der förmliche An

griff mit Hacke und Spaten wird nothwendig, aber unter steter Be rücksichtigung des heutigen Standpunktes

der Artillerie so durch

geführt, dass der Mineur nur arbeitet, um den Belagerungsgeschützen eine erhöhte Wirkung zu verschaffen.

Eine Menge wohlvorbereiteter

nächtlicher Angriffe gegen die besetzten Oertlichkeiten unter den Mauern der Forts gelingen vortrefflich, ein nächtlicher Sturm auf die beiden Perches-Forts misslingt hingegen gänzlich .

Nach einer Be

lagerung von 103 Tagen ergiebt sich endlich die tapfer vertheidigte Festung , nicht weil sie besiegt --- sie konnte noch manche Woche

Umschau in der Militair-Literatur. widerstehen

sondern weil die

247

Landesregierung die Uebergabe

wünschte. Diese kurzen Andeutungen werden genügen, um darzuthun, wie lehrreich nach jeder Seite hin ein eingehendes Studium der Be lagerung von Belfort sein muss. Die vorliegende Darstellung bietet bierzu die beste Grundlage und ist unseres Wissens die erste, welche den ganzen Verlauf der Belagerung auf Grund amtlicher Berichte bringt. Wennwohl das Werk von einem Ingenieur - Offizier verfasst ist und die Thätigkeit der Ingenieure mehrfach , be sonders eingehend geschildert ist, so ist dies doch niemals auf Kosten der andern Waffen geschehen ; niemals wird man die Leistungen der Belagerungs- Artillerie oder würdigt finden .

der Infanterie

nicht gehörig ge

Dabei ist die Darstellungsweise , trotz des Fach

standpunktes und der nicht zu umgehenden technischen Einzelheiten, stets eine spannende und Theilnahme erregende , namentlich bei Wiedergabe von kritischen Momenten , wie die Tage der Lisaine Schlacht oder der missglückte Sturm auf die Perches . Ausdruck und Styl, Eintheilung des Stoffes sind tadellos , auch ist eine mög lichste Reinigung des Werkes von Druckfehlern herbeigeführt. Von kleinen sinnentstellenden Unrichtigkeiten , die trotzdem in wenigen Fällen der Aufmerksamkeit des Durchsehenden entgangen sind, sei hier die berichtigt, welche auf Seite 237 Zeile 16 von unten, anstatt Auch darf schlieszlich nicht unerwähnt

„ Luze“ „ Lure" bringt .

bleiben , dass auf den drei sonst recht guten Plänen die Schreib weise der einzelnen Oertlichkeiten etc. nicht immer in Ueberein auch im Texte ist vielfach eine andere Schreibweise angewandt, als auf dem betreffenden Plane. stimmung

gebracht ist ;

Das vorliegende, reich ausgestattete Werk wird also gewiss für eine lange Zeit eine treffliche Quelle sein, wenn es sich um Fest stellung von Grundsätzen für den modernen Festungskricg handelt. Denn einestheils ist die Darstellung der Ereignisse für einen solchen Zweck besonders angethan, anderestheils sind ja aber auch gerade vor Belfort nach dieser Richtung hin besonders reiche Erfahrungen gemacht worden, deren manche ebenso eigenartig, wie die Belagerung resp. Cernirung von Paris und Metz viel Eigenartiges besitzen.

In

Betreff letzterer Festung wird uns beim Schlusse dieser Zeilen das auf Veranlaszung der General-Inspection des Ingenieur- Corps und der Festungen abgefasste Werk des Hauptmanns Paulus über die Cernirung während des letzten Krieges ebenfalls vorgelegt. So be sonders interessant es sein dürfte, gerade die Thätigkeit vor Metz

248

Umschau in der Militair-Literatur.

mit der vor Belfort in Vergleich zu ziehen, so müssen wir es uns für jetzt wegen Mangels an Zeit versagen ,

auf das genannte Werk

näher einzugehen , behalten uns aber eine Besprechung desselben noch vor.

Die Operationen der II. Armee an der Loire .

Dargestellt

nach den Operationsacten des Ober-Commando's der II. Armee von Frhr. v. d. Goltz , Hauptmann im Groszen General stabe. Mit drei lithographirten Karten. Berlin 1875. E. S. Mittler und Sohn. 8°. -540 Seiten Text, 39 Seiten An lagen. — Preis 9 Mark. Wenn wir hier in den Jahrbüchern einem Werke, wie dem vor genannten, näher treten, so kann es sich selbstredend nicht um eine Kritik des Inhaltes handeln. Auch über die Darstellungsweise des Verfassers wird es nicht nöthig sein , hier eingehend sich auszu sprechen, da dieselbe in der Militair-Literatur genügend bekannt ist. Dieselbe Gewandtheit , welche die früheren militairisch-historischen Arbeiten des Verfassers auszeichnet, spricht auch aus jedem Capitel dieses Buches ; Licht und Schatten sind mit groszer Ueberlegung und wirkungsvoll vertheilt ; Verfasser beherrscht den Gegenstand vollständig und weisz in seinen Schilderungen die einzelnen Mo mente auch stets derartig darzustellen , dass jeder Leser sich sagen wird, nur so und nicht anders kann es gewesen sein. Der eigentliche Zweck dieser Zeilen ist es aber , auf einzelne Abschnitte dieses inhaltsreichen Buches noch besonders hinzuweisen ; der kurze Titel verräth nicht Alles, was das Buch birgt.

Wir dür

fen voraussetzen , dass unsere Leser im Allgemeinen mit den Be gebenheiten bekannt sind , um welche

es sich handelt .

Nach dem

anstrengenden Dienste vor dem cernirten Metz marschirt die II. Armee, nachdem der Marschall Bazaine capitulirt hat , am 2. November in breiter Front auf die mittlere Loire zu . Anfänglich schien der Armee eine dringliche und entscheidende Aufgabe nicht zufallen zu sollen. Aber sehr bald wird die Sachlage eine ganz andere ; im Süden von Paris bereitet sich eine gefahrdrohende Thätigkeit der von Seiten der Französischen Republik angesammelten Streitkräfte vor und

macht

sich fühlbar : hiergegen die Cernirungstruppen vor Paris zu schützen,

Umschau in der Militair-Literatur.

249

wird die dringliche und wichtige Aufgabe der II. Armee. Als dann am 9. November bei Coulmiers weitere Beweise von den Absichten des Gegners klar zu Tage treten, erscheint die Lage der Deutschen vor Paris eine Zeit lang

nicht unbedenklich ; von dem Eintreffen

und Erfolgen der II . Armee südlich von Paris hängt die ganze Kriegslage ab.

Es bedarf nun bei dieser Armee der vollen Umsicht

und Energie der Führung, der pflichttreuesten Hingebung der Truppe, um den hohen Anforderungen , welche man verlangen muss , zu ge nügen.

Die II. Armee gelangt rechtzeitig in die Nähe von Orléans ;

einem an Zahl mehr wie

doppelt überlegenen Gegner gegentiber

gilt es nun , die ganze verfügbare Streitmacht zu concentriren , um dann mit Aussicht auf Erfolg über diesen herzufallen. dehnung , den

die Corps

Bei der Aus

des Prinzen Friedrich Carl zur Lösung

ibrer bisherigen Aufgabe einnehmen mussten , vergehen manche un ruhige Tage voller Anstrengungen und Ungewissheit , ehe die Con centration vollendet ist. Eine lebhafte Correspondenz entwickelt sich während

dessen

zwischen

dem Chef

des Generalstabes der

Armee und dem des Generalstabes der II. Armee ; auch der Führer der Letzteren legt seine Ansichten in einem längeren Schreiben an den Königlichen Oberfeldherrn nieder.

Ausführlich ist dies Alles in

der vorliegenden Arbeit niedergelegt und theilweise wörtlich wieder gegeben ; schon dieser Umstand allein giebt dem Werke eine Be deutung und einen Reiz , der in diesem Grade schwerlich einem an deren über den letzten Krieg beigelegt werden kann. Kaum ist die II. Armee und die ihr zugetheilte Armeeabtheilung des Groszherzogs

von Mecklenburg - Schwerin

einigermaaszen um

Orléans concentrirt, da wird der linke Flügel der ersteren bei Beaume von erdrückender Uebermacht angefallen ; der Tapferkeit der Trup pen und den Maaszregeln der höheren Führung ist es zu verdanken, dass der angreifende Feind in Auflösung zurückweichen muss. Kaum ist dieser Vorstosz abgewiesen, so fasst ein anderer Theil der Fran zosen den rechten Flügel der Deutschen heftig an , aber auch hier siegt die Tüchtigkeit und Disciplin über zusammengetriebene , schlecht geführte Schaaren.

Nunmehr dringt Prinz Friedrich Carl aber von

allen Seiten mächtig gegen Orléans vor ; er nimmt diesen wichtigen Punkt , die Entscheidung des Krieges ist wieder zu Gunsten der Deutschen ausgefallen , Dank der Hingebung, Pflichttreue und Auf opferungsfähigkeit , die überall zu Tage getreten.

Wie dann über

Orleans hinaus der Prinz Friedrich Carl weiter fühlen , den Feind überall vertreiben lässt ; wie sich auf dem rechten Loire - Ufer bei Beaugency mehrtägige heftige Kämpfe entwickeln, die mit dem Ab

Umschau in der Militair-Literatur.

250

zuge und der Verfolgung der Franzosen nach der Loire enden ; wie der gröszere Theil der II. Armee alsdann mit Rücksicht auf die ver änderten Verhältnisse

wieder

nach Orléans

zurückgeführt

wird,

legt das vorliegende Werk dar. Selbstredend handelt es sich in den Darstellungen nur um das Nähere der Operationen und nicht um eine eingehende Beschreibung der Kämpfe ; wie ausführlich aber diese Operationen dargestellt sind, beweist schon der Umstand, dass eine Thätigkeit von ungefähr vier Wochen in der vorliegenden Schil Vielfach derung einen Raum von mehr als 500 Seiten ausfüllt. wird dem Leser hierbei Gelegenheit gegeben , die tiefsten Einblicke in das ganze Gefüge der Heeresleitung zu thun. Mehrfach giebt der Verfasser des Werkes

nach

Schilderung

wichtiger Zeitabschnitte

übersichtliche und betrachtende Zusammenstellungen und berührt auch eingehend das fragliche Terrain, die materielle Lage und die übrigen Verhältnisse der Armeen. Auch über den Zustand der Fran zösischen Truppen, die Absichten der Französischen Führer u. s. w. bringt das Buch an geeigneter Stelle erschöpfende Mittheilungen, so dass das Bild über die Operationen der II. Armee von der Mosel bis zum Loir überall ein vollständiges , abgerundetes und trefflichst gruppirtes ist. Bei

der groszen Bedeutung ,

welche

das vorliegende

Werk

unter den literarischen Erzeugnissen über den letzten Krieg ein nehmen muss , hätte vielleicht auf die Correctur des Textes eine gröszere Sorgfalt gelegt werden können ; es ist nichts Seltenes, auf einer Seite 2-3 Buchstabenfehler anzutreffen ; wenige Seiten werden ganz frei von solchen oft recht störenden Fehlern sein. Die beige gebenen Karten, die sich wohl meistentheils auch schon in anderen Werken desselben Verlages über den letzten Krieg vorfinden , ent sprechen dem Bedürfniss.

Umschau in der Militair-Literatur. Mehrere Werke , welche ,

251

sei es als eine neue Auflage , sei es

als Leitfaden oder Instructionsbücher, einer näheren kritischen Be sprechung nicht bedürfen, die aber in weiteren Kreisen bekannt ge macht zu werden verdienen und im Verlage von E. S. Mittler und Sohn, Berlin 1875 erschienen sind , werden nachfolgend mit ihrem Titel angegeben. Lehrbuch der Taktik, nach der für die Königl. Preusz . Kriegs schulen vorgeschriebenen „ Skizze des Lehrstoffs " , zugleich als sechste Auflage der Taktik von Perizonius, ausgearbeitet von Meckel, Haupt mann à la suite des 4. Thüringischen Infanterie - Regiments Nr. 72 und Lehrer an der Kriegsschule zu Hannover. - 2. Theil : Ange Mit zwei lithographirten Tafeln wandte Taktik. Erste Hälfte . ― und Holzschnitten im Text. gr. 8º. - 564 Seiten. Leitfaden für den Unterricht in der Dienstkenntniss, ein An schluss an die für die Königl. Kriegsschulen vorgeschriebene Skizze des Lehrstoffes, ausgearbeitet von J. B. Erste Hälfte . — 8º. — 95 S. Pr. 2 M. Militairischer Dienst-Unterricht für die Cavallerie des Deut schen Reichsheeres.

Zunächst für einjährige Freiwillige, Offizier

Aspiranten und jüngere Offiziere des Beurlaubtenstandes , bearbeitet von L. Poten, Oberstlieutenant à la suite des 1. Schles. Hus.-Regts . Nr. 4, Adjutant der General-Inspection des Militair- Erziehungs- und Bildungswesens . - 8°. - 270 S. -- Pr. 4 M. Militairischer Dienst-Unterricht für einjährig Freiwillige , Offizier Aspiranten und Reserve - Offiziere der Feld - Artillerie. Mit Unterstützung artilleristischer Mitarbeiter, herausgegen von Dilthey, Königl . Preuszischem Hauptmann. ― 8º. -- 492 S. - Pr. 7 M.

252

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze

XVI.

Verzeichniss

der

bedeutenderen Aufsätze aus

anderen militairischen Zeitschriften . (15. September bis 15. October 1875.) Neue militairische Blätter (September-Heft 1875) : Ueber Ver 1 Die wendung der Cavallerie. - Die Militairbauten in Sachsen. Rumänische Armee, ihr Bestand und ihre Leistungen nach Russischen Anschauungen . - Ueber die Englische Armee. — Militairische Reise skizzen IV : Prag und die Truppenübungen. Allgemeine Militair - Zeitung (Nr. 36-39) : Das Gefecht an der Suffel und die Einschlieszung von Straszburg im Jahre 1815. Ueber Organisation, Bewaffnung und Taktik der drei Waffen unserer Betrachtungen über die Russische In Feld-Armee seit 1871. fanterie-Taktik. -- Die diesjährigen gröszeren Herbstübungen in Lothringen. Das Französische Infanterie - Gewehr M./1874. Nochmals die Urheberschaft des

Schlachtrufs von Waterloo : „ La

garde meurt, elle ne se rend pas". Archiv für die Artillerie- und Ingenieur-Offiziere des Deutschen Reichsheeres (78. Band , 2. Heft 1875) : Geschichte der Kriegs-Tele graphie in Preuszen von 1854 bis 1871. - Betrachtungen über den Gebrauch der schweren (Reserve-) Artillerie Friedrich des Groszen in den Schlachten des siebenjährigen Krieges. - Zur Feldgeschütz Frage. -- Vorschlag zu einem neuen Verschluss für gezogene Hinter lader. ―――― Vereinfachung und Verbesserung des vom Bayerischen Ar tillerie-Hauptmann Carl construirten Shrapnel- Säulenzünders . — Das Seidentuch als Kartuschbeutelzeug für die Französische Artillerie. Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie (Nr. 17 Beschreibung und 18) : Aus den Reiseberichten S. M. S . ,,Hertha". der Ostküste von Afrika von der Paugani Bucht bis Ras Kimbiji. ---Beschreibung der Insel Rodriguez im Indischen Ocean. -

Ueber den

Hafen Minatitlan in Mexico . Streffleur's Oesterreichische militairische Zeitschrift (8. und 9. Heft) : Die central - asiatische Frage. 1 Machtverhältnisse der

aus anderen militairischen Zeitschriften.

253

Hauptstaaten Europa's in der alten und neuen Zeit, nebst einem all gemeinen Blicke auf das Europäische Gleichgewicht. Taktische Studien. Reglements-Studie XXI. — Was bedingte den guten Ge sundheitszustand der Russischen Truppen während der Expedition nach Chiwa im Jahre 1873. ― Reglements- Studie XXII : Das nene Exercir - Reglement für die Französische Infanterie. Züge von Heldenmuth aus dem Kriege in Ungarn 1849. —— Streffleur's allge meine Terrainlehre mit Beispielen zu deren practischer Verwerthung für Militairs, Ingenieure, Naturforscher, Geographen etc. Organ der militair-wissenschaftlichen Vereine (XI . Band , 2. und 3. Heft): Befestigungssystem an Frankreichs Ostgrenze. - Ueber die sogenannte Aegyptische Augenentzündung mit besonderer Rück sicht auf die Oesterreichische Armee. ――― Ueber die Nothwendigkeit den Dienst der Eisenbahnen für Kriegszwecke schon im Frieden vorzubereiten. - Die Belagerung von Paris und die Befestigungs frage der Groszstädte. - Der Bürgerkrieg in Spanien . ― Die Russische Expedition gegen Chiwa im Jahre 1873. Oesterreichisch-Ungarische militairische Blätter ( II . Band, 4. Heft) : Die diesjährigen Manöver des II . Bayerischen Armeecorps. ―― Das Unternehmen gegen Verdun im October 1870. Oesterreichisch - Ungarische Wehr - Zeitung ( Nr. 72-81) : Der Militair-Pensions- Gesetzentwurf. - Die periodischen Waffentibungen der Urlauber und Reservisten . Terrains für das Gefecht. ――――――――――

Ueber die flüchtige Correction des

Das Heeresbudget für 1876. -- Zur Beschaffung der Stahlbronce-Geschütze . Ueber den Seeoffiziers ―― Rückblicke auf die diesjährige stand auf den Schlachtschiffen. Uebungsperiode. Oesterreichisch - Ungarische Militair-Zeitung „ Vedette" (Nr. 37

41) : Das neue Französische Infanterie- Reglement. - Kartographische Briefe . C Ein Beitrag über die Art der Vermeidung von Verlusten im Feuer. Oesterreichische Militair - Zeitung (Nr. 73-80) : Der Soldat als Abgeordneter. Beiträge zur Ergänzung der Organisation der K. K. Armee. - Ueber die Erziehung des Soldaten. - Das Kriegsspiel. Das Heeresbudget . - Betrachtungen über Vertheidigungs -Instand setzung resp. Armirung fester Plätze.

Cavallerie. ―――――――

Der inter

nationale geographische Congress und seine Ausstellung in Paris 1875.

Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens (9. Heft) : Ausdauerversuch mit zehn Stück 8,7 Centimeter Hinterlad

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze

254

Feldkanonen Rohren aus Stahlbronce. ---- Der Ricq'sche Gasspannungs messer ,,Enregistreur". Das Genie -Wesen in den Europäischen Heeren. Oesterreichisch-Ungarische Militair- Oekonomie-Zeitung ( Nr . 53) : Historische Zeittafel über Heeres - Verwaltungswesen. L'avenir militaire (Nr. 306-311) : Die groszen Manöver. - Die Sapeurs - Pompiers. — Die Reservisten. ――― Die neue Compagnie schule. — Das Deutsche Militairpferd und seine Geschichte. Die ――――― Formationen der Infanterie. Die Reorganisation der Französischen Armee. —

Die Recrutirung der ,,officiers auxiliaires '. ―――― Die In struction der Truppen in der Territorial-Armee. ―――――――― Die militairische Zukunft Deutschlands . - Der Marsch der Infanterie. -- Der General stabsdienst. ―――――――――― Die Regiments - Equipagen der Infanterie. ――――――――― Die

groszen Manöver des 15., 18. und 13. Armeecorps. der Classe von 1874.

-

- Die Gestellung

Le Spectateur militaire (September- Heft 1875) : General Dufour. Wilhelm III., eine historische und militairische Studie . - Die

Franzosen in Irland im Jahre 1798. - Die Lehren des Amerikani schen Krieges . Revue d'Artillerie (September-Heft 1875) : Ueber die gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Elemente eines Artillerie - Systems. Organisation der Pulver- Magazine in Deutschland. — Die Handfeuer - Die Züge der Geschütze groszen Calibers . waffen in Russland. Thätigkeit der Deutschen Artillerie während Verdun im Jahre 1870.

der Belagerung von

Revue Maritime et Coloniale (October - Heft 1857) : Das erste Französische Geschwader in Indien. - Studien über die Verwaltungs Marine und Organisation der Marine der Vereinigten Staaten. Colonial-Budget für die Uebungen im Jahre 1876. Besprechung des Armeeverbande. im Verdy'schen Buches : Die Cavallerie-Division Skizzen Militairische Die Russische Expedition gegen Chokand. Die Uniformirung Das neue Russische Strafgesetz. ― aus Algier. — Russ. Invalide ( Nr. 140-199 pro 1875) :

und Vermehrung der Russischen Cavallerie und Artillerie. ――― Die -Die neuesten Maasznahmen zur Verwendung der Kosaken. Schweizer Truppen und ihre Ausbildung. Morskoi Sbornik (Juli-September- Heft 1875) : Die frühere und -die zukünftige Seetaktik. Ueber die Entwickelung und Ergänzung

aus anderen militairischen Zeitschriften.

255

der Maaszregeln zur Verhütung der Zusammenstösze auf dem Meere. - Die heutige Stablindustrie in der Obnihonskischen Fabrik. Geschichte des Hafens von Archangel . Wojenny Sbornik (Juli-September-Heft 1875 ) : Ueber den Sicher heits- und Kundschaftsdienst im Kriege. ―――― Ueber die Studien der Offiziere zur Vervollständigung ihrer practischen und theoretischen Ausbildung. ―――― Die Operationen des rechten Flügels der verbündeten Armeen vom 25. bis 30. August 1813 (aus den Memoiren des Prinzen Eugen von Würtemberg. ) - Die Junkerschulen im Jahre 1874. Drei Jahre aus der Geschichte des Krieges und der Russischen Herr schaft im Kaukasus .

Ueber die jetzige Bedeutung, Verwendung

und Ausbildung der Cavallerie.

Die Verpflegung der Truppen

in der Russischen und in anderen Armeen Russ. Ingenieur - Journal (Juni- und Juli - Heft 1875) : Biographie des Generaladjutanten Schilder ( Fortsetzung) . ――― Die Einnahme von New-Orleans. - Die Blokade und Capitulation von Metz . — Ueber Construction und Herstellung von Eisenbahnbrücken im Kriege. Russ. Artillerie - Journal (August- und September - Heft 1875 ) : Ueber die Construction , Eigenthümlichkeit und Anwendung der Shrapnels . - Der heutige Standpunkt der Frage über die Bewegung Beiträge zur Geschichte der Geschosse im Innern des Rohres. ― der Kaukasischen Artillerie. - Allgemeine Grundsätze über die Ver wendung der Artillerie in Verbindung mit den anderen Waffen. L'Esercito (Nr . 105-119 ) : Ueber Instructionen für grosze Ma növer. Die Preuszischen Eisenbahntruppen . ―――――― Die Engländer Ueber den Feldzug von 1866. ― Freiheit der Action, der Initiative und Verantwortlichkeit der Corpscommandanten sowie Grosze Manöver des 2. Ar jener der Bataillone und Compagnien.

und Indien.

meecorps . ----

Die groszen Cavallerie-Manöver. --- Die Exercir- und Evolutions - Reglements für die Fusztruppen. ――――― Die Manöver des 3. Armeecorps. Rivista militare italiana (September- Heft 1875) : Historische Um schau in Betreff der Italienischen Kartographie . ―――― Das neue Fran zösische Infanterie -Manövrir- Reglement . Cronaca militare estera ( Nr. 7) : Die Ergänzung der Cartouchen im Gefechte . Rivista marittima (September- Heft 1875 ) : Die alten marittimen Gesetze der Italiener. Gegenwärtiger Stand der marittimen Hydrographie.

256

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.

Allgemeine Schweizerische Militair - Zeitung (Nr. 37–40) : Hand feuerwaffen und Taktik. Die Kernfragen bei der Reorganisation unseres militairischen Erziehungs- und Unterrichtswesens.

Die

militairischen Verhältnisse der Türkei und ihrer Gegner. Revue militaire suisse (Nr. 17-18) :

General Dufour. -

Zur

Illustration des Schieszens vom Gesichtspunkte der Infanterie. La Belgique militaire (Nr. 243–247) : Die letzte Generalstabs reise der Zöglinge der oberen Kriegsschule in Italien. - Die wahren Ursachen unserer Niederlage im Jahre 1831. – Die Herbstmanöver. De nieuwe militaire spectator (Nr. 10 ) : publik der Vereinigten Niederlande.

Louvois und die Re

Army and Navy Gazette (September 1875) : Unsere Miliz .

Die unterzeichnete

Verlagshandlung

hat

auf vielseitig ge

äuszerten Wunsch von dem in den „ Jahrbüchern" erschienenen Auf satze des Herrn Major Kähler ,

Der grosze Kurfürst", einen

Separat-Abdruck anfertigen lassen, welcher zum Preise von 4 Mark durch alle Buchhandlungen zu beziehen ist. Berlin im October 1875. F. Schneider & Co. Königliche Hofbuchhandlung.

Verantwortlich redigirt von Major v. Marées, Berlin, Derfflinger Str. 1. Verlag von F. Schneider & Co. (Goldschmidt & Wilhelmi), Berlin, Unt. d. Linden 21 . 1 Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

REGIMEN ALFOTHEEKE AFANTERIE .

XVII .

Die

Metallpatrone

Einführung

bei

und den

die

Geschichte

Europäischen

ihrer

Grosz

mächten .

Die Frage, ob der Papier- oder der Metallpatrone für Kriegs zwecke der Vorrang gebührt , hat durch die allgemeine Annahme der Letzteren ihre praktische Lösung gefunden .

Frankreich aus

genommen führten im Laufe der jüngst verflossenen Jahre alle Grosz mächte die Metallpatrone ein ; auch vorgenanntes Land ist nunmehr durch die kürzlich beschlossene Aptirung des Chassepotgewehrs zu derselben übergegangen, und so sehen wir ―――― sicherlich eine seltene Erscheinung - wenigstens auf diesem Gebiete vollständige Ueber einstimmung der Ansichten aller Groszstaaten. ――― Es müssen noth wendigerweise sehr gewichtige Gründe hierbei mitgesprochen haben, denen wir näherzutreten versuchen wollen. ― Bis zum Jahre 1866 besasz nur die Preuszische Infanterie einen Hinterlader und eine für die damalige Zeit vortreffliche Papier-Ein ― heitspatrone. Erst der Oesterreichische Feldzug öffnete den anderen Staaten die Augen und liesz sie auf die Vorzüge unserer Bewaffnung aufmerksam werden. ――――― Zu jener Zeit hatte man aber auch, vor nehmlich durch die sehr eingehenden Versuche der Schweizer, in ballistischer Beziehung den Werth der kleinkalibrigen Waffen kennen gelernt, und es stellte sich nunmehr für die Staaten, welche sich neu bewaffnen wollten, die Nothwendigkeit heraus, einen klein kalibrigen Hinterlader anzunehmen. Eine wesentliche Schwierigkeit bot hierbei die Herstellung eines vollkommen gas dichten Abschlusses.

Gerade dieser Punkt war bekanntlich bei dem

alten Zündnadelgewehre ein wesentlicher Mangel, dessen Beseitigung mit Herabminderung des Laufkalibers, so lange man nur die Papier patrone kannte, sehr schwierig war und, wie erklärlich , auf die Herrichtung der Letzteren influiren musste. Frankreich bestrebte Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

17

258

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung

sich schon einige Zeit

vor dem Oesterreichischen Feldzuge die

Dreyse'sche Erfindung nach vorgenannter Richtung hin zu vervoll kommnen.

Durch die Zeitlage gedrängt , glaubte es bereits einen

Monat nach der Schlacht bei Königgrätz die bezüglichen Versuche abschlieszen und das allgemein unter dem Namen „ Chassepotgewehr“ bekannte M./66 einführen zu sollen.

Selbiges hatte bei einem Kaliber

von nur 11 Millimeter eine allerdings sehr complicirte Papierpatrone, der man, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen, eine Umhüllung von Seiden Mousselin gab *) . Diese Methode fand

jedoch keine weitere Nachahmung ; die

Metallpatrone verdrängte zunächst da, wo neue kleinkalibrige Modelle auftraten, die Papierpatrone, und späterhin überhaupt die selbe überall. ―― Nordamerika, dem wir die Metallpatrone, aus Lefaucheux's ursprünglichen Mustern hervorgegangen , verdanken, hatte den hohen Werth derselben während des gewaltigen Bürger krieges , der in den sechsziger Jahren dort tobte, zuerst der Welt Es wollte für seine Zwecke schnellfeuernde, bequem zu handhabende Waffen besitzen ; die Technik bemächtigte sich dieser

"gezeigt.

Frage und schuf eine reiche Anzahl brauchbarer Constructionen, die freilich in ballistischer Beziehung , da man auf die Kaliberverhält nisse und was damit im Zusammenhange, anfänglich keinen hohen Werth legte, nichts Hervorragendes leisteten. Das Problem des gasdichten Abschlusses und die grosze Schwierig keit , die sich der Annahme brauchbarer Modelle bisher entgegen stellten, waren nunmehr glücklich gelöst , und massenhaft traten allerwärts Gewehrconstructionen zu Tage, die freilich meistens ebenso schnell wieder verschwanden. Der grosze Werth der Metallpatrone beruht nicht allein in der Möglichkeit für den Hinterlader einen vollkommenen gasdichten Ab schluss bequem erzielen zu können ; die Metallpatrone überragt auch , was Festigkeit , Transportfähigkeit , Dauerhaftigkeit , Wider standsfähigkeit gegen atmosphärische Einflüsse u. dgl . m. betrifft, ebenso sehr die Papierpatrone, als

die Dichtigkeit ihres Hülsen materials über jener des Papiers steht. Wie aber auf Erden nichts vollkommen, musste man beim Inge

brauchnehmen der Metallmunition drei nicht unwesentliche Nach theile mit in den Kauf nehmen ;

es sind dies 1) ihr gröszeres Ge

wicht , 2) ihr höherer Preis und 3) erfordert sie eine besondere Vor

*) Man erkannte also auch in diesem Lande, dass eine einfache Papier hülse für kleine Kaliber nicht die erforderliche Haltbarkeit gewähre.

259

bei den Europäischen Groszmächten.

richtung des Schlosses , um die abgefeuerte Hülse aus dem Laufe entfernen zu können, mithin eine gröszere Complicirtheit des Me chanismus. --Fassen wir zunächst den ersten Punkt, das gröszere Gewicht, in's Auge, so dürfte an einem Beispiele die Bedeutung desselben am besten klar gelegt werden. Die Patrone des M./71 , welches mit dem Chassepotgewehre bekanntlich dasselbe Laufkaliber ( 11 Millimeter) hat , wiegt bei 25 Gramm Blei- und 5 Gramm Pulvergewicht circa 42,12 Gramm , während die bisherige Französische Munition trotz ihrer complicirten Herstellung bei 24,7 Gramm Bleigewicht und 5,6 Gramm Ladung nur circa 31,3 Gramm schwer ist. Es kommen beim M./71 mithin auf 500 Gramm circa 11 Patronen , beim Chassepot gewehre aber deren 16, und wenn man für die Kriegschargirung des Infanteristen als Minimalsatz 80 Patronen annimmt, so trägt der Preuszische Soldat an Munition 3368 Gramm, der Französische nur Trotzdem hat Frankreich diesen Vortheil durch An

2504 Gramm.

nahme des Systems Gras M./74 unlängst aufgegeben und eine Metall patrone eingeführt, welche an Schwere die unsrige noch übertrifft . — Es bedarf wohl keiner Erörterung, dass gewichtige Gründe hier bei mitgesprochen haben müssen, da man allseitig bestrebt ist, den Infanteristen möglichst wenig zu belasten. Die Kostenfrage würde früher gleichfalls erheblich mit gesprochen haben. Es sei nur beiläufig bemerkt , dass nach dem letzten Militairetat des Deutschen Reiches in Preuszen der Centner Pulver M./71 circa 63 Mark, das Tausend Hülsen circa 40 Mark, das Tausend Zündhütchen circa 4,5 Mark kosten, ja dass sogar im Königreiche Sachsen u. a. das Tausend Hülsen auf 63 Mark , ditto Hütchen auf 6 Mark und ditto Geschosse auf 14 Mark zu stehen kommen. ―― Freilich ist hierbei zu berücksichtigen , dass die Hülse M./71 mehrmals zu verwenden durchschnittlich circa 8 Mal und dass sie schlieszlich einen immerhin nicht unbeträchtlichen Metall werth repräsentirt. — Im Uebrigen hat man seit dem Deutsch-Fran zösischen Kriege und der Fünfmilliarden-Periode die Ansichten über den Kostenpunkt des Kriegsmaterials wesentlich geändert und

ein

sehen gelernt, dass übertriebene Sparsamkeit für Kriegszwecke eine durchaus falsche Maasznahme, die sich im Ernstfalle bitter rächt. Der dritte Punkt , die gröszere Complicirtheit des Mechanis mus durch die nothwendig gewordene Anbringung einer Auszieher (Auswerfer-) Vorrichtung ist insofern nicht unwesentlich, als nur bei ganz tadellosem Functioniren dieser Gewehrtheile die Waffe ihre volle Schuldigkeit (thut , anderenfalls aber sehr bald lahm 17*

gelegt

260

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung

wird. --

Diese Vermehrung ist jedoch nur eine relative , da dafür

andere Gewehrtheile, die bei Anwendung der Papierpatrone (z. B. Puffervorrichtung des aptirten Zündnadelgewehrs) erforderlich, in Wegfall kommen. - Ein Resumé des ,,für und wider", ob Papier-, ob Metallpatrone, ist durch die allgemeine Annahme der Letzteren gegenstandslos geworden. Der Umstand allein , dass nur die Metall patrone in einfachster Weise einen völlig zuverlässigen Gasabschluss ermöglicht , ist entscheidend .

Freilich wird nunmehr der Schwer

punkt in beregtem Falle von der Schlossconstruction auf die der Munition übertragen ; ist diese nicht sorgfältig gearbeitet, so kann selbst der beste und solideste Hinterlader zu einer Quelle von Un fällen jeder Art für die eigene Armee werden. Der Technik ist es jedoch gelungen, ein zuverlässiges Fabrikat herzustellen ; Sache der Revision ist es, nunmehr darauf zu achten, dass Material und Herstellung jeder Zeit genau den Bestimmungen gemäsz sind. -

Es wäre durchaus falsch anzunehmen, dass die Metallpatrone schon bei ihrem ersten Erscheinen als etwas Vollkommenes da stand ; sie hat im Laufe der Zeit die verschiedensten Wandelungen durch gemacht und ist bei den einzelnen Staaten mit den mannigfachsten Modificationen zur Einführung gelangt . So einfach die Metallpatrone dem Laien auf den ersten Blick erscheint , ist sie bei genauer Betrachtung ein kleines Meisterstück der Technik, das zu seiner Herstellung einer groszen Zahl ingeniös erfundener Maschinen und Geräthschaften bedarf. - Die Metallpatrone besteht 1 ) aus der Hülse mit der Zündvorrichtung, 2) aus der Pulver ladung, 3) aus den Reinigungsmitteln und endlich 4) aus dem Geschoss. 1. Was zunächst die Hülse betrifft , so haben wir bei derselben auf das Material, aus dem sie angefertigt, sowie auf ihre — Form und Zündungsvorrichtung näher einzugehen. Das Hülsenmaterial. - Die durchaus erforderliche, mög lichst bequeme Ladefähigkeit der Patrone bedingt , dass selbige in ihren Dimensionen etwas geringer ist , als die entsprechenden des Patronenlagers .

Andererseits verlangt aber auch der Hinterlader im

Augenblicke der Explosion einen vollständig gasdichten Abschluss ; die Pulvergase dürfen weder nach rückwärts entweichen , noch darf die Hülse selbst zerreiszen.

Das Material ,

aus dem diese herzu

stellen, muss sonach in gewissen Grenzen nicht allein zähe , sondern auch elastisch sein. Amerika gebrauchte zur Hülsenherstellung reines Kupfer ; selbi ges besitzt zwar eine sehr bedeutende Zähigkeit ; es fehlt ihm jedoch

261

bei den Europäischen Groszmächten .

die nothwendige Elasticität , die man späterhin durch einen Zusatz von Zink zu erreichen suchte , d. h. man nahm zu Tombak und Messing seine Zuflucht. Während bei ersterem circa 6 bis 7 % Zink, hat Messing im Allgemeinen deren 30 aufzuweisen.

Je mehr Zink man nun dem

Kupfer beifügt , desto härter und spröder werden die Hülsen . Oesterreich benutzt für sein Werndlgewehr M./67 , Italien für sein Vetterligewehr M./70 Tombakhülsen , England für sein M./67-System Snider , sowie für sein neues Modell Martini -Henry Rollmessinghülsen . Genannte Staaten gingen hierbei von der Ansicht aus, dass es nicht gut möglich wäre, den unerlässlichen Spielraum zwischen Patrone und Patronenlager stets gleichmäszig genau zu bemessen, und dass deshalb die Hülse selbst durch ihre Elasticität den eventuell fehlen den gasdichten Abschluss bei der Explosion herbeiführen müsse. Während nun aber Oesterreich und Italien zum Tombak ihre Zuflucht nahmen, wendete England den Rollmessing an, der freilich eine tadelfreie Hülse liefert, die jedoch nur einmal zu benutzen, mit hin ein sehr kostspieliges Fabrikat ist. Im Laufe der Zeit ist es der Technik gelungen, sowohl Waffen wie Munition so exact herzustellen, dass vorgenannte Befürchtungen sich nicht bewahrheiteten , und haben sich die übrigen Groszmächte für die feste Messinghülse entschieden, d . h. für ein Material , welches bei sorgfältiger Herstellung die erforderliche Härte und Elasticität besitzt und das gleichzeitig eine wiederholte Verwendung zulässt. — England hat in Folge dessen in jüngster Zeit für sein Martini- Henry Gewehr eine feste Messinghülse in Aussicht genommen, Frankreich für sein neuestes Modell . ― Form der Hülse und Zünd vorrichtung. -

ebenso wie

Metallhülsen waren, wie erwähnt, die Amerikanischen .

Sie wurden

Die ersten

aus runden Kupferblättchen hergestellt, hatten eine cylindrische Form und nahmen im inneren Hohlraume der Bodenkrempe den Zündsatz auf, d . h. sie hatten Randzündung. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Art von Hülsen die einfachste ; sie ist aber auch anderer ―――― Aufnahme des Knallpräparates seits , was ihre Herrichtung und ihre Transportfähigkeit betrifft , nicht ungefährlich ; sie kann ferner nur ein Mal verwendet werden, ist mithin kostspielig , und sie hat endlich wegen ihrer cylindrischen Form ein nur geringes Fassungsvermögen . Man sann in Folge dessen auf Abhülfe und waren es hauptsäch lich die Engländer, welche bei Gelegenheit der Umänderung resp . Neuconstruction ihrer Waffenbestände der Verbesserung der Metall

262

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung

patrone die gröszte Aufmerksamkeit schenkten.

Dem Oberst Boxer

gelang es nach langdauernden Versuchen die nach ihm benannte Patrone zu construiren , deren wesentlichster Unterschied von der Amerikanischen zunächst in der Art der Anbringung der Zündungs vorrichtung besteht .

Die Boxer- Patrone hat Centralzündung.

In der Hütchenkammer ist ein Zündhütchen angebracht, welches in seinem Innern ein loses Zündkörperchen enthält, das, als Widerlager dienend , beim Losdrücken des Gewehrs die Zündmasse und somit Die Randzündung wurde all die Ladung zur Explosion bringt. mälig fast völlig verdrängt.

Wir finden sie jetzt hauptsächlich nur

noch bei Magazingewehren und zwar deshalb, weil bei selbigen die Patronen hintereinander liegen , die Spitze der folgenden Patrone mithin die Bodenmitte der davorliegenden berührt und eine unwill kührliche Entzündung hierdurch bewirken kann. Einlader Von den Ordonnanzmodellen der Groszmächte feuert nur noch das Oesterreichische nach Wänzl umgeänderte, frei lich bereits 1866 construirte, eine Randzündungspatrone. Als man bei den einzelnen Staaten , nach Umänderung der Vorderlader, die bei ihrem gröszeren Kaliber eine cylindrische Form der Hülse zulieszen , zu Neuconstructionen überging und für selbige ein kleineres Kaliber von ppr. 11 Millimeter wählte, musste man, wenn man das Fassungsvermögen der Hülse nicht zu sehr ein schränken oder dieselbe übermäszig lang machen wollte, ihr eine andere Form geben und kam sonach auf die flaschenförmige. — Das Russische Krnkagewehr ――― Kaliber 15,24 , das Englische Kaliber 14,7 - , das Oesterreichische Wänzlgewehr Snidergewehr - Kaliber 13,9 -

und das Französische Tabatière- Gewehr - Ka

liber 17,8 - hatten noch eine cylindrische Form der Hülse . Die flaschenförmige Hülse ermöglicht , bei dem allerwärts auf tretenden Bestreben, gestreckte Geschossbahnen und grosze Schuss weiten zu erzielen, die Ladung thunlichst zu vermehren, ohne die Patrone übermäszig zu verlängern resp . die Ladefähigkeit der Waffe zu beeinträchtigen.

Die Boxer-Patrone erwies sich sehr bald als viel zu complicirt. Ihre Hülse, von gewalztem Messingbleche gerollt, mit Papierüberzug, innen lackirt , sitzt in zwei Bodenkappen auf einer schwarz ge firnissten eisernen Extractionsplatte, in deren Mitte die oben ge stauchte Hütchenkammer mit losem Zündkörperchen und mit dem Zündhütchen , durch einen eingepressten Papierpfropfen alle Theile fest verbindend , vernietet wird. — Man verdrängte sehr bald das lose Zündkörperchen, das die verschiedensten Formen hatte, meist

bei den Europäischen Groszmächten.

263

jedoch die eines Pfeils , Ankers oder eines gereifelten, vorn zu gespitzten Cylinders , durch den mit der Hülse selbst aus einem Stücke bestehenden festen Ambos, wie ihn z. B. das neue Russische Modell

(Berdan II) und -zeigen.

das Preuszische Infanteriegewehr M./71

Oesterreich adoptirte für sein Werndlgewehr ein anderes System. In die Zündglocke, die einen glatten und nur in der Mitte durch lochten Boden hatte , wurde ein Doppelhütchen versenkt , von denen das eine für den Zündstahl im Boden durchlocht ist. Der nicht durchlochte Theil des Zündglockenbodens diente als Widerlager dem seitlich wirkenden Schlagbolzen . In England selbst wendete man sich von der zu complicirten und daher sehr theuern Rollmessinghülse wiederum zu der Ameri kanischen festen Hülse ; nur dass man dieselbe aus Messing resp. Tombak herstellte und ihr eine flaschenförmige Gestalt gab.

Die

Art der Zündung war, wie schon erwähnt , die centrale mit festem Ambos.

Einen wesentlichen Antheil bei der Vervollkommnung resp. Ver einfachung der Metallhülse hatten der Amerikanische General Berdan und der Bayerische General von Podewils.

Da man jedoch fürchtete ,

dass die aus

einem Stücke gepresste Hülse bei der bedeutenden Ladung einen wiederholten Gebrauch nicht aushalten dürfte und

leicht zu Unglücksfällen Veranlassung geben könnte, so suchte man in einzelnen Staaten (Russland Berdan II ; Bayern Werdergewehr) genannter Gefahr durch einen eingelegten Verstärkungsring zu be gegnen, in anderen die Hülse aus zwei fest in einander vernieteten Theilen Mantel und Bodenherzustellen, sowie endlich Beides zu vereinigen (Preuszische Versuchshülse M./71 ) . ――――――― Der Technik gelang es indessen, die Schwierigkeiten, die der Fabrikation der Hülse sich anfänglich entgegenstellten,

mehr und

mehr zu überwinden, und so finden wir zur Zeit als entschieden ein fachstes

Muster die aus

einem

flaschenförmige Messinghülse

Stücke

incl.

Ambos

ohne Verstärkungsring ,

ausgeprägte wie sie das

Infanteriegewehr M./71 jetzt feuert. Bayern hat nach sehr umfassenden Versuchen unlängst seine Werderhülse fallen lassen und sich für die Patrone des M./71 ent schieden, so dass nunmehr letztere als die Deutsche Ordonnanz patrone anzusehen ist. Schon bei Gelegenheit der Besprechung der Englischen Hülse wurde erwähnt, dass dieselbe innen lackirt, nachdem sie vorher mit einer dünnen Papierschicht überklebt.

Man griff in jenem Lande

264

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung

zu dieser Maasznahme, um die Munition für eine längere Lagerung bei wechselnden atmosphärischen Einflüssen geeigneter zu machen. Bleibt nämlich Pulver längere Zeit hindurch mit der Metallhülse in directer Berührung, so tritt unter theilweiser Zersetzung des ersteren eine Oxydation und endlich Zerstörung der letzteren ein. Als ein vorzügliches Mittel hiergegen hat sich das Lackiren der Hülsen be währt , und man wendet es in Folge dessen seit einiger Zeit auch bei der Deutschen Patrone an, wenngleich die Arbeit eine sehr um ständliche und zeitraubende ist. Bei allen eine Metallpatrone feuernden Waffen mit centraler Zündung erfolgt selbige durch den Schlag eines Bolzens auf ein in den Boden der

Patrone

eingesetztes Zündhütchen ,

aus Tombak,

Kupfer, Messing etc. angefertigt , das bei den meisten Modellen, um es vor Oxydation zu schützen, im Innern lackirt ist und demnächst erst den Zündsatz aufnimmt.

Letzterer besteht im Allgemeinen aus

Knallquecksilber, chlorsaurem Kali und einem Frictionsmittel (pul verisirtes Glas etc.) . - Die Einbringung des Zündsatzes, die schwierig zu bewerkstelligen, erfolgt entweder auf nassem oder auf trockenem Wege .

Ersterer ist der leichtere ; es bleibt jedoch hierbei zweifel

haft , ob der Zündsatz vollständig austrocknet und ob nicht eine Zersetzung desselben späterhin möglich , die Versager zur Folge haben könnte . Zum Schutze des Zündsatzes wird meistens noch eine Lackschicht, Zinnfolie etc., angebracht. 2. Die Pulverladung. Während im Verlaufe der letzten Decennien die Waffenfrage allerwärts die verschiedensten Wandlungen durchmachte , erkannte man die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Aenderung des Pulvers anfänglich nicht genügend . - Nur durch das Zusammenwirken der Umgestaltungen im Laufsystem und in der treibenden Kraft , d . h . im Pulver , konnte man den hohen Anforderungen, die man in jüngster Zeit an die ballistischen Leistungen der modernen Präci sionswaffen stellte , gerecht werden. Als Frankreich sein klein kalibigres Chassepotgewehr einführte , erkannte es beregten Uebel stand und stellte für die neue Waffe ein neues Pulver her. -- Eng land folgte sehr bald nach.

Sein Curtis- und Harveypulver für das

Martini - Henrygewehr ist ein Fabrikat, das recht Gutes leistet, das aber auch erheblich theurer ,

als

die früheren Pulversorten.

z . B. kostet das alte Preuszische Gewehrpulver

So

circa 36 Mark,

während das neue Englische Pulver anfänglich auf circa 180 Mark zu stehen kam. Kurz zusammengefasst sind die beiden wesentlichsten Punkte,



265

bei den Europäischen Groszmächten.

welche bei der Pulverfabrikation zur Sprache kommen , das Satz verhältniss und die Art der Herstellung selbst. Das Satzverhältniss ist , wie in der Natur der Sache liegend, fast überall dasselbe und hat sich im Laufe der Zeit bei den ein zelnen Staaten nur ganz unwesentlich geändert.

Die Procentsätze

schwanken zwischen 74-76 Theilen Salpeter bei 10 Theilen Schwefel und 16-14 Theilen Kohle . - Salpeter und Schwefel lassen , wenn sie sonst rein , keinerlei Modificationen zu , wohl aber die Koble . Während man nämlich früher für Kriegswaffen meistens nur schwarz gebrannte Kohle gebrauchte, wendet man in neuerer Zeit die weniger (braunroth) gebrannte Kohle an, die, wenngleich hygroskopischer und leichter entzündlich als erstere , so doch eine gröszere Anfangs geschwindigkeit ermöglicht und von hohem Werthe ist.

mithin in ballistischer Beziehung

Der zweitgenannte Punkt , die Art der Herrichtung des jetzt gebräuchlichen Gewehrpulvers, zu welcher vornehmlich das Kleinen, Mengen , Verdichten und Körnen zu zählen , ist nicht minder von wesentlicher Bedeutung. - Die Truppe verlangt heutigen Tages ein Pulver , das bei möglichst groszer Anfangsgeschwindigkeit eine möglichst geringe Brisanz ,

einen möglichst unbedeutenden Rück

stosz , sowie endlich möglichst wenig Verschleimung des Laufes im Gefolge hat , Anforderungen , die der Fabrikation allerwärts grosze Schwierigkeiten bereiteten und die nur zu lösen, indem man das Für und Wider der einzelnen Punkte reiflichst erwog und dem entsprechend das Pulver herrichtete. Lehrgeld zahlen müssen.

Die meisten Staaten haben hierbei hohes Es sei zunächst an England erinnert,

dessen Martini-Henrygewehr einen so starken Rückstosz zeigte, dass man Waffe und Munition abzuändern sich genöthigt sah , während das Oesterreichische Werndlgewehr andererseits in ballistischer Be ziehung so wenig zufriedenstellte , dass man gleichfalls vor genannten Schritt unternehmen musste. Während man in Oesterreich die alte Pulverladung von 4 Gramm verstärkte , --- (5 Gr. M./73), versuchte man dieselbe (5,6 Gramm) in England herabzumindern . Was es aber heiszt, die Kriegschargirung so groszer Armeen vollständig umzuarbeiten, resp . neu herzustellen, bedarfwohl keiner Erläuterung ! Das Italienische Vetterligewehr , feuert gleichfalls eine Patrone mit 4 Gramm Pulver ; es hat aber auch nur ein Laufkaliber von 10,35 Millimeter und sein Geschoss ist nur 20 Gramm schwer. Ob diese Verhältnisse für die Zukunft genügen dürften, bleibt dahingestellt ; hinsichtlich der ballistischen Leistungen steht diese Waffe wenigstens nicht mehr vollständig auf der Höhe der Situation . -

266

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung Das Deutsche und Russische Modell kleinen Kalibers haben eine

Pulverladung von 5 Gramm ; - beim Französischen System Gras ist sie ein wenig gröszer (5,2 Gramm) . 3. Die Reinigungsmittel. Die Patronen der Hinterlader müssen auszer dem Mittel , den Feind auszer Gefecht setzen zu können , auch noch ein zweites in sich schlieszen, nach jedem Schusse den Lauf zu reinigen , d. h. ihn vor Verschleimung und Verbleiung zu bewahren. — Erstere rührt von dem unvermeidlichen Pulverrückstande ( Schwefelkalium etc.), letztere von den während der Rotation des Geschosses im Laufe sich ab streifenden erwärmten Bleipartikeln her. -Bei den Vorderladern wurde die Reinigung des Laufes in erster Linie vermittelst des Ladestockes bewerkstelligt, bei den Hinterladern hingegen mussten die Reinigungsmittel in der Patrone selbst enthalten sein.

Das Preuszische Zündnadelgewehr , das bekanntlich Spiegel

führung hatte , war , wie in der Natur der Sache liegt, vor Verbleiung geschützt , während die Verschleimung durch den Spiegel beseitigt wurde.

Ganz anders gestaltete sich die Sachlage bei den klein

kalibrigen Waffen mit Bleiführung ; man findet in den einzelnen Staaten die verschiedenartigsten Abhülfen angewendet . Ein Theil giebt dem Geschosse eine oder mehrere Vertiefungen ( Cannelirungen) zur Aufnahme von Fett , welches sich den Laufwänden mittheilen und selbige auf diese Weise von Schmutz und Blei reinigen soll. Derartige Geschosse sitzen entweder direct auf dem Pulver , oder haben als Abschluss zwischen sich und dem Pulver eine oder mehrere Cartonscheiben. - Die Geschosse des Werndl- , Wänzl- und Vetterli gewehrs sitzen auf dem Pulver auf, während in der Werderpatrone noch eine Cartonscheibe enthalten ist.

Die Zeit hat jedoch gelehrt,

dass das innerhalb der Cannelirungen untergebrachte Fett nicht aus reicht , um den Lauf vor Verbleiung etc. vollständig zu schützen ; man ging dazu über , das Fettungsmittel zwischen Pulver und Blei zu

verlegen und wandte hierzu Pfropfen aus Fett , sowie aus Filz,

Pappe etc. an , von denen erstere jedoch wiederum ihrerseits , um Pulver und Blei vor directer Berührung zu bewahren , zwischen Cartonplättchen untergebracht waren. Die Anforderungen , welche man an diesen Reinigungspfropfen stellte, waren nicht gering ; er durfte weder durch Hitze schmelzen, noch auch bei Kälte spröde werden ; animalische Fette , die eine Oxydation und mithin Zersetzung der inneren Hülse im Gefolge hatten, waren von vornherein ausgeschlossen. Russland wählte einen Stearinpfropfen, England , Frankreich und

bei den Europäischen Groszmächten. Deutschland einen solchen aus Wachs.

267

Der Pfropfen allein erwies

sich jedoch als nicht ausreichend , und da die Läufe trotzdem stark verbleiten , so umgab man das Geschoss in seinem hinteren Theile mit einer Papierumwickelung (Englisches , Französisches , Deutsches Geschoss) und tränkte es endlich noch , soweit es aus der Hülse hervorragte, mit einer Fettmasse. Die am Geschosse angebrachten Cannelirungen konnten nunmehr, umsomehr als sie die Fabrikation erschwerten und keine sonstigen Vortheile boten , in Wegfall kommen und selbiges eine cylindrische Form erhalten , der man nach der Mündung zu , theils um das Ge schossgewicht zu erleichtern , theils um eine bessere Rotation zu er möglichen , eine eiförmige Gestalt gab.

Auf diese Weise sehen wir

das cylindroogivale Deutsche, Englische, Russische und Französische Geschoss entstehen. 4.

Das Geschoss .

a) Material. Zur Darstellung des Geschosses verwendete man bisher reines Blei , das sowohl , was

die ökonomischen Rücksichten , als

auch,

was die Herstellung der Geschosse betraf , sich als das vortheil hafteste Material erwies. - Erst die Engländer benutzten für ihr und Zinn , ――― Blei und Henry - Martinigewehr eine Legirung von Blei Hartblei. Selbiges ist zwar theurer , schwieriger herzustellen und umständlicher zu behandeln ; von humanitärer Seite aus betrachtet, hat es jedoch grosze Vorzüge. — Geschosse aus Weichblei, wie man das reine Blei zum Unterschiede von vorgenanntem nennt, wirken auf nahe Entfernungen fast ebenso verheerend , wie Sprenggeschosse ; sie rufen so schwere Knochenverletzungen und so enorme Bleisplitter öffnungen der Wunden hervor , dass das Weichblei mit der Zeit Voraussichtlich ein internationales Verdict treffen dürfte . --- Die Vorwürfe , die man im letzten Französischen Feldzuge sich gegen seitig gemacht , dass mit Sprenggeschossen, gehacktem Blei u . dergl . mehr gefeuert worden wäre, sind lediglich auf diesen Umstand zurück zuführen.

In jüngster Zeit hat im Uebrigen auch Oesterreich für

sein aptirtes Werndlgewehr ein Hartbleigeschoss angenommen. b) Form der Geschosse. Die heutigen Geschosse sollen selbst auf die weitesten Ent fernungen eine genügende Präcision und Durchschlagskraft besitzen, durch Wind etc. während des Fluges möglichst wenig abgeleitet werden und doch dabei thunlichst leicht sein ,

Bedingungen , die

sich zum Theil diametral gegenüber stehen und kaum erfüllbar sind. ―――

268

Die Metallpatrone und die Geschichte ihrer Einführung etc. Das Laufkaliber der neuen Modelle liegt in den Grenzen zwi

schen 1012 und 111½ Millimeter , der Geschossdurchmesser kann mithin sich

auch nur ungefähr innerhalb derselben bewegen.

Zwischen

diese m und dem Laufkaliber muss aber gleichfalls ein bestimmtes Verhältnisz stattfinden, falls das Geschoss während seiner Vorwärts bewegung Stabilität um seine Längenachse behalten soll. Wenn nun trotzdem bei den einzelnen Staaten erhebliche Diffe renzen im Geschossgewichte bestehen, so liegt der Grund zum Theil in der Wahl des Materials, zum Theil in der Gestalt der Geschosse, zum Theil in den Anforderungen , die man an die Leistungen der Waffe stellt. Während das Englische (Hartblei)-Geschoss 31,3 Gramm schwer ist , wiegt das neue Französische 28 Gramm ,

das Russische und

Deutsche 25 Gramm , das Italienische und (alte) Oesterreichische nur 20 Gramm .

Man kann wohl behaupten , dass letztere beiden

ein wenig zu leicht, und dass ferner das Englische, welches freilich auf den weiten Distanzen Vortreffliches leistet, entschieden zu schwer, da es den Mann zu sehr belastet. Bei Gelegenheit der Besprechung der Reinigungsmittel wurde bereits der zwei Hauptgeschossarten Erwähnung gethan, wie sie bei den kleinkalibrigen Hinterladern üblich ; es sind dies das glatte und das mit Cannelirungen etc. versehene Geschoss . Letzteres scheint sich auf dem Aussterbe-Etat zu befinden , da es , abgesehen davon, dass es

nicht mehr als

Reservoir für das Reinigungsmittel

des

Laufes dient , schwierig herzustellen und in ballistischer Beziehung keinerlei Vortheile gewährt. Wenn man zum Schluss die Metallpatrone noch einmal in ihrer Totalität betrachtet , so drängt sich die Ueberzeugung auf ,

dass

die Technik hierin ganz Auszerordentliches geleistet , und dass die Erfolge einer

Waffe heutigen Tages

zum groszen Theil von der

Munition abhängen. - Die Metallpatrone entspricht in ihrem heutigen Zustande , was Transportbeständigkeit , Lagerungsfähigkeit , Zuver lässigkeit im Losgehen etc. betrifft, den höchsten Anforderungen an selbige.

Die ballistischen Leistungen der heutigen Ordonnanzmodelle

sind Dank der richtigen Erkenntniss der einzelnen hierbei mitspre chenden Factoren ,

zu denen bekanntlich in hohem Grade

die

Munition gehört, bedeutend gesteigert worden und es ist schwerlich anzunehmen , dass in der nächsten Zeit auf diesem Gebiete wesent liche Verbesserungen eintreten dürften .

Der Oberst Hans von Thümen.

269

XVIII .

Der Oberst Hans von Thümen . Ein kurzes Lebensbild von Carl von Thümen , Major z. D. Die für Preuszen ewig denkwürdige Zeit, in welcher Napoleon mit schnellen, gewaltigen Schlägen die

auf Tradition und Selbst

überschätzung aufgebauten Heeres- und Staatseinrichtungen in einen Trümmerhaufen verwandelte ; jene Tage, welche dann durch die Arbeit von Grosz und Klein ein neues Preuszen entstehen sahen, dessen waffentragendes Volk nicht eher ruhte , als bis vor Paris dem einstigen Weltbeherrscher der Frieden dictirt wurde, ―――――――― diese Zeiten haben längst und vielfach treffliche Darsteller gefunden.

Trotzdem

stehen wir nicht an, jetzt noch ein Lebensbild aus jenen Tagen zu bringen.

Denn nicht oft genug kann man sich unseres Erachtens

mit jenen Zeiten beschäftigen, die so äuszerst lehrreich und so dauernd wichtig für Preuszens Heer und Volk sind. Die nachstehenden Zeilen schildern die Thätigkeit eines Mannes, der in jener bewegten Zeit wenn auch nicht in hervorragender Weise und Stelle, aber doch mit der ganzen Kraft eines denkenden und strebenden Offiziers sein Vaterland wieder emporheben half , das er Mit dem schönsten Loose , das den so tief hatte fallen sehen. Soldaten treffen kann, an der Spitze der von ihm befehligten Ca vallerie - Brigade , auf dem Schlachtfelde von Ligny, fand Oberst von Thümen den Heldentod. Diesem Braven und seiner Zeit sei in diesen Zeilen eine kleine Erinnerung gewidmet, die uns jetzt in den Tagen neuen und groszen Ruhmes nicht vergessen lasse, einestheils welche Gefahr es bringt auf Lorbeeren auszuruhen, und anderestheils, dass unser Vaterland seine jetzige Grösze den Thaten unserer Vor eltern mitverdankt.

Hans Gustav Ferdinand von Thümen wurde am 7. Februar 1768 zu Stücken

geboren .

Sein

Vater

Christian

Joachim

Heinrich

von Thümen hatte sich der Bewirthschaftung seines zwischen Pots dam und Belitz gelegenen alten Familiengutes Stücken gewidmet, und lebte dort mit seiner Gattin Anna Sabina Dorothea geborene

Der Oberst Hans von Thümen.

270

von der Liepe aus Blankenfelde .

Auszer Hans hatte die kinder

reiche Familie noch vier Söhne und zehn Töchter ; sieben Töchter und zwei Söhne waren vor Hans geboren . Der älteste Bruder war der im Jahre 1826 verstorbene Heinrich Ludwig August von Thümen, welcher in den Befreiungskriegen 1813 und 1814 die 3. Brigade des 3. (Bülow'schen) Armeecorps befehligte, und von 1815 bis 1819 die Stelle als Generallieutenant und commandirender General des 5. Armeecorps im Groszherzogthume Posen bekleidete . Wie in damali ger Zeit die meisten Edelleute, trat Hans, dem Beispiele vieler Vor fahren seiner Familie folgend, im Jahre 1783 im Alter von 15 Jahren in das Husaren- Regiment Prinz Eugen von Würtemberg Nr. 4 ein, welches in Schlesien, und zwar in Oels und Gegend in Garnison stand , in demselben Bezirke, wo noch heute das aus ihm hervor gegangene 1. Schlesische Husaren- Regiment Nr. 4 garnisonirt . Das Regiment war 1740 errichtet worden und hatte bereits sämmtliche Schlesische Kriege mitgemacht ; ganz besonders hatte es sich hervor gethan in der Schlacht bei Hohenfriedberg am 4. Juni 1745, wo es die Pauken der Sächsischen Carabiniergarde eroberte,

sowie bald

darauf in der Affaire bei Grosz - Strelitz , in welcher es ein starkes feindliches Corps mit groszem Muthe angriff, in die Flucht schlug und 112 Gefangene machte.

Ebenso zeichnete das Regiment sich in

den Schlachten bei Prag, Collin und Leuthen aus.

Thümen musste

natürlich, wie es schon damals Gesetz war, als gemeiner Husar ein treten, wurde dann erst nach vierjähriger Dienstzeit am 12. Februar 1787 Cornet, eine Charge, welche der heutigen des Portepeefähnrichs entspricht, und avancirte am 3. November 1790 zum Secondelieute nant. Als solcher machte er in den Jahren 1793 bis 1795 die Polnische Campagne mit. Nach Beendigung dieses Feldzuges und der darauf erfolgten dritten Theilung Polens erhielt das Husaren-Regiment Prinz Eugen von Würtemberg seine Garnisonen zum gröszten Theil in der neuen Provinz Süd - Preuszen und wurde ihm auch dort sein Canton angewiesen.

Thümen ,

bei

der 3. Escadron stehend ,

hatte sein

Quartier in Kempen . Von hier aus machte er häufig Besuche in der Nachbarschaft und lernte dabei auch die Familie des Rittmeisters Carl von Teichmann auf Kraschen, Niefken und Gaffron bei Medzibor, im Polnisch-Wartenberger Kreise gelegen, kennen, mit dessen ältesten Tochter Jeanette Sophie Luise er sich im Jahre 1796 verheirathete und eine glückliche neunzehnjährige Ehe führte, in welcher ihm drei Töchter und zwei Söhne geboren wurden . Nach zwanzigjähriger Dienstzeit wurde Thümen im Alter von

Der Oberst Hans von Thümen.

271

fast fünfunddreiszig Jahren am 15. Januar 1803 zum Premierlieute nant befördert. Wie unzufrieden Thümen selbst mit diesem schlechten Avance ment war, beweist ein Brief vom 22. April 1805 an seinen Bruder, welcher damals Oberstlieutenant und Commandeur des Infanterie Regiments Graf von Kunheim Nr. 1 in Berlin war.

Er bittet in

diesem Briefe um die Fürsprache des Bruders, dass er zum Husaren Regiment von Pletz Nr. 3 nach Oberschlesien versetzt werde ; seinen Abschied wolle er jetzt noch nicht nehmen, weil er zu eifriger Soldat sei, und weil doch die Anstellungen im Civilfache zu schlecht wären ; eine Stelle als Landstallmeister würde er noch allenfalls annehmen. Thümen liesz sich übrigens den Dienst sehr angelegen sein und hatte in demselben Jahre seinen Regiments- Commandeur dazu be wogen, die jährlichen Remonten selbst anzukaufen, während dieselben zu damaliger Zeit in der Regel durch Lieferanten beschafft wurden, welche natürlich sehr auf ihren eigenen Vortheil bedacht waren. Thümen trug sich schon damals mit Gedanken, welche auf Errichtung von Remonte - Ankaufs- Commissionen hinzielten, herum und wollte ein darauf bezügliches Project dem Könige selbst einreichen. Unter dessen kam das verhängnissvolle Jahr 1806 heran.

Das Regiment

Würtemberg- Husaren wurde bei der Formation und Eintheilung der Armee zu dem bevorstehenden Kriege der Armee des Königs unter dem besonderen Oberbefehle des Feldmarschalls Herzog von Braun schweig zugetheilt , und zwar mit dem 1. Bataillon oder den fünf ersten Escadrons zu den leichten Truppen der Division des rechten Diese Flügels unter dem Generallieutenant Prinz von Oranien. leichten Truppen befehligte der Generalmajor von Oswald , und es gehörten zu denselben auszer den genannten Husaren-Escadrons das Füsilier-Bataillon Oswald Nr. 16, während das 2. Bataillon oder die 6. bis 10. Escadron des Husaren - Regiments den leichten Truppen des Generalmajors von Greiffenberg mit dem Füsilier-Bataillon des selben Nr. 4 zugetheilt waren, welche wiederum zur linken Flügel Division des Generallieutenants Grafen von Schmettau gehörten . Thümen stand , wie gesagt , bei der ersten Abtheilung und gehörte somit zu der erstgenannten Division.

Diese leichten Truppen waren

anfänglich zur Armee des Generals der Infanterie Fürsten von Hohen lohe und nachher zur Abgabe von dieser an die Hauptarmee be stimmt. Aus diesem Grunde und weil diese Truppen erst spät marschfertig geworden waren, sowie von entfernten Garnisonen aus weite Märsche zurückzulegen hatten, langten sie erst am 16. September hinter der Spree, am 30. September bei Weiszenfels und am 2. October

Der Oberst Hans von Thümen.

272

bei der auf dem Vormarsche von Naumburg nach Erfurt begriffenen Hauptarmee an, deren rechte Flügel- Division an dem letztgenannten Tage in die Gegend von Sömmerda und Kölleda gelangte und dort an den folgenden beiden Tagen verblieb. Am 5. October ging die Division wieder weiter vor in die Gegend von Langensalza und Erfurt , ruhte dort am 6. und rückte am 7. in Cantonnements nördlich Eisenach von Neukirchen bis Hayna. Diese Bewegung nach Westen wurde am 9. October durch die in zwischen eingetroffenen Nachrichten vom Feinde wieder in die ent gegengesetzte umgeändert , so dass die Division Quartiere an der Chaussee von Gotha nach Erfurt bezog , und am 10. October nach einer Versammlung bei Egstädt in der eingeschlagenen Richtung weiter marschirte.

Auf diesem Marsche wurden die leichten Truppen

einer jeden Division, also für die rechte Flügel - Division auch die fünf Escadrons Würtemberg - Husaren, zur speciellen Avantgarde für dieselbe beordert , weil die eigentliche Avantgarde der Hauptarmee zu weit entfernt war, und die Nähe des immer mehr vorrückenden Feindes , wie das am heutigen Tage stattfindende unglückliche Ge fecht von Saalfeld bezeugte, eine derartige Maaszregel nöthig machte. Diese neue kleinere Avantgarde kam am genannten Tage in Quar tiere nach Stadt Ilm , von wo am 11. October der Marsch nach Weimar fortgesetzt wurde . Dort bezog die Infanterie ein Lager, während die Cavallerie in Cantonnements bis gegen Jena verlegt wurde. Da man den groszen Fehler begangen hatte, die eigentliche Avantgarde der Hauptarmee unter dem Herzog von Weimar so weit von der letzteren zu detachiren, dass ihr eigentlicher Zweck ganz verloren ging, und sie auch in Folge dessen an den Schlachten der nächsten Tage gar keinen Antheil nehmen konnte, so erkannte man die Nothwendigkeit zur Bildung einer neuen Avantgarde gar bald, und formirte dieselbe unter dem General Blücher aus allen noch übrigen leichten Truppen der Hauptarmee, nämlich den Füsilier Bataillonen Oswald ,

Kloch und Greiffenberg ,

dem Weimar'schen

Scharfschützen - Bataillone , dem Dragoner - Regimente Irwing , den Husaren - Regimentern Blücher und Würtemberg und der reitenden Batterie Schorlemmer. Vom 12. October an finden wir also Thümen unter dem unmittelbaren Oberbefehle Blücher's , unter dessen Com mando er die erste und die letzte grosze Schlacht in seinem Leben mitmachte, welche merkwürdiger Weise beide unglücklich ausfielen . Die Avantgarde hatte die Aufgabe, die Hauptarmee , welche auf den Höhen südlich Weimar lagerte, zu decken. Ihre Vorposten lehnten sich rechts an die des Rüchel'schen, links an die des Hohen

Der Oberst Hans von Thümen. lohe'schen Corps.

273

Am 13. October musste die Hauptarmee, um sich

wieder in ein richtiges Verhältniss zu ihrer Operationsbasis zu setzen, links abmarschiren ; man wollte sich auf den Höhen des linken Saal ufers entlang hinter der Armee des Fürsten Hohenlohe , welche die westlichen Abhänge des Saalthales besetzt hielt , über die Unstrut bei Freiburg auf Weiszenfels zurückziehen.

Die ersten Truppen der

Armee langten etwa um 42 Uhr Nachmittags auf den Höhen süd lich des Dorfes Auerstädt an , wo sie leider Halt machten und ein Bivouak bezogen , in welchem sich der übrige Theil der Armee bis nach Mitternacht vom 13. zum 14. October sammelte. Richtiger wäre es wohl gewesen, sich noch an diesem Tage mit der am weitesten vorgerückten Division Schmettau des Saalüberganges bei Kösen zu versichern, dann hätte am folgenden Tage die Hauptarmee weder bei Auerstädt noch an einem anderen Punkte einen Schlachttag ge habt, sondern würde ruhig ihren für den Tag beabsichtigten Marsch über Freiburg und Laucha hinter die Unstrut haben fortsetzen können, weil der Marschall Davoust am 13. October erst mit einer geringen Cavallerie -Abtheilung das

Defilee von Kösen passirt hatte, deren

Vertreibung der Division Schmettau nicht schwer gefallen sein würde , und die Franzosen schwerlich am 14. October sich an dem leicht zu vertheidigenden Saalübergange bei Kösen die Zähne ausgebissen hätten. So aber konnte der Französische Marschall in der Frühe des folgenden Tages ungestört seine ganze Macht über die Saale ziehen und auf den jenseitigen Höhen seinen ihm befohlenen Marsch auf Apolda fortsetzen, auf welchem er mit der Preuszischen Haupt armee zusammentraf, welche mit ihrem Haupttheile auf dem Marsche nach der Unstrut und mit dem kleineren Theile einer Division zur Besetzung des Kösener Passes im Vormarsche begriffen war. Zusammentreffen geschah

Dies

auf der Chaussee von Naumburg nach

Weimar zwischen den Dörfern Poppel und Hassenhausen , welchen letzteren Ort die Franzosen auf's Hartnäckigste gegen die wieder holten Angriffe der- Preuszen vertheidigten , die es ihrerseits nicht zu erobern vermochten, Thümen's Rolle in der sich entwickelnden Schlacht bei Auer städt war natürlich nur von der alleruntergeordnetsten Bedeutung, dennoch zeichnete er sich so vortheilhaft aus ,

dass sein Name in

den Büchern , welche den Krieg behandeln, lobenswerth erwähnt wird. Das Regiment Würtemberg - Husaren gehörte, wie erwähnt, zur Avantgarde des Generallieutenants von Blücher, welche um 2 Uhr Morgens im Bivouak

südlich Auerstädt ankam.

Von dort brach

Morgens 6 Uhr die Division des Generals Grafen Schmettau über Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII. 18

274

Der Oberst Hans von Thümen.

Gernstadt , Poppel und Tauchwitz auf Hassenhausen auf, ihrerseits eine kleine Avantgarde aus dem Regimente Königin - Dragoner und einer reitenden Batterie vorschickend, während die eigentliche Avant garde der Hauptmasse der Armee vorangehen sollte.

Ihr Führer

hatte sich wohl zur eigenen Orientirung mit den Vortruppen der Division Schmettau vorgeritten , wo er später mehrere, leider unglück liche Cavallerieangriffe nördlich Hassenhausen leitete,

und dem Ge

neral von Oswald die Führung der Truppen und den Befehl ihm zu folgen übergeben.

Diesem war es nicht möglich sogleich nachzu

rücken , weil das Defilee durch das Dorf Auerstädt so sehr von den Truppen der Division Schmettau und den nachfolgenden Di visionen in Anspruch genommen war, dass nur das Regiment Irwing Dragoner und fünf Schwadronen Würtemberg-Husaren durchkommen und so an den Kämpfen bei Hassenhausen Theil nehmen konnten, während die übrigen Truppen zur Deckung der durch Auerstädt defilirenden Massen auf die Höhen nordwestlich des Städtchens Sultza zwischen der Ilm und dem Emsbache geführt wurden, wohin später noch die Brigade des Generals von Hirschfeld, bestehend aus dem Grenadier - Garde - Bataillon, drei Bataillonen Garde und einer 12 - Pfünder -Batterie von der Reserve - Division Kunheim, gelangte. Dort stand nun auch Thümen, lange Zeit ein müsziger Zuschauer der eigentlichen Hauptschlacht ,

bis er endlich ,

Rückzuge der Armee in Thätigkeit trat.

aber erst bei dem

Beim Vorgehen der Fran

zosen von Hassenhausen nämlich wurde gegen Sonnendorf und die Sonnenberge am linken Thalrande der Saale und Ilm der Fran zösische Divisionsgeneral Morand mit dem 17. und 30. Linien-Regi mente sowie einiger Artillerie vorgeschickt ,

welchem es auch bald

gelang die Preuszischen Truppen aus ihren Stellungen nördlich des Emsbaches zu vertreiben.

Die Höhen südlich desselben zu besetzen,

wurde den Franzosen jedoch nicht so leicht, vielmehr gelangten sie erst in den Besitz derselben, nachdem für die Preuszen der Rückzug angeordnet war.

Diesen traten die genannten Truppen mit vieler

Ordnung über Auerstädt und Reisdorf auf der Strasze nach Weimar an ; das Regiment Würtemberg - Husaren deckte die rechte Flanke desselben auf dem linken Ilmufer nach Wickerstädt zu. Bei dieser Gelegenheit hatte man noch mehrere Angriffe der nachfolgenden Franzosen auszuhalten , unter denen uns besonders einer und zwar der letzte interessirt, welchen Französische Tirailleure auf ein Geschütz machten, dessen Bedienungsmannschaften und Pferde zum groszen Theil erschossen worden waren, und welches die übrigen Knechte im Stiche gelassen hatten.

Da war es Thümen, welcher mit der von ihm ge

Der Oberst Hans von Thümen.

275

führten Escadron , nachdem der Chef gefallen war,

im richtigen

Augenblicke einen muthvollen Angriff auf die feindlichen Tirailleure machte und hierdurch das Geschütz rettete. Für die bei dieser Ge legenheit bewiesene Entschlossenheit verliehen des Königs Majestät demselben später den Orden pour le mérite. Bekanntlich war es dann weniger der Verlust der Schlacht selbst als der Rückzug nach derselben, welcher der Armee einen so uner messlichen Schaden zufügte.

Auf demselben gehörten acht Schwa

dronen des Regiments Würtemberg- Husaren zur Arrièregarden- Colonne des Generals Blücher , deren Avantgarde zwei

Schwadronen des

Regiments bildeten, und welche auszerdem aus den Garden, Grenadier - Bataillonen Prinz August und

Gaudi ,

den

dem Regimente

Bünting-Cürassiere, Königin-Dragoner, Blücher-Husaren, einem Theile der Leib- Carabiniers , den Füsilier - Bataillonen Oswald , Kloch und Greiffenberg und den Weimar'schen Jägern bestand . , Von ihnen marschirten die sechs Schwadronen mit der Colonne über Buttstädt, Sömmerda nach Weiszensee, während die beiden Schwadronen der letzten Arrièregarde auf ihrem Rückzuge bei Zottelstädt vom über legenen Feinde umringt wurden, sich gemäsz Instruction des Regi mentscommandeurs, Major Graner, zerstreuten , nachher aber wieder zusammenfanden.

Die letzten beiden Schwadronen des Regiments

gelangten auf anderen Wegen mit einer groszen Colonne anfangs unter dem Feldmarschalle von Möllendorf, dann unter dem Generale Grafen von Kalkreuth nach Sömmerda .

Von dort ging der Marsch

unter vielen Gefechten der Kalkreuth'schen Colonne, zu welcher nun das ganze Regiment Würtemberg-Husaren gehörte , über Weiszensee nach Nordhausen. Auch bei diesem Orte fand am 17. October ein Gefecht statt ; dann ging es weiter auf sehr beschwerlichen Märschen durch den Harz nach Blankenburg ; dort übernahm am 19. October der General von Hirschfeld das Commando der bisherigen Kalkreuth' schen Colonne und führte dieselbe über Halberstadt , Oschersleben, Neu-Haldensleben nach Rogätz an der Elbe, wo sie am 21. October mit der Infanterie über den Fluss setzte, während die Cavallerie der selben die Elbbrücken bei Magdeburg benutzte. Jenseits dieses Flusses wurde noch an demselben Tage der

Marsch bis in die

Gegend von Burg und am 22. October in die von Genthin fortgesetzt. Von dort wurde dann noch ein stärkeres Seitendetachement unter dem Generalmajor von Schimmelpfennig zur Deckung der rechten Flanke der nach der Oder marschirenden Armee abgeschickt, welche aus den Resten von sechs Füsilier- Bataillonen, etwa 5-600 Mann, sechs Schwadronen Schimmelpfennig-, fünf Schwadronen Köhler- und 18 *

276

Der Oberst Hans von Thümen.

zehn Schwadronen Würtemberg-Husaren und zwei Jäger- Compagnien An dies Detachement knüpfte • sich also von nun an das

bestand.

Schicksal Thümen.

Dasselbe erreichte noch am 22. October Plaue

an der Havel , cantonnirte am 23. October zwischen Rathenow und Spandau ,

woselbst es durch das Dragoner - Regiment Königin ver stärkt wurde, überschritt am 24. October bei Fehrbellin den Rhin

fluss und marschirte am 25. October von dort nach der Gegend nörd lich Oranienburg ab, um alle Uebergänge über den Rhin, Ruppiner und Finow - Canal und die Havel südlich Liebenwalde zu zerstören, und den Marsch der Hauptarmee über Ruppin, Zehdenick , Templin und Prenzlau auf Stettin zu cotoyiren .

Zwei Schwadronen Würtem

berg- Husaren wurden speciell unter dem Major von Lojewski, einem Schwager Thümen's, zur Sicherung der Havelübergänge bei Oranien burg und Liebenwalde detachirt.

Diese fanden den Feind schon in

Oranienburg ; auf die hiervon gemachte Meldung wurde Seitens des Generals Schimmelpfennig angeordnet, dass am 26. October die Reste von zwei Füsilier- Bataillonen, sowie die Regimenter Schimmelpfennig Husaren und Königin- Dragoner bei Zehdenick die Havel überschreiten und den Finow- Canal von Neustadt- Eberswalde bis zur Oder decken sollten, während der Major von Lojewski mit den übrigen Truppen, unter denen auch die Würtemberg- Husaren waren, zur Vertheidigung des Canals von Neustadt bis Liebenwalde abgeschickt wurde. Die letztgenannte Abtheilung , nun vom Oberst von Wiersbitzki von Köhler-Husaren geführt, nahm auch am folgenden Tage ihre Stellun gen am Finow - Canal ein, ward aber am Nachmittage bei Lieben walde vom rechten Havelufer und dem südlichen Ufer des Canals her mit Ueberlegenheit angegriffen und dort von ihrem Posten ver drängt, so dass sich das ganze Detachement nach Grosz - Schoenebeck zurückziehen musste, wo es sich den Tag über noch hielt , am fol genden aber, nachdem man das Vordringen des Feindes über Zehde nick auf Templin in Erfahrung gebracht hatte, seinen Rückmarsch über Joachimsthal und Angermünde auf Schwedt antrat.

Dort fand man die Brücke schon zerstört , es wurden also die Füsiliere und Jäger auf Kähnen übergesetzt, während die Husaren auf der Berlin Stettiner Strasze nach Vierraden abmarschirten . Trotz der groszen Wichtigkeit des Havelüberganges bei Zehdenick für die Hauptarmee hatte der General Schimmelpfennig doch

die Vertheidigung des dortigen Defilee's und der Stadt dem Regimente Königin - Dragoner allein tiberlassen, welches den Ort zwar mit vieler Bravour vertheidigte, aber auf die Dauer doch gegen die feindliche Uebermacht nicht zu halten vermochte . Der Oberst von Wiersbitzki kam mit 700 Pferden,

Der Oberst Hans von Thümen.

277

dem Reste der beiden Husaren - Regimenter, glücklich nach Stettin, von wo er am 28. October mit einer Compagnie des 3. Musketier Bataillons vom Infanterie- Regimente Kunheim, sowie einer Schwadron Gardes du corps und einer Abtheilung Reitzenstein - Cürassiere zur Besetzung des Passes von Löckenitz als sicheren Rückhalt für die Armee des Fürsten Hohenlohe abrückte. Die Cavallerie war aber noch nicht bei diesem Passe angekommen, als sie die bei Prenzlau stattgefundene Capitulation der Armee, sowie die Gefangennahme der Infanterie Compagnie erfuhr, und also am 29. October von der Randow vor überlegenen feindlichen Streitkräften ihren Rückzug durch Stettin über die Oder antrat. So gehörte Thümen zu den geringen Resten der Preuszischen Armee, welche glücklich über die Oder und Weichsel nach Preuszen kamen.

Wir finden ihn dort im Anfange des Jahres 1807 mit 150

Pferden, den Trümmern des Würtembergischen Husaren- Regiments , hinter der Passarge wieder, als das Preuszische Corps des Generals von L'Estocq um die Mitte des Februars durch zwölf Schwadronen Husaren, acht Schwadronen Dragoner und vier Schwadronen Cü Diese rassiere , zusammen etwa 2600 Pferde , verstärkt wurde. Truppen waren neu formirt aus Abtheilungen , welche sich auf dem Rückzuge der Armee gerettet, aus Depôt's, welche sich mit Ordnung vor der Ankunft des Feindes zurückgezogen, und endlich aus Ranzio nirten ,

welche sich den Augmentationscommissionen freiwillig zur

Verfügung gestellt hatten.

Unter den oben genannten Husaren be

fanden sich auch vier Schwadronen Würtemberg-Husaren , von welchen Thümen eine als Premierlieutenant zur Führung erhielt, welche zur Vorposten - Brigade des Majors von Zieten gehörte.

Diese deckte

die Cantonirungen auf dem rechten Alleufer in der Gegend von Hohenfelde, welche das Preuszische Corps nach dem Rückzuge von der Weichsel und nach der Schlacht bei Preuszisch-Eylau inne hatte. Die Truppen waren zur Vertheidigung des Abschnittes bestimmt, welcher durch den Frisching, die Alle und den Astrawischker Forst gebildet wird, und die bei Königsberg stehende Hauptarmee deckte, welche sich dort nach der Schlacht retablirte und nach den heran gezogenen Verstärkungen wieder gegen die

Passarge

vorrückte .

Schon am 16. Februar gingen zu diesem Zwecke die Vortruppen vor ; die Brigade Zieten, bestehend aus 50 Grenadieren und den vier Schwadronen Würtemberg - Husaren, vertrieb den Feind an diesem Tage aus Allenau, besetzte am 17. Friedland, am 20. Bartenstein und marschirte von hier an den beiden folgenden Tagen gegen Heils berg vor, auf welchem Marsche die Brigaden Stutterheim und Zieten

278

Der Oberst Hans von Thümen.

am 22. Februar ein vortheilhaftes Gefecht vor der Stadt gegen den Feind bestanden. Am 23. Februar wurde weiter gegen Wormditt und bis zur Passarge vorgerückt. Hier finden wir Thümen am 1. März mit seiner Schwadron bei der dritten Vorposten - Brigade unter dem Befehle des Oberstlieutenants von Massenbach ,

welche

mit vier Schwadronen Würtemberg- Husaren, dem Füsilier-Bataillone Wolfarth und drei Geschützen der reitenden Batterie Graumann bei Langwalde westlich Mehlsack die Passarge beobachtete. In dieser Gegend , bei Packhausen, blieb die Brigade auch noch, als ihr am 18. März die Deckung der Passargeübergange von der Plaswicher Mühle bis zum Einflusse der Walsch übertragen wurde, während die beiderseitigen Armeen in weitläuftigen Winterquartieren östlich und westlich dieses Flusses untergebracht waren. Auch nach der am 26. Mai erfolgten Uebergabe der während 76 Tagen tapfer vertheidigten Festung Danzig , zu deren Entsatz die verbündete Armee leider nichts unternommen hatte, finden wir die Truppen in gleicher Weise an der Passarge aufgestellt, nur mit dem Unterschiede, dass das Regiment Würtemberg-Husaren mit dem Füsilier- Bataillone Wackenitz und einer halben reitenden Batterie Graumann nun zur zweiten Vorposten - Brigade des Majors Zieten gehörte,

deren Auf

gabe die Beobachtung des Flusses von Braunsberg bis zur Plas wicher Mühle war. Das Preuszische Corps stand auf dem rechten Flügel der Armee und hatte dort speciell den Zweck Königsberg zu decken, zugleich aber auch bei einem Vorrücken Napoleon's an der Dau zu erwartenden Hauptschlacht mitzuwirken. In der Zwischen zeit hatte Thümen von Sr. Majestät dem Könige unter Beifügung eines die

schmeichelhaftesten Ausdrücke enthaltenden Schreibens,

wie bereits früher angedeutet, den Orden pour le mèrite in Folge des Rapports eines früheren Stabsoffiziers seines Regiments und auf Verwendung des Prinzen Wilhelm von Preuszen zugeschickt erhalten. Ein Brief an seinen bei Lübeck in Gefangenschaft gerathenen Bru der, von ihm datirt vom 19. April 1807 auf den Vorposten an der Passarge, spricht sich darüber mit folgenden Worten aus : „ Obgleich ich immer gegen solche Kleinigkeiten gleichgültig gewesen bin und mich bei früheren Gelegenheiten nie darum beworben habe , so ist es mir doch angenehm und schmeichelhaft diese Auszeichnung bei einer Gelegenheit erhalten zu haben, wo gewöhnlich wenige belohnt Zugleich habe ich die Satisfaction gehabt für diejenigen meiner Untergebenen, so sich ausgezeichnet hatten, die Verdienst

werden.

medaillen zu erhalten. " Hiernach geht Thümen auf die Schilderung seiner persönlichen Stellung in seinem Regimente und seines bisher

Der Oberst Hans von Thümen.

279

sehr schlechten Avancements über, worin er jetzt namentlich wiederum dadurch zurückgesetzt war, dass er eine vacante Escadron nicht als Escadronschef überwiesen erhalten hatte, obgleich er den König um Berücksichtigung gebeten und, wie er sich ausdrückt, alles in Be wegung gesetzt hatte, und Jedermann von der Gerechtigkeit seiner Sache zu überzeugen gesucht hatte.

„ Dennoch blieb ich ,

wer ich

war, " fährt er fort, „ erhielt zwar bei Organisation des Regiments in Brigaden eine Escadron, jedoch nur mit dem Gehalte eines Subaltern offiziers und einer Zulage von 30 Thalern nebst der Anmerkung, dass dies nur provisorisch sei, und sobald ältere Offiziere der Armee ankämen, die jüngeren zurücktreten müssten .

Ich glaubte nun sehr

deutlich zu erkennen, dass man nicht gerecht gegen mich sein wollte, auch wenn sich Gelegenheit dazu darböte ; ich liesz mich daher krank melden und bat um meinen Abschied. Unser gegenwärtiger Brigadier, der Major von Zieten, sämmtliche Stabsoffiziere, sowie meine Kameraden baten mich aber sehr dringend von meinem Vor satze abzustehen und sie unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu verlassen. Der Wunsch, meinem bedrängten Vaterlande so lange als möglich nützlich zu sein,

sowie das Attachement an meine Ge

fährten und ihre für mich schmeichelhafte Aufforderung hatten einen harten Kampf mit meinem gekränkten Ehrgeize und der Gerechtig keit meiner Ansprüche. Erstere siegten und ich gab das Versprechen, meinen Vorsatz noch auf drei Monate zu verschieben und es bis dahin abzuwarten , nehmen würde.

ob mein

Schicksal eine günstigere Wendung

Seitdem hat mich der König zum Stabsrittmeister

ernannt , jedoch mit Beibehalt eines in Gefangenschaft gerathenen Vordermannes . Ich habe hierbei also nichts als den Titel gewonnen. Meine Capitulation geht nun zwar bald zu Ende, so lange ich jedoch nicht die Escadron einem sich in die Gefangenschaft geschlichenen Vordermann abgeben muss , will ich , so lange es meine Gesundheit erlaubt , meinem Vaterlande mit aller Anstrengung dienen ;

beim

einstigen Frieden aber mein Glück in einer anderen Armee oder mit dem Pfluge versuchen. " In Bezug auf den noch viel unglücklicheren Bruder, welcher ohne die geringste Schuld in dem nächtlichen Ueberfalle in Schwartau bei Lübeck in Gefangenschaft gerathen und nun ohne das geringste Einkommen mit Frau und Kindern in Berlin auf eine Gelegenheit zur Auswechslung wartete,

sagt er dann noch in demselben Briefe :

„ Seit lange habe ich vergeblich gewünscht , dass mir ein feindlicher Oberstlieutenant in die Hände fallen möchte, der gegen Dich aus gewechselt werden könnte ; doch solche Vögel sind selten und ich

Der Oberst Hans von Thümen.

280

bin noch nicht so glücklich gewesen. "

Ebenso am 28. Mai auf den

Vorposten bei Braunsberg : „ Du bist zur Auslösung notirt, Gott gebe, dass wir bald auslösen können, unsere Bundesgenossen lieben die Offensive nicht und dabei geht eine Festung nach der andern zum Henker.

Sie sind brave Soldaten , haben aber gar keine taktischen

Kenntnisse, sind als Freunde dem Lande so nachtheilig als der Feind selbst . Dies ist höchst traurig ; denn wir haben leider erfahren, dass 100,000 brave Leute oft nicht wieder gut machen können, was ein Dummkopf verdarb.

So, mein guter Bruder, haben wir leider nicht

das Beste zu hoffen ,

sondern nur einen schimpflichen Frieden zu

erwarten ; ich habe noch nie den Muth verloren , doch manches, was ich nicht der Feder anvertrauen kann, macht mich sehr misstrauisch. " Trotz dieser Befürchtungen rückte nun aber doch die Armee am 3. Juni und den folgenden Tagen vor, um die Französischen Corps einzeln zu überfallen. Nach dem Misslingen dieses Unternehmens ordnete Napoleon ein Vorgehen seiner einzelnen Corps an. Schon am 8. Juni wurden die Vorposten an der Passarge allarmirt.

Man

zog sich dort bald auf Mehlsack zurück , während die Hauptkräfte der Französischen Armee zu der am 10. Juni stattfindenden Schlacht bei Heilsberg zusammengezogen wurden. Wenngleich dieselbe nicht entschieden siegreich für den Feind ausfiel ,

so hatten die Manöver

des folgenden Tages doch den Nachtheil für die Verbündeten, dass sie von der See und der Verbindung mit Königsberg abgedrängt wurden, und die Deckung dieser wichtigen Stadt nun dem schwachen L'Estocq'schen Corps allein zufiel , welches sich über Zinten Mahnsfelde abzog .

und

Der Russische Oberbefehlshaber hingegen wollte

sich mit dem letzteren wieder in Verbindung setzen und hinter dem Pregel die längst erwarteten Verstärkungen abwarten.

Er marschirte

deshalb auf dem rechten Alleufer nach Friedland ab , das er am 14. Juni mit seiner Armee erreichte.

An demselben Tage gelangte

das Preuszische Armeecorps nach Königsberg und vertheidigte das selbe im Vorterrain und von den Wällen der Stadt gegen die An griffe der drei verfolgenden Französischen Corps,

musste dasselbe

indess nach der unglücklichen Schlacht bei Friedland am 15. Juni aufgeben und sich eiligst hinter die Deime und von dort nach Mehl lauken zurückziehen .

Auf diesem Rückmarsche gehörte das Regi

ment Würtemberg - Husaren zur Arrièregarde unter dem Generale von Stutterheim, vollführte denselben am 16. Juni nach Labiau und von dort am 17. Juni nach Mehllauken .

An diesem Tage bestand

die äuszerste Arrièregarde unter dem Major Zieten ein ruhmvolles Gefecht , bei welchem Thümen Gelegenheit hatte, sich vortheilhaft

1

Der Oberst Hans von Thümen. auszuzeichnen.

281

Bei der Ankunft in Labiau traf nämlich eine feind

liche Colonne von Tapiau aus gleichzeitig dort ein, mit deren Vor truppen sich ein lebhaftes Gefecht entspann, in dessen Verfolg die Franzosen zugleich mit den Preuszischen Husaren über die Deime brücke vordrangen, jedoch der weitere Rückmarsch der Preuszen über Schellecken nach dem Baumkruge nicht weiter vom Feinde belästigt wurde .

Hier, am Baumkruge, dem Eingange zum groszen

Baumwalde, musste indessen der Major von Zieten eine zweistündige Rast mit seinen Truppen machen, weil dieselben durch die drückende Hitze des Tages zu ermüdet waren, um noch weiter fortzukönnen, auch schon einige Tausend Marodeure am Wege liegen geblieben . Um 2 Uhr Nachmittags wurde das Rendez -vous indessen durch das verfolgende

12. Französische

Chasseur - Regiment

gestört.

Zieten

brach also mit seinen ermatteten Truppen durch den Baumwald nach Mehllauken auf, indem er dem Rittmeister von Thümen mit zwei Schwadronen Würtemberg - Husaren

und

dem

Füsilier - Bataillone

Wackenitz , welches von 490 Mann, mit denen es aus Königsberg ausmarschirt war, nur noch etwa 100 Mann hatte , als Nachtrab zurückliesz . Um den Feind in respectvoller Entfernung zu halten , machte Thümen sofort einen glücklichen Angriff auf die feindlichen Jäger, welche

in Folge

dessen nicht weiter nachdrängten .

Kaum

war

man aber etwas weiter zurückgegangen, als das Gefecht durch zwei betrunkene Russische Ulanen, welche gegen die feindlichen Chasseurs vorsprengten und dieselben ihrerseits zur Verfolgung anreizten , von Neuem angeregt wurde.

Der Major Zieten wollte die Vertheidigung

des Dammes durch den Wald anfangs der Leib- Compagnie des genannten Füsilier - Bataillons übertragen , und

die Husaren hinter

dieselbe zurückziehen, da aber diese Compagnie nicht ihre Schuldig keit that , musste Thümen noch drei Mal mit seinen Husaren zur Attacke vorgehen , an welcher auch sein Schwager , der Major von Lojewski von demselben Regiment, welcher mit seiner Escadron zur Unterstützung Thümen's vorgegangen war, Theil nahm , aber leider gefangen wurde.

Dem Feinde wurde zwar ein erheblicher Verlust

beigebracht , doch waren die Husaren auch so ermattet , dass

der

Major von Zieten den drei anderen Füsilier-Compagnien unter dem Hauptmann Stach von Goltzheim die Deckung des weiteren Rück zuges bis zum Schwentoje - Flusse übertragen muszte , woselbst Thümen durch schnelles Abbrechen der Brücke der weiteren Ver folgung Seitens des Feindes ein Ziel setzte .

Der Verlust der vier

Husaren - Schwadronen betrug an diesem Tage 15 Todte , 23 Ver

Der Oberst Hans von Thümen.

282

wundete, welche letztere aber mitgeführt wurden, und 11 Vermisste ; vom Füsilier-Bataillon Wackenitz waren nach dem Gefechte noch 62 Mann und beim Eintreffen in Mehllauken noch 30 Mann übrig.

Von die

sem Orte ging der weitere Rückmarsch der Truppen des Majors Zieten nach Gerhardswalde. Am 18. Juni aber befand sich das Regiment Würtemberg Husaren bei dem Detachement, welches unter dem Oberstlieutenant von Below, aus sechs Compagnien und vier Escadrons bestehend , die Gilge bei Sköpen überschreiten und dort bis zu dem am 25. Juni abgeschlossenen Waffenstillstande die Be obachtung dieses

südlichen

Memelausflusses

übernehmen

musste.

Nach demselben bezog das Preuszische Corps weitläuftige Canton nirungsquartiere hinter der Russ und Gilge , in denen es der am 9. Juli zu Tilsit unterzeichnete Friede traf. Noch am 11. Juli war derselbe den Truppen nicht bekannt geworden, wie aus einem Briefe Thümen's an seinen Bruder von diesem Datum hervorgeht, worin es heiszt : ,, Ob ich gleich ganz nahe an dem Orte bin, wo die Friedens unterhandlungen betrieben werden , und selbst dagewesen bin , um die drei Monarchen zu sehen , so kann ich doch von unseren Hoff nungen wenig Zuverlässiges sagen . Wenn Du diesen Brief erhältst, wird die mungen

Sache

ohnedies

wohl AC klar sein ."

Den Friedensbestim

gemäsz

verliesz

die

Armee allmälig die

Französische

Preuszischen Staaten ; wie langsam dieser Rückzug indessen aus geführt wurde und wie sehr darunter die schon so ausgeplünderten Provinzen zu leiden hatten , sehen wir aus zwei Briefen Thümen's, von denen der erste auf dem Rückmarsche der Preuszischen Truppen, welche den Franzosen nachfolgten, der andere aus Schlesien, wohin er zum Besuche von Frau und Kindern Urlaub genommen hatte. Bohmhöfen bei Braunsberg, den 1. August : „ Der Friede ist immer noch erträglich genug , wenn man unsere Lage und die traurige Stütze auf unsere Alliirten bedenkt . Gott bewahre Jeden vor Freunden, wie die Russen sind , sie haben das Land mehr ruinirt, als der Feind selbst.

Diese Provinz hat sehr viel gelitten, man muss

es der groszen Nation lassen , sie versteht sich auf's Rauben und Marodiren.

Hierzu kommt noch die Viehseuche, welche das wenige

übrig gebliebene

Vieh fortrafft und so

auch wahrscheinlich eine

Folge des Krieges ist ; denn da man unersättlich im Beitreiben des Viehes ist , selbiges überjagt , alsdann wieder verkauft , so kann es nicht gesund bleiben und muss das andere anstecken .

Unter diesen

traurigen Umständen folgen wir dem Feinde auf dem Fusze ; denn da sie auch nach abgeschlossenem Frieden ihrer Raubsucht keine Grenzen setzen , und sich Excesse aller Art erlauben , so kann und

Der Oberst Hans von Thümen. muss man sie noch als Feinde ansehen .

283

Es ist sehr leicht möglich,

dass wir vielleicht bis zur Elbe folgen müssen.

Da die Armee , be

sonders die Cavallerie ganz anders organisirt werden soll , so ist hierzu eine eigene Commission niedergesetzt worden , bei welcher der General von Scharnhorst präsidirt. Commission

ist ,

der einige

Da Niemand bei dieser

Kenntnisse von

der Oekonomie der

Husaren hätte , so bin ich kürzlich zum Mitgliede in Vorschlag ge bracht worden.

Ich freue mich hierauf keinesweges ; denn im Frieden

nimmt man nie Rücksicht auf diese Truppe, welche man im Kriege doch so gern hat , und wie wenig würde man auch auf Vorschläge und Vorstellung eines armen Wurmes wie ich bin , reflectiren .

An

unserem Brigadier habe ich einen groszen Gönner gefunden, welcher mich schon mehrere Male

empfohlen und sich noch kürzlich viele

1 Mühe gegeben hat, mich ins Kriegscollegium zu bringen, es ist aber hierzu wenig Hoffnung."

Kraschen, den 20. December 1807. „ Ich habe seit zwei Monaten das Glück genossen, welches mir die Vereinigung mit den Meinigen gewährte , welche ich aber in Kurzem verlassen muss , da die Französischen Truppen die Passarge noch nicht verlassen haben und es überhaupt noch keinen Anschein hat , als wenn sie unsere Staaten räumen wollten. Seit meiner Ab wesenheit von der Armee sind verschiedene Veränderungen vor gefallen , welche für mich sehr unangenehme Folgen gehabt haben. Der schlechte Zustand der Finanzen hat eine Verminderung der Cavallerie nothwendig gemacht.

Man hat den Rest des Regiments

Würtemberg-Husaren auf zwei Escadrons gesetzt , hierzu ist der des Regiments Usedom gestoszen , formirt werden.

aus welchem auch zwei Escadrons

Die Escadron , welche ich durch die ganze Cam

pagne zur Zufriedenheit meiner Vorgesetzten und zu meiner eigenen Ehre geführt habe, deren wirklicher Chef ich sein sollte , wenn man nicht ungerecht gegen mich gewesen wäre , ist aufgelöst worden . Kurz vor der erwähnten Formation

schrieb mein Brigadier , der

Oberstlieutenant von Zieten, an den König und empfahl mich seiner Gnade, indem er beabsichtigte, dass ich die Escadron behalten sollte. Der König antwortete :

„ Der Rittmeister Thümen ist mir schon als

ein sehr brauchbarer und gut dienender Offizier bekannt, ich werde denselben nochmals notiren lassen , um ihn nach Verdienst zu be rücksichtigen." oben.

Die Berücksichtigung erfolgte acht Tage später wie

Schlieszlich bemerke ich noch, dass die übrigen Offiziere auf

halbes Tractement gesetzt sind, die Leute beurlaubt und die übrigen Pferde theils verkauft , theils an die Bauern gegeben worden sind.

Der Oberst Hans von Thümen.

284

Obgleich Schlesien im Vergleiche mit Preuszen ungleich weniger ge litten hat , und man dem Könige von Westphalen die Gerechtigkeit widerfahren lassen muss, dass seine untergebenen Truppen gröszten theils die beste Mannszucht halten so z. B. haben ganz nahe bei den Gütern meines Schwiegervaters theils cantonnirt , worden

8000 Mann theils bivouakirt,

und es ist ihm auch nicht ein Huhn gestohlen

, so habe ich doch durch Lieferungen ohne Zahl, Einquartie

rungen und andere Kriegslasten sehr viel verloren .

Die Einquartie

rungen in meinem Hause , in meiner ehemaligen Garnison , welche ich durch fremde Leute habe müssen bewirthen lassen , kostet mir auch Ansehnliches , sowie ich beim einstigen Verkaufe gewiss sehr viel verlieren werde." Das neue Husaren - Regiment , in welchem Thümen bei der Re organisation der Armee anfangs noch als Stabsrittmeister ohne Es cadron angestellt wurde , in welchem er aber am 20. August 1808 zum wirklichen Rittmeister und Escadronschef avancirte , hatte anfangs

nach einer Cabinetsordre vom 16. October 1808 den Namen „ Husaren-Brigade Zieten “ nach dem Commandeur derselben Oberstlieutenant von Zieten. Diesen Namen änderten die Befehle vom

7. und 14. September 1808 in Niederschlesisches Husaren Regiment um , der wiederum bei der Cabinetsordre vom 16. No

vember d. J. befohlenen Armeeeintheilung in Brigaden in 1. Schle sisches Husaren - Regiment verwandelt wurde , indem zugleich dies Regiment mit dem 2. Schlesischen Husaren-Regimente, früher Ober schlesischen und vordem Husaren- Brigade Dziengel, der Oberschle sischen Brigade zugetheilt wurde . Diese beiden Husaren-Regimenter verschmolz der Höchste Befehl vom 5. December 1808 zu einem 1. Schlesischen Husaren- Regimente (Husaren - Regiment Nr. 4), welcher alte Name bei

der

hergestellt wurde .

neuesten Reorganisation

der Armee

wieder

Die Garnisonen des Regiments waren nach den

Bestimmungen des 26. Novembers 1808 Creuzburg, Gutentag, Gleiwitz, Ratibor ; in welcher von denselben Thümen stand, war aus den von ihm hinterlassenen Papieren nicht zu ermitteln . Aus einem Briefe vom 6. Juni 1810 geht nur hervor, dass zu jener Zeit Oppeln seine Garnison war, und am 15. desselben Monats eine Veränderung durch die Verlegung der Escadron nach Frankenstein eintrat.

Von hier

ging er während des folgenden Monats Juli nach Landeck ins Bad, weil leider seine Frau sehr kränklich war , und er selbst viel an Missmuth und Verstimmung litt , welche in neuerer Zeit noch durch den am 17. Februar 1810 erfolgten Tod seines Vaters vermehrt worden waren . In demselben Jahre hatte die Oberschlesische Bri

Der Oberst Hans von Thümen.

285

gade , zu welcher die beiden Schlesischen Husaren - Regimenter ge hörten , grosze Revue vor dem Könige , wobei Thümen's Regiment sich die Zufriedenheit desselben in ganz besonderem Maasze erwarb . Am 25. März des folgenden Jahres trat wiederum eine Veränderung in dem Aufenthaltsorte Thümen's dadurch ein, dass er nach 29jähriger Dienstzeit zum Major , doch nur als Charaktererhöhung mit Beibe haltung der Escadron befördert und nach Pless versetzt wurde. Von dieser Stadt sagt er in einem Briefe vom 10. Januar 1812 :

. „ Meine

jetzige Garnison ist ein niedlicher Ort , es giebt viele gebildete charmante Leute , viel Leben am Hofe , der Fürst artig. " Am 16. April , als er die frohe Avancementsbotschaft noch nicht be kommen hatte , schrieb er seinem Bruder aus Frankenstein : „ Ich danke Dir sehr für Deinen gütigen und brüderlichen Antheil, welchen Du an meinem Avancement hast nehmen wollen. Der Einschub, welchen ich durch den Major von Goltz erhalten , ist in mehrerer Rücksicht kränkend für mich. Der König hat zwar versprochen , dass er mich anderwärts mit Vortheil anstellen wolle , indess der gleichen Versprechungen werden gewöhnlich vergessen, und tritt der Fall auch wirklich ein , so verliere ich doch bis dahin das Stabsoffizier Tractement , muss vielleicht in eine entfernte Provinz ziehen , eine vorzüglich schöne und gute Escadron abgeben , deren Leute und Pferde mich manche Aufopferung kosten , und welche ich nicht so gut wieder bekommen kann , wenn ich selbst eine Garde - Escadron erhielte. " Mit dem Jahre 1811 wurden die politischen Verhältnisse Preuszens wiederum sehr verwickelt durch die Gewitterwolken, welche sich immer mehr zusammenzogen , um sich dann in dem darauf folgenden Sommer in dem groszen Kriege Frankreichs und seiner Verbündeten gegen Russland zu entladen. Noch war man nicht einig , mit welcher Partei man es halten sollte , man rüstete nur, ohne zu wissen, ob man mit Frankreich gegen den alten Bundes genossen, die Russen ziehen, oder ob man mit diesen vereint sich den Uebergriffen Napoleon's widersetzen sollte.

Am 18. September 1811

schrieb daher Thümen aus Pless :

„ Obgleich es hier in Schlesien sehr ernsthaft aussieht, so leben wir doch in Hinsicht der politischen Conjuncturen in tiefster Finsterniss , indem wir in diesem Winkel

von den etwaigen Anstalten der beiden anderen groszen Mächte auch nicht das Mindeste wissen. Alles ist in Erwartung der Dinge und die Meinungen natürlich sehr getheilt : so viel scheint mir ge wiss zu sein, dass wir unsere Anstrengungen und die dadurch ver ursachten bedeutenden Kosten nicht werden lange ertragen können. Erlaubt es Deine Pflicht, so wirst Du mich unendlich verbinden, mir

Der Oberst Hans von Thümen.

286

Deine Meinung, die ich stets als die richtige erkannt habe, hierüber mitzutheilen. "

Bis zum Frühjahre des Jahres 1812 klärten sich nun

die Verhältnisse auf , der König entschloss sich , durch die Noth wendigkeit gezwungen, auf die Seite Frankreichs zu treten und ein Hülfscorps zur groszen verbündeten Armee gegen Russland zu stellen. Auch Thümen

war dazu bestimmt ,

an diesem Kriege Theil zu

nehmen, um in demselben seine Kriegserfahrungen um Vieles zu be reichern. Es ist bekannt , dass dieser Krieg bei vielen Militairs Unzu friedenheit erregte nehmen ,

und

manche

es

vorzogen ,

den Abschied zu

um nicht gegen Russland als Verbündete der Franzosen

fechten zu müssen .

Bei Thümen's Regiment that der Major von der

Goltz diesen Schritt und Ersterer rückte nun in die wirkliche Majors und Stabsoffiziersstelle ein. Er urtheilte über den Krieg als ächter Soldat , frei von allen Vorurtheilen und den Gehorsam als die erste Soldatenpflicht betrachtend.

„Ich für mein Theil, " schreibt er,,,gehe

recht gern dahin , wo mich die Ehre ruft und mich mein König nöthig hat."

Am 15. März wurde seine Escadron mobil gemacht,

rückte am 20. von Pless nach Breslau ab , vereinigte sich dort mit einer

anderen

Schwadron

des

Regiments , sowie

mit zwei des

2. Schlesischen Husaren-Regiments Nr. 6, und formirte so unter dem Befehle des Majors von Eicke , Commandeur des 2. Husaren- Regiments, das Husaren- Regiment Nr. 3.

Schlesischen

Thümen's Gönner,

der Oberst von Zieten, hatte sich für ihn um die Regimentscomman deurstelle bemüht, konnte dies aber bei dem Höchstcommandirenden des Corps , Generallieutenant von Grawert , nicht durchsetzen .

Im

Monate April versammelten sich die in Schlesien mobil gemachten Truppen, bevor sie nach Preuszen abmarschirten, unter dem General major von Kleist zwischen Oels und Breslau.

Thümen stand mit

den beiden Schwadronen seines Regiments in Polnisch-Wartenberg , und schrieb von da am 11. Mai , dass der Aufbruch der dort con centrirten Truppen noch nicht bestimmt sei ,

während die beiden

Schwadronen des 2. Schlesischen Husaren - Regiments schon früher abgerückt waren, Anfang Mai's bei Conitz standen und am 11. d. Mts. bei

Königsberg

eintrafen.

Dieselben gehörten dort

zum linken

Flügel der Avantgarde unter dem Generallieutenant von Massenbach und cantonnirten am 13. Mai bei Tapiau.

Die übrigen Schlesischen

Truppen marschirten am 22. Mai von Schlesien aus und trafen am 18. Juni in der Gegend von Insterburg ein , woselbst der Kaiser Napoleon über das Füsilier-Bataillon des Regiments Nr. 5 (Füsilier Bataillon des 2. Westpreuszischen Infanterie-Regiments) , das 1. Ba

Der Oberst Hans von Thümen.

287

taillon Regiments Nr. 6 (2. Bataillon des 1. Schlesischen Infanterie Regiments) und

zwei

Escadrons

des

1.

Schlesischen

Husaren

Regiments , letztere unter dem Major von Thümen, Revue abbielt. Der Kaiser drückte seine besondere Zufriedenheit über die Haltung der Truppen aus und war sehr verwundert und erfreut bei den Husaren keine gedrückten Pferde zu finden. Dass eine derartige Ordnung und Disciplin in der Französischen Armee nicht war , be weist die bei dieser Gelegenheit von Seiten Napoleon's an Thümen gerichtete Frage , wie viel gedrückte Pferde er bei seinen beiden Schwadronen habe , welcher die Antwort „ Keines " folgte . Dieser schenkte jedoch der Kaiser so wenig Glauben , dass er sofort den Befehl zum Absatteln sämmtlicher Pferde gab , um sich durch den eigenen Augenschein von der Richtigkeit zu überzeugen.

Sämmt

liche Pferde wurden gesund vorgefunden , das Lob des Kaisers hierüber gab ihm aber auch zugleich Gelegenheit zu einer ordent lichen Strafpredigt an die Französischen Befehlshaber , welche sehr viel gedrückte Pferde hatten. Zwei Tage darauf fand die Vereini gung der aus Schlesien gekommenen Truppen mit dem übrigen Corps statt. Thümen erhielt am 22. Juni mit seinen Husaren Quartiere südwestlich Tilsit, wo Tags darauf auf einer Pontonbrücke die neu formirte Avantgarde des Corps die Memel überschritt. Zu dieser Avantgarde des Generallieutenants von York und des Obersten und Commandeurs der 2. Cavallerie- Brigade von Jeanneret gehörte auch das Husaren-Regiment Nr. 3 und haben wir also während des Feld zuges Thümen bei ihr zu suchen. Am 25. Juni

rückte

die Avantgarde

nach Piktupönen

und

Gegend vor und überschritt von dort am 28. bei Tauroggen die Russische Grenze . Der Vormarsch geschah am 1. Juli durch Rossienna und dann weiter auf der Strasze nach Riga und Mitau, welcher letztere Ort am 20. Juli von den Preuszen besetzt wurde , während man bis zum Augustmonat bis in die Nähe der Festung Riga mit der Hauptmacht vordrang. Zur Sicherung der linken Flanke derselben waren Detachements bis zur Ostsee vorgeschoben, eines derselben , bestehend aus einer Compagnie des Füsilier Bataillons Nr. 1 und den beiden Schwadronen des 1. Schlesischen Husaren-Regiments , stand vom 23. Juli an unter dem Befehle Thümen's in St. Annen am Rabbit - See , und wurde dort am 5. August bei einem Ausfalle der Russen aus Riga mit groszer Ueberlegenheit an gegriffen, so dass es sich längs des Aaflusses bis Kliwenhof zurück ziehen musste . Der Verlust der Husaren belief sich dabei auf vier Pferde.

Am folgenden Tage ging das Detachement Thümen's noch

Der Oberst Hans von Thümen.

288

weiter nach Wolgund zurück und diente dort als äuszerste Avant garde für die bei Mitau und Zennhof an der Eckau stehenden Truppen des Generalmajors von Kleist.

Diese wurde am 8. August

noch verstärkt und ging nun wieder zur gröszeren Sicherheit Mitau's bis Kliwenhof vor, den Feind mit Energie zurücktreibend, wobei sie es besonders mit dem auf dem Aaflusse befindlichen Kanonenbooten zu thun hatte . Thümen selbst rückte am 10. August auch wieder nach St. Annen vor, musste aber von dort am 13. abermals nach Kalnzeem und Kliwenhof zurückgehen . Recognoscirungsgefecht

Am 22.

August fand

ein

groszes

Seitens der Russen statt , in welchem der

Angriff sich besonders auf die von dem rechten Flügel der Preuszen besetzte Position von Oley richtete.

Thümen , der auf dem linken

Flügel stand , sah sich auch dort angegriffen und zogen sich die Preuszen fechtend zurück , nahmen jedoch in den folgenden Tagen ihre alten Stellungen wieder ein .

Es begannen nun nach der An

kunft des nöthigen Materials und der Französischen Genietruppen die Vorbereitungen zur Belagerung der Festung Riga ; gleichzeitig erhielt das

Russische Corps aber bedeutende Verstärkungen

aus

Finnland . Um die Arbeiten zn stören, machten die Russen mehrere Ausfälle auf das Preuszische Einschlieszungscorps und zwangen dasselbe in den Tagen des 27. und 28. Septembers, Mitau aufzugeben und bis hinter den Aafluss zurückzugehen . Am 29. und 30. September gingen indess die Preuszen wieder über die Aa vor . Zu dieser Expe dition hatte das Corps eine neue Eintheilung erhalten , wonach die vier Escadrons des Husaren- Regiments zusammen zur Avantgarde des Obersten von Jeanneret gehörten .

Diese überschritt bei Mesoten die

Aa und vertrieb am ersten Tage den Feind bis zum Kosakenkruge, ging am zweiten gegen Annaburg vor , und hatte bei dieser Ge legenheit ein Gefecht beim Lautschkruge , in welchem sich die Husaren sehr vortheilhaft auszeichneten. Die Preuszischen Füsiliere drangen heftig vor , indem sie die feindlichen Tirailleure von einer Stellung in die andere vertrieben.

Diesem versuchten das 3. Rus

sische Jägerregiment und das Reserve-Bataillon Schranken zu setzen, indem sie mit dem Bajonnet angriffen .

Noch waren sie aber nicht

mit den Unsrigen handgemein geworden, als ihnen 2½ Escadrons des Husaren - Regiments Nr. 3 im

entscheidenden Augenblicke in die

Flanke fielen , sie aufrollten und den gröszten Theil derselben zu Gefangenen

machte.

Die

nachher

herangekommenen Russischen

Dragoner und Kosaken konnten ihnen dieselbe nicht mehr abjagen, weil die brave Preuszische Infanterie sofort unterstützend eingriff. Das Vorrücken der Preuszen wurde am 1. und 2. October fort

Der Oberst Hans von Thümen.

289

gesetzt, die Avantgarde, bei welcher Thümen die beiden Schwadronen. seines Regiments führte, vertrieben den Feind aus Garossenkrug und über die Eckau ; auch Mitau wurde wieder besetzt. In den folgen den Tagen erhielt die Preuszische Division von dem 10. Franzö sischen Corps Verstärkungen und wurde hierdurch in den Stand ge setzt , wieder in die früheren Positionen mit den Vortruppen ein zurücken ; es geschah dies am 14. October , die Belagerung Riga's wurde indess aufgegeben , man nahm den Park nach Preuszen zurück. Thümen kam mit seinen beiden Schwadronen wieder nach Kliwenhof und Kalnzeem.

Am 21. October stieszen die vier Schwa

dronen des Husaren - Regiments Nr. 3 wieder zusammen und gingen hinter die Eckau in Cantonnirungsquartiere zurück .

Bis zum 27. No

vember blieben sie dort stehen ; da traf der Befehl ein , dass die beiden Schwadronen des 1. Schlesischen Husaren-Regiments die bei Eckau selbst auf dem rechten Flügel der innegehabten Stellung stehenden beiden Escadrons Dragoner des Regiments Nr. 2 vom Detachement des Obersten von Horn ablösen sollten. Am

2. December traf Thümen

Eckau ein

also mit seinen Husaren in

und wurde dort in einem groszen Allarmhause an der

Rigaer Strasze untergebracht. In diesem nicht sehr angenehmen Aufent halte musste er noch bis zum 19. December campiren ; da endlich wurde vom Commando des Corps der Rückmarsch der Truppen desselben befohlen, nachdem die sichere Nachricht von dem gänzlichen Unter gange der groszen Französischen Armee eingetroffen war und man in Erfahrung gebracht hatte , dass bereits

feindliche Truppen im

Rücken des Corps bei Rossienna und Tauroggen angekommen waren. An dem genannten Tage brach das Detachement des Obersten von Horn auf und vereinigte sich am 22. December mit dem Hauptcorps des Generals von York, welches seine Marschrichtung auf Memel nahm . Am 23. December theilte sich das Corps in zwei Colonnen, die eine führte der General York selbst , die andere der General von Kleist ; beide vereinigten sich auf Befehl des Französischen Marschalls am 25. je doch wieder ,

wurden aber gleichzeitig , auf dem sehr beschneiten

Wege und mit einem ungeheueren Wagentrain belastet , von den Russen unter dem Generale von Diebitsch in der Front und von dem Generale Colwis, welcher von Riga gefolgt war, angegriffen. Die so herbeigeführte üble Lage ་ des Corps führte zu der ewig denkwür digen, am 30. December in der Mühle von Poscherun abgeschlossenen Convention ,

in Folge deren dasselbe

Erholungsquartiere

in

der

Gegend von Tilsit bezog. Aus denselben folgte der Generallieutenant von York mit seinem Corps allmälig dem Russischen Corps des Generals 19 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Der Oberst Hans von Thümen.

200

Grafen Wittgenstein , anfangs bis Königsberg , dann in der Zeit vom 23. Januar bis 6. Februar 1813 bis in die Gegend von Elbing. Von hier wurde Thümen durch Cabinetsordre vom 15. Februar 1813 ab berufen, indem er durch dieselbe anfangs zum interimistischen, nach her zum wirklichen Commandeur des Pommer'schen Husaren- Regi ments ernannt wurde. In diesem Regimente machte er nun die Frei heitskämpfe der Jahre 1813 und 1814 mit.

Die erste und dritte

Escadron des Regiments hatte unter Führung des früheren, in Russ land gebliebenen Commandeurs, Obersten von Czarnowski den Feld zug des Jahres 1812 und zwar bei der groszen Armee mitgemacht, und bedurften daher der Reorganisation, weil sich bei der Rückkehr von 324 Mann nur 51 in der Front befanden . Mit Hülfe vieler Frei willigen wurde nun in kurzer Zeit die Neuformation der beiden Es cadrons unter Thümen's Leitung in Cörlin, Cöslin und Stargard voll führt, während die beiden intakten Escadrons des Regiments schon gleich beim Beginne des Krieges zu dem vor der Festung Stettin stehenden Preuszischen Einschlieszungscorps abgerückt waren. Im Monat Juni folgten die neugebildeten Eskadrons den ersten beiden, so dass das Regiment nun vereint bei Gollnow bis zu der Zeit stand, wo es nach der Sächsischen Grenze in die Gegend von Mühlrose und Beeskow abrückte und daselbst bis zum Ende des Waffenstill standes zu den Vorposten des dritten Preuszischen Armeecorps unter dem Generale von Bülow gehörte, und zwar zu dessen fünfter Divi sion , welche der Generalmajor von Borstell befehligte.

Hier stand

Thümen mit seinem schon genannten älteren Bruder bei einem Corps ; der ältere Thümen war nämlich Chef der vierten Division . Derselbe war aber jetzt noch vor Beendigung des Waffenstillstandes und vor der Zusammenziehung des Corps in Potsdam auf Urlaub. vertraute er in

Von dort

dieser Zeit auch seinem jüngeren Bruder

seinen

zweiten Sohn August an, damals 15 Jahre alt, und liesz diesen beim Pommer'schen Husaren - Regimente als Freiwilliger auf Avancement eintreten.

Nach Abschluss des Waffenstillstandes, am 21. Juni, traf

der Commandeur des Regiments mit

zwei Schwadronen und dem

in Pommern auch noch formirten Jägerdetachement beim Bülow' schen Corps ein , die anderen beiden Escadrons kamen erst später an. Am 15. Juli stand Thümen dann in Mühlrose und am 17. Au gust, bei Ablauf des Waffenstillstandes, in Motzen in Quartier, wo selbst er die Vorposten der Division Borstell, welche auf dem äuszer sten linken Flügel stand und deren Stabsquartier in Mittenwalde war, befehligte. Zu dieser gehörte auszer der ersten Escadron seines Regiments auch noch das zweite Bataillon 1. Pommer'schen Infan

Der Oberst Hans von Thümen.

291

terie-Regiments sowie ein Pulk Kosaken und hatte dieselbe die Strasze von Mittelwalde auf Baruth zu beobachten. Gleich in der ersten Nacht nach Ablauf des Waffenstillstandes schickte Thümen Recognoscirungs patrouillen vor , Lieutenant

von denen es der einen, welche sein Adjutant, der

von Kalkreuth führte ,

gelang , den Obersten

Grafen

Seyssel d'Aix, Commandeur des Baierischen Chevauxlegers -Regiments , welches der diesseitigen Vorpostenabtheilung gegenüberstand , ge fangen zu nehmen und vor Thümen zu führen. Dieser empfing ihn, wie der spätere Oberst a. D. Kalkreuth in seinen bisher unge druckten Erinnerungen, geschrieben zu Berlin im April 1857 , erzählt, sehr artig und bevor er ihn zum Generale von Borstell nach Mitten walde absendete, frug er ihn, ob er auch vielleicht Geld gebrauche, worauf jener um 6 Stück Friedrichsd'or bat , welche er auch sofort erhielt , und deren Rückzahlung auch nach der Ankunft des Grafen in Berlin erfolgte, wie er beim Empfange versprochen hatte. In der genannten Vorpostenaufstellung bei Motzen blieb Thümen bis zum 22. August ; am 18. August allarmirte der Feind seine Feldwachen, derselbe begnügte sich jedoch damit, diese Wachen bis zum Soutien bei Motzen zurückgedrängt zu haben und dann wieder abzuziehen . Am 22. August marschirte die Division Borstell von Mittenwalde zur Vereinigung mit dem dritten Armeecorps auf Befehl des Generals von Bülow nach Heinersdorf ab, welche dann bei Grosz-Ziethen am Vormittage des 23. August bewerkstelligt wurde.

Thümen nahm an

diesen Bewegungen nur mit der ersten und dritten Escadron und dem Jägerdetachement seines Regiments Theil, da die anderen beiden Escadrons unter dem Major von Arnim bei Mittenwalde zur Beun ruhigung der feindlichen Verbindungslinie von Jühnsdorf nach Ba ruth zurückgeblieben waren.

Von Grosz -Ziethen marschirte das ver

einigte dritte Armeecorps nach Heinersdorf, ruhte dort kurze Zeit und setzte sich dann am Nachmittage des 23. Augusts nach den so eben vom Generale von Bülow ausgegebenen Befehlen zum Vormarsche gegen den Feind in Bewegung. Aus diesem Vormarsche entstand die denkwürdige Schlacht bei Grosz- Beeren , bei welcher die Division Borstell zur Reserve bestimmt war,

dann aber zur Deckung der

linken Flanke auf Klein - Beeren abmarschirte. Ueber den Angriff, welchen dann die beiden Escadrons des Pommer'schen Husaren-Re giments unter Thümen's Führung in Gemeinschaft mit vier Esca drons des Westpreuszischen Ulanen-Regiments und ebenso viel vom ersten Pommer'schen Landwehr Cavallerie- Regimente unter dem Ober befehle des Generals von Borstell selbst auf zwei Französische In fanterie Bataillone der Division Durutte und fünf Escadrons Säch 19 *

Der Oberst Hans von Thümen.

292

sicher Ulanen machten , wobei acht Geschütze und mehrere Muni tionswagen erobert wurden , erzählt der Oberst von Kalkreuth in seinen Erinnerungen Folgendes : „Wir gingen am frühen Morgen von Motzen durch Mittenwalde und kamen bei fortwährend sehr starkem Regen gegen Mittag bei Heinersdorf an.

Eine Menge Berliner Einwohner zu Wagen und zu Fusz brachten uns Lebensmittel aller Art ; wir glaubten hier bei Heiners dorfein Bivouak zu beziehen, da bereits hierzu Anstalten getroffen waren,

doch ganz unerwartet hören wir gegen 3 Uhr Nachmittags in unserer Nähe eine bedeutende Kanonade, bald darauf marschiren wir nach dieser Gegend ab und kommen bei Klein-Beeren an , wo unsere In fanterie bereits im Gefechte war. Nach einigen Stunden passirten wir dies Dorf und fanden Grosz - Beeren in lichten Flammen , aber von unserer Infanterie genommen ; wir gehen hierauf im Trabe durch das brennende Dorf auf dem Wege gegen Genshagen vor. An der Lisière des ungefähr 800 Schritt vom Dorfe Grosz - Beeren entfernten Waldes steht Sächsiche Cavallerie, mit den beiden Escadrons unseres Regiments sollen wir diese attackiren . ginnen ,

sehe ich

Wie wir unsere Attacke be ein Bataillon im Carré rechts voraus mit halb

links über das Terrain nach dem Walde marschiren ; dies kam mir verdächtig vor , ich sage also zum Major von Thümen , wie ich glaubte, dass diese Infanterie Franzosen wären, doch dieser will es nicht glauben . Während dem sind wir ziemlich nahe herangekommen, und einige Infanteristen, durch das Geräusch unserer Pferde aufmerk sam gemacht , sehen sich um ; nun erblicke ich ganz deutlich die viereckigen blechernen Schilde vor den Czako's und rufe laut : „Es sind Franzosen. " Da dies Bataillon gerade vor unserer Front mar schirte, ritten wir dasselbe über und über, die Leute desselben warfen sich zur Erde ;

da ihre Gewehre in dem starken Regen nicht mehr

Feuer gaben, so hieben wir tüchtig ein ; da die Leute sich durch Czako und Tornister deckten, konnten wir mit unseren Säbeln ihnen nicht viel anhaben. Die Sächsiche Cavallerie kommt uns nun entgegen, und wir eilen über dies Bataillon hinweg, werfen dieselbe zurück ; doch gleich hinter uns springen die Infanteristen fast sämmtlich auf und fliehen dem Walde zu, ohne dass wir sie hiervon abhalten konnten. Durch diesen doppelten Angriff waren unsere beiden Escadrons aus einander gekommen. Das 1. Pommer'sche Landwehr Cavallerie- Re giment folgte uns nach , machte ebenfalls eine Attacke auf die nun wieder gesammelte feindliche Cavallerie. Da ich mich in deren Nähe befand, schloss ich mich diesem Landwehr- Regimente an, der Angriff glückte ebenfalls, und als ich nun wieder zurückritt, fand ich

293

Der Oberst Hans von Thümen.

meinen Major von Thümen allein nahe vor Grosz- Beeren. Wir hatten in diesem Augenblicke keine unserer Escadrons in unserer Nähe, und Thümen glaubte , dass sie sich im Getümmel des Gefechtes durch Grosz Beeren zurückgezogen hätten ; dorthin wollten wir nun eben falls, doch als wir vor dem Eingange dieses Dorfes ankommen, sehen wir einige Escadrons mit Bärenmützen uns den Weg versperren. Sowohl Thümen als ich glaubten , es seien Franzosen , welche in unserem Rücken aufgestellt wären.

Thümen sagt also zu mir, ich

sollte heranreiten , um zu sehen , ob es wirklich Franzosen wären . Dies geschah ; doch bis ich mich ihrer Front näherte , kam mir ein Offizier entgegengesprengt ;

auf einen Zwischenraum von zwanzig

Schritten pariren wir Beide, ich erblicke einen Offizier mit schwarzem Schnurrbarte, dunkler Hautfarbe, im groszen Reitermantel und mit einer mit schwarzem Wachstuche bezogenen Bärenmütze.

Nun schien

es mir keinem Zweifel unterworfen , dass es Franzosen wären ; ich eile zurück und bringe Thümen diese Antwort ; dieser fragt mich, was wir nun thun wollten , worauf ich sagte , es bliebe uns nichts weiter übrig , als uns durchzuschlagen ; dies gestand er mir still schweigend zu , und so ritten wir vorwärts, doch so, dass wir unsere Richtung nach dem rechten Flügel dieser Cavallerie nahmen . Jeden Augenblick erwarteten wir, dass Mehrere auf uns lossprengen würden, doch wir ritten ruhig weiter und gelangten neben den rechten Flügel, ohne angegriffen zu werden ; dies war mir doch unerklärbar.

Als

daher unser Eingang ins Dorf gesichert war , ritt ich abermals an die Cavallerie heran und fragte, was dies für Truppen wären ; hier auf erhielt ich die Antwort, es sei das Hellwig'sche Cavallerie- Corps . Diese Truppen hatten englische Uniformen erhalten, in welcher wir uns noch nicht gesehen hatten , und welche bei umgenommenen Mänteln und in Bärenmützen denen der Franzosen auffallend ähnlich • In Grosz -Beeren erhielten wir den Befehl, mit den beiden Escadrons und dem Füsilier - Bataillon 1. Pommer'schen Infanterie saben.

Regiments am nächsten frühen Morgen auf dem Wege nach Gens hagen vorzugehen, und bezogen dann während der Nacht ein Bi vouak dicht hinter dem Dorfe. Wir marschirten also mit Tagesan bruch des 24. Augusts gegen Genshagen vor , in dem zu passirenden Walde fanden wir noch mehrere Kanonen, in Genshagen wurde ge füttert, gegen Mittag setzten wir unseren Marsch fort und kamen nach Gottow ; hier wurde durch den General von Borstell erzählt, dass vor einer Stunde eine bedeutende Anzahl Französischer Bagage wagen durchgegangen wären ; diese wollte der General durch eine Umgehung wegnehmen , daher wurde unsere Brigade getheilt , der

Der Oberst Hans von Thümen.

294

eine Theil unter dem unmittelbaren Befehle des Generals sollte rechts, der andere, vom Major von Thümen geführt, links der groszen Strasze vorgehen , beide Abtheilungen sich bei Schmielkendorf wieder ver einigen.

Wir drangen möglichst rasch vorwärts und

waren

eine

halbe Meile vor Schmielkendorf im Walde angekommen , wo die Infanterie die Avantgarde hatte ; auch war es schon recht finster und wir hörten vor uns ein lebhaftes Kleingewehrfeuer.

Es wurde Halt

gemacht ; Major von Thümen ritt ganz allein vor, um zu sehen, was dort vorgefallen sei , während ich beim Gros zurückblieb . Bald dar auf endigte das Feuer , allein wir hörten ein Geschrei von vielen Stimmen durcheinander , und glaubten , da der Major von Thümen nicht wieder zurückkam, unsere Leute mit dem Feinde im Handge menge .

Die eine Escadron unseres Regiments musste in Front auf

marschiren, um die hinter derselben folgende halbe reitende Batterie, welche wegen der vielen umgefallenen grossen Fichtenstämme und der groszen Dunkelheit nicht so rasch umwenden konnte , vor einem feindlichen Angriffe

zu schützen.

In der gröszten Stille horchten

wir auf die Worte in dem fortwährenden Geschrei , ob wir nicht Französische vernahmen ; dies war aber nicht möglich.

Unter dieser

Zeit war der Major von Cardell mit seinem Füsilierbataillon vom Pommer'schen Infanterie-Regimente vorgekommen und hatte sich eben falls in Linie dicht vor der Artillerie aufgestellt.

Das Geschrei

unserer zurückkehrenden Avantgarde kam uns immer näher, um also diesen Leuten neuen Muth beizubringen , musste unsere vorstehende Escadron ein lautes Hurrah rufen ,

damit sie hörten , dass wir zu

ihrer Unterstützung in der Nähe waren ; einen Augenblick verstummte zwar das verworrene Geschrei , aber gleich darauf begann es von Neuem. Jetzt kamen die Leute unserer Avantgarde dicht vor dieFront der Husaren und wir sahen, dass sie sich unter einander in einem wahren Knäuel herumschlagen und kein Feind dabei ist. Der Feind konnte aber, aufmerksam gemacht, leicht folgen , daher ritten wir Offiziere vor, geboten Stille, und wer nicht gehorchte, bekam Hiebe.

Die vor

stehende Escadron sowie das Füsilierbataillon mussten sich in der Mitte öffnen , damit der ungeordnete Haufen der Zurückkehrenden hindurch und nach hinten sich wieder rangiren könne , so dass wir durch denselben nicht gehindert würden, den Angriff des Feindes ab zuhalten.

Als aber dieser verworrene Haufen sah , dass sie Nichts

mehr zu fürchten, und nun vor der Strafe bange wurden, da sie ihre Gewehre weggeworfen hatten,

kostete es uns Mühe, sie hinter die

Front zu treiben und nur mit Gewalt und Hieben brachten wir sie dahin.

Vom Feinde wurden wir nicht angegriffen und die Sache

Der Oberst Hans von Thümen. mit der Avantgarde klärte

sich dahin auf, dass

295

zufällig auf dem

Platze, wo die Spitzen der beiden Abtheilungen zu gleicher Zeit zu sammentrafen, ein Hirte Feuer angemacht hatte, welches von beiden Theilen der Avantgarde für ein feindliches Bivouakfeuer angesehen und sogleich heftig beschossen wurde . Die beiden Landwehr bataillone bildeten diese Avantgarde und hatten noch zu wenig Er fahrung ; glücklicherweise war dabei Niemand verwundet worden. Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war , rückten wir im Walde weiter vor und gelangten nach Schmielkendorf, ohne etwas von den Französischen Bagagewagen zu sehen. Es war sehr finster und der Feind musste uns sehr nahe stehen ; der General von Borstell liesz daher seine sämmtliche Infanterie in ein groszes , offenes Carré for mirt ohne Feuer bivouakiren, und wenig Infanterieposten wurden um das Dorf herum ausgestellt ; die Cavallerie bivouakirte dicht neben dem Dorfe. Es war am folgenden Morgen, dem 25. August, noch ziemlich finster , als sich der Major von Thümen zu Pferde setzte , um die Vorpostenkette zu revidiren ; nur einige hundert Schritte war derselbe geritten, als er einen Infanteristen liegen sieht, welcher sein Gewehr neben sich niedergelegt hat und schläft ; Thümen wollte denselben eben aufwecken , als er in ihm einen Franzosen erkennt und mit dieser Nachricht

zum General von Borstell zurückeilt.

Sogleich

wurde aufgesessen , die Infanterie rückte vor , es entspann sich ein Gefecht , der Feind zog sich zurück und hielt die Höhen , welche gleich hinter dem Walde waren , besetzt.

Da wir von der Stärke des Feindes keine genaue Nachricht hatten , kam uns ein Bauer, der sich vom Feinde herüber durchgeschlichen hatte, sehr erwünscht . Dieser sagte , dass ein starkes feindliches Armeecorps dort stehe, links ständen die Sachsen, neben diesen die Württemberger und mehr rechts die Franzosen.

Nach dieser Aussage war ein Corps über viel zu schwach , dieselben und wir viel

20,000 Mann gegen uns

mit Vortheil anzugreifen. Der Feind blieb aber über unsere Stärke in Ungewissheit , da wir durch den Wald gedeckt standen , und unsere Husaren und Kosaken gegen denselben flankirten. Unsere In fanterie und Artillerie zogen sich zurück, gegen Mittag folgten wir mit der Cavallerie ebenfalls , ohne vom Feinde verfolgt zu werden ." Dies Alles geschah auf dem Vormarsche des 3. Corps, bei welchem Thümen den Special-Vortrupp der Division Borstell führte , welche die Avantgarde des Corps bildete , und zwar fand der Allarm bei Schmielkendorf in der Nacht vom 26. August zum 27. August statt. Am 27. August marschirte das ganze Corps $2. in der Richtung auf Q

296

Der Oberst Hans von Thümen.

Wittenberg und Jüterbogk rechts ab , die Avantgarde folgte dieser Bewegung und Thümen kam mit seinem Vortrupp am 28. August nach Mehlsdorf, von wo er auf Zinna patrouillirte, und am 29. Au gust Jüterbogk besetzte .

Am 30. August stand er in Clausdorf und

hatte dort die Freude , die anderen beiden Escadrons seines Regi ments begrüszen zu können, welche der Major von Arnim von ihrer Detachirung nach Mittenwalde nunmehr zur Vereinigung mit dem übrigen Theile des Regiments herangeführt hatte .

Am 31. August

standen die Vortruppen Thümen's zwischen Lüdendorf und Schwa beck und am 1. und 2. September hatte er Marzahne besetzt, rückte dann am 3. September weiter gegen Wittenberg vor und bestand dabei unter der Oberleitung des Generals von Borstell das Wald gefecht bei Thieszen , an welchem sich naturgemäsz nur die Infan terie der Avantgarde, d . h. die Füsilierbataillone des 1. Pommer' schen Infanterie- und des 2. Reserve Regiments betheiligen konnten, welche dann im Laufe des bis zum Nachmittage dauernden, ziemlich nutzlosen Gefechtes gegen die Italienische Division Fontanelli noch durch die andern vier Musketier- Bataillone beider genannten Regi menter verstärkt wurden.

Bei Thieszen blieb Thümen mit seinem

Regimente am 4. September stehen und erhielt am 5. September Nachmittags den Befehl, nach Kropstädt zurück zu marschiren, wo selbst Abends ein Bivouak bezogen wurde . „Am Morgen des 6. Septembers, " erzählt Kalkreuth, „ hörten wir sehr deutlich eine starke Kanonade aus der Gegend von Jüter bogk. Jeden Augenblick bereit, abzumarschiren oder dem aus Witten berg vordringenden Feinde Widerstand zu leisten, wurde es wieder Nachmittag, da erhielten wir den Befehl, in gröszter Eile zum Gros des Corps vom Generale von Bülow in die Gegend von Dennewitz zu marschiren ; um vier Uhr trafen wir auf dem rechten Flügel des Corps ein und sahen Alles im heftigsten Gefecht.

(Der Marsch der

Brigade Borstell war über Kurz-Lipsdorf, Dalichow auf Gölsdorf ge gangen, das Pommer'sche Husaren-Regiment und zwei reitende Ge schütze hatten die Deckung des äuszersten rechten Flügels der Bri gade übernommen. ) Ein Dorf nahe links vor uns (es war Gölsdorf) wurde mehrere Male von unserer Infanterie im Sturme genommen ; da das Schlachtfeld links und vorwärts offene Plaine war und sich nur am äuszersten Horizonte etwas erhöhte , so konnten wir ganz deutlich alle Angriffe unserer Truppen übersehen. Unser Regiment marschirte in Front auf und wurde vom Feinde hin und wieder mit Passkugeln beschossen , wodurch es aber nicht litt ; bald darauf kam hinter uns das Pommer'sche National- Cavallerie- Regiment (welches

7

Der Oberst Hans von Thümen. zur 4. Brigade gehörte , die

297

unter Leitung von Thümen's älterem

Bruder dem General - Major von Thümen links von der 5. Brigade kämpfte und nun über Dennewitz auf Rohrbeck vorrückte ) in Zügen rechts abmarschirt in starkem Trabe bei unserem linken Flügel vor bei, ging ungefähr 400 Schritt vor und schwenkte sodann ein ; aber kaum war dies geschehen , so bekam dies Regiment ein heftiges Kanonenfeuer , so dass es sogleich wieder in Zügen abschwenkte, mehrere Leute und Pferde auf dem Platze liesz und sich dann im Trabe hinter unserem rechten Flügel aufstellte. So sehr wir anfangs die Bravour dieses jungen Regiments bewunderten , so saben wir voraus, dass es dort vor unserer Front Nichts ausrichten würde, wo die feindlichen Kanonen hinter einer kleinen Anhöhe standen und deren Stellung und Bedeckung nicht genau beobachtet werden konnte. Späterhin kam auf unseren rechten Flügel die Cavallerie-Brigade des Obersten von Treskow (von der Reserve- Cavallerie des Generalmajors von Oppen) , mit derselben gingen wir nun gegen das Dorf Oehna vor ;

ein groszer Schwarm Kosaken drängte sich bei uns vorbei.

Oehna war noch mit feindlicher Infanterie besetzt , wir lieszen dies Dorf daher links, bekamen aber aus den Gärten desselben viele Ge wehrkugeln.

Die Brigade von Treskow hatte sich rechts von uns

entfernt und da nach einiger Zeit die feindliche Infanterie sich aus Oehna herauszog, wurden diese Carré's von unserem Regimente es cadronsweise attackirt.

Ein Baierisches Carré (es war das Bataillon

Treuberg vom 8. Baierischen Infanterie - Regiment mit 4 Geschützen der Batterie Weishaupt) war eigentlich schon gefangen, doch schossen einzelne Leute aus der Mitte desselben noch fortwährend , da die vordersten Glieder bereits so zusammengedrängt standen , dass sie nicht mehr laden konnten , sondern ihre Gewehre nur gefällt vor hielten. Der gröszte Theil unseres Regiments war bereits weiter gesprengt, nur wenige Husaren umschwärmten dies Carré ; ich ver suchte

mehrere

zudringen ,

Male ,

allein

endlich komme

die

mit

meinem

Pferde

gefällten Bajonnete

ich doch so nahe ,

in

dies

Carré

ein

hinderten mich daran,

dass ich mit dem Säbel auf

dieselben haue und den Baiern zurief, die Gewehre fortzuwerfen ; allein in diesem Tumulte verstand mich Keiner, bis ich glücklicher weise einem Offiziere auf den Helm haue ; dieser warf sich vor mir auf die Kniee und bat um Pardon , den ich ihm zugestand ; da dies gesehen wurde, traten sechs bis sieben Offiziere aus dem Carré und baten um dasselbe ;

ich sagte ihnen nun , sie möchten ihren Leuten

nur befehlen, die Gewehre fortzuwerfen , damit dass Schieszen end lich aufhöre und sie abgeführt werden könnten ; dies geschah nun

Der Oberst Hans von Thümen.

298

und mit dem Unteroffiziere Wehrhaber und 14 Husaren escortirte ich dies Bataillon rückwärts, wo auch noch die Baierischen Kanonen mit Bespannung von unseren Husaren mir zugeführt wurden ,

die ich

einem Adjutanten des Generals von Borstell , dem Lieutenant von Szwykowski zur weiteren Beförderung übergab und nun unserem Regimente nacheilte. sich

Ein Leichtes wäre es diesen Baiern gewesen,

zu befreien ; allein sie waren so eingeschüchtert und

ohne

Geistesgegenwart, dass sie es nicht mehr wagten. Auf meinem Rück wege , wo es schon dunkel zu werden anfing, konnte ich durch die fortgeworfenen Helme der Baiern den Platz leicht wiederfinden, wo ich hergekommen war. Hier fand ich nun viele Todte von unserem Regimente, auch freiwillige Jäger darunter."

Das Regiment verlor

in der Schlacht einen Offizier, den Lieutenant von der Goltz, 7 Hu saren , 37 Pferde ; verwundet wurden drei Offiziere, 32 Husaren und 36 Pferde.

Thümen selbst wurde bei jener Attacke ein Pferd unter

dem Leibe erschossen, er bestieg jedoch schnell den ihm von seinem Stabstrompeter Mertens angebotenen Schimmel und führte das Regi ment weiter. Er berichtet über dieselbe Attacke Folgendes : „ Nach dem der Feind aus dem Dorfe Dennewitz hinausgeworfen war und sich nach Oehna zurückgezogen, diesen Ort aber noch mit zwei Bataillons und einer halben Batterie besetzt hatte, und es mit Cavallerie leicht möglich war, denselben zu delogiren : so marschirte ich mit dem Re gimente rechts ab, trabte hinter dem Dorfe vorbei und wartete ab, wenn der Feind das Dorf verlassen würde und als derselbe (das 8. Baierische Linien - Infanterie-Regiment) hierauf den Rückzug in ge schlossenen Massen antrat ,

und die Plaine erreicht hatte, liesz ich

das Regiment escadronsweise attackiren und obgleich mehrere Re prisen nöthig waren, so wurden jene beiden Bataillons nebst Kanonen, obgleich mit nicht unbedeutendem Verluste überwältigt und genommen. Die anderen feindlichen Abtheilungen wurden bis Körbitz verfolgt, den selben auch eine bedeutende Anzahl von Gefangenen und Munitions wagen abgenommen und dann das Bivouak bei diesem Dorfe bezogen. " Für die in der Schlacht bei Gross - Beeren bewiesene Umsicht war Thümen mit dem eisernen Kreuze 2. Klasse beliehen worden, die Schlacht bei Dennewitz brachte ihm die 1. Ordens ein.

Classe desselben

Beide Auszeichnungen erhielt er als der erste seines

Regiments , während dem Regimente überhaupt für die erste Schlacht vier , für die zweite 16 eiserne Kreuze 2. Classe verliehen wurden. Auszerdem bezeugte der Divisionscommandeur General von Borstell bei einem Vorbeimarsche in den nächsten Tagen dem Regimente seine besondere

Anerkennung

durch

ein Hurrah der ganzen Division .

Der Oberst Hans von Thümen.

Von

Russischer

Seite

erhielt

Thümen

Annen - Orden 2. Classe in Brillanten . so

erfolgreichen Schlacht

führte

später

299

noch

den

St.

Bei der Verfolgung nach der

Thümen

die erste

Verfolgungs colonne , bestehend aus seinem Regimente und dem Füsilier-Bataillon des Pommer'schen Infanterie- Regiments , sie ging am 7. September nach Hohen - Seefeld und in der Nacht nach Zellendorf und Welsig kendorf zurück . Der Feind rettete die Trümmer seiner Armee unter die Kanonen von Torgau , bis wohin er von anderen Theilen der ver bündeten Nordarmee verfolgt wurde . Am 9. September marschirte das 3. Armeecorps in drei Colonnen in das Lager bei Nonnendorf, blieb dort am 10. und 11. und schickte am 12. wiederum die Division Borstell als rechtes Seitendetachement nach Schweinitz , Jessen und Annaburg vor, während der übrige Theil desselben theils Wittenberg einschloss , welche Aufgabe Thümen's älterem Bruder mit seiner Di vision zugefallen war , theils das rechte Elbufer beobachtete und Vorbereitungen zum Uebergange über diesen Fluss traf. Dieser wurde

endlich

am 3. October von

der Schlesischen Armee

bei

Wartenburg erzwungen und so schoben sich am folgenden Tage die drei Divisionen des 3. Corps weiter rechts nach Roslau , die vierte belagerte , wie schon erwähnt , Wittenberg . Am 5. October gingen sie bei Roslau über die Elbe, marschirten durch Dessau ins Lager zwischen Hinsdorf und Meilendorf ; die , Vortruppen desselben erreichten am 7. die Gegend von Bitterfeld . In den folgenden Tagen wandte sich jedoch die Nordarmee mehr westlich , indem das 3. Corps am 11. October die Saale bei Wettin überschritt , dort am 12. verblieb und sich am 13. wieder nordöstlioh auf Cöthen dirigirte zur Deckung des Elbüberganges bei Aken. Von hier wandte es sich am 15., 16. und 17. October über Halle und Schkeuditz in das Lager bei Breiten feld auf das Schlachtfeld von Leipzig, an welcher Schlacht das Corps durch Erstürmung der Dörfer Stüntz und Sellerhausen in der Haupt schlacht am 18. mitwirkte und am 19. die Stadt Leipzig erstürmte . Das Husaren- Regiment hatte nur die Aufgabe , in der Schlacht den linken Flügel des Corps zu decken und die Verbindung desselben mit dem Oesterreichischen Corps unter Bubna zu unterhalten . Bevor dasselbe aber am 19. October das Bivouak auf dem Schlachtfelde bezog , marschirte es noch vor dem Könige und dem Kaiser Alexander von Russland vorbei .

In der Zeit vom 22. October bis Anfang Novembers ging dann der Weitermarsch des Corps zur Eroberung des nord westlichen Deutschlands durch Westphalen bis an den Rhein , wel chen die Husaren bei Dinslaken erreichten . Dort machte das

Regiment , während der übrige Theil der Division Borstell die Festung

300

Der Oberst Hans von Thümen.

Wesel einschloss , im November viele Streifpartien, bei welchen Thümen am 21. November in Duisburg war, und nahm dann am 2. December mit einem Commando unter dem Rittmeister von Schönermarck an dem Ueberfalle von Neusz Theil , bei dem viele Gefangere und ein Französischer Adler erbeutet wurden . Aus der Gegend zwischen Wesel und

Düsseldorf ging

dann Thümen ,

der

inzwischen

am

8. December zum Oberstlieutenant avancirt war , am 29. December mit seinem Regimente nach Holland , nachdem die Division Borstell von der Einschlieszung der Festung Wesel durch Russische Truppen abgelöst war und also den übrigen Truppen des Corps , welches schon am 23. November in den Niederlanden eingerückt war, folgen konnte. Vor seinem Abmarsche wollte jedoch der General von Borstell einen Versuch machen, die Festung Wesel zu nehmen, über welchen der schon genannte Oberst von Kalkreuth Folgendes erzählt : 22 Am Morgen des

24. Decembers

mussten

sich

sämmtliche

Regiments

commandeure am Schwarzen Steine , eine Viertel Meile von Wesel einfinden , um das Terrain und die Disposition kennen zu lernen. Es wurde bestimmt , dass die Hälfte der Brigade unter Befehl des Oberstlieutenants von Rüchel-Kleist, unseres Generalstabsoffiziers, beim Schwarzen Steine, die andere Hälfte unter des Generals Befehl sich beim Weiszen Steine , nördlich von Wesel, dem Schwarzen Steine fast gegenüber, in der Abendstunde versammeln sollte .

Für Sturmleitern

war gesorgt und der General glaubte , durch die vielen Deserteurs veranlasst, einen glücklichen Coup machen zu können , da überdem ein Arm des Rheines so seicht sein sollte , dass man hindurchgehen könne und die Besatzung , meistentheils Westphalen , von keinem guten Geiste für Napoleon beseelt waren . Um 12 Uhr des Nachts, also am heiligen Abende , vor Weihnachten , standen die Truppen auf dem eben besagten Rendezvous.

Der Major von Thümen be

fahl mir beim Abmarsche gegen die Festung , dass ich die halbe reitende Batterie gleich hinter der 3. Escadron unseres Regiments folgen lassen sollte und unsere 4. Escadron die Queue bilden würde. Nachdem ich nun in dieser sehr finsteren Nacht mein Augenmerk auf den Abmarsch des letzen Zuges der 3. Escadron gerichtet hatte, um dann gleich die Artillerie folgen zu lassen , wartete ich lange Zeit ; endlich wird mir die Zeit zu lang, ich reite vor und finde nun, dass der Major von Thümen nur mit einem Theile der 3. Escadron bereits längst abmarschirt war, da wahrscheinlich in der Finsterniss diese nicht nahe zusammengeblieben sein musste . nun vor , um Major von Thümen aufzusuchen ,

Schnell jage ich allein

vergebens ;

laut rufen durfte ich nicht , da die Festung zu nahe war und man

Der Oberst Hans von Thümen. dann aufmerksam geworden wäre .

301

Glücklicherweise hatte ich am

Morgen die Disposition des Generals mit angehört.

Mit den zurück

gelassenen Truppen ging ich nun, rechts die Chaussée aufzufinden . Boten waren nicht zu bekommen und in der Finsterniss musste ich quer über das Feld ohne Weg und Steg ; ein sehr gefährlicher Marsch für die Artillerie , doch wenn nicht der ganze Angriff auf gegeben werden sollte , musste

er

unternommen werden.

Nach

langem Herumirren erreichte ich glücklich die Chaussée , die wie eine weisze Linie in der Nacht aussah, und fand bald darauf den Major von Thümen. Von diesem erhielt ich nun den Befehl , längs der Chaussée eine Mörserbatterie aufzusuchen. In langsamem Schritte, mit zur Erde gerichteten Augen reite ich vor , um sie aufzufinden, bis ich ganz unerwartet hoch über mir eine laute Stimme : ,,sentinelle prenez garde à vous" rufen höre , sogleich wende ich meinen Blick nach oben und sehe, dass ich dicht vor dem Thore der Festung bin, die Schildwache mich aber nicht bemerkt hatte , da ich auf dem Sommerwege der Chaussée so weit vorgekommen war. Nun wende ich mein Pferd ruhig um und beim Zurückreiten fand ich die Mörserbatterie. Wir nahmen unsere Aufstellung dicht unter den Wällen der Festung , selbst die Cavallerie stand auf dem Glacis ; es wurde abgesessen und die Pferde am Zügel gehalten .

Nach der

Anordnung des Generals von Borstell sollte ein Ulan des West preuszischen Ulanen - Regiments durch einen Arm des Rheines , den alten Rhein, nahe des Weiszen Steines, reiten, um sich zu überzeugen, wie tief der Strom dort sei , und ob die Infanterie denselben durch waten könne , wie es dem Generale von den dortigen Bewohnern versichert worden war ; wäre dies ausführbar , so würde dann die zunächst gelegene Schanze gestürmt und von derselben aus ein Signal anzeigen , dass auch wir von der anderen Seite die Festung angreifen sollten .

Einige Stunden blieb Alles ruhig und in der ge

spanntesten Erwartung.

In dieser feierlichen Stille hört man mit

einem Male das starke Schnarchen eines Schlafenden, der Major von Thümen fragte wiederholt , wer denn so ungeheuer schnarche , bis ihm endlich erwidert wurde, dass dies der Major von Raven sei, der nun aus seinem gemüthlichen Schlummer geweckt wurde.

Gegen

Morgen sahen wir aus der Festung einige Leuchtkugeln nach der anderen Seite werfen und glaubten nun in jedem Augenblicke ein starkes Kanonenfeuer aus den Batterien der Festung zu bekommen , was für uns äuszerst gefährlich werden musste , da wir auf der Chaussée zurück gerade in die Schusslinie gerathen wären.

Doch

Alles blieb stille , wir sahen weder das verabredete Zeichen , noch

Der Oberst Hans von Thümen.

302

erhielten wir Befehl zurückzugehen , dämmern.

obgleich es bereits anfing zu

Endlich liesz der Major von Thümen uns abmarschiren,

worauf auch die Artillerie und Infanterie folgten, und also die ganze Expedition

aufgegeben war ; wir rückten nun wieder in

unsere

letzten Cantonnirungsquartiere ein. Hier erfuhren wir, dass der Ulan, welcher den Strom durchreiten sollte , sogleich in demselben er trunken und es also für die Infanterie eine Unmöglichkeit gewesen wäre , durchzuwaten.

Der General von Borstell hatte deshalb den

Angriff aufgegeben ; uns aber hiervon zu benachrichtigen nicht mehr für nöthig gehalten.

Späterhin , nachdem Wesel wieder in unsere

Hände gefallen war, hörten wir, dass der Commandant der Festung von unserem nächtlichen Angriffe unterrichtet gewesen war , Alles unterm Gewehre gestanden hatte und wir einen sehr starken Wider stand zu erwarten gehabt hätten, es also ein groszes Glück für uns war , dass wir nicht angriffen. Nach Verlauf einiger Tage mar schirten wir nun längs des Rheines hinunter , passirten Emmerich, Arnheim und Bommel , und es war am 10. Januar 1814 , als der Major von Thümen und sämmtliche Stabsoffiziere der Brigade den Befehl erhielten , zu einer bestimmten Stunde bei einer Meierei un weit Hoogstraten zusammen zu treffen. von

Borstell, dass

am

Hier befahl nun der General

folgenden Tage

Hoogstraten

angegriffen

werden sollte, da der Französische General Maison diesen Ort noch besetzt hielt. stark

Am 11. Januar war es ungewöhnlich kalt, Alles sehr

gefroren , und die Straszen wie eine Eisbahn ;

am frühen

Morgen standen wir auf dem Rendezvous ; die Infanterie sendete Tirailleurs vor , da das Terrain sehr coupirt , die Wege mit breiten Gräben und dichten Hecken eingeengt und auch auf den Feldern viele

Gräben waren , die Cavallerie konnte nur auf den glatten

Wegen vorgeben.

Hoogstraten ist zwar ein offener Ort, wurde aber

vom Feinde

vieler Bravour

mit

vertheidigt ;

wir bekamen

eine

Menge Blessirter , die in Folge der Kälte fast sämmtlich späterhin starben.

Zweimal wurden unsere

Angriffe zurückgeschlagen , ob

gleich Alles mit der gröszten Bravour focht ; der Lieutenant Arnold, der Commandeur unserer reitenden Artillerie, blieb noch immer mit seinen Kanonen zurück und feuerte unaufhörlich , obgleich er fast von den feindlichen Tirailleurs umgeben war und sein alter Weisz Der schimmel dem Feinde eine gute Zielscheibe sein konnte. General von Borstell rief die Commandeure zusammen und war schon der Meinung, den Angriff aufzugeben und sich zurückzuziehen ; da bat ihn der Major von Knobloch , Commandeur des 2. Reserve später 14. Infanterie-Regiments, zu erlauben, mit seinem Regimente

Der Oberst Hans von Thümen.

303

noch einmal angreifen zu dürfen und versprach ihm ein günstiges Resultat ; der General gab nach einigem Bedenken seine Zustimmung. Noch sehe ich den braven Major von Knobloch auf seinem groszen Schwarzbraunen dahin sprengen , den Hornisten neben sich den Be fehl ertheilen , zum Avanciren das Signal zu geben, und in wenigen Minuten war die Scene verändert.

Mit gefälltem Bajonnet stürmte

das Regiment gegen den Feind, dieser unerwartet erschreckt, wurde zurückgeworfen und nach Verlauf einer halben Stunde waren wir im Besitze von Hoogstraten .

Der Feind zog sich nun fechtend auf

der Strasze nach Lier zurück ; bis gegen das Dorf Ostmalle ver folgten wir denselben , wo ich auf einer Dornhecke am Wege eine schwarze Perrücke hängen sah, die, wahrscheinlich einem Franzosen vom Kopfe geschossen, hängen geblieben war. Es war schon ziem lich dunkel geworden ; Ostmalle wurde von uns noch mit einigen Granaten beworfen ,

sodann gegen dasselbe eine Feldwache aus

gestellt (Thümen commandirte die Vorposten an diesem Tage) , und in der Entfernung

einer - Viertel Meile cantonnirten die Truppen.

Wir kamen nach Rykevorsel , wo ein schönes Kaminfeuer dem aus gefrorenen Körper sehr behaglich war. Nach einem ruhigen und erquickenden Schlafe wurde am folgenden Morgen wieder auf gebrochen und gegen Ostmalle vormarschirt und dann eine halbe Meile weiter in Sörszel einquartiert. "

Im Gefechte bei Hoogstraten

hatte Thümen die Avantgarde der 1. Colonne des Obersten von Schon geführt, welche aus der Jäger- Compagnie des Majors von Heidenreich, dem Füsilier-Bataillons 1. Pommer'schen Infanterie- Regiments , zwei Escadrons seines Husaren- Regiments und einer halben Batterie reiten der Artillerie bestand. Diese Colonne griff die Stadt Hoogstraten in der Front an , während ein Flankenangriff der Colonne des Obersten von Sydow denselben unterstützen sollte. "" Am 13. Januar," so er zählt Kalkreuth weiter, „ marschirten wir ganz rechts und bezogen Cantonnirungsquartiere , hatten aber Feldwachen gegen Antwerpen ausgestellt ; mit dem Major von Thümen lag ich in Westwesel , fast alle Einwohner hatten den Ort verlassen und mit den Lebensmitteln sah es sehr traurig aus ; glücklicherweise war die Festung Breda bereits von uns genommen, und von hier bekamen wir doch einige Subsistenzmittel." Am 31. Januar nahm Thümen am Gefechte bei Lier Theil, seine Husaren verfolgten nach Einnahme der Stadt durch das 14. Infanterie-Regiment, welches dabei seinen Commandeur Major von Knobloch verlor , den Feind bis an die Wälle von Antwerpen. In der Zeit vom 1. bis 6. Februar deckte die Division Borstell durch Aufstellungen bei Mecheln und Brüssel ein Unternehmen des Corps

Der Oberst Hans von Thümen.

304

und der Engländer auf Antwerpen, am 7. Februar rückte sie gegen Tournay ab, und erreichte der Vortrupp der Division unter dem Generale von Hobe, bei welchem sich Thümen mit seinem Husaren-Regimente befand , am 9. Februar Mons , von wo bis zum 16. Februar weiter gegen Condé und Valenciennes vorgegangen wurde.

Am 17. Februar

marschirte der General von Bülow mit seinem Corps zur Verstärkung der Schlesischen Armee unter Blücher nach Laon ab , musste in dessen auf höheren Befehl die zu demselben gehörige 3. Division des Generals

von Borstell

zur Unterstützung

des

5.

Deutschen

Armeecorps unter dem Oberbefehle des Herzogs von Weimar in den Niederlanden zurücklassen . Somit finden wir Thümen mit seinem Regimente also von dieser Zeit an zu einem neuen Corps gehörig, dessen Aufgabe es war , den Rücken der im Nordosten Frankreichs vorrückenden Schlesischen Armee unter Blücher zu decken und zu diesem Zwecke einerseits

die Niederländischen und Nordfranzösi

schen Festungen mit ihren Besatzungen zu beobachten und wo möglich

wegzunehmen ,

andererseits

den

Französischen

General

Maison in Schach zu halten, welcher mit seinem 12,000 Mann starken Corps zwischen den Festungen Ypern , Lille , Douay, Valenciennes, Condé und Maubeuge hin und her manövrirte , und öfter zwischen ihnen hervorbrach. In der zu diesem Zwecke im Bogen um Ath am 20. Februar genommenen Aufstellung commandirte Thümen die Vorposten der Truppen bei Mons. Aus derselben wurde am 25. Februar eine Recognoscirung gegen Maubeuge unter dem Sächsischen Generale von Ryssel in drei Colonnen unternommen, von denen Thümen die mitt lere auf dem rechten Sambreufer führte, bei welcher sich eine Schwadron seines Regiments eine halbe Batterie der Sächsischen reitenden Ar tillerie, zwei Compagnien des Füsilier-Bataillons 14. Infanterie-Regi ments und drei Compagnien vom Sächsischen leichten Regimente be fanden. Die Recognoscirung ergab, dass die Einnahme dieser Festung nur durch eine förmliche Belagerung möglich sein würde, wozu jetzt nicht die nöthigen Mittel aufzutreiben waren. Auch der Feind machte in der folgenden Zeit bis zum 9. März mehrere Ausfälle aus Maubeuge und Valenciennes . Am 18. März trat dann eine Veränderung der ein zelnen Posten ein, weil nach dem Eintreffen groszer Verstärkungen für das Corps der Herzog nunmehr eine gewaltsame Fortnahme der für die Verbindung wichtigen Festung Maubeuge in Aussicht ge nommen hatte ; darnach bestand der Posten von Mons, welcher diese Stadt sichern und Condé und Valenciennes beobachten sollte , aus vier

Bataillonen

Sachsen ,

vier

Schwadronen

des

Pommers'chen

Husaren- Regiments und sechs reitenden Geschützen .

Thümen com

Der Oberst Hans von Thümen.

305

mandirte die Vorposten vor Condé und stand mit zwei Bataillonen, drei Schwadronen und zwei Geschützen in Peruweltz . Am 24. März wurde einer seiner Husarenposten, nämlich der in Quivrain stationirte, von Ausfalltruppen aus Condé wiederholt angegriffen , und in Folge dessen zurückgezogen ; er selbst ging auch Tags darauf mit seinem Detachement von Peruweltz nach Leuze zurück , um von hier aus Tournay unterstützen zu können, welches durch den von Lille nach Gent aufgebrochenen Französischen General Maison bedroht wurde. Zu dieser Unterstützung wurde Thümen am 31. März Gelegenheit geboten , als der genannte Französische General , nachdem er am 30. den Generallieutenant von Thielmann , welcher ihn mit seinem Detachement von 10 Bataillonen ,

5 Escadrons und 13 Geschützen

auf dem Rückmarsche von Gent nach Courtray angegriffen, gänzlich in die Flucht geschlagen und auf Oudenaerde zurückgedrängt hatte, nun seinerseits zum Angriffe auf Tournay vorging. Thümen rückte nämlich Abends neun Uhr mit seinem Detache ment in Tournay ein, nachdem gegen die Stadt während des Nach mittags drei Mal vergeblich von den Truppen Maison's angestürmt worden war und sich die Besatzung unter dem Sächsischen Oberst von Egloffstein tapfer gehalten hatte. Schon am 29. und 30. März war die Division Borstell auf ausdrücklichen Befehl des Feldmarschalls Blücher aus ihren dortigen Standquartieren in zwei Colonnen nach Soissons aufgebrochen, um an den weiteren Operationen des Bülow' schen Corps gegen Paris Theil zu

nehmen ;

nachdem das dritte

Deutsche Armeecorps wiederholte Verstärkungen, besonders an Land wehrtruppen erhalten , hatte man jedoch das Pommer'sche Husaren Regiment auf ausdrückliche Bitten des Herzogs von Weimar wegen Mangels an tüchtiger Cavallerie noch auf seinem Posten zurückge lassen. Da nun aber bald wieder Verstärkungen eintrafen, so konnte Thümen, welcher nach dem Rückzuge des Maison'schen Corps nach Lille wieder auf seinen früheren Posten nach St. Ghislain, gegen über Condé, zurückgekehrt war, bei einer am 3. April eingetretenen Veränderung der Aufstellung des 3. Corps auch nicht länger zurück gehalten werden ; es wurde ihm gestattet, sich an diesem Tage in Marsch zu setzen und seiner Division nachzufolgen .

Er marschirte

also über Beaumont, Chimay , La Fère , der Festung , welche sein älterer Bruder sechs Wochen früher, am 27. Februar, genommen und dadurch eine Beute von sechs Millionen Thalern an Kriegsmaterial, darunter die beiden noch heute vor dem Zeughause in Berlin stehen den groszen Geschütze, gemacht hatte, in die Gegend von Noyon im Departement Oise , um dort während der Friedensunterhandlungen 20 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Der Oberst Hans von Thümen.

306

Cantonnirungsquartiere zu nehmen.

Hier blieb Thümen bis

zum

28. April und marschirte dann nach dem Departement du Nord, wo das ganze 3. Preuszische Armeecorps bis zu dem am 30. Mai ab geschlossenen Frieden Quartiere bezog. An diesem Tage ward nun auch Thümen zum Obersten ernannt und zwar mit einem Patent vom 12. April 1814. Als in Folge des Friedens die Verbündeten Frankreich verlieszen, brach auch dass Pommer'sche Husaren- Regiment am 30. Juni 1814 auf , marschirte über Brüssel und Mastricht und bezog Cantonne ments in der Gegend von Linnich in der Rheinprovinz.

In diesem

Theile der Monarchie, wo nun die Armee vom Niederrheine unter dem Generale der Infanterie Grafen Kleist von Nollendorf stand , blieb auch Thümen noch bis zum Wiederbeginne der Feindseligkeiten im folgenden Jahre , in dem er verschiedene Cantonnements in der Gegend von Gladbach , Geilenkirchen und Bergheim mit seinem Re gimente inne hatte.

Schon im März 1815 zog der General von Kleist

seine Truppen bei Jülich zusammen und als bald darauf eine neue Zusammenstellung und Vermehrung der Armee eintrat, ward Thümen am 30. März 1815 zum Commandeur der 1. Cavallerie- Brigade im 2. Armeecorps unter dem Generallieutenant von Borstell ernannt, und gehörte zur Reservecavallerie dieses Corps , welche der General major von Jürgas commandirte . Dragoner -Regiment

Nr. 6

Zu seiner Brigade gehörten das

(Neumärkisches) , jetzt Neumärkisches

Dragoner- Regiment Nr. 3 , das Ulanen-Regiment Nr. 2 ( Schlesische), jetzt Schlesisches Ulanen-Regiment Nr. 2 , und das neugebildete 11. Husaren-Regiment, früher Bergische, jetzt 2. Westphälisches Husaren Regiment Nr. 11.

Der Adjutant der Brigade war der schon ge

nannte Rittmeister von

Schönermark ,

welchen sich Thümen von

seinem früheren Regimente mitgebracht hatte. Im April setzte sich die Armee allmälig von Jülich aus nach der Gegend von Lüttich in Marsch, so dass am Ende dieses Monats der neue Befehlshaber derselben, Feldmarschall Fürst Blücher von Wahlstadt, bereits sein Hauptquartier in Lüttich nehmen konnte, und das

2. Armeecorps zwischen Namur und Lüttich Quartiere inne

hatte ; die Reserve-Cavallerie lag in Hanut. Am 15. Juni stiesz die unter Napoleon's eigenem Befehle vorrückende Französische Armee auf die Vorposten des

1. Armeecorps am Sambreflusse , welches

sich

in Folge dessen auf Fleurus und dann in die Stellung am Ligny bache zurückzog, wo der Preuszische Feldmarschall am Tage darauf Zur Vertheidigung den Angriff der Franzosen abwarten wollte . dieser Position war bereits am 15. Nachmittags das 2. Armeecorps

Der Oberst Hans von Thümen.

307

zwischen Onoz und Le Mazy concentrirt, hatte aber schon zwei Ca vallerie-Regimenter von Thümen's Brigade, das Schlesische Ulanen Regiment und das 11. Husaren - Regiment zur Verstärkung des 1. Armeecorps nach Fleurus detachirt.

Mit diesen Truppen und der

übrigen Reserve-Cavallerie des 1. Corps unter dem Generallieutenant von Röder stand nun Thümen am 16. Juni Morgens nördlich Fleu rus, um dort den Anmarsch des Feindes zu beobachten, während der übrige Theil des Corps in die ihm angewiesene Stellung zwischen Ligny und Bry zurückging. Als am Nachmittage die Französischen Colonnen rechts und links von Fleurus sich entwickelten, ging die gesammte Cavallerie bis auf zwei Regimenter ,

welche den Rück

marsch deckten und allmälig folgten , durch Ligny in die Reserve Stellung nördlich Ligny und westlich Sombref, woselbst sich eine Vertiefung des Terrains vorfand, zurück . Hier stand dieselbe während des Kampfes um das Dorf St. Amand, bis der General von Jürgas Nachmittags, etwa 4 Uhr, den Befehl erhielt, mit der Cavallerie des 2. Corps gegen Wagnelé vorzurücken , um den rechten Flügel des Preuszischen Heeres zu entwickeln, sich des Durchganges durch das letztgenannte Dorf zu versichern und Flanke des Feindes vorzugehen.

von dort gegen die linke

Diese Bewegung wurde in der

Art ausgeführt, dass Thümen mit seiner Brigade rechts um Wagnelé herumging und die ganze Bewegung deckte , während die anderen beiden Cavallerie-Brigaden zwischen St. Amand la Haye und Wag nelé in Reserve blieben. Während derselben waren durch die helden müthigen Angriffe des 6. und 28. Infanterie - Regiments die beiden Dörfer St. Amand la Haye und St. Amand den Franzosen mit stürmender Hand wieder entrissen worden ,

das letztere wurde je

doch wieder aufgegeben und der Raum nördlich St. Amand unter Artilleriefeuer gehalten.

Nachmittags 5 Uhr jedoch , als auf Befehl

des Generals von Ziethen wiederum ein allgemeines Vorrücken der Infanterie aus den Dörfern Wagnelé und St. Amand la Haye gegen den feindlichen linken Flügel stattfand, war es wieder die Cavallerie Brigade Thümen's , welche zur Deckung des rechten Flügels west lich Wagnelé vorging , und wenn sie auch nicht angriffsweise bei der Fortnahme von dem Hameau und Dorf St. Amand mitwirkte, so deckte eben doch ihr Vorgehen westlich dieser Dörfer den diesseitigen rechten Flügel, wo jetzt fünf Cavallerie- Brigaden vereinigt waren, welche aber leider nicht zur Action kamen , weil der eigentliche Schwer punkt der Schlacht im Dorfe Ligny , dem beiderseitigen Centrum , gelegen war. Dies Dorf wurde endlich Abends 1/29 Uhr den Preuszen definitiv entrissen, das Preuszische Centrum durch das Vorgehen Na 20 *

308

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

poleon's östlich Ligny durchbrochen, und so das Schicksal des Tages entschieden. Dort westlich des Hameau St. Amand war es , als Thümen mit seiner Brigade den rechten Flügel der gegen diese Ge höfte vorgehenden Infanterie deckte , wo ihm vor der Front seiner Brigade eine Kanonenkugel den Kopf wegriss und somit sein thatenreiches Leben durch den ehrenvollsten Tod beendigt wurde, der einem Soldaten zu Theil werden kann.

Sein Adjutant übergab

die Leiche zwei Ulanen , um sie auf einem nahen Dorffriedhofe zu beerdigen, als aber während des Transportes die unmittelbar darauf vorgehende Französische Cavallerie die sich zurückziehenden Preu szischen Truppen hart bedrängte, mussten die Ulanen, um nicht ihre eigene Person der Gefangennahme auszusetzen, den Leichnam seinem Schicksale überlassen. Daher kennen wir nicht die Stelle, wo die irdischen Gebeine Thümen's auf dem Schlachtfelde ruhen,

das Ge

tümmel der Schlacht ging über ihn hinweg, sowie über die Leichen der vielen Braven , welche sei seiner Asche !

dort ihren Heldentod fanden.

Friede

XIX .

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

nebst

kurzer

Darstellung

der

Grundsätze bei Heranbildung desselben. Von Frhr. v. Luedinghausen gen. Wolff II , Lieutenant im 2. Garde-Regiment zu Fusz. „ Seid stets eingedenk, dass der Sinn für Ehre, Treue , Kamerad schaft , Tapferkeit und Gehorsam eine Armee grosz und siegreich macht." Dieser Ausspruch unseres Kaiserlichen Kriegsherrn ist durch die Geschichte unseres vaterländischen Heeres auf das glän Die Hohenzollern haben ihre Armee grosz zendste bewahrheitet. und siegreich gemacht , indem sie es verstanden, diesen Sinn ibrer Armee namentlich durch das Offiziercorps einzupflanzen.

Das Offi

ziercorps hat die hohe Bestimmung, den Willen des Kriegsherrn auf die Gesammtheit der Armee zu übertragen .

Das Offiziercorps ist

das weitreichende Auge des Kriegsherrn, durch welches ein jeder

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben. Soldat der Armee beständig beobachtet wird.

309

Dadurch nun, dass

jenes die Disciplin nicht nur als äuszere Ordnung, sondern auch als Zucht, Sitte und Gehorsam überwacht und übt , den Soldat für den Krieg unterrichtet, erzieht und taktisch ausbildet , ihn mit Liebe zu seinem Stande erfüllt, wird das Offizier corps erst mit der Erreichung der möglichsten gröszten Vollkommenheit nach allen diesen Richtun gen hin dem Willen des Kriegsherrn

entsprechen .

Die Truppen

sind das weiche , empfängliche Material ; ihre Führer geben ihnen erst das rechte militairische Gepräge .

Die Truppen wechseln jähr

lich in ihrer Zusammensetzung , die Offiziere bleiben.

Sie sind es ,

die sich aus freiem Entschlusse, mit voller Liebe zu diesem Stande, dem Berufe als Soldat widmen. Es kann daher nicht anders sein, als dass sie die Träger des Geistes in der Armee sind ; in dem Werthe des Offiziercorps repräsentirt sich der Werth der ganzen Armee.

Die Hohenzollern, selbst die ersten Offiziere ihrer Armee,

haben in dem Offiziercorps ihres Heeres den Sinn für Ehrenhaftig keit , das heiszt der gegenseitigen Achtung , gegründet auf Sittlich keit ,

Bildung und Takt,

zur vollendeten Erscheinung zu

bringen

gewusst. Der erste der Hohenzollern, welcher die Idee, sich ein Offizier corps nach diesen Grundsätzen zu bilden, zur Ausführung brachte, war Friedrich Wilhelm der grosze Kurfürst.

Um seine Souverainetät

zu erlangen und zu wahren, sowie den nationalen Gedanken des Staates zum Durchbruche zu bringen, starken und treuen Heeres.

bedurfte der Kurfürst eines

Sein Bestreben war dahin gerichtet, die

Aufgebote des Landes zu beseitigen und sich ein stehendes Heer zu schaffen, welches die Existenz des Staates garantiren sollte.

Seine

besondere Sorgfalt wandte er daher auch dem Kerne und der Seele des Heeres, dem Offiziercorps , zu. Den herumschweifenden Offizieren gegenüber, welche im Sinne der Condottieri bald bei diesem, bald bei jenem Fürsten zeitweise in Dienst traten, je nachdem das Auf gebot oder die Kriegsgelegenheit sie lockte, suchte der grosze Kur fürst vor Allem sich ein ständiges und nationales Offiziercorps zu bilden .

Natürlich konnte dieser grosze Gedanke nicht durch einen

Federstrich verwirklicht werden , waren

zu

seiner Ausführung

sondern harte Mühe und Arbeit Mehr als 200jährige

erforderlich.

Geistesarbeit von acht der edelsten Monarchen liegt in der Ent wickelung des Preuszischen Offiziercorps ,

bis es zu der jetzigen

Höhe gelangt ist. Friedrich Wilhelm fand 1640 bei Antritt seiner Regierung sehr locker zusammengefügte Truppen vor.

Ein festes Band des Fürsten

310

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

mit den Generalen und Obersten, den Offizieren und Soldaten war noch nicht geknüpft.

Was die Werbetrommel für Kriegszwecke zu

sammengebracht hatte , auseinander.

sprengte der Frieden zum groszen Theile

Der Oberst warb sein Regiment und schloss mit dem

Fürsten, in dessen Dienste er trat, einen Contract auf eine bestimmte Zeit.

Er ernannte die Offiziere und besorgte die Verpflegung und

Besoldung der Leute. Dieses Eigenthumsrecht der Obersten an ihren Regimentern suchte Friedrich Wilhelm zu einer Verwaltungs-Function umzuwandeln , indem er das Werbesystem, die Besoldung und An stellung der Offiziere regelte.

Anfänglich hatte der grosze Kurfürst

nur die Obersten und höheren Offiziere zu ernennen, allmälig behielt er sich jedoch auch die Ernennung der übrigen Offiziere vor . An Offizierstellen gab es ursprünglich auszer dem Obersten nur den Hauptmann, als Befehlshaber der Compagnie.

Das Heer com

mandirte der Feldhauptmann, für den allmälig der Name „ Feld marschall " gebräuchlich wurde.

Sodann nannte man die Offiziere,

welche mehr als ein Regiment zu führen berufen waren, Generale. Demnächst theilte man jedem der genannten Befehlshaber einen Stellvertreter zu, welchen man in allen Chargen mit der Französi schen Benennung „ Lieutenant " zu benennen pflegte ; diese Stellver treter folgten im Range überall

dem Befehlshaber ihrer Charge.

Dann fügte man jeder Rangclasse zur Betreibung des inneren Dienstes einen sogenannten Wachtmeister bei, der in der Classe der Generale und Obersten auch die Französische

Benennung „ Major"

erhielt.

Der Eigensinn der Mode hat gewollt , dass der Oberstwachtmeister seine eigentliche Bedeutung eingebüszt hat und vorzugsweise Major genannt wird. Ferner schied der Compagnie -Wachtmeister gegen Ende des 17. Jahrhunderts aus dem Offizierstande aus und wurde in die Reihe der Unteroffiziere verwiesen, während man ihm beim Fuszvolke den Namen eines Feldwebels beilegte. Aus dem ( Capitain-) Lieutenant entstanden dann Anfangs dieses Jahrhunderts der Premier und Seconde-Lieutenant. Somit bestanden um die Mitte des 17. Jahrhunderts neun Haupt Chargen : General , General - Lieutenant , General - Major, Oberst , Oberst Lieutenant , Oberst - Wachtmeister (Major) , Wachtmeister .

Hauptmann (Capitain),

Sobald dieses System entwickelt war, und Männer

sich für

längere Zeit dem Dienste in derselben Armee widmeten , trat in natürlicher Folge das Bedürfniss eines geregelten Aufrückens im Range ein, während früher ein ähnliches Ziel durch den Wechsel im

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben. 311 Dienste bei verschiedenen Armeen erstrebt wurde, wobei jeder Dienst suchende sich so vortheilhaft als möglich zu vermiethen trachtete. Friedrich Wilhelm regelte zunächst die Anciennetät der Obersten, indem er 1684 den Befehl erliesz, dieselben sollten unter sich nach dem Tage der Uebergabe der Regimenter oder Bataillone rangiren. Es wurde bestimmt, dass die Obersten sich bei Verlust ihrer Aemter und Würden hiernach zu richten hätten.

Bisher waren für jeden

Einzelnen nur die Bestimmungen seiner speciellen Bestallung oder Capitulation maaszgebend gewesen ; es kamen daher fortwährend Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen Befehlshabern vor, und fast immer wurde die eigene Capitulation bei der Verweigerung des Gehorsams als Motiv vorgeschoben.

Um diesen Vorfällen zu be

gegnen, liesz der Kurfürst in der Bestallung den Zusatz aufnehmen, „ dass sich der Oberst dergestalt zu verhalten , wie es Unsere er gangenen Verordnungen, oder, welche wir noch ferner ergehen lassen möchten, erfordern " .

Hierdurch wurde überhaupt die Möglichkeit

gewonnen, allgemein gültige Bestimmungen für das Heer zu erlassen, und hierdurch konnte der schon 1656 erlassene Articulsbrief zur Durchführung gebracht werden, in welchem es also heiszt :

„ Uns ,

als dem Haupt , sollen die hohen und anderen Offiziere, Reuter und Knechte, alle die zur Armee gehören, treu, hold und gehorsam sein. Uns sollen sie gebührlich respectiren und ehren, auch unseren und der Armee Nutzen und Wohl befördern, Schaden und Nachtheil aber abwenden. " Aus dem in Folge der Verwilderung der Sitten des

17. Jahr

hunderts äuszerst rohen und ungefügen Adel suchte sich der Kur fürst dann die kernigsten und tüchtigsten Elemente zur Bildung seines Offiziercorps heraus und brachte ihnen die nothwendige Kriegs tüchtigkeit durch Annahme erfahrener Offiziere aus Schwedischen Diensten bei.

Dass hierbei auch gebildete bürgerliche Elemente zur

Aufnahme gelangten, konnte unbeschadet der gleichmäszigen Zu sammensetzung erfolgen. Den Geist und das Wesen des alten Ritterthums suchte der grosze Kurfürst in seinem Offiziercorps wie der zur neuen Blüthe zu entwickeln .

Eine charakteristische Eigen

thümlichkeit des Ritterstandes war die Verpflichtung zur Wahrung der eigenen Ehre und die Gemeinsamkeit der Rechte und Pflichten . Hierin konnte keine Abstufung des Adels eine Aenderung herbei führen.

Makelloser Ruf, gegenseitige Achtung und veredelte Formen,

besonders im Umgange mit Frauen, zeichnete die Mitglieder des Ritterstandes aus . Das Brandenburg- Preuszische Offiziercorps sollte zum

Erben dieser

ritterlichen

Tugenden

gemacht

werden.

Der

312

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

grosze Kurfürst stellte darum auch an die geistige Bildung der Offiziere nicht geringe Ansprüche, um so mehr, da er die Meisten derselben nicht nur an natürlichen Verstandesanlagen, sondern auch an wissenschaftlicher Bildung weit überragte. Er nahm die Er ziehung junger zur Laufbahn eines Offiziers bestimmter Leute selbst in die Hand und liesz in Colberg und Magdeburg junge Leute auf seine Kosten für die Offizier-Carrière vorbereiten, eine Einrichtung, durch welche er den Grund zum Cadettencorps legte. Durch alle diese Maaszregeln, wolche der grosze Kurfürst traf, ging das sichtliche Streben, sich ein Corps von Männern zu schaffen, welche durch Bande der Ehre, der Pflicht und Dankbarkeit an ihn und sein Haus gefesselt waren.

Die Hauptfrüchte dieser mühevollen

Thätigkeit ernteten allerdings erst die kommenden Geschlechter. Friedrich I., der die Ideen seines Vaters fortzuführen suchte, erliesz eine für die Weiterbildung des Offiziercorps äuszerst wichtige Bestimmung , nach welcher die bereits von dem groszen Kurfürsten angebahnte Anciennetät der höheren und Subaltern - Offiziere ein Auf dieser beruht das Recht des Befehls , den in

geführt wurde.

dienstlichen Angelegenheiten der ältere Offizier dem jüngeren, wenn auch von gleicher Charge, zu ertheilen hat , ebenso der berechtigte Einfluss der älteren auf die jüngeren Mitglieder. Den bedeutungsvollsten Schritt für die Entwickelung des Preu szischen Offiziercorps that Friedrich Wilhelm I. , welcher den Grund satz seines Groszvaters, dem Heere seinen Halt im Offiziercorps zu geben, so recht erfasste und verwirklichte .

Da durch seine letzten

Vorfahren der Weg zum Ziele bereits geebnet war, so konnte er das groszartige Werk vollenden und dem vaterländischen Heere für dauernde Zeiten seinen eigenthümlichen Stempel aufdrücken . Er trennte nämlich das Offiziercorps insofern von dem übrigen Heere, dass er zwischen beiden eine strenge Scheidelinie zog, und fortan nicht nur einen graduellen, sondern einen specifischen Unterschied zwischen Offizieren und Nicht-Offizieren bestehen liesz. Es is dies Verhältniss bis auf den heutigen Tag der Preuszischen Armee eigen thümlich geblieben , und trotz aller angewandten Mühe von keiner anderen, mit Ausnahme der Englischen Armee, vollständig erreicht worden. Die Offiziere wurden durch Friedrich Wilhelm I. zu einem Stande umgeschaffen und mit dem inländischen Adel identificirt , in dem fast nur Mitglieder des letzteren zur Laufbahn eines Offiziers zugelassen wurden.

Schon der grosze Kurfürst und Friedrich I.

strebten dahin, die Ernennung sämmtlicher Offiziere in ihre Hände zu bekommen, jedoch Friedrich Wilhelm I. konnte erst dem Gebäude

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben.

313

seinen Schlussstein einfügen, indem er das Offiziercorps für einen geschlossenen Stand erklärte und die Ernennung eines jeden Offi ziers eigenhändig vollzog : hierdurch sank die Capitulation, welche noch bis zur Thronbesteigung Friedrich II. mit den Regiments-Com mandeuren abgeschlossen wurde, zu einer leeren Form herab .

Aus

dieser Zeit stammt ebenfalls die Einrichtung, dass alle Offiziere ohne Ausnahme für hoffähig erklärt wurden, während dies bei den anderen Ständen nur in den höchsten Spitzen der Fall war, wie überhaupt dieser Monarch das Offiziercorps in jeder Hinsicht auszeichnete und ihm eine eximirte Stellung im Staate zu geben suchte. Die Cadetten, welche sich in Colberg befanden, versetzte Friedrich Wilhelm nach Berlin und errichtete 1716 daraus eine Compagnie von 110 Köpfen, zu der 1719 auch die Cadetten der Magdeburger Garnison kamen. Wie jeder grosze Mann seinen Schöpfungen seinen Stempel aufdrückt und seinen Geist einhaucht , also that es auch dieser er habene Monarch, dessen heilsame Einrichtungen bis auf den heutigen Tag nachwirken.

Vom weitgreifendsten Einflusse war die Wichtig

keit, welche der König dem Begriffe des Dienstes beilegte ; alle Ver richtungen desselben, bis auf die Functionen einer Schildwache, ge schahen im Namen des Königs ,

und so gewann dieser Begriff eine

so ernste und heilige Bedeutung, dass alles Andere ihm untergeordnet werden musste und hieraus schon der so hohe Grad der Preuszischen Truppen an Disciplin erklärlich wird .

Er war es, welcher die Offi

ziere zu den strammen, eifrigen unermüdlichen Exerciermeistern heran bildete, deren Aufgabe es wurde, den ungelenken im Waffendienste unkundigen Haufen

zu einem lenksamen und gewandten Kriegs

instrumente umzuwandeln .

Bis dahin war es mehr oder weniger

Sache des Einzelnen gewesen, seine Fertigkeit für den Kriegsdienst als natürliche Voraussetzung mitzubringen, mochte er sich dieselben selbstständig angeeignet oder in fremden Kriegsdiensten erworben haben. Jetzt aber mussten die Offiziere diese Einübung, das „ Drillen " , als ihre Dienstfunction übernehmen mit voller Verantwortlichkeit für den Erfolg, mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit, welche der König auch in dem unbedeutendsten Dienste mit unnachsichtlicher Strenge verlangte. Um

in den Dienst selbst Einheit und Uebereinstimmung

zu

bringen, gab der König das Reglement vom Jahre 1726 heraus, in welchem alle und jede Dienstobliegenheit auf das genaueste bestimmt wurden. Der König betrachtete sich selbst als Mitglied des Offizier corps und trug nie ein anderes Kleid als die Uniform des Offiziers. „ Der König selbst hatte sein Regiment und seine Compagnie, war

314

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

Oberster und Hauptmann im strengsten Verstande, lebte so und dachte so. Mit den Offizieren bis abwärts zum Hauptmanne ging er, der König , wie Kamerad , Fähnrichen wie Vater um."

mit den Subaltern- Lieutenants und

Durch Einprägung dieses Geistes der Mannszucht und dieses Pflichtgefühls im Offiziercorps war es Friedrich Wilhelm I. gelungen, ein Heer zu schaffen, von dem Friedrich der Grosze sagt : „ Man konnte auf diese Völker das anwenden, was Vegetius von der Rö mischen Kriegsmacht sagt : „,,, Sie siegten durch ihre Ordnung und Mannszucht über die Kriegslist der Griechen, die Stärke der Deutschen, die Grösze der Gallier und alle Völker der Erde. "" Höchst vor theilhaft war für den inneren Werth des Offiziercorps die Gleich mäszigkeit der Achtung, welche alle Grade dieses Standes genossen, ein für die Belebung des Ehrgefühls sehr wichtiger Umstand, denn der König gründete das Wesen seines Offiziercorps nicht allein auf die Principien des Gehorsams und der Pflicht, sondern auch auf das der ritterlichen Ehre. Die neuen Kriegsartikel wurden nur für Unteroffiziere und Gemeine in Kraft gesetzt , für die Offiziere galt nur das bereits erwähnte Dienstreglement, darin man der Bestimmung begegnet, der untergebene Offizier habe im Dienste stets unbedingt zu gehorchen, es sei denn, dass er in seiner Ehre angegriffen werde. Es war diese Bestimmung nur möglich in einem aus lauter gleich mäszigen Elementen zusammengesetztem Offiziercorps , bei dem alle Mitglieder von dem Gefühle der gegenseitigen Achtung ihrer Ehre erfüllt waren . In äuszerlichem Widerspruche hiermit scheinen die scharfen Duell- Verbote zu stehen, welche schon der grosze Kurfürst erlassen und die von Friedrich Wilhelm I. erneuert wurden. Nach dem Duell- Edict vom Jahre 1688 wurden beide Duellanten, wenn auch keine Entleibung geschehen, mit dem Tode bestraft . Friedrich Wilhelm I. setzte Todesstrafe auf den Zweikampf.

Auch

Diese Verordnungen sind wohl aus der Besorgniss der Fürsten hervor gegangen, dass bei Freigebung des Duells der ungestüme Thaten drang der jüngeren Offiziere hier einen Ausweg suchen und ein um fangreicher Missbrauch daraus entstehen würde ; gewiss aber hat dabei das Bewusstsein obgewaltet , dass das Ehrgefühl im Preuszi schen Offiziercorps mächtig genug sei, um im Falle einer wirklichen Beleidigung trotz des Verbots kampfe zu schreiten .

und der Strafe dennoch zum Zwei

So erklärte auch der König, es sei nicht seine

Absicht die Ehre oder Person seiner Offiziere angreifen oder ver letzen zu lassen ; Unrecht , Schimpf und Beleidigung sollten nicht ungeahndet auf ihnen sitzen bleiben. Er wolle entschieden für sie

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben . eintreten.

Die Nothwehr gestattet er ;

315

Rencontres , das heiszt un

gesuchtes Aufeinandertreffen mit den Waffen, will er nicht als Duell ansehen.

Der König war auch stets froh, wenn er nach einem Duell

hörte, dass die Betreffenden sich geflüchtet hätten. Wohl das competenteste Urtheil über das Offiziercorps seines Vaters spricht Friedrich der Grosze in folgenden Worten aus : „ Man schickte bei den Regimentern die Offiziere fort , deren Aufführung oder Herkommen sich für die ehrenvolle Laufbahn, in welcher sie fortgehen sollten, nicht schickte, und seit dieser Zeit litten die Offi ziere nur untadelhafte Kameraden unter sich. “ Trotzdem wollen wir die Fehler und Nachtheile der damaligen Offiziere nicht verkennen, welche ihnen besonders in der Beurtheilung der anderen Stände sehr geschadet haben. Von der Höflichkeit und Bescheidenheit im Auftreten, von allgemeiner Bildung war damals nicht viel Rühmliches zu sagen.

Ueberhebung gegen die anderen

Stände, Rohheit im Benehmen gegen dieselben und geringe Bildung waren die Hauptfehler jenes Offiziercorps.

Wie die alte gute Zeit

so voll ist von Fehlern und Missbräuchen, welche den Sprachgebrauch zur Ironie gestalten, so hatte auch jenes Offiziercorps seine grellen Schattenseiten. Doch ist zu bedenken, dass bei einem so eximirten Stande jeder einzelner Fehler eher hervortritt, als bei jedem anderen, und durch Neid und Missgunst vergröszert und entstellt wurde. Das Wesen und der Kern dieses Offiziercorps war bei alledem aber gesund und edel , und dieser Umstand war nicht hoch genug an zuschlagen bei hunderts .

der

sittlichen Verkommenheit

des

vorigen Jahr

Friedrich Wilhelm I. war es namentlich gelungen den Begriff der persönlichen Ehre im Offiziercorps wach und rege zu erhalten ; Friedrich der Grosze ging auf der betretenen Bahn noch weiter . Er bestrebte sich, den Offizieren zum Bewusstsein zu bringen, dass ihr ganzes Leben von dem Principe der Ehre durchdrungen sein müsse.

Friedrich fasste diese Ehre schon ebenso auf, wie dies in

der Verordnung vom 2. Mai 1874 geschehen ist : „Wahre Ehre kann ohne die Treue bis in den Tod, ohne unerschütterlichen Muth , feste Entschlossenheit, selbstverleugnenden Gehorsam, lautere Wehrhaftig keit, strenge Verschwiegenheit, wie ohne aufopfernde Erfüllung selbst der anscheinend kleinsten Dienstpflichten nicht bestehen. "

Die Ehre

war das Fundament , auf welches der König die Denkungsart und die Handlungsweise seiner Offiziere begründet wissen wollte. Nach den Gesetzen der Ehre sollten sie ihren Standpunkt, ihre Subordinationsverhältnisse , ihre Dienstpflichten, ihr Streben und ihr

316

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

Wirken, ihre ganze Dankweise, ihr Studium, selbst ihre Stellung zum Könige, dem obersten Kriegsherren, würdigen lernen, und da er selbst Offizier war, als seine Offiziere sich ihm näher angehörend fühlen .

Der Ehrtrieb umschloss alle Loyalität , alle Vaterlandsliebe,

alle Verhältnisse zu Kameraden und anderen Ständen, kurz in diesem Sinne war der Ehrtrieb die Quelle jeder kriegerischen Tugend, jeder Hingebung.

Und bis auf den heutigen Tag ist diese Auffassung der

Bedeutung der Ehre geltend geblieben.

Die Capitulation mit den

Regiments -Inhabern, welche der König bei seiner Thronbesteigung pro forma bestätigt hatte, hob er ganz auf und ernannte die Com mandeure durch Rescripte .

Groszen Werth legte der König auf den

Zuwachs seines Offiziercorps und nahm denselben fast nur aus dem Adel , wenn auch gebildeten Elementen des Bürgerstandes die Offi ziers- Carrière nicht verschlossen blieb.

Der König spricht sich in

seinen nachgelassenen Werken hierüber folgendermaaszen aus : „ Diese Auswahl der Offiziere ist viel nöthiger, als man glaubt , denn im Allgemeinen hat der Adel Ehre ; man kann indessen nicht leugnen, dass man bisweilen Verdienst und Talent unter Personen, die nicht von Geburt sind , antrifft ; aber dieses selten, und in solchem Falle thut man wohl , dieselben zu erhalten.

Im Allgemeinen bleibt dem

Edelmanne keine andere Hülfsquelle übrig, als sich mit dem Degen hervorzuthun.

Verliert derselbe seine Ehre, so findet er selbst im

väterlichen Hause keine Zuflucht, anstatt dass ein Bürgerlicher, wenn er etwas Unanständiges begangen hat, ohne zu erröthen, das Ge werbe seines Vaters wieder ergreift und sich dadurch nicht mehr beschimpft glaubt.“ Das Cadettenhaus zu Berlin wurde unter Friedrich II. vergröszert und der König gab an den Commandeur desselben eine eigenhändige Instruction, in welcher Weise die Ca detten zu erziehen .

Er schreibt in dieser vor, dass die Fuchtel ab

geschafft werde, ferner nur besonders tüchtige Offiziere als Lehrer Besonderen Werth legt er auf Er commandirt werden sollten. weckung der

Ambition

und

des

Gefühls

für Cavalier-Ehre ;

er

schreibt genau die wissenschaftlichen Gegenstände vor, in welchen die Cadetten bis zur Einstellung in die Armee unterrichtet werden sollten.

Die Ausführung dieser Instruction durch häufige Inspicirungen.

controllirte der König

Bei der bedeutenden Armeevermehrung, die der König vornahm, stiesz er bei der Erziehung des Offiziercorps in Folge des groszen Bedarfs an Offizieren gröszerte Offiziercorps

auf wesentliche Schwierigkeit ,

dieses ver

mit dem alten Geiste zu durchdringen. Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der militairischen Disciplin und wohl

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben.

317

auch in Folge der anfangs nicht ganz gleichmäszigen Zusammen setzung des Offiziercorps befahl er

1743 :

„ Wenn ein Offizier von

seinem Chef oder Stabsoffizier geschimpft oder gar mit dem Stocke von selbigen gedroht werde, als wollte er ihn stoszen oder schlagen, so muss der beleidigte Offizier, so lange er im Dienste ist , sein ;

stille

sobald aber der Dienst völlig vorbei ist , so kann derselbe

wegen des Schimpfens gehörige Satisfaction suchen. "

Hierdurch war

die alte Bestimmung, dass der im Gliede stehende Offizier sich nicht verantworten dürfe, annullirt.

so lange er nicht an seiner Ehre angegriffen “ ,

Groszen Werth legte der König auf Ambition, Verstand

und Liebe zum Berufe.

Erstere suchte er zu befördern, indem er

die Commandeure anwies , ihm besonders gut méritirte Offiziere zu Auszeichnungen vorzuschlagen .

Das Avancement regelte der König

dabin, dass es bis zum Stabsoffiziere im Regimente in der Tour ging.

Bei besonderem Verdienste machte der König jedoch Aus

nahmen .

Später befahl er auch , dass ihm die besten Capitains in

jedem Regimente, ohne Rücksicht auf ihr Alter,

namhaft gemacht

würden, um sie als Stabsoffiziere in andere Regimenter zu versetzen. Für die Bildung seines Offiziercorps trug der König persönlich die gröszte Sorge sowohl durch Instructionen, Befehle und Regle ments , als durch seine sehr ausgedehnte schriftstellerische Thätigkeit. Das Studium der Kriegsgeschichte, der Geographie, Terrainlehre und der Französischen Sprache machte er denselben zur Pflicht. langte , dass

Offiziere

Er ver

und Generale nach jedem Gefechte , jeder

Schlacht und jedem Feldzuge sich Rechenschaft darüber geben sollten , ob und wie sie in ihrer Stellung ihre Befehle und Entschlüsse anders hätten fassen können . Der König beabsichtigte mit dieser Forderung die Entwickelung der Denkthätigkeit, die Uebung zum verständigen Auffassen jeder Kriegssituation . In der Armee des Königs fehlte es nicht an Offizieren, welche mit einer hohen Bildung begabt waren.

Graf Schwerin, von Kyau,

Quintus Icilius, Feldmarschall Keith, Graf Rhotenburg , von Gaudi, von Archenholz und viele Andere waren Offiziere von hervorragender Bildung .

Es ist begreiflich , dass der Einfluss so hoch gebildeter

Männer sich innerhalb der Regimenter, deren Chefs sie waren, be sonders geltend machte. Um das Studium der jungen Offiziere an zuregen , hatte der König noch befohlen , dass in den Garnisonen, in denen sich die Inspectionen befanden, Vorträge zur Ausbildung besonders begabter Offiziere gehalten werden sollten . Die Leitung der Offiziercorps und die Erziehung ihrer Mitglieder legte der König besonders in die Hände der Commandeure und

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

318

machte dieselben hierfür verantwortlich.

Er wollte ein nobles und

respectables Offiziercorps haben, „ übel conduvirte Offiziere müssen von den Regimentern weggeschafft und niemals geduldet werden . Die Commandeure sollen wegen Jugendfehler und Leichtsinn bei sonst ehrenhaftem Charakter mit Wohlwollen einschreiten ; faule Offiziere, die keine Dienstapplication haben, sind strenge zu bestrafen und, falls dies ohne Erfolg, fortzuschaffen . "

Ferner sollte jeder Offi

zier je nach seinem Verstande und Ambition im Dienste beschäftigt werden ; diejenigen Offiziere, welche diese Eigenschaften nicht be säszen, sollten

zum kleinen Dienste angehalten werden, dagegen

Offiziere, welche in Folge gröszerer Begabung und Eifer fortbildungs fähig wären, über Terrainlehre und Geographie instruirt und darauf hingewirkt werden, dass diese sich in der Französischen Sprache und der Fortification ausbildeten. „ Diejenigen, deren Application gut, die die wahre Ambition besitzen , noch Generale zu werden , haben sich alsdann Gnadenbezeugungen und Avancement zu versprechen. " Das Avancement zum Offizier bestand darin, dass die jungen Edel leute, welche nicht aus dem Cadettenhause in die Armee geschickt wurden ,

als Gefreiten - Corporale in die

Regimenter eintraten,

in

welcher Charge sie allen Dienst der Gemeinen und Unteroffiziere verrichten mussten. Nach der Verfügung vom 11. Mai 1763 er hielten die fünf ältesten Junker jedes Regiments Fähnrichs-Patente und rückten ihrem Alter nach in die vacanten Offizierstellen. Bei der Cavallerie hieszen die Junker, welche das Portepee erhielten, Cornet. Nach dem Hubertsburger Frieden war der König in Folge der Vergröszerung der Armee und durch die Verwaltung des in dem langen Kriege zerrütteten Staatswesens so in Anspruch genommen, dass er nicht mehr so wie früher Alles in eigener Person vornehmen konnte.

Bereits im Laufe des Krieges hatte er den Gebrauch ab

geschafft, sämmtliche Offiziers-Patente eigenhändig zu unterzeichnen ; es geschah dies nur bei den höheren Offizieren bis zum Compagnie chef hinunter, und so ist es bis heute geblieben . Gleich nach dem Frieden schuf er einen Mittler zwischen sich und dem Heere in den Inspecteuren, welche an seiner Statt die Regimenter musterten, und durch deren Hände die Eingaben der Truppen erst an den König gelangten.

Die Auswahl zu den Stellen der Inspecteure erfolgte

unmittelbar auf Königliche Entschlieszung, ohne Rücksicht auf die Anciennetät der Gewählten, so dass in vielen Fällen jüngere Generale die Regimenter von Vorderleuten zu mustern hatten.

Dadurch, dass

der König seine persönliche Einwirkung auf alle Theile der Armee

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben.

319

beschränken musste, und dadurch , dass bei der bedeutenden Ver gröszerung der Armee und den groszen Verlusten an Offizieren in den Schlesischen Kriegen - der König giebt die Zahl der gefallenen Offiziere auf 1500 an

manche Elemente in das Offiziercorps auf

genommen werden mussten, welche hinter der früheren Qualität be deutend zurückblieben, schlichen sich manche Uebelstände ein, welche den Geist des Offiziercorps beeinträchtigten. Es war eben natürlich, dass unter diesen Umständen die tiefe Demoralisation, welche in jener Zeit die höheren Stände ergriffen, sich in ihren Folgen auch im Offiziercorps geltend machen musste.

Des Königs wohlwollende

Absicht das Talent und den Ehrgeiz zu befördern, hatte nicht die beabsichtigten günstigen Folgen, da es den Inspecteuren oft an der nöthigen Menschenkenntniss fehlte und unwürdige Persönlichkeiten Auszerdem aber erzeugte die eine solche Bevorzugung erfuhren. Beförderung junger Leute auszer der Tour eine Sucht nach Avance ment bei sämmtlichen Subaltern - Offizieren. Jeder Einzelne wollte zu den Begünstigten gehören und , da der König sich meist auf die Berichte der Generale verlassen musste, so entstand ein Schmeichel System seitens der am meisten nach Avancement Begierigen gegen ihre Vorgesetzten, welches auf den ehrenfesten Charakter der Offi ziere ungünstig

zurückwirkte.

Die

auszerordentlich Beförderten

stieszen bei ihren neuen Regimentern auf vielfachen Widerstand , ja es fanden selbst Complotte unter den Offizieren statt , sich mit dem Einschube so lange zu duelliren, bis er gewichen oder getödtet sei . Um Ersparnisse im Budget zu machen wurden von jeder Com pagnie 52 Mann auf 10 Monate im Jahre beurlaubt. Das Gehalt für 42 Mann, sowie die kleinen Montirungsgelder mussten abgeliefert werden, während das Tractament der übrigen 10 Mann dem Com pagniechef zufiel.

Aehnlich war es bei der Cavallerie.

Hierin lag

also eine Haupt-Einnahmequelle der Capitains ; selbst die Regiments Commandeure sollten dieser Einnahme nicht verlustig gehen, sie be hielten ihre Compagnie im Regimente, während dieselbe von einem Stabs-Capitain, der nur sein Gehalt bezog, verwaltet und ausgebildet wurde. Die Instruction vom 9. Februar 1769 setzte jedoch von dieser Bestimmung viele Ausnahmen fest.

Eine Anzahl Regimenter

brauchte gar keine Beurlaubten zu berechnen, andere wieder eine geringere, als die erwähnte Anzahl , so dass das Einkommen des Compagniechefs zwischen 700 bis 2000 Thalern und darüber variirte. Die ungleiche Vertheilung der Revenüen war nicht geeignet , eine günstige Stimmung in dem Offiziercorps hervorzurufen, und in dem selben begann ein Geist der Unzufriedenheit Platz zu greifen ; man

320

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

hielt sich für berechtigt , die vermeintliche Ungerechtigkeit auf un gesetzlichem Wege auszugleichen, und sehr bald fand eine Praxis in der Armee Eingang, welche den Sinn der Ehre nothwendig unter graben musste.

Fälschungen von Rapporten und Listen wurden

völlig methodisch betrieben.

Einen traurigen Belag hierfür liefert

das Circular Friedrich Wilhelm's II. vom 17. Februar 1787 , dessen Eingang lautete : „ Sr. Königliche Majestät haben mit äuszerstem Missvergnügen wahrnehmen müssen, dass dero ruhmvolle und sieg reiche Armee neben ihrer groszen Vortrefflichkeit dennoch mancherlei Unregelmäszigkeiten ,

Missbräuche und Mängel nach und nach in

sich aufgenommen und unterhalten habe, die den Glanz, den sie sich vor den Augen von ganz Europa so theuer und glorreich erkämpft, auf einige Weise verdunkeln, ―――― und dass von Männern von Ehre die Wahrheit

aus Listen

verbannt und um schnöden Gewinnstes

willen unrichtige Angaben gemacht werden ;

anders noch ungleich

dunklerer Flecken der Armee nicht zu gedenken, worüber die häufi gen Denunciationen und die befremdliche Menge schmutziger Processe in verschiedenen Regimentern ein höchst widriges Licht in der Welt verbreitet haben . "

Bei der Infanterie suchten die Capitains

mehr

Leute als erlaubt auf Urlaub zu schicken und zogen ihr Tractament ein, bei der Cavallerie wurde auch mit der Fourage Unterschleif ge trieben.

Fanden sich nicht genug Leute, welche auf Urlaub gehen

wollten , so trug der Capitain einem Unteroffizier oder Subaltern offizier auf, die nöthigen „ Frei- Wächter" zu verschaffen.

„Ein solcher

Mensch entledigt sich seines Auftrages mit leichter Mühe und be handelt die Faulen sehr hart und bestrafet sie nach der Strenge, sie verstehen bald , was das sagen will, und halten ohne Anstand um Erlaubniss zu arbeiten an." Trotz aller dieser Mängel war der Fonds dieses Offiziercorps ein guter und tüchtiger ; der Geist der Ehre, der bis nach der Beendigung des siebenjährigen Krieges ein musterhafter gewesen, war nur ver dunkelt, nicht geschwunden. Allerdings war mit dem Tode des groszen Königs die Seele, welche die militairischen Formen belebte und ihnen ihren Inhalt gab, gewichen, und nur die Form geblieben, die bereits veraltet und bald von neuen überflügelt wurde. Die militairische Durchbildung und Disciplin der Offiziere blieb Friedrich II.

eine ausgezeichnete .

1778 hierüber :

unter

Ein Zeitgenosse schreibt noch

„ Es ist kein Land in der Welt , wo die hohen und

niederen Offiziers das , was ihnen befohlen ist , so gut auszuführen wissen, und die Ursache davon ist ganz natürlich ; von ihrer Kind heit an mit Erlernung der Manövers beschäftigt und gewöhnt, ihre

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben. 321 Gedanken nicht weiter als auf den Gegenstand zu richten, der ihnen aufgetragen, sehen sie nur das, was man ihnen befiehlt, und suchen gar nicht auszugrübeln , Autor fährt dann fort :

warum man es ihnen befiehlt. "

Derselbe

„ die Offiziere haben freien Zutritt zu den

Assembleen des Adels ohne Unterschied des Ranges und der Würde, welches in anderen Deutschen Diensten nicht so ist. " Alle Offiziere und

ihre Damen waren hoffähig , letztere wurden von den Prin

zessinnen mit Umarmung und Kuss begrüszt.

Der König erschien

bekanntlich immer in Uniform, was die anderen Souveraine im vori gen Jahrhundert selten thaten ; der Offizierstand gehörte auch gesell schaftlich dem ersten Stande an und alle Mitglieder genossen gleiche Achtung. Friedrich Wilhelm II. suchte den eingerissenen Uebelständen nach Möglichkeit abzuhelfen. Die Etats der Beurlaubten wurden bei sämmtlichen Regimentern gleichmäszig festgesetzt , die Behand lungsweise des gemeinen Mannes zu mildern versucht und den Offi zieren zur Pflicht gemacht, sich die für den Krieg so unentbehrliche Liebe des gemeinen Mannes zu erwerben. Der König war bestrebt, dem durch die zerrütteten Vermögensumstände erzeugten Eigennutz und der Habgier vieler Einzelner durch Erhöhung der Gehälter zu steuern, und verbot ernstlich das Schulden machen. Jedoch den eigentlichen Sitz des Uebels vermochte man nicht zu erkennen. Das Rechtsbewusstsein , das allein den männlichen Charakter, also auch den tüchtigen Offizier schafft, Begriffe der Subordination gewichen,

war einem ganz verfehlten

welcher nicht die Ehre und

den Dienst des Königs , sondern die unbedingte Unterordnung des Untergebenen unter die Persönlichkeit des Vorgesetzten, das heiszt nicht nur unter seine Stellung als Befehlshaber, sondern auch unter seine ungesetzmäszigen Handlungen und Ansichten für die höchste Pflicht erklärte .

Das allerdings vorbehaltene Klagerecht sank zu

einer bloszen Form herab, denn das Schicksal der Subalternoffiziere war fast ganz in die Hand der Vorgesetzten gelegt.

Die Schicksale

York's und Blücher's zeigen, dass selbst starke Charaktere verdiente Anerkennung nicht fanden.

Da wurde die Armee und das Offizier

corps von den erschütternden Schlägen der Jahre 1806 und 1807 betroffen.

Es hatte sich hier gezeigt : der Kern war noch gut, aber

der Ausdruck seines Wesens war durch viele ihm anhaftende Mängel verschlechtert.

Das Offiziercorps wurde alsdann regenerirt, die Miss

bräuche abgeschafft, die unwürdigen Mitglieder entfernt.

Ein Ehren

gericht prüfte das Verhalten jedes Einzelnen, und Solche, denen ein 21 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

322

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

Zeugniss des Wohlverhaltens versagt werden musste, wurden kriegs gerichtlich bestraft oder entlassen. Die Verordnung vom 3. August 1808 über die Bestrafung der Offiziere gab den Offizieren eine ganz andere Stellung in Bezug auf Behandlung durch die Vorgesetzten sowohl im Dienste als auszer Dienst.

Alle erniedrigenden Strafarten , namentlich das Arretiren

von Offizieren durch einen Unteroffizier und zwei Mann , wie es häufig wegen kleiner Exercierfehler geschehen, wurde auf das strengste verboten, und als härteste gegen einen Offizier zulässige Disciplinar strafe nach Erschöpfung der übrigen der Stubenarrest festgesetzt mit der an sich natürlichen Bestimmung , dass derjenige, welcher auf Treue und Glauben unter dieser

milderen

Verhaftung steht

und

dennoch seinen Arrestort verlässt, nicht mehr fähig sein könne , Offi zier zu bleiben.

Zugleich wurde durch die Einrichtung der Ehren

gerichte dem Offiziercorps die Möglichkeit gegeben, sich selbst von nicht ehrenhaften Mitgliedern zu befreien, und in der Bestimmung, dass nur diejenigen

zu

Offizieren vorgeschlagen werden sollten,

welche vorher hierzu durch die Offiziercorps gewählt worden, wurde diesen das Mittel gewährt, sich vor der Aufnahme unwürdiger Mit glieder zu hüten.

In dem Adel allein war nicht mehr der Träger

sittlicher und socialer Bildung zu suchen, man brauchte daher nicht mehr auf ihn allein zurückzugehen, um ein würdiges Offiziercorps zu erhalten.

Die Cabinetsordre vom 6. August 1808 setzte fest,

„einen Anspruch an Offizierstellen sollen von nun an in Friedens zeiten nur Kenntnisse und Bildung gewähren, in Kriegszeiten aus gezeichnete Tapferkeit und Ueberblick.

Aus der ganzen Nation

können daher alle Individuen, die diese Eigenschaften besitzen, auf die höchsten Ehrenstellen beim Militair Anspruch machen. “ Die Charge der Gefreiten - Corporale wurde abgeschafft, bei jeder Com pagnie ein Fähnrich angesetzt und das Avancement in derselben Art geregelt , wie es heute noch der Fall ist.

Mit Recht suchte und

fand man das Mittel gegen Fehlgriffe bei der Auswahl des Avanta geurs in den Bedingungen der Bildung , die in einer wissenschaft lichen Prüfung vor der Examinationscommission zu Berlin dargelegt werden musste, und demnächst in der Erklärung der Vorgesetzten und der Offiziere des Regiments, dass der junge Mann durch seine ganze Erziehung , seine Sittlichkeit , seinen Takt und seine Kennt nisse sich würdig zeige, dem Dienste Sr. Majestät als Offizier anzu gehören.

Von nun an tritt als neues Princip, nachdem der Offizier

stand herangebildet wurde, die Intelligenz hinzu , welche schon von Friedrich dem Groszen angestrebt , aber jetzt erst wirklich erreicht

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben. 323 wurde.

Als neues Element trat neben dem Adel

der gebildete

Bürgerstand in das Offiziercorps ein und verschmolz sich mit jenem zu einem festen Ganzen, indem es die alten und wieder neubelebten Gesinnungen der Offizierehre in sich aufnahm.

Ausgezeichnete Ge

nerale standen dem Könige in der Belebung dieses Geistes mit Rath und That zur Seite.

So schreibt der Herzog Carl von Mecklenburg

in der Einleitung zu den Dienstvorschriften des Gardecorps in Betreff des Offiziers : „ auch ihm sind Anhänglichkeit und heilige Pflicht treue unentbehrlich , auch ihm sind Achtung und Liebe für seinen Stand und eine strenge Subordination gleich unerlässlich ; ja er muss sie in einem höheren Grade besitzen und üben, denn an ihm ist es, hierin das Beispiel zu geben.

Sie vereinigen sich in ihm mit noch

zwei anderen Tugenden und treten als ein Ganzes mit diesen hervor, die als belebendes Princip in allen Handlungen des Offiziers wirk sam sein, als die Blüthe des Standes gepflegt und als das Kleinod desselben bewahrt werden müssen . Diese sind die Ehre und der kameradschaftliche Geist. " Natürlich mussten von jetzt ab von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Anforderungen an

die wissenschaftliche Bildung des Offiziercorps

gesteigert werden. Drei Könige, Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., haben dieser Bildung ihre unausge setzte Fürsorge zugewendet, ohne deren praktische Verwerthung für die Führung der Truppen aus den Augen zu verlieren. Jedes Wissen muss zum Können werden , ist ein Satz , der die Armee vor un fruchtbaren , selbstgefälligen Speculationen bewahrt.

Die vortreff

lichen Schulen und Gymnasien des Landes , das durch seine Vor Anstalten erweiterte Cadettencorps ,

die Kriegsschulen

nebst

der

vereinigten Artillerie- und Ingeneurschule , die Kriegsakademie und unsere Universitäten bieten allen jungen Männern, welche den Dienst in der Armee zu ihrem Lebensberufe machen wollen, die reichste Ge legenheit, den Kreis ihres Wissens entsprechend auszudehnen .

Ca

detten , Gymnasiasten , Abiturienten und Studenten legen innerhalb des Offiziercorps Zeugniss ab von den ernsten wissenschaftlichen Streben seiner Mitglieder. Hervorragend und seiner groszen Aufgabe

1 entsprechend bewährt sich in dieser Beziehung im Felde wie im Frieden der Generalstab der Preuszischen Armee. Die Belebung des Gefühles für Ehre und Pflicht haben sich die eben erwähnten drei Monarchen mit seltener Liebe angelegen sein lassen.

Die so lange

schwankende Duellangelegenheit hat ihren

Abschluss gefunden in der Verordnung vom 2. Mai 1874, durch welche die Bestrafung des Zweikampfes aufgehoben für Fälle der 21 *

324

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps

beleidigten Ehre , " wenn die Bedingungen des Zweikampfes Schwere des Falles in keinem Missverhältnisse stehen. "

zur

Neben dem Gefühle für Ehre haben die Könige die Kamerad schaft der Offiziere in der ganzen Armee, sowie den Corpsgeist im einzelnen Regimente

genährt.

Nicht , wie Manche glauben , wird

ersterer durch diesen geschädigt, im Gegentheil der Corpsgeist ist zu Erlangung einer allgemeinen Kameradschaft nothwendig.

Wie

jedes Ding sich nicht in der Allgemeinheit zu entwickeln im Stande ist, sondern eines kleineren Kreises bedarf, um sich zu entfalten und fortzubilden , so muss die Kameradschaft zunächst im Offiziercorps des einzelnen Regiments entwickelt werden, um sich über die ganze Armee ausdehnen zu können.

Daher die Königlichen Verordnungen,

nach denen das ganze Offiziercorps für die Fehler der einzelnen Kameraden verantwortlich gemacht wird, indem die Aelteren auf die Jüngeren einwirken und sie erziehen sollen. Daher die Bestimmung, nach der jedes Regiment für einen Offizier, der auf nicht ehrenvolle Weise aus dem Regimente scheidet, Einschub erhält und im Avance ment benachtheiligt wird.

Ein nicht unwesentliches Mittel zur Er

haltung der Kameradschaft ist ferner die ausgezeichnete Einrichtung unserer Ressourcen mit gemeinschaftlichem Mittagstische. Das altbewährte Avancement nach der Anciennetät stärkt das berechtigte Selbstgefühl jedes Einzelnen und bewahrt das Offizier corps

vor

Nepotismus und Schmeichelsucht , während durch

den

Generalstab und die Beförderung auszer der Tour hervorragende Ta lente gefördert und verwerthet worden. Die

gleichmäszige

Verantwortlichkeit

sämmtlicher Offiziere innerhalb

und

Selbstständigkeit

ihres Wirkungskreises erhöht die

Liebe zum Berufe. Die Erziehung des Offiziercorps ruht im Wesent lichen in den Händen der Commandeure ; sie sind für Erhaltung des Geistes der Ehre und Pflicht verantwortlich. Durch Erziehung, Bei spiel, Belehrung , Warnung und Befehl sollen sie entsprechend auf die ihnen übergebenen Offiziere wirken ; sie haben nicht allein ihr dienstliches Verhalten zu überwachen , sondern auch das auszer dienstliche Benehmen , vor allen Dingen den Umgang. ment und sein Offiziercorps

Das Regi

ist für den Preuszischen Offizier die

Heimath, welche ihm durch Nichts ersetzt werden kann. Glänzend bewährt hat sich das Offiziercorps 1848, als das Land,

von den Stürmen der Revolution durchweht, von der Armee gerettet wurde. Eine andere Klippe drohte nach dieser Zeit dem Offizier corps ; nachdem dasselbe sich in dieser unruhigen Zeit als Träger der conservativen Gesinnung gezeigt hatte, glaubten einzelne der

nebst kurzer Darstellung der Grundsätze bei Heranbildung desselben.

325

höheren Führer, als das politische Leben den gröszten Theil der Nation beschäftigte, die Offiziere in das politische Kampfgewühl hineinziehen zu müssen. weise

Die unabwendlich schlimmen Folgen dieser Handlungs

traten aber

bald

klar

zu

Tage

und

durch

Königliche

Willensäuszerungen wurde die Armee von den politischen Wahlen ferngehalten ; eine Bestimmung , die später auch im Reichs-Militair gesetz vom 3. Mai 1874 Platz gefunden hat. Noch eine Gefahr überwand das Offiziercorps ebenfalls glück Die Offiziere waren während der langen Friedenszeit in ihren Chargen so gealtert , dass nach einer Aufstellung , welche zu Ende

lich.

der fünfziger Jahre gemacht wurde, fast in sämmtlichen Chargen um sechs bis acht Jahre ältere Offiziere waren, als dies im Jahre 1806 der Fall gewesen.

Durch Feststellung einer bestimmten Altersgrenze

für jede Charge wurden daher die älteren Elemente allmälig auszer Thätigkeit gesetzt, was um so einflussvoller war, als die Fortschritte der Taktik frischere Kräfte auch in den höheren Stellen erforderte. Auch die Reorganisation der Armee brachte demnächst das Avance ment wieder in Fluss, so dass das Offiziercorps nach einigen Jahren verjüngt dastand , fähig der Armee frischen Geist und frisches Leben einzuhauchen .

Während früher manche tüchtige Kraft ,

die

Neigung zum Soldatenstande hatte, in Folge der geringen Aussicht für das Fortkommen eine andere Laufbahn ergreifen musste , strömten seit der Reorganisation junge Leute von guter Erziehung und gründ licher Vorbildung , Abiturienten und Studenten in groszer Anzahl herbei , um ihre Laufbahn in einem Stande zu beginnen , der mit idealen Zielen eine geehrte Stellung im Staate und in der Gesell schaft verbindet. Bis auf den heutigen Tag hat das von Friedrich Wilhelm I. durchgeführte

System der durch Bildung begründeten strengen Scheidung des Offiziercorps , sowie der gleichen Qualität aller Ele

mente desselben sich bewährt . Ohne dieses System würde das Offi ziercorps nie zu der hohen Blüthe gelangt sein, hätte sich nie das Gefühl der gemeinsamen Ehre und des kameradschaftlichen Geistes in der geschehenen Weise durchbilden lassen. Der Ausspruch : „jeder Soldat trägt den Marschallsstab in seinem Tornister" , welches eine Haupttriebfeder des Ehrgeizes in der Französischen Armee bildete und der den ungebildeten Elementen zum Schaden des Ganzen leichten Eintritt in die Armee gestattete , hat bei uns - Dank der Weisheit unserer Hohenzollern - keine Annahme gefunden.

Die

Erfahrung hat gezeigt, wie ungünstig besonders in Frankreich und Oesterreich die Verschiedenheit der Elemente im Offiziercorps ge

326

Die historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps etc.

wirkt hat.

Der Einheit des Standes verdanken wir zum groszen

Theil die Autorität des Offiziers, die Disciplin der Armee, die Ach tung , die unser Offiziercorps im ganzen Lande, in der ganzen Welt sich bewahrt hat. Herangebildet ist dieses Offiziercorps aus den Elementen des Adels und des Bürgerstandes, welche sich durch Er ziehung und Bildung des Corps würdig zeigen, treu seiner hohen Bestimmung, der Träger des Geistes der Armee zu sein.

Das Offi

ziercorps des Beurlaubten- Standes, zeigt dem königlichen Vertrauen entsprechend, das ernste Bestreben, sich von diesem Geiste und von diesem Wesen gleichfalls erfüllen zu lassen. Groszes hat das Preuszische , das Deutsche Offiziercorps

ge

leistet, als Muster steht es da für alle Europäischen Armeen, welche zum Theil die Einrichtungen desselben nachzuahmen suchen , ohne den Geist in sich aufzunehmen , verkennend , dass dieser nicht mit einem Hauche hineingeweht, sondern von einer Reihe von Herrschern mit starker Hand hineingepflanzt ist. Dieser Geist des Offiziercorps, in dem die Tüchtigkeit der Armee gipfelt , war es namentlich, der die groszen Siege gewinnen half, der in Verbindung mit einer grosz artigen Staatskunst den nationalen Gedanken verwirklicht hat : Sadowa und Sedan sind die Grundpfeiler der Deutschen Einheit ! Unter der Führung unseres kaiserlichen Kriegsherrn steht in ein heitlicher

Organisation

und

Ausbildung

nunmehr

das

gesammte

Deutsche Heer da ! Mit gerechtem Stolze können wir auf die Ver gangenheit, mit froher Zuversicht in die Zukunft blicken ; denn streben und

schaffen wird ein Jeder , dass das Heer den höchsten An

forderungen auch ferner entspricht.

Der kräftige Arm der Hohen zollern und die Thätigkeit des Offiziercorps werden den Geist der

Ehre, der Treue, des Gehorsams , der Tapferkeit und der Kamerad schaft in der gesammten Armee erhalten und fördern. Es dürfte zum Schlusse wohl auch nicht zu viel gesagt sein, wenn wir behaupten : Deutschlands Einigkeit , Deutschlands Grösze stützt sich auf seine Armee, auf sein Offiziercorps ; denn eine uralte Staatsweisheit liegt in dem Satze des Sallust : Nam imperium his artibus retinetur, quibusdam initio partum est.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

327

XX.

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spät herbste 1870. Eine Studie von H. Helvig , Major im Bayerischen Generalstabe , commandirt zur Dienstleistung beim Groszen Generalstabe.

(Schluss.) * ) Mit der Einnahme von Orléans wurden zwei grosze , für die ganze Kriegführung nicht zu unterschätzende Vortheile erreicht ; erstens waren die neu formirten und, wie man glaubte , letzten organisirten Kräfte der jungen Republik zurückgeworfen , zweitens hatte man an der wichtigen Barrière des Loire-Stromes festen Fusz gefasst , von wo aus man hoffte , nicht allein die Südseite der Cernirungs -Armee decken , sondern auch mit kurzen Ausfällen in dem Raume zwischen Tours - Bourges - Nevers die Neubildung feind licher Armeen stören zu können . In moralischer Beziehung war die Besetzung von Orléans für die Franzosen fast ein ähnliches, nie für möglich gehaltenes Ereigniss, wie die Einschlieszung von Paris . Seitdem im Jahre 1429 die Engländer mit Hülfe eines frommen Wahnes aus Orléans vertrieben worden waren, hatte keines Feindes Fusz die Stadt mehr betreten! Im Hauptquartier zu Versailles begnügte man sich nicht damit, die Franzosen aus dem Traume gerissen zu haben , dass die Stadt der Heldenjungfrau unantastbar sei ; man beabsichtigte vielmehr, das erreichte Resultat sofort praktisch und möglichst gründlich aus zunutzen.

Diese energische Tendenz der

obersten Heeres

leitung , die aber bezüglich der Ausführung ihrer Absichten sich an die Beurtheilung des den thatsächlichen Verhältnissen näher stehen den Generals von der Tann hielt , schien jedoch von dem Gesichts punkte aus , von welchem der letztgenannte General die allgemeine Lage

und

speciell

die

Lage

der

bis

Orléans

vorgedrungenen

Armee-Abtheilung ansehen musste, nicht ohne grosze Gefahren ausführbar zu sein. Diese Verschiedenheit zwischen den Ansichten der Heeresleitung und derjenigen des Generals von der Tann lag darin , dass jene *) Vergl. Jahrbücher Band XVII, Seite 89 und 208 (Oct. und Nov. 1875).

328

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870 .

bereits mit vollständig anderen Factoren rechnete , als sie gewöhn liche Kriegsverhältnisse mit sich bringen , General von der Tann aber, der die siegreichen Kämpfe von Artenay und Orléans geleitet, durch die dabei gemachten Erfahrungen sich gezwungen sah , nor male Factoren in seinen Calcul zu ziehen , wie sie sich ihm in un mittelbarer Berührung mit dem Feinde aufdrängten. — Der Schreiber dieser Zeilen hat in seiner 29 Geschichte des I. Bayerischen Armee Corps von der Tann " die Gründe näher angegeben , welche diesen General bewogen

haben ,

nicht ,

wie

in Versailles gewünscht

wurde, nach Bourges vorzugehen.

Da sich nun einerseits der Ver

fasser

eben

dieser

schmeichelt ,

Studie und jenes dass das

Letztere

von

genannteu

Vielen

Buches

nicht

gelesen worden ist,

andererseits aber jetzt noch , nachdem genau 5 Jahre seit jenen Tagen verflossen sind , dieses Unterlassen eines Vormarsches nach Bourges wie eine Lücke in jener Kette von kühnen, in der Kriegs geschichte fast ohne Beispiel dastehenden Unternehmungen betrachtet wird , — als eine Lücke , die mit glänzendem Erfolge auszufüllen. dürfte es nur ein Bischen keckes Wagen nöthig gewesen wäre, vielleicht angemessen sein , hier in Kürze die Eindrücke nochmals anzuführen , welche sich damals , im October 1870 , dem direct Betheiligten aufdrängten , um damit vielleicht in Etwas die Ansichten zu klären , welche sich allmälig in der Erinnerung an fortgesetzte, nie unterbrochene Erfolge über diese "" Unterlassungssünde" gebildet haben. ――― Am 13. October traf aus Versailles ein Schreiben bei General von der Tann ein, in welchem derselbe aufgefordert wurde, die Ope rationen bis nach dem politisch und militairisch höchst wichtigen Bourges, woselbst sich die gröszte Geschützgieszerei und Chassepot Patronen-Fabrik Frankreichs befindet , fortzusetzeu und gleichzeitig gegen Tours zu demonstrircn ; indirect war auch noch die Ausdehnung dieser Operation bis Châteauroux anempfohlen , indem darauf auf merksam gemacht wurde , dass dort die einzige Fabrik für Kriegs fahrzeuge in Thätigkeit. - Die Beurtheilung der Ausführbarkeit der hier angeführten Operationen wurde aber dem Ermessen des Generals von der Tann anheimgestellt , da man in Ver sailles die konnte.

obwaltenden Verhältnisse nicht

so

genau

übersehen

Wie war nun die Sachlage bis zu dem Augenblicke, in welchem diese Weisung aus Versailles eintraf?

Welches die Mittel zu der

von der obersten Heeresleitung gewünschten Operation ?

Und wie

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

329

gestaltete sich voraussichtlich diese Operation unter Zugrundelegung einigermaaszen normaler Verhältnisse ? Betrachten wir behufs Beantwortung dieser Fragen zuerst die Situation am 13. October. Die Armee - Abtheilung

des Generals

von der Tann war in

Orléans 13 Meilen (4 Märsche) von Longjumeau , oder überhaupt von der Cernirungs- Armee , von welcher allein eine eventuelle Unterstützung zu erwarten , entfernt. Bei dem Vorrücken nach Orléans hatte man zuerst bei Angerville eine kleine , militairisch organisirte Freischaaren - Abtheilung zersprengt , bei Artenay zum Theil kräftigen, bei Orléans sehr hartnäckigen Widerstand gefunden . - Vom Feinde wusste man am 13. October Folgendes : Gien, 7 Meilen von Orléans , ist vom Feinde besetzt , es wurden dort Linien-Infanterie und Chasseurs à cheval bemerkt (Nachrichten von Einwohnern) ; bei Blois ( 72 Meilen von Orléans) und Loire auf wärts gegen Mer stehen feindliche Abtheilungen, deren Stärke nicht zu erkennen ; Châteaudun ,

6 Meilen von Orléans ,

Bonneval und

Chartres, 8 Meilen von Orléans, sind ebenfalls in den Händen Fran zösischer Mobilgarden .

Südlich von Orléans stoszen die Recognos

cirungen bei La Ferté St. Aubin (3 Meilen von Orléans) auf eine feindliche Vorpostenlinie, treffen auf der Strasze gegen Lailly, längs des linken Loire - Ufers , feindliche Chassenrs. Ueber den am 10. und 11. October geschlagenen Feind weisz man, dass ein feindliches Armeecorps

unter Befehl des

Generals de la Motterouge gegen

uns gefochten, welches zum gröszten Theil aus Truppen bestand, die kurz vorher aus Afrika herangezogen worden waren. Welche Mittel standen dem Generale von der Tann zu der von der obersten Heeresleitung gewünschten Operation zu Gebote ? Das I. Bayerische Corps und die 22. Infanterie-Division hatten nach den Verlusten in den beiden letzten Gefechten , nach den Ab commandirungen zu Gefangenen-Transporten etc. , noch eine Stärke von circa 17,000 Feuergewehren ; an Cavallerie standen auszer den Bayerischen Reiter-Regimentern die 4. und 2. Preuszische Cavallerie Division , im Ganzen 64 Schwadronen , zur Disposition ; auszerdem --Die Hauptstärke lag somit in

waren 160 Geschütze vorhanden.

der Cavallerie und Artillerie, denjenigen Waffen, die voraussichtlich auf Seite des Gegners am schwächsten vertreten waren. Die feind liche Infanterie hatte sich am 11. October hinter Deckungen in den Ortschaften energisch und ausdauernd geschlagen und namentlich dort , wo die Terrainverhältnisse nicht erlaubten , den Angriff mit Artillerie kräftig vorzubereiten, wie bei Les Aides .

Um diese beiden

330

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

Waffen , Artillerie und Cavallerie , mit Vortheil und Nachdruck aus zunutzen , bedurfte Terrains.

man

eines

offenen ,

wenig

durchschnittenen

Wie gestaltete sich voraussichtlich die Operation gegen Bourges auf Grundlage der oben angeführten Nachrichten vom Feinde , der eigenen Stärke und unter dem Eindrucke des bis jetzt geleisteten Widerstandes des Gegners ? Eine halbe Meile südlich der Loire nimmt das Land einen von dem bisher , von Arpajon bis Orléans, durchzogenen Terrain gänz lich verschiedenen Charakter an. — Während in der Beauce ein meilenweit offenes Terrain vorherrscht , nur manchmal unter brochen von einzelnen kleinen Waldparzellen und scharf ein geschnittenen , aber schmalen Bodenrissen , und es hierdurch

der

Artillerie ermöglicht wird, ihre ganze mächtige Feuerkraft in groszen Batterien zu entwickeln , die Cavallerie überall volle, ungehinderte Bewegungsfreiheit besitzt , Vierzon zwischen

ganz

bedeckt

denen

ist das Terrain südlich der Loire mit

groszen

ein wahres Labyrinth

und

kleinen

von Seen

bis

Waldungen, und Teichen.

Bedeutende Bäche mit einer Menge kleinerer Wasserläufe, fast alle mit sumpfigen Ufern , ziehen parallel zu einander von Ost nach West ; die Artillerie ist in ihrer Schusswirkung überall gehindert ; die Cavallerie aber eingeengt zwischen Waldungen , Seen und Sümpfen, kann in diesem Terrain

durch

wenige Hunderte mit guten Ge

wehren bewaffneter Bauern bis zur Verzweifelung harcelirt werden, ohne ein fassbares Object zu finden , gegen welches sie die Kraft ihres Ansturmes geltend machen kann.

Der Infanterie wurde der

Angriff in der Beauce schwer , sehr schwer , aber auch der Feind, der Vertheidiger , fand mit Ausnahme der Dörfer und Gehöfte fast keinen Stützpunkt im Terrain , die Artillerie konnte die Gebäulich keiten zerschmettern , durch massirtes Feuer die feindlichen ,

im

Terrain kaum gedeckten Unterstützungen und Reserven erschüttern und den Angriff kräftig vorbereiten . ist es anders.

Südlich Orléans, in der Sologne,

Dort findet der Vertheidiger zahllose Abschnitte und

Deckungen , kein Auge erkennt seine Stärke , bemerkt seine Be wegungen , er muss gefasst werden auf den nächsten Entfernungen, und eine Brigade entwickelt sich vielleicht gegen einen Abschnitt, einen langgestreckten Wald , aus dem ihr unaufhörliches

Schnell

feuer entgegenknattert, um vielleicht nach mühevollen Vorbereitungen und verlustreichem Vorgehen einige Hundert Mobilgarden zu ver treiben, die eine halbe Meile weiter rückwärts von Neuem sich fest setzen und von Neuem

zu denselben Anstrengungen zwingen.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

331

Die Basis für die Operation in der Sologne war dabei nicht breiter, als die Chaussée , welche von Orléans nach Bourges führt , und die Verbindungslinie mit der Cernirungs-Armee , bei Bourges 10 Tage märsche lang , verlangte besonders südlich Orléans eine Reihe von starken, selbsständigen Posten , oder sie wurde jeden Tag unter brochen , wo es dem rachsüchtigen Fanatismus der Einwohner be liebte , die schwachen Trupps oder Relais aufzuheben.

Die Armee

Abtheilung musste selbstverständlich Orléans stark besetzt halten, weil diese Stadt das Hauptverbindungsglied

mit der Cernirungs

Armee bildete , und auszer der Operation auf Bourges auch gegen Tours demonstrirt werden sollte ; man wusste ferner nicht , was der Feind in Châteaudun ,

Bonneval , Chartres

und

jene

feindlichen

Truppen in Gien unternehmen würden, wenn sie Kenntniss erhielten von der Fortsetzung der Deutschen Offensive in der Richtung auf Bourges .

Eine Infanterie- Brigade, eine Cavallerie- Brigade und etwa

vier Batterien hätten zur Besetzung von Orléans und der Demon stration gegen Tours zurückbleiben müssen.

Der Vormarsch konnte

somit am 15. October mit 15,000 Mann Infanterie, 44 Schwadronen und 136 Geschützen begonnen werden . Der Verfasser nannte diese Zeilen eine Studie ――――

erscheint es

anmaaszend, wenn neben der allgemeinen Betrachtung der Kriegs verhältnisse und der aus ihnen zu folgernden Schlüsse und Belehrun gen auch einzelne Momente in die „ Studien “ gezogen werden , welche nicht im äuszeren kriegerischen Handeln sich abspielen ? Mancher Leser wird sich ernster, folgenschwerer Stunden erinnern , während welcher kein Schuss fällt , vielleicht drauszen auf dem Platze eine Regimentsmusik friedlich lustige Weisen spielt ,

bei deren Klängen

Offizier und Soldat froh den frohen Tag genieszen , unterdessen der Führer mit seiner nächsten Umgebung die kommenden Ereignisse prüfend überdenkt und seinen Entschluss fasst , von dem vielleicht viel, sehr viel abhängt.

Meist rasch sind solche ernste Stunden ver

laufen, wenn die Aufgabe, welche zu lösen, sei sie auch noch so schwer, klar und unumwunden gegeben, wenn das Ziel, das erreicht werden soll und muss, gesteckt ist, wenn es keine andere Erwägung giebt, als das „ Wie “ ? Um wie viel schwieriger aber wird die Frage, wenn es sich nicht nur um das Erreichen eines Zieles handelt, sondern in erste Linie die Betrachtung treten muss, ob denn über haupt das Ziel ohne Gefahr für das Ganze angestrebt werden darf; um wie viel ernster, wenn auf der einen Seite der drängende Wunsch der obersten Heeresleitung,

die Wichtigkeit des Zieles und

die eigene persönliche Thatkraft, auf der anderen Seite die Möglich

332

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

keit in die Waagschale des Entschlusses fällt , durch einen Fehlgriff den Feind moralisch zu heben, wieder aufzurichten, anstatt ihn in's Herz zu treffen . ―――――――― Eine solche ernste Stunde war an jenem Abende des 13. Octobers bei • dem Generalcommando des 1. Bayerischen Armeecorps ; die Marschbefehle für den 15. October waren vorbereitet, mit dem Zirkel in der Hand wurden die Etappen bis Bourges festgestellt , ergab sich ,

und es

dass an jedem Tage ein anderer Abschnitt erreicht

wurde, von denen ein jeder successive stärker als der andere, für eine hartnäckige Vertheidigung durch die Franzosen günstiger war, und welche nur durch weit ausholende Umgehungen genommen wer den konnten , die aber, des für Cavallerie ungeeigneten Terrains wegen, von der Infanterie ausgeführt werden mussten. Gesetzt, das Vorrücken hätte am 15. October begonnen, so traf die Armee-Abtheilung an diesem Tage auf den Abschnitt des Cosson Baches , an dessen linkem Ufer das starke, die Strasze sperrende La Ferté - St. Aubin liegt. Am zweiten Tage erreichte man zwei Meilen von La Ferté den weit stärkeren Abschnitt des Beuvron-Baches , bei La Motte Beuvron. Am dritten Tage traf man vor dem von der Französischen Heeres leitung als ganz hervorragend vertheidigungsfähig erachteten Ab schnitt von Salbris an der Sauldre ein. Das südliche Ufer dieses in seinem ganzen Laufe tief eingeschnittenen Flusses überhöht durch weg den nördlichen Uferrand um mehrere Meter.

Bis zu diesem

dritten Tage vermochten die Franzosen Verstärkungen von Gien nach Salbris (sieben Meilen) heranzuziehen, jedenfalls aber konnten mittelst Eisenbahn Unterstützungen von Tours eingetroffen sein .

An

jedem der bisher genannten Punkte La Ferté, La Motte Beuvron und Salbris mussten, um die Verbindungslinie einigermaaszen sichern ,

zu

Besatzungen zurückgelassen werden und zwar wiederum

hauptsächlich Infanterie.

Am vierten Tage traf die Armee-Abtheilung

vor Vierzon ein ; einen Gegner, der in einer starken Stellung südlich des Cher-Flusses stand, durfte man nicht ignoriren und an ihm vor bei nach Bourges rücken ; man musste also entweder Vierzon und die Höhen südlich davon angreifen oder das dortige Debouchee durch Zurücklassung eines starken Detachements sperren, um während des - Endlich am Angriffes auf Bourges im Rücken gesichert zu sein. fünften Tage nach dem Abmarsche von Orléans konnte Bourges er reicht werden, in welcher Stärke aber und in welcher Verfassung dort vielleicht ein entscheidendes Gefecht gegen numerisch überlegene Kräfte , die stark verschanzt waren, durchgekämpft werden konnte,

Der erste Theil des Loire -Feldzuges im Spätherbste 1870.

333

dies hing von den vorhergegangenen Tagen ab , von der mehr oder minderen Hartnäckigkeit, mit welcher der Feind die eben erwähnten Abschnitte vertheidigt hatte. Wie bemerkt , konnte die Armee - Abtheilung mit circa 15,000 Mann Infanterie aus Orléans abrücken ; erscheint es zu hoch ge griffen, wenn für allenfallsige Verluste, Abcommandirungen und Be satzungen auf der Strecke Orléans - Bourges 5000 Mann Infanterie abgerechnet werden ?

Dann hatte die Armee - Abtheilung nur noch

10,000 Mann Infanterie bei Bourges zur Verfügung . Mit diesen, unterstützt durch die zahlreiche Cavallerie und Artillerie, musste um jeden Preis ein voller , ganzer , entscheidender Er folg

erfochten werden ; an einen Misserfolg durfte gar

nicht gedacht werden , denn dann war nicht allein die Existenz der Armee-Abtheilung, fünf Tagemärsche von Orléans und zehn Tage märsche von der Einschlieszungsarmee entfernt , in Frage gestellt, sondern und dies war die Hauptgefahr - der Krieg konnte einen unerwarteten Umschlag erhalten , wenn es den Franzosen gelingen sollte, einen entschiedenen Erfolg zu erringen. Mit diesen hier angeführten Möglichkeiten wurde im Haupt quartiere zu Orléans gerechnet - und beschlossen, den Vormarsch gegen Bourges nicht zu unternehmen.

Es

wurden hier wieder

einigermaaszen

zu

Grunde

normale

Verhältnisse

gelegt ,

ein

ernster Widerstand , wenn auch ein rein defensiver , in Be tracht gezogen, auf Erhaltung und sorgfältige Sicherung der Ver bindungslinien Rücksicht genommen, und die Möglichkeit kam zur Erwägung, dass es doch vielleicht nicht gelingen werde, dem Gegner eine vollständige Niederlage beizubringen. ――― Dürfte der Führer der Armee - Abtheilung nicht vollständig berechtigt , ja geradezu verpflichtet gewesen sein, in jenen Stunden, wo von seinen Entschlüssen nicht allein das Wohl und die Ehre seiner unterhaben den Truppen, sondern vielleicht auch der weitere Verlauf des ganzen Krieges abhing, jenen Erwägungen Raum zu geben, wie sie sich aus den Grundregeln der Kriegführung ergeben, anstatt lediglich auf die Bravour seiner Truppen und sein Glück vertrauend , wie auf einem kecken Streifzuge in das feindliche Land hinein zu marschiren ? Es wird sich vielleicht später Gelegenheit finden, in dieser Studie eines Kriegsabschnittes Erwähnung zu thun , während welches man eben falls in feindliches ,

leicht zu vertheidigendes Land einrückte, für

Sicherung der Verbindungen manche Tage den lieben Gott allein sorgen liesz und unaufhaltsam einen Feind suchte, wenn auch ver geblich , von dessen Stärke man keineswegs bestimmte Nachricht

334

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

hatte .

Aber zur Zeit dieser Operation, etwa einen Monat später, als

die hier berührte Operation gegen Bourges in Frage kam, hatte man bereits den neu formirten Feind kennen gelernt , man wusste im Groszen und Ganzen die Gruppirung seiner Streitkräfte, und durfte daraus schlieszen, nur geringere Theile derselben zu finden ; endlich war bei einem unvorhergesehenen Misserfolge, bei allen bedenklichen Consequenzen desselben , für das Ganze nichts zu fürchten, — denn Metz Orléans. --

war

damals

gefallen und

Friedrich

Karl

stand vor

Das Nichtvorgehen gegen Bourges wird von Vielen, welche nur die mit verhältnissmäszig so geringen Mitteln errungenen Erfolge in den Monaten December und Januar im Auge hatten, lassungssünde" betrachtet ,

wir haben versucht ,

als „ Unter

diese Sünde zu

motiviren und sind, wenn auch diese Motive jetzt, nach fünf Jahren, nicht mehr als stichhaltig angenommen werden sollten, dennoch über zeugt, dass Manche, die jetzt vielleicht achselzuckend einen directen Tadel

unterdrücken ,

dortmals ,

in

Orléans ,

mitgesündigt

hätten.

Schlieszlich noch ein Wort über die factische Stellung der Fran zosen in jenen Octobertagen. Das feindliche 15. Corps hatte sich zum Theil (1. Division) nach Gien, mit dem Gros aber nach La Ferté - St. Aubin zurückgezogen ; dort übernahm am 12. October an Stelle des durch Gambetta ab gesetzten Generals de la Motterouge der General d'Aurelle de Pala dines den Oberbefehl über das 15. und zugleich über das bei Blois sich formirende 16. Corps. Am 15. October mit Tagesanbruch mar schirte das 15. Corps mit den bei La Ferté befindlichen Truppen nach La Motte - Beuvron, woselbst der Französische Befehlshaber folgenden Befehl aus Tours erhielt :

„ Ne passez pas la Loire, mais

manoeuvrez au mieux, en vous maintenant le plus longtemps possible, de manière à couvrir Vierzon d'abord et ensuite Bourges. La con servation de Bourges doit être votre objectif principal et définitif. Cet ordre a été déliberé en conseil. " Léon Gambetta. Um diesem Auftrage gemäsz Vierzon und Bourges zu decken, führte General d'Aurelle seine Truppen am 17. October hinter die Sauldre nach Salbris . Hinter diesem Abschnitte hatte das 15. Corps von diesem Tage an ( 17. October) bis zum 27. October mit geringen Veränderungen nachstehende

Stellung inne :

die

1. Division und

1. Cavallerie - Brigade rückten von Gien nach Argent (fünf Meilen von Salbris ) ; die

2. Division besetzte bei Pierrefitte (zwei Meilen

von Argent, eine Meile von Salbris) das linke Ufer der Sauldre ; die

K

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

335

3. Division, die Cavallerie-Division (Rayau) und die Artillerie- Reserve nahmen Stellung südlich Salbris .

Eine Cavallerie - Brigade war zur

Verbindung zwischen der 1. Division (in Argent) und der 2. Division (bei Pierrefitte) nach St. Montaine gerückt. In der Nacht vom 14. zum 15. October, sowie am Morgen des letzteren Tages hatte ein Kriegsrath in Tours stattgefunden, dem auch General Bourbaki beiwohnte, in welchem der Beschluss gefasst wurde, bei Salbris, hinter der Sauldre , einen verzweifelten Wider stand zu versuchen. Bei Blois waren am 19. October von dem neu formirten 16. Corps versammelt : 15,000 Mann Infanterie, 42 Geschütze und 2500 Mann Cavallerie. -

Als Antwort auf die Meldung des Generals von der Tann , dass er die Lage der Situation nicht dazu angethan erachte, die Vor rückung bis Bourges fortzusetzen, traf am 16. October aus Versailles der Befehl ein, dass die 22. Infanterie-Division, sowie die 4. Ca vallerie-Division von Orléans über Châteaudun und Chartres wieder in ihren Rayon abzurücken habe ; das 1. Bayerische Corps und die 2. Cavallerie-Division sollten Orléans besetzt halten und vorzüglich gegen einen Angriff von Süden sichern . Diesem Auftrage wurde durch Befestigung des Loiret-Abschnittes südlich Orléans sofort entsprochen ,

dort hatte eine Bayerische In

fanterie- Brigade in Verbindung mit der 4. Preuszischen Cavallerie Brigade die Sicherung und Recognoscirung

zu übernehmen ;

zur

Sicherung gegen Osten und gegen den nordöstlich liegenden Wald waren Detachements an den Canal d'Orléans und nach Loury vor geschoben; gegen Westen deckten zwei Preuszische Cavallerie - Bri gaden (3. und 5. ), deren rechtem Flügel sich bald auch die Bayerische Cürassier - Brigade anschloss .

Um dieser beobachtenden und auf

klärenden Cavallerielinie, welche sich von Coinces (nördlich der Strasze Orléans - Châteaudun) bis fast an die Loire erstreckte, einen defensiven Rückhalt zu geben ,

waren zunächst hinter deren linken

Flügel zwei Bataillone nach St. Ay und hinter deren rechten Flügel ein Bataillon nach St. Peravy la Colombe verlegt worden. Auch hier ergiebt es sich gleichsam von selbst , wie in einem früher erwähnten, ähnlichen Falle, der Cavallerie, welche im sta bilen Verhältnisse den Feind beobachten, dessen Maaszregeln auf klären soll , zur Lösung dieser Aufgabe Infanterie beizugeben ist. Die 2. Cavallerie - Division wäre beispielsweise sehr gehindert ge wesen, hätte man ihr zu ihrer Bewegung am 10. October, als sie

336

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

von Autruy gegen Pithiviers aufklärte und dann auf das Gefechts feld von Artenay rückte, Infanterie beigegeben.

Diese Division hätte

ihre rapide Bewegung , wobei sie acht Meilen in acht Stunden , ein schlieszlich einer Stunde Rast, zurücklegte, entweder ausgeführt, ohne auf die Infanterie Rücksicht zu nehmen und diese zurücklassend, so dass dieselbe vielleicht noch bei Pithiviers stand, während die Ca vallerie- Division bereits bei Artenay eintraf : oder sie nahm Rück sicht auf die Infanterie, dann war es ihr aber auch nicht möglich, mit ganzer Kraft und rechtzeitig auf dem Kampfplatze ein zutreffen. Noch eine andere Betrachtung über die Verwendung der Ca vallerie drängt sich hier auf, es ist dies so zu sagen eine militairsch technische Betrachtung über die Verwendung der Cürassier - Regi menter. Es erscheint vielleicht als eine Raumverschwendung in diesen Zeilen auf das in letzterer Zeit nahezu todtgeschwiegene Thema : Sollen Cürassiere beibehalten werden oder nicht ? nochmals ausführlich zurückzukommen. erwähnt werden,

Es sollen aber hier nur Thatsachen

die von anderen, berufenen Federn vielleicht im

verneinenden Sinne für obige Frage benutzt werden können . In der zweiten Hälfte

des Monats October betrug die

Aus

dehnung der gegen Westen zu sichernden Strecke etwas über drei Meilen, von der Loire bis an die von Bonneval über Patay nach Orléans führende Strasze. Die bisher dort verwendeten zwei Preu szischen Cavallerie - Brigaden unter Generallieutenant Graf Stolberg konnten trotz der angestrengtesten , aufopferndsten Thätigkeit mit zwei Husaren-, einem Ulanen- und einem Curassier - Regiment diesen Raum nicht decken ; die 4. Cavallerie - Brigade dieser Division stand um und bei Olivet , die Bayerische Divisions - Cavallerie war im Süden und Osten von Orléans verwendet , somit blieb nur noch die Bayerische Cürassier - Brigade zur Disposition.

Sie wurde auf

den rechten Flügel der gegen Westen aufgestellten Cavallerielinie gesetzt und hatte die Aufklärung und Sicherung gegen Bonneval und Châteaudun und die Erhaltung der Verbindung mit der in Chartres Abgesehen von stehenden 22. Infanterie - Division zur Aufgabe. ― dem, im Vergleiche mit dem Preuszischen, auszerordentlich schwachen Pferdemateriale der Bayerischen Cürassiere waren die Reiter auszer mit dem Pallasche nur mit einer glatten Vorderlader-Pistole bewaffnet, die ihrem Gewichte und mangelhafter Trefffähigkeit nach weit eher als Streitkolben, denn als Feuerwaffe benutzt werden konnte. -

Im Recognoscirungs- und Sicherungsdienste ist für den Reiter eine gute Feuerwaffe , nebst dem Gefühle auf einem ausdauernden

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870. Pferde zu sitzen, vor Allem eine moralische Stütze .

337 Wie der

Infanterie - Offizier mit ganz anderer Sicherheit in ein vom Feinde besetztes Gebäude an der Spitze seiner Leute eindringt , wenn er anstatt nur den Degen, in seiner linken Hand den sicheren Revolver führt ; wie der Generalstabs- oder Ordonnanz- Offizier weit ruhiger einen nächtlichen oder sonst gefährlichen Ritt macht , im Vertrauen auf den Revolver in seinem Gürtel

so dringt auch die Patrouille

einer mit guten Gewehren bewaffneten Cavallerie mit ganz anderer Zuversicht in ein Dorf, Gehöft ein, durchstreift und umkreist einen Wald , als eine Patrouille, die auszer ihrem guten Willen, ihrem Muthe , nichts hat -

als den langen Pallasch.

Dieses unstreitig

äuszerst unbehagliche Gefühl der Wehrlosigkeit gegenüber jedem fanatisirten Einwohner, der mit einer Jagdflinte aus dem Busche feuerte, hatte zur nächsten Folge, dass man durch die Stärke der abgeschickten Recognoscirungstrupps der Unsicherheit vorzubeugen suchte, und eine weitere Folge war die, dass sich die Cürassiere, in erster Linie am Feinde, bei dem vollständigen Mangel an Feuerwaffen (denn die Pistole war gleich Null) in einer fast permanenten Bereit schaft befinden mussten und gezwungen waren, sobald das Anrücken von auch nur schwacher feindlicher Infanterie signalisirt wurde , zu alarmiren. Diese beiden Consequenzen einer mangelhaften Bewaffnung waren es vor Allem, welche, in Verbindung mit den späteren an strengenden Märschen, das Pferdematerial der Bayerischen Cürassiere so herunterbrachten, dass sie später, im December, mit groszer Re signation im lebhaften feindlichen Feuer stundenlang zwar eine Lücke in der Schlachtlinie passiv ausfüllen konnten, aber nicht mehr ver mocht hätten, eine Attake zu reiten. Man wird entgegnen : den Cürassier kann man nicht noch mit einem Carabiner etc. belasten, gut, dann darf man aber die Cürassiere nur als Schlachten- Cavallerie verwenden ; dann können und dürfen sie an den kecken, kühnen Reiterthaten, wie sie sich so recht eigentlich im Sicherungs- und Aufklärungsdienst ergeben, nicht Theil nehmen ; dann müssen sie so lange geschont und zurückgehalten werden, bis sie vielleicht ein mal Gelegenheit finden, eine Attake zu reiten. ― Wenn aber nun doch die Verhältnisse es absolut gebieten , Cürassiere ebenso zu verwenden, wie die leichte Cavallerie oder Ulanen ? Dann können sie gemäsz ihrer Ausrüstung und Bewaffnung den Sicherungs- und Aufklärungsdienst mit dem besten Willen

nicht so

durchführen,

wie er durchgeführt werden soll . Hierdurch wird die Betrachtung ohne Absicht auf die Frage der Beibehaltung der Cürassiere geführt. Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

Erscheint es zweckmäszig, 22

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870 .

338

diese sehr kostspielige Waffe für einen speciellen Schlachtmoment, der sich vielleicht im ganzen Kriege nicht findet, zu erhalten ? Und wenn in den Schlachten gröszere Cavalleriekämpfe vorkommen, hat man die Cürassiere stets da, wo man sie haben möchte ?

Muss

im entscheidenden Moment nicht jede Cavallerie darangesetzt werden, gleichviel ob leichte Cavallerie oder Ulanen, um dieselbe Aufgabe zu lösen , die man ――――――― theoretisch -- hauptsächlich den Cürassieren zugedacht glaubt ? Man vergleiche die sogenannten , aber jeden falls nur momentanen Vortheile einer Attake durch Cürassiere mit den Nachtheilen, welche daraus entstanden sind, dass Cürassiere im durchschnittenen Terrain, wie beispielsweise die Perche es

bietet,

zum Sicherheits- und Aufklärungsdienste verwendet werden mussten. Werden hier die dauernd zu Tage getretenen Nachtheile die mo mentanen Vortheile eines vielleicht mehrere Male gelungenen, besonders wuchtigen Anpralles nicht aufheben ? Und zum Schlusse noch eine Frage : Würde man jetzt , zu einer Zeit , in welcher das Kriegswesen in ein ganz neues Stadium getreten ist , würde man jetzt Cürassier- Regimenter errichten, wenn man sie nicht hätte ? Gewiss nicht ! Die Situation in Orléans war für das 1. Bayerische Corps und die 2. Cavallerie- Division eine eigenthümliche ; weit vorgeschoben in das feindliche Land , befand man sich gewissermaaszen in einem Sack , nur durch den dünnen Faden einer ziemlich zweifel haft gesicherten Strasze mit der Hauptarmee verbunden .

Der An

griff von Süden, gegen welchen man sich, der Weisung aus Versailles gemäsz, hauptsächlich decken sollte, war am wenigsten zu fürchten, aber er war auch der unwahrscheinlichste. Die Verbindung mit der Umgebung

war

für

die Landeseinwohner

nicht

hermetisch

abzuschlieszen, im Gegentheil, man musste dieselbe sogar gewisser maaszen begünstigen , um nach Orléans für Armee und Einwohner Da die nächste Um den nöthigen Lebensbedarf zu schaffen. gebung bald ausfouragirt war , so musste weiter hinausgegriffen werden, und die hieraus sich ergebende Entfernung sowohl wie die Menge des Bedarfes konnte nicht mehr durch militairische Com mando's beigetrieben, sondern musste durch Landeseinwohner, denen bei allem Patriotismus der Sinn für ein gutes Geschäft nicht ab gegen ausgiebige Bezahlung beigeschafft Hierdurch war es nicht zu vermeiden , dass dem Feinde

handen gekommen war , werden.

fortwährend Nachrichten über

die Occupationstruppen in Orléans

zugingen. Zum Glücke gipfelten fast alle Nachrichten, die auf diese Art die Franzosen erhielten , wie aus den verschiedensten Franzö

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

339

sischen Werken , welche jene Zeit behandeln, hervorgeht, in dem Ge sammtberichte , dass in Orléans etwa 60,000 Mann und eine formi dable Artillerie ständen. (In Wirklichkeit betrug die Stärke 24 Ba taillone ,

38

Escadrons

und

112

Geschütze ,

im

Ganzen

circa

21,000 Mann .) Die fortificatorische Verstärkung des südlich Orléans gelegenen Terrains musste selbstverständlich den Franzosen bekannt werden, und war dasselbe auch von Natur so stark, dass nur die allerdings unberechenbare Führung auf Seite des in der Sologne stehenden Gegners , die vielleicht gerade das Schwierigste anstrebte , zur Vor sicht in dieser Richtung aufforderte. Durfte man also sicher erwarten, einem Angriffe , der nur aus Süden kam, vollständig gewachsen zu sein , so änderte sich die Lage sofort , wenn die Franzosen einen Angriff auf dem linken Ufer mit einem solchen auf dem rechten Ufer combinirten, und wurde noch ungünstiger, wenn der Feind im Süden von Orléans nur lebhaft demonstrirte, diesseitige Kräfte fest hielt, während seine Hauptabtheilungen bei Gien übergingen. Von dort konnten diese entweder sich über Lorris nach Bellegarde (fünf Meilen von Gien) wenden, um die Stadt Orléans von Osten und durch den Wald von Orléans anzugreifen und die Armee - Abtheilung von der Cernirungs - Armee abzuschneiden ,

oder aber sie konnte von Gien

direct gegen Montargis rücken und den Versuch machen, über Fon tainebleau den ausfallenden Parisern die Hand zu reichen. Einen Uebergang des Feindes bei Gien konnte der Comman dirende in Orléans im günstigsten Falle einen Tag nachdem er stattgefunden , erfahren , schwerlich aber schon darüber unterrichtet sein , ob die feindlichen Kräfte sich gegen Orléans oder nach Mon targis wendeten. In keinem der hier angeführten beiden Fälle durfte aber General von der Tann mit seinen Truppen in Orléans stehen bleiben. Orléans ist eine vollständig offene Stadt , die zwar, wie wir am 11. October genügend erfahren haben, viele locale Vertheidigungsfähigkeit besitzt , in der man aber, wenn der Feind von Nordosten und Osten, sowie von Süden angriff , sich unmöglich einschlieszen lassen durfte und , ohne Rückzugs linie , niemals den Kampf annehmen konnte.

Brachte man jedoch in

Erfahrung, dass der Gegner mit seinen Hauptkräften über Montargis gegen Fontainebleau vordringt ,

so trat die Hauptaufgabe der Armee-Abtheilung , die Cernirung gegen Süden zu decken , in den Vordergrund ; eine Aufgabe, die gegen die hier supponirte feindliche Bewegung, von Orléans ausgehend , sehr schwer , in Orléans selbstredend gar nicht gelöst werden konnte . -

22 *

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

340

Schon am zweiten Tage nach dem Abmarsche der 22. Infanterie Division und der 4. Cavallerie-Division gingen zuverlässige Kund schafts-Nachrichten ein, wonach bei Gien lebhafte Bewegung feind licher Truppen herrsche ; es waren Cavallerie und Artillerie bemerkt worden und in diesen Nachrichten die Nummern von feindlichen Re gimentern angeführt , die uns schon am 11. October gegenüber ge standen ; am Abende (des 18. Octobers) traf gleichzeitig die Mittheilung von dem hartnäckigen Kampfe ein, in welchem die 22. Infanterie-Division zur Stunde noch bei Châteaudun verwickelt sei, und mit dieser Mit theilung das Ersuchen , noch weitere

zwei Batterien als Unter

stützung nachzusenden ; auszerdem waren im Laufe des Tages die Patrouillen südlich des Loiret auf zahlreiche Franctireurs und re gulaire Fuszjäger-Abtheilungen gestoszen. Fasst man alle diese Nachrichten , Meldungen und Thatsachen zusammen, musste damals der Gesammteindruck nicht etwa folgen der sein?: Die Franzosen wollen über Gien zur Offensive übergehen, entweder gegen Montargis oder gegen Orléans , und in letzterem Falle diese Stadt zugleich von Süden her bedrohen , ― die nächste Unterstützung aber , die 22. Infanterie Division, ist bei Châteaudun auf einen unerwartet starken Feind gestoszen, dort festgehalten und kann nicht zur Unterstützung herankommen , so dass General von der Tann nur auf seine

eigenen Kräfte angewiesen bleibt; diese

Kräfte müssen aber entweder ein Terrain aufsuchen, in welchem sie ihre Hauptstärke, Artillerie und Cavallerie , ausnützen können, oder sie müssen sich , einen ernsten Kampf vermeidend , an die 22. In fanterie-Division heranziehen , somit in beiden Fällen - Orléans räumen.

Auf Grund solcher gewiss motivirten Erwägungen erstattete General von der Tann dem Ober-Commando der III. Armee Bericht und suchte um die Genehmigung nach, für den Fall, dass der Feind eine der oben angeführten Offensivbewegungen ausführen würde, Orléans räumen und in einem Terrain , in welchem die zahlreiche Artillerie und Cavallerie mit Vortheil verwendet werden könne, etwa bei Pithiviers , Stellung nehmen zu dürfen . Schon am 20. October traf aus Versailles die Antwort auf diesen Vorschlag ein. Der Kern • der Entschlieszung des Ober- Commando's bestand in dem Passus : dass das 1. Corps in Orléans zu verbleiben und die Stadt nur gegen einen an Zahl weit überlegenen Gegner zu räumen habe. Nachdem in dasselbe Schreiben noch einige Be merkungen über des Generals von der Tann bewährte Einsicht und Energie eingeflochten waren, konnte man in Versailles die volle Ge

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

341

wissheit hegen, dass der General, an den solche Weisung gerichtet, nunmehr auf keinen Fall und unter keinen Umständen Orléans ohne Kampf aufgeben würde und diesen Kampf auch annehmen werde , selbst wenn man überzeugt sein durfte , einen an Zahl weit überlegenen Gegner vor sich zu haben, ――――――― sei es auch nur, um diese Ueberlegenheit auch wirklich zu constatiren. In diesem Befehle aus Versailles war eine eventuelle Räumung von Orléans nicht den „ Erwägungen des Generals von der Tann an heimgestellt, nach eigenem Ermessen zu handeln " , wie es in Betreff der früher gedachten Operation gegen Bourges der Fall gewesen war. - Der Commandirende in Orléans hatte hier gar nichts mehr zu erwägen, als wie er, ohne Orléans aufzugeben , den Kampf auch gegen weit überlegene Kräfte unter den günstigsten Be dingungen aufnehmen könne .

Die Kriegführung hatte sich, wie be

reits am Eingange dieser Studie gesagt, schon seit Sedan auf einem anderen als dem normalen, gewissermaaszen herkömmlichen Boden bewegt, mit anderen Factoren gerechnet, als sonst der Krieg sie mit sich bringt, wobei stets die mächtige moralische Ueberlegen heit und , damals wenigstens , ―― auch die Voraussetzung einer nahezu ebenso mächtigen, materiellen d. h. numerischen Ueber legenheit mit in

den Calcül gezogen wurde.

So lange beide

Factoren richtig, d . h. so lange sowohl moralische , als auch nu vorhanden waren , durfte und musste

merische Ueberlegenheit

man sich von allen einengenden normalen Grundsätzen emancipiren, konnte einfach Dasjenige thun oder lassen , was zu thun oder zu unterlassen zweckmäszig erschien , konnte im weitesten Sinne dem Feinde das Gesetz dictiren. Aber mit dem Schwinden des einen dieser Factoren, nämlich der seit Sedan für die Deutschen un zweifelhaften , eigenen numerischen Ueberlegenheit , mit dem kolos salen, vorher nie geahnten Neuschaffen und Wachsen der feindlichen Streitkräfte musste der Calcül ein anderer werden und die sich stets gleich bleibende moralische Ueberlegenheit als Ergänzung und Ersatz der zu Gebote stehenden, weit geringeren numerischen Mittel bis zur äuszersten Anspannung in Rechnung gezogen werden. Dieser Culminationspunkt der moralischen Leistung trat im December und Januar gleichzeitig im Norden und Süden von Paris und vor dieser Stadt selbst ein.

Zur Zeit, als das 1. Bayerische Corps noch in Or

léans stand, im October, als jene oben erwähnte Weisung aus Ver sailles erging, — da glaubte man sich noch in jeder Hinsicht über legen - moralisch und numerisch, -man hatte an maaszgebender Stelle das Wachsen der im Werden begriffenen neuen Französischen

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Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

Armee wohl im Auge, aber man hielt in dieser Berechnung auch ein einigermaaszen normales Wachsthum im Auge ,

man dachte

nicht , dass die Franzosen aus allen waffenfähigen Männern Armeen improvisiren würden und konnte vor Allem nicht annehmen, dass diese Armeen Französischer Seite sobald , als es in Wirklichkeit der Fall war , operationsfähig erachtet und gegen die Deutschen marschiren würden. Man hielt hierin vielleicht an Deutscher Anschauungsweise über die Operationsfähigkeit einer Armee fest und wurde durch die Elasticität , durch das immerhin kecke Selbstvertrauen der Franzosen -- gleichviel, ob dieses aus krank hafter Eitelkeit oder wirklichem Patriotismus entsprungen

überrascht

und in den gemachten Combinationen mindestens um einige Wochen überholt. ― Die Weisung an General von der Tann, ― 99 Orléans erst vor weit überlegenen feindlichen Kräften zu räumen " - hätte vielleicht im Sinne des Ober - Commando's richtig dahin übersetzt werden können : „ Orléans ist aus politisch-militairischen Gründen unbedingt besetzt zu halten, - der Feind wird noch geraumer Zeit bedürfen, bis er eine operationsfähige Armee zusammenbringen kann und bis dahin

nun Metz lag ja in den letzten Zügen ! Man würde der

obersten Heeresleitung gewiss gewaltig Unrecht thun , wollte man von ihr glauben, sie hätte das am Anfange des Krieges für die feind liche Armee so unheilvoll gewordene Schlagwort der Französischen Heerführer : debrouillez-vous ! in das Deutsche übersetzt und dem Ge neral von der Tann in der oft erwähnten Weisung ein einfaches : „ Sehen Sie zu , wie Sie sich aus der Verlegenheit helfen " zugemuthet. Zu solchen , von oben herab leichthin gegebenen Befehlen , wie es bei unseren Gegnern üblich war, stand die Deutsche Heeresleitung viel , viel zu hoch ; ihre Anordnungen waren vom Anfang bis zum Ende, wie die Erfahrung und vor Allem das Studium der offi ciellen Werke zeigt , so tief durchdacht und bei aller Kühnheit so eingehend und vorsichtig erwogen, dass man nie eine Armee-Ab theilung mit Absicht auf einem gefährlichen Posten einer bedenk lichen Eventualität ausgesetzt haben würde.

Aber, wie gesagt , die

Elasticität und das Selbstvertrauen unserer Gegner überholte alle Combinationen. -- Ende Octobers und Anfang Novembers rechnete man noch mit dem vielleicht verstärkten feindlichen Armeetheile, der am 11. October Orléans räumen musste , und um eben dieselbe Zeit plante der Feind schon den Angriff auf Orléans mit circa 100,000 Mann. ――――― Als nach dem Treffen von Coulmiers die Franzosen Or léans wieder besetzt hatten und der Prinz-Marschall Friedrich Carl

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im Anrücken war , rechnete man mit jenen 100,000 Mann , welche Orléans Anfang Novembers wieder genommen und fand statt zweier feindlichen Armeecorps deren fünf!, statt auf 100,000 Mann ,

traf

man auf 250,000 Mann mit zahlreicher und guter Artillerie ! -

Wie zur Bestätigung der in oft erwähnter Weisung zwischen den Zeilen zu lesenden Ansicht des Ober- Commando's : man sähe hin sichtlichder feindlichenBewegungen beiGien zu schwarz,verstummten die allarmirenden Nachrichten, welche bisher von dort eingelaufen waren*), wofür es jedoch nach wenigen Tagen anfing, in westlicher Richtung lebendiger zu werden , während im Süden von Orléans kleine Schar mützel an der Tagesordnung blieben. Wie in dem ganzen Kriege, so leistete auch bei Orléans die Cavallerie im Sicherheits- und Auf klärungsdienste Ausgezeichnetes !

Schon

an einer anderen Stelle

dieser Abhandlung ist gesagt , dass die Armee-Abtheilung ohne die Leistungen der Cavallerie und vor Allem ohne die aufopfernde Unterstützung der 2. Cavallerie - Division wie in einem Sacke in Orléans gesteckt hätte.

Als es im Westen gegen Ende

des Monats October immer reger wurde, hatten die in dieser Richtung verwendeten sechs Cavallerie - Regimenter (darunter drei Cürassier Regimenter !!) einen äuszerst angestrengten Dienst ; aber nachdem je eine Infanterie-Brigade von Orléans bis Coulmiers und von Orléans bis St. Ay hinter diesem Cavallerieschleier in engsten Cantonne ments echelonnirt stand , konnte sie ohne jegliche Gefahr ihre Vor postenlinie, wie bisher, auf der Linie Tournoisis - Saintry- Baccon- Le Bardon stehen lassen und darüber hinaus bis Prénouvellon - Binas Cravant-Beaugency streifen ; diese letztgenannten Punkte sind durch schnittlich drei bis vier Meilen , also einen Tagemarsch von Orléans entfernt. Bei dem übersichtlichen Terrain und bei der gewiss ge rechtfertigten Voraussetzung, die feindliche Cavallerie würde es nicht wagen, ihrer Infanterie vorausgehend, den Kampf mit der Deutschen Reiterei im freien Felde zu suchen, um diese zu vertreiben , konnte man mit Sicherheit darauf zählen, rechtzeitig von dem Anrücken bedeutender feindlicher Kräfte Nachricht bekommen und hiernach seine Maaszregeln treffen zu können. Dass es trotz der Versuche des Herrn Thiers , einen Waffen

*) Die erste Division des Französischen 15. Corps war am 17. October von Gien nach Argent abgerückt und blieb ersterer Ort nur mit circa 1000 Mann besetzt.

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Der erste Theil des Loire- Feldzuges im Spätherbste 1870 .

stillstand für die Pariser und damit für den gesammten Kriegs schauplatz, zu erlangen, im Süden von Paris bald zur Entscheidung kommen müsste , das fühlte man gleichsam aus der ganzen , ge spannten Situation heraus. Doch wo ? Bei Orléans oder bei Chartres ? Die entscheidende , weil für die Deutschen gefährlichste Richtung, wäre die über Chartres gegen Paris gewesen ; gelang es den Fran zosen, dort einen Erfolg zu erringen, so kam Orléans überhaupt gar nicht mehr in Betracht. Die Consequenzen eines solchen Erfolges der feindlichen Waffen zwischen Dreux und Chartres wären mög licherweise derart gewesen , dass das Aufgeben von Orléans noch In den zu dem geringeren Uebel hätte gezählt werden müssen . letzten Tagen des Octobers, als eben Herr Thiers nach Versailles ge reist war , erhielt der Commandirende in Orléans aus un zweifel haft verlässiger Quelle die Nachricht, dass vom 25. bis 29. Oc tober der Privatverkehr auf den Bahnlinien Bourges - Tours und Tours - Le Mans wegen Truppentransporten eingestellt

sei.

Diese

wichtige Nachricht wurde sogleich nach Versailles telegraphirt , sie schien eine Bestätigung der Vermuthung zu sein , der Feind werde seinen Angriff auf Le Mans basiren und denselben gegen Chartres, Aber gerade der wich mit dem Hauptobjecte Versailles, richten . tigste Theil dieser Nachricht war falsch , - die Franzosen hatten den Privatverkehr auf der Linie Tours - Le Mans allerdings ein gestellt , aber nur in der Absicht , die Deutschen irre zu führen *), welche, wie sie voraussetzen mochten, von diesem Eisen bahntransporte bald Kenntniss erhalten würden. Die Tragweite dieser List des Gegners war um so gröszer, weil die Quelle, aus der diese falsche Nachricht kam , wie gesagt , eine ganz verlässige war. Metz war gefallen , aber der Feldmarschall Prinz Friedrich Carl, der mit drei Armee - Corps die Richtung nach der oberen Loire zu nehmen hatte , war noch viele Meilen entfernt ; ――――――― wenn sich , wie bald zu erkennen, die Verhandlungen des Herrn Thiers zerschlugen, dann fiel die Entscheidung in der Beauce oder bei Chartres , ehe diese wesentliche Verstärkung eintreffen konnte. - Chartres blieb nach den letzten Nachrichten wichtiger und schien gefährdeter , und ist es daher nur sehr begreiflich , dass , in so lange die Situation sich nicht geklärt, an ein Heranschieben der 22. Infanterie - Division gegen Orléans noch nicht gedacht werden konnte und durfte . - Im Kriege verfällt man nur zu leicht in den allerdings entschuldbaren

*) Siehe die Angaben hierüber in den Schriften Freycinet's und d'Aurelle's.

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Fehler , seine Aufgabe für die wichtigste , wenn nicht auch für die schwierigste zu halten und darnach seine Forderung an die höhere Instanz entsprechend zu steigern.

So aber, wie die Verhältnisse in

den ersten Tagen des Novembers im Nebel der Ungewissheit lagen — die telegraphische Nachricht von dem Einstellen des Privatver kehres auf der Linie Tours - Le Mans hatte nur die Kenntniss der (allerdings falschen) Thatsachen erweitert , ohne die Ungewissheit zu heben - konnte die oberste Heeresleitung noch nicht erkennen, wo die wirkliche Gefahr lag , konnte auch deshalb dem Ersuchen des in Orléans commandirenden Generals, die 22. Infanterie- Division heranzubeordern , noch nicht entsprechen.

Die eigentliche Schwierig

keit lag hier , wie es in allen kritischen Momenten des groszen Krieges und deren taktischer Durchführung der Fall, in der Wechsel wirkung zwischen Raum und Zeit.

Die zwei Armee - Abtheilungen

waren darauf angewiesen und, so zu sagen, moralisch verpflichtet, sich in der Erfüllung der ihnen gestellten schwierigen Aufgaben gegenseitig zu unterstützen. Generallieutenant von Wittich hatte mit seiner schwachen Division ,

verstärkt durch drei

Bayerische

Batterien, und mit der 4. und 6. Cavallerie- Division aus dem Central punkte Chartres die Cernirungs- Armee gegen Le Mans zu sichern ; General von der Tann stand mit einem schwachen Armee - Corps (circa 16,000 Mann) und der 2. Cavallerie Division in Orléans und hatte die Einschlieszungs - Armee gegen feindliche Unternehmungen von der Loire her zu decken . - Die Entfernung zwischen Chartres und Orléans beträgt 10 Meilen , somit mindestens zwei Gewalt märsche ; die Armee - Abtheilung in Chartres hatte einen kleinen Tagemarsch vor sich ,

auf der Linie Dreux - Châteauneuf en

Tyhmerais- Courville - Illiers einen stellenweise nur schwer zu durch stoszenden feindlichen Schleier , hinter dem sich an irgend einem Punkte die feindlichen Hauptkräfte massiren konnten, um dann mit einem einzigen Tagemarsche Chartres zu erreichen

und viel

leicht mit bedeutender Ueberlegenheit auf die Truppen des General lieutenants von Wittich zu treffen. Fast genau ebenso war die Situation bei Orléans.

Der Wald von Marchénoir im Westen , das

coupirte bewaldete Terrain im Süden, die südöstlichen, gegen Gien ziehenden Ausläufer des Waldes von Orléans 9 sie bildeten zu sammen einen undurchdringlichen Schleier, hinter welchem der Feind unter Benutzung der Eisenbahn seine Kräfte an einem beliebigen Punkte concentriren und in einem Tagemarsche die Truppen des Generals von der Tann erreichen konnte , wobei als selbstverständ

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lich vorausgesetzt werden muss , dass , aus welcher Richtung der Angriff auch immer kommen mochte, von einem Verbleiben und Aus harren in der Stadt selbst keine Rede sein durfte, und dass ,

um

überhaupt nur ein Gefechtsterrain zu finden , die Armee-Abtheilung mindestens einen halben Tagemarsch dem Feinde entgegengehen, daher auch früher mit diesem zusammenstoszen musste. Somit konnte die eine der beiden Armee - Abtheilungen bereits mit überlegenen feindlichen Kräften im Kampfe sein , ehe die`an dere davon Kenntniss erhielt , und jedenfalls musste die Ent scheidung gefallen sein , ehe die andere Armee-Abtheilung überhaupt her ankommen konnte. Für die oberste Heeres leitung

ergab sich hieraus die Alternative :

entweder Chartres

aufzugeben , um eine Armee- Abtheilung durch die andere zu ver stärken , oder jeden der beiden Punkte wie bisher besetzt zu be halten, in der Voraussetzung, dass der Feind noch nicht operations fähig , und , wenn er es wäre , dass die betreffenden Armeetheile stark genug seien , einen Angriff abzuweisen. - Um Chartres oder Orléans aufzugeben, hätten für die Heeresleitung sichere Anhalts punkte vorliegen müssen, gegen welchen Ort die Franzosen ihre neu geschaffene Armee concentrirten ; hierüber aber ergaben sich verhältnissmäszig weit weniger bestimmte Daten, als über die wahr scheinliche Stärke der Loire-Armee. Ueber ersteren Punkt konnten nicht einmal die Generale von Wittich und von der Tann genaue Nachrichten schaffen , obwohl ihre Truppen seit Ende Octobers fast täglich mit dem Feinde im leichten Contakte waren , während für letzteren Punkt , für die feindliche Stärke , doch einige bestimmten Daten gegeben waren , mit deren Hilfe eine ungefähre Berechnung möglich war. Somit ergab sich als Resultat des Calcüls : „ Ob der Feind Chartres oder Orléans zunächst angreift, darüber herrscht noch volle Un Ende Octobers , in den ersten Tagen Novembers gewissheit ; es ist aber möglich , vielleicht wahrscheinlich , dass die Loire-Armee noch nicht operationsfähig, wenigstens nicht so stark ist , dass ihr nicht die in Chartres

und Orléans stehenden

Truppen eintretenden Falles mit Erfolg Widerstand leisten könnten ; deshalb erscheint es zweckdienlich, bis zur vollständigen Klarlegung der Situation die dermalige Kräfte -Vertheilung im Süden von Paris beizubehalten ." Dass man übrigens in Versailles die Offensivkraft der feindlichen Loire - Armee noch in den letzten Tagen des Octobers als nicht ge fahrdrohend betrachtete , möchte daraus hervorgehen , dass die im

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Anmarsche befindlichen drei Corps des Feldmarschalls im Allgemeinen die Direction auf Châlons sur Saône-Nevers und Bourges erhielten *) . Was die Stärke der feindlichen Loire - Armee betrifft , so wurde sie von der Heeresleitung in den ersten Tagen des Novembers auf circa 60,000 Mann geschätzt, wobei man hauptsächlich nur das 15. Corps, welches am 10. und 11. October gegen das I. Bayerische Corps und die 22. Infanterie-Division gefochten, im Auge hatte und dasselbe noch Anfangs November in der Linie Bourges - Vierzon - Amboise voraus setzte . Das in der Neuformation begriffene 16. Corps glaubte man bei Blois noch in den Anfängen seines Entstehens .

Dieses dürften in groszen Zügen die Anhaltspunkte gewesen sein, welche der Heeres

leitung bis kurz vor dem , zwar stets erwarteten und schlieszlich doch überraschenden Angriffe der Loire - Armee zu Gebote standen und aus denen sie die Directiven für die beiden Armeetheile in Chartres und Orléans und für die im Anmarsche begriffene II. Armee Dies möchte auch den Standpunkt bezeichnen , von

entwickelte.

welchem aus die aus Orléans kommenden Meldungen betrachtet und - modificirt wurden. Wie schwer es ist, im feindlichen Lande be stimmte Nachrichten von den Absichten und

Bewegungen

des

Gegners zu erhalten, davon ist diese kritische Zeit an der Loire ein neuer Beweis. Die ersten Nachrichten von Gien lieszen , wie er wähnt , eine Offensive von dort erwarten , statt dessen waren die feindlichen Truppen gerade zu jener Zeit von zurückgegangen ;

dort nach Argent

aus unzweifelhaft verlässiger Quelle

erfuhr

man feindlicher Seits beabsichtigte Truppentransporte auf der Eisen bahn von Bourges nach Tours und von Tours nach Le Mans , und auch diese Nachricht war zur Hälfte falsch; am 3. November gipfelten die der obersten Heeresleitung zugegangenen Nachrichten in Betreff der Aufstellung

der feindlichen Kräfte in der Ueberzeu

gung, der Gegner stände mit seiner Hauptstärke noch südlich der Loire zwischen Bourges und Amboise , während um diese Zeit be reits seit fast einer Woche 75,000 Mann Franzosen zwischen Mer und Marchénoir auf dem rechten Ufer standen und nur durch Zufälligkeiten von der schon für den 31. October beabsichtigten Offensive abgehalten worden waren ! Wären die Deutschen nur zum hundertsten Theil richten

mit Nach

so gut bedient gewesen als es die Franzosen der Welt

*) Alle die II. Armee betreffenden Angaben sind dem ausgezeichneten Werke des Hauptmanns von der Goltz : „ Die Operationen der II . Armee an der Loire" entnommen.

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und sich selbst glauben machen wollten , so hätten keine solchen Irrthümer eintreten können. Seit der ersten Einnahme von Orléans bis zum 2. December waren die Deutschen im Süden von Paris mehr oder minder in der Defensive und litten an den dieser anhängenden charakteristischen Uebeln : Mangel an eigener Initiative, Abhängig keit von den feindlichen Maasznahmen und der hieraus hervorgehen den Unsicherheit. Thatsächlich hatten die feindlichen Armeen sich schon am 29. October zwischen Marchénoir und Mer concentrirt , und zwar stand das 16.

Corps mit zwei

Division am linken ,

Infanterie- und

einer

Cavallerie

das 15. Corps , welches mit Eisenbahn von

Vierzon herantransportirt worden war , auf dem rechten Flügel ; im Ganzen betrugen die hier , am rechten Loire- Ufer, vereinigten feind lichen Streitkräfte circa 70,000 Mann ; auf dem linken Ufer befanden sich zahlreiche Franctireurs und bei Argent - die 1. Division des 15. Corps mit einer Stärke von etwa 35,000 Mann bereit , um bei Gien die Loire zu überschreiten . Wenn man diese thatsäch lichen Verhältnisse mit den oben erwähnten Auffassungen ver gleicht, welche bei der obersten Heeresleitung herrschten ; wenn man bedenkt, dass man in Versailles die Französische Haupt-Armee noch am 3. November auf der Linie Bourges -Vierzon - Amboise vermuthete, während diese nach den getroffenen Dispositionen bereits drei Tage früher , also am 31. October, mit 100,000 Mann Orléans anzugreifen beabsichtigt hatte ; ――― wenn man diese feind licher Seits wirklich gehegten Absichten , diese wirklich aus geführten Bewegungen mit den darüber erhaltenen Nachrichten und den daraus entwickelten Anschauungen vergleicht , so erkennt man erst die unendlichen Schwierigkeiten, mit denen die oberste Heeres leitung zu kämpfen und auf welche Eventualitäten sie gefasst zu Andererseits dürfte die Krisis , welche unläugbar in sein hatte . diesen Tagen eintrat, ein neuer Beweis sein für die Schwächen und Gefahren , welche die strategische Defensive bietet , zu welcher die Deutsche Armee zum ersten Male in diesem Kriege durch die Macht der Verhältnisse gezwungen worden war. Jede der beiden in Chartres und in Orléans stehenden Armee-Abtheilungen suchte nach Möglichkeit die Vorgänge auf der Seite des Feindes mit List und Gewalt in Erfahrung zu bringen . Die Reiter des Generals Graf Stolberg , sowie die Bayerischen Cürassiere fanden bald die ihnen bisher gegenüber gestandenen kleinen Abtheilungen , meist Mobil garden und Franctireurs , verstärkt und vor Allem weit kecker und unternehmender.

Um über die feindliche Stärke und Stellung Auf

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

349

klärung zu schaffen , beschloss Generallieutenant von Stolberg , mit seinen gesammten sechs Cavallerie - Regimentern (incl. der beiden Bayerischen Cürassier- Regimenter), unterstützt durch einige Infanterie und reitende Artillerie, eine Recognoscirung zu unternehmen . Dieselbe sollte schon am 5. November ausgeführt werden , aus

verschiedenen

7. November statt.

Gründen

an diesem Tage

unterblieb aber

und fand nun am

Tags vorher war die Escadron der Bayerischen

Cürassiere , welche regelmäszig jeden Tag nach Châteaudun ent sendet wurde , dort aus den Häusern und auf dem Rückwege aus mehreren Dörfern lebhaft beschossen worden und hatte hierbei elf Mann verloren.

Die Disposition , welche Generallieutenant von

Stolberg zu dieser Recognoscirung ertheilte, war in Kürze folgende : Eine Colonne, bestehend aus einem Husaren- Regimente, einer Batterie und drei Compagnien Infanterie (3. Bataillon des 13. Bayerischen Regiments) rückt über Ouzouer le Marché gegen Binas und Chan tôme. Eine zweite Colonne , bestehend aus einem Husaren- und einem Ulanen-Regimente , einer Batterie und zwei und einer halben Compagnie Jäger (1. Bayerisches Jäger - Bataillon), marschirt über Baccon, Mezières, ebenfalls auf Chantôme.

Die Reserve wurde aus

drei Cürassier - Regimentern (einem Preuszischen und zwei Bayeri schen) und zwei Batterien gebildet, welche vorläufig östlich Baccon in Stellung bleiben sollten.

Die Vorposten sollten übrigens stehen -bleiben und fortfahren , gegen Blois zu beobachten. Chantôme, der Vereinigungspunkt der beiden Colonnen , liegt eine halbe Meile von der Ostlisière des Waldes von Marchénoir , fast genau vor der Mitte des in einer Länge von zwei Meilen sich erstreckenden Waldes. Ueber Chantôme führt die von Ouzouer le Marché durch den Wald nach dem Orte Marchénoir ziehende Strasze, welche , ehe sie diesen letzteren Punkt erreicht, an der Ostlisière die Ortschaft St. Laurent des Bois durchzieht. ― Was die Disposition betrifft , so muss behufs des Studiums, des

geistigen Gewinnes , den man aus der eingehenden Betrachtung solcher Ereignisse ziehen will , zuerst gefragt werden : was wollte man durch die Recognoscirung erreichen ? und was konnte man voraussichtlich erreichen? - Diese letztere Frage muss selbstver ständlich nur auf Grund derjenigen Daten und Anhaltspunkte ge stellt und beantwortet werden ,

welche damals gegeben waren.

Man wollte zunächst in Erfahrung bringen , welche feindliche Kräfte in und hinter dem Walde von Marchénoir ständen. Dass daselbst nicht unbedeutende Abtheilungen des Gegners sich befänden , das wusste man bereits durch Kundschafts- Nachrichten,

350

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

durch Angaben von Gefangenen und Einwohnern und endlich durch den Umstand , dass

die vorgeprellten nnd geworfenen feindlichen

Recognoscirungs - Detachements, wie z. B. ein solches, das bei Binas einige Tage vorher durch die Husaren fast aufgerieben worden war, aus dem Walde unterstützt und aufgenommen worden waren. Der Wald von Marchénoir ist zwei Meilen lang und durchschnittlich drei Viertel - Meilen breit ; durfte man hoffen , durch ein Vorgehen mit drei , eventuell sechs Cavallerie - Regimentern und etwa 600 Mann Infanterie gegen einen einzigen Punkt dieser zwei Meilen langen, jede Einsicht hindernden Front, erkennen zu können, was in diesem Walde steckt, oder hinter demselben auf der Ostseite lagert? Durfte man hoffen , mehr zu sehen , als dem Feinde zur directen Ab wehr absolut nothwendig erschien , zu zeigen , nachdem er von der Waldlisière aus das ganze Vorterrain und somit auch die Schwäche und Zusammensetzung des Angreifers leicht übersehen und erkennen konnte ? Was

konnte

aber im

günstigsten Falle

erreicht werden ?

Unter diesem günstigsten Falle wäre vor Allem zu verstehen ge wesen , dass die der Recognoscirung beigegebene Infanterie die Waldlisière ohne Widerstand erreicht, oder die daraus vorgegangenen feindlichen Abtheilungen in dieselbe zurückgeworfen hätte ; was aber dann , wenn dies wirklich erreicht worden wäre ? Die Cavallerie konnte nicht folgen, ebensowenig die Artillerie ; diese beiden Waffen mussten sich begntigen , auszerhalb des Waldes auf ihre ein gedrungene Infanterie zu warten , um sie aufzunehmen — und das kleine Häufchen Infanterie, sollte es im Walde, der dem Feinde nach jeder Richtung hin Bewegungsfreiheit gestattete *), weiter vordringen ? Und wenn nun diese Infanterie, gleichviel, ob gezwungen oder frei willig, wieder aus dem Walde zurückkam, hatte man mehr gesehen, als was direct dieser Infanterie gegenüber gestanden ? konnte man daraus Schlüsse ziehen über Dasjenige , was noch im Walde oder hinter demselben steckte ? Aber wenn nicht dieser günstige Fall eintrat ; wenn der Feind , wie es wirklich geschah , die Waldlisière nicht aufgiebt ; wenn er im Gegentheile aus derselben neue Kräfte vorzieht und , die gegnerische Schwäche erkennend , wenn auch be hutsam , so doch überlegen , zur Offensive übergeht ?

was konnte

man dann von der feindlichen Stärke , Stellung etc. erfahren ? —

*) Es ziehen nicht weniger als 21 geradlinige Durchhaue von der Ost zur West - Lisière und sechs grosze, eben solche Schneusen in der Längen richtung.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

351

Genau nur so viel , als der Feind nöthig hatte , um die Recognos cirung abzuweisen. -- Generallieutenant von Stolberg meldete un mittelbar nach der Recognoscirung , dass der Feind acht Bataillone, zwei Batterien und mehrere Mitrailleusen gezeigt ; dies stimmte genau mit den später über dieselbe Affaire von den Franzosen ge aber, was trug eigentlich diese Nachricht zur Klarlegung der ganzen Situation bei ? Man wusste mehr oder minder, machten Angaben ;

dass eine Armee von vielleicht 50,000 Mann , wie man sie damals schätzte , im Westen von Orléans, von Marchénoir bis gegen Mer stände , und erfuhr durch diese gewaltsame Recognoscirung nichts , als dass eine Brigade Linientruppen mit Artillerie aus dem Walde debouchirt sei ; - über die wahre Stärke der feindlichen Truppen und vor Allem über deren Vertheilung blieb man nach wie vor in Ungewissheit. Was nun die Ausführung dieser Recognoscirung betrifft, so drängt sich neben dem Umstande, dass eine Colonne um zwei Stunden früher in Chantôme eintraf, als die andere, daher auch dem Feinde hin länglich Zeit blieb, Gegenmaaszregeln zu treffen *) , noch eine Be trachtung über die Zusammensetzung der ganzen Recognoscirungs Abtheilung auf. ―――― Sechs Cavallerie - Regimenter und nur 600 Mann Infanterie und als Ziel einen vom Feinde jedenfalls besetzten ausgedehnten Wald ,

das bringt die charakteristischen Eigen

schaften der beiden Waffen in Conflict mit der von ihnen zu lösen den Aufgabe . Eine sogenannte „ gewaltsame Recognoscirung" muss von vornherein darauf Bedacht nehmen, auch wirklich mit „ Gewalt" Dasjenige in Erfahrung zu bringen, ist.

was zu erfahren ihre Aufgabe

Demgemäsz musste wohl auch darauf Bedacht genommen

werden, wo und gegen welches Object dieser Hebel der Gewalt anzusetzen sein wird, um den Gegner zu zwingen, seine Kräfte und deren Vertheilung zu zeigen. Die Recognoscirung war gegen einen Wald gerichtet , - zeigte der Feind nicht vor dem Walde, was man sehen wollte, so musste man durch

gewaltsames " Antasten

diese feindlichen Kräfte gleichsam hervorlocken ; dies führte aber möglicherweise zu einem Kampfe um die Lisière und im Inneren des Waldes , somit zu einem Gefechte, dessen Durchführung gleich sam die charakteristischen Aufgaben der Infanterie bilden.

Bei den

Consequenzen, welche sich hier aus der gewaltsamen Recognoscirung ergeben mussten, konnte auch die beste und unternehmendste Ca

*) Uebrigens waren die Franzosen bereits von Einwohnern von der be absichtigten Unternehmung avertirt.

352

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

vallerie mehr oder minder nur eine Staffage bilden . -

Nachdem nun

aber die Verhältnisse nicht gestatteten, etwa eine ganze Brigade In fanterie zu dieser Recognoscirung zu verwenden, und General von der Tann sich nicht veranlasst sehen mochte, gröszere Theile seiner ohnedies schwachen Infanterie zu solchen Expeditionen zu verwenden, welche für diese Waffe fast immer darin bestehen, scharf anzugreifen, sich zu verbeiszen, um dann sich mit schweren Opfern langsam wieder loszuwickeln , ―― nachdem also mit den wirklich vorhandenen Mitteln, welche zu Gebote standen, nämlich einer starken Cavallerie (drei Brigaden und vier reitende Batterien) gerechnet werden musste, drängt sich die Frage auf, ob nicht diese Recognoscirung , anstatt direct gegen den Wald, um dessen Südostende herum dirigirt wer den konnte ? In diesem letzteren Falle hätte die Cavallerie ihren charakteristischen Eigenschaften gemäsz aufzutreten vermocht, während die beigegebene Infanterie den Charakter der Hülfswaffe angenom men und sich begnügt haben würde, einige besonders wichtige Punkte zu besetzen, um der vorgehenden Cavalleriemasse den Rückweg zu sichern. Ohne auf die Detailanordnungen für die angeführte Frage einzugehen, möchte nur bemerkt werden, dass die Entfernung von Cravant nach Roches , welches bereits an der Ostseite des Waldes von Marchénoir liegt , nur 114 Meilen beträgt ;

entweder es gelang

der Cavallerie- Division, etwa in drei Colonnen, in einem Zuge von Cravant aus die Gegend von Roches zu erreichen, ―――― dann durfte man auch sicher darauf rechnen, Alles , was vom Feinde auf der Ostseite des Waldes stand und lagerte, aufzuschrecken, oder die Cavallerie stiesz schon früher auf stärkere feindliche Kräfte und ernsteren Widerstand , vielleicht schon in der Gegend von Josnes : so war auch dies immerhin eine wichtige Entdeckung , und damit constatirt , dass der Feind seine Massen schon ziemlich nahe heran gebracht habe. ―――― Schlieszlich dürfte dieses Beispiel des Recognoscirungsgefechtes von Chantôme eine nicht uninteressante Illustration zu dem Capitel "gewaltsame Recognoscirungen “ bieten, - ein Capitel , das na mentlich in der Kriegsgeschichte der vielgeprüften, tapferen Oester reichischen Armee viele Seiten ausfüllt - die gerade nicht häufig Gewaltsame Recognos die Vorläufer von Siegesberichten bilden.

I

cirungen sind, wie die Kriegsgeschichte am besten lehrt, fast immer das Zeichen , dass die Initiative, der Entschluss fehlt ; man will etwas thun ,

aber doch nichts Ganzes , und da wird zu dem

Auskunftsmittel der „gewaltsamen Recognoscirung" gegriffen, einem Mittel , dem der Stempel der Halbheit aufgedrückt bleibt.

Eben

B

353

Der erste Theil des Loire- Feldzuges im Spätherbste 1870.

weil meistens Mangel an Entschluss das Motiv zu diesen Recognos cirungen bildet, werden auch die Hauptkräfte nicht so dirigirt, dass sie die Resultate der Recognoscirungen sofort auszunutzen bereit sind , ― denn dann wäre man zu einem Entschlusse gezwun gen , den zu fassen durch die gewaltsame Recognoscirung ja vor läufig vermieden

werden sollte.

Durch die Halbheit ,

welche

diesem kriegerischen Acte anklebt , sind auch die Resultate

nur

halbe, wenn nicht noch geringere ; die Recognoscirung stöszt offensiv auf den Feind , hat aber vom ersten Schusse an schon defensive Hintergedanken und muss auch solche haben, da sie ohne Rückhalt die offensive Tendenz des ersten Momentes nicht durchführen kann. Aus diesem Widerspruche zwischen der Handlung und der Idee, welche dieser Handlung zur Basis dient ,

entsteht gewöhnlich ein

gelinder taktischer Echec, über den man sich aber, als vorauszu sehen, hinweg disputirt und dem die gewonnene Einsicht in die Maaszregeln

etc. des Feindes als Gegengewicht

entgegengehalten

wird , obwohl diese Einsicht durch eine Escadron oder ein Paar schneidige Reiter auch erreicht worden wäre.

Eine gewaltsame

Recognoscirung scheint nur dann vollständig am Platze zu sein, wenn das Gros der Armee bereit ist, die Resultate derselben sofort auszubeuten, -wenn es überhaupt nicht an einem bestimmten Entschlusse fehlt, sondern es nur noch darauf ankömmt, diesen Entschluss zu präcisiren, in eine klare Form zu bringen. Beispiels weise und ganz abgesehen von den thatsächlichen Ver hältnissen wäre die gewaltsame Recognoscirung gegen den Wald von Marchénoir gewiss völlig gerechtfertigt gewesen, wenn General von der Tann seine ganze Armee - Abtheilung zwischen Binas und Ouzouer le Marché concentrirt gehabt hätte und der Entschluss fest stand , den Feind anzugreifen, die Recognoscirung somit nur die Anwesenheit des Feindes constatiren sollte, damit die Armee Abtheilung mit ihrem Angriffe möglicherweise nicht einen Luftstosz machte ! Es giebt aber noch ein anderes Motiv zu gewaltsamen Recog noscirungen, in seinen Folgen nicht minder bedenklich, aber in seiner Tendenz weit, weit höher stehend , als das ebenerwähnte des Mangels an Entschluss. Es ist dies , im Gegensatze zum vorgenannten Motiv, der innere Drang ,

wenigstens Etwas zu thun, weil man

nichts Ganzes thun kann.

Dies war der Grundgedanke der hier

in Rede stehenden Recognoscirung.

Die Cavallerie - Division, seit

Wochen und besonders in den letzten Tagen harcelirt durch kleinere 23 Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII.

354

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

Unternehmungen des Feindes, durch heimtückische Angriffe der Ein wohner, wollte einmal einen kräftigen Hieb thun. Man hatte viel leicht gehofft , noch diesseits des Waldes , etwa bei Chantôme oder Marolles jene Abtheilungen zu finden, von denen diese kleinen und ermtidenden Unternehmungen ausgingen, man wollte sie gründlich abfertigen und mit blutigen Köpfen heimschicken, und hoffte neben bei auch zu erfahren, was allenfalls noch in dem Walde vom Feinde stecke. Das war die Tendenz der Recognoscirung vom 7. November, aber nachdem man sich in den ersten Voraussetzungen geirrt, fielen die unzweifelhaft zu erreichenden Erfolge weg, und es entstand aus dem beabsichtigten Ueberfalle - wenn man es so nennen darf eine gewaltsame Recognoscirung mit allen ihren Consequenzen . Der Feind hatte also am 7. November vor dem Walde

von

Marchénoir eine auffallend gut geleitete Brigade mit Geschützen und Mitrailleusen gezeigt , am nämlichen Tage wurde eine Offizier-Pa trouille Bayerischer Chevauxlegers in Beaugency von den Einwohnern überfallen, ebenso Tags vorher in Châteaudun und in den dieser Stadt nahe liegenden Dörfern eine Bayerische Cürassier - Escadron beschossen.

Ein anderer, an sich unbedeutender Umstand brachte

am 7. November noch mehr Licht über die Sachlage .

Ein

Geist

licher, mit der Genfer Binde ausgerüstet, kam aus der Richtung von Blois unter dem Vorgeben irgend einer menschenfreundlichen Ab sicht nach Orléans ; auf Befragen erklärte er, sein Pass, in Mer aus gestellt, sei dort vom General d'Aurelle signirt worden. Der Ober Commandirende der feindlichen Armee war somit schon zwei Tage märsche von Orléans , woraus man leicht auch auf die ungefähre Nähe seiner Armee schlieszen konnte . - Endlich am 8. November klärte sich die Situation .

Die Cavallerie meldete am Nachmittage

dieses Tages das Anrücken bedeutender feindlicher Truppenmassen. Mehrere Reiter-Regimenter des Feindes zeigten sich bei Prénouvellon, eine aus allen Waffen gemischte Colonne wurde im Marsche

von

Ouzouer le Marché gegen Baccon, ebenso Le Bardon als besetzt gemeldet ; am späten Nachmittage wurde nach diesen Meldungen auch noch eine starke feindliche Abtheilung bei Charsonville be obachtet. ――――

Es dürfte vielleicht nicht ohne Interesse sein, die Französischer Seits am 8. November wirklich ausgeführten Bewegungen hier in Kürze zu erwähnen, um sie mit den oben angeführten Meldungen der Cavallerie zu vergleichen und daraus den alten Schluss zu ziehen,

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

355

wie vorsichtig , besonders in Momenten der Krisis , auch sonst für äuszerst verlässig geltende Meldungen aufzunehmen sind, Am 8. November rückte vom Französisehen 15. Corps die 2. Division mit der 2. Brigade zwischen Messas und Beaumont , der 1. Brigade zwischen Cravant und Villevert.

mit

Le Bardon sollte

erst anderen Tages vom rechten Flügel der 2. Brigade besetzt werden.

Die 3. Division *) marschirte in den Raum zwischen Rilly

und Château - Coudray.

Vom Französischen 16. Corps marschirte

die 1. Division mit einer Brigade in die Stellung zwischen Ouzouer le Marché und Aupuy, mit der anderen in ein Bivouak zwischen diesem letzteren Orte und Bizy.

Die 2. Division **) rückte mit

einer Brigade in den Raum zwischen Coudray und Bizy, mit der anderen nach Mezières (östlich Bizy). Die beiden vereinigten Ca vallerie - Divisionen des 15. und 16. Corps , zusammen neun Regi menter und Gaudonville.

vier Batterien , lagerten zwischen Prénouvellon

Somit reducirte sich die Meldung : aus

allen

Waffen

zusammengesetzt ,

und

„ Eine feindliche Colonne, rücke

von Ouzouer

gegen

Bacçon," auf die Thatsache, dass eine Brigade, aus Ouzouer debou chirend, beobachtet wurde, welche aber die Richtung auf Aupuy und nicht jene auf Baccon einschlug ; die Meldung, dass sich in Charson ville stärkere feindliche Infanterie und Artillerie gezeigt, -- stimmt gar nicht mit den vom General Chanzy und Anderen vorhandenen, sehr genauen Angaben, denn da Chanzy der 2. Brigade seiner 1. Division für den 9. November die Direction Charsonville, Epieds, Gemigny giebt , „ qu'elle devra enlever successivement ", so scheint Französischer Seits Charsonville am 8. November nicht allein nicht besetzt gewesen zu sein selbst nicht vorübergehend , sondern man vermuthete im Gegentheil die Deutschen noch dort zu finden . Die spätere Meldung der Cavallerie, dass die Franzosen Charson ville wieder geräumt, wird wohl dadurch entstanden sein, dass eine Patrouille, unter der irrigen Voraussetzung, den Feind dort zu finden, nochmals gegen Charsonville vorging, und diesen Ort natürlich vom Feinde frei fand. Für die Armee- Abtheilung in Orléans konnte es aber von nicht zu läugnender Tragweite sein, den Feind schon in Charsonville und vielleicht in nächster Nähe von Baccon , sowie in Le Bardon zu

*) Die 1. Division stand am 8. November bei Gien. **) Die 3. Division noch in der Formation begriffen .

23*

356

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

vermuthen , anstatt da, wo er wirklich war. -

Hätte General

von der Tann nicht am 20. October den bestimmten Befehl erhalten : in Orléans zu verbleiben und die Stadt nur gegen einen an Zahl weit überlegenen Gegner zu räumen , so war jetzt, am Nachmittage des 8. Novembers , der Moment, Orléans zu räumen und mit allen Truppen während der Nacht gegen Orgères abzurücken , in dessen Nähe , ungefähr zwischen Terminiers und Loigny, die ganze Armee-Abtheilung am Vormittage des 9. Novembers concentrirt sein konnte.

Bis die Franzosen sich über die Bewegung und neue Aufstellung der Deutschen orientirt hatten ; bis sie im Stande waren, ihre nicht sehr lenksame Heeresmaschine in der neuen Richtung zu bewegen, vergingen mindestens der 9. und 10. November, dann aber war die 22. Infanterie-Division mit dem 1. Bayerischen Armeecorps vereint, und man konnte beruhigt jedem feindlichen An

griffe entgegensehen. - Es wurde weiter oben versucht anzudeuten, dass es für die oberste Heeresleitung nicht möglich sein konnte, ehe die feindliche Angriffsrichtung sich deutlich ausgesprochen, eine Verschiebung der beiden in Orléans und Chartres stehenden Truppentheile eintreten zu lassen ; sobald aber durch die am 8. No vember vom General von der Tann nach Versailles gemeldeten Er eignisse Klarheit in die Situation kam, wurde sofort eine Weisung an General von der Tann ausgefertigt, welche unter Anderem sagte, dass ein Festhalten von Orléans nicht durchaus ge boten sei , doch wäre es im Falle der Räumung er wünscht , wenn möglichst viel Eisenbahnmaterial ge rettet würde ! Der Unterschied in dieser Auffassung der Lage, welche leider erst am 10. November, einen Tag nach dem Gefechte von Coulmiers , dem General von der Tann zuging , und jener vom 20. October, unter deren nachhaltigem Eindrucke man auch am 8. November noch disponirte, war allerdings ein gewaltiger. - Und selbst jetzt schien man in Versailles die Entscheidung noch nicht in den nächsten Tagen, geschweige denn am anderen Tage zu er warten. Hätte man dort die Lage der Armee-Abtheilung in Orléans für wirklich gefährdet erachtet , so stand ja der Telegraph zu Diensten, welcher die oben erwähnte, weittragende Weisung über mitteln konnte ?! - Noch in den Mittagsstunden des 8. Novembers äuszerte ein höherer Offizier, der die in Versailles herrschenden An schauungen kennen musste , die Ansicht , dass die Franzosen nicht ernstlich angreifen könnten, sie hätten hierzu noch lange nicht die genügende Artillerie , - genau 24 Stunden später standen die Franzosen beiCoulmiers mit ca. 160 gut bedienten Geschützen!

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

357

Im Nachstehenden soll keinesweges eine Relation des Gefechtes von Coulmiers wiedergegeben werden, diejenigen Leser, welche sich die Mühe nahmen, 92 diese Studie" durchzusehen, kennen gewiss auch den allgemeinen Verlauf dieses Kampfes, und es sollen daher nur einige charakteristische Momente von dessen Anlage , Durchführung und Folgen hier hervorgehoben und daran einige kurze Betrachtungen geknüpft werden. Am Abende des 8. Novembers fasste General von der Tann den Entschluss, noch in der Nacht mit allen Truppen aus Orléans abzurücken, um vor Tagesanbruch mit den gesammten Kräften in der Gegend von Coulmiers concentrirt zu stehen .

Die

zuletzt eingegangenen , oben erwähnten Meldungen der Cavallerie lieszen den Feind am Abende dieses Tages ( 8. November) in der Nähe von Charsonville, Baccon und bei Prénouvellon vermuthen, also einen Angriff längs der Strasze Morée- Binas- Ouzouer- Coulmiers er warten. tive zur

Die Concentrirung bei Coulmiers hatte folgende Hauptmo Grundlage :

Der Feind

musste Coulmiers angreifen , er

konnte und durfte nicht daran vorbeigehen ; damit war aber die bei dem Commandirenden vorherrschende Tendenz : Orléans um keinen Preis ohne ernstlichen Kampf * ) aufzugeben, sicher ge stellt; ferner konnte man hoffen, die eigene überlegene Artillerie (welche man überlegen glaubte) in ausgiebigster Weise verwerthen zu können. Endlich hatte die Armee-Abtheilung, im Falle der Feind wirklich weit überlegen sein sollte , die gerade Rückzugslinie über Rosières und Gemigny, Boulay und Bricy auf die Pariser Strasze. Hinsichtlich der Durchführung des zu erwartenden Gefechtes wurde am Abende des 8. Novembers nur insofern ein allgemeiner Plan fest gestellt, als beabsichtigt war, mit ungefähr einer Division und dem gröszten Theile der Artillerie in der Gegend von Coulmiers defensiv zu bleiben, während die andere Division und die gesammte Caval lerie vom rechten Flügel aus im geeigneten Momente zur Offen sive übergehen sollte . Dies war der in groszen Zügen für den 9. November festgestellte Plan. Die Befehle für den nächsten Tag waren bereits ausgegeben, da meldete der Generalstabs-Offizier der 2. Cavallerie-Division persönlich : dass der Feind gegen Abend wieder aus Charsonville zurückgegangen sei ; dadurch griff die Ver muthung Raum, der Gegner habe, wie vor mehreren Tagen, nur eine gröszere Recognoscirung unternommen. Die oft erwähnte stricte Vorschrift : Orléans nur vor weit überlegenen Kräften zu räumen ; die wenn auch nur leise gehegte und von Versailles aus be

*) Siehe die am 20. October eingetroffene Weisung.

358

Der erste Theil des Loire -Feldzuges im Spätherbste 1870.

stärkte Ueberzeugung, der Feind fühle sich, wenn auch numerisch überlegen, doch nicht stark genug, einen ihm im freien Felde ange botenen Kampf offensiv aufzunehmen ; die Betrachtung , dass es als ein Zeichen der Sehwäche bei Freund (Versailles ! ) und Feind angesehen wurde , Orléans bei der Nachricht vom Anrücken des Gegners , dessen Stärke man noch gar nicht kannte , sofort gänzlich geräumt zu haben , und schlieszlich die Nothwendig keit , die Stadt für die Fortschaffung des werthvollen Eisenbahn Materiales und zum Schutze der Lazarethe, wenn auch nur gegen die fanatisirten Einwohner, wenigstens bis zum anderen Morgen besetzt zu halten, - alle diese Erwägungen, im Vereine mit der telegraphi schen Nachricht des Generals von Wittich, er würde gegen Orléans marschiren, bestimmten endlich nach langem Erwägen den General von der Tann, drei Bataillone , zwei Geschütze und zwei Escadrons. als Besatzung in Orléans zu belassen, mit dem Befehle, sofort abzu rücken, wenn Kanonendonner hörbar. Dies war die erste, wenn auch nicht folgenschwerste Aenderung in dem ursprünglichen Plane. Der Schreiber dieser Zeilen hat an einem anderen Orte*) versucht, die Motive für das Zu rücklassen eines, bei der numerischen Schwäche der Infanterie immerhin sehr in die Waagschale fallenden Bruchtheiles dieser wichtigen Waffe detaillirt anzugeben. Der Erfolg sprach gegen die getroffene Masz regel, wäre es aber gelungen , den Gegner bei Coulmiers abzuweisen, oder hätte er gar nicht angegriffen, so würde man vielleicht dieses Zurücklassen eines Regiments als ganz selbstverständlich und voll die Er kommen gerechtfertigt betrachtet haben. ―― Und doch ―― fahrung soll uns ja eine Lehrerin sein für künftige Fälle - der Er ein folg durfte ein glänzender Sieg anstatt ein Rückzug sein, Princip war das Zurücklassen von drei Bataillonen , circa 1500 Mann, bei einer Gesammtstärke der Infanterie von nur 16,000 Mann, doch ein Fehler.

Die Entscheidung lag nicht in Orléans,

sondern bei Coulmiers ; gelang es dort , den Feind zu schlagen, so fiel Orléans , wenn auch mit einigem Widerstande, doch wieder in die Hände der Deutschen ; vermochte man aber bei Coulmiers dem Feinde nicht

zu widerstehen ,

so half auch ein Besetzthalten von

Orléans nichts, im Gegentheile , die dortige Besatzung konnte einer Katastrophe entgegengehen . Alle Kräfte dort zusammenhalten, wo die Entscheidung fallen muss ! wie einfach lautet dieser Grundsatz und doch wie leicht wird gegen ihn gefehlt, wie triftig scheinen meistens die Gründe , welche für

*) Das 1. Bayerische Armeecorps von der Tann im Kriege 1870 bis 71 .

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

359

den jedesmaligen Fall ein Abweichen von diesem Grundsatze nicht allein als ausnahmsweise erlaubt , sondern sogar als gerechtfertigt hinstellen . Wiederholt zu erwähnen dürfte noch sein , dass das zurückge gelassene Detachement Befehl hatte, sobald es Kanonendonner höre , längs der Loire aus Orléans abzumarschiren. - Beides konnte aber durch kleine Zufälligkeiten neue Schwierigkeiten bieten, indem mög licherweise der Kanonendonner gar nicht gehört wurde *) , oder der Abmarsch längs der Loire durch den inzwischen eingetretenen Ver allein unzweckmäszig erschien , sondern

lauf des Gefechtes nicht

vielleicht auch unmöglich wurde. Am 9. November bei Tagesanbruch stand die Armee - Abtheilung (mit Ausnahme der in Orléans zurückgelassenen Abtheilung) in der befohlenen Bereitschaftsstellung : die 2. Division

( 9141 Mann) zwi

schen Rosières Château und Montpipeau ; die 1. Division (5402 Mann) dahinter bei Descures . Von der 2. Cavallerie- Division befand sich die * 3. Brigade mit zwei reitenden Batterien in der Nähe von Baccon, die 5. Brigade bei Coulmiers, die 4. Brigade bei St. Sigismond ; die Bayerische Cürassier- Brigade mit einem Bataillon und zwei reiten den Batterien stand bei St. Péravy la Colombe . terie-Division

wurde bald aus

Von der 2. Infan

eigener Initiative

Coulmiers

durch die 4. Infanterie-Brigade besetzt. Die Vorposten waren stehen geblieben ; von ihren Meldungen hingen die nächsten und wichtigsten Maaszregeln ab. Die eigentliche Schwierigkeit der Defensive, der Mangel an Initiative, die Abhängig keit von dem Gesetze , welches der offensive Gegner dictirt , macht sich in solchen kritischen Momenten geltend .

In solchen, allerdings

oft Stunden dauernden Augenblicken dürfte man sich wohl stets des unendlich wahren Ausspruches des Generals Clausewitz erinnern : Bei allen zweifelhaften Fällen bei seiner ersten Meinung zu be harren und nicht eher zu weichen , bis eine klare Ueber zeugung dazu zwingt. Aber zwischen diesen Grundsatz und den concreten Fall treten allerdings eine Menge von Erscheinungen störend dazwischen , welche in der drängenden Hast der auf ein ander folgenden Eindrücke nicht immer nach ihrem wahren Gehalte geprüft werden können . So auch an jenem Morgen vor dem Ge fechte bei Coulmiers ; der in voller Ruhe und kalter Ueberlegung Abends vorher gefasste Entschluss wurde oben erwähnt.

Die Ein

*) Am 1. December hörte man in Orgères keinen Schuss von dem eine halbe Meile entfernten Gefechte bei Villepion.

360

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

drücke, welche man am Morgen in Château Huisseau empfing,

- - sie

konnten zwar den allgemeinen Plan nicht umstürzen , aber sie waren doch stark genug, ihn zu modificiren, man gab einerseits dem Gewichte der Eindrücke nach , andererseits hielt man am früheren Entschlusse fest ; ein Mittelweg , der auch nicht zum gewünschten Ziele führte ! -- Alle bis nach 8 Uhr in Château Huisseau einlaufen den Meldungen der Cavallerie berichteten übereinstimmend von dem Vorrücken starker feindlicher Colonnen aus der Richtung von Cravant und Messas, von Charsonville her traf um diese Zeit keine einzige Meldung über Bewegungen des Feindes ein ; dort schien Alles ruhig zu sein. - Der Plan, bei Coulmiers Alles zusammen zu halten, erhielt nun eine wesentliche Aenderung. Die 3. Brigade, die stärkste des Armeecorps, sieben Bataillone und sechs Geschütze, welcher auszerdem noch weitere zwei Neun - Centimeter - Batterien der Corps-Artillerie und eine Escadron zugetheilt waren, erhielt Be fehl, schleunigst von Château Montpipeau nach Château Préfort ( nahe zu eine Meile von Coulmiers) zu rücken und sich dort zur nach haltigen Vertheidigung einzurichten. - Die Meldungen hatten den Eindruck hervorgebracht , als versuchte der Feind, die Mauve - Linie zwischen Huisseau und Préfort zu durchbrechen , - man glaubte nach Château Préfort die directe Vertheidigung verlegen zu müssen und von Coulmiers aus , welches nicht bedroht schien und das nun scheinbar der äuszerste rechte Flügel wurde, die Offensive ergreifen zu können. — Nach Französischen Quellen hatte die feindliche Armee, welche in der Linie Ouzouer- Château Coudray - Cravant - Messas die Nacht zubrachte , den Befehl, am 9. November früh 8 Uhr ihren Marsch anzutreten

und zwar vom

rechten

Französischen Flügel

(15. Corps) an gerechnet : Die 2. Division mit der

2. Brigade

in den Raum zwischen

Le Bardon und Château de la Touane ; die 1. Brigade sollte 3. Division als allgemeine Reserve folgen.

der

Die 3. Division, welche

zwischen Château Coudray und Rilly gelagert hatte , wurde gegen Baccon und La Rénardière vorgeschickt. Vom feindlichen 16. Corps sollte die 2. Division , eine Brigade hinter der anderen, über Champdry, Villorceau gegen Coulmiers vor rücken, während die andere Division , ebenfalls eine Brigade hinter der anderen , die Direction über Charsonville , Epieds auf Gemigny erhalten hatte. Die Cavallerie- Division endlich, sowie die Freicorps des Obersten Lipowsky sollten Patay und Péravy nehmen , mög lichst weit gegen die Pariser Strasze vordringen und die rechte Flanke der bei Coulmiers vermutheten Deutschen umfassen.

Der erste Theil des Loire-Feldzuges im Spätherbste 1870.

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Das Bivouak der Französischen 3. Division (15. Corps ) war halbe Meile von Baccon , welches sie angreifen sollte, entfernt ; in bei Baccon stand Preuszische Cavallerie , deren

nur

eine

thätige Eclaireurs selbstverständlich

sehr bald das Anrücken be

deutender feindlicher Abtheilungen beobachteten und rasch hinter einander nach Huisseau hierüber Meldung erstatteten. Dagegen war das Bivouak des Französischen 16. Corps bei Erst um

Ouzouer le Marché 14 Meile von Coulmiers entfernt.

10 Uhr trafen die feindlichen Spitzen bei Saintry und Epieds ein, welche Orte fast genau so weit von Coulmiers entfernt sind , als Baccon von der Bivouakstelle , aus welcher der Feind seinen Vor marsch antrat. Aus dem hier Gesagten dürfte es sehr erklärlich sein, dass alle anfänglichen Meldungen (bis nach neun Uhr) nur von feind lichen Colonnen berichteten , die gegen Baccon vorgingen , während von Coulmiers her bis kurz vor halb zehn Uhr Nichts über das Anrücken des Feindes gemeldet wurde. Inzwischen war aber, wie erwähnt, unter dem Eindrucke dieser ersten Meldungen bereits disponirt worden ; als die Verhältnisse bei Coulmiers sich geklärt hatten und man die irrigen Voraussetzungen erkannte , war die 3. Brigade nahezu in Préfort angekommen und hiermit eine Meile vom entscheidenden Punkte entfernt, beinahe eine halbe Meile zu weit über den linken Flügel der Deutschen Gefechtslinie hinausgeschoben . --Dass solche ,

nicht jede Aenderung im ursprünglichen Plane ,

als

nachtheilig sein muss ; dass es nur darauf ankommt,

die Aenderung erst dann eintreten zu lassen, wenn die Verhält nisse unzweifelhaft klar sich gestaltet haben, das beweist in diesem Gefechte die veränderte Bestimmung , welche die auf dem äuszersten rechten Flügel bei Péravy befindliche Bayerische Cü rassier-Brigade mit ihren Batterien und das ebendort stehende Ba taillon erhielten.

Unter dem Eindrucke der wiederholt erwähnten

Meldungen, welche in Huisseau eintrafen,

dachte man, wie gesagt,

Coulmiers als äuszersten rechten Flügel annehmen zu müssen.

Der

Commandirende, festhaltend an seinem Plane, vom rechten Flügel offensiv vorzugehen, wollte dort möglichst viel Cavallerie vereinen und sandte einen Offizier nach St. Péravy, die Bayerische Cürassier Brigade und die übrigen dort befindlichen Truppen heranzuholen. Inzwischen hatte

sich westlich

von Péravy feindliche Infanterie

und Cavallerie gezeigt , und der betreffende Offizier glaubte von seinem Befehle unter den veränderten Verhältnissen abstehen zu

362

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

müssen.

Auf die Meldung hiervon beliesz der Commandirende die

bei Péravy befindlichen Abtheilungen in ihrer Stellung dortselbst. Diese Aenderung des Commandirenden an seiner ursprünglichen Idee hatte sehr glückliche Folgen .

Die Cavallerie-Division Reyau

(zehn Regimenter und vier Batterien) war im Vereine mit den circa 1500 Mann starken Lipowsky'schen Freicorps beauftragt, auf Péravy vorzugehen und diesen Ort zu besetzen.

Als der Gegner hier auf

lebhaften Widerstand stiesz , stand er nach zweistündigem, für ihn verlustreichem Kampfe von seinem Vorhaben ab. -- Die Situation hätte sich wohl ungünstiger gestaltet , wenn am Spätnachmittage, als der Abzug begann, der Feind in St. Péravy und auf der Strasze nach Les Barres gestanden hätte. Recapitulirt man in Kürze die folgenschweren Abweichungen von dem Abends vorher gefassten Plan :

Alles bei Coulmiers

zusammenzuhalten , den Feind anlaufen zu lassen und dann von dem rechten Flügel aus zur Offensive überzugehen, so findet man : Das Zurücklassen von drei Bataillonen in Orléans war unter Umständen günstig, die sich hieraus ergebenden Vortheile wogen aber keineswegs die Möglichkeit auf, einen taktischen Nachtheil dort zu erleiden, wo diese Bataillone fehlten . - Die 1. Brigade hätte mit sechs Bataillonen (anstatt mit nur drei) bei Rénardière jeden falls einen weit nachhaltigeren Widerstand leisten können, als es ihr mit drei Bataillonen möglich war. Das Verschieben der 3. Brigade (der stärksten)

sammt drei

Batterien auf Grund der ersten Meldungen und ehe die Situation ganz klar war. Diese frühzeitige Verausgabung von sieben Ba taillonen und achtzehn Geschützen darf wohl als die Ursache der später eintretenden Krisis angesehen werden. —

Ging wirklich

der Feind bei Huisseau und Préfort mit der Hauptmacht vor, bei Coulmiers nur schwache Kräfte belassend , so konnte die ursprüng liche Idee, Orléans indirect, das heiszt durch einen Angriff zu decken, erst recht zur Geltung kommen. Endlich das Belassen der Bayerischen Cürassier- Brigade sammt Artillerie und Infanterie bei Péravy.

Diese Abweichung von dem

ursprünglichen Plane hatte glückliche Consequenzen .

Sie

durfte

nur dann unterbleiben, wenn Alles, aber auch wirklich Alles bei Coulmiers concentrirt war und man von vornherein die Aus sicht hatte ,

durch eine energische

Offensive mit

vereinten

Kräften einen entscheidenden Sieg zu erfechten ; — dann, aber auch hur dann , wenn diese Offensive vollständig gelang , war eine Besetzung von Péravy durch die Franzosen ohne nachtheilige Folgen.

Der erste Theil des Loire - Feldzuges im Spätherbste 1870.

363

General von der Tann wollte, und zwar gewiss mit Recht, nach dem er bis gegen 2 Uhr die gewaltige Ueberlegenheit des Feindes erkannt, nicht mehr das Aeuszerste daran setzen ; hierzu hätten ihm die wieder herangezogene 3. Infanterie - Brigade, die ganze 2. Ca vallerie-Division und die Bayerische Cürassier-Brigade zur Disposition gestanden. opferung ,

Die endliche Entscheidung blieb immer, trotz aller Auf bei

der

bedeutenden

numerischen Ueberlegenheit des

Gegners , selbst an Artillerie (14,500 Mann Infanterie, 4450 Mann Cavallerie, 110 Geschütze gegen 72,000 Mann mit 160 Geschützen) , ungewiss ; im Falle des Misslingens aber musste sich der jetzt frei willig angetretene Rückzug in eine Niederlage verwandeln. General von der Tann hatte während voller sechs Stunden einem dreifach stärkeren Feinde widerstanden und dabei 51 Offiziere und 1257 Mann, unter denen 300 unverwundet Gefangene, verloren . Am 10. November concentrirte sich das

1. Bayerische Corps bei

Toury, in Fühlung mit der 22. Infanterie - Division, welche sofort herangeeilt war, und der 17. Division. Die 2. Cavallerie- Division stand vor Artenay und behielt Fühlung mit dem Feinde.

Aus dem

Umstande, dass nicht sofort , d. h. am 10. November schon nach Versailles berichtet werden konnte, ob der Feind die erwartete Be wegung gegen Châteaudun, beziehungsweise Chartres, ausführe oder nicht , entstand vielleicht die irrthümliche Voraussetzung , dass die Fühlung mit dem Feinde verloren gegangen sei !

Die Husaren und

Ulanen der 2. Cavallerie- Division blieben dem Feinde bei Artenay und Sougy stets scharf an der Klinge ! Abgesehen von den in dieser Studie offen, vielleicht zu offen, gegebenen Betrachtungen, erscheint es nöthig, nochmals darauf auf merksam zu machen, dass nach Allem, was man bis jetzt vom Feinde zu wissen glaubte, der Tag von Coulmiers die Heeresleitung über raschen musste, nicht weil Orléans geräumt wurde, was allerdings ein nicht zu läugnender, aber leider auch nicht zu vermeidender Nachtheil war, sondern weil man plötzlich wieder einen Factor mit in Rechnung zu ziehen hatte , der seit Sedan , als verschwindend klein, kaum in Betracht kam, nämlich : schlagfähige feindliche Armee!

eine zahlreiche und

364

Zum Uebergange über die Beresina.

XXI.

Zum Uebergange über die Beresina. Das „Avenir militaire " brachte vor einiger Zeit einen Bericht aus den bisher nicht veröffentlichten Papieren des Oberst Chapelle, wel cher die Pontonniere der Französischen Armee in dem Feldzuge gegen Russland commandirte.

Da dieser Bericht einen neuen Bei

trag zu dem denkwürdigen Uebergange über die Beresina liefert, so wird das auf diesen Uebergang Bezügliche in der Uebersetzung hier wiedergegeben . Die Divisionsgenerale Eblé und Chasseloup , welche gemeinsam die Vorbereitungen für den Uebergang über die Beresina treffen sollten, kamen am 25. November um 5 Uhr Morgens in Borisov an, wo das 2. Corps unter dem Marschall Oudinot sich bereits befand. Sie hatten sieben Pontonnier- (einschlieszlich derjenigen Com pagnie, welche dem 2. Corps angehörte), vier bis fünf Sappeur-Com pagnien und zwei kleine Detachements, der 4. Equipage de Flotille und den Handwerkern der Marine des Donau-Bataillons angehörend, zur Verfügung .

Das vorhandene Material bestand aus :

sechs Wagen mit Handwerkszeug , Aexten u. s. W.,

Klammern ,

Hacken,

zwei Wagen mit Vorrathsstücken und Kohlen, drei Schmieden. Das gesammte Material war ausschlieszlich dasjenige des Ge nerals Eblé, der auszerdem die Vorsicht gehabt hatte, in Smolensk jedem Pontonnier ein Handwerkszeug , Klammern verabreichen zu lassen.

15 bis 20 Nägel und einige

In Borisov blieben bis auf Weiteres drei Pontonnier- und drei Sappeur-Compagnien, sowie die Seeleute und einige Handwerker des Donau-Bataillons , während der Rest um 11 Uhr Morgens mit drei Handwerkswagen , einem Kohlenwagen und einer Schmiede nach einem vier Lieu entfernten Punkte abzog, wo der Uebergang statt finden sollte.

Da der Feind das rechte Ufer der Beresina besetzt

hatte, musste man einen groszen Umweg machen und langte erst um 4 Uhr Nachmittags an. Die 7. Compagnie des 1. Pontonnier- Bataillons, welche zum 2. Corps gehörte, hatte sich schon vorher an die Uebergangsstelle be

Zum Uebergange über die Beresina.

365

geben und daselbst etwa zwanzig Brückenböcke gezimmert. Es stellte sich aber nun heraus , dass die Letzteren viel zu schwach waren und nicht benutzt werden konnten. So war um 5 Uhr Nachmittags der Brückenbau noch gar nicht vorbereitet, und somit kein Augenblick zu verlieren, da der Ueber gang am folgenden Tage mit Sonnenaufgang stattfinden sollte. Man begab sich sofort an die Arbeit, um zwei Bockbrücken her zustellen, riss ganze Häuser nieder, um das Holz derselben zu ver wenden, und es gelang auch wirklich, indem man die ganze Nacht ununterbrochen arbeitete, mit Tagesanbruch die nöthigen Vorarbeiten zu beenden. Zu dieser Zeit etwa passirten 3 bis 400 Jäger zu Pferde den Fluss, theils schwimmend, theils mittelst einer Furth, jeder mit einem Voltigeur hinter sich auf dem Pferde ; andere Abtheilungen setzten gleichzeitig auf einer Fähre über. Man erwartete nämlich vom Feinde, der in der Nacht zahlreiche Feuer unterhalten hatte, heftig angegriffen zu werden ; derselbe hin derte aber nicht im Entferntesten den Bau der Brücken und traf auch keinerlei Anstalten, um den Uebergang sonst wie zu stören . Man schoss sich nur ungefähr zwei Stunden lang mit ihm herum ; ein zelne, oft auch mehrere Kosaken, erschienen mit lautem Geschrei, wurden jedoch von unseren Tirailleurs und durch die Artillerie des 2. Corps, die General Aubry hatte auffahren lassen , zurückgewiesen. Um 2 Uhr Nachmittags war die rechte Brücke fertig geworden . Obwohl sie nur von Infanterie und Cavallerie benutzt werden sollte , liesz man einen 8 - Pfünder und eine Haubitze mit ihren Munitions wagen unter besonderen Vorsichtsmaaszregeln auf derselben über gehen .

Um 5 Uhr war auch die linke Brücke fertig und begann

sofort die Artillerie mit ihren Wagen dieselbe zu passiren, doch schon um 8 Uhr brachen drei Böcke, und erst drei Stunden später war die Brücke wieder fahrbar. Ebenso erging es der letzteren am 27. November um 3 Uhr Morgens ; drei Böcke stürzten gerade an der tiefsten Stelle des Flusses ein, und erst um 6 Uhr war der Schaden geheilt, jedoch auch nur für einige Stunden, denn Nachmittags um 4 Uhr brachen zum dritten Male zwei Böcke, welche bis um 6 Uhr wieder in Stand gesetzt wurden.

Von nun an ging es ohne weiteren Unglücksfall.

Die rechte Brücke war weit besser und hatte man hier nur geringere Reparaturen vorzunehmen. Trotz aller dieser Widerwärtigkeiten verlief der Uebergang bis zum 27. November Abends in aller Ordnung ; in der Nacht zum

Zum Uebergange über die Beregina.

366

28. Nov. häuften sich jedoch Truppen und Material so sehr bei den Brücken an,

dass es sehr schwer hielt, bis zur Brücke überhaupt

zu gelangen. Im Laufe des 28. Novembers wurde die Unordnung ganz allgemein ; Jeder wollte zuerst hinüber und Niemand den anderen vorbeilassen, so dass der Uebergang nur sehr langsam von Statten ging. Der Raum zwischen beiden Brücken war belagert von einer Unzahl Menschen zu Fusz und zu Pferde, Offizieren und Soldaten, allerlei Wagen, die vollständig in einander verfahren waren, kurz Alles hinderte sich gegenseitig.

So gelang es dem Feinde, trotz der

Anstrengungen des 8. Corps , welches den Rückzug deckte , um 2 Uhr Nachmittags mehrere Geschütze Brücken unter Feuer nahmen.

aufzufahren ,

welche die

Die Kugeln und Geschosse,

welche

nun in diesen Menschenknäuel einschlugen, in dem Pferde in Menge eingeschlossen waren, verursachten selbstverständlich groszes Unheil. Offiziere und Soldaten wurden erstickt oder erdrückt, viele in den Fluss gedrängt , wo die einen umkamen, die anderen sich durch Schwimmen retteten oder endlich sich an den Brücken anzuklammern versuchten. Mit Anbruch der Dunkelheit hörte der Feind auf zu feuern, und man benutzte dies zuerst , um so viel wie möglich die Zugänge zu den Brücken frei zu machen, die vollständig durch Menschen- und Thierleichen, sowie durch zerbrochene Wagen versperrt waren.

Das

9. Corps passirte den Fluss während der Nacht mit seiner ganzen Artillerie und ebenso einige Geschütze der anderen Corps, welche hier aufgefahren waren, so dass kein einziges Geschütz mehr auf dem linken Ufer blieb. Auf dem letzteren waren nur eine grosze Anzahl Wagen allerlei Art, kranke und verwundete Offiziere und Soldaten, Beamte , Kinder, Zahlmeister und Feldwebel , welche nur im äuszersten Falle ihre Wagen mit den Acten und Geldern ihrer Truppen verlassen wollten, auszerdem einige zwar bewaffnete, wenige Reiter ;

aber ermattete

Soldaten

und

endlich aber eine Fülle aller jener Marodeurs, die

sich nur zu sehr an die Armee angeschlossen hatten. Diese ganze Gesellschaft hätte bequem auf das rechte

Ufer

während der Nacht übergehen können, aber sobald der Feind sein Feuer einstellte, bildeten sich in unglaublicher Sorglosigkeit Bivouaks. General Eblé schickte mehrere Male herüber, um mitzutheilen, dass man die Brücken abbrennen würde, doch umsonst, - Offiziere, Be amte,

Soldaten , Marketender,

alle

hielten

diese

Warnungen für

Scherz , blieben allen Vorstellungen gegenüber taub und warteten

Zum Uebergange über die Beresina.

367

ganz rubig den Tag ab , um ihre Zurüstungen zur Weiterreise zu treffen. Der Marschall Victor, welcher sich einen Theil der Nacht im Bivouak des Generals Eblé aufhielt , machte ebenfalls nutzlose An strengungen, das linke Ufer räumen zu lassen. Endlich versuchte General Eblé Feuer an die Wagen zu legen ; dies nutzte Etwas, aber es war schon zu spät. Am 29. November in der Frühe befahl er der Infanterie des 9. Corps, welche auf dem linken Ufer geblieben war, um den Feind zu beobachten, eventuell auch zurückzuhalten, auf das rechte über zugehen, dann liesz er, da er keinen Augenblick mehr zu verlieren. hatte, um 8 Uhr Morgens die Brücken abfahren und Feuer an die selben legen. Nun bot sich dem Auge ein herzzerreiszendes Schauspiel dar ; 5 bis 6000 Menschen, Frauen, Kinder rangen verzweiflungsvoll die Hände oder schrieen laut um Hülfe ; die einen stürzten sich mitten auf die brennenden Brücken oder warfen sich in den Fluss , der voll Treibeis war ; andere versuchten über das Eis zu gehen, welches sich zwischen beiden Brücken angesammelt hatte, aber nun mit ihnen unter der schweren Last zusammenbrach. In diesem Zustande drangen gegen 9 Uhr Morgens die Kosaken in diese Menge von Unglücklichen ein, verwundeten etliche mit ihren Lanzen, machten aber schlieszlich diese ganze Masse zu Gefangenen, die sich selbst ihr Unglück zuzuschreiben hatten. Um 10 Uhr liesz General Eblé, unter dem Schutze eines Säch sichen Bataillons des 8. Corps ,

auch die auf dem rechten Ufer der

Beresina eingenommene Stellung räumen, in demselben Augenblicke, wo die feindliche Artillerie zu feuern begann, allerdings ohne Er folg, da man bald auszer Schussbereich gelangte . Der Fluss war an der Uebergangsstelle ungefähr 40 bis 50 Toisen breit, das rechte Ufer sehr sumpfig und der Frost daher für die Franzosen ein groszes Glück, da sonst weder Pferde noch Wagen hundert Schritt von demselben hätten vorwärts kommen können . Man brauchte für jede Brücke 23 Böcke, acht Fusz betrug.

deren gröszte Höhe

Die Streckbalken waren von unbeschnittenem

Fichtenholze, von achtzehn Fusz Länge bei fünf Zoll Durchmesser. Die Decke der linken für die Wagen bestimmten Brücke war durch andere runde Balken von ungefähr vierzehn Fusz Länge und vier Zoll Dicke gebildet worden, während diejenige der rechten, welche nur für Infanterie und Cavallerie, aus einer doppelten Lage dünner Bretter bestand.

Zum Uebergange über die Beresina.

368

Um die gewaltigen Stösze der Wagen bei der erstgenannten Brücke zu mildern, war dieselbe mit Heu bedeckt worden, welches die Pferde jedoch sehr bald niedergetreten hatten und deshalb oft erneuert werden musste, so dass die Instandhaltung sehr viel An strengung erforderte, um so mehr, als man viele Fahrer nicht daran hindern konnte, im Trabe die Brücke zu passiren .

Trotzdem haben diese Umstände keine nachtheiligen Folgen ge habt ,

da Alles ,

was auf dem linken Ufer geblieben war, zwanzig

Mal die Beresina hätte überschreiten können, wie der wahrheitsge treue Bericht der Augenzeugen es beweist. General Eblé und seine Umgebung waren aufs Tiefste erschüttert über die thörichte Menge,

die nicht herüberkam, doch hat er sich

keine Vorwürfe zu machen,

da in einem so kritischen Augenblicke

nicht weiter zu helfen war.

Während man am 27. November gerade

die zum zweiten Male beschädigte Brücke wieder herstellte , eine Arbeit, die naturgemäsz nicht allzu rasch vor sich ging, traf General Lauriston ein , der sich über die Langsamkeit beklagte und den General Eblé darüber zur Rede stellte. Beide blieben zusammen bis die Brücke wieder in Stand gesetzt war, um die schon sehr ange wachsene Menge herüber schaffen zu können. Die Pontonniere haben bei dem Baue der Brücke sowohl, wie bei der Reparatur und der Instandhaltung derselben einen Eifer, einen Muth und eine Aufopferung gezeigt , die über alles Lob er haben ist. Sie waren zwei Tage und zwei Nächte vorher hinter einander marschirt. Trotzdem arbeiteten sie sofort unermüdlich und mussten mitten unter den Eisschollen, welche die Beresina trieb, alle Böcke, oft bis zu den Schultern im Wasser stehend, einrammen. Noch schwieriger war es, die Brücken auszubessern .

Man musste

die Stützen im Wasser ausheben, und kaum waren sie drauszen, als eine dichte Eiskruste sie bedeckte ; dann musste man zum zweiten Male in den Fluss hinein, um andere Böcke zu setzen, und das noch dazu mitten in der Nacht. In derjenigen des 28. zum 29. November waren die Pontonniere fortwährend mit Ausbesserungen oder mit dem Freimachen der Zu gänge beschäftigt , welche sich alle Augenblicke durch zerbrochene Wagen oder Menschen- und Thierleichen verstopften .

So haben sie,

ermüdet, wie sie ankamen, und ohne irgend welche Ruhe zu ge nieszen, auszerordentlich ausgestanden, aber auch Auszerordentliches geleistet. Von 100 Pontonnieren, welche im Wasser gearbeitet hatten,

Zum Uebergange über die Beresina.

369

blieben nur 12 am Leben ; alle anderen sanken nach höchstens drei Tagen zusammen, um nie wieder aufzustehen. Wir haben bereits oben bemerkt, dass das ganze Material, wel ches zum Uebergange benutzt worden ist, den sorgfältigen Anordnun gen des Generals Eblé zu verdanken ist.

Der General Chasseloup

äuszerte sich bei dieser Gelegenheit folgendermaaszen : „ Ich erkenne jetzt an, dass die Artillerie diejenige Waffe ist, welche das Brücken material im Kriege mit sich führen muss , weil sie allein in ihrem Personal, Pferdebestand und Material die nöthigen Hülfsquellen hat, und ihr allein noch grosze übrig bleiben, wenn diejenigen der anderen Waffen erschöpft sind . Das Geniecorps ist mit einem ansehnlichen Vorrathe an Hand werkszeug allerlei Art ins Feld gezogen, und trotzdem sind sowohl wir, wie auch das Donau-Bataillon, ohne eine Schmiede, ohne einen Nagel oder Hammer hier angekommen. Wenn dieser Uebergang gelingt , so ist es der General Eblé, dem die Ehre desselben zuer kannt werden muss. Er allein hatte die nöthigen Mittel, um ihn zu unternehmen. " Dieser Uebergang, der allerdings der Artillerie zu danken war, ist in der letzten Zeit in der Französischen Kammer öfters ange führt worden, als es sich darum handelte, welcher Waffe der Brücken train zu attachiren sei.

Bekanntlich ist der letztere denn auch mit

groszer Majorität der Artillerie zugewiesen worden .

XXII. Umschau in der Militair- Literatur .

„Rationelle Ausbildung des Reiters und Pferdes in der Cavallerie, oder wie man schnell und gut reiten lernt und sich jedes zum Reitdienste geeignete Pferd auf rationelle Weise am schnell sten und sichersten thätig macht, von J. Waldschmidt, König Zweite Auflage. lich Preuszischer Oberstlieutenant a. D. Berlin , Verlag von Wiegandt und Hempel. 30 S. Preis 1 Mark. "

1872.

gr. 8º.

Zur Erweiterung der Lehrthätigkeit hätten wir dem vielsagenden Titel eine etwas veränderte Fassung dahin gewünscht , dass sein Jahrbücher f. d. Deutsche Armee u. Marine. Band XVII. 24

Umschau in der Militair-Literatur.

370

Schluss so lauten möchte : „ und sich jedes Pferd auf rationelle Weise am schnellsten und sichersten zum Reitdienste thätig macht. " Die hierdurch hervorgerufenen Anklänge , wären vielleicht geeignet gewesen, der : „ Gewichts - Hypochondrie, ein Reiterleiden der neueren Zeit, von Fr. von Krane, Oberst z. D. " entweder entgegenzutreten oder sie zu beleuchten .

Der Herr Verfasser der rationellen Aus

bildung hält der Cavallerie vor , dass sie im Vergleiche

zu

den

Schwesterwaffen , die einen höheren Grad von Vollkommenheit an streben, keine Fortschritte gemacht habe, denn die Hauptwaffe der selben, das Pferd , sei von sehr verschiedener , zum Theil noch sehr mangelhafter Beschaffenheit.

Die Wege , welche zur höheren Vollkommenheit der Cavallerie führen, sind nach Angabe der Schrift: 1) Richtige Leitung der Pferdezucht , 2) Schnelleres Reiten mit längerer Ausdauer, 3) Gewandtheit des Reiters in Beherrschung seines Pferdes, 4) Geschickte Dressur des Pferdes mit vollkommener Füg samkeit unter den Willen des Reiters. Indem der Herr Verfasser die ad 1 berührte Pferdezucht hier ausscheidet , beginnt er sich mit Nr. 2 zu beschäftigen und erklärt, dass nur allseitige Ausbildung der Kräfte des Pferdes , oder die Har monie der Kräfte , nicht aber einseitiger Gebrauch derselben allein, das Resultat einer gröszeren Beweglichkeit und

des

schnelleren

Reitens mit Ausdauer bildeten ; er sieht in Nr. 3 und 4 die Mittel, dahin zu gelangen .

Wenn der Herr Verfasser sagt : „Die gymnasti

schen Uebungen haben das Gefühl der physischen und moralischen Kraft in dem Fuszsoldaten gestärkt , warum soll dieser Vortheil in ähnlicher Weise nicht auch dem Reiter und dem Pferde zugewandt werden ?" , so unterschreiben wir diesen Satz Wort für Wort und fügen hinzu , die Gymnastik erreicht nur durch Bewegung die Ent wickelung des Körpers.

Ein vernunftgemäszes, diese Bewegung lei

tendes Princip kann nur auf der Mechanik des Körpers beruhen, denn mechanische Kräfte sind die Ursachen der veränderten Körper formen in der vitalen Plastik.

Diese Mechanik ist bestimmt durch

die Beschaffenheit der Gelenke und die bewegenden Zugkräfte .

Den

Bewegungen ist anfangs kein anderes Hinderniss als die Schwere des eigenen Körpers entgegenzusetzen.

Zur Ausführung der gym

nastischen Körperausbildung gehört die

Annahme

einer den Ge

setzen der Natur entsprechenden Haltung, weil die Bewegungsfähig keit die Stellung der einzelnen Glieder zu einander wie zum Ganzen zu ändern vermag. In dieser Haltung ist der Körper in seiner

Umschau in der Militair-Literatur.

371

Längenrichtung bis zur geraden Linie gestreckt , während sich die Seitentheile in einer symmetrischen und richtigen Stellung zur Längs axe befinden.

Sie heiszt die normale Haltung, muss soweit als mög

lich aufrecht erhalten werden und ist der Ausgangspunkt der Aus bildung.

Die Kräfte müssen nicht allein entfesselt , sondern auch

richtig gebunden werden . Weniger können wir uns dem Ausspruche des Herrn Verfassers anschlieszen : „ soviel mir bekannt , hat man bisher weder bei der Dressur des Reiters , noch bei der des Pferdes , diesen höchst wich tigen Theil :

Ausbildung der natürlichen Kräfte behufs

Gewinnung von Haltung , allein behandelt und zur Vorübung für das Reiten gemacht. "

Er widerlegt sich aus der Praxis selbst ;

wohl aber geben wir zu , dass der Werth der Leibesübungen bisher nicht in ihrer richtigen Auwendung (Lehrmethode),

sondern in der

Form der Uebung gesucht und gefunden worden ist ; denn nie oder selten hat beim Cavalleristen das „ Was " der Uebung das „ Wie " und 99 Warum " enthalten , oder die Erscheinung ist nie von dem Gesetze und dessen Beweis begleitet gewesen . Bis zu diesem Punkte hin schien der Herr Verfasser dem natür lichen System der Ausbildung von Mann und vom Pferde zu hul digen , denn er entfernte sich in seiner Darstellung der rationellen Ausbildung , ebenso von der gegen die Naturgesetze verstoszenden Bauché'schen Methode, wie von dem Formenwesen der Reit- Instruction für die Preuszische Cavallerie. Ueber diesen Punkt der Schrift hinaus gehend , vollzieht sich aber im weiteren Verlaufe des Textes eine Wandlung des Herrn Verfassers mit dem Hinweise auf und die Lobeserhebung über die bewegte Reit- Instruction.

Dieses Lob ver

mögen wir mit dem früher von ihm ausgesprochenen Vorwurfe , dass die Cavallerie keine Fortschritte gemacht habe , nicht in Einklang zu bringen, denn auf dieser Reit-Instruction basiren die Leistungen der Cavallerie. Wenn der Herr Verfasser aber zur Fahne der Reit- Instruction schwört , so

verstehen wir wieder nicht , was ihn : „ zur Vervoll

kommnung derselben in Erzeugung des Fortschrittes der Zeit " veran lasst.

Der Hinweis auf Statik und Dynamik und die Nichtaufnahme

der mechanischen Gesetze in keinesweges ,

der Reit- Instruction berechtigt

diese Einschaltung

als Fortschritt der Zeit

ihn

hinzu

stellen, denn diese Wissenschaft hat schon Archimedes cultivirt und zu Zeiten Xenophon's war bereits die praktische Mechanik mit Nutz anwendung auf Reiter und Pferd stark ausgebildet.

Die Neuzeit 24 *

Umschau in der Militair-Literatur.

372

hat nur den Punkt wieder aufzusuchen, wo der alte Hebel angesetzt werden muss . Eigentlich müsste den Herrn Verfasser die Reit Instruction um so weniger befriedigen, weil er 1 ) an „ nachdenkende Reiter" appellirt, und es seine Absicht nicht ist „ einen vollständig unerfahrenen Reiter in den ersten Anfangsgründen zu unterrichten", diesen vielmehr auf die Reit- Instruction hinweisst (s. pag. 20) ; 2) "nach seinem Wissen eine allgemeine Vorschrift über die Ausbildung des

Cavalleristen im

freien Terrain

nicht

existirt" , oder weil ihm die Reit- Instruction als Vorbe reitung des Reitens im freien Terrain nicht genügt ; 3) "2 die alten Grundsätze mit einer rationelleren, natur- und ver nunftgemäszeren Ausbildungsweise vertauscht wissen will". Die vom Herrn Verfasser aufgestellten Grundsätze beruhen, ana log der Ausbildung der natürlichen Kräfte des Fusz -Soldaten, behufs Gewinnung der Haltung , oder der vollständigen Beherrschung und willkürlichen Verlegung des Schwerpunktes, oder der Harmonie der Kräfte mit der Masse, auf derselben Art der Ausbildung ; zuerst in der eigenen Person des Reiters, dann von demPferde allein an der Hand des Reiters und endlich vom Pferde und dem Reiter zusammen vollführt. Beansprucht der Herr Verfasser in dem ersten Theile seiner Schrift , dass dem jungen Reiter stets die nöthige Instruction über den Mechanismus des Pferdes und des menschlichen Körpers ge geben werde ; dass ihm am Pferde - Skelet die Thätigkeit der haupt sächlichsten Kräfte, die Wirkung der Muskeln erklärt werde , so ist gerade die Instruction über die Oeconomie der Kräfte des Pferdes der Stein der Weisen ,

den ja seine :

„ Rationelle Ausbildung des

Reiters und Pferdes " genau anzugeben nicht hätte unterlassen sollen und der trotz Günther und von Krane bisher nicht gefunden zu sein scheint.

Hierdurch wären wir , zur Vermeidung der bekannten In

struction, die blos mit Schlagwörten umherspringt, anstatt Begriffe zu erklären ――― denn nur so kann man sich vor Verirrungen hüten, die unklare Resultate hervorrufen der Unterstufe der Erscheinung

, dahin gelangt , dass wir aus zur Mittelstufe des Gesetzes und

zur Oberstufe der Begründung uns erhoben hätten, was, rückwirkend auf den Elementar-Unterricht, diesem zum unschätzbaren Vortheile gereicht haben würde.

Mit vollem Bewusstsein kehrt sich heute der

junge Reiter von der todten Instruction dem grünen Lebensbaume der Leistung zu , die jeder Reiter auf seine eigene Art vollführt.

Be

kannt genug ist ja die Leistung des jungen Reiters trotz Instruction,

Umschau in der Militair-Literatur.

leider aber ebenso bekannt ,

373

dass er kaum über sein sechzigstes

Lebensalter hinaus noch Geschmack am Reiten findet und dann nur noch Berufstreue ihn auf das Pferd zwingt. Die Bemerkung des Herrn Verfassers , dass es für den Reiter eigentlich nur zwei Theile am Pferde gebe , eine Vorhand und eine Hinterhand, möchten wir dahin präcisiren, dass wir nur Genick und Hüften für die Ausbildungstheorie des Pferdes als berechtigt aner kennen. Welche Turnübung betont nicht unausgesetzt : Genickfrei heit und feste Hüften ?! Ueberrascht hat uns die Ueberschrift des zweiten Theiles der Schrift: "" Die Dressur des Pferdes " . Wir vermissen darin vom Hause aus eine Analogie mit der Gymnastik des Mannes , warum nicht Ausbildung des Pferdes ? Leider documentirt sich aber die Ueber schrift als charakteristisch . Der Herr Verfasser sagt pag. 18 : „ Dass von der richtigen, natürlich folgerechten Behandlung des Pferdes und der Auffassung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten mehr oder weniger der günstige Erfolg der ganzen Dressur überhaupt abhängt“ , und pag. 28 : „ Das Pferd ist von Natur im Allgemeinen ein furcht sames , feiges Thier , das sich dem Willen des Menschen gern und mit Zuvorkommenheit fügt. Seine Furcht ist aber oft ein groszes Hinderniss, den Menschen zu verstehen, besonders wenn er nicht ver ständig mit ihm umgeht.

Der Reiter bemühe sich deshalb , dasselbe

zu belehren, liebreich zu behandeln und sein Vertrauen zu erwecken ; liebreiche Behandlung erzeugt beim Pferde Lust und Willen

zu

Allem, was der Reiter verlangt, ein liebreich behandeltes Pferd thut dem Reiter so zu sagen Alles zu Gefallen , wie ein Mensch. Der Reiter soll sich moralisch mit dem Pferde einigen , dies ge schieht aber nicht mit Gewaltmitteln da , wo blos die Furcht das Hinderniss ist .

Man kann zwar mit Gewalt die Furcht besiegen,

aber nicht für immer , gewöhnlich nur für einmal , macht aber das Uebel dadurch nur um so schlimmer. Der rohe Mensch dressirt mit Gewalt und sein Nutzen ist gering , dem Verstande und der Kunst des Einsichtsvollen, d . h. der geistig überwiegenden Macht, ist Alles gehorsam. " In der VI. Lection beschäftigt der Herr Verfasser sich aber mit dem Fromm-Machen durch die Peitsche .

Er giebt als Zweck dieser

Uebung das Herbeiführen des vollkommenen Vertrauens zur Peitsche und zum Dressirer an und will dadurch das Pferd lehren, die Hinter hand etwas beweglich zu machen.

Wie ist dies zu verstehen , da

nur Hebelkräfte mechanische Bewegungen hervorzurufen im Stande sind , nicht aber äuszere Reizmittel ?

Zur Gymnastik des Pferdes

Umschau in der Militair-Literatur.

374

zählt auch der Herr Verfasser die Wendung auf der Vorhand , ein anatomischer Fehler, der fälschlicher Weise nur dahin führen muss, das Pferd das Ausweichen der Hüften zu lehren, mithin den Schwer punkt aus der Richtung des natürlichen Hängewerkes der Vorhand zum Haltepunkte aufwärts, zu entfernen und ihn dem Druckwerke der Hinterhand abwärts zuzuführen , zum Untergange der Vorder schenkel . Ebenso ungeeignet und naturwidrig ist es, den inwendigen Vorderfusz als Pivot für die Wendungen zu bezeichnen. In der Lection V : „ Die Geschmeidigung der Kopf- und Hals muskeln" begegnen wir einer anatomischen Vergesslichkeit , denn nicht

der Atlas

bewirkt die Drehung

des Kopfes ,

sondern der

Epistropheus . Die relativen Ausdrücke wie : sanfte und harte Hand , wenig Schenkel u. s. w. sind schon so oft als zweckwidrig bezeichnet, dass wir hier nicht wieder darauf zurückzukommen für nöthig halten . Ohne in die Details der Schrift noch näher einzugehen , em pfehlen wir sie den Freunden der Reit-Instruction ebenso, wie den Turfiten ; der Leser wird sich überzeugen , dass der Herr Verfasser mit scharfer Urtheilskraft und Sachkenntniss die schroffen Gegen sätze der Jahre 1825 und 1875, als Kind seiner Zeit, zu überbrücken trachtet. Hoffen wir, dass der Herr Verfasser , der sich auf dem Gebiete der Pferdezucht vielfach bewährt hat , die Lehre von der auf Gym nastik gegründeten rationellen Ausbildung der lebendigen Pferde maschine , sei sie schwer construirt als Gütertransportmittel , oder leicht und dauerhaft als Eilspeditionsförderer, dahin erweitert , dass er

uns

die durch

entwickelte Gelenkthätigkeit

veränderten und

verbesserten Körperformen des Natur - Pferdes in ein Gebrauchs Pferd , mit Aufzeichnung der dahin führenden Mittel, anschaulich vor führt. Die Reiterwelt wird ihm dadurch zu erneutem ' und vermehrtem A. v. Reuss.

Danke verpflichtet sein.

Die Entwickelung der Preuszischen Festungs- und Belagerungs Artillerie in Bezug auf Material, Organisation und Ausbildung von 1815 bis 1875. gestellt

von

Berlin 1876.

H.

Mit Benutzung officiellen Materiales dar

Müller ,

Major

im

Groszen

Verlag von RobertOppenheim.

Generalstabe. 8º.

Das genannte Werk bildet die Fortsetzung des vor zwei Jahren von demselben Verfasser herausgegebenen Buches : „ Die Entwickelung der Feld- Artillerie " , und wird sein schon länger erwartetes Erscheinen bei allen Offizieren der Fusz - Artillerie gewiss freudige Aufnahme

Umschau in der Militair-Literatur. finden. werden

375

Abweichend von der „ Entwickelung der Feld - Artillerie" Der erste nur die Preuszischen Verhältnisse beleuchtet.

Theil behandelt die Entwickelung des Systems der glatten Geschütze von 1815 bis 1860. Besonders interessant ist der Abschnitt : „ Die Demontirgeschosse" im 3. Capitel und das ganze 10. Capitel, worin das vom rein artilleristischen Standpunkte aus gewiss gerechtfertigte Bedauern ausgesprochen wird, dass das Preuszische Geschützsystem mit seinen excentrischen Hohlgeschossen und besonderen Demontir geschossen keine Gelegenheit gefunden , sich mit einem fremden System zu messen.

Der zweite Theil behandelt die Entwickelung

des Systems der gezogenen Geschütze bis 1875.

Die Preuszische

Artillerie darf mit vollem Rechte das Verdienst in Anspruch nehmen, das Hinderladungssystem fast ganz selbstständig ausgebildet zu haben. In allen anderen Artillerien, mit Ausnahme der Belgischen, sind theilweise gezogene Vorderlader eingeführt gewesen, ja in England die Hinterlader sogar durch sie verdrängt worden.

Nur einmal, als

es sich darum handelte, die glatten broncenen 12-Pfünder in gezogene Hinterlader umzuwandeln ,

wurde auch bei uns der Vorschlag ge

macht, dieselben nach dem Systeme La Hitte zu aptiren, doch setzte die Artillerie-Prüfungs-Commission glücklicherweise durch, dass dem selben nicht Folge geleistet wurde. Das ganze Capitel von den Aptirungen ist gleichfalls sehr in teressant, und der Ausspruch, dass das gesammte aptirte Rohr- und Laffeten-Material eigentlich nie völlig kriegsbrauchbar gewesen, er scheint durchaus gerechtfertigt.

Von groszer Bedeutung sind ferner

noch die Capitel über die Entwickelung der Ballistik in Praxis und Theorie, über das praktische Schieszen und die Folgerungen für die Entwickelung

der nächsten Zu kunft. Der Verfasser stellt hierbei die Frage : 29 Was muss noch ge schehen, um ein rationelles Geschützsystem zu schaffen ? " Die Beantwortung dieser Frage kann nur erfolgen nach gründ

licher Erwägung der beiden Vorfragen :

99 Welche Anforderungen müssen nach dem heutigen Standpunkte der Kriegskunst an die Artillerie gemacht werden ? und Wieweit ge nügen die jetzt bestehenden Mittel zur Erfüllung jener Anforderungen ? " Es bedarf keiner Erörterung, dass die Anforderungen in quan titativer Beziehung dieselben sind, welche an das System der glatten Geschütze gestellt wurden , d . h. das System muss bestehen aus : Geschützen , welche mit starken Ladungen flach gestreckte Flug bahnen zum Beschieszen aufrechter Ziele erzeugen (Kanonen), Ge schützen,

welche mit kleinen Ladungen stark gekrümmte Bahnen

Umschau in der Militair-Literatur.

376

zum Beschieszen waagerechter Ziele haben (Mörser) ,

Geschützen,

welche geeignet sind , die zwischen den flach gestreckten und den stark gekrümmten Flugbahnen der beiden Geschützarten bestehende weite Lücke auszufüllen (Haubitzen, Bomben - Kanonen) und theils gegen aufrechte , verwenden sind.

theils gegen waagerechte Ziele zweckmäszig zu

In quantitativer Beziehung stellt die Kriegskunst an diese Ge schützarten die Forderung , den vorliegenden Zweck mit dem ge ringsten Aufwande von Zeit und Mitteln zu erreichen. - Diese For derung verlangt höchste Intensität der Wirkung und zwar der Wir kung des einzelnen Schusses.

Die Factoren, welche diese Wirkung

bestimmen, sind : Trefffähigkeit und Geschosswirkung. Die Com bination beider kann und darf in allen Geschützclassen nicht die gleiche sein . Bei den Kanonen steht die höchste Trefffähigkeit als Hauptbedingung voran ; bei den Mörsern überwiegt die Geschoss wirkung an sich ; bei den Zwischenkalibern wird eine Vermittelung beider Factoren versucht. Diese verschiedenen Combinationen führen also zu verschiedenen Geschützclassen von verschiedener Ladung, demgemäsz von verschiedener Länge ; wobei mit der gröszeren La dung im Allgemeinen das kleinere Kaliber mit dem geringen Ge schossgewichte verbunden wird und umgekehrt. “ Weiter heiszt es dann : „ Das im Laufe der Jahrhunderte rationell durchgebildete , glatte Geschützsystem muss die Grundlage bilden für das noch in voller Entwickelung begriffene gezogene System. Für die noch nicht abgeschlossenen oder noch fehlenden Glieder dieses Systems müssen die correspondirenden des glatten das Vor bild geben und das Classenverhältniss des letzteren - von langen und kurzen Kanonen, Bomben- Kanonen, Haubitzen und Mörsern ―― gegründet auf die unterscheidenden Merkmale :

Grösze der Ladung,

des Geschossgewichts und der Rohrlänge, muss im neuen Systeme mit geringen Abweichungen wieder hergestellt werden. " Doch eigentlich ist

es gewagt , einzelne Stellen des Buches

als besonders interessant hervorzuheben , ist doch fast Alles darin von gleicher Gediegenheit. Wenn übrigens auch die Ent wickelung der Festungs- und Belagerungs - Artillerie zunächst nur den Offizieren der Fusz-Artillerie den Faden zur Lösung mancher Räthsel ihres Dienstes geben wird, so bieten doch beide Werke Müller's auch den Offizieren der anderen Waffen die beste Gelegenheit dar, sich darüber zu belehren, was man überhaupt von der Artillerie verlangen kann, und welche organisatorischen und materiellen Schwierigkeiien diese Waffe zu allen Zeiten und

be

Umschau in der Militair-Literatur.

377

sonders auch während des letzten Krieges zu überwinden gehabt hat. --- Was die klassischen Schriften Scharnhorst's und Decker's im Anfange dieses Jahrhunderts unseren älteren Kameraden gewesen, das sind uns die Werke Müller's , ein wahrer Quell der Artillerie Wissenschaft. -n .

Die Cernirung von Metz im Jahre 1870 von G. Paulus , Haupt Auf Befehl der Königlichen mann im Ingenieur - Corps . General - Inspection des Ingenieur - Corps und der Festungen unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet.

Mit 2 Plänen ,

1 Blatt Profile und 7 Beilagen. Berlin 1875. F. Schneider und Co. gr. 8º 156 S. Text, 148 S. Anlagen. - Preis : 8 Mark. Wir hatten schon im Novemberhefte dieser Zeitschrift bei Be sprechung des Werkes des Hauptmanns Wolff über die Belagerung von Belfort auf das oben angeführte Werk aufmerksam gemacht, und darauf hingewiesen , wie wesentlich verschieden die Thätigkeit der einzelnen Waffen vor einer belagerten und vor einer cernirten Festung sein muss.

Während Artillerist und Ingenieur im ersteren

Falle die angreifenden Hauptwaffen bilden

und der Infanterist in

eine Nebenrolle gedrängt wird, fällt diesem bei einer Cernirung eine gröszere Bedeutung zu , obgleich das Auftreten im Allgemeinen ein defensives bleibt. Die besondere Thätigkeit der Ingenieure vor cernirten Festungen ist daher auch eine beschränkte. dem darf ein Werk wie das vorliegende

Trotz alle

unser volles Interesse in

Anspruch nehmen , denn aus demselben wird sich am besten er lernen

lassen ,

wie

in

Zukunft

Waffenplätzen auszuführen sein

die wird .

Cernirung von bedeutenden Die

Cernirung

von Metz

bildet in der neueren Kriegsgeschichte für diesen Zweck den ersten und einzigen kriegsgeschichtlichen Beleg ; gegen Straszburg , Bel fort , Paris , alle die kleineren Französischen Festungen wurde mit förmlicher Belagerung oder einem Bombardement vorgegangen . Treten wir nun dem Inhalte des vorliegenden Werkes näher, so müssen wir vor Allem vorweg bemerken, dass es eine schwierige Aufgabe war , eine Darstellung interessant und lebendig zu machen, in welcher es sich hauptsächlich um die Thätigkeit der Ingenieure vor dem cernirten Metz handelte . Wohl nicht ohne Absicht hat der Verfasser daher auch bei irgend passenden Gelegenheiten Reflexionen angestellt , welche streng genommen nicht zur Sache gehören. Als solche künstliche und künstlerische Abschweifung müssen wir es ansehen, wenn bei der Terrainbeschreibung für die Cernirung von

Umschau in der Militair - Literatur .

378

Metz Betrachtungen angestellt werden über eine Offensive der Fran zosen gegen Deutschland von Metz aus oder ein Vorgehen der Deutschen zwischen Metz und Thionville. Auf dieses Gebiet eines absichtlichen Ueberschreitens der Grenze möchten wir auszer anderen auch die Auslassungen verweisen , welche sich darauf beziehen , wie weit Metz im Stande war ,

durch seine

Retablirung der Rhein - Armee zu ermöglichen .

Kriegsvorräthe

in die

Andererseits ist es

vollständig gerechtfertigt, ja selbst nothwendig gewesen, dass in dem vorliegenden Werke ein zusammenhängendes Bild über den Verlauf der Cernirung gegeben worden ist. Aber eine gleichmäszigere Be handlung der einzelnen Hauptbegebenheiten hätte doch wohl Platz greifen können, so z. B. wird die Schlacht bei Noisseville , nament lich im Vergleiche mit dem Ausfallgefechte des 7. Octobers , nicht mit genügender Ausführlichkeit besprochen .

Auch ist der Verfasser

in den Angaben , welche die allgemeine Situation schildern , nicht immer ganz correct und genau . So dürfte doch , wie es Seite 19 geschehen ist, das Städtchen Ars, welches im Moselthale liegt, nicht als

eine Position anzusehen sein ;

dass

am

18.

August Abends

Amanvillers von den Deutschen besetzt war , entspricht wohl auch nicht dem Thatsächlichen. Aufgefallen ist uns in dem Capitel über die allgemeinen Cernirungs -Maaszregeln die auf Seite 31 hingestellte Vermuthung, dass die cernirte Rhein- Armee vielleicht die Eisenbahnen dazu benutzen würde , grosze Züge mit Verwundeten bis in den Cernirungskreis hinauszuschieben. Hat man seiner Zeit in den maaszgebenden Kreisen wirklich angenommen , dass die Franzosen in dieser Weise allem Völkerrechte Hohn sprechen würden ? Wir bezweifeln es . Haben wir im Vorstehenden versucht, mit wenigen Worten das Werk in seinen Eigenthümlichkeiten zu charakterisiren , haben wir dabei vielleicht mit verschwenderischer Hand einige Zweifel aus gestreuet , so dürfen wir doch unser Gesammturtheil über die vor liegende Darstellung dahin zusammenfassen , dass dieselbe zweifels ohne höchst lehrreich ist ; interessant konnte sie bei der Lage der Dinge nicht immer sein.

Dies ist aber auch ein Erforderniss, welches

erst in zweiter, dritter Reihe einem militair-wissenschaftlichen Werke abzuverlangen ist.

Die Hauptsache bleibt , dass der Zweck der

Aufgabe erfüllt wird und das ist im vorliegenden Falle im reich lichen Maasze geschehen . Für das eingehende Studium dieses Werkes bilden die beigegebenen sorgfältigen Karten und Pläne eine willkommene, schätzenswerthe Beigabe.

Umschau in der Militair-Literatur.

379

Das XII . (Königlich Sächsische) Armee - Corps während der Ein schlieszung von Paris im Kriege 1870-71 , mit besonderer Von Berücksichtigung der beiden Schlachten bei Villiers . G. Schubert , Oberst und Commandeur des 2. Sächsischen Feld - Artillerie - Regiments Nr. 28. Plänen.

Dresden, Carl Höckner.

1875.

8 °.

Königlich Mit zwei 1 220 S. ―――――

Verfasser, der sich schon durch sein Werk : „ Der Antheil des Sächsischen Armee - Corps am Feldzuge 1866 " und durch die Dar stellung der Thätigkeit dieses Corps in der Schlacht bei Gravelotte. St. Privat als Schriftsteller in militairischen Kreisen bekannt gemacht hat , schildert in dem vorliegenden Werke in sehr sach licher und anschaulicher Weise die Zeit , während welcher das Sächsische Armee- Corps vor Paris stand . Fast ein halbes Jahr lag die Deutsche Armee vor der Riesenfestung, im Kräfte anstrengenden , Nerven erschütternden Cernirungsdienste. Aus dem täglichen Einerlei des Vorposten-Dienstes , der kleinen Plänkeleien und der Kanonade von den Forts aus wuchsen namentlich für die Sachsen nur wenige wichtigere Ereignisse heraus .

Es ist dies besonders die Schlacht

bei Villiers am 30. November und 2. December , dann noch der Ueberfall bei Ville Evrart und die Beschieszung des Mont Avron. Trotzdem war es für ein Werk wie das vorliegende unbedingt nothwendig , ohne in die Einzelheiten einzugehen , doch den ganzen Verlauf der Cernirung und des Aufenthaltes vor Paris einigermaaszen im Zusammenhange darzustellen und auch minder wichtige Ereignisse wenigstens kurz zu berühren ; die allgemeine Lage vor Paris, die Ver hältnisse in Paris mussten in den betreffenden Zeitabschnitten dann auch Erwähnung finden .

Wie uns dünkt, ist es dem Verfasser wohl

gelungen, allen diesen Anforderungen nachzukommen .

Es dürfte sich

überall das richtige Maasz im Erwähnen und Verschweigen, im Aus dehnen und Abkürzen, überall eine sachgemäsze Gruppirung vor finden . Zu den Angaben über die lediglich Sächsischen Angelegen heiten hat der Verfasser zweifelsohne amtliche Quellen , für die Schilderung der allgemeinen und andere Truppen mit berührenden Verhältnisse die Werke des Majors Blume , Hauptmann Goetze und in

Betreff der

Militairzeitung

Württemberger

Aufsätze

aus

der

Allgemeinen

und die Schrift des Premierlieutenant von Schmid

hauptsächlich benutzt.

Ist somit nach allen Seiten hin das Mög

lichste und Beste für eine richtige Darstellung geschehen, so hätten aber andererseits doch manchmal etwas lebhaftere Farben aufgetragen werden können , hätte hier und da ein wenig mehr Wärme in die Darstellung gelegt werden müssen ; der oft in sehr geringem Maasze

Umschau in der Militair- Literatur.

380

anziehende Gegenstand verlangte solche Kunstmittel von dem Dar steller, wenn das Interesse des Lesers wach erhalten bleiben sollte . ― Nicht nur für das

Sächsische Armee - Corps , auch für jeden

gründlichen Forscher auf dem Gebiete der Geschichte des Feldzuges 1870-71 wird das vorliegende Buch unentbehrlich sein.

Das Offizier Corps der Preuszischen Armee nach seiner histo rischen Entwickelung, seiner Eigenthümlichkeit und seinen Von A. von Crousaz , Königlich Preuszischem

Leistungen.

Major z. D. Halle, Otto Hendel. 1876. 8°. 185 S. Mit unermüdlichem Eifer fördert der bekannte Verfasser Werk auf Werk über Preuszische Heeresgeschichte und Heeresorganisation zu Tage.

Ein sonderbarer Zufall fügt es, dass in diesem Hefte aur

18 Seiten derselbe Gegenstand behandelt wird , welchem das vor liegende Buch gewidmet ist. Im Groszen und Ganzen und in den Hauptsachen enthalten beide Arbeiten wohl dasselbe ; die letztere Schrift spricht sich nur in bedeutend gröszerer Breite über die jüngst verflossenen Jahre unserer Heeresgeschichte aus ; der Zeit von 1853 bis jetzt sind allein über 50 Seiten gewidmet .

Dabei hat dieses

Buch sich aber auch noch eine andere Aufgabe gestellt, als der er wähnte Aufsatz . historischen

Obgleich es nur als eine Art Farbenskizze der

Entwickelung

genommen und angesehen

des

Preuszischen

Offiziercorps

hin

werden soll , enthält es auch ungefähr

200 biographische Skizzen Preuszischer Generale und nennenswerther Offiziere von den Tagen des Groszen Churfürsten bis auf unsere Zeit.

Ob diese Detail- Angaben in eine kurze Abhandlung über die

historische Entwickelung des Preuszischen Offiziercorps gehören, lassen wir dahin gestellt sein ; desgleichen, ob die Wahl der Genannten stets die richtige.

Ob ferner Seitens des Verfassers bei Wiedergabe der

einzelnen Daten über diese Offiziere die besten Quellen benutzt sind, kann angezweifelt werden ; denn ein ganz flüchtiger Blick in die Angaben zeigt doch manche Irrthümer und Lücken . Derfflinger noch als ehemaliger Schneidergeselle.

S. 5 figurirt

Seite 79 wird von

Moritz von Hirschfeld gesagt , dass er als Generallieutenant verab schiedet worden sei , auf Seite 121 lässt Verfasser denselben 1859 als General der Infanterie sterben.

Das Letztere ist richtig ; der

auf Seite 79 genannte General von Hirschfeld ist der ältere Bruder des Letztgenannten und heiszt mit Vornamen Eugen.

Auf Seite 103

ist es unterlassen , unter den Werken des Generals von Griesheim seine berühmten „ Vorlesungen über die Taktik “ zu erwähnen, während uns auf Seite 171 der jetzt regierende Groszherzog von Mecklen

Umschau in der Militair-Literatur.

381

burg-Schwerin für den Feldzug 1870-71 unter Anderem als Ober befehlshaber der Reservearmee in Lothringen vorgeführt wird .

Auf

Seite 127 wird dann gesagt , mit dem Jahre 1848 habe des Feld marschalls

Wrangel

welthistorische

Action

Wenn mit einem solchen Ausdrucke die

ein

Ende

groszen

gefunden.

Verdienste des

greisen Feldherrn für Preuszen bezeichnet werden sollen , so dürfte der Oberbefehl während des Feldzuges 1864 doch erst den Schluss Wir befürchten, stein seiner hervorragenden Handlungen bilden. dass einem

mit

der Heeresgeschichte Kundigeren ,

als

wir sind ,

4 es sehr leicht wird , noch viele der gemachten Angaben als un genau zu bezeichnen . Wenn am Schlusse seines Werkes dann der Verfasser in Betreff der augenblicklichen Avancements - Verhältnisse sagt ,

dass es

hoffen ,

zu viel ist und zu schnell geht ,

dass bei

der bevorstehenden

so wollen

wir

Feststellung des Etats

der

Heeresverwaltung pro 1876 im Reichstage auf diese vereinzelte An sicht

nicht zu viel Gewicht gelegt wird ; in den maaszgebenden

Kreisen und bei richtiger Würdigung der jetzigen Heeresverhältnisse dürften solche Behauptungen auch wohl keinen Beifall finden .

XXIII. Verzeichniss

der

bedeutenderen Aufsätze

aus

anderen militairischen Zeitschriften . (15. October bis 15. November 1875.) Neue militairische Blätter (October- Heft 1875) : Die strategische Lage Frankreichs 1870 und jetzt. ―― Zwei Gefechte bei Langen salza . — Kritische Betrachtungen über das Handbuch zur Eintheilung des theoretischen Unterrichts über Reiten u. s. w. ―――― Das neue Oester reichische Exercier - Reglement für die K. K. Fusztruppen . - Die Schlacht bei Gettysburg am 1. , 2. und 3. Juli 1863. Candianity ( November Heft 1875) : Divisions - Cavallerie und Ordonnanz -Wesen .

Ueber

ein Hülfsmittel zur Gewinnung und Erhaltung eines guten Unter offizier- Corps . Allgemeine Militair-Zeitung (Nr . 40-43) : Ein Beitrag zur Ge schichte des Carlisten- Krieges . _____ Ueber Organisation, Bewaffnung und Taktik der drei Waffen unserer Feld - Armee seit 1871. Die ―― Cavallerie . Die diesjährigen Divisions -Manöver in Tirol. - Die Angriffe des Carlistischen Generals Berriz auf Bilbao am 25. und 26. Februar 1875 .

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze

382

Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie (Nr. 19 und 20) :

Die Expedition S. M. S. „ Gazelle “ .

Oesterreichisch - Ungarische militairische Zeitschrift

(X. Heft) :

Machtverhältnisse der Hauptstaaten Europa's in der alten und neuen Zeit , nebst einem allgemeinen Blicke auf das Europäische Gleich gewicht. -

Schul- und Fachbildung , Sprachkenntnisse , dann mit

gemachte Feldzüge der Stabs- und Oberoffiziere des activen Standes der Oesterreichischen Armee im Jahre 1872. Die central- asiatische ――――― Die Recrutirung in Frankreich in den Jahren 1873 bis Frage. 1874. ――――― Die Erstürmung des Monte Vento durch die Brigade Piret in der Schlacht von Custoza am 24. Juni 1866. - Methode der Uebung im Distanzschätzen . ―――― Der gezogene Hinterlade-Mörser und die Fortification. Oesterreichisch-Ungarische militairische Blätter (II. Band, 5. Heft) : Zur Reform des Generalstabes . ― Die Geschützfrage in England. Das Unternehmen gegen Verdun im October 1870. Oesterreichisch - Ungarische Wehr - Zeitung (Nr. 82-90) :

Die

Honved-Armee. - Rückblicke auf die diesjährige Uebungsperiode. Die projectirte Bahnlinie Bielitz - Saybusch- Ucakow- Neu Sandee . Die Eisenbahnen als gemeinnützige Anstalten und ihre Wichtigkeit für den Staat. - Der Krieg . - Nochmals die Uchatius- Kanone . - Ueber den Stand an Maschinisten auf den Schlachtschiffen. -

Heer u. Schule.

Oesterreichisch - Ungarische Militair-Zeitung ,,Vedette" ( Nr. 42–— Zur Reduction der 46) : Egyptische und Tunisische Truppen, ――――― continentalen Heere . -

Unsere militair-wissenschaftlichen Vereine.

Die Kernfragen bei der Reorganisirung unseres militairischen Er ziehungs- und Unterrichtswesens . Marschall Wrangel .

Der siebentägige Krieg unter

Oesterreichische Militair - Zeitung (Nr. 81-90) : Zur Sanirung der Kasernen und Spitäler. ――――――― Die Reorganisation der Russischen Armee. - Die Honveds. ―――――― Vom „Angriff ". Militair-Sanität . Der Hohlgeschoss-Wurf beim Feldgeschütze. Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens (10. Heft): Die Leitung des Feuers bei der Feld-Artillerie. -- Das Genie-Wesen in den Europäischen Heeren.

III . Italien .

Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens ( Nr. X und XI) : Ueber Seetaktik . - Das neue Oesterreichische Feldgeschütz - System. - Das Straszenrecht auf See. -――― Die Flotte des Türkischen Reiches . L'avenir militaire (Nr. 312-316) : Die Auxiliär - Offiziere der Artillerie. - Die militairischen Erziehungsanstalten . Manöver des 15. Armeecorps . - Die Cavallerie -Frage. Die Strászen-Locomo

aus anderen militairischen Zeitschriften.

383

tiven in Italien . - Die Fuszbekleidung der Infanterie. ― Die Ein ― Der Jahrestag von Balaclava . - Die Lehren jährig-Freiwilligen. des Amerikanischen Krieges . Allgemeine Betrachtungen über die

Manöver von 1875. Le Spectateur militaire ( October-Heft 1875) : Der letzte Feldzug des Marschalls Concha.

Studie über das Manövrir- Reglement der

Niederländischen Infanterie. - Die Lehren des Amerikanischen Krieges. Journal des sciences militaires (October 1875) : Marschtaktik. Kriegsprincipien in gemeinverständlicher Fassung. ―――― Die Farben Frankreichs. Revue d'Artillerie (October- Heft 1875 ) : Die Straszen-Locomotiven, adoptirt in Italien für die Militairtransporte der 2. Linie. — Mecha nische Versuche des Obersten Rosset, über den Widerstand der her vorragendsten Metalle für Geschütze. Revue Maritime et Coloniale

(November - Heft 1875) :

Studie

über die Verwaltungs - Organisation der Marine der Vereinigten Das Eng Staaten. ―――― Die erste Französische Escadre in Indien.

lische Marine- Budget. Russ. Invalide (Nr. 200-234 pro 1875) : Die Kämpfe gegen Chokand. ――― Militairische Skizzen aus Tunis. ―――――― Die Waffenfabrik von St. Etienne. - Nachrichten aus China. Morskoi Sbornik (October-Heft 1875) : Die Londoner maritime und metereologische Conferenz im Jahre 1874. - Die Geschichte des Hafens von Archangel. ――――― Die wissenschaftliche Bildung der Offiziere der Englischen Flotte. -

Bemerkungen über die heutigen Panzerschiffe .

Wojenny Sbornik ( October- Heft 1875) :

Drei Jahre aus der Ge

schichte des Krieges und der Herrschaft der Russen im Kaukasus (1806-1808 ) . -

Bemerkungen über die Verbreitung militairischer

Kenntnisse und allgemeiner militairischer Principien unter den Offi zieren unserer Armee. Die Verpflegung der Truppen im Frieden und im Kriege. - Angaben über die Herzegowina. Russ. Ingenieur-Journal (August - Heft 1875 ) : Die Cernirung und Capitulation von Metz . Ueber die Construction und Erneuerung von Eisenbahnbrücken im Kriege. Russ. Artillerie-Journal (October- Heft 1875) : Ueber die neuesten Verbesserungen hinsichtlich des Gusses und der Bearbeitung der Broncegeschütze in Russland. - Die geschichtliche Entwickelung der Feld-Artillerie. - Der heutige Stand der Frage über die Be wegung der Geschosse im Innern des Rohres.

L'Esercito ( Nr. 120-132 ) : Das Exercier- u . Evolutionsreglement für die Fusztruppen . ―――――――――― Geschichte eines Regiments in Preuszen .

Verzeichniss der bedeutenderen Aufsätze etc.

384

Die Beförderungsfrage. ---und seine Geschichte .

Ueber Garnisonswechsel. -

Der Krieg Das Hantiren mit dem Säbel. Eine

Episode der Schlacht von Custoza im Jahre 1848. Rivista militare italiana (October- Heft 1875 ) : Bemerkungen zur Preuszischen Relation über den Krieg von 1870–71 . — Das neue Französische Infanterie-Manövrir-Reglement. ―――――― Bericht über einige besondere Vorfälle in der Schlacht von Gravelotte - St. Privat. Cronaca militare estera (Nr. 8 und 9) : Ueber die Vertheilung Artillerie - Experi und Dislocirung der Französischen Infanterie. ― mente in Dartmoor. Giornale d'Artiglieria e genio ( 6. Heft , 2. Theil) : Studien über ― Kasernen. Ueber das 4 - Pfünder - Geschütz , vorgeschlagen vom Russischen Artillerie- Comité für die Feld-Artillerie. ―――― Versuche mit einem in der Stahlfabrik zu Obuchow angefertigten eilfzölligen be ringten Stahlgeschütz . Rivista marittima (October-Heft 1875) : Beiträge zum Schieszen mit Handfeuerwaffen .

Das Arsenal und der Hafen von Venedig.

Army and Navy Gazette ( October 1875 ) : Das grosze Englische Geschütz . — (6. November 1875) : Die Recrutirung. La Belgique militaire (Nr . 248–252) : Der Telemeter für Ge wehre. ――― Recrutirung der Unteroffiziere . - Schlacht von Louvain am 12. August 1831. De militaire spectator (Nr. 11) : Unsere Küstenvertheidigung. Ueber die Manöver der 3. Division. De nieuwe militaire spectator (Nr. 11) : Louvois und die Republik der vereinigten Niederlande.

Atschin und die Matrosen.

Allgemeine Schweizerische Militair - Zeitung ( Nr. 41-45) : Die Krieg und militairischen Verhältnisse der Türkei und ihre Gegner. Staatskunst. ―――― Instructionsplan für die Offiziers -Bildungsschulen der Ueber die Organisation der Special-Waffen der Fran Infanterie. -

zösischen Territorial- Armee . Zeitschrift für die Schweizerische Artillerie (Nr. 7 u. 8) : General Heinrich Dufour. ― Die 81 Tonnen Kanone. Revue militaire suisse (Nr. 20 ) : Bemerkung über die Streuung der Geschosse und das Gesetz der Abweichungen . - Die Schwedische

Mitrailleuse . Berichtigung. Auf S. 240 Z. 8 von oben lies „ Friedrich Wilhelm" anstatt „ Friedrich “.

Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.

Band XVII Tafel I.

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Chevill y w .. Orléan . s

Artenay

vos Lith Institut v. Wilh . Greve Berlin.