Internationale Wirtschaft: Unternehmen und Weltwirtschaftsraum im Globalisierungsprozess 9783486716023, 9783486704266

Wirtschaftliches Handeln findet heute zunehmend im internationalen Kontext statt und überschreitet dabei mehrfach Länder

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Internationale Wirtschaft: Unternehmen und Weltwirtschaftsraum im Globalisierungsprozess
 9783486716023, 9783486704266

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Internationale Wirtschaft Unternehmen und Weltwirtschaftsraum im Globalisierungsprozess von

Dr. Simon Martin Neumair Prof. Dr. Dieter Matthew Schlesinger Univ.-Prof. i. R. Dr. Hans-Dieter Haas

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Anne Lennartz Herstellung: Constanze Müller Titelbild: thinkstockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Grafik & Druck GmbH, München Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-70426-6 eISBN 978-3-486-71602-3

Vorwort Wirtschaftliches Handeln findet heute vermehrt im globalen Kontext statt. Das Wachstum des Außenhandels, die steigende Mobilität des Faktors Kapital und die weltweite Verteilung unternehmerischer Wertschöpfungsfunktionen sind wesentliche Indikatoren für eine ökonomische Internationalisierung, deren Dimension und Vielschichtigkeit kontinuierlich zunehmen. Die Internationalisierung der Wirtschaft ist ein Phänomen unserer Zeit, das die Gesellschaft prägt und sich im täglichen Leben jedes Einzelnen niederschlägt. Unternehmen gehören zu den Trägern globaler Prozesse, deren Komplexität kontinuierlich steigt. Nahezu alle Erdräume sind inzwischen von diesem Vorgang erfasst, der mit dem Begriff „Globalisierung“ eine zusätzlich qualitative und raumdifferenzierende Ausprägung erhält. In der akademischen Lehre und Forschung beschäftigt sich eine Vielzahl von Studiengängen mit der Internationalisierung der Wirtschaft und deren Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik, Kultur und Umwelt. Je nach Fachgebiet liegt der Fokus zwar auf unterschiedlichen Fragestellungen, die Komplexität der Thematik macht es aber erforderlich, dass inhaltliche Zusammenhänge, Ursächlichkeiten und Wirkungen auch vor dem Hintergrund raumstruktureller Gegebenheiten und entwicklungsspezifischer Abläufe gesehen werden. Gerade diese Betonung und Herausarbeitung räumlicher Aspekte gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen des Buches, da die Internationalisierung der Wirtschaft viele im Kern geographische Themen berührt. Die weltweite Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten, die beschleunigte Überwindung raumzeitlicher Distanzen, die ständig zunehmende Vernetzung ganzer Erdteile durch die Ausbildung globaler Wertschöpfungsnetzwerke und Marktsysteme sowie die Entstehung neuer räumlicher Ungleichgewichte durch den Verlust wirtschaftspolitischer Gestaltungsmacht der Nationalstaaten sowie den Bedeutungswandel territorialer Integrationsformen sind nur einige Aspekte, welche die räumliche Relevanz des Globalisierungsprozesses verdeutlichen. Das Buch positioniert sich an der Schnittstelle zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre (insbesondere Internationales Management) sowie Wirtschaftsgeographie. Es vermittelt zwischen einer Managementperspektive sowie einer raumbezogenen volkswirtschaftlichen, aber auch einer wirtschaftsgeographischen Betrachtung. Die Integration der verschiedenen Blickwinkel bietet damit ein klares Alleinstellungsmerkmal zur bestehenden Managementliteratur sowie zu wirtschaftsgeographischen oder ökonomischen Fachpublikationen. So bietet es z. B. Managern eine Hilfestellung zur Verortung ihrer Entscheidungen, indem internationale Wirtschaftsräume und räumliche Aspekte von Wertschöpfung thematisiert werden. Wirtschaftsgeographen und Volkswirte hingegen profitieren von den

VI

Vorwort

Ausführungen zu den Managementinstrumenten, um im Rahmen akteurszentrierter Analysen unternehmerische Entscheidungen nachvollziehen zu können. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften, die sich mit der Globalisierung der Wirtschaft und der Internationalisierung unternehmerischer Aktivitäten beschäftigen. Angesprochen werden sollen vor allem Studenten der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Management, aber auch Studierende der Wirtschafts- und Sozialgeographie, des Lehramtes Erdkunde sowie Schüler der Sekundarstufe bzw. des Leistungskursfaches Erdkunde. Daneben bietet es auch Studierenden der Soziologie sowie der Kultur- und Politikwissenschaft interessante Einblicke und Implikationen. Zur Zielgruppe gehören gleichsam auch Praktiker, die sich mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen in der Praxis befassen und zusätzliches Hintergrundwissen für diese Materie erwerben wollen. Das Buch gliedert sich in vier große Bereiche. Im ersten Teil (Weltwirtschaft im Globalisierungsprozess) wird zunächst der allgegenwärtige Globalisierungsbegriff diskutiert und abgegrenzt sowie die unterschiedlichen Inhalte, die mit ihm transportiert werden, beleuchtet (Kapitel 1). Im Anschluss erfolgt die Darstellung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und deren Raummuster aus einer historischen Perspektive, die verdeutlicht, dass internationale wirtschaftliche Transaktionen keineswegs ein rein neuzeitliches Phänomen sind. Mit Außenhandel und Direktinvestitionen werden ferner die wichtigsten Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft aus heutiger Sicht aufgezeigt. Auch die Finanz- und Wirtschaftskrise im neuen Jahrtausend findet ihre Berücksichtigung (Kapitel 2). Der weitere Verlauf beschäftigt sich mit ausgewählten Theorien des Außenhandels und der Direktinvestitionen und stellt damit ein Spektrum an Erklärungsansätzen vor, mit denen sich die Internationalisierung der Wirtschaft aus theoretischer Perspektive erklären lässt (Kapitel 3). Der zweite Teil (Weltwirtschaftliche Organisationsmuster und -einheiten) befasst sich mit dem Weltwirtschaftsraum, in dem sich die Gesamtheit der weltweiten ökonomischen Aktivitäten unter Nutzung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen raumdifferenziert darstellt. Die strukturelle Erfassung des Weltwirtschaftsraums erstreckt sich dabei auf ökonomische Ordnungssysteme und Organisationsmuster der Weltwirtschaft wie Ländertypen und -gruppierungen (Kapitel 4), internationale Organisationen und Abkommen im Rahmen einer Global Governance (Kapitel 5), regionale Integrationsräume (Kapitel 6) sowie Städte und Regionen als Knotenpunkte wirtschaftlicher Prozesse bzw. räumliche Grundlage der Weltwirtschaft (Kapitel 7). Teil drei (Ausgewählte Rahmenbedingungen internationaler Wirtschaftsräume) thematisiert ausgewählte Umfeldbedingungen, in die ein internationales Unternehmensmanagement eingebunden ist. Hierzu gehören die Beschreibung und Bewertung bedeutender Standortfaktoren im internationalen Kontext (Kapitel 8), der Einfluss von Kulturen auf wirtschaftliches Handeln (Kapitel 9) sowie der Umgang mit Risiken (sog. Länderrisiken) und deren Bewertung (Kapitel 10). Teil vier (Internationale Unternehmensaktivität – Grundlagen und Entscheidungsfelder) stellt Unternehmen als wichtigste Akteure im Internationalisierungsprozess sowie deren Strategien und Vorgehensweisen in einer globalen Ökonomie in den Mittelpunkt. Zunächst

Vorwort

VII

werden Ziele, Typen und Entstehungsmuster internationaler Unternehmen dargestellt (Kapitel 11). Der weitere Verlauf befasst sich mit internationalisierungsspezifischen Entscheidungsfeldern, die im Rahmen einer internationalen Markterschließung zu bearbeiten sind: Ländermarktauswahl und Timingstrategien (Kapitel 12), internationale Marktbearbeitungsstrategien (Kapitel 13) und Internationales Marketing (Kapitel 14). Der Abschluss thematisiert ausgewählte Aspekte eines unternehmerischen Wertschöpfungsmanagements aus räumlicher Perspektive (Kapitel 15). Das Buch enthält mehrere didaktische Hilfestellungen. Wichtige, immer wiederkehrende Begriffe werden zum Ende des Buches in einem Glossar erklärt. Im Text wird darauf durch einen vorangestellten Hinweispfeil () verwiesen. Dies geschieht allerdings nicht bei jedem Auftauchen des Begriffs, sondern nur in bestimmten Abständen oder dort, wo es die Autoren für sinnvoll erachten. Am Ende eines jeden Kapitels finden sich – zusätzlich zum gesamten Literaturverzeichnis – eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Literaturhinweise (Literaturempfehlungen auf einen Blick) sowie ein Katalog von Übungs- bzw. Wiederholungsfragen. Unter http://www.oldenbourg.de sind Unterrichtsmaterialien (alle Abbildungen, Karten und Tabellen) als Foliensatz erhältlich. An dieser Stellen möchten wir noch auf unsere Kollegen hinweisen, die neben den jetzigen Verfassern am Vorgängerwerk aus dem Jahr 2006 (Internationale Wirtschaft – Rahmenbedingungen, Akteure, räumliche Prozesse), herausgegeben von Hans-Dieter Haas und Simon Martin Neumair, beteiligt waren und ehemals bei Entwicklung und Strukturierung der Inhalte prägend mitwirkten: Dr. Daniela Eschlbeck, Dr. Bernd Forster, Dr. Martin Heß, Dr. Maximilian Levasier, Dr. Michael Oechsle, Prof. Dr. Johannes Rehner, Dr. Till Werneck sowie Prof. Dr. Hans-Martin Zademach.

Simon Martin Neumair, Dieter Matthew Schlesinger und Hans-Dieter Haas im Juli 2012

Inhalt Vorwort Abbildungsverzeichnis

V XV

Tabellenverzeichnis

XIX

Kartenverzeichnis

XXI

Exkursverzeichnis

XXIII

Weltwirtschaft im Globalisierungsprozess

1

1

Globalisierung der Wirtschaft

3

1.1

Globalisierung – eine begriffliche Eingrenzung ......................................................... 3

1.2

Triebkräfte der Globalisierung ................................................................................... 9

1.3

Transnationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung ............ 12

1.4

Globalisierung und nachhaltiges Wirtschaften ......................................................... 16

2

Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4

Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen ............................................ 19 Altertum ................................................................................................................... 19 Mittelalter und frühes Kolonialzeitalter ................................................................... 20 Industrielle Revolution und Imperialismus .............................................................. 23 Triadisierung und Neue internationale Arbeitsteilung ............................................. 25

2.2 2.2.1 2.2.2

Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft ................................................................................................................. 28 Entwicklungstendenzen des Welthandels................................................................. 30 Globale Direktinvestitionsstrukturen........................................................................ 41

2.3

Finanz- und Wirtschaftskrise im neuen Jahrtausend ................................................ 46

19

X

Inhalt

3

Theoretische Ansätze der Internationalisierung der Wirtschaft

53

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4

Theorie des Außenhandels ....................................................................................... 53 Nichtverfügbarkeit als Ursache für Außenhandel .................................................... 54 Klassische und neoklassische Außenhandelstheorien .............................................. 56 Moderne Außenhandelstheorien .............................................................................. 61 Freihandel versus Protektionismus........................................................................... 66

3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4

Theorie der Direktinvestitionen ............................................................................... 75 Eigenschaften und Systematisierung von Direktinvestitionen ................................. 75 Partialanalytische Ansätze ....................................................................................... 77 Eklektisches Paradigma ........................................................................................... 84 Behavioristische Theorie .......................................................................................... 86

Weltwirtschaftliche Organisationsmuster und -einheiten

89

4

Ländertypen und -gruppierungen

91

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4

Ländertypen und deren Merkmale ........................................................................... 91 Industrieländer ......................................................................................................... 92 Entwicklungsländer .................................................................................................. 93 Schwellenländer ..................................................................................................... 103 BRIC-Staaten ......................................................................................................... 107

4.2

Ausgewählte Ländergruppierungen ....................................................................... 119

5

Steuerungsmechanismen der Weltwirtschaft

5.1

Global Governance ................................................................................................ 123

5.2 5.2.1 5.2.2

GATT/WTO ........................................................................................................... 124 Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT ........................................... 124 Die Neue Welthandelsordnung .............................................................................. 128

5.3 5.3.1 5.3.2

Internationaler Währungsfonds und Weltbank....................................................... 143 Internationaler Währungsfonds .............................................................................. 143 Weltbank ................................................................................................................ 149

5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3

Die Rolle von Umwelt- und Sozialabkommen....................................................... 151 Internationale Umweltabkommen .......................................................................... 151 Internationale Sozialabkommen ............................................................................. 154 Nichtregierungsorganisationen (NGO) .................................................................. 155

6

Formen regionaler Integrationsräume

6.1

Entwicklung und Motive der Regionalisierung des Welthandels .......................... 159

6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3

Formen regionaler Integration................................................................................ 163 Präferenzhandelsabkommen .................................................................................. 163 Freihandelszone ..................................................................................................... 164 Zollunion ................................................................................................................ 165

123

159

Inhalt

XI

6.2.4 6.2.5

Gemeinsamer Markt ............................................................................................... 166 Wirtschafts- und Währungsunion ........................................................................... 167

6.3 6.3.1 6.3.2

Beurteilung regionaler Integrationen aus ökonomischer Sicht ............................... 168 Gegner und Befürworter regionaler Integrationen ................................................. 168 Wirkungen regionaler Integrationen....................................................................... 169

6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4

Bedeutende regionale Integrationsräume ............................................................... 171 NAFTA .................................................................................................................. 171 MERCOSUR .......................................................................................................... 181 Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum ....................... 185 Europäische Union ................................................................................................. 190

7

Städte und Regionen als räumliche Grundlage wirtschaftlicher Prozesse

7.1

Städte und Regionen im Zeitalter der Globalisierung ............................................ 205

7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4

Global Cities als Zentren der Globalisierung ......................................................... 207 Begriff und Merkmale der Global City .................................................................. 207 Verwandte und alternative Stadtbegriffe ................................................................ 213 Global Cities als Standorte unternehmensorientierter Dienstleistungen ................ 217 Hierarchie und Dynamik des Städtesystems .......................................................... 221

7.3

Regionen im Wettbewerb ....................................................................................... 223

205

Ausgewählte Rahmenbedingungen internationaler Wirtschaftsräume

231

8

Standortfaktoren im internationalen Kontext

233

8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3

Grundlagen der internationalen Standortwahl ........................................................ 233 Standortfaktoren – Grundlage der Bewertung von Räumen ................................... 233 Standortbewertungsverfahren ................................................................................. 235 Determinanten der internationalen Standortwahl ................................................... 240

8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Infrastruktur der Weltwirtschaft ............................................................................. 241 Ebenen und Formen von Infrastruktur.................................................................... 241 Verkehr ................................................................................................................... 242 Informations- und Kommunikationstechnik ........................................................... 248

9

Kultur und ihr Einfluss auf wirtschaftliches Handeln

9.1 9.1.1 9.1.2

Zum Wesen von Kultur .......................................................................................... 253 Merkmale und Definitionen des Kulturbegriffs ..................................................... 253 Kulturelemente ....................................................................................................... 255

9.2 9.2.1 9.2.2

Maßstabsebenen kultureller Identität...................................................................... 256 Kulturerdteile und Kulturkreise .............................................................................. 256 Kultur und Religion ................................................................................................ 259

253

XII

Inhalt

9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3

Kulturdimensionen ................................................................................................. 262 Messbarkeit von Kultur .......................................................................................... 262 Die Kulturdimensionen nach Hofstede .................................................................. 262 Erweiterungen und alternative Konzepte ............................................................... 267

10

Länderrisiken und deren Bewertung

10.1

Begriffliche Einordnung und Abgrenzung von Länderrisiken ............................... 273

10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4

Ausgewählte Länderrisiken .................................................................................... 277 Politische Risiken ................................................................................................... 277 Sicherheitsrisiken ................................................................................................... 283 Währungsrisiken .................................................................................................... 286 Ausmaß der Risikobetroffenheit ............................................................................ 287

10.3 10.3.1 10.3.2

Konzepte zur Beurteilung des Länderrisikos ......................................................... 288 Qualitative Beurteilungskonzepte .......................................................................... 289 Quantitative Beurteilungskonzepte ........................................................................ 291

273

Internationale Unternehmenstätigkeit – Grundlagen und Entscheidungsfelder

297

11

Internationale Unternehmen: Ziele, Typen und Entstehungsmuster

299

11.1

Ziele einer internationalen Unternehmensaktivität ............................................... 299

11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3

Abgrenzung und Typen international tätiger Unternehmen ................................... 302 Dimensionen und Grade der Internationalisierung................................................. 302 Integration-Responsiveness-Ansatz ....................................................................... 305 Typologisierung nach Bartlett und Goshal............................................................. 307

11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3

Dynamische Modelle unternehmerischer Internationalisierung ............................. 310 Unternehmensexpansion und Raumdurchdringung ............................................... 310 Lerntheoretische Phasenmodelle ............................................................................ 312 Verhaltenstheoretische Internationalisierungsmodelle ........................................... 318

12

Ländermarktauswahl und Timingstrategien

12.1

Strategisches Vorgehen und Analyse ..................................................................... 323

12.2 12.2.1 12.2.2

Ländermarktauswahl: Methoden und Techniken ................................................... 326 Mehrstufiger Auswahlprozess ................................................................................ 326 Selektionsmodelle .................................................................................................. 331

12.3 12.3.1 12.3.2

Timingstrategien .................................................................................................... 337 Länderspezifische Timingstrategien ...................................................................... 337 Länderübergreifende Timingstrategien .................................................................. 338

13

Internationale Marktbearbeitungsstrategien

13.1

Systematisierung von Marktbearbeitungsstrategien ............................................... 345

323

345

Inhalt

XIII

13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4

Außenhandelsgeschäfte .......................................................................................... 347 Export ..................................................................................................................... 347 Transithandel .......................................................................................................... 351 Kompensationsgeschäfte ........................................................................................ 351 Veredelungsgeschäfte............................................................................................. 353

13.3 13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4

Kooperative Marktbearbeitungsformen .................................................................. 353 Lizenzvergabe ........................................................................................................ 353 Managementverträge .............................................................................................. 356 Vertragsproduktion................................................................................................. 356 Franchising ............................................................................................................. 357

13.4 13.4.1 13.4.2

Marktbearbeitungsformen mit Kapitalbeteiligung ................................................. 359 Joint Ventures ......................................................................................................... 359 Auslandsniederlassungen und Tochtergesellschaften ............................................. 361

13.5 13.5.1 13.5.2

Moderne Formen der Internationalisierung ............................................................ 363 Strategische Allianzen ............................................................................................ 363 Virtuelle Unternehmen ........................................................................................... 366

13.6

Interkulturelle Aspekte der Marktbearbeitung........................................................ 367

14

Internationales Marketing

14.1

Standardisierung versus Differenzierung ............................................................... 373

14.2

Internationale Produktpolitik .................................................................................. 376

14.3

Internationale Kommunikationspolitik ................................................................... 379

14.4

Internationale Preispolitik ...................................................................................... 381

14.5

Internationale Distributionspolitik.......................................................................... 383

15

Internationales Wertschöpfungsmanagement aus räumlicher Perspektive

15.1 15.1.1 15.1.2

Organisationsstrukturen internationaler Unternehmen ........................................... 387 Externe Organisationsstrukturen ............................................................................ 387 Interne Organisationsstrukturen ............................................................................. 393

15.2 15.2.1 15.2.2

Internationale Unternehmensführung ..................................................................... 399 Internationale Führungskonzepte und -stile ........................................................... 400 Corporate Social Responsibility im internationalen Wettbewerb ........................... 404

373

387

Literatur

415

Stichwortverzeichnis

451

Glossar

457

Unterrichtsmaterialien im Web

469

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Faktoren des Industrialisierungsprozesses. ................................................... 24

Abbildung 2:

Von der mono- zur multipolaren Weltordnung. ............................................ 26

Abbildung 3:

Entwicklung von Weltsozialprodukt, Weltexporten und weltweiten Direktinvestitionsströmen. ............................................................................ 29

Abbildung 4:

Entwicklung der Weltexporte seit 1950. ....................................................... 31

Abbildung 5:

Anteile einzelner Branchen am Weltexport 2010. ........................................ 34

Abbildung 6:

Außenhandel nach Ländergruppen 2008....................................................... 35

Abbildung 7:

Ausgewählte Exportmärkte Deutschlands 2007 bis 2010. ............................ 39

Abbildung 8:

Entwicklung der weltweiten Direktinvestitionsbestände seit Anfang der 1980er Jahre. ........................................................................................... 42

Abbildung 9:

Staatsverschuldung und Bonitätsbewertung (Standard & Poor’s; Mitte 2011).................................................................................................... 50

Abbildung 10: Produktions- und Handelsströme während des Produktlebenszyklus ........... 62 Abbildung 11: Träger und Formen des Protektionismus....................................................... 70 Abbildung 12: Formen von Handelskonflikten. .................................................................... 73 Abbildung 13: Internationale Marktbearbeitungsformen im Eklektischen Paradigma. ........ 85 Abbildung 14: Weltbevölkerung nach Ländern und Regionen in Prozent der Weltbevölkerung 2010. ............................................................................... 101 Abbildung 15: Bruttosozialprodukt nach Ländern und Regionen in Prozent des Welt-BSP 2010. .................................................................................... 101 Abbildung 16: Erfolgte bzw. prognostizierte Wirtschaftsleistung der BRIC-Staaten im Vergleich zu den Industrieländern. ............................................................. 107 Abbildung 17: Zollsenkungen des GATT. .......................................................................... 128 Abbildung 18: Die Neue Welthandelsordnung. .................................................................. 129 Abbildung 19: Der Streitschlichtungsmechanismus der WTO ........................................... 137

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 20: Merkmale regionaler Integrationsformen im Überblick ............................. 168 Abbildung 21: Säulen und Institutionen der Europäischen Integration .............................. 191 Abbildung 22: Stationen des Europäischen Integrationsprozesses ..................................... 192 Abbildung 23: Städtehierarchie der heutigen Weltwirtschaft ............................................. 222 Abbildung 24: Multidimensionale Skalierung des globalen Städtesystems. ....................... 222 Abbildung 25: Systematisierung von Standortfaktoren ...................................................... 234 Abbildung 26: Standortfaktoren im Vergleich. ................................................................... 239 Abbildung 27: Ebenen der mentalen Programmierung. ...................................................... 254 Abbildung 28: Machtdistanz und Individualismus. ............................................................ 263 Abbildung 29: Maskulinität und Unsicherheitsvermeidung. .............................................. 265 Abbildung 30: Risiken der internationalen Unternehmensaktivität. ................................... 274 Abbildung 31: Zusammenhang zwischen Risikobetroffenheit und Marktbearbeitung ....... 288 Abbildung 32: Checkliste zur Beurteilung des Länderrisikos............................................. 289 Abbildung 33: Beispielhaftes Risikoprofil.......................................................................... 290 Abbildung 34: Marktbearbeitungsempfehlungen des Profit Opportunity Recommendation Index .............................................................................. 293 Abbildung 35: Aktive versus reaktive Internationalisierungsmotive .................................. 300 Abbildung 36: Pfade der Internationalisierung von Unternehmen...................................... 303 Abbildung 37: Internationalisierungsgebirge. ..................................................................... 304 Abbildung 38: Typen international tätiger Unternehmen. .................................................. 306 Abbildung 39: Organisationsmodelle international tätiger Unternehmen........................... 309 Abbildung 40: Modell der Unternehmensexpansion und Raumdurchdringung. ................. 311 Abbildung 41: Basismechanismus des Internationalisierungsprozesses ............................. 313 Abbildung 42: Erweiterung des Uppsala-Modells .............................................................. 315 Abbildung 43: Unternehmerische Anpassungshandlungen. ............................................... 319 Abbildung 44: Idealtypischer Verlauf der Ländermarktauswahl. ....................................... 327 Abbildung 45: Faktoren zur Beurteilung der Attraktivität mittel- und osteuropäischer Märkte. .............................................................................. 328 Abbildung 46: Marktattraktivitäts-/ Marktrisiko-Portfolio. ................................................ 332

Abbildungsverzeichnis

XVII

Abbildung 47: Typen von Ländermärkten .......................................................................... 333 Abbildung 48: Der Prozess der Ländermarktselektion nach HENZLER ............................... 335 Abbildung 49: Wasserfallstrategie als länderübergreifende Timingstrategie...................... 339 Abbildung 50: Sprinklerstrategie als länderübergreifende Timingstrategie ........................ 342 Abbildung 51: Systematisierung von Formen der Auslandsmarktbearbeitung nach Wertschöpfungsschwerpunkt und Kapitaltransfer .............................. 346 Abbildung 52: Formen einer Auslandstätigkeit. ................................................................. 346 Abbildung 53: Formen des direkten und indirekten Exports. ............................................. 348 Abbildung 54: Markteintrittsformen und deren potenzielle kulturelle Risiken ................... 369 Abbildung 55: Zusammenhang zwischen Umfeldsensibilität und Produktanpassung ........ 375 Abbildung 56: Erscheinungsformen globaler Warenketten ................................................ 389 Abbildung 57: Akteure und Beziehungen innerhalb eines globalen Produktionsnetzwerks . ............................................................................... 392 Abbildung 58: Zweidimensionale Matrixstruktur internationaler Unternehmen ................ 395 Abbildung 59: Organisationsstrukturtypen. ........................................................................ 398 Abbildung 60: Das EPRG-Modell. ..................................................................................... 402 Abbildung 61: Ethische Bewertungskonzepte..................................................................... 407

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Umsätze transnationaler Unternehmen versus Bruttoinlandsprodukt von Ländern im Jahr 2011............................................................................. 13

Tabelle 2:

Vorteile und Merkmale transnationaler Unternehmen .................................. 14

Tabelle 3:

Funktionale Raumspezialisierung eines transnationalen Unternehmens. ...... 15

Tabelle 4:

Die führenden Weltexportländer im Jahr 2011. ............................................ 38

Tabelle 5:

Bedeutende M&A-Transaktionen ................................................................. 43

Tabelle 6:

Herkunft internationaler Direktinvestitionsbestände 2010 ............................ 44

Tabelle 7:

Ziele internationaler Direktinvestitionsbestände 2010 .................................. 45

Tabelle 8:

Ursachen der Nichtverfügbarkeit von Gütern ............................................... 55

Tabelle 9:

Kriterien zur systematischen Unterteilung von Zöllen .................................. 68

Tabelle 10:

Ausgewählte protektionistische Maßnahmen im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008/09........................................................................ 74

Tabelle 11:

Strukturmerkmale unterentwickelter Gesellschaften .................................... 94

Tabelle 12:

Human Development Index und einzelne Komponenten für ausgewählte Entwicklungsländer im Jahr 2011. ...................................... 97

Tabelle 13:

Haushaltsdefizit und Schuldenstand der Euroländer 2011. ......................... 199

Tabelle 14:

Einwohnerzahlen ausgewählter Megacities in Millionen............................ 215

Tabelle 15:

Die 100 größten Welthäfen – aggregiert nach Ländern, Containersowie Massengutumschlag 2010 ................................................................. 246

Tabelle 16:

Bribe Payers Index 2011. ............................................................................ 282

Tabelle 17:

Foreign Bribery by Sector 2011 .................................................................. 282

Tabelle 18:

Internationalisierungsziele im Überblick .................................................... 301

Tabelle 19:

Makroumfeld – Globale Umweltkomponenten von Ländermärkten........... 325

Tabelle 20:

Vor- und Nachteile des indirekten Exports. ................................................ 349

XX

Tabellenverzeichnis

Tabelle 21:

Vor- und Nachteile des direkten Exports. ................................................... 350

Tabelle 22:

Vor- und Nachteile der Lizenzvergabe. ...................................................... 354

Tabelle 23:

Vor- und Nachteile des Franchisings .......................................................... 358

Tabelle 24:

Vor- und Nachteile von Joint Ventures....................................................... 360

Tabelle 25:

Vor- und Nachteile vollbeherrschter Unternehmen .................................... 362

Tabelle 26:

Vor- und Nachteile strategischer Allianzen ................................................ 366

Tabelle 27:

Vor- und Nachteile virtueller Unternehmen. .............................................. 367

Kartenverzeichnis Karte 1:

Kolonialer Dreieckshandel ............................................................................ 22

Karte 2:

Bedeutendste Lieferländer für agrarische, mineralische und energetische Rohstoffe der Europäischen Union 2010. ................................ 32

Karte 3:

Regionale Strukturen des Welthandels 2010................................................. 37

Karte 4:

Ländereinteilung der Weltbank 2012 ............................................................ 96

Karte 5:

Die Welt nach Ländergruppen .................................................................... 106

Karte 6:

Häufigkeit regionaler Integrationsabkommen (2011) ................................. 160

Karte 7:

Intraregionale Handelsströme der NAFTA in Mrd. US-Dollar (2009) ....... 176

Karte 8:

Bedeutende regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum .......................................................................................... 186

Karte 9:

Globale Verteilung der führenden Weltkonzerne........................................ 208

Karte 10:

Weltweite Verteilung von Global Cities nach dem Grad unternehmensorientierter Dienstleistungen. ................................................ 220

Karte 11:

Digital Divide.............................................................................................. 249

Karte 12:

Die Kulturkreise nach Huntington .............................................................. 258

Karte 13:

Naturrisiken weltweit .................................................................................. 275

Karte 14:

Corruption Perception Index 2011 .............................................................. 281

Karte 15:

Weltweite Verteilung des Länderrisikos 2008 ............................................ 285

Karte 16:

Institutional Investor Country Credit Rating 2010 ...................................... 294

Exkursverzeichnis Exkurs 1:

Warenterminbörsen und Preisbildung im Rohstoffhandel ............................ 33

Exkurs 2:

Die OPEC.................................................................................................... 102

Exkurs 3:

Konflikte zwischen Freihandelsprinzipien und Umweltschutzmaßnahmen .......................................................................... 130

Exkurs 4:

Produkt- und Markenpiraterie ..................................................................... 133

Exkurs 5:

Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrisen ................................................. 144

Exkurs 6:

Das Anti-Globalisierungsnetzwerk Attac .................................................... 156

Exkurs 7:

Handelskonflikte innerhalb der NAFTA – Kanadisches Bauholz und mexikanische Lastwagen ............................................................................ 173

Exkurs 8:

Maquiladoras – lohnveredelnde Weltmarktfabriken ................................... 177

Exkurs 9:

London als Global City ............................................................................... 211

Exkurs 10:

Der italienische Schuhmodencluster ........................................................... 227

Exkurs 11:

Regionalökonomische Analysen ................................................................. 235

Exkurs 12:

Terrorismus als Länderrisiko ...................................................................... 283

Exkurs 13:

Internationalisierungsprobleme kleiner und mittlerer Unternehmen ........... 320

Exkurs 14:

Wasserfallstrategie am Beispiel Metro und Ikea ......................................... 339

Exkurs 15:

Lizenzvergabe als Form der internationalen Marktbearbeitung .................. 355

Exkurs 16:

Franchising als Form der internationalen Marktbearbeitung ...................... 358

Exkurs 17:

Joint Ventures als Form der internationalen Marktbearbeitung .................. 361

Exkurs 18:

Tochtergesellschaften als Form der internationalen Marktbearbeitung ...... 363

Exkurs 19:

Strategische Allianzen als Form der internationalen Marktbearbeitung ..... 365

Exkurs 20:

Corporate Social Responisbility .................................................................. 405

Exkurs 21:

Moralfähigkeit von Unternehmen ............................................................... 409

Exkurs 22:

Kinderarbeit ................................................................................................ 412

Weltwirtschaft im Globalisierungsprozess

1

Globalisierung der Wirtschaft

Globalisierung ist heute eines der meistbenutzten Schlagworte im wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskurs. Verbitterte Kritiker stehen überzeugten Befürwortern gegenüber. Einerseits wird angenommen, dass die Globalisierung für weite Teile der Menschheit bisher überwiegend positive Auswirkungen hatte und auch künftig wohlfahrtssteigernd sein wird. Anderseits kritisieren insbesondere entwicklungspolitisch aktive Organisationen immer wieder die umstrittenen Wohlfahrtswirkungen der Globalisierung, welche die Wohlstandslücke zwischen Industrie- und Entwicklungsländern größer werden lassen. Ferner gefährde die Globalisierung die kulturelle Identität von im Entwicklungsprozess befindlichen Gesellschaften und deren politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit. Auch die aktuelle Finanzkrise zeigt, dass mit dem Zusammenwachsen von Märkten nicht nur positive Effekte verbunden sind: Die globale Integration der Finanzmärkte bedeutet gleichzeitig eine weltweite Wirkung von deren Risiken. Schließlich verweisen Kritiker immer wieder auch auf die negativen Umweltwirkungen der Globalisierung. Folgendes Kapitel widmet sich zunächst dem Begriff der Globalisierung, den Triebfedern des Globalisierungsprozesses sowie transnationalen Unternehmen als Trägern der ökonomischen Globalisierung, bevor abschließend auf Aspekte des Zusammenhangs zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit eingegangen wird.

1.1

Globalisierung – eine begriffliche Eingrenzung

Der Globalisierungsbegriff ist längst ein fester, nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Alltagswelt geworden, denn es existieren heute kaum noch Lebensbereiche, die nicht in ein Geflecht globaler Beziehungen und Abhängigkeiten eingebunden sind (vgl. u. a. PRAXIS WIRTSCHAFT 2008: 4):  Die Gesundheit von Kleinkindern in Europa wird durch in China produziertes bleihaltiges Spielzeug gefährdet.  Lieferengpässe für Computer könnten durch den Brand in einer indischen Chipfabrik bzw. Überschwemmungen in Thailand, einem wichtigen Erzeugerland von Komponenten für Computerfestplatten, verursacht sein.  Der Preisanstieg für Spargel ist eine Folge von Lohnerhöhungen in Polen, dessen Erntehelfer nunmehr auf die Saisonarbeit in Deutschland verzichten.

4

1 Globalisierung der Wirtschaft

 Heizkosten in Europa werden durch politische Konflikte zwischen Russland und der Ukraine sowie Entwicklungen in arabischen Erdölländern mitbestimmt.  Die Umsatzrückgänge der deutschen Lufthansa im Jahr 2003 waren u. a. auf die in China und Hong Kong ausgebrochene und sich von dort ausbreitende Lungenkrankheit SARS zurückzuführen.  Die Zunahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland im Jahr 2009 beruhte auf der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, deren Ursprung in Turbulenzen auf dem US-Immobilienmarkt liegt. Der Globalisierungsbegriff ist allgegenwärtig geworden und findet neben ökonomischen auch in kommunikationstechnischen, arbeitsorganisatorischen, kulturellen und zivilgesellschaftlichen Kontexten Verwendung. Aufgrund dieses inflationären Gebrauchs und der inhaltlichen Beliebigkeit ist Globalisierung „sicher das am meisten gebrauchte, aber auch missbrauchte, am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-)Wort der letzten (…) Jahre“ (BECK 1997: 42). Globalisierung gilt als „Schlüsselbegriff der Gegenwartsanalyse und (…) Epochenetikett des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ (FÄßLER 2007: 29). In der politischen Diskussion wird der Globalisierungsbegriff insbesondere dann eingesetzt, wenn es darum geht, nach den Ursachen für eine wirtschaftlich, sozial oder ökologisch beunruhigende Situation in Ländern, Regionen und Gesellschaften zu suchen. Globalisierung wird dann zu einem mit negativen Konnotationen aufgeladenen Begriff, den viele Menschen mit kritischen Entwicklungen assoziieren. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Arbeit (Globalisierung der Niedriglöhne), Steuern (Steuerschlupflöcher, Steuerungerechtigkeit, Unterversorgung mit öffentlichen Gütern), Soziales (Absenkung gewohnter Sozialstandards), Umwelt (Ökodumping), politische Autonomie (Schwächung nationalstaatlicher Souveränität) und Sicherheit (Globalisierung der Kriminalität und des Terrorismus) (vgl. WALTER 2006: 202). Dies ruft Globalisierungskritiker bzw. Globalisierungsgegner auf den Plan, welche mit der Globalisierung zunehmende Einkommensungleichgewichte, Arbeitslosigkeit, wachsende Disparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, Umweltprobleme oder die Abnahme politischer Handlungsspielräume beklagen. Typische Beispiele sind Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organizations) wie das globalisierungskritische Netzwerk Attac (vgl. Kapitel 5.4.3), Gewerkschaften, Sozialforen (z. B. das Weltsozialforum in Porto Alegre als Gegenstück zum Weltsozialforum in Davos), aber auch relativ lose organisierte Gruppierungen, wie z. B. die 2011 formierte Occupy-Bewegung, die – ursprünglich ausgehend von den USA – mittlerweile auch in Europa soziale Gefälle sowie die Macht von Kapital und Banken im Zuge der Finanzkrise anprangert. Jenseits polemischer oder ideologischer Verwendung besteht unter Wissenschaftlern aber keine Übereinstimmung darin, was unter dem Begriff Globalisierung letztlich zu verstehen ist. Um ihn sinnvoll einsetzen zu können, erscheint es deshalb hilfreich, die unterschiedlichen Inhalte, die durch ihn kommuniziert werden, und die verschiedenen Dimensionen, die er beinhaltet, kurz darzustellen.

1.1 Globalisierung – eine begriffliche Eingrenzung

5

Der Globalisierungsbegriff findet für alle Facetten internationaler Verknüpfungen Verwendung. Globalisierung ist als Prozess zu verstehen, in dem sich soziale Verflechtungen über immer weitere Räume ausdehnen (Expansion), mehr und mehr dichter werdende Interaktionsnetzwerke diese Räume durchziehen (Netzwerkverdichtung), aus denen sich globale Wechselwirkungen ergeben (Reziprozität), die den strukturellen Umbau der daran beteiligten Gesellschaften (Transformation) beschleunigen (vgl. FÄßLER 2007: 30). Vor diesem Hintergrund ist Globalisierung im Spannungsfeld zweier Phänomene angesiedelt:  Entgrenzung meint die Herauslösung von Handlungszusammenhängen aus territorialen Bezügen und ihre zunehmende Entankerung aus dem physischen Raum (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002: 263). Ökonomisch gesehen bedeutet dies die Erhöhung von Standortunabhängigkeit bzw. die Vervielfachung der Reichweite der räumlichen Koordinationsfähigkeit wirtschaftlicher Akteure. Globalisierung entfaltet sich daher nicht in spezifischen nationalstaatlichen, sondern in globalen Formen. Der Entgrenzung stehen „traditionelle“ lokalisierte, d. h. an konkrete Standorte gebundene Ökonomien (z. B. Lagerstätten für Rohstoffe, weiterverarbeitende Industrien) gegenüber.  Mit Beschleunigung sind zeitliche Veränderungen durch die Zunahme von Transaktionsgeschwindigkeit und -intensität sowie das Erreichen von Echtzeitkommunikation bei der globalen Informationsübermittlung gemeint (vgl. OSSENBRÜGGE 2007a: 836f.). Durch das Zusammenwirken von Entgrenzung und Beschleunigung ergibt sich eine ZeitRaum-Kompression („time-space-compression“), womit die zunehmenden Möglichkeiten gemeint sind, den Raum in immer kürzerer Zeit zu überwinden und damit soziale und ökonomische Strukturen und Prozesse tendenziell immer weiter räumlich ausdehnen zu können. Möglich wird dieses „Grenzenloswerden alltäglichen Handelns“ (BECK/LANGE 2005: 8) insbesondere durch Innovationen in der Verkehrstechnik (Container, Flugzeug) sowie der Informations- und Kommunikationstechnik (Satellitentechnik, Glasfaserkabel, Internet etc.) (vgl. Kapitel 8.2.2, 8.2.3). Unter Zugrundelegung der Zeit-Raum-Kompression kann man Globalisierung als verändertes Verhältnis von Zeit und Raum begreifen und definieren als „Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt“ (GIDDENS 1996: 85). Im Gegensatz zu dieser sehr allgemeinen, sozialwissenschaftlichen Definition, die offen lässt, um welche Ereignisse und Vorgänge es sich handelt, und damit bewusst impliziert, dass damit jegliche sozialen Phänomene gemeint sein können, steht hier stärker die ökonomische Perspektive im Vordergrund. Globalisierung bedeutet die Zunahme von Volumen und Frequenz des grenzüberschreitenden Austausches und lässt sich demnach verstehen als „Prozess der weiträumigen Ausdehnung und Verknüpfung von Aktivitäten, der u. a. in einer wachsenden, regionale und nationale Grenzen überschreitenden Bewegung von Gütern, Kapital und Menschen zum Ausdruck kommt“ (KRÄTKE 1995a: 208).

6

1 Globalisierung der Wirtschaft

Zu den wichtigsten Indikatoren ökonomischer Globalisierung zählen daher das Wachstum von Außenhandel und Direktinvestitionen (vgl. Kapitel 2.2). Für viele Unternehmen stellt der Außenhandel einen der zentralen Wachstumsbereiche dar. Die Mehrzahl großer deutscher Industrieunternehmen erzielt heute durch Exporte, aber auch durch Auslandsproduktionen zur Sicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit vor Ort über die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. So wird bereits mehr als jedes zweite Auto, das unter dem Markenzeichen eines deutschen Herstellers auf der Straße fährt, inzwischen im Ausland hergestellt. Verließen Mitte der 1990er Jahre noch über 2 Mio. Fahrzeuge ausländische Produktionsstätten deutscher Konzerne, produzierten 2011 deutsche Hersteller bereits 7 Mio. Fahrzeuge im Ausland. Durch die Globalisierung entsteht ein geographisch weltweit verortetes Geflecht wirtschaftlicher Wertschöpfung, das als dynamisches Netzwerk flexibel interagiert. Dabei sind vor allem folgende Elemente anzusprechen: Die wirtschaftliche Integration von Ländern durch die Verdichtung der weltweiten Marktverflechtungen und die Intensivierung der internationalen Faktormobilitäten (Arbeitskräfte, Sach- und Humankapital) (vgl. WALTER 2006: 202). Dadurch werden nationale Ökonomien sukzessive aufgelöst und wirtschaftliche Teilsysteme zu einer Weltökonomie verknüpft. Als treibende Kräfte dafür lassen sich transnationale Unternehmen (vgl. Kapitel 1.3) sowie ihr Interesse an günstigen Produktionsbedingungen und einem freien Handel identifizieren. Ein auffälliges Merkmal der vergangenen Jahrzehnte ist die Dynamik der internationalen Vernetzung der nationalen Volkswirtschaften. In immer kürzeren Intervallen verdoppelt sich derzeit der grenzüberschreitende Wirtschaftsaustausch. An dieser Aufwärtsentwicklung hatten im ausgehenden 20. Jh. zunächst die Märkte der Triade (vgl. Kapitel 2.1.4), also Nordamerika, Westeuropa und Japan, den größten Anteil. Dort wird zwar auch heute noch der weit überwiegende Teil des Weltsozialprodukts erwirtschaftet, der hohe Anteil der Triadeländer schwindet aber in jüngerer Zeit in dem Umfang, wie die Wirtschaftsleistung der Schwellenländer, insbesondere der BRIC-Staaten (vgl. Kapitel 4.1.4), zunimmt. Die ökonomische Dimension der Globalisierung spielt sich auf den Ebenen des Handels, der Finanzwirtschaft und der Produktion ab. Wie stark die dabei geschaffenen ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Abhängigkeiten mittlerweile sind und wie schnell sich insbesondere krisenhafte Entwicklungen ausbreiten, zeigen die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 (vgl. Kapitel 2.3) sowie die Euroschuldenkrise (vgl. Kapitel 6.4.4). Ökonomische Globalisierung kann man auf zweierlei Weise messen. Der Globalisierungsgrad beschreibt das bestehende Verhältnis zwischen Auslands- und Inlandsaktivitäten. Typische Kennzahlen sind z. B. die Außenhandelsquote (Anteil der Ex- und Importe am Bruttoinlandsprodukt), der Anteil ausländischer an den gesamten Beschäftigten in einer Volkswirtschaft, der ausländische Anteil am Eigenkapital, der Produktion oder des Umsatzes etc. Der Globalisierungsprozess ergibt sich dagegen durch den Vergleich der Wachstumsraten in- und ausländischer Aktivitäten und vermittelt ein dynamisches Bild von Globalisierung. Indikatoren wären hier z. B. das Wachstum des Außenhandels oder der ausländischen Direktinvestitionen, die Entwicklung der Auslandsbeschäftigtenquote, der auslän-

1.1 Globalisierung – eine begriffliche Eingrenzung

7

dischen Umsätze am Gesamtumsatz oder grenzüberschreitender Unternehmenskooperationen (vgl. KOCH 2000: 6). Obwohl die Begriffe Globalisierung und Internationalisierung häufig gleichgesetzt werden, sind sie nicht als Synonyme zu verstehen. Als Internationalisierung gilt die geographische Ausdehnung ökonomischer Aktivitäten über nationale Grenzen hinaus. Unter Globalisierung wird eine weitergehende und komplexere Form der Internationalisierung im Sinne einer gesteigerten funktionalen Integration zwischen international dispersen ökonomischen Aktivitäten verstanden. Globalisierung ist quasi als fortgeschrittene Phase des Internationalisierungsprozesses zu begreifen (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002: 265). Umgekehrt gilt die Internationalisierung damit als Vorstufe bzw. Interimszustand zur Globalisierung. Es lässt sich aber auch die Sichtweise vertreten, dass die Internationalisierung die Globalisierung als weitreichende Spezialform miteinschließt (vgl. KUTSCHKER/SCHMID 2011: 172). Globalisierung lässt sich damit als die „geographisch weitreichendste Form internationalen Marktengagements im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Weltmarkts“ (WELGE ET AL. 1998: 1) verstehen. Auch wenn hier die ökonomische Dimension der Globalisierung als weltweite Vernetzung wirtschaftlicher Aktivitäten und Entgrenzung der Märkte im Vordergrund steht, ist zu beachten, dass sämtliche Lebensbereiche von der Globalisierung tangiert werden (vgl. GIESE ET AL. 2011: 14). Sie stellt damit einen gesamtgesellschaftlichen Querschnittsprozess dar, der alle gesellschaftlichen Partialsysteme erfasst. Neben der ökonomischen Dimension sind daher vor allem folgende Bereiche von Bedeutung (vgl. WENDT 2007: 329f.; BECK/LANGE 2005: 9ff.; OSSENBRÜGGE 2003: 164): Durch die kulturelle Dimension der Globalisierung kommt es zu einer raumspezifischen Entkoppelung von Kultur, d. h. zur Lockerung ihrer Bindungen an einen bestimmten Raum oder fixen Ort. Demokratie, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Umweltstandards etc. entwickeln sich zu universell akzeptierten Werten. Lebensstile, Ernährungsgewohnheiten, Mode und Musik orientieren sich mehr und mehr an westlichen Standards (McDonaldisierung, CocaColaisierung, Kalifornisierung). Da dies in fremden Kulturen aber auch als Bedrohung wahrgenommen wird und auf kompromisslose Ablehnung stoßen kann, markiert die kulturelle Globalisierung gleichzeitig die zentralen zukünftigen Konfliktlinien der Weltgesellschaft (vgl. Kapitel 9.2.1). Im Bereich der sozialen Dimension der Globalisierung erzeugen Migrationen, d. h. die Wanderung von Menschen zu potenziellen Arbeitsplätzen oder die Flucht vor schlechten Lebensbedingungen, die Loslösung von Kulturkreisen und sozialem Umfeld und damit eine Veränderung von Gesellschaftsstrukturen. Multikulturalisierung lässt den Stellenwert ethnischer Abstammung und nationaler Zugehörigkeit zurückgehen. Durch die politische Dimension der Globalisierung werden neue Formen politischer Regulation und Partizipation geschaffen. Mit dem fortschreitenden Globalisierungsprozess geht eine entsprechende Schwächung nationalstaatlichen Einflusses einher. Während der letzten Jahrhunderte waren nationale Entwicklungsprozesse für die Gesellschaften prägend. Der Nationalstaat repräsentierte die gültige Form politisch-gesellschaftlicher Organisation, während die nationale Volkswirtschaft eine logische und integrierte Wirtschaftsform darstellte. Nationale Märkte als ökonomische Eckpfeiler dieser Volkswirtschaften haben im Zuge der Globalisierung jedoch zunehmend zugunsten einer wachsenden Bedeutung des Weltwirt-

8

1 Globalisierung der Wirtschaft

schaftsraumes an Relevanz verloren. Der Nationalstaat bildet heute nicht mehr den alleinigen Bezugsraum für die wirtschaftlichen Akteure: Gewinne fallen z. B. nur noch dort an, wo die Steuersätze niedrig sind. Umweltintensive Produktionsverfahren finden sich in Ländern, in denen geringe Auflagen bestehen. Arbeitsintensive Produktionsschritte werden bei Tariferhöhungen verlagert (job export). Aufgrund dieser Standortunabhängigkeit von Unternehmen sind einzelne Staaten immer weniger fähig, ihr Territorium nach eigenen Maßstäben und Vorgaben zu gestalten. Die Rolle des Staates wird daher zunehmend in Frage gestellt (vgl. OSSENBRÜGGE 2007a: 836; GIESE ET AL. 2011: 16). Mit der vermeintlichen Entmachtung der Ebene souveräner Staaten geht gleichzeitig eine Aufwertung anderer Maßstabsebenen einher (Reterritorialisierung), wenn man berücksichtigt, in welche Richtungen sich der Nationalstaat „verflüchtigt“ bzw. auflöst. Es findet ein umfassender Prozess der Verlagerung politischer Steuerungskapazitäten weg von nationalstaatlichen Institutionen hin zu anderen Maßstabsebenen statt. Oberhalb des Nationalstaates kommt es im Rahmen einer Global Governance zur Bildung globaler Steuerungsmechanismen, die gesellschaftliche und ökonomische Aktivitäten kollektiv zu regulieren versuchen. Beispiele sind Welthandelsorganisation, Weltbank oder Internationaler Währungsfonds, aber auch internationale Umwelt- und Sozialabkommen bzw. -organisationen (vgl. Kapitel 5). Eine weitere Entwicklung, welche die angestammte Rolle einzelner Staaten als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Handlungsrahmen in Frage stellt, ist die Regionalisierung, d. h. die Integration von Ländern zu Handels- und Wirtschaftsblöcken bzw. supranationalen Zusammenschlüssen (Regionalintegrationen). Beispiele dafür sind etwa die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes oder die Entwicklung des nordamerikanischen Wirtschaftsraumes zur Freihandelszone NAFTA (vgl. Kapitel 6). Bei diesem Prozess übernehmen gemeinsame Organe sukzessive Entscheidungsgewalt und Gestaltungsaufgaben, die bis dahin nur auf nationalstaatlicher Ebene umgesetzt wurden. Die nach „oben“ weisenden Veränderungen werden durch solche ergänzt, die nach „unten“ gerichtet sind (Lokalisierung). So zeigen sich vermehrt Tendenzen einer stärkeren regionallokalen Orientierung von Politik und Wirtschaft. In der Europäischen Union z. B. drückt sich dies durch die zunehmende Eigenständigkeit der Regionen in der Forschungs-, Technologie-, Bildungs- und Entwicklungspolitik aus. In föderal organisierten Staaten wie Deutschland wurden immer wieder Kompetenzverlagerungen auf die Bundesländer vorgenommen. Gleichzeitig ist Lokalisierung aber auch ein „Prozess der relativ kleinräumigen territorialen Integration und Vernetzung von Aktivitäten, der häufig mit einer Wiederaufwertung besonderer regionaler Qualitäten und Beziehungsgefügen verbunden ist“ (KRÄTKE 1995a: 207). Dies drückt sich in Standortkonzentrationen, kleinräumigen Netzwerkbildungen wie Clustern und Industriedistrikten sowie in der Entwicklung und Vermarktung regionalspezifischer bzw. raumtypischer Produkte aus. Das insgesamt sehr komplexe Zusammenspiel und Nebeneinander unterschiedlicher Maßstabsebenen und ihre nicht hierarchisch strukturierten Beziehungen untereinander kommen im

1.2 Triebkräfte der Globalisierung

9

Begriff der Glokalisierung, einer begrifflichen Synthese aus Globalisierung und Lokalisierung, zum Ausdruck (vgl. HESS 1998; OSSENBRÜGGE 2007a: 839).

1.2

Triebkräfte der Globalisierung

Die Globalisierung ist das Ergebnis einschneidender Umbrüche und Veränderungen der politischen, technisch-wirtschaftlichen sowie soziokulturellen Rahmenbedingungen. Diese können sowohl als Auslöser wie auch als Verstärker des Globalisierungsprozesses verstanden werden. Änderungen der politischen Rahmenbedingungen ergeben sich aus den Versuchen vieler Länder, durch den Abbau von Hemmnissen im grenzüberschreitenden Handels- und Finanzverkehr sowie wettbewerbsbeeinträchtigender Regulierungen (Liberalisierung) ihre Stellung im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Dadurch kommt es zur Senkung der ökonomischen Bedeutung nationaler Grenzen und zur Beschleunigung volkswirtschaftlicher Verflechtungen. Besonders hervorzuheben gilt es den Prozess der Deregulierung, zu verstehen als Rückzug des Staates aus der Wirtschaft durch den Abbau unnötiger Bestimmungen und Bürokratie auf den Arbeits-, Güter- und Finanzmärkten mit dem Ziel, die Marktkräfte zu stimulieren und die wirtschaftliche Effizienz zu steigern. Eng damit verbunden ist die Privatisierung staatlicher Unternehmen (u. a. in den Bereichen Energiewirtschaft, Telekommunikation, Infrastruktur), wodurch neue Märkte für private Anbieter unter Wettbewerbsverhältnissen geschaffen werden. Der Prozess von Liberalisierung und Deregulierung wird auch von internationalen Organisationen und Abkommen vorangetrieben. Im Güter- und Dienstleistungsverkehr sind vor allem die Bemühungen von GATT und Welthandelsorganisation zur Expansion von Handel und Investitionen zu nennen. Durch den Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen stehen Arbeitnehmer weltweit miteinander in Konkurrenz. Im Finanzbereich sind die Tätigkeiten von Internationalem Währungsfonds und Weltbank zur Schaffung einer effizienten, globalen Finanzarchitektur anzuführen (vgl. Kapitel 5). Auch die Bildung von Regionalintegrationen bzw. zwischenstaatlichen Handels- und Wirtschaftsblöcken (Regionalisierung) begünstigt die Interdependenz wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilsysteme, setzt Impulse zur Öffnung nationaler Märkte frei und intensiviert multilaterale Freihandelsbemühungen (vgl. Kapitel 6). Schließlich erweitern die Entwicklung von Schwellenländern, insbesondere in Asien und Lateinamerika, zu sog. Wachstumsmärkten (Emerging Markets), der ökonomische Transformationsprozess in vormals sozialistischen Staatshandelsländern (Transformationsländer) sowie der zunehmende Wohlstand in diesen Regionen maßgeblich den Aktionsradius und das Marktvolumen international agierender Unternehmen. Ausgelöst oder verstärkt wird der Globalisierungsprozess auch durch die Änderung technisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie (Internet und Intranet, Mobilfunk, Online-Dienste, Video

10

1 Globalisierung der Wirtschaft

Conferencing etc.) gestatten eine weltumspannende Kommunikation in Echtzeit, erhöhen die Informationsgeschwindigkeit und senken die Kommunikationskosten um ein Vielfaches (vgl. Kapitel 8.2.3). Leistungsfähige Rechner und Telekommunikationssysteme, welche es erlauben, auf die Veränderung internationaler Rahmenbedingungen schnellstmöglich zu reagieren, begünstigen ferner die Ausbreitung spekulativer Finanzgeschäfte. Der Einsatz moderner Transporttechnologien (z. B. Großraumflugzeuge, Containerschiffe, Frachter für Massen- und Stückgüter) und deren Kombination begünstigt indes die Mobilität von Personen und Gütern, indem die Transportzeiten abnehmen. Auch die Transportkosten haben sich durch diese Innovationen im Vergleich zu früheren Zeiten verringert. Dazu beigetragen hat auch die Einführung des genormten Containers, welcher vom Versender bis zum Empfänger eine geschlossene Transportkette ohne teures und langwieriges Umladen der Ware in Form von Einzelstücken ermöglicht (vgl. Kapitel 8.2.2). Im Rahmen der modernen Verkehrstelematik erlauben moderne Steuerungs- und Informationssysteme die automatische Auswahl günstiger Routen und geeigneter Verkehrsmittel. Moderne Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien eröffnen Unternehmen die Möglichkeit, Produktionsprozesse räumlich aufzuspalten und geographisch getrennte Wertschöpfungsprozesse besser miteinander zu koordinieren. So können Mitarbeiter eines Unternehmens in verschiedenen Erdteilen gleichzeitig an ein und demselben Projekt arbeiten. Gepaart mit standardisierten Fertigungsprozessen, lässt sich die Wertschöpfungskette in kleinere Einheiten zerlegen und global optimieren: „Das Produkt wird in seine Komponenten zerlegt, man schaut nach Produktionsorten für die effektivste Produktion jedes Elementes, erkundet, in welchem Land oder in welcher Region die Produktion am besten möglich ist, und bringt dann die Komponenten zur endgültigen Zusammenführung (…) zusammen“ (REHBEIN/SCHWENGEL 2008: 180). Einzelne Produktbausteine, aber auch Arbeitsschritte werden also dort beschafft bzw. erledigt, wo es bei entsprechender Qualität global am günstigsten ist (Global Sourcing):  Die Barbie-Puppe wird in kalifornischen Designerstudios entworfen. Ihre Haare stammen aus Japan, die Plastikarme aus Taiwan, Gesichtsfarbe und Verpackungskartons aus den USA. Die Kleidchen werden in China gefertigt, der Zusammenbau der Figur erfolgt in Indonesien und Malaysia. Die abschließende Qualitätskontrolle der Puppen findet wiederum in Kalifornien statt, von wo aus die Puppen weltweit verschickt werden.  Für eine Jeans der Marke Lee Cooper kommt die Baumwolle für den Jeansstoff aus Benin und für die Innentaschen aus Pakistan. Die Reißverschlusszähne stammen aus Japan, Kupfer und Zink für Nieten und Knöpfe aus Namibia und Australien, der Bimsstein für das Stonewashing aus der Türkei, die Polyesterbänder aus Frankreich und das Nähgarn aus Nordirland. Gefärbt wird die Jeans mit aus Deutschland stammendem synthetischem Indigo in Italien, die eigentliche Fertigung findet in Tunesien statt.  Bei der elektronischen Zahnbürste Sonicare Elite 7000 der Firma Philips stammen die einzelnen Teile der Energiezelle aus Frankreich, China und Japan, die Platine aus China ebenso wie die Kupferspulen. Die Transistoren und Widerstände auf der Platine kommen aus Malaysia und werden auf den Philippinen aufgelötet und getestet. Die Kunststoff-

1.2 Triebkräfte der Globalisierung

11

Gussteile und die vorgeschnittenen Stahlblätter stammen aus Österreich, der notwendige Spezialstahl aus Schweden. Montage (i. d. R. Löt- und Klebevorgänge) sowie Verpackung der Zahnbürste erfolgen in der Nähe von Seattle, USA.  Bei der B 787 (Dreamliner) des US-Flugzeugherstellers Boeing stammen nur das Rumpfende und die Heckflosse von Boeing (USA) selbst. Die Flügelvorderkante und der Vorderrumpf werden von Spirit Aerosystems (USA) geliefert. Der Mittelrumpf und das Höhenleitwerk kommen von Alenia (Italien), die Türen von Latécoère (Frankreich), die Tragflächenhinterkante (beweglich) von Boeing (Australien), die Flügelspitzen von Korean Air Aerospace Divison (Südkorea), das Triebwerk von Rolls-Royce (Großbritannien) sowie der Flügelkasten von Fuji und die Flügel von Mitsubishi (beide Japan). Den Hauptfahrwerkskasten sowie die Tragflächenhinterkante (starr) liefert mit Kawasaki ebenfalls ein Unternehmen aus Japan.  Für einen typischen Muttertags-Blumenstrauß aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel kommen nur Pfingstrosen und Schneeball aus Deutschland. Calla und Eukalyptus stammen aus Italien, die Rosen aus Ecuador, die Trossrosen aus Holland sowie das Nadelkissen aus Südafrika. Die Papageienblumen werden aus Spanien, Kängurupfoten aus Australien, Ruskus und Myrio aus Israel, die Anthurien aus Dänemark sowie Philoblätter und Bärengras aus Nordamerika geliefert.  Nordseekrabben aus dem schleswig-holsteinischen Büsum werden über Holland, Frankreich und Spanien über tausende Kilometer nach Marokko transportiert, um sie von billigen Arbeitskräften dort pulen und schälen zu lassen (vgl. FAS 2011; FAZ 2008; KNOX/MARSTON 2008: 13; HOPPE 2005; FÄßLER 2007: 11; FOCUS 2010). Auch die Inanspruchnahme sämtlicher Formen unternehmensbezogener Dienstleistungen (z. B. Informationsverarbeitung, Abrechnungserstellung, Buchhaltung), aber auch die Entwicklung von Marketing- oder Vertriebskonzepten lässt sich im globalen Maßstab weltweit verteilen. In bestimmten Branchen sind Beschaffung und Produktion räumlich so stark zergliedert, dass sich für ein Produkt kein Herkunftsland à la „made in…“, sondern nur mehr das Ursprungsunternehmen à la „made by…“ angeben lässt. Insgesamt ist die Zerlegung der Herstellung in einzelne Komponenten und ihre Verteilung auf die Standorte mit den günstigsten Produktionsbedingungen ein elementarer Bestandteil einer globalisierten Wirtschaft. Diese Modularisierung der Wertschöpfung lässt lokalisierte, intersektoral und international vernetzte Produktionsstrukturen entstehen. Über die inner- und außerbetrieblichen Leistungs- und Ressourcenflüsse, welche für die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen von Bedeutung sind, bilden sich räumliche Wertschöpfungsnetzwerke (vgl. Kapitel 15.1.1). Zu den Veränderungen der technisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehört schließlich auch ein zunehmender internationaler Wettbewerb zwischen Unternehmen. Dieser kommt in einem immer schärfer werdenden Kampf um Marktanteile, einer ständig wachsenden Zahl von Innovationen sowie der permanenten Verkürzung von Innovations-, Produktund Designzyklen zum Ausdruck.

12

1 Globalisierung der Wirtschaft

Schließlich ist auch die Änderung soziokultureller Rahmenbedingungen eine Triebfeder der Globalisierung. Gesellschaften, deren Zusammenhalt früher auf der engen Verbundenheit von Religion, Brauchtum und lokaler Geschlossenheit beruhte, büßen unter der Einwirkung der wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen sowie global vermittelter Verhaltensweisen ihr Bindungs- und Normsetzungsvermögen ein. Die Menschen werden hinsichtlich regionaler Traditionen bindungsloser und aufgeschlossener gegenüber globalen Einflüssen. Dies wird zum einen als Verlust kultureller und regionaler Identität beklagt, zum anderen im Sinne eines Zusammenwachsens zu einer großen, weltumspannenden Gemeinschaft, für die der kanadische Medientheoretiker MARSHALL MCLUHAN bereits 1962 den Begriff „Global Village“ (vgl. Kapitel 7.1) prägte, begrüßt. Daraus resultieren eine Angleichung von Lebensstilen und eine Homogenisierung des Kaufverhaltens (vgl. Kapitel 14.1).

1.3

Transnationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung

Transnationale Unternehmen (TNU) gelten als wesentliche Antriebskräfte des ökonomischen Globalisierungsprozesses, da sie über die weltweite Verteilung von Kapital, Technologien und Managementfähigkeiten in erheblichem Maße die Umstrukturierung der Weltwirtschaft vorantreiben (vgl. GIESE ET AL. 2011: 15). Nach der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD, vgl. Kapitel 4.2) besteht ein TNU aus einem Mutterunternehmen und den dazugehörigen Tochterunternehmen im Ausland. Für die Zuordnung eines TNU zu einem einzelnen Land ist der Hauptsitz des Mutterunternehmens ausschlaggebend. Laut UNCTAD kontrolliert ein Mutterunternehmen Teile eines ausländischen Unternehmens. Für diese Kontrolle ist – je nach Unternehmensform – eine Beteiligung von mindestens 10% der Stammaktien oder der Stimmrechte erforderlich (vgl. BPB 2010). Anstelle von transnationalen wird häufig auch von multinationalen, internationalen oder globalen Unternehmen gesprochen. Mit der genauen Abgrenzung beschäftigt sich Kapitel 11.2.3. Gemein ist jedoch allen, dass sie über die Macht verfügen, Aktionen in mehr als einem Land zu tätigen und zu kontrollieren. Im Jahr 2008 gab es weltweit rund 82 000 TNU mit 807 000 Tochterunternehmen, die rund 77 Mio. Menschen beschäftigten (vgl. BPB 2010). Besonders deutlich wird die immense ökonomische Bedeutung von TNU, wenn man ihre Wertschöpfung mit der von ganzen Volkswirtschaften vergleicht. Tabelle 1 zeigt einen Vergleich der Umsätze der weltweit größten TNU mit den Bruttoinlandsprodukten einzelner Länder. Beispielsweise überragte der Jahresumsatz von Royal Dutch Shell im Jahr 2011 mit ca. 470 Mrd. US-Dollar deutlich das jährliche Bruttoinlandsprodukt von Argentinien (448 Mrd. US-Dollar) und mit 148 Mrd. USDollar überstieg der Umsatz von Daimler knapp die jährliche Wirtschaftsleistung Ungarns (140 Mrd. US-Dollar).

1.3 Transnationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung Tabelle 1:

Rang 1 2 3 4 5 6 7 9 11 24 25 26 27 28 29 30 32 38 40 45 47 48 50 57 62 63 64 65 67 68 69 73 80 84 86 87 91 100

Umsätze transnationaler Unternehmen versus Bruttoinlandsprodukt von Ländern im Jahr 2011; Quelle: IMF 2012c; FAZ 2012e.

Einnahmen in Mrd. US-Dollar 15.094 7.298 5.869 3.577 2.776 2.493 2.418 1.850 1.676 470 467 448 447 434 419 408 376 310 267 236 236 232 222 190 174 162 158 157 150 149 148 140 127 123 123 122 115 108

Länder [nach BIP] Unternehmen [nach Umsatz] (Stammland/Branche) USA China Japan Deutschland Frankreich Brasilien Großbritannien Russland Indien Royal Dutch Shell (Niederlande/Mineralöl) Taiwan Argentinien Wal-Mart (USA/Handel) ExxonMobil (USA/Mineralöl) Österreich Südafrika BP (Großbritannien/Mineralöl) PetroChina (China/Mineralöl) Finnland Ägypten Toyota Motor (Japan/Automobile) Total (Frankreich/Mineralöl) Volkswagen (Deutschland/Automobile) Rumänien Peru Neuseeland Gazprom (Russland/Erdgas) E.ON (Deutschland/Energie) General Motors (USA/Automobile) Samsung Electronics (Südkorea/Elektronik) Daimler (Deutschland/Automobile) Ungarn Hewlett-Packard (USA/Computer) McKesson (USA/Pharma) Vietnam Allianz (Deutschland/Versicherung) Irak Apple (USA/Computer)

13

14

1 Globalisierung der Wirtschaft

Der ökonomische Erfolg von TNU beruht auf zahlreichen Gründen bzw. Vorteilen (vgl. Tabelle 2). Vornehmlich dient die internationale Expansion der Unternehmenstätigkeit der Erweiterung und Sicherung des Absatzes oder der Verbesserung der Produktionsprozesse durch Effizienzsteigerungen und Kostenersparnisse. Im Zuge des schärfer werdenden globalen Wettbewerbs gilt es in diesem Zusammenhang einzelne Standorte miteinander abzuwägen. Die Orientierung an bestimmten Ansprüchen – einerseits an den niedrigsten Lohnkosten, den geringsten Steuersätzen sowie den schwächsten Umweltstandards, andererseits an der größten Innovationsfähigkeit, der höchsten Flexibilität sowie der besten Qualität – bedingt innerhalb eines TNU eine spezifische funktional-räumliche Arbeitsteilung. Tabelle 2:

Vorteile und Merkmale transnationaler Unternehmen; Quelle: In Anlehnung an FÄßLER 2007: 193f.

Organisationsvorteile Privilegierter Kapitalzugang Economies of Scale Synergieeffekte bei Forschung und Entwicklung Räumliche Aufteilung der Wertschöpfungskette Ausschaltung von Handelshemmnissen Standortkonkurrenz Marktnähe

Reibungslose Zusammenarbeit, erleichterte Planung und klare Weisungsbefugnisse Wegen internationaler Positionierung verbesserter Zugang zu nationalen Kreditmärkten Steigerung des Auslastungsgrades durch Auftragsvergabe von eigenen, im Ausland sitzenden Betrieben Amortisation hoher Investitionen durch Nutzen für alle Unternehmensteile Wahl von Standorten mit den jeweils günstigsten Produktionsbedingungen Umgehung von Importbeschränkungen und Zöllen durch Errichtung ausländischer Fertigungsstandorte Angebot von Ansiedlungsanreizen (Subventionen, Steuervorteile, Zollfreiheit, günstige Darlehen, billige Flächen) durch strukturschwache Regionen und Länder Anpassung von Produkten und Design an jeweiliges kulturelles Umfeld („think global, act local“)

In einem räumlich gegliederten Produktionssystem sind die ausführenden Teilfertigungsschritte weltweit verstreut (vgl. Tabelle 3): Humankapitalintensive Prozesse befinden sich in den Agglomerationszentren der Industrieländer, sachkapitalintensive in den Peripherien höher entwickelter Länder, arbeitsintensive in Ländern mit niedrigen Lohnkosten (meist Entwicklungsländer) und umweltintensive in Staaten mit geringen Auflagen. Dagegen sind die strategisch-dispositiven Einheiten wie Management und Steuerung in den Zentren der hoch entwickelten Länder (Global Cities), Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten meist in Zentren mit innovativem Umfeld (Nähe zu Universitäten, Forschungseinrichtungen und hoch qualifizierten Arbeitskräften) angesiedelt. In der Gesamtschau stellt ein TNU damit einen „Global Player“ dar, „der über das Potenzial verfügt, die gesamte Erdkugel als sein Spielfeld zu nutzen“ (FÄßLER 2007: 190). Ein wichtiger Bestandteil der räumlichen Arbeitsteilung innerhalb von TNU sind Outsourcing und Offshoring. Outsourcing ist ein Prozess, bei dem ursprünglich unternehmensinterne Wertschöpfungsaktivitäten extern ausgelagert werden. Offshoring hingegen steht allgemein für die Verlegung einzelner Wertschöpfungsaktivitäten in andere Länder, meist

1.3 Transnationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung

15

zur Nutzung von absoluten Lohnkostenunterschieden, gegebenenfalls aber auch zur Umgehung von Einfuhrbarrieren, zur Anpassung der Produkte an lokale Verbrauchererfordernisse oder aus absatzpsychologischen Gründen (Herkunfts-Goodwill). Werden dabei Ressourcen genutzt, die außerhalb des Verantwortungsbereichs des Unternehmens liegen, spricht man von „Offshore Outsourcing“. Damit ist die Verlagerung von Arbeitsprozessen an externe Anbieter, meist lokale Unternehmen, durch Zulieferverträge gemeint. Werden die Tätigkeiten dagegen in Eigenregie durch ein Tochter- oder Partnerunternehmen, d. h. innerhalb eines TNU, erledigt, spricht man von „Captive Offshoring“ (vgl. ESCHELBECK 2009: 10). Tabelle 3:

Funktionale Raumspezialisierung eines transnationalen Unternehmens; Quelle: KULKE 2005: 6, verändert.

Einheit

Funktion

Standort

Headquarter

strategische Entscheidung

Zentren hoch entwickelter Länder (z. B. Global Cities)

Operational Headquarters Forschung und Entwicklung

Koordination und Kontrolle von Teileinheiten in Großregionen Weiterentwicklung von Produkten, Prozessen, Organisation

Endmontage

Endfertigung des Produkts

Zentren von großräumiger Bedeutung Agglomerationen mit spezifischen Standortvorteilen (z. B. in Nähe zu Universitäten) Agglomerationen mit guten Verkehrsverbindungen

Teilfertigung

Marketing Vertrieb

wissensintensive Produktion sachkapitalintensive Produktion arbeitskostenintensive Produktion umweltintensive Produktion Werbung Verkauf der Endprodukte

Zentren hoch entwickelter Länder Zentren höher entwickelter Länder Länder mit niedrigen Lohnkosten Länder mit niedrigen Auflagen Agglomerationen weltweit gestreut

Ziel dieser Maßnahmen ist die Reduzierung der Leistungstiefe, mit der Unternehmen einen neuen Grad an Spezialisierung auf ihre Kernkompetenzen suchen und Wettbewerbsvorteile erlangen wollen. Dabei sind neben der standardisierten Lohnarbeit im Produzierenden Gewerbe auch sog. Back-office-Dienstleistungen (technischer Support, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Call Center, Dateneingabe und -verwaltung, Telemarketing, Websitegestaltung etc.) Gegenstand des Offshorings geworden. Doch auch hoch qualifizierte und gut bezahlte Tätigkeiten in der Industrie lassen sich mittlerweile an andere Standorte verlagern. Beispiele für Offshoring bieten die Lufthansa und der Technologiekonzern Infineon, die Teile ihres Rechnungswesens nach Polen bzw. Portugal verlagert haben. Der Touristikanbieter TUI hat IT-Tätigkeiten nach Indien verlegt, ebenso die Deutsche Bank einen Teil ihres Zahlungsverkehrs. Die am Frankfurter Flughafen sitzende Deutschlandzentrale des Computerherstellers Dell unterhält ihr Callcenter für deutschsprachige Privatkunden in Bratislava. Teile der Personalverwaltung der in Hamburg ansässigen Europazentrale des Mineralölkonzerns ExxonMobil sitzen in Bangkok, während die automatischen Preistafeln an den Tankstellen von Mitarbeitern in Belgien gesteuert werden.

16

1 Globalisierung der Wirtschaft

Insgesamt beeinflussen Outsourcing und Offshoring nicht nur die organisatorischen Arrangements von Unternehmen, sondern intensivieren aus räumlicher Perspektive die Standortvernetzung und stärken die Bedeutung vormals weniger integrierter Standorte in globalen Wertschöpfungszusammenhängen (vgl. GLÜCKLER 2011: 943ff.; 2008: 36f.; KULKE 2005: 6; GAEBE 2008: 103; WAS 2009). Den durch Offshoring verlorengehenden Arbeitsplätzen stehen immer häufiger Rückverlagerungen von Standorten aus Niedriglohnländern gegenüber. Als Ursachen dieses Insourcings kommen Flexibilitäts-, Qualitäts-, Koordinations- sowie Kommunikations- oder Infrastrukturdefizite in Frage. Innerhalb eines Zeitraums von fünf bis sechs Jahren verlagert jedes vierte bis sechste deutsche Unternehmen seine Produktion oder Teile davon wieder zurück (vgl. FRAUNHOFER ISI 2006). Ein Beispiel stellt das Unternehmen Steiff dar, das 2008 beschloss, die Produktion von Stofftieren von China nach Deutschland zurückzuholen. Als Gründe dafür waren ausschlaggebend, dass chinesische Firmen für die Herstellung von Kuscheltieren mit kompliziertem Schnitt nicht geeignet seien und China wegen der Produktion von gesundheitsgefährdendem Spielzeug in Verruf geraten ist. Als großes Problem stellten sich auch die langen Transportzeiten nach Deutschland von bis zu drei Monaten heraus.

1.4

Globalisierung und nachhaltiges Wirtschaften

Der durch die Globalisierung verschärfte Wettbewerb begünstigt das quantitative Wirtschaftswachstum. Die Umweltbelastung nimmt tendenziell zu, ohne dass gleichzeitig mit einer adäquaten Kompensation durch aus ökologischer Sicht verbesserte Technik zu rechnen ist – dies obwohl der technische Fortschritt vielfach auch das Nutzen-Schaden-Verhältnis verbessern konnte. Die Globalisierung bewirkte bis heute – trotz der Bestrebung, bessere weltweit geltende Umweltstandards zu etablieren – in vielen Fällen nur eine Verlagerung der Umweltbelastungen von den alten Industriestaaten in neu industrialisierte Länder. Somit gelang es im Zuge des Globalisierungsprozesses trotz zahlreicher internationaler Umweltabkommen (vgl. Kapitel 5.4.1) bisher nicht, grenzüberschreitende Umweltprobleme ausreichend in den Griff zu bekommen. Wirtschaftswachstum, zunehmender Energiebedarf und exponentiell wachsende Verkehrsströme (vgl. Kapitel 8.2.2) erhöhen vielmehr deutlich die Umweltbelastung, gleichzeitig mindern sie die globale Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln. In den durch den Globalisierungsprozess marginalisierten Ländern nehmen die Chancen für eine nachhaltige Senkung der hohen Geburtenrate und damit auch für eine Minderung der Umweltbelastungen durch Ressourcenübernutzung derzeit immer eher noch ab als zu. Das bisherige westliche Wohlstandsmodell, das auf steigendem Wirtschaftswachstum in Verbindung mit zunehmendem Rohstoff- und Energieverbrauch beruht, lässt sich nicht auf bald zehn Milliarden Menschen ausdehnen. Wird der Begrenztheit der Umweltgüter ernsthaft Rechnung getragen und davon ausgegangen, dass jedem Erdbewohner weltweit in etwa die gleichen Verbrauchsmengen zustehen, müssen Lebensstil wie Produktions- und Konsumstrukturen in den wohlhabenden Ländern, aber auch in den stark Ressourcen nachfragenden Schwellenländern wie China deutlich geändert werden. Eine dauerhaft umweltgerechte Ent-

1.4 Globalisierung und nachhaltiges Wirtschaften

17

wicklung ist ohne Akzeptanz auch von Restriktionen in der humanen Daseinsgestaltung nicht zu realisieren. Vor diesem Hintergrund wurde bereits 1992 das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung („sustainable development“) von der internationalen Staatengemeinschaft postuliert (vgl. HAAS/SCHLESINGER 2007: 12ff.). Es wurde u. a. vereinbart, dass die Nutzung einer Ressource prinzipiell nicht größer sein sollte als ihre Regenerationsrate. Entsprechend darf die Freisetzung von Stoffen nicht die kapazitätsbedingte Aufnahmefähigkeit der Umweltmedien übersteigen. Dies bedeutet weniger einen Bruch mit dem marktwirtschaftlichen System als vielmehr eine im Rahmen der Globalisierung mögliche effizientere Ressourcennutzung. Anstelle eines überstarken Wachstums ist die Orientierung in Richtung eines ausgewogeneren Wachstums mit wirtschaftlich sinnvollen und ökologisch vertretbaren Innovationszyklen geboten. Dieses Bestreben kommt mit dem Begriff „qualitatives Wachstum“ zum Ausdruck. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wurde die Wertschöpfung bisher stark überbewertet, kamen doch volkswirtschaftliche Schäden im Bruttoinlandsprodukt nicht zum Abzug und extern unentgeltlich erbrachte Leistungen blieben unberücksichtigt. Quantitatives Wachstum bedeutete folglich häufig eine Reduzierung der Ressourcenbasis sowie eine Schädigung der Umwelt. Als ein Beispiel hierfür kann die nicht nachhaltige Nutzung des tropischen Regenwalds, z. B. in Brasilien, genannt werden. Verantwortlich ist dafür nicht nur der wirtschaftende Mensch, sondern auch die Politik, welche zur Exportförderung für die verstärkte Produktion von Rindfleisch an die Farmer Subventionen vergibt und dabei gleichzeitig die Vernichtung des Regenwaldes in Kauf nimmt. Beim Bruttoinlandsprodukt führt die nachgeschaltete Minderung von wachstumsinduzierten Umweltschäden zu vermeintlich positiven Steigerungsraten. Die daraus resultierende höhere Produktivität lässt jedoch i. d. R. die natürliche Umwelt außer Acht. Ziel sollte es sein, die Globalisierung dahin gehend zu nutzen, dass neben ökonomischen verstärkt auch ökologische Effizienzsteigerungen möglich werden und somit ein nachhaltiges qualitatives Wachstum zustande kommen kann. Bei der Analyse von Umweltmaßnahmen ist es sinnvoll, die verschiedenen Maßstabsebenen zu berücksichtigen, denn branchen- und regionalwirtschaftliche Effekte zeigen zunehmend internationale Verflechtungen (z. B. CO2-Problematik, Mülltourismus). Diese erkennbare Globalisierung von Umweltproblemen und die verstärkte Internationalisierung von Umweltpolitik haben die Wichtigkeit ressourcen- und umweltökonomischer Kenntnisse in der heutigen Gesellschaft verdeutlicht. Der Standortfaktor „Umweltqualität“ hat inzwischen einen ähnlichen Stellenwert wie die Schlüsselgrößen Wachstum und Beschäftigung erlangt. Entsprechend ist der Agenda-21-Prozess (nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert auf globaler, regionaler und lokaler Ebene) in Gang gekommen, hat jedoch bisher nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Zwar stellten sich zwischen den Klimakonferenzen von Rio (1992) und Durban (2011) in jüngerer Zeit erkennbare Fortschritte ein, z. B. dass sich globale Umweltstandards in vielen Ländern durchsetzten, jedoch sind Fragen wie jene der nachhaltigen, verbindlichen weltweiten Reduzierung der Treibhausgase immer noch nicht befriedigend geklärt (vgl. Kapitel 5.4.1).

18

1 Globalisierung der Wirtschaft

Die Vision von DENIS MEADOWS von der raschen Endlichkeit mineralischer Ressourcen, publiziert in dem 1972 erschienenen Buch „Die Grenzen des Wachstums“, ging etwas an der Wirklichkeit vorbei. Die Lebensdauer der meisten Rohstoffe ist sehr viel größer als vor vier Jahrzehnten angenommen. Dennoch bleibt die Warnung an die Menschheit bestehen: Heute steht die Menschheit nicht mehr unmittelbar vor der Endlichkeit der Rohstoffe, sondern eher vor der Endlichkeit des ökologischen Gleichgewichtes der Erde, das durch die unbedachte Rohstoffausbeutung und die damit verbundene Umweltbelastung in Gefahr gerät (vgl. HAAS/SCHLESINGER 2007: 80; HAAS 1990: 113). Übungsfragen 1. Stellen Sie kurz nachvollziehbare Kritikpunkte von Globalisierungsbefürwortern und Globalisierungsgegnern gegenüber. 2. Inwieweit sind Außenhandel und Direktinvestitionen Indikatoren ökonomischer Globalisierung? 3. Wie lassen sich die Triebkräfte der Globalisierung kategorisieren? 4. Nennen Sie (eigene) Beispiele von Wertschöpfungsketten und machen Sie deren globale Dimension deutlich. 5. Welche Vorteile haben transnationale Unternehmen im Globalisierungsprozess? 6. Erklären Sie die Begriffe „Outsourcing“ und „Offshoring“ anhand von Abläufen in der Praxis. 7. Inwieweit ist eine „nachhaltige Entwicklung“ für den Globalisierungsprozess von Bedeutung? Literaturempfehlungen auf einen Blick BECK, U.; LANGE, D. (2005): Globalisierung und Politische Bildung. Zur Einführung in ein Problemfeld des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. In: Praxis Politik, 1. Jg., Nr. 1, S. 6–11. FÄßLER, P. E. (2007): Globalisierung. Köln et al. GIESE, E.; MOSSIG, I.; SCHRÖDER, H. (2011): Globalisierung der Wirtschaft. Paderborn. KRÄTKE, S. (1995): Globalisierung und Regionalisierung. In: Geographische Zeitschrift, 83. Jg., Nr. 1, S. 207–221. OSSENBRÜGGE, J. (2007): Globalisierung und Fragmentierung als Pole der gesellschaftlichräumlichen Differenzierung im neuen Jahrtausend. In: H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke und P. Reuber (Hrsg.): Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Heidelberg, S. 832–842. REHBEIN, B.; SCHWENGEL, H. (2008): Theorien der Globalisierung. Konstanz.

2

Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

Der Eindruck, dass die Internationalisierung der Wirtschaft ein Vorgang der Gegenwart und Ausdruck einer modernen strategischen Konzeption ist, täuscht. Denn bereits für die Vor- und Frühgeschichte lassen sich geographisch weit reichende und verschiedene Erdräume in Verbindung setzende Wirtschaftsverflechtungen nachweisen. Dieses Kapitel stellt einen historischen Abriss vom Altertum bis zum Zeitalter der Globalisierung im heutigen Kontext und den damit verbundenen Raummustern dar. Es endet mit einer Bestandsaufnahme der jüngsten Weltwirtschaftskrise, da diese eine gravierende Zäsur in der Entwicklung der Weltwirtschaft markiert.

2.1

Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen

2.1.1

Altertum

Erste, wenn auch primitive Ansätze der Internationalisierung in Form eines überregionalen Tauschhandels sind bereits aus dem Siedlungswesen der Jungsteinzeit (ca. 5000 v. Chr.) bekannt. Ein früher, quasi-staatlich organisierter Handel ist erstmals aus den sumerischen und babylonischen Stadtkulturen (nach 4000 v. Chr.) überliefert, die an verschiedenen Standorten Stützpunkte errichteten, mit denen sie einen intensiven Fernhandel unterhielten. Assyrische Kaufleute betrieben bereits um 1750 v. Chr. einen weit reichenden Zinnhandel, dessen Zentrum in der anatolischen Bronzekultur lag, und galten als erste Fernhandelsunternehmer. Die Ägypter unterhielten einen regen Fernhandel mit den Völkern im heutigen Mittleren Osten, die Griechen vor allem mit den Phöniziern, mit ihren Kolonien in Asien sowie mit Regionen in Afrika, Indien und Persien. Um 500 v. Chr. bestand in Europa mit den Etruskern ein Netz von Handelsbeziehungen, welche den gesamten Mittelmeerraum abdeckten und bis nach Schweden und Irland reichten. Diese gingen im Reich der Römer auf, die den Handel mit Ost- und Nordeuropa, Mittel- und Westafrika sowie Regionen in Asien

20

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

ausbauten. Allgemein erschlossen Fernkaufleute immer neue und weiter entlegene Märkte, die entstehenden Handelsnetzwerke erreichten interkontinentale Ausmaße und gewannen mehr und mehr an Intensität (vgl. DÜLFER 2002: 72f.; MOORE/LEWIS 1999: 269ff.). Ein bedeutendes Beispiel für ein frühes, bis in die heutige Zeit persistentes, Kontinente und Länder übergreifendes Handelssystem ist die von dem venezianischen Kaufmann Marco Polo in seinem berühmten Reisetagebuch von 1298 dokumentierte Seidenstraße, welche seit der Römerzeit bis zur Entdeckung eines Seefahrtsweges an Afrika vorbei und bis zur Errichtung entsprechender Seefahrtsrouten durch die Portugiesen die bedeutendste Handelsverbindung zwischen Europa und China darstellte. Auf diesem Weg tauschte der Westen u. a. Glas, Gold und Edelmetalle gegen Seide, Gewürze und Porzellan aus dem Osten. Auch technische Innovationen (z. B. der Kompass), das Schießpulver sowie mathematisch-naturwissenschaftliche Errungenschaften, deren Ursprünge in China vermutet werden, gelangten über die Seidenstraße nach Europa.

2.1.2

Mittelalter und frühes Kolonialzeitalter

Die sich mit dem Zerfall des römischen Imperiums zunächst abschwächenden Handelsbeziehungen erhielten erst ab dem späten Mittelalter wieder deutlichen Auftrieb. Eine besondere Bedeutung kam der Hanse zu, einem von norddeutschen in Zusammenarbeit mit russischen und holländischen Kaufleuten gegründeten, bis dato einmaligen privatwirtschaftlichen Handelsnetzwerk. Zu seiner Blütezeit im ausgehenden 14. Jahrhundert gehörten dem Hansebund rund 200 Städte entlang der Nord- und Ostsee, aber auch im Binnenland an. Die Hanse hatte für mehr als 300 Jahre das Monopol für den regionalen Handel westeuropäischer Fertigerzeugnisse und Bodenschätze gegen agrar- und forstwirtschaftliche Waren aus dem Baltikum und Nordrussland über die Nord- und Ostsee inne. Erst die Folgen des Dreißigjährigen Krieges und das Erstarken der europäischen Nationalstaaten führten Ende des 17. Jahrhunderts zum Niedergang der Hanse (vgl. WALTER 2006: 53ff.; WELGE/HOLTBRÜGGE 2010: 2). Mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Handels im Norden ging der Aufstieg des Südens einher, der vor allem auf dem Erfolg einzelner Handelsgeschlechter beruhte. So waren die in Augsburg ansässigen Fugger (seit 1367) im grenzüberschreitenden Handel, dem Bankengeschäft und im Bergbau aktiv. Da sich die Bergwerke überwiegend im Ausland (u. a. Spanien, Ungarn, Tirol, Kärnten) befanden und daneben auch Faktoreien, d. h. ausländische Handelsniederlassungen, in Skandinavien, Russland und Südeuropa errichtet wurden, liegen hier erste Ansätze ausländischer Direktinvestitionen bzw. ein frühes Beispiel für einen multinationalen Konzern vor. Eine auf ähnlichen Gebieten erfolgreiche Handelsdynastie waren die seit 1240 ebenfalls in Augsburg, später auch in Nürnberg ansässigen Welser. In Südeuropa ist das berühmte Handelsgeschlecht der Medici aus Florenz anzuführen, die ursprünglich im Tuchhandel, später auch im Geldgeschäft grenzüberschreitend aktiv waren und bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts Handelsniederlassungen quer durch Europa errichtet hatten. In Brügge in Flandern befand sich im Haus der Patrizierfamilie van der Beurse die erste Börse – diejenige Institution, die bis heute die wirtschaftliche Dimension der

2.1 Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen

21

Globalisierung prägt. Bereits damals kamen dort Banker, Kaufleute und Erzeuger zusammen, um ihre Geschäfte abzuwickeln (vgl. DÜLFER 2002: 79f.; DUNNING 1998: 98; FÄßLER 2007: 57). Im ausgehenden Mittelalter fanden die ersten kolonialen Bestrebungen statt. Den Beginn dieser neuen Epoche markieren die europäischen Entdeckungsreisen, insbesondere – auf der Suche nach dem Seeweg nach Westindien – die Entdeckung der karibischen Inseln und des amerikanischen Festlandes durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492, welche den Startschuss für die Beziehungen zwischen den bis dahin getrennten Gesellschaften Europas und Amerikas darstellt. Damit begann das Zeitalter des Kolonialismus, d. h. die staatliche Aneignung, Beherrschung und Ausbeutung von meist überseeischen Gebieten außerhalb des eigenen Staatsgebietes. Die koloniale Expansion war Ausdruck des Merkantilismus. Dieser stand für die zentralistische Wirtschaftspolitik des absolutistischen Staates. Für den Merkantilismus charakteristisch waren die Hegemonie des Staates über die Wirtschaft und das Streben nach Expansion. Ziel war das Erreichen einer politischen und militärischen Hegemonialstellung durch Förderung der inländischen Produktivkräfte. Dabei kommt dem Außenhandel eine Schlüsselrolle zu, indem eine aktive Handelsbilanz durch Erwirtschaftung von Außenhandelsüberschüssen angestrebt wurde. Während Exporte vom Staat gefördert wurden, sollten Importe künstlich erschwert werden. Die Maßnahmen zur Begrenzung der Einfuhr reichten von Zöllen über Mengenkontingente bis hin zu totalen Importverboten. Die Instrumente zur Förderung der Ausfuhr erstreckten sich von Subventionen, der Gewährung steuerlicher Privilegien bis zur Verleihung von Handels- und Produktionsmonopolen an private oder staatliche Unternehmen. Sogar die Entfesselung von Handelskonflikten, notfalls flankiert durch militärische Unterstützung, gehörte zum merkantilistischen Inventar, wie die europäischen Kolonialmächte, die aus ihren Kolonien billige Rohstoffe bezogen und teure Fertigwaren dorthin lieferten, demonstrierten. Durch den europäischen Kolonialismus wurden letztlich alle Kontinente in den Handel und die Produktion von Gütern einbezogen und erste Grundzüge einer neuen Weltwirtschaft sichtbar gemacht. Die Integration der Niederlande, Portugals und Englands in das schon lange existierende Handelsnetz Asiens, die Verbindung Europas, Afrikas und Asiens durch den kolonialen Dreieckshandel, der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgenommene Schiffsverkehr zwischen Amerika und Asien sowie die späte Entdeckung Australiens veränderten die politisch-ökonomische Weltstruktur und bildeten erdumspannende Kolonialreiche heraus. Allerdings versuchten die europäischen Mächte auf sehr unterschiedliche Weise, die überseeischen Gebiete zu unterwerfen. In Afrika und Asien sicherten Portugiesen, Niederländer und Briten an den Küsten gelegene Handelsstützpunkte militärisch ab, wobei sich Klima, Vegetation, Krankheiten und lokale Machtverhältnisse als große Hürden bei der Erschließung des Landesinneren erwiesen. In Amerika dagegen gestatteten das günstige Klima, nur dünn besiedelte Gebiete und ein geringer Widerstand der dortigen Bevölkerung Spanien, England und Frankreich die rasche Unterwerfung weiter Landesteile. In Lateinamerika erfolgte nach Zerschlagung der Reiche der Azteken, Maja und Inka durch die Spanier die Aneignung von Edelmetallen, die Okkupation von Land durch die Haciendaökonomie und die Errichtung viehwirtschaftlicher Großbetriebe („estancias“). In der Karibik

22

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

breitete sich das Plantagensystem aus, das Monokulturgüter produzierte und alleine den merkantilistischen Interessen der Mutterländer zu dienen hatte (vgl. SCHOLZ 2004: 55ff.; FÄßLER 2007: 62f.). Von Westafrika weiteten die Akteure in den kolonialen Mutterländern den Sklavenhandel aus, der als atlantischer bzw. kolonialer Dreieckshandel Europa mit Afrika und Amerika durch die Seeschifffahrt verband (vgl. Karte 1).

Atlantischer Ozean KUBA Santo Domingo Barbados

0

1250 km

Kartographie: D. Schlesinger 2012 Kartengrundlage: Knox/Agnew 1994: 276

Karte 1:

Kolonialer Dreieckshandel

Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert wurden Sklaven von der afrikanischen Westküste aus in die Überseekolonien Amerikas transportiert. Dort zwang man sie zur Arbeit auf Plantagen, deren Produkte (u. a. Rum, Tabak, Zucker, Baumwolle) für die europäischen Märkte bestimmt waren. Von Europa aus wurden wiederum einfache manufakturelle Fertigerzeugnisse (u. a. Stoffe, Leder- und Glaswaren, Stahl- und Bronzebarren, aber auch Feuerwaffen) nach Westafrika exportiert, um damit neue Sklaven einzuhandeln. Neben dem kolonialen Dreieckshandel bildeten sich, ebenfalls im Zuge der europäischen kolonialen Expansion, auch zunehmende Wirtschaftsbeziehungen mit Süd- und Ostasien heraus. Einen bedeutenden Fixpunkt der kolonialen Expansion bildete vor allem Indien, von

2.1 Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen

23

wo aus Gewürze, Baumwolle, Seide, Schmuck, Kunstgegenstände etc. nach Europa gelangten. Abgewickelt wurde dieser Handel zunächst von portugiesischen, ab dem 16. Jahrhundert auch von französischen, holländischen, britischen und dänischen Kaufleuten und Seefahrern. Wegen eines steigenden Kapitalbedarfs schlossen sich Kauf- und Seeleute zu privatwirtschaftlich agierenden Handelsgesellschaften zusammen. Diese erhielten weitgehende militärische und rechtliche Befugnisse wie die Bewaffnung von Handelsschiffen, die Bewirtschaftung von Plantagen, die Errichtung von Forts und befestigten Faktoreien, Steuereinziehung und -verwaltung sowie die Ausübung der Münz- und Gerichtshoheit. Sie schufen wirtschaftliche Verknüpfungen mit den noch weitgehend unbekannten Gebieten in Übersee und galten aufgrund ihrer Privilegien als wichtiges Werkzeug kolonialer Expansion. Bedeutende Beispiele waren u. a. die 1600 gegründete „British East India Company“ und die 1602 ins Leben gerufene niederländische „Vereenigde Oostindische Compagnie“ (vgl. DÜLFER/ JÖSTINGMEIER 2008: 22f.; BRAUDEL 1986: 544ff.; WALTER 2006: 93, 149ff. und 159ff.).

2.1.3

Industrielle Revolution und Imperialismus

Eine besondere Triebkraft internationaler Unternehmenstätigkeit war die Industrielle Revolution, deren in England liegender Ursprung auf Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts zu datieren ist. Zu ihren Auslösern zählte neben dem Einsatz von Kohle als weithin verfügbarer Energieträger die zunehmende Mechanisierung der Produktion, sowohl in der Landwirtschaft als auch im Handwerk und in den frühen Manufakturen. Die Mechanisierung der Landwirtschaft führte zum geringeren Einsatz von Arbeitskräften, so dass angesichts einer wachsenden Bevölkerung ein Arbeitskräfteüberhang entstand, der von der sich entwickelnden Industrie genutzt werden konnte. Darüber hinaus wurde die Industrialisierung von einer steigenden Nachfrage nach Gütern und einer zunehmenden Kapitalverfügbarkeit getragen, wie es für die kapitalistisch-merkantilistische Phase kennzeichnend war. Die Mechanisierung der Produktion basierte wesentlich auf der Erfindung und Einführung neuer Techniken (mechanischer Webstuhl, Dampfmaschine, Eisenbahn u. a.). Mechanische, wasser- und später dampfkraftgetriebene Webstühle wurden in großem Stil eingesetzt und es entstanden erste größere Fabrikanlagen der Textilindustrie. Der benötigte Rohstoff Baumwolle wurde in wachsenden Mengen aus den Überseekolonien angeliefert, insbesondere aus Indien und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend von den Plantagen im Süden der USA. Bis 1841 hatte sich die Baumwoll- und Textilindustrie, trotz der durch die Mechanisierung bedingten Erhöhung der Arbeitslosigkeit unter den Handwebern, zum größten Arbeitgeber Großbritanniens entwickelt. Neben der Textilindustrie wuchsen neue Wirtschaftszweige, im 18. Jahrhundert vor allem die Eisen- und Stahlindustrie sowie stahlverarbeitende Sektoren wie der Schiff- und der Eisenbahnbau. Es begann das Zeitalter der fabrikmäßigen Massenproduktion von Industriegütern, für deren Absatz die Unternehmen mit großem Nachdruck globale Expansionsstrategien entwickelten. Insgesamt führte damit ein ganzes Bündel von Faktoren zur Entstehung einer industriellen Wirtschaftsweise unter kapitalistischen Bedingungen (vgl. Abbildung 1).

24

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster Kolonien als Rohstofflieferanten, Märkte und Aufnahmeräume für Bevölkerungsüberschuss

Freies Unternehmertum mit Gewinnstreben

Überseehandel, führende Seemacht

Ausbau, Beschleunigung von Transport und Kommunikation

Industrialisierung

Maschinenbau, Investitionsgüter, Dampfmaschinen

Massenproduktion unter Arbeitsteilung in Fabriken, Erfindungskette, Innovationen Kapitalakkumulation

Modernisierung der Landwirtschaft, Pacht und Geldwirtschaft

Abbildung 1:

Urbanisierung

Freisetzung von Arbeitskräften

Bevölkerungswachstum

Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz

Faktoren des Industrialisierungsprozesses; Quelle: BRÜCHER 1982: 14.

In Abgrenzung zum Merkantilismus sowie im Zuge der Aufklärung gewannen die Ideale des Freihandels (vgl. Kapitel 3.1.2, 3.1.4) und Liberalismus an Bedeutung, welche dem Staat eine weitgehende Zurückhaltung in wirtschaftlichen Belangen verordneten und den Außenhandel von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen befreiten. Dies intensivierte den zwischenstaatlichen Handel und schuf günstige Ausgangsbedingungen für die sich ausbreitenden weltwirtschaftlichen Verflechtungen (vgl. FÄßLER 2007: 75f.). Begünstigt durch diese Entwicklungen entstanden Ende des 19 Jahrhunderts erste transnationale Unternehmen, die nicht nur weltumspannende Handelsaktivitäten, sondern auch Tochtergesellschaften im Ausland gründeten. Neben dem Außenhandel wurden damit auch Direktinvestitionen zu einer wichtigen Kenngröße der Internationalisierung. Vor allem englische Unternehmen verschafften sich dadurch in Europa, China, den USA und anderen Ländern eine Vormachtstellung. In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts begannen auch deutsche Unternehmen (z. B. BASF, Hoechst, Bayer, Degussa, Schering, Siemens, AEG) damit, ein weit reichendes Netz ausländischer Tochtergesellschaften zu errichten (vgl. WELGE/HOLTBRÜGGE 2010: 3). Die Industrielle Revolution verstärkte – gepaart mit den Freihandelsideen des Liberalismus – agrarische, bergbauliche und siedlungsmäßige Kolonisationsprozesse in Übersee, die vom Staat gestützt wurden. In dem Umfang, wie sich Großbritannien und andere Staaten Europas im Prozess von Industrialisierung und „Nationbuilding“ befanden, veränderte sich die anfangs eher offene Einflussnahme auf überseeische Wirtschaftsräume zu einem imperialistischen Interessensystem, das in der Suche und militärischen Sicherung von Rohstoffquellen, Absatzmärkten sowie Investitionsmöglichkeiten zum Ausdruck kam (Imperialismus).

2.1 Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen

25

Innerhalb der Kolonialimperien entwickelte sich eine spezifische internationale Arbeitsteilung in Form häufig privatwirtschaftlich organisierter, überseeischer Netzwerke, innerhalb derer inländische Produktionsüberschüsse in den Kolonien abgesetzt und von dort billige Rohstoffe und Kolonialwaren bezogen wurden – ein System, das in vielen Entwicklungsländern auch nach Erlangung der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren immer noch spürbar ist (vgl. SCHOLZ 2004: 66ff; DÜLFER 2002: 85ff.).

2.1.4

Triadisierung und Neue internationale Arbeitsteilung

Nachdem sich durch den Ersten Weltkrieg die internationalen Wirtschaftsbeziehungen stark rückläufig entwickelten, ging der Außenhandel aufgrund des aufkommenden Nationalismus und Protektionismus sowie durch das Vorhaben vieler Staaten, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Industrien durch die gezielte Abwertung ihrer Währungen zu Lasten der Außenhandelspartner zu steigern, stark zurück. Ein sehr tiefer Einschnitt erfolgte Ende der 1920er Jahre mit der Weltwirtschaftskrise. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dann viele internationale Wirtschaftsbeziehungen zur Gänze eingestellt. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges etablierte sich eine neue geopolitische Weltordnung, die zunächst vor allem durch die Spaltung in einen kapitalistisch ausgerichteten Block westlicher Industrieländer einerseits (die USA und deren Verbündete einschließlich der besiegten Länder Japan und Deutschland) und einen kommunistisch orientierten Block östlicher Staaten (die Sowjetunion und ihre verbündeten Staaten) andererseits charakterisiert war (Erste und Zweite Welt). Die Nationen des globalen Südens, die keiner dieser beiden Staatengruppen angehörten, waren die wirtschaftlich schwächsten Weltmarkteilnehmer und wurden unter dem Begriff „Dritte Welt“ (vgl. Kapitel 4.1.2) zusammengefasst (vgl. DICKEN 2003: 32f.). Diese drei Blöcke entwickelten unterschiedliche Strategien, um ihren Einfluss geltend zu machen und einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen. Die sozialistischen Staatshandelsländer, angeführt von der Sowjetunion, vereinigten sich im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und schotteten sich relativ stark vom Welthandel ab. Viele Entwicklungsländer suchten nach einem „Dritten Weg“ zwischen kapitalistischer Marktund sozialistischer Staatswirtschaft. Die weltwirtschaftliche Entwicklung der westlichen Ökonomien war im Wesentlichen von den USA und deren wirtschaftlichen sowie politischen Interessen dominiert. Damit lösten die USA Europa endgültig als vormals führende Region in einer monopolaren Weltwirtschaft ab und übernahmen die zentrale Rolle in einer nunmehr bipolaren globalen Ordnung. Mit dem Aufstieg Japans zu einer globalen wirtschaftlichen Macht und dem Erstarken der ostasiatischen Tigerstaaten (Hongkong, Singapur, Taiwan und Südkorea) begann die Herausbildung eines auch heute noch führenden triadischen Systems, bestehend aus Nordamerika, Europa und dem japanisch dominierten Wirtschaftsraum im asiatisch-pazifischen Becken. Auch nach Zusammenbruch des Sozialismus Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre besteht diese Triade weiterhin fort (vgl. Abbildung 2). Auf die drei triadischen Schwerpunkträume entfallen über zwei Drittel des Weltsozialproduktes sowie des Welthandels,

26

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

während die Entwicklungsländer des sog. Südens kaum vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren konnten. Monopolar (bis 1900)

Bipolar (bis 1945) USA

Europa

Rest der Welt

Rest der Welt Europa

Ost-West-Dualismus (bis ca. 1970) USA

UdSSR

Japan

Westeuropa

China

Triadisch-dualistisch (bis 1989) Nordamerika

Satellitenstaaten

UdSSR

Ostasien (Japan und Tigerstaaten)

Satellitenstaaten

China

Vereinigtes Europa Westen

Entwicklungsländer (blockfrei)

Osten

Westen

Entwicklungsländer (blockfrei)

Osten

Triadisch-multipolar (seit 1990) Nordamerika Norden

Europäische Union Transformationsländer in OME 1)

1) Ost-Mitteleuropa

Abbildung 2:

Süden

Asiatisch-pazifischer Wirtschaftsraum 2)

China

Entwicklungsländer

2) unter Vormachtstellung Japans

Von der mono- zur multipolaren Weltordnung; eigene Darstellung nach MÜLLER/KORNMEIER 2002a: 52; PAPP 1997: 159ff.

Neben der Triadisierung und den damit verbundenen räumlichen Schwerpunktverschiebungen der Weltwirtschaft hat sich im 20. Jahrhundert auch die Form der internationalen Arbeitsteilung stark verändert. Wie bereits am Beispiel des kolonialen Dreieckshandels gezeigt, bestand die alte internationale Arbeitsteilung vor allem aus dem grenzüberschreitenden Handel von Gütern, wobei sich viele Staaten auf bestimmte Gütergruppen (z. B. Rohstoffe, verarbeitete Produkte) spezialisierten. Mit den seit 1950 wieder stark anwachsenden Direktinvestitionen transnationaler Unternehmen verschob sich jedoch der Fokus des globalen Handels vom intersektoralen Austausch hin zum intrasektoralen und IntraUnternehmenshandel, der auch als Neue Internationale Arbeitsteilung oder „New International Division of Labor“ (NIDL) bezeichnet wird. Für diese Veränderung weltwirtschaftlicher Beziehungen gibt es drei wesentliche Ursachen (vgl. FRÖBEL ET AL. 1977: 30f.):  In den Entwicklungsländern hat sich im Laufe der Zeit ein enormes Potenzial an Arbeitskräften herausgebildet, wobei die Arbeitskosten weit unter denen in den entwickelten westlichen Staaten liegen. Gearbeitet und gefertigt wird häufig in freien Exportzonen.  Die weitreichende Fragmentierung des Produktionsprozesses erlaubt die Übertragung insbesondere standardisierter Produktionsprozesse auf gering qualifizierte, angelernte Arbeitskräfte.

2.1 Frühe Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen

27

 Entwicklungen in der Transport- und Kommunikationstechnik schließlich reduzieren die Raumüberwindungskosten (vgl. Kapitel 8.2), so dass sich die Reichweite von Unternehmen deutlich erhöht und eine weltweite Standortwahl erlaubt. In der Folge entsteht eine dreiteilige Hierarchie der unternehmensinternen Arbeitsteilung, die sich aus mehreren Funktionen zusammensetzt:  Unternehmerisches Management, Kontrollfunktionen und wissensintensive Forschungsund Entwicklungsaufgaben an der Spitze (i. d. R. in Industrieländern),  gefolgt von Produktionsschritten, welche eine mittlere bis hohe Qualifikation erfordern (z. B. in den Peripherien der Industrieländer) und  als unterste Stufe standardisierte und arbeitsintensive Produktionsaufgaben ohne besondere Ausbildungsanforderungen im Rahmen von Prozessen der Lohnveredelung (i. d. R. in Entwicklungsländern). Nach dem NIDL-Modell entspricht jeder Stufe dieser funktionalen Pyramide ein bestimmter Produktionsraum, der die vorteilhafteste Faktorausstattung aufweist und internationale Standortentscheidungen nachvollziehbar macht. Jüngere Entwicklungen internationaler Produktionsverflechtungen zeigen jedoch, dass die ökonomischen Zentren bzw. Industrieländer den Großteil der Weltwirtschaft beherrschen. Deutlichste Ausprägung dieses Aspekts der weltweiten Arbeitsteilung ist die Triadisierung und die damit verbundene räumliche Schwerpunktsetzung der Weltwirtschaft auf die drei Kernräume Nordamerika, Europa sowie Ost- und Südostasien. Die Gründe für die Konzentration von Standorten auf die Triade liegen darin, dass Arbeitskosten einer arbeitsintensiven Massenproduktion in vielen Sektoren der Industrie keineswegs mehr einen dominierenden Einfluss ausüben. Im Rahmen des technologischen Fortschritts wird Arbeit durch Kapital ersetzt, woraus Produktivitätssteigerungen resultieren. Steigende Qualitätsanforderungen an die Produktion, kundenorientierte Anpassungen der Produkte sowie Servicedienstleistungen bedingen die Nähe zum Endabnehmer, wie sie im Rahmen der zuvor dargestellten Neuen Internationalen Arbeitsteilung aufgrund der erheblichen räumlichen Distanzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nicht möglich war. Mangelnde Produktionsqualitäten in unterentwickelten Ländern sowie die Notwendigkeit qualifizierter Arbeitskräfte für Hightech-Produktionen können ebenfalls für Standorte innerhalb der Triade sprechen. Auch steigende Energiepreise machen den früher als preiswert geltenden weltweiten Transport von Gütern zunehmend unattraktiv und können in Industrieländern zur punktuellen Reanimierung von einstmals aus Kostengründen stillgelegten Produktionskapazitäten sowie zu Rückverlagerungen von Produktionsschritten führen. Gleichzeitig nehmen in Regionen, die man lange Zeit aufgrund sehr günstiger Arbeitskosten als Standort arbeitsintensiver Produktions- und Veredelungsprozesse nutzte (z. B. China und andere Teile Ostasiens), sukzessive die Löhne zu. In einer solchen Situation schlagen die Transportkosten besonders zu Buche – dies noch umso mehr, wenn es sich um Produkte von geringem Wert und/oder mit

28

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

hohem Gewicht handelt. Wettbewerbsvorteile von Standorten in Niedriglohnländern gehen damit verloren mit der Konsequenz, dass Standorte in Industrieländern mit der Nähe zum Endabnehmer – trotz der vergleichsweise noch immer hohen Lohnkosten – wieder eine Aufwertung erfahren. So hat z. B. der Möbelhersteller IKEA 2008 eine neue Produktion in Virginia (USA) errichtet, und in den USA ansässige Stahlproduzenten verzeichneten im selben Jahr Umsatzsteigerungen von bis zu 30% bei gleichzeitig um bis zu 15% fallenden, vor allem aus dem asiatischen Raum stammenden Importen.

2.2

Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

Neben der Triadisierung und der Neuausrichtung der internationalen Arbeitsteilung haben in den letzten Jahrzehnten weitere tief greifende wirtschaftliche, politische und technologische Änderungen das Gesicht der Weltwirtschaft verändert, die einen entscheidenden Beitrag zum Prozess der Globalisierung der Wirtschaft geleistet haben:  Mit Gründung des GATT bzw. der Welthandelsorganisation (WTO) (vgl. Kapitel 5.2) sind weit reichende Maßnahmen zur Handelsliberalisierung ergriffen worden. Da die Bestimmungen für die internationale Handelspolitik für die Mitgliedsländer auch rechtlich verbindlich sind, sehen sich Unternehmen mit der Erschließung neuer Absatz- und Beschaffungsmärkte im Ausland, aber auch neuen Wettbewerbern in den Heimatmärkten konfrontiert.  Parallel zur multilateralen Handelsliberalisierung entstehen große Regionalintegrationen, wie z. B. EU, MERCOSUR, NAFTA oder ASEAN (vgl. Kapitel 6), die nach innen weitreichende Liberalisierungstendenzen aufweisen, nach außen aber nach wie vor häufig an Handelshemmnissen festhalten. Weltweit operierende Unternehmen müssen diese Wirtschaftsräume deshalb in vielen Fällen über investive Auslandsaktivitäten „von innen“ erschließen.  Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung der sog. Emerging Markets (vgl. Kapitel 4.1.3), vor allem in Ost- und Südostasien, Lateinamerika und weiten Teilen Osteuropas, konnten sich neue, erfolgreiche Unternehmen aus diesen Ländern auf dem Weltmarkt etablieren. Diese verfolgen in vielen Fällen eine auslandsorientierte und expansive Unternehmensstrategie.  Der Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion und Osteuropa sowie die wirtschaftliche Neuorientierung und Dynamik großer Zukunftsmärkte wie Indien und der Volksrepublik China (vgl. Kapitel 4.1.4) haben den wirtschaftsräumlichen Aktionsradius für Unternehmen zusätzlich erweitert.  Der technologische Wandel, insbesondere die Entstehung und Diffusion innovativer Informations- und Kommunikationsformen, bietet Unternehmen neue Möglichkeiten zur räumlichen Konfiguration der Unternehmensaktivitäten.

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

29

Ausdruck des durch die geschilderten Entwicklungen begünstigten globalen Wettbewerbs ist ein in Relation zum Wachstum der weltwirtschaftlichen Leistung überproportionaler Anstieg internationaler, grenzüberschreitender wirtschaftlicher Interaktionen. Dabei handelt es sich um:  Die Zunahme des Außenhandels, welche zur Internationalisierung der Märkte für Waren und Dienstleistungen führte (vgl. Kapitel 2.2.1),  die Zunahme der internationalen Direktinvestitionen, aus der eine Internationalisierung der Produktion resultierte (vgl. Kapitel 2.2.2),  den Anstieg der Finanzströme, welcher die Bildung eines international integrierten Kapitalmarktes begünstigte sowie  die verstärkte Migration von Arbeitskräften, die zur Entstehung internationaler Arbeitsmärkte führte. 1980=100 3 500

weltweite Direktinvestitionsströme Weltexporte Weltsozialprodukt

3 000

2 500

2 000

1 500

1 000 500

0 1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Abbildung 3:

Entwicklung von Weltsozialprodukt, Weltexporten und weltweiten Direktinvestitionsströmen; Quelle: UNCTAD 2012; WTO 2011a; eigene Berechnungen.

Internationale Finanzströme, die in Form von Portfolioinvestitionen, d. h. Wertpapieranlagen wie Obligationen, Investmentzertifikate oder Aktien, auftreten und zum überwiegenden Teil kurzfristiger Natur sind, bleiben im Folgenden unberücksichtigt. Dasselbe gilt für die Wanderung von Arbeitskräften, welche als Wachstumsdeterminante auf der internationalen Maßstabsebene eine vergleichsweise noch geringe Bedeutung aufweisen. Im weiteren Verlauf werden dagegen nur der weltweite Außenhandel und die internationalen Direktinvestitionen thematisiert. Charakteristisch für diese beiden Symptome der Globalisierung sind Wachstumsraten, die seit den letzten zwei bis drei Jahrzehnten deutlich über denen des Weltsozialprodukts liegen (vgl. Abbildung 3).

30

2.2.1

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

Entwicklungstendenzen des Welthandels

Entwicklung des Welthandelsvolumens Abbildung 4 zeigt, wie stark der Welthandel – gemeint ist im Folgenden der internationale Warenexport (Warenhandel) – seit Ende des Zweiten Weltkriegs gestiegen ist. Die Gründe für das starke Wachstum des Außenhandels der letzten Jahrzehnte liegen neben der im Wesentlichen durch die internationale Verflechtung erst ausgelösten Steigerung des Wohlstandsniveaus vor allem in den beachtlichen Erfolgen zur Liberalisierung des Welthandels durch das GATT bzw. die Welthandelsorganisation (WTO) (vgl. Kapitel 5.2). Ferner hatten die Bildung von Regionalintegrationen (vgl. Kapitel 6) sowie die drastische Abnahme der Transport- und Kommunikationskosten (vgl. Kapitel 8) deutliche Wirkung auf die in der jüngeren Vergangenheit stattgefundene beispiellose Ausweitung des Handelsaustausches. Bei der Betrachtung des Welthandelsvolumens ist allerdings zu beachten, dass durch eine global vernetzte Produktion insbesondere Halbfertigfabrikate heutzutage mehrfach Grenzen überschreiten, was in jüngerer Zeit für eine gewisse statistische Aufblähung des Handelsvolumens gesorgt hat. Der Welthandel entwickelt sich dabei keineswegs gleichmäßig, sondern wird von der Entwicklung der Weltwirtschaft bestimmt. Konjunkturelle Aufschwünge und ein dynamisch verlaufendes Wirtschaftswachstum verstärken die Nachfrage nach Gütern aus dem Ausland und beeinflussen den Welthandel positiv. Umgekehrt beeinträchtigen wirtschaftliche Krisen den Welthandel negativ. Ein rückläufiges Wirtschaftswachstum lässt die Importe aus anderen Ländern zurückgehen, womit deren Exporterlöse sinken und aufgrund mangelnder Devisen die Importfähigkeit nachlässt sowie gegebenenfalls die Auslandsverschuldung zunimmt. So hat die weltweite Wirtschaftskrise 2008/2009 (vgl. Kapitel 2.3) den Welthandel empfindlich in Mitleidenschaft gezogen. Ausschlaggebend dafür war zum einen ein weltweiter Nachfragerückgang, zum anderen hat sich aufgrund der wachsenden Risikoscheu der Banken der Markt für Exportfinanzierungen verschlechtert. Ferner ist zu beachten, dass Regierungen vor allem in Krisenzeiten zum Erhalt der inländischen Beschäftigung immer wieder zu Maßnahmen des Protektionismus (z. B. Zölle, Importquoten etc.) greifen, welche den internationalen Güteraustausch weiter reduzieren (vgl. Kapitel 3.1.4). Gegenüber 2008 sind die Weltexporte 2009 so stark eingebrochen wie nie zuvor. Mit der 2010 einsetzenden Wiederbelebung der Weltkonjunktur begann sich auch der Welthandel wieder zu erholen. So stieg 2010 der Wert der Weltexporte gegenüber dem Vorjahr um 14,5% an, was das größte jährliche Wachstum seit 1950 darstellt. 2011 fiel das Wachstum dann wieder etwas gedämpfter aus.

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

31

Mrd. US-$ 18 000 17 000 16 000 15 000 14 000 13 000 12 000 11 000 10 000 9 000 8 000 7 000 6 000 5 000 4 000 3 000 2 000 1 000 0

1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

Abbildung 4:

Entwicklung der Weltexporte seit 1950; Quelle: WTO 2012.

Sektorale Strukturen des Welthandels Was die sektorale Struktur des Welthandels angeht, ist ein anhaltender Bedeutungsverlust des Handels mit Primärgütern zu verzeichnen. Während der wertmäßige Anteil von Rohstoffen am Welthandel 1970 noch 36% betrug, lag der Anteil von Agrargütern, Bergbauprodukten und Brennstoffen im Jahr 2010 nur noch bei knapp 30%. Dennoch kommt dem globalen Rohstoffhandel aufgrund der ungleichen Verteilung von Ressourcen auf der Erde eine bedeutende Rolle zu. Wie die Energiekrisen des letzten Jahrhunderts und die insbesondere zwischen 2002 und 2008 erlebte Rohstoffverknappung am Weltmarkt verdeutlichen, ist die Rohstoffversorgung der produzierenden Wirtschaft längerfristig nicht sicher gestellt. Dabei hängt die physische Verfügbarkeit von Rohstoffen nicht allein von der Nachfrage aus der Industrie ab, sondern wird in einer globalisierten Welt immer stärker auch über Rohstoffbörsen gesteuert.

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

Entwurf: D. Schlesinger Kartographie: D. Schlesinger 2012 Kartengrundlage: Eurostat External and Intra-EU trade Statistical Yearbook 2011

32

Karte 2:

Bedeutendste Lieferländer für agrarische, mineralische und energetische Rohstoffe der Europäischen Union 2010.

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

33

Der Rohstoffhandel übernimmt den Ausgleich von Angebot und Nachfrage von Rohstoffen. Infolge verbesserter technischer Entwicklungen wurden dabei die Transportentfernungen immer länger. Denn die für den Wirtschaftsprozess benötigten Rohstoffe werden heutzutage weltweit bezogen. Dieses Global Sourcing bedeutet eine vermehrt strategische Ausrichtung der Wirtschaft auf internationale Beschaffungsmärkte. Die Dimension dieser globalen Beschaffungspolitik lässt sich exemplarisch anhand der Rohstoffimporte der Europäischen Union im Jahr 2010 aufzeigen (vgl. Karte 2). Anders als bei Gütern der inländischen Rohstoff- bzw. Nahrungsmittelselbstversorgung (Food Crops) wurden die Rohstoffe der Exportwirtschaft (Cash Crops) wegen ihrer hohen Bedeutung für den Mechanismus globaler Wertschöpfungsprozesse zunehmend Gegenstand eines Handels an organisierten Warenterminbörsen (vgl. Exkurs 1). Exkurs 1: Warenterminbörsen und Preisbildung im Rohstoffhandel Die Preisbildung für gängige Rohstoffe erfolgt heute hauptsächlich an den großen Warenterminbörsen Nordamerikas, Europas und Asiens in Form von Futures-Kontrakten. Nur ein geringer Teil wird direkt gekauft (Spotmarkt). In einem Futures-Kontrakt werden die Rahmenbedingungen des Termingeschäftes (Liefertermin, Rohstoffmengen und Lieferort) festgelegt. Die Fälligkeiten der Lieferkontrakte sind je nach Rohstoff unterschiedlich. Bei Agrarrohstoffen spielt z. B. auch die Erntesaison eine wichtige Rolle. An den Rohstoffbörsen haben heute Derivate folglich eine größere Rolle als physische Waren. Die Besonderheit der Geldanlage in Rohstoffen liegt darin, dass i. d. R. nicht der Rohstoff selbst gekauft wird, sondern ein entsprechender Terminkontrakt. Diesen Terminkontrakt muss der Anleger rechtzeitig vor Fälligkeit wieder verkaufen, um nicht mit physischen Rohstoffen beliefert zu werden. Dabei ist ein Terminkontrakt mit einer längeren Laufzeit stets teurer als mit einer kürzeren. Als wichtigste Rohstoffterminbörsen gilt in Europa die London Metal Exchange (LME), an der Basismetalle gehandelt werden, sowie die ebenfalls in London beheimatete ICE Futures Europe (Intercontinental Exchange) für Energie-Futures (v. a. Brent-Erdöl, Gasöl, Heizöl). Die zur New York Stock Exchange (NYSE) gehörende Euronext handelt hauptsächlich Kaffee, Kakao, Rapsöl, Mais und Zucker. Den Agrarhandel der USA dominieren die zwischenzeitlich fusionierten Börsen Chicago Board of Trade (CBoT) und die Chicago Mercantile Exchange (Merc). Für den Handel mit (Edel-)Metallen, Energie, aber auch Agrarprodukten ist die New York Mercantile Exchange (Nymex) ein Begriff. Das von der ICE kontrollierte New York Board of Trade (NYBOT) ist für Soft Commodities wie Kakao, Kaffee, Zucker, Orangensaft, aber auch Bio-Treibstoffe wie Ethanol bekannt. Rohstoffbörsen gibt es darüber hinaus in Japan (Tokio Commodity Exchange), China (Shanghai Futures Exchange), Australien, Brasilien, Singapur und Dubai. Bei der Betrachtung der wirtschaftlich-technischen Dimension des Rohstoffhandels zeigt sich recht deutlich, dass der Rohstoffpreis als Spiegelbild zwischen Angebot und Nachfrage die steuernde Größe ist. Der Preis für Rohstoffe setzt sich in wechselnden Anteilen aus Verfügbarkeit des Rohstoffes, Fördermenge, Rohstoffqualität (Reinheit bei Metallen), Verderblichkeit, Transportwegen (zwischen Lagerstätte, Weiterverarbeitung und Endver-

34

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

brauch) und den Veredelungsprozessen bzw. der Wertschöpfung zusammen. Die Bedeutung der einzelnen Kriterien variiert von Rohstoff zu Rohstoff. Die Volatilität im globalen Rohstoffhandel ist von unterschiedlichen Treibern abhängig. Während die in großen Mengen nachgefragten Massenrohstoffe (Commodities) mit breitem Verwendungsspektrum wie Eisen, Kupfer und Chrom auch künftig eher vom Wirtschaftswachstum, insbesondere in aufstrebenden Schwellenländern, getrieben werden, ist für Rohstoffspezialitäten, wie z. B. Gallium oder Germanium, eher die technologische Entwicklung bedarfsbestimmend. Für Rohstoffe wie Platin, Titan und Tantal sind beide Treiber maßgeblich. Bei Gold dominiert der Anlageaspekt (vgl. HAAS 2009; 2010; SCHLESINGER 2010). Im Gegenzug zum Rohstoffhandel gewinnt der Außenhandel mit technologisch höherwertigen Halb- und Fertigerzeugnissen immer mehr an Bedeutung. Insbesondere Güter der Büro-, Telekommunikations- und EDV-Branche dehnen ihren Welthandelsanteil mehr und mehr aus. Abbildung 5 zeigt die sektorale Zusammensetzung des Welthandels im Jahr 2010. Brennstoffe und Bergbauerzeugnisse

20,4% 11,5%

Chemische Erzeugnisse Büro- und Kommunikationseinrichtungen Landwirtschaftliche Erzeugnisse

9,2%

Erzeugnisse der Automobilindustrie

7,4% 2,8%

Eisen und Stahl

2,4%

Bekleidung

1,7%

Textilien 0 Abbildung 5:

5

10

15

20

Anteile einzelner Branchen am Weltexport 2010; Quelle: WTO 2011a.

Regionale Strukturen des Welthandels Die Beteiligung der Länder am Welthandel ist sehr unterschiedlich. Zwischen 2000 und 2010 entfielen 65% bis 70% der Weltexporte auf die Industrieländer. Der Anteil der Entwicklungsländer schwankte dagegen zwischen 25% und 30%. Insbesondere Afrika und weite Teile Asiens nehmen am weltweiten Handel nur unterproportional teil, auch wenn das Ausfuhrwachstum der Entwicklungsländer das weltweite Exportwachstum mittlerweile übersteigt. Mit Ausnahme Russlands war der Anteil der ehemaligen sozialistischen Staats-

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

35

handelsländer bzw. der heutigen Transformationsländer – sofern sie nicht bereits der Europäischen Union angehören – auch 2010 noch sehr gering. Im Jahr 2008 lag der Anteil des Außenhandels zwischen den Industrieländern (Nord-NordHandel) am Welthandel bei ca. 44%, der zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (Nord-Süd-Handel) bei ca. 29% und der zwischen den Entwicklungsländern (Süd-SüdHandel) nur bei rund 19%. Der Rest entfällt auf den Handel mit bzw. zwischen den Transformationsländern (vgl. Abbildung 6). Industrieländer Intra-Handel

Weltwarenexporte 2008: 15 879 Mrd. US-$ (inklusive unzuordenbare Länder)

1 811 Mrd. US-$ 186 Mrd. US-$

2 849 Mrd. US-$

279 Mrd. US-$

62 Mrd. US-$ 77 Mrd. US-$

106 Mrd. US-$ Transformationsländer

Entwicklungsländer Abbildung 6:

Außenhandel nach Ländergruppen 2008; Quelle: UNCTAD 2009.

Die dominierende Stellung der Industrieländer im Welthandel beruht auf ihren breit angelegten Produktionsstrukturen, die eine weit reichende und intensive Nutzung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung erlauben. Ein weiterer Grund für den hohen Handelsanteil liegt in der Schaffung von Regionalintegrationen, wie z. B. der EU oder der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (vgl. Kapitel 6), an denen in erster Linie Industrieländer beteiligt sind. Für die generell geringen Marktanteile vieler Entwicklungsländer am Welthandel zeichnen dagegen mehrere Ursachen verantwortlich (vgl. KORTMANN 1998: 21ff.):  Schwache wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Verschlechterung der Produktionschancen (z. B. Bodenerosion und klimatische Handicaps in der Landwirtschaft, Erschöpfung natürlicher Rohstoffressourcen),

36

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

 Angebotsknappheit aufgrund wachsenden Eigenbedarfs (z. B. wegen des explosiven Bevölkerungswachstums oder wachsender Konsumansprüche),  Hemmung von Außenhandel und Direktinvestitionen durch politische Instabilitäten, ideologisch bedingte Blockaden und eine nicht an der Erbringung ökonomischer Leistungen ausgerichtete Mentalität,  ungenügende verkehrsinfrastrukturelle Erschließung mit der Folge hoher Transportund Kommunikationskosten zur Überwindung der geographischen Distanzen,  Beeinträchtigung der Produktions- und Exportkapazitäten durch hohen Schuldendienst, Devisenknappheit und Kapitalflucht,  Qualitätsdivergenzen zwischen der Angebotsstruktur und der Qualität des Exportangebots der Entwicklungsländer und den Bedarfsstrukturen sowie Qualitätsanforderungen der Industrieländer,  Verlagerung der Bezugsquellen der Industrieländer in andere Industrieländer, Schwellenländer und vor allem Transformationsländer des ehemaligen Ostblocks mit der Folge, dass sich die Absatzchancen der traditionellen Entwicklungsländer weiter verschlechtern. Industrie- und Entwicklungsländer unterscheiden sich auch bezüglich ihrer Terms of Trade, welche das Verhältnis zwischen Import- und Exportpreisentwicklung beschreiben. Die Industrieländer profitieren von sich verbessernden Terms of Trade. Denn den Großteil ihres Handelsvolumens stellen Fertig- bzw. Halbfertigprodukte dar, deren Preise schneller als die der Rohstoffe als wichtigste Einfuhrprodukte steigen. Die Terms of Trade der Entwicklungsländer verschlechterten sich in der Vergangenheit dagegen laufend. Da die Exportpreise für viele Rohstoffe als wichtigstem Ausfuhrprodukt für Entwicklungsländer (vgl. Kapitel 4.1.2) – von Ausnahmen in der jüngeren Vergangenheit abgesehen – tendenziell sinken, die Einfuhrpreise für Fertigprodukte aber steigen, verschlechtert sich die Welthandelsposition der Entwicklungsländer relativ zu den Industrieländen. In jüngerer Zeit differenzieren sich diese Länder allerdings dann, wenn sie am Markt verknappte Rohstoffe besitzen bzw. nicht besitzen und der Import z. B. von Erdöl die Terms of Trade weiter belastet. Aus geographischer Perspektive konzentriert sich der weltweite Handel vor allem auf die Regionen der Triade. Im Jahr 2010 entfielen fast 38% des Welthandels auf Europa, mehr als 13% auf Nordamerika und rund 31% auf Asien (vgl. Karte 3). Darin enthalten ist der Intrablockhandel, also der Handel, der zwischen den Ländern innerhalb der betreffenden Region stattfindet (intraregionaler Handel). Wie bedeutend dieser ist, zeigt der intraeuropäische Handel, auf den allein fast 27% des Welthandels entfallen. Beim innerasiatischen Handel sind es fast 17%, im Falle Nordamerikas immerhin noch gut 6%. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Handel zwischen den EU-Mitgliedsstaaten (z. B. zwischen Deutschland und den benachbarten Benelux-Staaten) statistisch als Außenhandel gewertet, der auf ein sehr hohes Austauschvolumen zu beziffernde Handel zwischen den US-Bundesstaaten (z. B. zwischen Kalifornien und Alaska) statistisch aber als Binnenhandel qualifiziert wird.

Karte 3:

Regionale Strukturen des Welthandels 2010

0

1250

2500 km

Entwurf: D. Schlesinger / S. Neumair Kartographie: D. Schlesinger 2012 Kartengrundlage: WTO, International Trade Statistics 2010

intraregionaler Handel in % des Welthandelsvolumens

(über 50 Mrd. US-$)

interregionaler Handel in % des Welthandelsvolumens

Welthandelsanteil der gesamten Region in % (Welthandelsvolumen: 14 851 Mrd. US-$)

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft 37

38

2 Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

Beim Handel zwischen Weltregionen (interregionaler Handel) ist vor allem der Außenhandel zwischen den Kernen der Triade (Nordamerika, Europa, Ostasien), also der transatlantische und der transpazifische Handel, von Bedeutung. Demgegenüber spielen die Außenbeziehungen der Triade, wie z. B. der Handel zwischen Nord- und Lateinamerika oder Europa und Afrika, eine untergeordnete Rolle. Betrachtet man die Stellung einzelner Länder im Welthandel – gemeint ist hier der Export – lässt sich feststellen, dass die USA, gefolgt von Deutschland und Japan, lange die ersten Plätze belegten. Zwischenzeitlich löste Deutschland die USA ab, während China aufgrund seines starken Wirtschaftswachstums die USA auf Platz drei und Japan auf den vierten Platz verdrängte. 2009 übernahm China dann erstmals die Rolle des Exportweltmeisters und verwies Deutschland auf Platz zwei. Im Jahr 2010 tauschten dann die USA und Deutschland wiederum die Plätze – eine Rangfolge, die auch im Jahr 2011 erhalten blieb (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4:

Die führenden Weltexportländer im Jahr 2011; Quelle: WTO 2012.

Rang

Land

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

China USA Deutschland Japan Niederlande Frankreich Südkorea Italien Russland Belgien

Exportvolumen in Mrd. US-Dollar 1.899 1.481 1.474 823 660 597 555 523 522 476

Anteil am Weltexport in % 10,4 8,1 8,1 4,5 3,6 3,3 3,0 2,9 2,9 2,6

Schätzungen der Europäischen Union zufolge könnte China im Jahr 2015 mit einem Anteil von dann knapp 13% weiter an der Spitze stehen, gefolgt von den USA mit 9%. Deutschland käme nur noch auf einen Anteil von 7,5%. Dennoch weist Deutschland einen regelmäßigen Ausfuhrüberschuss im Warenhandel und damit einen positiven Saldo der Handelsbilanz auf. Gerade in Zeiten einer schwachen Binnenkonjunktur werden diese Exportüberschüsse – wichtigste Ausfuhrgüter sind Kraftfahrzeuge, Maschinen, chemische Erzeugnisse, Nachrichten- und Rundfunktechnik – als Triebfeder des deutschen Wirtschaftswachstums gesehen. Der Exporterfolg wird allerdings relativiert, sobald er als Exportlastigkeit interpretiert wird. In diesem Zusammenhang gilt es als strategisches Versäumnis, nicht proaktiv eine „echte“ Internationalisierung der Wirtschaft, z. B. durch vermehrte Direktinvestitionen, betrieben zu haben. Gerade diese sind aber notwendig, um ausländische Märkte langfristig zu sichern, und stellen eine Plattform für die Belebung des Exportgeschäfts dar (vgl. MÜLLER/KORNMEIER 2002a: 63). Abbildung 7 zeigt die Verteilung der deutschen Warenexporte nach Ländern im Zeitraum 2007 bis 2010. Dabei verblieben – bedingt durch räumliche und kulturelle Nähe sowie den

2.2 Außenhandel und Direktinvestitionen als Indikatoren einer globalisierten Wirtschaft

39

Abbau von Handelshemmnissen im Rahmen der Europäischen Integration (vgl. Kapitel 6.4.4) – 60% innerhalb Europas. Mit den USA (7% der Exporte) befindet sich nur ein außereuropäisches Land unter den zehn wichtigsten Exportländern, während China nur bei Werten zwischen 3% und 5% schwankt. Diese Konzentration der deutschen Außenwirtschaft auf den europäischen Markt wird als Europafixierung bezeichnet. Sie gilt als strategische Schwäche, da sich die Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft zunehmend in den asiatischpazifischen Wirtschaftsraum verlagert, wovon die deutsche Außenwirtschaft zwar in zunehmendem Maße, aber immer noch zu wenig profitiert.

zunehmende Distanz

Ausgewählte Zielländer deutscher Exporte in % (Durchschnitt 2007-2010) 10%

CA US S MX

IE

PE BR AR

GB

5-10%

N S S F ca.

2-5%

NL 45% RU DK B PL L D CZ F H CH A GR TR I

KRS

CN

IN ZA

Abbildung 7:

AU

JP