Interkulturelle Handlungskompetenz: Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Afrika. Eine narrative Studie [1. Aufl.] 9783839411872

»Interkulturelle Handlungskompetenz« steht für eine wichtige Anforderung in einer heterogenen Welt. Aber worum handelt e

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Interkulturelle Handlungskompetenz: Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Afrika. Eine narrative Studie [1. Aufl.]
 9783839411872

Table of contents :
Inhalt
Dank
1 Einleitung
2 Interkulturelle Kompetenz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive
2.1 Globalisierung, transnationale Migration und Verständigung angesichts kultureller Vielfalt
2.2 Interkulturelle Kompetenz
3 Grundlagentheoretische Überlegungen zum Handeln in interkulturellen Situationen
3.1 Handeln in der Triade Selbst, Situation und Anderer
3.2 Intention, Handeln und Reflexivität. Pragmatistische Überlegungen zu einem zirkulären Handlungsmodell
4 Methodologisches Design der Studie
4.1 Theoretical sampling im Forschungsprozess
4.2 Biographisch-narrative Experteninterviews und teilnehmende Beobachtung
4.3 Biographische und berufliche Aspekte der Expatriates in Afrika
4.4 Dokumentarische Methode der Interpretation und Typenbildung
5 Typen interkulturellen Handelns
5.1 Praxis des Fremdverstehens
5.1.1 Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens
5.1.2 Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation
5.2 Praxis der interkulturellen Interaktion
5.2.1 Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden
5.2.1.1 Distanz in der beruflichen Situation
5.2.1.2 Distanz in der privaten Situation
5.2.1.3 Distanz aufgrund der Konfrontation mit Rassismus- und Kolonialismusvorwürfen
5.2.2 Existentielles Einlassen auf den Fremden
5.2.2.1 Existentielles Einlassen in beruflichen Situationen
5.2.2.2 Existentielles Einlassen in privaten Situationen
5.3 Zusammenfassung
6 Reflexionstypen im interkulturellen Handeln
6.1 Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände
6.2 Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens
6.3 Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden des Fremdverstehens
6.4 Wissen um eigenes Nicht-Wissen
6.5 Zusammenfassung
7 Darstellung des Anderen
7.1 Kulturalisierung
7.2 Politökonomisierung
7.3 Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung
7.4 Zusammenfassung
8 Diskussion der Ergebnisse
8.1 Handeln, Reflektieren und Interpretieren in milieuübergreifenden Begegnungen
8.1.1 Handeln
8.1.2 Reflexion
8.1.3 Interpretation
8.2 Handlungsirritationen und Handlungsoptionen
8.2.1 Das Können der Praxis
8.2.2 Reflexion und Umgang mit Nicht-Wissen
8.2.3 Selbst- und Fremdbilder in milieuübergreifenden Begegnungen
8.3 Resümee und Ausblick
9 Literatur
Anhang

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Anne-Christin Schondelmayer Interkulturelle Handlungskompetenz

Anne-Christin Schondelmayer (Dr. phil.) lehrt Interkulturelle Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zu ihren Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören Interkulturelle Bildung, Migrationsforschung, Evaluation und rekonstruktive Sozialforschung.

Anne-Christin Schondelmayer

Interkulturelle Handlungskompetenz Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Afrika. Eine narrative Studie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Ivonne Dippmann, Tel Aviv, 2010 Lektorat & Satz: Anne-Christin Schondelmayer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1187-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank ....................................................................................................................... 7 1 Einleitung......................................................................................................... 9 2 Interkulturelle Kompetenz aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive.................................................. 17 2.1 Globalisierung, transnationale Migration und Verständigung angesichts kultureller Vielfalt ........................................................................ 18 2.2 Interkulturelle Kompetenz ............................................................................. 33 3 Grundlagentheoretische Überlegungen zum Handeln in interkulturellen Situationen .................................................................... 51 3.1 Handeln in der Triade Selbst, Situation und Anderer.................................... 52 3.2 Intention, Handeln und Reflexivität. Pragmatistische Überlegungen zu einem zirkulären Handlungsmodell .......................................................... 61 4 Methodologisches Design der Studie........................................................... 69 4.1 Theoretical sampling im Forschungsprozess ................................................. 71 4.2 Biographisch-narrative Experteninterviews und teilnehmende Beobachtung ..................................................................... 77 4.3 Biographische und berufliche Aspekte der Expatriates in Afrika ................. 82 4.4 Dokumentarische Methode der Interpretation und Typenbildung................. 86 5 Typen interkulturellen Handelns ................................................................ 91 5.1 Praxis des Fremdverstehens........................................................................... 93 5.1.1 Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens .... 93 5.1.2 Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation ...................................................... 107 5.2 Praxis der interkulturellen Interaktion ......................................................... 125 5.2.1 Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden .............. 125 5.2.1.1 Distanz in der beruflichen Situation ......................................... 126 5.2.1.2 Distanz in der privaten Situation .............................................. 143 5.2.1.3 Distanz aufgrund der Konfrontation mit Rassismus- und Kolonialismusvorwürfen ......................................................... 181

5.2.2 Existentielles Einlassen auf den Fremden ........................................ 191 5.2.2.1 Existentielles Einlassen in beruflichen Situationen ................... 191 5.2.2.2 Existentielles Einlassen in privaten Situationen ........................ 207 5.3 Zusammenfassung........................................................................................ 221 6 Reflexionstypen im interkulturellen Handeln.......................................... 223 6.1 Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände.......................................... 224 6.2 Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens .................. 239 6.3 Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden des Fremdverstehens ................ 253 6.4 Wissen um eigenes Nicht-Wissen................................................................ 261 6.5 Zusammenfassung........................................................................................ 271 7 Darstellung des Anderen............................................................................ 273 7.1 Kulturalisierung ........................................................................................... 273 7.2 Politökonomisierung .................................................................................... 290 7.3 Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung............................................................. 303 7.4 Zusammenfassung........................................................................................ 318 8 Diskussion der Ergebnisse ......................................................................... 319 8.1 Handeln, Reflektieren und Interpretieren in milieuübergreifenden Begegnungen ........................................................ 320 8.1.1 Handeln............................................................................................. 322 8.1.2 Reflexion .......................................................................................... 326 8.1.3 Interpretation .................................................................................... 328 8.2 Handlungsirritationen und Handlungsoptionen ........................................... 330 8.2.1 Das Können der Praxis ..................................................................... 330 8.2.2 Reflexion und Umgang mit Nicht-Wissen ....................................... 341 8.2.3 Selbst- und Fremdbilder in milieuübergreifenden Begegnungen .... 346 8.3 Resümee und Ausblick ................................................................................ 352 9 Literatur ...................................................................................................... 357 Anhang............................................................................................................... 377

Dank

In der Konzeption, Durchführung und Fertigstellung dieser Studie habe ich von unterschiedlichen Seiten Unterstützung, Ermutigung, Kritik und Hilfe erhalten, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. An erster Stelle sei hier Arnd-Michael Nohl für eine unvergleichbar unterstützende und engagierte Betreuung gedankt. Christoph Wulf danke ich für Interesse und Ermutigung zum richtigen Zeitpunkt sowie für die Möglichkeit des Gedankenaustauschs im Rahmen seines Doktorandencolloquiums. Ohne die Bereitschaft der interviewten Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen, aus ihrem Alltags- und Berufsleben zu erzählen, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ihre Namen werde ich hier nicht nennen, aber es gilt ihnen ein besonderes Dankeschön. Die Durchführung der Studie in Südafrika und Kenia wurde unterstützt durch ein Forschungsstipendium des DAADs und einer Beurlaubung der Freien Universität Berlin. Gerd Hoff und Viola Georgi sei für die notwendigen Freiräume an der FU Berlin gedankt, welche die Dissertation im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin möglich machte. Ertragreiche Diskussionen und Analysen im Rahmen des Doktorandencolloquiums von Arnd-Michael Nohl sind in diese Arbeit eingeflossen. Allen Teilnehmern danke ich für Anregungen und Austausch. Mein besonderer Dank gilt Ulrike Ofner, Sarah Thomsen und Heike Radvan, mit der ich vier intensive Jahre des gedanklichen Austausches geteilt habe. Auch möchte ich mich bei Cornelia Geißler bedanken, nicht nur für Transkriptionen, sondern auch für eine kritische Lektüre meiner Arbeit, sowie bei Susanne Jandt, Almut Wetzstein, Anna Loenenbach und Jules Fütty für Transkriptions- und Korrekturarbeiten. Meiner Schwester Sanna Schondelmayer sei herzlich gedankt für Kritik und Austausch. Friederike Schmidt war mit einem strukturierenden und kritischen Blick eine hervorragende und unerlässliche Hilfe bei der Endkorrektur.

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Unterstützung, Rat, Ermutigung, weitere Perspektiven und notwendige Ablenkung habe ich im Laufe der Studie auch von mehreren mir wichtigen Menschen erhalten. Mein Dank gilt Jürgen, der die Reise nach Kenia auf sich nahm und mir zur Seite stand, meinen Eltern, die mich unterstützt haben, an der Arbeit weiterzumachen, Teresa, die mich schon viele Jahre begleitet, und Lois, für Lebensmut und Freude. Ivonne Dippmann konnte ich für eine Illustration der Arbeit gewinnen. Mit ihren Bildern greift sie biographische Aspekte auf und interpretiert auf ihre ganz eigene Weise menschliche Begegnungen zwischen Nähe und Distanz, zwischen Wahrnehmung und (Miss-)Deutung, zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen. Vielen Dank.

1 Einleitung

Der Umgang zwischen Menschen ist per se ein prekäres Unterfangen, in welchem Verstehen, Verständnis und gemeinsame Interessen eine große Rolle spielen. Unterschiedliche Vorstellungen, Gewohnheiten, Selbstverständlichkeiten und Wissen treffen aufeinander und werden interaktional ausgehandelt. In manchen Momenten geschieht dies völlig selbstläufig, unreflektiert und unproblematisch, in anderen kommt es zu Irritationen, Reflexionen und auch zu Schwierigkeiten, eine Interaktion fortzusetzen. Interkulturelle Situationen als milieuübergreifende Begegnungen, die unter anderem durch Migrationsprozesse ausgelöst werden können, gehen häufig mit einer solchen Irritation der Handlungsroutinen und -selbstverständlichkeiten einher und bergen somit ein Potential, das eigene Handeln zu überdenken, Neues dazuzulernen oder auch spontan und unreflektiert alternative Handlungspraxen auszuprobieren. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Frage, wie Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen1 als transnationale Migrantinnen2, in interkulturellen Situationen handeln, ihr Handeln reflektieren und die Situation und Andere wahrnehmen und darstellen. Zu dem Begriff interkulturelle Kompetenz findet sich inzwischen eine weitreichende Diskussion hinsichtlich des Handelns und des Verstehens über kulturelle Unterschiede hinweg. Je nach Kontext werden von wirtschaftlichem 1

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In der vorliegenden Studie verwende ich die weibliche und männliche Form in Bezug auf Personen oder Gruppen abwechselnd, außer wenn ich mich explizit auf ein Geschlecht beziehe und dies dann kennzeichne. Dieser Umgang bietet sich zum einen an, da in der Untersuchung nur bedingt geschlechtsspezifische Aussagen getroffen bzw. Vergleiche vorgenommen werden, zum anderen vereinfacht sich so die Syntax (vgl. diesbezüglich auch Meuser/Nagel 2003: 483). Um nicht zu viel Irritation hervorzurufen, wechsle ich die Form jedoch nicht innerhalb eines Satzes. Mit der Bezeichnung ›transnationale Migrantin‹ ist auf die spezifische Form der Migration von Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen verwiesen; ich beziehe mich damit auch auf einen Diskurs zu Transnationalität (Homfeldt/Schröer/Schweppe 2006) und Transkulturalität (Welsch 1995), welcher auf eine Mitgestaltung von ›Kultur‹ verweist und neben der Wahrnehmung von Unterschieden verstärkt auf Gemeinsamkeiten und Neugestaltungen zwischen Menschen, ›Kulturen‹ und Nationen zielt.

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Interesse an effizientem Handeln über ethnologisch motiviertes Fremdverstehen bis zu erziehungswissenschaftlich geprägter Dialogfähigkeit und Lernbereitschaft verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Die Verständigung angesichts kultureller Vielfalt tritt durch Globalisierungsprozesse und Migrationsbewegungen, aber auch durch soziale Probleme innerhalb einer Gesellschaft verstärkt in die öffentliche Aufmerksamkeit und lässt »interkulturelle Kompetenz« zu einer »Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts« (Deardorff 2006) werden. Trotz der positiven Konnotation von Verständigung sind es jedoch meist die Problematiken von Differenzerfahrungen, welche über interkulturelle Kompetenz nachdenken, forschen und diskutieren lassen. Wie und warum es überhaupt zu Differenzerfahrungen kommt, scheint seine Plausibilität allein schon durch den Verweis auf Interkulturalität erlangt zu haben, und, dass diese problematisch ist oder werden kann, schließt sich mit einer ebensolchen Selbstverständlichkeit an. Die Reaktion darauf sind Modelle interkulturellen Handelns, die für Sensibilität, Selbstvertrauen, Neugierde, Offenheit, Interesse, Empathie und emotionale Stabilität plädieren und Kategorien kompetenten Verhaltens entwickeln, deren Bewertungskriterien nicht weiter hinterfragt werden. Die Praxis der sich in interkulturellen Situationen befindenden Personen und ihre Wahrnehmung und Erfahrung von und mit Interkulturalität kommen dabei meist zu kurz. Auf diese Weise wird die problematisierte Differenz durch ein solches Forschungsparadigma reproduziert. In welcher Form ›Kultur‹ Einfluss auf das Handeln der Personen hat, wie sich dies äußert, wie ›Kultur‹ produziert wird und wann der Andere als anders und damit die Situation als interkulturelle wahrgenommen wird, stellen aber zunächst einmal Forschungsfragen und nicht schon festgelegte Forschungsprämissen dar. Welches Verhalten darin als kompetent bezeichnet wird, steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem jeweiligen Interesse der Untersuchung und dem Maßstab der Bewertung der Forschenden und kann daher nicht pauschal beurteilt werden. Eine vorschnelle Bestimmung fähigen und unfähigen Verhaltens blendet die Breite der tatsächlich vorkommenden Praxen des Handelns aus und kann möglichen Potentialen der Erforschten, sich in spezifischen Situationen ›kompetent‹ auf spezifische Erfahrungen zu beziehen, nicht gerecht werden. Die vorliegende Studie zielt auf eine empirische Rekonstruktion verschiedener Dimensionen der Praxis interkulturellen Handelns von Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen sowie der ihnen zu Grunde liegenden Orientierungen des Handelns und Reflektierens. Es wird sich in der vorliegenden Untersuchung zeigen, dass die Wahrnehmung und das Erleben von Handlungsirritationen heterogen sind. Hieran schließen sich unterschiedliche Praxen des Handelns, Reflektierens und Darstellens an. Durch spezifische Formen des an theoretischem und praktischem Wissen orientierten Fremdverstehens und einer Orientierung an Gemeinsamkeiten wie Differenzen können die Akteure ihre Praxis sowohl habitualisiert als auch reflektiert oder spontan aushandeln. Dabei wirken performative Praktiken, Routine, Spontaneität, Reflexion sowie Selbst- und Fremdbilder zusammen. Die Praxis der Akteurinnen macht offensichtlich, wie

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komplex das Wissen und Können der Personen ist und wie sich Formen des interkulturellen Handelns, des Reflektierens eigener Praxis und der Selbst- und Fremdbilder überlagern. Die empirische Analyse setzt bei Personen an, die beruflich bedingt im Ausland leben und arbeiten und von denen angenommen wird, dass sie durch die Migration auf veränderte Bedingungen des Handelns treffen. Im Anschluss an eine Studie zu Fremdheitserfahrungen von Entwicklungshelfern, die Fremdheit hauptsächlich als Differenzerfahrung bezüglich ökonomischer Ungleichheit zur einheimischen Bevölkerung des Ankunftslandes rekonstruieren konnte, bietet es sich an, diese Thematik sowohl hinsichtlich der Debatte um interkulturelle Kompetenz zu vertiefen als auch verstärkt auf das praktische Handeln im Umgang zu fokussieren (vgl. Schondelmayer 2006). Auf dem Wege des »theoretical sampling« (Glaser/Strauss 1969) habe ich (deutsche) Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen in Afrika und (ausländische) Auslandskorrespondentinnen in Deutschland als Untersuchungsgruppen ausgewählt. Durch einen solchen Vergleich wird die Dimension ökonomischer Differenz zur einheimischen Bevölkerung aufgegriffen, da diese für die deutschen Transmigranten in den afrikanischen Ländern groß, für die ausländischen Transmigranten in Deutschland dagegen gering ist. Um etwaige geschlechtsspezifische Aspekte ausmachen zu können, werden sowohl Männer als auch Frauen befragt. Durch die Wahl zweier Berufsgruppen sollen zudem berufsspezifische Aufgaben und Ansprüche in die Untersuchung eingehen. Davon ausgehend, dass Entwicklungshelferinnen durch ihre berufliche Aufgabe im Ankunftsland eingreifend tätig werden, Auslandskorrespondentinnen dagegen eine Distanz wahren und vornehmlich beobachten und dass sich daraus eine berufsspezifisch zu unterscheidende Praxis interkulturellen Handelns rekonstruieren ließe, wählte ich diesen Dreifachvergleich, um zudem den Aspekt ökonomischer Differenz herausarbeiten zu können. Im Zuge der Auswertung des empirischen Materials ließen sich Aspekte des interkulturellen Handelns rekonstruieren, welche nicht zu einer systematischen Unterscheidung zwischen Deutschland und den afrikanischen Ländern führten, so dass die ausländischen Korrespondenten in Deutschland nicht weiter in die vorliegende Arbeit einbezogen wurden. Der Aspekt ökonomischer Differenz wird aber im Rahmen des Vergleichs der Handlungspraktiken der Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen in Afrika nach wie vor thematisiert. Die Erhebung meiner Studie basiert auf der teilnehmenden Beobachtung (u.a. Hildenbrand 1984) und dem biographisch-narrativen Interview (Schütze 1983). Insgesamt wurden 36 biographisch-narrative Interviews geführt, davon 30 in Südafrika und Kenia und sechs in Deutschland. Die Auswertung der Interviews erfolgte nach der »dokumentarischen Methode« (Bohnsack). Sie wurde von Ralf Bohnsack in Anknüpfung an Karl Mannheim und die praxeologische Wissenssoziologie weiterentwickelt zu einer inzwischen in zahlreichen Studien angewandten Methode rekonstruktiver Sozialforschung.

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Für die Erforschung von Handlungsirritationen im Bereich interkultureller Interaktionen ist die grundlegende Unterscheidung zweier Arten des Wissens hilfreich, wie sie in der praxeologischen Wissenssoziologie entwickelt wurde: Konjunktives, praktisches Wissen entsteht auf der Grundlage gleichartigen handlungspraktischen Erlebens innerhalb eines Milieus und verbindet Menschen. Die Angehörigen eines Milieus verstehen sich auf der Basis dieser gleichartigen, aber nicht unbedingt gemeinsamen Erlebnisse unmittelbar, sie bilden einen so genannten »konjunktiven Erfahrungsraum« (vgl. Mannheim 1980: 217 ff.). Große Teile des Handelns finden dort atheoretisch statt und ein Verstehen vollzieht sich durch mimetische Prozesse, durch einfaches Tun und Nachtun, und kann nur schwer expliziert werden (vgl. Gebauer/Wulf 1992). Davon zu unterscheiden ist ein Wissen, welches von der Handlungspraxis und dessen »immanentem Sinngehalt« abstrahiert und als theoretische Erklärung oder auch Interpretation durch Kommunikation Inhalte vermittelt. Daher wird es auch als kommunikatives Wissen bezeichnet. Für die Erforschung interkultureller Interaktionen ist dies insofern bedeutsam, als dadurch einerseits herausgearbeitet werden kann, wann selbstverständliche Handlungsroutinen gestört werden und konjunktives Wissen einer Erklärung bedarf, andererseits ermöglicht die Rekonstruktion dieses praktischen, impliziten Wissens einen Zugang zum konkreten Handeln der Menschen. Auf diese Weise vermeidet die Unterscheidung zwischen konjunktivem und kommunikativem Wissen auch eine vorschnelle Konstruktion kultureller Zugehörigkeit entlang ethnischer, religiöser oder nationaler Kategorien. Zudem ermöglicht sie die Rekonstruktion der inneren Logik der Praxis, indem die Perspektive von der inhaltlichen Ebene auf die Ebene des Wie, des Orientierungsrahmens des Handelns, wechselt (s. auch Kap. 4). Die soziale Praxis der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten im Umgang mit Anderen3 sehe ich im Rahmen einer Differenzerfahrung von Milieus auf der Ebene verschiedener praktischer und theoretischer Wissensformen. Diese Begegnung findet in einem Feld statt, das in speziellem Maße durch Machtstrukturen, historische, politische, ökonomische und soziale Bedingungen gekennzeichnet ist und nicht prinzipiell ein (Interesse am) Verstehen der Anderen

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Der Andere wird in der vorliegenden Arbeit kursiv gesetzt, um auf den Prozess des Zum-Anderen-Machen hinzuweisen. Die Begrifflichkeiten, mit denen Abgrenzungen oder Inbezugnahmen von den bzw. auf die Interviewpartnerinnen stattfinden, sind Teil einer zu problematisierenden Konstruktion von Wir und Anderen. In der vorliegenden Arbeit werden sie als Teil der Handlungs- und Bezeichnungspraxis wahrgenommen und so auch in die Interpretation mitaufgenommen. Der Problematik einer Zuschreibung von »weiß«, »schwarz«, »Afrikaner«, »Europäer« etc. bin ich mir bewusst und versuche mich daher mit einer möglichst neutralen Bezeichnung (in Ermangelung einer besseren Bezeichnung) auf die »einheimische Bevölkerung« zu beziehen, auch wenn dieser Begriff an manchen Stellen nicht ganz passend erscheinen mag.

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hervorruft.4 Die Bedingungen des Handelns sind dadurch gekennzeichnet, dass Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten einer ökonomisch und politisch machtvollen Minderheit angehören, die nicht substantiell auf eine Partizipation im Ankunftsland angewiesen ist, sondern nach wie vor enge Bindungen und finanzielle Sicherheiten durch das Herkunftsland hat. Das interkulturelle Handeln der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen ist daher nicht vergleichbar mit migrantischen Minderheiten, die in prekären Lebenssituationen und ohne politische Macht im Aufnahmeland leben. Diese Ebene struktureller Ungleichheit ist in der vorliegenden Arbeit aber nicht das zentrale Untersuchungsinteresse, sondern fließt nur punktuell in die Analyse mit ein. Vielmehr liegt das Forschungsinteresse in einer handlungstheoretischen Reflexion der komplexen Handlungspraxis angesichts interkultureller, im Sinne milieuübergreifender Interaktionen. Die sehr offen gehaltene Fragestellung, wie Menschen in interkulturellen Situationen handeln und welches Können sich dabei dokumentiert, ließ die Komplexität des Feldes deutlich hervortreten. Wie Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen in interkulturellen Situationen handeln und welche Praktiken und welches Können sie haben, ließ sich zwar empirisch rekonstruieren und in Typen systematisieren; doch wie dies mit ihrer Biographie, ihrer Geschlechtszuschreibung, ihrem Beruf und der Konfrontation mit ökonomischen und sozialen Unterschieden zusammenhängt, ließ sich nicht systematisch herausarbeiten. Dies ist nicht allein meiner Lesart der Daten zuzuschreiben, sondern vielmehr ein Dokument einer sozialen Wirklichkeit, welche sich nicht einfach in soziale Zuordnungen fügen lässt. Die Studie öffnet somit einen Blick auf eine plurale Praxis und verweigert sich einer umfassenden Bestimmung interkultureller Kompetenz entlang soziogenetischer Hintergründe. Dies hat jedoch keine Beliebigkeit der Erkenntnisse zur Folge. Vielmehr lassen sich durch eine komparative Analyse systematisch unterscheidbare sinngenetische Handlungstypen herausarbeiten, die verschiedene Dimensionen des Handelns in den Blick nehmen. Diese Ergebnisse werden verknüpft mit der (Handlungs-)Theorie einer pragmatistischen Idee zirkulären Handelns und Reflektierens (Dewey 1963) und an eine praxeologische Theorie des Handelns (Bohnsack 2008, Nohl 2006a und 2006c) gebunden. So wird die Handlungskoordination als ein Ineinanderfließen von praktischem Handeln, Reflexion und Interpretation der Situation verstanden. Dabei kommen implizites und explizit-reflektiertes Wissen zum Tragen. Reflexionen werden durch Handlungsirritationen angeregt, führen jedoch nicht zwangsläufig in ein ›kompetentes‹ Handeln. Ebenso wie Reflexionen kann auch 4

Für die vorliegende Untersuchung ist hier sicherlich die Kolonialisierung der afrikanischen Länder durch europäische Länder und die nach wie vor bestehende strukturelle Ungleichheit von zentraler Bedeutung. Ein postkolonialer Diskurs kann im Rahmen dieser Arbeit nicht hinreichend geführt werden, sollte jedoch im Zusammenhang mit Fragen von Überheblichkeit und Definitionsmachtsansprüchen kritisch mitgedacht werden.

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spontanes, unreflektiertes Handeln Handlungsalternativen hervorbringen (vgl. auch Nohl 2006a). Durch den Rückbezug auf die Wissenssoziologie und den Pragmatismus erweitert sich eine sozialtheoretische Einbettung der Thematik interkultureller Kompetenz, welche sich ansonsten – wenn überhaupt – allein auf die Sozialtheorien Berger und Luckmanns (1966), Luhmanns (1990) Bourdieus (1987) und Goffman (1969) beziehen (vgl. Koch 2009)5. Aus dieser handlungstheoretischen Anknüpfung verorte ich interkulturelle Handlungskompetenz auf der Ebene einer selbstreferentiellen Bestimmung – im Sinne von sich ermöglichenden weiteren Handlungsoptionen durch das soziale Handeln der Akteure. Durch die Rekonstruktion und Darstellung verschiedener voneinander unterscheidbarer interkultureller Handlungsdimensionen (Handeln, Reflektieren, Interpretieren) kommen Aspekte des Handelns und Reflektierens in den Blick, welche weiteres Handeln in interkulturellen Situationen ermöglichen oder auch verhindern. Das Erleben und der Umgang mit Handlungsirritationen und die sich daraus anschließenden Handlungsoptionen stehen somit im Zentrum des forschenden Interesses. Hier zeigen sich interkulturelle Handlungskompetenzen der Praxis, die sich im Handeln offenbaren und auch erst entstehen. Denn neues Handeln und neue Orientierungen, also Lern- und Bildungsprozesse, finden nicht prinzipiell vor und für eine veränderte Lebenssituation (wie dies etwa interkulturelle Kompetenztrainings für einen Auslandsaufenthalt nahelegen) statt, sondern die Gelegenheit für Lern- und Bildungsprozesse ergibt sich auch in einer interkulturellen Interaktion (vgl. Nohl/Schondelmayer 2006: 100). Auf dieser Ebene der Ermöglichung von weiteren Interaktionen, der Chance auf Lernen und Bildung sowie der Gestaltung neuer Formen von Gemeinsamkeit sehe ich interkulturelle Handlungskompetenz angesiedelt. Ich habe der Arbeit folgenden Aufbau gegeben6: In Kapitel 2 diskutiere ich drei für die Erziehungswissenschaft relevante Ansätze interkultureller Interaktionen: Erstens die durch Globalisierungsprozesse vorangetriebene Veränderung und Strukturierung von Wissen, Macht und Selbst5

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Bei Berger und Luckmann sowie bei Luhmann steht das theoretische WeltErkennen, nicht aber die existentielle Ebene des Handelns von Personen im Vordergrund. Wohingegen bei Bourdieu Habituskonstruktionen auf der Basis von Milieuzugehörigkeiten betrachtet werden, deren sinnhaftes Erleben für die Subjekte, eher vernachlässigt werden und milieuübergreifendes Handeln einer Logik der Distinktion folgt. Goffman wiederum fokussiert auf die Wahrung von »Image« in Interaktionen, die Machtstrukturen wenig thematisieren und eher auf Symmetrie angelegt sind (vgl. dazu auch Riedel 2001). Im Aufbau der Arbeit dokumentiert sich das Problem, zirkuläre Prozesse in eine lineare Leseform zu bringen. Die Wahl der Aneinanderfügung verschiedener Kapitel antwortet eher auf eine Verständnisfrage der Leserin, als dass es sich um eine Darstellung des Untersuchungsablaufs handelt. Denn Empirie und Theorie fließen in der Forschungspraxis zusammen. Die handlungstheoretische Verknüpfung der Studie erfolgte erst durch empirische Ergebnisse. Ebenso sind die rekonstruierten Typen des Handelns (Kap. 6), Reflektierens (Kap. 7) und Interpretierens (Kap. 8) Teil einer zirkulären Handlungskoordination und folgen nicht einem linearen Prozess.

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verständlichkeiten, zweitens einen veränderten Blick auf die Heterogenität von ›Kultur‹ durch transnationale Migration und drittens die Verständigung angesichts kultureller Vielfalt als Herausforderung, zwischen verschiedenen Milieus zu kommunizieren (Nohl 2006c). Bei Letzterem wird auf die Möglichkeit mit einem produktiven Nicht-Verstehen (Wulf 2001), Prozessen der Vereinnahmung und Ablehnung des Fremden entgegenzuwirken, eingegangen (Kap. 2.1). Daran anschließend untersuche ich Modelle interkultureller Kompetenz kritisch im Hinblick auf die aufgeworfenen Themen der Gestaltung von ›Kultur‹ (doing culture), der Handlungspraxis und der strukturellen Rahmenbedingungen interkulturellen Handelns. Mit einer grundlegenden Kritik an der Überprüfung interkultureller Kompetenz anhand von Modellen und der wenig reflektierten ethnozentristischen Auswertungspraxis verwerfe ich den Begriff ›interkulturelle Kompetenz‹ als Definitionseinheit und schlage eine handlungstheoretisch angebundene Bestimmung vor (Kap. 2.2). Im dritten Kapitel definiere ich zentrale handlungstheoretische Grundbegriffe (Situation, Selbst, Anderer) und lege dar, weshalb ich meine Arbeit in einem pragmatistischen Handlungsmodell (Dewey 1963) verorte. Dabei nehme ich sowohl kollektive Prozesse der Definition von Situationen in den Blick wie auch eine grundlegende Sozialität des Menschen, der sich in der Auseinandersetzung mit dem Anderen selbst erlebt und begreift (Kap. 3.1). Ansätze der praxeologischen Wissenssoziologie (Bohnsack) und des Mimesis-Begriffs (Gebauer/Wulf) verdeutlichen die praktische Gewordenheit des Menschen, welche, im Zusammenspiel mit Reflexion und Interpretation des Anderen, Teil einer zirkulären Handlungskoordination ist. Hier wird auf den Aspekt der Irritation von Handlungsroutinen eingegangen, welche Reflexion und spontanes Handeln auslöst und Anstoß eines Lern- und Bildungsprozesses sein kann (Kap. 3.2). In Anlehnung an Deweys bildungstheoretische Bestimmung von »growth« schlage ich in diesem Kapitel vor, interkulturelle Handlungskompetenz hinsichtlich der Frage sich erweiternder Handlungsoptionen zu untersuchen. Das vierte Kapitel stellt die Erhebungs- und Auswertungsmethode der Untersuchung vor und führt die methodischen Grundlagen der praxeologischen Wissenssoziologie weiter aus. Die ursprüngliche Konzeption der Studie sowie dessen Veränderung im Laufe des Forschungsprozesses werden thematisiert und methodisch begründet (Kap. 4.1). Die Erhebungsmethoden der teilnehmenden Beobachtung und des biographisch-narrativen Experteninterviews werden erläutert und in ihrer Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand diskutiert (Kap. 4.2). Biographische und berufsspezifische Aspekte interkulturellen Handelns der interviewten Personen werden kurz zusammengefasst (Kap. 4.3). Die Auswertungsmethode der dokumentarischen Interpretation der Interviews und die Entstehung sinngenetischer Typen des Handelns, Reflektierens und Interpretierens leiten schließlich in die empirischen Rekonstruktionen über (Kap. 4.4).

16 | INTERKULTURELLE HANDLUNGSKOMPETENZ

Mit dem fünften Kapitel beginnt die zentrale empirische Analyse anhand der Rekonstruktion von Formen interkulturellen Handelns. Die biographischen Rekonstruktionen der einzelnen Lebensgeschichten, welche im Laufe der Analyse entstanden sind, haben aufgrund von Anonymisierung keinen Eingang in diese Veröffentlichung gefunden. Sie werden jedoch in den Illustrationen des Buches aufgenommen. Da interkulturelle Kompetenz nicht primär als eine personenzentrierte Fähigkeit verstanden wird, sondern je nach Situation variieren kann, werden die Interviews entlang von Formen des Handelns und nicht etwa entlang von Biographien in Typen gefasst. Vier Formen des Handelns konnte ich dabei herausarbeiten. Zwei sind eher im Bereich des Verstehens des Fremden auf analytischer Ebene angesiedelt, und zwar einmal über theoretisches, das andere Mal über praktisches Wissen (Kap. 5.1). Die beiden anderen Formen des Handelns umfassen eine eher körperliche Praxis der existentiellen Distanzierung zum Fremden und des sich existentiellen Einlassens auf den Fremden (Kap. 5.2). Hier lassen sich differente Orientierungen der Distanzierung und des Sich-Einlassens sowie eine Unterscheidung hinsichtlich beruflicher und privater Situationen herausarbeiten. In Kapitel 6 wird das Handeln der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen aus einer anderen Perspektive rekonstruiert: Die Reflexion der eigenen Praxis und des eigenen Wissens stehen im Fokus der Analyse. Hier lassen sich eine Nicht-Infragestellung eigenen Wissens (Kap. 6.1) von einem Wissen um das eigene Nicht-Wissen (Kap. 6.4) und eine Nicht-Infragestellung bezüglich der eigenen Methoden des Fremdverstehens (Kap. 6.2) von einer Reflexion über die Fehlbarkeit der eigenen Methoden des Fremdverstehens (Kap. 6.3) unterscheiden. Aus einer dritten Perspektive wird in Kapitel 7 das Handeln der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten untersucht. Die Interpretation und Darstellung des Anderen und somit die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern steht hier im Vordergrund der Analyse. Aus dem Vergleich ergeben sich drei Typen: eine Wahrnehmung des Anderen aus kulturalisierender (Kap. 7.1), polit-ökonomisierender (Kap. 7.2) bzw. individualisierender (Kap. 7.3) Perspektive. Im letzten, dem achten Kapitel, werden die empirischen Ergebnisse zusammengefasst und vor dem Hintergrund des Forschungsstandes diskutiert. Zusammenhänge von Handeln, Reflektieren und Interpretieren werden in Bezug auf Anschlussmöglichkeiten des Handelns thematisiert. Hinsichtlich der Frage von sich öffnenden und schließenden Handlungsoptionen durch bestimmte Praxen des Handelns wird die Frage nach interkultureller Kompetenz nochmals aufgegriffen und in einen Zusammenhang mit interkultureller Bildung gestellt.

2 Interk ulturelle Kompe te nz aus e rzie hungsw isse nsc haftlic he r Pers pektive

In diesem Kapitel soll interkulturelle Kompetenz nicht als isolierte, pädagogisch zu fördernde Einzelkompetenz thematisiert werden. Vielmehr geht es mir darum, sie innerhalb jener Diskurse zu erörtern, in welchen sie von Bedeutung ist. Daher gehe ich zunächst auf die Themen Globalisierung, Transnationale Migration und Verständigung angesichts kultureller Vielfalt ein (Kap. 2.1), um mich erst dann dem Begriff der interkulturellen Kompetenz zu widmen (Kap. 2.2). Auf diese Weise soll eine theoretische Grundlage und Einbettung meiner empirischen Studie geschaffen werden und deutlich werden, wie ich den Begriff der interkulturellen Kompetenz in meiner Studie fasse. Der erste Abschnitt (Kap. 2.1) beschäftigt sich mit Migrations- und Bildungsprozessen in einer komplexen und heterogenen Welt, in der sich unterschiedliche Menschen einerseits durch Globalisierungsprozesse näherkommen, andererseits Begegnungen und Diskurse allzu oft durch Differenz, Ablehnung und Beherrschung gekennzeichnet sind. Mit welchen Themen und Definitionen sind wir durch Globalisierungsprozesse konfrontiert und welche Antworten hält die Erziehungswissenschaft für diesbezügliche Fragen von Bildung und Verständigung bereit? Welche Verschiebungen und Verstärkungen von Zentren der Macht und welche Partizipationsmöglichkeiten über gesellschaftliche und kulturelle Grenzen hinweg entwickeln sich dabei und wie erleben Menschen diese Prozesse passiv und aktiv gestaltend? In meinen Überlegungen steht insbesondere die Handlungsfähigkeit von Menschen angesichts neuer und fremder Situationen im Vordergrund. Damit wird der Einzelne als handelndes, denkendes und interpretierendes Subjekt seiner Umwelt konzipiert, welche sowohl Anforderungen an ihn heranträgt als auch von ihm aktiv mitgestaltet wird. In diesem Zusammenhang diskutiere ich, welche grundsätzlichen Überlegungen vonnöten sind, um kenntlich zu machen, welches Phänomen mit ›Interkulturalität‹ gemeint ist. Denn im Anschluss an die Diskussionen der interkulturellen Pädagogik zur Verwendung von Kategorien wie ›Ethnizität‹ und ›Kultur‹

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kann längst nicht mehr von eindeutigen Begriffen und Annahmen, selbst innerhalb des Felds der interkulturellen Pädagogik, ausgegangen werden.1 Eine »Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten« (Nohl 2006c) bietet mit einem milieutheoretischen Ansatz hier eine Chance, auf der Ebene praktischer Lebensführung verschiedene Aspekte interkulturellen Handelns in den Blick zu bekommen. Interkulturelle Interaktionen werden unter dem Begriff der interkulturellen Kompetenz, welcher zu einer »Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts« (Deardorff 2006) wurde, in verschiedenen Disziplinen, so auch der Erziehungswissenschaft, kontrovers diskutiert. Dort findet sich eine komplexe Auseinandersetzung mit der Frage von Fähig- und Fertigkeiten für einen ›kompetenten‹ Umgang und ein Miteinander, die ich in Abschnitt 2.2 nachzeichne. Die Bestimmung interkultureller Kompetenz und ihre Erforschung sind kritisch zu sehen. Verschiedene Modelle versuchen das komplexe Feld interkultureller Begegnungen einzufangen. In den letzen Jahren hat eine Entwicklung der Diskussion zu interkultureller Kompetenz von so genannten Listenmodellen hin zu Prozessmodellen stattgefunden, die eine veränderte Perspektive auf Interkulturalität aufgenommen haben. Gleichzeitig können grundsätzliche Schwierigkeiten einer Bewertung ›kompetenten‹ Verhaltens nicht aufgelöst werden. In seiner Normativität und Funktionalität bleibt der Begriff diskussions- und fragwürdig. Handlungstheoretische Anknüpfungen finden sich bisher kaum.

2.1 Globalisierung, transnationale Migration und Verständigung angesichts kultureller Vielfalt Eine Auseinandersetzung mit dem Fremden und Anderen und der Beziehung zu diesem ist keine neuartige Erscheinung. Gerade im Hinblick auf Fragen von Sozialisation, Identitätsentwicklungen und Bildungsprozessen handelt es sich dabei um eine grundlegende Thematik der Erziehungswissenschaft.2 Das »Angewiesensein auf den Anderen«, wie es bei Gebauer/ Wulf (1998: 241) heißt, ist die Basis menschlicher Entwicklung in einem sozialen Feld. Das Lernen durch und mit dem Anderen3, die Imitation des Anderen und die Abgren1

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Vgl. hierzu insbesondere die Auseinandersetzung zwischen Radtke und Auernheimer in den 1990er Jahren in Bezug auf Kulturalisierungprozesse innerhalb der pädagogischen Praxis (Auerheimer 1996, Radtke 1995). S. dazu auch Hamburger 1999. So wird Identität im Zusammenhang mit Alterität gesehen und die Entwicklung des Menschen als sozialen Wesens im Zusammenhang von Nachahmung, Lernen und Sozialisation in einer Gruppe betrachtet (vgl. Nicklas 2006; Gebauer/Wulf 1998 und Wulf 2005). Insbesondere auch Meads Interaktionstheorie hat der Bedeutung des Aufwachsens in einer sozialen Gruppe und der Entstehung eines Selbst durch Interaktion eine Bedeutung zugeschrieben, welche heute als Klassiker der Sozialisationstheorie gesehen werden kann (Mead 1973). In der vorliegenden Arbeit benutze ich den Begriff Andere, um Differenzlinien und Konstruktionen deutlich zu machen. In vielen Fällen kann auch von dem Fremden

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zung vom Nicht-Ich sind grundsätzliche Schritte einer sozialisatorischen Entwicklung eines jeden Menschen.4 Auch Gesellschaften definieren sich durch (räumliche, politische, religiöse, soziale) Grenzen zu anderen. Dieser Abgrenzung vom Anderen und einer damit einhergehenden Selbstdefinition scheint im Zuge von Migrations- und Globalisierungsprozessen besondere Bedeutung zuzukommen, da Selbst- und Fremddefinitionen in der Auseinandersetzung mit Anderen variieren und sich verschieben können. Wird Globalisierung dabei nicht nur unter dem Aspekt sich zusammenschließender wirtschaftlicher und politischer Strukturen als ein sich vollziehendes Phänomen globaler Vernetzung wahrgenommen, sondern auch dem diskursiven Moment der Globalisierungsdebatte und der Konstruktion voneuen und alten Freund- und Feinbildern Rechnung getragen, so muss eben diesem Aspekt des Bezogenseins auf den Anderen Aufmerksamkeit zuteil werden.5

Globalisierung Der Globalisierung als »eine[r] Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen« (Nassehi 1998: 155) wird neben Skepsis und Ablehnung6 auch viel Hoffnung entgegengebracht und zwar sowohl in Bezug auf ökonomisches Wachstum7

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gesprochen werden. Andere werden dann nicht nur als different zur eigenen Person gesehen, sondern zugleich als fremd, als nicht verständlich und nicht zugänglich wahrgenommen. Der Fremde ist dabei in seiner Zuschreibung mehr als nur ein Anderer. Im Begriff des Fremden vereinigen sich Ein- und Ausgrenzungsprozesse mit Unverständnis und Angst, aber auch Neugier. So ist es in bestimmten Kontexten naheliegender, von Fremden zu sprechen. Diese Distanz und der implizite Transport von Bedeutungen, die im Fremden als dem ganz Anderen liegen, sollen nicht grundlegend an die Arbeit herangetragen werden, sondern nur an den Stellen auftreten, wo neben das differente Andere auch das faszinierende und erschreckende Fremde tritt. Weitere Aspekte des Anderen, wie in Form von Objekten, einer geschichtlichen Dimension oder auch des Unbewussten, tauchen in dieser Arbeit nicht auf. Vgl. dazu auch Nieke (2000). Mit seinem 1978 erschienen Werk »Orientalism« hat Said auf die Konstruktion des »Orients« in der Literatur aufmerksam gemacht und damit eine kritische Lesart der Zuschreibung des Anderen gefordert, welche zahlreiche Arbeiten im Bereich postkolonialer Studien angeregt hat (vgl. Said 1979 und für einen Überblick: Castro Varela/Dhawan 2005). Kritik an der Globalisierung wurde zum Beispiel beim ersten Welt-Sozial-Forum 2001 in Porto Alegre in Brasilien laut. Unter dem Slogan »Another World Is Possible« wird eine wirtschaftsliberale globale Entwicklung kritisiert und dieser ein Konzept globaler Integration entgegengesetzt, welches u. a. demokratische Mitsprache, Einhaltung der Menschenrechte und Gleichberechtigung von Staaten fordert. In den USA formieren sich Gruppen unter »Global Justice Movement« und »Movement for Justice en el Barrio« zu Anti-Globalisierungsprotesten. In Europa sind es u. a. »Trade Justice Movement«, »Alter-globalization« und »Attac«, welche einer wirtschaftlichen Globalisierung ein Menschenbild entgegensetzen, welches nicht zu verkaufen ist (vgl. www.attac.org). Für die so genannten »Globalisierungsgewinner«, wie Unternehmen, Staaten oder auch einzelne Personen.

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als auch auf eine Humanisierung und Solidarisierung unter den Menschen, welche sich über die Spaltung der Welt in Nationalstaaten hinwegsetzt.8 Dass es sich dabei nicht um ein völlig neues Phänomen der Entdeckung der Welt und transnationaler Verbindungen handelt, merkt Nassehi an, wenn er darauf verweist, dass »Kulturen, Denkräume, Religionen und Konfessionen niemals jene lokale Selbstgenügsamkeit besaßen, wie es die Priesterherrschaft ihrer Verwalter immer gern gehabt hätten« (ebd. 1998: 153). Das Neue, welches er im Diskurs zur modernen Globalisierung ausmacht, ist eine veränderte Infragestellung des Eigenen angesichts des Anderen. »Das Neue ist, dass die europäische/nordamerikanische Moderne, die stets auf Globalität, Universalität, Allgültigkeit und Allzuständigkeit drängte, sich nun explizit den Zumutungen einer Globalität ausgesetzt sieht, die ihre Universalität, Allgültigkeit und Allzuständigkeit untergraben« (Nassehi 1998: 155; Hervorhebung im Original)

Demzufolge werden globale Unterschiedlichkeiten, soziale und kulturelle Ungleichheiten, sowie radikale Perspektivendifferenzen in der »Reziprozität der Differenz« (ebd.: 156) für Europäerinnen und Nordamerikanerinnen in anderem Maße bedeutsam als zu Zeiten einer wirtschaftlichen und politischen, kaum hinterfragten Kolonialisierung des Südens.9 Die gegenseitige Beobachtung und damit das Aufeinanderbezogensein macht das aus, was Nassehi die Weltgesellschaft nennt, in der wir leben. Sie führt hinzu, dass der Einzelne sich zunehmend innerhalb globaler Zusammenhänge wahrnimmt, was einerseits Selbstreflexivität und die Relativierung des Staatlichen fördert. Andererseits wird in Gegenbewegungen ersichtlich, dass de-globalisierende Perspektiven, etwa durch Regionalisierung und Separatismus, an Bedeutung nicht verlieren. Dies ist aber nicht allein einer Suche nach ›dem Eigenen‹, nach Identitätspolitiken und der Abgrenzung vom Anderen zuzurechnen,10 sondern auch der Tatsache, dass trotz globaler ›Kulturströme‹ und Vernetzungen, welche homogenisierend wirken können, weiterhin Asymmetrien und Herrschaftsstrukturen bestehen bleiben oder sich noch verschärfen.11 So haben wir es nach wie vor nicht mit einer globalisierten Welt 8

Hannerz schreibt dazu: »In some quarters at least, there is a growing sense that what is needed is more of a global citizenship that involves people as active, responsible, informed participants in a public life that in one way or another transcends national boundaries and is concerned with the welfare of humanity« (Hannerz 2004: 16). 9 Damit ist insbesondere die Zeit des modernen Imperialismus gemeint, welcher etwa von 1880 bis zum Zweiten Weltkrieg datiert wird und neben der Aufteilung von Herrschaftsgebieten durch die Verbindung von Sozialdarwinismus und einer so genannten Rassentheorie nicht nur wirtschaftliche Dominanz, sondern in großem Maße auch geistige und moralische Überlegenheit durch Europa demonstrierte. 10 Auf Kulturalisierungsprozesse als Gegenbewegung zur Globalisierung weisen Hannerz (1995: 6) und Welsch (1995: 7) hin. 11 Wird die Bedeutung des Nationalstaats durch Globalisierungsprozesse und seine Infragestellung durch transnationale Migranten geschwächt (vgl. Castles 2000, Wenzel 1997), geht von nationalstaatlichen Strukturen und deren regulierenden

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zu tun, sondern mit Welten, die mit ihrem jeweiligen Sinn für den Einzelnen und die Gruppe hervorgebracht werden12 und mit unterschiedlichen Voraussetzungen am Globalisierungsprozess und -diskurs teilhaben oder auch nicht teilhaben (vgl Nassehi 1998: 157). Vor diesem Hintergrund ist die Erziehungswissenschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Als zentrale Aufgabe sehe ich es an, praktische Antworten auf die Fragen zu finden, wie diese pluralen Welten für die in ihr beheimateten Menschen sinnvolle und richtige Welten sozial aneinander anschließen, wie ein Bewusstsein für Ein- und Ausgrenzungspolitiken entwickelt werden kann und soziale Ungleichheiten abgebaut werden können. Im Bildungsbereich bedeutet dies für eine sich schnell verändernde und zusammenwachsende Welt, die trotzdem different bleibt (vgl. Wulf 2001), die richtigen Formen der Vermittlung von Wissen zu finden (vgl. u. a. Faure et al. 1973, Dohmen 1996, Scheunpflug 2000). Gleichzeitig muss es auch darum gehen, die Konstruktion von Überlegenheit durch Wissen kritisch zu reflektieren. So müssen Kompetenzen und ein Wissen definiert werden, welche notwendig sind, um sich in einer unsicheren Zukunft von morgen zurechtzufinden (vgl. Morwaski/Overwien/Schalla 2004), und dieses Wissen muss auch immer wieder hinterfragt werden. In diesem Prozess wird einerseits die Chance einer neu zu definierenden Perspektive auf Bildungsprozesse gesehen, die vor allem informellem Lernen einen größeren Stellenwert zugesteht (vgl. Dohmen 1996, Overwien 2004) und verstärkt bei den Ressourcen der Lernenden als bei ihren (vermeintlichen) Defiziten ansetzt. Andererseits kann die Auseinandersetzung der Pädagogik mit Fragen der Globalisierung als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen gesehen werden, die zumeist als problematisch eingestuft werden und zu denen aktuelle pädagogische Konzepte erst noch entwickelt werden müssen. Ein so genanntes globales Lernen setzt sich, so Overwien, erst seit kurzer Zeit in Deutschland durch und ist auch eher in der pädagogischen Praxis als im Rahmen der universitären Lehre und professionellen Ausbildung und Forschung anzutreffen (vgl. Overwien 2002: 8). So gibt es einerseits ein verstärktes Bewusstsein für Themen interkulturellen Miteinanders und eine globale Perspektive auf Lernund Bildungsaufgaben, andererseits haben diesbezügliche Praxen häufig noch einen Erprobungscharakter und stehen insbesondere im Vergleich zu einer Internationalisierung von Wirtschaftsbeziehungen erst am Anfang. Wulf benennt Konfliktkonstellationen, welche die Erziehung heute weltweit bestimmen, und leitet Mechanismen nach wie vor eine bedeutende Macht bezüglich transnationaler Bewegungen aus und es bilden sich neue globalisierte Zentren von Reichtum und Zonen lokalisierter Armut heraus (vgl. Schlehe 2007: 454). 12 Nassehi bezieht sich hier auf die Phänomenologie Edmund Husserls und auf Alfred Schütz und verweist auf das sich anschließende perspektivische Verständnis der sozialen Welt. Die Bedeutung subjektiven Sinns findet sich auch im Sozialkonstruktivismus bei Berger und Luckmann und in Bourdieus Konzept des sozialen Sinns wieder (vgl. Nassehi 1998: 157).

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davon bestimmte globale Lern- bzw. Erziehungsziele ab, u. a. »die Entwicklung von Handlungskompetenz in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen« (Wulf 2001: 185). Er verweist jedoch darauf, dass offen bleibt, ob und inwieweit diese Ziele erreichbar sind (ebd.: 186). Auch das Wie der Vermittlung von Handlungskompetenzen stellt dabei eine weitere offene Frage dar. Prämisse einer interkulturellen und internationalen Aufgabe von Erziehung und Bildung ist nach Wulf, das Spannungsverhältnis zwischen Globalität und kultureller Vielfalt zu bearbeiten und darin eine praktische Kompetenz zu entwickeln (vgl. Wulf 2006: 145). Deutlich wird, dass Prozesse der Globalisierung erstens auf die Erziehung und Bildung einwirken und neue pädagogische Fragestellungen auftauchen, sowie bisherige Absolutheitsansprüche aufgegeben werden müssen. Zweitens verändern sich auch die Ausgangssituationen des Lernens und Handelns beispielsweise durch veränderte Lebensbedingungen im Zuge von Migration.

Transnationale Migration Nach Bommes/Morawska (2005) sind zunehmende internationale Migrationsbewegungen der integrale Bestandteil eines fortschreitenden Globalisierungsprozesses. Diese Entwicklung führte zu einer Renaissance der Immigrationsforschung in den USA und Europa. Seit 1990 lässt sich innerhalb der Migrationsforschung ein Perspektivenwechsel ausmachen, wodurch vermehrt die sozialen Räume von Migranten und ihre transnationalen Vernetzungen in den Blick genommen werden (vgl. Vertovec 2001). Diese Arbeiten zielen zum einen auf Identitätskonstruktionen in sozialen Welten, auf Fragen von Heimat an verschiedenen Orten (vgl. ebd.), zum anderen auf eine Transnationalisierung von Lebensräumen durch neue ökonomische, politische, soziale und kulturelle Einflüsse von transnationalen Migrantinnen13 und globaler Massenkommunikation, etwa durch Satellitenfernsehen und Internet (vgl. Glick Schiller/Basch/Blanc-Szanton 1995; Portes 1999). Eine zunehmende Bedeutung transnationaler Vernetzung wird darauf zurückgeführt, dass räumliche Distanzen aufgrund der weltweiten Entwicklung der Kommunikationstechnologie und des Verkehrs schneller, einfacher und billiger zu überwinden sind (vgl. Vertovec 2001, Morawska 2000). Die Erfahrungswelt der transnationalen Migranten wird innerhalb eines sozialen Raums gedacht, welcher nicht territorial ist und sich damit endgültig von der Vorstellung abgrenzbarer »Container-Gesellschaften« (Adick 2005: 260) löst. Das Konzept der Transnationalisierung nimmt dabei eine handlungs- und subjektbezogene Perspektive ein. Der aktiven und kreativen Gestaltung des Lebens und des Umgangs mit Kultur wird aus dieser Perspektive Platz gemacht, gegenüber einem

13 Mit Transmigrantinnen werden von Kreutzer/Roth Personen bezeichnet, welche zwischen Ländern pendeln oder von einem Land in das nächste wechseln und sich damit vorübergehend in einem anderen Land als ihrem Heimatland aufhalten, ohne »sich in einem Land auf unbeschränkte Dauer niederzulassen« (Kreutzer/Roth 2006: 7).

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reinen Reagieren auf soziale Umstände.14 Die Idee eines kosmopolitischen Subjekts rückt in den Vordergrund. So spricht Mau von einer neuen Beweglichkeit, welche einen Zuwachs an individuellen Freiheiten hervorbringe und damit auch Zeichen für eine Individualisierung des Lebens wird, in der sich der einzelne Mensch von Bindungen und Zwängen löst (vgl. Mau 2007: 123/124). Gleichzeitig können durch Individualisierungsprozesse soziale Konflikte entstehen. Mobilität einerseits und Bindungen an lokale Gemeinschaften andererseits schaffen Potential für Krisen, enttäuschte Erwartungen und auch Unsicherheiten. Sie können aber auch neue Formen transnationaler Konnektivität schaffen und kulturelle und soziale Erfahrungswelten erweitern. Weltweite Verflechtungen, zirkulierende Imaginationen, Bedeutungen und Erfahrungen wirken auf Lebensstile, Produkte, Institutionen, Medien und Vorstellungen ein und verändern diese. Globalisierung wird auf der Ebene der Individuen als »Glokalisierung« (Robertson 1998: 196) konkret, als Gestaltung des Lebens mit der Entstehung neuer Gruppenidentitäten und Aushandlungsprozesse. Kulturelle Zugehörigkeiten und Repräsentationen verschwimmen und öffnen den Blick für Transkulturalität oder auch Zwischenwelten (vgl. Welsch 1995, Gemende 2002). Transkulturalität stellt eben jene Grenzüberschreitung dar, welche bisherige (scheinbar festbestimmte) Handlungs- und Definitionsschemata in Frage stellen kann. Dies sowohl durch eine Durchdringung des Alltags mit Konzeptionen, Dingen und Ideen, die aus unterschiedlichen kulturellen Orten kommen, als auch durch die Mitnahme kultureller Artefakte, Vorstellungen und Werte im Zuge von Migration. Eine Perspektive der Transkulturalität gewährt den handelnden Akteurinnen in Migrationsprozessen Gestaltungsspielräume. Dazu gehört auch, sich von der Vorstellung zu lösen, ein Mensch gehöre einer (Herkunfts-) Kultur an, welche er aufgeben müsse, um an einem anderen Ort, in einer anderen Kultur anzukommen und sich dort zu ›assimilieren‹. Die Erziehungsund Sozialwissenschaften nehmen hier u. a. Diskussionen der Cultural Studies wie das Konzept von Stuart Hall (1994) zu hybriden Identitäten oder auch der feministischen Theorie wie die Konstruktion von (Geschlechts-)Identität als vermeintlich ontologische Entität im Spannungsfeld zwischen scheinbar natürlich und kulturell (vgl. Butler 1991) auf. Damit rückt die Gestaltung komplexer Identitäten in der jeweiligen Lebenspraxis ins Zentrum des Interesses und verringert eindimensionale Zuschreibungen, die allein auf der Dimension von Ethnizität oder Herkunft beruhen. Dass sich die Gestaltungsspielräume der Personen je nach Herkunftsland, Bildung, sozialer Schicht, ökonomischen Ressourcen, etc. und damit schließlich Partizipationsmöglichkeiten gravierend unterscheiden und sie unterschiedlichen Formen der Anerkennung oder Repression ausgesetzt sind, sollte dabei nicht übersehen werden. 14 Westphal geht so weit, darin eine Beschreibung von Avantgarde oder Vorreitern zu sehen (vgl. Westphal 2007: 85). Nohl et al. weisen darauf hin, dass Migrantinnen den meso- und makrosozialen Kontexten nicht nur ausgeliefert seien, sondern diese auch mitgestalten würden (vgl. Nohl et al. 2006: 5).

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Der Fokus auf handelnde Akteure in Migrations- und Globalisierungsprozessen kritisiert eine Theorie der Migration, die implizit davon ausgeht, dass allein Armut, Erwerbslosigkeit und die Suche nach einem höheren Einkommen die Migration bestimmen und verweist auf die Anwerbungen von Menschen durch Industrienationen als Folge der kapitalistischen Weltwirtschaft (vgl. Parnreiter 2002). Den migrierenden Personen wird gegenüber einer rein reaktiven Handlung mehr Handlungspotentiale zugesprochen, was eine Entstehung von transnationalen Räumen und Identitäten vorantreiben kann, und gleichzeitig wird auf einen das Handeln beeinflussenden ökonomischen und politischen Rahmen hingewiesen. »Internationale Wanderungen sind gemäß dieses Forschungsansatzes nicht nur eine Folge von Globalisierung, sie stellen auch eine Triebfeder derselben dar, weil und indem sie traditionelle Raumvorstellungen, Identitäten und Staatsbürgerschaftskonzepte in Frage stellen« (Parnreiter 2002: 63/64).

Forschungen zu transnationaler Migration sehen sich mehrdimensionalen Phänomenen gegenüber, die für Staaten, Gruppen und Individuen ein Bedeutungsgewebe bilden. So treten neben ökonomischen Aspekte des Transnationalismus, und zwar sowohl auf der Makroebene von wirtschaftlicher Verbesserung und Verschlechterung (Stichwort: brain drain)15 als auch auf der Mikroebene der finanziellen Unterstützung von Familien und Freundinnen im Herkunftsland, insbesondere auch kulturelle Verflechtungen und Aspekte interkulturellen Austausches in Erscheinung. Die Suche nach Identität(en) und Zugehörigkeit, die Verwertung kulturellen Kapitals und der Umgang mit staatlichen Regulierungen kommen dabei ebenso ins Blickfeld wie Ausgrenzungs- und Marginalisierungserfahrungen (vgl. u. a Thiersch 2008, Thomsen 2009, Glorius 2007, Fürstenau/ Niedrig 2007). Es zeigt sich, dass die nach wie vor eher geringe Anzahl an Forschungsansätzen zu transnationaler Migration sich, ebenso wie die klassische Migrationsforschung, vornehmlich auf Migration vom Entwicklungs- bzw. Schwellenland hin zu einer Industrienation beziehen (vgl. Pries 2001, Cohen 1996, Husa 2000). Dies ist auch für den Bereich der hochqualifizierten Migranten16 zutreffend (vgl. etwa Fromhold-Eisenbith 2002, Berndt/Menikken 2003, Hunger 2003, Pethe 2006).17

15 Vgl. dazu Hunger 2003. 16 Mau definiert Hochqualifizierte als Personen mit mindestens einem (deutschen) Fachschulabschluss (vgl. Mau 2007: 125). 17 Einzig im Bereich der Wirtschaftswissenschaft gibt es einige Literatur zur Entsendung von Expatriates, wobei vornehmlich ökonomische Interessen den Rahmen bilden und Migrationstheorien und Fragen von interkultureller Bildung kaum Beachtung finden (vgl. hierzu etwa die Studie der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan 2007). Auch in der Studie von Wittkop (2006) zu interkultureller

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Die hochqualifizierten Akteure der Globalisierung, die so genannten global players (wie auch in der vorliegenden Studie) kommen in empirischen Untersuchungen erst in jüngster Zeit in das Blickfeld der Wissenschaft. Hannerz‹ Interesse an Auslandskorrespondentinnen rührt unter anderem daher, dass diese Personen Schlüsselfiguren heutiger Globalisierung des Bewusstseins zu sein scheinen (vgl. Hannerz 2004: 2). Diese ›Schlüsselfiguren‹ der Globalisierung treten insbesondere durch die Tatsache ihrer permanenten Wanderung von Ort zu Ort hervor und rücken ins Zentrum der Fragestellung, welche symbolischen Fußabdrücke sie hinterlassen und welche Fähig- und Fertigkeiten sie neu erwerben sowie wie sie ihr (kulturelles) Wissen weiterverbreiten. Diese »Elitemigranten«18 (Moosmüller 2007: 482) bringen ein anderes Kapital19 mit sich als weniger privilegierte Migranten und ihr Leben ist bestimmt durch eine Form der Mobilität, die bestimmte Entscheidungsfreiheiten zulässt, auch wenn sie dabei »den Regeln des globalen Kapitalismus bzw. der Globalisierung [unterliegen,] indem sie diese praktizieren« (Kreutzer 2006: 57). Ihre Lebens- und Migrationsbedingungen unterscheiden sich in hohem Maße von so genannten prekären Transmigrantinnen, deren Leben häufig durch einen Mangel an Möglichkeiten, Armut sowie teilweise auch Illegalisierung gekennzeichnet ist. Diese Transmigrantinnen sind mit Bedingungen des sozialen Raums konfrontiert, der ihre Partizipationsmöglichkeiten in vielen Fällen drastisch einschränkt. Expatriates sind Teil der Gruppe ›kosmopolitischer‹ Transmigrantinnen.20 Sie sind hochqualifiziert und arbeiten für eine begrenzte Zeit im Ausland und werden (meist) von einer Organisation des Herkunftslandes entsandt. »Expatriates sind Migranten, aber keine Zuwanderer, da sie nicht beabsichtigen, dauerhaft im Residenzland zu bleiben und sich einbürgern zu lassen« (Moosmüller 2007b: 480). Es ist gerade auch auf der Ebene der Gestaltung und Partizipation innerhalb eines sozialen Raumes aufschlussreich, wie der ›transnationale Raum‹ von diesen hochqualifizierten Transmigrantinnen erlebt und genutzt wird und welche sozialen Verflechtungen, jenseits einer Notwendigkeit das Überleben zu sichern, Kompetenz deutscher Expatriates in China stellen ökonomische Überlegungen Ausgangspunkt der Fragestellung dar. 18 Die transnationale Migrantin wird u. a. auch als »cosmopolit« bezeichnet (vgl. Kreutzer 2004). Cosmopolitan Citizenship wird auch von Seiten der UNESCO und des Council of Europe als eine Konzeption globalen Lernens vorgestellt und die Notwendigkeit so genannter ›social skills‹ als Kompetenzen einer political literacy erwähnt (vgl. Osler 2004). 19 Kapital wird hier im Sinne von Bourdieu als soziales, kulturelles, ökonomisches und symbolisches Kapital verstanden (vgl. Bourdieu 1983). 20 Hannerz wählt für seine Studie über Auslandskorrespondentinnen außer »Expatriate« auch die Begriffe »Sojourner« und »Cosmopolitans« in Anlehnung an Robert Mertons klassische Unterscheidung zwischen »cosmopolitans«, »locals« (Merton 1957: 387–402, zit. nach Hannerz) und »spiralists«. Davon gesondert bezeichnet er jene Journalisten, die längerfristig in einem Land verweilen, aber immer noch für Medien ihres Herkunftslandes arbeiten, als »long-timers« (vgl. Hannerz 2004: 82 f.).

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entstehen. «Space here not only refers to physical features, but also to larger opportunity structures, the social life and the subjective images, values and meanings that the specific and limited place represents to migrants« (Faist 1998: 8). Dieser Aspekt des sozialen Raums und die darin entstehende oder nichtentstehende Interaktion mit Menschen in den Ankunftsländern ist in der empirischen Forschung zu hochqualifizierten Transmigranten bisher noch nicht hinreichend betrachtet worden. Exemplarisch kann hier die quantitative Studie von Mau herangezogen werden, in der er Prozessen veränderter Verhaltenskontexten im Zuge von Migration nachgeht, jedoch die konkrete Handlungspraxis der Akteure nicht näher erfasst. Er konstatiert, dass gewohnte Handlungs- und Interaktionsmuster an einem neuen Ort nur noch bedingt Gültigkeit haben und der umfassende Handlungsrahmen inklusive seiner rechtlich-politischen, sozialen und kulturellen Bestandteile sich verändert (vgl. Mau 2007: 125). Eine neue Handlungsbedingung ist auch, »als Fremder und Nicht-Dazugehöriger wahrgenommen zu werden, weil Sprache, Physiognomie, Habitus oder Hautfarbe auf die Herkunft hindeuten. Das kann Menschen auf die eigene Identität zurückwerfen und die im nationalstaatlichen Kontext unhinterfragte Selbstverständlichkeiten zum Thema machen« (ebd.).

In seiner Studie greift Mau diesen Aspekt auf und erforscht einen Zusammenhang zwischen individueller Transnationalität und einer kosmopolitischen Perspektive. Dabei arbeitet er (formale) Bildung als entscheidenden Faktor von Transnationalisierungsprozessen heraus und zwar sowohl auf der Ebene von Kontakten zu »Ausländern« als auch auf der Einstellungsebene (vgl. ebd.: 249). Nach Mau sind Personen mit höherer Bildung leichter in der Lage, »transnationales Sozialkapital zu akkumulieren« (ebd.: 244) und einen »transnationalen Habitus auszuprägen« (ebd.: 249). Die Analyse konzentriert sich dabei allerdings auf die Ebene der Erforschung von Einstellungen und Perspektiven und lässt die soziale Praxis der Akteure und das Wissen der Praxis in ihrem interkulturellen Handeln außen vor. In seiner Studie wird daher nicht ersichtlich, wie sich die kosmopolitische Perspektive der Transmigranten in ihrer Alltagspraxis dokumentiert und ob sich durch eine so veränderte Perspektive überhaupt eine Veränderung auf der Ebene des interaktionalen Handelns finden lässt. Für die Frage eines interkulturellen Umgangs ist diese praktische Ebene aber durchaus bedeutsam, da dort ›Kultur‹ ausgehandelt und (re-)produziert wird. Auf die Berufsgruppe von Entwicklungshelferinnen als Transmigrantinnen, welche auch ich in der vorliegenden Studie untersuche, fokussiert Thiersch. Sie wendet verschiedene Modelle zum Umgang mit Kultur, an, um theoretisch mögliche Einflussfaktoren auf den »Akkulturationsprozess« (Thiersch 2008: 71) oder auch die Wahrnehmung bei einem »Kulturschock« (ebd.: 89) auszumachen. Diese eher statischen Modelle zum Umgang mit verschiedenen Kulturen reiht Thiersch aneinander, um so einen theoretischen Rahmen zu bilden und verschiedene Aspekte in ihre Analyse

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mitaufzunehmen. Auch hier ist jedoch die Ebene des praktischen Handelns nicht ersichtlich. Da die Aussagen zu Entwicklungshelferinnen als transnationale Migrantinnen auf einer deskriptiven Ebene, die durch nicht-kontrollierte Vorannahmen dominiert sind, verbleiben, wird auch nicht offensichtlich, welche Relevanz diese Aspekte des »Akkulturationsprozesses« für die Entwicklungshelfer konkret haben. In qualitativ angelegten Studien scheint demgegenüber der Praxis der Akteure mehr Gewicht verliehen zu werden. Einige Aspekte der Gestaltung des ǹtransnationalen RaumsǸ von Expatriats lassen sich in Untersuchungen finden, die sich im weitesten Sinne mit transnationalen Karrieren beschäftigen (vgl. Kreutzer/Roth 2006). So wendet sich etwa Kreutzer (2006) hochqualifizierten Migranten zu und spürt den transnationalen Karrieren eines ǽdual-career coupleǼ im internationalen Ölgeschäft nach. Anhand der Mobilitätserfahrungen und Zukunftspläne des Paares im Zusammenhang mit Akkulturationsprozessen arbeitet er heraus, dass die Bedeutung des Aufenthaltsortes hinter die berufliche Situation zurücktritt (vgl. Kreutzer 2006: 56). Damit tritt der Beruf als strukturierendes Moment der Lebensplanung, -gestaltung und -orientierung in den Vordergrund. Dies kann als eine Verschiebung der Handlungsorientierung interpretiert werden, etwa hinsichtlich der Bedeutung (geographischer) Herkunft. Auch Weiß (2006) arbeitet als Ergebnis ihrer qualitativen Studie zu hochqualifizierten Migrantinnen heraus, dass Orte, insbesondere als nationalstaatlich geprägte, an Bedeutung verlieren. Ihre nicht eindeutig zu beantwortende Frage, ob der soziale Raum transnationaler Migranten (sie vergleicht ǽexpatsǼ und ǽGreen-Card-HalterǼ) eine transnationale Mittelklasse ausmache, fordert von einer diesbezüglichen Forschung, sowohl den Habitus der Akteure wie auch sozialstrukturelle Bedingungen in die Analyse aufzunehmen. Weiß plädiert dafür, in der Erforschung die (Herkunfts-) Orientierung und die Bedingungen des Handlungsfeldes in Beziehung zu setzen. Ebenfalls im Rahmen einer qualitativen Studie zu hochqualifizierten Migrantinnen trifft Nowicka (2006) eine Unterscheidung zwischen Experten und Touristen in Bezug auf die Erfahrung des Raumes. Sie thematisiert in ihrer Forschung sowohl Erwartungen und Motivationen im Umgang mit Orten als auch unterschiedliche Handlungsfelder der Migranten. Es kommen Aspekte wie Neudefinitionen von Raum und Identität und der Bedeutungsverlust des Nationalstaates ins Blickfeld und ein globales, kosmopolitisches Handeln zeichnet sich ab, welches primär an Leistung und Kapital orientiert ist. Wie sich der Handlungsprozess von Expatriates in interkulturellen Handlungsfeldern (etwa beruflich und privat) gestaltet, konnten die Studien zu transnationaler Migration in dieser Form bisher nicht zeigen. Da die Schwerpunkte in den qualitativen Studien auf biographische Rekonstruktionen und den Umgang mit Raum und nationalstaatlichen Bedingungen liegen und in quantitativen Studien Kontakten zu ǽAusländernǼ und die Einschätzung der Globalisierung abgefragt werden (vgl. Mau 2007) treten konkrete Interaktionen mit der jeweils

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lokalen Bevölkerung vor Ort und daraus entstehenden interkulturellen Prozessen in diesen Arbeiten kaum in Erscheinung. Der Umgang mit der einheimischen Bevölkerung des Aufenthaltslandes steht insbesondere in Forschungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation im Vordergrund. Klingt in den Studien zu transnationaler Migration und auch in der Auseinandersetzung mit Aspekten der Globalisierung ein ›kompetenter‹ Umgang mit interkulturellen Situationen nur an, ohne dass daraus ein spezielles Forschungsvorhaben entstanden wäre, lässt sich im Bereich der interkulturellen Kommunikation verstärkt eine Auseinandersetzung mit den Arbeits- und Lebenssituationen von Expatriates und deren interkulturellen Begegnungen unter dem Aspekt interkultureller Kompetenz finden. Dabei werden grob umrissen zwei Themenfelder akzentuiert. Zum einen geht es um die berufliche Effektivität im Ausland und um dafür notwendigen Kompetenzen. Zum anderen um die Anpassung im Aufenthaltsland, um Akkulturationsprozesse der Expatriates (vgl. Moosmüller 2007a). Moosmüller konstatiert, dass es sich bei Expatriates vorwiegend um Wanderer zwischen industrialisierten Ländern handele und sie daher weniger Problemen, etwa Diskriminierungen, ausgesetzt wären, jedoch auch den Umgang mit Andersheit meistern müssten (vgl. Moosmüller 2007b: 482). Er kritisiert die vorliegenden Forschungsarbeiten dabei als idealisierend und schlussfolgert, dass es »differenzierte Vorstellungen über den idealen Expatriate, aber nur grobe Kenntnisse über den realen Expatriate« gibt (ebd.: 486). Wer sind die Expatriates? In welche Kultur, in welche kollektiven Erfahrungsräume sind sie eingebunden, wenn sich nationalstaatliche Bedeutungen für Identitäten zurückziehen oder vielleicht nie so bestanden haben, wie es allgemein angenommen wurde? Mit welchen ›Welten‹ sind sie konfrontiert und wie gelingt eine Verständigung in einer hybridisierten, transkulturellen Welt angesichts der kulturellen Vielfalt?

Verständigung angesichts kultureller Vielfalt Fehlt in den Forschungen zu Transkulturalität von Expatriates der Aspekt der Verständigung, so wird dieser Aspekt in der interkulturellen Erziehungswissenschaft dort diskutiert, wo davon ausgegangen wird, dass Personen durch verschiedene kollektive Einbindungen ihre ›kulturellen‹ Erfahrungen und ihr spezifisches Wissen in eine Interaktion einbringen und sich so auf der Ebene der Handlungspraxis ein Verständigungsprozess widerspiegelt. Die Erziehungswissenschaft sieht sich in vielerlei Hinsicht mit einer solchen ›Interkulturalität‹ konfrontiert. Dies rührt insbesondere von einer veränderten Perspektive der interkulturellen Pädagogik, welche vermehrt Ansätze der Antidiskriminierungspädagogik (Gomolla/Radtke 2002), der Diversity-Pädagogik (Hormel/Scherr 2003, Rommelspacher 2005) und des Intersektionalitätsansatzes (Crenshaw 1991, Knapp 2005) berücksichtigt. Durch eine mehrdimensionale Perspektive öffnen sich u. a. Verbindungen zwischen Themen sozialer Ungleichheit, Hilfsbedürftigkeit oder auch Generationskonstellationen und verschiedene Differenzlinien

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kommen in Betracht. Im Laufe der letzten 50 Jahre hat sich in Deutschland die Auseinandersetzung mit Themen der Migration und Bildung innerhalb der Erziehungswissenschaft gravierend verändert. Ansätze der Ausländerpädagogik werden weitgehend als überholt, defizit-orientiert, ethnisierend und teilweise rassistisch angesehen. Die interkulturelle Pädagogik greift die Kritik der Antidiskriminierungspädagogik auf und entwickelt neue pädagogische Perspektiven.21 Selbst dort, wo Erziehungswissenschaft nach wie vor von einem nationalstaatlich geprägten Begriff des Interkulturellen in Bezug auf Migration geprägt ist, kommen in neueren Studien (etwa PISA) zunehmend weitere Faktoren, insbesondere der soziale Status, in das Blickfeld und werden als komplexe und sich überlappende Problemsituationen wahrgenommen (vgl. Stanat et al. 2002: 20f.). Die Verwendung des Begriffs Kultur, auch wenn nicht allein als nationalstaatlich verstanden, bleibt jedoch nach wie vor problematisch und ruft Schwierigkeiten hervor, mit denen sich auch die vorliegende Arbeit beschäftigen muss. Mecheril (2004) kritisiert eine Pädagogik, die sich mit Kultur als »migrationsbedingter Differenz« beschäftigt und unterstellt Pädagogen, Kultur als »zentrale Differenzdimension« (Mecheril 2004: 16) zu konzipieren. Eine solche Pädagogik klammere die kulturelle Pluralität der einheimischen Gesellschaft aus und vereinfache Phänomene einer Migrationsgesellschaft. Sie arbeite sozialer Deklassierung eher zu als entgegen. Er merkt kritisch an, dass »wir in einer Dominanzgesellschaft leben, in der die Differenz zwischen (Migrations-) Anderen und NichtAnderen als Über- und Unterordnung der ›kulturellen Identitäten‹ produziert, hingenommen und etwa mithilfe des Kulturbegriffs legitimiert wird« (ebd.: 190, Hervorhebungen im Original). Kultur als Nationalkultur zu denken ist problematisch, weil damit homogene Gruppen konstruiert werden und deren Differenz nicht selten Anlass für Bewertungen und Hierarchisierungen sind. Nicht nur die Abgrenzung oder auch Abwertung nach außen ist dabei problematisch, sondern es wird insgesamt der Pluralität moderner Gesellschaften nicht Rechung getragen. Für eine Person relevante Zugehörigkeiten können mehrfach sein, wobei diese meist »verschränkt« (Krüger-Potratz/Lutz 2002: 89) und durch »hierarchische Differenzlinien« (Lutz 2001: 238) gekennzeichnet sind. Die Subjektpositionierung im Kontext von Jugendkultur, Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktionen und eine Verortungen in sozialen und kulturellen Räumen werden im Sammelband von Riegel/Geisen (2007) als Aushandlungsprozesse verstanden. Damit wird der Perspektivverschiebung in der empirischen Forschung über Jugendliche mit Migrationshintergrund Rechnung getragen. Weg von einem Defizit- und später Differenzdiskurs werden in heutigen Studien häufig gestalterische und bereichernde Faktoren von Migration aufgenommen.

21 Vgl. dazu Hamburger (2000), Mecheril (2004) und insbesondere den Ansatz der Diversity-Pädagogik (Krüger-Potratz/Lutz 2002 und Hormel/Scherr 2004).

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Auf das Risiko, dass es sich durch eine positive Bewertung kultureller Differenz auch um eine Falle der Verfestigung der Annahme von statischen Kulturen handeln kann, weisen Mecheril und Rigelsky (2007) in eben jenem Band hin.

Kultur und Milieu Kultur als zentraler Grundbegriff für die Migrations-, aber auch Bildungsforschung ist in seiner Verwendungsweise problematisiert und kritisiert worden. Ohne den theoretischen Diskurs zu dieser Problematik vollständig aufrollen zu wollen, soll im Folgenden ein Weg aufgezeigt werden, die Dynamik kultureller Lebensformen, die Selbstverständlichkeiten der Ein- und Ausgrenzung sowie der Mehrdimensionalität kultureller Lebensformen und sozialer Praxen auf der Ebene von »Milieus« empirisch fassbar zu machen (vgl. Bohnsack/Nohl 1998: 261). Möchte man sich nicht gänzlich von einem Kulturbegriff verabschieden, so bedeutet die Verständigung angesichts kultureller Vielfalt, in diesem Sinne, nicht nur interreligiöser und interethnischer Dialog, sondern eine Verständigung auch über soziale Ungleichheiten, generell über verschiedene »kollektive Deutungsmuster einer Lebenswelt« (Nieke 2000) hinweg. In diesem Sinne kann Kultur als »Repräsentation kollektiver Zugehörigkeit« (Nohl 2006c: 138) und als »kollektive Formen praktischer Lebensführung und Milieus« (ebd.: 140) bezeichnet werden. Die Unterscheidung zwischen »Repräsentation kollektiver Zugehörigkeiten« und »Milieus« differenziert dabei zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen von kultureller Zugehörigkeit, welche meist symbolisch verdichtet sind, und der Erfahrungsdimension des praktischen Lebens. Innerhalb eines Milieus beruht Verständigung auf Selbstverständlichkeit, wohingegen kulturelle Repräsentationen, auch wenn sie sich auf Milieus beziehen, immer ein Stück vom konkreten Erleben und dem Selbstverständlichen abstrahieren (vgl. ebd.: 140 ff.). Milieu ist das, worin man lebt und worüber man nicht nachdenkt. »Kollektive Erlebnisschichtung« (Bohnsack 2008: 63) und homologe Erfahrungen sind Teil eines »konjunktiven Erfahrungsraums« (Mannheim 1980: 220), eines Milieus. Dort entsteht der Habitus als »System generativer Schemata von Praxis« (Bourdieu 1987: 279). Das Wie des sozialen Handelns, der »modus operandi«, das (z. T. unbewusste) konjunktive Wissen, das selbstverständliche, inkorporierte Können entsteht innerhalb des Milieus. Das Denken, Wahrnehmen und Handeln wird durch das Milieu strukturiert und wirkt selbst strukturierend. »Wenn über die Grenzen von Milieus hinweg kommuniziert wird, dann muss man das, was man auf der konjunktiven Ebene seines eigenen Milieus weiß, kommunikativ explizieren« (Nohl 2006c: 142). Eine Verständigung über Milieugrenzen hinweg kann so zum Anlass von Reflexion werden, da bisheriges selbstverständliches Handeln in Frage gestellt wird und damit die Funktionalität bisheriger Gewissheit nachlässt. Auch die Konfrontation mit Alternativen zu eigenen eingespielten Handlungspraktiken kann in einer interkulturellen Situation, also einer Situation der Begegnung verschiedener Milieus, dazu führen, das eigene Handeln zu hinterfragen (vgl. ebd.: 59).

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Von Milieus zu sprechen, anstatt von Kultur oder Kulturen, betont die Erfahrungsdimension der Personen und lässt unterschiedliche Zugehörigkeits- und Erfahrungsdimensionen in Erscheinung treten. Davon kollektive Repräsentation zu unterscheiden, ist gerade in Bezug auf die Verständigung zwischen Milieus bedeutsam, denn das, was über Milieugrenzen hinweg kommuniziert wird, »abstrahiert von den Erfahrungen, innerhalb derer sie erworben wurden« (ebd.: 142), zumal das konjunktive Wissen von den Akteuren häufig kaum zu explizieren ist (vgl. Bohnsack 2008). Die Kommunikation über Milieugrenzen hinweg abstrahiert auf der Ebene der Vermittlung eigener (kollektiver) Erfahrungen ebenso wie auf der Ebene der Wahrnehmung des Anderen. Aber auch ein Milieu ist keine homogene Einheit. Mehrdimensionale »soziale Lagerungen« lassen sich ausmachen. In Studien zu Migration und Bildung werden diese zumeist anhand der Dimensionen Generation, formale Bildung, Migration, Alter und Geschlecht differenziert (vgl. Bohnsack 2008: 159). In diesem Sinn wird Gesellschaft als grundsätzlich kulturell heterogen wahrgenommen, bestehend aus mehrdimensionalen, sich überschneidenden Milieus und weder ein Verstehen22 anderer Milieus noch eine Verständigung zwischen Milieus als unproblematisch vorausgesetzt. Die Differenz von Milieus wird jedoch gerade in der interkulturellen Erziehungswissenschaft auch als möglicher Auslöser für Bildungsprozesse gesehen, welcher in einer pluralen Gesellschaft für alle erfahrbar ist. Interkulturelle Bildung wird dabei sowohl als bewusste und reflektierte Auseinandersetzung mit kulturellen Bindungen und Stereotypisierungen als auch als eine praktische Erfahrung von Milieudifferenzen verstanden (vgl. Nohl 2006c: 181).

Verstehen und Verständigung Die Kommunikation über Milieugrenzen hinweg und das Zusammenleben verschiedener Milieus kann nicht hoffnungsvoll als selbstläufig gelingend angenommen werden, auch wenn dies immer wieder geschehen wird. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Strukturen der Aushandlungen zwischen Milieus und begünstigen oder verringern die Chance auf Verständigung und dies sowohl auf einer gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Ebene als auch auf der Ebene von individuellem und kollektivem Handeln. Aspekte der Macht von Mehrheiten über Minderheiten und der unterschiedliche Zugang zu Ressourcen sowie Vorurteile, Konkurrenzdenken und Ängste bilden neben Neugier und dem Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben zwei Seiten einer Medaille. 22 Nach Bohnsack ist ein Verstehen von Äußerungen und Handlungen des Anderen nur möglich, wenn der Erlebniszusammenhang oder Erfahrungszusammenhang, in den diese Handlung gehört, kennen gelernt wurde. Damit unterscheidet er zwischen einem Verstehen und Interpretieren der Aussagen des Anderen, in Anlehnung an Mannheim. Das (intuitive) Verstehen erwächst aus der Handlungspraxis, wohingegen das Interpretieren einer Handlung oder Aussage von dieser Praxis abstrahiert und als immanente Interpretation ein Modell zweck-rationalen Handelns impliziert, im Sinne von Um-Zu-Motiven (vgl. Bohnsack 2008: 59/60).

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Auf der Ebene menschlicher Begegnungen und der Vermittlung von handlungsrelevantem Wissen, mit denen sich die Erziehungswissenschaft primär beschäftigt, kann eine Verständigung nur gelingen, wenn über kommunikatives Wissen23 ein Verstehen der den Handlungen zu Grunde liegenden Deutungsmuster und des Kontextes hergestellt wird und Absolutheits- wie Herrschaftsansprüche aufgegeben werden. Dabei wird Verstehen als nicht vereinnahmend und determinierend gesehen, sondern beinhaltet auch ein Nicht-Verstehen. Denn »Verstehen ist [...] nicht nur ein Weg, den Anderen in seiner Andersheit zu akzeptieren. Häufig wird Verstehen zu einem Mittel für die Ausübung von Herrschaft und zu dem Versuch, den Anderen zu unterwerfen« (Wulf 1999: 61). Das NichtVerstehen des Anderen führt häufig zu Verunsicherungen, welche wiederum Stereotypisierungen hervorrufen können. Um aber nicht dadurch Gefahr zu laufen, sich »neue Erfahrungen und Horizonterweiterung« (ebd.: 63), letztlich Bildungsmöglichkeiten, zu verbauen, plädiert Wulf angesichts des Fremden für einen Verzicht auf Verstehen, Anpassung, Empathie, Assimilierung oder Identifikation (vgl. ebd.). Wie kann eine solche Praxis des Verstehens und NichtVerstehens aussehen und welche Aspekte sind dabei besonders bedeutsam? Prengel geht in der Pädagogik der Vielfalt von einer radikalen Pluralität der Gesellschaft aus und sieht sie als unhintergehbare Eigenart differenter Lebensweisen und Wissens- und Denkformen, welche sich in Abgrenzung zu einem Einheits-Denken versteht (Prengel 2006: 49). Das heißt, »Abschied nehmen vom Glauben an die Möglichkeit der Welterklärung in einem Gesamtsystem, heißt die lange Reihe Totalität beanspruchender Gedankengebäude nicht fortsetzen zu wollen« (ebd.: 50). Es heißt auch, kulturelle Unterschiede in ihrer Bedeutung für die jeweiligen Personen in ihrem Milieu zu erfassen und Verschiedenheit ohne Hierarchie denken zu wollen. Die erziehungswissenschaftliche Auseinandersetzung zur Verständigung angesichts kultureller Vielfalt in einer globalisierten Welt benennt Voraussetzungen und erhebt normative Ansprüche, wie etwa ein Plädoyer für Nicht-Verstehen. Sie verweist auf veränderte Perspektiven, welche globalem und interkulturellem Lernen einen wichtigen Stellenwert zukommen lassen. Milieuübergreifende Begegnungen werden als Chance für Bildungsprozesse gesehen. Wie diese Praxis sich gestaltet, wie mit Verstehen und Nicht-Verstehen, mit Differenz und Gemeinsamkeit, wie mit Über- und Unterlegenheit umgegangen wird, soll in der vorliegenden Studie herausgearbeitet werden. Damit wird das praktische Können der Akteurinnen und ihre interkulturellen Handlungskompetenzen in ihrem Milieu und mit ihren Interpretationen des Anderen zum Ausgangspunkt der empirischen Rekonstruktion gemacht. 23 Da kommunikatives Wissen von der konkreten Handlungspraxis abstrahiert und eher auf Institutionalisierungen und Rollenbeziehungen (auch Berufsbezeichnungen) abzielt, kann es auch als generalisiertes Wissen bezeichnet werden. »Beim kommunikativ-generalisierten Wissen handelt es sich um institutionalisierte, generalisierte und weitgehend stereotypisierte Wissensbestände« (Bohnsack 2008: 165).

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2.2 Interkulturelle Kompetenz Verständigung angesichts kultureller Vielfalt in einer globalisierten Welt wird häufig unter dem Aspekt interkultureller Kompetenz thematisiert und diskutiert. Ich möchte diese Diskussion um interkulturelle Kompetenz aufgreifen und darstellen, welche Aspekte dort Einfluss nehmen und welchen Umgang ich mit dem Begriff interkultureller Kompetenz in der vorliegenden Studie wähle. Ich erhebe nicht den Anspruch, die inzwischen weitläufige und dadurch teilweise diffus erscheinende Diskussion über interkulturelle Kompetenz vollständig abbilden und innerhalb ihrer zahlreichen kontrovers diskutierten Bestimmungen kategoriale Antworten finden zu wollen. Vielmehr geht es mir darum, aufzuzeigen, welche gegenstandsbezogenen, aber auch welche grundsätzlichen Schwierigkeiten in der Bestimmung interkultureller Kompetenz auszumachen sind und warum es daher sinnvoll ist, eine Rekonstruktion der Praxis interkulturellen Handelns vorzunehmen, welche handlungstheoretisch anschlussfähig ist. Daher werde ich zunächst auf einige Arbeiten zu interkultureller Kompetenz eingehen, den Begriff der Handlungskompetenz umreißen, meinen eigenen Kulturbegriff verdeutlichen und schließlich grundlegende Einwände gegen eine exmanente Bestimmung interkultureller Kompetenz vorbringen, um im Anschluss daran einen selbstreferentiellen Begriff interkultureller Handlungskompetenz im Sinne von sich erweiternden Handlungsoptionen als Grundlage der vorliegenden Studie vorzuschlagen. Interkulturelle Kompetenz ist spätestens seit den 1990er Jahren in Deutschland zu einem Schlagwort geworden, und zwar sowohl im Bereich universitärer Lehre als auch in der pädagogischen Praxis und dem öffentlichen Diskurs. Was unter interkultureller Kompetenz gefasst werden kann, darüber gibt es jedoch nach wie vor und glücklicherweise24 sehr unterschiedliche Vorstellungen. Dies hängt nicht zuletzt mit den jeweiligen Handlungsfeldern zusammen, in denen sich Personen bewegen, von denen dort interkulturelle Kompetenz erwartet und ihnen entweder zu- oder auch abgesprochen wird. Ganz allgemein wird mit dem Begriff interkulturelle Kompetenz auf eine Umgangsform Bezug genommen, in der Menschen mit anderen in Kontakt treten, deren kulturelle Herkunft sich von der ihrigen unterscheidet. Doch schon diese sehr allgemein gehaltene Definition umfasst nicht alle Bereiche, auf die sich interkulturelle Kompetenz beziehen kann. In manchen Modellen zu interkultureller Kompetenz wird nicht explizit auf eine tatsächliche Interaktion von Menschen hingewiesen, sondern vielmehr auf eine Fähigkeit, sich in einer fremden Umgebung ohne Schwierigkeiten zurechtzufinden (vgl. dazu etwa Herzog 2003).

24 Ein einheitliches Konzept interkultureller Kompetenz ist meines Erachtens wenig sinnvoll, da sich aus verschiedenen (fachlichen) Perspektiven ganz unterschiedliche Ansprüche ergeben.

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Ob mit oder ohne tatsächliche Interaktion – es geht darum, dass ein Mensch in eine Situation gerät, in der ihm selbstverständliche Handlungspraktiken fehlen. Gemeinhin stellt ein Kontakt verschiedener ›Kulturen‹ eine solche Situation dar. Das Konzept der Interkulturellen Kompetenz setzt hier an.

Kontakthypothese und Aufbau interkultureller Kompetenz Ging Newcomb 1957 davon aus, dass allein der Kontakt zu Menschen einer anderen Gruppe zum Abbau von Vorurteilen führen würde und dadurch Gemeinsamkeit entstünde, widerlegten u. a. die Studien von Sherif (1967), Amir (1976) und Tajfel (1982) diese Kontakthypothese. Sie weisen darauf hin, dass zusätzliche pädagogische Konzepte notwendig sind, um Vorurteile abzubauen und gemeinsame Praxis schaffen zu können.25 Der Umgang von Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander ist damit in den Aufgabenbereich der Erziehungswissenschaft verwiesen. Die oben erwähnten Folgen von Globalisierungs- und Migrationsprozessen und eine in Deutschland einsetzende veränderte Wahrnehmung bezüglich kultureller Unterschiede (Stichwort: Diversity) haben maßgeblich zur Popularität des Begriffs interkultureller Kompetenz beigetragen. In der interkulturellen Erziehung und Bildung löst sich der Diskurs von seiner problem- und defizitorientierten Perspektive auf Migranten (vgl. Marotzki/Nohl/Ortlepp 2005: 64) hin zu einer fachübergreifenden »Schlüsselkompetenz« (vgl. u. a. Jagusch 2004, Deardorff 2006). Internationale Austauschforschung und Migrationsforschung Bis heute können in der bundesdeutschen Diskussion grob zwei empirische Felder der Erforschung interkultureller Kompetenz unterschieden werden. In dem einen Feld beziehen sich die Studien und Modelle interkultureller Kompetenz auf Fremdheitserfahrungen etwa durch einen Schüler- oder Studierendenaustausch oder auch eine Entsendung von Personal ins Ausland. Im zweiten Feld wird vermehrt über einen adäquaten Umgang mit Fremden in der eigenen Gesellschaft diskutiert. In beiden Bereichen werden (mögliche) Schwierigkeiten und Missverständnisse antizipiert, erlebt und nach besseren Formen der Verständigung und des Umgangs gesucht. In der internationalen Austauschforschung, aber auch im Bereich internationaler Zusammenarbeit und einem globalem Management liegt der Fokus der meisten Forschungen auf der Ebene von falschen Deutungen, Vorurteilen, Missverständnissen und der Frage nach einem reibungslosen Miteinander sowie einer Profitmaximierung (vgl. Popp 2004: 10). Häufig werden in diesem Zusammenhang (national-)kulturelle Besonderheiten thematisiert und diese (National-)›Kulturen‹ einer Typik zugeordnet (beispielweise kollektivistisch vs. 25 Als Beispiel dafür können all jene Projekte gesehen werden, in denen unterschiedliche, auch fremde Menschen zusammenkommen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, wie dies teilweise in Jugendaustauschen, aber auch bei so unterschiedlichen Veranstaltungen wie interkulturellen Kochprojekte oder auch betrieblichen Zielfindungsseminaren von globalen Unternehmen der Fall sein kann.

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individualistisch) (vgl. Hofstede 1997 und Triandes 1995). Die im deutschsprachigen Raum bekanntesten Vertreter dieser Forschungsrichtung sind Hofstede (1997) und Thomas (1998). Im Bereich der Migrationsforschung, zu dem sich auch Studien der interkulturellen Pädagogik und der Rassismusforschung zählen lassen, stehen demgegenüber insbesondere Fragen multikultureller, multiethnischer oder auch transkultureller Lebensformen sowie Themen sozialer und rechtlicher Ausgrenzung und Diskriminierung im Vordergrund. Die Folgen freiwilliger und unfreiwilliger Migration und gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten im Ankunftsland der Migrantinnen lassen die Thematik interkultureller Kompetenz hier vornehmlich zu einer Frage antirassistischen Bewusstseins und gleichberechtigter Lebensweisen werden. Zentrale Arbeiten wurden hier u. a. von Auernheimer (2002) und Mecheril (2002) vorgelegt. Im Bereich interkultureller Bildung finden sich zahlreiche Arbeiten, welche sich im weiteren und engeren Sinne mit der migrationsspezifischen Relevanz interkultureller Kompetenz beschäftigen (vgl. u. a. Leiprecht/Kerber 2005, Wulf 2006, Nicklas/Müller/Kordes 2006, KrügerPotratz 2005, Gogolin/Nauck 2000, Karakasoglu/Lüddecke 2004, Nohl 2006c, Bade/Bommes/Münz 2004). Werden im Bereich der Austauschforschung Aspekte von Mehr- und Minderheiten sowie Über- und Unterlegenheit weniger angesprochen, sind dies in der Migrationsforschung zentrale Untersuchungsschwerpunkte.

Listen und Entwicklungsmodelle interkultureller Kompetenz Das Erlernen, Praktizieren und Einfordern interkultureller Kompetenz ist an unterschiedliche Bedingungen des jeweiligen Feldes und (professions- sowie forschungsspezifische) Erwartungen gebunden. Dies zeigt sich auch in unterschiedlichen Modellen zu interkultureller Kompetenz. In Merkmalskatalogen oder Listenmodellen (vgl. etwa Matsumoto 2001, Kealey 1989, Stahl 1998, Brislin 1981) werden personengebundene Voraussetzungen interkultureller Kompetenz aufgelistet, welche mit einschlägigen Messverfahren geprüft werden.26 So werden etwa von Kealey Entwicklungshelferinnen erforscht, die als erfolgreich gelten, und aus ihren Kompetenzen ein Profil mit potentiell nützlichen Eigenschaften entwickelt (vgl. Kealey 1989).27

26 So etwa das MPQ-Testverfahren, ein multi-dimensionales Verfahren zur Analyse von Persönlichkeit, das seit den 1980er Jahren in der Zwillingsforschung der USA Anwendung findet (vgl. Tellegen 1981) oder auch das Verfahren zur Messung interkultureller Anpassungsfähigkeiten (ICAPS) von Matsumoto (2001). 27 Darunter zählen: 1. ein besorgtes Verhalten mit Sensitivität und Empathie, 2. eine Handlungsorientierung an Initiative, Selbstvertrauen und Offenheit, 3. Selbstdistanz durch Kontrolle, Flexibilität, Ausdauer und Teamarbeit, 4. ein geringes Bedürfnis nach beruflichem Aufstieg, 5. ein geringes Sicherheitsbedürfnis, 6. ein hohes SelfMonitoring und 7. soziale Gewandtheit (Kealey 1989 nach Rummler 2006: 290 f.).

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Die ›Fähigkeit‹ des ›richtigen‹ Handelns wird somit an der Persönlichkeit eines Menschen festgemacht, welche bereits vorhanden ist. Wie diese Eigenschaften entstanden sind und wie diese innerhalb einer Handlungssituation zum Tragen kommen, ist aus diesen Modellen nicht ersichtlich. Entwicklungsmodelle fokussieren verstärkt Lernprozesse in interkulturellen Situationen und die Veränderung von persönlichem Verhalten. Das bekannteste und bis heute zahlreich verwendete Modell Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS) von Bennett28 (1993) beschreibt sechs Entwicklungsphasen von einer ethnozentrischen bis zu einer ethnorelativen Verarbeitung kultureller Unterschiede.29 Bennett geht davon aus, dass durch individuelle Entwicklung die Fähigkeit zunimmt, Realität individuell zu konstruieren, und dass dadurch kulturelle Unterschiede erfasst werden können und in die Interpretation und den Umgang mit interkulturellen Situationen integriert werden (vgl. ebd.: 24 f.). Bennett verweist zwar darauf, dass nicht alle Phasen der Entwicklung durchlaufen werden müssen und auch ein Überspringen und ein Rückschritt möglich sind. Gleichwohl ist sein Modell doch auf einen linearen Lernprozess angelegt, an dessen Ende eine »multikulturelle Persönlichkeit« (Rummler 2006: 278) mit spezifischen Fähigkeiten steht.30 In standardisierten quantitativen Verfahren werden diese Entwicklungsprozesse mit dem interkulturellen Entwicklungsindikator (IDI) gemessen (vgl. Bennett/Hammer 1998).31 Obschon Bennett keinen klaren Kulturbegriff verwendet und auf die Wandlungsfähigkeit kultureller Einflüsse verweist, ist sein Modell interkultureller Sensibilität stark an nationale Grenzen gebunden.32 Dem in Kapitel 2.1 diskutierten Aspekt der Gestaltung von ›Kultur‹ über nationale Grenzen hinweg und der durch Globalisierungsprozesse, transnationale Migration aber auch heterogene Milieus innerhalb einer Gesellschaft hervorgerufenen Mehrdimensionalität ›kultureller‹ Einbindungen kann dabei empirisch nicht Rechnung getragen werden. Ein weiterer Kritikpunkt am Modell Bennetts ist eine Fokussierung auf Differenzen anstatt auf Gemeinsamkeiten. Damit läuft ein solches Modell Gefahr, 28 In deutschsprachigen Texten zu Bennetts Modell wird Intercultural Sensitivity zumeist mit interkulturellem Lernen übersetzt. 29 1. Phase: Isolation/Separation, 2. Phase: Denigration/Superiority/Reversal, 3. Phase: Minimization, 4. Phase: Transcendent Universalism/Acceptance, 5. Phase: Adaption, 6. Phase: Integration (vgl. Bennett 1993). 30 Rummler bezieht sich in ihrer Arbeit zur interkulturellen Weiterbildung für Mulitiplikatorinnen in Europa auf verschiedene Modelle interkultureller Kompetenz (Queis 2004, Hogen 1998 Grove/Torniärn, Krystekt/Zur 1997, Rothlauf 1999) und stellt aus einer berufsübergreifenden, allgemeinen Definition interkultureller Kompetenz fest, »dass neben einer kognitiven Auseinandersetzung mit Werten, die affektiv besetzte Wertschätzung und die handlungsorientierten Fähigkeiten hinsichtlich der Lernbereitschaft, des Umgangs mit Komplexität, der Orientierungsfähigkeit und des Perspektivenwechsels bearbeitet werden müssen« (Rummler 2006: 299). 31 Als ein weiteres Modell zur Messung von Werthaltungen ist der von Hofstede entwickelte standardisierte Fragebogen (VSM 94) zu nennen (vgl. Hofstede 2001). 32 Vgl. zur Kritik an Bennett auch Hodges 2005.

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einseitig Unterschiede hervorzuheben, infolgedessen einer Dichotomisierung entlang nationaler Grenzen Vorschub zu leisten und Schwierigkeiten, die bei Differenzen entstehen können, zu vereinfachen bzw. sie in eine Defizitlogik zu stellen.33

Normativität und Defizitlogik von Listen- und Entwicklungsmodellen In einer solchen Defizitlogik wird dichotomisiert zwischen normal und unnormal, zwischen vertraut und fremd und zwischen richtig und falsch. Dahinter verbirgt sich eine implizite Orientierung an einer nicht weiter reflektierten Norm. Eine solche Normativität teilt Bennetts Modell auch mit jenen Arbeiten, die den Ausgangspunkt ihrer Diskussion interkultureller Kompetenz dort setzen, wo der Andere bzw. eine Person anderer Herkunft als ausschlaggebend für Schwierigkeiten und Hindernissen in einer interkulturellen Begegnung erachtet werden (vgl. etwa Hofstede 1997). Aus diesen ›Schwierigkeiten‹34 werden etwa bestimmte Anforderungen an die Teilnehmer einer interkulturellen Begegnung benannt bzw. es wird ein darauf abgestimmtes »interkulturelles Ausbildungsprogramm« (Stadler 1994: 217) entwickelt. Schwerpunktmäßig werden Daten zu interkultureller Kompetenz mit quantitativen Methoden (vor allem Fragebögen) erhoben, so dass die Definition dessen, was als interkulturell ›kompetent‹ bezeichnet werden soll, schon vorab operationalisiert und definiert wird.35 Damit läuft die Bestimmung von interkultureller Kompetenz sowohl im Bereich von Trainingsmaßnahmen als auch in der Forschungspraxis entlang von normativen (festen) Vorstellungen. Was als interkulturell ›kompetent‹ gelten soll, wird in Katalogen festgeschrieben, welche sich an meist nicht weiter bestimmten Zielen (etwa ›Offenheit‹, aber auch ›Verständigung‹) orientieren. Verhalten, Einstellung und Wissensabfragen werden operationalisiert und den einzelnen Kategorien zugeschrieben. In dieser Hinsicht tendiert interkulturelle Kompetenz dazu, technologisch verwendet zu werden (vgl. Mecheril 2002: 24). Die technizistischen Daten und Auswertungen folgen gleichzeitig einer (unsichtbaren) normativen Wertung.

33 Für Hofstede entsteht die Schwierigkeit aus (festen) kulturellen Differenzen: »Kulturelle Unterschiede sind bestenfalls etwas Lästiges und oft eine Katastrophe. Aber wenn wir wirklich globalisieren wollen, so führt kein Weg an ihnen vorbei, so dass es besser ist, wenn wir sie so nehmen, wie sie sind« (Hofstede 1997: IX). 34 Häufig wird hier auf so genannte »Critical Incidents« (Layes 2000) verwiesen, auf problematische Vorfälle im Feld sozialer Interaktion. Diese haben in der Erforschung gegenüber statischen (Vor-) Annahmen den Vorteil, Kultur als etwas Dynamisches erfahrbar zu machen. 35 Eine Erhebung mit quantitativen Verfahren sucht relevante und vergleichbare Datensätze zu erlangen, indem etwa standardisierte Fragen und Antworten in Fragebögen festgelegt sind. Ob diese Fragen und Antworten für die Handlungspraxis der befragten Personen von Relevanz sind, spielt keine weitere Rolle mehr. Auch kommen dadurch kreative und außergewöhnliche Praxen nicht in den Blick.

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Hier schließt sich die Frage an, welche Ansprüche hinter der Erfassung interkultureller Kompetenz stehen? Die Debatte um interkulturelle Kompetenz muss sich den Vorwurf gefallen lassen, euro- bzw. ethnozentristisch zu sein, ohne dies zu reflektieren. So kritisiert Aries, dass die Definition von »Interkulturelle[r] Kompetenz [...] ein europäischer Begriff [sei], der als solcher auch zu kennzeichnen ist« (Aries 2003: 153/154). ›Versteckten‹ Grundannahmen finden sich in den normativ gesetzten Fragen von Entwicklungsmodellen wieder, die häufig ethnozentristisch und auf homogene, nationale Kulturen konzipiert sind (vgl. dazu Hofstedes Kulturanalyse am Beispiel von Nationen, Hofstede 2001).

Nationalstaatlicher Kulturbegriff und Vernachlässigung anderer Dimensionen von milieuübergreifenden Begegnungen Gerade in den Studien zu interkultureller Kompetenz, die im Rahmen von internationalem Austausch und Management entstanden sind, finden sich fast ausnahmslos nationalstaatliche Kategorien als Definition der ›kulturellen‹ Zugehörigkeiten, ohne dass diese Verknüpfung thematisiert würde. Dadurch rücken Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft in den Hintergrund. Zudem entsteht durch eine solche nationalstaatliche Fokussierung von ›Kultur‹ der Eindruck, dass eine Person des Staates X mit einer Person des Staates Y zusammenträfe, ohne dass strukturelle, historische, politische oder soziale Bedingungen dieser Begegnung relevant wären. Es verwundert nicht, dass in diesen Studien (vgl. Flechsig 2000, Scholz 2000, Freise 1982, Eder 1996, Boesch 1996, Stadler 1994) häufig die Sprache und Kommunikation36, nicht aber die Rahmenbedingungen interkultureller Situationen oder auch die Frage sozialer Ungleichheiten im Vordergrund stehen.37 Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass einige dieser Studien anhand von Studierendenaustauschprogrammen entstanden sind und soziale Ungleichheit in diesem Rahmen eher eine marginale Rolle spielt. Im theoretischen Diskurs zu interkultureller Kompetenz und insbesondere im Bereich der Migrationsforschung werden dem Aspekt sozialer Ungleichheit vor allem in Bezug auf die Mehrheit-Minderheits-Konstellation und damit von Machtasymmetrien dagegen umfangreich Rechnung getragen38 (vgl. Matthes 36 Luchtenberg differenziert in ihrer Untersuchung zu interkultureller kommunikativer Kompetenz zwar den Aspekt des Spracherwerbs neben dem reinen Sprachenlernen und weist auf das »Umgehen mit Kultur« hin, letztlich bleiben aber andere Aspekte interkultureller Begegnungen eher unbedeutend (vgl. Luchtenberg 1999: 217 f.). 37 Baaz (2002) weist in ihrer Studie zu Entwicklungshelfern in Afrika auf die Bedeutung von ökonomischen und Machtungleichheiten hin, leitet daraus aber keine konkrete Kompetenz ab (vgl. Baaz 2002: 217). 38 Explizit sei hier auf eine Studie von Seukwa verwiesen, welcher sowohl auf Aspekte von Macht als auch auf die konkrete Kontextdependenz von Kompetenz hinweist. Migration stellt Seukwa als einen Kontextwechsel heraus, in der interkulturelle Kompetenz sich als Ermöglichung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben des Ankunfts- oder Übergangslandes ausdrückt. Gleichzeitig ist diese Kompetenz für Seukwa dem Individuum in Form des Habitus implizit. Transfer wird dabei zu einem zentralen Begriff. Frühere Erfahrungen müssen an neue Bedingungen ange-

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2000, Auernheimer 2002, Castro-Varela/Mecheril 2005, Mecheril 2002, Krupka 2002, Auernheimer 2003). Dort wo soziale und ökonomische Differenzen in einer ›interkulturellen‹ Situation im Bereich des globalen Managements angesprochen werden, liegt der Fokus im Gegensatz zu den Migrationsforschungen weniger auf einer kritischen Hinterfragung von Herrschaftsverhältnissen als auf der Frage, wie strukturelle Rahmenbedingungen (etwa im Sinne von ökonomischen Ressourcen) eine interkulturell produktive Zusammenarbeit gelingen lassen (vgl. Thomas 2003, Götz 2002). Interkulturelle Trainings wollen eine Selbstreflexion anregen und mit Wissen über Lebens- und Arbeitsbedingungen in einem anderen Land einem »Kulturschock« entgegenwirken und damit die Leistungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen auch unter anderen Bedingungen aufrecht erhalten (vgl. Ott 2002 oder auch Engelbert 2004). »Beim Thema ›Interkulturelle Kompetenz ‹ in den westlichen Ländern geht es in erster Linie darum, die interkulturelle Zusammenarbeit zu optimieren und ihre Effektivität zu erhöhen« (Tjitra/Thomas 2006: 251, Hervorhebung im Original). Thomas beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Anforderungen an beruflich hochqualifizierte Personen (insbesondere Manager) im Auslandsdienst. Interkulturelles Lernen, Verstehen und Handeln stellen für ihn ein Zusammenspiel für eine gelungene Interaktion dar (Thomas 2003: 137). Den Begriff der Kompetenz benutzt Thomas gleichbedeutend mit Qualifikationen, was zu einer gewissen Problematik führt, weil dies allzu sehr an formale Abschlüsse und Fertigkeiten, weniger an konkrete Erfahrungen gebunden ist. Interkulturelle Kompetenz wird damit zu einer abfragbaren und messbaren Größe stilisiert. Im Unterschied zu den oben genannten Modellen, welche z. T. unreflektiert nationalkulturelle Grundannahmen in ihre Studien einfließen lassen, definiert Thomas Kultur als »ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem« (Thomas 2003: 138), und eröffnet so die Chance auf eine Analyse interkultureller Kompetenz ohne nationalstaatliche Verortung. In seinem Beispiel einer »kulturbedingten kritischen interpersonalen Erfahrung« verbleibt die Analyse jedoch auf der Ebene typisch ›deutschen‹ und typisch ›chinesischen‹ Verhaltens. (vgl. ebd.) Auernheimer kritisiert daher auch den Kulturbegriff von Thomas und wirft ihm vor, die diskursive Ebene und persönliche Sinnzuschreibung von Kultur zu vernachlässigen; zudem würden Machtasymmetrien und Fremdbilder in dieser Definition nicht berücksichtigt werden (vgl. Auernheimer 2003: 155). Er weist passt oder konvertiert werden. Seukwa kann mit seiner Studie deutlich machen, wie die restriktiven Bedingungen des Flüchtlingsstatus von afrikanischen Jugendlichen in Deutschland und ihre Erfahrungen in einem postkolonialen Afrika Kontextähnlichkeiten darstellen, die eine Reproduktion des Habitus ermöglichen. Weniger in Augenschein treten dabei, wie bereits gemachte Erfahrungen und erworbene Fähigkeiten auf Möglichkeitsräume treffen, die Handeln verhindern oder begünstigen können, und ob und wie sich unterschiedliche Umgangsformen damit ergeben (vgl. Seukwa 2006).

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darauf hin, dass es »zumindest partiell vom jeweiligen Tätigkeitsbereich abhängt, wie interkulturelle Kompetenz definiert werden muss« (ebd.: 154). Rathje greift diese verschiedenen Ansätze zu interkultureller Kompetenz auf und diskutiert sie anhand von vier grundsätzlich zu klärenden Ausgangspositionen. Das Ziel interkultureller Kompetenz müsse geklärt werden, die Generik, das Anwendungsgebiet und der Kulturbegriff seien zu bestimmen (vgl. Rathje 2006: 2). Die Anforderungen an interkulturelle Kompetenz unterscheiden sich je nach Perspektive der Disziplinen und Zielsetzungen. In ökonomisch orientierten Ansätzen steht (europäisch und wirtschaftlich definierte) Effizienz im Vordergrund, in erziehungswissenschaftlichen Ansätzen dominieren soziale und bildungstheoretische Fragen wie etwa auch eine persönliche Weiterentwicklung der Interaktionspartner. Erstere laufen Gefahr interkulturelle Kompetenz zur Durchsetzung eigener Vorteile zu instrumentalisieren, letztere setzen sich in einer solch verkürzten Darstellung dem Vorwurf der Idealisierung aus. Die Frage verschiedener Anwendungsgebiete interkultureller Kompetenz, ob nun auf eine oder mehrere Kulturen bezogen oder kulturübergreifend, weist Rathje schließlich pragmatisch zurück und schlägt vor, »interkulturelle Kompetenz als Voraussetzung dafür anzusehen, dass die Interaktionspartner im interkulturellen Kontext ihre wie auch immer ausgeprägten weiteren Handlungskompetenzen fachlicher, strategischer oder anderer Art überhaupt zur Anwendung kommen lassen können« (ebd.: 6).

Die von mir oben herausgearbeitete Kritik an Thomas bezüglich einer Fokussierung auf Nationen teilt Rathje nicht. Ihrer Meinung nach, stellen internationale Situationen subjektiv den »höchsten Grad an Fremdheitserfahrung, Komplexität und Misslingenswahrscheinlichkeit« dar und sind »politisch und wirtschaftlich besonders relevant« (ebd.: 7). Ein Fokus auf erfahrungsbedingte kollektive Einbindungen (Straub 2003: 209) sieht Rathje als nicht handhabbar, da dies jede menschliche Interaktion zu einer interkulturellen machen würde (vgl. ebd. 2006: 7). Im Anschluss ihrer Diskussion schafft Rathje einen scheinbar unkomplizierten und handhabbaren Begriff interkultureller Kompetenz, der verschiedene Positionen in sich aufnimmt. »Interkulturelle Kompetenz zeichnet sich dann vor allem dadurch aus, dass sie Interkulturalität in Kulturalität umwandelt und damit, je nach Handlungsziel der Interaktionspartner durch Normalitätserzeugung eine Grundlage für Kommunikationsfortschreibung, weitere Interaktionen, weitere Zusammenarbeit oder weiteres Zusammenleben schafft« (ebd.: 12).

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Mit dieser Definition nimmt Rathje die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit von Personen in interkulturellen Situationen auf. Gleichzeitig bleiben einige Aspekte interkulturellen Handelns nach wie vor unbeachtet. So wird weder soziale Ungleichheit thematisiert, noch ersichtlich, wie und wann kulturelle Unterschiede überhaupt als solche wahrgenommen werden.

Reflexion der Standortgebundenheit In anderen Arbeiten wird aus dieser Kritik an der Herstellung von Differenz heraus der Reflexion in interkulturellen Situationen eine große Bedeutung zugemessen. Mecheril plädiert für eine »reflexive Haltung« als interkulturelle Kompetenz (Mecheril 2002: 26), welche ein Bewusstsein dafür entwickelt, wann Bezug auf Kultur genommen wird. In seiner Kritik am Begriff der interkulturellern Kompetenz geht er auch auf den erschaffenden Aspekt von Differenzerfahrungen ein: »Die sogenannte interkulturelle Überschneidungssituation ist m. E. kein Phänomen, das ›an sich‹ schon da ist, sondern wir müssen diese Interferenz als eine verstehen, die von den Interaktionsteilnehmerinnen aktiv im Zuge angenommener kultureller Unterschiede erzeugt wird« (Mecheril 2003: 200, Hervorhebung im Original).

Aus einer solchen Meta-Perspektive wird dem Prozess des Zum-AnderenMachen Aufmerksamkeit zuteil. Dadurch erhält ein Nicht-Wissen über den Anderen eine wichtige Bedeutung. Mit einem Bewusstsein über Dominanz und Machtverhältnisse und eigenes Nicht-Wissen sieht Mecheril eine »Kompetenzlosigkeitskompetenz« (ebd.: 32) als wünschenswerte Haltung in interkulturellen Situationen. Einer solchen reflexiven interkulturellen Kompetenz wird die Möglichkeit zugeschrieben, zur Pluralisierung und Differenzierung von Selbst- und Fremdverständnissen beizutragen und die »Grenzen der eigenen Erfahrungs-, Erlebens-, Wahrnehmungs- und Verstehensmöglichkeiten zu erkennen und zu akzeptieren« (Mae 2003: 196). Die Perspektivität der eigenen Kultur vor Augen kann eine Zentrierung auf das Eigene überwunden werden. »Nicht-Verstehen schützt in diesem Sinne nicht nur vor Vereinnahmung und Bemächtigung, sondern schwächt auch in der Begegnung den Status des Subjekts. Eine Haltung des Nicht-Verstehens und Nicht-Wissens hat den Vorteil, die Positionen im Gleichgewicht zu halten« (Westphal 2007: 105).

Ziel interkulturellen Arbeitens wird demnach ein nicht-statisches Kulturmodell, welches eine Festlegung auf ethnische Zugehörigkeit vermeidet. Selbstreflexion und das Bewusstsein, dass strukturelle Ungleichheiten interkulturelle Situationen beeinflussen, finden in eine solche Pädagogik ebenfalls Einfluss (vgl. Auernheimer 2003: 120 f.). Auch in empirischen Studien zu interkultureller Kompetenz wird vermehrt auf den (strukturellen) Kontext verwiesen.

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Von einer rein personenzentrierten Definition interkultureller Kompetenz nimmt auch Thomas‹ Modell, das als situatives bezeichnet werden kann, Abstand (vgl. Thomas 2003: 142 f.). Jedoch selbst dort, wo Einflussfaktoren bestimmt werden, wie der strukturelle Rahmen, Organisationsfaktoren und familiäre Bindungen (vgl. Rummler 2006: 289), sind politische Interessen, wirtschaftliche Vermarktbarkeit und Dominanzverhältnisse weniger thematisiert. Nach wie vor kann daher von einem Begriff interkultureller Kompetenz gesprochen werden, welcher die Heterogenität interkultureller Interaktionen nicht gänzlich einfangen kann.

Struktur- und Prozessmodelle interkultureller Kompetenz Strukturmodelle versuchen, persönliche und strukturelle Faktoren interkultureller Kompetenz zusammenzubringen. Interkulturelle Kompetenz wird dort aufgeteilt in affektive, kognitive und konative Aspekte (vgl. Stüdlein 1997: 154 ff.) und auf eine Außendimension hin erweitert. Neben die in den Listen- und Entwicklungsmodellen aufgeführten persönlichen Eigenschaften werden hier Aspekte wie »Effektivität« und »Angemessenheit« hinzugefügt (Müller/Gelbrich 2004: 793); damit wird auf die Situationsbedingtheit des Handelns verwiesen. Beispielhaft dafür ist ein Thesenpapier der Bertelsmann-Stiftung auf der Basis der Interkulturellen-Kompetenz-Novelle von Deardorff. Dort wird interkulturelle Kompetenz folgendermaßen definiert: »Interkulturelle Kompetenz beschreibt die Kompetenz, auf Grundlage bestimmter Haltungen und Einstellungen sowie besonderer Handlungs- und Reflexionsfähigkeiten in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu interagieren« (Deardorff 2006: 5). Hier tauchen Einstellungen, praktisches Handeln und Reflektieren ebenso wie die Thematisierung einer Situation und der Zielsetzung auf. Stehen in Strukturmodellen die verschiedenen Aspekte interkultureller Kompetenz noch als Synthese nebeneinander, fokussieren Prozessmodelle auf die gegenseitige Durchdringung verschiedener Teilkompetenzen (vgl. Bolten 2006). Mit einem dreistufigen Delphiverfahren entwickelt Deardorff im Anschluss an ein Strukturmodell ein Prozessmodell interkultureller Kompetenz, in welches Haltung und Einstellung, Wissen und Verständnis, interne und externe Wirkungen einfließen. Neben den personenzentrierten Anforderungen39 und Kompetenzen40 wird einer internen41 und externen42 Handlungsebene Aufmerksamkeit zuteil und es wird auf kontext- und situationsspezifische Bewertungsindikatoren hingewiesen (vgl. Deardorff 2006: 21). Mit diesem Prozessmodell soll die Komplexität interkulturellen Handelns veranschaulicht werden. Auf den Zusammenhang von persönlichen Kompetenzen und praktischem Wissen in einer Situation 39 Offenheit, Respekt, Neugier, Ambiguitätstoleranz. 40 Zuhören, Beobachten, Analysieren, Bewerten und Zuordnen kulturspezifischer Informationen. 41 Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Empathie, Relativierung einer ethnozentrischen Sicht. 42 Effektive und angemessene Kommunikation und Verhalten.

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wird damit hingewiesen, ohne dies aber forschungspraktisch und handlungstheoretisch weiterzuverfolgen. Die von ausgewählten Fachleuten benannten Anforderungen an Personen stehen im Vordergrund des Modells und werden nach ethnozentrisch-normativen Idealvorstellungen konzipiert. Die komplexen Begriffe des Modells bleiben in ihrer handlungspraktischen Bedeutung unklar und auch der Zusammenhang der Komponenten sowie erlebte Praxis werden empirisch nicht rekonstruiert (vgl. zur Kritik auch Straub et al. 2007). Straub et al. schlagen in Folge ihrer Kritik des Modells von Deardorff vor, den »überkomplexen theoretischen Begriff ›interkulturelle Kompetenz‹ [...] in Abhängigkeit von spezifischen Lebensbereichen und Handlungsfeldern« (ebd.: 11) zu entwickeln und dabei die Situationsbedingtheit des Handelns im Auge zu behalten. »Personale interkulturelle Kompetenz kommt stets in einer durch Kontext- und Situationsinterpretationen des Akteurs vermittelten Weise zum Tragen und ist in ihrem Wirkungspotential vom Kontext und der Situation selbst, also von mehr oder weniger förderlichen, stets aber auch restriktiven Rahmenbedingungen und vom Handeln Anderer abhängig« (Straub 2007: 39).

Konstruktion des Anderen Ein weiterer Kritikpunkt an der Debatte um interkulturelle Kompetenz ist die meist paradigmatische Problematisierung interkultureller Kontakte. Auch wenn Modelle interkultureller Kompetenz auf positive Fähigkeiten setzen, liegt die Basis des Diskurses doch meist auf dem Trennenden, nicht aber auf dem Gemeinsamen. Damit werden kulturelle Differenzen in den Vordergrund gerückt und Abgrenzungstendenzen verstärkt. Weder lassen sich so angemessene Situationsbeschreibungen erlangen noch kommt in den Blick, wie irritierende Differenzen im Alltag ausbalanciert werden (vgl. Westphal 2007: 102). Die Zuschreibung des Anderen und Fremden wird nicht reflektiert. Warum der Andere als anders erlebt wird und sich der eigenen Normalisierung entzieht und wer bestimmt, wann jemand wie und wie sehr als anders erscheint (vgl. Castro-Varela 2002: 41), finden in die Modelle interkultureller Kompetenz keinen Eingang. Die Diskussion um interkulturelle Kompetenz läuft somit Gefahr, einer Kulturalisierung Vorschub zu leisten und Fremde festzuschreiben. In der Differenzierung zwischen Ich und Anderen kann einer anderen Gruppe der Status als Gleicher abgesprochen werden, um die eigene Gruppe über die fremde erheben zu können (vgl. Bredella 2007: 12 f.). Ein- und Ausgrenzungen werden entlang der Differenzlinie ›Kultur‹ fortgeschrieben. Interkulturelle Kompetenz verstellt sich den Blick durch eine einseitige Beschreibung von persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Anderen auf den relationalen Aspekt von Fremdheit und eine Perspektive auf Gemeinsamkeiten. Wird interkulturelle Kompetenz zu einer einseitig erlernbaren Fertigkeit, reproduziert sich damit eine Dichotomisierung, in welcher der Andere nur als Bezugspunkt, nicht aber als handelndes Subjekt vorkommt. Damit wird die Chance vertan, sich in seiner Gewordenheit und Gebundenheit

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durch die Konfrontation mit dem Anderen selbst zu begreifen und in der Aneignung, nicht aber Enteignung der Handlungsschemata Anderer eigene Perspektiven zu erweitern und damit Bildungsprozesse in Gang zu setzen.

Strategische Ziele und Verfestigung von Machtpositionen Die Konstruktion des Anderen in einer Debatte um interkulturelle Kompetenz kann auch als Professionalisierungsinteresse verstanden werden, dessen primäres Ziel nicht Verständigung ist. »Es geht bei vielen interkulturellen Begegnungen von Menschen mit ökonomischen oder politischen Absichten nicht vorrangig darum, den anderen Menschen oder die andere Kultur zu verstehen oder ihr Wertschätzung entgegenzubringen, sondern darum, in einer fremden Kultur zielorientiert angepasst zu handeln« (Kim/Hoppe-Graff 2003: 181).

Wird dann in Modellen zu interkultureller Kompetenz ein Verstehen hervorgehoben, so klingt dies geradezu zynisch, weil das Ziel der Begegnung eben nicht das Verstehen der Anderen im Sinne von Interesse und Verständigung ist. Das Verstehen des Anderen ist vielerorts nicht angestrebt und/oder steht im Widerspruch zu einer funktionalen Handlungskompetenz. Ein tieferes Verstehen, so Kim/Hoppe-Graff, kann für den unmittelbaren Handlungszweck eher belastend als erleichternd sein (vgl. ebd.: 182). In einem Feld der Macht mit struktureller Diskriminierung stellt interkulturelle Kompetenz dann eine Farce dar, hinter der ökonomische und politische Interessen verschwinden und nicht als das benannt werden, was sie sind. So kann, wer ›interkulturell kompetent‹ verhandelt, als strategisch geschickt in der Durchsetzung eigener Interessen auftreten und zwar sowohl in wirtschaftlicher Interaktion als auch im sozialen Bereich. Castro-Varela stellt berechtigterweise die Frage, wer »vom Wuchern des Diskurses um interkulturelle Kompetenz« (Castro-Varela 2002: 36) profitiert. Sie sieht den Diskurs um interkulturelle Kompetenz in Deutschland als in die Krise geraten und kritisiert, dass die Programme zum interkulturellen Training auf Mehrheitsangehörige zugeschnitten seien und diesen als Qualifizierung zur Steigerung des Marktwertes dienen würden. Wurde in der obigen Kritik auf die machtvolle Durchsetzung von (ökonomischen) Interessen verwiesen, handelt es sich in der Kritik von Castro-Varela um eine Verfestigung bereits bestehender Machtrelationen und Bildungsmöglichkeiten zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen in Deutschland. Tatsächlich werden, aus der Perspektive einer interkulturellen und antirassistischen Arbeit, Faktoren von Herrschaft, also Deprivilegierung, Deklassierung, Rassismus und Ausgrenzung im Diskurs um interkulturelle Kompetenz viel zu wenig thematisiert. Verschiedene Differenzlinien bleiben unbeachtet und Machtunterschiede werden ausgeblendet (vgl. Mecheril 2002). Insbesondere innerhalb der bundesdeutschen Thematisierung interkultureller Kompetenz (Bsp. Interkulturelle Öffnung der Schule, der Sozialen Arbeit,

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des Gesundheitswesens) scheint es sich vornehmlich um eine Konfliktvermeidungs- oder -bewätigungskompetenz zu handeln (vgl. Castro-Varela 2002: 38). Ein Unrechtsbewusstsein oder eine grundsätzliche Infragestellung struktureller Diskriminierungspraktiken verschwindet dadurch oder entsteht erst gar nicht. »Ein Problem des Ansatzes interkultureller Kompetenz ist, dass es Versäumnisse ausgleichen soll, die bisher gesamtgesellschaftlich und strukturell-institutionell nicht angegangen wurden« (Gültekin 2006: 371).

Mit dieser Kritik sieht sich die Pädagogik mit dem Vorwurf konfrontiert, sich zu einem besänftigenden Handlanger politischer Interessen zu machen bzw. die eigene Position nicht kritisch zu hinterfragen. »Interkulturelle Kompetenz ist nicht selten die Good-will-Praxis einer dem institutionellen Rassismus hilflos gegenüberstehenden Pädagogencommunity« (Castro-Varela 2002: 44; Hervorhebung im Original). Castro-Varela fordert von einer ›interkulturell kompetenten‹ Person in der Sozialen Arbeit, die eigene privilegierte Situation zu nutzen, um Veränderungen zu bewirken und Machtstrukturen zu hinterfragen. Dies impliziert, die Beziehung zu Klienten hinsichtlich ihrer Hierarchie wahrzunehmen und die Konstruktion vom ›Wir‹ und den ›Anderen‹ offenzulegen. An eine solche Praxis interkultureller Kompetenz, die nicht aus einem Wissen über den Anderen entspringt, erwächst die Notwendigkeit des »Verlernens« (ebd.). »Das Verlernen der eigenen Privilegien ist eine schmerzhafte und zutiefst verunsichernde Erfahrung, ohne die jedoch interkulturelles Lernen [bzw. Bildung; ACS] nicht zu bewerkstelligen ist« (ebd.: 46).

Verlernen wird als Versuch gesehen, hegemoniale Strukturen zu durchbrechen und asymmetrische Gegenbegriffe zu überwinden (vgl. Bredella 2007: 13). Eine solche Form interkultureller Kompetenz widerspricht den Ansprüchen an personengebundene, erlernbare Fertigkeiten. Nicht das Erlernen steht hier im Vordergrund, sondern ein Verlernen und eine Abstinenz im Hinblick auf eigene Normalitätsbehauptungen (vgl. Mecheril 2003: 200).

Übersetzung von Einstellung in praktisches Handeln Die vorgestellten Modelle interkultureller Kompetenz können über diese grundsätzliche Hinterfragung der Bestimmung interkultureller Kompetenz hinaus noch ein weiteres, grundsätzlich praktisches Problem nicht lösen: Die Übersetzung von Einstellungen in praktisches Handeln. Werden in den Studien Einstellungen abgefragt, so kann aus diesen Einstellungen heraus noch keine Aussage über das praktische Handeln in interkulturellen Situationen gemacht, sondern nur

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angenommen werden.43 Mit dieser Problematik sind auch so genannte ›interkulturelle Trainings‹ konfrontiert. Dies gilt sowohl auf der Ebene von Übertragungen praktischer Probleme in Ausbildungskonzepte als auch auf der Ebene der Übertragung von Erfahrungen innerhalb eines Trainingsseminars in alltägliches Handeln. »Die jeweils formulierten und für notwendig erachteten Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen – oft in idealtypischer Form – lassen sich nicht ohne Brüche in Aus- und Fortbildungsziele übersetzen« (Hinz-Rommel 1994: 67). Die Betonung von Einstellungen in Modellen interkultureller Kompetenz gegenüber Fähigkeiten spiegelt eine kognitivistische Perspektive wider, welche der konkreten Handlungspraxis einen geringeren Stellenwert zugesteht. Interkulturelle Kompetenz bleibt (je nach Perspektive) »Interpretationskonstrukt« (Straub 2007: 39) und kann weder in ihrer Bestimmung noch ihrer Erlernbarkeit und Erforschung zufriedenstellend definiert werden. Es »ist bis heute keineswegs hinreichend klar, was denn eigentlich darunter verstanden werden soll« (ebd.: 35). Ob interkulturelle Kompetenz im Zuge einer Professionalisierung thematisiert und damit in Komponenten aufgeteilt wird oder etwa als selbstreflexiver Umgang mit differenten Normalitätserwartungen gesehen wird, lässt jeweils unterschiedliche Aspekte und Erwartungen hervortreten. Neben den Problematiken einer übergreifenden Definition und einer grundsätzlichen Bestimmbarkeit kommt als weiterer Faktor hinzu, dass dem Handlungspotential der Akteure, ihrem ›interkulturellen Können‹, im Sinne von habitualisiertem Können, zu geringe Beachtung geschenkt wird. Jenseits von moralisch-ethischen Anforderungen ist dieses Können im Handeln angesiedelt und für die involvierte Person von wichtiger Bedeutung. Die Frage des interkulturellen praktischen Wissens, dem »Können«, wird in manchen Arbeiten angedacht, aber kaum in die Handlungspraxis einer ›interkulturellen Kompetenz‹ überführt.44 Straub thematisiert eine »praktische Klugheit« und weist auf die Notwendigkeit empirischer Forschungen in spezifischen Handlungsfeldern hin (vgl. ebd. 2007: 37). Overwien/Karcher (2003) definieren Kompetenz als »die Fähigkeit zu selbständigem Handeln im jeweiligen Bezugsrahmen, im privaten, beruflichen oder auch politischen Feld« (ebd.: 4), sie verweisen auf die Personengebundenheit des Begriffs und damit auf eine habituelle Verankerung von Kompetenz. Die Bedeutung der interkulturellen Handlungspraxis führen sie an dieser Stelle nicht aus. Das Können stellt jedoch in der Handlungspraxis eine wichtige Basis von Handeln, Reflektieren und Wahrnehmen dar. Es besteht aus unterschiedlichen Wissenskomplexen und entspringt einem »doing knowledge, das als ›Wissen-wie‹ 43 Die Kritiker interkultureller Kompetenz, wie Mecheril (2002) und Castro-Varela (2002) sprechen sich gegen Einstellungsabfragen aus. Ihre Arbeiten sind aber auf einer theoretischen, nicht empirischen Basis entstanden, so dass hier keine alternativen empirischen Praxen zur Untersuchung interkultureller Kompetenz vorhanden sind. 44 Auernheimer spricht von der »Macht des Wissens« und einer sich entgegenstellenden Lebenspraxis (Auernheimer 2002: 186).

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oder ›implizites Wissen‹ kreativ und explorativ in der Praxis zum Einsatz kommt« (Hörning/Reuter 2004: 11, Hervorhebungen im Original). In der vorliegenden Arbeit soll daher die Rekonstruktion des praktischen Handelns der Akteure im Zentrum der Analyse interkultureller Interaktion stehen.

Exkurs zum Begriff der Handlungskompetenz Die Handlungskompetenzdiskussion in der Erziehungswissenschaft ist keine vollkommen neuartige Erscheinung,45 und doch ist bis heute die Frage des Theorie-Praxis-Verhältnisses ein Grundthema der Pädagogik. Die in der von Rauschenbach/Treptow (1984) gestellten Frage, ob die Diskussion um Handlungskompetenz »nicht auch ein Indiz für die nicht gelungene/gelingbare Verknüpfung von Theorie und Praxis, von Erkenntnis und Erfahrung« (Rauschenbach/ Treptow: 23) sei, anklingende Problematik des Umgangs mit rationaler Erkenntnis und praktischer Erfahrung wird noch immer diskutiert. Nach wie vor gibt es im deutschsprachigen Raum meines Wissens keine Studien, die bezogen auf die Thematik interkultureller Handlungskompetenz eine gründliche Analyse des Gegenstandes vorgenommen und diesen handlungstheoretisch angebunden haben. Ein Grundproblem der Handlungskompetenzdiskussion ist zunächst einmal die schwierig zu klärende Frage dessen, was Kompetenz bedeutet. Mehrheitlich wird dabei auf die Differenzierung von Chomsky hingewiesen, der zwischen Sprechen und Sprachfähigkeit, also zwischen einer virtuellen Fähigkeit (Kompetenz) und einer realen Fähigkeit (Performanz) unterscheidet (vgl. Nieke 1984: 132, Brumlik 1984: 119, Straub 2007: 39).46 Kompetenz wird so als implizites Wissen der Basisstruktur von Sprache verstanden. Sie ermöglicht, dadurch eigenständig neue Handlungen zu vollbringen. Chomsky betont strukturelle Gemeinsamkeiten ungeachtet unterschiedlicher Sprache: »Trotz beträchtlicher Verschiedenheiten in unseren jeweiligen Lernerfahrungen können wir ohne Schwierigkeiten miteinander kommunizieren; nichts deutet darauf hin, daß wir fundamental verschiedene Sprachen sprechen« (Chomsky 1973: 147).

Nach Oevermann (1973) ist Kompetenz eine sozialisatorisch erworbene Handlungsstruktur. Diese Struktur verleiht eine gewisse Verhaltenssicherheit, basiert auf intellektueller, sozialer und moralischer Mündigkeit und ermöglicht eine kritisch-reflexive Distanzierung vom eigenen Tun (vgl. Nieke 1984: 135 ff.). 45 Zwei Bände zu Handlungskompetenz erschienen schon 1984, herausgegeben von Müller/Otto/Peter und Sünker. 46 Sprechakte werden bei Chomsky als Resultat geistiger Fähigkeiten und Tätigkeiten des Individuums betrachtet, die Kategorien wie Vorstellung, Geist, Bewusstsein, Denken usw. zulassen. Diese Fähigkeiten sieht Chomsky als angeboren an. Nicht eindeutig in Chomskys Differenz von Kompetenz und Performanz ist der Zusammenhang von Kompetenz mit Sprechsituationen. Kompetenz unabhängig von Situationen zu sehen, vernachlässigt etwa die Praxis von Sprachstilen, welche situationsgebunden sind.

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Eine weitere Unterscheidung, jene zwischen kommunikativem und strategischem Handeln, wird von Rauschenbach/Treptow in Anlehnung an Habermas getroffen. Das Handeln, so die Autoren, richtet sich auf vier Bezugsgruppen: den Klienten, die Fachkollegen, die Organisation und die Öffentlichkeit. Handlungskompetent ist demnach jener, der zwischen den Rationalitäten der Kontexte übersetzen kann und die Unvereinbarkeit von kommunikativem (im Sinne Habermas’) und zweckrationalem Handeln aushalten kann (vgl. Rauschenbach/Treptow 1984: 55). Nieke (1984) benennt drei allgemeine Grundlagen, auf die professionelle Handlungskompetenz aufbaut: eine Wahrnehmungskompetenz, eine Interaktionskompetenz und eine Reflexionskompetenz. Er unterscheidet zwischen Wissen und Können und verweist auf notwendige »Dispositionen und skills«, die eine Verhaltenssicherheit aufbauen, die zum Handeln befähigt. Auch Baacke (1984) geht auf diese Dispositionen ein, indem er darauf hinweist, dass Handlungskompetenz nicht zu einer Verhaltensbeliebigkeit führt, jedoch eine Verhaltensfreiheit ermöglicht. Er geht davon aus, dass der Mensch im Lauf seines Lebens Basis-Handlungen »gelernt« hat, und sieht diese als körpergebunden an (vgl. Baacke 1984.: 156 ff.). In den Diskussionen zur Frage von Handlungskompetenz werden Gesichtspunkte sozialisatorischer Fähigkeiten wie auch performative Aspekte des Handelns aufgegriffen. Personeninterne (im Sinne kognitiver) Fähigkeiten, interaktionale und personenexterne Aspekte (im Sinne einer spezifischen Handlungssituation, welche bestimmte Handlungsmöglichkeiten bietet) fließen in den Kompetenzbegriff ein. Im Begriff der Handlungskompetenz verbindet sich Wissen und praktisches Können. Aus dieser Betrachtungsweise bewegt sich interkulturelle Handlungskompetenz in einem Feld biographischer Vorerfahrungen, impliziten Wissens und situativer Aufführungen. In einer Rekonstruktion der Praxis von Expatriates scheint es daher angemessen, sich auf deren Biographie, auf ihr Handeln und auf den Kontext des Handelns zu konzentrieren. Ich spreche daher im Folgenden, soweit es um meine Untersuchungen geht, von interkultureller Handlungskompetenz. Jedoch ist auch die Definition von ›Handlungskompetenz‹ der Schwierigkeit ausgesetzt, dass hinter der Definition ›kompetenten‹ Handelns eine Norm steht, welche standortgebunden und damit exmanent ist. Die Bestimmung von ›Kompetenz‹ fällt mit der Erfüllung bestimmter (milieuspezifischer) Erwartungen zusammen und unterliegt somit unterschiedlichen Betrachtungsweisen (vgl. Kaufhold 2006: 118). Ein Individuum kann im Zuge dessen zu einem Objekt von Kompetenzentwicklungsprozessen werden (vgl. Vonken 2005: 52). Zudem stellt sich die Frage, ob die handelnde Person und ihr Umfeld das, was die Forscherin als ›handlungskompetent‹ betrachtet, ebenso wahrnimmt. Das Verfügen über Wissen, dessen Bewertung und die Frage der Erschließung neuen Wissens und Könnens sowie die Versicherung der Kompetenz durch soziale Bestätigung ist aus diesem Grund zunächst aus der Praxis der Akteurinnen zu rekonstruieren, denn vorab zu bestimmen.

INTERKULTURELLE KOMPETENZ AUS ERZIEHUNGSWISS. PERSPEKTIVE | 49

Erste handlungstheoretische Reflexionen Um den Aspekt des praktischen Handelns und damit auch des vorhandenen Könnens der Personen analysieren zu können, bietet es sich an, die Interpretationen des empirischen Materials handlungstheoretisch anzubinden. Handlungstheorien47 können für meine Arbeit zu interkultureller Handlungskompetenz einen fruchtbaren Boden ausmachen und dazu beitragen, Handeln in interkulturellen Situationen zu beleuchten. Um dem Handlungsaspekt in interkulturellen Situationen noch höhere Geltung einzuräumen, liegt daher ein Fokus dieser Arbeit auf der Thematisierung von Wissen und Können. Unter »interkulturellem Wissen« verstehe ich ein Wissen über etwas, etwa eine Kultur, Politik, Geschichte oder auch Sprache (kommunikativer Wissensbestand) und mit »interkulturellem Können« beziehe ich mich vornehmlich auf die Handlungspraxis der Akteurinnen (Praxiswissen). Dieses interkulturelle Können ist Teil eines nicht bewussten Handelns, eine Fähigkeit zur ›kompetenten‹, spontanen oder habitualisierten Handlung, die zum Zeitpunkt der Handlung einer Reflexion entbehrt und den größten Teil unseres alltäglichen Handelns ausmacht. Ein »interkulturelles Wissen« mag zu einer Sensibilisierung der Wahrnehmung in interkulturellen Situationen beitragen, es ist jedoch kein Garant ›kompetenter‹ Handlung. »Interkulturelles Können« gleichzusetzen mit der erfolgreichen Umsetzung des interkulturellen Wissens, greift zu kurz, denn es gibt Situationen, in denen die Akteure ›kompetent‹ handeln, ohne dass dieser Handlung eine Phase der Planung, d. h. einer geplanten Umsetzung des erlernten interkulturellen Wissens vorausgegangen wäre (vgl. dazu Ryle 1969, Radtke 1996). Hinzu kommt, dass nur das wenigste Handeln rational ist, was die Bedeutung des Könnens unterstreicht. Mit dieser Erweiterung der Diskussion um interkulturelle Kompetenz als interkulturelle Handlungskompetenz und die Fokussierung auf praktisches Handeln wird deutlich, dass die Modelle zur Definition und Überprüfung interkulturellen Handelns für diese Arbeit kaum eine Grundlage bilden können. Vielmehr zeichnet sich ab, wie problematisch eine Definition interkultureller Kompetenz ist, und zwar sowohl aufgrund der Komplexität der Anwendungsfelder als auch aus grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich einer normativen Festlegung und mangelnden Bezugnahme auf Logiken der Praxis. Wie schwierig es ist, interkulturelle Kompetenz zu definieren, wurde insbesondere hinsichtlich der Problematik von uneindeutigen Begriffen, der Vernachlässigung von Rahmenbedingungen, einer nationalstaatlichen Fokussierung und einer Dominanz von theoretischem Wissen und idealisierten Ansprüchen gegenüber praktischen Fähigkeiten offenkundig. Aber ein Konzept interkultureller Kompetenz ist nicht nur aufgrund der Komplexität des Themas und der uneindeutigen Begriffsbildungen ein schwieriges Unterfangen. Grundsätzlich steht die Frage im Raum, in welchem Kontext und mit welcher Intention interkulturelle 47 Insbesondere beziehe ich mich dabei auf ein pragmatistisches Modell zirkulären Handelns, wie es bei Dewey (1963, Original 1896) zu finden ist (vgl. Kap. 3).

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Kompetenz zu einer »Schlüsselqualifikation« wird. Die Pädagogik findet sich hier in einem Feld politischer und ökonomischer Interessen wieder und tut gut daran, zu überdenken, wie sie daran anschließt. Dies bedeutet nicht, sich gänzlich dieser Debatte zu entziehen, denn die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft wie auch das praktische interkulturelle Handeln sind erziehungswissenschaftlich und auch bildungspolitisch von großer Bedeutung. Wer von wem was lernt, lernen soll und wer wem was vermittelt in einer heterogenen, kulturpluralen Welt, wie Andere wahrgenommen werden und Selbstreflexion entsteht, dies alles sind Aspekte einer modernen Erziehungswissenschaft. Hinsichtlich des Begriffs der ›interkulturellen Kompetenz‹ scheint es mir allerdings ratsam, den Anspruch, diesen Begriff empirisch und/oder theoretisch gänzlich zu fassen, aufzugeben. Eine vorgefertigte normative Orientierung dieses Begriffs kann die tatsächliche Handlungspraxis der Akteure ohnehin nicht einholen. Um die Praxis der Akteurinnen, ihre soziale Einbettung, kollektiven Selbstverständlichkeiten und Erfahrungen zu erfassen, ohne auf nationalstaatliche Bezüge rekurrieren zu müssen, verstehe ich – wie in diesem Kapitel herausgearbeitet – ihre ›kulturelle‹ Verortung als Zugehörigkeit eines Milieus. Ihre ›interkulturellen‹ Interaktionen sind in diesem Sinne milieuübergreifende Begegnungen, in denen Handlungsroutinen gestört werden. Häufig laufen diese Irritationen entlang einer Herkunftsdimension, müssen dies aber nicht. Menschen sind aus milieutheoretischer Sicht Teil verschiedener, sich überlagernder Milieus. In der vorliegenden Arbeit geht es darum, vor dem Hintergrund einer handlungstheoretischen Reflexion des interkulturellen Könnens empirisch zu rekonstruieren, wie sich interkulturelles Handeln (inklusive des Beobachtens) vollziehen. Erst im Anschluss hieran soll danach gefragt werden, wie und wo dadurch zukünftiges (interkulturelles) Handeln begünstigt (im Sinne einer interkulturellen Handlungskompetenz), erschwert oder verhindert wird. In diesem Zusammenhang kann dann auch thematisiert werden, wie und ob durch milieuübergreifende Begegnungen (interkulturelle) Bildungsprozesse entstehen können. In einem empirischen Vergleich des Handelns, Reflektierens und Interpretierens von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten entsteht eine Rekonstruktion interkultureller Praxis im Bereich hochqualifizierter Transmigranten. Die problematisierte implizite Normativität interkultureller Handlungskompetenz werde ich im Zuge der Diskussion einer handlungstheoretischen Verortung der Studie nochmals aufgreifen (Kap. 3) und einen Vorschlag für einen selbstreferentiellen Begriff machen.

3 Grundla ge nthe oretisc he Übe rle gunge n zum Handeln in interkulturellen Situationen

Mit der Kritik an Modellen interkultureller Kompetenz wurde eine wesentliche Problematik in der Analyse des interkulturellen Umgangs von Transmigranten benannt. Die Praxis der Personen, ihr praktisches Können wird gegenüber einem theoretischen Wissen und einer »Einstellungskompetenz« in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion zu interkultureller Kompetenz zu wenig in den Blick genommen, und zwar sowohl auf der Ebene gestalterischen Handelns der Akteure als auch in Bezug auf die sie umgebende und ihren Handlungen einen Rahmen gebende Situation. Nicht Einstellungsabfragen und die Offenlegung sozialer und politischer Rahmenbedingungen allein können Auskunft über die Praxis geben, sondern insbesondere eine Rekonstruktion dieser Praxis selbst. Wie handeln Transmigrantinnen in milieuübergreifenden Begegnungen? Welche Handlungsaspekte können rekonstruiert werden? Ziel dieser Arbeit ist es, verschiedene Phänomene des Handelns zu rekonstruieren und aufmerksam für verschiedene beeinflussende Faktoren zu sein. Sowohl die Situation, in der gehandelt wird, als auch das Gegenüber, auf welches sich das Handeln implizit und explizit bezieht und mit welchem es stattfindet, werden Teil einer Betrachtung, die auf die Wahrnehmung und Verortung des Handelnden gerichtet ist. Der Mensch steht damit in seiner gestalterischen und wahrnehmenden Perspektive im Vordergrund. Die Gestaltung sozialer Praxis und die Bedeutung der (kulturellen) Gewordenheit des Menschen, seinen Verhaltensgewohnheiten und Normalitätserwartungen und das Erleben von Differenz zu anderen Milieus, sehe ich angesiedelt in einer Triade von Selbst, Situation und Anderen (Kap. 3.1). In der Rekonstruktion des Handelns in dieser Triade dokumentiert sich, wie praktisches Handeln, Wahrnehmung und Verarbeitung von Differenzen ein Zusammenspiel ergeben, welches mit Deweys zirkulärem Handlungsbegriff fassbar wird und gleichzeitig Handlungskompetenz als selbstreferentiellen Begriff nahelegt ( Kap. 3.2). Dieses grundlagentheoretische Verständnis hat erst im Laufe der qualitativen Studie zum interkulturellen Handeln von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten

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an Relevanz gewonnen und sich im Zuge von Forschungsergebnissen zu einem handlungstheoretischen Anknüpfungspunkt entwickelt.1 Trotz dieser zirkulären Logik der Erkenntnis werde ich vor der Darstellung der empirischen Analyse im Folgenden den grundlagentheoretischen Ansatz interkulturellen Handelns meiner Arbeit skizzieren und damit deutlich machen, dass die Wahrnehmung des Anderen und die Interpretation der Situation in das Handeln, Reflektieren und Interpretieren von Transmigrantinnen einfließt. Die handlungstheoretische Verortung der vorliegenden Studie dient auch dazu, begriffliche Klarheit zu schaffen und Bezüge herzustellen, mit denen die Rekonstruktionen der Empirie auf einer über das konkrete Handlungsfeld hinausragenden Ebene diskutiert werden können.

3.1 Handeln in der Triade Selbst, Situation u n d An d e r e r Das Handeln der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer in Afrika findet in einem Rahmen statt, welcher politisch, historisch und gesellschaftlich geprägt ist. Hier treffen nicht nur Individuen auf andere Individuen mit unterschiedlichen, individuellen Motivationen und Zielen des Handelns, sondern Menschen mit differenten kollektiven Erfahrungen und milieuspezifischem Wissen und Können. Das Verhalten dieser Menschen in der Interaktion, ihr Umgang mit dem Anderen und ihre Wahrnehmung dessen, was sich wie ereignet, beruht auf zuvor gemachten (kollektiven) Erfahrungen und entspringt nicht spontanen Entscheidungen oder momentanen Gefühlslagen allein. Dies bedeutet nicht, dass Menschen und ihr Handeln durch (kulturelle) Prägung determiniert sind und keinesfalls ließe sich dies auf ein nationalstaatliches typisches Verhalten reduzieren (etwa als typisch deutsches Verhalten). Gerade auch spontane Impulse und individuelle Unterschiede gehören zur Bandbereite menschlichen Handelns dazu. Gleichzeitig leben und erleben Menschen sich selbst, die Situation, in der sie sich befinden und die Personen auf die sie sich beziehen, nicht völlig losgelöst von Traditionen, Geschichte, bereits gemachten Erfahrungen und kollektiven Einbindungen. Vielmehr existiert bereits vor der milieuübergreifenden Begegnung ein theoretisches und ein praktisches Wissen, welches durch routiniertes alltägliches Handeln inkorporiert ist. Die Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen treffen in ihrem beruflichen und privaten Alltag in Afrika immer schon auf komplexe, die Begegnung mit Anderen strukturierende Bedingungen. Sie treffen auf eine Situation, mit der sie umgehen oder zu der sie sich verhalten müssen, und das gleiche trifft auf die Personen zu, mit denen sie im engeren und weiteren Sinne konfrontiert sind oder zusammenarbeiten.

1

S. dazu auch Kap. 4.

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Ihr Handeln, ihre Reflexion des eigenen Handelns und ihre Interpretation des Anderen sehe ich in dieser Triade verortet.



         



  

Welche Aspekte von Selbst, Situation und Anderen für die vorliegende Arbeit bedeutsam sind, wie ich diese Begriffe verstehe und welche Anschlussmöglichkeiten empirischen Forschens sich daraus ergeben, möchte ich kurz darlegen.

Zum Begriff der Situation Den Begriff Situation fasse ich in der vorliegenden Arbeit in erster Linie als rahmengebende Struktur einer Interaktion, welche gleichzeitig prozessual von den Beteiligten ausgehandelt wird. Abstrakt ist damit auf politische, ökonomische, historische und kulturelle Verhältnisse verwiesen, im Konkreten beziehe ich mich auf berufliche und private Rahmungen. Weder die abstrakten noch die konkreten Rahmungen schaffen Eindeutigkeit im Handeln. Erstens befinden sich Menschen nicht in gleichen Relationen zu etwa ökonomischen oder historischen Tatsachen, zweitens interpretieren Menschen Tatsachen und die Rahmenbedingungen unterschiedlich und orientieren ihr Handeln nach der Interpretation. Eine Situation wird also nicht als für alle Menschen gleich wahrnehmbare, objektive Größe verstanden. Gleichzeitig löst sich eine solche Definition der Situationsinterpretation auch nicht in eine absolute Subjektivität der Wahrnehmung auf. Trotz subjektiver Versionen lassen sich übereinstimmende Ähnlichkeiten der Interpretation feststellen (vgl. Gebauer/Wulf 1998: 62). Mit bestimmten Fakten, Tatsachen und auch Verhältnissen sind Menschen konfrontiert, ohne dass kongruente Wahrnehmungen dieser Situationen vorliegen. Über Rituale, Erziehung und Sozialisation entsteht innerhalb von Gruppen und Milieus ein praktisches Wissen bezüglich der Einordnung von Situationen. Verschiedene Interpretationen von Situationen scheinen plausibler als andere zu sein und manche stellen eine Verleugnung dar. Aus der handlungstheoretischen Sicht, die in der vorliegenden Arbeit gewählt ist, kommt dem Wahrheitsgehalt der (individuellen und insbesondere kollektiven) Interpretation, jedoch keine wichtige Bedeutung zu: »It is not important whether or not the interpretation is correct-if men define situations as real, they are real in their consequences« (Thomas/Thomas 1928: 572).

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Was als Thomas-Theorem zu einem Grundpfeiler soziologischen Denkens geworden ist, verweist nicht auf eine individuelle Situationserfassung, sondern auf den Entstehungskontext der Definition von Situation im Sozialen und in kollektiven Prozessen. Wie eine Situation gedeutet wird und welcher ›richtige‹ Umgang damit angebracht ist, wird in einer Gruppe bzw. einem Milieu ausgehandelt. Innerhalb eines Milieus entsteht durch eine geteilte Sozialisationsgeschichte und eine geteilte Handlungspraxis ein ›konjunktiver Erfahrungsraum‹ aus welchem sich ein kollektives ›Wissen-wie‹ speist. Dieses Wissen ist nicht allein kognitiv, sondern sowohl in selbstverständlichem Tun inkorporiert als auch durch bereits gemachte Erfahrungen auf eine vortheoretische Ebene abgesunken. Dieses atheoretische Wissen bildet einen Strukturzusammenhang, der als kollektiver Wissenszusammenhang das Handeln orientiert (vgl. Bohnsack et al. 2001: 11). Jedem selbstbestimmten Verhalten ist somit eine Beobachtung, Erwägung und Auswertung inhärent, die man als (vorläufige) Definition der Situation bezeichnen kann. Von diesen Definitionen ist nicht nur konkretes Handeln abhängig, sondern insgesamt eine Verortung im Leben und ein Selbstverständnis, welches sich aus Aneinanderreihungen, Überlagerungen und Verknüpfungen solcher Situationsdefinitionen speist. Das Herkunftsmilieu als primäre Sozialisationsinstanz gibt explizite und implizite Situationsdefinitionen und entsprechende Regeln des Verhaltens vor, aber auch berufliche Milieus oder Milieus von Transmigranten lassen bestimmte Interpretationen als plausibler als andere, als ›richtig‹ oder ›falsch‹ erscheinen.2 Ähnliche Situationsdefinitionen ergeben sich größtenteils nicht durch bewusste Akte der Entscheidung für eine Definition, sondern entstehen in einer kontinuierlichen Angleichung von äußerer und innerer Welt in der Bildung eines mimetischen Verhältnisses durch Sozialisation (vgl. Gebauer/Wulf 1998: 80 ff.). Eine Übereinstimmung der Definition von Situationen führt dabei zu Stabilität und Solidarität einer Gruppe. In dieser Stabilität reproduzieren sich handlungsleitende Orientierungen, welche auch im Sinne einer Definitionsmacht als Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen gesehen werden können. Von der Gruppe abweichende Definitionen der Situation hingegen, gehen meist mit Konflikten einher. Eigene Wünsche und Interessen können quer zu den Bedürfnissen einer Gesellschaft oder Gruppe liegen und werden teilweise auf rechtlicher Ebene, häufiger aber im sozialen und emotionalen Umgang, etwa durch Tratsch, reguliert und sanktioniert. Den Interpretationen von Situationen ist damit immer auch ein Spannungsfeld inhärent:

2

Es ist der Kontext, welcher der Definition von Situation Bedeutung gibt, und zwar auch jenseits von Reflexion als selbstverständliches konjunktives Wissen. »The situation as such is not and cannot be stated or made explicit. It is taken for granted, »understood«, or implicit in all propositional symbolization. [...] the situation controls the terms of thought, for they are its distinctions, and applicability to it is the ultimate test of their validity« (Dewey 1986a: 247, Hervorhebung im Original).

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»There is therefore always a rivalry between the spontaneous definitions of the situation made by the member of an organized society and the definitions which his society has provided for him« (Thomas 1923: 42).

Akteure definieren Situationen nicht individuell, sondern finden soziale, in Kulturen und Praxisgemeinschaften entwickelte Definitionen vor, die partiell standardisiert sind. Die Anähnlichung wird dabei auch über den Körper hergestellt, der umgebildet, zivilisiert und diszipliniert und damit vergesellschaftlicht wird (vgl. Gebauer/Wulf 1998: 80 ff.). Gleichzeitig treten individuelle Impulse hervor, die Situationen anders definieren wollen und können. Definitionen sind oft vage und insbesondere die Regeln im sozialen Zusammenleben sind nicht starr, wodurch unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden. Durch sozialen Wandel können neue und rivalisierende Definitionen von Situationen auftreten, so dass bisherige Definitionen der Situation nicht mehr hinreichend genügen.3 Ein bewusstes Wahrnehmen und Erkennen einer Situation hängt unmittelbar mit dem Vorhandensein einer Störung des selbstverständlichen Handelns zusammen.4 3

4

Die Wahrnehmung und Definition der ›Situation‹ sehe ich nicht als einen rein zweck-rationalen Entscheidungsakt im Sinne von Parsons (1986), Weber (1922) oder auch Esser (2000). In den Theorien zu rationalen Entscheidungen wird meines Erachtens dem Bewusstsein eine zu große Bedeutung zugeschrieben und habituelles (bei Weber traditionales), wie spontanes (bei Weber affektuelles) Handeln in seiner alltäglichen Praxis nicht hinreichend erfasst. Die Adäquatheit und Sinnhaftigkeit des Handelns wird nicht nach dem erwarteten Nutzen, sondern nach ihrer Verständlichkeit für andere Akteure bestimmt und nachträglich zugeschrieben (vgl. dazu auch Etzrodt 2006: 268). Esser definiert Handlung als typische Verhaltenssequenz, welche als Orientierung für Handeln dient, und will mithilfe der Logik der Situation erklären, warum eine Person sich zweck-, wertrational oder traditional verhält (vgl. Esser 1999: 229). Die Situationsdefinition ist für ihn eine rationale Selektion der Orientierung. Die Akteurin nimmt einen Reiz wahr, erkennt ihn auf der Basis vergangener Erfahrungen und aktiviert »automatisch« ein Modell der Situation bzw. sucht nach alternativen Definitionen, wenn die Situation nicht mit einer bereits erfahrenen übereinstimmt (vgl. Esser 2001: 219 f.). Daran ist zu kritisieren, dass gewohnheitsmäßiges Handeln gerade durch nicht-bewusste Entscheidungen gekennzeichnet ist und Situationen nie 100-prozentig übereinstimmend sind. Zudem werden Nutzen und Intentionen des Handelns meist erst im Nachhinein explizierbar und zugeschrieben, nämlich erst dann wenn das spezifische Handeln Bedeutung für die Situation erhalten hat. »Absichtsvolle Handlungen lassen sich im Gegensatz zu Handlungen mit ›vorausgehender Absicht‹ nur nachträglich aus einem empirischen Handlungstext als auf das realisierte Ziel bezogen/zu diesem hinführend rekonstruieren« (Radtke 1996: 70, Hervorhebungen im Original). Der Akteur handelt bei der Definition der Situation nicht allein rational und auch nicht allein auf einen Nutzen orientiert, sondern im Zusammenhang von Bedeutungen im sozialen Kontext. Er handelt zum großen Teil auf der Basis seines Praxiswissens, welches einem kognitiven Prozess vorgelagert und in den Körper eingeschrieben ist (vgl. Wulf 2001: 77). Die Unterscheidung zwischen einer bewussten und einer impliziten Situationsdefinition kann in Anlehnung an die Wissenssoziologie Mannheims als ›implizite Situationsdefinition‹ und ›explizite Situationsdefinition‹ bzw. als ›konjunktive‹ und

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Die Definition der Situation ist ein Prozess, in dem die Akteurinnen ein Verständnis der Bedeutung von Situation auf mehreren Ebenen erlangen. Dazu zählt »das Verständnis von Selbst und Anderen, das Verständnis von Handlungen, Handlungszielen und Handlungserwartungen, sowohl unter dem faktischdeskriptiven Aspekt (›was ist‹) wie unter dem normativen Aspekt (›was sein soll‹)« (Edelstein/Keller 1982: 14, Hervorhebungen im Original). Die Analyse dessen, was ist, und die normative Positionierung des Erwünschten entstehen beide perspektivisch aus der eigenen Sicht der Dinge und sind damit notwendigerweise (subjektiv) beschränkt. Die Perspektive als spezifische Strukturierung der Wahrnehmung definiert und ordnet den Ausschnitt der Betrachtung. Wie Situationen von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten eingeschätzt werden, wo sich Homologien zeigen und welche Anschlussoptionen für das eigene Handeln entstehen, wird in der vorliegenden Studie in einer kontrastierenden Analyse von narrativen Interviews rekonstruiert. Ebenso wird hier ein Unterschied des Handelns in der Praxis der Transmigrantinnen im privaten und beruflichen Kontext deutlich. Die Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten der vorliegenden Studie finden sich in Situationen wieder, wo sie mit verschiedenen Lebensbedingungen, Menschen und Informationen konfrontiert sind. Sie verarbeiten diese Einflüsse, indem sie sie erleben, in Zusammenhänge einordnen, bewerten und auf zu lösende Probleme beziehen. Die Definition der jeweiligen Situation erfolgt sowohl implizit im Handeln als auch explizit in der Reflexion. Sie erweitern ihr theoretisches und praktisches Wissen durch Informationen, welche situiert, auf soziale Akteurinnen und soziale Handlungen im weitesten Sinne bezogen gewonnen werden und auch nur so zu verstehen sind. Diese Definitionen als Interpretationen der Situationen geben dabei Orientierung und werden damit Teil der eigenen Handlungspraxis. Berufliches Handeln stellt hier eine besondere Herausforderung dar. Denn normierte Erwartungshaltungen sind gerade in stark geordneten Bereichen und Institutionen, etwa durch den Arbeitgeber, vorstrukturiert und dominierend.5

5

›kommunikative‹ Situationsdefinition bezeichnet werden. Werden innerhalb eines Milieus durch mimetische Prozesse Definitionen von Situationen auf der Ebene eines unmittelbaren Verständnisses, durch Tun und Nachtun implizit weitergegeben und übernommen, findet dort, wo es zu einem Bruch von Selbstverständlichkeiten kommt, eine Kommunikation über die Lebenssituation statt. Diese geht mit einer Abstrahierung zur sozialen Praxis einher, denn der »naive« Mensch, so Mannheim, »handelt zwar aus einer Situation heraus, aber die Situation selbst, aus der heraus er handelt, erkennt er nicht« (Mannheim 1952: 94, Hervorhebung im Original). Goffman nennt Beruf, Zufall und Zeremonie als konventionell anerkannte Rechtfertigungen von Anlässen, in Kontakt zu treten, denen jeweils ein spezifischer Bereich von angemessenen Anwendungsmöglichkeiten zugeordnet ist (vgl. Goffman 1977: 44). Zum strukturellen Rahmen der Berufsgruppen s. auch Kap. 4.

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Was die Akteure als berufliche Situation definieren und welche Handlungsmöglichkeiten sie sehen, ist (zumindest formell) häufig schon festgeschrieben.6 Welche unterschiedlichen beruflichen Handlungspraxen die Akteurinnen haben und wie sie mit unbekannten Situationen oder alternativen Definitionen der Situation und sich daran anschließende Erwartungshaltungen umgehen, ist eine Frage, die sich aus der empirischen Erforschung von hochqualifizierten Transmigrantinnen ergibt und in der vorliegenden Arbeit beantwortet werden soll.

Zum Begriff des Selbst Normalitätserwartungen und Perspektiven auf Situationen entstehen nach der Interaktionstheorie Meads (1938) nicht als Folge gesellschaftlicher Beeinflussung, sondern die Perspektive des Subjekts entsteht, wie bereits dargelegt, in einem sozialen Prozess. Auf diese Entwicklung des Selbst in der Interaktion möchte ich nur insofern eingehen, als deutlich zu machen ist, dass biographische Selbstverständnisse in die Interaktionen der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer einfließen und gleichzeitig auch diese Interaktionen mit Anderen als Möglichkeitsraum der Erweiterung von Situations- und Selbstverständnis gesehen werden kann. Mead zufolge wird eine Aufmerksamkeit für die eigenen Haltungen nur in der sozialen Interaktion erzeugt. Das Zusammenspiel von vorbewusstem »I« und reflektierendem »me« wird dabei nicht allein als ein Akt des Ausbalancierens zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern und eigenen Impulsen verstanden, sondern, radikaler, als grundlegend für die Entstehung eines Selbst im sozialen Handeln verankert. Der Prozess der Interpretation von Handlungssituationen und der damit einhergehende Akt der Rollenübernahme ist ein Handeln, welches aus der Interaktion mit dem Anderen entsteht. »Das Bewusstsein von Sinn und Bedeutung ist durch gesellschaftliche Kommunikation zwischen den Menschen entstanden. Das Ich bzw. die Ich-Identität, die in jeder Handlung und in allem Wollen impliziert ist und auf die sich unsere frühesten Werturteile beziehen, muß in einem sozialen Bewußtsein existieren, in dem die socii, die jeweilige Identität der anderen, ebenso unmittelbar gegeben ist, wie die eigene Identität« (Mead 1980: 202, Hervorhebung im Original).

Die Übernahme einer spezifischen Rolle ist aus dieser Perspektive kein willentlicher und empathischer Akt eines agierenden Selbst sondern dieses Selbst entsteht in der Auseinandersetzung mit der Welt. Es entsteht in einer Spannung aus der Synthese von »me« und »I«, wobei das »I« »auf eine gesellschaftliche Situation reagiert, die innerhalb der Erfahrung des Einzelnen liegt [...] Das ›I‹ liefert das

6

Auch wenn es etwa für die Tätigkeit einer Auslandskorrespondentin keine feste Aufgabenbeschreibung gibt, sind die Formen des Handelns (Recherchieren, Artikel schreiben, etc.) allgemein bekannt und geteilt.

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Gefühl der Freiheit, der Initiative« (Mead 1973: 221)7. Auch wenn sich Meads Interaktionstheorie kognitivistisch im Sinne einer Frage nach der Entstehung eines Selbstbewusstseins lesen lässt, weist Mead darauf hin, dass ein Selbst schon vor dem Bewusstsein als soziales existiert. Die Reaktion des Individuums auf signifikante Gesten veranschaulicht Mead am Beispiel eines Boxkampfes (vgl. ebd. 1980: 220) und macht somit deutlich, dass eine Geste schon auf vorreflexiver Ebene zu einer Bedeutung für den Anderen werden kann, eben durch den Wert, den die Geste für den Anderen hat und die Reaktion, die sie auslöst (vgl. Nohl 2006a: 182). Ein Großteil des sozialen Verhaltens verläuft auf dieser vorreflexiven, körperlichen Ebene. »Erst wo die unmittelbare Verknüpfung von Reiz und Reaktion im Handlungskonflikt aufgehoben wird, kommt es zu einem Bewusstsein der Signifikanz eigener und fremder Haltungen« (Nohl 2006a: 183). Nohl weist mit dieser Aussage darauf hin, dass die Konstitution des Selbst und soziale Routinehandlungen auch schon in vorreflexiven Handlungsstrukturen beginnen und das Selbst nicht allein als eine Identität im Sinne einer reflexiven Selbstvergewisserung zu verstehen ist. Für die Analyse des Handelns von Transmigrantinnen in milieuübergreifenden Begegnungen ist es spannend, mit in Betracht zu ziehen, wo Selbstverständliches auf Irritation trifft und wo eine analytische Differenz zwischen sozialem Handeln, im Sinne von gesellschaftlich-normiertem Handeln (etwa im Beruf), und persönlichem Handeln, im Sinne individueller Impulse und Erfahrungen,8 zu Tage tritt und welche Anschlussmöglichkeiten des Handelns sich jeweils ergeben. Gleichzeitig wird mit dieser Definition des Selbst Abstand von der Vorstellung einer homogenen Einheit des Handelnden genommen und der Blick auf Zusammenhänge und Verbindungen des Handelnden mit seiner Umwelt gelenkt. Diese Fokussierung auf Handlungsweisen lässt schließlich forschungspraktisch eine Loslösung von Biographien und eine Hinwendung zu einer Typisierung von Handlungspraktiken zu, ohne jedoch biographische Erfahrungen gänzlich zu vernachlässigen

Zum Begriff des Anderen Als dritte Dimension der Triade von Selbst, Situation und Anderem steht eine weitere handelnde Person bzw. ein Gegenüber, an welchem das eigene Handeln orientiert ist. Der Andere ist ein Teil der Handlungssituation und beeinflusst mit seinem Handeln, seinen Erwartungen und Interpretationen der Situation das 7

8

Auf die kreativen Impulse, die vom »I« als responsiver Instanz im Zuge einer Irritation von Handlungsroutinen ausgehen können, hat Nohl in seiner Untersuchung zu spontanen Bildungsprozessen hingewiesen (vgl. 2006a: 184 f.). Diese begriffliche Unterscheidung treffe ich in lockerer Anlehnung an Goffmans Beschreibung von »personal identity« und »social identity« (vgl. Goffman 1967). Hier fließen Erwartungen, Entwürfe, Fremdidentifizierungen oder Fremdbilder, mit denen der Einzelne sich auseinandersetzt, die er übernimmt oder von denen er sich distanziert, in die Definition des Selbst mit ein (vgl. Bohnsack /Nohl 2001: 18)

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Handeln des Akteurs. Auf ihn kann oder muss reagiert werden. Er reagiert aber ebenso auf das eigene Handeln. Als Interaktionspartner übernimmt er die Rolle, über das Selbst zu urteilen und in der Abgrenzung und Anlehnung Teil der Selbstdefinition zu werden. Ein eigenmächtiges Subjekt, mit eigenen Interpretationen und Vorstellungen wird in der sozialen Interaktion zum Anderen, zu einer Orientierung des Akteurs. Dies findet nicht nur in face-to-face-Beziehungen statt, sondern darüber hinaus als Vorstellungen vom Anderen, welche auf eigenen früheren Erfahrungen basieren. Die handelnde Person ist im sozialen Handeln immer einer Fremddefinition eines realen oder imaginierten Anderen ausgesetzt9. Die Wahrnehmung der Situation und das Handeln sind somit immer ein Stück prekär, weil die Perspektive des Anderen diametral zur eigenen liegen könnte. Um handlungsfähig zu sein, kann sich der Mensch durch eine gewisse NichtIdentifikation helfen; er organisiert sich und seine Rolle in der Situation mit möglichst viel Spielraum und Manövrierfähigkeit (vgl. Goffman 1973: 149). Gleichzeitig schafft eine Vorstellung vom Anderen eine bestimmte Verhaltenssicherheit. So kann entweder angenommen werden, die Andere interpretiere die Situation ebenso wie man selbst: »Aus dieser Annahme prinzipieller Austauschbarkeit von Standpunkten wird Interaktion, aber auch stellvertretende Vermittlung von Wissen möglich. Perspektiven werden so zu universalisierbaren ›objektiven‹ Realitäten« (Edelstein/Keller 1982: 16). Oder der Akteur nimmt an, der Andere interpretiere die Situation anders, gegebenenfalls auch falsch. In jedem Fall werden die Andere und ihr Verhalten interpretiert und damit eingeordnet. Es scheint dabei eine Tendenz vorzuliegen, sich hierbei der Bezugsfolie ›Normalität‹ zu bedienen.10 Wie wird die Andere, als konkrete Person oder auch als »positiver« und »negativer Gegenhorizont« (Bohnsack 2008: 136) wahrgenommen und dargestellt? Welche Bilder vom Anderen dokumentieren sich im Handeln der Transmigranten? Da das Handeln mit der Anderen und in Bezug auf die Andere soziale Gemeinschaften herstellt, stellen sich Fragen nach der Bezugnahme der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer. So lassen sich im Handeln der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten verschiedene Praxen der Bezugnahme auf den Anderen herausarbeiten, in denen deutlich wird, dass für den sozialen Aspekt des Handelns, die Formen des Miteinanders entscheidender als die Inhalte sind (vgl. Wulf/Zirfas 2001: 94). Die Form der Interaktion gewinnt an Bedeutung und kann auch im Sinne einer Performativität gesehen werden, 9

Wulf verweist auf die Imagination des Anderen als innere Bilder: »In Bildern des Anderen manifestiert sich die Einbildungskraft, in ihren Figurationen die kulturelle Vielgestaltigkeit des Anderen. In den verschiedenen Arten der Bilder wird sie sichtbar« (Wulf 2006: 60). 10 Was Normalität bezeichnet, sind keine allgemeinen Regeln, sondern situativ angemessene Regeln, welche mit Erwartungen an eine bestimmte Involviertheit einhergehen. Diese Regeln werden durch Rituale und innerhalb einer Interaktionsordnung reguliert, sind kulturell gebunden und in Herrschaftsverhältnisse eingebunden (vgl. Goffman 1967).

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welche kollektiv geteiltes Wissen und kollektiv geteilte Handlungspraxen inszeniert und so auf die Interaktionspartnerin und die Situation rückverweist. Im Handeln entsteht eine Anerkennung oder Ablehnung des Anderen. Es entsteht auch eine gemeinsame Aushandlungspraxis der Situationsdefinition und des angemessenen Handelns. In körperlichem und sprachlichem Handeln wird die Andere entweder zu einem mitgestalterischen Teil des Handelns oder als Distinktionssymbol auf ihren Platz außerhalb des Selbst verwiesen. »Soziales und kulturelles Handeln ist mithin insofern mimetisch-performativ, als es in seinem Vollzug auf seine Herkunft verweist, als es das Soziale individuell wie vice versa das Individuelle sozial zum Ausdruck bringt, als es eine körperliche Durch-, Ausund Aufführung ist und es schließlich die Kontinuität und Differenzialität der sozialen Wirklichkeit hervorbringt und gestaltet« (Wulf/Zirfas 2001: 111).

Der Andere, auf den und an dem das Handeln ausgerichtet ist, setzt einen Interpretations- und Verstehensprozess in Gang. Denn trotz Überschneidung von Erfahrungsbereichen und ähnlichen Deutungsschemata und Relevanzsystemen ist die Möglichkeit des mangelnden Verständnisses immer gegeben. Erfahrungen decken sich nicht restlos und die Aussagen der Anderen sind nie eindeutig. Es kann mehr gesagt werden und anderes gesagt werden, als gemeint, oder auch mehr gemeint werden, als gesagt wurde. In der Interaktion mit dem Anderen demonstrieren sich so, implizit und explizit, kulturelle Sinn- und Handlungsmuster,11 sowie die Fähigkeit, mit uneindeutigen oder auch divergierenden Interpretationen umzugehen. Auch tritt hier zu Tage, welche (komplexen oder unterkomplexen) Zuschreibungen gegenüber den Anderen am Werk sind. Welche Rolle wird dem Anderen zugeschrieben und wie wird sein Handeln interpretiert? Welche Selbstbilder schafft die Andere als Spiegel und welche Erwatungen und Wünsche trägt sie an das Selbst heran? In der Rekonstruktion des milieuübergreifenden Handelns von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten greife ich auf die Triade Selbst – Situation – Anderer insofern zurück, als ich die Aussagen der Interviewten hinsichtlich ihrer Interpretation der Situation und Interpretation und Darstellung des Anderen analysiere. Damit trage ich dem situativen Moment und der Position des Gegenübers Rechnung. Weder gebe ich eine Situationsdefinition im Sinne einer historischen, politischen und gesellschaftlichen Einbettung vor noch befrage ich die Anderen hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen. Beide Ansätze scheinen mir zwar für eine Analyse interkultureller Handlungskompetenz, die sich von einer Personenzentrierung löst, ergiebig, sollen und können jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiterverfolgt werden. Die Anderen und die Situation treten also vermittelt über die 11 Die Be- und Zuschreibungen der Anderen und der Situation werden erst durch einen dominierenden Diskurs als wahr oder falsch empfunden. Daraus entsteht dann ein Handeln nach Wahrheit (vgl. Hall 1994 und 1997).

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Perspektive der Interviewten hervor und es geht darum, zu rekonstruieren, wer wie in welcher Situation als Anderer wahrgenommen wird und wie diese Interpretationen der Situation und des Anderen Einfluss auf die Handlungsoptionen der Personen haben. Die Intentionen, Erfahrungen und Erwartungen der Anderen kommen, bewusst reflektiert oder gewohnheitsmäßig angenommen, nur durch die Augen der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten zu Tage. Diese Wahrnehmung und Interpretation der Anderen im interkulturellen Handeln verläuft dabei sowohl auf einer Ebene praktischen inkorporierten Wissens als auch auf einer kognitiven Ebene. Auch wenn der Begriff Interpretation einen reflexiven Akt nahelegt, wird er hier insbesondere in seiner milieuspezifischen Verankerung gesehen, welche stark an praktisches Handeln und auch an körperliche Vergesellschaftung gebunden ist (vgl. Bohnsack 2008: 60; Gebauer/Wulf 1992: 39). Das Handlungswissen hinsichtlich des Umgangs eines sozialen Selbst in einer Situation mit Anderen lässt sich in einem zirkulären Handlungsmodell verorten, welches ich im Folgenden in Anlehnung an Dewey (1963, original 1896) vorstellen möchte.

3.2 Intention, Handeln und Reflexivität. Pragmatistische Überlegungen zu einem zirkulären Handlungsmodell Im Jahr 1896 kritisiert Dewey in seinem Artikel »The Reflex Arc Concept« ein behavioristisches Handlungsmodell, das Reflexbogenmodell, welches auf einer Reiz-Reaktions-Theorie beruht. Dieses physiologische Erklärungsmodell versucht, mit einem einfachen Erklärungsprinzip Beobachtungseinheiten des Handelns zu bestimmen: Ein sensorischer Reiz bringt nach einer Phase der inneren Verarbeitung des Reizes eine motorische Reaktion hervor. Grundannahme dieses Modells ist die Vorstellung eines passiven Organismus, der erst durch einen äußeren Stimulus (re-)agiert. Reiz und Reaktion stellen dabei Anfangs- und Endpunkte dar, die als sensorische und motorische Einheiten in keinerlei Beziehung zueinander stehen müssen. In einem daran anschließenden reduktionistischen Behaviorismus stellen Reiz und Reaktion manipulierbare Größen dar und die Steuerung des Verhaltens wird zu einer Frage der Kontrolle äußerer Arrangements (vgl. Neubert 1998: 145). Dewey sieht in diesem Modell den schon überholt geglaubten Dualismus von Sinnesempfindung und Idee in der Trennung von Sensorischem Reiz und motorischer Reaktion wieder eingeführt. Das Zusammenwirken der getrennten Faktoren, so Dewey, könnte damit nicht erklärt werden. Der subjektive Entscheidungsprozess sei so in einer »Black-Box« versteckt. Dewey sieht jedoch das Handeln als eine komplexe senso-motorische Koordination und nicht als eine Folge von Reiz und Reaktion. Anhand eines Beispiels (ein Kind sieht ein Kerzenlicht, greift danach, verbrennt sich die Finger, zieht die Hand zurück)

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demonstriert er, dass das Handeln (Act) viel eher als Untersuchungseinheit diene. Nicht das Kerzenlicht als solches ist Auslöser des Handelns, sondern das Erblicken des Kerzenlichts: »[...] the movement of body, head and eye muscles determining the quality of what is experienced. In other words, the real beginning is with the act of seeing« (Dewey 1963: 254). Sinnesreiz und motorische Antwort sind nicht unterscheidbare physische Einheiten, denn »the so-called response is not merely to the stimulus; it is into it« (Dewey 1963: 254, Hervorhebung im Original). Was als Reiz auf den Organismus einwirkt, entsteht nicht aus dem Nichts, sondern wird in einer aktiven Selektionsleistung des Organismus erst konstituiert. Was als Auslöser von Handeln erscheint, ist immer schon in eine vollständige Handlungskoordination einer spezifischen Handlungssituation eingebettet. Was als ‚Reiz‘ erfahren wird, hängt unmittelbar damit zusammen, was das Subjekt als in dieser Situation bedeutsam wahrnimmt und welche Koordinationsmuster als Handlungsmöglichkeiten dem Subjekt mehr oder weniger schon zur Verfügung stehen. Dewey setzt dem ReizReaktions-Modell das Modell eines organischen Zirkels gegenüber, ein Prozess kontinuierlicher Wiederherstellung des Handlungsflusses. »What we have is a circuit; not an arc or broken segment of a circle« (Dewey 1963: 258). Intentionalität, Zwecksetzung und Zielbildung finden nicht vor dem Handeln statt, sondern sind Teil einer Phase des Handelns, durch die das Handeln innerhalb des Kontextes geleitet und koordiniert wird. Was als Handlungsreiz wahrgenommen wird, auf den reagiert wird, stellt eine Form der Aufmerksamkeit dar, die schon eine Form des Handelns ausmacht. Eine Handlung konstituiert erst, welche Reize in ihrem Zusammenhang relevant sind. Nach Dewey muss, im übertragenen Sinne, schon ein Fuß über der Türschwelle stehen, um überhaupt auf etwas aufmerksam zu werden. Auf der physischen Ebene geht es um eine Veränderung des Spannungsverhältnisses, nicht um die Antwort auf einen Reiz. Wie entsteht eine Sensibilität gegenüber einem Reiz? Welcher Art ist die Entscheidung? Nach Dewey stellt die Entscheidung eine Interpretation auf der Basis theoretischen und praktischen Wissens dar: »The distinction is one of interpretation« (Dewey 1963: 261). Eine Situation bzw. ein Handlungskontext löst Handeln nicht aus, kann es aber herausfordern. Handeln ist demnach eher ein Antwort -Geben auf Fragen, die aufgeworfen wurden. Ohne ein Vorverständnis, ein Vorwissen und eine praktische Einsicht »bleibt die Situation stumm« (Hörning 2004: 30). Die Intention, zu handeln, die Zwecksetzung des Handelns und das Ziel bilden nach Dewey nur eine Phase der Koordination, welche erst dann Aufmerksamkeit beansprucht, wenn aufgrund eines Konflikts dieser Koordination unsicher ist, wie diese vervollständigt werden kann (vgl. Dewey 1963: 263). In diesem Moment setzen Bewusstsein und Denken ein.

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»Thinking begins in what may fairly enough be called a forked-road situation, a situation which is ambiguous, which presents a dilemma, which proposes alternatives. As long as our activity glides smoothly along from one thing to another, or as long as we permit our imagination to entertain fancies at pleasure, there is no call for reflection. Difficulty or obstruction in the way of reaching a belief brings us, however, to a pause. In the suspense of uncertainty, we metaphorically climb a tree; we try to find some standpoint from which we may survey additional facts and, getting a more commanding view of the situation, may decide how the facts stand related to one another« (Dewey, 1986b: 122, Erstveröffentlichung: 1910).

Die Reflexion über das eigene Handeln geht damit einher, dass Handlungsroutinen12 gestört sind. Mead, ebenfalls Pragmatist und in enger Auseinandersetzung mit Dewey, weist darauf hin, dass erst so ein Bewusstsein von Bedeutungen entsteht (vgl. Mead 1980: 216). Die Bedeutung ist somit eine Feststellung der Beziehung zwischen den charakteristischen Eigenschaften in einem sinnlichen Reiz und der Reaktion, die sie hervorrufen (vgl. ebd.: 217). Der organische Zirkel des Handelns ist (zeitweilig) unterbrochen und kann durch eine Untersuchung der Relation von Reiz und Reaktion oder auch durch spontane Impulse13 wiederhergestellt werden.14 Durch die Reflexion erwirbt das Handeln und die Situation eine Bedeutung und kann zu einer Lernerfahrung werden. Diese neue Erfahrung wirkt schließlich auf weitere Erfahrungen ein und der handelnde Organismus erfährt eine Situation auf der Basis bereits gemachter Erfahrungen, bevor ein Bewusstsein bzw. ein neuerliches Nachdenken einsetzt. Eine Routine des Handelns entsteht durch bereits gemachte Erfahrungen, die als »primary experience« (beiläufige, minimale 12 Als Handlungsroutine werden soziale Verhaltensgewohnheiten bezeichnet. Sie verdanken als implizite Handlungsregeln ihre Existenz der Tatsache, dass Subjekte in miteinander vergleichbaren kritischen Situationen mit bestimmten ›habits‹ reagieren. ›Habits‹ stellen eine zeitliche Kontinuität des Selbst dar und garantieren damit auch die Kontinuität von Identität. Dies geschieht jedoch nicht reflektiert, sondern innerhalb gewohnheitsmäßigem Handeln (vgl. Nohl 2006a: 84). 13 Impulse entbehren für sich jedweder Bedeutung und erhalten diese erst in der reflexiven Vergegenwärtigung der Handlungssituation (vgl. Nohl 2006a: 86). Nach Dewey entstehen Impulse aus angeborenen Instinkten und spontanen Impulsen. Dewey grenzt sich deutlich von der Psychoanalyse Freuds ab, auch wenn sich Ähnlichkeiten in der Beschreibung von »Impulsen« und »ES« in der Triebtheorie Freuds finden lassen. 14 Hier kommt der Vorstellungskraft eine nicht unbedeutende Rolle zu, denn »die Phantasie oder Vorstellungskraft ist in all unseren Wahrnehmungen am Werk. Sie ergänzt die Umrisse und unvollständigen Präsentationen der Sinnesdaten, bereichert unsere Assoziationen insbesondere mit Gefühlinhalten und projiziert uns schließlich in der Weise in unsere Wahrnehmungsobjekte, daß die objektiven Daten des Wahrnehmungsvorgangs und die subjektive Reaktion darauf zu einem unauflöslichen Ganzen verschmelzen« (Mead 1980: 192, Erstveröffentlichung: 1906). Auch bei Wulf findet sich die Bedeutung von inneren Bildern und Vorstellungen wieder, in denen mimetische Bezüge abgelagert sind (vgl. Wulf 2001: 76 ff.).

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Reflexion) und »secondary experience« (kontinuierliches, bewusstes und reflektiertes Nachdenken und Überprüfen) die Grundlage handlungsleitender Intentionen bilden (vgl. Dewey 1986a: 7 f.). Diese Erfahrungen müssen in einem interaktiven Geschehen mit den die Bedingungen und Hindernisse veränderlichen Umwelten abgestimmt werden (vgl. Neubert 1998: 151). Mit diesem Modell zirkulärer Handlungen wird deutlich, dass Dewey Handeln nicht als eindeutig lineare Kausalbeziehung sieht, sondern diese Teil einer Koordination von routiniertem und spontanem Handeln, Reflexion und der Interpretation der Situation sind. Neue Erkenntnisse und neue Handlungsformen bilden sich diesem Handlungsmodell gemäß dann aus, wenn bisheriges Handeln an Grenzen stößt, gestört wird oder sich neue Bedingungen des Handelns ergeben. Reflexionen können hier zu einem bewusst veränderten Handeln führen. »Innerhalb des sozialen Verhaltens werden, mit einem Wort, die Gefühle der eigenen Reaktionen zu natürlichen Objekten der Aufmerksamkeit, da sie zunächst und vor allem die Haltungen anderer interpretieren, durch die sie hervorgerufen worden sind. In zweiter Linie werden sie zu Objekten der Aufmerksamkeit, weil sie das Material abgeben, anhand dessen jemand seine eigene Reizwirkung auf das Verhalten anderer feststellen kann. Wir finden hier also Gelegenheit und Mittel, unsere Reaktionen und Verhaltensgewohnheiten (als unterschieden von den Reizen, die sie hervorbringen) zu analysieren und uns zu Bewußtsein zu bringen« (Mead 1980: 220).

Reflektieren bedeutet demnach nicht nur, die Situation und die Andere zu interpretieren, sondern insbesondere das eigene Verhalten in Bezug auf die Handlungssituation und Anderen zu überdenken. Im Zuge dessen sind Veränderungen des eigenen Verhaltens möglich, wenn durch eine Reflexion eigener Zuschreibungspraxen auch die Position des Anderen anders wahrgenommen und eingeschätzt wird. Interaktion ist daher immer auch ein tentativer Prozess. Für Dewey stellt reflektiertes Handeln für das Zusammenleben die wichtigste Form des Handelns dar, weil er dort die Möglichkeit sieht, blindes, spontanes und triebhaftes Handeln in intelligentes Handeln umzuwandeln (vgl. Dewey 1986b: 125) und Lernprozesse in Gang zu setzen. »Reflections involves not simply a sequence of ideas, but a con-sequence – a consecutive ordering in such a way that each determines the next as its proper outcome, while each outcome in turns leans back on, or refers to, its predecessors« (Dewey 1986b: 114).

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Wird von Mead15 und auch von Dewey der Reflexion im Handeln als Lern- und Bildungsprozess besondere Bedeutung zugeschrieben, lässt sich Bildung im Anschluss an Deweys Auseinandersetzung mit Religion und Kunst auch als ein spontaner Wandlungsprozess verstehen und rekonstruieren, wie Nohl herausgearbeitet hat (vgl. ebd. 2006a). Durch spontanes Handeln16 und Reflexion können folglich Veränderungen im Denken und Handeln stattfinden und somit neue Kompetenzen erworben werden; dies bedeutet jedoch nicht, dass gewohnheitsmäßiges Handeln des Wissens und Könnens entbehrt. Ganz im Gegenteil stellen habits »vorreflexive, auf Situationen bezogene Handlungsrepertoires dar, die sich aus der Korrespondenz von Organismus und Umwelt bilden und in ihrer Kontinuität transsituativ sind« (Nohl 2006a: 84). In gewohnheitsmäßigem Handeln dokumentiert sich das Wissen der Praxis als implizites Können bzw. praktisches Know-how. Dieses Können basiert nicht nur auf Identität und Einheit, sondern auch auf Divergenz (vgl. ebd.). Dies ermöglicht alternative Handlungsformen, die nicht reflektiert ablaufen müssen. So verlaufen große Teile des Handelns ohne einen bewussten Denkprozess. »While there is no association without habit, the natural tendency of habit is to produce an immediate reaction, not to evoke another distinct object of thought or idea« (Dewey 1986b: 257). Die Unterscheidung zwischen habituellem Können und reflektiertem Denken existiert nicht als Trennung zwischen Körper und Geist, vielmehr sind diese miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Reflektiertes Handeln setzt sich mit der Zeit als erfahrungsbedingtes habituelles Können ab und ist als vorreflexives implizites Wissen für weitere Erfahrungen abrufbar. Ebenso legen habits bestimmte Formen der Reflexion nahe und entscheiden mit über die Übernahme neuer Erfahrungen in bereits vorhandenes Handlungsrepertoire. Soziale Praktiken sind so zum einen fraglose Anwendungen und Wiederholungen, zum anderen aber immer auch Neuerschließungen. Gewohnheiten müssen für Transformationsleistungen offen bleiben, sonst werden sie durch neue Formen des Handelns ersetzt.17 15 Mead spricht von vier Stufen des Handelns und misst dem Bewusstwerden eine wichtige Bedeutung zu. Auf der ersten Stufe ist »impulse« als eine Reaktion auf eine problematische Situation in der Umwelt zu verstehen. Im Anschluss daran wird durch »perception« das Problem eingeschätzt und analysiert. Auf der dritten Stufe setzt mit »manipulation« ein Handeln bezüglich der wahrgenommenen Einschätzung des Problems ein. Auf der vierten und letzten Stufe wird mit »consummation« das Problem gelöst und die Kontinuität des Handelns wiederhergestellt. 16 Nach Dewey wird etwa Problematisches in einer Situation zunächst intuitiv erfasst. Dieser spontane und vorreflexive Prozess verweist auf einen »qualitativen Hintergrund« (Nohl 2006a: 92). »Thinking and theorizing about physical matters set out from an intuition, and reflection about affairs of life and mind consists in an ideational and conceptual transformation of what begins as an intuition« (Dewey 1986a: 249). 17 Nach Dewey zeigt sich in einem Knowing-how eine an Gewohnheit gebundene Fähigkeit, mit Störungen umgehen zu können und auf veränderte Handlungsumstände transformatorisch zu antworten. Damit sind Wiederholungen nicht exakte

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Interkulturelles Handeln von Transmigrantinnen lässt sich aus pragmatistischer Sicht nicht als linear kausal-genetische Struktur erforschen. Gleichzeitig stellt ein zirkuläres Handlungsmodell eine Definition interkultureller Handlungskompetenz als Ergebnis einer spezifischen Einstellung aus handlungstheoretischer Sicht in Frage. Die Kompetenz in interkulturellen Situation (ob adäquat oder überhaupt) zu handeln, hängt vielmehr mit bereits gemachten Erfahrungen und praktischem Können (habits), mit der Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion, mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung und schließlich der Überführung neuer Handlungsoptionen in die eigene Handlungsroutine zusammen. Dieser Prozess des Handelns, spielt sich zudem in einer Auseinandersetzung mit Anderen und einer Situation ab, welche divergierende Interpretationen hervorrufen kann. Eine normative Setzung des ‚richtigen‘ Umgangs ist einer Rekonstruktion der heterogenen und mehrdimensionalen Praxis nicht zuträglich. Vielmehr liegt es nahe, interkulturelle Handlungskompetenz selbstreferentiell zu bestimmen und dies auch erst im Anschluss an eine rekonstruierte Praxis. Dann kann gefragt werden, ob das Handeln der Transmigranten aus einer Bildungsperspektive weiteres Handeln und weitere Lern- und Bildungsprozesse ermöglicht. »From the standpoint of growth as education and education as growth the question is whether growth in this direction promotes or retards growth in general. Does this form of growth create conditions for further growth, or does it set up conditions that shut off the person who has grown in this particular direction from the occasions, stimuli, and opportunities for continuing growth in new directions?« (Dewey 1986a: 19).

Interkulturelle Handlungskompetenz kann mit dem von Dewey verwendeten Begriff »growth« als eine sich aus dem Handeln eröffnende weitere Handlungsmöglichkeit verstanden werden. Dewey fasst unter »growth« Lern- und Bildungsprozesse im Zusammenhang mit der Ermöglichung neuen Lernens. Eine ebensolche selbstreferentielle Bestimmung möchte ich in der vorliegenden Studie für den Begriff der interkulturellen Handlungskompetenz verwenden. So kann man die von außen normative Setzung des ›kompetenten‹ Handelns vermeiden und allein aus den sich an das Handeln anschließenden Handlungen und Handlungsoptionen erkennen, ob das jeweilige Handeln einem sozialen Handeln zuträglich ist oder nicht.

Reproduktionen von Vergangenem, sondern Wieder-Erzeugungen eines Zustands in einem anderen Kontext. »In Zeiten hoher Kontingenzwahrnehmung entwickelt sich ein Gespür für Differenz, was den Einfluss bisher gültiger Konventionen und Normen auf gegenwärtige und zukünftige Handlungen verringert. Indem sich so unser Handlungs- und Unterscheidungsvermögen ausbildet, verändern wir uns im Wiederholen, allem voran unser Wissen und Können« (Hörning 2004: 35).

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Mit Deweys Modell des organischen Zirkels ist ein grundlagentheoretisches Verständnis von Handeln vorgelegt, welches für die Analyse des interkulturellen Handelns der vorliegenden Studie fruchtbar gemacht werden kann. Handeln als zirkulären Prozess zu verstehen, macht es möglich, verschiedene Komponenten des Handelns und Reflektierens einzubeziehen und aufmerksam für die gestaltenden Aspekte der Personen zu werden, die über einen praxeologischen Fokus hinausgehen. Damit löst und distanziert sich die vorliegende Arbeit von Untersuchungen zu interkultureller, milieuübergreifender Interaktion, welche explizit und implizit Reiz-Reaktions-Analysen betreiben und kausal-genetische Schlüsse daraus ziehen. Für diese Studie bedeutet dies konkret, Personen in ihrem Handeln ernst zu nehmen und das interkulturelle Handeln als Zusammenspiel von Handeln, Reflektieren und Interpretieren zu erforschen: Eine Person (eine Entwicklungshelferin oder eine Auslandskorrespondentin) mit bestimmten (individuellen und kollektiven) Erfahrungen und einem spezifischen Wissen handelt in Südafrika oder Kenia. Hier stellen sich folgende Fragen: Verläuft dieses Handeln entlang einer Handlungsroutine oder wird diese gestört? Wodurch kommt es zu einer Störung der Routine und welche Handlungsoptionen nutzt die Person durch bereits gemachte Erfahrungen, situative Angebote, spontane und intuitive Einfälle und eine Reflexion der Situation? Welches diesbezügliche Handeln lässt sich rekonstruieren und welche Anschlussmöglichkeiten in Bezug auf soziales Handeln lassen sich erkennen? Mit der Unterscheidung zwischen implizitem Können (in Form von habits) und reflektiertem Handeln kann implizite Verständigung in der Kooperation und explizite Verständigung über theoretische oder praktische Ziele grundlagentheoretisch angebunden werden. Das Verhältnis von Akteur, Denken und Umwelt wird so als ein prozessuales Kontinuum gefasst, durch das die Dualismen von Denken und Handeln sowie Subjekt und Realität aufgelöst werden und der erlebten und gestalteten Praxis die Bedeutung zugesprochen wird, die sie aus einer modernen Perspektive interkulturellen Handelns einfordert. Eine Verknüpfung pragmatistischer Handlungstheorie, welche der Reflexion einen hohen Stellenwert einräumt, und einer praxeologischen Wissenssoziologie18, welche vor allem das praktische Wissen als inkorporiertes Können zum Zentrum ihrer Analyse macht, hat für die vorliegende Arbeit den Vorteil, Handlungspraxis und Handlungswissen auf verschiedenen Ebenen zu fassen und hinsichtlich der Frage interkultureller Handlungskompetenz zu diskutieren. Für die empirische Erforschung von Handlungspraktiken, in denen sich habituelles Können, reflektiertes Denken und implizite wie explizite Bilder der Situation und der Anderen dokumentieren, bedeutet dies, sich einer Methode der Datenerhebung und -auswertung zu bedienen, welche erstens dem prozessualen 18 Anhand der Vorstellung des methodologischen Designs der vorliegenden Studie wird die praxeologische Wissenssoziologie nochmals ausführlicher erläutert (Kap. 4).

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Aspekt des Handelns Rechnung trägt und zweitens in der Lage ist, Formen des Handelns zu rekonstruieren, welche sich nicht in Beliebigkeit auflösen sowie implizite und explizite Sinnzuschreibungen erfassen können. Die dokumentarische Methode bietet mit ihrem praxeologischen Ansatz eine Möglichkeit, Sinnlogiken der habitualisierten Praxis ebenso zu erfassen wie theoretische Konstrukte. Dadurch können Handlungsroutinen und ihnen zu Grunde liegende Orientierungen rekonstruiert werden sowie Formen der Reflexion, die als Ausweg aus der Störung von Handlungsroutinen erfolgen, offenlegen. Im Folgenden werde ich die dokumentarische Methode im methodischen Vorgehen der vorliegenden Studie näher erläutern.

4 Methodologisches Design der Studie

Die Praxis interkulturellen Handelns von Expatriates, ihre milieuspezifische Einbindung und ihre Reflexion der Praxis sowie ihr Umgang mit Differenzen wird in der vorliegenden Studie mit der dokumentarischen Methode der Interpretation rekonstruiert. Eine Forschung, die sich auf die Handlungspraxis von Menschen bezieht und diese nicht nur theoretisch beleuchten, sondern empirisch rekonstruieren möchte, kommt nicht umhin, Akteure zu befragen und/oder diese zu beobachten. Biographisch-narrative Interviews und die teilnehmende Beobachtung geben die Möglichkeit, dass Akteurinnen selber aufzeigen, was für sie in welcher Weise relevant ist (vgl. Bohnsack 2008: 20), und machen es möglich, Aussagen auf ihren jeweiligen Handlungskontext zu beziehen. Mit der dokumentarischen Methode, die Bohnsack im Anschluss an die Wissenssoziologie Mannheims und die Ethnomethodologie Garfinkels (1967) zu einer fundierten empirischen Auswertungsmethode weiterentwickelt hat (vgl. auch Bohnsack 1983, 1989, 2008), lassen sich in der vergleichenden Interpretation und Auswertung der Interviews »nicht nur die Perspektiven und Orientierungen, sondern auch die Erfahrungen, aus denen diese Orientierungen hervorgegangen sind, zur Artikulation bringen« (Nohl 2006a: 7, Hervorhebungen im Original). Das Handeln der Akteure wird in ihrem immanenten Sinngehalt1 nachvollziehbar und gleichzeitig treten die

1

Im Anschluss an Mannheim (1964) unterscheidet die dokumentarische Methode zwei Ebenen des Sinngehalts. Die Schilderungen von Personen lassen sich auf der ersten Ebene auf ihren expliziten, d. h. ihren immanenten Sinngehalt untersuchen. Wobei zwischen dem intentionalen Ausdruckssinn und dem objektiven Sinn unterschieden wird. Ersterer bezieht sich auf die Absicht und Motive und kann empirisch nicht valide erfasst, sondern nur aus dem erfolgten Handeln unterstellt werden. Letzterer ist als allgemeine Bedeutung eines Textinhalts oder einer Handlung thematisch zu identifizieren. Auf der zweiten Sinnebene kann von einem Dokumentsinn gesprochen werden. Die geschilderten Erfahrungen werden als Dokument einer Orientierung rekonstruiert. Der Dokumentsinn verweist auf die Herstellungsweise, auf das ›Wie‹ und ist unmittelbar an die Praxis geknüpft. Die nur schwer verbal zu explizierende Praxis des ›Wie‹ wird in der Forschungspraxis mit einer vergleichen-

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geschilderten Erfahrungen als Dokument einer Orientierung zu Tage, die im Verlauf mehrerer Interpretationsschritte rekonstruierbar und im Vergleich typisierbar wird und damit die Heterogenität des Handelns mit minimalen und maximalen Kontrastierungen erfassbar macht. Die Praxis von Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen und die ihr innewohnenden Kompetenzen werden in ihrem Bedeutungsgehalt analysiert, indem zwischen zwei Formen des Wissens differenziert wird, welche methodisch mit verschiedenen Interpretationsschritten rekonstruiert werden. Das konjunktive, praktische Wissen entsteht auf der Basis gleichförmiger handlungspraktischer Erfahrungen im Alltag mehrerer Menschen innerhalb eines Milieus. Davon unterschieden wird ein kommunikativ-generalisiertes Wissen, welches Gehalte in ihrer ganz allgemeinen Funktion widergibt und von den Erfahrungen, innerhalb derer sie erworben wurden, abstrahiert (vgl. Nohl 2001: 25). Die Bedeutung und praktische Logik bestimmten Agierens kann durch kommunikativgeneralisiertes Wissen allein nicht hinreichend erfasst werden und unterliegt der eigenen Interpretation. Dabei wird häufig eine »Reziprozität der Perspektiven« (Schütz 1971: 364 f.) unterstellt, die Annahme, der Andere verstünde unter einem Begriff das Gleiche und er habe für ihn auch die gleiche Relevanz. Eine Heterogenität von Perspektiven wird auf einer solch alltagspraktischen Interpretation eingeebnet. Dies trifft auf alltagspraktisches Handeln ebenso zu, wie auf eine Forschungspraktik, welche auf die Differenz von Bedeutungen nicht entsprechend eingeht. Die Mannheimsche Wissenssoziologie hat auf die Herausforderung der Eigenlogiken von sozialen Welten und ihren je unterschiedlichen Wahrheiten mit einer distanzierten Analysehaltung reagiert. In einer prozessanalytischen Einstellung von Fremdheit wird der Geltungscharakter von Aussagen eingeklammert (vgl. Mannheim 1980: 88) und nicht der faktische Wahrheitsgehalt einer Aussage Gegenstand der Untersuchung, sondern die Frage nach der Herstellung und Bedeutung kultureller oder gesellschaftlicher Tatsachen. Mit einem methodisch kontrollierten Fremdverstehen werden die Bedeutungsgehalte bzw. das, was überhaupt Bedeutung erlangt, als Ausdruck des praktischen Handelns in einer sozialen Welt interpretiert. »Methodische Kontrolle bedeutet hier also Kontrolle über die Unterschiede der Sprache von Forschenden und Erforschten, über die Differenzen ihrer Interpretationsrahmen, ihrer Relevanzsysteme« (Bohnsack 2008: 20). Das handlungspraktische Wissen der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen, welches ihrem Alltagshandeln zu Grunde liegt und »eine besondere Sinn- und Relevanzstruktur für die in ihr lebenden, denkenden und handelnden Menschen« (ebd.: 22) hat, wie auch das theoretische, kommunikativ-generalisierte Wissen, welches die Akteurinnen über sich und ihr Handeln haben, sind Gegenstand der vorliegenden Rekonstruktionen des interkulturellen Handelns. den, reflektierenden Interpretation entschlüsselt (vgl. Bohnsack 2008: 134 f.; Nohl 2006b: 8 f.).

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Mit der Unterscheidung dieser Wissensformen, insbesondere jedoch der Möglichkeit der Erforschung des impliziten Handlungswissens der Akteure in ihrer Heterogenität, bietet die dokumentarische Methode der Interpretation für die offene Fragestellung des praktischen Handelns und Könnens in interkulturellen Situationen eine hervorragende Herangehensweise. Durch einen kontinuierlichen methodisch kontrollierten Vergleich ist zudem gewährleistet, dass sich die Ergebnisse der Interpretationen nicht auf eine individuelle Momentaufnahme beschränken, sondern in eine Bildung von Typen des Handelns, Reflektierens und Interpretierens münden (vgl. Bohnsack 1989). Im Folgenden werde ich die Anlage der Studie und den Forschungsverlauf darstellen und in diesem Zusammenhang auch kurz auf biographische und berufliche Aspekte der interviewten Personen eingehen. Schließlich lege ich mein Auswertungsverfahren des Materials offen und diskutiere die Vorteile und auch Grenzen der dokumentarischen Methode für die vorliegende Studie.

4.1 Theoretical sampling im Forschungsprozess Die theoretische Einbettung der Studie zu interkultureller Handlungskompetenz in einen erziehungswissenschaftlichen Diskurs (Kap. 2) und grundlagentheoretische Basis eines pragmatistischen Handlungsmodells (Kap. 3) stand der empirischen Erforschung nicht zuvor, sondern wurde erst im Laufe der Auswertung des Materials zu einem relevanten Bezugsrahmen. Dies bedeutet nicht, dass der Erhebung keine Theorie vorausging, jedoch müssen diese (Vor-) Überlegungen im Sinne von Glaser/Strauss (1969) eher als intuitive Kompetenz der Theoriebildung bzw. als theoretisches und erfahrungsbedingtes Kontextwissen verstanden werden, welches erst in der Forschungspraxis weiterentwickelt wird. Das Forschungsinteresse an der Praxis von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten entstand aus einer vermehrten Konfrontation mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz im Bereich der Erziehungswissenschaft einerseits, wo zunehmend interkulturelle Kompetenz als eine ›Schlüsselqualifikation‹ von Bildung gefordert wird, ohne dass genau ersichtlich ist, was darunter praktisch zu verstehen ist (zur Kritik dazu vgl. Kap. 2.2). Andererseits schloss es sich als Frage an eine Forschungsarbeit zum Umgang mit Fremdheit von Entwicklungshelferinnen an (Schondelmayer 2003 und 2006). Dieses Studie zum Umgang mit Fremdheit legt nahe, interkulturelle Handlungskompetenz im Zusammenhang mit der Frage des Umgangs mit sozialer Differenz und Machtunterschieden zu thematisieren, war doch ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit, dass Fremdheit weniger aufgrund kultureller Unterschiede erlebt und problematisiert wird als aufgrund unterschiedlicher ökonomischer Ressourcen (vgl. Schondelmayer 2006: 184 f.). Aus diesen Überlegungen verdichtet sich die Frage nach dem praktischen Handeln in milieuübergreifenden Situationen, die durch ein starkes ökonomisches Gefälle gekennzeichnet sind. Davon ausgehend, dass Personen in ihrem

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Alltag grundsätzlich Kompetenzen und praktisches Wissen haben, sollte dies im Zuge einer qualitativen Erforschung mit narrativen Interviews zugänglich gemacht werden. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte in Anlehnung an das theoretical sampling von Glaser/Strauss (1998), einem Verfahren, bei dem sich die Forscherin auf einer analytischen Basis entscheidet, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo sie diese finden kann (vgl. Glaser/Strauss 1998: 70). Drei Analyseebenen strukturierten dabei die Wahl der Interviewpartnerinnen. Auf der ersten Ebene sollte der Aspekt ökonomischer Unterschiede methodisch kontrolliert werden. Dafür wählte ich zwei Vergleichsgruppen: europäische2 Auslandskorrespondenten in Afrika3, mit einem antizipierten hohen Einkommensunterschied zur einheimischen Bevölkerung und ausländische Journalisten in Deutschland mit einem ebenfalls antizipierten geringen oder keinem Einkommensunterschied zur einheimischen Bevölkerung. Auf der zweiten Ebene wurde eine Unterscheidung hinsichtlich des Berufs getroffen, um berufsspezifische Aspekte interkulturellen Handelns in den Blick zu bekommen. Entwicklungshelferinnen arbeiten in einem eingreifenden Tätigkeitsfeld, wo sowohl die Interaktion mit der einheimischen Bevölkerung von hoher Relevanz ist als auch ein Interesse der Veränderung oder Verbesserung der sozialen Lage im Land besteht. Auslandskorrespondenten stellen theoretisch einen maximalen Kontrast hierzu dar. Ihre Arbeit erfordert weit weniger direkte Interaktion mit der einheimischen Bevölkerung und ihr berufliches Handeln kann eher als eine Tätigkeit des Beobachtens beschrieben werden. Die dritte Analyseebene, welche das theoretical sampling bestimmte, bezieht sich auf die Frage eines geschlechtsspezifischen Umgangs mit interkulturellen Situationen und implizierte eine Untersuchung von Frauen und Männern in diesen Berufsfeldern. Durch eine solche Vergleichsgruppenbildung sollte es gelingen, berufsspezifische und geschlechtsspezifische Aspekte zu unterscheiden und interkulturelles Handeln im Zusammenhang mit ökonomischen Unterschieden und damit einher2 3

Ale Interviewpartner in Afrika sind in Europa deutschsprachig sozialisiert mit einer Ausnahme, die einen Teil seinen Kindheit und Jugend in Afrika verbracht hat. Die Auswahl des Vergleichs zwischen einem europäischen Land und einem bzw. mehreren afrikanischen Ländern begründet sich demnach nicht aus einer Essentialisierung des Anderen auf kulturelle und nationale Differenzen, sondern vielmehr auf der Basis handlungspraktisch relevanter Unterschiede durch soziale Ungleichheit. Gleichwohl wird in der vorliegenden Arbeit sowohl von den Interviewten als auch teils von der Interviewerin selbst auf die Andere in nationalstaatlicher, kultureller oder auch ethnischer Differenz Bezug genommen, wenn der Umgang der Interviewten mit der einheimischen Bevölkerung vor Ort thematisiert wird. In diesen mitunter selbstverständlichen Differenzierungen werden Unterschiede kollektiver Zugehörigkeiten oder auch Milieus aufgegriffen, welche in der Interpretation der Interviews reflektiert werden. Denn gerade in der Analyse von Handlungsroutinen und Störung von Handlungsroutinen, sowie der Interpretation und Darstellung des Anderen soll differenziert auf den Aspekt eingegangen werden, wann der Andere als solcher auftaucht und wie er thematisiert wird.

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gehenden Machtsasymmetrien zu rekonstruieren. Die Mehrdimensionalität sozialen Handelns erfordert einen mehrdimensionalen Vergleich, dem schon in der Anlage der Studie als Potential sozialer Orientierungen Rechnung getragen wird. Der Vergleich zielt nicht nur darauf, geschlechts- und berufsspezifische Besonderheiten und die den Milieus und der Situation interkultureller Begegnung je eigenen Erfahrungsdimensionen herauszuarbeiten. Er fungiert auch als methodische Kontrolle der Standortgebundenheit der Forscherin (vgl. Nohl 2001: 10). Diese methodische Position schließt sich an eine praxeologisch fundierte Wissenssoziologie (Bohnsack/Nohl 1998) an. Mit der Kontrolle der Standortgebundenheit der Forscherin durch eine konsequente komparative Analyse und der systematischen Heranziehung von Vergleichsfällen erfolgt eine Interpretation des Materials nicht mehr nur vor dem Hintergrund des eigenen impliziten und expliziten Alltagswissens der Forscherin, sondern vor dem Hintergrund anderer empirischer Fälle. Damit wird auch der Gefahr der »Nostrifizierung« (Matthes 1992: 84), der Verwendung von Kategorien auf der Basis eigener Erkenntnisinteressen, begegnet. Erhoben wurden 36 biographisch-narrative Experteninterviews mit einer durchschnittlichen Länge von neunzig Minuten, fast ausschließlich in Großstädten. Sieben Interviews wurden in Deutschland mit Journalistinnen aus Europa und Nord- und Mittelamerika geführt, darunter drei Frauen und vier Männer. 17 Interviews wurden in Südafrika geführt, darunter 13 mit Männern und vier mit Frauen. 12 Interviews wurden in Kenia geführt, darunter sechs mit Männern und sechs mit Frauen.4 Insgesamt wurden sieben Korrespondenten (drei freie und vier festangestellte) in Deutschland, 15 Korrespondenten verschiedener Medien5 (acht freie und sieben festangestellte) und 14 Entwicklungshelfer, sechs des Deutschen Entwicklungsdiensts6 und acht der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit7 4

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Die Wahl der außereuropäischen Erhebungsländer (Südafrika und Kenia) ist den Auslandskorrespondentinnen geschuldet. In Afrika, welches bezüglich der Thematik des Einkommensunterschieds prädestiniert ist (Pro-Kopf-BIP in Kenia: ca. 492 USD (2008), in Südafrika: ca. 3.130 USD (2008) Deutschland: ca. 40.415 USD (2008)) sind Kenia und Südafrika die größten Korrespondentenplätze für das Berichterstattungsgebiet Subsahara-Afrika. Scherschun gibt an, dass zum Zeitpunkt ihrer Studie (2007) insgesamt 24 hauptberufliche deutsche Korrespondenten in Afrika tätig sind (Scherschun 2008: 455 f.). Zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Studie (2005) waren es ähnlich viele, von denen ich mit den meisten in Kontakt war, jedoch aus zeitlichen Gründen nicht mit allen ein Interview führen konnte. Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) wurde nach Selbstauskunft 1963 mit dem Ziel gegründet, die Lebensbedingungen von Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu verbessern. Er hat die Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft mbH. Gesellschafter sind die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie der Arbeitskreis »Lernen und Helfen in Übersee« e. V. Finanziert wird der DED aus Mitteln des Bundeshaushalts. Der Schwerpunkt des Engagements liegt in Afrika, wo 55 Prozent der Entwicklungshelfer arbeiten. Gegenwärtig sind rund 1.200 Fachkräfte in 47 Ländern tätig. Sie treten nach Angabe des DEDs für eine Minderung

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in Afrika, befragt. Zum Zeitpunkt der Erhebung (Frühjahr/Sommer 2005) waren die Interviewten zwischen 25 und 63 Jahre alt. Die Interviews fanden, je nach Wunsch der Befragten, teils bei ihnen zu Hause, teils in ihren Büros, manche auch in öffentlichen Cafés statt. Einige Interviewpartnerinnen traf ich nach den Interviews noch ein paar Mal in beruflichem und privatem Umfeld wieder. Da die Forschungsfrage weniger auf konkrete Berufsbedingungen, noch auf eine Rekonstruktion der Eigenlogik eines Berufsfeldes zielt, kommt Unterschieden durch verschiedene Arbeitgeber (wie des DEDs und GTZ oder freier Korrespondententätigkeit gegenüber festangestellter) ein eher geringes Interesse zu, außer wenn diese sich als relevante Faktoren für einen interkulturellen Umgang herausstellen. Daher soll an dieser Stelle auch nicht dezidiert auf die beiden Berufsgruppen eingegangen werden. Anzumerken ist jedoch, dass der Forschungsstand zu Entwicklungshelferinnen8 und Auslandskorrespondentinnen9 im deutschsprachigen Raum eher gering ausfällt. Die Analyseebene von Berufsgruppen, Geschlechterdifferenz und unterschiedlichen sozialen Rahmenbedingungen stellen zunächst Potentiale sozialer Lagerungen dar und müssen erst im Laufe des Forschungsprozesses in ihrer Bedeutung für die befragten Personen und die Fragestellung validiert werden. Im

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der Armut, selbstbestimmte nachhaltige Entwicklung und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ein (vgl.: www.ded.de). Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH wurde 1975 als privatwirtschaftliches Unternehmen gegründet. Als ihre Aufgabe sieht sie die Unterstützung von komplexen Reformen und Veränderungsprozessen in Entwicklungs- und Transformationsländern mit dem Ziel die Lebensbedingungen und Perspektiven der Menschen nachhaltig zu verbessern. Ihr Hauptauftraggeber ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (vgl.: www.gtz.de). Neben meiner eigenen Studie (Schondelmayer 2003) zum Umgang mit Fremdheit am Beispiel von Entwicklungshelferinnen, sei bei den jüngeren Studien auf eine für die Handlungspraxis wenig ergiebige Explorationsstudie von Thiersch (2008) verwiesen und eine im Entstehen begriffene Habilitationsschrift zum Thema Kolonialschuld und Machtstreben im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe von Hubertus Büschel. Des Weiteren sei auf die ethnologische Studie von Thomas Hüsken aus Ägypten, Jordanien, Jemen und Palästina hingewiesen (vgl. Hüsken 2006). Mit Motiven, Zielen und dem subjektiven Erfolg von DED-Rückkehrern beschäftigt sich die Diplomarbeit von Tschaut (2006). Weitere Arbeiten zu Entwicklungshelferinnen sind Publikationen von Organisationen der Entwicklungshilfe (etwa AGEH 1999), eine Studie zum Umgang mit Afrikanern (Staewen 1991), Selbstdarstellungen von Entwicklungshelfern (Ries 1971, Rutgers 1979) oder auch die Analyse von Zusammenhängen des Kolonialexperten mit dem Experten der Entwicklungszusammenarbeit (Hoffmann 1980). Neben biographischen Erzählungen (Vahlefeld 1976) und zahlreichen Publikationen von Auslandskorrespondentinnen über ihr betreutes Gebiet (spezifisch Afrika: u. a. Grill 2005, Bitala 2003, Thielke 2006) sind hier vor allem die Studie von Hannerz über Auslandskorrespondentinnen (2004), das Handbuch über deutsche Auslandskorrespondentinnen von Hahn/Lönnendonker/Schröder (2008) und spezifisch für den Bereich Subsahara-Afrika die Studie von Bengelstorff (2002) zu nennen.

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Verlauf der vorliegenden Untersuchung zeigten sich diese Analyseebenen jedoch nicht als primär strukturell dominante und tragbare Dimensionen sozialen Handelns in interkulturellen Situationen. Daher wurde die Forschungsfrage in Richtung unterschiedlicher, aber zusammenhängender Aspekte interkulturellen Handelns auf der Ebene des Individuums präzisiert und theoretisch fundiert. In ersten komparativen Sequenzanalysen wurden Interviews in Deutschland und Südafrika interpretiert und hinsichtlich der Frage des Umgangs mit Zuschreibungsprozessen, beruflichem Selbstverständnis und Interaktionen mit der einheimischen Bevölkerung verglichen. Weder konnte ein signifikanter, auf eine Typenbildung hinauslaufender Kontrast zwischen Auslandskorrespondenten in Deutschland und Südafrika, noch zwischen Männern und Frauen ausgemacht werden. Dies bedeutet nicht, dass etwa soziale Rahmenbedingungen nicht von Relevanz seien, jedoch deuteten die Interpretationen darauf hin, dass diese Differenzierung hinsichtlich sozialer Rahmenbedingungen, ebenso wie ein geschlechtsspezifischer Umgang, eher ein Unterthema zu einer komplexeren Frage hinsichtlich milieuübergreifender Begegnung, Irritationen von Handlungsroutinen und der Konstruktion der Anderen ist. Die Rekonstruktion dieser Differenzerfahrungen ist für eine Erforschung im Bereich interkultureller Begegnung vor allem deswegen bedeutsam, weil sich dadurch festgeschriebene Zuordnung zwischen selbst und fremd auf der Erfahrungsebene herausarbeiten lassen und nicht von vornherein an das Material herangetragen werden.10 Im Zuge der Rekonstruktion traten Formen des Fremdverstehens und Handelns sowie der Umgang mit eigenem Wissen und Nicht-Wissen in den Vordergrund. Die Komplexität der Wirklichkeit sozialen Handelns ließ sich mit der sehr offen gehaltenen Fragestellung zum interkulturellen Umgang also nicht befriedigend mit den angedachten Dimensionen sozialer Differenzen greifen, sondern erforderte im Forschungsprozess ein Umdenken. Wie Bohnsack im Anschluss an Glaser/Strauss postuliert, ist eine Theorie dem »Gegenstand nur angemessen, wenn sie aus ihm heraus entwickelt wurde« (Bohnsack 2008: 30). Dies bedeutet für diese Studie, sich von dem Anspruch zu lösen, die Zusammenhänge der Dimensionen Geschlecht, Beruf und sozialer Rahmen bezüglich interkulturellen Handelns gegebenenfalls in eine soziogenetische Typenbildung überführen zu können und vielmehr auf andere spezifische Aspekte des Handelns der Akteure einzugehen. Mit einem offenen Blick für strukturierende Momente, Gemeinsam10 In der empirischen Rekonstruktion von Differenzerfahrungen geht es nicht darum, unterschiedliche Bezugspunkte zu identifizieren, die den Mitgliedern einer Gruppe in irgendeiner Form ›eigen‹ sind, sondern um die Rekonstruktion der Zuschreibung in einer sozialen Interaktion. »Differenzerfahrungen lassen sich also nur in Bezug auf die Milieus derjenigen interpretieren, die sie machen« (Nohl 2001: 42). Milieuübergreifende Erfahrungen dokumentieren sich dabei sowohl auf der expliziten Ebene, wie etwa in Fremd- und Selbstbezeichnungen (»Afrikaner«), als auch auf einer impliziten Ebene, in der Schilderung von Erfahrungen. Auf der performativen Ebene zeigen sie sich durch bestimmte Formen des Umgangs (etwa der Begrüßung), auch in der Interviewsituation.

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keiten und Unterschiede, die nicht jenseits der oben genannten Dimensionen liegen, aber in ihrer Bedeutung anders betrachtet werden können, eröffnete das Material ein weites Feld, welches durch das theoretical sampling nicht theoretisch dominiert wird. Auch wenn sich dies forschungspraktisch zunächst als mühselig erwies, bedeutet es eine Chance, die Herausforderung einer komplexen Wirklichkeit an- und ernst zu nehmen und sich der Suche nach strukturierenden Elementen der Praxis zu stellen. Die soziale Strukturierung der Milieus und die Praxen interkulturellen Handelns können ihre Bandbreite erst dann entfalten, wenn der Spezifik von Situation und Person tatsächlich Rechnung getragen wird (vgl. Nohl 2006c: 8). Für die Auswertung der 36 biographisch-narrativen Experteninterviews hat zur Folge, dass vermehrt auf Aspekte des Handelns, Reflektierens und Interpretierens in der Auswertung geachtet wurde und Dimensionen des Berufs, Geschlechts und der sozialen Rahmung unter diesen Aspekten Einfluss in die Typenbildung finden. Forschungspraktisch folgte daraus, dass der Vergleich – auch hinsichtlich einer einfacheren Handhabbarkeit – etwas eingeschränkt wurde. Die Gruppe der Auslandskorrespondenten in Deutschland wurde in der Analyse hinten angestellt und es wurde sich verstärkt auf die Interviewten in Südafrika und Kenia konzentriert. Um eine Vergleichbarkeit zu gewähren, wurden insbesondere Personen der Altersgruppe zwischen 33 und 48 Jahren in die weitere Untersuchung einbezogen. Damit fallen alle Berufseinsteigerinnen und alle Personen im letzten Drittel ihres Arbeitslebens aus der engeren Analyse raus, die Lebensmitte wird zu einer lebensalterspezifischen Dimension der Untersuchung. Auch weitere Besonderheiten dieser Untersuchung fallen damit aus der engeren Interpretation heraus: In der Altersgruppe zwischen 55 und 65 Jahren konnten nur Entwicklungshelfer befragt werden. Die Altersgruppe von 49 bis 55 ist mit einer Ausnahme von Männern dominiert, wohingegen die Altersgruppe von 25 bis 33 von Frauen dominiert ist. Demgegenüber war bei den 33-bis-48-Jährigen das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Die biographisch-narrativen Experteninterviews mit den folgenden Personen hielten schließlich Eingang in die vorliegende Arbeit: Tabelle 1: Übersicht Sample 2005 Name

Ort der Erhebung

Beruf

Alter

Claudia Stöcker

Wohnung in Kenia

Korrespondentin

33

Boris Bührer

Café in Südafrika

Entwicklungshelfer

33

Beate Meier

Büro in Südafrika

Entwicklungshelferin

34

Hanna Katoschek

Café in Kenia

Entwicklungshelferin

37

Arne Hamm

Haus in Kenia

Korrespondent

38

Miriam Stettler

Büro in Kenia

Entwicklungshelferin

39

Lukas Holmes

Haus in Südafrika

Korrespondent

40

Klaus Wächter

Café in Südafrika

Korrespondent

40

Sebastian Backe

Haus in Südafrika

Korrespondent

40

Ralf Donner

Haus in Kenia

Korrespondent

40

Anna Tarek

Café in Südafrika

Korrespondentin

45

Markus Otto

Haus in Südafrika

Korrespondent

48

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4.2 Biographisch-narrative Experteninterviews und teilnehmende Beobachtung Dem Forschungsgegenstand und der offenen Frage nach interkulturellen Handlungskompetenzen im Alltag von Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen entsprechend, wurde für die Datenerhebung das biographischnarrative Experteninterview als Erhebungsinstrument gewählt. Um den Erlebniszusammenhang der befragten Personen im Handlungskontext erfassen, verstehen und interpretieren zu können, fand die Befragung als face-to-face-Interview am jeweiligen Lebens- und Arbeitsort der Interviewten statt. Eine Kontaktaufnahme erfolgte zunächst per E-Mail und Telefon. In den allermeisten Fällen zeigten sich die Angesprochenen meinem Forschungsvorhaben gegenüber interessiert. Nur wenige Personen und eine Medienanstalt hatten Bedenken, insbesondere bezüglich der Anonymisierung der Daten. Nur eine Person verweigerte grundsätzlich ein Interview. In der Erhebungspraxis zeigte sich somit wenig Ablehnung und eher ein vorsichtiges Interesse und eine Unterstützung der Arbeit. Die Interviews wurden, wenn möglich, durch eine teilnehmende Beobachtung (im privaten wie beruflichen Bereich) ergänzt. Die teilnehmende Beobachtung ist eine gleichzeitige Sammlung und Analyse von Daten und methodisch schwer kontrollierbar. In der vorliegenden Arbeit war sie nicht zentrales Instrument, ermöglichte jedoch die Berücksichtigung nonverbaler Handlungsdimensionen und die leiblich-räumliche Organisation des Alltagshandelns (vgl. Bohnsack 2008: 131). Sie wurde als freie Form der Beobachtung durchgeführt (vgl. Kochinka 2007). Entstanden in den 1920er Jahren als Methode, die sich aus der Völkerkunde und der Sozialreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und Großbritannien entwickelt hat, wurde die teilnehmende Beobachtung zu einem Instrument der Feldforschung mit dem Ziel, eine Innenperspektive zu erhalten. Malinowski sah in ihr die Möglichkeit, die Perspektive des »Eingeborenen« zu erfassen, »sein[en] Bezug zum Leben zu verstehen und sich seine Sicht seiner Welt vor Augen zu führen« (Malinowski 1986: 49). Letztlich dominiert bei Malinowski die Außen- über die durch Befragung rekonstruierte Innenperspektive, da er den Beobachteten und Befragten kein Verständnis von Allgemeinbegriffen zutraut (vgl. Burkhard 2005: 42). Geertz hat im Anschluss und mit Kritik an der Repräsentation des Anderen bei Malinowski den Anspruch, Kultur aus der Innensicht des jeweiligen Feldes zu beschreiben, erhoben und versucht dies über eine »dichte Beschreibung« in der teilnehmenden Beobachtung (vgl. Geertz: 1983: 11 f.). Nicht mehr das Verhalten der Anderen steht dabei im Vordergrund der ethnologischen Studie, sondern fremde Lebens- und Weltentwürfe und die Interpretation von Symbolsystemen.

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Die methodische Kontrolle teilnehmender Beobachtung wie auch die Frage des Wechselspiels zwischen Forscherin und Beforschten und die damit einhergehende Problematik von Deutungsmacht und Rollenverteilung sind problematische Aspekte, die insbesondere in der Ethnologie stark diskutiert werden (vgl. Schondelmayer 2008: 84 ff.). Für die vorliegende Studie schafft die Anwesenheit vor Ort, die Beobachtung alltäglicher Praxis und das Führen eines Forschungstagebuchs erste Hinweise auf grundlegende Orientierungsmuster, Vergleichsmöglichkeiten und eine Reflexion der eigenen Forschungspraxis. Die teilnehmende Beobachtung, wie ich sie praktiziert habe, beginnt bei der ersten Kontaktaufnahme und ist offen gehalten. Ein Vorteil der Beobachtung liegt in der Wahrnehmung von unspektakulären alltäglichen Praktiken, die in einem Interview nicht detailliert dargestellt werden, wie etwa der Form der Begrüßung von Frauen in einem Entwicklungshilfeprojekt durch einen interviewten Entwicklungshelfer. Das eigene Erleben vor Ort schafft eine gewisse Nähe und ein scheinbar unmittelbares Verständnis, was die Kommunikation zwischen Interviewerin und Interviewtem erleichtern, aber auch zu falschen Schlüssen führen kann. Am Abend in Nairobi mit dem Taxi unterwegs zu sein oder in Südafrika als Weiße auf Afrikaans angesprochen zu werden, schafft partiell einen gemeinsamen Erfahrungsraum. Dadurch entsteht Vertrauen und eine Verstehensebene im Interview.11 Gleichzeitig können spezifische Bedeutungsinhalte unter einer solchen (scheinbaren) Gemeinsamkeit verschwinden. Durch methodisch kontrolliertes Fremdverstehen und eine bewusste Praxis des Nicht-Verstehens12, im Sinne eines nicht unmittelbaren Interpretierens und durch immanente Nachfragen, wird der Interviewte aufgefordert, detailliert und selbstständig auf den Kontext der Ereignisse einzugehen. »Im offenen Interview geht es, wie in allen offenen Verfahren, also darum, die Befragten ein Thema in deren eigener Sprache, in ihrem Symbolsystem und innerhalb ihres Relevanzrahmens entfalten zu lassen; nur so können die Interviewer(innen) oder Beobachter(innen) vermeiden, in die Einzeläußerungen Bedeutungen hineinzuprojizieren, die ihr nicht zukommen« (Bohnsack 2008: 21).

11 Dieses unmittelbare Verstehen findet ohne eine methodische Kontrolle als selbstläufiger Prozess einer sozialen Praxis statt. Es ist Teil empirischer Forschung, findet jedoch mit seiner Interpretationsleistung nur eingeschränkt Eingang in eine Analyse. Das Kontextwissen ermöglicht an manchen Stellen konkrete Deutungen von Aussagen im Interview, ist aber nicht leitend für die Interpretation. »Verstehensleistungen sind komplexer als ihre begriffliche Explikation, als Interpretationen. Empirisch-methodisch relevant werden Verstehensleistungen jedoch erst auf dem Wege ihrer begrifflichen Explikation« (Bohnsack 2008: 129). 12 Damit ist das »Prinzip der Suspendierung der natürlichen Einstellung« (Bohnsack 2008: 83) gemeint, in der es darum geht, eigene Normalitäts- und Erfahrungshorizonte in der Interpretation der Aussagen Anderer zurückzustellen und zu relativieren.

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In der Forschungspraxis wurde teilweise vor oder während des Interviews eine solche möglichst unvoreingenommene Position insbesondere von Auslandskorrespondenten thematisiert. Auf meine Aussage, mich nicht durch Lektüre der Bücher und Artikel auf die Interviewten vorbereitet zu haben, sondern so fremd wie möglich zu bleiben, reagierte ein Auslandskorrespondent aus Südafrika mit Skepsis und einer Abgrenzung zur eigenen beruflichen Interviewführung (Passage: Interview): Wächter13:

warum machst du das? Weil- weil man eben sagt, man ist völlig unbelastet? Man könnte ja auch sagen, vielleicht ist da ne Sache, viel- vielleicht blockiert der auch irgendwo und ich kann ihn vielleicht bei einem Thema was mich sehr interessiert hat an der Sache mal n bisschen kriegen, und wobei ich dir jetzt mal zeigen will, //ja// das hab ich eigentlich so äh //ja// in der Recherche- aber es ist interessant; [...] wenn ich in ein Interview reinginge und ich wüsste nichts von der Person, die könnte mir ja alles erzählen, //ja genau// die merkt auch, die würde mir gegenüber wahrscheinlich sich zum -grade die Leute die wir interviewen, //ja// würden sich zurückziehen, weil die auch erwarten dass wir eine gewisse Grundkenntnis haben einfach; //ja// [...] das muss extrem gründlich vorbereitet sein, also das heißt man muss wirklich gelesen haben über die Person, die musst du eigentlich kennen, das Interview musst du selber schreiben können;14

In die Begegnung und Interviewführung zwischen Forscherin und Beforschtem fließen immer auch verschiedene Rollenerwartungen und -vorstellungen hinein, die aber nicht immer dezidiert auseinandergehalten werden können. Die Befragung von sozial höher oder tiefer gestellten Personen, Männern oder Frauen, älteren oder jüngeren Personen, milieuähnlichen oder milieufremden Personen wirken auf das Interview ein. So waren Korrespondenten tendenziell skeptischer, selbst ein Interview zu geben, und in den Interviews mit Frauen lassen sich Passagen zum Thema Partnersuche finden, ein Thema, welches in solcher Weise von den befragten Männern nicht angesprochen wurde. Dies wird nicht allein als ein berufs- oder geschlechtsspezifisches Phänomen wahrgenommen, welches auch unabhängig von der Interviewsituation existieren würde, sondern die Interaktion mit mir als Interviewerin kann ebenso zu einer Analyseebene werden, auf der sich etwa ein Umgang mit (Milieu-) Fremden (der Forscherin) dokumentiert (vgl. Nohl 2001: 52). Die Interaktionssituation und einhergehende Rollenerwartungen vor Augen bezeichnet Hannerz seine Befragung von Journalisten als ein »studying sideways«, da er sich als Ethnologe auf der gleichen Ebene wie Journalisten sieht:

13 Die Namen der Interviewten wurden anonymisiert. 14 Die Transkriptionsregeln finden sich im Anhang.

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»We share the condition of being in a transnational contact zone, engaged there in reporting, representing, translating, interpreting – generally, managing meaning across distances, although (in part, at least) with different interests, under different constraints« (Hannerz 2004: 3).

Was Hannerz wohl als Thematisierung einer gleichberechtigten Interaktionssituation bezeichnet, hat jedoch nicht nur mit einem ähnlichen Interesse zu tun, sondern darüber hinaus auch viel mit einem ähnlichen Status des Experten. Die Frage aber, wer wen durch welche Form des Auftretens und Handelns als gleichberechtigte Expertin wahrnimmt, ist damit nicht beantwortet. Hinsichtlich meiner Erhebung lassen sich hier deutliche subjektive und dokumentierte Unterschiede15 ausmachen. Da meine Fragestellung nicht allein auf die »Übersetzungsleistungen« (vgl. Hahn/Lönnendonker/Schröder 2008: 49) der Korrespondenten zielt, sind die Interviewpartner nicht nur als Experten ihres Berufs für meine Studie relevant. Um einen Zugang zu unterschiedlichen Ebenen der Erfahrungsbildung im beruflichen und privaten Alltag der Expatriates und ihren Umgang mit Differenz zu bekommen, werden die Interviewten daher nicht nur als Expertinnen in ihrem Beruf angesprochen, sondern kommen auch mit ihrer Biographie in den Blick. Die Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten wurden zwar aufgrund ihres Berufs und damit auch als Experten mit einem Wissen über ein spezifisches »Handlungsfeld« (Nohl 2006b: 20) angesprochen, die Interviews sind jedoch biographisch-narrativ angelegt und entsprechen damit nicht klassischen Experteninterviews (vgl. Meuser/Nagel 2002). Ich nenne sie daher biographischnarrative Experteninterviews. Nach einer kurzen Begrüßung und der Inbetriebnahme des Aufnahmegeräts äußerte ich mein Interesse an der Biographie der Person und ihrem Leben und Arbeiten im Ausland und bat alle Interviewten ihre Lebensgeschichte, beginnend bei der Geburt, zu erzählen. An die Eingangserzählung der Interviewten schließt sich ein narrativer Nachfrageteil an, in dem versucht wird, aufgeworfene Themen zu vertiefen. Waren die vom Befragten aufgebrachten Themen weitestgehend erschöpft bzw. trat Erschöpfung beim Erzählen ein, wurden anschließend in einem argumentativ-beschreibenden Frageteil auch spezifische Fragen bezüglich des Arbeitsalltags, des Umgang mit der einheimischen Bevölkerung und der transkulturellen Vernetzung gestellt. Mit dieser Form des Interviews entstehen nicht »nur autobiographische Stegreiferzählungen, sondern auch thematisch gebundene Erzählungen« (Nohl 2006b: 23).

15 Mit ›subjektiv‹ meine ich meine Gefühle und subjektiven Einschätzungen der Interviewsituation, wie etwa ein Gefühl von Unterlegenheit oder auch einem respektvollen und freundlichen Umgang mit mir. Niedergeschrieben sind diese persönlichen Eindrücke in einem Forschungstagebuch. Als dokumentierte Unterschiede des Umgangs mit mir bezeichne ich die auf Tonband aufgezeichnete Interviewsituation, in welchen sich dies auch ausdrückt.

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Selbstläufige Narrationen der Interviewten machen es möglich, Einblicke in das implizite Wissen der Akteurinnen zu erhalten, da sie eng an die Handlungspraxis der Personen gebunden sind. Schütze unterscheidet im narrativen Interview drei Textsorten, auf welche sich eine Interpretation stützen können: Erzählungen, Beschreibungen und Argumentationen (vgl. Schütze 1987: 146 f.). Die Stegreiferzählung, aufgrund der Dynamik ihrer Zugzwänge16, liegt besonders nahe an den Erfahrungen des Erzählers. So verstrickt sich etwa eine Interviewpartnerin immer tiefer in die Darstellung einer Recherche, während sie erzählt, wie sie dies gemacht hat. Der Zusammenhang zwischen Erzählung und Erfahrung ist hier sehr eng. Davon kann jedoch kein Rückschluss auf ein ›wirkliches‹ Geschehen gezogen werden, denn diese Erfahrung ist stets in die Haltung der Erzählenden eingebunden und insofern schon interpretierte ›Realität‹. Für die Erforschung der Handlungspraxis von Entwicklungshelfern und Auslandskorrespondenten stellt dies kein Problem dar, denn »es interessiert nicht, ob die Darstellungen (faktisch) wahr oder richtig sind, sondern es interessiert, was sich in ihnen über die Darstellenden und deren Orientierungen dokumentiert« (Bohnsack 2008: 64, Hervorhebung im Original). Handlungsorientierungen und die Erfahrung unmittelbarer Handlungspraxis ist solchermaßen an das selbstverständliche, handlungspraktische Wissen der Erzählerin gebunden, dass diese nicht expliziert, sondern nur erzählt oder beschrieben werden. Erzählungen und Beschreibungen machen es möglich, das praktische, konjunktive Wissen der Interviewten zu erheben. In Argumentationen wird dagegen Distanz zum eigenen Handeln genommen und das eigene Erzählen expliziert. Hier werden hauptsächlich Motive und Gründe für das eigene Handeln herangezogen und gegenüber der Interviewerin plausibilisiert und/oder gerechtfertigt. Auf dieser Ebene gesellschaftlich geteilten, so genannten kommunikativen Wissens erklären die Befragten sich und die Situationen, welche sie erleben. Dies ermöglicht eine Analyse ihrer Perspektive und Definitionen, etwa von Situationen und Anderen, abstrahiert jedoch gleichzeitig von der Handlungspraxis. Zugriff auf konjunktives Wissen und das Können der Praxis erfolgt daher über die Interpretation von Erzählungen und Beschreibungen, wohingegen Interpretationsleistungen auch auf der Ebene des kommunikativen Wissens rekonstruiert werden können. Auch wenn eine Befragung von Experten an einem fremden Ort, wie dies für mich Südafrika und Kenia waren, dazu tendiert, Argumentationen und Erklärungen hervorzurufen, insbesondere dann, wenn ich mich nicht als Kennerin der Lage hervortue, lassen sich in allen Interviews längere und kürzere Passagen von Erzählungen und Beschreibungen ausmachen.

16 Kallmeyer/Schütze unterscheiden zwischen drei Zugzwängen des Erzählens: dem Gestaltschließungs-, Kondensierungs- und dem Detaillierungszwang, welche alltägliche Erzählungen zu plausiblen und konsistenten Geschichten machen (vgl. Kallmeyer/Schütze 1977).

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In den biographischen Erzählungen können verschiedene Prozessstrukturen rekonstruiert werden, was das biographische Interview zu einem geeigneten Erhebungsverfahren für all jene Vorgänge macht, die sich auf den Umgang des Individuums oder einer Gruppe mit der sozialen Welt beziehen. Die Biographie und biographische Verarbeitung, Reaktion und Aktion geben Auskunft über Haltungen »gegenüber lebensgeschichtlichen Erlebnissen« (Schütze 1984: 92). In ihr können biographische Handlungsschemata etwa der erfolgreiche oder erfolglose Versuch der Verwirklichung, im Ausland zu leben, institutionelle Ablaufmuster der Lebensgeschichte wie das zwanzigsemestrige Studium, Verlaufskurven wie übermächtigende Ereignisse, die zu einem Umzug bewegen, wie auch Wandlungsprozesse als überraschende Veränderungen von Handlungsoptionen thematisiert und rekonstruiert werden (vgl. ebd.). Für die Studie zu interkultureller Kompetenz stellt das biographisch-narrative Experteninterview den Zusammenhang zwischen Handlungspraxis, Reflexion dieser Praxis, Definition der Situation und der Anderen innerhalb der eigenen Biographie einerseits und innerhalb eines Berufs- und eventuell auch Herkunftsmilieus andererseits her und ermöglicht in der Analyse einen umfassenden Rückgriff auf das vorhandene praktische Können der Akteurinnen.

4.3 Biographische und berufliche Aspekte der Expatriates in Afrika Die biographisch-narrativen Experteninterviews dieser Studie bilden nicht den Hintergrund für eine Biographieforschung im engeren Sinne. Weder stehen die einzelnen Individuen und ihr biographisches Gewordensein im Vordergrund der Analyse noch werden die aktuellen Orientierungen bzw. der Habitus Einzelner zum Fokus der Untersuchung. Um jedoch die Aussagen der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer in ihrem Kontext zu verstehen und auch um gewohnheitsmäßiges Handeln rekonstruieren zu können, stellen die erzählten Lebensgeschichten einen Grundstein für alle weiteren komparativen Analysen und Typenbildungen dar. In ihnen dokumentiert sich ein Selbst- und Weltbezug des Menschen (vgl. Marotzki/Nohl/Ortlepp 2005: 115), in dem eigene Wünsche und Vorstellungen von dem, was man kann und wie man leben möchte, und die Haltung gegenüber dem Anderen und der Welt hervortreten. Die Biographie, verstanden als Erfahrungszusammenhang, bildet eine grundlegende Struktur des Handelns, Reflektierens und Interpretierens. Für eine Studie, welche zwei spezifische Berufsfelder in Betracht genommen hat, die für eine Tätigkeit im Ausland konstitutiv sind, ist es spannend zu sehen, wo sich Strukturen des Lebenslaufs der Interviewten ähneln und unterscheiden. Auf eine detaillierte Darstellung der einzelnen Lebensgeschichten verzichte ich aufgrund der Anonymisierung. Die biographischen Rekonstruktionen fließen jedoch indirekt durch die Illustrationen von Ivonne Dippmann ein, welche somit

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sowohl eine ästhetische als auch eine inhaltliche Bereicherung der Arbeit sind. Den Illustrationen liegen die Lebensgeschichten der interviewten Personen zugrunde. Auf einer bildhaften Ebene weisen sie sowohl auf lebensgeschichtliche Aspekte wie auch auf die Perspektivengebundenheit des Betrachters hin. Einige biographische und berufsspezifische Gemeinsamkeiten und Besonderheiten möchte ich kurz ansprechen, bevor ich mich in der Analyse der Typen interkulturellen Handelns von den einzelnen Biographien auch wieder löse. Sozialisationsprozesse durch Familie, Peers und Schule, die Entscheidung für einen Beruf und schließlich der Weg ins Ausland unterscheiden sich bei den interviewten Personen und doch zeigen sich hier und da auch strukturelle Ähnlichkeiten.

Familiäre Hintergründe Die Mehrzahl der interviewten Personen stammt aus bürgerlichen Verhältnissen und bis auf eine Person haben alle ein Hochschulstudium absolviert. Ein Studium scheint für die Interviewten aus bürgerlichen Familien nahezu eine Selbstverständlichkeit, auch wenn die Motivationen für das Studium divergieren. Allein für eine Frau bedeutet sowohl ein Studium als auch ein Auslandsaufenthalt nach der Schule eine Ausnahme in ihrer Familie. Auch die Auseinandersetzung mit Büchern und Nachrichten scheint in vielen Herkunftsfamilien selbstverständlich zu sein. Von finanziellen Schwierigkeiten der Eltern erzählt nur ein Interviewter. Damit erleben die interviewten Personen durch ihre jetzigen Lebensund Berufssituation hinsichtlich des sozialen Status kaum einen Bruch zu ihrem Herkunftsmilieu. Einer höheren Bildungsschicht anzugehören, ist für fast alle Interviewten eine Selbstverständlichkeit, die erst in der Konfrontation zu einer durchschnittlich sozial schwächer gestellten Gruppe thematisch relevant wird. Sowohl durch ihre Herkunft als auch durch ihre jetzige berufliche Position unterscheidet sich somit der soziale Status der Interviewten in hohem Maße von dem der durchschnittlichen Bevölkerung des Ankunftslandes. Hingegen lassen sich Brüche und Diskontinuitäten der Sozialisation in einer Thematisierung der Abwesenheit des Vaters, durch Trennung, Tod und Alter finden. Hier wird explizit von drei Männern eine Besonderheit ihres Aufwachsens auf der Folie einer impliziten Normalvorstellung von Familie thematisiert. Eine weitere Diskrepanz zu einer impliziten Vorstellung von ›Normalität‹ der Sozialisation findet sich in den Hinweisen auf eine Außenseiterposition. Einige der Expatriates erlebten sich als Kinder und Jugendliche in Außenseiterpositionen und/oder Angehörige einer ethnischen oder religiösen Minderheit und setzen diese Erfahrung teilweise in Bezug zu ihrer Lebenssituation im Ausland heute. So wuchsen einige in einem binationalen Elternhaus und einige als ethnische Minderheit in einem anderen Land auf. Auch die Mitgliedschaft der Eltern in einer Glaubensgemeinschaft stellt für eine Person ein Grund für Außenseitererfahrungen dar. Dies ist sowohl ein Verweis auf das Milieu, in dem Interviewte aufgewachsen sind und in dem sie eine Sonderrolle eingenommen haben, als auch die Dokumentation einer kontinuierlichen Wahrnehmung eines Außenseiterdaseins.

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Motivation Die Motivation, im Ausland zu leben und zu arbeiten, kann bei den interviewten Personen grob in fünf Motive unterschieden werden. Erstens als ungeplantes Ereignis, welches sich durch den Beruf oder durch einen Urlaub ergeben hat. Zweitens ist die Motivation zentral an ein Interesse an Afrika gebunden, welches durch familiäre Verbindungen oder ein politisches Interesse entstanden ist. Drittens führt der Beruf die Personen ins Ausland und nach Afrika, wobei die Wahl der Arbeitgeber und Karriereabsichten hier eine wichtige Rolle spielen. Viertens kann ein Wunsch nach Solidarität und Helfen als Motivation für den Auslandsaufenthalt gesehen werden, und zwar nicht nur bei Entwicklungshelfern, sondern auch bei Auslandskorrespondenten. Fünftens und letztens ist eine Lust am Abenteuer und Reisen zu rekonstruieren, welche motivierend für eine Arbeit im Ausland wirkt. Die verschiedenen Motivationen können sich auch überlagern. Es zeigt sich, dass die Interviewten sehr heterogene Gründe für ihr Leben im Ausland anführen. 17 Partnerschaft und Gender In dieser Studie wurde auch ein Augenmerk auf geschlechtsspezifische Unterschiede gelegt, ohne dass daraus eine soziogenetische Typenbildung erwächst. Einige Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind jedoch auszumachen. Der offensichtlichste hierbei ist sicher, dass in dieser Studie keine festangestellten Auslandskorrespondentinnen zu finden sind, was meines Wissens zur Zeit der Erhebung (Sommer 2005) auch die tatsächliche Lage für Auslandskorrespondentenposten in Afrika widerspiegelt. Die wenigen männlichen Entwicklungshelfer dieser Studie sind dagegen kein Dokument dafür, dass mehr Frauen in der Entwicklungshilfe tätig wären. Vielmehr ist dies der Auswahl der Samplings in einer bestimmten Altersspanne zu verdanken und der (eher zufälligen) NichtErreichbarkeit ebenjener. Ein weiterer geschlechtsspezifischer Unterschied lässt sich hinsichtlich des Familienstands der interviewten Personen ausmachen. Von sieben Männern und fünf Frauen, deren Befragungen Eingang in diese Arbeit gefunden haben, sind fünf Männer und eine Frau verheiratet. Diese ungleiche Verteilung wird noch signifikanter, wenn alle erhobenen Interviewpartner berücksichtigt werden. Über die Ursachen dieser Verteilung möchte ich nicht spekulieren. Für die Studie bedeutsam ist jedoch, dass einige Männer ihre (zum größten 17 Pries unterscheidet vier Idealtypen von Migranten mit ihren je spezifischen Verhältnissen zur Herkunftsregion, zur Ankunftsregion, dem Hauptmigrationsgrund bzw. -umstand und dem Zeithorizont der Migration (vgl. Pries 2004: 7). Nach Pries würden die hier interviewten Personen teils als »Diaspora-Migrantinnen« und »Transmigrantinnen« bezeichnet werden, da es zum einen starke »organisationale Abhängigkeitsbeziehungen« durch den deutschen Arbeitsgeber gibt, zum anderen der Wechsel zwischen verschiedenen Lebensorten zum »Normalfall« wird (vgl. ebd.: 9). Die Definition dessen, wer als welcher Migrant bezeichnet wird, muss dabei eine Selbstbezeichnung bleiben, nach der in dieser Studie nicht explizit gefragt wurde.

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Teil deutsche) Frauen und Familien als Rückhalt und Sicherheit erleben, wohingegen für einen Großteil der Frauen Einsamkeit, insbesondere im Zusammenhang mit einer nicht vorhandenen Partnerschaft, ein Thema ist.18

Unabhängigkeit Ein Aspekt der Biographien der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen, der immer wieder auftaucht, ist die Thematisierung von Unabhängigkeit, Neugier und dem Empfinden, sich in einer Sonderrolle wahrzunehmen. So werden Zugehörigkeiten als suspekt empfunden, die Freiheit genossen, weit weg von der Heimatredaktion zu sein, aber auch sich eine Nische gesucht zu haben, die sonst niemand füllen kann, oder als Deutsche in Südafrika eine Karriere zu machen, die in Deutschland so vielleicht nicht möglich wäre. Zum Teil werden hier stereotype Bilder eines Auslandskorrespondenten als einsamen Menschen hervorgerufen, wie ihn auch Hannerz beschreibt: »a lonely, hardened man, graying and leading a not-very wholesome life, with a string of divorces behind him, moving in and out of brief liaisons along his way, and largely out of touch with any offspring« (Hannerz 2004: 93). Anders, als ein solches Bild des einsamen Menschen zu beschreiben, betonen jedoch viele Interviewte zahlreiche positive Bezüge hinsichtlich des Auslandsaufenthalts. Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstverwirklichung treten als Lebensziele und -konzepte hervor. Der Wunsch, selbstständig zu sein, wie auch einem zum Teil dem als kleinbürgerlich erscheinenden Deutschland den Rücken zu kehren, sind positive Subjektivitätskonstruktionen. Darin dokumentiert sich auch ein Sich-die-Welt-zu-eigen-Machen, das sich auffällig durch die Lebensläufe der interviewten Personen zieht. Nur wenige der interviewten Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen nehmen sich in ihrer Biographie als passiv wahr, als den Gegebenheiten ausgesetzt. Das Gestalterische und Möglichkeitsspielräume Austestende steht eindeutig im Vordergrund. Damit handelt es sich bei den vorliegenden Personen um Transmigranten, die keinesfalls aus einer unsicheren Lage migriert sind oder sich in prekären Lebenslagen wiederfänden. Alle Interviewten haben einen hohen Bildungsabschluss, sind freiwillig migriert und haben positive Assoziationen bezüglich ihres Auslandsaufenthalts. Dies bedeutet auch, dass die Personen sich mehr oder weniger gezielt auf die Herausforderung einer anderen Erfahrungswelt als der ihrer Herkunft und auf andere Milieus einlassen und diese suchen. Wie die Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondentinnen dieses Potential in ihr Leben und Arbeiten im Ausland einbringen, wird in der Analyse der Interviews rekonstruiert. 18 Zu vermuten ist, dass sich hier tradierte, geschlechtsspezifische Selbstverständlichkeiten bezüglich Karriere und Familie zeigen und somit auch auf Expatriates zuzutreffen scheint, was Schlehe in Bezug auf Süd-Nord-, Süd-Süd- und Binnenmigration weiblicher Arbeitskräfte beschreibt: »Frauen können sich durch Migration zwar neue Handlungsspielräume eröffnen, vielfach werden aber Geschlechterkonstruktionen und -hierachien reproduziert« (Schlehe 2007: 458).

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4.4 Dokumentarische Methode der Interpretation und Typenbildung Die dokumentarische Methode als Auswertungsverfahren biographisch-narrativer Interviews basiert auf der Trennung von konjunktivem und kommunikativem Wissen und einem systematischen Vergleich. Die bereits im Alltag vorhandenen sinnhaften Konstruktionen, Typenbildungen und Methoden sozialen Handelns werden in der Interpretation der Interviews rekonstruiert. Es ist das praktische Wissen der Akteure, wie etwa gemeinsames Handeln mit der einheimischen Bevölkerung stattfindet, wo es Partizipationsmöglichkeiten im sozialen Raum gibt oder auch wie sich ihr Bild über den Anderen entwickelt hat, über welches die Personen zwar verfügen, das ihnen aber reflexiv nicht ohne Weiteres zugänglich ist, welches von der Interpretin aufgedeckt wird (vgl. Bohnsack 2008: 198). »Auf faktische Geschehensabläufe kann im narrativen Interview mithin kein Zugriff gewonnen werden, wohl aber auf die von den befragten Personen erzählte Erfahrung mit diesen Geschehensabläufen« (Nohl 2006b: 29). Die Interpretation geht von der Basis des Erfahrungswissens der Akteurinnen aus, löst sich aber von deren intentionalen Sinnzuschreibungen. Durch zwei Analyseschritte, die formulierende und die reflektierende Interpretation, erfasst die dokumentarische Methode konjunktives und kommunikatives Wissen. Wird in ersterer der thematische Inhalt rekonstruiert, verändert sich in letzterer die Analyseeinstellung, die nicht nach dem ›Was‹, sondern dem ›Wie‹ der Herstellung fragt. So verbleibt die Rekonstruktion der sozialen Praxis der Akteure nicht auf einer rein beschreibenden und zusammenfassenden Darstellung des generalisiert-kommunikativen Wissens der Befragten selbst, sondern rekonstruiert darüber hinaus die Handlungspraxis und ihr zu Grunde liegenden Orientierungen. Die Auswertung autobiographischer Stegreiferzählungen vermag es, »jene Sinnschichten einer rekonstruktiven, einer reflektierend-beobachtenden Interpretation zugänglich zu machen, die jenseits des intentionalen Prinzips der Biographie, der biographischen Handlungsschemata oder -entwürfe die biographische Entwicklung vorantreiben« (Bohnsack 2008: 115). Aus der Beschreibung des Arbeitsalltags einer Entwicklungshelferin beispielsweise lässt sich durch eine komparative Sequenzanalyse mit Erzählungen aus anderen Interviews eine grundsätzliche, für die Biographie der Person typische Form des Fremdverstehens rekonstruieren. Der typische Orientierungsrahmen wird erst dann ersichtlich, wenn dieselbe Problemstellung von jemand Anderem auf eine andere Art und Weise bearbeitet wird. Auf der thematischen Ebene findet Hannerz dies in der Berichterstattung unterschiedlicher Korrespondenten wieder: »Talking to both of these correspondents about a particular current event, I could develop my understanding of their different ways of dealing with the local scene and their own views of these differences« (Hannerz 2004: 8).

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Die Rekonstruktion des Orientierungsrahmens geht dabei aber über eine Rekonstruktion inhaltlicher Differenz hinaus und offenbart unterschiedliche Strukturen des Denkens und Handelns im sozialen Raum. Die Äußerungen der Interviewten werden in ihrer Indexikalität interpretiert. In ihnen dokumentieren sich Bedeutungsgehalte einer Orientierung. Textpassagen, in denen sich eine Gemeinsamkeit dokumentiert (etwa Fremdverstehen), lassen Kontraste des Handelns, wie in der vorliegenden Studie etwa solche des theoretischen Fremdverstehens und des über Personen vermittelten Fremdverstehens, erkennen. Wenn dann nicht nur bei einer Person, sondern bei mehreren Personen ein bestimmter Umgang, beispielsweise, wie die Andere wahrgenommen wird, identifiziert, und wenn dieser Orientierungsrahmen von kontrastierenden Orientierungsrahmen unterschieden werden kann, dann lässt sich dieser Orientierungsrahmen vom Einzelfall lösen und zum Typus ausarbeiten (vgl. Nohl 2006b: 13). In die Datenauswertung und die engere komparative Analyse flossen zwölf Fälle ein. Aus den thematischen Verläufen der Interviews wurden solche Passagen zur Transkription und Interpretation ausgewählt, die sich durch eine hohe »metaphorische Dichte« (Bohnsack 2008: 33) auszeichnen, die thematische Ähnlichkeiten haben, und solche, die für die sich nach und nach spezifizierte Forschungsfrage von besonderer Bedeutung sind. Auf eine Rekonstruktion der Orientierungsrahmen innerhalb der einzelnen Interviews folgte dann eine Rekonstruktion von Typen, die über den einzelnen Fall hinausgehen. Die Rekonstruktion typischer Strukturen war in der vorliegenden Arbeit, wie bereits in der Darstellung des theoretical samplings erwähnt, ein langwieriger Prozess. Durch die komparative Analyse als Interpretation auf der Basis expliziter und empirisch generierter Vergleichshorizonte ließen sich deutlich alternative Praxen des Handelns in interkulturellen Situationen ausmachen; diese schufen ein immer komplexeres Bild von Bedingungen des Handelns, Handlungspraxen, Rechtfertigungen, Selbstverständlichkeiten, Wissensformen sowie Selbst- und Fremdzuschreibungen. Durch die komparative Analyse werden einzelne Bedeutungsschichten eines Falles vor dem Gegenhorizont anderer Fälle zerlegt. Die Interpretationen des Falles lassen sich dann wiederum als Dokument einer Typik mit Interpretationen anderer Fälle zusammenfassen. War das biographisch-narrative Experteninterview primär als Möglichkeit, sowohl habituelle Einstellungen als auch Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte (vgl. Nohl 2001: 50) rekonstruieren zu können gedacht, ließ die Rekonstruktion der Komplexität des Handelns und der Definitionen von Situationen durch die Akteure im Laufe der Analyse Homologien sozialisationsgeschichtlicher Erfahrung zurücktreten. Das Handeln der Expatriates in interkulturellen Situationen ist zwar nicht losgelöst von ihren biographischen Erfahrungen, jedoch zeigt sich in der Rekonstruktion von Strukturen typisierbaren Handelns, dass Personen in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich handeln und gerade milieuübergreifende Interaktionen zu Brüchen habitualisierten Handelns führen können. Vielmehr als die Frage, wie eine Person typischerweise mit Brüchen der

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Handlungsroutine umgeht, wie sich dies von einer anderen Person unterscheidet und welche sozialisationsgeschichtlichen Erfahrungen dem zu Grunde liegen, entwickelte sich im Laufe der Rekonstruktionen eine Typenbildung hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen des Handelns selbst. Tertia comparationis werden demnach die Ebene des Handelns in interkulturellen Situationen (Kap. 6), die Reflexion der eigenen Handlungspraxis und des eigenen Wissens (Kap, 7) sowie die Interpretation und Definition des Anderen (Kap. 8).19 Durch die Analyse je anderer Bedeutungsschichten einer metaphorischen Darstellung werden je andere Dimensionen eines Falles sichtbar (vgl. Bohnsack 2008: 49). Die Mehrdimensionalität des Handelns, der Erfahrungen und des Reflektierens wird systematisch in Typenbildungen überführt, die unterschiedliche Erfahrungsräume miteinander vergleichbar machen und Zusammenhänge erkennen lassen. Eine spezifische Orientierung und die situativen Bedingungen werden hier zusammengefügt. Weniger kommt es in der vorliegenden Arbeit darauf an, den Erlebnishintergrund zu rekonstruieren, in dem die Genese der Orientierung zu suchen ist, als die Heterogenität der Orientierungen und deren Zusammenhang mit Prozessen des Denkens und Wahrnehmens zu beleuchten. Die Kontraste in der Gemeinsamkeit, die durch eine komparative Analyse hervortreten, sind nicht auf den gesamten Orientierungsrahmen eines Falles bezogen, sondern fokussieren auf bestimmte Aspekte des Handelns. Auf der Ebene des praktischen Handelns treten so verschiedene Formen des Fremdverstehens auf (Kap. 6.1) und das Handeln der Expatriates kann zwischen einer existentiellen Distanzierung und einem existentiellen Einlassen (Kap. 5.2) in privaten und beruflichen Situationen angesiedelt werden, welche unterscheidbare Ursachen und verschiedene Formen haben. In ihnen lassen sich routiniertes, reflektiertes und spontanes Handeln in interkulturellen Situationen ausmachen und sich anschließende Handlungsoptionen rekonstruieren. Auf der Ebene der Reflexion eigenen Wissens und Könnens (Kap. 7) wird der Umgang mit Nicht-Wissen zu einer Analysekategorie und auf der Ebene der Interpretation der Anderen (Kap. 8), werden unterschiedliche Orientierungsrahmen der Selbst- und Fremdzuschreibung rekonstruierbar. Die drei Dimensionen der Rekonstruktion des interkulturellen Handelns überschneiden sich und stehen im Zusammenhang miteinander bzw. in gegenseitigen Bedingungsverhältnissen.20

19 Die verschiedenen Perspektiven auf das Handeln der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten wird im empirischen Teil der Arbeit auch dadurch ersichtlich, dass bereits interpretierte und in einem Typ vorgestellte Interviewabschnitte in einem anderen Handlungstyp nochmals auftauchen können und in Hinblick auf eine andere Frage mit anderen Interviewabschnitten verglichen und interpretiert werden. Dadurch zeigt sich auch, dass das typische Handeln, Reflektieren und Interpretieren nicht an eine Person gebunden ist, sondern sich über einzelne Personen hinweg als Struktur sozialen Handelns fassbar machen lässt. 20 In den Kapiteln fünf, sechs und sieben tauchen daher teilweise Doppelungen von Interviewtranskripten auf, welche je nach Kontext interpretiert werden.

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In der vorliegenden Studie wird keine soziogenetische Typenbildung im Sinne einer Rekonstruktion von Berufs-, Geschlechts- oder Milieutypen gebildet, sondern Typen des Handelns, Wissens und Darstellens durch einen mehrdimensionalen Vergleich herausgearbeitet. Die oftmals problematische Setzung von Milieu, Geschlecht oder Beruf, welche zwar zunächst Untersuchungsparameter sind, jedoch in manchen empirischen Studien auch als kausal-genetische Kategorie, etwa bei Bourdieu, verwendet werden (vgl. zu dieser Kritik Kubisch 2008: 78), wird damit vermieden. Es sind die Entstehungsprozesse von (neuem) Wissen und die Frage nach der Produktion, Repräsentation, Vermittlung, Anwendung und der Verschiedenheit von Wissensformen, die in der vorliegenden Arbeit die Struktur interkulturellen Handelns typisierbar machen, welche nicht losgelöst von Dimensionen wie Geschlecht und Beruf existieren, aber in ihrer Komplexität auch nicht eindeutig diesen (postulierten) Erfahrungsdimensionen zuzuordnen sind. Damit vollzieht sich in dieser Studie keine, wie in der dokumentarischen Methode angedachte, soziogenetische Typenbildung, die die Genese einer Orientierung an eine soziale Dimension, wie Generation, Geschlecht oder auch Beruf systematisch rückbindet. Vielmehr eröffnet die Rekonstruktion verschiedener Dimensionen interkulturellen Handelns eine Analyse, welche neben der Biographie einer Person und ihrer je typischen, habitualisieren Form des Interagierens, auch die Bedingungen der Situation in den Blick nimmt. Die Rekonstruktion und Typenbildung der dokumentarischen Methode, welche Orientierungen, und damit auch Selbstverständlichkeiten hervortreten lässt, schafft es, die Erkenntnisse so zu strukturieren, dass sich nicht rein situative Aussagen treffen lassen, sondern typische Strukturen des Handelns in ihrer Komplexität und ihrer gegenseitigen Bedingtheit ausmachen lassen.

5 Typen interkulturellen Handelns

Mit der Rekonstruktion des interkulturellen Handelns und seiner Typisierung beginnt der zentrale Teil meiner empirischen Untersuchung zum Thema interkulturelle Handlungskompetenz. In ihr werden die Handlungspraktiken der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten und ihre zu Grunde liegenden Orientierungen rekonstruiert. So treten implizite Wissensformen als praktisches interkulturelles Können hervor. Die Gestaltung des Miteinanders, das Verständnis von sich selbst und von der Anderen dokumentiert sich in dieser Praxis. Hier wird nun eine empirisch fundierte Basis verschiedener Formen des Handelns dargelegt, derer es im Diskurs um interkulturelle Kompetenz fehlt.1 Die Rekonstruktion der Typen interkulturellen Handelns verläuft dabei nicht entlang von Fällen sondern entlang typischer Handlungs-, Reflexions- und Interpretationsformen. Denn typische Handlungsformen lassen sich zwar in unterschiedlichen Fällen finden, aber auch innerhalb eines Falles treten unterschiedliche Handlungsformen auf. Trotz einer sinngenetischen Typisierung entlang von Handlungsformen – und nicht entlang von Fällen – kommen die Fälle in den Interpretationen aber auch zur Geltung. Dadurch werden auch fallspezifische Varianten innerhalb eines Typus deutlich. Formen des Handelns und die Orientierungen, welche ein solches Handelns hervorbringen, werden in der Typenbildung durch kontrastierende Vergleiche herausgearbeitet. Die komparative Analyse ermöglicht es somit erst, die Heterogenität des Handelns wahrzunehmen und in ihrer Bedeutung hinsichtlich der Frage nach einem sozialen Umgang, der weiteres soziales Handeln ermöglicht, zu diskutieren. Verschiedene Fragestellungen leiten durch das Interviewmaterial und lassen im kontrastiven Vergleich Spezifika der einzelnen Typen hervortreten: Wie handeln Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen in interkulturellen Situationen? Wie beeinflusst dabei die Situation, in der gehandelt wird, das Handeln? Welche Beweggründe für ihr Handeln geben die Personen an? Worauf beziehen sich die Akteure in ihrem Handeln? Welche Praxis des 1

S. Kap. 2.2.

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alltäglichen beruflichen und privaten Handelns dieser beiden Berufsgruppen lässt sich dabei rekonstruieren? Wo zeigen sich Handlungsroutinen und wo werden diese gestört? Wie gehen Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten mit solchen Störungen im Handeln um? Auf der Handlungsebene lassen sich zwei Basistypiken voneinander unterscheiden: Die Praxis des Fremdverstehens (Kap. 5.1) und die Praxis der interkulturellen Interaktion (Kap. 5.2). Die Praxis des Fremdverstehens kann weiter differenziert werden: in ein »Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens« (Kap. 5.1.1) und ein »Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation« (Kap. 5.1.2). Die Praxis der interkulturellen Interaktion ist zwischen einer »existentiellen Distanzierung und Beobachten des Fremden« (Kap. 5.2.1) und einem »existentiellen Einlassen auf den Fremden« (Kap. 5.2.2) angesiedelt. Hier kann zudem zwischen beruflichen und privaten Situationen unterschieden werden. Weitere, nun minimal kontrastierende, Untertypen dokumentieren verschiedene Phänomene der Praxis. Insbesondere Fragen des Handlungsentwurfs (ob das Handeln sich spontan oder geplant vollzieht) und die Ebene der Reflexion (die in Kapitel 6 zu einer eigenen Typik weiterentwickelt wird) werden dabei bedeutsam. Sowohl Handeln, das auf einen geplanten Handlungsentwurf zurückzuführen ist, als auch nicht geplantes Handeln lassen sich in beruflichen als auch privaten Situationen finden. Interessant ist hier, wie sich Handeln in der Triade Selbst – Situation – Anderer in den verschiedenen Situationen verändert bzw. sich Handlungsspielräume ermöglichen oder verschließen. Ist die Triade Selbst – Situation – Anderer die Bedingung für das Handeln, so zeigt sich in der Unterscheidung von privatem und beruflichen Handeln, dass die Person mit ihrem Selbst, mit ihren jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen, in eine Situation trifft, diese Kompetenzen und ihr gewohnheitsmäßiges, typisches Handeln dabei aber in verschiedenen Feldern und auf unterschiedliche Weise zum Tragen kommt. Berufliches und privates Handeln unterscheiden sich zumeist in der Zielsetzung der Interaktion als auch in der Zusammensetzung der Interaktionspartnerinnen. Es geht also unter anderem darum zu rekonstruieren, wie bereits gemachte Erfahrungen und Gewohnheiten in das Handeln mit unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Situationen einfließen und wo es zu neuen Handlungspraktiken kommt. Dabei tritt die Frage hervor, wie die untersuchten Transmigranten so in Kontakt mit anderen Menschen treten, dass von einer interkulturellen Handlungskompetenz gesprochen werden kann. Als Handlungskompetenz wird dabei – im Sinne der selbstreferentiellen Konzeption interkultureller Handlungskompetenz (s. Kap. 2.2 und 3.2) – verstanden, dass die Interaktion neue Interaktionen möglich macht.2 Die Enge oder Weite der Wahrnehmung und Definition der

2

Ausführlich wird auf die Frage der sich anschließenden Handlungsoptionen in der Diskussion der empirischen Ergebnisse (Kap. 9) eingegangen.

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Situation und des Anderen3 entscheiden mit darüber, welche Handlungsoptionen der Person subjektiv zur Verfügung stehen. In welcher Situation die Person sich wahrnimmt, strukturiert das Handeln mit Anderen in dieser Situation. Zudem soll betrachtet werden, wie das Handeln durch den Anderen oder auch Fremden beeinflusst wird. Typische Phänomene werden im kontrastierenden Vergleich herausgearbeitet und anhand minimaler Kontrastierung innerhalb eines Typs spezifiziert. Vorbedingungen und Funktionen von interkulturellem Handeln werden schließlich aus den vergleichenden Interpretationen und aus den Selbsttheorien der Interviewpartner benannt.

5.1 Praxis des Fremdverstehens Zunächst werden zwei Handlungstypen rekonstruiert, die auch als Typen des ›Fremdverstehens‹ bezeichnet werden können. Der Fokus liegt bei ihnen auf dem Verstehen des Anderen und der Frage des ›richtigen Zugangs‹. Das Fremdverstehen, also die Praxis der Aneignung interkulturellen Wissens und der Versuch, Fremdes erklärbar zu machen, wird somit explizit als eine Form des interkulturellen Handelns betrachtet.

5.1.1 Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens Eine Möglichkeit, sich der Fremden zu nähern und zu versuchen, sie zu verstehen, besteht in der Aneignung von Wissen über das Land, die Bevölkerung oder auch die politische Lage. Zentral dafür ist die Beschaffung von Informationen, die helfen sollen, sich das (bislang) Fremde zu erklären. Dies kann etwa über einfaches Lesen von Sekundärquellen, wie Zeitungen, Bücher oder auch Nachrichten im Internet, geschehen, oder auch über die Kontaktaufnahme mit Menschen, die einem die benötigten Informationen vermitteln. Dabei kann unterschieden werden zwischen einer Aneignung von theoretischem und von praktischem Wissen4, also eines Wissens, welches sich an Fakten, Daten und Informationen orientiert, und eines Wissens, welches sich aus der Alltagspraxis der Menschen speist. Zunächst soll hier nun ein Typus vorgestellt werden, welcher in seiner Handlungsorientierung dem Verstehen des Fremden über theoretisches Wissen5 näher kommt.

3

4 5

Die ›Andere‹ wird hier nicht als eine konkrete Person mit einem bestimmten Verhalten verstanden, sondern immer als von den Interviewpartnerinnen wahrgenommene und interpretierte Andere. S. dazu auch Kap. 4. Zur Trennung von theoretischem und praktischem Wissen s. Kap. 2.2. und 4.3. Unter theoretischem Wissen wird ein Wissen verstanden, welches nicht primär auf eigenen Interaktionserfahrungen beruht, sondern über stellvertretende Erfahrungen

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Insbesondere für Journalisten scheint es nahezuliegen, sich mit so genannten objektiven Daten zu versorgen, um eine ›objektive‹ Berichterstattung zu gewährleisten. Aber auch im Fall der Entwicklungshelferinnen ist die Annäherung an das Fremde über theoretisches Wissen eine Möglichkeit, die insbesondere in Vorbereitungsseminaren genutzt wird.6 Eine berufsspezifische Unterscheidung lässt sich also prinzipiell nicht vornehmen7. ARNE HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA beschreibt seine beruflichen Aufgaben, welche hauptsächlich im Recherchieren bestehen, folgendermaßen (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen)8: Hamm:

das ((räuspern)) also erfordert das wahnsinnig viel Zeit und und (1) ähm und wahnsinnig viel Aufmerksamkeit sich sich da sozusagen auf dem Laufenden zu halten und wenn ich da irgendwo hinfahren dann les ich tausend Bücher oder Artikel oder spreche mit tausend Leuten und wenn man irgendwo vor Ort unterwegs ist macht man sowieso nichts anderes als mit Leuten über die Lage im Land zu reden;

Das Lesen hat für Herrn Hamms berufliche Praxis einen besonderen Stellenwert. Exkursionen und Recherchereisen bereitet Herr Hamm intensiv durch Lektüre vor (»dann les ich tausend Bücher«). In Büchern, Nachrichten und durch Informanten sucht Arne Hamm nach Tatsachenbeschreibungen, um sich die Lage so objektiv wie möglich anzueignen. Darin zeigt sich implizit, dass Herr Hamm davon ausgeht, erhellende Fakten zu finden, welche ihm Aufschluss über Situationen geben. Auch andere Personen werden in der Phase der Aneignung theoretischen Wissens zu Informationsquellen und dienen in erster Linie dazu, ihm Auskunft zu geben. Sowohl Literatur als auch der Austausch mit anderen Menschen dienen Herrn Hamm in allererster Linie zur Bewältigung seiner beruflichen Aufgabe.

6

7 8

anderer gewonnen wurde und etwa als historisches oder literarisches Wissen aufbewahrt wird. Insbesondere im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit werden Entwicklungshelfer vor ihrem Auslandsaufenthalt in interkulturellen Trainings mit landesspezifischen Informationen versorgt. Diese Angebote zur entwicklungsbezogenen Bildung sind so konzipiert, dass sie Wissen vermitteln sollen, Engagement fördern wollen und Handlungsmöglichkeiten in interkulturellen Begegnungen thematisieren (vgl. dazu www.Inwent.de). Auch im Bereich der Wirtschaft erfreuen sich interkulturelle Trainings einer immer größeren Beliebtheit. Dort sollen kulturelle Unterschiede produktiv nutzbar gemacht werden, um Synergien zu fördern, einen ›Kulturschock‹ zu vermeiden und somit die Mitarbeit für das Unternehmen möglichst effizient zu gestalten. Eine Methode dabei ist der so genannte Culture Assimilator. Dieses interkulturelle Trainingsprogramm wurde in den 1970er Jahren in den USA entwickelt und für den deutschen Sprachraum adaptiert (vgl. Müller/Thomas 1991). Zu den Zusammenhängen von beruflicher Aufgabe und interkulturellem Handeln s. auch Kap. 8. Die Zeilenangaben zu den Transkripten finden sich in der dem Buch zu Grunde liegenden Dissertation.

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Die Auseinandersetzung mit Medien zeigt sich in der Biographie von Arne Hamm als eine habitualisierte Aufgabe. Sie dient ihm aber auch, wie er selbst theoretisierend erklärt, als eine Bewältigungsstrategie in Bezug auf die Belastungen aus seinem beruflichen Alltag (Passage: Krieg): Hamm:

das ist so zum Teil anstrengend und so zum Teil äh is is is es zieht mich da auch nicht immer hin es ist sozusagen man man muss es notgedrungen machen wenn man in Afrika is nich? Ich kann ja nich nur über die schönen Seiten des Kontinents berichten und ignorieren, dass da irgendwo Kriege toben, denen wahnsinnig viele Leute zum Opfer fallen; ähm (2) aber man sieht nicht immer nur schlimme Sachen und so //mmh// es ist ja nicht so dass man irgendwo ankommt und da überall Leichenberge sind so; jetzt so im Niger das war schon belastend da diese kleinen Kinder zu sehen, grade wo man selbst eins hat und so, aber was wie soll man damit umgehen? Ich weiß wie es ist und ähm (2) mein ich (1) mein- der Grund dahin zu fahren ist ja da um darüber zu berichten //mmh// um zu schreiben, nich, und vielleicht verschafft es einem ne gewisse Genugtuung oder verschafft es mir ne gewisse Genugtuung @darüber@ zu schreiben und des äh bekannt zu machen beziehungsweise nicht nur das Elend bekannt zu machen, sondern auch die Verantwortlichen; also ähm ich versuch da immer relativ schonungslos sozusagen mit umzugehen, denn ähm die die Zustände auf diesem Kontinent sind zum Teil dermaßen haarsträubend, da gibt es nichts zu beschönigen; ich kann das oft nicht verstehen dass- dass da ähm so viel Verständnis für geäußert wird; als ob ähm als ob in Afrika zwangsläufig alles anders sein müsste?

Auf die mit seiner Orientierung an der möglichst getreuen Darstellung der Faktenlage einhergehende Belastung bezieht sich Arne Hamm ambivalent. Einerseits beschreibt er Schwierigkeiten (»anstrengend«, »notgedrungen«), die sich auch auf der performativen Ebene zeigen (»is is is«), andererseits drückt seine Beschreibung auch eine sachlich-distanzierte und damit auf der persönlichen Ebene nicht problematisierende Haltung aus. Die Konfrontation mit Hunger und Krieg ist für ihn eine berufliche Selbstverständlichkeit, die jedoch nicht seinen gesamten beruflichen Alltag prägt. Das Erleben von Brutalität ordnet Arne Hamm eindeutig seiner beruflichen Tätigkeit des »Berichtens« zu, die der Grund ist, warum Herr Hamm sich überhaupt in diese Situation begibt. Im Moment der Betroffenheit (»kleinen Kinder«) kommt es zu einer Reflexion und Herr Hamm sieht in seiner Berichterstattung auch eine Möglichkeit der inneren Distanzierung (»gewisse Genugtuung«). Das Gefühl der Betroffenheit und damit einhergehende Ohnmachtsgefühle finden in einer möglichst scharfen Situationsbeschreibung und der Benennung von Tätern einen Ausdruck, was für Herrn Hamm entlastend wirkt. Die Art und Weise seiner Berichte grenzt Herr Hamm von den Berichten anderer Journalistinnen ab, deren zu großes Verständnis für die gesellschaftspolitische Lage mancher afrikanischer Länder er als einen Ausdruck für ein falsches

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Weltbild hält (»da gibt es nichts zu beschönigen; ich kann das oft nicht verstehen dass- dass da ähm so viel Verständnis für geäußert wird«). Implizit unterstellt er hier Kollegen eine Verklärung, die durch zu große Nähe hervorgerufen sei. Seine analytische Perspektive und die Orientierung an Fakten und theoretischem Wissen bilden dabei als Bewältigungsstrategie den positiven Gegenhorizont9. In dieser Passage zeigt sich, dass es Arne Hamm beim Verstehen des Fremden nicht prinzipiell um ein Verständnis, sondern ein Verstehen geht, welches er als reflektiert, distanziert und analytisch beschreibt. Seine Praxis des Verstehens wird dabei als die ›richtige‹ proklamiert. In einer gewissen aggressiven Anklage (»schonungslos«), die nur durch eine Distanz möglich ist, sieht Arne Hamm seine Aufgabe als Journalist. Diese Distanz führt zu einem analytischen Blick, der kulturelle oder geographische Besonderheiten in Abrede stellt (»als ob in Afrika zwangsläufig alles anders sein müsste«) und das Problem auf eine allgemeine Ebene bringt. Auch wenn Arne Hamm hier aus einer beruflichen Perspektive argumentiert und ihm die Distanz als Notwendigkeit für eine wahrheitsgetreue Berichterstattung und ›richtige‹ Einschätzung der Situation erscheint, so lässt sich in dieser Passage doch auch zeigen, dass es nicht ein Berufsethos an sich ist, welcher zu einer Orientierung an Fakten führt. Auch eine innere Betroffenheit und Gefühle der Ohnmächtigkeit werden durch die Fokussierung auf Daten und Vernunft versucht zu bewältigen. Diese innere Betroffenheit und die Handhabung dieser wird auch in der folgenden Sequenz ersichtlich, in der Herr Hamm, berührt von Situationen mit denen er konfrontiert ist, eine kognitive Ebene des Erklärens sucht (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Y: Hamm:

9

ähm also sie so wie würden sie denn denn ihre Rolle sehen eher als Berichterstatter? Oder, joah das ist ja mein Beruf; ich bin hier Berichterstatter und berichte über das was in Afrika so los ist; //mhm// und nu ist Afrika ja also sind die Zustände ja hier ja dermaßen desaströs in in weiten Teilen des Kontinents; dass man dass man also nicht ganz neutral äh sich sich dazu verhalten kann nich, denn ich meine selbstverständlich ist es ähm ähm sind sind herrschen hier Zustände wo man permanent dazu genötigt ist sich darüber Gedanken zu machen wer dafür verantwortlich ist und wie man sie eventuell abstellen kann //mhm// also ich kann ja nicht über den Krieg im Kongo berichten als als sei das ein gottgewollter Zustand der möglichst lange anhalten sollte also ((räuspern)) in der Hinsicht kommt man zwangsläufig und und die Verbrechen die auf diesen Kontinent begangen werden nich, also fünf Millionen Tote im Kongo oder vier Millionen in den letzten sechs acht Jahren und und zwei Millionen Tote im

Orientierungsmuster gewinnen ihre Konturen dadurch, dass sie an positiven und negativen (häufig metaphorischen) Gegenhorizonten festgemacht werden (vgl. Bohnsack 2008: 136).

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Südsudan in den letzten zwanzig Jahren und dreihunderttausend Tote in Darfur in anderthalb Jahren und hundertfünfzigtausend Tote in Somalia in den letzten vierzehn Jahren und zwanzig tausend entführte Kinder in Uganda in den letzten zehn Jahren und vierhunderttausend Tote in Burundi in den letzten zehn Jahren und achthunderttausend Tote in Ruanda neunzehnhundertvierund- das sind ja alles Zustände die sozusagen nach nach Erklärungen schreien und insofern ist man ständig damit beschäftigt sich Gedanken darüber zu machen wo da wo- woran das liegt, also ich bin Berichterstatter und versuche das so objektiv wie möglich zu sehen aber man ist hier ständig genötigt sozusagen über die Ursachen für diese verheerende Zustände nachzudenken; //mhm// so das ist meine Arbeit hauptsächlich;

Herr Hamm bezieht sich in seiner Erklärung seiner beruflichen Aufgabe auf eine scheinbar neutrale Position des »Berichterstatters«, der lediglich beobachtet und Situationen beschreibt. Diesem imaginierten Berufsbild kann Herr Hamm in seiner beruflichen Alltagspraxis in Afrika aber nicht vollständig nachkommen. Durch das Elend, auf das er trifft, kommt Arne Hamm in Nöte und fühlt sich durch sein (berufliches) Selbstverständnis gezwungen (»zwangsläufig«, »ständig genötigt«), Erklärungen für die von ihm beobachteten Situationen zu finden. Er sieht sich als Jemand, der in der Lage ist, die Situation angemessen zu erklären. Indem er erklärend wird, verlässt er den neutralen Beobachterposten und wird in diesem Abschnitt zum Ankläger von Zuständen, über die er nicht neutral berichten kann, als sei das Ganze »gottgewollt«. In der Aufzählung von Jahreszahlen, Zeiten und der Anzahl der Toten zeigt sich, dass Herr Hamm eine Distanz zu den Situationen, über die er berichtet, wählt und durch diese Art der Aufzählung die Menschen und deren Lebenssituationen zu anonymen Daten werden. Es sind nicht individuelle Schicksale, die Arne Hamm benennt, sondern eine Aneinanderreihung von Zahlen, die durch ihre Massenhaftigkeit schockierend wirken. In dieser Distanzierung und Anklage zeichnet sich eine Thematisierung von Fremdheit ab. Herr Hamm positioniert sich hier nicht nur außerhalb des Geschehens, sondern darüber hinaus ›gezwungenermaßen‹ auf einer höheren Position der Bewertung. Sein Beruf fordert von ihm, sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen, auch wenn es ihm zuwider ist und er sich »genötigt« fühlt, sich über fremde Lebenssituationen »Gedanken« zu machen. Sein Weg, damit umzugehen, ist der Versuch des Verstehens über eine Aneignung von Daten und Informationen. Er wird zum Erkenner, Erklärer und Aufklärer der Situation. Herr Hamm orientiert sich bezüglich des Fremdverstehens an so genannten objektiven Daten. Im letzten Satz der Sequenz bringt Herr Hamm sehr deutlich zum Ausdruck, dass eine reine (»objektiv«) Berichterstattung nicht möglich ist und die Beschäftigung mit Geschichte und Politik (»Ursachen«) notwendig sind, um eine Klarheit über die Situation erhalten zu können. Deutet sich hier ein spezifisch berufliches

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Handeln der Analyse an, lässt sich im Folgenden auch in persönlichen Kontakten eine strukturidentische Fokussierung auf Informationen finden. Auf der Ebene der Recherche über persönliche Kontakte, lässt sich homolog Herrn Hamms Fokussierung auf Informationen finden (Passage: Kontakte): Y: Hamm:

wie kommen sie so zu den Geschichten? och das meiste ist durch Zeitung; Zeitungslesen; //mhm// also es naja es ist so halb halb naja schwer zu sagen also durch Zeit- mit bestimmte Sachen die sind einfach stehen einfach auf dem Programm nich, also dass dass Georg Weah kandidiert für die liberianischen Wahlen und und Favorit ist für die Präsidentschaft das ist bleibt ja nicht verborgen ne? //mhm// ähm und und der Krieg im Kongo und so; die somalische Regierung die war zum Beispiel lange Zeit hier in Nairobi also (1) da ist nicht schwierig da Kontakte zu knüpfen auch die die sudanesischen Rebellen sitzen alle hier also sowohl die Rebellen aus Darfur als auch die Südsudanesen haben hier ihre Büros in Nairobi; (1) ähm und sonst muss wenn man wenn man viel mit Leuten spricht und das tut man ja gerade wenn man unterwegs ist fast zwangsläufig, hört man natürlich viel //mhm// und und erfährt seine Geschichten da;

Herr Hamm schildert hier zunächst noch mal seine übliche berufliche Herangehensweise, die Informationsbeschaffung durch Printmedien. Neben dem Lesen aktueller Zeitungen sind es aber auch Kontakte, über die Herr Hamm an Informationen kommt. Seiner Meinung nach ergeben sich diese Kontakte »zwangsläufig«, also ohne sein eigenes Zutun, durch seinen Aufenthaltsort oder auf Reisen, wo er mit anderen Menschen unweigerlich konfrontiert ist. Was die Wahl der Themen seiner Berichterstattung angeht, so kann die Aussage, dass »bestimmte Sachen« »nicht verborgen« bleiben, hier unterschiedlich interpretiert werden. Zum einen ist damit impliziert, dass es politische Situationen gibt, die man nicht übersehen kann bzw. denen man nicht entgehen kann. Zum anderen zeigt es eine gewisse Haltung, in der deutlich wird, dass für Herrn Hamm ein bestimmtes Wissen eine Selbstverständlichkeit ist. Dies kann auch auf der Ebene der Interviewsituation als eine Demonstration seines Wissens bezüglich Fragen zu Afrika, Politik und Medien gegenüber der Interviewerin gesehen werden. Gleichzeitig dokumentiert sich in dieser Selbstverständlichkeit, dass Herr Hamm mit seinem Handeln wenige Irritationen erlebt und seine Handlungsroutine nicht in solchem Maße gestört ist, dass eine Verunsicherung oder Reflexion über eigenes Handeln einsetzen würde. Was nun die Kontaktpersonen betrifft, von denen Arne Hamm berichtet, so wird eine Orientierung an Effizienz deutlich, welche Herrn Hamms berufliches Handeln grundlegend strukturiert (Passage: Kontakte):

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Y: Hamm:

wie ist so der also wie stellen sie so Kontakt her zu den Leuten? Ist das schwierig? Oder einfach? nö das ist eigentlich relativ einfach; //mhm// also man muss sagen in Afrika sind die Leute alle sehr sehr kooperativ die hier sind; //mhm// (3) man kann irgendwie bei der Botschaft anrufen oder die [Entwicklungshilfeorganisation] ist in fast jedem Land irgendwie präsent oder Hilfsorganisationen, (1) lokale Journalisten; ist nicht so schwer also ähm (1) die ruft man einfach an und und bittet die irgendwie ihnen sich ein- einem behilflich zu sein (Telefonklingeln) und und wie gesagt das machen die meisten und dann fährt man hin und man kann nich man kann nicht alles sozusagen von hier vorbereiten nich weil telefonieren oft sehr schwierig ist auf dem Kontinent und so; //mhm// aber vor Ort ist das meistens nicht so schwierig; //mhm// joah; (2)

Beruflich Kontakte herzustellen, bedeutet für Herrn Hamm vor allem einen Weg der Informationsbeschaffung. Herr Hamm betont, dass er keine Schwierigkeiten habe, Kontakte herzustellen, und verweist damit nochmals auf sein routiniertes Verhalten. Die Rahmung seiner Beschreibung bleibt demnach im Bereich eines zielorientierten professionellen Aufgabenverständnisses und die Kontaktaufnahme wird, daran angelehnt, erzählt und beurteilt. Arne Hamm führt die Mühelosigkeit der Kontaktaufnahme auf eine umgängliche Art bzw. eine Bereitschaft, zu helfen, der anderen europäischen Expatriates und lokaler Journalistinnen zurück. Eine kleine Gruppe von Personen mit ähnlichen Interessen erleichtert Herrn Hamm den Zugang zu benötigten Informationen. Auch wenn diese Erfahrung nicht seiner grundlegenden Erwartung entspricht (»muss man sagen«), so dokumentiert sich doch in seinen sonstigen Ausführungen eine Dominanz des Selbstverständlichen und Unproblematischen. Als einziges Hindernis wird die Unzuverlässigkeit des Telefonnetzes benannt, welches sein effizientes Arbeiten, in diesem Fall eine gute Vorbereitung, einschränkt. Hier zeigt sich, wie schon in der obigen Passage, dass Herrn Hamms Handeln sehr daran orientiert ist, einem bestimmten Aufgabenverständnis gerecht zu werden. Sein berufliches Aufgabenverständnis der zügigen, objektiven Informationsbeschaffung strukturiert sein Handeln durchweg vor. In der Beschreibung der Informationsbeschaffung auf Reisen dokumentiert sich diese Orientierung nochmals. Herr Hamm fährt fort (Passage: Kontakte): Y: Hamm: Y: Hamm:

und so zu der zu der so zu der einheimischen Bevölkerung die Kontakte? hier in Kenia oder? //mhm// Vor Ort? ja hier also naja was die Arbeit angeht ist es oft hilfreich mit mit Ausländern zu sprechen einfach weil Afrikaner ne andere Wahr@nehmung@ äh von Dingen haben; //mhm// und und oft ne andere Einschätzung; also wenn ich gerade wenn man in so Kriegsgebiete fährt oder so ne realistische Einschätzung darüber haben will ob es gefährlich ist oder nicht fragt man

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fragt man doch besser n Ausländer; weil weil weil die ja oder n Deutscher oder Europäer ((räuspern)) weil wir doch irgendwie ähnlich Maßstäbe haben und ne und in der Hinsicht ne ne ähnliche Sprache sprechen ne, //mhm// und und des ist einfacher also ich will jetzt nicht sagen dass alle Afrikaner andere andere ne andere Wahrnehmung von Dingen haben aber was Zeit und Gefahr und und so angeht auch was was Möglichkeiten angeht nich, also wir haben ja in der Regel doch n viel größeres Budget und ganz andere Mittel und so was also wenn ich n Mietwagen brauche oder jemanden der Flüge umbucht also all diese Dinge die funktionieren oder darüber Informationen bekommen funktioniert prinzipiell bei Europäern besser; //mhm// ähm da ich natürlich weil ich hier lebe und nicht ständig im Niger unterwegs bin sondern fünfzig Länder irgendwie zu bearbeiten habe also die einzelnen Länder nicht alle so gut kennen kann beziehungsweise da ständig sein kann ka- kenn ich natürlich nicht so viele locals in in was weiß ich in Ghana oder sonst wo //mhm// aber aber zu denen kommt man ja doch relativ schnell in Kontakt wenn man mit irgendwelchen Leuten Kontakt aufnimmt die Kontakt zu denen haben oder einem da empf- empf- Leute empfehlen können also wenn ich bei der deutschen Botschaft in Accra anrufe und sage ich komme und dann trifft man sich da mit irgendjemanden und und fragt die ob die nicht jemanden jemanden empfehlen können oder jemanden kennen dann ist das in der Regel sehr schnell; //mhm// und da sind natürlich Journalisten oft ne ganz gute Informationsquelle; (2) Leute die bei Hilfsorganisationen arbeiten ich meine wo- worüber wir berichten das sind ja dann doch oft die die Gebiete also die die Punkte die ähm (1) ja die so im Brennpunkt stehen also also Flüchtlinge oder oder Krieg oder oder Verhungernde oder so was und und da sind dann ja doch die das weiß ja nicht irgendn Kioskbesitzer in was weiß ich in Niame oder so; also insofern muss man da schon gucken dass man die Leute mit den Leuten spricht die sich da am besten auskennen; //mhm// (2) joah

Herr Hamm führt eine implizite Trennung zwischen beruflichem Handeln auf Reisen und in seinem Gastland Kenia ein, welche jedoch von ihm nicht weiter ausgearbeitet wird. Er bezieht sich in der einschätzenden Darstellung der Kontaktaufnahme auf seine beruflichen Reisen und stellt vor allem die Frage der effizienten Informationsbeschaffung in den Vordergrund. Die für ihn und seine Arbeit relevanten Informationen, also auch all jene, die er benötigt, um seine Arbeit effektiv zu gestalten, bekommt Herr Hamm, so seine Erklärung, einfacher und schneller von europäischen Kollegen (»fragt man doch besser n Ausländer«). Dies stellt Herr Hamm nicht etwa als eine persönliche Vorliebe dar, sondern sieht darin eine allgemeingültige Tatsache: Europäerinnen haben, so Herrn Hamms Vorurteil, vor allem bezogen auf Sicherheit und auf finanzielle Ressourcen, eine ähnliche Vorstellung. Damit gibt Herr Hamm implizit Auskunft über einen angenommenen konjunktiven Erfahrungsraum der Europäer. Afrikanerinnen haben

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dagegen, so Hamm im Allgemeinen, eine andere Perspektive und können sich letztlich nicht in die Lage der Expatriates versetzen. Obwohl Herr Hamm sich von einer verallgemeinernden Aussage über die Wahrnehmung »alle[r] Afrikaner« distanzieren möchte, wird eine Distanz gerade durch die weitere Betonung einer Expatriates-Verbundenheit hergestellt. Begründet wird dies von Herrn Hamm wiederum über die Ebene kognitiven Wissens. Europäer haben eine andere Wahrnehmung und damit ein anderes Verständnis der Situation, welches seinem eigenen ähnlich ist. Die Kontakte zur einheimischen Bevölkerung, bzw. zu einheimischen Journalistinnen erfolgen somit auch über Expatriates, was Herr Hamm in einer Begründungstheorie damit erklärt, dass er als Journalist über zahlreiche Länder berichten müsse, jedoch nur in einem Land fest lebt und daher keine naturwüchsige Informationsquellen aus den jeweiligen Ländern habe (etwa lokale Zeitungen etc). Die Personen bleiben in Herrn Hamms Beschreibung uneindeutig (»irgendjemand«), der Fokus, seine Orientierung liegt vielmehr an der Organisation eines reibungslosen (»schnell«) Ablaufes und damit der Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit. Dabei spielt die Position und vor allem die Informiertheit seiner Informationsbeschaffer eine zentrale Rolle. Herr Hamm betont hier den Aspekt des Wissens sehr deutlich und es zeigt sich, dass er eine Vorstellung von einem ›richtigen Wissen‹ hat. So kommen einerseits andere (informierte) Journalisten, andererseits in Entwicklungshilfeorganisationen Tätige als »Informationsquelle« in Frage. Letztere, so Hamm, qualifizieren sich nicht zuletzt als Informantinnen, da sie genau dort tätig sind, worüber Herr Hamm (und seine Kolleginnen, so Hamm) berichtet: in problematischen Situationen. Ein einfacher Mann, wie ein »Kioskbesitzer«, »weiß« darüber, so Hamm, nichts. Zentral für Herrn Hamms Orientierung im beruflichen Handeln ist es, die richtigen Kontaktpersonen, die »sich da am besten auskennen«, an den richtigen und wichtigen Orten zu haben. Auch im Interview mit KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, lässt sich eine Sequenz finden, die der Orientierung an theoretischem Wissen entspricht. Für Herrn Wächter ist die Informationsbeschaffung durch Medien ein zentraler und grundlegender Faktor seines alltäglichen Handelns (Passage: Aufgabenverständnis II): Wächter:

und ich komme eigentlich auch (.) wie ich dir schon sagte und ich hab nicht nur (.) Literatur gemacht ich habe auch Komparative Politik; Gespaltene Gesellschaften gemacht; ich habe also mir Israel angeguckt; und Nordirland; und ich weiß (.) bisschen was draußen in der Welt ist; ich guck mir jeden Tag die Financial Times; ich les die Economy; Newsweek; Time Magazine und was weiß ich; wir lesen wenn ich gucke wenn ich fernsehen gucke, dann gucke ich BBC World; (.) das ist für mich das heißt ich hab ein relativ gutes Gespür was in der Welt läuft;

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Klaus Wächter hält sich tagtäglich durch internationale Medien auf dem neusten Stand und erlangt so ein theoretisches Wissen über weltpolitische Vorgänge. Diese Informationsbeschaffung ist für ihn Zugang zu verschiedenen gesellschaftspolitischen Fragen und er sieht sie als notwendige Basis für ein Verstehen politischer Vorgänge an. Auch sein Studium und die Beschäftigung mit »gespaltenen Gesellschaften« hält Herr Wächter für einen Schlüssel zum Verständnis von Welt. Dieses Verständnis geht für Herrn Wächter, und hier unterscheidet er sich von Arne Hamm, über ein bloßes Anhäufen von theoretischem Wissen hinaus. Das theoretische Wissen, so Wächter, schafft die Grundlage für eine auch nicht rationale Einschätzung von (politischen) Situationen (»gutes Gespür«). Damit betont er neben dem kognitiven auch ein implizites Wissen. Es ist gerade die Verknüpfung von theoretischem Wissen und eigener Erfahrung, die Herrn Wächters grundlegende Orientierung ist und die sein (berufliches) Leben stark beeinflusst hat. Ebenso wie bei Herrn Hamm zeigt sich in dieser kurzen Sequenz, dass Herr Wächter eine eindeutige Vorstellung davon hat, welche Voraussetzungen es für sein berufliches Handeln braucht, und dass sein Handeln stark mit seinem beruflichen Aufgabenverständnis verknüpft ist. Klaus Wächters Orientierung an Informationen als Zugang zum Fremden zeigt sich, ebenso wie bei Arne Hamm, in einer gewissen Funktionalisierung von individuellen Kontakten. Auch für Herrn Wächter geht es im beruflichen Kontext darum, die ›richtigen Leute‹ zu kennen und dadurch an Informationen zu kommen, die er zuvor als bedeutsam eingestuft hat (Passage: Aufgabenverständnis I): Wächter:

ich kenn natürlich meine deutschen Kollegen; (.) hab ich mir viel stärker (.) mit meinen englischen Kollegen mit meinen südafrikanischen Kollegen zusammen; //mhm// weil das bringt mir mehr und ich weiß was unsere Leute denken die sich mal ( ) und wir unterhalten uns natürlich auch ab und zu; und wir treffen uns ja alle naselang bei irgendwelchen Botschaftsveranstaltungen oder sonst was; (.) aber das richtige Eintauchen ist natürlich auch für Nicht-Südafrikaner auch in gewissen (.) Bereichen möglich; zum Beispiel im Parlament; (1) wo wo ma- wo die Zeitungen die ich lese ihre Parlamentskorrespondenten haben; //mhm// oder Erziehungskorrespondenten; es gibt (jetzt) Educationreporters auch hier; //mhm// oder Environmentreporters; die eben sich mit Umweltfragen beschäftigen; Healthreporters (1) die guck ich mir sehr (.) äh also mit denen halt ich einen engen Kontakt; (1) A weil ich die Leute interessant finde, weil sie weil die ein Spezialgebiet haben, ähm was mich sehr interessiert; wo sie mir enorm viele Abkürzungen geben können; und B weil es häufig sehr interessante Menschen sind Journalisten sind für gewöhnlich sehr sehr interessant (.) sich mit denen zu unterhalten; //mhm// nicht unbedingt muss man mit jedem Freund sein bewahre; aber sie sind einfach (.) Leute die viele kennen lernen für gewöhnlich wenig Berührungsängste haben; sehr offen sein sollten des ist ja (.) äh Grundlage unseres Berufes Neugier //mhm//(.) zu haben;

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Was Herr Wächter hier als »Eintauchen« bezeichnet, ist eine Form des Fremdverstehens, welche aber nicht auf einem existentiellen Sich-Einlassen basiert, wie der Begriff des Eintauchens ja nahe legen könnte, sondern auf der Kenntnis von bestimmten innenpolitischen Vorgängen. Dies läuft über andere Experten, wobei auch diese gezielt ausgewählt werden. Infrage kommen für Herrn Wächter solche Personen, bei denen er ein fundiertes Wissen und eine (Fach-) Kompetenz sieht. Klaus Wächter wählt dabei gezielt den Weg über »englische« und »südafrikanische Kollegen« als Informantinnen. Explizit begründet er selbst die Suche nach Informationen auf diese Weise, als eine Möglichkeit für »Abkürzungen«, also einer sehr direkten Informationsbeschaffung. Zusätzlich ist es das spezielle Wissen, welches etwa »Healthreporters« haben, das Klaus Wächter als Grund für sein Handeln angibt. Implizit wird deutlich, dass Herr Wächter nicht nur an dem Wissen der anderen Journalisten interessiert ist, sondern im Kontakt mit ihnen auch an deren Wahrnehmungen und Interpretationen interessiert ist. Er nimmt an, dass anders als bei seinen deutschen Kollegen, wo er »weiß, was unsere Leute denken«, die englischen und südafrikanischen Kolleginnen ihm mit ihren Informationen und Interpretationen Zugang nicht nur über bestimmte Fakten verschaffen können, sondern auch andere Betrachtungen möglich werden. In einer MetaAnnahme über die Berufsgruppe der Journalisten macht Klaus Wächter klar, welche Vorteile er darin sieht, »engen Kontakt« mit anderen Journalisten zu pflegen. Er schreibt Journalistinnen eine bestimmte Haltung zu, die der Beruf nahelege und welche er für sich als vorteilhaft einstuft. Die »Neugier« der Journalisten komme ihm in doppelter Weise zugute. Er profitiert von den Informationen der Anderen und hat gleichzeitig wenige Schwierigkeiten, an die Informationen heranzukommen, da er den Journalistinnen »wenige Berührungsängste« zuschreibt. Seine Orientierung an theoretischem Wissen, das bei ihm ein journalistisches ist, unterstreicht Herr Wächter durch die mehrfache positive Zuschreibung der Journalisten. Im Vergleich mit Arne Hamm lässt sich nun zeigen, dass zwar die Orientierung an Medien und Informationsbeschaffung zentral für beide Journalisten ist, Klaus Wächter aber im Unterscheid zu Arne Hamm im Kontakt mit Anderen nicht nur auf deren Spezialwissen fokussiert, sondern auch deren Interpretation der Situation für ihn von Bedeutung werden kann. Gibt es für Herrn Wächter ebenso wie für Herrn Hamm ein bestimmtes notwendiges theoretisches Wissen, um das Fremde zu verstehen, lässt sich trotzdem eine leicht veränderte Herangehensweise bei Herrn Wächter finden. Sucht Herr Hamm gezielt nach Menschen mit (angenommenem) gleichem Hintergrund (wobei dieser Hintergrund mehrheitlich deutsch ist), um die Effizienz seiner Arbeit nicht zu gefährden, sind es für Klaus Wächter gerade die Menschen mit (angenommenem) anderem ethnischen Hintergrund (jedoch der gleichen Berufsgruppe), von welchen er sich entsprechende aufklärende Informationen erhofft.

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Könnte man nun davon ausgehen, dass Informationsbeschaffung vornehmlich eine berufsspezifische Herangehensweise des Verstehens ist, die vor allem den Journalisten vorbehalten ist, so greift eine solche Erklärung zu kurz. Kognitive Vermittlung interkulturellen Wissens und der Ansatz, über die Akkumulation theoretischen Wissens Zugang zu fremden Milieus zu erlangen, ist auch für andere Berufsgruppen relevant und wird z. T. in Vorbereitungsmaßnahmen und so genannten interkulturellen Trainings erlernt. In der Interviewsequenz mit BEATE MEIER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN SÜDAFRIKA, wird das Verstehen des Fremden durch Informationsbeschaffung in Form von interkulturellen Trainings thematisiert (Passage: Beruf): Y: Meier:

weil du grad gesagt hast interkulturelle Fähigkeiten was was sind denn das, was is denn das? ähm also wenn wir halt ins Ausland gehen, dann haben wir halt auch in der Vorbereitung man hat ja sone recht lange Vorbereitungszeit, mittlerweile jetzt auch verkürzt worden aber bei mir waren das glaub ich noch äh zweieinhalb Monate, //mhm// und in der Zeit ähm (.) gibts dann halt auch also wie im Fachlichen Kursen halt auch Länderkunde (1) Geschichte und so weiter; ähm halt auch äh interkulturelle Kommunikation da dabei gehts halt darum wie hm ja so zum Beispiel (1) in in der afrikanischen Kultur ist es oft so dass (.) man fällt nicht mit der Tür ins Haus also wir sind sehr also gerade wir sind ja sehr ähm (4) sehr strukturiert sehr direkt //mhm// nicht unbedingt jeder, aber so ähm es wird immer so gesagt dass wir halt so ähm Low- Low-Kontext ähm (.) Gesellschaft sind während halt Afrikanischen oft im High-Kontext Gesellschaften sind; //mhm// das heißt halt das wird erstmal so ganz ganz lange so um n heißen Brei geredet auch alle möglichen andern Sachen wie gehts wie gehts dir heute was du wie du zum Beispiel heute rein gekommen wärst (.) und dann setzt man sich halt gleich hin und fängt mitm Interview an das is halt das wär hier ganz schlecht; //mhm// also man spricht erstmal so man kommt erstmal so ins Gespräch man guckt erstmal wie man so ja irgendwie sone Kommunikationswelle Ebene auch finden und nicht gleich kommen und sagen so also ich möchte das und das und das //mhm// und das und ja irgendwie so also da sind hier sowieso sehr straight ne, also das man halt erstmal ja und das nächste ist halt das es im afrikanischen Kontext ähm dass man oft auch also so man nähert sich dem wenn (man wenn man kann ja sagen) im Zentrum steht das Problem oder steht der Kern einer Diskussion eines Treffens oder wie auch immer dann kann man so im afrikanischen Kontext sich oft was (drumdrehen und wenn) man tut auch ab und zu den Mittelpunkt erreichen aber man geht auch wieder davon ab; //mhm// während halt so in unserem Kontext man schon eher zielgerichtet auf einen (2) ja auf einen auf auf das Ziel halt ne, //mhm// also @zielgerichtet@ arbeitet; //mhm// oder eben auch ne Gesprächsführung macht; oder Verhandlungen zielgerichter sind; ähm ja

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In dieser Interviewsequenz mit Beate Meier wird deutlich, dass auch noch auf eine andere Art und Weise theoretisches Wissen über den Fremden bzw. eine fremde Kultur erlangt werden kann als durch die Lektüre von Nachrichtenmagazinen oder den Informationsaustausch mit relevanten Kontaktpersonen. Neben der einfachen Wissensvermittlung anhand von Daten und Fakten über das Gastland bietet der Entwicklungshilfedienst zusätzlich eine Vorbereitung in »interkultureller Kommunikation« an. Für Beate Meier hat dieses Training eine wichtige Bedeutung, was sich auch darin dokumentiert, dass sie die Dauer des Trainings betont (»recht lange«). Ein solches Training greift über das Aneignen rein theoretischen Wissens hinaus und in Fragen der Einstellung, Einschätzung und Einüben von interkulturellem Handeln hinein. An dieser Stelle sei jedoch der Fokus darauf gelenkt, wie Frau Meier das erlernte Wissen dieses Trainings für ihr Verständnis der fremden Kultur verwertet und wie und ob dieses erlernte Wissen ihre interkulturelle Erfahrung und ihr Handeln in Südafrika vorstrukturiert. Wie schlägt sich ihr theoretisches Wissen in der Handlungspraxis nieder? Das erlernte Wissen des Vorbereitungskurses beinhaltet neben etwa geschichtlichen Daten auch Informationen darüber, wie Menschen einer bestimmten Kultur handeln. Diese kulturalistischen Informationen sind für Frau Meier insofern bedeutsam, als sie ihre späteren Erfahrungen im Ausland, etwa eine unterschiedliche Handlungspraxis von ihr und ihren afrikanischen Kolleginnen, in diesem Rahmen interpretieren und damit auch verstehen kann. Anders als Herr Hamm, der den Zugang zu fremden Milieus selbstständig über Informationsbeschaffung wählt, ist es bei Frau Meier ein von außen an sie herangetragenes Wissen, welches sie aber bereitwillig in ihre Orientierung aufnimmt. Dies zeigt sich überall dort, wo Frau Meier in ihrer Erklärungstheorie über interkulturelle Kompetenz eine Gegenüberstellung von »wir« und der »afrikanischen Kultur« betont. Unter »wir« versteht Frau Meier Entwicklungshelfer bzw. Kollegen der Entwicklungshilfeorganisation, die einen ähnlichen Prozess der Vorbereitung durchlaufen (»wenn wir halt ins Ausland gehen«). Sie schließt in das »wir« aber auch Deutsche insgesamt ein (auch mich als Interviewerin), die als Mitglieder einer bestimmten vorgestellten Gemeinschaft bzw. Gesellschaft bestimmte kulturelle Muster haben (»wir sind sehr also gerade«). Auf der anderen Seite ihrer Darstellung stehen die Afrikaner (»Afrikanischen«) mit einer differenten Kultur, welche ihr Handeln strukturiert. Frau Meier fügt zwar zu Beginn ihrer Ausführung ein, dass ihre Aussagen bezüglich der kulturellen Zuordnung in »Low-Kontext-« und »High-Kontext-Gesellschaften« nicht primär von ihr stammen, sondern »es wird immer so gesagt«, im Laufe ihrer weiteren Erzählung distanziert sie sich jedoch nicht davon und macht damit deutlich, dass sie diese kulturellen Zuordnungen als treffend empfindet und in ihr Handlungs- und Wahrnehmungsschema übernommen hat. Ihre Wahrnehmung wird diesem kulturalistischen Schema untergeordnet und so wird auch mein Auftreten beim Interviewtermin innerhalb dieses Schemas interpretiert (»wie du zum Beispiel heute rein gekommen wärst […] das is halt das wär hier ganz schlecht;«). Frau Meier gibt diese kulturalistische

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Betrachtung eine Sicherheit in der Bewertung von Situationen, so dass sie hier ganz selbstsicher sagen kann, was »schlecht« wäre. Auch Frau Meier unterstellt den Afrikanerinnen im Vergleich zur eigenen »zielgerechten« Kommunikation eine gewisse Ineffizienz, der sie kritisch gegenüber steht. Im Unterschied zu Herrn Hamm und Herrn Wächter muss sie jedoch aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit einen Umgang damit finden. Im Vergleich mit den Interviewpassagen von Herrn Hamm und Herrn Wächter dokumentiert sich in den Aussagen von Frau Meier, dass ihre Orientierung bezüglich theoretischen Wissens auf einer handlungspraktischen Ebene angesiedelt ist. Hier dokumentiert sich eventuell eine berufsspezifische Differenz. Das theoretische Wissen der Auslandskorrespondenten mündet ein in und steht im Zusammenhang mit distanzierten (politischen) Analysen, wohingegen das theoretische Wissen dieser Entwicklungshelferin sich auf Kommunikation und Verhandlung mit einheimischen Kollegen bezieht. Im Unterschied zu den beiden Journalisten steht das erlernte theoretische Wissen des Vorbereitungskurses in direktem Zusammenhang mit ihrem eigenen Handeln. Das theoretische Wissen basiert also nicht auf einer Fakten- bzw. Datenlage, sondern dient der Interpretation des Verhaltens des Gegenübers mit gleichzeitiger Einordnung der eigenen Handlungsoptionen in einer interkulturellen Situation. So sind für Frau Meier ihre Interaktionspartner keinesfalls Informationsquellen, sondern das theoretische Wissen ist auf der Ebene der Verhaltenseinschätzung angelegt und nicht auf einer (politischen) Analyse. Das zunächst abstrakte Wissen über Kommunikationsstrukturen in Afrika erhält im Handeln einen konkreten Bezug, wenn Frau Meier sagt (Passage: Beruf): Meier:

also wo man irgendwie so einfach weiß das sind so die Schlüsselwörter dass so kriecht man halt ja man muss halt erstmal bisschen Smalltalk machen also wie man halt auch diesen Zugang zu ner anderen Person findet ne,.

Das erlernte theoretische Wissen findet auf diese Weise in der Handlungspraxis seine Anwendung. In der eigenen performativen Aufführung des Drum-HerumRedens deutet sich eine Ablagerung des theoretischen Wissens über den Anderen auf der Ebene des eigenen Handelns an. Die theoretische Beschäftigung mit verschiedenen Gesellschaftssystemen stellt für Beate Meier eine Motivation dar, sich mit diesen auch praktisch auseinanderzusetzen. Ihre Reflexion bezüglich ihres eigenen Verhaltens und des Verhaltens ihrer Interaktionspartner findet auf dieser Basis statt (s. dazu auch Kap. 6.2). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ eigen ist, dass er sich auf ein bestimmtes ›wahres‹ Wissen bzw. Informationen bezieht, welche ein Verstehen ermöglichen sollen. Dabei kann die Informationsbeschaffung so handlungsleitend werden, dass Interaktionen mit Personen als reine Mittel zum Zweck gesehen

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werden. Das theoretische Wissen10 gibt vor allem in beruflichen Situationen Sicherheit, was sich nicht zuletzt in der unhinterfragten eigenen Einschätzung der Situationen bei Herrn Hamm, Herrn Wächter, aber auch Frau Meier zeigen ließ. Als weiterer einender Faktor des Typus kann herausgearbeitet werden, dass ein theoretisches Wissen über (potentielle) Interaktionspartner als Bedingung interkultureller Kontakte gesehen wird. Über theoretisches Wissen zu verfügen, führt zu klaren Vorstellungen und Einordnungen von Situationen. Insgesamt wird hier deutlich, dass die Situation (etwa die berufliche Aufgabe) das Handeln strukturiert (etwa zu effizienter Informationsbeschaffung führt) und die Wahrnehmung (etwa negativer Zustände wie Krieg, geteilte Gesellschafen, kulturelle Unterschiede) die wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten (in diesen Fällen Distanz und Anklage) vorgibt. Aber auch das Handeln (Lesen von Zeitungen) beeinflusst die Möglichkeiten der Wahrnehmung. Im Folgenden wird ein zweiter Typ des Fremdverstehens in interkulturellen Interaktionen vorgestellt.

5.1.2 Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation Im Typus ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ geht es ebenso wie im vorherigen Kapitel um ein interkulturelles Handeln als eine Praxis des Fremdverstehens. Hier lässt sich nun aber eine Herangehensweise herausarbeiten, deren Orientierung am Verstehen des Fremden in dessen Lebenswelt11 angesiedelt ist. Die Praxis des konkreten Handelns steht dabei weniger im Vordergrund als der Modus der Herangehensweise. Der Fokus dieses Typus des Fremdverstehens liegt auf der Interpretation von authentischem12 Material bzw. auf der Annäherung an fremde Lebenswelten durch Dritte. Die Fremde und ihre Lebenswelt sollen so in ihrer Handlungspraxis 10 Das ›wahre‹ oder auch ›richtige‹ Wissen wird als vermeintlich objektive Wahrheit dargestellt und betont und legitimiert die eigene Kompetenz in einem (Fach-)Gebiet. 11 Den Begriff der Lebenswelt entlehne ich Schütz/Luckmann, um auf den Prozess der Sinndeutung innerhalb von Sozialstrukturen hinzuweisen (vgl. Schütz/Luckmann 1979) und verwende ihn explizit als Bezeichnung für die Praxis des Fremdverstehens in diesem Typ. Damit ist ein Zusammenhang hergestellt, auf den sich Individuen berufen, insofern sie sich auf gemeinsame Normen, Selbstverständnisse und auch Kultur beziehen. 12 Mit authentischem Material und dem Begriff Authentizität sind in diesem Typ direkte Erzählungen und Beobachtungen gemeint. In der Abgrenzung zum Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 6.1) findet ein Verstehensprozess beim Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 6.2) über wortwörtliche Erzählungen und weniger über theoretische Analysen statt. Die Konstitution des immanenten Sinngehalts des Gesagten kann damit auch in Anlehnung an Luhmann als eine Beobachtung erster Ordnung bezeichnet werden (vgl. zu Beobachtungen erster und zweiter Ordnung Bohnsack 2008: 201). Authentizität bezieht sich somit stark auf ein persönliches Erleben und ein Erfahrungswissen.

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erfasst werden. Dabei ist eine zentrale Frage die, wie ein möglichst vertrauensvoller Raum geschaffen werden kann und Informationen und Aussagen so authentisch wie möglich bleiben. Dies erfordert von den Beteiligten eine ganz andere Art der Präsenz als die Lektüre von aktuellen Nachrichten oder das Erlernen bestimmter »kultureller Codes«13 etwa in Form von so genannten Do’s and Dont’s. In der Herangehensweise des Fremdverstehens lässt sich dieser Typus also deutlich vom vorherigen unterscheiden. Das interkulturelle Handeln dieses Typus‹ basiert nicht auf der Aneignung theoretischen Wissens bzw. einer detaillierten politischen Analyse, auch wenn dies miteinfließen kann, vielmehr geht es um konkrete Erfahrungen, die ein Fremdverstehen ermöglichen sollen. Der Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ wird ausführlich anhand eines Interviews herausgearbeitet, wobei sich nach und nach zeigen lässt, wie der (theoretische) Zugang zu fremden Alltagswelten und die interkulturelle Handlungspraxis ineinanderfließen. SEBASTIAN BACKE, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA definiert seine berufliche Position eindeutig als Beobachter, betont dabei aber auch eine emotionale Ebene (Passage: Aufgabe I): Backe:

ich seh meine Aufgabe darin dass ich ähm (2) ich seh mich als Beobachter. als als Beobachter der ne große (.) Leidenschaft und auch ne große Sympathie für für Afrika hat; //mmh// ja.

Herr Backe nimmt mit dieser Aussage eine berufliche Positionierung vor, die, anders als bei Herrn Hamm oder Herrn Wächter (Kap. 6.1), nicht auf ein Berichterstatten abzielt, sondern erst einmal einen Vorgang, das Beobachten, beschreibt. Hier wird nicht das Ziel und die Intention des Handelns angeführt, sondern zunächst die Handlungspraxis beschrieben. Die Einführung der beruflichen Positionierung verläuft somit nicht explizit über eine Darstellung des Expertentums, sondern vielmehr über das eigene Interesse. Auf performativer Ebene zeigt sich dies auch darin, dass er zur Elaboration des Beobachtens ansetzt, diese abbricht, das Beobachten zweimal wiederholt und dann nochmals rahmt. Herr Backe verweist auf sein positives Gefühl für Afrika, welches scheinbar unmittelbar mit seiner beruflichen Praxis zusammenhängt. Herr Backe begründet seine »Sympathie für Afrika« (s. u.) mit Erfahrungen, die er mit Einheimischen gemacht hat. Sein Fokus liegt dabei explizit auf individuellen Begegnungen und 13 Unter »kulturellen Codes« (vgl. Delanty 1995) werden für eine Kultur spezifische Ideen, Symbole oder ein typisches Verhalten verstanden, welche über die Mitgliedschaft zu einer Gruppe Auskunft geben. Sie können auch als praktische Repräsentationen von Milieus verstanden werden. Problematisch in der Erlernung kultureller Codes ist, dass sie von der Lebenspraxis immer ein Stück abstrahieren und in ihrer Dokumentation immer schon Geschichte sind, denn die Praxis in einer sozialen Gruppe wandelt sich stetig.

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den Beweggründe und Gefühlen der Menschen. Die Texte, die aus diesen Begegnungen entstehen, sind demnach eher erzählte Geschichten als analytische Berichte (Passage: Aufgabe II): Backe:

ich hab ne große Sympathie für die Menschen die die hier leben ich hab sehr- ich hab wirklich tolle Menschen in Afrika kennengelernt; und ähm insofern wehr ich mich dagegen dass man so so n Klischeeberichterstattung macht oder Katastrophenberichterstattung; ich schreib über alle Katastrophen in Afrika und ich geh da auch wirklich immer (1) in ins Tiefste rein; (1) nach Liberia oder in Kongo oder oder nach Sierra Leone oder wo man sich sonst noch schreckliche Dinge vorstellen kann, oder Norduganda, und (1) versuch aber in diesen entsetzlichen Geschichten immer zu schreiben dass da Menschen sind vor denen man wirklich Hochachtung haben muss ja, //mmh//

Herr Backe spricht sich dagegen aus, ganz bestimmte Themen in den Vordergrund seiner Berichterstattung zu stellen. Hier taucht implizit eine Erwartungshaltung oder ein Vorwurf gegenüber der Berichterstattung aus Afrika auf (»Klischeeberichterstattung«), gegen die Herr Backe argumentiert und die sich gegen eine Berichterstattung, wie sie Herr Hamm proklamierte (Kap. 6.1.1), negativ abgrenzt.14 Er wählt den Weg, zwar Katastrophengebiete aufzusuchen und sich damit auseinanderzusetzen, sich also der Beobachtung von Grausamkeiten und Unglücken zu stellen, gleichzeitig legt er in seinen Berichten aber den Fokus auf individuelle Schicksale der Menschen in diesen Regionen (»dass da Menschen sind«). Anders als im Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (6.1.1) tauchen bei Herrn Backe keine Aneinanderreihungen von Zahlen und auch keine gezielten politischen Analysen auf. Er begründet seine Vorgehensweise mit seinem grundlegenden Respekt gegenüber Menschen und fordert eine solche Grundhaltung sogar auch allgemein ein. An dieser Stelle definiert Herr Backe seine Vorstellung der Expertin. Ihm geht es nicht primär um eine politisierende oder analytische Darstellung der Situation, vielmehr sucht er den Alltag der Einheimischen und beschreibt ihn, womit er sich von Herrn Hamm und Herrn Wächter (im Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹) deutlich unterscheidet. Dies heißt jedoch nicht, dass politische Zusammenhänge völlig uninteressant für Herrn Backe sind. Er begreift sich keineswegs allein als Geschichtenerzähler. Wie jedoch innenpolitische Vorgänge Einfluss in Herrn Backes berufliches Handeln finden, unterscheidet ihn deutlich vom Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 6.1.1) (Passage: Berufliche Kontakte): 14 Hier ist vermutlich auf den Vorwurf, Afrika als den K-Kontinent (Kriege, Katastrophen, Krisen, Krankheiten, Konflikte, Korruption) zu beschreiben, verwiesen (s. dazu auch Kap. 6.1.1).

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Backe:

und n Vorwurf an die nigrische Regierung kann man machen indem man sagt warum erhöht ihr die Mehrwertsteuer um zwanzig Pro- um neunzehn Prozent, //mhm//äh wenn die Leute eh nichts zu essen haben,

Zeigt sich in diesem Abschnitt ein kritisierender Ansatz in Herrn Backes Berichterstattung und der Wunsch, politische Entscheidungen zu kritisieren und auf einen Missstand aufmerksam zu machen, geht es ihm doch nicht um eine Darlegung der politischen Struktur allein. Er sagt weiter (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

ja, (.) und ähm weil ich dann immer gucken will wie sie zu ihrer Regierung stehen wenn sie trotz des Hungers dann die die Mehrwertsteuer erheben, //mhm//

Die Perspektive der einheimischen Bevölkerung ist Herrn Backe wichtiger als eine reine Darlegung der Faktenlage. Er selbst sieht eine solche Herangehensweise als spannend und erfolgreich an und hat sie aus seiner eigenen Neugier und Unkenntnis schon zu Beginn seines Auslandsaufenthalts entwickelt (Passage: Fremde Welt): Backe:

und dann hab ich mir gedacht, das ist ja so ne fremde Welt, also alles was ich nicht weiß und was ich jetzt sofort irgendwie rausfinden will, müsste eigentlich auch n Leser interessieren; //mmh// (1) und dann hab ich ähm äh (1) also mein Hauptaugenmerk- das ist aber auch heute noch so- ist so Alltagsgeschichten zu schreiben oder, sagen wir auch wenns politische Gesi- Geschichten sind einfach n ganz einfachen Menschen zu Wort kommen zu lassen, //mmh// und nicht irgendwelche:: äh Verlautbarungen irgendwelcher Regierungs-mitglieder oder Entwicklungshelfer oder sonst irgendjemanden; //mh// sondern im im in die Gebiete zu fahren wo ich denke da ist n spannendes Thema //mmh// und mich da unter den Leuten umzuhören. Und das läuft ganz gut, das kommt auch ganz gut an bei der Zeitung. @(1)@

Zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit in Afrika nutzte Herr Backe sein eigenes Interesse als Orientierung für seine Berichte und machte damit eine eindeutige Übertragung von der Wahrnehmung der eigenen Person auf Andere. Seine eigene Erfahrung wurde demnach die Ausgangsbasis seiner beruflichen Praxis. Herr Backe gibt an, vorzugsweise Menschen zu zitieren, die keiner Elite angehören und deren Aussagen auch nicht manipuliert oder in eine bestimmte Richtung orientiert seien. Er unterstellt den »einfachen Menschen« damit implizit ein Stück mehr Ehrlichkeit als »Regierungsmitgliedern«, bei welchen er mit konstruierten Aussagen rechnet, um über tatsächliche Beweggründe oder Ursachen hinwegzutäuschen. Er sucht keine formellen Experten auf (hier werden »Regierungsmitglieder« und »Entwicklungshelfer« in eine Gruppe gefasst), sondern grenzt sich

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von diesen ab. Hierin wird deutlich, dass Herr Backe nach alltäglichen Geschichten und vermeintlicher Authentizität im »einfachen« Leben sucht. In seinem beruflichen Handeln geht sein Wunsch, die Lebenswelt Fremder zu verstehen, einher mit einer bestimmten beruflichen Praxis. So lässt er sich etwa nicht Geschichten erzählen, sondern »hört sich um«. Hier klingt eine gewisse Zurückhaltung an, wie sie schon in seiner beruflichen Selbstdarstellung aufgetaucht ist. Sowohl beim Sich-Umhören als auch beim Beobachten bleibt der Handelnde eher im Hintergrund. Diese berufliche Praxis schätzt Herr Backe als gelungen ein, da er es schafft, Interviews zu bekommen und damit auch Anerkennung von Seiten seiner Arbeitgeberinnen erlangt. Seine Orientierung auf die Geschichte des einzelnen Menschen lässt sich als zentral für Herrn Backes berufliches Handeln ansehen, da dies in verschiedenen Facetten immer wieder auftaucht (Passage: Private Kontakte): Backe:

und das ist natürlich auch n toller Aufhänger dann dass man dass anhand dessen (.) //mhm// dieser Person ne Geschichte über Bukawo oder über diesen ganzen Wahnsinn der im Kongo stattfindet äh zu erzählen; ne, das ist meiner Ansicht nach tausend mal spannender wenn ichs //ja// von soner Person äh erzählen kann; als wenn ich äh n großen Bericht drüber schreib wie jetzt die politische Lage im Kongo ist; //jaja// ja;

Dieser Orientierung liegt Herrn Backes Bedürfnis, die Lebenswelt der Menschen in Afrika so authentisch wie möglich darzustellen, zu Grunde und der Anspruch, ihr Handeln aus deren Perspektive darzulegen. Dies ist für Herrn Backe »spannender« und kommt seinem eigenen Wunsch entgegen, herausfinden zu wollen, was die Menschen bewegt. Herr Backe ist überzeugt davon, dass er imstande ist, die Lebenswelt der Anderen sowohl zu verstehen als auch darstellen zu können. Konnte bis hierher Sebastian Backes Orientierung an Individuen und deren Lebenswelt herausgearbeitet werden, so lässt sich im Folgenden stärker zeigen, wie sich diese Orientierung in seiner beruflichen Handlungspraxis niederschlägt. Sebastian Backe ist sich seines beruflichen Handelns sehr bewusst und stellt seinen Zugang zum Individuum als eine gezielte Strategie dar. In seiner Praxis folgt er einem Handlungsentwurf, welcher Garant für seine berufliche Tätigkeit sein soll. Die Zugangsebene zu seinen Interaktionspartnern ist bei Herrn Backe zunächst theoretischer Art, wobei seine »Sympathie« und sein »Verständnis« die Grundlage bilden. Herr Backe sucht im interkulturellen Handeln einen Weg, sich etwas zu erschließen, was zunächst befremdlich ist und Fragen aufwirft. Dabei konzentriert sich Herr Backe auf das Handeln und Erleben von Individuen und stellt diese dann in einen größeren politischen Zusammenhang. In seiner Beschreibung über die Entstehungsgeschichte einer Dokumentation wird seine Vorgehensweise ersichtlich (Passage: Berufliche Kontakte):

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Y: Backe:

und wie sind wie sind sie dann an die die ran gekommen? über meinen äh Büroangestellten Tom; (.) äh der das is n n Kenianer der sehr gut englisch und auch sehr gut inzwischen ganz gut deutsch spricht; //mhm// und (.) na das ist so so der wie nennt man das Dooropener gewesen ja, der wenn ich Tom gefragt habe sag mal kennst du ein MatatuFahrer, sagt der ja klar mein Nachbar ist einer //mhm// und insofern hat er mich eingeführt und und wenn Tom sagt das ist mein Boss und (.) der ist ganz vernünftig und nimm den doch mal mit n Tag dann macht der das auch; ja, das ist ja auch das Geheimnis äh auch aller nachfolgenden Geschichten immer gewesen dass ich mich immer auf Einheimische verlassen hab; //mhm// also es ist nicht so dass ich da als Weißer irgendwo durch den Slam marschier und irgendwo klopfe und frag wo wo ist das sondern ich versuch immer irgendwie äh äh son ja wird offiziell wird s immer als Fixer äh genannt aber ich brauch auch sehr sehr viele in sehr vielen Gebieten Dolmetscher weil die weder englisch noch französisch noch sonst irgendwas sprechen; //mhm// und ich nicht hausa oder oder kisuaheli oder oder lingala spreche; und das hat immer den Vorteil zum Beispiel wenn ich in den Kongo fahr dass ich dann sag mer mal n Dorfschullehrer hab; //mhm// und den da- den nehm ich als Übersetzer und der den bezahl ich natürlich auch; und (1) der führt mich dann immer so in seine Dorfgemeinschaft ein und wenn der Lehrer zum Pfarrer geht und oder zum Bürgermeister oder zum Rebellenchef; (.) dann dann werden die Türen aufgemacht; wenn ich dahin marschier dann (1) sind die Leute meistens sehr sehr verschlossen; //mhm// ja, (.) also man muss (.) das war für mich schon n n langjähriger Lernprozess; wie ich wie ich es schaffe dass ich von nem ganz gewöhnlichen Menschen der in nem Dorf aufm Land irgendwo in Afrika lebt äh n vernünftiges Interview herbekomme; //mhm//

Herr Backe stellt den Kontakt zu den für ihn relevanten Personen, in diesem Fall der Matatufahrer, über seinen Büroangestellten her, einen Zugang, den er regelmäßig sucht. Seine Erklärung für das Gelingen dieser Herangehensweise ist, dass der Büroangestellte Tom als Bindeglied, als Vermittler zwischen Fremden fungiert. Aus dieser Erfahrung, so Sebastian Backe, hat er eine Strategie entwickelt. Es handelt sich also nach seinen eigenen Angaben um einen Lernprozess. Dass dies nicht von vornherein offen und ersichtlich war, zeigt sich auch in der Wahl des Wortes »Geheimnis«. Für seine Strategie, weiß Sebastian Backe, gibt es durchaus eine gängige Bezeichnung (»Fixer«), welche er aber vermeidet zu benutzen. Er bezeichnet seine beruflichen Kontakte vielmehr nach der Art der Tätigkeit, die sie für ihn machen, also vornehmlich Dolmetscherinnen. Hier zeigt sich wiederum Herrn Backes personenbezogene Haltung. Er nennt seine Interaktionspartner beim Namen und gibt ihnen somit ein Gesicht. So spricht er etwa von »Tom« und von einem bestimmten Lehrer. Dies ist vor allem im Vergleich zu den Interviewpartnerinnen auffallend, deren Interaktionspartnerinnen nur

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abstrakt benannt werden oder die gar nicht als Individuen auftauchen, wie dies etwa bei Herrn Hamm in der Aneinanderreihung von Getötetenzahlen geschieht (Kap. 6.1.1). Zu seinem beruflichen Vorgehen hält Herr Backe fest, dass er aus einem Mangel eine Tugend gemacht habe. Seine fehlenden Sprachkenntnisse sind ein Umstand, der ihn geradezu dazu zwingt, mit Dolmetschern zu arbeiten. In Folge dessen wird die Dolmetscherin auch zu einer Kontaktvermittlerin, zu einem Menschen, der ihm Zugang zu einer fremden Lebenswelt verschafft. Dass es sich dabei nicht um einen alltäglichen Prozess handelt, sondern eine berufliche Strategie zu Grunde liegt, zeigt sich auch darin, dass Herr Backe auf die Bezahlung verweist. Die Art der Kontaktaufnahme ist für Herrn Backe eindeutig ein gezieltes berufliches Handeln. Diese Zielorientierung bezieht sich jedoch weniger auf Inhalte der Geschichten als vielmehr auf die Möglichkeit, authentische Einschätzungen, Gefühle und Erzählungen überhaupt zu erhalten. Dass an solch authentisches Material nicht einfach heranzukommen ist, musste Herr Backe erst erfahren. Das Prinzip des Mittelmannes, über welchen er Informationen von Einheimischen bekommen kann, hat sich erst mit der Zeit zu einer festen Herangehensweise in Herrn Backes Handeln etabliert. Dies sicherlich nicht zuletzt, als Herr Backe realisieren musste, dass Einheimische ihm als Fremdem zunächst eine Auskunft verweigerten (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

weil ähm (1) na ich habs immer andersrum rum gedreht wenn n Kenianer sagen wir mal in ein Oberbayrisches Dorf fährt und zum nächsten Bauern geht und sagt ich mach jetzt n Interview mit dir dann würde der Bauer auch sagen @schleich Dich@ und laß mich in Ruhe also warum soll ich mit dir reden; ja, //mhm// wenn aber dann der der Lehrer des Ortes dann zu dem Bauern geht (1) dann und sagt er braucht das da und dafür dann redet der mehr mit dem Lehrer, //mhm// und der Kenianer sitzt daneben und kriegt sein Interview was er haben will; ne, //mhm// und so funktionierts in Afrika auch ja, @(.)@

Herr Backe überlagert seine Erfahrung nachträglich mit einer für ihn logischen Erklärungstheorie, die einen Perspektivenwechsel beinhaltet. Er macht einen expliziten Vergleich mit einer entsprechenden Interaktionssituation in einer Region in der Bundesrepublik Deutschland (wobei Finanzen, Macht, etc. nicht thematisiert werden) und verweist damit auf ein universelles Verhalten von Menschen in Fremdheitssituationen. Dahinter steht ein Bild, dass zwischenmenschliche Kontakte nach bestimmten universalen Prinzipien vonstattengehen. Im Konkreten berichtet Herr Backe, wie er nach einem Scheitern durch Zufall auf die Möglichkeit stößt, über Dritte sich der Lebenswelt Fremder anzunähern (Passage: Berufliche Kontakte):

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Y: Backe: Y: Backe:

wie wie wie haben sie das gelernt? äh durch viel viele Situationen wo ich gescheitert bin und äh @(.)@ können sie da auch eine erzählen? ja, zum Beispiel ich bin dann nach Äthiopien gefahren und da da drohte wieder sone sone Hungersnot; //mhm// (.) und ich hab halt versucht mit Äthiopiern aufm Land Interviews zu führen; und (2) das ging halt nicht ja, also die die Leute reden nicht mit Fremden ja, //mhm// die haben immer Angst dass man wenn man weiß ist; und unbekannt ist; hat das was vielleicht mit der Regierung zu tun oder man steht man dann am nächsten Tag in der Zeitung und wird angeprangert; also die trauen sich einfach nicht da ist ein großes Misstrauen Fremden gegenüber; //mhm// und also das ist mir zumindest in Äthiopien so gegangen; und das ist halt schlecht wenn man tagelang unterwegs war und keinen einzigen Menschen wirklich zitieren kann; außer mit dem Satz ja wir haben halt Hunger und bring- bringt uns was; @(.)@ also damit kann man ja auch nicht nicht die großen Geschichten aus Äthiopien //mhm// erzählen; ja, und gelernt hab ich das ähm (1) was heißt gelernt, ich hab ich bin nun mal in Kongo gefahren; und da kam ich eben auf diesen Dorfschullehrer; durch Zufall und dann hab ich gemerkt das funk- das funktioniert ja hervorragend; //mhm// (.) und seitdem wende ich das Prinzip immer an; ich war gerade in Niger bei dieser äh drohenden Hungerskatastrophe; //mhm// und bin da nach Tara gefahren; das ist auch ne sehr abgelegene Region; (.) und (.) hatte dann n n n Dolmetscher dabei; n Übersetzer dabei der in Nigeria studiert hat und ähm (.) sich in der Gegend gut auskennt und natürlich hausa spricht; (.) //mhm// und der hat mir immer erklärt was man machen kann; was man nicht machen kann; und den hatte ich zwei drei Tage dabei und hab wirklich fantastische Interviews bekommen; ja,

Herr Backe beschreibt hier eine Situation, in der er mit seinem Wunsch, Informationen von Einheimischen in Äthiopien zu bekommen, gescheitert ist. Er bekam keine Aussagen und Kommentare von Einheimischen, wie er sich das vorgestellt hatte. Der Versuch, das zu bekommen, was er für seine Arbeit als notwendig ansieht (authentisches Material bzw. Tonbandaufnahmen), scheitert nach Herrn Backes Angaben am Verhalten der Anderen, an einer scheinbar unüberwindbaren Fremdheit. Es sind die Anderen, so Backe, die nicht kooperativ sind, und er erklärt dies durch deren Angst und Verdächtigungen. Die Anderen, so Backe, können ihn nicht richtig einschätzen und aus dieser Fremdheit resultiere eine Interaktionsverweigerung. Diese Erfahrung wird von Backe als für seine Arbeit ineffizient gewertet, was eine neue Strategie, ein Umdenken erzwingt. In seiner pauschalisierenden Erklärungstheorie, dass Menschen aufgrund von Misstrauen schematisch antworten würden, klingt an, was Herr Backe als Beziehungshindernis ansieht: mangelndes Vertrauen durch seine Position als Fremder. In einer beruflichen Strategie muss es folglich genau darum gehen, diese Komponenten klein zu halten, um damit seinem Anspruch, »große Geschichten« zu erzählen,

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gerecht zu werden. Der Zeitpunkt des Aha-Erlebnisses, also der Moment, wo die bisherigen Handlungsschemata bereits als unadäquat herausgearbeitet wurden, es aber noch keine neue erfolgreiche Handlungsstrategie gab, kommt zufällig auf einer Reise. Ungeplant trifft Herr Backe auf einen Menschen (den Dorfschullehrer), durch dessen Anwesenheit und Vermittlerposition er das erreichen kann, was er zuvor alleine versucht hat. Er erkennt, dass mithilfe einer anderen Person seine Intentionen erreicht werden können und übernimmt dieses zufällige Erfolgsrezept als eine berufliche Strategie. In einer nächsten Reise wird die Übernahme dieser Strategie als erfolgreich bestätigt und findet so Eingang in sein berufliches Selbstverständnis. Am Beispiel des Übersetzers in Niger weist Herr Backe auf zwei Komponenten hin, deren es seiner Meinung nach bedarf: Erstens ist sein theoretisches Wissen vonnöten (in der Erklärung der Situation, dass Tara eine abgelegene Region ist und eine Hungerkatastrophe droht) und zweitens braucht es das praktische Wissen des Übersetzers (in der Darstellung dessen, was wichtig für die Einheimischen ist, und damit der Relativierung des theoretischen Wissens für die Praxis), um einen Verstehensprozess in Gang zu setzen. So bekommt Herr Backe den persönlichen Zugang zu den Menschen, was ihm wichtig ist, und kann gleichzeitig diese Informationen in Bezug zu seinem Interesse und seiner Wahrnehmung der politischen Situation stellen. Neben dem Interesse an der Lebenswelt der Menschen und der Möglichkeit über vermittelte Kommunikation sich dieser Lebenswelt zu nähern, gibt es für Herrn Backe noch eine dritte wichtige Komponente, die sein Handeln in interkulturellen Situationen prägt. Es handelt sich um sein Menschenbild im Allgemeinen. Er führt dies in einer Erklärungstheorie in der Abschlusssequenz des Interviews aus (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

solange ich nicht seh dass alle Menschen gleich sind; und die gleichen Schmerzen; die gleichen Bedürfnisse; die gleiche Freude und den (.) und so weiter und so fort haben; solange werde ich keine keine vernünftige Berichterstattung machen; und es gibt leider meiner Ansicht nach viel zu wenig Menschen die das kapieren; //mhm// und ich hab diesen Schriftsteller schwedischen Schriftsteller Henning Mankell kennen gelernt in in Mosambik der da ein Theater betreibt; //mhm// und der hat eben auch diesen Satz gesagt; alle Menschen sind gleich und der hat ihn dann ergänzt sie drücken es nur auf wunderbar unterschiedlicher Art aus; //mhm// und man muss diese Unterschiede erkennen; immer auf der Basis dass alle gleich sind; ja, das hört sich @an wie ne Predigt@ aber das das is ne ne das ist n Erfolgsrezept dass man vernünftige Geschichten schreibt; mhm

Herr Backe sieht die Gleichheit aller Menschen als ein universal gültiges Prinzip an, welches die Basis für sein interkulturelles Handeln bildet. Eine theoretische Haltung wird zur Voraussetzung für sein Handeln und gleichzeitig Begründung

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für beruflich geplantes Handeln. Seine berufliche Praxis stellt Herr Backe als einer Vernunft verpflichtet dar, die sowohl Emotionalität als auch Gleichheit einen hohen Stellenwert einräumt. Verstehen kann, so Backe, nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden und eine Bedingung dafür ist die eigene Geisteshaltung. Mit seiner Selbstdarstellung positioniert sich Herr Backe als positiver Gegenhorizont gegenüber einer scheinbar unter Kolleginnen üblichen Haltung eines Eurooder Ethnozentrismus. Für Backe sind es »viel zu wenig Menschen, die das kapieren«. Er sieht ihren mangelnden Kontakt zu den Menschen in Afrika als Grund für ein rational und emotional nicht vollzogenes Verständnis. Damit wendet sich Sebastian Backe gegen eine pauschale, nicht auf das Individuum bezogene, eurozentrische Sichtweise, die dem Menschen und der Situation nicht gerecht werden. Herr Backe beteuert hier immer wieder, dass er erkannt habe und wisse, wie die Lebenswelt der Menschen tatsächlich aussehe, und auch nur mit diesem Wissen »vernünftiger« Journalismus betrieben werden könne. In dieser Haltung wird er von einem europäischen Schriftsteller bestätigt. Dessen Aussage übernimmt er in sein eigenes Repertoire und entwickelt daraus eine Pflicht für sein berufliches Handeln. Herrn Backes Haltung ist geprägt durch eine Überzeugung der Richtigkeit seiner Herangehensweise, gepaart mit einer Ablehnung, einem in einem negativen Gegenhorizont entworfenen Bild eines Journalisten, der Unterschiede im Handeln und Denken ethnisch begründet unterstellt. Dies bringt Herr Backe auch im Abschluss seiner Argumentation nochmals hervor, wo er sich seiner deterministischen Haltung auch bewusst wird und auflachend die Wirkung seiner Worte kurz reflektiert (»das hört sich @an wie ne Predigt@«). Dies führt aber nicht zu einer Distanzierung oder Ausdifferenzierung, sondern vielmehr bekräftigt Herr Backe seine Theorie mit dem Argument, dass seine Haltung ein Garant für Geschichten sei, die sinnvoll seien. Wie Herr Backe zu dieser Wahrnehmung gekommen ist, begründet er selbst mit seinen Erfahrungen von Fremdheit, wie er sie in Afrika gemacht hat (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Y: Backe:

sind Sie mit dem (.) schon nach (.) Ke- Kenia gegangen oder ist das oder nein ich habs kennen geler- also ich hab das erst erfahren in Afrika; //mhm// weil wenn ich (.) irgendwie was weiß ich durch n durch n Tschad fahre oder durch n Kongo wandere dann ist das ja ne hoch exotische und völligst fremde Welt für mich; ja, //mhm// man glaubt immer dass die Menschen fremd sind und ganz anders ticken als als man selbst tickt; //mhm// (1) und (.) meine Erfahrung ist aber im Nachhinein ist dass ich dass die alle gleich ticken; ja, //mhm// also die sind im Kongo vielleicht mehr @abergläubisch@ als wir es sind; aber so- sobald ich weiß warum sie es sind; und und dass sie es sind; (.) ähm kann ich die viel besser erklären; solche Menschen viel besser erklären als wenn ich schreib mein Gott die sind halt alle so exotisch und fremd; ja, //mhm// ja (3)

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Y:

Backe:

wenn ihnen alle so gleich sind und und (3) wie gehen sie dann mit den Besonderheiten um, also sie haben jetzt gesagt sie drücken das auf unterschiedliche Art und Weise //mhm// aus; und das ist ja na ich muss nein das ist ja nicht so dass ich immer schreib die sind alle gleich; //ja ja genau// (sonst das is das is ja) n (.) //ne Bas- // Bewusstseinszustand //mhm// sozusagen; ja, also wenn ich mit Menschen in Kontakt trete; //mhm// (.) und ich darf nicht von vornherein Menschen (.) nur weil weil sie fremd und exotisch (.) äh wirken fremde und exotische Gefühle unterstellen; ja, //mhm// also das ist einfach (.) n Fehler; und der wird sehr sehr oft gemacht; ja,

Sebastian Backe beschreibt, wie er eine Andersheit der Anderen selbstverständlich wahrnimmt (auch heute noch), jedoch durch einen rationalen Willensakt von einer Gleichheit aller Menschen ausgeht. Das Fremde, womit er sich auf die Orientierung anderer Menschen bezieht und deren fremdes Verhalten, welches für ihn unberechenbar scheint, wirkt auf ihn unmittelbar. Darauf folgen jedoch eine Reflexion der eigenen Position und die Feststellung der Relationalität von Fremdheit. Retrospektiv gleicht Herr Backe seine Wahrnehmung und Einschätzung einerseits (»exotische und völlig fremde Welt«) mit seinem Menschenbild und seiner Erfahrung (»alle gleich ticken«) ab. Daran anschließend verdeutlicht er (mit dem Hinweis auf den Aberglauben im Kongo), dass eine Differenzierung und alternative Interpretation des Verhaltens der Fremden auch durch ein theoretisches Wissen entsteht. Er dekonstruiert den Aberglauben und sieht in ihm gewisse Bedürfnissen der Menschen und diese Bedürfnisse, so Backe, sind wiederum für die Menschheit universell gleich. An diese explizite Darstellung seines Menschenbildes und dessen Einfluss auf seine Arbeit, schließt sich Herrn Backes implizites Aufgabenverständnis an: das Erklären. Die Motivation des Erkennens und Verstehens der Lebenswelt der Fremden hängt eng zusammen mit Herrn Backes Wunsch, diese »fremde« Welt zu erklären. Wie Herr Backe den rationalen Schritt der Wahrnehmung von Gleichheit vollzieht, dokumentiert sich in seiner Erläuterung, dass er davon ausgeht, dass die anderen Menschen nur auf ihn »exotisch« wirken, es aber in ihrem Sein nicht sind. Nur seine Betrachtung bringe dies mit sich, erfasse aber nicht den Menschen in seinem ganzen Sein. Durch diese Distanzierung von der eigenen Wahrnehmung schafft es Sebastian Backe, sich die Menschen künstlich vertraut zu machen. Erst diese Meta-Ebene macht es möglich, der Wahrheit näher zu kommen, ansonsten verbleibe man, so Backe, in der Unterstellung und das sei »n Fehler«. Herr Backe betont, dass er dabei die Andersheit der Anderen nicht übersieht, sondern dass er sich dieser nähere, an deren Leben teilhabe und mit Faszination darüber berichte. Die Unterstellung von Gleichheit sieht er aber als notwendiges Prinzip dieses Einlassens an. Dabei handelt es sich um einen bewussten, rationalen Akt, welcher nicht selbstverständlich entsteht (Passage: Berufliches Selbstverständnis):

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Backe:

das ist einfach ne ne ne Mischung aus aus ähm Ausbildung und und Erfahrung. (.) und wie gesagt es ist alles banal man muss man muss nur drauf kommen @(.)@ //@(.)@// also man vergisst es immer weil man sich von dem Fremden oft so abschrecken lässt; ja, //ja// was heißt abschrecken so so oft so blenden lässt; ja, ja;

Das Hineinversetzen in die Lebenswelt der Fremden entspricht nicht einem routinierten Handeln. Es ist Mittel zum Zweck des Verstehens und Interpretierens. Denn das Fremde, so Sebastian Backe, rufe zunächst Distanz hervor (»abschrecken«) bzw. es lege scheinbar falsche Fährten (»blenden«). Im Wissen aber, dass alle Menschen gleiche Bedürfnisse haben, sieht Herr Backe seine Möglichkeit, die Fremdheit zu überwinden und sich konkret den Lebenswelten der Fremden zuzuwenden und diese so authentisch wie möglich zu beschreiben. Aus dem Interview mit Herrn Backe hat sich sehr detailliert herausarbeiten lassen, wie über vermittelte Kommunikation ein Verstehen der Lebenswelt des Fremden vonstattengehen kann. Im Fall von Herrn Backe handelt es sich dabei um einen sehr bewussten Akt seines beruflichen Handelns. Im Interview mit CLAUDIA STÖCKER, AUSLANDSKORRESPONDENTIN IN KENIA, lässt sich in Ansätzen eine ähnliche Vorgehensweise des Fremdverstehens erkennen. Ebenso wie Herr Backe sucht Frau Stöcker den Zugang zu einem ihr bis dato fremden Milieu über Kommunikation. Weit weniger als bei Herrn Backe handelt es sich dabei um eine Strategie und der Fokus liegt auch nicht auf dem beruflichen Handeln. In der Haltung des Zuhörens und Verstehen-Wollens der alltäglichen Erfahrungswelt zeigt sich aber eine Parallele. Frau Stöcker berichtet über das Verhalten ihrer einheimischen Freunde und ihrer Art des Umgangs damit (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis): Y:

Stöcker:

aber, also was mich da jetzt interessiert, das is ja so, das find ich ja ganz spannend ((mhm)) wenn du so sagst ja die, zum Beispiel (.) die kritisieren nich und so. ist das was was du beispielsweise über dei- über den Journalismus halt entdeckst indem du mit Leuten redest oder ist das was was du eben wahrnimmst? also das is auch was was mich halt interessiert. also das, ja das, ähm (.) das kriegt man mit im Umgang mit mit Leuten in den verschiedensten Lebensbereichen. //mhm// und, ich hab ja auch kenianische Freunde, (.) und äh da seh ich halt wie die, ((hustet)) wie die auf ähm (.) wie die auf mich reagieren, einfach und wie die ihre, wenn die sagen, ja das und das Problem habe ich jetz und das hab ich jetzt so und so gemacht. //mhm// oder so und so stell ich mir mein Leben vor, das: daher weiß ich das. //mhm// daher weiß ich das. und des, ich hab auch gelernt zum Beispiel, dass ich was ich vor drei Jahren, also bestimmte Dinge zu akzeptieren die ich vor drei Jahren, wo ich gedacht hab also mit dem Menschen könnt ich nich befreundet sein, zum Beispiel (.) jemand der ins in die Kirche geht. //mhm// für mich is Religion,

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((Klatschgeräusch)) ich geh nicht in die Kirche, was=was mach ich denn da? und schon gar nicht junge Leute und hier gehen ganz ganz viele junge Leute in die Kirche. in Deutschland macht das ja auch kaum eine. und ähm, (.) guter Freund von mir, inzwischen nen guter Freund, wann hab ich den denn kennen gelernt? (.) ja, fast vor zwei Jahren ungefähr, ja vor fast zwei Jahren. //mhm// der hat mir von Anfang=an erzählt er geht jeden Sonntag in die Kirche, und da dacht ich immer so häää, und dann (.) hatten wir da ewich lange Diskussionen drüber und er hat ne völlich andere (.) ja Einstellung dazu=zu vielen Dingen, zu (.) zu kat- er is halt katholisch //hm// und dann hatten wir ne riesen Diskussion über die katholische Kirche, und äh ich war, ich hab halt gesagt äh dass ich es fast nen Verbrechen finde wenn die katholische Kirche Kondome verbietet, //mhm// angesichts der Weltsituation, und er hat es halt von seinem katholischen Standpunkt, äh:: hat seinen katholischen Standpunkt vertreten und wir ham uns tierisch gestritten, aber (.) früher hätt ich dann sofort solche Leute, ah ts mit dir kann ich nicht reden. Das sin- für mich wärn da so Welten gewesen in in in den Auffassungen, und ich dachte man kann nur befreundet sein mit Leuten, die zumindest auf derselben Wellenlänge ticken. //mhm// aber wir sind trotzdem Freunde und das wär mir in das, ich weiß nicht, in Deutschland hab ich so was nich. //mhm// und ich bin nicht mit ihm befreundet weil ich denke ich lebe jetzt hier und muss mit einem Keni- Kenianer befreundet sein sondern, weil da, weil wir in vielen andern Dingen (.) Sachen sagt wo ich denke uh, er Recht, uh ja, da jetzt versteh ich warum jemand so und so handelt, also äh meine Freund helfen mir einfach zu verstehen, warum Dinge so funktionieren //mhm// wie sie hier funktionieren.

Die Nachfrage der Interviewerin greift eine Aussage von Frau Stöcker auf (»die kritisieren nich«), in der sie sich auf ein bestimmtes Verhalten von Afrikanerinnen bezogen hat und fragt nach der Erfahrung, die einer solchen Erkenntnis bzw. Einschätzung zu Grunde liegt. Dabei unterscheidet die Interviewerin zwischen dem Dialog, der durch eine berufliche Interviewsituation entsteht, und dem reinen Beobachten einer Interaktion. In beiden Fällen wird implizit darauf Bezug genommen, dass es sich bei der vorangegangenen Beschreibung von Frau Stöcker um eine neuartige Erkenntnis handelt. Frau Stöcker greift keine der beiden Alternativen auf, weder die Beobachtung noch das Gespräch, sondern führt ihre eigene Erfahrung als Rahmen für das Thema ein. Die Lebenseinstellung und das Verhalten der Einheimischen ist für sie nichts, was sie nur beobachtet oder was ihr erklärt wird, sondern es ist ein Mitbekommen, ein Erfahren, was sie in der »man« Perspektive auch als eine Selbstverständlichkeit hinnimmt. Auch von der Vorgabe (der Interviewerin) des beruflichen Zugangs zu den Erfahrungswelten Einheimischer löst sich Frau Stöcker und spricht von »verschiedensten Lebensbereichen«. Mit dem Verweis auf ihre einheimischen Freunde setzt Frau Stöcker den weiteren Rahmen des Themas Zugang zur Erfahrungswelt und fokussiert auf

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ihr Privatleben. Frau Stöcker trennt nicht klar zwischen Berufs- und Privatleben und ihr Bild über Einheimische und ihr Verständnis für deren Handeln entsteht in unmittelbaren Begegnungen freundschaftlicher Art. Nachdem Frau Stöcker den Rahmen der Ausarbeitung des Themas gesetzt hat, differenziert sie zwei Herangehensweisen oder Praktiken, die dazu führen, dass sie sich ein Bild über das Verhalten und die Einschätzungen der Einheimischen machen kann. Dies ist zum einen die Reaktion ihrer Freundinnen auf ihr Verhalten, zum anderen ist es die Beobachtung der Art und Weise wie ihre afrikanischen Freundinnen ihre Probleme lösen. Explizit bezieht Frau Stöcker sich dabei auf die Aussagen ihrer Freunde, die ihr mit ihren Worten ihre Perspektive und Herangehensweise darlegen. Sie beschreibt, wie sie es im Laufe der Zeit geschafft habe, sich ein ihr fremdes Milieu zu erschließen. Ihr eigener Lernprozess ist für sie dabei von hoher Bedeutung. Insbesondere ihre Akzeptanz gegenüber anders denkenden Personen ist etwas, was sie für sich als nicht lange zurückliegende Veränderung wahrnimmt. Dabei geht es nicht um eine abstrakte tolerante Haltung, sondern konkret um die Frage des Umgangs mit Menschen. Diesen Prozess der inneren Wandlung elaboriert Frau Stöcker anhand eines Beispiels. War sie früher nicht bereit mit jemand Freundschaft zu schließen, der in die Kirche geht, weil sie keinen Sinn in einer solchen Beschäftigung sieht, hat sie inzwischen einen Freund, der regelmäßig sonntags zum Gottesdienst geht. Frau Stöcker wusste, dass ihr Bekannter in die Kirche geht, konnte es aber nicht verstehen. Dahinter steckte, wie sie deutlich macht, ihre Einstellung zur katholische Kirche und deren Doktrinen. Auf kommunikative Weise kam es zu einer Annäherung zwischen ihr und ihrem Bekannten, wobei Frau Stöcker betont, dass beide Seiten ihre Sicht auf die Dinge zum Ausdruck bringen konnten. Der Streit, der sich im Laufe dieser Auseinadersetzungen ergab, führte nicht zu einem Kontaktabbruch, was Frau Stöcker als mögliche Reaktion antizipiert. Vielmehr erlebt Frau Stöcker in der Auseinandersetzung, dass sie trotz unterschiedlicher Weltanschauung (»für mich wärn das so Welten gewesen«) mit jemandem eine Freundschaft haben kann. Dies stellt sie als eine neue Erfahrung dar und bringt sie in Verbindung mit ihrem Aufenthalt in Afrika (»in Deutschland hab ich so was nich«). Hier zeigt sich, wie bemüht Frau Stöcker ist, den »Standpunkt« ihres Freundes verstehen zu können und wie sich ihr grundsätzlicher Anspruch an eine Freundschaft verschiebt. Der Andere muss nicht auf »derselben Wellenlänge ticken«, um aus der Interaktion etwas Positives ziehen zu können. Das Erklären des fremden Milieus und ihr Wunsch des Verstehens sind nun Kriterien für Frau Stöcker geworden.

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Frau Stöcker möchte aber ihre Freundschaften nicht als funktional gedacht sehen im Sinne einer Konvention, sondern als Möglichkeit, durch die Aussagen ihrer Freundinnen und das Beobachten ihres Verhaltens Zugang zu einem fremden Milieu zu erhalten. Ihre Orientierung liegt auf der Perspektive ihrer afrikanischen Freunde und deren individuellen Erfahrungswelten. Sie geben ihr Aufschluss über Beweggründe für bestimmtes Handeln und ermöglichen ihr Zugang zu authentischen Erfahrungen. Die individuellen Erfahrungswelten der Einheimischen können, so deutet es sich bei Frau Stöcker an, nur durch Interaktion mit ihnen und der Reflexion über eigenes und fremdes Verhalten erfasst werden. Diese Orientierung an der Lebenswelt der Einheimischen und deren Perspektive auf das Geschehen um sie herum hat Frau Stöcker mit Herrn Backe gemeinsam. Beiden geht es um authentische Erfahrungen und beide suchen einen Weg, um sich die Erfahrungswelt der Fremden zu erschließen. Sowohl für Herrn Backe als auch für Frau Stöcker wird es offensichtlich, dass allein mit ihrer eigenen Perspektive ein Verstehen begrenzt ist, und sie sehen es als notwendig an, ihrem Gegenüber Raum zu geben, seine Perspektive auszubreiten. Dies kann durch zurückhaltende Beobachtung geschehen, durch ein Sich-Hineinversetzen in die Situation des Anderen oder auch über einen kommunikativen Austausch. Eine Voraussetzung für eine solche Interaktion ist für Herrn Backe sein Menschenbild der Gleichheit aller Menschen. Wenn Frau Stöcker auf eine gleiche »Ebene« verweist, die gegeben sein muss, spricht sie damit ebenfalls eine derartige Voraussetzung für ihr interkulturelles Handeln an (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis): Stöcker:

und ähm das is=zum Beispiel auch was was im Tschad nicht möglich gewesen wäre, weil im Tschad, die Leute sind so arm, da (.) da hat kaum einer so ne ähnliche Bildung wie ich, //mhm// also is ja auch immer eine Bildungsfrage, und ähm (.) und v:om Geld ganz abgesehen. also wenn man da ma mit jemanden abends nen Bier trinken gehen will dann is klar, dass man den einlädt. //mhm// was ja aus=für aus unserer Sicht ja schon immer, ah man will den jetzt nicht beschämen. das heißt man muss sich dann vorher dreimal überlegen mach ich das jetzt überhaupt ohne den zu beschämen und wie mach ich das. //mhm// hier, ähm ich bin für viele Kenianer sicherlich immer noch die reiche Weiße, aber ich bin längst nicht so reich wie viele Kenianer. //mhm// das heißt äh so mit Leuten in meinem Alter also das das funk- dann das funktioniert dann schon so ungefähr auf auf einem auf einem Level auch vom Geld her. und ähm ich werd ständich eingeladen wenn wir ausgehen oder wir teilen das alles also, da hätt- also ich ich weiß auch nich, ich glaube es kommt auch drauf an wo man nach seinen Freunden sucht. //mhm// also (.) zum Beispiel ich hab ähm andere ähm Freiberufler, Journalisten die freiberuflich arbeiten, die nur freiberuflich arbeiten, zwei Holländer zum Beispiel. deren einzige Kontakte zu Kenianern sind ähm die die sie halt interviewen zum Beispiel, was ja immer sehr oberflächlich is, weil man interviewt

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die Leute und sieht sie nie wieder, //mhm// oder Leute die sie in Bars kennen lernen. //mhm// und ähm die Leute die ich kennen lerne, also die meisten hab ich jetz über [die Bildungsorganisation] kennen gelernt. //hm// zum Beispiel und das ist ne ganz andere Ebene. //mhm// klar, vielleicht liegts auch wirklich an der Bildung, aber

Nachdem Frau Stöcker geschildert hat, wie sie durch Kommunikation und Interaktion mit Einheimischen in Kenia Zugang zu deren Sichtweise und Perspektive erlangt, macht sie in dieser Passage deutlich, welche Ausgangsbedingungen sie als notwendig für Freundschaften erachtet. Im Vergleich zu ihren Erfahrungen im Tschad arbeitet Frau Stöcker ähnliche finanzielle Voraussetzungen als eine notwendige Bedingung für ihr interkulturelles Handeln heraus. Im Tschad erlebte Frau Stöcker damals, dass sowohl ihr Bildungsstatus als auch ihre finanzielle Situation eine Begegnung erschwerten. Dies führt sie am Beispiel des gemeinsamen Ausgehens an. Eine implizite Verhaltensregel, nämlich, dass sie bezahlt, wenn sie mit Einheimischen ausgeht, bringt Frau Stöcker dazu, ihr Verhalten vorsichtig einzuschätzen und neue Verhaltensstrategien zu entwickeln. Die Problematik der unterschiedlichen ökonomischen Verhältnisse wie im Tschad sieht Frau Stöcker so in Kenia nicht gegeben. Zwar antizipiert Frau Stöcker, dass sie für einige Einheimische die »reiche Weiße« sei, macht aber deutlich, dass im Verhältnis zu anderen Einheimischen eine solche Unterstellung nicht stimmt. Claudia Stöcker bezieht sich dabei auf ihren Erfahrungshintergrund, wo bei gemeinsamen Aktivitäten Geld kein trennender Faktor ist, vielmehr das Einladen auf Gegenseitigkeit beruht und gemeinsames Ausgehen »funktioniert«. Dies schreibt Frau Stöcker vor allem dem ähnlichen Alter und der ähnlichen finanziellen Ressourcen ihrer Freunde zu. Frau Stöcker fragt sich also an dieser Stelle, wie sie von den Einheimischen wahrgenommen wird, und nimmt somit einen Perspektivenwechsel vor, ähnlich wie Herr Backe, der gedankenexperimentell sich in einen Oberbayern versetzt, der von einem Fremden befragt wird. Es geht also um die Mithineinnahme der Perspektive ihres Gegenübers bei einer gleichzeitigen Orientierung am eigenen Erfahrungshintergrund. Im Weiteren nennt Frau Stöcker neben den ähnlichen finanziellen Ressourcen, einem ähnlichen Bildungshintergrund und einem ähnlichen Alter noch einen vierten Faktor für das Gelingen einer Freundschaft: das Interesse an langfristigen Kontakten. Implizit schwingt dabei mit, dass Frau Stöcker in kurzen, auch zufälligen Kontakten, wie etwa durch das Interviewen als Journalistin oder an der Bar, das Entstehen einer gemeinsamen »Ebene« als unwahrscheinlich annimmt. Geht es ihr, wie zuvor erwähnt, darum, mit ihren Freundinnen und Bekannten auf eine Ebene zu kommen, die sowohl einen unkomplizierten Umgang in Bezug auf Freizeitaktivitäten beinhaltet, als auch die Möglichkeit eines Lernens durch Kommunikation, so wird verständlich, dass es für Frau Stöcker durchaus relevant ist, wen sie kennen lernt. Inwieweit Frau Stöcker ihre Herangehensweise an den Kontaktaufbau bewusst geplant hat, kann an dieser Stelle nicht gesagt werden,

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deutlich wird jedoch, dass es sich um ein bewusstes Vorgehen handelt. Frau Stöcker »sucht« Bekanntschaften an ganz bestimmten Orten. Dieses Vorgehen hat sich für Frau Stöcker als sehr erfolgreich bewährt, hat sie doch im Unterschied zu ihren erwähnten Kollegen tatsächlich engeren Kontakt zu Einheimischen. Ihre eigene Handlungspraktik führt Frau Stöcker in Abgrenzung zu ihren Kollegen aus und verweist in diesem Zusammenhang nochmals auf den Begriff der »Ebene«, die sie vor allem durch den Faktor »Bildung« gegeben sieht, auch wenn sie dies eher zögerlich hervorbringt (»vielleicht«, »aber«). Frau Stöcker benennt ebenso wie Herr Backe, notwendige Bedingungen, um Zugang zur Erfahrungswelt von Fremden zu erlangen, im Unterschied zu ihm, geht es ihr aber vielmehr um eine bereits bestehende Basis, auf die zurückgegriffen werden kann, weniger um das Erstellen einer Basis in einer ganz konkreten Interaktion. Die Erfahrungswelt der Fremden erschließt sich für Frau Stöcker hauptsächlich über eine vertrauensvolle Freundschaftsbeziehung, die auf Langfristigkeit und Gemeinsamkeiten des Habitus angewiesen ist. So sucht sie ihre Freunde auf der Basis vieler Gemeinsamkeiten, anders als Herr Backe, der über eine abstrakte theoretische Ebene die Gleichheit aller Menschen als Ausgangspunkt für sein interkulturelles Fremdverstehen proklamiert. In beiden Fällen handelt es sich in gewissem Maße um eine Suche nach einer symmetrischen Beziehung. Kann die, wie im Fall von Herrn Backe, nicht direkt hergestellt werden, ist vermittelte Kommunikation eine Möglichkeit, an die Erfahrungswelt der Einheimischen zu gelangen. Hier unterscheidet sich berufliches Handeln und Handeln in privaten Situationen deutlich. Frau Stöcker braucht gleiche Interessen und Orientierungsgemeinsamkeiten, um über eine Freundschaft das Fremde zu verstehen. Wohingegen Herr Backe eine berufliche Strategie entwickelt hat (inklusive Bezahlung), über vermittelte Kommunikation der Lebenswelt der Fremden nahezukommen und sie verstehen und erklären zu können. Im Typus ›Verstehen des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ ist das interkulturelle Handeln geprägt durch den Wunsch und die Praxis des Verstehens der Lebenswelt der Einheimischen. Diese erschließt sich über authentische Erzählungen, Beobachtungen und Perspektivenwechsel. Vom Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1) unterscheidet er sich auf der Ebene der Interaktion dadurch, dass Menschen nicht primär als Informanten von Daten gesehen werden, sondern als Träger eines konjunktiven Wissens. Ein weiterer Aspekt, der die beiden Typen unterscheidet, lässt sich in der Herangehensweise zeigen. Ließ sich im Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1) die Beschäftigung mit Sekundärliteratur und einer theoretischen Handlungszuschreibung aufzeigen, ist das Handeln des Typs ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 5.1.2) geprägt durch Beobachtung und Interpretation von Erfahrung.

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5.2 Praxis der interkulturellen Interaktion Wurden in Kapitel 5.1 Formen des Fremdverstehens rekonstruiert, welche zum Teil einen hohen analytischen Anteil haben, wird im Folgenden verstärkt die interaktionale Praxis der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer mit der lokalen Bevölkerung rekonstruiert.

5.2.1 Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden Wer in einem Land lebt und arbeitet, kommt unweigerlich mit den Bewohnern des Landes in Kontakt. In den seltensten Fällen schirmen sich Gruppen so gegenseitig ab, dass Interaktionen untereinander überhaupt nicht stattfinden. Nun lassen sich in meinem empirischen Material Fälle finden, in denen die Interaktion mit der einheimischen Bevölkerung schwer fällt, in nur sehr geringem Maße vorkommt oder gemieden wird. Aus dem empirischen Material lassen sich verschiedene Phänomene der Distanzierung aufzeigen und Gründe herausarbeiten, die dazu führen. Ein Rückzug in europäische oder deutsche Freundeskreise, die Verweigerung der Zusammenarbeit mit Einheimischen, die Rückkehr nach Deutschland oder auch eine emotionale Distanzierung sind Phänomene, die ich unter »Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden«15 fasse. Diese lassen sich sowohl in beruflichen als auch privaten Situationen finden. Die Distanzierung betrifft die ganze Existenz der Handelnden und bringt sie bisweilen dazu, die Interaktion mit Fremden zu verlassen, und zwar sowohl physisch, also konkret sich einer Auseinandersetzung zu entziehen oder diese zu meiden, als auch psychisch, durch emotionale Distanzierung und die Einnahme einer reinen Beobachterposition. Dabei nimmt der Handelnde eine Position ein, die sich außerhalb der unmittelbaren Interaktionssituation befindet, und beobachtet und beurteilt die Situation und den Anderen aus einer gewissen Distanz. An manchen Stellen kann rekonstruiert werden, ob diese Distanzierung einem Handlungsentwurf folgt oder ob sie sich eher spontan aus einer unmittelbaren Erfahrung ergibt. Warum sollte nun unterschieden werden, ob eine solche Distanzierung im Sinne eines geplanten Handelns stattfindet oder sich ohne bewusste Entscheidung als ein Typus des Handelns entwickelt hat bzw. darstellt? Eine solche Unterscheidung dient der Ausdifferenzierung des rekonstruierten Handelns und schafft somit weitere Perspektiven auf die Bedingungen interkulturellen Handelns. Sie ist insofern von Relevanz, als sich zwischen habitualisiertem, reflektiertem und spontanem Handeln unterscheiden lässt. Im spontanen 15 Den Begriff des Fremden verwende ich, um deutlich zu machen, dass es sich hier um den Aspekt von Fremdheit handelt, welcher auf eine trennende Erfahrungsdimension fokussiert und eventuell bestehende verbindende Elemente für die Handelnden an Relevanz verlieren. Dabei handelt es für die interviewten Personen eben nicht nur um die Konfrontation mit einem Anderen, sondern um ein Erleben von Fremdheit als Unsicherheit und Abgrenzung.

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Handeln bekommt die Situation einen höheren Stellenwert. Reflektiert-geplantes Handeln verweist dagegen auf Aspekte von Lern- und Bildungsprozessen und fokussiert auf die Ratio. In habitualisiertem Handeln dokumentieren sich gemachte Erfahrungen und Gewohnheiten. Die Weltanschauungen und Orientierungen der Personen treten in ihrer Bedeutung für das Handeln hervor. Dass die Rekonstruktion des Verlaufs eines bestimmten Handlungstyps nicht einfach ist, wird sich im Folgenden noch zeigen. Nicht immer kann abschließend festgestellt werden, wann und wie ein Handeln zu einem bewussten, geplanten Handeln wurde, noch können kausale Schlüsse gezogen werden.

5.2.1.1 Distanz in der beruflichen Situation Eine Distanzierung zur einheimischen Bevölkerung im beruflichen Bereich ist im Fall der professionell im Ausland Tätigen nur begrenzt möglich. Es handelt sich dabei niemals um einen Abbruch der Interaktion als solcher, sondern vielmehr um eine gewisse innere Haltung der Distanz und Beobachtung. Diese Beobachtungshaltung geht selbstverständlich einher mit einer Wahrnehmung und Einschätzung der Interaktionspartner. Das eigene Handeln steht in engem Zusammenhang mit der Interpretation der Haltung des Gegenübers. Im Unterschied zum Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1) liegt der Fokus nicht auf der Beschaffung und Anwendung theoretischen Wissens, sondern auf dem praktischen Erleben von Distanz. Es lassen sich dabei drei verschiedene Phänomene der Distanzierung herausarbeiten: Eine innere, emotionale Distanzierung, welche spontan oder reflektiert entsteht, eine Meidung von Interaktion mit Einheimischen und der Rückzug in die Privatsphäre, welche sowohl spontan als auch zuvor geplant stattfindet, sowie fehlende Interaktionsmöglichkeiten mit Einheimischen aufgrund veränderter politischer und beruflicher Bedingungen, welche sich ergeben. Ein Phänomen der Distanzierung in beruflichen Situationen, welche in dieser Studie rekonstruiert werden, ist ein innerer Rückzug aus einer Situation, in welche die Akteure im Rahmen ihres beruflichen Handelns geraten sind.

Innere Distanzierung LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA argumentiert, dass eine innere Distanzierung notwendig ist, um die psychischen Folgen seiner Berichte über Kriegsgebiete einzugrenzen. Auf die Frage der Interviewerin, ob er sich als ein »Fürsprecher für Afrika« sieht (anknüpfend an seine Ausführungen, ein »Kriegsreporter« geworden zu sein, obwohl er sich vorgestellt hatte, »Bilder eines anderen Afrikas« zeichnen zu können), reagiert Herr Holmes distanzierend und bezieht sich auf die Ebene der reinen »Feststellung« (Passage: Beruflicher Umgang):

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Y: Holmes:

und sind Sie so was wie ein Fürsprecher für Afrika? oder, nein ich bin Journalist. ich hab keine Meinung; ich stelle fest. //mhm// ah ich schildere Sachverhalte; ähm mehr auch nicht. natürlich hab ich ne Meinung ah die Meinung die, die schreibe ich auch aber das ist dann klar gekennzeichnet als Kommentar; ah ich ich lasse das nich in meine Reportagen einfließen; ich bilde mir (1) ein ah dass ich die ganzen Kriege und diese ganzen Grausamkeiten die ich in den letzten Jahre gesehen hab auch deshalb relativ gut wegstelle weil wegstecke weil ich diese Geschichten nicht an mich ran lasse; //mhm// das ist nicht mein Krieg ich berichte nur darüber aber ich ich bin weder passiver noch aktiver Teilnehmer und insofern (2) hab ich auch keine vorgefasste Meinung //mhm// hoffe ich zumindest //mhm// (5)

Herr Holmes verneint die Frage der Interviewerin, die impliziert, er würde eine bestimmte Position beziehen und eine Einflussnahme intendieren, und bezieht sich dabei explizit auf seinen Beruf und einen damit verbundenen Berufsethos. Hier taucht deutlich Herrn Holmes Aufgabenverständnis von Journalismus im Allgemeinen und in Bezug zur eigenen Person im Besonderen auf. Herr Holmes argumentiert entlang eines offiziellen Berufsverständnisses vom Journalismus. In der Aussage: »ich bin Journalist« ist sein Berufsethos und sein berufliches Selbstverständnis explizit gemacht. Was genau dies bedeutet, fügt Herr Holmes daran anschließend an: keine Meinung in die Reportage einfließen zu lassen und die reine Darstellung von Gegebenheiten.16 Damit ist seine Perspektive klar umrissen und er erlaubt auch keine weiteren Hinzufügungen (»mehr auch nicht«). Herrn Holmes Distanzierung von seiner eigenen Person hin zu einer rein beruflichen Identität wird von ihm dann aber insofern relativiert, als er nicht generell in Abrede stellt, eine Meinung zu haben, dies aber journalistisch kenntlich machen würde. Eine deutliche Trennung von seiner Emotionalität und der distanzierten Berichterstattung ist für Herrn Holmes unerlässlich. Seine eigene Erfahrung hat ihn gelehrt, dass er seine Beobachterposition durchaus verlassen kann und dann in 16 Eine Orientierung an »Objektivität« und an einer »wahrheitsgemäßen Berichterstattung« kann eindeutig als ein typisches berufsspezifisches Aufgabenverständnis gelesen werden. Die ›Wahrheit‹ ans Licht zu bringen und über Tatsachen zu berichten, sind zentrale Grundsteine journalistischen Arbeitens. Spinner (1988) spricht von einer »Verpflichtung zur Wahrheit«, der sowohl Wissenschaftler als auch Journalisten verpflichtet seien (vgl. ebd.: 257 ff.). Ebenso findet sich im Pressekodex (Pressekodex des Deutschen Presserats, Ziff. 2) eine Verpflichtung zu einer unverfälschten Berichterstattung. Im Bayrischen Rundunkgesetz heißt es: »Objektivität und Überparteilichkeit« müssen gewahrt sein (vgl. Bayrisches Rundfunkgesetz, Artikel 4, Ziff. 7). Die Möglichkeit »Objektivität« zu bestimmen und darzustellen, sehe ich kritisch, da dies eine wertneutrale Position voraussetzen würde und Erkenntnis unabhängig von Interpretation möglich sein müsste. Aber auch Wahrnehmung oder (Nicht)Wahrnehmung ist schon eine Form der Interpretation (vgl. dazu auch Kapitel 3 und 4).

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die Schwierigkeiten eines Landes persönlich und gefühlsmäßig verwickelt wird. Er berichtet (Passage: Krieg II): Holmes:

diesen Krieg hab ich zum Teil persönlich genommen [Auslassung] ich war wütend. [Auslassung] hab mich dann gebremst und mich wieder auf die Rolle des Beobachters zurückgezogen.

Die Trennung von eigener Emotionalität und damit Befangenheit und eine angenommene objektive Betrachtung hat sich Herr Holmes als eine berufliche Überlebensstrategie zu Eigen gemacht. In einer vorsichtigen, selbstreflexiven Argumentation legt Herr Holmes dar, dass es gerade seine bewusste Distanziertheit (seine »Rolle des Beobachters«) ist, die es ihm ermöglicht, die Beschwerlichkeiten und inneren Konflikte seines Berufsalltags auszuhalten. Es wird ersichtlich, dass Herr Holmes eine emotionale Betroffenheit durch die Konfrontation mit Kriegen und anderen Schicksalen kennt und scheinbar daher mitdenkt. Um seine berufliche Praxis aufrechterhalten zu können, so auch die Eigentheorie, baut er einen Schutz auf, eine Strategie der emotionalen Distanz, die katastrophale Geschehnisse auf ihren Platz verbannt und damit verhindert, dass sie als emotionale Betroffenheit unkontrolliert sein Verhalten und seine Wahrnehmung beeinflussen. Indem er den Krieg, mit dem er konfrontiert ist, zu etwas macht, was allein im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit steht (»das ist nicht mein Krieg, ich berichte nur darüber«), nicht aber mit seinem privaten Leben, erfolgt eine existentielle Distanzierung. Seine Positionierung außerhalb des Geschehens benennt Herr Holmes selbst als eine notwendige Strategie. »Weder passiver noch aktiver Teilnehmer« zu sein, bedeutet hier auch, nicht emotional, nicht parteiisch involviert zu sein. Herr Holmes fasst es zusammen, indem er einen Kausalzusammenhang zwischen Teilnahme (Betroffenheit) und Meinungspositionierung zieht. Er nimmt an, dass es seine externe Position ist, die ihn zu einem neutralen Beobachter macht. Dass dies nicht immer der Fall ist, deutet sich in seinem Wunsch an, es möge doch zumindest so sein (»hoffe ich zumindest«). In dieser vorsichtigen Äußerung, die ein Stück weit die Grenzen der eigenen Fähigkeiten aufblitzen lässt, zeigt sich Herrn Holmes Orientierung bezüglich seines beruflichen Aufgabenverständnisses: das Ideal des objektiven Journalisten. Auch für ARNE HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, kann die Konfrontation mit »Elend« zu einer belastenden Situation werden, welche er durch eine innere Distanzierung zu bewältigen sucht (s. auch Kap. 5.1.1) (Passage: Elend): Hamm:

jetzt so im Niger das war schon belastend da diese kleinen Kinder zu sehen, grade wo man selbst eins hat und so, aber was wie soll man damit umgehen? Ich weiß wie es ist und ähm (2) mein ich (1) mein- der Grund dahin zu fahren ist ja da um darüber zu berichten //mmh// um zu schreiben, nich, und vielleicht verschafft es einem ne gewisse Genugtuung

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oder verschafft es mir ne gewisse Genugtuung @darüber@ zu schreiben und des äh bekannt zu machen beziehungsweise nicht nur das Elend bekannt zu machen, sondern auch die Verantwortlichen;

Durch seinen Beruf als Auslandskorrespondent kommt Herr Hamm in Situationen mit Fremden, wo deren Leid ihn persönlich berühren. Der Hunger nigrischer Kinder trifft Herrn Hamm insbesondere, da er einen Vergleich zu seinem eigenen Kind zieht. Damit ist zunächst eine Nähe hergestellt, welche aber als belastend empfunden wird. Eine innere Distanzierung erfolgt durch die Berichterstattung über die Situation und die Anklage von Schuldigen. So ist es zum einen seine berufliche Tätigkeit, die ihn in belastende Situationen bringt, zum anderen ist es aber auch die berufliche Tätigkeit, die wiederum Distanz zur Belastungssituation schafft und entlastet. Sowohl bei Herrn Hamm als auch bei Herrn Holmes dient eine innere Distanz dazu, äußere Geschehnisse wie Krieg, Hunger und Elend nicht in die eigene Psyche eindringen zu lassen und damit ertragbar werden zu lassen. Die Distanzierung erfolgt gezielt als eine Strategie der Bewältigung. Zudem kann eine bewusste Distanzierung als eine berufliche Notwendigkeit im Sinne der Wahrung von ›Objektivität‹ gesehen werden und als Möglichkeit, die Dinge aus der Distanz mit einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Für die handelnden Akteure wird die innere Distanzierung zum Fremden zu einem Mittel der Auseinandersetzung mit der fremden Situation ohne eine eigene innere Beteiligung. Sie ermächtigt den Handelnden in gewissem Maße, die Auswirkungen von Situationen zu kontrollieren, ohne sich ihnen komplett entziehen zu müssen.

Vorstellungen von Arbeit An anderer Stelle lässt sich aber auch ein Handeln finden, welches die Interaktion mit Fremden so weit wie möglich meidet. So schildert ARNE HAMM die Distanzierung in beruflichen Situationen als Erfordernis für erfolgreiches Arbeiten und Effizienz (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

ich glaube das des diese wir haben so ne bestimmte Art von Effizienz von der man immer spricht in Deutschland die man aber erst erlebt wenn man in Afrika ist @(.)@ und mitkriegt wie wenig effizient die Menschen um einen herum sind; also //mhm// das ist wahrscheinlich auch der Grund warum es viel effektiver ist wenn ich in wenn ich irgendwo bin Europäer aufzusuchen; weil wenn es darum geht ich hab ja nicht ewig Zeit nich, es kostet alles ein Heidengeld solche Reisen und so ähm und wenn man jetzt effizient arbeiten will und ein Auto braucht und ein Dolmetscher und so dann wendet man sich doch am besten an an Europäer die die wissen was man für Bedürfnisse und Ansprüche hat und was für ne Art von Arbeiten man gewöhnt ist ne, //mhm// (2) tja so ist das;

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Herr Hamm macht hier in der Gegenüberstellung unterschiedlicher Mentalitäten vorgestellter Gemeinschaften (»Deutschland« vs. »Afrika«) klar, worin er den »Grund« seiner Distanz zur einheimischen Bevölkerung sieht. Als Bedingung für sein berufliches Handeln sieht Herr Hamm es als notwendig an, sich auf Menschen verlassen zu können, die entweder ebenso wie er arbeiten oder zumindest wissen, welche »Bedürfnisse« er hat, und die dann auch befriedigen können bzw. eine richtige Einschätzung der Lage geben können. Sich in beruflichen Situationen auf »Europäer« zu verlassen und die einheimische Bevölkerung zu meiden, geht mit Herrn Hamms Vorstellungen von »Effizienz« einher. Die Informationsbeschaffung über Europäer und die gleichzeitige Distanzierung von der einheimischen Bevölkerung kann als eine berufliche Strategie, als ein gezielter Handlungsentwurf bezeichnet werden. In der gezielten Kontaktaufnahme mit Europäern wird deutlich, dass Herr Hamm davon ausgeht, dass die Herkunft der Anderen darüber bestimmt, wie sie ihn und seine berufliche Situation einschätzen und auch für ihn angemessen darauf reagieren können. So entsteht ein Bild der Einheimischen, die zwar nicht als Menschen an sich degradiert werden, jedoch in ihren Kompetenzen als geeignete Informanten und Dienstleister absolut in Frage gestellt werden. Herrn Hamms Vorstellung davon, wie sein berufliches Handeln aussehen soll, deckt sich mit seinen Erfahrungen vor Ort. Für Herrn Hamm scheint die Distanzierung von Einheimischen, respektive ihm Fremden, unweigerlich nötig zu sein, um seine Ziele konsequent zu verfolgen und somit seine beruflichen Aufgaben in gewohnter Qualität und Geschwindigkeit zu erledigen (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Y:

Hamm:

wie gehen Sie denn damit um mit son vielleicht haben sie ein Beispiel im Kopf mit som unterschiedlichen Zeitgefühl oder so; sie leben ja hier und arbeiten hierja=a irgendwie müssen sie ja ochgott wenn ich hier bin entweder is entweder man man stört man sich nicht dran weil man sich darauf einstellt und wenn ich im Prinzip ist ja wenn ich arbeite dann ich arbeite ja nicht isoliert nich, sondern ich arbeite ja sozusagen für den XX und der wird in XY produziert und funktioniert nach deutschen Geflogenheiten; und //mhm// und so nich, und wenn die sagen der Text muss Donnerstag früh da sein dann muss der Text Donnerstag früh da sein das heißt dann wenn ich dann hier schreibe oder wo auch immer dann muss ich irgendwo vor Ort n n Platz haben von dem ich den Text senden kann und drei Stunden Ruhe dass ich schreiben kann und dann muss ich bis dahin das gesehen haben was ich sehen will und und die Leute gesprochen haben mit denen ich gesprochen haben will; also das muss dann eben forciert werden //mhm// und ich meine und was soll man da machen man muss dann höflich bleiben aber bestimmt oder sich andere suchen oder so; es ist manchmal nicht ganz leicht man muss den Leuten verständlich machen was man will; //mhm// aber es ist man man kriegt ja immer Leute die für einen arbeiten; also is is nicht das Problem aber aber man muss dann schon bisschen

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Druck machen manchmal //mhm// weil ich ja nich isoliert bin ich kann ja dem XX nicht sagen och das wird jetzt nix weil hier is jetzt ne Reifenpanne und wir haben vergessen zu tanken und so wenn sie hier ins Taxi steigen die vergessen ja manchmal zu tanken und bleiben irgendwie nach zwei Kilometern liegen und so was @(.)@ //mhm// das ist dann sind andere is ne andere Art zu denken ne andere Art vorauszudenken oder so; (1) manchmal hab ich den Eindruck die leben alle nur so in der Gegenwart und es ist denen völlig egal was morgen ist; //mhm// joah aber wir leben ja hier in unserer kleinen Welt und (.) da stört das nich sonderlich; ((Handbewegung, die auf Haus und Garten zeigt))//mhm//

In Herrn Hamms Ausführungen zu seinen beruflichen Strategien, die ihm helfen seine Arbeit zu erfüllen, spielt das »Anders-Sein« der Anderen eine wichtige Rolle. Herr Hamm positioniert sich in dieser Passage ganz eindeutig als Außenstehender, ohne dies aber kritisch zu betrachten (im Gegensatz etwa zu Herrn Otto, siehe unten). Er weiß genau, was er will, und hat Wege gefunden, sein Ziel zu erreichen. Als Erklärung dient ihm seine Anbindung an die Strukturen von deutschen Unternehmen. Sein beruflicher Alltag benötigt bestimmte Voraussetzungen, die sich Herr Hamm schafft, indem er notfalls »Druck« macht. Nicht immer ist es leicht für ihn, sein Anliegen durchzubringen, aber er sieht für sich keine anderen Handlungsmöglichkeiten. In dieser Passage dominiert, dass Herr Hamm sein Handeln als alternativlos wahrnimmt. In der abschließenden Beschreibung des Taxifahrers ist eine kulturalistische Perspektive zu sehen, in der Herr Hamm auf die Andersheit der Anderen eingeht und deren Verhalten (das Nicht Tanken) als eine typische Haltung darstellt, welche auf eine Lebensart der Afrikaner im Allgemeinen zurückzuführen sei (»is ne andere Art zu denken«). Seiner Redaktion, so Hamm, kann er diese Lebensart nicht verständlich machen bzw. sie ist im beruflichen Kontext nicht duldbar und muss umgangen werden. Eine andere Praxis eines fremden Milieus sieht Herr Hamm hier als nicht integrierbar in die eigene Berufspraxis. Auch für Herrn Hamm persönlich scheint es hier eine Distanz zu geben, die er nicht überwinden kann oder möchte. Die »Art«, zu denken, ist ihm fremd und gleichzeitig lehnt er sie auch ab. Seine Reaktion darauf ist der Rückzug in seine Privatsphäre (s. auch Kap. 5.2.1.2). Eine Distanzierung zur einheimischen Bevölkerung im beruflichen Kontext vollzieht sich auch bei HANNA KATOSCHEK, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, in Folge der Erfahrung, mit den eigenen beruflichen Vorstellungen keine gemeinsame Ebene mit den lokalen Arbeitskollegen zu finden. Sie berichtet folgendermaßen über ihre Erfahrung im beruflichen Alltag (Passage: Ankommen): Katoschek:

man hat auch sone sone Gesellschaft hier die sehr gemischt ist mit vielen Indern; sehr tolerant; //mhm// man man man lebt n ( ) Leben; das gefällt mir sehr gut das werd ich vermissen auf jeden Fall; //mhm// sehr freundlich erstmal oberflächlich aber eigentlich eigentlich immer sehr freundliche Menschen find ich im Alltag; //mhm// das werd ich auch sehr ver-

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Y: Katoschek:

missen; //@(.)@// (2) aber noch viel Frustration mit der Arbeit; also man hat oft das Gefühl also man selbst macht puscht einfach zu viel oder muss puschen schon eigentlich haben viele (1) lokale also Partnerorganisationen gar nicht Lust was zu verändern; //mhm// das ist eher so unser Wunsch oft ja, °die haben wenig° viele haben wenig Interesse an der Sache, //mhm// und haben gar nicht n Anspruch irgendwie die Arbeit zu verbessern, mehr Leuten zu erreichen, mehr Leuten zu helfen, [4 Zeilen Auslassung] fällt dir da irgendwie ein Beispiel ein irgendeine Geschichte? Wo du sagst da bin ich hingegangen und hab das und das versucht, oder so ja unser jetziger Partner halt, °ich weiß n- muss anonymisiert werden;° also die (3) die Kultur ist so das es überhaupt kein eigenes Interesse gibt so lange ich meine Pfründe im Trockenen habe; //mhm// habe ich kein Berufsethos und strenge mich nicht an um meine Arbeit gut zu machen; also dies- das ist mir halt fremd das man aus der aus ner guten und erfolgreichen Arbeit was ziehen kann; //mhm// das geht uns also mir oft so dass ich halt natürlich bin ich auch abgesichert klar ich hab ein gutes Gehalt ein gutes Paket; //mhm// also mir fehlt es an nichts ja, (2) a- ich ich zieh aber eigentlich meine Befriedigung (also jetzt) arbeitsmäßig auch daraus dass ich denke ich mach was gutes oder ich ich helfe Leuten weiter, oder ich hab ein gutes Projekt gemanagt oder ich hab irgendein Interesse dass da was passiert; //ja// und das fehlt mir oft bei Leuten sobald die daraus keinen persönlichen Vorteil sehen; //mhm// ähm ist es nicht spannend genug (.) und das ist mir einfach fremd; es gibt wenig Berufsethos;

Frau Katoschek rahmt ihre Aussage über die Probleme bei der beruflichen Zusammenarbeit mit Einheimischen in eine allgemeine positive Beurteilung des Zusammenlebens unterschiedlicher Nationalitäten in Kenia und nimmt damit einer etwaigen Einschätzung ihrer Aussagen als fremdenfeindlich den Wind aus den Segeln. Frau Katoschek steht zum Zeitpunkt des Interviews kurz vor ihrer Rückkehr nach Deutschland, die sie aufgrund ihrer Unzufriedenheit im Ausland vorangetrieben hat. Ihre Betonung des multikulturellen Zusammenlebens in Kenia steht im Vergleich mit dem sie erwartenden Leben in Deutschland. Frau Katoschek sieht ein solches multikulturelles Leben, wie sie es in Kenia wahrnimmt, in Deutschland nicht gegeben und antizipiert, dass sie dies nach ihrer baldigen Rückkehr vermissen wird. Frau Katoschek versucht hier also zunächst ein Bild von sich zu zeichnen, welches nicht allein einem Auslandsfrust geschuldet ist. In den weiteren Ausführungen wird jedoch deutlich, dass Frau Katoschek zum Zeitpunkt des Interviews an einem Punkt angelangt ist, wo die Schwierigkeiten ihres Lebens im Ausland überhandnehmen. Ihre Schilderungen der beruflichen Konflikte sind demnach Zusammenfassungen von Erfahrungen und ein Versuch, diese fassbar zu machen und in Bezug mit dem eigenen Empfinden zu stellen. Ihre Erfahrungen im beruflichen Alltag sind insbesondere in der Zusammenarbeit

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mit Einheimischen für Frau Katoschek unbefriedigend. Sie führt dies auf ihr eigenes Handeln zurück (zu viel zu »puschen«) und auf das Verhalten ihrer kenianischen Kollegen, welches sie einer kulturellen Prägung zuordnet (»die Kultur ist so«). Ihr eigenes Handeln sieht Frau Katoschek als eine Reaktion auf die Passivität der Einheimischen einerseits, andererseits wird in der Gegenüberstellung von verschiedenen Arbeitsvorstellungen klar, dass ihr berufliches Handeln auch ganz deutlich einer grundlegenden Orientierung entspricht. Dieser »Berufsethos«, den Frau Katoschek für sich in einer bestimmten Art und Weise proklamiert, fehlt ihr auf der Seite der Einheimischen. Sie unterstellt ihren einheimischen Partnern, dass diese kein Interesse an einer Verbesserung der Lebenssituation in Kenia hätten und nur ihren »persönlichen Vorteil« suchen würden. Ebenso wie Arne Hamm, der sagt, den Einheimischen wäre es völlig egal was morgen sei, sieht Frau Katoschek im Verhalten der Einheimischen eine grundsätzlich andere Einstellung zu Entwicklung und Engagement. Das Verhalten der Anderen wird von Frau Katoschek so interpretiert, dass es schwer ist, noch Gemeinsamkeiten zu finden. Letztlich überwiegt ein Gefühl von Fremdheit und Andersheit in Bezug auf berufliche Aufgaben. Ein gemeinsames Ziel ist nicht mehr erkennbar und die eigene berufliche Aufgabe wird durch das wahrgenommene mangelnde Interesse der Anderen ad absurdum geführt. Frau Katoschek konkretisiert die Distanzierung im beruflichen Kontext (Passage: Ankommen): Y: Katoschek:

Y: Katoschek:

Y:

du wollst grad ein Beispiel irgendwie nennen oder, also ich meine ich anonymisier- das auf jeden Fall oder ja wir arbeiten mit einem Partner, (4) und solang wir da nicht irgendwie solange der nicht erkennt (.) dass wir finanziell ihm einen Vorteil bieten als Person, ist er nicht bereit mit uns an dem gemeinsamen BesserWerden ja, oder Programm-Entwickeln interessiert; das geht dann dahin dass einfach Kommunikation blockiert wird, man wird zwar geduldet aber eigentlich auch nicht gefördert, also es gibt einfach keine Kommunikation; keine Unterstützung bei der Arbeit und wir machen ja keine (.) wir beraten ja eigentlich nur; //ja// und diese Rolle passt ihm nicht oder es gefällt ihm nicht ja, und das ist eigentlich so offensichtlich ja, gut da muss man dann sagen geht man da weg, //ja// warum macht man dann da weiter (3) aber dazu muss man son bisschen die kenianische Kultur verstehen; (1) @ja das versuch ich ja gerade irgendwie so@ also gut da gibts natürlich Grenzen; denk son bisschen puschen und so und dieses eigene und dieses dieses Vorteil, dies- das wird halt das kann ich halt bei ganz vielen unserer Partner beobachten; ja, (2) dass Leute da nur mitarbeiten oder mit selbst motiviert sind wenn es wenn für sie persönlich was dabei raus springt; was machen sie dann wenn sie das das nicht ((husten)) also wie äußert sich das?

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Katoschek: Y: Katoschek:

das halt dann einfach halt die meetings nicht eingehalten werden, kommen dann einfach nicht oder was? die Absprachen; yoh. die Absprachen nicht; Dinge verschleppen, einfach nicht wichtig ja, einfach nicht wichtig, Arbeit nicht wichtig nehmen; aber wenns dann darum geht irgendwie (.) wo n Training zu bekommen oder bei ner reception dabei zu sein oder sich zu profilieren um irgendwie weiterzukommen, dann dann geht des alles //mmh// das heißt also nicht dass Leute nicht können im Gegenteil; Leute können sehr gut. und das ist so so tief verankert; (2)

Eine Distanzierung findet im beruflichen Kontext vor allem dann statt, wenn es kein gemeinsames Ziel bzw. keine geteilten Interessen (mehr) gibt. So macht Frau Katoschek die Erfahrung, dass ein einheimischer Partner die Zusammenarbeit blockiert, und reagiert darauf mit einer grundsätzlichen Infragestellung der Entwicklungshilfearbeit. Die eigene Arbeit so in Frage zu stellen, zeugt von einer Distanz nicht nur den einheimischen Partnern gegenüber, sondern auch zu den Vorstellungen der Entwicklungshilfe an sich. Eine Distanzierung erfolgt bei Frau Katoschek im Zusammenhang mit einer Fremdheit bezüglich beruflicher Vorstellungen und der Erfahrung mit den eigenen beruflichen Vorstellungen, nicht erwünscht zu sein. Die Blockade von Zusammenarbeit und die Verweigerung von Kommunikation lassen für Frau Katoschek nur den Schluss, dort »wegzugehen«. Das Verhalten der einheimischen Partner erklärt Frau Katoschek durchweg kulturalistisch (»kenianische Kultur«, »tief verankert«). Das Nicht-zustande-Kommen des gemeinsamen Arbeitens sieht Frau Katoschek keinesfalls in einer mangelnden Fähigkeit der einheimischen Bevölkerung begründet als vielmehr in einem Nicht-Wollen aufgrund einer bestimmten kulturellen Orientierung an Eigenprofit. Diese Haltung sieht Frau Katoschek als Grund für eine Blockierung von Entwicklung (Passage: Ankommen): Katoschek:

das halt oft das Fachlich eigentlich ist, das Fachliche ist auch bei [der Entwicklungshilfeorganisation] oder bei unserer Beratung eher zweitrangig ja, wichtig ist dass du (.) Lust hast, motiviert bist mit solchen Strukturen zu arbeiten des irgendwo bis zu nem bestimmten Grad akzeptierst, aber die Leute so einbindest, dass die auch s Gefühl haben, ähm dass sie motiviert sind diese Programme durchzuführen, selbst; ei- eigentlich arbeiten wir nur mit, aber die Realität ist oft, dass wir mit halt ner Idee kommen, und //ja//

Frau Katoschek kommt zu dem Schluss, dass sich in der Haltung der Einheimischen zeige, dass das gesamte Konzept der deutschen Entwicklungshilfe fragwürdig ist, und stellt damit ihre eigene berufliche Relevanz in Frage (»warum macht man da weiter«). Sie legt für sich und die Interviewerin noch einmal dar, dass die Aufgabe der Entwicklungshilfeorganisation eine Motivierung sein sollte und dies nur möglich ist, wenn man bereit ist, sich auf die Situationen vor Ort

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einzulassen bzw. diese »zu akzeptieren«. Ihre berufliche Realität sieht jedoch anders aus. Sowohl die Entwicklungshilfeorganisation als auch sie als Person haben konkrete Vorstellungen davon, was passieren soll, und erleben dann Frustrationen, weil weder die beruflichen Ziele von den Einheimischen geteilt werden noch die Art des Arbeitens eine gemeinsame Basis darstellen kann. Die Konsequenz daraus ist die Verabschiedung vom Konzept des gemeinsamen Arbeitens und eine Distanzierung, die bis zur Aufgabe des Arbeitsverhältnisses führt. Die Thematisierung des eigenen Handelns im beruflichen Kontext und ihrer eigenen Arbeitssituation führt Frau Katoschek nochmals konkreter aus, als sie von der Interviewerin gebeten wird, zu benennen, wie es zu einer Distanzierung kam (Passage: Berufliche Kontakte): Katoschek:

Y: Katoschek:

ja grad bei diesem einschlägigen Partner hier; (2) da wollten wir halt schneller vorankommen als der Partner das möchte //mhm// ja, und dann wird das halt blockiert das kann auch passieren; (1) wenn denn wenn denn wir da anfangen das Programm selbst zu stricken und so dann ist es natürlich nicht gut ja, //ja//weil man das einfach nicht aushält weil da nichts passiert aber (4) das ist so denke ich die große Herausforderung (1) das auszuhalten aber für mich ist es sehr einfach weil ich sitz ja hier im XX-Büro; //ja// wo quasi fast alles jeden Tag funktioniert; //mhm// ich habe nicht so- ich habe nicht diesen Aushalts- äh-druck da weil ich ja kaum also nie länger mit lokalen Mit- also -arbeit- also Partnern zusammenarbeite; //ja// ich muss jetzt aushalten wenn ich dann ein Gespräch mit dem Ministerium habe und wenn ich dann halt merke dass die nicht wollen oder da wird kein Brief geschrieben oder so was ja, //ja// aber die Leute jetzt vor Ort [der Entwicklungshilfeorganisation] die die in den Strukturen; ich denke das ist schon noch mal ne andere Geschichte //mhm// also viel anstrengender auf jeden Fall; ist schon sone Sonderposition die ich hier habe; //mhm// ich kann fast mit der gleichen Geschwindigkeit arbeiten wie in Deutschland fast ja, hast du einfach weniger kenianische gar keine fast Ko-Kollegen gar nicht kaum (3) das [Entwicklungshilfe]-Büro ist ja aufgestellt also mit Direktor (1) Sekr- Sekretärin Verwaltungsassistent und dann halt gibts n paar kenianische Mitarbeiter (3) wenig und wir als Koordinatoren quasi ja, das sind alles Entsandte; die Koordinatoren; //mhm// dass ich da schon überwiegend mit mit Deutschen zusammenarbeite; //mhm// was ich angenehm finde aber zunehmend auch bisschen langweilig weil da fragt man sich warum bin ich eigentlich in Kenia, //mhm// und so mit Partner hab ich dann zu tun ja wenn ich dann direkt berate; //mhm// wenn ich die Entwicklungshelfer dann quasi besuche, und wenn ich hier auf nationaler Ebene verhandeln muss; dann bin ich halt gefra- oder Konflikte managen und so weiter; //mhm// dann hab ich mit mit Kenianern zu tun.

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Der konkrete Konflikt, den Frau Katoschek als Auslöser für eine bestimmte eigene Haltung der Distanz benennt, ist die Erfahrung der unterschiedlichen Vorstellungen von ihr und ihrem einheimischen Partner in Bezug auf die zeitliche Entwicklung eines Projektes. Auf die Verweigerung ihres Kollegen reagiert Frau Katoschek zunächst damit, das Programm ohne die Mitarbeit des Kollegen fortzuführen. Sie realisiert dann aber, dass dies nicht der Zielvorstellung der Entwicklungshilfeorganisation entspricht, welche auf Kooperation der deutschen und einheimischen Kollegen beruht. Zudem wird die Verweigerung der Zusammenarbeit als eine enorme psychische Belastung empfunden, die »ausgehalten« werden müsse. Frau Katoschek spricht in diesem Zusammenhang von der Fähigkeit des Aushaltens von Verzögerungen und Blockaden, einer nach ihrer Einschätzung zentralen Kompetenz für die Arbeit mit einheimischen Gruppen. Für Frau Katoschek stellt dies aber keine Herausforderung dar, keine Fähigkeit, die sie gerne erlernen möchte, sondern sie distanziert sich davon. Im Folgenden wird deutlich, dass Frau Katoschek selbst wenig Kontakt mit einheimischen Kolleginnen hat und ihren Berufsalltag eher mit deutschen Kolleginnen teilt. Die unterschiedlichen Vorstellungen von Arbeit und Entwicklung sowie das Gefühl, nicht erwünscht zu sein und immer zu viel zu wollen, welches zur Konsequenz hat, eine Kompetenz im »Aushalten« entwickeln zu müssen, lassen Frau Katoschek an ihrer Aufgabe in Kenia zweifeln. Für sie klaffen dort die Ideale und die Realität der Entwicklungshilfe auseinander (»eigentlich haben viele (1) lokale also Partnerorganisationen gar nicht Lust was zu verändern; //mhm// das ist eher so unser Wunsch oft ja,«). Sie bewertet zwar einerseits ihre Position als eine Herausforderung und als einen »guten Posten«, schiebt dann aber ein, dass es in ihrer Rolle als Entwicklungshelferin im Grunde nicht um fachliche Kompetenz geht. Was wirklich zähle, sei der Wille, diese Arbeit zu machen und mit den Gegebenheiten und dem Verhalten der lokalen Bevölkerung umgehen zu können. Hier tut sich für sie aber die Kluft auf: Dies bedeutet nach ihrer Wahrnehmung nämlich das Konzept der Entwicklungshilfe, eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu bewirken, aufzugeben und das Engagement primär dahin zu lenken, Menschen zu motivieren und den »Druck« auszuhalten, nicht effektiv zu arbeiten. Gleichzeitig erkennt sie auf dieser Ebene einen Unwillen von Seiten der Kenianer und fühlt sich unerwünscht. Die Fremdheit und Distanzierung erfolgt für Frau Katoschek nicht primär aus einem etwaigen Nicht-Verstehen des Verhaltens der Einheimischen, sondern aus einem Nicht-Können im Umgang mit ihnen. Eine Orientierung an einer bestimmten Art des Arbeitens, insbesondere der Erfüllung von Aufgaben der deutschen Arbeitgeberinnen in einer vorgeschriebenen Zeit (Frau Katoschek: »ich kann fast mit der gleichen Geschwindigkeit arbeiten wie in Deutschland«), kann in der Interaktion mit einheimischen Partnerinnen zu Schwierigkeiten und teilweise auch Frust führen. Sowohl Herr Hamm als auch Frau Katoschek suchen nach Erklärungen für die Diskrepanzen, die sie in unterschiedlichen Arbeitsvorstellungen sehen. Sie argumentieren dabei mit einer kulturalistischen Erklärungsweise, in der das Verhalten der Einheimischen zum

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einen als ihnen fremd und zum anderen als der Kultur der Einheimischen zugeordnet ist. Die Einheimischen tauchen in beruflichen Situationen als Risiko für das Gelingen des eigenen beruflichen Handelns auf und so wird die Interaktion mit ihnen, wenn möglich, gemieden. Im Fall von Frau Katoschek ist dies besonders problematisch, basiert ihre Arbeit doch auf der Zusammenarbeit mit einheimischen Partnern. So steht dann als logische Konsequenz einer nicht funktionierenden Zusammenarbeit eigentlich nur die komplette Aufgabe der Tätigkeit. Im Unterschied zu Arne Hamm handelt es sich bei Frau Katoschek nicht um einen gezielten Handlungsentwurf der Distanzierung zur Wahrung von Effizienz, sondern eher um einen sich nach und nach ergebenden Umstand. Je weniger ihre Bemühungen um Zusammenarbeit greifen und damit das Entwicklungshilfekonzept hinterfragt wird, desto stärker geht Frau Katoschek in eine Distanzierung. So gewinnt die Arbeit mit deutschen Kolleginnen im Büro immer mehr an Bedeutung, wohingegen die Zusammenarbeit mit Einheimischen als problematisch erlebt wird. Hanna Katoschek reflektiert diesen Umstand so sehr, dass sie schließlich ihren beruflichen Auslandsaufenthalt insgesamt hinterfragt (»was ich angenehm finde aber zunehmend auch bisschen langweilig weil da fragt man sich warum bin ich eigentlich in Kenia,«).

Veränderung von Berufsbedingungen Auch in den Aussagen von MARKUS OTTO, FREIER JOURNALIST IN SÜDAFRIKA, bezüglich der Veränderung seiner Berufsbedingungen, lässt sich eine Distanzierung in beruflichen Situationen zeigen. Herr Otto schildert, wie sich im Laufe der letzten zehn Jahre seine Arbeitssituation verändert hat. Zum einen ist er inzwischen für das gesamte südliche Afrika zuständig, was er als »unerquicklich« empfindet, da er als freier Journalist nicht die nötigen Mittel hat, um viele Länder zu bereisen. Zum anderen hat sich die politische Situation in Südafrika so verändert, dass dies konkrete Folgen für sein berufliches Handeln hat. Aufgrund der hohen Belastung, zahlreiche Länder journalistisch abzudecken, jedoch finanziell nicht in der Lage zu sein, diese zu bereisen, bedeutet dies, dass sich Herrn Ottos Recherche vermehrt auf das Internet und die Verwertung von Nachrichten sowie auf das, wie er es nennt, »Schon-mal-gesehen-Haben« bezieht. Seine berufliche Praxis hat sich folglich von Recherchereisen hin zu zunehmender Büroarbeit verändert. Damit hat sich auch der berufliche Kontakt zur einheimischen Bevölkerung minimiert. Nicht den direkten Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu haben, ist für Herrn Otto also auch eine Folge von veränderten Arbeitsbedingungen. Vor allem durch moderne Kommunikationsmittel wie E-Mail und Internet haben sich die Recherchearbeit, aber auch die Verbindungen mit Redaktionen in Deutschland verändert. Aufgrund schwieriger Telefonverbindungen und des Faxes als einzigen schnellen Kommunikation, war Herrn Ottos anfängliches Arbeiten in Afrika geprägt durch Radiohören und das Lesen regionaler Zeitungen. Früher ging es vor allem darum, an Informationen zu gelangen, heute um das Filtern von Nachrichten (Passage: berufliche Veränderung):

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Otto:

und ähm irgendwie wars auch relativ einfach; ich find heute die die Tätigkeit viel schwieriger, weil weil heute sind die Themen äh liegen n- die bieten sich nicht so selb von selber an; //mmh// sondern man muss sie wirklich finden; oder es kommt drauf an aufs eigene aufs eigene journalistische Interesse oder Gespür welche Themen man wirklich anpackt oder ausgräbt; damals haben die sich (.)//mmh// einfach so von den von den Ereignissen von der Ereignisflut haben die sich einfach angeboten und die ganzen, dieser, dieser Coup diese Crew an an foreign journalists an foreign correspondents die ham sich dauernd wieder getroffen irgendwo; wir waren wie so ne Familie die von Pressekonferenz zu Massaker zu Friedensähgipfel ge-gerannt sind.

Könnte man davon ausgehen, dass Herrn Ottos langjährige berufliche Erfahrung als Auslandskorrespondent wie auch der einfachere Zugang zu Informationen durch das Internet seinen beruflichen Alltag erleichtert haben, so trifft für seine Empfindung das Gegenteil zu. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Herrn Otto der direkte Kontakt zu den Ereignissen vor Ort und zur einheimischen Bevölkerung fehlt. Internetrecherche und ein ›passives Wissen‹, welches sich aus einer ›kalten Recherche‹ ergibt, haben die Notwendigkeit einer beruflichen Interaktion mit Einheimischen verringert. Die Arbeitsbedingungen haben sich für ihn insoweit verändert, als ein gewisser Büroalltag eingetreten und die Wahl der Berichterstattung nicht durch politische Ereignisse vorbestimmt ist. Kontakte mit Einheimischen finden weniger regelmäßig und kaum noch zufällig statt. Dies hat sicherlich zum einen mit den veränderten politischen Bedingungen Südafrikas 15 Jahre nach dem Apartheidssystem zu tun, zum anderen aber auch mit der veränderten Position der Auslandskorrespondentinnen. 17 Waren vor 15 Jahren ausländische Journalisten als Vermittler und Berichterstatter in einer exponierten Stellung, ist heute die journalistische Arbeit zum Alltag geworden. Eine Verbundenheit, wie er sie einst unter den ausländischen Journalistinnen erlebt hat, sieht Herr Otto heute als nicht mehr gegeben an. »Die Familie« der Journalisten hat im Zuge der Demokratisierung und Entwicklung Südafrikas ihre Bedeutung als Gruppe verloren. Aber es sind nicht nur die Veränderung durch politische Entwicklungen und die vermehrte Büroarbeit, welche Grund für die geringe Interaktion mit der einheimischen Bevölkerung sind. Die Distanzierung, sowohl beruflich als auch privat, hängt für Herrn Otto auch mit seiner veränderten Stellung als Auslandskorrespondent innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft zusammen; er findet es heute schwierig, Kontakte aufzubauen (Passage: Freunde vs. berufliche Konflikte):

17 An dieser Stelle wird durch die Kürze des Transkripts nicht ganz offensichtlich, dass Herr Otto sich auf seine Ankunftszeit in Südafrika bezieht, welche mit der Freilassung Nelson Mandelas und dem Ende des Apartheidsregimes zusammenfiel.

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Otto:

Otto:

ich finds unwahrscheinlich schwer (Räusper) ähm (1) w w würd ich afrikanische ähm Freunde zu haben; schwarze schwarze südafrikanische Freunde zu haben; weil weil weil weil die schon auch sehr unter sich sind und äh an sonem Zaunsitzer (.) //mhm// im Moment gar kein Interesse haben; die so dieses dieses südafrikanische schwarze Mittelbürgertum zu dem ich dann irgendwie dann mich noch am ehesten praktisch verhalten könnte (.) ähm die sind die haben im Moment den denen steht total die Zukunft offen; die kriegen Jobs; die kriegen viel Geld; das ist das ist n richtiger Aufbruch und die (.) die starten praktisch durch; //mhm// für die ist es nicht mehr so das war vor zehn Jahren noch anders da da da war des da fühlt ich mich viel mehr (.) hm also da war ich einer von wenigen (.) Weißen die in schwarze Townships gingen; //mhm// und deswegen war das schon immer die Leute waren interessierter warum bist denn du hier, was machst denn du hier, und und und Journalisten ausländische Journalisten waren total hoch im Kurs weil den man hat den praktisch äh zugeschrieben dass dass der internationale Boykott funktionierte; und dass die Sanktionen funktionieren; und wir waren praktisch so die die Anwälte des schwarzen Südafrikas; und hatten (.) waren da total hoch im Kurs; [Auslassung] jetzt aber zurück zur zur (.) praktisch schwarzen Bourgeoisie hier, (.) ähm also auch für die sind dann äh irgendwelche äh deutschen Auslandskorrespondenten äh nicht wirklich irgendwie (.) ähm das das Interessanteste in der Welt die (Husten) sind grad dabei (Räusper) Businessdeals zu machen; ihre Karrieren zu schmieden; und so weiter; (.) und da gibt es einfach unterschiedliche Interessen

Herr Otto hatte sich schon zuvor im Interview als einen »Zaunsitzer« bezeichnet, als jemanden, der nicht Teil der Gesellschaft ist und immer ein Stück distanziert die Situation betrachtet. In dieser Sequenz hatte die Interviewerin nach dem Begriff des Zaunsitzers und seiner Position innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft gefragt. Herr Otto erklärte daraufhin, dass er »unglaublich« genervt davon ist, dass die Gesellschaft so getrennt ist, und erzählt, dass der Freundeskreis von sich und seiner Frau »zu fünfundneunzig Prozent weiß [ist; ACS]; //mhm// ähm sogar irgendwie äh äh f- zum großen Prozentsatz jüdisch; weil meine Frau Jüdin ist;« (Passage: Freunde vs. berufliche Konflikte).

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Diese Trennung der Gesellschaft führt Herr Otto zum einen auf die Apartheidsgeschichte Südafrikas zurück, zum anderen auf das mangelnde Interesse der schwarzen Bevölkerung an ihm als weißem Europäer. Dies begründet er damit, dass die schwarze Mittelschicht, die er als eine Gruppe potentieller Freund- und Bekanntschaften anvisiert, durch die politische und wirtschaftliche Situation in Südafrika einen Aufschwung erlebt. Die wirtschaftliche Verbesserung dieser Gruppe, die an eine offene Zukunft gekoppelt wird, sieht Herr Otto als einen wesentlichen Faktor des Desinteresses an seiner Person als Auslandskorrespondenten. Die Entwicklung einer Bekannt- oder Freundschaft oder einer Interaktion allgemein, ist nach Herrn Ottos Orientierung wesentlich von der Bereitschaft und dem Interesse (was sich ihm zufolge aus Zukunftsprognosen speist) der schwarzen Bevölkerung abhängig und weniger von seinem eigenen Verhalten. Dies wird auch in Herrn Ottos Vergleich mit der Situation von früher deutlich. Seine eigene Entwicklung oder Veränderung innerhalb der letzten zehn Jahre spielt hier weitaus weniger eine Rolle, als die veränderte Beziehung zwischen ihm als Auslandskorrespondenten und der Bevölkerung. Herrn Ottos Einschätzung des mangelnden Interesses der Südafrikaner ist auch durch seine Erfahrung geprägt, dass dies einmal anders war. Schätze sich Herr Otto zuvor noch in der Wahrnehmung der Südafrikanerinnen als interessant ein, trifft dies auf seine heutige Erfahrung nicht mehr zu. Dies liegt zum großen Teil an der Identifikation Herrn Ottos mit seinem Beruf und dem damit verbundenen sozialen Ansehen. Aus heutiger Sicht und mit der Wahrnehmung des wirtschaftlichen Aufstiegs der schwarzen Mittelschicht schwindet auch die ehemalige Beziehungskonstellation, wie Herr Otto sie empfunden hat. Wurde er zuvor aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit wichtig genommen und der Kontakt zu ihm gesucht, ist mit der veränderten politischen Situation eine solche Haltung nicht mehr naheliegend. Herr Otto sieht sich durch die Augen der schwarzen Mittelschicht als nicht mehr interessant an und vermutet, dass diese Personen, da sie ihn als »Anwalt« für ihre Zukunft nicht mehr brauchen, kein Interesse an ihm haben. Implizit schwingt hier mit, dass Freundund Bekanntschaften auf Nützlichkeit basieren. Die Interaktion mit Einheimischen ist für Herrn Otto im Laufe der Zeit zu einer reinen Frage privater Interessen geworden und so sorgen unterschiedliche Lebenskonzepte und -situationen für relativ getrennte Wege. Sowohl bei Frau Katoschek als auch bei Herrn Otto zeigte sich, dass die Distanzierung in beruflichen Situationen nicht gezielt als Strategie eingesetzt wird, sondern vielmehr unterschiedliche Vorstellungen von Arbeit oder auch veränderte Berufsbedingungen und gesellschaftliche Veränderungen dazu führten. Die Distanzierung wird von beiden als Folge von Erfahrungen und Einschätzungen beschrieben und erklärt. Sie wird nicht als eine Möglichkeit, das Arbeiten im Ausland zu meistern, beschrieben, wie das etwa bei Herrn Holmes und Herrn Hamm rekonstruiert werden konnte. In beiden Fällen ist es vor allem ein antizipiertes und erfahrenes mangelndes Interesse der einheimischen Bevölkerung, welches eine Distanzierung begünstigt. Beide sehen dadurch keine alternativen

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Handlungsmöglichkeiten für sich und die Konzeption ihres beruflichen Handelns. Deutlich wird vor allem im Vergleich mit dem Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1), dass Frau Katoschek und Herr Otto ihre eigene Position und ihr eigenes Verhalten durchaus kritisch reflektieren. Das Erkennen eines eigenen »Arbeitsethos« und eines sozialisatorisch bedingten »Zaunsitzens« sind wahrgenommene Selbstzuschreibungen, im Sinne von ›so bin ich‹, welche kaum eine Veränderungsmöglichkeit im Handeln zulassen. Das Erkennen der Begrenztheit des eigenen Handelns, auch wenn nicht explizit vollführt, kann so Grund für »Frust« oder auch »Zynismus« werden. Die Distanzierung wird also nicht als eine Erleichterung der Arbeitssituation erlebt, sondern trotz des Erkennens von Ursachen auch als nicht zufrieden stellendes Ergebnis äußerer Umstände und als eigener Mangel. Im Typus ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden‹ ließ sich herausarbeiten, dass die Distanzierung in beruflichen Situationen unterschiedliche Ursachen hat und auch unterschiedlich von den Handelnden beurteilt wird. Die Distanz kann gezielt hergestellt werden oder sich im Laufe der Zeit ergeben. Sie kann als Bewältigungsstrategie empfunden werden oder auch im Gegenteil als ein Scheitern des beruflichen Anspruchs bzw. des eigenen Handelns gesehen werden. Anders als in den im Kapitel 5.1 vorgestellten Typen des Fremdverstehens kommt hier nun der Rolle des Anderen eine besondere Bedeutung zu. Es handelt sich bei der existentiellen Distanzierung nicht allein um eine Kompensationsmöglichkeit, sondern das Verhalten und die Einschätzung des Verhaltens der Fremden spielt in das eigene Handeln hinein. Die Distanzierung erfolgt dann nämlich zu bestimmten Personen in bestimmten Situationen und verweist damit implizit immer auch auf die eigene Positionierung in einer Handlungssituation. Dies geschieht etwa dann, wenn eine bisher unhinterfragte Vorstellung von »Arbeitsethos« auf Widerstand stößt und infolgedessen Fremdheit wahrgenommen wird. Im Fall von Frau Katoschek bewirkt dies eine Distanzierung, die auch das eigene Handeln in Frage stellt bzw. in einer räumlichen Distanzierung mündet. Die Verunsicherung aufgrund erfahrener Differenzen oder die Wahrnehmung mangelnder beruflicher Kontakte mit Einheimischen wandelt sich in diesem Typus nicht zu neuen Handlungsaspekten, sondern gipfelt in einer existentiellen Distanzierung. Dies kann, wie im Fall von Herrn Hamm als gelungene berufliche Strategie empfunden werden, aber auch als ein Erleiden der Distanz als Einsamkeit, wie sich das etwa bei Herrn Otto dokumentiert. Die problematischen Aspekte einer existentiellen Distanzierung werden insbesondere am Fall von Frau Katoschek deutlich. Ihre berufliche Aufgabe impliziert die Zusammenarbeit mit Einheimischen. Funktioniert dies nicht, steht damit gleich das Konzept der Entwicklungshilfe und die eigene berufliche Aufgabe in Frage. Hier tauchen deutliche Unterschiede hinsichtlich berufsspezifischen Handelns auf, die sich in anderen Typen so explizit nicht herausarbeiten ließen. Das existentielle Distanzieren und Beobachten kann für das berufliche Handeln von

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Auslandskorrespondenten durchaus eine geeignete Praxis und teilweise sogar im Namen einer objektiven Berichterstattung erwünscht sein; für Entwicklungshelfer wie Frau Katoschek stellt sie eine Infragestellung ihrer Arbeit dar18.

5.2.1.2 Distanz in der privaten Situation Anders als in beruflichen Situationen, wo eine existentielle Distanzierung problematisch werden kann, ist Distanz zur einheimischen Bevölkerung in privaten Situationen scheinbar weniger folgenreich. Der Rückzug in die Privatsphäre behindert eine berufliche Zusammenarbeit nicht notwendigerweise und es kann auch nicht rückgeschlossen werden, dass jener, welcher nicht am gesellschaftlichen Leben des Gastlandes teilnimmt und nicht durch Freund- und Bekanntschaften Zugang zur Alltagswelt der Einheimischen erhält, seine Tätigkeit als Journalist oder Entwicklungshelfer schlechter machen würde als jemand, der dies tut. Gleichzeitig ist es natürlich trotzdem fraglich und insbesondere in Bezug auf den Aspekt der interkulturellen Handlungskompetenz bedeutsam, wie ein Leben im Ausland aussieht, wenn es nur sehr geringen bis keinen privaten Kontakt zu den dort lebenden Menschen gibt. In den wenigsten Fällen gehen Expatriates von vornherein davon aus, im Gastland keine freundschaftlichen Beziehungen mit Einheimischen zu knüpfen. Vielmehr gibt es auch hier unterschiedliche Ursachen, die zu einer existentiellen Distanzierung führen, also zum Rückzug in die eigene Familie, in deutsche Kreise oder in den Kreis von Expatriates-Kolleginnen. Enge Freundschaften bestehen dann meist nur noch zu alten Freunden im Herkunftsland. Es lassen sich fünf zentrale Phänomene einer existentielle Distanzierung zeigen: Eine private Distanzierung, die aber beruflich begründet wird, eine Distanzierung aufgrund von enttäuschenden Erfahrungen, eine Distanzierung durch eine Verinselung von Alltagswelten, eine Distanzierung aufgrund ökonomischer Unterschiede und eine Distanzierung, welche sich explizit aus einem Konflikt mit Rassismusvorwürfen ergibt.

Beruflich bedingt Schon im obigen Kapitel zur Distanzierung in der beruflichen Situation (Kap. 5.2.1.1) wurde anhand der Passage aus dem Interview mit MARKUS OTTO, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, deutlich, wie eng berufliches und privates Handeln zusammenhängen kann und wie die Veränderung beruflicher oder 18 Wobei sich in den letzten Jahren die Berufsfelder von Entwicklungshelfern stark verändert haben. Waren früher hauptsächlich handwerkliche und technische Berufe im Entwicklungshilfedienst gefragt, ist nun eine Tendenz zu Beratung und Management zu verzeichnen, welche vergleichsweise mehr Distanz in der Berufspraxis erlauben. Trotzdem kann nach wie vor von einem Anspruch kooperativen Handelns ausgegangen werden, welcher sich nicht zuletzt in einer veränderten Benennung von Entwicklungshilfe zu Entwicklungszusammenarbeit niederschlägt.

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auch politischer Bedingungen Auswirkungen auf das eigene Privatleben und die Freund- und Bekanntschaften mit Einheimischen haben kann. Einen weiteren Grund für wenig Interaktion mit der einheimischen Bevölkerung sieht Herr Otto jedoch auch genuin durch seinen Beruf als Journalisten bedingt (Passage: Kontakte): Otto:

über den Job selber, da lern ich eigentlich keine Leute kennen weil weil des weil des Problem da ja auch immer dieses Distanz ist; die Leute sind ja eigentlich immer Gegenstände; ich muss da- ich muss die äh ich ich lass mich von d-von denen schon ähm ich lass mich ein auf die und find die- was ich vorher meinte- dass da auch so Leidenschaft oder dass ich die mag oder nicht mag, so E Emotionen //mmh// werden dann schon irgendwie wach, aber dann ver- müssen die auch weg weil dann kommen die nächsten Leute, also die muss man sofort wieder verabschieden; //mmh// de de des bei Journalisten sorgt des schon auch dafür dass die son so n äh commodity Verhältnis zu zu Leuten kriegen also dass Menschen Gegenständen werden, //mmh// aber dann gibt es so den privaten Kreis da sind Menschen dann schon wichtig und und n anderen Kreis, da sind Menschen dann wirklich äh anders wichtig für den Job; also des sind mehr dann Quellen oder oder Informanten oder Analytiker die man interessant findet weil die irgendwie einem gut die gegenwärtige Situation erklären können und so weiter.

Herr Otto erklärt an dieser Stelle, wieso sich aus seinen beruflichen Kontakten keine freundschaftlichen Beziehungen ergeben, und gewährt einen Einblick in seine Einschätzung und Interpretation von Interaktionen mit Einheimischen. Die Kontakte mit ihnen sind keinesfalls vergleichbar mit Freundschaften, aber im Unterschied zu den Entwicklungshelfern auch nicht auf kollegialer Basis angesiedelt. Den journalistischen Kontakt sieht Herr Otto niemals als eine Begegnung auf gleicher Ebene, sind die Menschen, über die er berichtet, doch, wie er kritisch bemerkt, immer »Gegenstände«. Dies bedeutet zwar nicht, dass Herr Otto völlig empathielos recherchiert und schreibt, er macht aber ganz explizit klar, wo die Grenzen einer solchen beruflichen Begegnung liegen. Es ist also hier auch der Job, der es nötig macht eine bestimmte Distanz zu wahren, damit Platz für die nächste journalistische Interaktion wird. Herr Otto beschreibt klar und explizit, welche Unterscheidungen er in Bezug auf Begegnungen mit Menschen macht. Auf der privaten Ebene sind Freundschaften möglich, beruflich dagegen gibt es entweder »Gegenstände«, über die er berichtet, oder »Informanten«, über die er an die notwendigen Daten und Zugänge kommt. Hier scheint es sich jedoch nicht nur um eine Haltung innerhalb des beruflichen Kontexts zu handeln, sondern um eine Orientierung, welche über den beruflichen Alltag eines Journalisten hinaus den Umgang mit anderen Menschen allgemein beeinflusst (»des bei Journalisten sorgt des schon auch dafür dass die son so n äh commodity Verhältnis zu zu Leuten kriegen also dass Menschen Gegenständen werden«). Herr Otto reklamiert

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eine gewisse Distanz zu Menschen als eine allgemeine Konsequenz des beruflichen Handelns als Journalist. Dies verdeutlicht sich auch in dieser Aussage Markus Ottos (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis): Otto:

Zugehörigkeiten sind mir suspekt. Und und deswegen kommt mir so ne so dieses journalistische, ähm (2) dieses Zaunsitzen kommt mir gelegen. //mmh// aber mit der Zeit da da kommt n ne Menge Zynismus dann natürlich entwickelt sich dadurch weil man weil man nicht wirklich nicht wirklich an was beteiligt ist,

Für Herrn Otto fließen sein habituelles »Zaunsitzen« und seine Haltung als Journalist zusammen in eine Distanz zu Menschen und Situationen. Er reklamiert für sich eine Perspektive des Draufblicks und kontrastiert sie selbst gegen eine (gesellschaftliche) Teilnahme. Die existentielle Distanzierung ist für ihn unweigerlich mit seinem Beruf, aber auch mit einer inneren Haltung verbunden, was einerseits eine vertraute Kontinuität bedeutet, andererseits stellt Markus Otto einen »Zynismus« fest, welcher daraus entstehe, am Leben seines Aufenthaltsortes nicht teilzuhaben. Das habituelle Handeln des Zaunsitzens scheint im Zusammenhang mit dem Erleben von Fremdheit in mehreren Milieudimensionen (hier etwa das Ausland) zu einer übermächtigen Distanz zu führen, welche nicht mehr als selbst erwünschtes Nicht-Dazugehören-Wollen erlebt, sondern als exteriores Nicht-Dazugehören-Können erfahren wird. Daraus entsteht ein Gefühl des Nirgendwo-zuhause-Seins. Ebenfalls eine beruflich bedingte Distanzierung in privaten Situationen lässt sich bei MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, finden. Hier ist es im Gegensatz zu Herrn Otto aber nicht eine spezifische berufsbedingte Haltung, die zu einer Distanz führt, sondern die mit dem Beruf einhergehende Mobilität und Belastung (Passage: Private Kontakte): Y: Stettler:

also hast du Freunde? also da hab ich jetzt überhaupt keine Freunde so, weil ich- ich hab aber- hab auch aber auch keine Ausländerfreunde ja, ich hab überhaupt keine Freunde, //mmh// @weil es einfach- @ ich kenn Leute ja, und ich geh ab und zu mit mit Leuten essen und so, //mmh// aber (3) es ist eigentlich sehr (.) beschränkt, sehr o, sehr distanziert, würd ich mal sagen, einfach weil ich keine Zeit hab dass ich da richtig Kontakt aufbau, //mmh// weil ich immer wieder weg bin und weiß ich und so,

Auch für Frau Stettler hängt es mit ihrem Beruf zusammen, dass sie sich existentiell distanziert und zwar sowohl zur einheimischen Bevölkerung als auch zu anderen Expatriates. Sie trifft sich ab und an mit Leuten zum Essen und hat ansonsten »keine Freunde«. Dies bringt sie damit in Zusammenhang, dass ihre Tätigkeit als Entwicklungshelferin häufige Ortswechsel mit sich bringt und die »Zeit«

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fehle, Freundschaften zu schließen. Die Mobilität führt in privaten Situationen zu einer existentiellen Distanzierung. Es ist aber nicht nur die Mobilität ihres Berufs, welche private Kontakte erschwert, sondern auch die berufliche Belastung und der eigene professionelle Anspruch, welche dazu führen, dass Frau Stettler ihre »Ruhe« sucht (Passage: Arbeit und Kollegen): Stettler:

-es gibt da auch so gewisse Sachen die mir am Nerv gehen ja ähm, (2) ich hab zum Beispiel Kollegen äh (2) ähm und das ist die Mehrheit da; würd ich mal sagen von den Ausländern, die dann immer so sagen ›ach ist das toll in Nairobi, und ach! [Auslassung 5 Zeilen] und du kannst im Supermarkt a:lles kaufen du kannst indisch chinesisch mexikanisch und dann denk ich immer kommts mir auf so was an? Ja, eigentlich fühle ich mich da überhaupt nicht äh (.) betroffen. //mmh// ich find das auch nicht was das ist für mich jetzt auch nicht wirklich so ein Kriterium; ja, //mmh// wie das für andere Leute offensichtlich ist ja und da krieg ich so (2) ähm und dann fahren die zum Beispiel jedes Wochenende irgendwo in den Nationalpark; Tiere anschauen. ja, ich find das auch toll, die Tiere in Kenia, //ja// aber das ist nicht meine Priorität eigentlich; //ja// ich bin da wegen der Arbeit ja, mir geht und mir ist schon äh die Arbeit die ich mach ein wesentliches Anliegen weil äh i-i-ich vielleicht auch durch die Erfahrung in Ruanda einfach gesehen hab was Krieg in Ruan- in in Afrika machen kann; ja, und wie unwahrscheinlich das die Bevölkerung vernichten kann; und und auf Jahre hinaus (.)äh //mh// ja und ich find da muss man was machen und es gibt ja alle Möglichkeiten und so weiter und da fühl ich mich irgendwie (2) //mmh// da bin ich äh (2) aufgerufen sozusagen ja, also i- ich bin vielleicht irgendwie viel mehr äh auf- ich hab eine moralische Verpflichtung und so weiter als andere Leute die irgendwie sich zu Tode langweilen bei ihrer Arich weiß es nicht, //mmh// ich kanns nicht nachvollziehen und @die dann man Wochenende Tiere anschauen gehen müssen@ wo ich irgendwie denk, bis ich realisier das Wochenende ist //@(.)@// ja äh (.) denk ich mir dann immer ah ja heut ist ja eigentlich Freitagabend äh wenn ich jetzt in Europa wär tät ich eigentlich weg gehen; ja, //mmh// völlig vergessen irgendwas zu organisieren; ja, //mmh// und dann bin ich meistens so erschlagen dass ich irgendwie kaum komm ich heim oder so ähm am Freitag zum Beispiel also ich ich penn dann vorm Fernseher weg; ja, weil ich so kaputt @bin@ oder so ich bin dann auch froh wenn ich irgendwie mal nix machen muss; //ja// und am Wochenende und so also die Leute die dann so zu Sonntagsbrunches und ahh ich denk dann immer lasts mich doch alle in Ruh also am Sonntag muss i ammal schlafen; ja, und so und ich denk dann immer (2) da hab ich so keinen Zugang zu so was.

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Die private Distanzierung Frau Stettlers bezieht sich nicht explizit auf die lokale Bevölkerung, als vielmehr auf ihre (deutschen) Kollegen. Frau Stettler begründet ihre Distanzierung zu ihren Kollegen vor allem mit unterschiedlichen Interessen. Diese divergierenden Interessen stellt Frau Stettler weniger in einen privaten Kontext verschiedener Freizeitaktivitäten, als hauptsächlich in den Rahmen ihres beruflichen Anspruchs. Ihr Anspruch und ihre Hingabe an ihre berufliche Aufgabe werden hier ersichtlich. Miriam Stettler fühlt sich »aufgerufen was zu tun« und sieht ihren Aufenthalt in Afrika rein beruflich und moralisch begründet. Die von ihr erlebten Schrecken will sie ernst genommen wissen, was Freizeitaktivitäten wie etwa »Tiere anschauen« oder Einkaufen gegenüber der beruflichen und »moralischen Verpflichtung« in den Hintergrund treten lässt. Frau Stettler stilisiert sich hier nicht primär als ›rechtschaffene‹ Person, vielmehr wird in der geringen reflexiven Distanz zu ihrem Verpflichtungsgefühl deutlich, dass es sich um eine habituelle Praxis des Engagierens handelt, welche individuelle Bedürfnisse hinter (berufliche) kollektive Verantwortlichkeit stellt. Mit diesem Fokus auf ihre berufliche Arbeit und dem dortigen Engagement wird Freizeit und Privatsphäre für Frau Stettler zu einem Ort der Erholung und des Rückzugs. Kontakte zu anderen Menschen, egal ob Einheimische oder »andere Ausländer«, sucht Frau Stettler dann nicht mehr. Sowohl bei Miriam Stettler als auch bei Markus Otto hat sich eine existentielle Distanzierung beruflich bedingt ergeben und der Rückzug in die Familie oder in die eigenen vier Wände ist ein Stück weit Kapitulation vor äußeren Umständen und Folge eigener Erschöpfung oder auch Akzeptanz von Konsequenzen der beruflichen Tätigkeit und des Verantwortungsgefühls. Es lässt sich aber auch ein Fall finden, wo die existentielle Distanzierung zur einheimischen Bevölkerung in privaten Situationen gezielt gesucht wird. Die Distanzierung erfolgt also nicht nur als selbstläufige Konsequenz des Jobs, sondern der Rückzug wird gezielt gewählt. Für RALF DONNER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, ist der Rückzug in weiße Freund- und Bekanntschaften und weiß dominierte Gegenden in zweierlei Hinsicht erstrebenswert. Zum einen sieht er es als Erholung, zum anderen als Notwendigkeit für seine journalistische Arbeit. Herr Donner erklärt ausführlich, was ihn dazu bewegt, sich im Privaten hauptsächlich mit Europäern zu treffen19 (Passage: Weißer Europäer): Y: Donner: Y: Donner: Y:

also spielt das ähm was du jetzt grad gesagt hast das is ja (.) is ja auch so im privaten Bereich dann sicher nen Thema, (.) ähm [ja [so (.) deine Freunde oder eure Freunde und Bekannte, [ja das is (.) das is so [wer sind die so? wie habt ihr die kennen gelernt?

19 Herrn Donners Argumentation in Bezug auf seine Distanz zu Einheimischen ist sehr lang und schwer zu kürzen. Daher werden im Folgenden auch längere Transkriptausschnitte verwendet.

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Donner:

Y: Donner:

also (.) mittlerweile sind die meisten Freunde mit denen wir uns regelmäßig treffen sind äh deutschsprachige. //mhm// (.) da hats auch äh (.) Nichtweiße drunter aber das sind äh (.) zu (.) über neunzig Prozent sind das Weiße. und äh wir ham auch Kenianische Freunde (1) und treffen die auch ab und zu, also Miriam hat fast noch mehr Kontakt, weil sie in nem Büro arbeit mit Schwarzen, //mhm// hauptsächlich Schwarzen, und äh, also die warn auch schon hier und wir laden sie auch ab zu und zu mal ein, aber (.) wir ham (.) mit Kenianern (.) privat (.) viel weniger Kontakt als mit Experts, ganz klar. //mhm// (1) bei mir hat das (.) vielleicht auch nen bisschen (.) es gibt ver- verschiedene Gründe. (.) also wenn ich auf meinen Reisen bin, bin ich extrem mit Schwarzen zusammen, da bin ich eigentlich also natürlich äh treff ich da weiße Helfer oder oder Diplomaten, aber wenn ich reise in Darfour, dann is mein Leben abhängig (.) von meinen schwarzen Begleitern, nicht? //mhm// die könn mit mir tun was sie wollen. ((atmet)) und (.) darum hab ich eigentlich da=Gefühl ich bin (.) genügend oft mit Schwarzen zusammen und dann manchmal wünsch ich mir einfach hier auch ein bisschen Europa, also dann geh ich, (.) ich weiß nicht ob du schon mal im Village Markt warst, ja, da war ich schon mhm manchmal muss ich einfach am Samstag da drei Stunden shoppen gehen und Afrika vergessen //hm// und das ganze (.) hier siehst du das Elend nicht. aber (.) hier oben, wo du vorbei gefahren (.) bist da ist eine Schule //ja// da hat es (.) hats bis vor kurzem einen Kiosk. (.) ein armer Kerl der hier nen bisschen Milch verkauft, bisschen Brot und so einfache Dinge. ((klopft auf den Tisch)) //mhm// naja (.) der is en Konkurrent von den Lehrern dieser Schule, die (.) weil die ja immer noch privat Geld machen, die verkaufen äh Lunch. an ihre Kinder //ah// sind fast fünf=sechshundert Kinder //hm// ganz viele, (.) die ham nur zwei Lektionen pro Tag. (.) weil die Lehrer zu faul sind. zwei, zwei Lektionen, den Rest (.) müssen die sich selber beschäftigen. und jetzt weil der Kioskbesitzer (.) ähm (.) auch Lunch verkauft, und es vielleicht billiger macht als die Lehrer hat ihn der (.) der Rektor der Schule (.) bei der Stadt angezeigt und gesagt der verkauft Drogen an die Kinder. (.) und da kam nicht etwa die Polizei sondern die so genannten City ASKs das sind die die auch im Westland, das siehts du, das ist ja alles jetzt, du siehst so offene Flächen da (.) Erde, (.) da ist nichts mehr. da warn früher alles Kioske (.) die kommen und schlagen alles kurz und klein. //mhm// inklusive die Menschen (.) und das ham sie bei dem auch gemacht, (.) alles kurz und klein geschlagen, nicht gefragt, ja:a untersucht, das war nicht mal die Polizei nicht, //ja// nicht gefragt, gekommen und alles kaputt gemacht. //mhm// und seine Existenz vernichtet. und jetzt ist der Kiosk, jetzt ist alles weg. //ja// ne Zeitlang hat er=s noch so versucht so unter nem Dächlein, und (.) @(.)@ (.) wenn wenn man solche Sachen sieht, und das war an an nem andern Ort wo wir vorher warn war das noch noch viel schlimmer, also da warn da sind ganze da warn hunderte von Leuten wurden einfach

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vertrieben, von einem auf den andern Tag (.) zack weg. kam einer mit nem Papier, ih- ihr habt bis morgen Zeit, verschwindet. (.) ihr seid hier auf Staatsland, (.) da wird ne Straße gebaut. diese Straße wird nie gebaut //ja// nie. (.) aber man vernichtet die Existenz von hunderten von Leuten (.) und das ist das was was (.) schwierig zu ertragen ist auch wenn man, ich mein das ist ja extrem also (.) das ist schon luxuriös also du hast es nur kurz gesehen aber das ist ein riesen Gelände in Hektar, die sind dabei nen Tennisplatz zu bauen also, (.) Luxus pur, auch verglichen jetzt mit Europa, natürlich, in Europa hätte man keinen elektrischen Zaun und sieben Wachhunde un- und zwei Nachtwächter mit Pfeilbogen und so ((atmet))

Die Frage der Interviewerin knüpft an Herrn Donners Ausführungen bezüglich der Auswirkungen seiner weißen Hautfarbe an und unterstellt, dass der Hautfarbe auch im privaten Bereich Bedeutung zugesprochen wird, was Herr Donner bestätigt. Die daran angeschlossene Frage nach Freundschaften im Allgemeinen ist also schon durch die Thematisierung der Hautfarbe vorstrukturiert und so verwundert es auch nicht, dass Herr Donner genau diesen Aspekt, die Frage nach der (sichtbaren) Herkunft seiner Freunde im Folgenden beschreibt. Er beginnt seine Beschreibung mit einer zeitlichen Festlegung (»mittlerweile«), wobei nicht ganz klar ist, was sich im Laufe der Zeit entwickelt hat und was zuvor anders war. In Herrn Donners Beschreibung der Freundschaften werden sowohl seine Vorstellung von Freundschaft (regelmäßige Treffen), als auch deren Bedingungen angesprochen (gleiche Sprache). Mit der schwarzen einheimischen Bevölkerung sieht Herr Donner beide Aspekte nicht oder nur in geringem Maße gegeben. Im Verweis auf die Kontakte seiner Frau ist eine weitere selbstläufige Bedingung von Freundschaften oder Kontakten in allgemeiner Form von Herrn Donner benannt. Die sich von selbst ergebenden Kontakte durch den Beruf bilden eine natürliche Ausgangsbasis für den Aufbau von Freundschaften. Auch Herr Donner ist beruflich (auf Reisen) in engem Kontakt mit Schwarzen. Daraus ergeben sich aber, vermutlich bedingt durch die Kurzfristigkeit oder auch Einmaligkeit, keine weiteren Beziehungen. Dass aber auch im Fall der Kontakte seiner Frau der Aufbau von Freundschaften mit Schwarzen misslingt, bringt Herrn Donner dazu, ausführlich zu erklären, warum er sich in seiner privaten Situation auch gezielt von Einheimischen distanziert. Ein zentraler Aspekt in der Argumentation von Herrn Donner ist, dass er beruflich viel mit Schwarzen zu tun habe, ja manchmal geradezu »abhängig« von ihnen sei, dass er deren Lebensumstände persönlich kenne und dass diese Konfrontation mit anderen Lebensumständen »schwer zu ertragen« sei. Dies führt dazu, dass Herr Donner privat ab und zu »Afrika vergessen« möchte. Nach anstrengenden Reisen, in denen er sich dem guten Willen seiner afrikanischen Begleiter teilweise ausgeliefert fühlt, sehnt sich Herr Donner nach besseren, luxuriöseren Umständen und nach Sicherheit.

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Den Wunsch danach verbindet er mit einem Bild von Europa, welches er im Einkaufen in einer von weißen Europäern dominierten Shoppingmall (»bisschen Europa«) dann auch findet. Dort hinzugehen ist geradezu ein Bedürfnis für Herrn Donner, er »muss« das ab und zu tun. Dort kann er dem für kurze Zeit entschwinden, was ihn in seiner Umgebung belastet: dem »Elend«. Sein Rückzug in eine Vertrautheit begründet Herr Donner mit einer permanenten, ihn belastenden Präsenz von Grausamkeiten und Alltagsterror. Das Elend, auf das Herr Donner rekurriert, beschreibt er anhand eines Beispiels aus der Nachbarschaft. Herrn Donners Beschreibung zeigt zweierlei Dinge: Erstens kennt er sich mit dem Ablauf der Geschichte gut aus und zweitens nimmt er eine bewertende Position ein. Er schildert, wie ein einfacher Mann (»armer Kerl«) versucht ein wenig Geld zu verdienen, indem er in geringen Maßen Lebensmittel an die Schüler einer Schule verkauft. Herr Donner unterstellt, dass die Lehrer darin eine Konkurrenz gesehen haben und den Mann verleumden. Deutlich wird Herrn Donners Sympathie für den Mann aus ärmlichen Verhältnissen, der rechtschaffen sein Geld verdienen möchte, wohingegen die Lehrer als »faul« und berechnend beschrieben werden. Die Folge der Verleumdung ist eine brutale Zerstörung des kleinen Ladens, möglicherweise auch Gewalt gegenüber dem Kioskbesitzer. Herr Donner macht hier einen impliziten Vergleich mit Deutschland, wo einer solchen Anschuldigung zunächst eine Untersuchung durch die Polizei folgen würde. Im Gegensatz dazu kommt in Nairobi nicht die Polizei, sondern ein privater Sicherheitsdienst der Stadt, welcher ohne Rücksicht auf Verluste alles zerstört. Dieses Vorgehen ist keine einmalige Angelegenheit, sondern, so Donner, hat sich auch schon an einem anderen Ort abgespielt. Der Mann wird von Herrn Donner eindeutig als Opfer dargestellt, der ohnmächtig gegenüber gewissen Strukturen sei und dessen Lebensgrundlage grundlos vernichtet werde. Herr Donner schreibt der Anzeige der Lehrer zwar Sinn zu, kann dies aber nicht unterstützen, sondern vielmehr solidarisiert er sich hier verbal mit der schwächeren Position. Seine Abneigung gegenüber Autoritäten und unsinniger bürokratischer Vorgänge wird auch im folgenden Abschnitt nochmals deutlich. Herr Donner beginnt zunächst seine Erklärungstheorie fortzuführen (»wenn man solche Sachen sieht«), fügt dann aber noch mal eine weitere Beschreibung einer willkürlichen Vertreibung und Zerstörung der Lebensgrundlage von armen Menschen an, bevor er seine Erklärungstheorie zu Ende führt. Die Konfrontation mit ›unsinniger‹ Brutalität und Gewalt, gegenüber welcher man sich ohnmächtig fühle, und die damit verbundene zunehmende Verelendung der ohnehin armen Bevölkerung, ist für Herrn Donner »schwierig zu ertragen«. Und zwar auch trotz seines Lebens in einem luxuriösen Anwesen, wo die Armut einen scheinbar nicht tangiert. Sein Anwesen bezeichnet er als »Luxus pur«, schränkt jedoch ein, dass es zwar ein Luxus sei, der aber aggressiv beschützt werden müsse und damit nicht vergleichbar mit europäischen Verhältnissen ist. Die bewusste Distanzierung von der einheimischen Bevölkerung, sein Rückzug in sein Anwesen und in eine Expatriates-community sieht er selbst als eine Bewältigungsstrategie

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bezüglich der ihn umgebenden ärmlichen Lebensumstände. Herrn Donner geht es dabei gar nicht so sehr darum, dass es zwischen ihm und der einheimischen Bevölkerung einen unüberwindbaren ökonomischen Graben gibt, sondern dass allein das ›Elend‹, das ihn umgibt, nur zu ertragen ist, wenn er es, zumindest partiell, versucht auszublenden. Die in Fokus gerückte Wahrnehmung der ärmlichen und beschwerlichen Lebensumstände führen somit zu einem distanzierenden Handeln. Der Rückzug ist einem Wunsch nach Sicherheit und Vertrautheit geschuldet und dem Bedürfnis, der Ohnmacht gegenüber der Gewalt zeitweise zu entkommen. In zwei weiteren, darauf folgenden Sequenzen geht es Herrn Donner weiter um die Legitimierung seiner bewussten Distanz zur einheimischen Bevölkerung (Passage: Weißer Europäer): Donner:

aber ich find das völlig legitim dass man sagt ja ähm (.) wir möchten auch ab und zu mal (.) in unser Sprache reden, //hm// das find ich vor allem das Wichtige, die Sprache ist wichtig, also wir überlegen uns dann auch wenn wir deutsch ne deutschsprachige Runde sind, irgendwie fünf Leute, (.) ja wenn wir jetzt noch einen ei- einladen der der nur Französisch oder nur Englisch kann (.) ja dann müssen alle Englisch sprechen, das ist nicht für alle gleich einfach, und (.) dann macht mans eben oft nicht. //mhm//

Herr Donner gibt als weiteren Legitimationsgrund des geringen privaten Kontakts zu Einheimischen die Sprache an. Sein Bedürfnis, in der Muttersprache zu sprechen, und die unterschiedlichen Voraussetzungen in der Sprachbeherrschung einer Drittsprache (»Englisch« oder »Französisch«) führen dazu, dass soziale Beziehungen und Einladungen auf eine deutschsprachige Gruppe reduziert sind. Neben der Ausblendung des Elends ist es der Wunsch nach einer unkomplizierten Kommunikation, die Herrn Donner dazu bringen, sich von Einheimischen auch privat zu distanzieren. Dass er dies für besonders erklärungswürdig ansieht, hält Herr Donner abschließend fest (Passage: Weißer Europäer): Donner:

und ich also ich find das auch nichts äh Schlimmes aber, (.) ich hab das jetzt so ausführlich ge- äh erzählt weil (.) Leute die die, die Situation (.) hier und auch sonst in Afrika nicht so kennen die, die werfen dann den (.) den Experts äh sehr schnell Rassismus vor, und äh (.) diesen Rassismus den gibts, ich kenne solche Leute //mhm// aber das sind dann auch die Leute die, die ham ihre ihre Villa, so wie wir, und die gehn am Morgen mit=em Auto ins Büro, machen da ihren Job, und da komm sie vielleicht mit Schwarzen zusammen, und dann ham sie noch Hausangestellte zu zu Hause aber die gehn nie in nen Slum, die gehn nie, also wenn die (.) rausfahrn, dann gehn sie in in einen eine Luxuslodge, in irgend einen Park, //mhm// und gucken sich das an, und sind mehr an den an den Tieren als an den an den Afrikanern interessiert. und ich mein ich mach das

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nicht, und darum hab ich auch nicht das den den (.) das Gefühl ich müsste da irgendwie kompensieren, aber ich, ich weiß dass dieser Vorwurf (.) Experts gegenüber zum Teil eben schon berechtigt ist, weils (.) ich find einfach ich gehör nicht zu denen, aber das (.) //mhm// muss sich jeder selbst überlegen ob das stimmt

In der Abgrenzung zu anderen weißen Expatriates wird nochmals deutlich, dass Herr Donner sich als einen Afrikaexperten sieht, als jemanden, der viel wahrnimmt, darüber nachdenkt und schreibt und auch schon viel auf diesem Kontinent erlebt hat. Herr Donner antizipiert die Wahrnehmung seines Verhaltens der Distanzierung als homolog zu anderen Expatriates und ist umso bemühter, einen solchen Schluss nicht zuzulassen. Innerhalb seines Milieus der Expatriates in Kenia sieht Herr Donner große Unterschiede des distanzierten Verhaltens und ringt um eine differenzierte Betrachtung. Sein privater Rückzug, so betont er, ist seiner beruflichen Aktivität geschuldet und nicht einem Rassismus oder einem grundsätzlichen Desinteresse an den Menschen des Landes, welche er implizit anderen Expatriates unterstellt. Er wählt hier die gleiche symbolische Verdichtung (»Tiere«) wie zuvor Frau Stettler. Die strategische Distanzierung im privaten Bereich ist also auch hier eng an eine berufliche Orientierung angelegt. Sie bezieht sich geradezu darauf. Gleichzeitig ließ sich aber auch herausarbeiten, dass es nicht allein eine Bewältigungsstrategie von Fremdheitserfahrung (im weiteren Sinne) ist, sondern dem grundsätzlichen Wunsch nach einem stressfreien Alltagsleben entspricht. Dies inkludiert luxuriöses Wohnen, Einkaufen in einer Shoppingmall und Gespräche unter Freunden in der Muttersprache. Die Folgen dieser Bedürfnisse gehen im Gastland einher mit einem Bedürfnis nach Sicherheit (elektrischer Zaun) und einer gleichzeitigen extremen Abkapselung und Distanzierung (Villenviertel) aufgrund großer ökonomischer Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung. Für Herrn Donner ergibt sich aus dem Wunsch nach »ein bisschen Europa« und der Wahrnehmung des »Elends« kein alternatives Handeln in Kenia als den Rückzug. Der zweite zentrale Aspekt, den Herrn Donner dazu bringt, sich privat von Einheimischen zu distanzieren, liegt, ähnlich wie bei Herrn Otto, explizit in seiner Tätigkeit als Journalist begründet. Sah Herr Otto die Tätigkeit als Journalist als Ursache für ein »commodity-Verhältnis«, ist es für Herrn Donner eine unabhängige Berichtserstattung, welche eine existentielle Distanzierung geradezu erfordere (Passage: Weißer Europäer): Donner:

(.) aber (.) durch meinen Beruf, ich mein ich seh das Elend, ich bin in (.) in vielen Slums von von Nairobi gewesen, nicht so wie die (.) die bessere Schicht hier in Nairobi, also ich meine jetzt auch die schwarze Schicht, die nie (.) einen Fuß (.) da reinsetzen würde, für die sind diese Leute nur Abschaum (.) nur //hm// die kann man zu nichts gebrauchen. //mhm// und das is (.) das is schwierig zu ertragen und da hab ich eben dann auch

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meine (.) meine meine Berührungsängste mit mit (.) mit der besseren Gesellschaft, der kenianischen besseren Gesellschaft. //mhm// weil (.) eigentlich kann man (.) kann man sich fast nur, also wenn man wenn man wenn das soziale Leben so auch so bisschen durch Einladungen, und gemeinsamen Restaurant gehen oder Kino gehen, dann (.) is das eigentlich nur möglich wenn man entweder die (.) die Kenianer einlädt, dann kann man auch mit den Armen irgendwo hin, aber wie, wie kommen die dann zurück in ihr Slum? Hm, //mhm// ab sieben Uhr wirds gefährlich //mhm// die ham alle kein Auto, also (.) dann triffst du dich eher mit den den Vermögenden die ein Auto haben (.) weil (.) sonst kann man die gar nicht einladen, die kommen, die kommen nicht die kommen nicht weil sie sonst nicht zurückkommen in ihr Slum //mhm// und ins Kino das könn die sich nicht leisten, dreihundert Schilling für nen Kino das is @(.)@ dreihundert Schilling davon da da lebt die Familie drei Tage lang, nich, //ja// ((atmet)) und mit den Vermögenden, da gibts natürlich auch Intellektuelle da gibts auch Leute mit sauberen Händen, sicher. aber wer hier in Kenia reich geworden ist, is fast immer durch Beziehung zur Politik, und fast immer nur (.) durch (.) illegale Dinge. //mhm// und äh ich kenn ich kenn auch weiße Unternehmer hier und ich bin überzeugt auch di:e die zahln Bestechungsgelder, und die brauchen irgendwie ne schützende Hand über ihr Unternehmen damit die nicht enteignet werden, und (.) und ehrlich gesagt (.) da möcht ich möglichst wenig damit zu tun haben //mhm// weil wenn ich das, wenn ich diese Kontakte pflege, (.) dann bin ich dann plötzlich (.) dann bin ich nicht mehr der der irgendwas was Kritisches schreiben kann und jemand liests, dann plötzlich (1) wird das publik, und dann krieg ich Probleme hier //hm// und darum (.) mach ich lieber das was man hier, was man auf Englisch nennt äh keeping a low profile, //mhm// das war von Anfang an meine Strategie, (.) in Kenia kümmerst du dich möglichst wenig um die Politik. //mhm// weil (.) ich bin ja andauernd drin also ich ich ich sehe welche Gesetze verabschiedet werden, ich hab ja selber meine Probleme mit den Behörden, tari und tara, da da muss ich mich nicht groß anstrengen,

Herr Donner verweist hier wiederum auf seinen beruflichen Kontext, der ihn nah an die Lebensverhältnisse einer armen afrikanischen Bevölkerung bringe. Diese Erfahrung und sein Verhalten sieht er als Gegenhorizont zu der Haltung einer schwarzen Mittel- oder Oberschicht, die nach Ralf Donners Einschätzung dem Elend aus dem Weg gehen und auf die armen Menschen herabschauen. Eine solche überhebliche Einstellung findet Herr Donner schwer zu »ertragen« und meidet daher den Kontakt zu den Menschen der »besseren Gesellschaft«. Vermutlich ist es hier Herrn Donners Solidarität mit den Schwächeren und sein politisches Verständnis, welche Abneigung gegenüber dieser von ihm als arrogant wahrgenommenen Haltung hervorrufen. Beruflich hat Herr Donner nach seiner Darstellung also durchaus häufigen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Über diese Interaktionen erzählt er an dieser Stelle und auch im sonstigen Verlauf des

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Interviews leider nicht. Die Rahmung seiner Beschreibungen und Erklärungen ist seine Außenseiterposition als Weißer und die Abgrenzung zu verschiedenen sozialen Schichten. Ralf Donner erläutert, dass es letztlich nur einen Weg gibt, mit Kenianern Kontakt zu haben: Man müsse sie einladen. Ökonomische Differenzen und unterschiedliche Ausgangslagen (Wohnort, Mobilität) führen zu einer fast unlösbaren Problematik des Zusammentreffens. Bei ähnlichen Ausgangslagen (Geld, Auto) unterscheidet Herr Donner zwischen Intellektuellen (mit denen er Kontakt haben möchte) und solchen Menschen, die vermögend geworden sind, indem sie »illegale Dinge« getan haben oder weil sie korrupt sind. Davon grenzt Herr Donner sich ab. Unklar ist an dieser Stelle, woher sich Herrn Donners Wissen speist, da er von keiner konkreten Situation erzählt, sondern allgemein eine Situation beschreibt, die nicht unbedingt seiner Erfahrung entspringen muss. Schließlich zeigt sich hinter Herrn Donners Distanzierung auf verschiedenen Ebenen (Diskussionen, Einladungen) eine Strategie zur Wahrung seiner beruflichen Autonomie. Der soziale Rückzug wird von ihm damit begründet, dass seine Berichterstattung so kritisch sei, dass engere soziale Kontakte mit Kenianern zu einer Einschränkung seiner beruflichen Freiheit führen würden. Wann genau diese Strategie entwickelt wurde, bleibt zunächst unklar, Herr Donner weist darauf hin, dass er dies schon von »Anfang an« so macht. Er bemüht sich, möglichst unauffällig zu sein (»keep a low profile«), um damit seine beruflichen Tätigkeit nicht in die Quere zu kommen. Er zeigt sich hier als beobachtender und auch bewertender Auslandexperte, der einer persönlichen Interaktion aus dem Weg geht und seine Arbeit als einen Kampf begreift, dessen (wie er zuvor sagte) »Waffen« Informationen sind. Die Verschränkung alltäglichen Handelns und beruflicher Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Distanzierung, zeigt sich auch anhand eines Beispiels von unbeabsichtigter Korruptionszahlung (Passage: Weißer Europäer): Donner:

also ich hab jetzt selber einen (.) einen Fall ((stöhnt)) da hab ich eigentlich (.) ohne zu wollen (.) en Bestechungsgeld gezahlt, weil ich (.) nen Strafzettel bekommen und (.) wollte den zahlen und die war auch dabei ein Recite auszufüllen und dann hat sie das zugeklappt ((klatscht)) und gesagt ähm you get it tomorrow. (.) und natürlich hat sie das Geld, ((klatscht)) (.) äh in (.) die eigene Tasche gesteckt, (.) und ich (.) bin mir jetzt am Überlegen ob ich jetzt einfach mal den Rechtsweg beschreiten soll (.) und daraus ne Geschichte machen, wie schwierig das nämlich is, und dass das völlig hoffnungslos ist da irgendwas zu ändern. ((atmet)) (.) aber durch durch ich find durch meine, durch meine Arbeit hab ich (.) genügend (.) @genügend@ Kontakt mit äh (.) Kenianern und vor allem auf meinen Reisen da bin ich immer mit mit Schwarzen zusammen unund darum hab ich da so nen bisschen meine Reserve und äh (.) bis jetzt hat sich das auch (.) auch bewährt

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Herr Donner macht die Erfahrung, dass eine Polizistin sein Bußgeld selbst einsteckt, und ist dadurch motiviert, eine Geschichte darüber zu schreiben und damit korrupte Verhältnisse in Kenia insgesamt zu thematisieren. Er fragt sich aber letzten Endes resignierend, ob dies sich überhaupt lohnt. Spannenderweise und auch typischerweise berichtet Herr Donner in der Interaktion mit der Polizistin nur sehr eingeschränkt von seinen Handlungen. Er bleibt geradezu passiv bzw. bietet keinen Einblick in sein Verhalten. Deutlich wird, dass Herrn Donners strategische Distanzierung aus dem Bedarf an Wahrung seiner autonomen Freiräume als Journalist auch zu einer Verengung seines Bewegungsspielraums werden kann. Die erste Motivation, eine Erfahrung mit Korruption journalistisch zu verwerten, überdenkt Herr Donner erst einmal. Es ist aber auch Herrn Donners Wahrnehmung des »hoffnungslosen« Zustandes, welche ihn überhaupt erst dazu bringt, sich von der einheimischen Bevölkerung zu distanzieren. Diese Hoffnungslosigkeit sieht Herr Donner hier in der Unmöglichkeit, auch nur Kleinigkeiten zu verändern. So bleibt Herr Donner in seinem Gastland nicht nur Außenseiter, sondern auch passiver und zum Teil resignierender Beobachter. Notwendige Bedingungen (Sprache, ökonomische Gleichstellung, die nicht auf Korruption beruht, Möglichkeiten der Veränderung) für eine Begegnung sieht Herr Donner nur äußerst selten gegeben. Sein Wunsch nach einem »guten Leben« (»ich mag lieber gutes Leben, wenn ichs einfach haben kann dann hab ichs lieber einfach,«), welchen er zu Beginn des Interviews äußert, und die Freude, die er mit der Arbeit in seinem Anwesen hat sind zwei weitere Faktoren, die dazu beitragen, dass Herr Donner sich privat zurückzieht und den Kontakt mit Einheimischen nicht sucht. Eine existentielle Distanzierung in privaten Situationen kann, wie dargelegt, auch eng durch den Beruf bedingt sein. Als beruflicher Habitus, als Erholung und Konsequenz beruflicher Belastungen und Ansprüche sowie als Notwendigkeit zur Wahrung beruflicher Autonomie kann eine existentielle Distanzierung zur einheimischen Bevölkerung erfolgen.

Einsamkeit und Enttäuschung Eine Distanzierung kann aber auch aufgrund emotionaler Gründe entstehen oder sich verfestigen. Für HANNA KATOSCHEK, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, geht ihre Tätigkeit im Ausland mit einem hohen Maß an Einsamkeit einher, welche auch durch eine Distanz zur einheimischen Bevölkerung bedingt empfunden wird (Passage: Beziehung): Y:

Katoschek:

du hast vorh- zu deiner- also die warum du jetzt die Stelle warum du jetzt zurück gehen wolltest //mhm// da haste jetzt son bisschen was dazu gesagt; //ja// (2) also einmal halt das ich nich zu lang im Ausland leben möchte weil ich ich möchte nich so ne EZettlerin werden die nur im Ausland leben kann; //mhm// (2) ich möchte eigentlich den Kontakt nicht verlieren nach Deutschland; //mhm// (3) das ist das eine, (1) dann denk ich hängt das

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viel mit meiner privaten Situation zusammen ich bin Single siebenunddreißig //mmh// und möchte eigentlich gern noch ne Familie gründen; //mhm// (2) und ich hab halt gedacht dass es einfacher wär hier vielleicht den passenden Partner zu finden, (2) und es ist aber überhaupt nicht einfach vielleicht ist es hier genauso schwierig wie in Deutschland; //mhm// das mag ich vielleicht behaupten; aber ich denke es ist nirgends einfach ja, //ja// aber ich möchte einfach meine Chancen erhöhen weil ich denke die sind hier sehr gering;

Frau Katoschek legt in dieser Passage dar, was sie dazu bewegt nach Deutschland zurückzukehren. Es ist ihr eigener Wunsch den Auslandsaufenthalt zu beenden. Dieser Wunsch ist primär aus einer Erfahrung von Fremdheit entstanden, wie aus Frau Katoscheks Ausarbeitung des Themas zu sehen ist. Diese Fremdheit erlebte Frau Katoschek hauptsächlich in Bezug auf ihre exponierte Position, was sie auch anhand des negativen Gegenhorizontes der Entwicklungshelferin, die nur noch im Ausland leben kann, verdeutlicht. Damit einhergehend äußert sie eine implizite Befürchtung, ein zu langer Auslandsaufenthalt führe zu einer Entfremdung und einem Abbruch ihrer Kontakte nach Deutschland. Frau Katoschek spricht hier aber nicht von bestimmten Bezugspersonen (etwa Freunden oder Familie) oder explizit vom deutschen Arbeitsmarkt (etwa Jobalternativen, Weiterbildung etc.) sondern von »Deutschland« im Allgemeinen. Wie in der darauf folgenden Hintergrundstheorie dieser Argumentation zu Tage tritt, verbindet Frau Katoschek ganz konkrete Hoffnungen mit einem Leben in Deutschland, die aber noch nicht an bestimmte Personen oder einen bestimmten Lebensort gebunden sind. In einer Hintergrundsbeschreibung und -theorie führt Frau Katoschek ihren Familienwunsch als Ursache für ihre Rückkehr an. Dabei spielen vor allem die Suche nach dem richtigen, »passenden« Partner zur Familiengründung und ihr Alter eine zentrale Rolle. Ihre Vorstellung bzw. Erwartung, im Ausland leichter einen Mann kennen zu lernen, mit dem sie eine Familie gründen kann, hat sich als Irrtum entpuppt. Inzwischen vermutet Frau Katoschek, dass sie diesbezüglich in Deutschland größere Chancen habe. Sie räumt zwar ein, dass sich die Partnersuche überall und generell als ein schwieriges Unterfangen gestaltet, schöpft aber aus ihrer geplanten Rückkehr nach Deutschland dennoch die Hoffnung, ihre »Chancen« zu »erhöhen«, welche sie in Kenia als sehr gering einstuft. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass für sie eine »interkulturelle Ehe« nicht in Frage komme (Passage: Beziehung): Katoschek:

ich möchte keine interk- interkulturelle Ehe ich möchte keine Beziehung zum Kenianer; //mhm// aber das wusste ich vorher nicht; ja, das hat sich eher so ergeben; ich hatte //wodurch?// ich hatte Beziehungen zu (1) zu Kenianern auch auch auch zu einem Haitianer; //mhm// damals hab ich noch nicht gedacht dass ich das für mich ausschließen möchte oder so; warum auch ja, also (1) aber mittlerweile weiß ich dass ich das nicht möchte das ist mir ich kann diesen kulturellen Gap nicht überbrücken;

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ich ich wills einfach auch nicht; //mhm// und die leben anders leben; ich bin unterschiedlich also wir sind einfach sehr unterschiedlich //mhm// und ich fühl mich sehr viel wohler in ner in ner Beziehung im Kontakt zu jemanden mit dem ich kulturell viel teilen kann; //mhm// das ist mir wichtig; also viele interkulturelle Beziehungen leben ja davon, dass die Unterschiede sie so fasziniert; //ja// und die das spannend anstrengend viel Arbeit finden aber eigentlich das spannende daran wichtiger finden; //ja// und ich kann daran nicht viel Spannendes finden; auf auf auf Dauer; //ja// also für ne Beziehung ja, also jez- also jetzt feste Beziehung Partner heiraten find ich nicht wichtig aber Kinder halt auch also @das volle Programm@ und das find ich (.) kann ich mir nicht vorstellen; //mhm// (2) also mit ner anderen Kultur meine ich natürlich ja klar Afrika ist ganz anders (2) klar Europa find ich jetzt schon sehr ähnlich obwohl es da auch kulturelle Unterschiede gibt riesige ja, aber (2) mir macht das einfach mehr Spaß mich mit Leuten jetzt ganz privat und persönlich ich denke halt man kann hier schon mit Leuten Kontakte und nette Beziehungen aufbauen; aber von mir von der Persönlichkeit her ist mir ich hab wenige Freunde aber dann sehr intensiv; //mhm// und das das das kann ich mit hab ich nicht geschafft bisher mit Kenianern //mhm// aufzubauen oder mit Haitianern; oder //ja// das bleibt oft auf nem Level der mir auf Dauer für ne tiefe Freundschaft nicht reicht; //ja// und damit mein ich halt besonders ne Beziehung klar; //ja// (2) so ich denke das ist für mich n Hauptgrund warum ich zurück möchte, beruflich klar ich hab n super Job aber auch da muss irgendwie weitergehen; //mhm// (3) wobei ich das schon sehr sehr schön finde so ja, was ich hier gerade mache; (5) ja; (2) aber das wusste ich ja vorher noch nicht das hab ich ja vor zehn Jahren nicht gewusst klar wie auch ne, //ja klar// (2) und es ist n sehr schnelles Leben im Ausland; also die Fluktuation der Leute gerade wenn man sich überwiegend mit Expats (1) sag ich beschäftigt //ja// ist einfach sehr hoch ich hab die erste Runde schon überlebt jetzt quasi die ersten Leuten hier waren da sind viele einfach schon wieder weg; //mhm// und das find ich auf Dauer nicht schön; da fehlt mir son bisschen Stabilität so in in n sozialen Leben

Zur einheimischen Bevölkerung empfindet Hanna Katoschek eine Distanz, die sie an »kulturellen« Differenzen festmacht. Diese Haltung hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Es handelt sich hier also nicht um einen Handlungsentwurf, sondern vielmehr um einen Lernprozess, der nun die Wahrnehmung und Handlungen von Frau Katoschek strukturiert. Frau Katoschek machte Erfahrungen mit Beziehungen zu Kenianern und hat daraus die Konsequenz gezogen, eine solche Beziehung nicht mehr zu suchen. Es handelt sich hier also um eine innere Veränderung der Orientierung aufgrund einer gemachten Erfahrung. Was nun dazu geführt hat, dass sich Frau Katoschek heute keine Ehe mit einem Kenianer mehr vorstellen kann, begründet sie mit einem »kulturellen Gap«, einer Fremdheit und

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Andersheit, die nach ihrer Einschätzung unüberwindbar ist. Sie selbst sieht sich zumindest nicht imstande, diese Differenz zu »überbrücken«. Frau Katoschek hebt den von ihr wahrgenommenen existentiellen Unterschied zwischen sich und Kenianern hervor. Sie verweist darauf, dass es ihre eigene kulturelle Gebundenheit sei, welche es ihr erschwere oder gar unmöglich mache, »anders [zu] leben«. Sie betont, dass sowohl ihr Empfinden (sich wohler fühlen) als auch ihre rationale Einschätzung (»das ist mir wichtig«) und der Aspekt von Gemeinsamkeit (»viel teilen«) in einer Beziehung mit einem Menschen gleicher kultureller Herkunft gut seien, und impliziert damit, dass dies mit einem Kenianer nicht der Fall wäre. Anhand eines erdachten Gegenhorizontes eines bikulturellen Paars erörtert Frau Katoschek das, was für sie gegen eine solche Liaison spricht. Die »Unterschiede« einer bikulturellen Beziehung haben für sie keinen Anreiz. Es geht sogar so weit, dass Frau Katoschek schon imaginär an die Grenzen ihrer Bilder vom Leben stößt und es sich nicht mal »vorstellen« kann. Eine Beziehung und gemeinsame Kinder mit einem kenianischen Mann liegen außerhalb ihres Selbstkonzepts. Die Bilder von ihrem Selbst können hier nicht greifen und machen schon allein die Vorstellung zunichte. Dies ist insofern interessant, als Frau Katoschek ja durchaus schon Erfahrung in bikulturellen Beziehungen gemacht hat, sie hier also auch von ihrer eigenen Erfahrung ausgegangen sein könnte, auf diese hier aber nicht weiter eingeht. Insbesondere zu den Menschen außerhalb Europas (»Afrika«) empfindet Hanna Katoschek eine existentielle Distanz, welche ihr, für ihren Wunsch, einen Partner zu finden, im Wege steht. Diese intime Selbsteinschätzung, welche auch mir als Interviewerin gegenüber als solche betont wird, beinhaltet auch ein hohes Maß an Reflexion über die eigenen Bedürfnisse und Handlungsmöglichkeiten. Frau Katoschek sieht in einer gleichen kulturellen Herkunft den Grund für mehr Freude und Austausch und setzt dies als positive Horizonte für eine intensive Beziehung. Theoretisch sieht Frau Katoschek durchaus Möglichkeiten für oberflächliche »Kontakte« und »nette Beziehungen« mit Kenianern, diese können aber Frau Katoscheks Ansprüche an eine Liebesbeziehung nicht befriedigen. So werden die wahrgenommene kulturelle Differenz und der damit einhergehende Mangel an passenden Liebespartnern und an Verlässlichkeit zum Hauptgrund für ihre Entscheidung zur Rückkehr nach Deutschland. Die beruflichen Gründe treten hier eindeutig in den Hintergrund. Zum Abschluss der Thematik kommt Frau Katoschek noch auf die fehlende »Stabilität« im privaten Bereich zu sprechen, die grundlegend ihr Leben im Ausland prägt. Nicht nur die Schwierigkeit einen richtigen Partner im Ausland zu finden, trägt zu einer gewissen Unzufriedenheit und Einsamkeit bei, sondern ganz allgemein sehnt sich Frau Katoschek nach einer anderen (vertrauten) sozialen Einbindung. Die ständige Mobilität, die auch schon Frau Stettler erwähnte, macht Freundschaften schwieriger und führt zu eher oberflächlichen Kontakten.

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Hanna Katoschek erlebt sich zum einen in einer existentiellen Distanz zur einheimischen Bevölkerung und begründet dies kulturell. Zum anderen ergibt sich auch in der Gruppe ausländischer und deutscher Kollegen nicht der erträumte Kontakt. Die Sehnsucht nach einer Familie und die erfolglose Partnersuche in Kenia führen zu Einsamkeit und dem Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren, wo Frau Katoschek mehr Gemeinsamkeiten zu anderen Menschen annimmt. Auch MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, hat ihre engsten Vertrauten nach wie vor in Europa und stellt fest, dass sie solche Freundschaften in Afrika nicht gefunden hat (Passage: Private Kontakte): Stettler: Y: Stettler:

Stettler:

und ich muss auch sagen ich hab jetzt da einfach niemanden gefunden mit dem ich mich so wirklich (2)ähm (1) so warm geworden bist? genau. Wo ich jetzt so sagen kann okay den kann ich jetzt auch (2) um drei in der früh anrufen und sagen mir reichts oder so //ja// ich will @wieder heim. (1)@ ja, //jaja// oder sonst einfach wo ich sagen kann okay da kann ich jetzt zum Beispiel was aus meinem Privatleben erzählen, und muss keine Angst haben, dass das irgendwo landet wo ich nicht will: Weil ich diese Person so gut kenn dass ich mich auf die verlassen kann; //ja// so wie ich das daheim kann bei meinen Freundinnen ja, und ähm das hab ich da nicht [Auslassung] ich kenn ein paar Leute (2) aber (2) in Afrika (3) wirklich (1) Freunde so wie ich das zu Hause hab- also ich hab ja also ich hab eine wirklich sehrda hab ich eine wirklich sehr sehr gute Freundin mit der bin ich in die Schule gegangen und ähm (2) wir kennen uns seit fünfundzwanzig Jahren. (2) und das ist einfach was anderes. //mmh// ja, und das Vertrauen das wir zueinander haben das hätt ich nie äh zu jemandem da; //mmh// (1)

Frau Stettlers Rückzug in privaten Situationen hängt auch damit zusammen, dass sie in Kenia niemanden kennen gelernt hat, zu dem sich eine nähere Freundschaft hätte entwickeln können. Für Miriam Stettler ist es wichtig, in einer Freundschaft den Raum zu finden, sich zu entspannen und nicht immer stark sein zu müssen. Der verzweifelte Anruf in der Nacht steht symbolisch für einen Moment der Schwäche, der nicht ausgenutzt wird. Diese Unterstützung hat Frau Stettler aber nicht gefunden und ein Vertrauensaufbau von ihrer Seite wird erschwert, wenn es keine gemeinsam geteilten Erfahrungen mit einem Mensch gibt und sie sich auf ihn nicht »verlassen« kann. Es ist also eine Frage von mangelndem Vertrauen, das hier in privaten Situationen zu einer Distanzierung führt. Es ist das Vertrauen, welches Frau Stettler zu ihrer langjährigen Schulfreundin empfindet, das den Vergleichshorizont für ihre jetzigen Erfahrungen bietet und das einen sehr hohen

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Maßstab bildet. Freundschaften scheinen dann nur noch in dieser alten Verbindung stattzufinden, also etwa zu alten Freundinnen aus der Schulzeit.20 Die Belastungen im Ausland zu meistern, ist nicht immer einfach, und Frau Stettler berichtet von »Heimweh« und Stress, welche sie in Ruanda an ihre eigenen Grenzen führten und einen Aufenthalt in Europa nahelegten (Passage: Private Kontakte): Stettler:

oder dann ähm ich weiß nicht alles auch die Sprache oder Musik oder alles was ein irgendwie an zu Hause erinnert //mmh// man hat schon Heimweh. //mmh// und so man ist natürlich wahnsinnig gestresst; ja das kann überhaupt nicht leugnen; ja, und es reicht einem dann irgendwann mal und dann muss man irgendwie aus- raus ja und das hab ich- das war auch teilweise ähm (3) ja wie ich dann länger in Ruanda war und so hab ich das teilweise sehr schwierig gehabt mit den Leuten dort weil einfach (2) ein anderer Begriff von (1) Wahrheit herrscht; //mmh// (1) und bei uns ja eigentlich lügen (2) n nicht akzeptiert ist, //mmh// wo aber in Ruanda das so war das eigentlich das nicht wirklich wichtig ist ja, und dann kannst also jemand irgendwas erzählen und des ist dann halt dem seine Sache wie der damit umgeht, //mmh// (1) und ich irgendwie das wahnsinnig schlecht vertragen hab, wenn einem Leute so (3) äh quasi bewusst ja reinlegen oder irgend n Mist erzählen der dann eben nicht stimmt und du kommst dann deswegen in Schwierigkeiten und weiß ich, ich hab das überhaupt nicht verstehen können ja, //mmh// diese Gemeinheit irgendwie, oder ich hab das als gemein empfunden vielleicht ist das von den Ruandesen nicht so empfunden worden aber ich hab das (.) sehr schlecht verdaut. //mmh// ja, und das hat mich auch menschlich sehr sehr enttäuscht. //mmh//

Es sind nicht nur Momente die an »zu Hause« erinnern, welche es schwer machen, im Ausland zu leben, sondern eine erlebte Differenz zur einheimischen Bevölkerung, welche belastend wirkt. Frau Stettler ist in Ruanda enttäuscht über das Verhalten von Einheimischen und fühlt sich hintergangen. Das Verhalten der Ruandesen versucht Frau Stettler kulturspezifisch zu rahmen und damit einer anderen Interpretation der Situation theoretisch Rechnung zu tragen, ihre eigenen Gefühle ändern sich dadurch jedoch nicht. Sie fühlt sich getäuscht und kann das »Lügen« »überhaupt nicht verstehen«. Diese Enttäuschung wirkt bis heute nach, hat Frau Stettler ihre Erfahrung doch nur »schlecht verdaut«. Grundlegende 20 Diese Verbindung könnte man im Rahmen transnationaler Beziehungen als ›Zwischenwelten‹ oder auch ›transnationalen Raum‹ bezeichnen. Als transnationaler Raum bzw. transnationale oder auch transstaatliche Felder werden soziale Felder verstanden, welche sich über die genannten Grenzen hinaus spannen und die aus mehrdimensionalen Beziehungen zwischen Herkunfts- und Ankunftsland bestehen, welche, ökonomischer, familiärer, organisationaler, sozialer, politischer oder religiöser Art sein können (vgl. Basch et al. 1995 und Kap. 2.1 der vorliegenden Arbeit).

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(moralische) Differenzen behindern eine Begegnung. So wird ein Sich-fremd -und-anders-Fühlen und das Nicht-Verstehen des Handelns der Anderen zu einem heiklen Punkt in Bezug auf den Aufbau von Vertrauen. Eine Außenseiterposition manifestiert sich (Passage: Private Kontakte): Stettler;

Y: Stettler:

ja, //mmh// und hab ich also öfters so Sachen erlebt, wie äh (3) äh was weiß ich, das würd man irgendwie so unter Undankbarkeit äh (2) kategorisieren ja, //mmh// also wo mer irgendwie was weiß ich vielleicht äh äh einer Hausangestellten irgendwas äh mitgebracht hat aus Europa und so weiter ne, und dann innerhalb kürzester Zeit ist es kaputt; ja, weil irgendwie- nicht weil es kaputt gegangen ist, sondern weil es kaputt gemacht worden ist //mmh// und das trifft einen dann; jetzt? wie, was? ja; also zum Beispiel, was weiß ich? Irgendwelche Gerät- zum Beispiel ja, man bringt n kleines Radio mit und so ne, //mmh// und dann was weiß ich? ist das Ding innerhalb von wenigen Wochen kaputt weil was weiß ich? Fallengelassen oder so irgend-; wo man sich dann denkt, hallo? Ja? Also danke; ja? Ne, oder irgendwie ähm (5) man man sieht zum Beispiel Sachen die man mitgebracht hat, die dann missbraucht werden oder irgendwas Schönes zum Aufhängen oder so ja, und das dann irgendwo in einem Eck herumsteht und nicht äh (2) geschätzt wird wie man sich des vorgestellt hat ja, //mmh// und das ist dann sehr verletzend ja, //mmh// oder äh auch sonst so Sachen wie ma sich dann also bei mir war des öfters so der Fall, ja dass ich halt immer wieder hab drum kämpfen müssen, vor allem damals in Ruanda mit der XX dass der Vertrag verlängert wird, weil die XX gibt immer nur kurzfristige Verträge aus und das war immer so ein Ding, geh ich jetzt wieder zurück? Oder ja oder nicht oder was oder doch? Und ähm (1) eine wahnsinnige persönliche Belastung, //mmh// wenn man nie weiß wo man im nächsten Monat sein wird oder auch im nächsten Jahr sein wird ne, //ja// ähm und das halt dann (1) einem ruandischen Freund erzählt oder einer Freundin erzählt und äh irgendwie sagt ja ich weiß nicht und so und das nächste was dann kommt, ah ja du, also wenn dann wieder zurückgehst, äh weißte deinen Gasherd? Kann ich den dann von dir haben? //mmh// ne, und denkst dir ja super. Ja, @(.)@ //@(.)@// das ist jetzt genau das, was //was ich-// was so richtig frustriert ja, //ja// wo man sich dann denkt das ist denen scheißegal ob ich da bin oder nicht ja, und das wo man sich dann denkt da ist auf menschlicher Ebene einfach nichts weil man immer der Ausländer ist ja, und das kann teilweise sehr frustrierend sein ja,

Die Distanz, die Frau Stettler zu Einheimischen erlebt, schildert sie hier anhand ihrer Erfahrung, mit ihren Erwartungen gegenüber ihrer Hausangestellten enttäuscht worden zu sein. In Frau Stettlers Beschreibung dominiert das Unverständnis gegenüber dem Handeln der Hausangestellten und vielmehr noch ihre eigene Enttäuschung darüber. Die von ihr erwartete Freude und der respektvolle

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Umgang mit Geschenken treten nicht ein. Vielmehr interpretiert Frau Stettler die Zerstörung und Geringschätzung von Geschenken als »Undankbarkeit« und empfindet sie persönlich als »verletzend«. Das Handeln der Anderen berührt sie. Scheinbar ist den Anderen der private Kontakt nicht so wichtig wie ihr. Diese Enttäuschung durch ein Gefühl des Nicht-Wahrgenommen-Werdens und in ihren persönlichen Bedürfnissen und Ängsten Nicht-ernst-genommen -Werdens fördert ein Gefühl von Distanz und Frust. Frau Stettler erlebt die Anfragen ihrer ruandischen Freunde nach ihrem Gasherd als Ignoranz gegenüber ihrer Situation des ungeklärten Aufenthalts im Land und sieht darin eine Gleichgültigkeit ihr gegenüber als Person. Für einen Aufbau von Freundschaften und Vertrauen ist dies verheerend, ist doch Freundschaft dadurch gekennzeichnet, dass es eben keine Gleichgültigkeit gegenüber dem Freund gibt. Die Distanzierung erfolgt aus der Perspektive Miriam Stettlers weniger von ihrer Seite, da sie sich um private Kontakte bemüht, als vielmehr von Seiten der Einheimischen, die, so Frau Stettler, sie allein funktional wahrnehmen. Frau Stettler führt dies auf ihre Außenseiterposition als »Ausländer« zurück. Ihre Zurückhaltung mit privaten Kontakten in Kenia und das mangelnde Vertrauen in Freundschaften begründet Frau Stettler mit Erfahrungen, die sie in Ruanda machen musste und die ihre Bereitschaft, Vertrauen aufzubauen, nachhaltig behindern (Passage: Private Kontakte): Stettler:

Y: Stettler:

ne, weil äh und da muss ich auch sagen teilweise wirklich aus Erfahrung ich bin ziemlich oft äh hab ich Leuten vertraut und hab ich ähm ihnen Sachen erzählt, die nicht für andere Ohren bestimmt waren und so und bin meistens verraten worden. //mmh// ja, und das ist weitererzählt worden und das hat teilweise ziemlich- das war für mich teilweise ziemlich scheußlich ja, //mmh// und es waren (.) private Sachen und was weiß ich und ich hab dann in Ruanda auch ähäh (2) Freunde gehabt, zwei (.), und das war beides Mal eine sehr (.) scheußliche Erfahrung. Muss ich echt sagen, also das war Freunde jetzt Beziehung? Freunde, Beziehungen ja. //mmh// und das waren (.) beide Male Geschichten wo also so viel Betrug war und Lügen und äh ich auch dadurch dass ich Ausländerin war und vielleicht ein bisschen naiv und was weiß ich und halt nicht äh den Zugang auch zu Informationen hatte, weil trotz allem die Sprache halt doch nicht versteht und vielleicht Sachen vielleicht nicht so mitkrigt, //mmh// wie jemand der jetzt halt dort zu Hause ist, das teilweise auch schamlos ausgenützt worden ist ja, //mmh// und dann so Sachen gelaufen ist, wie ja bring mir das und jenes aus Europa mit und beschaff mir das und tu mir das und tu mir jenes ja, und das alles nur unter Ausnutzen gelaufen ist und dann in Wirklichkeit da Beziehungen woanders, äh doppelgleisig gefahren und äh weiß ich und am Schluss äh mer dann halt äh zurückgeblieben ist ja, und das eine Mal war das jemand der sogar verheiratet war und ich das einfach nicht äh das hat mir niemand gesagt ja, //mmh// (2) //achso// obwohl ich da mit ganz viel

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Y: Stettler:

Leuten zu tun hatte; sogar die Familie @von dem Typen@, seine Schwestern und Brüder; ja, und keiner hat was zu mir gesagt. //äh und wie lange?// und das hat also das hat vier Monate gedauert bis ich das rausgefunden habe und das war schon dann ziemlich schockierend ja, //mmh// ähm (2) und dann auch noch nachher gelogen worden, ja aber der lebt ja nicht mehr mit der zusammen und hin und her und so und äh (2) und ich hab mir immer so- also das war dann immer auch so- das war so eine einzige ein einziger Sumpf von wirklich Lügen und Sachen die für mich nicht nachprüfbar waren ja, ich hab dann immer- der hat dann immer gesagt weißt du mir ist das peinlich weil du wohnst in so einem schönen Haus und so und ich hab das ja nicht so und ich kann dich deswegen nicht zu mir mit nach Hause nehmen und ich immer so um Gottes Willen der Arme @und so ja@ und hab mir immer gedacht ja gut man will ja niemand verletzen oder brüskieren oder irgendwie so ja, //mmh// und in Wirklichkeit klar, war die Frau zu Hause ne, //mmh// also solche Sachen, wo man dann irgendwie denkt aber die wusste von dir oder wie? nein auch nicht. Ja, aber die hat das dann irgendwie erfahren und mich bedroht und so also das war peinlich. Peinlich. Ja, und so verletzend und für mich auch schlimm weil natürlich da lebt man so lang mit jemandalso hat eine Beziehung mit jemand und und und klar hängt sich irgendwie an den an und macht sich Hoffnungen und Pläne und der hat ja das blaue vom Himmel runter gelogen von wegen wir werden heiraten und tatitata und was weiß ich sonst noch alles ja, //mmh// und dann äh- auf einmal äh zerplatzt das alles und äh (1) dann kommt der aber trotzdem immer noch daher und so und dann denkt man sich ja, das sind dann auch so Sachen wo ich dann auch meine Wertvorstellungen und so äh ich weiß nicht äh so Sachen kommen natürlich auch in Europa vor, äh (1) aber ich denk mir wir haben da schon einen viel (3) äh offeneren und ehrlicheren Zugang zu solchen Sachen und wenn sich bei uns Partner sich nicht mehr vertragen, dann trennt man sich; //mmh// oder man spricht das wenigstens offen an, //mmh// ja und ich hab mit dem sehr viel Schwierigkeiten gehabt dass das halt äh also zumindest was ich von da weiß von Ostafrika, nicht so ist; ja, //mmh// und dass diese Sachen verschwiegen werden und dass man in der Gesellschaft Scheidung und so das ist eigentlich kein Thema; //achso// ja und wenn man mal verheiratet ist dann ist man verheiratet und damit ist es dann erledigt was aber dann natürlich nicht heißt dass dann die Leute treu sind ja, //mmh// und das war so was also das hab ich überhaupt nicht verstehen können ja, //mmh// weil das einfach bei uns nicht so ist ja, //mmh// weil wir doch gewohnt sind, dass man so Sachen bespricht ja, //ja// und das ist halt da nicht so. ja, //mmh// (2) und auch also die dass einen jemand anlügt mit dem man eine enge Beziehung hat, das finde ich überhaupt ganz schlimm; //mmh// ja also für mich war das ganz schlimm.

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Frau Stettlers Distanz in privaten Situationen begründet sie als Folge von erfahrenen Enttäuschungen. Ihr Vertrauen wurde gebrochen, als sie sich zuversichtlich an Leute gewandt hat (aus dem Kontext handelt es sich vermutlich um Kollegen und Kolleginnen), diese sie jedoch »verraten« haben. Die Relevanz dieser Erfahrung ist bis heute ungebrochen hoch, hat sie sich doch in Frau Stettlers Erinnerung bedeutsam in ihrer Häufigkeit (»oft«, »meistens«) und Intensität (»scheußlich«) eingeschrieben. Frau Stettler musste die Erfahrung machen, dass sie sowohl von ihrem einheimischen Liebespartner hintergangen wurde, als auch von »Leuten«, an die sie sich vertrauensvoll mit dieser Problematik gewandt hatte. Eine Erfahrung, die Frau Stettler in ihrer Empfindung des Alleinseins und Aufsich-Gestellt-Seins bestärkt. Das Verhalten der Anderen kennzeichnet Frau Stettler als »Betrug«, »Lügen« und eines »Ausnutzen« ihrer Position als Europäerin mit Zugang zu bestimmten Gütern. Sich selbst beschreibt sie defizitär und ohnmächtig. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und mangelnden konjunktiven Wissens fehlt ihr der Zugang zu »Informationen« bzw. gehen bestimmte Dinge an ihr vorbei. Hatte sie sich zunächst existentiell auf eine Liebesbeziehung mit einem Ruandesen eingelassen, musste sie schließlich feststellen, dass ihre Vorstellung und die ihres Partners sich nicht decken und jener ihr wichtige Informationen (»der sogar verheiratet war«) vorenthält. Ihr Glaube an die Aufrichtigkeit in einer Liebesbeziehung wurde enttäuscht. Frau Stettler hatte sich auf eine Beziehung eingelassen, welche Vertrauen und Glauben benötigt, um später zu erkennen, dass die Aussagen, die »nicht nachprüfbar« waren, falsch waren. Diese Erfahrung des Betrugs wiegen umso schwerer, als sich Frau Stettler dabei vollkommen alleine fühlt. Nicht nur ihr Partner hat sie angelogen, sondern auch die gesamte Familie deckte den Betrug. Frau Stettler erfährt hier also nicht nur einen Betrug, sondern fühlt sich insgesamt vorgeführt. Beide Komponenten, die Enttäuschung über den Partner und die Lüge wie auch das Alleinsein mit dem Gefühl, »zurückgeblieben« zu sein und als einzige die Dinge anders gesehen zu haben, tragen dazu bei, dass Frau Stettler über ihre »Wertvorstellungen« nachdenkt. Obwohl sie einen ähnlichen Betrug auch in Europa für möglich hält, sieht sie doch ihre Erfahrung als eine speziell kulturelle Erfahrung, die mit der »Gesellschaft« in »Ostafrika« zusammenhängt. Ihr absolutes Unverständnis der Situation erklärt sich Frau Stettler selbst mit einer kulturellen Auslegung. Sie habe es gar nicht verstehen können, weil sie einen solchen Umgang mit Ehrlichkeit aus »Europa« nicht kenne und ihre Gewohnheit eine andere sei. Ihre emotionale Enttäuschung bekommt somit eine deutlich kulturalistische Färbung, verstärkt jedoch abermals ihre hilflose Position. Dass sich Frau Stettler nach dieser Erfahrung schwer tut, Vertrauen aufzubauen, ist leicht nachvollziehbar. Aus den Passagen aus dem Interview mit Frau Katoschek und Frau Stettler ließ sich eine gemeinsame Spezifik in der Distanzierung zu Fremden in privaten Situationen aufzeigen. Die Einsamkeit, welche aufgrund angenommener und erlebter kultureller Distanz entsteht, prägt diesen Untertyp existentieller Distanzierung. Fremdheit, Distanz, wahrgenommene Unterschieden und enttäuschte

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Erwartungen münden in eine Distanzierung. Im Fall von Frau Katoschek führen mangelnde Gemeinsamkeiten dazu, keine intimen Beziehungen mit Einheimischen eingehen zu wollen, bei Frau Stettler ist es die Erfahrung von Verrat und unterschiedlichen Vorstellungen von Ehrlichkeit, welche einen Vertrauensaufbau erschweren. Im Kontrast zum Untertyp der beruflich bedingten existentiellen Distanzierung geht es hier verstärkt um das wahrgenommene Verhalten der Anderen und die eigenen Bedürfnisse. Als grundlegende Empfindung dominiert Fremdheit bezüglich der Alltagswelt der Anderen und ein Misstrauen. Dass sich in diesem Untertyp nur Frauen und keine Männer finden lassen, ist sicherlich nicht völlig zufällig. Es fällt auf, dass erstens Frauen viel ausführlicher über ihr Privatleben und auch über ein Scheitern berichten, zweitens leben in meinem Sample vergleichsweise mehr hochqualifizierte mobile Männer in einer festen Beziehung als Frauen, auch dies ist sicherlich kein Zufall. Bei den Frauen wird eine Orientierung an Stabilität und persönlichem ›Glück‹ in Beziehungen explizit, die nicht in gleichem Maße in den Interviews mit Männern thematisiert werden.

Verinselung durch individuelle Alltagswelten und Expatriategruppen Als ein weiterer Untertyp existentieller Distanzierung im Privatbereich lässt sich eine Verinselung durch individuelle Alltagswelten ausmachen. Hier wird die Distanz zur einheimischen Bevölkerung erlebt als Verschiedenheiten von Lebensumständen und -gewohnheiten. HANNA KATOSCHEK, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, hat privat keinen näheren Kontakt mit Einheimischen, was sie unterschiedlichen Interessen zuschreibt (Passage: Private Kontakte): Y: Katoschek:

und und so kenianische Kollegen und w- überhaupt Kontakt zu Kenianern, wie is n das so? also über das Berufliche hinaus sehr schwierig; //mhm// ich denke das hängt einerseits mit Nairobi zusammen; //mhm// weil das halt doch ne sehr anonyme Stadt is; Leute haben ihre Familien; hängt so mit mit der Lebensphase zusammen Kenianer sind in meinem Alter alle verheiratet haben alle mehrere Kinder; //mhm// auch schon Anfang dreißig dann ja, ich bin jetzt siebenunddreißig; das heißt die haben einfach nen ganz anderen Lebensrhythmus; //mhm// äh was was ich schon mal mache ist dann mich mit kenianischen Kollegen oder mit Leuten mit denen ich zusammenarbeite, consultants, mich abends so nach der Arbeit dann noch irgendwo treffe auch in der Stadt dann auf nen Drink; //mhm// aber dann gehen die auch alle nach Hause klar; dann haben die auch ihre Familien wirds auch gefährlich abends und so also ich finds schon schwierig; ich hab nich viele kenianische Kontakte; ich hab eine kenianische Freundin, //mhm// die ist mit nem Entwicklungshelfer verheiratet; und sonst halt so lockere Arbeitskontakte; aber so richtig kenianischen Freundeskreis habe ich nich; eher so über die Arbeit dann; //mhm// ich bin ner Laufgruppe also in ner in ner Laufgruppe hier und da ist so ziemlich gemischt also

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Y: Katoschek:

kenianisch und Expats; //mhm// aber da wird halt gelaufen ja, da wird jetz nich also man trifft sich abends nicht groß; //ja// aber das ist sehr sehr nett sehr angenehm; das macht Spaß das ist so mein Hauptkontakt eigentlich ne, //mhm// und (2) und sonst so Freunde hier, und Bekannte? hm, (4) ich find ja durch das Ausland ist es sehr einfach (1) Kontakt zu anderen Ausländern zu bekommen ja, //mhm// alle sind dann irgendwie in der gleichen Situation und da ist ja [die Entwicklungshilfeorganisation] recht groß ja, da kommen immer neue Leute und so, und das find ich is is sehr schön; //mhm// klappt auch sehr gut ich hab halt viel Kontakt zu Entwicklungshelfern, (2) bisschen über Lea, über [die Entwicklungshilfeorganisation] und so (1) ja aber was ich vermisse was ich nie geschafft habe ist eher so Kontakt zu nicht deutschen Ausländern zu bekommen; //mhm// ich weiß nicht obs an mir liegt oder, aber ich glaube die Lea kennt auch nicht viele; //mhm// das find ich sehr schwierig dafür ist es wieder wieder zu groß irgendwie; //ja// da so die Holländer und Dänen keine Ahnung wo die sind @ja@, //@(.)@// @also das ist mir bisher nicht wirklich gelungen@ in der Laufgruppe sind Holländer und Schweden //mhm// ja; über die vielleicht, aber das ist jetz eh zu spät; (2) gut dann brauch man vielleicht ein außergewöhnliches Hobby um die Leute kennen zu lernen; //mhm// das ist glaub ich eher son Persönlichkeitsgeschichte; also manche gehen in den Chor die anderen Reiten es gibt ja schon- man kann ja alles machen hier in Nairobi; //ja// Fitness ist halt- ich geh halt ins Fitness ist ne anonyme Sache; //mhm// da kommen die Leute hin und gehen wieder; das ist wie in Deutschland auch ja, //ja// (5) also das fand ich nicht so leicht ich hab mir das einfacher vorgestellt;

Die Frage der Interviewerin schließt an Frau Katoscheks Ausführungen über ihren geringen beruflichen Kontakt zu Einheimischen an. Da Frau Katoschek zuvor berichtet hatte, hauptsächlich mit Deutschen im Entwicklungshilfe-Büro zu arbeiten, wird die Frage auf die Interaktion mit den Einheimischen insgesamt erweitert. Frau Katoschek bewertet das Thema negativ mit dem Begriff »schwierig« und erläutert zunächst unterschiedliche Faktoren, welche Kontakte mit Einheimischen erschweren. Dabei zeigen sich eine Gegenüberstellung verschiedener Lebenswirklichkeiten und damit eine Grenzziehung zwischen ihr und der einheimischen Bevölkerung. An dieser Stelle sieht Frau Katoschek aber nicht primär eine andere kulturelle Perspektive als Ursache des Unterschieds, sondern nennt zum einen die Anonymität einer Großstadt wie Nairobi und zum anderen zieht sie einen Vergleich auf der Ebene der Generation. Ihre Beobachtung zeigt, dass die Einheimischen ihrer Generation andere Tagesabläufe haben, was sie mit »Lebensrhythmus« bezeichnet. Dies ordnet sie vor allem deren sozialen Bindungen zu und deren für sie vergleichsweise frühen Familiengründung, welche andere Verpflichtungen und Prioritäten mit sich bringt. Frau Katoscheks pauschale Aussage über die Lebensumstände Einheimischer konkretisiert sich in ihrer

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Aussage, dass es zwar informelle Treffen nach der Arbeit mit Kollegen gebe, diese aber aufgrund der Familiensituation und der Sicherheitslage nur beschränkt möglich seien. Das Nicht-Vorkommen von privaten Zusammentreffen wird von Hanna Katoschek nicht auf eine prinzipielle Fremdheit geschoben oder den Unwillen ihrer Gegenüber, sondern mit allgemeinen Aussagen über die Lebensbedingungen begründet. Auch ihr eigenes Verhalten entspricht einer sehr individuellen Lebensgestaltung. So sind ihre Freizeitaktivitäten, die zwar auch mit Einheimischen stattfinden, so individuell und anonym, dass dort kein intensiverer Austausch stattfindet. Die informellen, distanzierten Zusammentreffen mit Einheimischen bewertet Frau Katoschek als »sehr nett sehr angenehm« und äußert kein Bedürfnis, hier etwas zu ändern. Jedoch hätte sich Frau Katoschek durchaus mehr Kontakt zu anderen Expatriates (»Holländer«, »Dänen«) gewünscht, was sich aber nicht ergeben hat. Ihre zahlreichen Kontakte zu anderen deutschen Entwicklungshelfern, die vor allem über ihre Freundin Lea entstanden sind, werden von Hanna Katoschek aber auch als selbstverständlich für die Situation als Expatriate dargestellt. Da »alle« »in der gleichen Situation« sind und es einen kontinuierlichen Zuwachs von »neuen Leuten« durch die zwei großen deutschen Entwicklungshilfeorganisationen vor Ort gibt, entstehen Bekannt- und Freundschaften hier leichter. Den privaten Kontakt mit fast ausschließlich Deutschen findet Frau Katoschek nur insofern nicht gut, als sich durch ihre Aktivitäten und ihren Job leider keine Bekanntschaften zu anderen Europäern gebildet haben. Auch BEATE MEIER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN SÜDAFRIKA, verbringt die meiste private Zeit mit Kolleginnen und Kollegen. Der mangelnde Austausch mit der einheimischen Bevölkerung im privaten Bereich sieht sie durch den Lebensstil der Einheimischen begründet (Passage: Private Kontakte): Y:

Meier:

und die Leute wo du jetzt gesagt hast die so deine Freunde oder Bekannte hier sind wie wie bistn du an die rangekommen, also als du hier frisch herkamst? ja also das eine; man das ergibt sich so n bisschen son Netzwerk muss man natürlich neu aufbauen; //mhm// und das ist auch was was mich gerade anstrengt; also wo ich halt auch gar keine @Lust@ mehr drauf hab; aber ich meine ähm viel halt durch die deutsche EZ Entwicklungszusammenarbeit dann halt halt die EH Kollegen und Kolleginnen hier; //mhm// die schleppen einen dann halt rum zu anderen Leuten die sie halt hier kennen; aber das ist schon alles n bisschen deutscher Klüngel; würd ich jetzt mal sagen also es ist schon sehr wenig klar dann is halt was weiß ich was der unser einer Freund ist halt mit ner Südafrikanerin verheiratet oder n anderer Freund ist halt mit ner Botswanerin verheiratet oder so das ist halt schon irgendwie auch so alles multikulti mäßig; //mhm// aber es ist irgendwie viel auch so aus deutsche EZ Zusammenarbeitskreis //mhm// also wenig lokale Leute; wenig egal weiß oder schwarz also

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Y: Meier:

so zu Nachbarn oder so? hm (2) ganz gar nich; überhaupt nich; also das is irgendwie so die Menschen wohnen hier ziemlich isoliert halt nebenander; //mhm// und man kennt sich mal so man sagt mal guten Tag, und bin ich schon froh dass man das Stadium irgendwie erreicht hat; und weiß ich wenn wir mal so ne Party machen dann laden wir auch mal Nachbarn ein und die komm kommen dann auch; aber ähm ja es is irgendwie nich so dass man jetzt so das Gefühl hat man kann da mal zum Kaffeetrinken hingehen oder man kann mal wenn einem Zucker ausgegangen ist mal schnell da rüber gehen oder so sondern man kriegt eigentlich nicht so viel voneinander mit und ich glaube die Leute wollen das hier auch gar nicht so die sind alle sehr- egal jetzt nicht weil wir ja sone multikulti family sind sondern auch generell die sind (.) hier leb- irgendwie sind die so ja jeder lebt so isoliert und //mhm// und irgendwie das fällt find ich auch manch- find ich auch manchmal extrem schwierig weil ich halt immer irgendwie mein ganzes Studium lang in Wohngemeinschaften gewohnt hab oder wie gesagt denn auch aufm Bauwagenplatz und dann halt irgendwie immer schon auch so das Zusammenleben ja auch sehr wichtig war und mir auch wichtig war nicht einfach nur irgend ne WG mit irgendwem zusammen //mhm// sondern auch so ja mit wem und wann wo und wie und da schon auch sehr ähm wichtig ist dass das irgendwie auch ja nicht nur Zweckgemeinschaften oder so //mhm// halt ist

Frau Meier beschreibt in dieser Passage wie, sich einerseits private Kontakte fast zwangsläufig »ergeben«, homolog zu der Schilderung von Frau Katoschek, und wie sie andererseits damit beschäftigt ist, mit einer gewissen Mühe ein »Netzwerk« aufzubauen. Frau Meier spricht mit einer Selbstverständlichkeit, die andeutet, dass es sich hier um keine völlig neue Erfahrung von ihr handelt, sie aber »keine @Lust@ mehr drauf« hat. Der selbstläufige Kontakt stellt sich vor allem durch ihre Kollegen der Entwicklungszusammenarbeit her, die sie schlicht zu ihren eigenen Freunden mit »schleppen«. Frau Meier beschreibt das etwas karikiert als »deutscher Klüngel«, distanziert sich von dieser Äußerung aber auch nicht explizit, was darauf schließen lässt, dass Frau Meier dies nicht als besonders negativ wahrnimmt. Außerhalb des »deutschen Klüngels«, so stellt Frau Meier fest, hat sie wenige Kontakte. Diese wenigen Bekannten stammen vornehmlich aus den Kreisen der Entwicklungshelfer und ihrer Partner(innen). Frau Meier charakterisiert ihre Bekanntschaften als »auch so alles mulitkulti«, eine Bezeichnung, die sie auch für ihre eigene binationale Ehe benutzt. Abschließend bemerkt Frau Meier, dass sie nur sehr wenig Kontakt zu Einheimischen hat und es dabei auch keine Unterschiede bezüglich der Hautfarbe gibt.

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Auf die Nachfrage der Interviewerin, wie die Situation hinsichtlich der Nachbarn sei, beginnt Frau Meier auszuführen, worin sie den Grund des mangelnden Kontakts mit der einheimischen Bevölkerung auf privater Ebene sieht. Dabei entwickelt sie eine Theorie über die allgemeinen Lebensweisen der Einheimischen. Das Leben der Einheimischen wird von Frau Meier als andersartig zur eigenen Lebenserfahrung dargestellt. So leben die Nachbarn auf eine ganz bestimmte Art und Weise, die dem eigenen Leben und der eigenen Erfahrung fremd sind. Dadurch sieht Frau Meier keine Überschneidungspunkte und merkt an, dass selbst ganz unbedarfte Kontakte selten sind. Schon die bloße Begrüßung nimmt Frau Meier als einen Fortschritt in der Interaktion mit den Nachbarinnen wahr. Wie dieser Schritt in Richtung einer Begegnung gemacht wurde, ist Frau Meier nicht klar (»irgendwie«), was auch darauf verweist, dass Frau Meier hier keine bestimmte Strategie der Kontaktaufnahme verfolgt, sondern sich vielmehr den sich ergebenden Umständen anpasst. In diesem Fall sind das vor allem die Kollegen der Entwicklungszusammenarbeit, die Frau Meier in ihren bereits bestehenden Freundes- und Bekanntenkreise einführen. Dass sie mit Einheimischen nur wenig Kontakt hat, begründet Frau Meier mit deren »isolierten« Lebensweisen. Eine mögliche Befremdung der Einheimischen durch ihre binationale Ehe antizipiert Frau Meier, verwirft den Gedanken dann aber wieder. Möglicherweise handelt es sich bei diesem Gedankenexperiment eher um eine stereotype Unterstellung, als um eine konkrete Erfahrungen mit der einheimischen Bevölkerung auf privater Ebene. Frau Meiers Argumentation ist pauschal in ihren Aussagen über das Verhalten der Einheimischen (»sind alle«, »generell«, »die sind«, »jeder lebt so isoliert«). Ihren Unmut über dieses Verhalten betont Frau Meier mit einer Hintergrundstheorie, in der sie sich auf ihre bisherigen Erfahrungen im Zusammenleben bezieht. Interessanterweise taucht hier aber nicht ein Vergleich mit ihrem Leben in Sambia auf, sondern mit ihrer Zeit im »Bauwagen«. Dabei betont sie mehrmals, wie »wichtig« ihr diese Art des Zusammenlebens war, verbleibt aber zeitlich in der Vergangenheit und der Bezug zur Jetzt-Zeit bleibt vage. HERR BACKE, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, thematisiert die außergewöhnliche Situation als »Expat« im Ausland zu sein, als Grund für nur schwer zustande kommende Freundschaftsbeziehungen mit Einheimischen. Über sein Privatleben berichtet Herr Backe (Passage: Private Kontakte): Y: Backe:

und so auf privater Ebene? Also so Freunde und Freundeskreis? ähm der is eigentlich vor- immer noch in in Nairobi; also dadurch dass ich ja fünf Jahre in Nairobi //mhm// gelebt habe; sind noch sehr viele Freunde und Bekannten in Nairobi; und hier in Kapstadt ähm (.) sagen wir mal das ist ne ganz normale Großstadt; (.) ich hab Nairobi und Kapstadt immer äh (.) in sofern verglichen dass Nairobi is irgendwie so großes Zeltlager da kommen so die ganzen Expats hin; die mal für drei bis fünf Jahre irgendwie n Abenteuerurlaub machen und sich zusammen schmieden; //mhm// und Kapstadt ist ne normale Großstadt wo wo man

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Y: Backe:

Y: Backe:

hinzieht und dieselben Erfahrungen macht als wenn man nach nach Frankfurt oder nach Berlin äh zieht das dauert ne Zeitlang bis man Leute kennen lernt; //mhm// und inzwischen haben wir aber einige Leute kennen gelernt; und wie läuft das so? über Kollegen. Oder durch durch die Kinder; also ganz normal wie man sich auch in (.) München oder Berlin Freunde suchen kann also //mmh// Arbeit und wie gesagt Familie. und und in Nairobi war das auch so? nein in Nairobi wird man sofort vereinnahmt. Da kommt n neuer von der ABC-Zeitung und dann stürzt sich die Botschaft auf einen und dann stürzen sich die ganzen anderen von den Hilfsorganisationen auf einen weil die wollen ja alle immer gute Presse haben und so lernt man halt irgendwie die Leute kennen.

In Herrn Backes Aussagen lassen sich zwei implizite und sehr allgemeine Theorien über private Kontakte erkennen. Erstens sei die Dauer des Aufenthalts ausschlaggebend für Freundschaftsbeziehungen (daher die Freunde in Nairobi) und zweitens dauere es in einer anonymen Großstadt noch länger, Kontakte zu knüpfen. Hierzu führt Herr Backe den Vergleich zwischen Nairobi, welches er als einen Ort für Abenteurer und Durchreisende versteht, und Kapstadt, wo er einen Großstadtalltag erlebt, an.21 In Nairobi beschreibt Herr Backe sein Leben und das Leben anderer weißer Europäer als einen Ausnahmezustand, mit dem ständigen Wissen verbunden, den Ort wieder zu verlassen. In Kapstadt werden für Herrn Backe unterschiedliche Alltagswelten deutlich. Hier unterscheidet er dann auch nicht mehr zwischen Afrika und Deutschland, sondern die einzelnen Alltagswelten in Frankfurt oder Kapstadt werden austauschbar. Verläuft die Kontaktaufnahme in Kapstadt vergleichbar mit deutschen Städten, etwa über ähnliche Strukturen (Kollegen, Kinder), empfand Herr Backe sich in Nairobi vereinnahmt (so sagt er auch: »man wird sofort von dieser Expatriategruppe vereinnahmt«). Sein privates Leben erfährt Herr Backe ein Stück von außen gesteuert, in dem er sich den Zugriffen und Zuschreibungen anderer weißer Europäer aufgrund seines Berufs kaum entziehen konnte. Das private Handeln mit Einheimischen, also etwa der Aufbau einer Freundschaft, empfindet Herr Backe als schwierig und selten gelungen (Passage: Private Kontakte): Backe:

ich weiß nicht wies ähm- es heißt immer dass es in Westafrika viel einfacher wär, //mmh// einfach von der Mentalität her viel vieler Menschen und Ostafrika ist halt doch sehr britisch; britisch geprägt und ja, sehr abgekapselte Geschell- Gesellschaft, es ist auch so dass sich sogar die

21 In Bezug auf die offiziellen Einwohnerzahlen gibt es hier aber keinen deutlichen Unterschied: Nairobi: 2,7 Mio. (Januar 2005), Kapstadt: 2,8 Mio. (Januar 2005).

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Italiener und die Briten und die Deutschen und die Franzosen irgendwie gegenseitig abkapseln ja, und dass selbst da nur wenig ähm Überschneidung gibt; //mmh// also ich kannte die natürlich alle, allein dass ich in der foreign correspondent association war, //mmh// und wir uns da alle vier Wochen getroffen haben und man mit Kollegen auch oft auf Reisen gegangen ist, aber da ham sich auch keine großen Freundschaften raus gebildet ja, //mmh// sondern das ist- also es ist wirklich ne total- wie nennt man das? N würde das man als @Parallelgesellschaft@ in Deutschland bezeichnen; //jaja// aber das ist das ist der Prototyp dafür; Nairobi ja, (.) und da mögen sich die Kikuju und die Samburo und die und die und die ähm ja is ja egal; ähm, und die mögen sich auch nicht und kapseln sich auch ab; //mmh// sind viele kleine Blasen die nebeneinnebeneinander her leben ja, @(1)@

Herr Backe schreibt die Situation bezüglich der privaten Interaktion zwischen Expatriates und Einheimischen vor allem dem Land zu und den schon vor seiner Ankunft in dem Land herrschenden Segregationstendenzen, die sowohl die Einheimischen als auch die Zugreisten betrifft (»britisch geprägt«). Eine wirkliche Nähe und einen wirklichen Austausch sieht Herr Backe in einer solchen gesellschaftlichen Situation als nicht gestaltbar (»abgekapselte Gesellschaft«). Er entwirft hier eine allgemeine Theorie über eine Verinselung von Alltagswelten, die vornehmlich entlang ethnischer bzw. nationaler Zugehörigkeiten gedacht ist (»Italiener«, »Briten«, »Franzosen«, »Kikuju«, »Samburo«). Diese erlebt und interpretiert Herr Backe als nicht veränderbar und so hat er als Neuankömmling nur die Möglichkeit, sich in seine »Blase« einzufinden. Auch Frau Meier schreibt den Einheimischen eine Abkapselung zu und dokumentiert damit, dass sie keinen Platz für sich sieht, an dem sie in dieser Gesellschaft teilhaben könnte. Die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, also etwa das eigene Engagement in Freundschaften, werden von Frau Meier und Herrn Backe als sehr gering oder gar nicht vorhanden eingeschätzt. Die Distanzierung ist Folge einer allgemeinen Wahrnehmung individueller Lebensgestaltung und unterschiedlicher Interessen. Diese Verinselung wird zwar einerseits bedauert, andererseits entspricht sie auch dem eigenen individuell orientierten Handeln. Das Leben in einem deutsch dominierten Freundes- und Bekanntenkreis ist zu einer gewissen Selbstverständlichkeit geworden, auf die man auch schon bei der Ankunft im Ausland als bereits vorhanden trifft. Das Leben in einer »Parallelgesellschaft« mag zwar als etwas einseitig wahrgenommen werden und auch nicht gezielt gesucht sein, es lässt sich dort aber weitaus besser leben, als wenn es keine privaten Bezugspersonen gäbe. Auch durch Beschäftigungen und die Aufmerksamkeit der Familie scheint ein geringer privater Kontakte mit Einheimischen als nicht sonderlich problematisch empfunden zu werden. Die Distanz wird zwar bedauert, aber sie ist nichts, was »massiv stört«. Als typische Entwicklung einer individuell gestalteten Lebenswelt und der Anonymität in Großstädten wird sie zu

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einer Selbstverständlichkeit privaten Handelns. Treten in diesem Untertyp Ursachen von Distanz durch eine allgemein wahrgenommene Individualisierung hervor, wird im folgenden Untertyp explizit auf kollektive Zugehörigkeiten und Milieudifferenzen als Aspekte der Distanz eingegangen.

Ökonomische Unterschiede Ein weiterer Untertyp existentieller Distanzierung in privaten Situationen thematisiert eine Distanzierung im Zusammenhang mit erlebten Milieudifferenzen durch ökonomische Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung. ARNE HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, erlebt den Aufbau freundschaftlicher Kontakte als einen selbstläufigen und recht unkomplizierten Prozess, dies jedoch nur zu anderen Europäern (Passage: Kontakte): Y: Hamm: Y: Hamm:

Y: Hamm:

und so der Kontakt jetzt auf der privaten Ebene? So hier in Kenia? Wie wie würden Sie den einschätzen? zu zu Einheimischen? ja? oder was haben sie denn hier so für Kontakte? Freunde oder Bekannte? äh das meiste sind das meiste sind Ausländer also Europäer; //mhm// und davon ist die größte Zahl sind di- ist die größte Zahl Deutscher. (2) also 90 Prozent oder wir kennen ein paar Kenianer aber aber ((räuspern)) das das meiste sind Ausländer; und wie war das als Sie hier so angekommen sind? Wie s wie haben Sie die Kontakte wie wie sind die so entstanden? (1) ich hab das so gemacht wie Sie Sie rufen irgend n Journalisten an und und und ich weiß nicht also wenn Sie einen von denen am Telefon haben wird der Ihnen alle hundertfünfzig andern Telefonnummern sofort geben können; also das ist relativ einfach mir hat damals der Knopcke hier hier sehr geholfen ähm der noch in Nairobi war damals //mmh// und so lernt man die ruckzuck kennen ((Telefonklingeln)) das sind ja immer die gleichen Leute die sich treffen also es is- ((Unterbrechung durch Telefonat))

Von der Interviewerin dazu aufgefordert, seine Freund- und Bekanntschaften in Kenia zu bewerten, reagiert Arne Hamm leicht irritiert und vergewissert sich zunächst, ob die Interviewerin Einheimische meine, weshalb man vermuten könnte, dass Herr Hamm verschiedene private Kontakte hat und dabei zwischen Einheimischen und Expatriates trennt. Es kann aber auch vermutet werden, dass Herr Hamm keinen privaten Kontakt zu Einheimischen hat und daher die Frage seltsam findet bzw. damit der Interviewerin zu verstehen gibt, sie begebe sich außerhalb seines Relevanzrahmens. In Herrn Hamms Antwort zeigt sich schließlich, dass eher Letzteres der Fall ist und sein Freundes- und Bekanntenkreis nahezu ausschließlich aus »Ausländern« besteht. Den Zugang zu diesen neuen Kontakten schildert Herr Hamm als einen natürlichen Prozess, der beliebig wiederholbar ist. Meinen Kontaktaufbau zu ihm gliedert er darin ein. Die Kontaktaufnahme

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lief folglich über den Beruf (»irgend n Journalist«) und beschränkt sich auf einen Zirkel von Leuten, die sich regelmäßig treffen. Explizit nennt Herr Hamm hier einen Kollegen, der ihm beim Hineinfinden in diese Expatriategruppe behilflich war, wobei unklar bleibt was dieser genau gemacht hat. Relevanz hat hier für Herrn Hamm vor allem die zügige Kontaktaufnahme (»ruckzuck«) und die Erkenntnis, dass der Kontakt recht einfach ist, da es eine Kontinuität gibt (»immer«, »gleichen«), auf die er schnell zurückgreifen kann. Wieso der Kontakt zu anderen Expatriates unkompliziert verläuft, hingegen Freund- und Bekanntschaften zu Einheimischen kaum zustande kommen, begründet Herr Hamm mit den enormen ökonomischen Unterschieden zwischen der schwarzen Bevölkerung und ihm als weißem Auslandskorrespondenten. Hier sind es nicht die Lebensweisen der Einheimischen allein, welche als Grund für Abgrenzung empfunden werden, sondern explizit ein ökonomisches Machtverhältnis, welches die Beziehung zwischen Einheimischen und Expatriates prägt und im privaten Bereich eine Freundschaft nahezu unmöglich mache. Dort, wo sich Freundschaften mit Einheimischen entwickelt haben, sieht Herr Hamm aber auch durch das Verhalten der Einheimischen die Aufrechterhaltung dieser Beziehung als gefährdet bzw. deutet an, dass er sich in dieser Konstellation nicht wohl fühlt und sie nicht seinen Vorstellungen von Freundschaften entspricht (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

das is (ich mein) is natürlich hier äh mit mit dem Geld was wir verdienen sind wir natürlich für die Millionäre nich, und versucht permanent wird versucht dass man irgendwie versucht ähm irgend- irgendjemand anzumelken und so man muss irgendwie n Weg finden damit umzugehen dass man dass man natürlich hier in einer ziemlich privilegierten Situation ist zwischen lauter (.) Habenichtsen sozusagen und und und das is nun auch nicht so wahnsinnig leicht, wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe dafür dass man fast nur mit Europäern zusammen ist; weil es ist schon wie bei Berthold Brecht und Herrn Puntila und seinem Knecht Matti nich, es geht nicht so einfach also //mhm// es ist nicht so wahnsinnig einfach ne Ebene herzustellen wir haben also wir haben n paar kenianische Freunde aber die sind auch sehr unzuverlässig und melden sich nicht @(.)@ haben ein anderes Zeitgefühl ein andern andern Rhythmus; ähm offenbar auch andere Prioritäten nich,

Herr Hamm empfindet die Auseinandersetzung mit der ihm fremden Lebensweise der Einheimischen als Belastung. Er fühlt sich allein in seiner sozialen Position als ökonomisch Bessergestellter angesprochen und wird dadurch mit Anfragen konfrontiert, die er als Zumutung wahrnimmt. Gleichzeitig negiert Herr Hamm diese ökonomischen Unterschiede nicht, sondern sieht sie auch selbst als trennenden Faktor an. So interpretiert er das »Anmelken«, die Bitte nach Geld vor dem Hintergrund der extremen ökonomischen Unterschiede, und erklärt damit auch, warum seine Bekannten und Freunde vor allem Europäer sind. In der

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Interaktion mit Einheimischen fehlt Herrn Hamm eine »Ebene«, um engere Kontakte aufzubauen. Die Thematik der Macht und Abhängigkeit aufgrund ökonomischer Unterschiede taucht auch in seinem Vergleich mit dem Brechtstück auf. Herr Hamm signalisiert damit auch, dass ihm eine geeignete Handlungspraxis im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung fehlt und ähnlich wie Herr Backe (siehe oben) scheint er diesen Umstand auch als unüberwindbar wahrzunehmen. Die Folge daraus ist ein Rückzug in einen europäischen Freundeskreis. In der Beschreibung der wenigen afrikanischen Freunde, die Herr Hamm trotz der Schwierigkeiten hat, dokumentiert sich Herrn Hamms nicht vollzogener Perspektivenwechsel. Die Anderen, mit ihrer anderen Art (»unzuverlässig«, »andere Prioritäten«) bleiben fremd und das eigene Verhalten wird nicht reflektiert. Gleichzeitig zeigt sich in Herrn Hamms Schilderungen auch, dass er kein explizites Bedürfnis nach mehr Nähe hat bzw. eine solche durch die von ihm erlebten grundlegenden Unterschiede unmöglich erscheint. Auch MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, schildert ökonomische Unterschiede als einen zentralen Faktor, der die Interaktion mit Einheimischen immerzu beeinflusst. Aus Ruanda erzählt sie (Passage: Private Kontakte): Stettler:

und früher ähm (3) war das also in Ruanda auch sehr schwierig ja, weil halt dadurch dass ma- vor allem als Hilfsarbeiter- also von einer Hilfsorganisation ist, is immer so ein Blickwinkel äh ahja das ist die mitm Geld; das ist die mitm großen Auto, das ist die die das und jenes Projekt machen kann, und dann kann man immer davon ausgehen dass mer um einen Job angehauen wird entweder für die Leute selber oder für einen Cousin oder eine Nichte //mmh// oder was weiß ich wen, (2) äh um Geld angehauen wird weil mer so wahnsinnig viel verdient ne, äh oder um sonst irgendein Ding; //mmh// du, in meinem Dorf gibts kein Wasser und könnt ihr nicht von eurer Organisation tati tata? Und so weiter und das ist irgendwie ziemlich nervig; ja, //ja// und es ist immer dieser Blickwinkel ja,

Frau Stettler erlebt sich in Ruanda in der Interaktion mit Einheimischen grundsätzlich in ihrer sozialen und beruflichen Position angesprochen. Der Aufbau von Freundschaften und Vertrauen gestaltet sich schwierig, weil die sozial besser gestellte Position wie auch die Möglichkeiten der Beschaffung von Gütern durch ihren Beruf dauernd präsent sind. Frau Stettler ist von dem ökonomischen »Blickwinkel« genervt. Menschen, die auf sie zugehen, unterstellt Frau Stettler immer, dass sie nicht wirklich an ihr als Person interessiert sind, sondern ihre soziale Position im Auge haben, welche die Macht, Dinge in Bewegung zu setzen, verspricht, wie etwa einen »Job« zu vermitteln oder über die Hilfsorganisation die Situation im Dorf zu verbessern. Auch in Kenia erlebt Frau Stettler diese Dynamik im Kontakt mit Einheimischen als festgeschriebene Handlungspraxis.

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Aufgefordert von der Interviewerin, über ihre Position als weiße Europäerin zu erzählen, berichtet Frau Stettler (Passage: Arbeit und Kollegen): Stettler:

also was ich was ich äh ähm sicher hab ja, ist also dass äh von sämtlichen äh Leuten mit denen man irgendwie zu tun hat also vor allem die Angestellten, die jetzt direkt unter mir arbeiten, teilweise das immer wieder kommt ja äh (2) äh ich ich brauch Schulgeld und äh tatitatat und so und dann sagste du bist aber bei der [Entwicklungshilfeorganisation] angestellt und kriegst einen Gehalt und ich kann nicht- und dass man immer angebettelt wird ja, //mmh// um n bissl en extra Geld und ach und du fliegst nach Europa und kannst mir nicht en Telefon mitbringen? oder ein Ding oder so? in Wirklichkeit sind zum Beispiel T-mobile-Telefone in Kenia billiger //mmh// als in Europa; //mmh// ja, äh und solche Sachen ja aber dieses diese diese Mentalität dass ma- ja man hat ja so viel Geld da ist das ist das ja wurscht oder zum Beispiel äm äh weiß ich also äh die Hausangestelle die äh irgendwie ein T-Shirt zu heiß gewaschen hat ja, und und dann lamentiert man über das T-Shirt und sagt ja also das war wirklich- das wär doch jetzt nicht notwendig gewesen oder weiß ich, und dann sagt die wieso du hast doch so viel Geld du kannst dir doch ein neues kaufen. Stimmt. Ne, @aber man hörts trotzdem nicht gern;@ //mmh// und da sind so Sachen ja wo man dann wieder mal sieht okay, man komm aus dem nicht raus es ist völlig egal, //mmh// und das ist ziemlich frustrierend so; //mmh// oder oder äh ähm (2) dass man einfach über den Tisch gezogen wird ja, das passiert einem ja am laufenden Meter ne, und da muss ich sagen also hab ich doch über die langen Jahre wo ich eben in Afrika äh leb ja das sind jetzt auch eben seit vierundneunzig äh (2) gelernt ja dass man auf so was aufpasst; das hab ich früher nicht gehabt ne, in Europa muss man sich um so was irgendwie weniger Sorgen machen; //mmh. Ja.// aber da ist immer äh okay also meint er das jetzt wirklich wie ers sagt oder ist das jetzt alles? Nä, und dass man zum Beispiel im Restaurant die Rechnungen immer nachrechnet und so weiter und so fort ja, obwohl ich sagen muss ich hab zu dem irgendwie eine lockere Einstellung; ja, im Vergleich zu anderen Kollegen ist mir das wurscht; ja wenn einer bei einer Rechnung so und so viel draufschlagt muss ich sagen mein Gott. ja, wenn ich das umrechne dann sind das vielleicht fünfzig Eurocent //mmh// die er mir jetzt mehr verechnet hat; ›wird mich doch nicht umbringen. //mmh// ja, da gibts aber Leute @die verbutzen so was überhaupt nicht@ //mmh// ja, und ich bin halt da irgendwie ich denk mir dann meine Güte ja also (2) ja //mmh// (3) was mich verletzt ja, in der Hinsicht ist die Böswilligkeit. //mmh// also wenn jemand kalkuliert; ja und absichtlich äh (.) versucht zu lügen oder mich reinzulegen//mmh// oder mich ja? das (.) vertrag ich nicht.

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Auf die Frage und Unterstellung der Interviewerin, es gäbe eine besondere Art des Umgangs bezüglich der Hautfarbe, beschreibt Frau Stettler, wie ihre Herkunft Thema in Interaktionen mit Einheimischen ist. Dabei wird deutlich, dass der Rahmen der Interaktion durch ökonomische Interessen von Seiten der einheimischen Bevölkerung geprägt ist und Frau Stettlers Handlungsspielraum diesbezüglich zwischen Frustration und Gleichgültigkeit angesiedelt ist. Die Anfrage nach finanzieller Unterstützung und Geschenken aus Deutschland (insbesondere der Angestellten), so macht Frau Stettler deutlich, sind letztlich rational unbegründet (»in Wirklichkeit sind T-mobile-Telefone in Kenia billiger«) und bugsieren Frau Stettler ununterbrochen in eine Position als Bessergestellte. Obwohl Miriam Stettler zunächst differenziert und ihre pauschalisierenden Aussagen speziell auf Angestellte bezieht und auch in ihrer Dauerhaftigkeit einschränkt (»teilweise«, »immer wieder«), kommt sie nach einer Beschreibung der Auseinandersetzung mit ihrer Hausangestellte zu der abschließenden Bemerkung, man komme aus der Konstellation grundsätzlich nicht heraus und benennt diese Ausweglosigkeit und Ohnmächtigkeit als »frustrierend«. Hier lässt sich eine Zuschreibung zum einen in der Beschreibung der »Mentalität« von Einheimischen finden, die Frau Stettler als reich ansehen und damit verbunden als unbekümmert gegenüber Materiellem. Zum anderen macht die Selbstzuschreibung deutlich, dass sich Frau Stettler als Jemand sieht, der ihr Reichtum und ihre bessere soziale Position nicht gerne vorgehalten werden. Hier dokumentiert sich eine Einschränkung von Handlungsspielräumen und Definitionsmacht. Frau Stettler bekennt, dass sie die Zuschreibung der Anderen widerwillig annimmt und ihr Ärgernis über ein kaputtes T-Shirt in dieser Konstellation nicht (auch nicht von ihr selbst) akzeptiert wird. Die eigene Anerkennung ihrer (herausgehobenen) sozialen Position lässt ihr bisheriges Bewertungsschema schwanken. Ein kaputt gewaschenes T-Shirt ist ein Ärgernis für Frau Stettler und ihrer Meinung nach eine zu vermeidende Situation. Auch in Bezug auf Mobiltelefone merkt Frau Stettler an, dass eine einfache Vergleichsrechnung zur logischen Konsequenz führen sollte dort zu kaufen wo es günstiger ist. Diese Annahmen werden jedoch durch das Verhalten der Anderen konterkariert und entweder als unlogisch und damit falsch angesehen oder die implizite Haltung der Anderen übernommen (»du hast doch so viel Geld du kannst dir doch ein neues kaufen. Stimmt.«). Frau Stettler beschreibt weiter, dass sie sich permanent in der Situation wiederfindet, betrogen zu werden. Für ihre Handlungspraxis hat dies die Konsequenz, ihr Verhalten zu verändern und anders als in Europa hier vorsichtiger und misstrauischer zu werden. Dies führt dazu, dass die Aussagen und Handlungen der Anderen zunächst skeptisch auf ihren Wahrheitsgehalt und das Interesse geprüft werden müssen. Neue Handlungen, wie das Nachrechnen von Restaurantrechnungen, etablieren sich in die alltägliche Handlungspraxis. In einer längeren Theorie über sich und ihre Einstellung distanziert sich Frau Stettler von dem Bild der rein reagierenden Person und erkämpft sich durch eine großzügige Gelassenheit ihre Selbstbestimmung zurück. Ihr ist es »wurscht«, ob

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sie um Kleinbeträge betrogen wird oder nicht. Das was der Kellner mehr berechnet (weil er arm ist), stellt in der Relation für Frau Stettler keinen schwerwiegenden Verlust dar (»wird mich doch nicht umbringen«). Implizit ist auch hier wieder die soziale Position für das Verhalten ausschlaggebend. Als negativer Gegenhorizont tauchen an dieser Stelle andere Europäer auf, die sich an solchen Betrügereien echauffieren. Frau Stettler setzt sich von den Anderen, die sich ärgern, ab und verweist darauf, woran sie sich stört und was ihr nicht behagt. Letztlich ist Frau Stettlers Logik nicht eindeutig. Sie erklärt, dass sie sich mit »Böswilligkeit« und vorsätzlichem Betrügen nicht abfinden kann und darunter leidet. Das zuvor geschilderte Betrügen des Kellners war aber nicht als etwas Zufälliges, als ein versehentliches Betrügen dargestellt worden, sondern die Intention war mitgedacht. Möglich wäre, dass Betrüge für Frau Stettler dann als böswillig erlebt werden, wenn sie sie zum einen auf sich als Person bezieht (und nicht als Weiße, respektiv Zugehörige einer sozial besser gestellten Gruppe) und zum anderen, wenn die soziale Notwendigkeit des Betrugs von Frau Stettler nicht anerkannt wird. Vermutlich spielt Frau Stettler hier auf länger währende Beziehungen zu Einheimischen an und die Erfahrung des Betrogenwerdens durch diese (siehe oben). Sowohl Herr Hamm als auch Frau Stettler erleben in der Interaktion mit Einheimischen, dass diese durch unterschiedliche ökonomische Ressourcen und Macht bestimmt werden. Sie fühlen sich nahezu ausschließlich in ihrer sozialen und beruflichen Position wahrgenommen und ihre Handlungsmöglichkeiten dadurch eingeschränkt. Damit gehen die Erfahrung des Mangels einer gleichen Ebene einher und der Wahrnehmung des Anderen in seiner persönlichen Identität, welche notwenig für einen vertrauensvollen Aufbau von Freundschaften ist. Auch für MARKUS OTTO, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, sind es weniger kulturelle als vielmehr ökonomischen Unterschiede, die dazu beitragen, dass engere Kontakte zu Einheimischen nicht entstehen (Passage: Segregation): Otto:

also des hat nicht mit nem mit nem mit nem rassistischen Problem zu tun; //mmh// (2) also da sind die- ((atmet)) (2) also wenn ichs wüsste, wenn ich s wirklich auf n Punkt bringen könnte wär ich glücklich; ähm (3) an was des- an was des liegt; ich glaub dass des dass des (3) des einfach so Lebens- Lebensbedingungen sind, man man geht in bestimmte Kneipen, wohnt in bestimmten Gegenden, also hier hier diese Gegend auch, des is des witzige mehr integriert is is sind die superreichen Gegenden, Sandton, wo wirklich äh wo wirklich des Großbürgertum //mmh// lebt; des is mehr integriert als als solche äh eher kleinbürgerlichen Wohn-Wohnbereichen wie hier.

Eine Distanzierung in privaten Situationen zur einheimischen Bevölkerung in Südafrika sieht Herr Otto der Distanz zwischen sozialen Schichten geschuldet und beurteilt sie weniger als eine Folge rassistischer Tendenzen. Auch wenn Herr

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Otto sich schwer tut, einen allgemeingültigen Grund für die Distanz und den mangelnden Kontakt zwischen ihm als weißem Europäer und der schwarzen einheimischen Bevölkerung zu benennen, so sind es am ehesten unterschiedliche »Lebensbedingungen«, welche als Erklärung dienen. Der Wohnort und die Wahl der »Kneipen« entstehen jedoch nicht allein entlang einer ethnischen Linie zwischen schwarz und weiß, vielmehr sind es die ökonomischen Differenzen, welche einer Segregation förderlich sind. Dabei stellt Herr Otto fest, dass sich hinter dieser Feststellung eine weitere Tatsache verbirgt. In Johannesburg findet die Trennung nicht allein zwischen einer reichen weißen Oberschicht und einer armen schwarzen Unterschicht statt, sondern verläuft zwischen einer reichen Oberschicht jedweder Hautfarbe, einer kleinbürgerlichen weißen Mittelschicht und einer armen schwarzen Unterschicht. Sich selbst dem kleinbürgerlichen Milieu zugehörig fühlend, sieht Herr Otto seine privaten Kontaktmöglichkeiten zu schwarzen Einheimischen als sehr begrenzt an. Auch im Untertyp ›Distanzierung aufgrund ökonomischer Unterschiede‹ ließ sich zeigen, dass die Distanz, die erlebt oder gesucht wird, darauf zurückzuführen ist, dass die Interviewten keine Gemeinsamkeiten mit der einheimischen Bevölkerung sehen oder erleben. In diesem Fall sind es ökonomische Unterschiede und Machtunterschiede (wie das Beispiel von Herrn Puntila und seinem Knecht Matti symbolisiert), welche eine Begegnung auf einer »Ebene« erschweren. Nicht das gleiche soziale Milieu zu teilen und dadurch keinen Zugang zu Anderen zu bekommen, ist ein allgemeines Phänomen. Die große ökonomische Distanz zwischen einem Expatriate und der einheimischen Bevölkerung ist dagegen ein spezifisches Problem bei Hochqualifizierten, die in einkommensschwachen Ländern arbeiten. Eventuell gibt es hier auch einen Unterschied zwischen Kenia und Südafrika22. Die Erfahrung, allein in seiner sozialen Identität als Reicher wahrgenommen zu werden, macht den ökonomischen Unterschied zu einer Trennungslinie zwischen Einheimischen und Expatriates schlechthin. Wird daraufhin wahrgenommen, dass mit dieser Fokussierung auf die ökonomische Differenz zudem eine ganz bestimmte Handlungspraxis, einhergeht, wie Aussagen wie »anzumelken«, »um Geld angehauen«, »angebettelt« oder »über den Tisch gezogen wird« zeigen, sehen die Interviewten keine Möglichkeit und keinen Bedarf mehr am Aufbau freundschaftlicher Beziehungen zu Einheimischen.

22 Zwischen 1998 und 2004 ist der Anteil schwarzer Haushalte in den gehobenen und hohen Einkommensklassen in Südafrika um rund 68 Prozent auf 440.000 Haushalte angewachsen. Weiße bilden in diesen Segmenten indes immer noch die Mehrheit mit 642.000 Haushalten. Für das Jahr 2007 wurde prognostiziert, dass der Anteil der Schwarzen am verfügbaren Einkommen höher sein wird als der der Weißen. Entscheidend für ein Anwachsen der schwarzen Mittelklasse ist der Erfolg von Broad Based Black Economic Empowerment (BBBEE), mit dem die Regierung die Teilhabe der Schwarzen an der vornehmlich noch immer von Weißen dominierten Wirtschaft verstärken will (s. http://www.bfai.de/fdb-SE,MKT20060718102937, Google.html; 27. April 2008).

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5.2.1.3 Distanz aufgrund der Konfrontation mit Rassismusund Kolonialismusvorwürfen LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, hat die Erfahrung gemacht, dass ein Zusammenleben mit Einheimischen auch im Privaten erfolgreich sein kann, wobei er diesen Umstand einem spezifischen Land und dessen Bevölkerung und den Fähigkeiten seiner Frau zuschreibt. An seinem jetzigen Aufenthaltsort in Südafrika erlebt er hingegen eine Distanz zwischen ihm als weißem Europäer und der schwarzen Bevölkerung. Diese Distanz hängt mit der Erfahrung rassistischer Aussagen und einer als grundsätzlich erlebten Differenz zwischen Weißen und Schwarzen zusammen (Passage: Beruflicher Umgang): Y:

Holmes:

und ich meine jetzt hier in Südafrika sind sie ja noch nicht so lange //mhm// wie war das denn in XX das Sich-Einleben oder gabs so was überhaupt in die Gesellschaft dort? erstaunlicherweise ja; ah das ist auch etwas dass dass uns hier in Südafrika völlig abgeht ähm nur ich denke da bin ich der falsche Ansprechpartner da müssten Sie @sich eher mit meiner Frau unterhalten@ die die sozialen Kontakte in XX gesucht gefunden und auch gepflegt hat; also Kontakte zu Afrikanern nicht zu dieser white white community von der wir uns immer fern gehalten haben; ähm hier in Südafrika diese Begegnungen zwischen Schwarz und Weiß auf Augenhöhe //mhm// funktionieren nicht; (.) ähm aber wie gesagt ich kann dazu nicht viel sagen weil ich bin halt einer de- jemand der soziale Kontakte wie will ich die pflegen ich bin ja nie da //mhm// ah ich bin ständig unterwegs also das ist wirklich ne Frage @die sollten Sie meiner Frau stellen @(.)@ die weiß da mehr zu@

Von Herrn Holmes ist an dieser Stelle wenig darüber zu erfahren, wie die Kontakte zur einheimischen Bevölkerung in einem anderen afrikanischen Land hergestellt wurden. Einzig deutlich wird, dass Herr Holmes davon ausgeht, dass Freundschaften nur »auf gleicher Augenhöhe« geschehen können und sie eines bestimmten Aufwands bedürfen (»gesucht gefunden und auch gepflegt«). Eine egalitäre Begegnung vermisst er in Südafrika und er sieht sich selbst, beruflich bedingt, nicht in der Lage, sich um Freundschaften zu bemühen. Herrn Holmes zahlreiche Reisen führen dazu, dass er den Aufbau und das Pflegen von Freundschaften seiner Frau überlässt. Da er wenig Interesse an einer »white community« hat, die Möglichkeit von Freundschaften zu schwarzen Einheimischen in Südafrika aber als sehr gering einschätzt, lebt er eher zurückgezogen. Dass er die Interaktion zu schwarzen Einheimischen in Südafrika in Verbindung mit dem Thema Rassismus sieht, lässt sich in der Passage zeigen, in der er über eine Erfahrung mit einem Postbeamten berichtet (Passage: Rassismuserfahrung):

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Y: Holmes:

können Sie mir da ein Beispiel erzählen? Oh ja natürlich da kann ich Ihnen zig Beispiele erzählen; ah ein ganz einfaches Beispiel ähm aufm aufm Postamt ich kam an meine Briefe nicht mehr ran; weil die Schussel da irgendwie die Post äh äh postboxes die Postfächer verwechselt hatten und mein meine Post lag in dem Postfach für das ich keinen Schlüssel mehr hatte und derjenige der den Schlüssel hatte äh kam aber an seins nicht mehr ran weil da lag sei- also den Schlüssel hatte ich auf auf war die hatten das Ding verwechselt //mhm// gut dat kann passieren; ich bin dann hin und hab ja ja sie sahen den Fehler auch direkt ein ich sag ja gut das ist ja alles kein Problem dann wechseln wir das jetzt aber dann bitte gib mir doch die Post die da in dem Postfach drin liegt guck ma hier hast mein Pass da steht mein Name drauf //ja// kontrollier bitte gib mir die Post; nein meinten die da müsste ich jetzt hier tausend Anträge stellen und trallala ich sag du stehst doch neben diesem Postfach kannst du mir nicht einfach die Briefe da rausgeben, und er ((Ausatmen)) fing dann an sich da aufzuspielen und ich bin dann ziemlich laut geworden und dann seine Antwort war You are a racist also dieses Totschlagargument dat kommt hier alle Naselang; //aha// äh das hat mich deshalb so schockiert weil (1) das gibt es in Westafrika nich; //mhm// dieses Wort fällt nicht; da kann ein Schwarzer mit einem Weißen Streit kriegen bis die Fäuste fliegen //ja// äh aber niemals niemals würde der eine den anderen als Rassisten bezeichnen; oder wie wie also der Schwarze würde den Weißen nicht als Rassisten bezeichnen genauso wie es einem Weißen in Westafrika niemals über die Lippen kommen würden einen Afrikaner als Neger oder Neger zu bezeichnen nich das gibt es einfach nicht; //mhm// da ist dieser Respekt; //ja// aber der is hier (2) ich weiß nich ob dat Minderwertigkeitsgefühl ist also ich wie gesagt ich find die Beziehung hier zwischen Weißen und Schwarzen sehr sehr seltsam; //mhm// und deshalb sag ich dat is dat is nich mein Land hier; (.) absolut nich.

Herr Holmes schildert in dieser Passage eine Situation, die er in ähnlicher Weise schon »zig«-fach erlebt hat und die damit für ihn fundiert ist. In der Situation kommt Herr Holmes nicht mehr an seine Post heran, weil er den falschen Schlüssel hat. Dies ist auf ein Versehen des Postbeamten zurückzuführen. Zunächst sieht Herr Holmes kein großes Problem, weiß er doch um eine gute Lösung. Er macht auch zunächst eine positive Erfahrung, nämlich, dass die Postbeamten ihren Fehler einsehen und Herrn Holmes Recht geben. Auf seine scheinbar einfache und unkomplizierte Lösung des Problems will aber der Postbeamte nicht eingehen, sondern nötigt ihn dazu, Formulare auszufüllen. Herr Holmes kann von seiner Vorstellung, es handle sich um ein einfach zu lösendes Problem, nicht ablassen und versucht den Postbeamten zu überzeugen, einen unbürokratischen Weg zu gehen. Diese Diskussion führt zu keinerlei Erfolg, sondern vielmehr zu einer Verweigerung des Beamten. Am Ende seiner Geduld angelangt schreit Herr

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Holmes den Mann an und wird von diesem daraufhin als Rassist bezeichnet – ein »Totschlagargument«, welches Herrn Holmes sämtlicher alternativer Diskussionsmöglichkeiten beraubt. Er ist nun nur noch in seiner Rolle als Weißer (und Angehöriger (ehemaliger) Unterdrücker) präsent und alles weitere Verhalten wird dieser Wahrnehmung untergeordnet. Ein solches Verhalten ist für Herrn Holmes neu, obwohl er schon lange in Afrika gelebt hat. Die Reduktion auf diese Ebene ärgert Herrn Holmes und er zieht sich innerlich zurück. Seine Argumentation schließt wieder an der »Augenhöhe« an, wenn er sagt, in Südafrika gebe es keinen Respekt zwischen Schwarzen und Weißen als Menschen. Er vermutet dahinter einen psychischen Komplex der Anderen und bewertet die Beziehungen in Südafrika pauschalisierend als merkwürdig. Dieses Verhältnis findet Herr Holmes nicht akzeptabel und will daher auch nicht heimisch werden in Südafrika. Sein eigenes Verhalten, etwa dass er den Postbeamten belehren wollte und ihn angeschrien hat, reflektiert Herr Holmes dabei nicht. Auch RALF DONNER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, sieht sich in Afrika mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert, welche Grund für ihn sind, sich von privaten Kontakten zu Einheimischen zu distanzieren. Über seine Position als weißer Europäer in Afrika berichtet er (Passage: Weißer Europäer): Donner:

wichtig ist das ich weiß bin, (.) @(.)@ und das ist halt (.) ((stöhnt)) wie soll ich das erklären, also (2) Ethnien spielen in Afrika eine (.) überragende Rolle. //mhm// is nicht das Einzige, m- mit Ethnien kann man nicht alles erklären. (.) //mhm// und es gibt gemischt ethnische Parteien und äh ich würd sogar hm sagen die meisten Parteien sind irgendwie gemischt ethnisch und auch die Regierung und so. (.) und trotzdem gibt es da eine ganz sch- starke Bindung, also die einfachen Wähler und Wählerinnen die wählen doch nicht einen von nem anderen Stamm hier in Kenia, das gibts also (.) höchst selten, (.) //mhm// auch gebildete Leute, also (.) da ist die Bindung schon sehr stark. (.) und (.) niemand nennt das Rassismus, (.) ich (.) ich find aber das ist Rassismus, //mhm// und äh man kann mit mit ganz vielen Leuten hier sprechen (.) und wenn die halt Kuria sehen aus dem Westen dann mögen die die Kikuju nicht und die Kikuju das sind all- die Frauen sind Prostituierte, die Männer sind Gauner, die die Kikuju wurden von von den Engländern nen bisschen gepuscht, die sind (.) wirtschaftlich (.) erfahrener, überlegener, und die wurden auch durch den ersten Präsidenten gepuscht, der hat ihnen ihre ganzen Ländereien gegeben, in (.) in den Gebieten die (.) die also nicht ihr ethnisches Kerngebiet sind, und das hat natürlich (.) böses Blut gegeben, also die Kikuju (.) ich weiß nicht wer die Kikuju mag. (1) und das sind natürlich alles rassistische Aussagen weil ich kenn auch äh sehr sehr nette Kikuju die ich für für total ehrlich halte, ich kenn Kikuju Frauen die sicher keine Prostituierten sind, also (.) was soll das? aber diese diese Muster diese Denkmuster sind ganz stark. //mhm// die sind vielleicht stärker hier in Kenia als in Tansania oder in Ghana ((atmet)) hm, (.) und

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wenn jetzt da ein Weißer kommt, (.) dann ist man natürlich außerhalb von diesen ethischen Streitereien //mhm// das (.) das ist gut. (.) aber, es gibt (.) das (.) es kann es kann sehr schnell vorkommen, dass man halt dann eben als als als der Vertreter des weißen Stamms, und das ist immer (.) in diesen Ländern (.) der Kolonialisten. angesehen wird, nicht? //mhm//

In dieser Sequenz erläutert Herr Donner ausführlich seine Außenseiterposition in Kenia, bedingt durch seine Hautfarbe. Zuvor hatte Herr Donner erwähnt, dass seine weiße Hautfarbe zu einem bestimmten Handlungsschema bzw. zu einer Restriktion des Handelns führe, einer Verweigerung des Mitspracherechts. Auf eine Nachfrage der Interviewerin geht Herr Donner darauf ein, inwiefern seine Hautfarbe bedeutsam in seinem Handeln im Ausland sei und zwar sowohl in privaten als auch beruflichen Situationen. Die Relevanz des Themas bestimmt Herr Donner als » wichtig«. Herr Donner differenziert zunächst einmal seine Zustimmung zu der in der Frage eingebetteten Behauptung und macht deutlich, dass die Nationalzugehörigkeit eine untergeordnete Rolle spiele, wohingegen die Hautfarbe besondere Bedeutung habe. Seine sichtbare Unterscheidung von der einheimischen Bevölkerung ist für Herrn Donner ein zentrales und gleichzeitig vielschichtiges Thema, welches er versucht, in verschiedenen Aspekten darzustellen. Zunächst greift Herr Donner in einer Erklärungstheorie auf ein grundsätzliches Erklärungsschema über die Bedeutung von »Ethnien« in »Afrika« zurück, anhand dessen er seine exponierte Stellung veranschaulicht. Hier geht es zum einen um eine Erklärung bestimmter Gegebenheiten auf dem afrikanischen Kontinent und deren ›richtige‹ Interpretation gegenüber der Interviewerin, zum anderen weist diese Interpretation auf die Erfahrung des Außenseitertums als weißer Auslandskorrespondent in Afrika und auf eine Verortung innerhalb einer Gesellschaft hin. Herr Donner sieht eine allgemeine, von ihm unabhängige Fokussierung auf »Stammes«-Zugehörigkeiten auf Seiten der Afrikaner, welche die Interaktion mit ihm als Zugehöriger einer weißen Ethnie bestimmt. Und zwar wird er einerseits als ein dem ethnischen Konflikt Ausgeschlossener betrachtet, was Herr Donner als »gut« empfindet, andererseits als »Vertreter des weißen Stammes«, und damit als »Kolonialist«, was zu einer eingeschränkten Handlungsfähigkeit führt (»das darfst du gar nicht«). Diese Zuschreibungen empfindet Herr Donner als von außen gesetzt. Sie entsprechen nicht seiner eigenen Orientierung, sondern er wertet sie als »Rassismus« ab. Anhand eines Beispiels des politischen Verhaltens der Einheimischen veranschaulicht Ralf Donner seine Theorie der ethnischen Verbundenheit. Mitglieder einer Volksgruppe, so Donner, würden keinen Angehörigen einer anderen Volksgruppe wählen. Diese »Bindung« sei so stark, dass auch Bildung dem nichts entgegensetzen könne. Hier zeigt sich Herrn Donners implizite Annahme, Rassismus und Ausgrenzung als Mangel an Bildung zu verstehen,

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was sich aber hier nicht bestätigen lässt. Anhand eines Beispiels verdeutlicht Herr Donner seine Theorie der tief liegenden Ressentiments und Vorurteile, die zwischen den einzelnen tribes (Stämmen) herrschten. In einer Hintergrundskonstruktion erläutert er (der Interviewerin) die geschichtlich bedingte Vormachtsstellung eines Stammes23, was sein Wissen über Kenia besonders betont. Herr Donner führt seine positive Erfahrung mit Angehörigen eines Stammes als Gegenhorizont zu den Verleumdungen der anderen ethnischen Gruppen ein. In einem Vergleich mit zwei weiteren afrikanischen Ländern betont Herr Donner nochmals die Gewichtigkeit ethnischer Zugehörigkeit und stützt damit seine Erklärungstheorie. Welche Folgen aus dieser ›Überbetonung‹ ethnischer Zugehörigkeit für seine Position erwachsen, führt Herr Donner anschließend aus (Passage: Weißer Europäer): Donner:

also wenn man was kritisiert und das passiert immer wieder, dann kommt diese Schablone und ihr Kolonialisten, ihr habt hier überhaupt nichts mehr zu sagen, und das is, ihr ihr wollt ja nur uns äh bemuttern un- und bevatern und und möglicherweise noch ausbeuten, ((atmet)) das dies das ist eine reflexartige Reaktion (1) weniger bei den ungebildeten (.) Afrikanern (.) weil für die sind wir einfach wir sind wie vom Mond, //hm// zum Teil nicht? °un- und° weil wir eben nicht in diesen ethnischen Streitereien integriert sind sind wir eigentlich (.) so neutral die die lasst man eigentlich (.) die lässt man in Ruhe. aber von von Gebildeten und Halbgebildeten kommt dieser Vorwurf sofort. //mhm// also ich (2) ich diskutier ja nicht gern mit Kenianern über Politik, (.) weil ich einfach immer (.) sobald ich was kritisiere, (.) dann kommt dass dieses Denkschema (.) das darfst du gar nicht, als Weißer darfst du schon gar nichts kritisieren. //hm// warum darf ich das nicht? ich mein die kritisieren ja uns auch oder die kritisieren jetzt Amerika, (.) ham alle Recht (.) wenn wenn man (.) Flutkatastrophe un- un- und äh Amerika benimmt sich wie ein Entwicklungsland im Moment, nicht? //mhm// da dürfen doch alle kritisieren ob man jetz Amerikaner ist oder nicht, das spielt doch überhaupt keine Rolle und die Hautfarbe soll auch keine Rolle spielen. (.) aber diese diese Reaktion ist da.

In der Fortführung seiner Erklärungstheorie, in der er explizit auf seine Position als Weißer eingeht, tauchen zahlreiche abstrahierende Beschreibungen auf, die Herrn Donners Einschätzung stützen. Als »Weißer« würde man »immer« als 23 Ich übernehme hier den Begriff von Herrn Donner, bin mir dabei aber der Problematik dieses Begriffs bewusst. Der Begriff Stamm oder auch Stämme bezüglich Organisationsformen in Afrika spiegelt eine ungebrochene koloniale Benennungspraxis wider. Damit werden Diversitäten in afrikanischen Gesellschaften negiert und ein Bezug zu historisierenden Begriffen wie »germanische Stämme« nahegelegt. So werden Gesellschaften in Afrika als höchstens mit einer früheren Epoche europäischer Geschichte vergleichbar gemacht (vgl. Arndt/Hornscheidt 2004).

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»Kolonialist« angesehen werden, so Herr Donner, und zwar vor allem dann, wenn man Kritik äußern möchte. Das Verhalten der Anderen ist dabei »reflexartig« und »schablonen«-haft. Hier unterscheidet Herr Donner wiederum zwischen »gebildeten«, »halbgebildeten« und »ungebildeten Afrikanern«, wobei er Letzteren zuschreibt, ihn als »vom Mond«, also außerhalb ihres Erfahrungsbereichs, wahrzunehmen. Erstere dagegen greifen ihn mit Argumentationen die sich auf die Kolonialzeit beziehen, an: »bemuttern«, »bevatern«, »ausbeuten«. Herrn Donners Reaktion auf diese Konfrontation ist der Rückzug aus politischen Diskussionen mit Kenianern. Es handelt sich hier also nicht um eine Strategie der Distanzierung etwa aufgrund unterschiedlicher Lebensgewohnheiten, sondern Herr Donner meidet gezielt Situationen, in denen er sich als Gesprächspartner nicht gleichberechtigt fühlt. Seine Außenseiterposition ist für ihn ein zweischneidiges Schwert. Erkämpft sie ihm einerseits die Freiheit, nicht in ethnische Rivalitäten eingebunden zu sein, bringt sie ihm andererseits die Ausgeschlossenheit aus Diskussionen bezüglich interner Politik. In Herrn Donners Kritik des Verhaltens der Afrikaner lässt sich seine Orientierung bezüglich sozialer Interaktion herausarbeiten. Für Herrn Donner ist ein allgemeines Recht, seine Meinung zu äußern und Kritik zu üben, und dies unabhängig nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit, erwünschte Bedingung sozialer Interaktion. Macht er, wie von ihm geschildert, in Kenia eine andere Erfahrung, so führt dies zu einer Distanzierung. Er meidet pauschal politische Auseinandersetzungen mit Kenianern. Die in dieser Praxis enthaltende »Schablonenhaftigkeit« reflektiert Herr Donner nicht. Dass eine solche Distanzierung nicht als individueller Rückzug gesehen wird, sondern in seiner Begründung verstanden wird, ist für Herrn Donner wichtig, und so führt er weiter die Konfrontation mit stereotypen Zuschreibungen als Kolonialist aus (Passage: Weißer Europäer): Donner:

also die die EU hm, Beobachtungsmission, (.) das sind natürlich Weiße, das ist ne Frau. ich glaub eine Portugiesin die da die Chefin ist, gesagt hat die Wahlen in Äthiopien sind nicht frei und fair, da hat der Präsident von einer ein Ministerpräsident von Äthiopien, hat er sie als (.) ne Frau bezeichnet, the good, wie hat er gesagt? the good old lady (.) who behaves like äh (.) a colonial vice roy. (.) //mhm// (.) und das is (.) das is echt typisch. und darum dürfen, darf man hier als Weißer, den Mund nicht (.) zu weit aufmachen, also man man man setzt sich einfach Kritik aus, hier in Kenia, man is schon ziemlich frei. aber es is einfach nicht schön wenn, wenn die Diskussion dann (.) rassistisch wird //hm// und das wirds relativ schnell.

In der kurzen Erzählung über einen Kommentar eines äthiopischen Ministers, der die Aussage einer UN-Beobachterin als kolonial bezeichnete, betont Herr Donner, dass es sich dabei um ein repräsentatives (»typisch«) Verhalten handle, welches ihn als Teil einer weißen Gruppe zum Schweigen zwinge. Diese Kritik an

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einer Einschränkung der Meinungsäußerung relativiert Ralf Donner ein wenig, indem er darauf verweist, doch verhältnismäßig »frei« zu sein. Vermutlich wird hier ein impliziter Vergleich mit einheimischen Journalisten gezogen, die in ihrer Berichterstattung teilweise einer rigiden Zensur unterworfen sind. Hieran anschließend konkludiert Herr Donner (Passage: Weißer Europäer): Donner:

das heißt, es gibt eben, also wie wenn ich von der kulturellen Barriere in Afghanistan gesprochen hab das, die war vor allem religiös bedingt, (.) die gibts hier auch, die is (.) die is schon sehr stark durch die Hautfarbe geprägt, ich mein ich kenn natürlich Leute die versuchen diese Barriere zu zu durchbrechen indem sie mit möglichst vielen Kenianerinnen oder Kenianern schlafen, und ((atmet)) aber ich halt das für sehr naiv, also diese diese Barriere bleibt in den meisten Fällen bestehen. (1) es is vielleicht so bei bei gemischten Pärchen (.) weicht sich das so=n bisschen auf aber, (.) na ich kenn gemi- (.) diverse gemischte Pärchen und das ist eben dann doch (.) einer nimmt dann doch immer mehr Rücksicht auf n, auf die Kultur des anderen //mhm// (.) das is, das is nich, das is nicht ganz einfach also, (1) weiß zu sein hat manchmal Vorteile, (.) aber grad als Journalist, ich denke wenn ich schwarz wäre, da wär ich vielleicht schon nen paar Mal im Knast gelandet, (.) aber zum Recherchieren wärs also schon einfach. weil ich fall natürlich extrem auf, ja klar //mhm// (1)

Herr Donner erfährt seine Außenseiterposition hauptsächlich durch seine Hautfarbe und die einhergehenden Rassismus-Zuschreibungen. Er bedauert, dass Diskussionen auf der Ebene von Rassenunterschieden geführt werden.24 Nach seiner 24 Der Begriff »Rasse« bezeichnet ein Konstrukt, das aus sozialen und kulturellen Unterschieden biologische Differenzen macht, um Machtverhältnisse zu rechtfertigen. Rassismus basiert auf einer Vorstellung von genetisch unterscheidbaren Menschengruppen (›Rassen‹), die äußere und innere Merkmale determinieren. Diese Theorie gilt weitgehend als widerlegt, jedoch wird durch Rassismus als einer sozialen Praxis Bezug auf körperliche Merkmale zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen genommen. Vorhandene und angenommene körperliche Unterschiede dienen als Bedeutungsträger. Dient dieses Klassifikationssystem dazu, soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen, so bezeichnet Hall dies als »rassistische Praxen« (vgl. ebd. 2000). Rassismus kann nicht als eine individuelle Praxis allein gesehen werden, sondern muss erstens als in einen generationsübergreifenden Diskurs rassistischen Wissens eingebunden und zweitens als Ausdruck einer »Dominanzkultur« (vgl. Rommelspacher 1995) betrachtet werden. Rassismus kann somit auch als Argumentationslogik bezeichnet werden, um Herrschaft zu legitimieren. Dies geschieht zumeist entlang binärer Gegensätze. So wird zwischen gut und böse, rational und irrational oder auch traditionell und modern unterschieden. Diese Zuschreibungen von Eigenschaften und bestimmtem Verhalten laufen in rassistischen Praxen entlang körperlicher Merkmale und immer in der Abgrenzung zu ›uns‹. Der Andere wird binär zum Selbst konstruiert. In Deutschland wird infolge des Nationalsozialismus kaum noch von »Rasse« gesprochen, vielmehr wird ›Kultur‹ zu einer Differenzkategorie als quasi ›zweite menschliche Natur‹

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Wahrnehmung (und nach der Wahrnehmung anderer Weißer, wie er in einer Hintergrundserklärung über andere weiße Kenianer deutlich macht) geschieht genau dies häufig. Für Herrn Donner ist hier eine Situation geschaffen, in der er nicht mehr eigenständig auf die Situation einwirken kann, sondern in der allein seine Hautfarbe gewisse Gespräche bestimmt. Es ist eine Unhintergehbarkeit seiner Körperlichkeit25, die ihm etwas verwehrt (eine Diskussion ohne rassistische Anschuldigungen). Zusammenfassend bewertet Herr Donner die Situation folgendermaßen: Die weiße Hautfarbe schafft eine »Barriere«, die vergleichbar mit der »kulturellen« Distanz ist, die Herr Donner in Afghanistan zu Muslimen erlebt hat. Diese »Barriere« ist meist unüberwindbar. Sie kann weder durch körperliche Nähe, noch durch eine Liebesbeziehung gänzlich überwunden werden, denn selbst dort, so vermutet Herr Donner gehe es eher um ein Aufweichen der Grenzen, als um einen wirklichen Übertritt. So kommt Herr Donner zum Schluss, dass es sich hier um etwas handelt, was »nicht einfach« ist. Herrn Donners Exponiertheit durch seine weiße Hautfarbe schränkt sein Handeln ein bzw. führt dazu, dass er sich bestimmten Diskussionen und Situationen nicht mehr aussetzt. Gleichzeitig sieht Herr Donner in seiner Außenseiterposition als weißer Korrespondent auch einen Vorteil. Er vermutet, dass seine Hautfarbe ihn schon manches Mal vor einer Verhaftung geschützt hat. Aber diese sichtbare Exponiertheit geht auch mit der Unmöglichkeit einer unerkannten Beobachtung einher. Herr Donner wertet seine Außenseiterposition bezüglich seines beruflichen Handelns also widerstreitend. Für die private Situation und den Aufbau von Freundschaften sieht Herr Donner jedoch in der mangelnden Gleichberechtigung von Meinungen eine grundlegende Bedingung als nicht gegeben an und vermeidet daher nähere Kontakte zu Einheimischen.

25 Unter den Begriffen ›Visibility‹ und ›Passing‹ werden in einer kritischen Weißheitstheorie Differenzmarkierungen auf der visuellen Ebene, welche auf der Konstruktion von ›Rasse‹ basieren, kritisch diskutiert (vgl. Eggers et al. 2005). Die Wahrnehmung und Nichtwahrnehmung von Differenz ist in den Kontext mehrheitsgesellschaftlicher Normen und Machtaspekte eingebettet. Phänotypische Merkmale werden innerhalb eines rassisierten (Mehrheits-) Diskurses zu Kriterien der (Nicht-)Identifikation, (Un-)Sichtbarkeit und (Nicht-)Zugehörigkeit. Herr Donner erlebt in Afrika sein Weißsein im Zusammenhang mit Zugehörigkeitszuschreibungen, welche von seinem Minderheitenstatus in Afrika unberührt bleiben, als Repräsentation von Macht, Privilegien und Zugangsmöglichkeiten (vgl. zu dieser Lesart Ahmed 2005: 270 ff.). So reproduziert sich hier eine Repräsentation von Differenz durch den Körper, welcher zum diskursiven Ort wird, über den ein Großteil rassisierten Wissens produziert und in Umlauf gebracht wird (vgl. Hall 2004: 128). Als Minderheit erlebt nun aber Herr Donner, dass sein scheinbar farbloser Körper (vgl. Dietrich 2005: 364) farbig wird und sichtbar. Wo koloniale Politik und kolonialisierende Praxen (vgl. ebd.: 365) in Form von (auch zugeschriebenen) Machtasymmetrien und Privilegien fortbestehen, wird der weiße Körper zur unhintergehbaren Markierungslinie, welcher (kollektiv) mit seiner Definitionsmacht in Frage gestellt wird.

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Der Untertyp ›Distanzierung aufgrund der Konfrontation mit Rassismus- und Kolonialismusvorwürfen‹ lässt sich folgendermaßen kennzeichnen: Man macht die Erfahrung, in privaten Kontakten ausschließlich ethnisch wahrgenommen zu werden und dadurch der Gruppe weißer Unterdrücker zugeordnet zu werden. Gerade in Auseinandersetzungen wird die Zuordnung zu einer weißen Unterdrückergruppe als ein Argument erlebt, welches die eigenen Äußerungen zu einer rassistischen Aussage werden lässt. Der Kritik, Rassist zu sein, folgt eine Spiegelung, eine Kritik, als Rassist beschimpft zu werden und damit selbst Opfer rassistischer Zuschreibung zu werden. Obwohl Herr Holmes dies als einen typisch südafrikanischen Konflikt beschreibt, lässt sich eine ebensolche Erfahrung auch bei Herrn Donner in Kenia finden. Beide reflektieren allerdings nicht, ob sie in ihrem Verhalten selbst rassistisch sind. Im Typus ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden in privaten Situationen‹ ließen sich fünf Untertypen der Distanzierung herausarbeiten, in denen sich die Distanz zur einheimischen Bevölkerung in einer persönlichen Isolation oder auch in einen persönlichen Rückzug in europäische Freundeskreise, eine so genannte ›white community‹26, dokumentiert. Dabei sind es immer wahrgenommene und imaginierte fehlende Bezugnahmen für eine soziale Nähe, die dies begünstigen: keine Zeit, berufliche Notwendigkeit, kulturelle Unterschiede, individualisierte Lebensstile, ökonomische Differenz, sowie Ausgrenzung. Es ließ sich zeigen, dass man zwischen einer Distanzierung, die teilweise gezielt gesucht wird, und einem Erleben von Distanz unterscheiden kann. Handelt es sich um eine aktive Distanzierung, stellen sich die Interviewten eher als handelnde Akteure dar, auch wenn sie nicht unbedingt ihren eigenen Bedürfnissen folgen. Die Distanz hingegen wird eher passiv erlebt und wahrgenommen. Eigene Handlungsmöglichkeiten werden hier eher imaginär durchgespielt und scheinen nicht anschlussfähig. Kein bestimmtes Handeln konnte sich als ädaquater Umgang mit der Distanz durchsetzen, was zu einem Abwägen zwischen eigenen Bedürfnissen führt, wie etwa dem Wunsch nach sozialer Nähe und dem gleichzeitigen Erleben von Fremdheit. Die existentielle Distanzierung und das Beobachten des Fremden sind Handlungen, welche im interkulturellen Kontext eine hohe Bedeutung bekommen. Sie werden von den Interviewten selbstständig thematisiert und teilweise äußerst ausführlich erläutert und begründet. Eine Distanzierung ist aber, anders als manchmal von den Interviewten dargestellt, kein selbstläufiger und selbstverständlicher Prozess. Selbst dort, wo die Distanzierung als scheinbar natürliches Verhalten beschrieben wird, lässt sich auch ein passives Erleiden der Distanz finden. Es ist die Ohnmacht, mit der die Interviewten konfrontiert werden, ihre eigene Handlungsohnmacht, mag sie aus ihren Bedürfnissen entstehen oder aus der Konfrontation mit anderen Lebensbedingungen, Unterschieden und 26 Dieser Begriff ist Teil einer (selbstverständlichen) Selbstdefinition von weißen Expatriates (und anderen Weißen) in Südafrika und Kenia.

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Ansprüchen. Das Erleben von Distanz und noch mehr die Distanzierung sind aber, wie gezeigt werden konnte, keine Handlungen, die allein als eine Reaktion auf ein Gefühl von Ohnmächtigkeit interpretiert werden können. Sie stehen im Zusammenhang mit Selbst- und Fremdbildern, bereits gemachten Erfahrungen, und werden teilweise gezielt gesucht. Im Unterschied zum Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählung und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 5.1.2) zeigt sich trotz des Fokus auf aktives Handeln eine Passivität gegenüber der erlebten Situation. Im Vergleich zum Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1) fällt auf, dass es den Akteuren weniger um ein theoretisches Verstehen der Fremden geht, vielmehr steht die nicht oder nur gering vorhandene konkrete Handlungspraxis, die eigene Position und die Situation im Vordergrund. Trotzdem lassen sich auch Parallelen zum Typus ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ (Kap. 5.1.1) finden, geht es doch immer wieder auch um eine Analyse der Situation und der Begründung von Motiven zur Distanzierung. Die Erfahrung von scheinbar unüberbrückbaren Differenzen, wie etwa unterschiedliche Auffassungen von Arbeit und Effizienz oder auch von ökonomischen Unterschieden, aber auch andere Lebensstile, ist nicht allein der interkulturellen Situation im Allgemeinen oder jener der hochqualifizierten transnationalen Migranten in einkommensschwachen Ländern im Speziellen geschuldet. Sie können auch alters-, geschlechts- oder berufsspezifische Aspekte haben. Die Situation, im Ausland und damit außerhalb der gewohnten Lebenssituation zu sein, kann dann zu einem Katalysator werden. So wird die Suche nach einem Partner zum Kinderkriegen für eine Frau Ende dreißig auch ein interkulturelles Thema. Wird das Erleben eines anderen Lebensstils beispielsweise nicht so sehr auf die eigene Veränderung bezogen, etwa nun eine Kleinfamilie im Eigenheim zu sein und nicht mehr im Bauwagen zu leben, sondern als Thema des Lebens im Ausland verhandelt, so zeigt sich, dass Entwicklungsprozesse durch den Auslandsaufenthalt durch eine ›interkulturelle Brille‹ interpretiert werden. Auch der eigene Anspruch an die Objektivität des Berichterstatters ist prinzipiell kein Thema, welches sich aus der Tatsache des Auslandsaufenthalts eines Auslandskorrespondenten ergibt, es kann aber durch das Fehlen des gewohnten Umfelds zu einem Aspekt von Verinselung und Einsamkeit beitragen. Für die spezifische Situation der hochqualifizierten transnationalen Migranten sind in dieser Studie folgende Aspekte typisch für ein Phänomen der Distanzierung: die Angst um Sicherheit, die Konfrontation mit Elend und Korruption, der Mangel einer ›gleichen Augenhöhe‹ aufgrund ökonomischer und sozialer Machtunterschieden und eine Unbeständigkeit, welche durch die Mobilität des Berufs gegeben ist.

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5.2.2 Existentielles Einlassen auf den Fremden Ließen sich im Kapitel 5.1 und im Kapitel 5.2.1 Typen des interkulturellen Handelns rekonstruieren, deren Handlungspraxis mit Fremden eher distanziert waren oder sehr dezidiert über Dritte vonstatten gingen, so lässt sich im Typus ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ ein Handeln rekonstruieren, in dessen Verlauf sich die Akteure auf den Anderen einlassen und damit eine gemeinsame Handlungspraxis geschaffen wird. Sich auf den Anderen und die Situation einzulassen, bedeutet damit immer auch, dass der Ausgang der Interaktion ein Stück weit ungewiss ist. Selbst wenn das existentielle Einlassen einem reflektierten oder explizierbaren Handlungsentwurf folgt und gezielt eingesetzt wird – etwa zur Beschaffung von Informationen –, so kann der Handelnde doch nie die Situation vollständig überschauen. Dort, wo der Andere präsent ist und es zu einem gemeinsamen Handeln kommt, können sich eigene Handlungsabsichten und die Handlungsabsichten des Anderen auch in die Quere kommen. Gleichzeitig entsteht aber auch die Chance, in der Interaktion Neues zu erleben und mit mehr Perspektiven auf das Selbst und die Umwelt aus der Interaktion herauszukommen. Lässt man sich auf den Fremden ein, so betrifft dies immer mehr als nur die soziale Identität oder berufsspezifische Rolle. Mag auch die soziale Identität etwa in der Interaktion im Beruflichen im Vordergrund stehen, ist im Fall eines »SichEinlassens auf den Fremden« trotzdem auch immer die ganze Person betroffen. Dies wird insbesondere dort ersichtlich, wo das existentielle Sich-Einlassen einhergeht mit einer starken Körperlichkeit. Der Körper ist niemals nur Funktionsrollenträger, da das Erleben immer unmittelbar ist und den Menschen in seiner Körperlichkeit umfassend betrifft. Auch im Typus ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ lässt sich eine Unterscheidung zwischen beruflichen (Kap. 5.2.2.1) und privaten Situationen (Kap. 5.2.2.2) vornehmen. Dabei wird relevant, ob das Sich-Einlassen kurz- oder langfristig angelegt ist.

5.2.2.1 Existentielles Einlassen in beruflichen Situationen Ein existentielles Einlassen in beruflichen Situationen lässt sich dort finden, wo es ein gemeinsames berufliches Handeln gibt oder sich eine gemeinsame Handlungspraxis ergibt, die dem Beruf geschuldet ist. Es geht darum, sich in eine Situation zu begeben, in der auf die Bedürfnisse und die Andersheit des Anderen eingegangen wird und damit das Handeln der Fremden relevant für das eigene berufliche Tun werden kann – und dies nicht nur in der Abgrenzung. Dies lässt sich in Ansätzen bei BORIS BÜHRER, ENTWICKLUNGSHELFER IN SÜDAFRIKA, zeigen, der sehr detailliert über die entwicklungspolitischen Projekte, die er betreut, erzählt. Obwohl er sich selbst nicht als einen »typischen Entwicklungshelfer« bezeichnet, da er hauptsächlich organisatorische Arbeit in einem Büro leistet, ist er auch in zwei kommunalen Projekten praktisch aktiv und

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verfügt somit über einen direkten Austausch mit Einheimischen. Über die Arbeit der lokalen Partnerinnen weiß er genau Bescheid und schildert im Interview detailliert deren beruflichen Alltag. Über Besuche in den Projekten und ein empathisches Engagement erhält Boris Bührer einen Einblick und eine Nähe zu den dort beteiligten einheimischen Frauen. Dies zeigte sich auch in einem Besuch, zu dem er mich mitnahm. Herr Bührer vergegenwärtigte sich die Situation vor Ort und suchte gemeinsam mit einer Partnerin nach Lösungen für anstehende finanzielle Probleme (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis): Bührer:

und wir hatten jetzt die Chance auch Geld von XX zu kriegen mit ner ähnlichen Auflage (.) muss für Geldgenerierung sein. worauf wir dann eben auf die Idee gekommen sin, (4) oder vielmehr ich mit der Direktorin (.) wir baun den ne Küche. weil die brauchen sowieso ne Küche bislang ham sie nur die ganzen Leute det sind fast hundertfünzig Personen (.) ähm ham die versorgt mit nem Topf der auf Feuerstelle stand. da ham denn da gekocht, irgendwie Shive oder sowas irgendwie oder n bisschen Gemüse reingeschmissen wenn sie das hatten die ham von Essensspenden von den Supermärkten drumherum gelebt. (.) die brauchten sowieso ne Küche. (.) also konnten wir diese Küche auch bei denen in in diesem diesem Shop einrichten und äh die so ausstatten dass sie dann auch (.) Essen produzieren können was sie verkaufen können und dann Geld generieren können. ob das jetzt hier so Chips sind oder oder also Pommes frites oder hm (.) wir ham den halt nen Gasbrenner, nen Gasofen, ähäh hm Gastiefgefrierer und nen Gas- (.) äh Friteuse besorgt und lassen denen jetzt mit nem andern Projekt von uns (.) ähm (.) Küche bauen, und die wurden heut angestrichen mit so ner Farbe wo man die Wände immer schön ab-ähwaschen kann damit alles schön hygienisch is. ham den Töpfe und Pfannen und weiß der Kuckuck was besorgt, (.) und alles in nem Bereich von (.) na wir ham jetzt glaub ich fas:st sechstausend Euro dafür angelegt un Wassertank und (.) Waschmaschine noch gekricht (.) und ähm (1) das wird jetzt sehr bald so weit sein dass alles fertig ist und dann hoff ich mal dass sie dann damit wirklich Geld verdienen können um sich ihre eigene Infrastruktur aufzubauen //mhm// weil ich glaube dass es nen unglaublich wichtiges Projekt is un dass die ne tolle Arbeit machen, versuch die jetzt auch über meinen Mentor in (.) Buchführung zu schulen damit die da nich irgendwie Probleme bekommen mit der Steuer oder so weiter, (.) und ähm dann bin ich fest davon überzeugt dass die nen Markt haben in der Gemeinde. [Auslassung 6 Zeilen] das ein einer meiner Projekte der das mir so nen bisschen am Herzen liegt, (.) und zu dem werd ich mit Sicherheit noch weiter irgendwie Kontakt halten oder schaun dass ich dort in Quarter ( ) komme, wenn ich da nich mehr beruflich mit zu tun hab. //mhm// (2) ja. (.) also da würd ich sagen (.) s liegt so nen bisschen da guck ich halt immer mal vorbei un (.) bring irgendwas mit oder berate die halt wie siehts hier und da aus, wo

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fehlts euch hier, wen könnt ihr da mal ansprechen un versuch sie halt so nen bisschen motiviert zu halten aber da is nich viel Arbeit weil die selber hoch motiviert sin //ja// (2) un wenn ich da nen kleinen Beitrag leiste kann is bestimmt schon ganz gut ( ). //mhm// (2) un das is ganz nett also (.) könn wir mal hinfahren, is wirklich nett,

Herrn Bührers Handeln mit Einheimischen besteht zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich aus einer beraterischen Tätigkeit und der Versorgung mit Gütern (bei unserem Besuch mit mehreren Kilos Orangen). In seiner Erzählung wird deutlich, dass es sich dabei um eine Tätigkeit handelt, die ihm wichtig ist und die er auch über seine berufliche Aufgabe hinaus betreuen möchte. Seine Einschätzung der Lage vor Ort dokumentiert einen impliziten Perspektivenwechsel, er argumentiert aus der Sicht der lokalen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Die Entscheidung, über den Bau einer Küche Geld zu verdienen, ist nach Herrn Bührers Angaben in einem gemeinsamen Prozess mit einer einheimischen Partnerin entstanden. Anders als dies an anderer Stelle von Entwicklungshelfern angemerkt wurde (vgl. dazu Frau Katoschek in Kap. 5.2.1), handelt es sich hier scheinbar um ein gelungenes Stück Zusammenarbeit und nicht um die Durchsetzung einer entwicklungspolitischen Zielvereinbarung. Dies wird vor allem auch daran deutlich, wie detailliert und explizit Herr Bührer über die einzelnen Vorgänge berichtet. In seiner Beschreibung verwischt tendenziell die Trennung zwischen »sie« und »wir«. Einerseits bleiben die Anderen die Hilfebedürftigen und es bleibt eine klare Trennung erhalten (»wir bauen den ne Küche«), andererseits wird die Generierung von Geld und die konzeptionelle Gestaltung des Projekts zu einem gemeinsamen Thema (»worauf wir dann eben auf die Idee gekommen sin«). So lässt sich hier, auch wenn eingeschränkt durch einen eher geringen Anteil eigener Handlungspraxis, ein Aspekt interkulturellen Handelns zeigen, welcher auf einem ›Sich-auf-die-Gegebenheiten-Einlassen‹ beruht. Für Herrn Bührer hängt dies unmittelbar mit seinem politischen Anspruch zusammen, was sich auch in seiner Zusammenfassung bezüglich seiner Aktivität in Projekten zeigt, wenn er sagt: »ja das is mein entwicklungspolitischer Beitrag«. Auch MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, erlebt in ihrem beruflichen Handeln eine Nähe und ein Miteinander, welches sie sich allerdings erst erarbeiten musste. Sie kritisiert ihre Kollegen als respektlos gegenüber Einheimischen und als schlechte Zuhörer. Von sich selbst sagt sie: »ich hab das so gelernt ja, man muss wahnsinnig lang sich Zeit nehmen bevor man sagen kann ich versteh das (1) ein bisschen;«. Die Nähe, das Verständnis und das Miteinander mit Einheimischen erlebt Frau Stettler nicht als eine selbstverständliche Handlung, sondern als einen Lernprozess (Passage: Reflexion I):

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Y: Stettler:

und wenn du je-wenn du sagst du hast das gelernt oder das hast du so gelernt mit dem zuhören, hat- //mmh// was mein- wie hast du das gelernt? weil man sich wahnsinnig täuscht in den Leuten ja, also ich hab ganz am Anfang wie ich gekommen bin so Leute ähm kennen gelernt von denen ich gedacht hab wow super Typ. Ja, erster Eindruck. total klasse. also der hats voll drauf. //mmh// und was weiß ich und dann äh ähm ähm dann ist rausgekommen ja bis in beide Ellbogen ähm im Völkermord verwickelt äh aber ja, aber ordentlich. //mmh// ja, und wo man sich dann denkt um @Gottes willen@ hätt ich ja nie gedacht. //mmh// ja //okay// ähm äh oder dann sonst so Sachen wo man sich denkt ja okay äh völlig blöde ja jetzt äh, also ich muss es wirklich auch sagen ich ha mich selber auch ordentlich an der Nase nehmen müssen ne, zum Beispiel an sich denkt man sich ja Afrikaner ja die sind ja alle nicht richtig in die Schule gegangen die ham ja das alles nicht richtig gelernt, und so //mmh// also jetzt wird man sich mal hinsetzen und mit denen äh n Projekt schreiben weil die können das ja nicht; //mmh// stimmt gar nicht. ja, die können das oft viel besser als man se- die wissen ganz genau oder dass man sich dann denkt man muss denen auf die Sprünge helfen weil die ham ja sonst keine Ahnung von was da alles; nein nein das stimmt ja gar nicht //mmh// oder Ideen ja, und (1) ich ich freu mich jetzt auch so dass ich in einem Job bin wo ich wo ich unterrichte, //mmh// ja und teilweise mit mit europäischen Kollegen dann fürchterliche Kriege hab weil ich dann sag das das ist nicht so, ja //mmh// und äh äh (2) da da laufen teilweise ganz tolle Sachen und man kann aus den und das ist traurig teilweise ja, wenn ich in den Kursen dann sehe das ist mit afrikanischen Offizieren zum Beispiel die sich einfach nix zutrauen ja, //mmh// aber das genau deswegen ja, weil immer dieses Ding gekommen ist die Ausländer sind besser. ja, //mmh//

In der Interaktion mit Einheimischen muss Frau Stettler zunächst einmal lernen, dass sie sich in ihrer Wahrnehmung und Einschätzung von Personen täuschen kann. Ihre erste Begeisterung für eine Person, welcher sie Kompetenzen zuschreibt, weicht der Feststellung, dass dieser »super Typ« tatsächlich aktiv in Gewalttaten verwickelt war. Für Frau Stettler sind dies Punkte einer Revision ihrer eigenen Beurteilung und der Erkenntnis, dass sie sich in ihrer Wahrnehmung täuschen kann. Ihre pauschalisierende Zuschreibung, der zufolge Afrikaner keine Projekte schreiben könnten, weil ihnen die nötige Schulbildung fehle, stellt sie in den Kontext dieser Falschannahme. Auch hier war sie zunächst davon ausgegangen, den Afrikanerinnen fehle ein Wissen, wurde dann aber durch eine gegenteilige Erfahrung eines Besseren belehrt. Darin dokumentiert sich Frau Stettlers Bereitschaft, von Anderen zu lernen und ihre Meinung im darauf bezogenen Reflexionsprozess zu ändern. Gegenüber ihren europäischen Kollegen empfindet Frau Stettler Distanz und unterzieht deren Verhalten einer starken Kritik, die sich in den Wiederholungen und der Erhebung der Stimme performativ unterstreicht.

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Ihre berufliche Erfahrung mit Einheimischen sind dahingegen von Begeisterung gekennzeichnet (»ganz tolle Sachen«). In ihrem Unterricht erlebt Frau Stettler, dass ihre Einschätzung des mangelnden Wissens und Könnens falsch ist, jedoch teilweise auch von den Afrikanerinnen selbst getragen wird, was sie der Unterstellung »Ausländer sind besser« zuschreibt. Ob dies von Einheimischen oder Europäern kolportiert wurde, lässt sich an der Aussage von Frau Stettler nicht festmachen, aber es wird hier offensichtlich, wie Frau Stettler eine Ebene mit den Einheimischen sucht. Ihre eigene negative Fehleinschätzung verliert an Bedeutung angesichts der Fehleinschätzung, die sie mit den Einheimischen vereinigt. Die gemeinsame Handlungspraxis dokumentiert sich schließlich klarer, wo Frau Stettler aus ihrem Unterricht und der Aufteilung von Aufgaben erzählt (Passage: Reflexion I): Stettler:

und dann sag ich ja also okay was schreiben mer jetzt und dann sagen die ja du machst das. sag ich na ich mach das nicht. das machen wir. oder ihr machts das. Aber ich kann ich kann tippen sag ich dann immer ja, weil das ist oft ein Problem dass Leute nicht so gut tippen können; //mmh// sag ich ich tipp. Ihr sagts. Ne das kannst ja du selber schreiben, sag ich na. und dann äh kommen aber tolle Sachen raus ja und dann kommt so das das Aha-Erlebnis ja wir ne, und so und das find ich dann schön ja, //mmh// und ich bin dann auch so dass ma das so so rausholen kann aus den Leuten und dass es eigentlich alles da ist und das find ich dann oft so schad ähm (2) wenn ich das dann so mitkrieg in so in so ähm falschen Ansätzen von Zusammenarbeit wie so was dann verschüttet wird ja, //mmh// oder überfahren; ja, dass teilweise auch auch (2) ja manchen Leuten ist das auch irrsinnig peinlich ja, es gibt zum Beispiel irrsinnig viele die nicht wissen wie was Internet ist oder ja woher auch? ich mein man muss sich das mal vorstellen was es da teilweise für Orte gibt wo die Leute aufwachsen //ja// wo es nichts gibt ja; kein Wasser kein Strom kein gar nichts ja woher soll der lernen wie man an Internet verwendet oder sich auch nur vorstellen können was das ist //ja// ja, und so (2) und das sind dann teilweise so Sachen wo ich sagen muss ›deswegen ist er doch kein schlechter Mensch‹. //mmh// ja? //mmh// //ah ja// und nur deswegen weil der das nicht kann kann ich den doch nicht ausklammern. //mmh// Und das sind grad oft die Leute die viel mehr wissen; ja, //mmh//

Einerseits schreibt Frau Stettler den Einheimischen bestimmte Unkenntnisse und Erfahrungen zu und determiniert damit ein Stück weit die Interpretation ihrer Wahrnehmung, gleichzeitig lässt sich Frau Stettler aber auch von den Einheimischen überraschen. Ihre Einschätzung des Wissens der Afrikaner bezieht sich vornehmlich auf deren Lebensumstände und fehlende Möglichkeiten, etwa aufgrund mangelnden Stroms bzw. mangelnder Fähigkeiten oder kulturell differenter Interessen, nicht aber auf eine grundsätzliche und pauschale Unfähigkeit. Sie

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unternimmt an dieser Stelle in Ansätzen eine Perspektivenübernahme und argumentiert aus einer internen, Sinn-verstehenden und den Umständen Rechnung tragenden Sicht. Implizit unterstellt sie in ihrer Kritik der Entwicklungszusammenarbeit, dass den Individuen und ihren Umständen zu wenig Gehör und Wille entgegen gebracht werde. Eine Abwertung des Menschen aufgrund mangelnder Fähigkeiten, etwa bei der Benutzung des Internets, kritisiert Frau Stettler und bekundet damit eine Differenzierungshaltung. Mangelnde Fähigkeiten sieht sie nicht als Ausschlusskriterium, im Gegenteil, sie dreht dies sogar um und schreibt gerade diesen Menschen ein besonderes Wissen zu (Passage: Reflexion I): Stettler:

wo ich schon oft wirklich erstaunt war dass Leute ja ich hab also Leute kennen gelernt ja äh bei den Offizieren zum Beispiel die waren Kindersoldaten; ja, //mmh// die sind die haben fürchterliche Sachen erlebt. denen ihre Eltern sind umgebracht worden, et cetera et cetera et cetera ja, (1) aber die ham was drauf da könnten wir uns alle noch eine Scheibe abschneiden ja, und das ist so das wo ich dann teilweise denk //mmh// so Sachen gehen so oft unter ja, //mmh// und das tut mir immer so leid dass da nicht keine Stimme hat;

Wiederum aus eigener Erfahrung berichtet Frau Stettler, wie sie überrascht wurde vom Können ehemaliger »Kindersoldaten«, und schränkt ihr eigenes Können ein, indem sie darauf verweist, »wir« »alle« könnten von diesem Können auch etwas gebrauchen. Hier wird noch einmal eine egalitäre Ebene geschaffen, in der beide Seiten voneinander profitieren könnten. Diese Wahrnehmung schätzt Frau Stettler aber als eher selten ein und wünscht sich mehr Respekt von Seiten der Europäerinnen. Frau Stettler sucht also nicht nur eine egalitäre Ebene der Begegnung, sondern solidarisiert sich in ihren Aussagen auch mit den Einheimischen, die in ihren Augen zu wenig gehört und wertgeschätzt werden, und grenzt sich von anderen Europäern ab. Dass Frau Stettler bereit ist, sich von Einheimischen überraschen zu lassen und auch ihre eigene Einschätzung und ihr eigenes Können in Frage zu stellen, zeugt von einem ›Sich-Einlassen‹ auf die Interaktion mit Anderen. Sie begegnet ihnen mit einem wertschätzenden Blick und vermittelt Anerkennung. Ihr Interesse ist darauf gerichtet, in der Interaktion etwas Egalitäres und Positives zu finden. Die Sicht der Einheimischen wird Teil von Frau Stettlers Blickwinkel und im gemeinsamen Handeln entwickelt sich für beide Seiten die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und Dinge anders wahrzunehmen. Dieses Erleben von Begegnung und Kommunikation motiviert Frau Stettler ihren Beruf auch dann weiterzuverfolgen, wenn sie eigentlich ermüdet ist (Passage: Berufung): Stettler:

ja ich bin vielleicht auch bissl so n äh ähm äh Enthusiast in der Hinsicht //ja// ja, aber ich find das halt wichtig; ja, das ist irgendwie n bissl so meine meine äh ich weiß- ich denk mir dann immer ich ich fühl ich dann

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schon irgendwie sehr berufen; na, ich denk mir dann immer also das muss ich einfach machen; und jetzt kann ich noch nicht weg weil es ist ja noch das und jenes und solches zu erledigen ne, wo ich dann wieder eben so von vom meinem ganz Persönlichen her denk ich mir dann immer uff i kann nimmer i kann nimmer i kann nimmer ne, äh aber das hat so zwei Seiten ne, //mmh// dann gibts wieder so Highlights wie wie ich neulich in Dafur war und so und dann äh ähm äh bildet man fünfzig Offiziere aus und äh dann ham die kapiert, okay, äh äh wir müssen uns zu Frauen und Kindern anständig verhalten //mmh// weil dieses und jenes und solches und äh wir möchten jetzt für die Bevölkerung das und jenes und dieses machen //mmh// und äh dann geben die so Rückmeldungen wo man sich denkt ja! ja! ja! //mmh// und das ist das so äh (1) super. ja und dann kann man wieder sagen okay äh die nächsten drei Monate kann ich wieder in Nairobi wohnen und @das ist mir wurscht.@ @(1)@ //ja// also das sind dann so Sachen die einen doch bei der Stange halten //mmh// ja, (5)

Es ist Frau Stettlers berufliches Aufgabenverständnis und ihr Gefühl des »Berufen«-Seins, welche die Grundlage für ihre Berufsmotivation bilden. Die Kraft, auch dann weiterzumachen, wenn es ihr im Grunde schon zu viel ist und sie »nimmer« kann, schöpft Frau Stettler aber hauptsächlich aus einer als gelungen wahrgenommenen Zusammenarbeit mit Einheimischen; dies kann als positive Wirkungserwartung bezeichnet werden. Verläuft ein Kurs von ihr so, dass sowohl sie ihre Themen vermitteln konnte als auch die Kursteilnehmer positive Rückmeldungen geben und sie sich in ihrer Arbeit bestätigt fühlt, treten alle anderen Erschwernisse in den Hintergrund und werden belanglos (»wurscht«). Strukturidentisch verhält es sich bei KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, der auch beruflich bedingt Nähe zu Einheimischen herstellt, dabei jedoch gezielt eine Strategie verfolgt. Für ihn ist die Nähe zu Einheimischen beruflich wichtig, um ›verstehen‹ und damit auch berichten zu können. Die Teilhabe am Leben der Einheimischen ermöglicht ihm Zugang zu internem Wissen (Passage: Aufgabenverständnis I): Wächter:

ähm da ist es schon schön und auch so materialistische Sachen sind ganz wichtig für Südafrikaner; tolle Autos; und ne n schönes Haus das muss super eingerichtet sein; (.) es ist also für die ähm deswegen auch die Gesellschaftsseiten die ich immer lesen muss für meine Cocktailpartys muss ich auch ziemlich genau wissen wer wieder geschieden ist; und wer mit wem gerade ein Techtelmechtel hat und alle solche Sachen // @(.)@ // nich, @alles nicht unwichtig einfach@ und das mal genauso muss ich mir den Sport angucken. //ja// und meine Kollegen sagen was bist du denn verrückt was machst warum guckst du dir denn Rugby an, weil ich wissen muss (.) wer momentan hier in ist bei unseren Freunden; wenn du auf ne Party gehst, //ja// und da ist die Burenmafia oder sonst wie und du weißt nicht welche welche Rugbyspieler momentan in sind, kannst du

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nach Hause gehen; das ist wie als ob du bei Deutschland also ich hab noch nie n deutsches äh (.) Fußballspiel geguckt; von der Nationalmannschaft da sagen viele schon, also Junge sie sind aber weltfremd das musst du einfach wenn du in die nationale Psyche rein willst dann muss- sind solche Sachen wichtig ne,

Herr Wächter begibt sich gezielt in eine gemeinsame Handlungspraxis mit Einheimischen, in diesem Fall vornehmlich weißen Einheimischen in Kapstadt (Buren), um zu verstehen und mitreden zu können. Ein weiterer Aspekt des SichEinlassens auf den Fremden wird hier bei Herrn Wächter deutlich. Es handelt sich bei dem existentiellen Sich-Einlassen auch um den Wunsch, dazuzugehören und Dinge aus einer internen Sicht verstehen zu können. Selbst wenn Herr Wächter etwas ironisch und auch distanziert von »unseren Freunden« redet und sicherlich nicht wirklich enge Freunde gemeint sind, geht es doch darum, Teil einer Gruppe zu sein und durch sein Handeln und Wissen eine gemeinsame Ebene aufzubauen. Herr Wächter möchte in die »nationale Psyche rein«. Er möchte die südafrikanische Welt sozusagen von innen verstehen und sich damit Zugang verschaffen und nicht als Unwissender (symbolisch) »nach Hause« geschickt werden. Auch LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, sucht Zugang zu Informationen über ein existentielles Einlassen auf Fremde. Für ihn ist das existentielle Einlassen ein Anspruch an die Qualität seines journalistischen Arbeitens. Er positioniert sich innerhalb des Kreises der ausländischen Journalisten und macht gleichzeitig seine Stellung als unerschrockener und auch draufgängerischer Reporter geltend. Seine Orientierung innerhalb seines beruflichen Handelns stellt Herr Holmes in der Abgrenzung zu seinen Kolleginnen dar, daraufhin entwirft er ein Bild von Afrika als einem »Machokontinent« und zeigt schließlich in seinen Beschreibungen und Erzählungen die Verwobenheit seiner Lust am Abenteuerlichen mit beruflich strategischem Handeln (Passage: Aufgabenverständnis): Y:

Holmes:

was äh was die Sicherheit angeht wie (1) wie gehen Sie damit um mit so ner eigentlich ja permanenten Bedrohung ihres Lebens? Oder ist das nich so? das ist Teil des Jobs; ah in der Beziehung bin ich ähm (2) bin ich kompromissloser als viele Kollegen ähm (.) ich hab n tollen Job; (2) ah ich ja ich kann ich kann mich in meinem Beruf wirklich verwirklichen; das kann ich so so sagen (2) äh man zahlt mir (1) gutes Gehalt, (3) und das alles (.) nehmen aber dann auf der anderen Seite die Unannehmlichkeiten ah aus dem Weg gehen das halt ich für unaufrichtig; wer in Afrika als Journalist unterwegs is muss halt mit dieser dieser Gefahr die nicht permanent is //mhm//die aber punktuell ziemlich heftig werden kann, der muss damit leben; //mhm// (1) ich weiß meine Kollegen werden mich werden mich dafür in Grund und Boden rammen aber ich finde wer dafür

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nicht bereit ist hat hier nichts zu suchen //mhm// also der (.) der soll sein Geld äh woanders verdienen aber (2) gut; hinzu kommt Afrika is is ein Machokontinent; //mhm// dat ist ganz einfach so; hier kann man hier kann @man Dinger drehen ((lachen)) für die würde man@ überall woanders im Knast landen; und das ist natürlich auch n Reiz; das ist permanentes Abenteuer hier; //mhm// und ja da das macht die Sache interessant;

Auf die auf eine Erklärung zielende Frage der Interviewerin geht Herr Holmes mit einer Argumentation ein, die zwiegespalten ist. Erstens begründet er sein berufliches Engagement und die Art und Weise seines Einsatzes damit, dass nur mit existentiellem Engagement sein Beruf rechtschaffen bewerkstelligt werden kann. Zweitens ist es seine Lust am Abenteuer und der damit verbundene Nervenkitzel, die ihn dazu bewegen, Gefahren nicht von vornherein zu meiden. Sein erstes Argument bettet Herr Holmes in eine Auseinandersetzung mit Kollegen als negative Gegenhorizonte und argumentiert mit einem Gebot: der ›Pflicht des Betuchten‹. Herr Holmes hat in seinem Beruf die Möglichkeit gefunden, das zu tun, was ihm liegt, und sich damit zu beschäftigen, was ihn interessiert. Zudem erhält er dafür ein »gutes Gehalt«. Diese Erfüllung seiner Bedürfnisse und Interessen, so sieht es Herr Holmes, ziehen die Konsequenz nach sich, sich seiner Aufgabe allumfassend zu widmen. Herr Holmes hält es für »unaufrichtig«, wenn eine Journalistin Schwierigkeiten meidet, denn sie gehören seiner Meinung nach zum Geschäft. Hier zeigt sich, dass Herr Holmes eine sehr eindeutige Vorstellung von seinem Beruf hat und diese auch als allgemein geltend beansprucht. In seiner Ausführung darüber, wie man zu sein hat, wenn man »in Afrika als Journalist unterwegs is«, spiegelt sich Herrn Holmes Verbundenheit und Identifikation mit Afrika (»hat hier nichts zu suchen«) und seinem Job wider. In der gedankenexperimentellen Abgrenzung von Kolleginnen, die seine Einstellung nicht teilen, kommt ein Stück Konkurrenzdenken von Herrn Holmes zu Tage. Als zweites Argument dafür, dass er Gefahren nicht aus dem Weg geht, führt Herr Holmes seine Neugier und den Spaß an, den er hat, wenn er sich in »Abenteuer« begibt. Er nennt Afrika einen »Machokontinent« und verweist damit auf sich und seine Rolle in dieser Situation. Seine Sprache ist umgangssprachlich (»Dinger drehen«, »Knast«) und macht den Anschein, Herr Holmes gefalle sich in der Position, die an einen Lausbub erinnert oder einen Ganoven, der die Überlegenheit besitzt, die Situation gut zu kennen und einzuschätzen und der nicht wirklich Gefahr läuft, negative Konsequenzen aus seinem Handeln tragen zu müssen. In einer deterministischen Pauschalaussage positioniert Herr Holmes sich als Kenner der Situation und lässt daran keinen Zweifel: »dat ist ganz einfach so«. Was den »Reiz« ausmacht, Auslandskorrespondent in Afrika zu sein, schildert Herr Holmes in einer lapidaren Art und Weise (Passage: Aufgabenverständnis):

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Y: Holmes:

@was heißt Machokontinent?@ (2) ähm (3) @(.)@ ne ganz ganz ganz einfache Beispiele äh es is es man kann man kann sich hier zum Beispiel ähm (2) man kann sich hier Dinger erlauben die woanders halt unmöglich sind; unmöglich; äh und die halt auch noch son bisschen was von Hemmingway-Flair haben; wenn mans wenn mans dann so so bezeichnen will; also äh die illegalen Grenzübertritte; ähm die die Reisen äh in in Flugzeugen von denen man nicht weiß ob sie überhaupt abheben geschweige denn ob sie im Himmel bleiben //mhm// ähm solche Geschichten; ah Saufgelage mit russischen Söldnern; irgendwo abends in ner in ner in ner in ner Kneipe äh mitten in Kinshasa im Vergnügungsviertel solche Geschichten; ja ja deshalb (1) ich glaub schon äh ja ich glaub schon an Afrika ein Machokontinent °ist auf jeden Fall;°

Herr Holmes beginnt seine Beschreibungen mit einem Auflachen. Womöglich erinnert er sich an konkrete Ereignisse und ist im Nachhinein darüber amüsiert. Vielleicht ist es ein beschämtes Auflachen, weil nun seine innere Freude und Lust an abenteuerlichen Reisen zu Tage kommt und die Interviewerin dadurch ein Stück näher an seiner Lebenspraxis, an seinem Handeln ist. Auch wenn durch die »man«-Ebene und die Darstellung von abenteuerlichen männlichen Heldentaten ein ganzes Stück Abgeklärtheit und Überlegenheit demonstriert wird, ist dies trotz allem der Punkt, wo das Erzählte dem Erlebten näher kommt und damit auch der Interviewerin einen Einblick gestattet. In Herrn Holmes Ausführungen wird zweierlei deutlich: zum einen die Verbundenheit der eigenen Identität mit seinem Beruf, zum anderen die Lust am Abenteuer, am Ausgefallenen und der Wunsch, mit seiner ganzen Existenz Situationen zu durchleben. Die Verbundenheit seiner Identität mit seinem Beruf ist insofern bedeutend, als es gerade sein Beruf ist, der es Herrn Holmes ermöglicht, seine Lust am Abenteuer auszuleben, seine Neugier zu befriedigen und ein Stück weit diese inszenierte Männlichkeit zu leben. Durch die Legitimation der Recherche des Journalisten bekommt Herr Holmes Zugang zu unterschiedlichsten Menschengruppen und gleichzeitig rechtfertigt seine berufliche Perspektive sein Handeln, auch wenn es illegal ist. Er sieht sich hier in der Lage, ein Stück Leben zu leben, welches ihm so in Deutschland oder Europa nicht möglich wäre. Sein Beruf schützt ihn davor, die Konsequenzen seines Handelns komplett tragen zu müssen. In Deutschland etwa, kann Herr Holmes es sich nicht vorstellen, straftätig zu werden und risikobehaftete Reisen zu unternehmen, aber mit der Feststellung, in Afrika gehe es nicht anders, wird es plötzlich möglich, etwas »Hemmingway-Flair« ins Leben zu bringen.

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In einer anknüpfenden Erklärung erläutert Herr Holmes sein berufliches Aufgabenverständnis weiter (Passage: Geld): Y: Holmes:

lassen Sie sich immer auf so Sachen ein? also is oder, (2) ja. eigentlich ja; //mhm// ich bin ich bin zu neugierig; (1) ich hätte Angst etwas zu verpassen wenn ichs nicht tun würde; äh natürlich äh beim zehnten Russenflieger reichts dann irgendwann auch; mhm, (.)@ah okay gut@ aber wenn ich durch Kongo reisen will dann bin ich auf diese auf auf diese Brüder angewiesen; ähm (3) ja natürlich ich lass mich darauf ein ich äh (.) wann hat wann hat man denn im Leben die Möglichkeit mit nem mit nem mit nem Söldner den Bierdeckel rundzusaufen und dem wirklich Informationen aus der Nase zu ziehen die der im nüchternen Zustand niemals von sich geben würde; und dadurch auch Mechanismen zu begreifen; ah Hintergründe zu verstehen; ah (2) ich hab mir zu einer meiner Prinzipien gemacht (2) wenn in Afrika wieder mal von einem Konflikt die Rede ist und diese Ethnie gegen diese Ethnie und der gegen der ((ironisch gesprochen)) ich such immer nach dem Geld; (.) und da find ich auch meistens den Richtigen; ah und in vor diesem Hintergrund sind halt solche Kontakte zu äh zu Leuten die (.) Kriege führen um Geld zu verdienen eigentlich sehr hilfreich; ähm (1) Diamantenhändler; es gibt nichts geschwätzigeres als Diamantenhändler; weil sie unimmer gebauchpinselt werden wollen; ah weil ähm (.) sie immer wollen dass man sie wirklich für die Cleversten hält; und das sind Typen die hab ich in Sierra Leone getroffen in Angola ah (1) in Kongo (2) Liberia jetzt zum Schluss; diese Leute können durch durch durch ihre Eitelkeit ähm mir als Journalisten durchaus Durchblick ähm und und ja Durchblick ähm und Hintergrundwissen für für Mechanismen verwick- äh ver- vermitteln; und sofern nein ich geh so was niemals ausm Weg im Gegenteil ich suche das;

Die Neugier und der Wunsch, alles zu wissen und zu erleben, treiben Herrn Holmes dazu, seine Arbeit mit voller Intensität und auch unter Einsatz seiner Körperlichkeit zu machen. Grenzen setzt sich Herr Holmes in seinen Erklärungen nicht, vielmehr deutet er an, dass sein Bedürfnis und sein Hunger nach Erfahrung und Hintergrundwissen eben Konsequenzen zeitigt, die er in Kauf nehmen muss, auch wenn es eigentlich »reicht«. Er verbrüdert und identifiziert sich ein Stück weit mit all den anderen schillernden Gestalten, denen er begegnet (»diese Brüder«). Gleichzeitig wird in diesen Beschreibungen und Erklärungen von Herrn Holmes nochmals seine absolute Überlegenheit demonstriert. Er weiß, wie die Transportwege in Kongo sind und kann sie nutzen und verharmlost den Umgang unter eventuell gefährlichen Bedingungen. Seine Haltung ist existentiell: Er trinkt mit Söldnern und schafft sich so Zugang zu Interna. Trotz seines körperlich existentiellen Zugangs verbleibt Herr Holmes aber immer in der Position des Journalisten, der Informationen sucht und wie ein gekonnter Detektiv Meister

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aller Verkleidungen ist. Herr Holmes hebt hervor, dass sein Verhalten nicht aus einer emotionalen oder unreflektierten Haltung zu begründen sei, sondern dass es sich hierbei um eine von ihm entwickelte Strategie handelt (»Prinzipien«). Habitualisiertes Verhalten männlicher Inszenierung, reflektiertes Handeln im Sinne einer Strategie des Erwerbs von Informationen und spontane Momente des Handelns fallen hier zusammen (Passage: Aufgabenverständnis): Y: Holmes:

wie kommen Sie denn an so Leute ran? durch Zufall; (.) durch Zufall; man kann natürlich nicht auf den Typen hingehen äh äh zugehen und sagen so achso du handelst mit Diamanten ja ich ich bin Journalist also ich wüsste jetzt gerne n bisschen was @nee so gehts nich ne,@ //okay// also unverfängliche Gespräche und vieles läuft immer über Alkohol; das is eindeutig; und ähm (1) halt auch Informationen rausrücken; //mhm// (.) also ein Beispiel ähm (.) ich war einer der ersten Journalisten der in dieser Diamantenmine in Sierra Leone kam also hinkam äh in XX ähm nachdem die Rebellen der (...) da verschwunden war; und in Freetown hockten halt unglaublich viele Diamantenhändler die nur drau- darauf warteten dahin zu kommen; und ich bin halt durch Zufall mit einem von denen ins Gespräch gekommen; [Auslassung 3 Zeilen] und er wollte wissen ja wo wer wer du bist und wer ich bin und wer ich sei und wo ich herkam und ich hab dann nicht gesagt wer ich sei ich hab dann gesagt wo ich herkäme; aus Kenema; und dann ach ja wie kommt man da hin ja so und so kommst du da hin ja was machst du denn hier ja ich bin Diamanten- ja wie funktioniert euer Business eigentlich, und so laufen die Geschichten //mhm// (1) also läuft eigentlich relativ gut; mhm,

Ort und Zeit der Begegnung mit relevanten Personen sind für Herrn Holmes nicht planbar. Sie bleiben dem »Zufall« überlassen. Bestimmte Aspekte wie etwa der Konsum von Alkohol erhöhen die Chance, auf interessante Informationen zu stoßen. Herr Holmes sieht sich mit seiner Strategie (scheinbar) zufälliger Kontakte und existentiellen Eintauchens in Situationen gegen Irreführungen gewappnet und nutzt seine Einschätzung und Wahrnehmung (etwa, dass Diamantenhändler eitel seien) für seine eigenen Zwecke. Dadurch wird die Begegnung für ihn eine funktionale Beziehung. Das Sich-Einlassen, welches Holmes vollführt und darstellt, um zu begründen, wie er sich Zugang verschafft, hat demnach durchaus Grenzen. Herrn Holmes geht es in beruflichen Situationen nicht darum, mit seiner persönlichen Identität in die Begegnung zu treten und dialogisch Gemeinsamkeit herzustellen. Es ist ein zielorientiertes, funktionales Geschäft. Herr Holmes sucht Kontakte und Gemeinsamkeit, die ihm für seine Arbeit zuträglich sind. Es bleibt bei einem asymmetrischen Verhältnis. Herrn Holmes existentielles Einlassen ist damit als ein situativ existentielles Einlassen gekennzeichnet.

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Der Aspekt einer beruflichen Strategie zum Erwerb von internem (konjunktivem) Wissen, soll an dieser Stelle im Vergleich mit dem Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählung und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 5.1.2) diskutiert werden. Ähnlich wie bei Herrn Backe in Kapitel 5.1.2 gezeigt, arbeitet Herr Holmes retrospektiv seine Herangehensweise des Erwerbs von Wissen aus anderen Milieus heraus und stilisiert sie zu einer strategischen Handlung, die er als erfolgreich einstuft. Im Unterschied zu Herrn Backe, der grundsätzlich nach der emotionalen Befindlichkeit sucht und allen Menschen ein gleiches Empfinden unterstellt, hinterfragt Lukas Holmes Argumentationen, die ethnisch oder religiös geführt werden, und vermutet ökonomische Gründe als Ursache für Konflikte. Auch wenn sich hier zwei unterschiedliche Handlungstypen rekonstruieren lassen, die in der Praxis ihres interkulturellen Handelns divergieren, lassen sich Homologien in der Begründung und Rechtfertigung des beruflichen Handelns finden. So ist beiden gemeinsam, dass sie in ihrer beruflichen Praxis Gefahren einer Täuschung sehen und eine berufliche Strategie entwickelt haben, die dem entgegenwirken soll. Herr Backe versucht, durch eine Annäherung auf der MetaEbene der eigenen Unterstellung von Fremdheit entgegenzuwirken und so seine Wahrnehmung zu differenzieren. Herr Holmes sieht die Gefahr in der Täuschung des europäischen Journalisten durch Lügen und wirkt dem durch ein generelles Misstrauen und ein existentielles Einlassen gleichzeitig entgegen. Im Durchleben und Sich-Einlassen auf den Fremden entsteht Nähe, Verbundenheit und ein konjunktives Wissen, welches Lügen erschwert oder durchschaubar macht. Parallel ist das generell vorsichtige Misstrauen, die Distanz und die (scheinbare) Sicherheit, die Situation überblicken und richtig einschätzen zu können. Hier zeigt sich im Vergleich mit dem Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 5.1.2) eine strukturidentische Strategie interkulturellen Handelns bei gleichzeitiger unterschiedlicher Handlungspraxis. Sowohl beim Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation‹ (Kap. 5.1.2) als auch beim Typ ›Existentielles Einlassen in beruflichen Situationen‹ (Kap. 5.2.2.1) finden wir im beruflichen Handeln eine Annäherung bei gleichzeitiger innerer Distanz. In beiden Fällen kann dies als Wunsch des Verstehens durch Nähe und Überblicken durch eine theoretische Meta-Ebene rekonstruiert werden. Das existentielle Einlassen auf den Fremden ist im Fall von Herrn Holmes zudem ein Handeln, welches auf Kurzfristigkeit beruht. Der Kontakt zu Fremden und Informanten entsteht zufällig und ist nicht auf Dauer angelegt. Er kann auch nur so entstehen, da es sich um prekäre Informationen handelt, die Herr Holmes herausfinden möchte. Dies erfordert Fingerspitzengefühl und eine große Vertrautheit mit Gepflogenheiten, gepaart mit dem Können, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Herr Holmes weiß das sehr genau und kennt die Fallgruben seiner Recherchearbeit. Strategisch setzt er Small Talk, Alkohol und gezielte Informationen ein, um näher an sein Gegenüber heranzukommen und sich

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dadurch Zusammenhänge zu erschließen. In seiner Erzählung über eine Diamantenmine geht Holmes wie selbstverständlich davon aus, dass ich als Interviewerin das nötige Vorwissen habe, um zu verstehen, wovon er spricht. An dieser Stelle zeigt sich, dass für Herrn Holmes Wissen direkt als Verhandlungskapital gesehen wird, aber auch als Mittel der Demonstration von Überlegenheit. Wissen wird eingesetzt, um neues Wissen zu erlangen, als Kapital mit dem gepokert wird. Durch small talk, so wird in der Erzählung von dem Kontakt zu einem Diamantenhändler deutlich, wird zunächst eine gewisse Nähe hergestellt. Eine weitere Annäherung findet durch das Bedürfnis beider Seiten, Informationen zu erhalten, statt. Beide sind an einem Tauschgeschäft interessiert. Herr Holmes zieht eine positive Bilanz bezüglich seiner beruflichen Strategien, die aber immer auch im Kontext der Kurzfristigkeit und des Wunsches, Informationen erhalten zu wollen, gesehen werden müssen. Der Typus ›existentielles Einlassen auf den Fremden‹ in beruflichen Situationen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Akteure auf die interkulturelle Situation so weit einlassen, dass der Ausgang der Interaktion kaum antizipiert werden kann. Auch wenn es sich um einen zielorientierten Handlungsentwurf handelt, etwa die Beschaffung von Informationen, die Lösung eines Versorgungsproblems oder die Vermittlung von Lerninhalten wird das Handeln nicht allein durch ein Ziel dominiert, sondern durch das Sich-auf-die-Situation-undden-Fremden-Einlassen entsteht ein Raum, der Gemeinsamkeit ermöglicht. Dies wird insbesondere in der Kontrastierung zum Typ ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden‹ sichtbar. Dominierte in jenem Typus die Fremdheit und Unterschiedlichkeit zum Fremden und wird sie als schwer überwindbar wahrgenommen, zeigen die Akteure des Typus ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ wie Gemeinsamkeiten, die zum Teil nur scheinbar oder temporärer Art sind, geschaffen werden können oder bereits existieren. Die afrikanischen Frauen sind für Herrn Bührer keine Menschen mit völlig anderen Vorstellungen und Interessen, sondern können zu Verhandlungspartnerinnen werden. Auch seine paternalistische Herangehensweise, das Kümmern und Versorgen, welche durchaus kritisch gesehen werden können, schaffen eine Ebene der Begegnung im Unterschied zum Rückzug und der Distanz. Im Sich-Einlassen verbirgt sich auch das Risiko des Scheiterns und der Frustration, geht doch mit dem Sich-Einlassen ein Wunsch nach Nähe und Gemeinsamkeit einher, also einer Erwartung am Gelingen der Interaktion. Im Vergleich zum Typ ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden‹ (Kap. 5.2.1) zeigt sich, dass hier weit weniger Enttäuschung entsteht und das gemeinsame Handeln als eher zufrieden stellend erlebt wird. Die Bereitschaft, das Wissen und Können der Fremden aufzunehmen, zahlt sich somit für die eigene Zufriedenheit aus bzw. es dokumentiert sich im Typ ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ (Kap. 5.2.2), dass es keine Frustration hinsichtlich des interkulturellen Miteinanders gibt, weil die Praxis der Interaktion sich als (teilweise) gemeinsame vollziehen konnte. Das Sich-Einlassen wird in beruflichen Situationen nicht zu einer völligen Aufgabe des Selbst, vielmehr

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scheint es ein Tauschhandel zu sein. Eigenes Wissen und Können wird in die Interaktion eingebracht und fremdes Wissen und Können in einem gewissen Maß angenommen. Dahinter steht der Wunsch des Verstehens und Teilhabens am Alltag und am konjunktiven Wissen Einheimischer. Infolgedessen entsteht ein beruflich verwertbares hohes alltagspraktisches Wissen. Informationen von Fremden werden als notwendig eingeschätzt und erhalten dadurch eine Wertschätzung. Das Verhalten der Fremden wird nicht als per se fremd und unverständlich interpretiert, sondern in einen bestimmten Rahmen gestellt. So wird etwa NichtWissen als Folge von Lebensumständen gesehen und als nur auf einen Bereich beschränkt gedacht oder das Interesse an Rugby als nationaltypisch angesehen und mit einem deutschen Interesse an Fußball verglichen. Die Bereitschaft, sich auf den Fremden in beruflichen Situationen einzulassen, hängt neben etwaigen beruflichen Interessen, wie der Entlockung von Informationen, auch immer mit einer Verknüpfung mit positiven Gefühlszuständen wie Freude und Spaß zusammen. Frau Stettler kommentiert den Erfolg ihres Unterrichts mit »super«, Herr Bührer beschreibt das Projekt als »das ist nett«, Herr Wächter spricht lachend, dass »alles nicht unwichtig« ist und für Herrn Holmes hat sein existentielles Engagement einen »Reiz« und ist »interessant«. Unterscheiden ließ sich im Typus ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ in beruflichen Situationen zudem der Aspekt kurz- oder langfristiger Kontakte. Im Fall von Herrn Holmes können die existentiellen Begegnungen nur kurzfristig geschehen und sind somit immer ein Stück dem »Zufall« ausgeliefert. Die Vertrautheit und Nähe eines gemeinsamen Saufgelages kann dort geschehen, wo der Kontakt nicht als kontinuierlich gedacht wird, denn nur so kann Herr Holmes sein journalistisches Interesse verbergen und tatsächlich prekäre Informationen entlocken. Trotzdem gibt es auch dort eine Kontinuität dieser Handlungspraxis. Das Wissen, wo man die richtigen Leute zum »Bierdeckel-Rundsaufen« trifft, ist genau in dieser Handlungspraxis, im Sinne eines konjunktiven Erfahrungsraumes, entstanden. Ebenso ist die Situation des Unterrichtens eine kurzfristige. Aber auch Frau Stettler beruft sich in ihrem Handeln auf ihre bisherige Erfahrung im Sich-Einlassen auf den Fremden, und zwar sowohl mit ihrem Misstrauen, als auch ihrem Wissen um Lebensumstände und Diskriminierungserfahrungen. Herr Wächter und Herr Bührer lassen sich in ihrem beruflichen Kontext auf längere Kontakte ein und somit geht es in diesen Fällen auch vermehrt um die Frage der dauerhaften Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung. Insbesondere für Herrn Wächter ist der Zugang zu einem konjunktiven Erfahrungsraum auch seinem Wunsch, heimisch in Südafrika zu sein, und nicht seinem Beruf allein geschuldet.

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5.2.2.2 Existentielles Einlassen in privaten Situationen Ein existentielles Einlassen auf den Fremden in privaten Situationen kann sich in der Aufnahme von Liebesbeziehungen und Partnerschaften zeigen, aber auch schon in Freund- und Bekanntschaften mit Einheimischen. Hier wird gemeinsam im Alltag gelebt und gehandelt und auch das Leben am selben Ort als eine Gemeinsamkeit erfahren. MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, erzählt aus ihrer Zeit in Ruanda, wie sie gezwungenermaßen einen ähnlichen Alltag wie die Einheimischen hatte, auch wenn ihre Tätigkeit sie dort unterschied (Passage: Flüchtlingslager): Stettler:

also vor allem am Anfang wie ich in Ruanda war, ja wir haben zum Beispiel keinen Strom gehabt und auch kein Wasser. ja, also es hat dann irgendwie eine Stunde Wasser am Tag gegeben und das war dann so von sechs bis sieben; //mmh// äh ja und dann nur kalt. @(.)@ ähm und dann ganz wenig zum Essen, (2) und dann war schon also die totale Faszination, um Gottes willen ja, also die ware- die dieses Sachen ja, die ich früher auch nie wahrgenommen hab, ja, dass ma- dass ma einfach das warme Wasser laufen kann solang man will ja, //ja// das kann man laufen lassen und das (.) das ist immer da. ne, //mmh// dass man nich sich vorher überlegen muss, okay jetzt heiz ich den Generator an und dann wie lang dauert das bis der Boiler aufwärmt? und dann kann ich jetzt baden aber dann ist das Wasser das das- //mmh// also solche Sachen, dass das einfach da is, ja, das war das war dann schon so Sachen die irgendwie äh (1) wo man sich denkt ab und zu ähm (2) dass man dann auch, ich kann mich auch erinnern, ich dann mit einem Kollegen geredet, was man alles essen würden wenn wir könnten; ja, wir ham ja nix zum Essen gehabt; ja wir waren- wir ham die Sachen gegessen, die wir den Flüchtlingen selber verteilt habe, sonst hats nix gegeben ja, //mmh// und dann hat s so französische von den französischen Militärs so Rationen gegeben, so kleine Konserven, ne //mmh// die man so hat aufheizen können, über so einer kleinen Kerze, //mmh// das waren so verschiedene Fertiggerichte; Würstchen mit Bohnen, das war aber immer das gleiche ja, //mmh// und dann irgendwann ammal ach du weißte Schokoladeneis ((gedehnt gesprochen)), na sind wir zu zweit dort gesessen an der Petrollampe und ah Schokoladeneis @(1)@ ja, //mmh// völlig bescheuerte Sachen, die sonst eigentlich gar nicht wichtig sind, aber man fangt dann so an irgendwie, man hängt sich dann an Sachen auf, ja, das ist extrem wichtig dann; //ja//

Frau Stettler lebte gemeinsam mit den Flüchtlingen, die sie betreute, in einem Camp und war somit auch den gleichen Lebensbedingungen ausgeliefert. Ein Leben mit regelmäßigem warmem Wasser und einer Varietät an Lebensmitteln wird zur »Faszination« und einer Vorstellung, die zu diesem Zeitpunkt weit von der eigenen Lebenspraxis liegt. Auch wenn sich also hier möglicherweise die

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Sehnsüchte und Erfahrungen von Frau Stettler als Europäerin und die der afrikanischen Flüchtlinge sehr unterscheiden, sind sie doch (zumindest eine Zeitlang) mit den gleichen Lebensbedingungen konfrontiert. Was zuvor für Frau Stettler Normalität war, fließendes Wasser und Zugang zu »Schokoladeneis«, wird zu einer Imagination, einer paradiesischen Vorstellung. Auch für manche Auslandskorrespondenten verhält es sich so, dass sie auf Recherchereisen den örtlichen Lebensbedingungen ausgeliefert sind und damit konfrontiert werden, sich existentiell auf die Situation einlassen zu müssen. RALF DONNER berichtet von seinen Reiseerfahrungen als AUSLANDSKORRESPONDENT (Passage: Beobachter): Donner:

also ich hab auch in meisten Fällen lieber europäisches Essen, aber wenn man das erste Mal irgendwo ankommt, dann muss man halt in diesen Brei da aus Okra, das ist schleimiges grünes Zeug und dann hatts noch Sorgumbrei das ist auch nicht grad mein Liebling- meine Lieblingsspeise, und dann muss man halt n bisschen mitessen; ja oder irgendwelche Innereien, die man nicht gerne hat; nich, die Innereien werden einem ja immer zuerst angeboten ne,vor allem in islamischen Ländern und im Sahel, wo man wirklich eingeladen wird; ach also in Darfur wenn wir dahin gekommen sind in ein Dorf dann haben die ein Kamel geschlachtet oder eine Ziege, und wenn man dann Vegetarier- dann hat man ein Problem, nicht? Oder wenn man Innereien nicht mag. //mmh// und dann muss man sich halt manchmal zusammenreißen und ach ach so das Gefühl, ein Feingefühl zu haben, wie verhält man sich? Schnell rumgucken ahh niemand isst weil der Boss noch nicht da ist oder alle essen; man isst halt nicht mit der linken Hand; das merkt man irgendwann mal. Hat gewisse Gründe nich, man isst mit der rechten Hand, und und und; es gibt Leute die merken, sind Beobachter; ich glaub ich bin n guter Beobachter. Vielleicht nich so n guter Zuhörer, aber sicher n guter Beobachter. (1) und dann merkt man das, sieht man das und dann macht man halt auch so. und andere Leute sagen nee ich bin ich bin Europäer ich will auf dem Stuhl sitzen, mir ist das unbequem am am am Boden und äh dieses Wasser trink ich sowieso nich, das ist verseucht und das Essen kann ich nicht essen, da wird mir schlecht und und und, ja, und dann muss man sich nicht wundern wenn man wenn man dann Probleme kriegt. Und da hab ich einfach hab hab (1) hab ich auch viel Erfahrung; in Afghanistan wars anders wie hier und in Angola, sechs Monate zu Fuß mit mit irgendwelchen Rebellen, da da lernt man sich anzupassen. Ohne sich aber selbst aufzugeben. //mmh// und ich glaub das kann ich relativ gut. Das ist das ist sicher meine Stärke. (2)

Das ›Sich-Einlassen‹ erfolgt hier, ebenso wie bei Frau Stettler, auch nicht völlig freiwillig. Hatte Frau Stettler keine andere Wahl, so wird bei Herrn Donner das gemeinsame Essen zum Symbol von Respekt und Höflichkeit gegenüber der

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Gastfreundschaft Einheimischer. Das eigene Interesse und den eigenen Geschmack sieht Herr Donner als etwas an, was hinter diese Höflichkeit zurücktreten muss. Für ihn kommt es nicht in Frage, die Angebote der Gastgeber auszuschlagen. Vielmehr bemüht sich Herr Donner nach seinen Angaben, sich dem Gastrecht entsprechend zu verhalten und sich »zusammenzureißen«. Worin das ›richtige‹ Verhalten besteht, also, wie man sich möglichst so wie die Einheimischen verhält und dadurch bezeugt, die Regeln des Gastrechtes zu kennen oder sich zumindest zu bemühen, findet Herr Donner durch Beobachtung und Nachahmung heraus. Er reklamiert ein »Feingefühl« für das Erkennen der Situation einerseits, andererseits ist es sein mimetisch erworbenes Wissen über bestimmte Gepflogenheiten, etwa mit welcher Hand man isst, die er seiner langjährigen Erfahrung in Afghanistan und Angola zuschreibt. Dies schnell wahrzunehmen und sich dem entsprechend zu verhalten, sieht Herr Donner als eine Fähigkeit an, die ihn positiv auszeichnet. Die Interaktion mit dem Anderen bedeutet so für Herrn Donner keine Selbstaufgabe, wie sich dies im Typ ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden‹ als potentielles oder erlebtes Risiko offenbarte. KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, erzählt aus seiner Anfangszeit in Südafrika, als er im Studentenwohnheim mit Einheimischen, schwarzen und weißen, und anderen europäischen Studenten gelebt hat (Passage: Aufgabenverständnis I): Wächter:

wir hatten damals ungefähr vierzig Prozent Schwarze schon 85 aber da war auch noch Rassentrennung hier (.) also ich musste mit meinen schwarzen Kommilitonen unterschiedliche Busse im letzten im ersten Jahr noch benutzen hier; //mhm// um ins Kino zu fahren; und solche Sachen; haben wir zwar nicht gemacht aber auch die Züge hatten noch ähm weiße und nicht weiße Wagons als ich hier ankam; ne, //mhm// also is wirklich sagenhaft gewesen ist auch (1) und was ich da so erlebt habe an kleinen Geschichten, das ist sagenhaft einfach; (1) nein und ähm (2) und ich denke nur das ist eben genau dieses dieses prägende Element wenn man so reinkommt wie wie ich es getan habe und und auch dieser Wunsch da war diese Menschen zu verstehen //mhm//

Auch Klaus Wächter sieht sich nach seiner Ankunft in Südafrika zunächst mit Lebenssituationen konfrontiert, die ihm fremd sind. Er teilt seine Erfahrung des gemeinsamen Lebens im Studentenwohnheim, aber auch die Restriktionen durch das Apartheidssystem mit seinen Kommilitonen. Die Auseinandersetzung und der Kontakt mit Einheimischen wecken in ihm den »Wunsch«, »diese Menschen zu verstehen«. Es geht ihm um ein implizites Wissen, welches eine Ablehnung von Gepflogenheiten und Vorschriften zur Folge hat. Das geteilte Leben im Privaten, das Erleben eines gemeinsamen und doch geteilten Alltags faszinieren Herrn Wächter und bringen ihn dazu, sein »Denken« zu verändern. Er erzählt weiter (Passage: Aufgabenverständnis I):

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Wächter:

und da hab ich natürlich viel also ich hab meine Denken und ich denke mein Denken verändert sich und ich sag auch nich dass sich dass ich jetzt irgendwas hier verfestigt aber ich hab natürlich mein Denken sehr häufig oder auch meine Einschätzung verändert auch gerade dann und auch letztens wieder vor zwei Jahren eine Schwarze kennen gelernt (.) viel jünger als ich einfach und wir haben uns sehr häufig haben viel zusammen unternommen und allein durch das ich habe die dann mal in ihrem ländlichen Gebiet dann mal äh (.) besucht und (.) und und sie war sie war damals schon sie ist mit sechzehn von Zuhause weg; war also als ich sie traf schon zehn Jahre von Zuhause weg; (.) so was war unglaublich interessant zu sehen wie son junges, schwarzes Mädchen in der Art ziemlich patriarchalisch und auch chauvinistischen Gesellschaft, die obendrein natürlich auch noch immer so geprägt ist wo sie herkommt eben //mhm// aus der Vergangenheit, wie (.) da mit dieser fuschen Offenheit (1) äh hoppla mir gehört die Welt einfach ähm (.) äh äh wie man sich wie man sich da durchsetzen kann; ich find das absolut faszinierend; weil ich hab so was in Deutschland ganz selten gesehen; (.) dass jemand so (.) unbedarft in die Welt geht und mit son ähm gewissen Quant und Charme und so was einfach dann ähm (.) erfolgreich ist; und das find ich ist eben so was Beglückendes auch; //mhm// was man auch nur wenn man auch bereit ist selber zu sagen ah (.) nun gut jetzt bin ich vierzig aber sorry; das heißt ja nun nich dass ich jetzt hier irgendwie nich mehr mit jüngeren Menschen was so- sondern im Gegenteil man muss immer drauf- aufpassen dass man eben gerade, nich, in diesem kulturellen Bezug ist; //mhm// oder auch mit auch den den ähm dass man nich irgendwo nur sich in derselben Altersgruppe dann auch immer ansässig oder beziehungsweise sich drin äh bewegt; sondern auch dass man aus der Altersgruppe rauskommt, und natürlich aus der Rassengruppe; //mhm// das halt ich für sehr sehr wichtig. diese Kom- um zu verstehen aber weil ich ja auch weiß wo ich herkomme und ich weiß auch wie ich mit (.) mit mit 25 gedacht habe; und das sag ich jetzt wirklich und ich find das unglaublich erfrischend (.) dass man wieder mal daran erinnert wird; an solche Sachen; //mhm// deshalb mir tut (auch mal) übrigens für die Berichterstattung teilweise ganz gut; (.) man brauch natürlich @nicht alles@ dann ähm (1) äh in in irgendner Weise zu akzeptieren; ich mein junge Menschen sagen immer wozu brauch- kann man noch Rüstungsausgaben oder sonst irgendwas die wollen alles immer nur für soziale Zwecke und sonst wie; klar haben wir auch mal so gedacht; nich, solche Sachen sind wunderbar dass man das mal wieder hört und sagt Mensch genau das hast du auch mal gedacht also toll dass es das immer noch so gibt //@(.)// @und das ist immer nich,@ und solche Dinge sind immer aber dass sowas zusammenkommt; //mhm// und (1) das ist eben so was Beglückendes hier, (.) was denke ich leider eben so viel abhandenkommt;

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Klaus Wächter erlebt durch die Interaktion mit Einheimischen, wie sich sein »Denken verändert«. Es ist seine Bereitschaft, sich auf die Situation und die fremden Anderen einzulassen, welche es ermöglichen, dass er neue Perspektiven entwickelt. Die Erfahrung der Veränderung durch die Begegnung mit einem Menschen machte Herr Wächter vor nicht allzu langer Zeit erneut. Ein »junges, schwarzes Mädchen« fasziniert in ihrer Art und Sichtweise Herrn Wächter. Er erlebt allein durch den vielfachen Kontakt mit ihr und durch gemeinsame Unternehmungen, wie er sich verändert und Dinge anders wahrnimmt. Die Herkunft des Mädchens und ihre Loslösung von ihrem Milieu bewundert Herr Wächter und sieht darin etwas Neuartiges, etwas, »was in Deutschland selten« anzutreffen sei. Sich selbst erlebt er neben diesem Mädchen als Grenzen überwindend (»aus der Altersgrenze rauskommt«) und glücklich. Herr Wächter lässt sich auf die Begegnung mit dieser jungen Frau ein, obschon er Differenzen in Herkunft, Alter und Hautfarbe ausmacht. Sich von diesen Differenzen nicht beirren zu lassen und entgegen einer Vorstellung, er könne als 40-Jähriger nicht mit einer viel jüngeren Frau befreundet sein, empfindet Herr Wächter als persönliche Genugtuung und widersetzt sich erneut Gepflogenheiten und impliziten Normen. Seine Erfahrung mit der jungen Frau nimmt er zum Anlass, generell anzumahnen, sich außerhalb fester Milieus zu bewegen, »um zu verstehen«. In der Interaktion mit der einheimischen Frau thematisiert Herr Wächter verschiedenen differierende Milieudimensionen: ihre Herkunft, ihre Hautfarbe, aber auch explizit ihr Alter. Sind Herkunft und Hautfarbe ein nicht verbindendes Element in der Freundschaft zwischen Klaus Wächter und dieser Frau, sieht Herr Wächter jedoch in einer Alterstypik eine Gemeinsamkeit und dies obwohl sie nicht einer Generation angehören. Auch wenn Herr Wächter heute die Aussagen seiner Freundin nicht mehr teilt, so sieht er in ihnen doch eine Verbindung, indem er sie zu einer alterstypischen Meinung deklariert, welche er auch schon durchlebt hat. Hier dokumentiert sich, wie Herr Wächter in der Interaktion mit Fremden Fremdes und Vertrautes, Trennendes und Verbindendes ausmacht und so Nähe in bestimmten Dimensionen herstellen kann. Sich auf die Argumentation seiner Freundin insoweit einzulassen, als er sie wertschätzt und in Bezug zu seiner eigenen Erfahrung setzt, zeugt von Herrn Wächters Engagement und seiner Bereitschaft, ein Stück weit hinter seine jetzige Perspektive zurückzutreten. »Dass so was zusammenkommt«, erlebt Herr Wächter als Erfrischung und Befriedigung. Insbesondere sein Sichselbst-in-der-Begegnung-neu-Erleben ist für Herrn Wächter eine wichtige Erfahrung, welche er bewusst in ein offenes Denken übersetzt. Auch CLAUDIA STÖCKER, AUSLANDSKORRESPONDENTIN IN KENIA, sucht im Kontakt mit Einheimischen eine Nähe und lässt sich existentiell auf eine gemeinsame Handlungspraxis ein. Sie berichtet von Freunden, die sie über ihre Arbeit in einer Bildungsinstitution kennen gelernt hat. Claudia Stöcker macht in der Beschreibung ihrer Freunde deutlich, wie ihre Handlungspraxis in privaten Situationen aussieht (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis):

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Stöcker:

Y: Stöcker:

das sind Kenianer die also entweder in Deutschland promovieren, oder nen andrer Freund von mir is ähm (.) der is Professor an einer der Unis hier //mhm// und ähm (.) ne Freu- ne gu- meine beste kenianische Freundin is ähm is Malerin, //mhm// frei- also ja Freizeit. die muss halt ähm, sie arbeitet halt in ner Werbeagentur für lächerlich wenich Geld, aber ganz tolle Künstlerin, (.) und ja also (.) und wie hast du sie kennen gelernt zum Beispiel? auf ner Ausstellung. //aha// auf ner Ausstellung. weil (.) soziales Leben hier is immer ((Schnalzen)) also es gibt Kinos sind halt, da kommt immer so nen Scheiß, //mhm// aber wirklich nur so diese, wirklich Schrott, Theater hab ich nen paar Mal versucht, ähm das ist alles mehr so so ohnesorgmäßig, also immer nur Komödien und ich find die irgendwie nich so richtig lustig, und ähm äh so von der Kunst her is extrem viel //mhm// los in Nairobi. //mhm// [Auslassung 4 Zeilen] also sie hab ich halt auf ner Ausstellung kennen gelernt und (.) ja genau, und ähm ich geh dann halt öfter auf so Ausstellungen, weil inzwischen kennt man dann die Leute da, es sind dann wieder Leute mit, die trifft man da aber die kennt man dann nich so gut, dass man sich mit denen verabreden würde //mhm// das heißt man wenn man dann da wieder hingeht treff ich de wieder und dann könn- und irgendwann trifft man sich vielleicht dann doch mal. also ich ich find das immer ganz toll. ich bin da immer gerne. und das is so, ja und dann halt ähm mit Freunden ausgehen die man die man dann schon hat. //mhm// (1) ja un ja genau. (.) also ich muss sagen, dass ich, (.) auch wenn das vielleicht jetzt blöd klingt, aber ich bin stolz drauf dass ich kenianische Freunde hab weil ich viele Weiße kenne, die ham keine. //mhm// aus aus welchen Gründen äh weiß ich nicht, will ich mir auch kein Urteil drüber erlauben. aber ich finde, wie gesacht da komm wir wieder auf, darauf zurück ähm aus welchem Grund geh ich irgendwo hin, werd ich entsandt und hab keine große Wahl mir auszusuchen Kenia oder Kanada oder treff ich die bewusste Entscheidung so wie ich, ich will jetzt nach Kenia gehen weil ich da leben will. //mhm// dann bin ich auch ganz anders offen für für die Leute hier, //mhm// und ähm (.) ja. und ich find die Kenianer sehr ein sehr umgängliches Volk.

Auf eine Verständnisfrage der Interviewerin reagiert Frau Stöcker mit einer genaueren Darstellung ihrer Freunde und Bekannte. In dieser Sequenz zeichnet sich deutlich ab, dass Frau Stöcker in ihrem Umgang mit Einheimischen im privaten Bereich sehr bewusst und reflektiert ist und sie gezielt an bestimmten Orten, etwa bei Ausstellungen, nach Freundschaften sucht. Ihre Erfahrung mit anderen kulturellen Veranstaltungen wertet Frau Stöcker negativ und macht etwa am Theaterbesuch deutlich, dass sie trotz Bemühungen, dort keine Freude finden konnte. Frau Stöcker berichtet hier von verschiedenen Versuchen der Freizeitgestaltung, die Kontakte mit Einheimischen und Zugang zu deren Lebenswelt

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ermöglichen könnten. Dabei zeigt sich auch, dass es nicht um ein diffuses Interesse geht oder ein reines ›Sich-hineinfallen-Lassen‹ in eine andere Erfahrungswelt, sondern dass Frau Stöcker aus ihrem Erfahrungsraum schöpft und gezielte Aktivitäten unternimmt, von denen sie annimmt, dass sie ihrem Interesse entsprechen. Und zwar im doppelten Sinne: Einheimische kennen (und verstehen) lernen und Freizeitaktivitäten, die ihr Spaß machen. Ausstellungen sind für Frau Stöcker eine Möglichkeit, diese beiden Interessen zu vereinen. Sie entsprechen zum einen ihrem Interesse und schaffen zum anderen die Möglichkeit einer ungezwungenen, kontinuierlichen Begegnung mit Einheimischen. Die Bekanntschaft mit ihrer Freundin erzählt Frau Stöcker eingebettet in ihre Beschreibung der Kontaktaufnahme auf Ausstellungen allgemein (»die trifft man da«), worin sich auch noch mal zeigt, dass es sich um eine bewusst gewählte Strategie handelt, nach der Frau Stöcker Kontakte aufbaut. Innerhalb dieser Strategie schafft Frau Stöcker genug Raum für die langsame Entwicklung einer Freundschaft. Über diese Art der Freizeitbeschäftigung und Kontaktaufnahme mit Einheimischen ist Frau Stöcker zufrieden (»Ich find das immer ganz toll«) und wertet sie vor allem auch im Vergleich zu anderen Europäern in Afrika als erfolgreich und ist »stolz« darauf. Hier zeigt sich deutlich, wie bewusst Frau Stöcker es auf eine Begegnung mit Einheimischen anlegt. Im Anschluss daran entfaltet Frau Stöcker in einer Erklärungstheorie ihre Einschätzung über privates Handeln mit Einheimischen allgemein. Diese Theorie baut sich in ihrem wahrgenommenen Unterschied zwischen ihr und anderen Expatriates auf. Sie wirft implizit anderen Expatriates vor, kein Interesse für die Bevölkerung des Gastlandes zu haben. In ihren Aussagen dokumentiert sich, was Frau Stöcker als Grund für die Entwicklung von Beziehungen annimmt. Das eigene Bedürfnis, der Wunsch und Wille, sowie eine »Offenheit« sind Aspekte, die eine Annäherung erst möglich machen. Dass die Einheimischen selbst vielleicht kein Interesse haben könnten, ist für Frau Stöcker kein Thema, empfindet sie sie doch als »umgänglich«. Frau Stöcker lässt sich also in privaten Situationen nicht bedingungslos auf den Fremden ein, vielmehr bemüht sie sich, Fremdheit zu überwinden, indem Gemeinsamkeiten, etwa im Interesse an Kunst, gesucht werden. Trotzdem kann hier eingegrenzt von einem Einlassen auf den Fremden gesprochen werden. Frau Stöcker begibt sich auf die Suche nach Kontaktmöglichkeiten und setzt sich dabei zunächst einmal mit der ihr bis dato fremden Freizeitpraxis und möglichen Gegebenheiten auseinander. Dies unterscheidet sie von all jenen Expatriates, die überhaupt keine Gelegenheiten des privaten Kontakts sehen bzw. sich keine Freizeitaktivitäten suchen, die ihren Verhaltensgewohnheiten folgen und sehr anonym sind (»Fitness«) oder dort auch nicht nach Freundschaften suchen. In Frau Stöckers Aussagen dokumentiert sich, wie sie mit großem Bemühen versucht, einen alltäglichen, selbstläufigen Aufbau von Freund- und Bekanntschaften zu erwirken. Dies hat wiederum eine existentielle Bedeutung für Frau Stöcker, weil sie »da leben will«.

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Ebenfalls ein existentielles Einlassen im privaten Handeln sind FRAU TAAUSLANDSKORRESPONDENTIN IN SÜDAFRIKA, Freundschaftsbeziehungen zu Einheimischen. Im Unterschied zu Frau Stöcker lässt sich in Frau Tareks Handlungspraxis aber keine gezielte Strategie der Kontaktaufnahme ausmachen. Vielmehr ist sowohl das spontane Sich-Verlieben in einen südafrikanischen Kollegen als auch das darauf folgende Leben in verschiedenen Stadtvierteln Johannesburgs eher ein Vorgehen, das aus Nachahmung und Spontaneität entsteht. Sowohl in der Beschreibung der Veränderungen in ihrem Wohnviertel als auch in der Beschreibung ihrer Freundinnen zeigt sich, dass sich Frau Tarek auf eine gemeinsame Handlungspraxis mit der einheimischen Bevölkerung einlässt und dies weniger gezielt als etwa Frau Stöcker verfolgt (Passage: Private Kontakte):

REKS,

Y:

Tarek:

und du hast vorhin schon so angesprochen, dass du so die wie du die Kontakte so (2) wie sind denn die Kontakte so zustande gekommen? Also die ähm //ja// also der Marc, das war ja klar, aber? //ja okay// sonst so? Lief da viel über ihn? Oder? ja sicherlich. Am Anfang. Ja er saß bei der Zeitung, ich saß bei der Zeitung, aber (1) Leute sind auch immer interessiert gewesen in jemand der aus dem Ausland kommt //mmh// ne, weiß ich, und ich bin auch offen; ich denk es liegt auch daran, wie du auf Leute zugehst, ne //mmh// und so war das beidseitig; also ich hab dann zwei drei Bekannte außer seinen Bekannten bei der Zeitung gehabt, und hinterher ging das auch noch weiter, dass wir uns dann besucht haben oder, Newtown war damals das Viertel wo gemischte Paare lebten, oder wo auch so diese Aufbruchstimmung am meisten zu spüren war; es war rela- relativ gemischt und (2) Journalisten, Schriftsteller, also diese @arty@people ne, //mmh// jüngere Leute und auch alte jüdische Witwen die da ihre Häuser hatten oder Wohnungen; da ging man dann halt viel aus und da kannte man sich und da wird dann, ah ( ) und ja, (1) und so eins, ja, dann schlief das mal wieder ein und dann auch als die Beziehung zu Ende war, musste das @erstmal alles@ einschlafen aber dann triffst du Leute hier wieder, dann kam Midtown langsam hoch; das sah früher auch nicht so aus, und Newtown ging den Bach runter weil ähm also Kri- Kriminalitätswelle hatte dann so richtig Wirkung und viele Leute aus Oldtown kamen rüber nach Newtown und dann ist mein Auto auch geklaut worden, das war einfach nicht mehr sicher da zu Fuß zu gehen; ja, //mmh// und ich bin dann auch weggezogen und Midcity wurde dann langsam so n bisschen gemischter, also das dieses konnte ich dann auch so mitverfolgen und da traf man die Leute dann immer wieder und das ist eben das einfachere an Johannesburg; ich find Leute in unterschiedlichen Altersgruppen sind recht offen, sehr spontan, manchmal wirklich für deutsche Verhältnisse äußerst spontan so nach dem Motto kommst du morgen oder kommst du heut Nachmittag vorbei? //aha// ah, aber du triffst sie halt immer; es ist immer so n Kontakt;

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Die Vermutung der Interviewerin, Frau Tareks privaten Kontakte hätten sich vornehmlich über ihre Beziehung mit »Marc« ergeben (über den Frau Tarek zuvor gesprochen hatte), bestätigt Frau Tarek, fügt aber hinzu, dass sich insgesamt Freund- und Bekanntschaften am Arbeitsplatz (»bei der Zeitung«) ergeben haben. Hier dokumentiert sich ein selbstläufiger Prozess des Freundschaftsaufbaus, welcher auch dem Interesse der Einheimischen an ihr als aus dem »Ausland« kommend zuzuschreiben ist. Frau Tareks Aussage, Einheimische wären interessiert, kontrastiert mit jenen der Akteure des Typus ›Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden‹ (Kap. 5.2.1), die der einheimischen Bevölkerung mangelndes Interesse an ihnen als Ausländern konstatiert haben. Frau Tarek sieht sich selbst als »offen« an, nimmt aber den Kontaktaufbau als einen »beidseitigen« Prozess wahr. Das Leben in bestimmten Stadtvierteln, wo »gemischte Paare lebten«, führte nach und nach dazu, dass Frau Tarek selbstverständliche und alltägliche Kontakte zu Einheimischen entwickelte. Das Leben im Ausland ist kaum noch beruflich gerahmt, sondern verselbstständigt sich in seinem mehr oder weniger alltäglichen Ablauf. Die Heterogenität der Bekanntschaften von Frau Tarek erstreckt sich dann auch über eine Generationsgrenze hinweg und bildet sich hauptsächlich aus dem sozialräumlichen Milieu alternativer Stadtviertel. In Frau Tareks Beschreibung ihres Alltags dokumentiert sich das SichEinlassen in der Selbstverständlichkeit der Beschreibungen, etwa der Veränderung von Stadtvierteln und damit einhergehenden Einschränkungen von Gewohnheiten (»zu Fuß gehen«). Frau Tarek ist längst in ihrer Existenz mit ihrem Alltag in Johannesburg verwoben. Sie trifft Leute »immer wieder« und erlebt sie als »offen« und »sehr spontan«. Dies alles sind Faktoren, die es Frau Tarek leicht machen, den Kontakt zu Freunden auch über längere Zeit aufrechtzuerhalten oder wieder neu aufzubauen. So erzählt sie, wie sie eine ehemalige Freundin auf einem »Jazzfestival« wiedergetroffen habe und sich nach Jahren der Distanz nun wieder eine Nähe entwickeln kann (Passage: Private Kontakte): Y: Tarek:

und und was du grad gemeint hast, die bunte Mischung? ja also, eine Freundin aus Soweto, die ähm war früher Tänzerin; hat die Karriere nicht verfolgt, hat dann bei äh ich glaub bei Volkswagen gearbeitet, wollte immer so in die corporate Welt, dann hat sie, dann hab ich sie vier Jahre aus den Augen verloren, und jetzt ham wir uns wiedergetroffen und inzwischen hat sie ihre Karrier gemacht und hat ihre eigene ähm Anzeigenabt- wie sagt man? Werbeagentur //aha// ganz alleine und hat mit den großen III-Kunden zu tun und jetzt ja, das war so eine Zeit in unserem Leben da ging das nicht mehr und jeder war sehr mit sich beschäftigt, und beim Jazzfestival in Kapstadt die erste Person die ich treffe, ihre Nummer hat ich verschlampt und verloren, ja, das war sie und jetzt sind wir wieder- ham wir uns wieder gefunden und inzwischen hat jeder so sein Leben gemacht und dann kann man auf den alten Sachen aufbauen, dass man sich eigentlich schon so lange kennt ne, //ja//

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In Frau Tareks Beschreibung ihrer »Freundin aus Soweto« taucht nur in der Beschreibung ihrer Herkunft (Soweto27) implizit auf, dass es sich um eine schwarze Einheimische handelt. Ansonsten wird die unterschiedliche Herkunft und Hautfarbe überhaupt nicht thematisiert und somit keine Differenzlinie gezogen. Vielmehr berichtet Frau Tarek über den unproblematischen und selbstläufigen Kontakt zu ihr. Die Distanz zwischen beiden hat sich allein aus unterschiedlichen Interessen und beruflichen Entscheidungen ergeben, welche zum jetzigen Zeitpunkt in ihrer Relevanz wieder in den Hintergrund treten und Platz für eine neue gemeinsame Handlungspraxis lassen, den Besuch eines »Jazzfestivals«. Sowohl das gemeinsame Interesse an Musik und Tanz als auch die gemeinsam geteilte Erinnerung bieten die Grundlage für ein erneutes Sich-Einlassen auf den Anderen. Trotz dieser Unbeschwertheit im Kontaktaufbau, von dem Anna Tarek berichtet, verweist sie auch darauf, dass Freund- und Bekanntschaften zwischen Weißen und Schwarzen nicht immer leicht sind. Ihre eigene Erfahrung ist trotzdem eine andere, was sie ihrem eigenen und dem Interesse der einheimischen Bevölkerung zuspricht (Passage: Deutsche): Y:

Tarek:

du hast das zwischendurch schon mal so angesprochen das- die die Frage so ähm was für dich des bedeutet dass du weiß bist oder dass du Deutsche bist? Wirst du damit hier konfrontiert? Ist das was was Thema ist oder ist das kein großes Thema? (2) doch. Es war- am Anfang wars mehr Thema als heute, also wie gesagt in den zehn Jahren denk ich hat sich das auch eher normalisiert; ne, //mmh// aber äh vielleicht auch durch die Situation damals mit nem schwarzen Freund in einem (1) doch sehr schwarz aber gemischten Viertel da wurd man schon angekuckt und angesprochen und teilweise gabs auch abfällige Bemerkungen also klar war dann Thema weiß sie ist weiß; was für mich kein Thema war; klar; ähm aber es wurde mir dann noch mal sehr bewusst, ne //mmh// dass ich- wo ich jetzt in welcher Gesellschaft ich mich jetzt eigentlich so bewege und (.) ähm es ist immer Thema und es ist auch heute noch ein Thema von von der Seite her dass man Ausländerin ist, das weckt immer irgendwie Interesse, das ist aber nie negativ ne, //mmh// das fand ich auch bei schwarz und weiß so; also bei weiß am Anfang, bei den Weißen (.) in der Regel genera; immer immer schwieralso ich fands immer eher (.) nich so angenehm es wurde ich wurde immer auf Afrikaans angesprochen weil automatisch assoziiert wurde ich bin weiße Südafrikanerin oder was auch immer oder kann Afrikaans verstehen ne, //mmh// das hab ich immer ( ) I am not from here. @(1)@ I don`t speak your @language@ Okay; ist heute auch nicht mehr so Thema. (1) Ähm ja ähm und bei Schwarzen und das fand ich eben auch das Tolle, das war im Township oder auch hier- also man wurd halt immer so angeguckt; aber das war eher so positiv ne,//mmh// neugierig, ich hatt

27 Stadtviertel in Johannesburg und ehemaliges Township, welches nahezu ausschließlich von Schwarzen bewohnt wird.

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hatt – ich war ja auch nicht unfreundlich zu denen; aber im Township wars immer das fand ich ganz toll, alte Frauen; also bei alt- bei alten Leuten, bei jungen Leuten da dacht ich mir okay, is vielleicht eh nicht so schlimm, aber bei der alten Generation die müssen ja noch (.) solche Wunden haben die wollen vielleicht mit mir nichts zu tun haben, aber ich hatt ja meistens ne Kontaktperson über die ich da hingekommen bin und dann wurd ich vorgestellt und dann ist das Anna aus Deutschland und die möchte die und die Geschichte machen und die ham ihre Herzen ausgeschüttet und ham mich am Ende gedrückt und ham gesagt aah you are one of us you are not a whity; es war äh (1) //mmh// es war also Thema; und du bist da auf dem Präsentierteller und das ist auch heut noch irgendwie so obwohl das Interesse bei denen ja auch nachlässt zehn Jahre später ne, //mmh// aber meine Erfahrungen sind eigentlich eher so, es war Neugierde, und wenn du n bisschen auf sie eingehen kannst und da vielleicht noch mal so dieses Gefühl dass ich ja vielleicht auch über den schwarzen Freund so n bisschen gelernt hab, paar Wo:rte oder so n Slang, den man- oder wie man sich so benimmt; äh ich kanns nicht richtig ausdrücken ne, aber so du kuckst du lebst ja mit denen und den Freund- und du kuckst dir ja auch was ab ne; //mmh// und wenn denn innen Township gehst und (.) die sprechen dann so ja isch mann! ne, das rutscht mir schon selber raus, und dann lachen se immer und sagen ja you belong here. So; über solche Brücken bekommst du dann n ganz anderen Kontakt; //mmh// das das mein ich glaub ich mit dem Korrespondent der mit seiner Familie kommt und lebt hier hinterm Sicherheitsburg und der geht ins Township; der der macht des so nich ne, //mmh// der beobachtet zwar die Verhaltensweisen aber ich glaub nicht dass er dann ins Township gehen würde und da sitzen würde Isch mann jetzt! Ne, und es kommt dann irgendwie so n traditioneller Spruch raus oder so und das hat glaub ich oft auch die Distanz vielleicht n bisschen näher rücken lassen mein ohne dass man sich ja kannte oder so ne; //mmh// also (1) man is aufm Präsentierteller aber wie – in XX is man das natürlich nicht mehr; //mmh// es nähert sich auch an, aber es gibt immer so Taschen wo es sich näher annähert; //ja//und du findest natürlich außerhalb immer noch die kleinen ähm afrikaanse Dörfchen da nähert sich gar nichts an ne, und du findest auch die Townships wo (1) wenn du ganz alleine hingehst, was du ja nicht unbedingt @machen solltest@; vielleicht auch @keiner@ mit dir spricht; //mmh// kann ja auch sein ne; //ja// (4)

Frau Tarek übernimmt in ihrer Beschreibung den von der Interviewerin eingeführten Begriff (»Thema«), der zunächst recht vage ist, da ja nicht deutlich wird, in welcher Form und mit welchen Erfahrungen die Relevanz einhergeht. So bleibt Frau Tareks Äußerung, die Relevanz hätte sich über die Zeit hinweg verändert, noch ohne Inhalt, denn auch Frau Tareks Einschätzung der Normalisierung steht hier noch ohne Rahmung.

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Frau Tarek beschreibt zunächst die Situation früher und heute. Frühere negative Erfahrungen bringt Frau Tarek in den Zusammenhang ihrer damaligen Lebensumstände, wo es vor allem ihr örtliches Umfeld, sie nennt es dann auch Gesellschaft, ist, welches ihre Hautfarbe thematisiert, ausgelöst durch ihre Beziehung zu einem Schwarzen. Für sie selbst, so stellt Frau Tarek dar, spielte die unterschiedliche Hautfarbe keine Rolle. Sie erlebte die Situation naiv und spontan mit einem Fokus mehr auf gegenwärtige Erfahrungen und weniger auf gesellschaftliche Umstände. Erst als sie mit ihrer Hautfarbe konfrontiert wird, wird ihr »bewusst«, in welcher Gesellschaft sie sich befindet. In den weiteren Ausführungen zur heutigen Situation wird dann auch deutlich, was unter »Normalisieren« zu verstehen ist. Auch heute hat Frau Tareks Herkunft noch Relevanz, jedoch spricht sie hier nicht mehr von der Ebene ›Schwarzer und Weißer‹ sondern von »Ausländerin«, die nur noch Neugierde, keine negativen Reaktionen mehr weckt. Die ›Normalisierung‹ kann nun unter dem Aspekt gesehen werden, dass sich Anna Tarek nach zehn Jahren so integriert hat, dass sie nicht mehr auffällt, aber auch dass sie keine Differenz mehr erlebt, weil sie (partiell) Teil eines konjunktiven Erfahrungsraums geworden ist, indem sie an ihm teilnimmt. Auch ihr Bewusstsein steht heute nicht mehr konträr zur Reaktion der einheimischen Bevölkerung, denn der Einfluss der ›Rassentrennung‹ ist für sie heute ein selbstverständliches Wissen. Eine ›Normalisierung‹ hat aber auch in der Form stattgefunden, dass sich die südafrikanische Gesellschaft von einer Apartheidsgesellschaft mit strikter Rassentrennung hin zu einem (für Frau Tarek normalen) multikulturellen Staat entwickelt hat. Beide Interpretationen von ›Normalisierung‹ scheinen bei Frau Tarek zusammenzulaufen, denn sie verknüpft ihre eigene Entwicklung und das Gefühl von »Zuhause«-Sein in Südafrika stark mit der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes selbst. Die Sensibilisierung für die Bedeutung von Hautfarbe wird auch daran deutlich, dass Frau Tarek erst nicht differenziert bezüglich der Reaktionen und Konfrontationen mit ihrem Status als Weiße, dann aber eine Differenzierung einführt (»schwarz und weiß«). Aber auch hier ist die Trennung in Schwarz und Weiß für ihre eigene Perspektive nicht von Bedeutung (»was für mich nie Thema war«). Bezüglich ihrer Erfahrungen mit der lokalen Bevölkerung Südafrikas unterscheidet Anna Tarek dann aber zwischen Weißen und Schwarzen. Insbesondere bei der Beschreibung der Reaktion Weißer bleibt der Aspekt der zeitlichen Veränderung erhalten. So heißt es »am Anfang« und später: »ist heute nicht mehr so Thema«. Die Reaktionen von Weißen in der Vergangenheit werden von Frau Tarek als beständig geschildert (»immer«). Die Vereinnahmung der weißen Einheimischen empfindet Frau Tarek als unangenehm und distanziert sich deutlich von dieser Gruppe. Die Reaktion der Schwarzen wird von Frau Tarek als positiver Gegenhorizont eingeführt. Diese betrachten sie (»man wurd halt immer so angeguckt«), was Frau Tarek im Gegensatz zu der Vereinnahmung der Weißen als eine wohlwollende und an ihr interessierte Reaktion bewertet. Ihre

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abschließende Erklärung, den Schwarzen mit Freundlichkeit begegnet zu sein, kann auch mit beinhalten, dass ihr Auftreten Weißen gegenüber eher abweisend und unfreundlich war, und damit einen Hinweis auf eine Theorie über den Zusammenhang des Verhaltens Anderer mit der eigenen Empathie sein. Frau Tarek schildert ihre positive Erfahrung mit einheimischen alten Menschen, die, ohne Frau Tarek näher zu kennen, ihr vertrauensvoll Persönlichstes erzählen. Diese Reaktion überrascht Frau Tarek, geht sie doch davon aus, dass die Schwarzen sie als eine Weiße und damit ehemalige Unterdrückerin wahrnehmen würden und damit Vorbehalte hätten (»die müssen ja noch (.) solche Wunden haben«). Frau Tarek erklärt sich diese Reaktion über ihren Zugang über eine Kontaktperson, die sie als Europäerin vorstellt und ihr Interesse als Journalistin deutlich macht. Die Frauen »schütten aber nicht nur ihr Herz aus«, d. h. erzählen für eine Journalistin spannende Geschichten und lassen sie somit an ihrem Leben teilhaben, sondern bekunden auch auf körperlicher Ebene ein Vertrauensverhältnis zu Frau Tarek, indem sie sie nach dem Interview umarmen und sie der eigenen Gruppe (der Schwarzen) zugehörig bekunden. Frau Tareks Vermutung, als Weiße (nicht als Ausländerin) wahrgenommen zu werden, bestätigt sich in der Negation ihrer Hautfarbe durch die schwarzen Frauen. Was Frau Tarek von weißen Südafrikanern als unangenehm und zurückweisenswürdig empfunden hat, die Vereinnahmung in die eigene Gruppe, wird bei den Schwarzen von Frau Tarek eher als ein Kompliment verstanden, als der Beweis, den richtigen Zutritt bekommen zu haben. Ihre Aufmerksamkeit hervorrufende Position als Weiße unter Schwarzen sieht Frau Tarek auch heute noch als gegeben an (»Präsentierteller«). Frau Tarek relativiert die Bedeutung des Themas jedoch wieder, was sie auf nachlassendes Interesse von Seiten der Schwarzen zurückführt. Das eigene Erleben wird an dieser Stelle in die gesellschaftliche und historische Entwicklung eingebettet. Somit wird auch die Bedeutung und Bedeutsamkeit des Erlebens relativiert. Es war die Neugierde der Anderen und Frau Tareks Einfühlungsvermögen, welche Nähe schaffen konnten – ein gegenseitiger Annäherungsprozess. Dieses Einfühlungsvermögen konkretisiert Frau Tarek und schreibt es ihrer Beziehung zu dem einheimischen Mann zu, wo sie ein »Gefühl« und ein paar umgangssprachliche Worte gelernt hat, einen mimetischen Zugang in das andere Milieu bekommen hat. Diesen mimetischen Zugang erlangt Frau Tarek durch das »Abgucken« von Verhaltensweisen der Einheimischen. Sie übernimmt unbewusst bestimmte Floskeln und symbolisiert damit auch für die Anderen ihre Zugehörigkeit, ihre Fähigkeit, sich im Umfeld der Anderen ›kompetent‹ zu verhalten. Dies wird von den Einheimischen auch anerkennend zur Geltung gebracht. Die Verwendung der Umgangssprache sieht Anna Tarek als eine Brücke, die einen anderen Kontakt ermöglicht. Hier arbeitet Frau Tarek retrospektiv eine Strategie heraus, welche ihrem handlungspraktischen Können entsprungen ist. In der Schilderung einer fiktiven Situation eines Auslandskorrespondenten als negativem Gegenhorizont grenzt Anna Tarek ihr eigenes Verhalten als nicht primär beruflich bedingt ab. Zwar macht der Korrespondent das Gleiche wie Frau Tarek,

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er fährt ins Township und beobachtet Menschen und Verhalten, kommt aber nicht durch eine mimetische Annäherung dazu, eine Distanz zwischen fremden Milieus zu verringern. Frau Tarek kehrt nochmals zu dem von ihr verwendeten Begriff des »Präsentiertellers« zurück und stellt den Umstand der Exponiertheit, hier ohne konkreten Bezug, als eine feststehende Situation dar. Dies relativiert sie jedoch sofort wieder, indem sie auf bestimmte Orte verweist, an denen diese Exponiertheit nicht zutrifft und insgesamt eine Annäherung stattfindet. Insbesondere in kleinen geschlossenen Zirkeln sieht Frau Tarek eine ›Normalisierung‹ voranschreiten, eine langsame Verringerung der Bedeutung von unterschiedlichen Hautfarben und Ethnien. Gleichzeitig, als negativen Gegenhorizont, verweist Frau Tarek auf Orte, an denen keine Annäherung stattfindet, und zwar sowohl in weiß (»afrikaanse Dörfchen«) als auch in schwarz dominierten Bezirken (»Townships«). Im Typus ›Existentielles Einlassen auf den Fremden‹ in privaten Situationen findet sich eine durch die Arbeit erzwungene oder notwendige Teilhabe am alltäglichen Leben der Einheimischen. Die Einwirkungen auf den Körper sind für die hochqualifizierten transnationalen Migrantinnen die gleichen wie für die einheimische Bevölkerung, wenn sie der gleichen Hitze ausgeliefert sind oder nur Zugang zu bestimmter Nahrung haben. Das existentielle Einlassen wird somit zu einer Notwendigkeit des Handelns. Daneben lässt sich aber auch ein gezieltes Interesse finden, an der Alltagswelt anderer Milieus teilzuhaben und im Ausland heimisch zu werden. Dies kann entweder durch geplantes Handeln stattfinden, etwa die Suche nach Freunden an bestimmten Orten oder sich eher spontan im Alltag eines Stadtviertels ergeben. Die Akteure suchen im interkulturellen Handeln eine Zugehörigkeit und versuchen dies über Wissen, Verständnis und Nachahmung zu erhalten. Die Freund- und Bekanntschaften, auf die sich die Handelnden einlassen, sind keine kurzfristigen Kontakte, sondern auf Langfristigkeit angelegt. Wird doch in einer Freundschaft nicht ein bestimmter Wunsch befriedigt, etwa, eine Information zu erhalten, sondern ist die Basis einer Freundschaft eher ein diffuses Gefühl gemeinsamer Interessen und Empathie.

5.3 Zusammenfassung Das Handeln der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen wurde in Kapitel 6 auf der Basis der Handlungsebene rekonstruiert. Die Praxis des Fremdverstehens (Kap. 5.1) konnte dabei von der Praxis der Interaktion (Kap. 5.2) unterschieden werden. Das Fremdverstehen ist eine Form des Handelns, welche primär auf den Zugang zum Anderen und das Verstehen dessen gerichtet ist. Dies erfolgt einmal durch theoretisches (Kap. 5.1.1), das andere Mal durch praktisches Wissen (Kap. 5.1.2). Für Ersteres bedarf es keines Kontaktes zu Anderen bzw. verhindert

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diesen auch, Letzteres ist auf Kommunikation und die Vermittlung durch Andere angewiesen. Obschon sich die Praxis des Fremdverstehens ausführlich bei (männlichen) Auslandskorrespondenten rekonstruieren ließ, eignet sich auch eine Entwicklungshelferin Fremdes durch theoretisches Wissen an (und übersetzt dies dann in praktische Interaktion) oder nähert sich eine Auslandskorrespondentin implizitem Wissen der Anderen durch vermittelte Kommunikation. Die Praxis der Interaktion, sozusagen der praktische Umgang mit Anderen, lässt sich in zwei grundlegend differente Typen unterscheiden. Auf der einen Seite findet Interaktion nicht statt, wird gemieden oder nicht gesucht und es kommt zu einer existentiellen Distanzierung bzw. zu einem Erleben von Distanz, welche eine Bewegung auf die Anderen zu blockieren (Kap. 5.2.1). Auf der anderen Seite stehen Formen der Interaktion, die als ein Sich-existentiell-Einlassen bezeichnet werden (Kap. 5.2.2). Hier gibt es verschiedene Formen der freiwilligen und unfreiwilligen, geplanten und ungeplanten Kooperation und des gemeinsamen Erlebens. In beiden Typen gibt es Unterschiede des Handelns hinsichtlich unterschiedlicher Situationen und ihren Bedingungen. Beruflich werden etwa in der Distanzierung Formen gesucht, die eine berufliche Handlungsfähigkeit noch erlauben bzw. die Konsequenz gezogen, den Auslandsaufenthalt zu beenden. Auch geschieht das berufliche Sich-Einlassen unter anderen Bedingungen als das private. Teils gibt es hier weit mehr Bewegung auf die Andere zu als etwa im privaten Bereich, motiviert durch moralische Ansprüche oder das Bedürfnis, Hintergrundwissen für eine journalistische Recherche zu erhalten. Die privaten Interaktionen mit Anderen sind eher rar und geschehen dort, wo Personen sich auf längerfristige Kontakte einlassen bzw. gezielt nach einheimischen Freunden suchen, dies teils auch politisch oder persönlich motiviert. Viel häufiger tritt jedoch eine Distanz und Distanzierung in privaten Situationen auf, aus verschiedenen Gründen, und von den Interviewten oft ausführlich argumentativ begründet. Die eigene Standortgebundenheit und der Umgang mit dieser ist zentrales Moment für eine Bewegung auf den Anderen zu, von ihm weg oder ein Verharren auf der jeweiligen Position. Die durch den Anderen ausgelöste Irritation der Handlungsroutine löst in den meisten Fällen eine bewusste Beschäftigung mit und ein Nachdenken über diese Interaktion hervor. Welche Formen die Reflexionen über das eigene Handeln annehmen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, soll im folgenden Kapitel ausführlich rekonstruiert und diskutiert werden. Dabei geht es um die Frage der Sicherheit des Handelns und der Veränderung des Handelns durch Reflexion.

6 Reflexionstypen im interkulturellen Handeln

In diesem Kapitel soll es darum gehen, wie das eigene Handeln in interkulturellen Situationen von den hochqualifizierten Transmigrantinnen reflektiert und eingeschätzt wird. Die Reflexion wird dabei als eine der drei Komponenten gesehen, die im Zusammenspiel von Handeln, Reflexion und Interpretation auf die handelnde Person wirken und das Handeln innerhalb der Triade von Selbst, Situation und Anderer beeinflussen. Es geht mir sozusagen um eine Reflexion der Reflexion, in welche vorreflexives Handeln (implizites Wissen und Können) und reflektiertes Handeln aufgenommen werden. Diese Typen der Reflexion liegen quer zu den Typen interkulturellen Handelns (Kap. 6). Ein Reflexionstyp kann daher in mehreren Typen des interkulturellen Handelns zu finden sein und umgekehrt. In der Rekonstruktion der Reflexionstypen wird darauf zu achten sein, zu welchem Zeitpunkt eine Reflexion über das eigene Handeln stattfindet. Geht man mit einer pragmatistischen Handlungstheorie davon aus, dass Denken und Reflektieren immer dann erfolgen, wenn routiniertes Verhalten ins Stocken gerät, so treten all jene Momente hervor, in denen sich die Person mit Fremden bzw. Anderem (im Sinne des Nicht-Vertrauten) konfrontiert sehen und ihr bisheriges Handeln an seine Grenzen stößt. Die Reflexion über das eigene Handeln wird vor diesem Hintergrund zu einem zentralen Aspekt der vorliegenden Studie über interkulturelle Begegnung als milieuübergreifende und damit das eigene Wissen und den eigenen Erfahrungshorizont übergreifende Interaktion. Der Moment der Interviewsituation stellt mit seiner Aufforderung, über das eigene Leben und Arbeiten zu erzählen, einen ersten Punkt reflektierter Distanz zum Handeln dar. Er stört routiniertes Handeln und Denken, da implizites Wissen und unbewusste Gewohnheiten eventuell als explizierbedürftig erscheinen. Eine Meta-Reflexion über eigenes Handeln kann dadurch angeregt werden. Im Laufe des Interviews entwickeln sich aber zumeist wieder Aspekte routinierten Denkens und Handelns und dies insbesondere dann, wenn die Interviewsituation als vertrauensvoll empfunden wird und wenn, mit der Annahme eines ähnlichen

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Verständnisses, welches nicht zuletzt über die geteilte Grundsprache1 hergestellt wird, Erlebtes erzählt wird. In Erzählungen, Beschreibungen und evaluativen Stellungnahmen treten habituelle Handlungstendenzen und unreflektierte Selbstverständlichkeiten in den Vordergrund. An diesen Punkten tritt die Erfahrung der interviewten Personen und ihr gewohnheitsmäßiger Umgang hervor, und zwar auch in Bezug auf den Umgang mit Wissen und Nicht-Wissen und der Reflexion über das eigene Verhalten. Eine Reflexion über das eigene Handeln birgt in sich die Möglichkeit, das Handeln zu ändern, sozusagen reflexiv auf die Steuerung des Verhaltens einzuwirken. In vielen Momenten tritt eine leichte Korrektur des Handelns kaum ins Bewusstsein des Handelnden, da auf bereits vorhandenes theoretisches und praktisches Wissen zurückgegriffen wird. In der Interpretation der Interviews ist eine offene Frage, ob sich anhand einer Rekonstruktion von Reflexionstypen das Ineinandergreifen von Reflexion und Praxis überhaupt nachvollziehen lässt. Die Reflexion des eigenen Handelns kann, muss aber nicht, eine Betrachtung des Selbst, welches sich in einer Handlungssituation erlebt, sein. Hier schließt sich die Frage an, welche Selbstbilder auftauchen und ob der eigene Anteil des Verlaufs einer interkulturellen Begegnung reflektiert wird. Wie das eigene Handeln innerhalb einer Handlungssituation retrospektiv betrachtet und beurteilt wird, lässt sich anhand von Interviewpassagen rekonstruieren, in denen die Interviewten über ihr Handeln und ihre Reflexion des Handelns sprechen. Hierbei lassen sich empirisch Typen herausarbeiten, die in ihrem maximalen Kontrast zwischen einer Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände (Kap. 6.1) und einem Wissen um das eigene Nicht-Wissen (Kap. 6.4) angesiedelt sind. Neben der Reflexion und Einschätzung eigener Wissensbestände lässt sich zudem die Reflexion über den Zugang zu einer fremden Lebenswelt empirisch rekonstruieren. Hierbei sind der Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.2) und der Typ ›Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.3) zu unterscheiden. In der Interpretation und Herausarbeitung der Typen werde ich teilweise dieselben Interviewtranskripte wie bei der Untersuchung der ›Typen interkulturellen Handelns‹ (Kap. 6) heranziehen, da die Reflexion ja in dieses Handeln verwoben ist.

6.1 Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände Unter dem Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ lassen sich Formen der Reflexion fassen, in denen Personen der Meinung sind, ein umfassendes Wissen über den Anderen oder auch die Situation, mit der sie sich beschäftigen oder in der sie sich befinden, zu haben. Das eigene Wissen wird nicht in Frage gestellt, sondern dient als sichere Basis der eigenen Weltanschauung, 1

Alle Interviewpartner sind, ebenso wie ich, grundsprachlich deutsch.

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aber auch als Matrix des Handelns in der Welt. Der Blick auf den Anderen und die erlebte Situation erfolgt somit durch eine klare Brille, die dem Zweifel erhaben ist. Die Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände scheint Halt und Sicherheit in der Bewertung und Einschätzung von Situationen zu geben. Ob damit direkt eine Handlungssicherheit einhergeht, ist fraglich, denn das Handeln als solches ist immer auch eingebunden in die Situation und abhängig vom Verhalten des Gegenübers. Dennoch gilt, dass die Nicht-Infragestellung des eigenen Wissens eine Überlegenheit schaffen kann und diese in ihrer Dominanz sowohl die Wahrnehmung der Situation als auch das Verhalten des Gegenübers beeinflussen kann. Wer überzeugt ist, das richtige Wissen zu haben, hat die Chance, zügig handeln zu können, da ein verzögernder Moment des Überlegens und Abschätzens der Situation entfällt. Auch in der Aufnahme neuen Wissens bietet die Nicht-Infragestellung des eigenen Wissens eine Matrix, welche eine rasche Einordnung in bestehende Wissensbestände ermöglicht. Die Selektion zwischen relevantem und nicht relevantem Wissen erfolgt unverzüglich und auch das Verhalten des Anderen wird auf der Basis des eigenen Wissens umgehend interpretiert. Wie dokumentiert sich eine solche Sicherheit bezüglich des eigenen Wissens? Welche Praxis und welche Methoden spielen eine Rolle in diesem Praxiswissen? Anhand von Interviewpassagen lassen sich unterschiedliche Komponenten herausarbeiten, die eine Nicht-Infragestellung und auch eine Immunisierung eigener Wissensbestände begünstigen. Es ist nicht das Ziel, eine Genese dieses Reflexionstyps zu erarbeiten, wohl aber soll das Phänomen dargestellt und verschiedene Aspekte aufgezeigt werden, welche beeinflussend wirken können. Daran anschließend stellt sich die Frage, welche Konsequenzen für das interkulturelle Handeln durch einen solchen Reflexionstyp entstehen. Die Überzeugung, das richtige‹ Wissen zu haben, zeigt sich vor allem in jenen Passagen, in denen Interviewpartner dazu übergehen, nicht nur aus ihrem Leben zu erzählen, sondern Zusammenhänge zu erklären oder insbesondere mir als (neutraler) Interviewerin eine Sachlage zu erläutern. Das eigene Wissen und die Betrachtung werden so zum Maßstab der Beurteilung von Situationen und dem Verhalten der Anderen. Bei ARNE HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, lässt sich eine solche Selbst- und Fremdbeschreibung finden, welche in seiner Aussage generalisierend und festschreibend wirkt (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

ich glaube dass des diese wir haben so ne bestimmte Art von Effizienz von der man immer spricht in Deutschland die man aber erst erlebt wenn man in Afrika ist @(.)@ und mitkriegt wie wenig effizient die Menschen um einen herum sind; also //mhm// das ist wahrscheinlich auch der Grund warum es viel effektiver ist wenn ich in wenn ich irgendwo bin Europäer aufzusuchen; weil wenn es darum geht ich hab ja nicht ewig Zeit nich, es kostet alles ein Heidengeld solche Reisen und so ähm und

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wenn man jetzt effizient arbeiten will und ein Auto braucht und ein Dolmetscher und so dann wendet man sich doch am besten an an Europäer die die wissen was man für Bedürfnisse und Ansprüche hat und was für ne Art von Arbeiten man gewöhnt ist ne, //mhm// (2) tja so ist das;

Auch wenn Arne Hamm seine eigene Einschätzung einbettet in ein vorsichtiges »ich glaube« und später mit einem »wahrscheinlich« seine Aussage als Vermutung anklingt, ist seine Einschätzung des Verhaltens der Menschen »in Afrika« im Vergleich zu seinem eigenen Verhalten eindeutig von einem gewissen eurozentristischen Bild der »Effizienz« geleitet. Selbstzuschreibungen oder alternative Erklärungsmodelle für das Handeln der Afrikanerinnen benennt Arne Hamm nicht. Auch das Phänomen als solches, welches er beschreibt, expliziert er nicht eingehender. »Effizienz« wird innerhalb des Relevanzrahmens seiner beruflichen Tätigkeit thematisiert und das Verhalten der Afrikaner generalisierend als ineffektiv gewertet und damit gleichzeitig das eigene Handeln aufgewertet. Hierin zeigt sich, dass Herr Hamm nicht nur überzeugt von der Richtigkeit seines Handelns und des Handelns anderer Europäer ist, sondern zudem auch den Beurteilungsmaßstab als solchen nicht in Frage stellt. Die mangelnde reflexive Distanz weist auf ein habitualisiertes Handeln hin. Die Beurteilung des Verhaltens der Anderen erfolgt dabei anhand eines unreflektierten Maßstabs, welcher ein positives Selbstbild propagiert und deutlich an Erfolgs- und Leistungsfaktoren, die dem Herkunftsland zugeschrieben werden, orientiert ist. Herr Hamm bewältigt eine Störung seiner Handlungsroutine durch eine Dichotomisierung zwischen sich als Europäer und den Anderen, welche er ebenfalls verallgemeinernd mit »die Menschen« in »Afrika« bezeichnet. Durch diese Verallgemeinerungen wird die Dichotomisierung noch verstärkt. Die Selbst- und Fremdzuschreibung steht damit in einem engen Zusammenhang mit der Erfahrung einer gestörten Handlungsroutine (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

wenn sie hier ins Taxi steigen die vergessen ja manchmal zu tanken und bleiben irgendwie nach zwei Kilometern liegen und so was @(.)@ //mhm// das ist dann sind andere is ne andere Art zu denken ne andere Art vorauszudenken oder so; (1) manchmal hab ich den Eindruck die leben alle nur so in der Gegenwart und es ist denen völlig egal was morgen ist;

Auch in diesem Abschnitt überwiegt die festschreibende Einschätzung des Verhaltens der Anderen. Das Tanken zu »vergessen«, interpretiert Herr Hamm als ein typisches Verhalten, welches in der mangelnden »Art vorauszudenken« begründet sei. Herr Hamm schränkt die Relevanz seiner Aussage zwar ein, indem er seine Einschätzung persönlich formuliert und zudem als etwas darstellt, was nur »manchmal« eintritt, das Wissen als solches relativiert er dabei nicht. In Herrn Hamms Erklärung zu seiner Position als weißer Europäer in Afrika findet

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sich sowohl die Selbst- und Fremdzuschreibung wieder als auch ein weiteres Phänomen des Typs ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹. Nicht nur das Verhalten der Anderen erscheint als etwas, was Arne Hamm aufgrund seines Wissens selbstsicher einschätzen kann, sondern auch die Situation wird so von Herrn Hamm beschrieben, dass sich darin die Sicherheit seiner Analyse spiegelt (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Y:

Hamm:

und weil Sie grad gesagt haben dass Sie für die wie Millionäre sind spiel- spielt das ne große Rolle dass Sie Deutscher sind oder Weißer? (für ihr Leben,) ja ich kann das das lässt sich schwer ergründen aber natürlich; es ist im Positivem wie im Negativen nich, es is entweder is sone entweder is manch- hier hier geht es im südlichen Afrika ist es viel schlimmer; äh hier sind die Leute doch schon relativ selbstbewusst weil weil wahrscheinlich weil das Land schon seit 1960 unabhängig ist und und die Briten nicht so schlimm gehaust haben wie die Rhodesier in Zimbabwe oder die Weißen in in Südafrika oder Namibia da unten is es noch extremer aber hier ist es auch sichtbar nich, also viele verhalten sich relativ devot Weißen gegenüber andere verhalten sich sehr aggressiv ähm (2) das gibt einfach Dinge dass man sch- schikaniert wird nur weil man den Eindruck hat dass da irgendson Kenianer einem zeigen will dass er dass er nicht nicht springt wenn n Weißer kommt oder oder nich nich unterwürfig ist oder so obwohl man das überhaupt nich verlangt ne, es wär viel angenehmer wenn alle ganz normal mit einem umgehen würden; aber ich kann mich ehrlich gesagt des Eindrucks nicht erwehren dass das oft nicht so ist //mhm//

Auch hier schränkt Herr Hamm seine Aussage ein und stellt vorweg, dass es »schwer« zu »ergründen« sei, wie seine Position als weißer Europäer auf die schwarze Bevölkerung in Afrika wirke. In seiner Erklärung tritt dennoch deutlich zu Tage, dass Arne Hamm sich in seiner Einschätzung und Interpretation der Lage sicher fühlt. Das Verhalten der Einheimischen (entweder »devot« oder »aggressiv«) schreibt er der kolonialen Vergangenheit zu. Je nach Grausamkeit der Kolonialherren und der Zeit, die seit der Unabhängigkeit von Kolonialmächten verstrichen ist, so Herr Hamm, entwickeln (»doch schon«) Afrikanerinnen ein Selbstbewusstsein, welches den Umgang mit ihm als Weißen beeinflusst. Seine Erfahrung mit ›Schikane‹ durch »irgendson Kenianer« wird auf dieser Folie interpretiert. Von sich selbst hat Herr Hamm ein neutrales Bild, wohingegen die Anderen sich un-»normal« verhalten würden. Er wirft den »Kenianern« vor, in sein »normales« Verhalten eine Erwartungshaltung hineinzuinterpretieren (»unterwürfig«) und sich gegen dieses imaginierte Bild zu wehren. Dass dieses Bild aus ihrer Vorstellung entspringe, sei ihnen nicht bewusst. Herr Hamm wünscht sich einen »ganz normalen« Umgang, wobei er weder reflektiert, wie ein »normaler« Umgang aussehen könnte noch wessen Normalitätsvorstellungen er hier

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als Maßstab seiner Beurteilung ansetzt. Das »normal« existiert als eine scheinbar neutrale Größe an sich, als ein allgemeingültiger Maßstab des Verhaltens. Seine pessimistische Sicht zur Etablierung von Normalität und die zu Grunde liegende Konstruktion der Anderen und des Eigenen bricht über Herrn Hamm wie ein Schicksalsschlag (»nicht erwehren«). Herr Hamm fühlt sich von den Umständen und der Situation gezwungen, eine solche Sicht einzunehmen. Dies kann oberflächlich als Distanzierung zu seinem eigenen Konstruktionsverhalten der Dichotomisierung gesehen werden, implizit tritt hier ein Muster der Konstruktion von Selbst und Anderen deutlich hervor. Die Gegebenheiten scheinen Herrn Hamms Perspektive zu bestätigen und so wird diese zur einzig möglichen Sichtweise. Den Aspekt der ›richtigen‹ Einschätzung einer Situation findet sich auch in Herrn Hamms Aussage über seine berufliche Position (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Y: Hamm:

und so der ihre deu- deutschen Leser haben Sie die im im Kopf wenn Sie schreiben? die Leser? j:a naja in erster Linie habe ich nicht die Leser im Kopf sondern sondern die Geschichten die ich hier mache und und mein Verhältnis dazu; also ähm also mein Verhältnis zu zu dem Objekt der Berichterstattung ne, //mmh// also im Klartext was was ich ich fahre nach Niger und gucke mir da an wie die Kinder verhungern und und mache mir Gedanken darüber woran das liegt ne, nämlich daran dass die nigrische Regierung irgendwie korrupt ist und und und und noch äh ihre subventionierten Lebensmittel nach Nigeria verkauft hat kurz bevor das da explodiert ist weil die weil sie gemerkt haben dass durch den Engpass sozusagen die Lebensmittelpreise steigen das sind so die Dinge über die ich mir Gedanken mache

Herr Hamm weist bestimmt daraufhin, dass seine Aufgabe nicht darin liegt, für einen bestimmten Leserkreis zu recherchieren und zu schreiben, sondern sich mit der Sachlage zu beschäftigen, über die berichtet werden soll. Dabei geht es um die korrekte Darstellung der Situation und seine Haltung und Meinung dazu. Herr Hamm nähert sich dem »Objekt der Berichterstattung« mit einem analytischen Blick und geht davon aus, dass ihm das Erklären der Situation gelingt. Dabei bleibt kein Platz für eine eigene Unsicherheit oder eine mögliche Fehleinschätzung der Situation. Herr Hamm sieht in seiner analytischen Arbeit einen Garant für eine ›richtige‹ Einschätzung der Situation, welche immun gegen Fehlinterpretationen ist und es ihm möglich macht, Vorgänge zu erklären. Homolog dazu lassen sich bei Herrn RALF DONNER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, die Selbst- und Fremdzuschreibungen wie auch die ›richtige‹ Einschätzung der Situation im Umgang zwischen Schwarzen und Weißen finden, in welcher Herr Donner eine grundsätzliche Dynamik erkennt. Auf die Frage der Interviewerin, welche Bedeutung seine Herkunft im Ausland habe, antwortet

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Herr Donner mit einer allgemeinen Erklärungstheorie über ethnische Zuschreibungen (Passage: Weißer Europäer): Donner:

wie soll ich das erklären, also (2) Ethnien spielen in Afrika eine (.) überragende Rolle. //mhm// is nicht das Einzige, m- mit Ethnien kann man nicht alles erklären. (.) //mhm// und es gibt gemischt ethnische Parteien und äh ich würd sogar hm sagen die meisten Parteien sind irgendwie gemischt ethnisch und auch die Regierung und so. (.) und trotzdem gibt es da eine ganz sch- starke Bindung, also die einfachen Wähler und Wählerinnen die wählen doch nicht einen von nem anderen Stamm hier in Kenia, das gibts also (.) höchst selten, (.) //mhm// auch gebildete Leute, also (.) da ist die Bindung schon sehr stark. (.) und (.) niemand nennt das Rassismus, (.) ich (.) ich find aber das ist Rassismus, //mhm// und äh man kann mit mit ganz vielen Leuten hier sprechen (.) und wenn die halt Kuria sehen aus dem Westen dann mögen die die Kikuju nicht und die Kikuju das sind all- die Frauen sind Prostituierte, die Männer sind Gauner, die die Kikuju wurden von von den Engländern nen bisschen gepuscht, die sind (.) wirtschaftlich (.) erfahrener, überlegener, und die wurden auch durch den ersten Präsidenten gepuscht, der hat ihnen ihre ganzen Ländereien gegeben, in (.) in den Gebieten die (.) die also nicht ihr ethnisches Kerngebiet sind, und das hat natürlich (.) böses Blut gegeben, also die Kikuju (.) ich weiß nicht wer die Kikuju mag. (1) und das sind natürlich alles rassistische Aussagen weil ich kenn auch äh sehr sehr nette Kikuju die ich für für total ehrlich halte, ich kenn Kikuju Frauen die sicher keine Prostituierten sind, also (.) was soll das? aber diese diese Muster diese Denkmuster sind ganz stark. //mhm// die sind vielleicht stärker hier in Kenia als in Tansania oder in Ghana ((atmet))

In der Erklärung dieser Passage dokumentiert sich, wie die »Ethnie« für Herrn Donner zur grundlegenden Matrix der Begründung des Beziehungsverhaltens zwischen Schwarzen und Weißen wird. Herrn Donners Frage, wie er die Bedeutung von Hautfarbe erklären solle, ist an diesem Punkt rhetorischer Art. Es geht nicht darum, dass sich Herr Donner in seinem Wissen und seiner Einschätzung unsicher ist, wie sich im Folgenden zeigt, sondern vielmehr um die richtige Darstellung seiner Erklärung, um mir als einer fremden Interviewerin den Sachverhalt möglichst umfassend und nachvollziehbar zu erklären. Herr Donner ist überzeugt davon, dass sich das Verhältnis, also die Situation zwischen Schwarzen und Weißen in Afrika, mit der Bedeutung von »Ethnien« für die »Afrikaner« erläutern lassen. Diese Aussage schränkt er zwar ein (»mit Ethnien kann man nicht alles erklären«) und nennt in seiner Theorie widersprechende Beispiele, kehrt jedoch dadurch nicht von seiner Hauptargumentationslinie ab. Die Überzeugung und Gewissheit, über das ›richtige‹ Wissen zu verfügen und die Situation ›richtig‹ einzuschätzen, dokumentiert sich gerade in jenen sprachlichen Floskeln, welche eine Definitionsmacht für sich in Anspruch nehmen (z. B. »natürlich«). Seine

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eigene Einschätzung der Situation und deren Richtigkeit sieht Herr Donner zudem als etwas an, das er entgegen einer anderen Meinung (»niemand nennt das Rassismus«) und aufgrund seiner eigenen Beobachtung entwickelt hat. Seine Wahrnehmung von »Rassismus« steht, so Herr Donner, einer generell vorgestellten Meinung gegenüber, die Zuschreibung von Verhalten zu einer bestimmten Ethnie nicht als »Rassismus« erkenne. Er stellt dagegen in den Aussagen und im Verhalten der Afrikanerinnen überall rassistische Tendenzen fest und erklärt diese mit der Geschichte einer Ethnie (»Kikuju«) und deren Verstrickung mit den »Engländern«. Nicht nur das Verhalten der »Ethnien« wird in der Aussage »das hat natürlich (.) böses Blut gegeben« als ein selbstverständlicher Prozess ausgelegt, sondern auch die eigene Interpretation dieser Entwicklung als ein unangreifbares Wissen proklamiert. Wie Afrikaner denken, ist für Herrn Donner an dieser Stelle unhinterfragt evident. Sie folgen einem Muster des Denkens entlang ethnischer Zugehörigkeiten und »diese Denkmuster sind ganz stark« (Passage: Weißer Europäer): Donner:

es kann es kann sehr schnell vorkommen, dass man halt dann eben als als als der Vertreter des weißen Stamms, und das ist immer (.) in diesen Ländern (.) der Kolonialisten. angesehen wird, nicht? //mhm// also wenn man was kritisiert und das passiert immer wieder, dann kommt diese Schablone und ihr Kolonialisten, ihr habt hier überhaupt nichts mehr zu sagen, und das is, ihr ihr wollt ja nur uns äh bemuttern un- und bevatern und und möglicherweise noch ausbeuten, ((atmet)) das dies das ist eine reflexartige Reaktion (1) weniger bei den ungebildeten (.) Afrikanern (.) weil für die sind wir einfach wir sind wie vom Mond, //hm// zum Teil nicht? °un- und° weil wir eben nicht in diesen ethnischen Streitereien integriert sind sind wir eigentlich (.) so neutral die die lasst man eigentlich (.) die lässt man in Ruhe. aber von von Gebildeten und Halbgebildeten kommt dieser Vorwurf sofort.

»Immer wieder« passiert es Herrn Ralf Donner, dass er dieses ethnische Denken antrifft, welches wie eine »Schablone« angewendet wird und unbewusst als »reflexartige Reaktion« zu Tage kommt. Während dies als unbewusstes Handeln den Afrikanerinnen selbst nicht zugänglich sei, sieht sich Herr Donner aufgrund zahlreicher Erfahrungen in der Lage, dies als rassistisches Denken zu entlarven. Aber ist nicht Herrn Donners Interpretation dieses Verhaltens selbst ›schablonenhaft‹? Seine Erklärungstheorie versucht ein einseitiges, unreflektiertes Verhalten darzustellen und verfällt selbst in eine monokausale Begründung und eine dichotome Gruppenkonstruktion, die dadurch verstärkt wird, dass er die Konstruktion des Anderen detailliert. Gebildete Afrikanerinnen, so Herrn Donners Interpretation, reproduzierten in ihrem Verhalten Rassismus, wohingegen ungebildete Afrikanerinnen jeglicher Bewertung und Einschätzung enthoben sind, weil »für die sind wir einfach wir

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sind wie vom Mond«. Diese scheinbar differenzierte Sicht auf die Afrikaner, die auf der Oberflächenebene sich vage zu einer eindeutigen Konstruktion der Afrikaner distanziert, erreicht zweierlei: Erstens unterstreicht Herr Donner dadurch seinen Expertenstatus. Zweitens unterstreicht er die Konstruktion des Anderen. Nicht nur ungebildete, sondern gerade gebildete Afrikanerinnen könnten die Gegebenheiten nicht adäquat durchblicken, womit implizit ein Vergleich zwischen ihm selbst, der die Situation ›richtig‹ einschätzen kann, und den zwar gebildeten, aber trotzdem ›unwissenden‹ Afrikanerinnen gezogen wird. Auch LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, ist überzeugt davon, die ›richtige‹ Erklärungstheorie für die Situation in Afrika gefunden zu haben, weil er gelernt habe, »nachm Geld« zu schauen (Passage: Ökonomisierend Haltung): Y: Holmes:

Sie haben vorhin gesagt dass Sie gelernt haben in Afrika nachm Geld zu schauen //mhm// wie und wann haben Sie das gelernt? weil hier ist alles Geld. (1) ähm hier lässt sich wirklich alles auf auf Geld reduzieren; also das ich möchte das jetzt nicht auf Afrika beschränken; //ja// aber Afrika ist im im Grunde wäre sehr sehr simpel strukturiert; //mhm// sie haben in der Elfenbeinküste jetzt haben sie jetzt zum Beispiel den Krieg; zwischen dem Norden und dem Süden zwischen Muslimen und Christen; und da werden unglaubliche äh äh äh äh Motive bewegt und ja sicher das ist auch alles richtig @aber@ (.) am Ende des Tages wird rauskommen dass dieser Krieg nur darum geht nur um die Frage geht wer den Kakao wer die Kakaoproduktion kontrolliert; //mhm// Elfenbeinküste ist der größte Kakaoproduzent der Welt; über vierzig Prozent der Welternte; das ist richtig viel Geld; //mhm// da reden wir von (.) also die die Ernte vor (.) im letzten Jahr war sie nicht so gut; davor das Jahr aufgrund des Krieges; (.) die gesamte Ernte der Elfenbeinküste stellte an der Kaka- als- stellte an der Warenterminbörse in Chicago nen Handelswert von einundzwanzig Milliarden Dollar dar; //mhm// das ist Grund genug sich gegenseitig die Birne einzuschlagen; //mhm// und das ist genau das was passiert; (1) Kongo (.) uh die nennen sich da mouvement pour la démocratie ou äh rassemblement populaire pour la démocratie, démocratie ist immer drin; //mhm// aber worum gehts? wer kontrolliert die Coltanmine wer kontrolliert den Kupfermarkt wer kontrolliert den Oberlauf des Kongos und somit ähm die ähm die ähm Elektrizitätsproduktion in in (Inga); es geht °immer um Geld; es geht um nichts anderes als ums Geld; um Politik gehts hier nicht.

In dieser Passage zeigt sich, wie sich Herr Holmes als Kenner der Situation positioniert. Mit hohem Engagement und einer Dichte an Informationen spricht Herr Holmes fachspezifisch über verschiedene politische Situationen in unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Sie dienen der Untermauerung seiner Erklärung, in Afrika handle es sich bei jedem Konflikt um ökonomische Interessen. Diese

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Theorie dient in der Zurschaustellung des eigenen Wissens auch dazu, mir als Interviewerin einen ›richtigen‹ Blick zu vermitteln. Sein Wissen über die Gründe von Auseinandersetzungen, so Lukas Holmes zuvor, habe er erst gelernt. Inzwischen ist dieser Lernprozess abgeschlossen und Herr Holmes präsentiert sein Wissen als immun, als eine feststehende, unverrückbare Erkenntnis, die gegen Scheinkonstrukte gewappnet ist. Die Motive von Kriegsgegnern entlarvt Herr Holmes auf der Basis seiner Erkenntnis als Farce, welche die ›wahren‹ Motive: Zugang zu Macht und Geld, verhüllt. Dass Geld die Ursache für Kämpfe und Gewalt sei, zeigt Herr Holmes anhand mehrerer Beispiele und begründet damit seine Erklärungstheorie. Zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen Herr Holmes die Erkenntnis gewonnen hat, in Afrika sei »alles Geld«, also zu welchem Zeitpunkt sein Wissen noch nicht immun war, sondern erst ein Erkenntnisprozess eingesetzt hat, beschreibt Herr Holmes im Zusammenhang und als Folge einer Desillusionierung (Passage: Ökonomisierende Haltung): Y: Holmes:

wie haben Sie das wie haben Sie das rausgefunden für sich? och nachdem ich so den ersten Sack @Illusionen@ @(.)@ über Bord geworfen habe (1) ja indem ich mich einfach geweigert hab Afrika noch durch ne rosarote Brille zu betrachten; so von wegen och die armen Kleinen (1) unterprivilegiert versklavt ausgebeutet kolonisiert; (.) äh alles richtig aber alles mittlerweile fünfzig Jahre her; //mhm// und was ist passiert in den letzten fünfzig Jahren und dieser dieser Kontinent ist von von irrlichtenden Wichten regiert worden; ah (.) die sich (.) mit Diamanten buchstäblich überhäufen ließen, Félix Patassé in der Zentralafrikanischen Republik; der ne Landebahn baute auf der die Concorde landen konnte bloß weil es ihm am Herzen lag Chirac zu empfangen; (2) also solche Psychopathen finden sie hier durchgehend; //mhm// da können sie gucken also nicht nein ich sag jetzt nicht gucken wohin sie wollen aber äh in sehr sehr vielen Ländern //mhm// ist das der Fall; schauen sie Angola; Angola ist der zweitgrößte Ölproduzent Afrikas ähm die haben Öleinnahmen pro Jahr also die Öltantiemen belaufen sich auf fünf Milliarden Dollar; (.) und jedes Jahr tauchen im Budget nur drei Milliarden Dollar auf; und die zwei Milliarden die kassiert der Präsident dos Santos; //mhm// cash für ihn; und dat is normal. (.) das Land ist völlig vermint; (.) die Minen räumen jetzt nach dem Friedenschluss können ja bitte die (UNges) machen; das Land entwickeln, (.) pas (son) problème ca //mhm// @das sind Verbrechen@ //mhm// also suchen sie nach dem Geld und sie finden die die die Konflikte für die (..) gerade wieder auch Angola worum gings denn zwischen UNITA und und und und dos Santos, ah (.) vielleicht irgendwann mal um um so wat wie Ideologie aber dat haben die spätestens nach sechs Monaten über Bord geworfen; der eine hatte Öl der andere Diamanten; und ja äh c´est tout. //mhm//

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Herr Holmes bestimmt den Zeitpunkt der Veränderung seiner Wahrnehmung und Interpretation nicht genau. Deutlich wird in dieser Passage nur, dass er sich retrospektiv als geblendet, idealisierend und naiv darstellt. Der Falschheit, vor der er in obiger Passage gewarnt hat, hing Lukas Holmes zunächst selbst an, denn er machte sich »Illusionen«. Seine Wahrnehmung war geprägt durch eine eindimensionale Perspektive auf die Verhältnisse in Afrika als Folgen europäischer Herrschaft und Unterdrückung. Diese eigene Erklärung hat seiner weiteren Wahrnehmung nicht standgehalten, geht Herr Holmes doch inzwischen davon aus, dass historische Tatsachen nicht als einzige Erklärung für heutige Zustände angeführt werden können. Nach Ende der Kolonialzeit, so Holmes, wäre es den Ländern lange genug möglich gewesen, andere Wege einzuschlagen. Aber stattdessen werden die Länder Afrikas von unvernünftigen, narzistischen, psychisch kranken Nichtsnutzen regiert, die nur ihren persönlichen Vorteil suchen und sich nicht für die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung einsetzen. Herrn Holmes Haltung hat sich von einer paternalistisch-schuldbeladenen (»och die armen Kleinen«) hin zu einer anklagenden gewandelt, ohne dass er den Zeitpunkt der Veränderung genauer bestimmt. Als Argument für die veränderte Wahrnehmung führt Herr Holmes Fakten an, die jedoch wiederum einschlägig durch seine jetzige Interpretation der ökonomischen Interessen geprägt sind. Für Herrn Holmes gibt es keine alternative Lesart der Zustände (mehr). Vielmehr sieht er seine Theorie und sein Wissen in zahlreichen Beispielen untermauert und validiert, welche er mit Vehemenz vorbringt. Die Nicht-Infragestellung und Immunität seines Wissens, so zeigt sich hier, wird nicht nur durch äußere Bestätigung gefestigt, sondern auch führen die eigene Wut über Korruption und Lügen zu einer emotionalen Verstärkung der Interpretation auf Basis eigener Wissensbestände und Erkenntnissen. In den Aussagen von Herrn Hamm, Herrn Donner und Herrn Holmes ließ sich die Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände insbesondere auf den Ebene des ›richtigen‹ Wissens über Andere und der ›richtigen‹ Einschätzung der Situation rekonstruieren und zwar als Folgen einer unhinterfragten Weltanschauung und aus Beobachtungen resultierenden Revisionen bisheriger Weltanschauung. Anhand von Interviewpassagen mit KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, lässt sich nun noch eine dritte Dimension des nicht in Frage gestellten Wissens aufzeigen: die Überhöhung des eigenen Wissens. Implizit geht mit der Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände einher, dass die Person davon ausgeht, ein ›richtiges‹ Wissen zu haben, und dies vornehmlich im Vergleich mit anderen Menschen, die als negative Gegenhorizonte die Bedeutung der eigenen Erkenntnisse unterstreichen. Herr Wächter spricht explizit aus, was in anderen Sequenzen nur angedeutet wird, nämlich dass sein Wissen und die Erkenntnis, auf der es beruht, nicht nur ›richtig‹, sondern dem Wissen Anderer (weit) voraus sei. Klaus Wächter sieht sich in seiner Position in Südafrika als dazu befähigt, sich dezidiert über die politische Lage des Landes zu äußern. Sein Wissen über die Vorgänge innerhalb Südafrikas und des afrikanischen Kontinents schöpft er

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aus seinem Studium, seiner langjährigen »Lebenserfahrung« in Südafrika und einer vergleichenden politischen Analyse (Passage: Aufgabenverständnis II): Wächter:

und ich komme eigentlich auch (.) wie ich dir schon sagte und ich hab nicht nur (.) Literatur gemacht ich habe auch Komparative Politik; Gespaltene Gesellschaften gemacht; ich habe also mir Israel angeguckt; und Nordirland; und ich weiß (.) bisschen was draußen in der Welt ist;

Die formale Bildung an der Universität und ein breites Interesse am politischen Weltgeschehen sieht Herr Wächter als Garant für die ›richtige‹ Einschätzung der Situation. Zudem tragen seine Berufserfahrung und ausführliche »Recherche« dazu bei, dass Herr Wächter davon ausgeht, ein sicheres Wissen über Afrika zu haben und Experte zu sein (»ich weiß«). Dies relativiert Herr Wächter zwar (»bisschen«), aber durch den Verweis auf seine Wissensbestände wird betont und außer Frage gestellt, dass er über Südafrika Bescheid weiß (Passage: Position als Weißer VI): Wächter:

und natürlich als jemand der glaubt wir alle glauben dass wir eine gewisse Wahrheit haben; //mhm// also das wir was wir sagen dass äh es auf irgendwas fußt was wir (.) was was was man aus langer Recherche kommt; ich denke ich hab ich glaube wirklich dass ich heute (1) Afrika ziemlich gut kenne; also das sage ich mit aller Vermessenheit; und und mit allem Wissen dass Afrika häufig unergründlich ist; also unergründlich scheint; //ja// aber mir macht auch diese mir macht auch die Irrationalität von Afrika von Afrika grade //ja// wenn man das absolut Sinn äh äh //aber ich// warum das ist. ja,

Herr Wächter reflektiert hier kurz darüber, dass er von einem immunisierten Wissen ausgeht, und stellt dies als eine Selbstverständlichkeit allen Denkens und Handelns dar. Die Relevanz seiner Aussage wird somit ein wenig geschmälert, da die Grenzen der eigenen Perspektive zumindest kurz aufblitzen. Im Folgenden zementiert Herr Wächter jedoch weiter ein Bild seines nicht in Frage gestellten Wissens und macht sich damit in Ansätzen zu einer Person, die aufgrund ihres Wissens über den Dingen steht und selbst noch »die Irrationalität von Afrika« mit Sinn versehen kann. Anders als etwa Herr Holmes begründet Herr Wächter die Herkunft seiner Erklärungstheorien explizit. Die Erkenntnis als solche wird dabei jedoch nicht in Frage gestellt (Passage: Position als Weißer III): Wächter:

ich denke man hat auch ne gewisse Lebenserfahrung; ich hab viel in Afrika gesehen; ich hab Länder unabhängig werden sehen; ich hab Länder an die Wand fahren sehen; (.) und wenn ich dieselbe Entwicklung sehe (Thank You) dann stimmt mich das schon sehr traurig wenn ich sehe ich verstehe vieles, warum es ist und warum sie da Minderwertigkeitskomplexe viele Schwarze inne wohnt; //mhm// ich versuche das

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immer sehr zu berücksichtigen; in meinem ganzen Umgang mit Menschen; ich hab also ich kenn zwei Journalisten hier die mir sehr viel äh gesagt haben (der eine) Journalist ist der eine Fernsehjournalist der (.) der ein äußerst ähm guter Kenner der Lage ist; der viele Fi- Fi- Filme über diese Gesellschaft gedreht hat //mhm// und wirklich an die Ba- richtig an die Basis der Gesellschaft gegangen ist; wir haben uns viel drüber unterhalten wie man hier vorgehen kann; (.) und es ist zum Beispiel heute unmöglich noch immer (.) einem Schwarzen wie ich dir zum Beispiel sagen kann Mensch sei nicht dumm und wähl jetzt hier die Linkspartei oder so was nächste Woche (..); das würde als Schwarzer kollektiv auswä- aus- ähm äh ähm äh praktisch äh entgegen //auslegen// auslegen; genau; äh n Weißer würde niemals wenn ich wenn wenn du dem so kommst dass in einer Art und Weise aber das ist sehr stark bedingt durch einen diesen unterschwelligen Minderwertigkeitskomplex das das wenig bisher aus Afrika raus gekommen ist; //mhm// außer gewissen (.) Mythen was angeblich hier äh gemacht worden ist; aber natürlich hat Afrika zu der eigentlichen Entwicklung dessen was wir heute im Westen //mhm// als das ansehen was unsere Kultur nach vorne treibt nämlich psychologisch zum Beispiel; praktisch nichts beigetragen; und das ist ein unglaublicher Makel für viele Schwarze; //mhm// ohne zu erkennen dass die vielleicht was anderes auch in ihrer Kultur haben; eben auch gerade das Zwischenmenschliche (.) beispielsweise mag ja solche Sachen //mhm// die ich für mich sehr bereichernd empfunden habe;

Herrn Wächters Wahrnehmung und Deutung des Verhaltens von »Schwarzen« als auf einem »Minderwertigkeitskomplex« basierend, fußen auf dem Austausch mit Kollegen und seiner Analyse politischen Verhaltens von »Weißen« und »Schwarzen«. Anhand eines fiktiven Beispiels einer Wahlberatung veranschaulicht Herr Wächter seine Argumentation. Sein Wissen ist gespeist davon, »viel gesehen« zu haben und daher »Vieles« zu »verstehen«. Dieser informelle Lernprozess, so Herr Wächter, ermögliche es ihm, Aussagen zu treffen, die generalisierenden Charakter haben (»unmöglich«, »niemals«). Zudem zeigt sich in Herrn Wächters Aussagen die Überlegenheit seines Wissens und respektive dessen weißer Europäerinnen. »Noch immer« kann man einem Schwarzen keinen Tipp zur Wahl geben, so Wächter. Ein »sei nicht dumm« werde falsch interpretiert, was mit einem empfundenen »Makel« zusammenhänge. Herrn Wächters Beobachtungen und Interpretationen sind eindeutig und sicher in ihrer Beurteilung, beinhalten dabei auch eine Reflexion über Selbstverständlichkeiten (»was wir heute im Westen //mhm// als das ansehen was unsere Kultur nach vorne treibt«), ohne dies jedoch weiter zu hinterfragen. Wo ihm ein bestimmtes Verhalten unerklärlich wird, zieht er Kollegen und Freunde hinzu, um sich das Verhalten begreiflich zu machen. So wird der »Minderwertigkeitskomplex«, den Herr Wächter im Verhalten der Afrikanerinnen sieht, als mangelnde Erkenntnis anderer Qualitäten gedeutet, wobei auch diese »Sachen« von Herrn Wächter gesetzt

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werden. Es ist »das Zwischenmenschliche«, auf das Schwarze stolz sein könnten, würden sie es doch selbst wahrnehmen. Eine politische Mündigkeit spricht Herr Wächter den schwarzen Südafrikanern pauschal ab, was er mit einer Erklärung stützt (Passage: Position als Weißer III): Wächter:

im Alltag ist n wunderbares Miteinander; aber wenn es eben um solche Sachen geht wie wo geht es politisch hin; oder (.) das liegt eben auch daran dass die Leute (.) äh vielleicht auch so politisch oder sonst wie noch n bisschen einfacher gestrickt sind; //mhm// weil sie eben einfach (.) für die ist jetzt eben der ANC ne Befreiungsbewegung und die haben jetzt erstmal ein Anrecht hier (.) zu machen was se wollen; weil sie ja befreit haben; (.) und das ist und das machts uns jemand der aus ner Kultur kommt wo du Politikern Macht anvertraust und sagst so jetzt mach das meiste draus; und wenn der mich enttäuscht dann wähl ich was anderes; das gibts eben nicht hier wird eben ethnisch gewählt; //mhm// ich verich wähl vielleicht ein oder zwei Prozent der Weißen wählen vielleicht ANC

Die Begründung des Wahlverhaltens der Südafrikanerinnen (»liegt eben auch daran«) dokumentiert nicht nur Herrn Wächters selbstsichere Einschätzung der Situation, sondern auch eine Überlegenheit des eigenen Wissens. Herr Wächter geht davon aus, Leute seien »einfacher gestrickt« und könnten daher nicht die Weitsicht haben, welche Herr Wächter für sich in Anspruch nimmt. Er entdeckt hier ein zu seiner eigenen Kultur, seinem eigenen Milieu unterscheidbares Wahlverhalten und wertet es als unwissend ab. Die Differenz zu seiner eigenen Handlungsroutine lässt Herrn Wächter mit einer Konstruktion und Abwertung des Anderen reagieren. An diesem Punkt lässt sich nun rekonstruieren, wie eine bestimmte Einschätzung und die Überzeugung, das ›richtig‹ Wissen zu haben, Einfluss auf die Handlungspraxis nimmt. So knüpft an diese unreflektierte Immunisierung eigenen Wissens eine Handlungspraxis des Beratschlagens an (Passage: Aufgabenverständnis II): Wächter:

andererseits versuch ich den Leuten natürlich zu sagen, Mensch ihr habt eine Nabelschau das ist unglaublich ihr müsst mal bisschen gucken; guckt doch mal was Australien macht mit seinen Arbeitsgesetzen; (.) die sind max- äh drauf und dran da was Tolles zu machen; die sind Flexibilisierung und und und und das müsst ihr auch haben; ihr habt eine so hohe Arbeitslosigkeit; ihr habt einzige Chance um die Leute von der Straße zu kriegen; //mhm// solche Sachen versuche ich natürlich auch mit anzubringen oder ich versuche auf Deutschland zurückzuverweisen, und sag guck mal selbst die Deutschen mit ihrem Sozialstaat alle dick und satt geworden und keiner will mehr was machen, aber selbst die haben gemerkt, es geht so nicht mehr wegen der Demographie bei denen vor allem (.) aber auch weils einfach nicht mehr (.) weil das System nicht mehr

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finanzierbar ist; //jajaja// müsst ihr erst dahin kommen wo Deutschland jetzt ist, mit Südafrika (hätte) noch die Chance die Bevölkerungsstruktur obwohl die von Aids vollkommen auch äh da verzerrt wird; also nich dem hohen Alter sondern wegen der wegen Aids; (1) natürlich versuch ich meine äh als konstruktives Element (.) Ratschläge bisschen zu geben, oder (.) mal was hin zu tun;

Klaus Wächter sieht sich aufgrund seiner politischen Analyse dazu befähigt, und eventuell sogar aufgerufen, mit seinem Wissen die politischen Vorgänge in Südafrika zu begleiten und zu evaluieren. Seine internationalen Vergleiche sozialpolitischer Situationen und sein Wunsch nach einer positiven Entwicklung in Südafrika führen zu imperativen Ratschlägen wie »Ihr müsst mal« und »das müsst ihr auch haben«. Deutlich wird hier ein widersprüchliches Zusammenspiel von Imperativ und Ratschlag, welches auf Herrn Wächters Ambivalenz bezüglich der Konstruktion des Anderen schließen lässt. Auf der einen Seite konstruiert Herr Wächter die Andere eindeutig und homogen, auf der anderen Seite verdeckt er diese Zuschreibungen durch eine positiv gesetzte Motivation des Helfens und Unterstützens. Seine Annahme, das ›richtige‹ Wissen zu haben, mündet in eine Art Missionierungspraxis. Von dieser erhabenen Position, einem Beobachterstatus aus, argumentiert Herr Wächter und begibt sich in eine paternalistische Haltung, die ihm schließlich auch als Bevormundung ausgelegt wird (Passage: Position als Weißer I): Wächter:

das ist bei mir heute genau dasselbe wenn ich irgendwas sage Leute passt mal beim Citycouncil mal n bissl auf (.) wollt ihr denn dass (ihr) genauso enden wie die ganzen anderen afrikanischen Großstädte die ich bereise; (1) dann äh wird man von vornherein nur nun mach ich das bisschen subtiler; //mhm// und nicht so äh ähm aber wenn man das so Quintessenz sagt (.) macht das mal n bissl langsamer halb lang hier; //mhm// denn das bringt ja nichts dass wir hier praktisch uns selber //ja// abschla- äh wird man eben sehr sehr schnell als Besitzstandswahrer (1) //mhm// für weiße Privilegien //mhm// eben äh bezeichnet. das ist wirklich also das lässt einen teilweise (.) äh frustriert es eigentlich; //ja// weiß nicht wo es herkommt und ich hatte eine sehr sehr gute Unterhaltung vor (.) wie lange ist es her zwei Wochen; (.) mit m weißen Freund; (.) und der sagte mir gucken sie auch ist es entwicklungsgeschichtlich n bisschen bedingt das Ganze, (1) ähm dass das eben die ähm (.) wie das ganze läuft dass man eben auch jetzt Minderwertigkeitskomplexe kompensieren muss und ähnliches das ist mir auch klar, (.) dass ich dass wir durch einen Prozess gehen,(1) wo (2) wo die Weißen jetzt mal (2) an die Kandarre genommen werden; //mhm// (2) aber (1) und das das sage ich mir sowieso sehr häufig weil es ist wirklich nicht einfach heute als Weißer, (.) trotz einer relativ guten materiellen Lage

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Die Einschätzung des eigenen Wissens als nicht nur ›richtig‹, sondern zudem als ›besser‹, führt in der Kombination und dem Wunsch nach Mitsprache zu einer unbefriedigenden Situation. Herr Wächter, überzeugt, etwas Gutes tun zu wollen, wird als »Besitzstandswahrer« bezeichnet, was ihn frustriert. Diese Bezeichnung führt er nun wiederum auf einen »Minderwertigkeitskomplex« zurück, welcher »entwicklungsgeschichtlich« bedingt sei. So wird die frustrierende Situation als solche nicht zu einem Moment der Infragestellung des eigenen Wissens und Handelns, sondern in dieser Neuinterpretation zu einem »Prozess«, welcher Herrn Wächter auch »klar« ist. Zu keinem Zeitpunkt werden somit die eigene Deutung und die Überlegenheitsposition des eigenen Wissens aufgegeben, vielmehr wird den Anderen Schuld an seiner misslichen Lage gegeben. Argumentativ baut Herr Wächter dies anhand des »Minderwertigkeitskomplexes« der Anderen aus und spricht ihnen damit implizit das Recht auf ihre Position ab, denn ein Minderwertigkeitskomplex impliziert eine irrationale, verklärte Sicht der Dinge. Von einer Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände ist dann zu sprechen, wenn die handelnden Personen ihr eigenes Wissen wenig erkennbar in Frage stellen und die eigenen Deutungs- und Interpretationsfähigkeiten nicht reflektiert werden. Die selbst angenommene Erhabenheit, welche aus einer solchen Nicht-Infragestellung und auch Immunisierung des Wissens entsteht, kann verschiedene Formen haben. Sie kann sich in der Beurteilung des Verhaltens der Anderen, einer deterministischen Einschätzung der Situation wie in der Überhöhung des eigenen Wissens zeigen. Die Sicherheit eigener Wissensbestände ist, wie sich zeigen ließ, nicht nur Teil eines eurozentristischen Weltbildes oder Folge formaler Lernprozesse, vielmehr entwickelt und manifestiert sie sich zumeist im Laufe informellen Lernens. Die Beschäftigung mit Politik und Wirtschaft, Reisen und Beobachtungen, Lebenserfahrung und der Austausch mit anderen Menschen formen nach und nach ein Wissen, welches sich im Laufe der Zeit zu einem immer standhafteren Wahrnehmungs-, Deutungs- und Interpretationsschemata entwickelt und in den Grundsätzen von den Akteuren nicht mehr angezweifelt wird. Dieses Wissen ist zumeist abstrakt und verallgemeinernd auf einer theoretischen Ebene des Verstehens angesiedelt, was auf der performativen Ebene des Handelns eine Abgrenzung zum Anderen ausdrückt. Dass sich im Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ nur Männer finden lassen, kann ein Anzeichen für einen geschlechtsspezifischen Umgang mit Unsicherheit und Unwissenheit sein. Zu vermuten wäre hier, dass es Männern leichter fällt (oder dass es ein typisch männlich sozialisiertes Verhalten ist), eigenes Wissen und Selbstsicherheit darzustellen. Womöglich spielt hier aber zusätzlich die Interviewsituation hinein, welche ebenfalls aus einer Genderperspektive interpretiert werden kann.2 2

Die Position des Erklärens und die Darstellung der Sicherheit eigenen Wissens und die Rolle des Erklärtbekommens und Verstehens dürfen durchaus kritisch als eine typische Rollenverteilung sowohl zwischen Mann und Frau als auch zwischen einer älteren und einer jüngeren Person gesehen werden, denn alle vier Interviewpartner

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6.2 Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens Der Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ zeichnet sich dadurch aus, dass in der Reflexion über das eigene Handeln in interkulturellen Situationen eine Sicherheit bezüglich der Methoden des Fremdverstehens dominiert. Nicht nur das Wissen über andere Menschen und Situationen, sondern auch die Art und Weise des Erlangens des Wissens bzw. des Zugangs zu einem anderen Milieu wird nicht hinterfragt. Die Praxis, also die Methode des Fremdverstehens des Zugangs und des Verstehens, ist für den Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ entweder selbstverständlich als biographische Orientierung oder gewohnheitsbedingtes Handeln und daher nicht reflektiert oder gleicht einer bewährten Methode, die nicht mehr in Frage gestellt wird. SEBASTIAN BACKE, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, hat in seinen Augen für sein berufliches Handeln den ›richtigen‹ Zugang gefunden. Seinem Wunsch entsprechend, die Lebenswelt der Einheimischen erzählen und damit auch erklären zu können, hat er mit der Zeit eine Methode entwickelt, um authentische Informationen zu erhalten. Sein eigenes Erkennen und Verstehen der Lebenswelt Anderer geht einer »vernünftigen Berichterstattung« voraus.

des Typs ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ sind etwa zehn Jahre älter als ich. So verweist etwa Kreutzer in seiner Studie zu hochqualifizierten transnationalen Migranten auf einen geschlechtsspezifischen Umgang in der Interviewsituation. Er thematisiert eine Rollenverteilung von »leader« und »follower«, welche nicht primär an Geschlecht gebunden ist, rekonstruiert dazu aber auch ein spezifisch ‚männliches‘ Verhalten, welches er mit dem Begriff »Männergeschichten« benennt. »Bei den Männergeschichten der leader steht [dagegen] das impression management und face saving im Vordergrund, geht es weit mehr wie in einem job-talk darum, sich von seiner besten Seite zu präsentieren und strategisch möglichst vorteilhaft zu positionieren« (ebd. 2006: 37). In der Ethnologie wird unter dem Begriff »research up« eine Veränderung des Forscher-Beforschten-Verhältnisses durch Erforschung von »oberschichtlichen Gruppen« diskutiert. Die Aufgabe einer Überlegenheitsposition (die in der Erforschung marginalisierter Gruppen thematisiert wird), Angst vor mangelnder Anerkennung als Wissenschaftler und eventuell zu erwartenden Plausibiliserungsforderungen und Verteidigung der Fachkompetenz, so die Überlegungen, könnten zu Unterwerfungsstrategien seitens der Forscher führen (vgl. Nader 1969, Warneken/Wittel 1997). Anerkennungsbedürfnisse, der Wunsch nach Harmonie und einem vertrauensvollen Umfeld tragen dazu bei, dass sich in einer Interviewsituation bestimmte Rollenverteilung ergeben, welche nicht intendiert sind und gesellschaftlich geprägten, verinnerlichten Normen entsprechen. Darunter kann sicherlich sowohl ein geschlechtsals auch generationenspezifischer Umgang der Vermittlung von (theoretischem) Wissen gesehen werden.

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Herr Backe ist überzeugt davon, dass er imstande ist, die Lebenswelt der Anderen sowohl zu verstehen als auch darstellen zu können, weil er sich gewisse Prinzipien zu eigen gemacht hat, die ihm helfen, Zugang zu einer ihm fremden Lebenswelt zu verschaffen (Passage: Aufgabe III): Backe:

weil wenn- solange ich nicht erkenne dass alle gleich sind würd ich nie irgendwie ne vernünftige Berichterstattung zu- zustande bekommen; ja, also so lange ich mit äh mit der Einstellung hingehe wenn ne afrikanische Mutter sieben Kinder hat dann mag- dann störts ja nicht wenn drei weg verhungern; und diese diese Einstellung gibt es bei bei sehr vielen Menschen;

Seine Grundhaltung der Anerkennung aller Menschen als gleichwertig sieht Herr Backe als notwendige Basis für seinen Zugang und für jegliche journalistische Arbeit. Er kritisiert Kollegen, welche dies nicht erkennen, und deutet an, dass seine Methode des Fremdverstehens insbesondere im Vergleich mit anderen Praxen einen hohen Wert hat (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

und man muss diese Unterschiede erkennen; immer auf der Basis dass alle gleich sind; ja, das hört sich @an wie ne Predigt@ aber das das is ne ne das ist n Erfolgsrezept dass man vernünftige Geschichten schreibt; mhm

Herr Backe ist davon überzeugt, die ›richtige‹ Herangehensweise gefunden zu haben, und lehnt andere Ansätze als falsch ab. Unbestimmt bleibt, wie die Praxis aussieht, von der sich Herr Backe abgrenzt. Dagegen exploriert er den positiven Horizont detailliert. Dass es sich bei seiner beruflichen Methode um eine deterministische Haltung handelt (»man muss«), wird Herrn Backe bewusst und er vergleicht seine Aussage mit einer »Predigt«, bleibt aber gleichwohl seiner Überzeugung treu. Herr Backe versteht unter einer »vernünftigen« Berichterstattung eine genaue Kenntnis des Lebensalltags Einheimischer, welche sich seiner Meinung nach nur über eine ganz bestimmte Herangehensweise erschließt, die mit einem hohen Anspruch an »Qualität« einhergeht. Ein Zugang zur Lebenswelt Einheimischer kann nach Ansicht Herrn Backes nur über vermittelte Kommunikation entstehen (s. Kap. 5.2), welche etwa durch Übersetzer gewährleistet werden soll (Passage: Berufliche Kontakte): Y: Backe: Y: Backe:

und der Kontakt zu diesem äh Mann? hab ich über über das ähm lokale Rote Kreuz in in Niger bekommen; //mhm// mhm die kannten den dann oder, nein ich hab gesagt ich will n (.) Übersetzer der wirklich hervorragend hausa spricht; (.) //mhm// und den zahl ich auch; und die haben mir das besorgt bis ich rein kam //ach ja gut// ja, und manchmal manche

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Leut- also die meiste Zeit ist es bisher wirklich sehr sehr gut gelaufen; (1) und manchmal läufts es es gibt gibt auch irgendwie Situationen wo das schlecht läuft; wo wo jemand äh irgendwie (1) äh wenn (.) wenn mir jemand ne Antwort von fünfzehn Minuten gibt; also wirklich viel erzählt; und dann sagt mir der Übersetzter zwei Sätze dazu ja, also der fasst das dann alles in in zwei nicht sagende Sätze zusammen; //mhm// (.) und da kann man aber gleichzeitig intervenieren wenn man merkt dass der das eher zusammenfasst; (.) und ich sag dann immer dass ich es wortwörtlich hören will; ich war auch im vergangenen Jahr in Ruanda wo diese Dorftribunale sind; wo die ehemaligen wo die wo die äh mutmaßlichen Mörder und Beteiligten am Völkermord schon seit sieben acht neun Jahren im Gefängnis sitzen und von der Dorfgemeinschaft gerichtet werden; //mhm// und ich sprech kein kenia-ruanda (1) und versteh kein Wort; und da hat ich n Übersetzer dabei (.) der hatte die Aufgabe wirklich Protokoll zu führen; der musste jedes Wort mitschreiben was während dieser Gerichtsverhandlung (1) ähm (1) gesagt wurde; //mhm// das war ein wahnsinnig anstrengender Job; der wurde sehr gut bezahlt dafür; @der hat sich auch gefreut darüber@ aber anders kann ich solche Geschichten nicht erzählen; ja, //mhm// denn was was nutzt mir das wenn ich vor ner Person m Tribunal sitze; drei Stunden lang und kein Wort verstehe, ja, //mhm// und im Nachhinein nachzufragen (.) das is nicht so spannend als wenn man wenn ich son Protokoll habe; //mhm// ja,

In dieser Passage berichtet Herr Backe von seiner beruflichen Praxis und dem Umgang mit Übersetzerinnen gleichermaßen. Dem Aspekt von Qualität und Qualitätskontrolle ist hier besondere Aufmerksamkeit gezollt. Qualität wird auch im Zusammenhang mit finanzieller Entlohnung thematisiert und eine Selbstverständlichkeit der Bezahlung hervorragender Leistung vermittelt. Den Einsatz von einheimischen Übersetzern sieht Herr Backe als eine erfolgsgarantierende Strategie, da sie ihm ermöglicht, auf der Basis ›authentischer‹ Berichte die Lebenswelt Einheimischer zu erfassen. Auch wenn Herr Backe sich in den Interviewsituationen mit Einheimischen eher defensiv darstellt, tritt seine bestimmte und von Richtigkeit überzeugte Haltung in diesem Abschnitt deutlich zu Tage. Herr Backe vermittelt ein Bild von sich, in dem es keinen Platz für eigene Fehler oder Missdeutungen gibt. Läuft ein Interview nicht nach seinen Erwartungen, etwa weil der Übersetzer entscheidet, welche Themen relevant sind und in »nicht sagenden Sätze« zusammenfasst, greift Herr Backe ohne zu zögern ein und äußert seinen Wunsch nach einer »wortwörtlichen« Übersetzung. Am Beispiel einer Gerichtsverhandlung, an der Herr Backe teilnahm und über die er berichten wollte, schildert Herr Backe seine Vorstellung von einer qualitativ guten Übersetzung und verweist auf die Notwendigkeit dieser Haltung. Es ist sein eigenes Unvermögen, die einheimischen Sprachen zu verstehen, welches die Notwendigkeit der Arbeit mit Übersetzerinnen mit sich bringt. Die Mühen einer solchen Übersetzung antizipiert Herr Backe und entlohnt seine Übersetzer dementsprechend.

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Dass er dies so sehr betont, verweist darauf, dass Herrn Backe davon ausgeht, seine Erwartungshaltung könne möglicherweise von mir als Interviewerin als übertrieben wahrgenommen werden. Der Verweis auf die hohe Bezahlung dient als Legitimierung einer Praxis. Damit zeigt sich hier sowohl die eigene Überzeugung, ›richtig‹ zu handeln, als auch eine Selbstverständlichkeit seiner beruflichen Interaktionen, welche auf monetäre Ausgleichszahlungen beruhen. Im Unterschied zum Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ problematisiert Herr Backe den Umgang mit Geld nicht, sondern sieht ihn als selbstverständlich und legitimiert an. Herrn Backes Methode des Zugangs zur Lebenswelt Einheimischer hat sich im Laufe der Zeit zu einer festen Strategie entwickelt, welche er nicht mehr aufgeben möchte, führt sie in seinen Augen doch zu den von ihm erwünschten Ergebnissen. Die eigene Herangehensweise wird somit in der Reflexion expliziert und entspringt keiner unbewussten Selbstverständlichkeit des Handelns, sie wird dabei aber nicht (mehr) in Frage gestellt. Die Arbeit mit Übersetzern ist so zu einer nicht mehr hinterfragten Methode des Fremdverstehens geworden. Eine Methode, welche Herr Backe erst mit der Zeit entwickelte, nachdem er bei einer Reise nach Äthiopien mit seiner bis dato praktizierten Herangehensweise scheiterte (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

ja, zum Beispiel ich bin dann nach Äthiopien gefahren und da da drohte wieder sone sone Hungersnot; //mhm// (.) und ich hab halt versucht mit Äthiopiern aufm Land Interviews zu führen; und (2) das ging halt nicht ja, also die die Leute reden nicht mit Fremden ja, //mhm// die haben immer Angst dass man wenn man weiß ist; und unbekannt ist; hat das was vielleicht mit der Regierung zu tun oder man steht man dann am nächsten Tag in der Zeitung und wird angeprangert; also die trauen sich einfach nicht da ist ein großes Misstrauen Fremden gegenüber; //mhm// und also das ist mir zumindest in Äthiopien so gegangen; und das ist halt schlecht wenn man tagelang unterwegs war und keinen einzigen Menschen wirklich zitieren kann; außer mit dem Satz ja wir haben halt Hunger und bring- bringt uns was; @(.)@ also damit kann man ja auch nicht nicht die großen Geschichten aus Äthiopien //mhm// erzählen;

Auf seiner Recherchereise in Äthiopien macht Herr Backe die Erfahrung, dass Einheimische nicht mit ihm sprechen möchten und er so seine Arbeit nicht zufrieden stellend machen kann. Herr Backe spricht hier nicht explizit davon, dass er eine falsche Methode zur Interviewführung gewählt hatte, werden doch eher die verschlossenen und misstrauischen Menschen für das Misslingen der Arbeit verantwortlich gemacht, aber dennoch zeigt sich hier, dass der Misserfolg seine bisherige Methode in Frage stellt. Ebenso wie im Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ (Kap. 6.1), führt auch bei Herrn Backe das Scheitern seiner Handlungsroutinen zu einer immunisierten neuen Handlungsstrategie. Im

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Unterschied zum Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ entwickelt Herr Backe jedoch eine neue und modifizierte Herangehensweise und manifestiert nicht seine bisherigen Routinen. Durch »Zufall« entwickelt Herr Backe schließlich seine jetzige Herangehensweise (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

ja, und gelernt hab ich das ähm (1) was heißt gelernt, ich hab ich bin nun mal in Kongo gefahren; und da kam ich eben auf diesen Dorfschullehrer; durch Zufall und dann hab ich gemerkt das funk- das funktioniert ja hervorragend; //mhm// (.) und seitdem wende ich das Prinzip immer an;

Zum Zeitpunkt seiner Reise nach »Kongo« musste Herr Backe bereit sein, sich auf eine neue Art der Interviewführung einzulassen, wenn ein zufälliger Kontakt mit einem »Dorfschullehrer« zu seinem neuen Ausgangspunkt der Methoden des Fremdverstehens werden kann. Sowohl in »Äthiopien« als auch in »Kongo« gab es Momente der Infragestellung des eigenen Handelns. Heute scheint dieser Lernprozess abgeschlossen zu sein, stellt Herr Backe seine jetzige Herangehensweise doch unmissverständlich als einzig sinnvolle dar. Die Frage bleibt, ob Herr Backe bei einem Interview zu einem Zeitpunkt zwischen den beiden oben geschilderten Reisen seine dort praktizierte Methode als vorläufig, unsicher oder möglicherweise falsch dargestellt hätte. Oder ob sich hier nicht offenbart, was Herr Wächter erwähnt hat (s. Kap. 6.1), nämlich dass jeder davon ausgeht, (zum gegebenen Zeitpunkt) eine Wahrheit zu haben und dass eine Veränderung der Handlungspraxis kaum unmittelbar als solche wahrgenommen wird, sondern erst retrospektiv ihre Relevanz erhält. Unklar bleibt auch, ob es sich bei einer solchen Selbstsicherheit eigenen Wissens und Handelns um eine Sicherheit praktischen Interagierens handelt oder vielmehr um die Darstellung einer solchen Sicherheit.3 Die Überzeugung, den ›richtigen‹ Zugang zum Verstehen einer Situation gefunden zu haben, lässt sich auch bei LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, finden. Herr Holmes ist vor allem damit beschäftigt, die ›Wahrheit‹ aus einer Masse von Informationen herauszufiltern, um Zusammenhänge erklären zu können. Dies ist seiner Meinung nach, ebenso wie bei Herrn Backe, nur mit einer bestimmten Methode des Fremdverstehens möglich. Auch Herr Holmes ist davon überzeugt, dass, neben einem existentiellen SichEinlassen (s. Kap. 5.2.2.1), nur die Arbeit mit so genannten »Fixern« eine wahrhaftige Berichterstattung garantiert. Ebenso wie Herr Backe sieht Herr Holmes seine externe Position, demonstriert durch seine weiße Hautfarbe, als Hindernis für einen direkten, unverfälschten Kontakt mit Einheimischen. Im Unterschied zu Herrn Backe sieht Herr

3

Die zudem möglicherweise als geschlechtsspezifisches Verhalten interpretiert werden könnte.

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Holmes aber nicht ein Misstrauen der Anderen als Behinderung der Kommunikation, sondern deren Unaufrichtigkeit (Passage: Position als weißer Europäer): Holmes:

Y:

Holmes:

Y: Holmes:

die Tatsache dass ich Weißer bin (1) ist manchmal hilfreich meistens aber hinderlich; äh (2) ich kann mich natürlich ohne Probleme mit Weißen über Afrika unterhalten; aber was was was soll das, //mhm// das sind ja wieder nur gefilterte Informationen //mhm// ich will Informationen von Afrikanern von Schwarzen; nur da ist halt meine Hautfarbe echt n Problem; ähm und wenns nur damit anfängt ich fall halt immer auf; //mhm// ich sitz in nem Minibus mit achtzehn Leuten; ja ich mein jeder dreht sich um was macht der Mzungu da hinten der Weiße warum fährt der nicht Minitaxi? hat der kein Geld? @(.)@ ähm (2) nein; äh um (.) wenn es darum geht (1) eine wahrhaftige Berichterstattung aus Afrika zu gewährleisten (.) sind wir weißen Journalisten eigentlich die falschen; und da müssen wir eigentlich schwarze nehmen; //mhm// (.) weil wir halt durch ja wir werden durch unsere Hautfarbe blockiert mit Sicherheit (6) vielleicht wird ja auch manchmal deswegen mehr erzählt wenn man sich mehr davon erhofft wie Sie das vorhin gesagt haben //((tiefes Ausatmen))// oder würden Sie das nicht so sehen? ((stöhnt)) nein Informationen die die Weißen (1) ähm gegeben werden sind halt immer orientierte Informationen; //mhm// äh es geht darum ähm den Weißen aufgrund seiner (1) seines Einflusses weil ein weißer Journalist hat natürlich Einfluss ähm zu orientiern das heißt zu manipulieren; //mhm// ähm in sofern (1) ich bin immer wieder ich hab ich hatte vorhin erwähnt dass ich (.) halt mit Fixern zusammen arbeite; häufig mit Fixern zusammenarbeite; und diese Fixer lokale Journalisten sind; //mhm// (1) ähm was ich sehr häufig mache wenn ich (.) wenn der Fixer mir irgendein Termin besorgt hat; bei nem Premierminister; bei nem Wirtschaftsminister; oder bei sonst irgendjemanden; (.) und ich dieses Interview mit dem beendet habe; (2) ich ich bitte den Fixer vorher immer bei dem Gespräch dabei zu sein aber nichts zu sagen; //mhm// sich zurückzuhalten; und nach dem Gespräch frag ich dann so (.) was hat der mir jetzt erzählt, stimmt das oder stimmt das nicht? aus deiner Sicht als lokaler Journalist //mhm// hat der mich wieder für dumm verkauft, ja oder nein? und so (1) kriegt man dann ungefähr sone Balance hin; //okay// da ist sehr sehr häufig also da da wird (wirklich) Unfug erzählt; also absoluter Unfug. und die Fixer sind schon verlässliche Quellen? da=s sind Leute die (.) werden im Grund von Journalist zu Journalist weitergereicht und äh ein guter Fixer ist Gold wert; //mhm// also die hält man sich auch warm; und die werden auch entsprechend gut bezahlt; //mhm// also hundertfünfzig bis zweihundert Dollar am Tag is äh normal; //mhm// //okay// mhm,

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Herr Holmes macht in dieser Passage deutlich, dass er die Grenzen seiner beruflichen Möglichkeiten in Bezug auf das Erfassen der Lebenswelt und der Erklärungen der Einheimischen, zumindest tendenziell, im Blick hat. Obwohl seine weiße Hautfarbe ihm manchmal behilflich sein kann, ist sie doch zumeist ein Hindernis, wenn er an nicht »gefilterte« Informationen gelangen will. Auf Informationen von »Weißen« möchte Herr Holmes sich nicht verlassen, da er sie als nicht authentisch wahrnimmt. Informationen von »Schwarzen« sieht Herr Holmes aber, aufgrund der Sichtbarkeit seiner europäischen Herkunft, als »orientierte« Informationen an. Die Unhintergehbarkeit seiner äußerlichen Erscheinung und der damit einhergehenden Exponiertheit empfindet Herr Holmes als »Problem«.4 Seine Hautfarbe, davon geht er aus, ruft bestimmte Erwartungshaltungen bei den Einheimischen hervor, sie unterstellen ihm etwas oder stellen Vermutungen über ihn an bzw. misstrauen ihm. Eine »wahrhaftige Berichterstattung« ist Herrn Holmes damit zunächst verwehrt. Seine Hautfarbe, so ist er sich sicher, schränkt ihn ein. Als Folge davon ist Herr Holmes der Meinung, »wir«, und damit sind vermutlich europäische Medien gemeint, müssten »Schwarze nehmen«. Obwohl Herr Holmes hier seine eigenen beruflichen Möglichkeiten als extrem eingeschränkt beschreibt, taucht diese Infragestellung des eigenen beruflichen Handelns im weiteren Verlauf seiner Ausführungen nicht mehr auf. Vielmehr beschreibt Herr Holmes, wie es ihm möglich wird, zu recherchieren und zu berichten. Die Erklärungstheorie über eine Zweckorientiertheit von »Schwarzen« untermauert seine Methode des Fremdverstehens als nicht nur sinnvoll, sondern als einzig mögliche. Über die Zusammenarbeit mit lokalen »Fixern« erreicht Herr Holmes eine Kontrollmöglichkeit über das von ihm als unaufrichtig erwartete Verhalten der Afrikanerinnen. »Fixer« erhalten von Herrn Holmes eine genaue Anweisung bezüglich der Beobachtung und Interpretation des Gesagten (»was hat der mir jetzt erzählt?«). Sie agieren als Kontrollmechanismen in einer Situation, in der Herr Holmes grundsätzlich davon ausgeht, dass nicht die Wahrheit gesagt wird (»hat der mich wieder für dumm verkauft«). Werden die Interviewpartner von Herrn Holmes hier generell als unaufrichtig dargestellt, zweifelt Herr Holmes an der aufrichtigen Zusammenarbeit mit Fixern keinesfalls. Sie sind im Gegenteil »Gold wert«, was entsprechend entlohnt wird. In Herrn Holmes Aussagen dokumentiert sich einerseits eine eindeutige Dichotomisierung von ›Wir‹ und ›Anderen‹, andererseits stellen »Fixer« Ausnahmen dieser Konstruktion dar. Während im Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ (Kap. 6.1) der Zugang zur Anderen verwehrt bleibt, gelingt hier eine Vermittlung über den »Fixer«.5

4 5

Zum Thema Visibilität s. auch Kap. 6.2.3. Der Begriff des »Fixers« ist für Nicht-Journalistinnen etwas irreführend. Es handelt sich hier um einen standardisierten Begriff aus dem Journalismus, welcher sich von »fixed appointments« ableitet. Aus einem gängigen Verständnis legt er eine Interpretation nahe, die eine Ambivalenz und Abhängigkeit andeutet. Dann müssten

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Auch BEATE MEIER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN SÜDAFRIKA, reflektiert ihr eigenes Handeln insoweit, als sie ihre Kenntnisse und Einschätzungen von Personen als einen Lernprozess darstellt, der abgeschlossen ist und nicht nochmals hinterfragt wird. Sie erlernt bestimmte »Schlüsselwörter« und entwickelt nach ihren Angaben eine »interkulturelle Kompetenz«, eine Fähigkeit, das Verhalten ihrer südafrikanischen Kollegen zu deuten und sich entsprechend des wahrgenommenen kulturellen Kontextes zu verhalten (Passage: Beruf): Y: Meier:

und und was haste da dann so also dis hast du dann da gelernt oder wie? ja eben lernen auf der einen Seite, (.) eben so learning by doing; also so bestimmte Sachen du bist halt schon so sensibilisiert vorher //mhm// aber jedes afrikanische Land ist ja anders und ähm und und da sind halt die Don´ts und Do´s halt auch anders; ne, //mhm// also das man da auch wirklich ganz andere je nach Land halt auch andere ähm (3) mit anderen Menschen zusammenkommt ist natürlich auch ganz anders ob du jetzt halt irgendwo im Dorf bist und mit Leuten im Dorf halt zu tun hast oder ob du mit Regierungsleuten zu tun hast die halt im Ausland studiert haben; und oder äh welchen High-Kaliber-NGO-Leuten die halt auch (..) studiert haben also oder unseren Kontext halt kennen die können natürlich auch sehr gut auf verschiedenen Ebenen arbeiten; //mhm// ne, (2)

Durch Vorbereitungskurse des Entwicklungshilfedienstes ist Frau Meier darauf »sensibilisiert«, Verhalten innerhalb eines kulturellen Kontexts zu interpretieren. So geht sie davon aus, dass es in jeder Gesellschaft erwünschtes und nicht erwünschtes Verhalten gibt (»Don’ts und Do’s«), welches man für eine gute Zusammenarbeit erlernen kann. Dieses feststehende Wissen bietet ihrer Interpretation von Verhalten eine Grundlage. Davon ausgehend relativiert sie jedoch generalisierende Aussagen und nimmt eine Differenzierung in Bezug auf die Interaktionspartner vor (»Regierungsleuten«), womit sie einer vollständig determinierenden Aussage entgeht. In Bezug auf ihr eigenes Verhalten und ihre Herangehensweise zeigt sich, dass Frau Meier darauf bedacht ist, eine gute Zusammenarbeit herzustellen, ihre eigene Methode des Zugangs reflektiert sie dabei jedoch wenig. Sie geht wie selbstverständlich davon aus, dass es nur einer klaren Ansage und einer Berücksichtigung kultureller Orientierungen bedarf, um etwaige Unstimmigkeiten zu beseitigen (Passage: Beruf): Meier:

ähm aber ich ich geh dann so den Weg dass ich dann schon auch sage dass es in unserer Kultur halt anders ist; also dass wir das halt nicht so machen °wollen°; //mhm// also dass wir halt schon schon irgendwie klarer ja klarere Ansage ne, //mhm// uns- unsere Strategie wäre; und dass

»Fixer« jedoch eher »Dealer« genannt werden, da sie an bestimmten Orten ansässig sind und die Korrespondenten mit Informationen versorgen.

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ich mir das auch wünsche in Zukunft; also gerade bei solchen Dingen find ich machts dann irgendwie auch einfacher; ne, //mhm// denk das ist immer son Lernprozess für beide Seiten dann auch; //ja//

In Frau Meiers Beschreibung des Umgangs mit einer Konfrontation lässt sich ihre Bereitschaft erkennen, über Kommunikation Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen und einen Austausch herzustellen. Dies unterscheidet sie deutlich von Herrn Backe oder Herrn Holmes, die beide nicht explizit von einer eigenen Lernbereitschaft sprechen, die nicht schon abgeschlossen wäre. In dieser Passage demonstriert sich jedoch kein Lernprozess in dem Sinne, dass Frau Meier ihr eigenes Wissen und Handeln im Rahmen eines Austausches in Frage stellt oder neu definiert. Das, was Frau Meier als »Lernprozess« beschreibt, scheint vielmehr auf der Matrix kultureller Unterschiede die Erkenntnis zu sein, dass die Andere, wenn sie handelt, in ihrer Kultur verhaftet bleibt. Diese Interpretation bezieht Frau Meier auch auf sich und ihre eigene kulturelle Gebundenheit (»unsere Kultur«). Was hier nun als nicht hinterfragte Methode des Fremdverstehens rekonstruiert wird, ist Frau Meier Grundannahme der ›richtigen‹ Herangehensweise an Konflikte. Sie ist überzeugt davon, die Situation richtig einzuschätzen, und ihr eigenes Handeln zeigt keine Verhaltensunsicherheit. Kommt es zu einem Konflikt, so sieht Frau Meier nicht ihr eigenes Handeln als falsch oder fragwürdig an, sondern den Konflikt auf der Ebene unterschiedlicher kultureller Perspektiven angesiedelt, welche kognitiv (etwa durch Kommunikation) zu lösen sind. Auch in privaten Situationen lässt sich eine Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens rekonstruieren. Der Zugang einer fremden Lebenswelt wird dabei als ein Weg gesehen, welcher ein ganz bestimmtes Verhalten erfordert. Die Art und Weise der Kontaktaufnahme stellt sich als ein selbstverständlicher Prozess dar, der teilweise expliziert werden kann. Dabei wird der Perspektive des Anderen wenig Rechnung getragen und auch die Wirkung des eigenen Verhaltens wird nur wenig erkennbar reflektiert. BORIS BÜHRER, ENTWICKLUNGSHELFER IN SÜDAFRIKA, hat, im Unterschied zu den Darstellungen anderer Interviewpartnerinnen (s. Kap. 5.2.1), wie er selbst sagt, keinerlei Probleme im freundschaftlichen Kontaktaufbau mit Einheimischen (Passage: Berufliches Aufgabenverständnis): Bührer:

Y: Bührer:

ich hatte nie den das große Probleme irgendwie Kontakt zu finden, (.) man muss es nur relativ aggressiv betreiben und irgendwann (.) klappt das auch. und wie wie aggressiv hast du das gemacht? also in welcher Form? ach ja man, (2) wenn dann (.) da is irgendwo vielleicht (.) Hauseinweihungsfete oder so, geht man da relativ offensiv hin. (.) setzt sich zu den Leuten un spricht die an, (.) macht seine Späße und mit den Kollegen macht man seine Späße oder. weiß auch nich also (.) ruft die an, (.) un sagt hier komm heute Abend gehn wir mal da hin oder so, (.) oder lädt

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Y: Bührer:

die auch selber ein, auch Sven glaub ich nicht dass der große Probleme hat, //mhm// (.) ähm (.) wenn der ne Party bei sich macht kannst du von ausgehen (.) da sin sechzig siebzig Prozent schwarz //mhm//, mehr wahrscheinlich. (.) und die komm da alle hin und das is kein is bei denen in der Regel nich n Höflichkeitsbesuch sondern, der passt sich dann halt eben auch an, da gibst dann halt auch Papp und er spielt dann halt auch Musik (.) die die Leute gerne hören, un eben nich sein Zeuch, versucht eben nich (.) sein Ding aufzudrücken sondern (.) überlegt sich ja wie (.) was macht meinen Gästen Spaß und dann macht der das einfach. und ich find man muss mit Leuten einfach offen und herzlich umgehen und dann geht das, und n paar Sachen auch einfach annehmen. //mhm// zum Beispiel? ja nen paar Begrüßungsfloskeln lernen, (.) äh (.) nich so distanziert sein, nich von oben runter sein und nich so irgendwie (.) weiß auch nich. Und d- nbisschen (.) selbstironisch sein bisschen über sich und die anderen lustig machen, das hilft in der Regel auch, hab ich zumindest die Erfahrung gemacht, (.) und äh (.) ja einfach behandeln wie jeden andern auch, (.) un:n weiß auch nich ich versteh nicht warums andere Leute warum n anderen Leuten es so schwer fällt. //mhm// aber ich (.) wie gesagt ich hab gehört in Pretoria ist das auch was anderes. hier fällt einem das prinzipiell leichter //mhm// und wenn man mal zwei drei schwarze Freunde hat dann is dat wie nen Schneeballeffekt, //mhm// dann gehst du mal zu denen, die ham andere Freunde, die lernt man dann kennen, die merkt man is ein ganz normaler Mensch und man kommt sowieso aus Deutschland, dann ist das wieder ne andere Sache als wenn man Südafrikaner is, das muss man natürlich dazusagen, (.) //mhm// weil da gibts natürlich klar nach wie vor noch die entsprechenden (.) ähm Vorurteile, (.) oft zu Recht //mhm// ähm (2) un als Deutscher hast du das Problem eigentlich nich. Man kannst das eben ganz gut umgehen indem man schaut dass man eins zwei Freunde hat und sich (.) vorstellen lässt und dann sich eben dann da (.) einnistet.

Herr Bührer sieht den Kontaktaufbau mit Einheimischen in Südafrika als unproblematisch an, da er, seiner Meinung und Erfahrung nach, über geeignete Methoden des Fremdverstehens verfügt, Methoden, Menschen kennen zu lernen und mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Seine Handlungspraxis des Kennenlernens verläuft nach Gewohnheitsmustern und ist ihm reflexiv nicht zugänglich (»keine Ahnung«). Im Zuge von Situationsbeschreibungen wird sie jedoch rekonstruierbar. Obwohl im Laufe der Sequenz deutlich wird, dass Herr Bührer ganz bestimmte Verhaltensformen praktiziert, handelt es sich bei ihm jedoch weit weniger, als etwa bei Herrn Backe, um eine gezielte Strategie, welche er sich durch Reflexion, Versuch und Irrtum oder aufgrund spezifischer Vorbereitungsmaßnahmen angeeignet hat.

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Die Kontaktaufnahme läuft für Herrn Bührer über eine mimetische Annäherung bestimmten Verhaltens, ein Eingehen auf die Bedürfnisse Anderer und eine konsequente Verfolgung seines Wunsches, Bekanntschaften zu schließen. Herrn Bührers Verhalten zeichnet sich dadurch aus, dass er einen sehr guten Zugang zu der Alltagswelt der einheimischen Bevölkerung hat, Details über deren Aktivitäten kennt und diese zudem noch mit ihnen teilt (etwa gemeinsames Tanzen und Essen). Er geht auf Leute zu, ruft sie an und macht »Späße« mit ihnen. In Herrn Bührers Beschreibungen fällt auf, dass es keinen Moment der Verunsicherung des eigenen Verhaltens oder ein Befremden gibt und auch die Reaktionen der Anderen kaum auftauchen. Herr Bührer ist wenig sensibel für ein eigenes Nicht-Wissen oder NichtKönnen. Er ist davon überzeugt, das ›Richtige‹ zu tun (»man muss es nur«, »geht man«, man muss mit Leuten einfach offen und herzlich umgehen«). Der Erfolg seines Handelns wird von Herrn Bührer durch die Beschreibung von Festen bei seinem Chef »Sven« und seiner eigenen »Erfahrung« unterstützt. Die Nicht-Infragestellung seiner eigenen Methoden des Fremdverstehens kann zum einen damit zu tun haben, dass Boris Bührer sich durch seine bewusst lockere und als unkompliziert dargestellte Art nicht in Situationen wiederfindet, die ihn verunsichern oder Fremdheit hervorrufen. Zum anderen kann aber auch von einer Verweigerung von Fremdheit ausgegangen werden, einem NichtZulassen des Befremdens. Seine strategischen Überlegungen, die vor allem in der Nacheiferung seines Chefs Sven bestehen, legen nahe, dass sein »aggressives Betreiben« der Kontaktherstellung für die Feinheiten des Befremdens keinen Platz lassen. Da wo Späße, Anpassung im Bereich Musik und Essen, Selbstironie sowie die Abgrenzung zu anderen Weißen (Südafrikanerinnen) und die Taktik: »einfach behandeln wie jeden anderen auch« helfen, sich wo »einzunisten«, ist Vorantasten, Ausprobieren und Scheitern nicht vorgesehen. Schildert Herr Bührer seine Praxis des Umgangs mit Einheimischen hauptsächlich aus der Perspektive des erfolgreich geglückten Kontaktaufbaus und machte darin deutlich, wie er unbewusst bestimmte Praktiken nachahmt und verfolgt, lässt sich bei KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, eine symbolisch geprägte Strategie interkulturellen Handelns finden. Herr Wächter reflektiert seinen Umgang mit schwarzen Südafrikanern als eine Praxis zum Abbau von Vorurteilen. Das Grüßen von schwarzen Menschen wird für Herrn Wächter zu einer Methode des Kontaktaufbaus und einer Demonstration von Interesse (Passage: Position als Weißer III): Wächter:

ich äh grüße fast jeden Schwarzen auch hier; also ich grüße sowieso sehr sehr gern Menschen also ganz anders als in Deutschland wo man ja (.) einfach nur angeguckt wird wenn man mal jemanden ähm jenseits der (.) des Freundeskreis grüßt; hier ist es n Bedürfnis weil (.) viele Schwarze merken sehen einen jetzt und d- und fühlen dann wenn man einfach vorbei geht auch der hat mich wieder ignoriert; (.) und dieses Anerkennen

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allein //mhm// dieser der Person; ich geh auch sehr ich unterhalt mich sehr gern mit schwarzen äh äh Kellnern oder sonst wie einfach um die auch n bisschen zu zu entspannen; einfach am Tisch weil äh für die ist es kulturell ne ganz andere Welt wenn die an n Tisch kommen; die kennen aus ihrer Townshiphütte überhaupt nicht solchen Hintergrund; //mhm// wo sie da ins Restaurant reinkommen und ich bin mir dessen eigentlich sehr bewusst wenn ich in Gesellschaft (.) ähm bin; (.) was ich und das macht mir auch totalen Spaß;

In Herrn Wächters Aussagen dokumentiert sich, wie er das eigene Handeln reflektiert, in seiner Konsequenz und Begründung aber nicht in Frage stellt. Sein »Bedürfnis«, zu grüßen, beschreibt Herr Wächter als Reaktion auf von ihm vermutete Überlegungen von Schwarzen. Er grüßt, um anzuerkennen und »zu entspannen«, und gleichzeitig macht ihm dieses Handeln Spaß. Ersichtlich wird, dass Herr Wächter davon ausgeht, mit dem Grüßen eine Methode zu haben, welche für die Situation der interkulturellen Begegnung zwischen ihm als Weißem und etwa einem »schwarzen Kellner«, angemessen ist. Herr Wächter ist sich seiner Position »sehr bewusst«, reflektiert sein Handeln dementsprechend und entwickelt eine bestimmte Methode des Kontaktaufbaus. Eine Reflexion über die eigene Position, so zeigt sich hier, beinhaltet nicht zwangsläufig eine (kritische) Reflexion des eigenen Handelns. Denn hier geht es nicht um die Perspektive des Anderen, sondern um eigene Bedürfnisse. RALF DONNER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA, reflektiert konträr dazu zwar sein Handeln kritisch, geht aber dennoch davon aus, grundsätzlich zu wissen, wie ein Kontakt zu Einheimischen ablaufen kann (Passage: Agression): Donner:

Probleme? Ich hab auch ne aggressive Seite. Und die wurde mir bei meiner Reise da im Tschad bisschen zum Verhängnis; da gabs ein Streit, den ich vom Zaun gebrochen hab, und da hat mir einer (1) so son Schraubenschlüssel übern Kopf geschlagen und das sah dann ziemlich schlimm aus, war am Schluß nicht so schlimm, aber das war in der Wüste, weit weg von irgendeinem Arzt, (1) also diese aggressive Seite unter Kontrolle zu halten und dosiert einzusetzen, also hier in Kenia kann man als Weißer mal auf den Tisch klopfen, und laut werden; ah //mmh// man muss sich man muss sich sehr gut überlegen mit wem; //mmh// man kann das mit einem Kind, man kann das mit einem Jugendlichen, aber mit einem älteren Herrn, hat man je nachdem Probleme. //mmh//

Herr Donner äußert sich hier selbstreflektiert und selbstkritisch bezüglich seiner unkontrollierten Art, mit eigenen Aggressionen umzugehen. Er ist sich im Klaren darüber, dass sein Verhalten nicht immer das ›richtige‹ ist und er sich bemühen muss, »diese aggressive Seite unter Kontrolle zu halten«. Interessanterweise lässt sich hier die Infragestellung des eigenen Handelns finden und gleichzeitig eine Erklärung über den ›richtigen‹ Umgang mit Aggression in verschiedenen

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afrikanischen Ländern. Trotz des Wissens, nicht immer adäquat zu handeln und mit seinem Verhalten Schwierigkeiten zu verursachen, verweist Herr Donner unmittelbar auf bestimmte Kontexte (»man kann das mit einem Kind«), wo dieses Verhalten angebracht wäre. Auch hier kann also von einer NichtInfragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens gesprochen werden, denn selbst in der expliziten Infragestellung des eigenen Handelns wird die eigene Herangehensweise im Grunde nicht hinterfragt oder angezweifelt, sondern kontextspezifisch eingeordnet. Die Reflexion über die eigene Handlungspraxis, so zeigte sich im Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹, geht nicht unmittelbar mit einer kritischen Betrachtung, Relativierung oder Einschränkung der Methoden des Fremdverstehens einher. Reflektieren über eigenes Handeln bringt nicht zwangsläufig eine Distanz mit sich, welche ein Abwägen alternativer Handlungsoptionen ermöglichen könnte. Vielmehr wird eigenes Handeln in diesem Typ erklärt, bestätigt und gerechtfertigt. Die Überzeugung, eine gute und ›richtige‹ Methode zu haben, um sich Fremdes zu erschließen, geht einher mit einem Erfolgsgefühl. Herr Backe etwa macht die Erfahrung, nun, da er eine bestimmte Methode der Recherche anwendet, das zu bekommen, was ihm wichtig ist. Die Sicherheit, eine geeignete Methode des Fremdverstehens zu haben, hängt zudem eng mit einem bestimmten Verständnis von Welt zusammen, mit der Interpretation der Situation, in der sich die Person befindet. Wird die Begegnung zwischen Afrikanerinnen und Europäerinnen beispielsweise als Begegnung zweier Kulturen gesehen, ist ein bestimmtes Verständnis von Kultur Ausgangsbasis der Interaktion. Wird sie dagegen eher als eine Begegnung innerhalb einer Machtasymmetrie wahrgenommen und werden damit gewisse Haltungen assoziiert, geht es darum, dies zu erkennen. In beruflichen Situationen schafft die NichtInfragestellung und Immunisierung eigener Methoden des Fremdverstehens Sicherheit im Handeln und kann verunsichernde Faktoren reduzieren. Eine NichtInfragestellung des eigenen interkulturellen Handelns muss hier auch im Kontext der Befragung der Personen gesehen werden. Die interviewten Personen wurden von mir in ihrer beruflichen Position angesprochen und somit erhält das Interview auch einen Rahmen beruflicher Verortung und Darstellung, welcher aus Gründen der Selbstdarstellung und Professionalität eher wenig Platz für Unsicherheiten gewährt. Methoden des Fremdverstehens, so ließ sich zeigen, folgen sowohl bewussten als auch unbewussten Strategien. Im Fall von Herrn Backe zeigt sich, wie ein bestimmtes Vorgehen zu einem »Prinzip« wird, wohingegen Herr Bührer zwar auch gezielt und daher auch strategisch handelt, dies aber keiner bewussten Planung unterliegt. Das »aggressive« Sich-an-den-Fremden-Annähern ereignet sich innerhalb eines unreflektierten Verhaltens des Vorantreibens eigener Bedürfnisse und der Imitation. In der Annahme, ein ›richtiges‹ Verhalten zu haben, lassen sich implizite Annahmen über die Andere finden.

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Die eigene Methode der Annäherung an den Fremden wird auch evaluiert durch eine angenommene Perspektive der Anderen oder durch erfahrene Reaktionen der Anderen6 auf das eigene Verhalten. Die Intention zu grüßen und die Unterdrückung oder dosierte Anwendung von Aggression findet ihre Fundierung in der Wahrnehmung der Anderen. Die Reflexion eigenen Handelns ist damit weniger Selbstreflexion im Sinne der Selbstbetrachtung, als Betrachten des Handelns innerhalb einer spezifischen Situation mit spezifischen Menschen und wird als solches bewertet und eingeordnet. Sich selbst sehen die Personen als Experten in der Konfrontation mit der Anderen und einer gestörten Handlungsroutine. Die Konstruktionen zwischen ›Wir‹ und ›Anderen‹ verlaufen dabei mit differenten Konnotationen. Die Störung der Handlungsroutine wird durch eine Lernbereitschaft und Modifikation des Handelns verarbeitet, wobei die Andere teils negativ, teils als zu explorierende Fremde eingeordnet wird.

6.3 Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden des Fremdverstehens Das eigene Können in einer interkulturellen Begegnung einzuschränken und als möglicherweise fehlerhaft anzusehen, bezeichnet ein ›Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden‹. Im Kontrast zu einer ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ wird in diesem Typ die eigene Handlungspraxis selbstkritisch betrachtet, angezweifelt und teilweise in Frage gestellt. Das eigene Handeln kann so zu einem Prozess des Ausprobierens werden. Grundsätzlich lässt sich eine Bereitschaft finden, Neues zu lernen und eigene Grenzen anzuerkennen. HANNA KATOSCHEK, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, konstatiert, dass sie eventuell nicht eine geeignete Methode gefunden hat, um Kontakt mit Anderen aufzubauen (Passage: Private Kontakte): Katoschek:

6

ja aber was ich vermisse was ich nie geschafft habe ist eher so Kontakt zu nicht deutschen Ausländern zu bekommen; //mhm// ich weiß nicht obs an mir liegt oder, aber ich glaube die Lea kennt auch nicht viele; //mhm// das find ich sehr schwierig dafür ist es wieder wieder zu groß irgendwie; //ja// da so die Holländer und Dänen keine Ahnung wo die sind @ja@, //@(.)@// @also das ist mir bisher nicht wirklich gelungen@ in der Laufgruppe sind Holländer und Schweden //mhm// ja; über die vielleicht, aber das ist jetz eh zu spät; (2) gut dann brauch man vielleicht ein außergewöhnliches Hobby um die Leute kennen zu lernen; //mhm// das ist glaub ich eher son Persönlichkeitsgeschichte; also manche gehen in

Nach Meads Interaktionsmodell (1968) ist die Reaktion des Anderen auf das eigene Handeln konstitutiv für die Entwicklung eines Selbst. Auf der Grundlage der Handlung und der Reaktion Anderer setzt, so Mead, ein Reflexionsprozess ein, der zu einem Erfahrungszuwachs wird (vgl. Mead 1968: 194 ff.).

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den Chor die anderen reiten es gibt ja schon- man kann ja alles machen hier in Nairobi; //ja// Fitness ist halt- ich geh halt ins Fitness ist ne anonyme Sache; //mhm// da kommen die Leute hin und gehen wieder; das ist wie in Deutschland auch ja, //ja// (5) also das fand ich nicht so leicht ich hab mir das einfacher vorgestellt;

Frau Katoschek beklagt einen mangelnden Kontakt zu anderen »Ausländern«, etwa »Holländern« oder »Dänen«, und setzt dieses Empfinden in Relation zu ihrem eigenen Engagement bezüglich Freundschaften. In diesen Überlegungen zeigt sich eine Sensibilität für ein eigenes Nicht-Können. Frau Katoschek zweifelt an ihrem Handeln (»was ich nie geschafft habe«), stellt sich dabei selbst in Frage (»ich weiß nicht obs an mir liegt«) und versucht Erklärungen für einen mangelnden Kontakt zu finden (»zu groß« oder »Fitness is ne anonyme Sache«). Zudem bezieht sie alternative Handlungsstrategien in ihre Reflexion mit ein (»dann brauch man vielleicht ein außergewöhnliches Hobby«). Letztlich relativiert Hanna Katoschek ihre Selbstkritik, indem sie einen Vergleich zu Deutschland zieht und ihre berufliche Position als Mitursache für den geringen Kontakt zu Einheimischen benennt. Insgesamt ist diese Passage aber davon gezeichnet, dass Frau Katoschek die Ursachen ihrer geringen Kontakte außerhalb der deutschen Expat-Community bei sich selbst sucht und damit ihr eigenes Handeln als ungenügend wahrnimmt (»also das ist mir wirklich nicht gelungen«). Sie macht zudem deutlich, dass sich zwischen ihrer Handlungspraxis und ihrem Erwartungshorizont ein Gegensatz entwickelt hat (»hab mir das einfacher vorgestellt«). Auch in einer anderen Passage lässt sich Frau Katoscheks Wissen um die Fehlbarkeit ihrer Methoden des Fremdverstehens rekonstruieren (Passage: Beziehung): Katoschek:

ich möchte keine interk- interkulturelle Ehe ich möchte keine Beziehung zum Kenianer; //mhm// aber das wusste ich vorher nicht; ja, das hat sich eher so ergeben; ich hatte //wodurch?// ich hatte Beziehungen zu (1) zu Kenianern auch auch auch zu einem Haitianer; //mhm// damals hab ich noch nicht gedacht dass ich das für mich ausschließen möchte oder so; warum auch ja, also (1) aber mittlerweile weiß ich das ich das nicht möchte das ist mir ich kann diesen kulturellen Gap nicht überbrücken; ich ich wills einfach auch nicht; //mhm// und die leben anders leben; ich bin unterschiedlich also wir sind einfach sehr unterschiedlich //mhm//

Frau Katoschek ist sich bei der Wahl ihres Liebespartners, zumindest negativ ausschließend, sicher. Jedoch betont sie, dass es sich dabei nicht um ein Um-zuMotiv handelt, sondern dies sich vielmehr nicht-intentional entwickelt und verändert habe (»damals hab ich noch nicht gedacht«). Die Wahrnehmung einer Fremdheit, die Frau Katoschek als nicht zu überwinden empfindet, führt dazu, keine Partnerschaft mit einem Einheimischen haben zu wollen.

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Der »kulturelle Gap« ist aber nicht etwas, was an sich existiert und was Frau Katoschek nur benennt, vielmehr spielt der relationale Aspekt dieser Wahrnehmung in Frau Katoscheks Aussagen hinein. Ihre Argumentation basiert primär darauf, dass sie nicht imstande war, eine Brücke zu den Anderen zu bauen (»ich kann diesen kulturellen Gap nicht überbrücken«). Hier taucht neben der vorsichtigen Haltung und Thematisierung des eigenen Nicht-Könnens auch eine Selbstreflexion auf, die ein eigenes Nicht-Wollen mit einbezieht (Passage: Beziehung): Katoschek:

aber von mir von der Persönlichkeit her ist mir ich hab wenige Freunde aber dann sehr intensiv; //mhm// und das das das kann ich mit hab ich nicht geschafft bisher mit Kenianern //mhm// aufzubauen oder mit Haitianern; oder //ja// das bleibt oft auf nem Level der mir auf Dauer für ne tiefe Freundschaft nicht reicht; //ja// und damit mein ich halt besonders ne Beziehung klar; //ja//

Frau Katoschek verdeutlicht durch eine Theorie des eigenen Selbst, welche Maßstäbe sie an eine Freundschaft legt und wie diese die Beziehungen zu Einheimischen scheitern lassen. Der Bruch mit der eigenen Handlungsroutine führt an dieser Stelle zu einer Reflexion, die das eigene Handeln in einem interkulturellen Kontakt kritisch in Betracht nimmt und es schafft, eigene Ansprüche und gemachte Erfahrung abzuwägen. Wiederum thematisiert Frau Katoschek ihr eigenes Nicht-Können, als sie den Satz »das kann ich mit« abbricht und mit »hab ich nicht geschafft« fortführt. Auch in beruflichen Situationen reflektiert Frau Katoschek ihr eigenes Handeln mit einer Sensibilität für die Fehlbarkeit eigener Methoden (Passage: Ankommen): Katoschek:

also man hat oft das Gefühl also man selbst macht puscht einfach zu viel oder muss puschen schon eigentlich haben viele (1) lokale also Partnerorganisationen gar nicht Lust was zu verändern; //mhm// das ist eher so unser Wunsch oft ja, °die haben wenig° viele haben wenig Interesse an der Sache,

Hanna Katoschek reflektiert ihre eigene Haltung als Entwicklungshelferin kritisch, entspricht das »Puschen« doch nicht dem Bild einer Zusammenarbeit, sondern ist vielmehr einem Wunsch, etwas erfolgreich zustande zu bringen, geschuldet und entspringt eigener Bedürfnisse und Prämissen. Frau Katoschek hat bei ihrer Bewertung des Verhaltens der »lokalen Partnerorganisationen« ihre eigene Position kritisch im Blick. Sie spricht davon, zu viel zu motivieren oder zu bestimmen (»puschen«) und thematisiert ihr Empfinden (»das ist mir halt fremd«) bzw. äußert ihre Vorstellung von Arbeit in Bezug zu ihrer Person (Passage: Berufliche Kontakte):

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Katoschek:

wenn denn wenn denn wir da anfangen das Programm selbst zu stricken und so dann ist es natürlich nicht gut ja, //ja//weil man das einfach nicht aushält weil da nichts passiert

Das erfolgreiche Entwickeln und Durchführen eines »Programms«, so wird in dieser kurzen Passage deutlich, ist getragen durch ein bestimmtes, effizienzorientiertes Bild, welches weniger den Interessen der Einheimischen als den der mitarbeitenden Entwicklungshelferinnen entspricht. Frau Katoschek hinterfragt diese, auch ihre eigene Praxis und macht klar, dass sie die Methode des ›SelbstStrickens‹ und »Puschens« für inadäquat hält. Gleichzeitig sind in dieser Konstruktion zwischen ›Ich‹ und ›Anderen‹ die Anderen (mit-)verantwortlich für ihr Empfinden, »weil da nichts passiert«. Das Erleben und die Konstruktion der Anderen als nicht-gewillten oder desinteressierten Fremden führt Frau Katoschek in einen Konflikt, der so weit geht, dass sie ihre (Zusammen-) Arbeit komplett in Frage stellt (Passage: Ankommen): Katoschek:

gut da muss man dann sagen geht man da weg, //ja// warum macht man dann da weiter

Mit der Erfahrung, dass sich die Praxis ihrer Tätigkeit nicht mit den Vorstellung des Entwicklungshilfedienstes deckt und ihr eigenes Handeln aus dieser Perspektive, zwar für sie als ›richtig‹, innerhalb des Kontextes jedoch als ›falsch‹ angesehen werden muss, hinterfragt Frau Katoschek nicht nur ihr eigenes Handeln, sondern insgesamt ihre Aufgabe als Entwicklungshelferin. Deutlich wird, dass Frau Katoschek durch die Konfrontation mit unterschiedlichen Ansichten und Verhaltensweisen über ihre eigene Bedürfnisse reflektiert und ihre Einschätzung des Verhaltens Anderer innerhalb ihrer eigenen Deutungsund Interpretationsmuster wahrnimmt (Passage: Ankommen): Katoschek:

also dies- das ist mir halt fremd dass man aus der aus ner guten und erfolgreichen Arbeit was ziehen kann; //mhm// das geht uns also mir oft so dass ich halt natürlich bin ich auch abgesichert klar ich hab ein gutes Gehalt ein gutes Paket; //mhm// also mir fehlt es an nichts ja, (2) a- ich ich zieh aber eigentlich meine Befriedigung (also jetzt) arbeitsmäßig auch daraus dass ich denke ich mach was Gutes oder ich ich helfe Leuten weiter, oder ich hab ein gutes Projekt gemanagt oder ich hab irgendein Interesse dass da was passiert; //ja// und das fehlt mir oft bei Leuten sobald die daraus keinen persönlichen Vorteil sehen; //mhm// ähm ist es nicht spannend genug (.) und das ist mir einfach fremd;

Auch Frau Katoschek schreibt den Anderen hier etwas zu und interpretiert deren Verhalten aus ihrer Perspektive, ähnlich wie sich dies im Kapitel 6.1 und 6.2 finden lässt. Im Unterschied dazu reflektiert sie aber ihre eigene Perspektivgebundenheit und setzt mit der Aussage »das ist mir einfach fremd« das Verhalten der

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Anderen in Relation zu ihren eigenen Erwartungen, womit sich ihre Konstruktion des ›Fremden‹ deutlich von Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ (Kap. 6.1) und von Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.2) unterscheidet. Frau Katoschek hat sowohl ihre ökonomische Position im Auge als auch die Grenzen ihres Verständnisses. Hier »fehlt« es nicht den Anderen, sondern ihr selbst an etwas, nämlich an einem gemeinsam geteilten Verständnis von Arbeit (»das fehlt mit oft«). Auch in Frau Katoscheks Einschätzung ihrer beruflichen Motivation verdeutlicht sich, mit welcher Vorsicht sie argumentiert (»ich denk ich mach was Gutes«). MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, erinnert sich daran, dass sie in der Begegnung mit Fremden implizite Erwartungen hatte, welche zu einer Frustration führten, und bewertet diese Haltung retrospektiv als »falsch« (Passage: Private Kontakte): Stettler:

ja, und dann ist natürlich schon auch so das ähm (3) mer, also ich bin sicher über die Jahre hinweg; also wenn ich jetzt denk ganz am Anfang, so wie ich angefangen hab zum arbeiten, man wird schon auch sehr desillusioniert. Ja, //mmh// vor allem als Hilfsarbeiter, //ja// glaub ich. Das ma am Anfang vielleicht noch eher so den Enthusiasmus hat ja wenn man irgendwo hinkommt äh werden eim alle die Füße küssen weil mer ja die Hilfe bringt und ewig dankbar sein, und man hat eigentlich auch also sehr egoistische äh Bedürfnisse irgendwieso, dass eim die anderen die ganze Zeit Danke sagen und weiß ich ja, //mmh// was eigentlich sehr (1) äh sehr (1) falsch ist. //mmh//ja, weil wenn man Entwicklungshilfe macht, dann soll man das ja nicht wegen sich selber machen, sondern eben (2) wegen den Anderen; ja, //mmh// und weil diese Sachen auch oft nicht so wirklich gut überlegt sind sind die halt dann auch nicht wirklich dankbar, //mmh// weil es einfach n Blödsinn ist was da teilweise gemacht wird ja, und dann ist natürlich so der Frust ja also wenn man dann irgendwas Tolles liefert, oder ich weiß nicht was ja, und dann sieht dass es die ganzen Hilfsgüter @am Markt verkauft@ werden oder so, das ist dann @total frustig ja,@ //ja// und dann (2) is es schon eine sehr große Herausforderung so an an einen selber so ja okay wie geht man jetzt damit um? Nimmt man des jetzt persönlich? //mmh// (2) oder versucht man den anderen zu verstehen? Warum macht der das ja? Und das ist so (1) teilweise kann ma sich da abkoppeln davon indem man das nicht persönlich nimmt und sagt, okay das ist ein Fehler im System, das Projekt ist falsch überlegt worden, die Hilfe ist falsch überlegt worden, die Leute sind in Wirklichkeit ganz anders, das ist nicht berücksichtigt worden, und so weiter und so fort; das geht so lange das im Professionellen ist, aber im Privaten äh (3) trifft einen das sehr.

Frau Stettler berichtet hier von ihren ersten Erfahrungen innerhalb eines Entwicklungshilfedienstes und reflektiert ihr damaliges Verhalten. Auch wenn es

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sich dabei um eine Beschreibung aus einer länger zurückliegenden Zeit handelt und Frau Stettler klar macht, dass sich diese Erwartungshaltung verändert hat, fällt auf, dass Frau Stettler in der Passage immer wieder auch im Präsens formuliert. Daraus lässt sich schließen, dass es sich hier nicht um einen völlig abgeschlossenen Prozess handelt (»das ist dann @total frustig ja,@«, »Und das ist so«). Die Infragestellung des eigenen Handelns und der eigenen Erwartungshaltung scheint noch immer für Frau Stettler relevant zu sein. Ihr eigenes Handeln schildert sie als »egoistische Bedürfnisse«, die nicht einem Entwicklungshilfegedanken zuträglich sind. Ihre erlebte Frustration versucht Frau Stettler durch die Reflexion der Situation, ihrer eigenen Bedürfnisse und des Verhaltens der Anderen zu erklären. Neben Enttäuschungen wie dem Verkauf von Hilfsgütern durch Einheimische auf dem lokalen Markt und ihren eigenen unreflektierten Erwartungshaltungen sieht Frau Stettler auch in mancher Konzeption von Hilfsprojekten den Grund für entstehende Unzufriedenheiten. Hier wird, insbesondere im Vergleich mit dem Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.2), deutlich, dass die Reflexion mehrdimensional angelegt ist und sie die Fehlbarkeit des eigenen Handelns mit im Blick hat. Für Miriam Stettler ist es nicht selbstverständlich, wie sie mit der Situation umgeht, die sie frustriert, und so stellt sie sich Fragen. In den Fragen dokumentiert sich sowohl die Abwägung eigener Handlungsmöglichkeiten (»wie geht man jetzt damit um?«) als auch ein Nicht-Wissen über die Motive des Anderen, der so als Fremder konstruiert wird. In der Unterscheidung von beruflichen und privaten Situation differenziert Frau Stettler die Thematik aus und zeigt damit auch, welche Konsequenzen eine Infragestellung des eigenen Handelns haben kann. Auf der beruflichen Ebene sieht Frau Stettler die Möglichkeit, durch eine Analyse der Situation ein Scheitern auf die konzeptionelle Ebene der Entwicklungshilfe zu übertragen und damit ein Stück von sich und der eigenen Handlungspraxis zu entfernen. Im »Privaten« dagegen ist eine solche Distanzierungsmöglichkeit von frustrierenden Situationen nicht gegeben. Werden dann das eigene Handeln und die eigene Methode in Frage gestellt, kann es zu einer tief greifenden Verunsicherung kommen bzw. können die Grenzen des eigenen Denkens und Handelns als sehr unangenehm empfunden werden. Am Beispiel ihrer Hausangestellten, die ein T-Shirt zu heiß gewaschen hat, zeigt Frau Stettler auf, wie eigene Bedürfnisse, Ansprüche und Einstellungen kollidieren können und sich das eigene Handeln als inadäquat herausstellen kann (Passage: Arbeit und Kollegen): Stettler:

oder zum Beispiel äm äh weiß ich also äh die Hausangestellte die äh irgendwie ein T-Shirt zu heiß gewaschen hat ja, und und dann lamentiert man über das T-Shirt und sagt ja also das war wirklich- das wär doch jetzt nicht notwendig gewesen oder weiß ich, und dann sagt die wieso du hast doch so viel Geld du kannst dir doch ein neues kaufen. Stimmt. Ne, @aber man hörts trotzdem nicht gern;@ //

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Frau Stettler reflektiert in diesem Abschnitt sowohl ihre eigene Position, als auch ihr Verhalten. Die Zuschreibung ihrer Hausangestellten, dass sie wohlhabend sei, übernimmt sie nur widerwillig, muss aber dann aus dieser Perspektive einsehen, dass ihr Verhalten (das Jammern über ein kaputtes T-Shirt) nicht angemessen ist. Ihr Ärgernis über ein kaputtes T-Shirt wird innerhalb des Rahmens ökonomischer Ressourcen nicht akzeptiert. Frau Stettlers eigene Anerkennung ihrer (herausgehobenen) sozialen Position lässt ihr bisheriges Bewertungsschema schwanken. Ihr relationaler Reichtum und ihre bessere soziale Position wird Frau Stettler zwar nicht gerne vorgehalten, sie übernimmt aber die Perspektive der Anderen und folgt damit auch der Kritik ihres Verhaltens. Die Distanz und Differenz, die Frau Stettler zwischen sich und den Anderen erlebt, wird strukturähnlich wie bei Frau Katoschek als unangenehm empfunden und teils im eigenen Handeln begründet. Ihr eigenes Gefühl des Ärgers wird dadurch unterdrückt. Ihre Handlungsspielräume, in diesem Fall Optionen der Deutung eines Sachverhalts nach eigenen gefühlsmäßigem Ermessen, werden durch die Übernahme der Perspektive der Hausangestellten gerahmt und die Definitionsmacht über adäquates Verhalten an Andere übergeben. In diesem Fall gelingt es nicht mehr, das Verhalten der Anderen und die eigene Frustration an eine andere Ebene abzugeben (wie dies mit der Kritik an der Konzeption von Entwicklungshilfe möglich war) und damit für das eigene Befinden zu relativieren. Frau Stettler muss, lässt sie sich darauf ein, ihr eigenes Handeln revidieren und ihre widerstreitende Bedürfnisse, Ansprüche und Einstellungen aushalten. Im Typ ›Wissen um die Fehlbarkeit der eigenen Methoden des Fremdverstehens‹ ließ sich aufzeigen, dass in der Reflexion Zweifel, Unsicherheit und Selbstkritik in Bezug auf das eigene Handeln in interkulturellen Situationen thematisiert werden. Das eigene Handeln wird nicht als kohärent und unanfechtbar erlebt und gewertet. Eine Reflexion über das eigene Nicht-Können führt zu einem Nachdenken über alternative Handlungsstrategien, kann aber auch dazu führen, eine interkulturelle Begegnung abzubrechen und ein Verstehen des Fremden grundsätzlich in Abrede zu stellen. Im Vergleich zum Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.2) zeigt sich, wie die Selbstdarstellung und Einschätzung der eigenen Rolle anders gehandhabt wird. Eigene Maßstäbe und Ansprüche werden reflektiert und damit das Verhalten der Anderen auch als relational und wandelbar gedacht. Eine Evaluation des eigenen Handelns erfolgt so, etwa bei Frau Stettler, auf einer mehrdimensionalen Ebene, welche die Situation, das Verhalten der Andere und die eigenen Bedürfnisse einschließt. Die Wahrnehmung eines perspektivengebundenen Verhaltens ermöglicht, Distanz zum eigenen Verhalten zu bekommen, fremdes Verhalten zu reflektieren und mit Mühe auch eine theoretische Übernahme einer anderen Perspektive. Gleichzeitig werden gerade dadurch auch die eigenen Grenzen des Denken und Handelns bewusst.

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6.4 Wissen um eigenes Nicht-Wissen Tauchen in der Reflexion und Einschätzung eigener Wissensbestände die Grenzen des eigenen Wissens und Erfassens der Situation und der Anderen auf, so kann von einem Typ des ›Wissens um eigenes Nicht-Wissen‹ gesprochen werden. In die Reflexion des eigenen Handelns und die Interpretation der Situation fließen damit Vagheiten, Unsicherheiten und alternative Betrachtungsmöglichkeiten ein. Das eigene Wissen wird nicht wie im Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ als umfassend und ›richtig‹ angesehen. Vielmehr wird auf eine Beschränktheit des Wissens verwiesen und erkennbar gemacht, dass die eigene Perspektive fehlbar sein könnte. Die Andere und Situationen treten damit nicht mehr durchweg mit klaren Konturen zu Tage, sondern können unscharf bleiben, was als maximaler Kontrast zu den anderen rekonstruierten Typen steht. Die Beschreibungen und Einschätzungen beziehen sich eher auf konkrete Situationen und Momente und haben keinen dauerhaft gültigen Anspruch. Dies insbesondere deswegen, weil das eigene Wissen als wandelbar und relativ reflektiert wird und teils Einschränkungen hinnehmen muss. Da das eigene Wissen als sich veränderbar angesehen wird, muss es immer wieder auch überprüft werden. Ein ›Wissen um eigenes Nicht-Wissen‹ gibt weniger Bestimmtheit und Sicherheit in der Definition von Situation und Anderen, trotzdem muss es nicht zu einer vollständigen Unsicherheit im Handeln führen. Das Wissen um die Beschränktheit des eigenen Wissens kann gerade in Situationen, in denen eine Störung der Handlungsroutine auftritt, auch entlastend wirken. Wer nicht alles wissen muss, erträgt die Unsicherheit, die Fremdheit auslösen kann, möglicherweise leichter oder ist bereit Dinge aus unterschiedlicher Perspektive zu betrachten. Die Infragestellung der eigenen Perspektive und des eigenen Wissens lässt sich bei MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA, herausarbeiten, die durch die Begegnung mit fremden »Welten« beginnt, über die Beschränktheit ihres eigenen Wissens nachzudenken (Passage: Welten): Stettler:

und was mich beeindruckt hat, war, (2) der Unterschied zwischen den Welten, ja, w-w-wwo man sich eigentlich nie überlegt, ja wenn man so wie ich in der Schweiz aufwachst, ähm dass eigentlich der Großteil der Weltbevölkerung nicht so lebt; ja, //mmh// und dass die Sachen die selbstverständlich sind für uns eben, gar nicht existieren woanders und dass mer ähm von Voraussetzungen ausgeht ähm (2) die woanders gar nicht ähm denkbar sind; teilweise ja, //mmh// ähm Sicherheit äh (2) n Rechtsstaat und so weiter und so fort //mmh// also so ganz grundlegende Sachen die man einfach als selbstverständlich wahrnimmt oder eben nicht wahrnimmt ja

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Frau Stettler thematisiert hier nicht nur ihr Befremden in der Konfrontation mit anderen Lebenssituationen, sondern auch, welche Konsequenz für sie daraus entstanden ist. Im Kontext einer Reflexion über die eigene Perspektive wird sich Frau Stettler bewusst darüber, dass es Dinge gibt, »wo man sich eigentlich nie überlegt« hat. Immer wieder lassen sich in Interviewsequenzen Abschnitte finden, in denen Befremden geäußert und damit implizit darauf verwiesen wird, dass die Personen sich in Situationen wiedergefunden haben, in welchen sie mit ihren habituellen Mustern und ihrem kognitiven Erfassen an ihre Grenzen geführt wurden, und dies auch so explizieren. Frau Stettler äußert hier jedoch mehr als das Erleben von Fremdheit. Explizit setzt ihre Reflexion an dem Punkt ein, an dem sie mit einem »Unterschied zwischen den Welten« konfrontiert ist. Es ist der Ausgangspunkt für die Überlegung der Perspektivgebundenheit des eigenen Wissens. Dabei geht es nicht nur darum, eine bestimmte Erfahrungswelt nicht zu kennen, sondern darüber hinaus wahrzunehmen, dass nicht nur das Wissen, sondern auch schon die Wahrnehmung von Welt begrenzt ist (»eben nicht wahrnimmt«). In diese allgemeine Schilderung der Eingrenzung des eigenen Wissens schließt sich Frau Stettler ein und dokumentiert damit ihr Wissen um das eigene Nicht-Wissen. Auch in einer folgenden Sequenz zeigt sich, wie Frau Stettler ihre eigene Unwissenheit benennt und mit welchen Mitteln sie versucht dem eigenen Nicht-Wissen zu begegnen (Passage: Anknuft IV): Stettler:

und was mich dann ähm wie ich nach Ruanda gekommen bin, halt war vor allem, ähm (1) ja das war so uh Afrika ja, da sind alle @schwarz@, das war irgendwie schon @so@ //@(.)@// das war schon so eine andere Dimension dann als als vielleicht der mittlere Osten und und Nordafrika, der doch, äh wie soll ich sagen? Noch kulturell eine sehr große Nähe hat; find ich. //mmh// zu Europa; und und wo vielleicht das nicht so krass is ja, da da auch der Lebensstil und was weiß ich, aber dann (1) also wirklich so mitten in Afrika zu landen, //mmh// und dann noch in diesen Umständen, das muss man auch sagen, ähm das war schon noch mal was anderes, und das war dann eigentlich aber auch, im Vergleich zu dem was ich mir erwartet hab oder was was mer so bei uns hört ja eh diese dummen Klischees die man auch hat gegenüber Schwarzafrika, äh muss ich eigentlich auch sagen war ich sehr positiv beeindruckt; und auch ähm (1) ähm (4) war das dann so eine- es war irgendwie ein Augenöffner ja, //mmh// für mich auch; wo ich mir gedacht hab ja okay, das ist doch jetzt wirklich faszinierend dass eigentlich, die Menschen egal wo sie jetzt herkommen oder was sie jetzt halt, ob sie jetzt arm sind oder reich, oder oder Afrikaner oder Europäer oder immer; ähm (1) sehr ähnliche Verhaltensweisen haben, //mmh// klar (.) andere kultu::relle äh weiß ich? Bräuche und so weiter, aber grundlegend äh sind alle Menschen sehr ähnlich und das hat mich fasziniert. J ja und da hab ich gedacht das ist doch unglaublich; ne, //mmh//

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In dieser Passage wird deutlich, wie Frau Stettler den Geltungscharakter ihrer Aussagen relativiert und damit implizit darauf verweist, kein allgemeingültiges Wissen zu besitzen (»find ich«). Ihr Erleben von »Afrika« stellt Frau Stettler dann als eine persönliche Erfahrung dar und trägt auch der Situation, in die sie kommt, Rechnung (»in diesen Umständen«). Ihre eigene Unwissenheit trifft hier auf ein fremdes Land, aber auch auf eine ungewöhnliche Situation. Beladen mit »dummen Klischees die man auch hat«, trifft Frau Stettler auf Menschen und Situationen, die ihr zwar fremd sind, die sie aber dazu motivieren sich mit ihrem eigenen Nicht-Wissen auseinanderzusetzen. Dabei geht es aber nicht darum, ein völlig fertiges neues Wissen zu schaffen, als vielmehr darum, Relationen zu bilden und Wahrgenommenes einzuschätzen (Passage: Vergleich): Stettler:

und dann zum Beispiel auch, das Traurige, ja dass eben auch Konflikte auf dieselbe Art und Weise ablaufen, //mmh// ja und mich zum Beispiel da ähm diese Propagandamaschinerie die den Völkermord in Ruanda verursacht hat sehr an an die nationalsozialistische Propaganda erinnert hat, //mmh// und es war sehr interessant für mich, ja, ww-wo meine Familie eben damals in XX war; also meine meine Großeltern, und meine Eltern sind im Krieg geboren ne, ähm da mit denen zu reden und sagen also wie war das eigentlich damals, und äh ja und das dann sehr interessant war für mich auch eben von dem Familienerbe das sozusagen in Perspektive zu setzen und dann da halt äh zum Beispiel von meiner Oma die eben im Judenviertel in XX äh gewohnt ham, zu hören wie das damals war, ja, wie auf einmal dann eben alle Juden äh abtransportiert worden sind und Leute dazu angehalten worden sind die zu verraten, und so weiter und so fort, //mmh// und dann auch also mit Versöhnung und so, dann war immer ja in Ruanda muss man Versöhnungsarbeit machen, und tatitata und die ganze EZ und alle Internationalen ham dann die große Versöhnungstrompete geblasen und so und dann äh hab ich mit meiner Oma sehr viel geredet und hab gesagt also wie war das eigentlich damals bei euch? Ich mein hat man da über Versöhnung geredet? Fünfundvierzig? Oder wie war das? //mmh// und das war dann total interessant; ja. //mmh// diesen Vergleich zu ziehen und wo dann auch rauskommt dass eigentlich sehr mit zweierlei Maß gemessen wird. Ja, und dass eben die Afrikaner, und dass ja die Europäer immer zivilisiert sind und so ja, //mmh// und das hat mich teilweise sehr ähm betroffen gemacht. Ja, wie da äh äh (1) herabgeschaut wird; ja, immer noch. Und auch von der anderen Seite ja, teilweise auch von Afrikanern immer noch so aufgeschaut wird ja, //mmh// mich hat das teilweise schockiert, dass ma als Ausländer immer als äh besser qualifiziert, oder ich weiß nicht was, äh empfunden wird ja, //mmh// hab ich sehr irritierend gefunden ja, //mhm// und dass äh (4) dass das teilweise auch ja, und das war vielleicht auch das was mich am meisten dran fasziniert hat, dass das teilweise eben grad durch diese so genannte Entwicklungshilfe verursacht wird ja, //mmh// (2) und wir da eigentlich nix Gutes tun ja, //mmh//

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im Gegenteil. //mmh// und das äh is natürlich irgendwie ein sehr kritischer Ansatz und dann kann man sich irgendwie sagen man sägt sich eigentlich den Ast ab auf dem man sitzt. //mmh// aber ich find eben grad dass das auch eine Aufgabe ist, dass man das sehr kritisch betrachtet und ich bin einfach nicht der Typ, dass ich so was untern Teppich kehr ja, //mmh//

Frau Stettler entwickelt hier mithilfe des Vergleichs im Umgang mit Krieg und Völkermord eine Analyseebene. Ihre Erfahrungen in Ruanda bespricht sie mit ihrer Großmutter, um ihre möglichen Fehleinschätzungen der Situation zu kontrollieren. Aus dieser Praxis des Vergleichs entsteht das Bild, dass Menschen und Konflikte »sehr ähnlich« seien, jedoch unterschiedlich bewertet würden. Es ist Frau Stettlers Wissen um ihr eigenes Nicht-Wissen, welches sie dazu bringt, ihre Einschätzungen mit den Erfahrungen ihrer Großmutter aus der Zeit des Nationalsozialismus abzugleichen. Auch wenn daraus ein Wissen und eine Einschätzung der Situation folgt, welche als generalisierend bezeichnet werden kann, ist auffallend, dass Frau Stettler in ihrer Reflexion die Kolleginnen des Entwicklungsdienstes kritisiert, sich aber auch diesem Kreis nicht völlig entzieht. Sowohl ihre Irritation über die Behandlung als »besser qualifiziert« als auch ihre kritische Bewertung ihrer beruflichen Tätigkeit zeigen, dass Miriam Stettler ihre eigene Fehlbarkeit im Blick hat (»wir da eigentlich nix Gutes tun«). Dies dokumentiert sich auch in ihrer kritischen Analyse eines kollektiven Verhaltens von Europäern (Passage: Ausländer): Stettler:

ich weiß nicht wir wir ich find immer noch dass dass wir als Ausländer sehr oft noch (1) so eine Art haben von Überheblichkeit und von wir wissen ja alles besser und ihr müsst ja noch so wahnsinnig viel lernen, //mmh// und ihr werdts ja nie irgendwo hin kommen, //mmh// und das ist teilweise sehr respektlos ja, //mmh// ich muss sagen ich war ich bin persönlich von von Afrika (2) und auch von anderen ich mein ich war ja auch in Bosnien äh (2) hab ich immer gefunden das man zu wenig Respekt hat; //mmh// ja, dass ich sehr viele Kollegen gesehen hab die sehr wenig Respekt ham vor den Leuten da; //mh// und die zu wenig zuhören. ja, //mmh// ich hab das so gelernt ja, man muss wahnsinnig lang sich Zeit nehmen bevor man sagen kann ich versteh das (1) ein bisschen; //mmh// ich war neun Jahre in Ruanda ich würd mir nie rausnehmen dass ich sagen kann ich hab das intus; ja, //mmh// oder ich weiß wie das geht; //mmh// weil ich auch in- nach den neun Jahren das immer noch nicht kapiert hab; ja, //@(.)@// weil das immer noch eine andere Welt ist; //mmmh// und weil man die Sprache eben nicht spricht und und weil ma ma ma bleibt wer ma is ja, //mmh// und ich muss auch sagen i i (2) oft sagen die Leute ja die Ruander äh haben mich dann sogar getauft ja ich hab n ruandischen Namen gekriegt und was weiß ich alles und so und sagen dann immer ja, du bist eine Ruandesin und tatitat und so wenn s

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ihnen mal wieder so danach ist ja, aber äh (1) ich sag dann immer das stimmt nicht. ja, ich komm trotzdem von wo anders und äh das (2) ich fühl mich geehrt, //mmh// aber ehrlicherweise glaub ich muss man das zugeben können dass das zwei Sachen sind die wo wo man glaub ich sich respektvoll annähern kann; //mmh// aber wo man wahrscheinlich sein seinen Ursprung einfach auch nicht nicht verlieren (1) wird.

Frau Stettler elaboriert in dieser Passage ein von ihr als respektlos wahrgenommenes Verhalten von »Ausländern« gegenüber Einheimischen, welche jenen mit Überheblichkeit entgegentreten. Ihre Aussage hat allgemeingültigen Charakter, schließt aber interessanterweise in der Kritik auch Frau Stettler selbst mit ein (»dass wir als Ausländer sehr oft noch (1) so eine Art haben von Überheblichkeit und von wir wissen ja alles besser«). Die Respektlosigkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung ist etwas, was Frau Stettler auch in anderen Ländern erfahren hat. Nach der anfänglichen sich miteinbeziehenden Position wechselt Frau Stettler hin zu einer Distanzierung zu ihren Kollegen und beschreibt sie als schlechte Zuhörer, die den Einheimischen nicht genügend »Respekt« entgegenbrächten. Dagegen stellt sie ihren eigenen Lernprozess und die Erkenntnis, dass trotz langjähriger Aufenthalte in anderen Ländern das Wissen beschränkt bleibt. (»ich hab das so gelernt ja, man muss wahnsinnig lang sich Zeit nehmen bevor man sagen kann ich versteh das (1) ein bisschen;«). Die Überheblichkeit, die Frau Stettler kritisiert, entspringt, so Frau Stettlers implizite Theorie, der Annahme, etwas besser zu wissen und zu können. Ihre Erfahrung in Ruanda lehrte Frau Stettler, dass auch Jahre in einem fremden Land und unter fremden Menschen nicht zwangsläufig dazu führen, die Lebensgewohnheiten zu verinnerlichen (»ich hab das intus«) oder zu verstehen, wie »das geht«. Hier deutet sich an, dass Frau Stettler eine Vorstellung davon hat, dass der Lebensalltag der Menschen nach einem bestimmten unsichtbaren Regelwerk verläuft, welches allein durch Betrachtung und Mitwirkung nicht verstanden werden kann. Etwas »intus« haben und zu »wissen wie das geht« weist über ein reines Aneignen von Wissen hinaus. Um eine Lebenssituation und interne Regeln, das konjunktive Wissen, zu erfassen, bedarf es eines umfassenderen Erlebens. Dieser Zugang ist nach Frau Stettlers Annahmen und Erfahrung aufgrund mangelnder geteilter Sprache, Fremdheit (»andere Welt«) und der Gebundenheit an die eigene Perspektive (»ma bleibt wer ma is«) verschlossen. Diese Bindung an eine (Herkunfts-) Identität und die Unmöglichkeit umfassenden Wissens über die Anderen macht Frau Stettler an der Beschreibung des Handelns der Ruandesen deutlich. Die Ruandesen haben Frau Stettler durch eine Namensgebung in ihre Gruppe aufgenommen und reklamieren dies auch (»du bist eine Ruandesin«), was Frau Stettler abstreitet, indem sie sich auf einen anderen Herkunftsort beruft.

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Die Zuschreibung der Anderen schränkt Frau Stettler in ihrer Relevanz doppelt ein. Weder erlebt sie die Zuschreibung als Kontinuität und deklariert sie daher als spontane Laune noch ist sie der Meinung, dass so etwas überhaupt möglich ist. Frau Stettler schätzt die Zuschreibung der Ruandesen und empfindet sie als Ehre, verweist jedoch darauf, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Dies tut sie nicht nur auf einer Ebene objektiver Richtigstellung, sondern auch aus einem Empfinden heraus, dass unterschiedliche Ursprünge eine Fremdheit bedeuten, die letztlich nicht zu überwinden ist. Die beiden (Herkunfts-) Identitäten sind für Frau Stettler »zwei Sachen« und das Wissen über die Andere damit immer schon begrenzt. Begegnungen, so Frau Stettler, können mit Respekt stattfinden und sie schaffen auch eine Nähe; aber zudem eine neue Identität (markiert durch einen Wechsel des Namens und der Nationalität) anzunehmen, ist nur durch einen Verlust des eigenen »Ursprungs« möglich. Auch bei ANNA TAREK, AUSLANDSKORRESPONDENTIN IN SÜDAFRIKA, dokumentiert sich ein Wissen um das eigene Nicht-Wissen. Frau Tarek berichtet aus ihrem Arbeitsalltag, vom Erlernen eines bestimmten beruflichen Umgangs mit Einheimischen (Passage: Beruflicher Kontakt): Y:

Tarek: Y: Tarek: Y: Tarek:

Y: Tarek:

und und jetzt so grad so wenn du jetzt grad so erzählst von den Kontakten, was so deine Arbeit angeht da hast du vorhin gesagt dass du so (.) n Gefühl dafür entwickelst, wa- wie du am Telefon sprichst, oder was du sagst, kannst du da noch n bisschen mehr dazu erzählen? ja für mich ist das ja schwierig irgendwie das so nachzuvollziehen;  ja. Das ist immer schwer. das ist auch schwer manchmal wie ich das meine. am besten anhand von nem Beispiel oder so was wenn du so was hast, mmm Beispiel? (2) schwer am Beispiel; ich glaub (2) na ja vielleicht kann ichs umständlich machen //ja, okay// aber machs mal soweit mirs grad einfällt, ich war grad in Angola, //ehm// mit ner Kollegin vom Deutschlandfunk; //mmh// die kam aus Deutschland und die kannt ich weil sie schon öfter hier war und wir ham gesagt wir machen diese Reise und recherchieren zusammen, (1) und da war völlig klar sie hat ne ganz andere Herangehensweise und sie war unheimlich (.) pushy, und hat tausendmal angerufen, also mm äh wo? Wo angerufen? also wir mussten wir hatten zehn Tage und wir mussten Interviews natürlich machen wir hatten ja Ideen was wir machen wollen, //mmh// und in Afrika (.) man kann nicht sagen Leute sind immer unpünktlich oder oder rufen nie zurück oder so aber manchmal ist es schon n bisschen schwieriger; es ist nicht alles so akkurat; und wenn du dann natürlich immer wieder anrufst und diesen diesen Druck vermittelst dieses (.) ja ich bin vom Deutschlandfunk und wir hatten doch schon telefoniert und jetzt

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denk ich doch und; das funktioniert nicht ne, //mmh// aber ich bin auch gar nicht so n Typ; also hab immer versucht auch zu gucken wie reden die? und dann hieß es erstmal how are you today? Okay fragste erstmal how are you today ja und alles so n bisschen humorig aber schon auch strikt sagen was du was du eigentlich wirklich willst oder wenn jemand nicht zurückgerufen hat zu sagen eigentlich solltest du ja gestern anrufen aber ja sagt er ja ist ja nicht zu spät heute; //mmh// also man hat so ne andere Umgangsform; man muss natürlich als Journalist schon klar haben n Plan und da ruf ich so und so oft an und dann muss das Interview auch stehen; besonders wenn du in Angola bist und nur zehn Tage Zeit hast aber bei ihr war das ganz klar zu sehen das war echt so n Reibungspunkt weil die Leute nicht so gut auf sie reagierten, es war so da kam so ne Anspannung immer mit so ne Hektik und so ne ähm Negativitität und //ja// und das wurd dann so (.) aber könnten sie denn bitte ausrichten wir ham schon dreimal angerufen und wir sind nur noch bis morgen da und das war so //mmh// und das ist für mich so ne Art also m- meine Gesprächspartner oder meine Termine sie kommen erfolgreicher zustande wenn ich mehr so n bisschen drauf eingehe aber mir natürlich mm auch schon sage listen morgen müsste es eigentlich stattfinden ne, aber ich verstehe da ist viel Stress bei dir im Büro es ist so ne Gepflogenheit; hier fällt man nicht immer sofort mit der Haus in in- mit der Tür ins Haus ne, //mmh// wenn man das so n bisschen raushat hab ich schon das Gefühl dass manchmal Dinge auch sich bewegen, // und war das// schneller bewegen vielleicht sogar;

Frau Tarek berichtet über ihren alltäglichen beruflichen Umgang mit Einheimischen und verdeutlicht, anhand einer Abgrenzung zu den Praktiken einer Kollegin, ihren auf Vorsicht basierenden Zugang zu Anderen. Dabei vermeidet sie generalisierende und deterministische Aussagen (»man kann nicht sagen Leute sind immer unpünktlich«). Auch wenn Frau Tarek hier, ähnlich wie beim Typ ›NichtInfragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens‹ (Kap. 6.2), ihre berufliche Strategie positiv wertet und der Meinung ist, dass sie durch ein solches Handeln »erfolgreicher« sei, bleibt sie dennoch in ihren Aussagen und in ihrem Handeln eher vorsichtig. Ihr Wissen sieht sie selbst als erweiterbar an und versucht, ihre journalistische Recherche so zu gestalten, dass sie Zugang zu alltäglichen Handlungsformen Einheimischer bekommen kann (»also hab immer versucht auch zu gucken wie reden die?«). Eher zurückhaltend und mit dem Wissen, nicht alles zu wissen und eventuell auch Fehler zu machen, lernt Frau Tarek nach und nach, dass ihre Art der Kommunikation erfolgreich ist. Im Vergleich zu Herrn Backe (s. Kap. 6.2) fallen zwei Aspekte besonders ins Auge: erstens, dass Frau Tarek aus ihrer Herangehensweise keine einzig wahre Strategie entwickelt, und zweitens, dass ihr berufliches Handeln weniger einer bestimmten Haltung folgt als vielmehr einer eher vorsichtigen Praxis erwächst. Nachgefragt, wie sich ihre

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Praxis entwickelt habe, verweist Frau Tarek auf eine spontane, nicht intendierte Praxis des Ausprobierens (Passage: Beruflicher Kontakt): Y:

Tarek: Y: Tarek:

ja; also was ich halt ganz spannend find ist wann sozusagen der Zeitpunkt ist oder wo so der Moment ist wo man so was lernt oder mitbekommt oder so was, über die Zeit; (2) ah da gibts glaub ich kein Rezept; und ich glaub da ist auch jeder anders ne, ähm wie das halt bei dir war? Dass du sagst irgendwie w- wie das bei mir war? Ich weiß dass ich am Anfang wie gesagt als ich noch nicht äh (2) wie ist man Korrespondent? Also wie geht das? Ich wusste wohl so ungefähr in X-Stadt wen wen ich da anrufen muß und man hat da Kontakt, Bücher und so a- aber ich war auch sehr unsicher, absolut; und dann gabs Akzente die ich nicht verstehen konnte da musste ich wieder nachfragen und dann war das Englische anstrengend dann hab ich mich abwimmeln lassen dann wusste ich aber das ist blöd die Geschichte kommt nicht zustande; dann hab ich noch mal angerufen dann hab ich n bisschen klarer gesagt was ich wollte aber nie mit so nem heute klar heute komm ich natürlich anders daher aber ich würd immer noch n gewissen Ton auch wahren und gucken wie sind die Strukturen hier wie funktioniert das hier und nicht gleich Leute von vornherein verurteilen wie viele viele Kollegen ja die rufen ja nie zurück da brauch ich gar nicht anzurufen ne, es ist oft mühselig; aber es kam über die Zeit indem ich dann auch besser lernte die Fragen zu stellen, konkreter zu stellen ich weiß ich sitz am Telefon ich kann mich gut erinnern und ich muss es aufschreiben mir ist das Thema selber noch nicht klar weil ich vielleicht zum ersten Mal über die (.) Goldkrise in Südafrika schreibe von der ich null Ahnung habe //mmh// und ich versteh den Akzent schlecht, meine Fragen stehen da, fünf Fragen um mich lang zu hangeln und ich muss das mitschreiben ich muss aber auch verstehen und das Gespräch in Gang halten und wenn er was sagt was nicht auf meine Frage passt mich nicht abwimmeln lassen und das war am Anfang n bisschen viel auf einmal und ich musste dann schon noch mal anrufen und sagen ja da hab ich jetzt nicht verstanden können wir noch mal? und das fand ich immer auch total nett dass nie jemand gesagt hätte also ich hab jetzt keine Zeit oder tut mir leid bin nicht erreichbar oder ham wir doch schon besprochen, also es war immer Verständnis da //mmh// echt also immer. //mmh// und das fand ich d- das war sehr hilfreich für mich weil ich da wirklich reinwachsen musste ne ich hatte kein Archiv, keine Sekretärin die mir mal irgendwas raussucht, war auch oft nicht so organisiert weil mein Privatleben ein Chaos war oder mein Tag nich organisiert und plötzlich ruft jemand an und will ne Geschichte von mir und natürlich sag ich ja also ich hab selten ne Geschichte abgelehnt und ich musste mich dann da irgendwie durchfummeln ja, //mmh//

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Auch hier wird im Vergleich mit Herrn Backe deutlich, dass es für Frau Tarek kein allgemeingültiges »Erfolgsrezept« (s. Kap. 6.2) gibt. Sie sagt »da gibts glaub ich kein Rezept;« und weist daraufhin, dass es ein solches auch gar nicht geben könne, da Menschen unterschiedlich seien (»da ist auch jeder anders«). Ihr Handeln, die Relevanz des Handelns und die Übertragbarkeit auf Andere werden hier deutlich eingeschränkt. Ebenso wie Frau Stettler beginnt Frau Tarek in einer Situation, in der ihr nicht alles klar ist, nachzufragen (»Also wie geht das?«). Dies in der Interviewsituation auch so zu benennen, zeugt davon, das eigene Nicht-Wissen im Blick zu haben. Frau Tarek geht dabei so weit, ihre eigene Unsicherheit explizit zu benennen (»ich war auch sehr unsicher«). Diese Unsicherheit mündet nicht, wie vielleicht angenommen werden könnte, in eine Bewegungslosigkeit oder Handlungsblockade. Sie wird im Laufe der Zeit eher zu einem Teil des beruflichen Handelns und der eigenen Kompetenz, wo Unwissenheiten und Vorsicht weiter einen Platz haben können und helfen, »Strukturen« zu erkennen (»ich würd immer noch n gewissen Ton auch wahren und gucken wie sind die Strukturen hier wie funktioniert das hier und nicht gleich Leute von vornherein verurteilen«). Die Verurteilung, die Frau Tarek hier benennt, ist strukturidentisch mit der Bewertung von Frau Stettler, eine Kritik am Verhalten von Kolleginnen und eine Positionierung außerhalb der wahrgenommenen Praktiken des jeweiligen Berufsfeldes. Die explizite Thematisierung des eigenen Nicht-Wissens (»null Ahnung«, »hab ich jetzt nicht verstanden«) stellt in der komparativen Analyse mit anderen Interviewpartnern einen spezifischen Reflexionstyp dar. Gerade im Vergleich mit dem Typ ›Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände‹ wird die vorsichtige, das eigene Nicht-Wissen miteinbeziehende Herangehensweise dieses Typs ersichtlich. Das Handeln kann hier zu einem »Durchfummeln« werden, einer ungeplanten und unsicheren Praktik des Moments, welche auf Spontaneität angelegt ist und eine grundlegende Bereitschaft des Lernens und Ausprobierens beinhaltet. Ein eigenes Nicht-Wissen zu reflektieren, erfordert die Bereitschaft zuzugeben, dass man nicht alles versteht und dass Denken und Handeln nicht immer einem sicheren Plan folgen, sondern mit Unsicherheiten durchzogen sind. Wer das eigene Wissen als beschränkt sieht, beginnt nachzufragen, um Antworten zu bekommen und zu lernen. Nachfragen und ein kritischer Blick auf die eigenen Wahrnehmung und Einschätzung von Situation und Anderen kann zögerlich oder auch inkompetent wirken. In der Rekonstruktion des Typs ›Wissen um eigenes Nicht-Wissen‹ ließ sich jedoch deutlich zeigen, dass die Vorsicht und Zurückhaltung im Handeln und Bewerten und ein individualisierender Blick von den Akteurinnen selbst nicht als Inkompetenz oder Einschränkung wahrgenommen wird. Die Bewertungen des eigenen Handelns und die des Anderen können verzögernd wirken und manchmal unsicher, dies geht aber nicht einher mit Desinteresse oder etwa einem kompletten Rückzug. Sowohl bei Frau Stettler als auch bei Frau Tarek ist die

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Reflexion über eine Beschränktheit des eigenen Wissens der Ausgangspunkt, sich die Welt mithilfe von Anderen verständlich zu machen und auf sie zuzugehen.

6.5 Zusammenfassung Die Reflexion, als ein Teil interkulturellen Handelns, existiert nicht losgelöst vom Handlungsprozess und, so wurde offensichtlich, ist nicht unbedingt die distanzierte und damit vermeintlich objektive Betrachtung des Selbst, der Situation und des Anderen. Vielmehr zeigt sich auf der Ebene der Reflexion eigenen Wissens und Handelns, inwieweit die Akteure grundsätzlich bereit sind, auch ihr eigenes Denken und Handeln kritisch zu betrachten. Werden eigene Deutungs- und Interpretationsleistungen sowie eigene Wissensbestände nicht weiter in Frage gestellt, so führt dies zu einer selbst gesetzten Erhabenheit des eigenen Wissens (Kap. 6.1). Das Verhalten der Anderen wird dann nicht nur beobachtet, sondern auf der Basis eigener Selbstverständlichkeiten bewertet. Eine Situationsanalyse, wie dies hauptsächlich bei den Auslandskorrespondenten zu finden ist, erhält den Status einer ›objektiven‹ Tatsache, deren ethno- und teils eurozentristischer Entstehungskontext nicht thematisiert wird. Durch den expliziten Rekurs auf Wissensbestände, die in formalen und informellen Lernprozessen entstanden sind, und die implizite Interpretationsmatrix eigener Normalitätsvorstellungen wird ein Expertenbild entwickelt bzw. aufrechterhalten. Die Selbstzuschreibung, das ›richtige‹ Wissen zu haben, wird auch durch äußere Bestätigung (›Erfolg‹) gefestigt. Die Übersetzung dieses Wissens in eine interkulturelle Handlungspraxis macht die Differenzkonstruktion zwischen Experte und Anderen offensichtlich: Theoretisch findet ein ›Fremdverstehen‹ statt, aber praktisch kommt es zu einer Abgrenzung zur Anderen und auch zu einer Abwertung der Anderen. Eine Nicht-Infragestellung der eigenen Methoden des Fremdverstehens (Kap. 6.2) muss in der Handlungspraxis keineswegs zu einer Abwertung des Anderen führen. Mit bewussten und unbewussten ›Strategien‹ versuchen die Akteure Zugang zu fremden Milieus zu erhalten. Weil die Akteure von ihren Methoden überzeugt sind, erwägen sie auch keine alternativen Handlungsoptionen. Indem sie ihre eigene Praxis nicht hinterfragen und von dieser nicht irritiert werden, wird eine Veränderung oder Anpassung ihres Verhaltens schwierig. Der Störung von Handlungsroutinen wird auch hier auf der Ebene eines Expertenstatus begegnet. Je nach (interpretiertem) Kontext wird die passende Methode gewählt. Auch hier finden sich (implizite) Annahmen über die Anderen, die teils negativ behaftet sind, teils in der Wahrnehmung als zu explorierende Fremde vorzufinden sind.

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Demgegenüber finden sich dort, wo die eigenen Methoden des Fremdverstehens eingeschränkt werden, keine grundlegend festen Zuschreibungen der Anderen (Kap. 6.3). Indem ein eigenes Nicht-Können, eigene Ansprüche und eigene Maßstäbe thematisiert werden, ist auch das Verhalten der Anderen relational. Durch die Wahrnehmung der Perspektivengebundenheit des Handelns entsteht eine Distanz zur Handlungspraxis, die auch alternative Handlungsoptionen erkennbar machen lässt. Diese handlungspraktisch umzusetzen ist allein durch die Reflexion jedoch nicht gegeben. Vielmehr werden auf der Ebene interkulturellen Handelns mit einem Wissen um die Fehlbarkeit der eigenen Methoden des Fremdverstehens auch eigene Grenzen des Denkens und Handelns ersichtlich. Die Gebundenheit der Perspektive ist auch im Typ ›Wissen um eigenes Nicht-Wissen‹ (Kap. 6.4) von Bedeutung. Darüber hinaus wird hier auch Unwissenheit und Unsicherheit thematisiert und handlungspraktisch durchlebt. Die Verzögerung im Handeln durch Unsicherheit sowie die Bereitschaft, Neues zu lernen, lassen Raum für verschiedene Handlungsoptionen und auch Perspektiven der Anderen entstehen. Ein Wissen um die Beschränktheit des eigenen Wissens und die Einschränkung theoretischen Wissens für praktisches Handeln motivieren, auf den Anderen zuzugehen. Die Reflexion über eigenes Wissen und Können in einer milieuübergreifenden Situation kann Ausgangspunkt eines veränderten Verhaltens und einer veränderten Wahrnehmung sein. Gleichzeitig, so wurde offensichtlich, kann ein so genanntes immunisiertes Wissen vorstrukturieren, was überhaupt wahrgenommen wird und wie diese Wahrnehmung in das eigene Welt- und Selbstbild übersetzt wird. Werden die eigenen Wissensbestände nicht hinterfragt und gibt es kein Bewusstsein für eigene Fehlinterpretationen, kann es kaum zu Lern- oder Bildungsprozessen durch Fremdheit kommen bzw. wird das Wahrgenommene zur Bestätigung der ohnehin bereits existierenden Annahmen. Was an Neuem gelernt wird, hängt stark mit der Anreicherung neuen theoretischen Wissens zusammen und weniger mit der Infragestellung bisherigen Wissens. Ist das eigene Wissen nicht immun, können die Irritationen durch Begegnungen und andere Weltbilder die eigene Wahrnehmung verändern. So können, etwa durch den Austausch mit Anderen, neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden.

7 Darstellung des Anderen

Als dritten Aspekt des interkulturellen Handelns wird in diesem Kapitel die Interpretation und Darstellung der Anderen rekonstruiert. Hauptsächlich in Beschreibungen und Argumentationen lassen sich jene Passagen herausarbeiten, in denen sich der Blick auf den Anderen und die Einschätzung der Situation mit ihm dokumentiert. Die Andere und die Situation werden in ihrem Handeln wahrgenommen, interpretiert und erklärt.1 Dabei entstehen zum Teil sehr festgeschriebene, zum Teil bewegliche Selbst- und Fremdbilder. Die Wahrnehmung und Interpretation des Anderen, welche sich in der Darstellung zeigen, fließt gemeinsam mit der Reflexion über eigenes Handeln und mit den Erfahrungen aus bisherigem Handeln in zukünftiges Handeln ein.2 Sie stellt damit nicht nur eine Basis dar, nach der das Handeln ausgerichtet wird, sondern ist selbst Folge von Handeln und Erfahrung. Anhand des empirischen Materials lassen sich folgende drei Typen der Darstellung der Anderen rekonstruieren: eine kulturalisierende Perspektive (Kap. 7.1), eine polit-ökonomisierende Perspektive (Kap. 7.2) und eine individualisierende und gleichzeitig universalisierende Perspektive (Kap. 7.3).

7.1 Kulturalisierung Unter einer kulturalisierenden Darstellung des Anderen wird eine Wahrnehmung und Interpretation des Anderen verstanden, welche eigenes und fremdes3 Handeln im Zusammenhang mit der eigenen und mit einer fremden ›Kultur‹4 sieht, 1 2 3 4

Zur Definition von ›Situation‹ s. Kap. 3. Handeln, Reflexion und Interpretation werden als zirkulärer Prozess in Anlehnung an Deweys Kritik des Reflexbogenmodells gesehen (vgl. dazu auch Kap. 3). Hier wird der Begriff ›fremd‹ bedeutsam in seiner Abgrenzung zum Eigenen. Er fungiert als Trennungsmarkierung und Distanzierung vom Anderen. Wird mit kulturellen Zu- und Beschreibungen nicht nur eine Wahrnehmung von Unterschieden, Gemeinsamkeiten und Besonderheiten kollektiver Repräsentationen

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wobei der Fokus dabei teilweise explizit, manchmal aber nur implizit auf einer Nationalkultur bzw. auch auf der ›Kultur‹ einer Hautfarbe, respektiv einer ›Ethnie‹5 oder auch ›Rasse‹ liegt. Die Kulturalisierung folgt einer Darstellung von »Ich« oder »Wir« versus »Sie« und »die Anderen« und ist in ihrer Aussage eher generalisierend als differenzierend. Die Interviewpartner erleben, erwarten und nehmen eine Differenz zur Anderen an, und grenzen sich und ihr Verhalten davon ab. Die Linie der Abgrenzung verläuft dabei entlang einer Wahrnehmung ›kultureller‹ Andersheit und damit einer Konstruktion von ›Kultur‹. In den Ausführungen von KLAUS WÄCHTER, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA, dokumentiert sich eine deutliche kulturelle Interpretation und Zuschreibung des Verhaltens von Südafrikanern (Passage: Position als Weißer III): Wächter:

im Alltag ist n wunderbares Miteinander; aber wenn es eben um solche Sachen geht wie wo geht es politisch hin; oder (.) das liegt eben auch daran dass die Leute (.) äh vielleicht auch so politisch oder sonst wie noch n bisschen einfacher gestrickt sind; //mhm// weil sie eben einfach (.) für die ist jetzt eben der ANC ne Befreiungsbewegung und die haben jetzt erstmal ein Anrecht hier (.) zu machen was se wollen; weil sie ja befreit haben; (.) und das ist und das machts uns jemand der aus ner Kultur kommt wo du Politikern Macht anvertraust und sagst so jetzt mach das meiste draus; und wenn der mich enttäuscht dann wähl ich was anderes; das gibts eben nicht; hier wird eben ethnisch gewählt; //mhm//

Die Ebene der Beschreibung und Erklärung des eigenen Verhaltens und des Verhaltens der Anderen ist hier eine, welche sich auf Herkunft und Ethnie bezieht.

5

und Milieus gesehen, sondern werden auch Zugehörigkeiten festgeschrieben, läuft der Begriff Kultur Gefahr, essentialistische Identitätsmodelle hervorzurufen. Kultur wird dann zu einer festgeschriebenen Einheit, in die sich auch rassisierte Konnotationen einschleichen und kulturelle Differenz als reduktive und damit auch gewaltvolle Repräsentation der Anderen vollzogen wird. In der vorliegenden Arbeit wird Kultur als Milieu verstanden, um kollektive Einbindungen und Selbstverständlichkeiten auf der Ebene praktischer Lebensführung deutlich zu machen, die in dieser existieren (vgl. Nohl 2006c). Der Begriff Ethnie rückt sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeit einer Gruppe in den Vordergrund. Dabei werden Sprache, Kultur, Tradition, Religion und Gebräuche als Basis eines Gemeinschaftsbewusstseins gesehen, welches in der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu einer ›kulturellen‹ Unterscheidung beiträgt. Obwohl Ethnien in der Ethnologie als dynamische Entitäten gesehen werden, können auch hier feste Zuschreibungen auftauchen. Ethnien als Gruppenzugehörigkeiten werden sowohl sozial durch ihre Mitglieder konstruiert, als auch von außen stereotypisiert. Ethnische Kategorien können ebenso wie rassisierte Ideologien zu einer Ausgrenzung führen. »Ethnizität ist der Begriff, den wir kulturellen Eigenschaften, wie Sprache, Religion, Gebräuchen, Tradition und Gefühlen für einen Ort, geben, die von einem Volk geteilt werden. Aber dieser Glaube wird in der modernen Welt ein Mythos. West-Europa hat keine Nation, die aus nur einem Volk, einer Kultur oder Ethnizität besteht. Alle modernen Nationen sind kulturell hybrid« (Hall 1994: 207).

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Herr Wächter spricht über »die Leute« und meint damit die schwarze Bevölkerung Südafrikas. Seine Erklärung des Wahlverhaltens dieser als homogen dargestellten Gruppe ist generalisierend und innerhalb eines Kontextes des Vergleichs zwischen uns und den Anderen angesiedelt. Die Menschen seien, so Herr Wächter, »einfacher gestrickt«. Der implizite Vergleich wird schließlich von Herrn Wächter expliziert und seine Erklärung konkretisiert. Er selbst, als Zugehöriger einer bestimmten (Hoch-) »Kultur«, habe ein bestimmtes Verständnis von Demokratie, wohingegen die schwarze Bevölkerung Südafrikas nach den impliziten Regeln ihrer Kultur »ethnisch« wählte und keinen Gebrauch von einem individuellen Reflexions- und Bewertungsprozess machen würde und keine rationale Perspektive einnähme. Diese pauschale Zuschreibung eines Verhaltens zu einer Gruppe auf der Ebene von ethnischer und kultureller Zugehörigkeit lässt sich auch in weiteren Passagen finden. Die Zuschreibungen bewegen sich dabei innerhalb eines Rahmens, in dem deutlich wird, dass die Erklärungstheorie kultureller Zugehörigkeiten mit rassistischen Darstellungen verschwimmen. Weniger geht es dabei um angeborene Merkmale, wie die Differenz zur Gruppe der Anderen in rassistischen Diskursen6 charakterisiert wird, als um eine ›kulturelle‹ Gebundenheit, die Fremdheit und Andersheit festschreibt. Die Funktion des ›Othering‹7 bleibt jedoch dieselbe. Deterministische, auf die Homogenität einer Gruppe zielende Aussagen kreieren ein Fremd- und Selbstbild, welches weder wertneutral ist noch weitere Perspektiven der Interpretation der Situation zulässt. Auch das Selbstbild wird entworfen als ein kulturell gebundenes, welches aber auf einer höheren Reflexions- und Handlungsebene angesiedelt wird. Herr Wächter räumt sich selbst eine Handlungsfreiheit ein, welche den Anderen, den kulturell Gebundenen nicht im gleichen Maße zugestanden wird (Passage: Kultur): Wächter:

6 7

aber Südafrikaner sind schon n Menschenschlag weil alle eben Erwähnten auch wegen der Oberflächlichkeit ähm das ist jetzt nicht so negativ gemeint; wir reden jetzt über ein gewissen Spektrum //ja// einer Gesellschaft in der der der Großteil ist (.) ist so gestrickt dass er eben nicht so interessiert ist an Sachen; aber da das nicht eigentlich der Menschenschlag ist mit dem ich unbedingt so gut kann; muss man eben sehr stark raus und wühlen nach Freunden; das habe ich getan; deswegen fühle ich mich hier auch sehr wohl; //ja//

Zur Definition von ›Rassismus‹ s. Kap. 6.3. Der Begriff ›Othering‹ wurde ursprünglich von Gayatri Spivak geprägt. Damit wird der Prozess bezeichnet, durch den der imperiale Diskurs die Anderen bzw. das im Machtdiskurs ausgeschlossene Andere kreiert (Spivak 1985). In diesem Begriff steckt insbesondere der aktive Aspekt des Different-Machens (vgl. Spivak 1999: 113). Das eigene soziale Image wird positiv hervorgehoben, indem man einen Anderen bzw. etwas Anderes negativ und als andersartig darstellt und als ›fremd‹ klassifiziert.

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Das mangelnde Interesse, welches Herr Wächter hier darstellt, schreibt er dem »Menschenschlag« der Südafrikaner zu und setzt es als negativen Gegenhorizont zu seinen eigenen Interessen. Obwohl er einschränkt, dass es sich bei seiner Darstellung der Anderen nur um ein »Spektrum« handelt, sieht er doch die Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung als eine Einheit an, welche bestimmte Interessen verfolgt oder eben nicht verfolgt. Sein Selbstbild hingegen steht hier weniger in Bezug zu einer kulturellen Herkunft oder Zugehörigkeit als vielmehr zu dem eines individuellen Bedürfnisses und Handelns. Seine Suche nach erlesenen »Freunden« wird damit auch zu einem individuellen Erfolgserlebnis. In der Gegenüberstellung des eigenen Handelns und des Verhaltens der Anderen sowie der Darstellung des Selbst und der Darstellung des Anderen wird ersichtlich, dass kulturelle Gebundenheit, welche Herr Wächter als gegeben zu Grunde legt, für ihn und für die Anderen nicht das Gleiche heißt (Passage: Kultur): Wächter:

aber im Endeffekt (…) mit den Leuten sehr sehr über die Rassenscheide hinweg (.) mich unterhalte, und und sehr gut mit klar //mhm// komme weil ich eben auch eine gewisse äh äh Offenheit habe, die Schwarze sehr schätzen; //ja// äh wo Deutsche Probleme haben mit ihrer ganzen Einstellung; //mhm// weil Schwarze merken wenn was gespielt ist; //mhm// wenn man also jetzt versucht so ähm (.) praktisch sich anzubiedern; es ist ein Unterschied ob man mit ner gewissen Kritikfähigkeit //ja// auch an jemanden rangeht und sagt, pass se mal auf hier wie isn das oder sagt, das verstehe ich ja überhaupt nicht was du mir da jetzt erzählst; //mhm// oder ob man so sich anbiedert und meint, ja ja ist ja ganz toll und wie macht ihr das jetzt, das ist für mich ein großer Unterschied; das ist bei mir auch frühzeitig gewesen (.) dass ich Fremdheit auch immer anerkannt habe; und das was Schwarze eigentlich auch sehr schätzen wie ich gemerkt habe; wenn dieses (Toytoin?); dieses Tanzen auf der Stelle dieser politische Tanz in den achtziger Jahren; da da hab ich immer bissl lächeln müssen, wenn die Leute aus Europa kamen; die stu- die die Leute oder jetzt auch in den Neunzigern das war auch sone Sache; dann sind die immer dann haben die immer versucht mitzutanzen was immer relativ (1) lächerlich aussieht; weil die Schwarzen ne wunderbare Art und Weise haben sich zu bewegen; (.) und das sollte man einfach mal stehen lassen als was Fremdheit; //ja// und das ist nun mal nicht unsere Kultur, dass wir da äh groß anfangen zu tanzen; zu politischen Veranstaltung; oder dass wir ne direkte Faust haben; so am (…people) das ist für mich immer n ostdeutsches Symbol; Kommunistensymbol gewesen; damit habe ich nicht viel am Hut gehabt; also braucht ich auch nicht mich damit anzubiedern indem ich mich reinstellte oder was weiß ich zu machen; das hab ich nie gehabt; ich bin sehr in meiner eigenen Kultur auch zufrieden; auch mit der mit dem Wunsch was anzunehmen von der anderen Kultur und was was ich für gut befinde; (.) aber nicht hier irgendwo auf Teufel komm raus (.)

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 277

Herr Wächter stellt sich in dieser Passage als Jemand dar, der in einer Situation des Zusammentreffens von Menschen aus verschiedenen Milieus Überlegenheit ausstrahlt. Er »kommt klar« mit Differenz, was er in einer Theorie über das eigene Selbst als kausale Folge seiner »Offenheit« sieht. Er beschreibt sich als reflektiert und selbst-bewusst, im Sinne eines Bewusstseins über das eigene Handeln und Sein, und zieht dazu eine Theorie ›kultureller‹ Gebundenheit heran. Seine proklamierte Offenheit und Anerkennung von Fremdheit stehen auf der Basis einer wahrgenommenen Differenz von ›Kulturen‹. So sieht er sich einer Kultur zugehörig, welche Tanz nicht in Zusammenhang mit Politik bringt und auch symbolische Gesten, wie eine erhobene geballte Faust, nicht benutzt. Dieser hier bildlich entworfenen Kultur, die in Abgrenzung zur Kultur der »Schwarzen« definiert wird (und in Abgrenzung zur DDR: »ostdeutsches Symbol«), bleibt sich Herr Wächter nach seiner Definition treu. Eine Nachahmung des Verhaltens der Schwarzen sieht Herr Wächter als Anbiederung und Falschheit an, die seinem Erachten nach auch von Schwarzen nicht erwünscht ist. Die kulturelle Zuschreibung der Schwarzen erfolgt hier ebenfalls auf einer Vergleichsebene kultureller Differenzen und in Bezug auf die Anderen, die hier die »Weißen« sind. Die Schwarzen, so Herr Wächter, »schätzen« »Offenheit« und »merken wenn was gespielt ist«. Er charakterisiert somit die ›Kultur‹ der ›Schwarzen‹, ihre Bewertung und Einschätzung, im Rahmen der Interaktion mit ›Weißen‹. Das eigene (weiße) Verhalten wird damit durch die Augen der Anderen beurteilt. Auch die eigene Beurteilung, etwa des Tanzens von Europäerinnen, findet auf der Vergleichsebene statt. Das peinliche Berührtsein (»da hab ich immer bissl lächeln müssen«, »lächerlich aussieht«) erwächst der Wahrnehmung von Unterschieden. Die Verwobenheit und die impliziten Selbst- und Fremdbilder einer kulturalisierenden Darstellung werden hier offensichtlich. Die »wunderbare Art und Weise [haben] sich zu bewegen«, welche Herr Wächter den Schwarzen zuschreibt, bekommt ihre Bedeutsamkeit erst durch den wahrgenommenen Kontrast. Dass es sich bei den kulturalisierenden Beschreibungen von Herrn Wächter notgedrungen um eine Pauschalisierung handelt, die zudem einem stereotypen und rassistischen Bild entsprechen,8 soll an dieser Stelle nicht vernachlässigt werden. Denn 8

Das Bild des tanzenden Afrikaners, insbesondere auch der Afrikanerin, ist ein weit zurückreichendes Stereotyp, welches an rassistische Diskurse des »wilden Afrikaners« anknüpft (vgl. Lewerentz 2006). Dies kann auch im Sinne eines positiven Rassismus gesehen werden, der zunächst weniger problematisch erscheint als negative rassistische Zuweisungen, jedoch ebenso Zuschreibungen aufgrund von Äußerlichkeiten wie Haut und Haarfarbe oder ›Kultur‹ vornimmt und zu nahezu unveränderlichen (vererbbaren) Merkmalen und Charakterzügen macht. Auch positiver Rassismus kann zu einer Rechtfertigung von Diskriminierung führen und einem Überlegenheitsgefühl einer Gruppe zuträglich sein. In der Konstruktion von Europa und Afrika zeichnet sich hier eine sowohl negativ rassistische als auch positiv konnotierte und auch rassistische Differenzierung zwischen ›Natur‹ und ›Kultur‹ ab. Afrikaner erscheinen dann als natürlicher und wilder und rufen romantisierende Bilder von einem Urzustand im Einklang mit der Natur auf.

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auch wenn in Herrn Wächters kulturalisierender Darstellung offenkundig wird, wie Kultur immer durch gegenseitige Betrachtung und Wahrnehmung von Differenz konstruiert wird und damit niemals als autonom und homogen gedacht werden kann, sondern immer auf den Anderen angewiesen ist, zeigt sich auch, dass ›Kultur‹ als Zuschreibung nicht wertneutral ist. Sein ethnologischer Blick ist nicht nur folkloristisch, sondern auch wertend. Die Kultur der Anderen und die eigene Kultur stehen nicht auf einer Ebene, von der aus Unterschiede betrachtet und beschrieben werden, sondern in der Darstellung von Kultur lassen sich immanente Wertungen dieser finden. Insbesondere Differenzierungen innerhalb einer ›Kultur‹ scheinen im Fall von Herrn Wächter hauptsächlich innerhalb der eigenen ›Kultur‹ aufzutreten, denn auch wenn sich Herr Wächter einer weißen, europäischen ›Kultur‹ zugehörig empfindet, distanziert er sich von den Nachahmungspraxen anderer Europäerinnen und setzt dem kollektivierenden Bild kultureller Ver- und Gebundenheit eine individuelle Handlungspraxis entgegen. Er grenzt sich hier von der ›eignen Gruppe‹ ab, indem er sagt, sie würden sich »anbiedern«, und wertet sich und sein eigenes Verhalten damit auf. Die Abgrenzung und Aufwertung funktioniert auch innerhalb der ›Wir-Gruppe‹ mit einer Einschätzung und Bewertung ›richtigen‹ und ›falschen‹ Verhaltens. Diese Ideologie schafft ein spezifisches Welt- und Selbstverständnis. Seine Distanz und Zurückhaltung im Zusammentreffen mit der einheimischen schwarzen Bevölkerung erfährt durch die Kritik der Praxis anderer Europäer eine Zuschreibung ›kompetenten‹ Verhaltens, wobei die Anderen (›Schwarzen‹) und deren Reaktion als Bewertungsmaßstab dienen (welcher von Herrn Wächter interpretiert wird). Ob es sich bei diesem Prozess der Darstellung eigener kultureller Gebundenheit und gleichzeitiger Handlungsfreiheit nur um ein Phänomen subjektiver Sicht und konjunktiven Wissens handelt, welche Differenzierungen erlauben, oder ob sich dahinter auch ein generalisierendes eurozentristisches Bild verbirgt, kann hier nicht beantwortet werden, wird jedoch mitgedacht. Die Problematik kultureller Zuschreibung, welche mit rassistischem Denken deckungsgleich werden kann, etwa im Sinne einer wohlwollenden paternalistisch-wertenden Haltung, wird anhand Herrn Wächters Beschreibung von »Farbigen« anschaulich (Passage: Kultur): Wächter:

und eins vielleicht noch was dich vielleicht bisschen interessieren könnte warum ich (.) nun gerade Kapstadt sone geniale Stadt finde, (.) das hätte ich fast eben verschwitzt noch darüber hinaus; wir haben hier ne Bevölkerungsgruppe die Farbigen; oder die coloreds //mhm// jedenfalls ne Mischgruppe; die eine äußerst angenehme Gruppe für mich zum Zusammenleben sind; weil (.) sie haben ein eine Art eine sehr (.) nette Art eine eine Art eine nett ist so (.) äh wirklich das soll auch wirklich allumfassend mal wirken; die sind einfach die haben einen sehr guten Sinn für Humor; den ich sehr gut nachvollziehen kann; (.) die haben (.) eine (.)

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 279

die sehen Sachen; also sie sie haben eine sehr (.) äh (.) eine Lebenseinstellung die ich sehr stark so mit Südeuropäer //mhm// vergleiche; (1) sie sie sie gucken nach oben sie gucken zum Weißen; zum zum weißen Kleinbürgertum; als das was sie gerne erreichen würden; (.) und sie sind auch im Handwerksbetrieben; und sie sind sehr praktisch; sie sind ne also auch ne Gruppe mit der man auch sehr was aufbauen kann; //mhm// und das hab- ist die größte Gruppe in Kapstadt noch; //okay// und das macht sehr sehr angenehm mit solchen Leuten (.) was zu tun zu haben; sie heißen deswegen auch braune Buren; sie sprechen Afrikaans; als ihre Sprache wie also die Buren; (.) sie sind eigentlich sehr mehrheitlich ähm in der niederdeutschen Kirche; (.) in ner reformierten Kirche; sie sind so ähm sind sehr religiös eingestellt; (.) was ich per se immer ganz gut finde; @nich weil ichs immer bin;@ sondern weil ähm sondern weil ich denke dass Religion ein sehr gutes Wertesystem für gewöhnlich den Leuten mit auf den Weg gibt; //mhm// und ich hab häufig gesehen in Afrika die Leuten, die was erreicht haben auch unter Schwarzen sehr religiös sind; //mhm// die glauben irgendwie an Sachen oder die haben ihren ihre Eltern als Fr- Rollenvorbild; dann sind auch die Kinder (.) er- erleben das unterbewusst die ganze Zeit; //mhmh// und das ist auch bei Farbigen sehr stark;

Die Begrifflichkeiten, mit denen Herr Wächter die Bevölkerungsgruppe der »colordes« beschreibt (»eine sehr (.) nette Art«, » die haben einen sehr guten Sinn für Humor«, » sie gucken nach oben«, » sie sind sehr praktisch«), aber vor allem die Zuschreibungen von Verhalten und »Art«9 zu einer Gruppe können problematisierend als rassistisch bezeichnet werden. Herr Wächter schafft in seiner konkreten und detaillierten wie auch positiv wertenden Beschreibung eine homogene Gruppe, die als gemeinsames Merkmal eine Hautfarbe hat, welche zwischen der Gruppe der Weißen und der Schwarzen steht (»Mischgruppe«). Um die Gruppe zu beschreiben, bezieht sich Herr Wächter auf eine Umgangs-»Art« und eine »Lebenseinstellung«. Beides sind Begriffe, die sehr weit, unkonkret und pauschal sind. In der Konkretisierung verweist Herr Wächter auf den sozialen Status der Gruppe, Aufstiegsaspirationen, Berufsgruppe (»Handwerksbetrieben«), Mehrheitsstatus (»größte Gruppe«), die Sprache (»Afrikaans«), Religion und Religiosität, und schafft damit einen sehr detaillierten Blick. In der komparativen Analyse innerhalb des Interviews mit Herrn Wächter fällt auf, dass er die »Farbigen« im Gegensatz zu Schwarzen und Weißen nicht innerhalb historischer Entwicklungen thematisiert, sondern sich ausschließlich auf seinen gegenwärtigen Umgang mit ihnen bezieht und ihr Verhalten, anders als das der »Schwarzen«, von ihm nicht kritisiert wird. Er distanziert sich zu Weißen und Schwarzen, 9

Unter »Art« wird eine angeborene, jemandem innewohnende Eigenart verstanden bzw. eine Weise des Sichverhaltens oder eine Gewohnheit im Handeln. Hier werden Personen bestimmte scheinbar natürliche Merkmale zugeschrieben und damit wird der Aspekt der Zuschreibung vertuscht.

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entwickelt aber zu den »colordes« ein Konstrukt, mit dem er sich identifizieren kann. Die Relevanz dieses Konstrukts wird insofern deutlich, als Herr Wächter explizit darauf eingeht (»hätte ich fast eben verschwitzt«). Auf performativer Ebene dokumentiert sich dies in wiederholten Satzabbrüchen und Neuformulierungen. So werden eher implizit, aber auch explizit Identitätspunkte zu dieser Gruppe formuliert, etwa am Thema der Religion. In der Beschreibung der »colordes« als nach oben blickend, drückt sich ein Herrschaftsverhältnis aus, welches eine Assimilation der »colordes« an eine weiße Kultur nahelegt. Der Vergleich mit der Gruppe der »Südeuropäer« verdeutlicht, dass Herr Wächter die Differenz nur dann akzeptiert, wenn sie ihm vertraut ist. Von der Gruppe der »Farbigen«, mit denen Herr Wächter das »Zusammenleben« als »angenehm« empfindet, grenzt er anschließend die ihm fremd bleibenden »Schwarzen« ab (Passage: Kultur): Wächter:

die diese größte Gruppe eben die dabei ist; die Schwarzen die ich immer sehr interessant als Gruppe finde, aber wo ich zugeben muss dass (eine) kulturelle Fremdheit bleibt; ähm außer wenn ( ) Bereitschaft stärker von der schwarzen Gruppe auch erstmal rüberzuspringen; das tun sie zwar sprachlich, aber ich finde dass die Schwarzen sehr stark in ihrer eigenen Kultur in ihrer eigenen an ihrer eigenen Kultur festhalten; extrem stark. außer dass man eben sich n schönes Auto kauft; ne Stereoanlage reinstellt; dann denken viele Weiße aha die sind ja bei uns voll angedockt; aber im Gegenteil die das ist dieser äußerliche Schein ist vollkommen (.) blendet völlig über das äh verblendet äh verdeckt was eigentlich noch ist; nämlich n sehr starkes Festhalten an der eigenen Kultur; und das hab ich eben auch bei dieser schwarzen Freundin sehr stark bemerkt; dass die das dass die den Wunsch hatte rauszukommen; rüberzugehen; über ihre Kultur; (.) äh die hab ich nämlich kennen gelernt in der bei der französischen Handelskammer; //mhm// die hat sehr stark als sie herunterkam aus ihrem ländlichen Gebiet; hat sie hier französisch gelernt einfach mal; (.) und dadurch hat sie sich hat sie gemerkt wie die weiße Kultur funktioniert; und ich fand das faszinierend wie sie da reingefunden hat; und dann ist ne (.) wirklich ne tolle Gelegenheit um (.) einander (.) zu finden auch //mhm// zwischen den Kulturen; wenn da Bereitschaft nicht nur von unsrer Seite ist, //mhm// sondern auch von der anderen Seite //mhm// kommt;

Auch hier stellt Herr Wächter die Anderen kulturalisierend dar. Dabei bezieht er sich sowohl explizit als auch implizit auf seine eigene Kultur. Die Anderen bleiben ihm fremd, auch wenn er scheinbar Interesse hat. Die Fremdheit interpretiert Herr Wächter als »kulturelle«. Werden die impliziten Zuschreibungen der jeweiligen Kultur ausbuchstabiert, zeigen sich nochmals andere kulturelle Zuschreibungsmerkmale, als dies in Herrn Wächters Beschreibung der »coloreds« der Fall war. So thematisiert er zwar wiederum Sprache als kulturelle Markierung,

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 281

daneben tauchen aber vor allem Konsumgüter als kulturell gebundene Kennzeichen auf (»schönes Auto«, »Stereoanlage«). Die »weiße« Kultur beschreibt Herr Wächter anhand von Luxusgütern und Sprache. Durch das Erlernen der französischen Sprache, so Wächter, habe seine Freundin »gemerkt wie die weiße Kultur funktioniert«. Die Begrifflichkeiten, die Herr Wächter hier wählt, und der Kontext der Aussage, weisen darauf hin, dass es sich dabei nicht allein um ein sprachliches Verständnis handelt, sondern Sprache im Sinne eines Ausdrucks einer Kultur verstanden wird.10 Die Kultur der Schwarzen benennt Herr Wächter nicht im Konkreten. Das »Festhalten«»an ihrer eigenen Kultur« ist für Herrn Wächter der Grund für einen mangelnden Austausch und indirekt ein Zeichen fehlender Entwicklung. Dies drückt sich in Worten wie »angedockt«, »was eigentlich noch ist«, »raus« und »rüber« aus. Grundsätzlich nimmt Herr Wächter an, dass es möglich ist, über kulturelle Grenzen zu »springen«, und dass Begegnungen »zwischen den Kulturen« stattfinden können. Das Interesse am Anderen und die Bereitschaft eigene kulturelle Bindungen aufzugeben und sich auf Neues einzulassen, wird so zur Bedingung interkultureller Begegnung. Das Zueinanderfinden, welches Herr Wächter schon zuvor thematisiert hatte, taucht auch hier wieder auf. Die Bewegung ist dabei aber ausschließlich bei den Anderen angesiedelt, die sich über Statussymbole hinaus auf eine europäische ›Kultur‹ einlassen müssen, um sie zu verinnerlichen. Die Inkorporierung der europäischen ›Kultur‹ legt implizit die Aufgabe der eigenen ›Kultur‹ nahe. Eine kritische Selbstreflexion der eigenen Bereitschaft wie auch eine Thematisierung der historischen und aktuellen politischen Situation tauchen hier nicht auf. In der folgenden Sequenz thematisiert Herr Wächter dann die eigenen Grenzen und verweist auf die Schwierigkeit, sich interkulturell zu begegnen, wenn mangelndes Wissen und Missverständnis die Situation prägen (Passage: Kultur): Wächter:

und das seh ich als den größten Trugschluss an, (1) der im Westen auch verbraten wird; dass wir Afrika immer falsch sehen; dass wir nur Stereotypen von Afrika verbraten; (.) wir hatten hier n Seminar vor vor sechs

10 Herr Wächter bezieht sich hier möglicherweise auf Kultur im Sinne einer ›Hochkultur‹. Denn interessanterweise verweist Herr Wächter hier auf das Französische als Dokument einer »weißen Kultur«, nicht aber auf Englisch, was ja ebenfalls Kolonialsprache war und ist. Das Erlernen einer Fremdsprache, die ursprünglich aus Europa stammt (heute wird Französisch von über 100 Millionen Menschen auf der Welt gesprochen und ist allein auf dem afrikanischen Kontinent Amtssprache von 23 Ländern.), ist in der Aussage von Herrn Wächter nicht nur eine Erweiterung des Sprachwissens, sondern zugleich Zugangsmöglichkeit zu einer Kulturgemeinschaft. Jouhy hat den Zusammenhang von Hochsprache und Herrschaftsverhältnissen insbesondere in Drittweltländern kritisch thematisiert. »Das permanente Anwachsen von Macht und die ständig größere Bedeutung von Bildung und Kommunikation in eurogenen Sprachen fördert nach Jouhy die ökonomische und politische Macht des Imperialismus und des Neoimperialismus« (von Pape 1995: 179). Gleichzeitig wird auch auf die Entwicklung emanzipatorischer Handlungskompetenz durch Mitsprache verwiesen (vg. ebd.: 180).

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Monaten von vom vorm Dreivierteljahr vom Auswärtigen Amt; und es war für mich erschreckend das waren deutsche (.) und afrikanische Journalisten zusammen; wie wenig die Afrikaner die uns vorwerfen in Stereotypen oder Klischees zu denken; über uns wissen; die wissen nämlich nichts über uns; (.) das einzige was die über uns erfahren sind vielleicht Sachen wie (.) Anschlag auf Asylantenheim; (.) im sächsischen Landtag irgendwelche Rechtsradikalen wieder ähm äh Randale machen; //mhm// ein Kannibale der in (…) der in Kassel Menschen (verh-) //ja// das sind so die deutschen Bilder; und das und uns wird vorgeworfen wir hätten (1) verzerr- //ja// wir hätten Zerrbilder. //ja// und das ärgert mich sehr (.) als jemand der sich seit zwanzig Jahren bemüht; diese Kulturscheide zu überbrücken so gut es geht oder (einz-) und wieder zurückzukommen zu reflektieren; immer wieder vorgeworfen zu kriegen, dass wir doch ach so ähm Stereotyp wären; //ja// das find ich also eigentlich di- die größte Beleidigung die man (.) uns gegenüber auch als Journalisten äh bringt; bei manchen ist es wirklich der Fall wenn man Journalisten die sich einfach nicht bemühen; //ja// oder diese Blasen weiterhin leben; aber ich muss meinen Kollegen wirklich sagen, (.) also die jetzt von denen über den wir hier der Torsten der hier wohnt der ja selber achtzehn Jahre oder sechzehn Jahre da in (…) groß geworden ist; im im Kongo oder auch der Roland der wirklich reintaucht; und der loszieht und dann (1) sehr gut reflektiert; also äh ohne dass das jetzt hier arrogant (wirkt) dass ich den Roland hier so bewerte; also der das wirklich toll macht mit seinen ähm mit seinen Reportagen; (1) uns also vorzuwerfen, dass wir das alles nur immer durch unsere weiße Brille sehen; unsere weiße Augen; nur (.) dass halt ich für reichlich vermessen das wir in unserer Kultur stecken bisschen; das ist wohl (1) was was was //ja// uns nachgesehen werden muss

Herr Wächter bezieht in seinen Aussagen über die Afrikanerinnen nun eine konkrete Erfahrung mit afrikanischen Journalistinnen ein und entfaltet in dieser Passage die Thematik des Verständnisses von Kultur und der Bereitschaft zum Lernen. Sich selbst und seine Kollegen (Torsten und Roland) sieht Herr Wächter als sich um die Anderen und ein Verständnis deren Kultur bemühend an, wohingegen er dies von Seiten der Afrikaner vermisst (»die wissen nämlich nichts über uns«). Den Vorwurf afrikanischer Kollegen, er als Weißer nähme die Dinge nur aus einer bestimmten Perspektive wahr, weist Herr Wächter als »Beleidigung« zurück. Dabei reflektiert Herr Wächter seine eigenen Pauschalisierungen nicht, sondern weist sie bei einer Rückmeldung als Affront ab. Dies deutet darauf hin, dass Herr Wächter wohl ein Bewusstsein über eigene Pauschalisierung hat, diese jedoch ausgegrenzt werden. Seine Arbeit versteht er als Versuch, Verständnis und Wissen zu schaffen, ohne dabei in Stereotypen verhangen zu bleiben. Ein »bisschen« »weiße Brille« ist seiner Meinung nach, ein nicht zu überwindender Fakt kultureller Gebundenheit und Prägung.

284 | INTERKULTURELLE HANDLUNGSKOMPETENZ

Auch bei ARNE HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA findet sich eine Interpretation und Darstellung der Anderen als kulturell Andere (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

wenn sie hier ins Taxi steigen die vergessen ja manchmal zu tanken und bleiben irgendwie nach zwei Kilometern liegen und so was @(.)@ //mhm// das ist dann sind andere is ne andere Art zu denken ne andere Art vorauszudenken oder so; (1) manchmal hab ich den Eindruck die leben alle nur so in der Gegenwart und es ist denen völlig egal was morgen ist; //mhm//

Ebenso wie Herr Wächter bezieht sich Herr Hamm bei seiner Darstellung der Einheimischen auf deren »Art« und spricht verallgemeinernd über »die« Anderen. Das Verhalten der Taxifahrer, hier das Nicht-Tanken, wird zu einem Symbol, welches mangelnde Weitsicht und Gleichgültigkeit als typisch ausdrückt. Weitere mögliche Erklärungen für das Nicht-Tanken, wie etwa finanzielle Probleme, werden nicht herangezogen. Das Thema wird als kulturelles abgehandelt, in dem sich Fremdheit und Andersheit dokumentiert. Auch im privaten Bereich spricht Herr Hamm verallgemeinernd vom Verhalten seiner »kenianischen Freunde« als typisch für deren Herkunft (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Hamm:

wir haben also wir haben n paar kenianische Freunde aber die sind auch sehr unzuverlässig und melden sich nicht @(.)@ haben ein anderes Zeitgefühl ein andern andern Rhythmus; ähm offenbar auch andere Prioritäten nich, ich glaube das des diese wir haben so ne bestimmte Art von Effizienz von der man immer spricht in Deutschland die man aber erst erlebt wenn man in Afrika ist @(.)@ und mitkriegt wie wenig effizient die Menschen um einen herum sind;

Herr Hamm zieht in dieser Passage verschiedene Erklärungstheorien (»unzuverlässig«, »Zeitgefühl«, »Rhythmus«) heran, um den unterschiedlichen privaten Umgang zwischen ihm und seinen Freunden zu markieren, und folgt dabei einer kulturalisierenden Darstellung. Das Schema Ich – Andere wird aufrechterhalten und zudem einer Wertung unterzogen. Die eigene »Art« wird nicht nur als »anders« benannt, sondern mithilfe des Begriffs »Effizienz« auch als überlegen dargestellt. Die Beschreibung der Anderen ist unter anderem daran orientiert, was sie nicht sind, womit implizit darauf verwiesen wird, welches Selbstbild sich dahinter versteckt, etwa »effizient« zu sein. Auch HANNA KATOSCHEK, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA beschreibt in einer Passage die Anderen eher als defizitär, sich selbst setzt sie dazu als positiven Gegenhorizont (Passage: Ankommen):

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Katoschek:

Y: Katoschek:

Katoschek:

also man hat oft das Gefühl also man selbst macht puscht einfach zu viel oder muss puschen schon eigentlich haben viele (1) lokale also Partnerorganisationen gar nicht Lust was zu verändern; //mhm// das ist eher so unser Wunsch oft ja, °die haben wenig° viele haben wenig Interesse an der Sache, //mhm// und haben gar nicht n Anspruch irgendwie die Arbeit zu verbessern, mehr Leuten zu erreichen, mehr Leuten zu helfen, weil im HIV-Aidsbereich gehts halt auch viel um soziale Verantwortung, //ja// und dann merk ich oft dass es überhaupt kein kein commitment gibt Kannste da irgendwie das ist unterschiedlich natürlich je nachdem aber es gibt nich so viele wirklich commitete Leute, //mhm// Fällt dir da irgendwie ein Beispiel ein irgendeine Geschichte? Wo du sagst da bin ich hingegangen und hab das und das versucht, oder so ja unser jetziger Partner halt, °ich weiß n- muss anonymisiert werden;° also die (3) die Kultur ist so dass es überhaupt kein eigenes Interesse gibt so lange ich meine Pfründe im Trockenen habe; //mhm// habe ich kein Berufsethos und strenge mich nicht an um meine Arbeit gut zu machen; [Auslassung] ja wir arbeiten mit einem Partner, (4) und solang wir da nicht irgendwie solange der nicht erkennt (.) dass wir finanziell ihm einen Vorteil bieten als Person, ist er nicht bereit mit uns an dem gemeinsamen BesserWerden ja, oder Programm-Entwickeln interessiert; das geht dann dahin dass einfach Kommunikation blockiert wird, man wird zwar geduldet aber eigentlich auch nicht gefördert, also es gibt einfach keine Kommunikation; keine Unterstützung bei der Arbeit und wir machen ja keine (.) wir beraten ja eigentlich nur; //ja// und diese Rolle passt ihm nicht oder es gefällt ihm nicht ja, und das ist eigentlich so offensichtlich ja, gut da muss man dann sagen geht man da weg, //ja// warum macht man dann da weiter (3) aber dazu muss man son bisschen die kenianische Kultur verstehen; (1)

In Frau Katoscheks Aussagen über ihre Erfahrung interkultureller Zusammenarbeit dokumentiert sich eine kulturalisierende Perspektive ebenfalls durch ein deutliches Wir-Sie-Bild. Das Verhalten der kenianischen Kollegen erlebt Frau Katoschek als Desinteresse, welches sie der »Kultur« zuschreibt. Sie selbst nimmt sich in der Situation als aktiv und handelnd wahr, ihre kenianischen Kollegen indes als passiv und blockierend. Ihrem Wunsch und Bedürfnis, etwas zu verändern, steht das Nicht-Wollen und Nicht-Handeln der Anderen gegenüber. Die Differenz und die Frustration darüber finden in einer kulturalisierenden Erklärungstheorie ihren Ausdruck. Dabei werden die Anderen vor allem als defizitär beschrieben (»nicht Lust«, »wenig Interesse«, »nicht n Anspruch«, »kein commitment«, »kein Berufsethos«, »nicht bereit«, »nicht gefördert«, »keine Kommunikation«, »keine Unterstützung«). Das mangelnde Interesse ihrer Kollegen an der Arbeit ist für Frau Katoschek etwas, was nicht über Kommunikation verändert werden könnte, sondern als kulturelle Prägung deren Sein bestimmt.

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Frau Katoschek stellt zwar Vermutungen über mögliche Ursachen des Verhaltens ihres Kollegen an (»diese Rolle passt ihm nicht«), die Motive des Gegenübers fallen jedoch hinter eine kulturelle Zuschreibung des Verhaltens zurück. Durch die Festschreibung des Handelns als kulturell typischem werden andere Interpretations- und Handlungsalternativen verworfen. Kultur wird dann nicht nur zu einer grundlegenden Basis der Einschätzung und des Verständnisses von Welt, sondern zu einer leitenden Handlungsmatrix, für die man Verständnis aufbringen kann oder nicht, mit der man zurechtkommt oder nicht, die aber in ihren Grundrichtungen nicht verändert werden kann. Ebenso wie bei Herrn Wächter wird Fremdheit im Rahmen einer fehlenden Bewegung der Anderen auf ihren Orientierungsrahmen hin entfaltet. Und auch hier taucht im Bild des Afrikaners eine Orientierung an Konsum auf. Bei Herrn Wächter traten symbolisch Stereoanlage und Autos auf, hier ist es der finanzielle Vorteil. Die Grenzen interkultureller Kommunikation und Begegnung werden hier deutlich. So sieht Frau Katoschek zwischen ihr und den Anderen einen »kulturellen Gap«, der für sie unüberwindbar ist (Passage: Beziehung): Katoschek:

ich möchte keine interk- interkulturelle Ehe ich möchte keine Beziehung zum Kenianer; //mhm// aber das wusste ich vorher nicht; ja, das hat sich eher so ergeben; ich hatte //wodurch?// ich hatte Beziehungen zu (1) zu Kenianern auch auch auch zu einem Haitianer; //mhm// damals hab ich noch nicht gedacht dass ich das für mich ausschließen möchte oder so; warum auch ja, also (1) aber mittlerweile weiß ich dass ich das nicht möchte das ist mir ich kann diesen kulturellen Gap nicht überbrücken; ich ich wills einfach auch nicht; //mhm// und die leben anders leben; ich bin unterschiedlich also wir sind einfach sehr unterschiedlich

Die Differenz zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen und denen kenianischer oder haitianischer Männer sieht Frau Katoschek als ein Hindernis für eine engere, auf die Zukunft ausgerichtete Beziehung. Frau Katoschek erlebt sich als »unterschiedlich« zu ihnen und führt dies auf eine kulturelle Verortung zurück, welche vielleicht für kurze Zeit irrelevant ist, der jedoch in Fragen der Lebensplanung eine hohe Bedeutung zukommt. Kulturelle Unterschiede bleiben in Frau Katoscheks Vorstellung immer bestehen und können nur mit einem starken Interesse am Anderen und Fremden positiv wahrgenommen werden. Interkulturelle Begegnungen brauchen demnach immer ein Interesse und eine Freude an Fremden und stehen immer außerhalb des alltäglichen Lebens, da Verständnis und Verstehen nicht innerhalb eines konjunktiven Erfahrungsraumes (wie gemeinsame Erfahrungen in einer Beziehung beispielsweise) unmittelbar geschehen, sondern immer hergestellt werden müssen.11

11 In der praxeologischen Wissensoziologie spricht man von einem konjunktiven Verstehen als einem unmittelbaren Verstehen (vgl. Bohnsack 2008).

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 287

BEATE MEIER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN SÜDAFRIKA stellt die Anderen generalisierend im Zusammenhang mit einer Nation und damit implizit kulturalisierend dar, wobei sie im Gegensatz zu Herrn Wächter, Herrn Hamm und Frau Katoschek das Verhalten der Anderen nicht negativ bewertet (Passage: Position als Weiße): Y:

Meier: Y:

Meier:

was denkst du was das fürne Rolle spielt dass du Weiße, oder Deutsche bist in Afrika oder für dein Leben im Ausland? Spielt das überhaupt ne Rolle? mhm du meinst jetzt (1) mhm konkretisier mal bisschen was meinst du mit Rolle? ja also ähm (.) ob du damit also ob du zum Beispiel damit konfrontiert wirst dass du weiß bist oder dass du Deutsche bist zum Beispiel (.) in deinen privaten oder auch beruflichen Kontakten; (1) ob das ein Thema ist oder ob das eher kein Thema ist; (3) also ich find das jetzt hier in äh ich find das ist schon ganz verschieden halt welches Land ne, also in Sambia fand ich es immer als sehr angenehm, //mhm// auch sehr äh man hatte ne besondere Stellung; man wird irgendwie mit Madame angesprochen; man ist irgendwie gleich schon wird irgendwie auf son Podest gestellt; und was einem vielleicht am Anfang erstmal unangenehm sein kann aber im Laufe der Zeit eigentlich auch joah irgendwie auch so sein Angenehmes hat und man is man hat auch irgendwie so sone Sonderstellung oder was weiß ich was irgendwo durch die Straßensperre durchfährt und man ist zu schnell gefahren oder son Speedtrap oder so man ist schnell schnell gefahren dann kann man immer irgendwie mit n bisschen Charme und n bisschen Witz oder so ähm ja sich da (irgendwie) wieder herausmanövrieren oder so. und //mhm// wir haben halt auch viele Vorteile dadurch; //mhm// und ist irgendwie sehr angesehen; und in Namibia hatte ich immer so das Gefühl in Südafrika das man halt als weiß sein (1) ich hab noch nie umgekehrten Rassismus erlebt; und das find ich irgendwie auch was Besonderes an Afrika; wo ich immer so denke ähm ja eigentlich müsste es ja umgekehrten Rassismus geben wenn du in Deutschland als als Schwarzer auf der Straße rumläufst bist du schon potentiell kriminell; und wenn du hier als Weißer rumläufst müsstest du ja eigentlich auch von aufgrund von ähm Vergangenheit auch ja eigentlich son Hass geben; oder so was aber das habe ich halt noch nicht erlebt; egal wo ich war in welchem Land in Afrika; selbst in (Namibia) Südafrika nicht; //mhm// ich finde aber schon dass hier so diese gerade halt mit ähm ja Regierung oder halt auch so High-Kaliber schwarzen Südafrikaner dass da mehr sone Distanz is; irgendwie nicht sone Herzlichkeit nich son ähm ja schon noch son bisschen- klar sie brauchen immer n bisschen Zeit halt um sich an einem zu gewöhnen //mhm// das man halt irgendwie anders ist als Weiße aus Deutschland Kommende Entwick- also Development workers; ähm das dauert schon n bisschen und ich hab immer so das Gefühl so ganz

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letztendlich ähm ja so locker flockig gehts dann halt auch nicht; weil ich denk die meisten Menschen hier schon ziemlich traumatisiert sind aus der Apartheidszeit; noch //mhm// (2)

In einer Situation, wo mit Anderen umgegangen werden muss, versucht Frau Meier zu verstehen, was die Anderen bewegt. Dies zeigt sich auch in der Perfomanz des Interviews, wo Frau Meier mich bittet, meine Frage konkreter zu formulieren. Sie setzt zwar mit einem Satz an »mmh du meinst jetzt-«, bricht dann aber ab. So vergewissert sie sich, die Frage richtig verstanden zu haben, und gewinnt Zeit zum Überlegen.12 Dies ist insofern von Bedeutung, als auch das Interview als solches und die Interaktion mit mir als Fremden einen Hinweis auf Frau Meiers Haltung und Orientierung in einer interkulturellen Situation gibt. So erkundigt Frau Meier sich nach meiner Position und meinem Anliegen und schafft damit eine Kommunikationsebene, sorgt für eine Explizitheit, wohingegen sich die meisten anderen Interviewpartnerinnen mit meinen Fragen und kurzen Anmerkungen zufrieden gaben. Auch hier lässt sich also die Ebene des Verständnisses des Anderen finden. In ihrer Darstellung der Fremden taucht diese Suche nach Verständnis vor allem dort auf, wo Frau Meier über Südafrikanerinnen spricht und deren Verhalten historisch-politisch einzuschätzen sucht. Das Verhalten der Sambianer hinterfragt Frau Meier nicht in gleichem Maße, vielmehr erscheint es als selbstverständlich innerhalb des Rahmens kultureller und ökonomischer Unterschiede. In Sambia habe sie unter den Einheimischen eine exponierte Stellung innegehabt, erzählt Frau Meier, welche für sie positiv konnotiert ist, wohingegen sie in Südafrika ihre Hautfarbe als Trennungsmerkmal und Ursache für Distanz wahrnimmt. Frau Meier genießt die Vorteile in Sambia, die mit ihrer europäischen Herkunft einhergehen, und sieht es als einen nicht weiter zu hinterfragenden Umstand an, dass sie von den Einheimischen auf »ein Podest gestellt« wird. Gleichzeitig übernimmt sie umstandslos die ihr zugedachte Position und weiß sich in dieser Rolle zu verhalten. So entkommt sie etwa einer Geldbuße durch den Einsatz von »Charme« und »Witz«. Die Privilegierungserfahrung führt nicht, wie Frau Meier es auch andeutet, zu einer Problematisierung (»unangenehm«) oder Distanzierung, vielmehr erscheint die privilegierte Position als der Situation angemessen. Die Anderen werden in der Beschreibung der konkreten Situation nicht als besonders kulant oder höflich dargestellt, sondern vielmehr als generell gegenüber Weißen ehrerbietig. Nach einer anfänglichen Irritation löst die Ehrerbietung keine weiteren Unsicherheiten aus. Diese Situation wird von Frau Meier akzeptiert und in einen Ablauf der Handlungsroutine überführt, in der das Verhalten der Afrikanerinnen als angemessen eingeordnet wird. Hier findet also eine 12 Dies war schon zu Beginn des Interviews so, wo Frau Meier ihre Überraschung darüber kundtat, nun unvorbereitet aus ihrem Leben erzählen zu sollen, dabei unsicher war, wo sie anfangen und in Hinblick auf welche Thematik sie ihre Lebensgeschichte erzählen soll.

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 289

›erfolgreiche‹ Transformation einer anfänglichen Irritation statt: Es gibt keine weiteren negativen Fremdheitserfahrungen. Ihre Erfahrung in Südafrika scheint sich von der in Sambia zu unterscheiden und Frau Meier beschreibt hauptsächlich einen Mangel an Nähe und »Herzlichkeit« im Kontakt mit »Schwarzen«, welche sie im Zusammenhang mit deren sozialer Position (»Regierung«, »HighKaliber«) thematisiert. Frau Meier schildert keinerlei konkrete Erfahrungen aus Südafrika, sondern beginnt ihre Ausführungen über die Situation in Südafrika mit einer Erklärungstheorie. In dieser Theorie schreibt Frau Meier den Südafrikanern bestimmte Verhaltensmuster zu, die sie mit deren Vergangenheit begründet: Die Südafrikanerinnen bräuchten Zeit, um »sich an einen zu gewöhnen«, da sie »traumatisiert« seien. Sie müssten erst erkennen, dass sie als weiße Entwicklungshelferin »anders« ist als die Weißen der Kolonial- und Apartheidszeit. Dies bringt Frau Meier nicht vorwurfsvoll zum Ausdruck, vielmehr drückt sie ihr Erstaunen über das Nicht-Vorhandensein von Rassismus aus. In diesen Aussagen dokumentiert sich eine generalisierende Haltung, in der kollektives Verhalten an einer Nation bzw. einer Hautfarbe, aber auch an sozialen Schichten festgemacht wird. Frau Meier geht aufgrund historischer Ereignisse von einem bestimmten Verhalten aus und bleibt auch trotz gegenteiliger Erfahrung in dieser Theorie verhaftet. Die Beobachtung der »Distanz« der höheren sozialen Schichten zu ihr als weißer Europäerin erklärt Frau Meier mit deren Erfahrung mit Weißen. Sie ist der Meinung, dass sich im Laufe der Zeit und mit einem damit einhergehenden Aneinandergewöhnen und Erkennen der Anderen dies verschwinden wird. Die implizite Differenzierung, die mit der Nennung der höheren sozialen Schichten aufgemacht wurde, verfolgt Frau Meier nicht weiter. Ihr Wissen über die Anderen erscheint als immun. Die Wahrnehmung und Darstellung des Anderen in kulturalisierender Perspektive stellt Differenzen zwischen Ich bzw. Wir und Sie heraus. Das Verhalten der Anderen wird beobachtet und beschrieben und implizit wie explizit bewertet. Diese Wahrnehmung von Andersheit als kultureller Fremdheit schafft durch Distanz, Exotisierung und Ausgrenzung auch eine Beobachtungsebene, die Anderes überhaupt in den Blick bekommt. Der Fokus auf die Differenz von ›Kulturen‹ schafft bunte Bilder und kann auch dazu führen, eine eigene ›kulturelle‹ Gebundenheit zu reflektieren und eigene Grenzen wahrzunehmen. Ohne eine kritische Selbstreflexion und ohne gemeinsames Handeln entwickeln sich jedoch aus der Wahrnehmung dessen, dass die Anderen anders sind und ich anders bin, keine neuen Handlungsoptionen. Wie sich in den Passagen aus den Interviews mit Herrn Wächter, Herrn Hamm, Frau Katoschek und Frau Meier zeigen lässt, kann eine kulturalisierende Darstellung der Anderen beim Interesse oder der Abneigung gegenüber der Anderen stehen bleiben. Durch eine hergestellte Distanz kann dann eigenes Handeln nicht in eine gemeinsame Handlungspraxis überführt werden. Die Fremdheit kann aber auch einen Wunsch schaffen, den Anderen verstehen zu wollen. Aus einer kulturalisierenden Perspektive entwickeln sich Freundschaften nicht eigenmächtig, sondern müssen über Verständnis erarbeitet

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werden oder können gar nicht gelingen. Kulturalisierenden Zuschreibungen, so ließ sich zeigen, liegen häufig implizite Bewertungen zu Grunde, welche rassistisch und eurozentristisch sind. Sie schreiben Differenzen zwischen Gruppen fest und bewirken in ihrer bewertenden Zuschreibung (etwa der Beschreibung der Anderen als defizitär) eine Aufwertung des Selbst- oder der Wir-Gruppe. Zumeist fungieren sie zudem losgelöst von politischen, gesellschaftlichen, historischen und ökonomischen Kontexten. Der Fokus auf ›Kultur‹ muss insbesondere im Interview mit Herrn Wächter auch im Zusammenhang mit der Interviewsituation gesehen werden (Passage: Interkulturell): Wächter:

weil ich selbst grade in so nen Kulturfragen sehr interessiert bin; deswegen find ich auch immer so interessant was du gerade sagtest dieses interkulturelle (.) Arbeiten jetzt wirtschaftlich

Auch wenn sich die Eingangsfrage des Interviews nicht explizit auf ›interkulturelle Handlungskompetenz‹ bezieht, so ist doch allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern bekannt, dass ich mich als interkulturelle Erziehungswissenschaftlerin für das Leben im Ausland und das Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung interessiere.

7.2 Politökonomisierung Eine Darstellung des Anderen im Rahmen einer politökonomisierenden13 Perspektive lässt sich dort herausarbeiten, wo das Handeln des Anderen innerhalb eines Gesamtkontextes von politischen und ökonomischen Interessen gesehen wird. Das Handeln der Anderen wird als daran orientiert wahrgenommen und interpretiert. Ansätze davon konnten auch im Typ ›Kulturalisierung‹ herausgearbeitet werden, jedoch werden dort monetäre Interessen eher einer ›kulturell‹ anderen Gruppe zugeordnet, wohingegen im Typ ›Politökonomisierung‹ von einer polit-ökonomischen Weltanschauung gesprochen werden kann. Wie sich eine solche Orientierung äußert, zeigt sich in einem Interviewausschnitt mit HERRN HAMM, AUSLANDSKORRESPONDENT IN KENIA welcher seine Aussagen über eine »andere Mentalität« der Einheimischen in ein Bild politischer Umstände und einer strukturellen Ungleichheit bettet (und nicht etwa mit deren kultureller Gebundenheit erklärt, was der Begriff »Mentalität« auch implizieren könnte) (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen):

13 Der Begriff politökonomisierend fasst politische und ökonomische Dimensionen zusammen.

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Y:

Hamm:

und ähm weil sie jetzt grad gesagt haben Zoll oder so was wie würden wie würden sie, oder vielleicht können sie mir einfach ein Beispiel erzählen wie sie damit umgehen mit was was sie jetzt andere Mentalität nennen oder was irgendwie auf- auffällig anders beispielsweise ist? (2) och es es ist wahnsinnig viel anders; das Tempo ist anders; es ist alles sehr langsam; es is (3) ähm ist oft sehr mühsam nich, und alles was hier mit Behörden zu tun hat das ist korrupt; und ähm (1) oder überwiegend das is (ich mein) is natürlich hier äh mit mit dem Geld was wir verdienen sind wir natürlich für die Millionäre nich, und versucht permanent wird versucht dass man irgendwie versucht ähm irgend- irgendjemand anzumelken und so man muss irgendwie n Weg finden damit umzugehen dass man dass man natürlich hier in einer ziemlich privilegierten Situation ist zwischen lauter (.) Habenichtsen sozusagen und und und das is nun auch nicht so wahnsinnig leicht, wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe dafür dass man fast nur mit Europäern zusammen ist; weil es ist schon wie bei Berthold Brecht und Herrn Puntila und seinem Knecht Matti nich, es geht nicht so einfach also //mhm// es ist nicht so wahnsinnig einfach ne Ebene herzustellen

Neben der Thematisierung von Langsamkeit und Mühe, welche eher Personen und bestimmten Situationen zugeschrieben sind, dokumentiert sich in dieser Passage eine verstärkt abstrahierende und analytische Perspektive der PolitÖkonomisierung. Die Anderen werden von Herrn Hamm im Zusammenhang mit Macht und Geld dargestellt (»das ist korrupt«). Seine Erfahrung mit Korruption schreibt Herr Hamm hier nicht einer spezifischen »Art« (Kap. 7.1) des Umgangs zu, sondern kontextualisiert es innerhalb ökonomischer Unterschiede. Das Verhalten der Anderen ist damit kein ›kulturell‹ oder ›ethnisch‹ typisches, sondern erklärt sich durch ein Macht- und Einkommensgefälle. Die soziale Ungleichheit zwischen ihm als Europäer und der einheimischen Bevölkerung steht der Herstellung einer »Ebene« im Weg. Hinter dieser Darstellung verbirgt sich ein implizites Bild der Problematik von Begegnungen über soziale Schichten im Kontext geographisch-historischer Unterschiede hinweg. Es ist aber nicht nur die mangelnde Egalität finanzieller Ressourcen, die von Herrn Hamm als Trennungsmarkierung benannt wird, hinzu kommt der Faktor hierarchischer Arbeitsteilung. Herr Hamm zieht als Analogie »Herrn Puntila und seinen Knecht Matti«14 heran und fokussiert damit nicht nur auf die »privilegierte Situation« im Sinne von höherem Einkommen, sondern verweist auf eine damit einhergehende

14 Womit Herr Hamm sowohl auf gesellschaftliche Zwänge verweist, welche Träume von Freiheit zunichte machen, als auch auf eine Verhaftung in einer klassenspezifischen Rollenverteilung. Matti bleibt bei Brecht dadurch symbolisch Knecht, dass er sich der Kommunikation nicht entziehen kann und kein Recht auf eine Verweigerung des Dialogs besitzt.

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Machtasymmetrie15. Die Anderen nimmt Herr Hamm aus einer polit-ökonomisierenden Perspektive als arm (»Habenichtsen«) und unterlegen wahr und interpretiert ihr Handeln und mögliche Handlungsoptionen entlang dieser Wahrnehmung. Sie begegnen ihm aus dieser Perspektive als Bettler oder, wie sich in einer weiteren Sequenz zeigt, als »devot« und »aggressiv« (Passage: Perspektive und Zugang zu Anderen): Y:

Hamm:

und weil Sie grad gesagt haben dass Sie für die wie Millionäre sind spiel- spielt das ne große Rolle dass sie Deutscher sind oder Weißer? (für ihr Leben,) ja ich kann das das lässt sich schwer ergründen aber natürlich; es ist im Positivem wie im Negativen nich, es is entweder is sone entweder is manch- hier hier geht es im südlichen Afrika ist es viel schlimmer; äh hier sind die Leute doch schon relativ selbstbewusst weil weil wahrscheinlich weil das Land schon seit 1960 unabhängig ist und und die Briten nicht so schlimm gehaust haben wie die Rhodesier in Zimbabwe oder die Weißen in in Südafrika oder Namibia da unten is es noch extremer aber hier ist es auch sichtbar nich, also viele verhalten sich relativ devot Weißen gegenüber andere verhalten sich sehr aggressiv ähm (2) das gibt einfach Dinge dass man sch- schikaniert wird nur weil man den Eindruck hat dass da irgendson Kenianer einem zeigen will dass er das er nicht nicht springt wenn n Weißer kommt oder oder nich nich unterwürfig ist oder so obwohl man das überhaupt nich verlangt ne, es wär viel angenehmer wenn alle ganz normal mit einem umgehen würden; aber ich kann mich ehrlich gesagt des Eindrucks nicht erwehren dass das oft nicht so ist //mhm// und man nimmt natürlich ich mein im Prinzip ist hier jeder Weiße relativ reich ne, also f- nich für deutsche Maßstäbe da bin ich auch nicht reich aber für kenianische Maßstäbe; und da gibt es eigentlich kaum ne Ausnahmen es gibt hier keine weiße Armut wie wie in Südafrika zum Teil; //mhm// und die meisten die hier ( ) es sind ja nur ein paar Engländer übergeblieben die meisten Weißen die hier sind die arbeiten ja alle irgendwie für die Uno oder Hilfsorganisationen Botschaften oder als Journalisten oder so ne? //mhm// joah;

Neben ökonomischen Unterschieden ist es die koloniale Vergangenheit, welche Herr Hamm als Erklärung in der Darstellung des Verhaltens der Anderen heranzieht. Zwischen der Differenz aufgrund sozialer Ungleichheit und der Differenz aufgrund der kolonialen Vergangenheit und der Verbrechen, für die weiße Europäerinnen (Herr Hamm benützt den Begriff »Weißer«, um dies zu verdeutlichen) in Afrika verantwortlich sind, sieht Herr Hamm einen Zusammenhang, der sein Bild von den Anderen prägt.

15 Hierbei steht vor allem der Aspekt von Handlungs- und Partizipationsmöglichkeiten im Vordergrund.

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Die Interaktion mit Einheimischen erlebt Herr Hamm als eine, die sich innerhalb dieses polit-ökonomischen Rahmens abspielt und die durch ihn größtenteils strukturiert ist. Alternative Interpretationen tauchen hier nicht auf. Weder der eigene verhältnismäßige Reichtum noch die Armut der Anderen wird in ihrer Relevanz für eine Begegnung eingeschränkt oder relativiert. Indem sich Herr Hamm auf die berufliche Tätigkeit der »Weißen« in Afrika bezieht, weist er darauf hin, dass die erlebte kollektive Zuschreibung des »Weißen« als eines ehemaligen Kolonialherren nicht (mehr) zutreffend ist und die Anderen somit in einem längst überholten Feindschema verhaftet geblieben sind. Weder der eigenen finanziell höher gestellten Position noch aktuell bestehenden Machtunterschieden oder weiterwirkenden Konstellationen eines postkolonialen Diskurses werden hier Rechnung getragen. Die Einschätzungen und Verhaltensmuster der Kenianer liest Herr Hamm als eine unbewusste, dominierende Größe. Sie entsprächen keinem rationalen, den aktuellen Gegebenheiten entsprechendem Denken und Wahrnehmen, sondern seinen kollektiv in das Gedächtnis eingeschrieben und würden unreflektiert reproduziert. Hier fließen kulturalisierende und politökonomisierende Erklärungen zusammen. Durch eine Gegenüberstellung einer Interviewsequenz von Herrn Hamm und Herrn Backe lässt sich aufzeigen, dass die Wahrnehmung und Interpretation von Welt aus einer polit-ökonomisierenden Perspektive nicht gleichbedeutend sein muss mit der Annahme, dass politische Entscheidungen für alle in gleichem Maße relevant sind. Der Vergleich veranschaulicht, wie trotz vergleichbarem Fokus auf Politik und Ökonomie unterschiedliche Wahrnehmungen und Darstellungen des Anderen in Bezug auf dessen individuelles Handeln entstehen. In welcher Form Politik und Ökonomie determinierend für die Anderen wahrgenommen werden, kann anhand einer Beschreibung einer »Hungerkatastrophe« in Niger verglichen werden (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Hamm:

ich fahre nach Niger und gucke mir da an wie die Kinder verhungern und und mache mir Gedanken darüber woran das liegt ne, nämlich daran das die nigrische Regierung irgendwie korrupt ist und und und und noch äh ihre subventionierten Lebensmittel nach Nigeria verkauft hat kurz bevor das da explodiert ist weil die weil sie gemerkt haben dass durch den Engpass sozusagen die Lebensmittelpreise steigen das sind so die Dinge über die ich mir Gedanken mache

In der Sequenz aus dem Interview mit Herrn Hamm wird ersichtlich, dass Herr Hamm sich der Problematik des Hungers nähert, indem er die politische und ökonomische Lage analysiert und als Verfehlen der Regierung darstellt. HERR BACKE, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA sieht ebenfalls die »nigrische Regierung« als Mitverursacherin durch »Steuererhöhung« und interpretiert die Situation aus einem polit-ökonomischen Blickwinkel.

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Die Relevanz der politischen Entscheidung für die Bevölkerung wird von ihm, im Unterschied zu Herrn Hamm, davon nochmals gesondert betrachtet (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

ja wenn ich zum zum Niger dass dass diese diese Hungerskatastrophe in in in Niger jetzt so so drohend ist hängt damit zusammen dass die Lebensmittel zu massiv die Preise für Lebensmittel so massiv erhöht wurden; //mhm// durch ne Steuererhöhung; durch durch durch Händler; °und so weiter und so fort° also Essen bei ( ) kann sich kein Mensch mehr leisten; //achso// und n Vorwurf an die nigrische Regierung kann man machen indem man sagt warum erhöht ihr die Mehrwertsteuer um zwanzig Pro- um neunzehn Prozent, //mhm// äh wenn die Leute eh nichts zu essen haben, (.) und ähm (1) dann erklärt mir der Übersetzer dass dass ich kein Dorfchef= (.) aufm Land interviewen muss zur Mehrwertsteuererhöhung weil der hat keine Ahnung von der Mehrwertsteuer //mhm// der weiß nur wie hoch @die Preise sind@ und wie wie niedrig sie davor waren; //mhm// ja, (.) und ähm weil ich dann immer gucken will wie sie zu ihrer Regierung stehen wenn sie trotz des Hungers dann die die Mehrwertsteuer erheben, //mhm// dann also da sagt er das das funktioniert nicht ja, weil da fehlt einfach auch der Hintergrund dazu; ja, //mhm//

Im Vergleich beider Sequenzen wird erkennbar, welche Relevanz die Einschätzung der Situation und die Darstellung des Anderen auf die Interpretation des Verhaltens des Anderen hat. Beide Interviewpartner erkennen die Situation in Niger als eine Katastrophe, welche politische und ökonomische Ursachen hat, (nicht etwa ethnische oder religiöse) und stellen sie als solche dar. In beiden Passagen lässt sich zudem eine Kritik an den politischen Entscheidungen herauslesen. Das Verhalten der nigrischen Regierung wird als falsch dargestellt. Herr Backe löst sich im Unterschied zu Herrn Hamm von diesem »Vorwurf« und bezieht sich auf das Erleben der nigrischen Bevölkerung. Eine polit-ökonomische Perspektive, so lässt sich Herr Backe belehren, hat für einen »Dorfchef« keine Relevanz. Hier zeigt sich, welche unterschiedlichen Anschlussmöglichkeiten sich auch innerhalb eines Typs für interkulturelles Verstehen und Handeln ergeben können. Eine eher abstrakte politökonomisierende Perspektive muss nicht gleichbedeutend sein mit einem mangelnden Erfahrungsbezug oder dem Ausblenden individueller Schicksale. Die Hinwendung zur Lebenswelt der Einheimischen, die von Herrn Backe vollzogen wird, kann trotz polit-ökonomischer Rahmung eher dem Typ ›Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung‹ zugeordnet werden, welcher in Kapitel 7.3 vorgestellt wird, und dient an dieser Stelle dem kontrastierenden Vergleich und der Thematisierung von alternativen Wahrnehmungs- und Handlungsoptionen. Welche Konsequenzen sich für den Aufbau von Freund- und Bekanntschaften in Südafrika durch eine polit-ökonomische Wahrnehmung ergeben, beschreibt

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HERR OTTO, AUSLANDSKORRESPONDENT berufliche Konflikt): Otto:

IN

SÜDAFRIKA (Passage: Freunde vs.

ich finds unwahrscheinlich schwer (Räusper) ähm (1) w w würd ich afrikanische ähm Freunde zu haben; schwarze schwarze südafrikanische Freunde zu haben; weil weil weil weil die schon auch sehr unter sich sind und äh an sonem Zaunsitzer (.) //mhm// im Moment gar kein Interesse haben; die so dieses dieses südafrikanische schwarze Mittelbürgertum zu dem ich dann irgendwie dann mich noch am ehesten praktisch verhalten könnte (.) ähm die sind die haben im Moment den denen steht total die Zukunft offen; die kriegen Jobs; die kriegen viel Geld; das ist das ist n richtiger Aufbruch und die (.) die starten praktisch durch; //mhm//; für die ist es nicht mehr so das war vor zehn Jahren noch anders da da da war des da fühlt ich mich viel mehr (.) hm also da war ich einer von wenigen (.) Weißen die in schwarze Townships gingen; //mhm// und deswegen war das schon immer die Leute waren interessierter warum bist denn du hier, was machst denn du hier, und und und Journalisten ausländische Journalisten waren total hoch im Kurs weil den man hat den praktisch äh zugeschrieben dass dass der internationale Boykott funktionierte; und dass die Sanktionen funktioniert; und wir waren praktisch so die die Anwälte des schwarzen Südafrikas; und hatten (.) waren da total hoch im Kurs; [Auslassung] jetzt aber zurück zur zur (.) praktisch schwarzen Bourgeoisie hier, (.) ähm also auch für die sind dann äh irgendwelche äh deutschen Auslandskorrespondenten äh nicht wirklich irgendwie (.) ähm das das Interessanteste in der Welt die (Husten) sind grad dabei (Räusper) Businessdeals zu machen; ihre Karrieren zu schmieden; und so weiter; (.) und da gibt es einfach unterschiedliche Interessen;

Zweierlei wird anhand der Interviewsequenz von Herrn Otto offensichtlich, was als Phänomen einer polit-ökonomisierenden Darstellung der Anderen gesehen werden kann. Zum einen dokumentiert sich, dass sich in der Aussage eine implizite Theorie verbirgt, Freund- und Bekanntschaften entstünden und funktionierten am ehesten innerhalb einer sozialen Schicht, strukturidentisch mit Herrn Hamms Verweis auf die fehlende gleiche »Ebene«. Zum anderen, dass »Interessen« und Gemeinsamkeiten des »schwarzen Mittelbürgertums« sich trotz angenommener ähnlicher sozialer Lage nicht decken. Herr Otto führt dies auf die Aufstiegssituation der schwarzen Mittelschicht zurück, die durch eine veränderte politische und wirtschaftliche Situation in Südafrika einen Aufschwung erlebt. Die wirtschaftliche Verbesserung dieser Gruppe sieht Herr Otto als einen wesentlichen Faktor des Desinteresses an seiner Person als Auslandskorrespondenten. In dieser Aussage schwingt ein ähnliches, auch wenn anders konnotiertes Bild des Anderen als Bedürftigen mit, welches auch Herr Hamm dargestellt hat.

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Durch einen wirtschaftlichen Boom, das Ende des Apartheidsregimes und politische Entscheidungen16 sieht Herr Otto sich nicht mehr als interessant für die schwarzen Südafrikanerinnen an, da seine Rolle als Auslandskorrespondent ihnen nichts mehr nützt. Auf performativer Ebene wird das negative Erleben des wahrgenommenen Distanzverhaltens der Afrikaner durch häufige Wiederholungen (»weil weil weil weil«) deutlich. Die Wahrnehmung der Anderen wird eingebettet in eine Interpretation seines Verhaltens in Anbetracht der eigenen Person und als verwehrter Zugang gedeutet. Das Aufstiegsverhalten wird von Herrn Otto nicht positiv konnotiert, sondern implizit kritisiert. Auf persönlicher Ebene erlebt dies Herr Otto als Affront. Auch hier drückt sich implizit ein Bild der konsum-orientierten Afrikanerin aus. Eine polit-ökonomisierende Perspektive, welche alles Handeln im Zusammenhang mit politischen, aber hauptsächlich ökonomischen Interessen sieht, wird auch in einer Sequenz aus dem Interview mit LUKAS HOLMES, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA sichtbar. Herr Holmes ist der Meinung, dass grundsätzlich alles Handeln als Streben nach Reichtum und Macht interpretiert werden kann (Passage: Ökonomisierend Haltung): Y: Holmes:

Sie haben vorhin gesagt dass Sie gelernt haben in Afrika nachm Geld zu schauen //mhm// wie und wann haben Sie das gelernt? weil hier ist alles Geld. (1) ähm hier lässt sich wirklich alles auf auf Geld reduzieren; also das ich möchte das jetzt nicht auf Afrika beschränken; //ja// aber Afrika ist im im Grunde wäre sehr sehr simple strukturiert; //mhm// sie haben in der Elfenbeinküste jetzt haben sie jetzt zum Beispiel den Krieg; zwischen dem Norden und dem Süden zwischen Muslimen und Christen; und da werden unglaubliche äh äh äh äh Motive bewegt und ja sicher das ist auch alles richtig @aber@ (.) am Ende des Tages wird rauskommen dass dieser Krieg nur darum geht nur um die Frage geht wer den Kakao wer die Kakaoproduktion kontrolliert; //mhm// Elfenbeinküste ist der größte Kakaoproduzent der Welt; über vierzig Prozent der Welternte; das ist richtig viel Geld; //mhm// da reden wir von (.) also die die Ernte vor (.) im letzten Jahr war sie nicht so gut; davor das Jahr aufgrund des Krieges; (.) die gesamte Ernte der Elfenbeinküste stellte an der Kaka- als- stellte an der Warenterminbörse in Chicago nen Handelswert von einundzwanzig Milliarden Dollar dar; //mhm// das ist Grund genug sich gegenseitig die Birne einzuschlagen; //mhm// und das

16 Im Jahr 2003 tritt das Gesetz »Broad Based Black Economic Empowerment Act of 2003« in Kraft mit dem Ziel, der schwarzen Bevölkerung Südafrikas Zugang zur Ökonomie zu gewähren. Das »Black Economic Empowerment« hat die südafrikanische Wirtschaft stark beeinflusst. Dabei geht es hauptsächlich um Fusionen und Akquisitionen. Bei 52 Prozent aller südafrikanischen Privatunternehmen wird in den nächsten zehn Jahren ein Eigentümerwechsel erwartet. 2007 wurden 153 Transaktionen mit einem Gesamtvolumen von 96 Milliarden Rand durchgeführt. Der Wert der BEE-Deals lag 2006 bei 56 Milliarden Rand (vgl. http:// www.southafrica.info/overview/deutsch/black-empowerment.htm, 7. August 2008).

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ist genau das was passiert; (1) Kongo (.) uh die nennen sich da mouvement pour la démocratie ou äh rassemblement populaire pour la démocratie, démocratie ist immer drin; //mhm// aber worum gehts? wer kontrolliert die Coltanmine wer kontrolliert den Kupfermarkt wer kontrolliert den Oberlauf des Kongos und somit ähm die ähm die ähm Elektrizitätsproduktion in in (Inga); es geht °immer um Geld; es geht um nichts anderes als ums Geld; um Politik geht’s hier nicht.°

Diese Passage ist durch ein hohes Engagement gekennzeichnet, welches sich etwa durch Wiederholungen, schnelleres Sprechen, wenige Pausen und die evaluative Abschlusskoda auf generalisierender Ebene (»es geht um nichts anderes als ums Geld; um Politik geht’s hier nicht.°«) ausdrückt. Die Darstellung des Anderen und seine Argumentation basieren auf der Aussage, dass hinter allen Konflikten und Problemen ökonomische Interessen stehen. Dies sieht Herr Holmes als ein universelles Prinzip an, das in »Afrika« zu Tage tritt, da Afrika »simpel strukturiert« sei. Mit dem Konjunktiv »wäre« deuten sich weitere beeinflussende Komponenten an, die Herr Holmes jedoch nicht weiter elaboriert. Diese reduzierende Perspektive verdeutlicht Herr Holmes anhand des Beispiels der Auseinandersetzung in der Elfenbeinküste und stellt die Anderen als Verleugnerinnen ihrer Motive dar. »Am Ende des Tages wird rauskommen«, so Herr Holmes, dass es sich hier nicht um einen religiös motivierten Krieg handelt, sondern um den Zugang zu Ressourcen. Seine Interpretation der Situation, dass generell Geld und Macht die Ursache für Kämpfe und Gewalt seien, unterstreicht Herr Holmes mit einem weiteren Beispiel aus »Kongo«. Darin zeigt sich, dass es sich hier um eine grundsätzliche Wahrnehmung der Situation innerhalb eines polit-ökonomischen Rahmes handelt und die Anderen innerhalb dieser generalisierten Wahrnehmung dargestellt werden. Für Herrn Holmes sind die Anderen hier aber nicht, wie gedankenexperimentell denkbar, Opfer politischer Entscheidungen oder abhängig von ökonomischen Bedingungen, sondern spielen ein Spiel der Verleugnung ihrer Beweggründe. So sieht Herr Holmes politische Bewegungen, die vorgeben, sich für Demokratie einzusetzen, als Maskerade, hinter der sich die wahrhaftigen Interessen (Macht und Zugang zu Ressourcen) verbergen. Das Verhalten der Anderen wird damit im Rahmen einer polit-ökonomisierenden Perspektive zu einem Thema von Aufrichtigkeit und Leugnung. Welche Folgen eine polit-ökonomische Perspektive für eine interkulturelle Interaktion auch haben kann, wird in Herrn Holmes Beschreibung des Umgangs mit Einheimischen deutlich (Passage: Beruflicher Umgang): Y: Holmes: Y:

aber wenn Sie rumreisen dann haben Sie doch auch Kontakte zu Menschen und die professionelle Kontakte wie sehen die aus?

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Holmes: Y: Holmes:

((stöhnen)) wie sehen die aus;  Ich weiß nicht  wie ein professioneller journalistischer Kontakt ist das is ähm (2) zunächst einmal ich kann nicht jeden in jedem Land kennen; //mhm// äh ich kann auch nicht wissen wer in welchem Land jetzt gerade wichtig ist; deshalb bedien ich mir bedien ich mich meistens ähm Leuten die die wir Fixer nennen also fixing appointment //mhm// das sind (.) sehr häufig lokale Journalisten; die natürlich gut gut vernetzt sind; und diese Dienstleistung wird mit Geld bezahlt; insofern ist die Beziehung zwischen zwischen dem Fixer und mir klar es ist eine reine finanzielle Beziehung; //mhm//

Nachdem Herr Holmes zuvor ausweichend auf die Frage nach Kontakten zur einheimischen Bevölkerung geantwortet hatte, frage ich nochmals nach seinen individuellen Erfahrungen mit Einheimischen, woraufhin Herr Holmes eine Differenzierung aufmacht, indem er den Terminus »professionelle Kontakte« einführt. Im Folgenden verdeutlicht Herr Holmes was unter diesen Kontakten zu verstehen ist und was ihre Besonderheit in der Interaktion ausmacht. Aufgrund der eigenen Kapazitätsgrenzen nutzt Herr Holmes so genannte »Fixer« für seine Rechercheaktivitäten. Dies ist, das macht Herr Holmes deutlich, indem er sich im Kreis der ausländischen Korrespondentinnen verortet (»wir«), eine gängige Praxis und keine individuell von ihm entwickelte Strategie. Sein Verständnis von dieser beruflichen Beziehung betont Herr Holmes: Professionelle Kontakte seien Geschäftsbeziehungen, strukturiert durch finanzielle Ausgleichszahlungen. Die Geschäftsbeziehung regelt auch das Verhalten der einzelnen Beteiligten mit einer klaren Aufgabenverteilung (Passage: Beruflicher Umgang): Holmes:

ähm (2) wenn es darum geht Lebensumstände von Leuten zu beschreiben dann natürlich gehe ich- nicht natürlich, ich- das mach ich immer, ich geh in die Dörfer ich geh in die Slums ich red mit den Leuten ah ich versuche herauszufinden was sie wirklich bewegt wo wo die eigentlichen äh Probleme liegen die sie dahingebracht haben wo sie liegen; ähm (3) ich hab die Erfahrung gemacht dass Afrikaner eigentlich in der Beziehung ziemlich offen sind es gibt wenige Barrieren; (2)

Würde ein reines Arbeiten über Fixer eine gewisse Abhängigkeit bedeuten, schafft sich Herr Holmes einen eigenen Zugang zur Lebenswelt der Einheimischen, indem er sich eigenständig auf den Weg macht, um die »Lebensumstände« der Einheimischen zu beobachten und dann beschreiben zu können. Er geht gezielt in Armutsgebiete und versucht, durch die Erzählungen der Einheimischen Rückschlüsse auf die Ursachen ihrer Probleme zu ziehen. Dieses Vorgehen ist für Herrn Holmes eine Selbstverständlichkeit und steht nicht im Gegensatz zu seiner polit-ökonomischen Perspektive, sondern besteht als Handlungspraxis als Teil einer Analyse auf der Ebene ökonomischer Interessen. Sein Vorgehen des

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direkten Kontakts mit Einheimischen, sieht Herr Holmes als erfolgreich an, da »Afrikaner« ihm »ziemlich offen« erzählen. Taucht die Andere in der Darstellung der »Fixer« allein als Zuarbeiterin auf, mit welcher der Kontakt durch finanzielle Regelungen strukturiert ist, tauchen in dieser Passage die Anderen auch mit eigenen »Lebensumständen« auf, die primär in Bezug zu deren Lokalität (»Dörfer«) und ökonomischen Lage (»Slums«) dargestellt werden. Auf der beruflichen Ebene wird die interkulturelle Interaktion aus einer polit-ökonomischen Perspektive zu einem Wissens- und Geldtransfers. Alltägliche Interaktionen, die nicht im Zusammenhang mit Recherchearbeiten stehen, wertet Herr Holmes anders (Passage: Beruflicher Umgang): Holmes:

die andere Geschichte ist (2) Beziehungen Beziehungen zwischen zwischen schwarz und weiß in Afrika (2) laufen fast immer auf Geld hinaus; [Auslassung 8 Zeilen] (2) in anderen Ländern ist diese Geschichte eigentlich schwarz und weiß es reduziert sich immer auf Geld also son spätestens nach zwei Tagen kommt dann die Frage so ja okay was kannst du für mich tun; //mhm// ähm darauf bin ich immer vorbereitet ähm und (1) das steuert natürlich auch mein Verhalten; //mhm// das das ist ganz eindeutig; (2) das meinte ich mit professionellen Beziehungen //mhm// professionellen äh professionellem Umgang mit mit Menschen in Afrika

Herr Holmes stellt deterministisch fest, dass Kontakte zwischen »Schwarz und Weiß« zum größten Teil einen monetären Hintergrund haben. Er entwickelt seine Theorie zu Beziehungen zwischen »Afrikanern« und ihm, als »Weißem«, in der seine ökonomisierende Perspektive hervortritt. Als wesentlicher Aspekt, welcher als Folge dieser Perspektive gesehen werden kann, taucht die Frage nach Aufrichtigkeit und Vertrauen auf. Die Wiederholungen des Begriffs »Geld« und die immer wieder auf diesen Aspekt zurückkehrende Argumentationslinie heben die Dichte der Erzählung hervor und zeigen somit auch auf, wie nah Herr Holmes hier an einem wichtigen Thema für sein Leben im Ausland ist. Herr Holmes generalisiert mit Ausnahme eines Landes das Verhalten der Afrikanerinnen als orientiert an finanzieller Zuwendung von Weißen. Als ein spezifisches Moment dieser Orientierung unterstellt er den Afrikanern eine Unaufrichtigkeit, da sie in den meisten Fällen ihr Interesse an Geld nicht direkt äußern würden, sondern erst nach »zwei Tagen«. Diese Interpretation der Situation, seine Erfahrung mit Afrikanerinnen, so expliziert Herr Holmes, strukturiere sein Verhalten (»das steuert natürlich auch mein Verhalten«). Damit gehen auch bestimmte Verhaltensspielräume abhanden und eine Interaktion mit den Anderen geschieht nur noch im Rahmen »professioneller Kontakte«. Mit der Bezeichnung »professionelle Beziehung« ist ein finanzieller Umgang mit klar verteilten Rollen gemeint, in dem es keinen Platz für Emotionalität gibt. Beziehungen und Kontakte werden zu Geschäften. Diesen Umgang sieht Herr Holmes als etwas an, was an ihn

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herangetragen wird und nicht primär seinem Wunsch oder seiner Handlungsintention geschuldet ist (Passage: Beruflicher Umgang): Y: Holmes:

Y: Holmes:

inwiefern steuert das Ihr Verhalten? also ich ich bin sofort in der Defensive; jeder der kommt ich bin so wenn ich jemanden anspreche dann ist ist dieses Verhältnis ein anderes //mhm// wenn aber ein Afrikaner auf mich zukommt dann (2) ich hör mir das natürlich an ich versuch auch herauszufinden worum geht es denn nun wirklich //mhm// aber so ganz so ganz unerfahren bin ich da auch nicht mehr und ich stelle fest also in neun von zehn Fällen geht’s um Geld; //mhm// und voilà okay °pf aus dem Weg;° ((wegscheuchende Geste)) und wie reagieren Sie da drauf? höflich aber entschieden; @(.)@ //mhm// das: bringt mir nichts; also mit solchen Leuten verliere ich meine Zeit; ähm deshalb bin auch eigentlich ein bisschen bisschen zurückhaltend was was solche Geschichten angeht; aber wie gesagt das ist wenn die Initiative von dem Afrikaner ausgeht; //mhm// wenn sie von mir ausgeht ja wie will ich denn da zurückhaltend sein ich mein äh natürlich nicht da versuch ich dann auch durchaus fair zu bleiben; (1) wenn Leute mich mich zum Beispiel fragen ja gut du willst du willst etwas über unsere finanziellen Verhältnisse wissen und und und was haben wir davon wenn wir dir die Information geben ich bin dann ehrlich und sag ihnen also eigentlich hast du nichts davon; //mhm// es sei denn dass ein paar Leute in Europa vielleicht ein bisschen besser über Afrika Bescheid wissen und deine ganz spezielle Situation ob das was ändert? frag mich nicht ich kann dir keine Antwort darauf geben; und interessanterweise reden die Leute dann trotzdem; //mhm// (1) ja. (6)

Genauer nachgefragt, wie denn Herr Holmes Handlungspraxis im Umgang mit Afrikanerinnen aussieht, beschreibt Herr Holmes, wie er, ausgelöst durch das Verhalten der Afrikanerinnen, eine bestimmte Haltung einnimmt, die wiederum ein bestimmtes Handlungsschema bewirkt. Er distanziert sich, versucht, die ›Wahrheit‹ herauszufinden, und stilisiert sich damit als Experte. Seine Strategie stellt Herr Holmes als aus der Erfahrung gewachsen dar und deutet implizit an, dass es sich dabei um eine Entwicklung handelt (»auch nicht mehr«). Seine Reaktion auf Anfragen wegen Geldes taucht kurz auf: Herr Holmes sagt »aus dem Weg« und bringt durch eine verscheuchende Geste seine Abneigung gegen dieses Verhalten performativ zum Ausdruck. Trotzdem frage ich nochmals nach und bekomme die Antwort, dass Herr Holmes sich auf solche Interaktionen nicht einlässt und sie von vornherein meidet. Er schickt die Bettler aus dem Weg, weil sie ihn behindern. Es ist ein genaues Austaktieren und ein sehr klares zielbewusstes Handeln. Trotzdem schließt Herr Holmes an seine klare Aussage eine eher leisere Beschreibung an: »bisschen zurückhaltend«. Geht die Initiative der Kontaktaufnahme auf ihn und seine journalistische Arbeit zurück, so kann Herr Holmes

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den Kontakt nicht vermeiden, sondern muss ihn herstellen. »Da versuch ich dann auch durchaus fair zu bleiben« ist ein etwas seltsamer Satz. Herr Holmes ist nicht »fair«, sondern »versucht« es und dies stellt auch keine Selbstverständlichkeit für ihn dar, denn er macht es »durchaus«. Was genau »fair« hier zu bedeuten hat, bleibt vage. Herr Holmes setzt sich mit seinem Verhalten (»ich bin dann ehrlich und sag ihnen also eigentlich hast du nichts davon«) in einen Gegenhorizont zu den unaufrichtigen Afrikanern und distanziert sich von seiner zuvor berichteten eigenen Unaufrichtigkeit, die Interesse nur vorgibt. Im Vergleich der Interviewpassagen von Herrn Hamm, Herrn Backe, Herrn Otto und Herrn Holmes zeigt sich, dass sich über verschiedenes Handeln hinweg eine gemeinsame Orientierung rekonstruieren lässt, hier die Selbst- und Fremdwahrnehmung im Rahmen einer polit-ökonomisierenden Perspektive. Im kontrastierenden Vergleich mit einer kulturalisierenden Darstellung der Anderen fällt auf, dass im Typ ›polit-ökonomisierende Darstellungen‹ beeinflussende Faktoren einer interkulturellen Begegnung anders gesehen und interpretiert werden. Dabei liegt der Fokus weniger auf einer Andersartigkeit (»Art«) der Anderen, auch wenn dies mitschwingt als etwa auf politischen oder auch historischen Bedingungen des Handelns. Indem Machtasymmetrien zwischen »schwarz« und »weiß« thematisiert werden, wird ersichtlich, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, dass Handeln weder rein individuell, noch allein durch eine (nationale) ›Kultur‹ bzw. ›Ethnie‹ geprägt ist, sondern in eine politische, ökonomische und historische Situation eingebettet ist. Ein solches Bewusstsein, welches den Anschein erweckt, durch ein mehrdimensionales Denken differenziertere Interpretationen von Situationen zu ermöglichen, kann jedoch ebenso, wie eine kulturalisierende Perspektive dazu führen, dass Handlungsmöglichkeiten eingegrenzt werden. Dies ist auch deswegen der Fall, weil auch das eigene Handeln und die eigene Person innerhalb einer bestimmten politischen und ökonomischen Situation wahrgenommen werden. Sieht man sich selbst und die eigenen Handlungsoptionen im Umgang mit Afrikanerinnen nur noch unter der Zuschreibung des ›reichen Weißen‹, schränkt sich der Verhaltensspielraum deutlich ein. Diese Einschränkung kann mitunter einhergehen mit eigenen Privilegierungserfahrungen, die etwa von Herrn Hamm thematisiert und problematisiert werden (»dass man natürlich hier in einer ziemlich privilegierten Situation ist zwischen lauter (.) Habenichtsen«). Das Aufschauen zum ›weißen Mann‹, ein Verhalten welches im Kontrast zum Selbstbild der Expatriates steht, wird dann nicht nur als ungleiche Situation analysierend betrachtet, sondern zu einer persönlichen Belastung. Versuche, diese ungleiche Situation auszubalancieren und eigene Privilegien zu umgehen, lassen sich in diesem Typ aber trotzdem nicht finden. Auch wenn die Perspektive dieses Typs sich vom Typ der kulturalisierenden Perspektive unterscheidet, lässt sich hier eine Gemeinsamkeit in der Darstellung des Anderen finden. Auch hier taucht der Andere in generalisierenden Aussagen auf und es wird die Distanz zu ihm gewahrt. Eine »Ebene« fehlt oder unterschiedliche Interessen machen eine Begegnung schwierig und lassen sich nicht in

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ein gemeinsames Handlungsrepertoire überführen. Wird der Andere aufgrund der Distanz schließlich auch noch als unaufrichtig, devot, aggressiv oder bettelnd wahrgenommen, schwinden Möglichkeiten einer interkulturellen Begegnung oder gar einer Freundschaft. Ökonomische Unterschiede werden als Trennungsmarkierung benannt, welche es erschweren, die Andere zu erkennen. Fragen, wer ein ›wahrer Freund‹ ist, tauchen auf und generell werden Freundschaften zwischen Reichen und Armen als selten eingestuft.17

7.3 Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung Die Interpretation des Verhaltens der Anderen und ihre Darstellung lassen sich in einem dritten Typ als Perspektive einer lebensweltbezogenen Individualisierung und einer anthropologischen Universalisierung herausarbeiten. Im Unterschied zu einer kulturalisierenden und polit-ökonomisierenden Darstellung tauchen die Anderen hier mit ihren individuellen Interessen und ihren spezifischen Lebenssituationen auf. Dabei fällt eine Wahrnehmung des Anderen auf, welche nicht generalisierend Aspekte wie Kultur, Ethnizität, Hautfarbe oder sozialer Status als prägend für das Verhalten der Anderen ansieht und keine essentialisierenden Zuschreibungen auf diesen Ebenen vornimmt. Vielmehr werden verschiedene Faktoren benannt, welche den Menschen und sein Handeln beeinflussen, wobei diese wiederum individuell verschieden sein können. Die Interviewten erheben keinen Anspruch darauf, alle Aspekte des Lebens der Anderen zu kennen, zu verstehen und darstellen zu können. Das Leben und Handeln der Anderen wird von einer kollektiven Zuordnung und Beschreibung gelöst und ein individuelles Handeln des Anderen taucht auf. Ein solch individualisiertes Fremdbild geht mit einem ebensolchen Selbstbild der individuellen Lebensgestaltung einher, womit eine Ebene der Gleichheit je individueller Interessen geschaffen wird. Dieser Zusammenhang von Fremd- und Selbstbild ließ sich in der kulturalisierenden und politökonomisierenden Darstellung dort rekonstruieren, wo die Interviewpartnerinnen auch sich selbst als kulturell gebunden oder in eine ökonomisch strukturierte Welt eingebunden gesehen haben. Mit dieser Verwobenheit von Fremd- und Selbstbild geht jedoch nicht einher, dass fremdes und eigenes Verhalten gleichermaßen kritisiert und bewertet werden. Die gleiche Betroffenheit kultureller Gebundenheit oder die gleiche Eingebundenheit in politische und ökonomische Bedingungen, so ließ sich in den Kapiteln 7.1 und 7.2 zeigen, ist keine Egalität,

17 Interessanterweise ließen sich diesem Typ der Darstellung des Anderen nur Männer zuordnen. Eine gezielte geschlechtsspezifische Analyse des Materials wurde aufgrund anderer Prioritäten nicht vorgenommen, so dass dieses Phänomen hier nicht weiter interpretiert wird.

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basiert nicht auf einem gleichen Wertmaßstab, da die Andere immer wieder auch abgewertet wird, so dass mehr Distanz als Nähe entsteht. Wie eine individuelle Selbst- und Fremdwahrnehmung Trennendes und Verbindendes thematisieren, lässt sich im Folgenden explizit in Interviewpassagen von Herrn Backe und Frau Stettler finden, auf die weiter unten näher eingegangen wird. Zunächst soll jedoch anhand von Passagen aus den Interviews mit HANNA KATOSCHEk, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA und Beate Meier rekonstruiert werden, wie die Anderen auf ihre Lebenswelt bezogen vorgestellt werden (Passage: Private Kontakte): Y: Katoschek:

und und so kenianische Kollegen und w- überhaupt Kontakt zu Kenianern, wie is n das so? also über das Berufliche hinaus sehr schwierig; //mhm// ich denke das hängt einerseits mit Nairobi zusammen; //mhm// weil das halt doch ne sehr anonyme Stadt is; Leute haben ihre Familien; hängt so mit mit der Lebensphase zusammen Kenianer sind in meinem Alter alle verheiratet haben alle mehrere Kinder; //mhm// auch schon Anfang dreißig dann ja, ich bin jetzt siebeinunddreißig; das heißt die haben einfach nen ganz anderen Lebensrhythmus; //mhm// äh was was ich schon mal mache ist dann mich mit kenianischen Kollegen oder mit Leuten mit denen ich zusammenarbeite, consultants, mich abends so nach der Arbeit dann noch irgendwo treffe auch in der Stadt dann auf nen Drink; //mhm// aber dann gehen die auch alle nach Hause klar; dann haben die auch ihre Familien wirds auch gefährlich abends und so also ich finds schon schwierig; ich hab nich viele kenianische Kontakte; ich hab eine kenianische Freundin, //mhm// die ist mit nem [Entwicklungshelfer] verheiratet; und sonst halt so lockere Arbeitskontakte; aber so richtig kenianischen Freundeskreis habe ich nich; eher so über die Arbeit dann; //mhm// ich bin ner Laufgruppe also in ner in ner Laufgruppe hier und da ist so ziemlich gemischt also kenianisch und Expats; //mhm// aber da wird halt gelaufen ja, da wird jetz nich also man trifft sich abends nicht groß; //ja// aber das ist sehr sehr nett sehr angenehm; das macht Spaß das ist so mein Hauptkontakt eigentlich ne, //mhm//

Frau Katoschek stellt die Anderen primär als in ihren Alltag eingebunden dar, der strukturiert wird durch ein »anonymes« Großstadtleben und familiäre Verpflichtungen. Mit dem Bezug auf die Stadt als »anonymen« Ort wählt Frau Katoschek eine Darstellung, die von Ethnie, Kultur, Land, Hautfarbe, Politik oder Ökonomie abstrahiert und auf einer allgemeinen Beschreibung basiert. Dass sich Frau Katoschek speziell auf ihren aktuellen Lebensort »Nairobi« bezieht und die Beschreibung ihrer Kollegen darin ansiedelt, konkretisiert ihre Erfahrung und steht im Kontrast zu einer theoretisierenden Analyse der Kenianer ›an sich‹. Die Rahmung des Verhaltens der Anderen in einer Lebensphase widerspricht einer kulturalisierenden Perspektive. Eine frühe Familiengründung als eine Beschreibung

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typischen Verhaltens aller Kenianer kann als Erfahrung gesehen werden, die weniger einer nationalen Kultur zugeschrieben wird, als der Wahrnehmung entspricht, innerhalb ihrer Generation mit divergierenden Lebenskonzepten konfrontiert zu sein. Frau Katoschek äußert Verständnis für das Verhalten ihrer Kolleginnen, nach einem Treffen früh nach Hause zu fahren, und antizipiert dabei sowohl eine wartende Familie als auch eine nach Dunkelheit veränderte Sicherheitslage. Frau Katoschek nimmt hier vermutlich Bezug darauf, dass ihre »kenianischen Kollegen« nicht in der Innenstadt wohnen oder auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die sie am späten Abend nicht mehr benutzen wollen.18 Bei diesem impliziten Wissen fließen zwar äußere Umstände mit ein (»gefährlich«), der Fokus liegt dabei jedoch nicht auf einer kulturalisierenden oder polit-ökonomisierenden Wahrnehmung des Anderen. Die Gefahr, welche Frau Katoschek benennt, ist für sie selbst ebenso relevant und kann nicht im Sinne eines ›Othering‹ interpretiert werden. Ebenso taucht das Freizeitverhalten der Anderen (»Leute haben ihre Familien«) nicht als konstitutiv auf, sondern als Wahl. Die Frage, wie die Menschen die Zeit nach der Arbeit verbringen, wird so mit individuellen Entscheidungen und der Einbindung in ein soziales Netz beantwortet. Strukturidentisch beschreibt BEATE MEIER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN SÜDAFRIKA ihre Kontakte zu Einheimischen im Rahmen ihrer eigenen (individuellen) Bedürfnisse und der (individuellen) Lebensführung von sich und den Anderen am Beispiel von Nachbarschaften (Passage: Private Kontakte): Y: Meier:

so zu Nachbarn oder so? hm (2) ganz gar nich; überhaupt nich; also das is irgendwie so die Menschen wohnen hier ziemlich isoliert halt nebenander; //mhm// und man kennt sich mal so man sagt mal guten Tag, und bin ich schon froh dass man das Stadium irgendwie erreicht hat; und weiß ich wenn wir mal so ne Party machen dann laden wir auch mal Nachbarn ein und die komm kommen dann auch; aber ähm ja es is irgendwie nich so dass man jetzt so das Gefühl hat man kann da mal zum Kaffeetrinken hingehen oder man kann mal wenn einem Zucker ausgegangen ist mal schnell da rüber gehen oder so sondern man kriegt eigentlich nicht so viel voneinander mit und ich glaube die Leute wollen das hier auch gar nicht so die sind alle sehr- egal jetzt nicht weil wir ja sone multikulti family sind sondern auch generell die sind (.) hier leb- irgendwie sind die so ja jeder lebt so isoliert und //mhm// und irgendwie das fällt find ich auch manch- find ich auch manchmal extrem schwierig weil ich halt immer irgendwie mein ganzes Studium lang in Wohngemeinschaften gewohnt hab oder

18 Zum Zeitpunkt der Interviewführung (September 2005) wurden täglich meist nach Dunkelheit öffentliche Verkehrsmittel (Matatu) überfallen und die Insassen ausgeraubt. Ich vermute, dass Frau Katoschek darauf anspielt, ohne dies weiter zu explizieren, und davon ausgeht, dass ich, da ich zu dieser Zeit in Nairobi lebe, dies implizit verstehe.

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wie gesagt denn auch aufm Bauwagenplatz und dann halt irgendwie immer schon auch so das Zusammenleben ja auch sehr wichtig war und mir auch wichtig war nicht einfach nur irgend ne WG mit irgendwem zusammen //mhm// sondern auch so ja mit wem und wann wo und wie und da schon auch sehr ähm wichtig ist dass das irgendwie auch ja nicht nur Zweckgemeinschaften oder so //mhm// halt ist

Ebenso wie Frau Katoschek bedauert Frau Meier, keinen engeren Kontakt mit Einheimischen zu haben, sieht dies jedoch in der Befriedigung individueller Bedürfnisse und der Gestaltung der eigenen Lebenswelt begründet. Deutlich wird, dass das eigene Handeln und das Handeln der Anderen verortet wird innerhalb einer Perspektive individueller Lebensgestaltungen. Die eigene Unlust, sich um neue Kontakte zu bemühen, und die Selbstläufigkeit des Freundschaftsaufbaus innerhalb des beruflichen Kontextes laufen zusammen mit einer als isoliert wahrgenommenen Lebenswelt der Einheimischen. Die Anderen tauchen in Frau Meiers Darstellung als desinteressiert und zurückgezogen auf. Ihre Aussage »die Menschen wohnen hier ziemlich isoliert halt nebenander;« kann als eine generalisierende Aussage über Südafrikanerinnen und deren Art, zu leben, interpretiert werden; im Kontext der Passage ist es aber weit wahrscheinlicher, dass mit dem »hier« nicht Südafrika gemeint ist, sondern die Nachbarschaft Frau Meiers, auf die ihre Beschreibung ausgerichtet ist. So lebt sie zum Zeitpunkt des Interviews nicht mehr in alternativen oder auch studentischen Lebenskonzepten (»Bauwagenplatz«, »Wohngemeinschaften«), sondern zusammen mit ihrem Mann und Kind in einem Einfamilienhaus in einer Neubausiedlung. Demgemäß treten hier, ebenso wie bei Frau Katoschek, die eigene Lebenssituation und ihre Folgen in den Vordergrund, welche als eine ›lebensweltbezogene individualisierende Perspektive‹ bezeichnet werden kann. Ersichtlich wird, dass dabei Dimensionen wie etwa Nationalitäten nicht völlig aus dem Blickfeld verschwinden, sich aber die Relation für die Interpretation des Anderen verändert. In beiden Passagen wird auch deutlich, dass die eigene individuelle Gestaltung des Lebens an Bedeutung gewinnt. Hier zeigt sich in ersten Ansätzen, dass aus einer solch individualisierenden Perspektive ein Selbst- und Fremdbild erwächst, welches den Individuen, und hier insbesondere den Anderen, mehr Entscheidungs- und Handlungsspielraum einräumt, als dies in den beiden anderen Typen der Darstellung des Anderen, der Fall ist. Die eigene Freiheit des Handelns, welche die Interviewpartnerinnen für sich beanspruchen, wird den Anderen weitestgehend auch zugestanden. Dieser Perspektive individueller Lebenswelten liegt zu Grunde, dass der Andere in mehreren Dimensionen (nicht allein Kultur, Ethnie oder sozialem Status) und mit einer eigenen Handlungsoption wahrgenommen wird. Diese Handlungsoptionen ergeben sich jedoch nicht in einem luftleeren Raum, vielmehr wirken unterschiedliche Faktoren strukturierend. Ähnliche Interessen, die konträr zu einer Irritation des Handlungsgeschehens stehen, machen deutlich, dass, wenn ein

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solch störungsfreies Interaktionsverhältnis vorliegt, die Konstruktion des Anderen nicht negativ entwickelt wird. Frau Stettler und Herr Backe gehen nun davon aus, dass die Basis der Wahrnehmung und des Handelns in der Welt bei allen Menschen gleich sei und sich Differenzen nur durch abwechselnde Faktoren bestimme. Wahrnehmbare Unterschiede zwischen Menschen werden durch individuelle Lebenswelten erklärt und sind nicht essentiell einer Kultur, Ethnie oder einem sozialen Status zugeschrieben. MIRIAM STETTLER, ENTWICKLUNGSHELFERIN IN KENIA beschreibt, wo sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Anderen wahrnimmt und wie sich ihre lebensweltbezogene, individualisierende Perspektive entwickelt hat (Passage: Ankunft II): Stettler:

also ganz am Anfang; also wenn ich jetzt denke wie ich zum Beispiel in Burundi äh da angekommen bin damals, ne, also vierundneunzig und so, ähm (3) so die ersten äh Burunder ne, die ich da kennen gelernt hab und so und wo ich mir so gedacht hab, aha, das sind jetzt also die Afrikaner ne, da war ich dann äh äh bei einem am Abend zu Hause zum Essen eingeladen und so und äh äh (3) ja da ist einfach kein Unterschied; also ich weiß nich, für mich war- okay, da vielleicht da die Wohnungseinrichtung, oder äh //mmh// das Essen; aber die Art und Weise wie die Leute um den Tisch oder reden miteinander, das ist genau gleich; ja oder, auch auch äh wie Leute reagieren, zum Beispiel das ist mir dann eigentlich erst so aufgegangen wie ich wieder in Bosnien war, ja, //mmh// der Unterschied zwischen Afrika und Europa ja, ja dann war ich in Bosnien, und dann ähm hab ich eben sehr viel mit diesen Kriegswitwen zu tun gehabt ham, die dieses Massaker von Srebrenica immer wieder erzählt haben, als ich ungefähr weiß nicht mehr wie oft gehört, ja in allen Details und so; und da hab ich mir gedacht, eig::entlich gleichen sich die Geschichten auch sehr, //mmh// ja, auch die Art und Weise wie die Leute reagieren sind teilweise sehr ähnlich, nur wirds verschieden geäußert; ja in Bosnien zum Beispiel eben diese die die Kultur in Bosnien ist viel mehr so, dass das sehr geäußert wird, ja, //mmh// die Frauen weinen und ähm sehr extrovertiert, und klagen und und und was weiß ich, //mmh// wohingegen in Ruanda zum Beispiel äh das so war dass die Leute überhaupt nimmer gesprochen haben; //mmh// und dass mer oft (1) monate(2) teilweise sogar jahrelang mit jemand zu tun hat, der nie spricht und dann auf einmal kommt die schrecklichste Geschichte zu Tage wo man sich denkt um Gottes willen ja, //mmh// aber die Art und Weise wie das von dem einzelnen Menschen wahrgenommen wird; ja, //mmh// zum Beispiel ein Kind zu verlieren, ja, //mmh// ich hab sehr viel mit Frauen zu tun gehabt, die Kinder (.) verloren haben, ähm äh Frauen die ihre Ehemänner verloren haben, (3) Männer die überlebt als einzig- als Einzelne von einer ganzen Gruppe, die irgendwie umgebracht worden sind und die irgendwie was weiß ich? Durch ein Wunder ja äh (1) eine Schusswunde überlebt ham, und einfach äh von der Gruppe als Einziger

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übergeblieben sin- reagieren sehr ähnlich ja, oder er- vielleicht die Art und Weise wie sie die Geschichte erzählen oder oder was weiß ich, die ist verschieden, aber die, wie das wahrgenommen wird, von einem Menschen, das ist überall gleich. //mmh//

In dieser Passage, in der Frau Stettler selbstreflektierend über ihre Erwartungen und Vorstellung vom Anderen berichtet, wird deutlich, was sie vom Typ der kulturalisierenden und polit-ökonomisierenden Darstellung unterscheidet. Die Anderen tauchen hier zwar in einer Andersheit auf, gleichzeitig verweist Frau Stettler aber auch darauf, wie die Anderen ihr auch als Projektion dienen. Sie stellt sich selbst als für ihre eigene Kategorisierung und Vorurteile sensibel dar und damit auch als lernfähig. Frau Stettlers Erfahrung mit »Afrikanern« (eine Zuschreibung, von der sie sich durch die Betonung distanziert) war im Kontrast zu ihrer Annahme der Fremdheit eher geprägt durch eine Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten als von Unterschieden. Eine Differenzlinie läuft hier allein entlang von Geschmack und Gestaltung. Der Fokus ihrer Beschreibungen liegt auf der Beobachtung, dass sich »Art und Weise« des Umgangs sowie Reaktion und »Wahrnehmung« gleichen. Die Anderen unterscheiden sich von ihr und untereinander (»Bosnien«, »Ruanda«) in der Gestaltung der »Wohnungseinrichtung«, im »Essen« und darin, wie Erfahrungen »geäußert« werden. Durch den Vergleich zwischen »Bosnien« und »Ruanda« wird es Frau Stettler möglich, strukturidentische Wahrnehmungen zu identifizieren und Unterschiede nicht auf eine grundsätzliche Differenz zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten oder Kulturen zu beziehen. Frau Stettler trifft in dieser Sequenz auch kulturalisierende Aussagen (»die Kultur ist so«) und trifft damit generalisierende Aussagen. Auch ihre Interpretation der Gleichheit aller Menschen ist in hohem Maße generalisierend, nichtsdestoweniger liegt der Fokus ihrer Perspektive auf Individuen und deren Wahrnehmung von Welt und nicht etwa auf vorgestellten Gemeinschaften oder der politischen und ökonomischen Situation der Beschriebenen. Ein weiterer Kontrast zu den in 7.1 und 7.2 vorgestellten Typen dokumentiert sich im Entwurf einer integrativen Perspektive. Für den Typ ›Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung‹ kennzeichnend ist zudem der Perspektivenwechsel, welcher mit der Darstellung der Anderen als »gleich« einhergeht. Die Einschätzung der Wahrnehmung des Anderen und die Interpretation des Verhaltens des Anderen werden von Frau Stettler nicht nur gedankenexperimentell mit der eigenen Wahrnehmung identisch, sondern finden auf einer abstrakteren Ebene in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte statt (Passage: Reflexion II): Stettler:

ja, und auch die, wie soll ich sagen? Auch die Überlegungen ja ähm ähm (2) von von sozusagen ähm äh Kriegsführenden (.) Parteien ja, zum Beispiel es muss eine ganze Gruppe vernichtet werden, wir lassen keinen am

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Leben; und diese Sachen, das ist auch was, was in den in den Menschen irgendwie zu Grunde liegt; //mmh// ja, und und dann eben hab ich das auch verglichen mit den Geschichten von meiner Familie und was meine Oma erzählt hat und so weiter und ähm das gleicht sich; ja, //mmh// das ist ganz erstaunlich; und dann denkt man immer ja, dann hört man so blöde Sachen wie ja die Afrikaner sind ja alle noch ganz primitiv und so, //mmh// is ein völliger Blödsinn. in meinen Augen ja, //mmh//

Auch in menschenverachtenden Aussagen (nicht nur in der Wahrnehmung von Ereignissen) sieht Frau Stettler etwas, was »den Menschen irgendwie zu Grunde liegt«; eine Parallele, welche sich über Kontinente, Zeiten und Kulturen hinweg als menschliche Konstante behaupte. Auch wenn an dieser Stelle die anthropologische Erklärungstheorie der Aussage, etwas würde einem Menschen »zu Grunde« liegen, durchaus kritisch gesehen werden kann, dokumentiert sich im Folgenden doch ein beachtenswerter Perspektivenwechsel, welcher nicht rein theoretisch, sondern durch einen konkreten Vergleich mit den »Geschichten« ihrer »Familie« entsteht, was auch auf eine habituelle Verankerung der Perspektive hinweist. Die Gleichheit aller Menschen wird von Frau Stettler nicht nur aus einem humanistischen Grundideal angenommen, sondern taucht insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Erfahrung von »Krieg« auf (Passage: Reflexion III): Stettler:

und dann ist mir auch sehr viel aufgegangen, ja diese naive Vorstellungen die man so hat, äh (1) Menschen würden ja so was nie machen, und so, dass das alles nicht stimmt; ja, //mmh// Menschen sind zu ganz unglaublichen Sachen fähig. Und ich hab das auch ähm (2) dann aufgrund von den ganzen Geschichten die ich gehört hab was im Krieg alles passieren kann; ja, also auch in Bosnien und so; (1) ähm und dann eben mit meiner Oma gesprochen, also mit mit meinen eigenen Verwandten ja, //mmh// äh gesprochen hab und dann äh (2) hab ich sozusagen auch bei mir selber sehr viel revidieren müssen ja, //mmh// äh dass man sich dann eben denkt okee, ähm ich weiß nicht wie ich in dieser und jener Situation reagiert hätt; //mmh// und wahrscheinlich wär ich genauso ein Nazi gewesen. Ne, //mmh// wie wie alle anderen halt auch, damals ja; //mmh// und diese menschlichen, psychologischen Grund- äh züge eben, das auch. Diese Gutgläubig-, dass man irgend so einer Ideologie nachrennt, und so ja, //mmh// wie das da eben bei dem Völkermord auch der Fall war und des bei uns zur Nazizeit eben der Fall war, äh wo man sich dann denkt, äh na ja, wie würd eigentlich ich auf so was reagieren? //mmh// ja, hätt man die Möglichkeit dass ma trotz aller Erziehung und Geistesbildung und so weiter da wirklich so aussteigt? //mmh// und inwieweit können einen andere unter Druck setzen auch; ja, //mmh// und so; und diese ganzen Sachen hab ich mir eigentlich nie wirklich überlegt, weil man lebt so in einer so wahnsinnig behüteten ähm Welt, die eigentlich ein Sonderzustand ist; in Europa; //mmh//

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In dieser Sequenz zeichnet sich ausdrücklich der Erfahrungsbezug von Frau Stettlers Perspektive auf die Andere und die hohe Reflexionsebene ihrer Interpretationen ab. Frau Stettler macht hier deutlich, dass es sich bei ihrer Aussage, Menschen nähmen gleich wahr und würden ähnlich handeln, nicht um eine »naive Vorstellung«, im Sinne einer gutgläubigen und unhinterfragten Theorie, handelt. Vielmehr entstand diese Perspektive erst dann, als Frau Stettler ihre »naive« Ansicht aufgegeben und wahrgenommen hat, zu welchen »unglaublichen Sachen« Menschen prinzipiell in der Lage sind. Frau Stettler reflektiert in der Auseinandersetzung mit ihrer »Oma« und ihren »Verwandten«, dass ein ›Othering‹ im Sinne der Zuschreibung von Gräueltaten zu bestimmten Menschengruppen, Nationalitäten oder Ethnien nicht möglich ist, und sieht darin ihre Theorie gleicher »menschlicher, psychologischer Grund züge« bestätigt. Selbstkritisch überlegt Frau Stettler, wie sie trotz »Erziehung« in der »Nazizeit« gehandelt hätte und sieht in ihrer Unsicherheit (»wahrscheinlich wär ich genauso ein Nazi gewesen.«) Grenzen von »Erziehung« und »Geistesbildung« und damit eine generelle Gefahr der Verantwortungsabgabe und eines universell menschlichen Potentials zu Grausamkeit. Zugleich verweist sie auf einen weiteren Aspekt, der Einfluss auf das Handeln der Menschen nimmt: das Unter-»Druck«-gesetzt-Sein durch bestimmte Gruppen. Diese Reflexionen zu potentiell eigenem Handeln und situationsbedingten Einflüssen abstrahiert von jeglichen Dimensionen und konkreten Handlungsbezügen. Sie basiert auf einem Menschenbild, bei dem die Psyche von Individuen (»psychologischen Grund äh züge«), welche als universell »gleich« gesehen wird, thematisiert wird. Damit eröffnet sich für Frau Stettler eine Perspektive, welche jenseits von kolonialen, ethnischen, nationalen, historischen oder auch religiösen Dimensionen das Handeln der Individuen in den Blick nimmt. Zur Entstehung dieser Wahrnehmung des Anderen und der Interpretation von Situation macht Frau Stettler auf die Notwendigkeit des Vergleichs durch Erfahrung aufmerksam. Erst ihre Erfahrung des Lebens und Arbeitens im Ausland und ihre Konfrontation mit anderen Lebensumständen haben dazu geführt, dass sie ihre bisherige Perspektive einer »behüteten äh Welt« aufgeben musste und die Selbstverständlichkeiten ihrer Herkunft in Frage gestellt hat. Daraus folgt, soweit dies im Fall von Frau Stettler rekonstruiert werden kann, dass die Anderen nicht als ganz anders wahrgenommen werden, sondern in Bedürfnissen, Wünschen und Handeln identisch sind (Passage: Reflexion IV): Stettler:

und dann auch so ähm äh (3) Sachen die ma dann eben noch mal überlegen muss, ich hab zum Beispiel sehr viele Leute äh getroffen die dann gemeint ham du äh kannst du nicht äh unser Kind mitnehmen nach Europa? Und ich, was? Du gibst dein Kind weg? Jaja, na weil das hat ja da keine Möglichkeiten zur Ausbildung und nimm doch das Kind mit und bring das dort in irgendeine Schule oder was; (2) denkst da Leute die ihr eigenes Kind weggeben; ja, wie wie verzweifelt muss ma da sein? //ja// Und so und das sind so Sachen, die wir uns einfach nie überlegen, ja, das

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hat mich schon sehr (2) äh ja ich hab einfach völlig andere Perspektiven. ja, und ich muss auch sagen ich bin teilweise sehr äh ungnädig auch zu zu Leuten die da arbeiten und solche Sachen nicht sehen wollen; //mmh// ja, und es gibt sehr viele Leute die das nicht sehen wollen; //mmh//

Die Anfrage von »Leuten«, ihr Kind mit nach Europa zu nehmen, interpretiert Frau Stettler nicht, wie dies gedankenexperimentell im Vergleich mit einer kulturalisierenden Perspektive wahrscheinlich wäre als typisch und einer bestimmten Kultur entsprechend. Vielmehr ist die Basis ihrer Reflexion die eigene Wahrnehmung (»wie verzweifelt muss ma da sein?«), hinter der sich wiederum ihr universalistisches Menschenbild zeigt. Auch hier findet der Perspektivenwechsel in Ansätzen statt. Frau Stettler versucht sich in die Situation der Menschen zu versetzen und ihr Handeln daraus zu verstehen. Auch hier dominieren eine anthropologisch universalistische wie auch eine empathische Perspektive. Die Wahrnehmung der Anderen als Individuen mit einer Psyche, welche wie die eigene fühlt, minimiert die Distanz zu Anderen außerordentlich und geht mit einem hohen Maß an Empathie einher. Der Andere ist nicht der fremde Andere, sondern der gleiche Andere. Er ist anders, weil die Lebensumstände anders sind und ein Zugang erfolgt, so Frau Stettler, nur durch Anteilnahme und Verständnis. In großen Teilen des Interviews mit SEBASTIAN BACKE, AUSLANDSKORRESPONDENT IN SÜDAFRIKA findet sich eine ebensolche Darstellung der Anderen als »gleich«, mit dem Fokus auf Menschen als individuellen Subjekten (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

also ich glaub das Wichtigste ist und und das findet man (.) das ist nicht allein auf auf auf Afrika beschränkt; //mhm// aber es es hat was mit mit Journalismus zu tun; //mhm// ähm (2) das was mich am meisten immer gestört hat an der Afrikaberichterstattung war dass dass immer über Objekte geschrieben wurde; ja, also der Kongolese macht das; und //mhm// die die afrikanischen Diktaturen machen das; //mhm// oder sonst irgendwas; und und meine Erfahrung ist es es ist egal wo wo man auf Menschen trifft das sind immer die sind genauso wie du. Punkt. alle Menschen sind gleich;

Herr Backe bezieht sich in dieser Sequenz auf seine Tätigkeit als Journalist und grenzt sie und sich von einer Berichterstattung ab, die über »Objekte« schreibt. In seiner Argumentation verdeutlicht sich, dass hier Selbst- und Fremdbild abgeglichen werden und die Anderen, ebenso wie das Selbst, in ihrer Subjekthaftigkeit wahrgenommen und dargestellt werden. Eine Distanzierung von einer »Objekt«-Bezogenheit entsteht durch den Verweis, die Anderen seien »genauso wie du«. »Der Kongolese macht das« ist insofern problematisch für Herrn Backe, als kollektive Aussagen getroffen werden und diese zudem im Sinne eines ›Othering‹ fungieren. Als maximaler Kontrast sei hier kurz eine Aussage von Herrn

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Hamm eingefügt, für welchen das Schreiben über »Objekte« ein berufliches Selbstverständnis ist (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Y: Hamm:

und so der Ihre deu- deutschen Leser haben Sie die im im Kopf wenn Sie schreiben? die Leser? j:a naja in erster Linie habe ich nicht die Leser im Kopf sondern sondern die Geschichten die ich hier mache und und mein Verhältnis dazu; also ähm also mein Verhältnis zu zu dem Objekt der Berichterstattung ne,

Herr Hamm stellt mit seiner Aussage, über sein »Verhältnis zu zu dem Objekt der Berichterstattung« zu schreiben, genau jenen negativen Gegenhorizont dar, von welchem sich Herr Backe distanzieren möchte. Auch wenn man Herrn Hamms Satz wohlwollend als eine berufsspezifische Äußerung lesen kann, welche wertneutral zu verstehen ist, wird doch gerade in der komparativen Analyse und Gegenüberstellung der Aussage Herr Backes ersichtlich, mit welcher Sensibilität von eigenen Vorstellungen, Annahmen und Begriffen und aus welcher Perspektive hier über die Andere gesprochen wird. »Das Objekt der Berichterstattung« wird niemals »genauso wie du« sein, sondern das bleiben, welches anders ist als man selbst. Inwieweit Herrn Backes Theorie der Gleichheit wirklich auf ihn selbst angewendet werden kann, bleibt eine offene Frage. Die Darstellung der Lebensumstände des Anderen unterscheidet sich in hohem Maße von seiner eigenen Lebensrealität (»die afrikanische Diktaturen« und weiter unten: »verhungern«, »Rebellengruppe«, noch später: »abergläubisch«). Das ›Wie‹ der Darstellung und die ihr zu Grunde liegende Perspektive unterscheidet sich jedoch gerade durch den Bezug auf individuelle Lebenswelten und eine anthropologische Universalität von den beiden anderen rekonstruierten Typen der Darstellung der Anderen. Herr Backe verweist implizit auf eine individuelle Darstellung des Anderen, wenn er seine Kritik an einem Journalismus verdeutlicht, der individuelle Schicksale verleugnet. Sich selbst setzt er mit seiner Perspektive dabei als positiven Gegenhorizont (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

ja, also solange ich mit äh mit der Einstellung hingehe wenn ne afrikanische Mutter sieben Kinder hat dann mag- dann störts ja nicht wenn drei wegverhungern; und diese diese Einstellung gibt es bei bei sehr vielen Menschen; //mhm// ähm (.) solang weiß ich dass niemand dies dass der Mensch der so bestattet der wird nicht kapieren was hier los ist; ja, //mhm// und ähm wenn wenn kleine Kinder jeden Tag ne Stunde von ihren Dörfern in die Stadt laufen mit und dann im Straßengraben der Stadt im Schutz der Stadt übernachten damit sie nicht von ner Rebellengruppe entführt werden; (.) und am nächsten Morgen wieder ne Stunde zurück in ihr Dorf laufen um in die Schule zu gehen; äh dann ist das eine unerträgliche Qual für diese Kinder ja, //mhm// und nichts was halt einfach so ist in Afrika ja,

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Sein Prinzip, so legt Herr Backe dar, ist es, den Menschen in seiner Einzigartigkeit und in der Sinnhaftigkeit seiner Lebenssituation zu betrachten und von der Prämisse der Gleichheit aller Menschen auszugehen. Die Darstellung des Erlebens der Kinder ist weder exotisierend im Sinne einer Distanzierung und Abgrenzung noch kann sie als eine völlige ethnozentristische Aussage gedeutet werden, welche den Anderen auf das Eigene reduziert. Die Darstellung setzt an der individuellen Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder an, als heterologisches Denken von der Anderen her. Es handelt sich sicherlich auch hier um Figurationen des Erlebens des Anderen und diese Figurationen basieren auf dem Maßstab eigener Empfindungen; sie jedoch als bloße Reduktion des Fremden oder Anderen auf das Eigene zu sehen, wird dem Interviewmaterial nicht gerecht. Herr Backe distanziert sich von kulturalisierenden und generalisierenden Interpretationen, erkennt den problematischen Charakter, den solche Aussagen haben können, und fordert moralisierend dem entgegenzuwirken (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

ich darf nicht von vornherein Menschen (.) nur weil weil sie fremd und exotisch (.) äh wirken fremde und exotische Gefühle unterstellen;

Herr Backe differenziert mit dieser Aussage zwischen einer Wirkung, welche die andere Fremde auf ihn hat, und deren eigenen »Gefühlen«. Damit verweist er auf den Zuschreibungscharakter von »fremd« und »exotisch« einerseits, andererseits dokumentiert dies implizit seine selbstläufige Wahrnehmung des Anderen. Der Blick auf die Lebenswelt der Anderen entsteht folglich zunächst habituell, er wirkt ihm aber durch Reflexion entgegen (Passage: Berufl. Selbstverständnis): Backe:

man glaubt immer dass die Menschen fremd sind und ganz anders ticken als als man selbst tickt; //mhm// (1) und (.) meine Erfahrung ist aber im Nachhinein ist dass ich dass die alle gleich ticken; ja, //mhm// also die sind im Kongo vielleicht mehr @abergläubisch@ als wir es sind; aber so- sobald ich weiß warum sie es sind; und und dass sie es sind; (.) ähm kann ich die viel besser erklären; solche Menschen viel besser erklären als wenn ich schreib mein Gott die sind halt alle so exotisch und fremd; ja, //mhm// ja (3)

Herr Backe verweist nochmals auf die Relationalität von Fremdheit und setzt seiner eigenen (ersten) Wahrnehmung und Interpretation (»ganz anders ticken«) seine Erfahrung und Reflexion entgegen (»alle gleich ticken«). Hinzu kommt ein weiterer Aspekt der Darstellung des Anderen, das Erklären der als »exotisch« wahrgenommenen Phänomene. Der Aberglaube von Menschen »im Kongo«, den Herr Backe wahrnimmt, stellt sich als etwas heraus, was sich der Interpretation entzieht und daher exotisch und fremd bleibt, jedoch in seiner Funktionalität erklärbar wird. Darin zeigt sich eine Orientierung an Vernunft und einem

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theoretischen Wissen. Die Gleichheit trifft nicht auf alle Bereiche des Lebens zu, was Herr Backe mit diesem Verweis markiert. Er betont damit, dass eine Aufmerksamkeit für Differenzen nicht verschwinden darf und dass es erstens die Möglichkeit gibt, das Andere wahrzunehmen, und zweitens, dass dieses Andere auch einordbar ist. Dies stellt für seine Arbeit als Journalist eine besondere Herausforderung dar (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

ich lass mich da natürlich auf all diese unterschiedlichen @exotischen Ausdrucksweisen@ ein; und und beschreib die dann auch mit großer Freude; //mhm// aber die aber die Grundlage muss sein dass ich dass ich eben Menschen dasselbe Recht zu- zuspreche; naja nicht dasselbe Recht; sondern (.) äh dieselbe Grundveranlagung zuzusprechen; //mhm//

Die Verwunderung, die Herrn Backe trifft, wenn er auf »exotische Ausdrucksweisen« trifft sowie auf Verhalten, welches nicht seinem natürlichen Verständnis von Welt entspricht, führt nicht zu einer Distanzierung oder Ablehnung der Anderen, wie etwa bei Frau Katoscheks Abkehr von der Idee einer bikulturellen Ehe, sondern zu einer Beschreibung dieser Unterschiede. Fremdheit wird ebenso erlebt, aber der Umgang damit unterscheidet sich. Herr Backe ›übersetzt‹ sozusagen das Andere in sprachliche Repräsentationen mit der Perspektive auf die individuelle Lebenswelt. Einer ›Exotisierung‹ arbeitet er entgegen, indem er ebenso wie Frau Stettler (»Grundzüge«) von einer »Grundveranlagung« ausgeht, die allen Menschen gleich ist. Damit wird auf einer theoretischen Meta-Ebene der Andere (künstlich) vertraut gemacht. Das Fremdverstehen erfolgt somit nicht einem selbstläufigen Prozess oder einem methodisch kontrollierten Fremdverstehen, mit welchem die unreflektierten Selbstverständlichkeiten des Einzelnen kommunikativ hergestellt werden, sondern umgekehrt: Nicht Fremdheit führt hier zu einem ›besseren‹ Verständnis der Lebenswelt des Anderen, sondern Vertrautheit. Das Verhalten der Anderen wird damit zu einem Verhalten, das innerhalb der eigenen, aber stark abstrahierten Interpretations- und Deutungsmuster wahrgenommen werden kann, und verliert darüber seinen fremdartigen Charakter. Auf der handlungspraktischen Ebene geschieht dies durch einen Vergleich (Passage: Berufliche Kontakte): Backe:

na ich habs immer andersrum rum gedreht wenn n Kenianer sagen wir mal in ein oberbayrisches Dorf fährt und zum nächsten Bauern geht und sagt ich mach jetzt n Interview mit dir dann würde der Bauer auch sagen @schleich dich@ und lass mich in Ruhe also warum soll ich mit dir reden; ja, //mhm// wenn aber dann der der Lehrer des Ortes dann zu dem Bauern geht (1) dann und sagt er braucht das da und dafür dann redet der mehr mit dem Lehrer, //mhm// und der Kenianer sitzt daneben und kriegt sein Interview was er haben will; ne, //mhm// und so funktionierts in Afrika auch ja, @(.)@

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Das Verhalten der afrikanischen Bevölkerung erklärt sich Herr Backe durch eine grundsätzliche Theorie des Umgangs mit Fremdheitssituationen, welche er durch einen imaginären Vergleich sichtbar macht. Die Anderen schweigen nicht, weil sie anders sind, sondern weil sie gleich sind. Der Umgang mit Fremden »funktioniert in Afrika« und in einem »oberbayrischen Dorf« gleich. Ohne andere Umstände miteinzubeziehen (z. B. Geschichte, finanzielle Ressourcen, Macht), entwickelt Herr Backe ein universalistisches Bild menschlicher Lebenswelten und Verhalten. In diesem Fall macht ihm dies möglich, das Verhalten der Anderen anders als »exotisch« zu interpretieren. Ihre Verweigerung, zu sprechen, ist somit nicht typisch afrikanisch (kulturalisierend) oder innerhalb einer Perspektive kolonialer Vergangenheit (politisierend) interpretiert, sondern vielmehr als ein ›normales menschliches‹ Verhalten. Das Verständnis für die Lebenswelt der Anderen kann, wie in der folgenden Sequenz erkennbar, schließlich auch durch einen empathischen Perspektivenwechsel vollzogen werden (Passage: Berufliches Selbstverständnis): Backe:

na wenn ich wenn ich in son kleines nigrisches Dorf fahr, //mhm// und mitm mit n Dorfchef da erstmal spreche; //mhm// (.) dann muss ich mi halt reinversetzen wie (.) du bist (..) du bist jetzt Dorfchef hier; @(.)@ //@(.)@// guckst auf ein grünes Feld kannst aber diese grünen Dinger nich nicht essen weil sie keine Früchte tragen; ja, //mhm// (1) und (.) sobald ich mich wirklich zehn Minuten also imaginär auf auf auf diese Rolle einlasse; dann fallen mir alle Probleme auf; ja, //mhm// mhm außer aber ich kann auch hinfahren und sagen okay da gibts halt n Dorf da gibts nichts zum Essen; (.) dann werd ich werd ichs aber nie verstehen ja, //mhm// also ich muss ja ich muss mich reinversetzen ich sitz da in dieser Lehmhütte @(.)@ schau auf mein Feld und kann nichts essen; ja, was gibt es für Konflikte im Dorf; wie wie schafft man das dass man trotzdem noch irgendwie n Saatgut herkriegt; wie was warum gibts hier keine Tiere mehr; und lauter solche Sachen ja,

In dieser Sequenz zeigt sich nun deutlich, wie die Orientierung an der individuellen Lebenswelt der Anderen eine differenzierte Perspektive der Situation ermöglicht. Herr Backe schafft es durch ein »Reinversetzen«, unterschiedliche Faktoren auszumachen, welche die konkrete Situation beeinflussen. Hierbei spielt sein individueller Blick weit weniger eine Rolle. Das »Reinversetzen« wechselt die Perspektive der ›Draufsicht‹ und nähert sich einer ›Innenansicht‹. Normierende oder moralisierende Kommentare lassen sich dabei nicht finden. Es geht nicht darum, die Andere und die Situation durch eine möglichst genaue Beschreibung zu diskreditieren. Es wird versucht, die Motivation, Wahrnehmung und Einschätzung des Anderen nachzuvollziehen, ohne ihn damit bloßzustellen und nach den eigenen Wertmaßstäben zu beurteilen.

DARSTELLUNG DES ANDEREN | 317

Was bei Frau Stettler als habitualisierte Wahrnehmung des Anderen zu Tage tritt, ist im Fall von Herrn Backe ein theoretisches Wissen, dass einem möglichen habituellen Fremderleben entgegenwirkt und sich in seiner Erfahrung bewährt hat. Es wird von ihm als Möglichkeit gesehen, den Spagat zwischen fremd und eigen zu schließen und damit Exotik beschreiben und Anderes erklären zu können. Der Typ ›Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung‹ unterscheidet sich von den beiden anderen rekonstruierten Typen der Darstellung der Anderen durch eine Verlagerung der Generalisierung und eine nicht vorhandene Exotisierung der Anderen. Demnach lassen sich hier keine Rassismen finden. Differenzen werden nicht beschrieben, um damit Minderwertigkeit zu proklamieren, wie sich dies in den beiden andern Typen immer wieder finden lässt. Vielmehr wird den Interessen der Anderen und deren möglicher Perspektive auf die Situation mehr Raum gegeben. Es rücken damit weitere Dimensionen, welche eine interkulturelle Begegnung beeinflussen, in den Blick und arbeiten einer essentialistischen Darstellung entgegen. Die Darstellung der Anderen ist geprägt durch einen neugierigen Blick auf die Erfahrungswelt der Anderen und kann als sinnverstehender Zugang zum Anderen interpretiert werden. Der Fokus auf die Erfahrung des Anderen und die eigene Erfahrung mit dem Anderen lassen keine Generalisierungen oder Homogenisierungen wie beim Typ ›Kulturalisierung‹ (Kap. 7.1) oder beim Typ ›Politökonomisierung‹ (Kap. 7.2) zu, sondern es wird eine anthropologische Perspektive entwickelt. Dies heißt nicht, dass Begegnungen dadurch zwangsläufig besser oder einfacher zustande kommen. Gerade in den Sequenzen aus den Interviews mit Frau Katoschek und Frau Meier wird offensichtlich, dass eine individualisierte Sicht nicht Gemeinsamkeit schafft. Die Gemeinsamkeit, die Frau Stettler und Herr Backe hervorheben (»alle sind gleich«), ist ebenfalls so angesiedelt, dass sich daraus nicht notwendig eine gemeinsame Handlungspraxis entwickelt. In Bezug auf die Frage nach Handlungsoptionen zeigt sich aber im Vergleich mit den beiden anderen Typen der Darstellung des Anderen, dass sich hier theoretisch und praktisch mehr Anschlussmöglichkeiten bieten und dies insbesondere auch in Hinblick auf das eigene Fremderleben und die eigene Zufriedenheit. Keine diesem Typ zugeordnete Person fühlt sich durch einen individualisierten Blick auf die Andere selbst in die Ecke gedrängt. Vielmehr wird das Gelingen einer interkulturellen Begegnung als etwas gesehen, was erfolgreich ist, wenn Lebenssituationen passen. Dies trifft nicht auf Herrn Backes Ausführungen zu seinem beruflichen Handeln zu, doch auch hier, wo eine Begegnung theoretisch vorbereitet ist, bestimmen die beteiligten Individuen den Verlauf der Begegnung und nicht ›kulturelle Prägungen‹ oder politische Situationen. Der Typ ›Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung‹ thematisiert gesellschaftliche, politische und ökonomische Einflüsse auf das Handeln kaum und wirkt damit an mancher Stelle auch dekontextualisierend. Da der Fokus auf dem Individuum und seiner »Psyche« liegt, kommen kollektive Erfahrungen weniger in den Blick. Für die Begegnung kann dies

318 | INTERKULTURELLE HANDLUNGSKOMPETENZ

bedeuten, dass es kaum einen Austausch über ein gemeinsam geteiltes Leben gibt und jede sich in ihre kleine eigene Alltagswelt zurückzieht. Wird der Andere nicht mehr als der zu verstehende Fremde wahrgenommen, sondern als der andere Identische, kann dies auch zu Desinteresse führen und Differenzen verleugnen.

7.4 Zusammenfassung In Kapitel 7 wurden drei differente Darstellungsformen der Anderen rekonstruiert. Wie der Andere gesehen wird, als was und mit welchen Motiven und Orientierungen er und die Situation der Interaktion interpretiert werden, geben Rückschluss auf Selbst- und Fremdzuschreibungen der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten. Eine Verortung der Anderen aus kulturalisierender Perspektive differenziert deutlichen zwischen einem Ich oder Wir und einer Gruppe der Anderen. Auffallend dabei ist, dass die kollektiven Einbindungen der Anderen als weit deterministischer gesehen werden als die eigenen. So entstehen Praxen der Hierarchisierung von Selbst und Anderen und auch rassistische Zugehörigkeitsfigurationen. Durch kulturalisierende Zuschreibungen erwächst jedoch trotz teils äußerst problematischer Bewertungen auch ein Interesse an der Anderen und Formen des Aufeinanderzugehens. Diese lassen sich im Typ der politökonomisierenden Perspektive so nicht finden. Die soziale Position des Anderen und damit wahrgenommene stereotype Interaktionsschemen lassen die Interviewten auf ihrem Platz verharren bzw. eine unüberbrückbare Distanz entstehen bzw. sichtbar werden. Auch die eigene soziale Position wird zu einer festen Größe, welche über Interaktionsradius und Handlungsoptionen bestimmt. Hier sind es die Differenzen durch ökonomische Unterschiede, aber auch Aspekte eines kolonialen Erbes, mit welchen die Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer nicht gut zurande kommen. Beim dritten Typ der Darstellung der Anderen, einer individualisierenden Perspektive auf sich und Andere und gleichzeitiger anthropologischen Universalisierung treten ökonomische Unterschiede, Machtasymmetrien oder Fragen postkolonialer Interaktionen hinter alltägliche und gleichartige Erfahrungen zurück. Diese Erfahrungen werden nicht notwendigerweise geteilt und gemeinsam erlebt, vielmehr dokumentiert sich eine Haltung, die an Gemeinsamkeit und Gleichheit orientiert ist. Dadurch kommen verschiedene Erfahrungsdimensionen des Anderen in den Blick und eine essentialisierende Zuschreibung wird verhindert. Trotz einer theoretischen Verortung in einer allgemeinen Gleichheit von Menschen wird eine Verknüpfung mit der Ebene des praktischen Handelns hergestellt, in der die Interaktionsteilnehmerinnen primär hinsichtlich ihrer konkreten Bedürfnisse und Interessen wahrgenommen werden und sich dadurch ein kooperativer Umgang anschließen kann.

8 Diskussion der Ergebnisse

Die zentralen Ergebnisse der empirischen Analyse werde ich im Folgenden zusammenfassen und vor dem Hintergrund des zu Beginn der Arbeit entfalteten theoretischen Rahmens diskutieren. Ziel der Studie war es, Praxen interkulturellen Handelns und damit das ›Können‹ der Praxis zu rekonstruieren. Auf diese Weise möchte ich sichtbar machen, welche Aspekte des Handelns als interkulturelle Handlungskompetenzen – im Sinne von sich erweiternden Handlungsoptionen – gesehen werden können, aber auch, welches Handeln einer weiteren sozialen Praxis entgegenstehen kann. Interkulturelles Handeln wird hier verstanden als Verständigungsprozess in einer globalisierten und kulturpluralen Gesellschaft. Mit dieser Bezugnahme auf die Praxis stellt interkulturelle Handlungskompetenz eine Anforderung dar, welche nicht allein theoretisch bestimmt und gefordert werden kann. Vielmehr ist die erziehungswissenschaftliche Forschung aufgerufen, sich mit den konkreten Handlungsvollzügen in interkulturellen Situationen zu beschäftigen. Interkulturelle Situationen werden dabei, im Anschluss an eine Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten (Nohl 2006c), als milieuübergreifende Begegnungen verstanden (Kap. 2.). In diesen milieuübergreifenden Begegnungen kommt es, so die These meiner Untersuchung, zu einem Zusammenspiel von Handeln, Reflektieren und Interpretieren der Anderen, welches die interkulturellen Begegnungen der Akteurinnen bestimmt.1 In der Handlungskoordination von Tun, Reflexion und Interpretation kann es durch die Konfrontation mit Anderem zu Handlungsirritationen kommen (Kap. 3). Wer oder was als Irritation erlebt wird und wie mit dieser Handlungsirritation umgegangen wird, insbesondere aber, welche Anschlussmöglichkeiten sich

1

Während das Reflektieren sich auf das Handeln der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer selbst bezieht, wird das Interpretieren als Interpretieren des Handlungsgegenübers – des Anderen – untersucht.

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daraus ergeben, zeigt sich in der Rekonstruktion des Handelns, des Umgangs mit eigenem Wissen und Können und in der Darstellung des Anderen.2 Die Ergebnisse sind damit sowohl auf einer gegenstandsbezogenen als auch auf einer handlungstheoretischen Ebene angesiedelt. Das alltägliche Handeln, die Reflexion des Handelns und die Wahrnehmung und Darstellung der Anderen werden in ihrem Potential für interkulturelle Begegnungen in dieser Studie exemplarisch anhand von Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen in Afrika untersucht. Dabei versuchte ich in dieser Studie nicht, wie in gängigen Arbeiten zu interkultureller Kompetenz Kriterien für ›kompetentes‹ Verhalten zu bestimmen; vielmehr ging es mir darum, die Praxis des interkulturellen Handelns und ihre verschiedenen Handlungsdimensionen zu rekonstruieren. Inwieweit diese Praktiken interkulturellen Handelns dann Anschlussmöglichkeiten für weiteres Handeln (im Sinne von erweiterten Handlungsoptionen) bereitstellen, diskutiere ich im Zusammenhang mit handlungstheoretischen Fragen. Die Fähigkeiten, welche sich in der Praxis zeigen, und ihre handlungspraktischen Anschlussmöglichkeiten sind die Basis einer empirischen Diskussion interkultureller Handlungskompetenz. Die empirisch rekonstruierten Handlungsformen werde ich in Kapitel 8.1 zusammenfassen. Sie sind die zentralen Ergebnisse meiner Studie und offenbaren die Heterogenität interkulturellen Handelns sowie Zusammenhänge von Handeln, Reflektieren und Interpretieren. Wird hier noch nicht auf den aktuellen Forschungsstand verwiesen, so gehe ich in Kapitel 8.2 auf die sich eröffnenden und verschließenden Handlungsoptionen durch Handeln, Reflexion und Interpretation ein und knüpfe an die Diskurse zur interkulturellen Kompetenz und interkulturellen Bildung an. Abschließend mache ich deutlich, welche Möglichkeiten sich für eine Diskussion interkultureller Handlungskompetenz durch eine praxeologische Erforschung verschiedener Handlungsdimensionen ergeben können (Kap. 8.3).

8.1

Handeln, Reflektieren und Interpretieren in milieuübergreifenden Begegnungen

Das Leben und Arbeiten außerhalb des Herkunftslandes, in einem hochqualifizierten Beruf mit hoher Mobilität ist in dieser Studie der Ausgangspunkt der Rekonstruktion verschiedener Handlungspraktiken. Damit ist die Studie zwar einerseits in einem Forschungsfeld angesiedelt, welches sich mit hochqualifizierten Transmigranten (wie etwa auch Managern) beschäftigt (vgl. Thomas 1993, Moosmüller 2003, Stahl 1998), andererseits setze ich den Fokus meiner Untersuchung nicht, wie in Studien zu Managern, auf die Frage ›effizienten‹ und ›kompetenten‹ Verhaltens (s. Kap. 2.2), sondern auf den Aspekt von Handlungsirritationen und milieuübergreifender Verständigung. 2

Für die Methodologie dieser Studie s. Kap. 4.

DISKUSSION DER ERGEBNISSE | 321

Meine Studie unterscheidet sich auch insofern von anderen Studien in diesem Bereich, als nicht Personen und ihre je spezifischen ›Kompetenzen‹ untersucht wurden, sondern typische Formen des Handelns und die Anschlussfähigkeit dieses Handelns. Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen kommen mit unterschiedlichen Motivationen freiwillig nach Afrika und erleben berufliche und private Situationen, die für sie neuartig sind. Sie agieren in einem sozialen Feld, wo Andere und deren Ansprüche, Erwartungen und Haltungen auf sie einwirken und von ihnen interpretiert werden. Dabei handeln sie innerhalb ihres Milieus in einem »konjunktiven Erfahrungsraum« (Bohnsack 2008: 109) auf der Basis bisheriger Erfahrungen und Selbstverständlichkeiten; sie werden durch die Wahrnehmung von Anderen irritiert, was ihr Denken und Handeln ins Stocken und Experimentieren geraten lässt (vgl. Dewey 1963: 263). In einer Dynamik von Handeln, Wahrnehmen, Interpretieren und weiterem Tun finden weder die eigenen Selbstverständlichkeiten eine Fortsetzung noch sind die Andere oder die Handlungssituation feste Entitäten, sondern wandelbar und durch individuelle und kollektive Interpretationen erzeugt. Die Möglichkeit gemeinsamen Handelns entsteht im Kontext einer sozialen Situation, die nicht nur durch die aktuell anwesenden Personen, deren subjektiven Sinn und eine spezifische Aufgabe gerahmt ist, sondern in einem historischen, politischen, sozialen und ökonomischen Kontext mit möglicherweise divergierenden Interessen stattfindet. Daher kann die Fähigkeit, ›interkulturell kompetent‹ zu handeln, nicht personenzentriert gedacht werden, wie dies in gängigen Studien zu interkultureller Kompetenz häufig geschieht (s. Kap. 2.2).3 In der Analyse interkultureller Handlungskompetenz standen also nicht die einzelnen Personen mit ihren spezifischen Fähigkeiten im Vordergrund; vielmehr wurden verschiedene Handlungsformen in milieuübergreifenden Begegnungen rekonstruiert. 4 3

4

Eine wichtige Erkenntnis der vorliegenden Studie ist, dass sich Typen des Handelns, Reflektierens und Interpretierens, aber auch die Frage nach sich eröffnenden Handlungsoptionen und Prozessen interkultureller Bildung nicht systematisch entlang einer Berufs-, Geschlechts- oder Alterstypik rekonstruieren lassen. Sich erweiternde Handlungsoptionen hängen mit Typen des Handelns zusammen, die jedoch nicht als typische Strukturen einer Person/eines Falles rekonstruiert wurden. Dadurch wird offensichtlich, dass die Frage interkultureller Handlungskompetenz sich von einer Personenzentriertheit lösen muss, und, um überhaupt noch Aspekte benennen zu können, welche für eine interkulturelle Interaktion relevant sind, sich auf verschiedene Ebenen des Handelns begeben und das Zusammenspiel von Selbst – Situation – Anderer wie auch den Handlungskontext ins Auge fassen muss. Die forschungsanalytische Differenzierung der beiden untersuchten Berufsgruppen als beobachtend bzw. eingreifend ließ sich mit der Rekonstruktion des Handelns in interkulturellen Situationen nicht als eine Berufstypik herausarbeiten. Die Annahme, Auslandskorrespondentinnen könnten sich eventuell grundlegend in ihrem interkulturellen Handeln von Entwicklungshelferinnen unterscheiden, weil sie stärker beobachten als eingreifen, kann insofern durch diese Studie nicht bestätigt werden. Obwohl dem beruflichen Kontext sowohl im beruflichen als auch im privaten

322 | INTERKULTURELLE HANDLUNGSKOMPETENZ

Im Folgenden stelle ich die rekonstruierten Typen des Handelns meiner Studie entlang der Dynamik von Handeln, Wahrnehmen und Interpretieren noch einmal im Überblick dar und gehe auf Zusammenhänge zwischen den Typen ein. Vier unterscheidbare, sich jedoch überlagernde Handlungsdimensionen können dabei in der Auseinandersetzung mit interkulturellen Situationen ausgemacht werden: Auf der Handlungsebene die Dimension des Fremdverstehen und die Dimension der Interaktion mit Einheimischen zwischen Distanz und Nähe (Kap. 8.1.1), auf der Ebene der Reflexion die (Nicht-) Infragestellung des eigenen Wissens und Handelns (Kap. 8.1.2) und auf der Ebene der Interpretation die Wahrnehmung und Darstellung des Anderen (Kap. 8.1.3).

8.1.1 Handeln Auf der Handlungsebene kann in der vorliegenden Studie zwischen Formen des Fremdverstehens und Formen der Interaktion unterschieden werden. Das Fremdverstehen konnte sowohl als habitualisierte oder reflektierte (berufliche) Praxis als auch als implizite Praxis der Verständigung rekonstruiert werden, die durch eine habitualisierte Neugier und Orientierung an Kooperation ebenso wie als spontane Reaktion auf Handlungsirritationen entstehen kann.5 Das Fremdverstehen ist Teil einer beruflichen Anforderung, die Kooperation und/oder Verstehen voraussetzt, und eigenes Bedürfnis der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelferinnen selbst und zwar in beruflichen und privaten Situationen.6

5

6

Handeln ein großer Stellenwert zukommt, gibt es Entwicklungshelfer, die distanziert beobachten und Auslandskorrespondenten, die den Anspruch haben, mit ihrer Arbeit Veränderungen herbeizuführen. Entwicklungshelferinnen kooperieren nicht immer mit ihren einheimischen Kolleginnen und Auslandskorrespondentinnen arbeiten häufig mit einheimischen Journalistinnen zusammen. Fremdverstehen wird in dieser Studie als eine Praxis interkulturellen Handelns rekonstruiert, welche sowohl explizit (reflektiert und analysiert) als auch implizit (unbewusst etwa durch gewohnheitsmäßiges Handeln) in interkulturellen Interaktionen stattfindet. Eine grundlegende Diskussion der Verstehensproblematik wird hier nicht geführt. Der Fokus des Fremdverstehens liegt nicht auf der Frage, ob ein Verstehen des Anderen prinzipiell möglich ist, sondern in welcher Form Verstehen stattfindet und welche handlungspraktischen Anschlussmöglichkeiten damit einhergehen können. Hinsichtlich der Frage interkultureller Handlungskompetenz ist hier vor allem relevant, ob ein Verstehen der Fremden auf das Eigene reduziert oder, wie etwa Geertz aufzeigt, Heterogenität zur Erscheinung bringen kann (vgl. Geertz 1983: 275). Interkulturelle Begegnungen als milieuübergreifende Begegnungen zu verstehen, fokussiert auf den Aspekt kollektiver Zugehörigkeiten und Sinnzuschreibungen, welche nicht primär nationalstaatlich oder ethnisch operieren, sondern aus der Erfahrungswelt und dem praktischen Handeln ihrer Akteure entstehen. Damit wird gleichzeitig auf die Diskrepanz zwischen konjunktivem Wissen innerhalb eines Milieus und kommunikativ-generalisiertem Wissen als so genanntem ›öffentlichen‹ Wissen verwiesen (vgl. Nohl 2006c: 137 ff). Zum Verständnis interkultureller Begegnungen als milieuübergreifender Begegnungen s. auch Kap. 2.1.

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Insbesondere bei Auslandskorrespondenten lässt sich das Fremdverstehen als ein auf spezifische Weise intendierter Akt herausarbeiten. Auffallend ist auch, dass diese Form der Intentionalität vornehmlich bei Männern rekonstruiert werden konnte.

Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens Dieser Typ des Fremdverstehens zeichnet sich durch eine Orientierung an einem ›wahren‹ oder auch ›objektiven‹ Wissen aus, welches Neutralität und Gerechtigkeit in der Bewertung verspricht. Hauptsächlich durch Lektüre und ausgewählte Informationen wird bereits vorhandenes Wissen über den Fremden bestätigt und erweitert. Interaktionen mit anderen Menschen können in diesem Zusammenhang zu einer funktionsorientierten Begegnung werden. Durch ein Wissen über die Andere und eine Orientierung an so genannten ›objektiven Daten‹ entsteht eine (vermeintliche) Sicherheit in der Einschätzung von Situationen. Was als diese Wirklichkeit ins Blickfeld des Betrachters gerät und welche Informationen von welchen Medien und Personen als ›realistisch‹ eingeschätzt werden, unterliegt der Wahrnehmung des Betrachters. Die Grundlage der Interpretation des Verhaltens der Anderen sind die Normalitätsannahmen des Beobachters, der als Experte die Situation überblickt. Die eigene Standortgebundenheit wird nicht reflektiert. Dieser Typ des Fremdverstehens kann auch als objektivistische Perspektive bezeichnet werden. Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählungen und vermittelte Kommunikation Bei diesem Typ wird das praktische Wissen eines Individuums in seiner sozialen Welt, seine Erfahrungen, Sinngebungen und Selbstverständlichkeiten als bedeutsam angesehen und als fremd wahrgenommen; sie müssen daher erst ›übersetzt‹ werden. Nicht die Beobachterin hat den privilegierten Zugang, weil sie weiß, worum es sich handelt, sondern sie hat zunächst gar keinen Zugang und bedarf einer Mittelspersonen wie etwa einer Dolmetscherinnen oder einheimischer Freunde. Die Erfahrungsdimensionen des Anderen als different zu betrachten und gleichzeitig als sinnhaft, vollzieht sich methodisch durch die Annahme einer alltagstheoretisch hergestellten Gemeinsamkeit (die Gleichheit aller Menschen). Aspekte der symmetrischen Ebene sind die Sprache (etwa durch Dolmetscherinnen)7, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder im Fall der 7

Die Chancen einer Arbeit mit Übersetzerinnen verkennt Hannerz, wenn er sich fragt, wie dominierende Berichterstattung am Beispiel Nahost entsteht, und als eine mögliche Ursache mangelnde Arabisch-Kenntnisse benennt. Eine (auch von Hannerz) wünschenswerte Polyphonie in der Berichterstattung kann gerade dann entstehen, wenn Andere sprechen. Darauf weist Hannerz hin, wenn er konstatiert, dass NGOs und Einrichtungen humanitärer Hilfe, mit ihren eigenen Interessen, als Informanten kaum zu einer erwünschten Polyphonie beitragen könnten, und kritisch anmerkt, dass die Stimmen der Afrikaner meist still und anonym blieben (vgl.

324 | INTERKULTURELLE HANDLUNGSKOMPETENZ

Freundschaften ein ähnlicher Bildungs- und Einkommenshintergrund.8 Es wird nicht künstlich Fremdheit hergestellt,9 um differente Orientierungen zu Tage treten zu lassen; vielmehr wird innerhalb eines praktischen Wissens eine Methode des Fremdverstehens entwickelt, die über die Ebene der theoretischen Gleichheit aller Menschen einer Exotisierung und Fremdzuschreibung entgegenarbeitet. Da in diesem Typ des Fremdverstehens die Interpretation der Alltagswelt und deren für das Individuum sinnhafte Strukturen im Zentrum stehen, kann dies auch als interpretatives Fremdverstehen bezeichnet werden.10

Implizites Fremdverstehen in gemeinsamer Praxis Neben diesen beiden expliziten Formen des Fremdverstehens findet ebendies auch implizit in einer gemeinsamen Praxis im Sinne eines unmittelbaren Erfassens der Anderen statt (Kap. 5.2.2). Über gemeinsames Handeln entsteht ein Zugang zur praktischen Lebenswelt des Anderen. Dabei liegt der Fokus der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen nicht so sehr auf der Rekonstruktion subjektiven Sinns wie auf dem Erleben eines gemeinsamen Erfahrungsraums, aus dem sich Sinndeutungen erschließen. Gemeinsames Feiern, Trinken, in einem Viertel leben, Umgangssprache sprechen oder auch Ausstellungsbesuche lassen diese konjunktiven Räume entstehen, in denen Handeln stattfindet, welches weniger intendiert versucht, den Anderen zu verstehen.11

Hannerz 2004: 138 ff). Polyphone Stimmen können aber – und dies sieht Hannerz nicht – auch oder gerade durch Übersetzer sprechen. 8 Das Fremdverstehen über Differenzen in einer Milieudimension hinweg (z. B. der ethnisch-kulturellen Dimension) geschieht hier auf der Basis von Gemeinsamkeiten in einer anderen Milieudimension (ewa Bildung). Im Fremdverstehen werden Aspekte gesucht, die nicht fremd sind, wie etwa gleiche Interessen oder auch eine gleiche Geschlechtszugehörigkeit, die dann die Basis auch für das Verstehen der fremden Aspekte sind. Im Typ ›Verstehen der Lebenswelt des Fremden über Erzählung und vermittelte Kommunikation‹ findet sich ein Fremdverstehen, in dem versucht wird, die Dimension bildungs- und einkommensspezifischer Erfahrung möglichst ähnlich zu halten und dadurch trotz Differenz Verstehensprozesse zu initiieren. Dies gelingt nicht auf allen Ebenen, da nach wie vor der Umstand, in Afrika oder Europa geboren und unterschiedlicher Hautfarbe zu sein, oder auch eine unterschiedliche religiöse Einstellung eine Milieudifferenz und einen Unterschied lebenspraktischen Handelns darstellen. Diese Mehrdimensionalität von Milieus und Erfahrungen im Blick zu haben, widersetzt sich einer Homogenisierung von Milieus und Stilisierung von Fremdheit (vgl. dazu auch Nohl 2006c: 151 ff. und Bohnsack 1989). 9 Wie dies etwa bei Garfinkels Krisenexperimenten der Fall ist (vgl. Garfinkel 1973: 206 f.). 10 Im weiteren Sinne interpretiert auch der Typ ›Verstehen des Fremden durch Aneignung theoretischen Wissens‹ das Fremde, wenngleich auf der Basis von Lektüre und nicht von Erzählungen. 11 Auf einen Prozess des impliziten Verstehens in der geteilten körperlichen und sinnlichen Praxis weist Wulf hin, wenn er davon spricht, dass es in einer ästhetischen Erfahrung zu einem Spiel mit dem Unbekannten komme, welches eine »An-

DISKUSSION DER ERGEBNISSE | 325

Hier kann, in Anlehnung an Mannheim, von einem kontagionalen12 (Fremd-) Verstehen gesprochen werden. Eine Reflexion über das Handeln muss dort nicht notwendigerweise stattfinden, und zwar weder als zielorientiertes Handeln im Sinne eines intendierten Sinns noch als nachträgliche Reflexion und Begründung. »Das Gegenüber wird mehr qualitativ gefühlt denn rational analysiert« (Nohl 2006c: 182). Dass ein Verstehen eines ›fremden Sinns‹ stattgefunden hat und praktisches Wissen als Handlungswissen erworben wurde, zeigt sich in der Praxis des Handelns. Diese Form des Fremdverstehens möchte ich als praxeologisches Fremdverstehen bezeichnen.

Existentielle Distanzierung und Beobachten des Fremden Ein Großteil des Handelns der untersuchten Personen kann als existentielle Distanzierung vom Fremden bezeichnet werden. Eine Interaktion mit Fremden findet kaum statt, wird gemieden oder negativ erlebt. In beruflichen Situationen können sich Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer dem Fremden nicht vollkommen entziehen, sie distanzieren sich jedoch innerlich – im Sinne einer Bewältigungsstrategie – oder wenden sich von kooperativen Projekten aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen von Arbeit ab. In privaten Situationen hängt die Distanzierung teils auch mit dem Beruf zusammen. Die Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen ziehen sich ins familiäre Umfeld und europäische Freundeskreise zurück, um sich zu erholen, oder weil ihr durch Mobilität geprägter Beruf einen Aufbau von Freundschaften erschwert. Weitere Aspekte, die mit einer Distanzierung gegenüber Fremden zusammenhängen, sind unter anderem soziale Enttäuschungen und Einsamkeit, starke ökonomische Ungleichheiten sowie politische Gegebenheiten. Die Differenz zu Anderen wird als unüberbrückbar erlebt, und zwar sowohl durch die eigene Position bestimmt, als auch durch die Lebensstile der Anderen. Typischerweise wird hier auf Fremdheit und Differenz fokussiert. Die Distanzierung findet habitualisiert, reflektiert oder spontan statt. Existentielles Einlassen auf den Fremden Dieser Typ des Handelns ist auf ein Miteinander und auf Gemeinsamkeiten ausgerichtet. Durch die Teilhabe am alltäglichen Leben der Einheimischen und mimetische Erfahrungen entsteht eine geteilte Handlungspraxis. In beruflichen Situationen geht es hier um kooperatives Handelns anlässlich konkreter ähnlichung an das Fremde« hervorbringe, welches aber nicht Selbstaufgabe ist (Wulf 2006: 52). 12 Mannheim bezeichnet ein Gefühl, welches zeitlich vor einem Erkennen stattfindet als Kontagion, in der sich eine »existentielle Aufnahme des Gegenübers in das Bewusstsein« (Mannheim 1980: 207) vollzieht. Damit wird ein kollektiver Prozess einem individuellen Verstehen vorgeordnet gedacht. In diesem Raum des Vortheoretischen entsteht der konjunktive Erfahrungsraum anhand von ›ansteckenden‹ Gefühlen und einem impliziten kollektiven Können (vgl. zum Begriff des Kontagion auch Schäffer 2003, 77 ff. und Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 277 ff.)

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Fragestellungen. Das Wissen und Können der Anderen wird Teil der gemeinsamen Erfahrung. Das Sich-Einlassen entsteht entweder kurzfristig und punktuell in beruflichen Situationen noch langfristig in Freundschaften und wird positiv erlebt. Durch Akzeptanz und Anerkennung von Anderen findet in privaten Situationen auch Teilhabe an fremden Milieus statt. Kooperationen und gemeinsame Praxis finden als selbstverständliche, als reflektierte oder als spontane Praxis statt.

8.1.2 Reflexion Eine Reflexion über eigene Wissensbestände und eigene Methoden des Fremdverstehens wird durch Handlungsirritationen ausgelöst. Folgen der Reflexion können eine Festschreibung eigenen Wissens und Handelns, eine Differenzkonstruktion ebenso wie eine durch Distanz zum eigenen Tun selbstkritische Auseinandersetzung mit eigenen Selbstverständlichkeiten oder ein Abwägen alternativer Handlungsoptionen sein.

Nicht-Infragestellung eigener Wissensbestände In diesem, in der vorliegenden Studie nur bei männlichen Auslandskorrespondenten rekonstruierbaren Typ dokumentiert sich eine Selbsteinschätzung als Experte. In den generalisierenden Selbst- und Fremdzuschreibungen dieser Personen wird die Standortgebundenheit des eigenen Wissens nicht reflektiert. Aufgrund von formalen und informellen Lernprozessen und Erfahrungen sind eigene Wissensbestände zu einem festen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Interpretationsschema geworden. Dies demonstriert Sicherheit und führt zu einem zügigen Wahrnehmen und Handeln in milieuübergreifenden Begegnungen. Eine Überlegenheit und Unabhängigkeit von Anderen ist die Folge. Durch die unreflektierte Definition von ›Normalität‹ prägen eurozentrische Selbstverständlichkeiten das Denken. Es wird keine Notwendigkeit gesehen, eigene Wissensbestände kritisch zu hinterfragen. Ein Wissen, welches als überlegen eingeschätzt wird, so zeigt sich in der Studie, kann zu einer Überhöhung des eigenen Wissens, einer Beanspruchung von Definitionsmacht und ›Missionierungspraktiken‹ führen, welche in interkulturellen Begegnungen dem Anderen einen untergeordneten, nicht partizipierenden Platz zuweist und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten einschränkt.13 13 Eine Immunität eigenen Wissens kann auch Ausdruck eines Ideals sein, welches mit Stolz aufrechterhalten wird. Der Glaube an ein Ideal kann kollektiv durch eine Einprägung einer Verhaltenstradition und des Zusammenwirkens von wiederkehrenden Erfahrungen, formaler Bildung und Propaganda entstanden sein. Elias hat diesbezüglich eine Neigung der Deutschen herausgearbeitet, in einer Krisensituation, wenn sie im Namen eines überhöhten Wir-Ideals aufgerufen wurden, bedingungslos zu handeln. »Ob ein soziales, politisches, ob irgendein Ideal ›gut‹ oder ›schlecht‹ ist, hängt offensichtlich von der Art des jeweiligen Ideals, Glaubens oder Prinzips ab. Es gibt nicht wenige Belege, die zeigen, dass langfristige Ziele und

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Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens Das eigene (milieuübergreifende) Handeln wird in diesem Typ als erfolgreiche Strategie wahrgenommen und teils als professionelles Handeln dargestellt. Durch Erfahrenheit und positive Rückmeldungen wird zügig und zielorientiert gehandelt. Implizite und nicht reflektierte Annahmen über Andere geben Verhaltenssicherheit. Ob die so angewandten Methoden des Fremdverstehens aber die richtigen sind, wird von den Akteuren nicht hinterfragt. Wissen um die Fehlbarkeit der eigenen Methoden des Fremdverstehens Demgegenüber zeichnet sich der nächste, in der vorliegenden Studie nur bei weiblichen Entwicklungshelferinnen rekonstruierbare Typ dadurch aus, dass es Zweifel am eigenen Handeln gibt. Selbstkritisch werden alternative Handlungsstrategien überlegt oder ausprobiert. Durch eine Distanz zum eigenen Verhalten kann ein Perspektivenwechsel entstehen, der auch eigene Grenzen und die eigene Standortgebundenheit offenbart. Die Andere wird in ihrem Verhalten in Relation gesetzt. Wissen um eigenes Nicht-Wissen In diesem Typ wird das eigene Wissen als wandelbar, relational und nicht umfassend wahrgenommen und dargestellt. Eigene Unsicherheiten werden selbstkritisch thematisiert. In der Handlungspraxis führt dies zu einer vorsichtigen, zurückhaltenden Art. Man fragt nach, um Situationen besser zu verstehen. Dabei spielt das Wissen und die Deutungen der Anderen eine wichtige Rolle. Ein Wissen um das eigene Nicht-Wissen ist nicht nur eine Reflexion über die eigene Standortgebundenheit des Denkens und eine Einschränkung von eigener Erkenntnis. Es relativiert darüber hinaus die eigene Position und denkt den Anderen mit. Absolutheitsansprüche entwickeln sich hier nicht.

Direktiven in der Gestalt absoluter, unwandelbarer Ideale und Glaubenssätze ebenso für grimmige Konflikte und Kämpfe zwischen Menschen verantwortlich sein können wie für menschliche Freundlichkeit und Kooperation. Ihre Starrheit und Ausschließlichkeit, ihre tendenzielle Abdichtung gegen vernünftige Argumente oder widersprechende Tatsachen erwies sich in vielen Fällen als eine potentielle oder akute Gefahrenquelle« (Elias 1992: 427 f., Hervorhebungen im Original). Und weiter heißt es: »Vielleicht unterschätzt man heute ein wenig die Bedeutung, die viele Gegebenheiten, ›materieller‹ oder ›ökonomischer‹ Art, für Menschen darum haben können, weil sie als Symbole ihres Stolzes, ihrer Selbstachtung und des höheren Status dienen, den fast jeder erwachsene Mensch und fast alle Menschengruppen der Erde in Relation zu irgendwelchen anderen für sich beanspruchen« (ebd.: 463, Hervorhebungen im Original).

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8.1.3 Interpretation In der Interpretation, der Wahrnehmung und Darstellung des Anderen dokumentieren sich grundlegende Orientierungen im Sinne vortheoretischen Wissens durch den handlungspraktischen Umgang mit Widerständen und die Bereitschaft, eigene (Vor-) Annahmen zu relativieren oder zu revidieren. So fließen eigene Erfahrungen und bereits existierende Bilder vom Anderen in die Differenzkonstruktion von Selbst und Anderem ein und werden angesichts von Handlungsirritationen explizit. Die Interpretationen entstehen somit im Handeln und wirken auf weitere Handlungsmöglichkeiten in milieuübergreifenden Begegnungen.

Kulturalisierende Interpretation Die Anderen werden in diesem Typ als ethnisch oder kulturell homogene Gruppe wahrgenommen. Stereotype Zuschreibungen und Differenzen von Kulturen stehen im Vordergrund. Es kommt zu ›Othering‹-Prozessen, etwa durch einen Bezug auf ›Entwicklungsstadien von Kulturen‹, es treten aber auch eigene kulturelle Bindungen hervor. Durch die Wahrnehmung von Fremdheit, genauer gesagt durch die Annahme einer ethnisch-kulturellen Differenz, wird das Verstehen des Anderen nicht vorausgesetzt, sondern als Aufgabe verstanden. Hier tauchen »Südafrikaner« und »Kenianer« als die Anderen auf, welche »oberflächlich«, »politisch einfach gestrickt«, »desinteressiert«, »langsam«, »unwissend« oder einfach »anders« sind. Aber auch positivere Fremdbilder kommen vor, in denen die Anderen als »aufmerksam«, »bewegungstalentiert« oder »interessiert« und »informiert« bezeichnet oder beschrieben werden. Die Zuschreibung und Relativität der eigenen Perspektive kann dabei soweit in den Hintergrund treten bzw. überhaupt nicht reflektiert werden, dass bestimmte folkloristische und verzerrende Bilder des Anderen als ›wahres Wissen‹ auftreten. In ihrer typisierenden, insbesondere auf eine ›Nationalkultur‹ bezogenen Wahrnehmung, können diese dann auch als ethnozentristische Einstellungen bezeichnet werden. Politökonomisierende Interpretation In diesem, von männlichen Auslandskorrespondenten dominierten Typ werden Milieudifferenzen und kollektive Zuschreibungen an strukturellen Unterschieden, historischen und politischen Bedingungen festgemacht und das Handeln innerhalb eines sozioökonomischen Rahmens wahrgenommen, der durch Machtasymmetrien durchdrungen ist. In einer mehrdimensionalen Analyse von Bedingungen des Handelns wird sowohl auf ein aktuelles Einkommensgefälle als auch auf eine koloniale Vergangenheit und nachwirkende politische Strukturen verwiesen. Die Grenzen zwischen ›oben‹ und ›unten‹ werden von den Interviewten nicht nur als schwer überwindbar gesehen, sondern ökonomische, politische und historische Bedingungen als nicht veränderlich wahrgenommen und letztlich der generalisierte Andere und das Selbst in der Beziehungsrelation festgeschrieben. Die Anderen werden als korrupt, Habenichtse, Bettler, devot und gierig

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sowie als soziale Aufsteiger beschrieben, womit ein Selbstbild als ehrlich, selbstbewusst und verhältnismäßig reich korreliert. Eigene Privilegierungserfahrungen werden wahrgenommen, aber nicht umgangen.

Lebensweltbezogene Individualisierung und anthropologische Universalisierung In diesem Typus wird Differenz anhand von weiteren Dimensionen wahrgenommen, etwa als Folge des Lebens in einer anonymen Großstadt, durch unterschiedliche Familien- und Lebenskonzepte oder auch durch einen unterschiedlichen Geschmack. Kollektive Einbindungen werden zwar nicht vollständig ausgeblendet, für die Interpretation der Anderen verlieren sie hinter einer individuellen Lebensgestaltung jedoch an Bedeutung. Die Anderen werden in einer fremden Lebenswelt wahrgenommen, die aber gleichzeitig durch grundlegende gleiche menschliche Bedürfnisse gekennzeichnet ist. Durch diese anthropologische Universalisierung wird eine (theoretische) Egalität zwischen allen Menschen geschaffen, die auch eine Lernbereitschaft ausdrückt bzw. der ein Lernprozess vorausgegangen ist. Die Beziehung zwischen Selbst und Anderen wird nicht hierarchisiert, sondern durch die Fokussierung auf individuelle Aspekte auch eigene Rechtfertigungsmuster, Selbstverständlichkeiten und Normalitätsverständnisse in Relation gestellt und partiell hinterfragt. In manchen Aspekten kann diese Perspektive dekontextualisierend wirken, da die Interpreten weder kollektive Strukturen, noch sozioökonomische Rahmenbedingungen thematisieren. Gleichzeitig ergibt sich aus dieser Perspektive eine Verstehens- und Partizipationsmöglichkeit am Leben des Anderen und es können sich so genannte transnationale Identitäten14 ausbilden, welche heterogene Wahrnehmungen in sich aufnehmen. Sie kann auch als individualistische und universalistische Perspektive bezeichnet werden. Zwischen den geschilderten Typen des Handelns, Reflektierens und Interpretierens gibt es drei offensichtliche Zusammenhänge. Erstens hängt ein objektivistisches Fremdverstehen mit einer Distanzierung, einer politökonomischen Analyse und einer Nicht-Infragestellung des eigenen Wissens und Handelns zusammen. In dieser Kombination können die betroffenen Personen als betriebsblinde Experten bezeichnet werden. Zweitens zeigen sich Zusammenhänge zwischen einem interpretativen Fremdverstehen, einer Nicht-Infragestellung eigener Methoden des Fremdverstehens und einer Interpretation auf der Basis von lebensweltbezogener Individualisierung und anthropologischer Universalisierung. Personen, die diese Kombination von Handeln, Reflektieren und Interpretieren aufweisen, könnten als reflektierte Experten bezeichnet werden. Ein dritter Zusam14 Transnationalen Identitäten wird eine Identitätsbildung zugesprochen, die durch Veränderungen, Brüche und Heterogenität geprägt ist und in Bewegung entsteht. Das Flexible, Nichtstatische der Selbstverortung und die Aufnahme plurikultureller Normen und Werte erfährt damit eine Aufwertung, insbesondere als Gegenbewegung zu defizitorientierten Interpretationen von Migration (vgl. Parnreiter 2002, Kreutzer 2006).

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menhang besteht zwischen einem existentiellen Sich-Einlassen und einem Wissen um das eigene Nicht-Wissen. Hier könnte von sinnlichen Erfahrungen oder aus ethnologischer Perspektive auch von einem ›going native‹ gesprochen werden. Gleichzeitig dokumentiert sich in der interkulturellen Praxis von Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen, dass es weit mehr Zusammenhänge zwischen Handeln, Reflexion und Interpretation gibt und dass diese auch nicht an einer Person festzumachen sind. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ein Auslandskorrespondent nähert sich dem Fremden über theoretisches Wissen, ist überzeugt davon, das ›richtige‹ Wissen zu haben, lässt sich aber beruflich und privat auf Andere ein, die er als ›kulturell‹ anders interpretiert. Ein anderer Auslandskorrespondent distanziert sich beruflich in Form einer inneren Distanzierung, lässt sich jedoch an anderer Stelle existentiell auf Fremdes in beruflichen Situationen ein. Daher scheint es mir unpassend, so komplexreduzierende Vereinfachungen wie oben formuliert vorzunehmen und damit generalisierende Kausalitäten auf der Ebene von Personen herzustellen. Hinsichtlich der Frage einer interkulturellen Handlungskompetenz können jedoch trotzdem Aussagen darüber gemacht werden, welche weiteren (gemeinsamen) Handlungsoptionen sich aus den rekonstruierten Typen ergeben (können).

8.2 Handlungsirritationen und Handlungsoptionen Wie es zu einer Handlungsirritation kommt und welche handlungspraktischen Anschlussmöglichkeiten sich aus den von mir rekonstruierten Formen des Fremdverstehens, der Interaktion, der Reflexion und der Interpretation ergeben, werde ich im Folgenden unter Berücksichtigung von Studien zu interkultureller Kompetenz und interkultureller Bildung aufzeigen. Dabei werde ich zunächst auf das Können der Praxis eingehen. Hier werde ich spezifische Formen des Fremdverstehens diskutieren und typenübergreifend Anschlussmöglichkeiten von selbstverständlichem, reflektiertem und spontanem Handeln benennen (Kap. 8.2.1). Dann werde ich im Zusammenhang mit der durch Handlungsirritation ausgelösten Reflexion die Frage des Umgangs mit Nicht-Wissen aufgreifen (Kap. 8.2.2) und schließlich in den Selbst- und Fremdbildern Differenzkonstruktionen und ihre Handlungsoptionen sichtbar machen (Kap. 8.2.3).

8.2.1 Das Können der Praxis Dem Verstehen des Fremden und Anderen kommt in milieuübergreifenden Begegnungen eine wichtige Bedeutung zu, weil hier Ansatzpunkte für Verständnis und Kooperation gelegt werden. Mit der Definition von interkultureller Handlungskompetenz als Eröffnung neuer Interaktionen mit Fremden wende ich mich dem Können der Praxis mit der Frage zu, welche soziale Handlungsoptionen sich

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wie im Fremdverstehen und praktischen Handeln auftun, und rekonstruiere damit bereits in der Praxis vorhandenes Können. Durch eine solche Betrachtung werden nicht nur ›Handlungskompetenzen‹ in Form von Merkmalsbestimmungen offenbar, sondern diese in ihrer handlungspraktischen Anwendung erfasst; sie erhalten so eine empirisch-handlungspraktische Fundierung, welche in den meisten Studien zu interkultureller Kompetenz fehlt (vgl. Straub et al. 2007: 11). Dass interkulturelle Handlungskompetenz als Handeln in einer sozialen Praxis verstanden werden muss, also als eine Frage nach sozialen Handlungsoptionen, wird insbesondere durch Handlungspraktiken deutlich, die zwar in einer interkulturellen Situation stattfinden, jedoch nicht im engeren Sinne auf diese und damit auf Fremde oder Andere bezogen sind. Ist das Handeln im Grunde nur auf eine Person (den Akteur) und dessen Interessen orientiert, fällt das Spezifische des ›Interkulturellen‹ weg.15

Fremdverstehen und Interaktionen mit Anderen Das Fremdverstehen als Expertenhaltung zeichnet sich in zwei rekonstruierten Typen als analytische Haltung ab, die vornehmlich (aber nicht nur) einer beruflichen Praxis dient und sich in unterschiedlichen Praktiken und unterschiedlichen sich anschließenden Handlungsoptionen dokumentiert. Davon zu unterscheiden ist zusätzlich ein Fremdverstehen durch geteilte Praxis. Eine objektivistische Perspektive des Fremdverstehens orientiert sich an so genanntem ›kulturrelevantem‹ Wissen. Ein solches Wissen über Fremde stellt in den meisten Studien und Trainings zu interkultureller Kompetenz zwar nicht mehr die Hauptgewichtung, jedoch nach wie vor eine Grundbasis dar (vgl. Bolten 2007: 86, Deardorff 2006, Moosmüller 2003).16 Die Möglichkeiten solch theoretisch vermittelten Wissens liegen auf der Hand. Fakten, Analysen und 15 In Modellen zu interkultureller Kompetenz wird immer wieder diskutiert, ob diese Kompetenz eine spezifische Kompetenz darstellt oder sich nicht im Grunde unter andere Kompetenzen, etwa Sozial-, aber auch Führungs- oder Fachkompetenzen subsumieren lasse (vgl. etwa Rathje 2006). Meines Erachtens klärt sich dies, wenn man interkulturelle Handlungskompetenz auf eine soziale Praxis milieuübergreifender Begegnungen bezieht. Denn dadurch wird auf das Spezifische der Situation Bezug genommen, auf den sozialen Umgang mit unterschiedlichen Selbstverständnissen und daraus entstehenden Handlungsirritationen. Fach-, Führungs- oder strategische Kompetenzen (Bolten 2006: 86) beziehen sich nicht auf eine solche Irritation. 16 Informationsorientierte oder kulturorientierte interkulturelle Trainings nehmen an, dass ein Wissen über den Anderen bzw. über eine Kultur und die kognitive Erfassung kultureller Besonderheiten ein interkulturell ›kompetentes‹ Handeln begünstigt oder Grundvoraussetzung für jenes ist (vgl. dazu Thomas 1995, Moosmüller 1997 sowie Kap. 2.2. der vorliegenden Arbeit). ›Interkulturelles Wissen‹ als eine Form interkultureller Kompetenz zu begreifen, stellt allein kein Problem dar. Aus dem empirischen Material lassen sich aber weit mehr Zugänge zu fremden Milieus herausarbeiten als ein rein kognitiver Zugang. Zudem zeigt sich, dass ein Wissen über die Anderen sogar einem interkulturellen gemeinsamen Handeln diametral entgegenlaufen kann, weil etwa mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten wahrgenommen werden.

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Beschreibungen vermitteln Wissen über Andere und können dadurch Verstehensprozesse in Gang setzen. Die Auswahl der Daten ist jedoch selektiv und die alltagspraktische Relevanz muss sich erst in der Praxis bewähren.17 Aber nicht nur die handlungspraktisch adäquate Umsetzung des theoretischen Wissens ist hinsichtlich der Frage interkultureller Handlungskompetenz zu problematisieren. Vielmehr verbirgt sich hinter dieser Perspektive eine mangelnde Reflexion der eigenen Standortgebundenheit. So tauchen die Anderen nur im Rahmen der bereits vorab festgestellten Möglichkeiten auf. Die Betrachterin nimmt für sich einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit in Anspruch. Diese objektivistische und rationalistische Haltung vermittelt Sicherheit in der Fremdeinschätzung und im Fremdverstehen.18 Mit dieser Haltung rückt die Erfahrungsund Deutungswelt der Menschen vor Ort in den Hintergrund bzw. es wird dieser im Rahmen gesellschaftspolitischer Ereignisse eine belanglose Größe zugeschrieben und damit kooperatives Handeln und Verständigung nicht gesucht.19 Eine objektivistische Perspektive geht einher mit raschen Handlungsvollzügen und klaren Analysen, sie ist nicht an Gemeinsamkeit orientiert oder darauf angewiesen.20 17 Bei Günther und Luckmann (2002) finden sich verschiedene Beispiele interkultureller Kommunikation, in denen sich nicht nur Wissensasymmetrien der Gesprächspartner und ihr Umgang damit dokumentieren, worauf der Artikel fokussiert, sondern auch, welche Folgekonsequenzen durch eine Orientierung an faktischem ›kulturellen‹ Wissen entstehen können. Stereotype Erwartungen über die Anderen und ein daran orientiertes Verhalten bezeichnen Günther und Luckmann als »interaktives Hyperkorrekturphänomen« und verdeutlichen dies an einem Anschreiben chinesischer Studierenden an einen deutschen Professor, welche die Information, Deutsche seien ›direkt‹. in einer solchen Weise übernommen haben, dass die Briefe weder einer deutschen noch einer chinesischen Gattung entsprachen. Als die Verfasser gefragt wurden, ob sie die Briefe auf Chinesisch ähnlich verfasst hätten, verneinten sie dies (vgl. Günther/Luckmann 2002: 236 f.). 18 In Thomas Studie zu typisch deutschem und chinesischem Verhalten wird interkulturelle Kompetenz zu einer Fähigkeit, Aussagen in ihrer ›kulturellen‹ Gebundenheit wahrnehmen zu können (Thomas 2003: 138). Fremdverstehen ist demnach, die Aussagen der Anderen als typisch für ihre ›Kultur‹ zu sehen. Dahinter verbirgt sich eine Haltung, die des Anderen und seiner Wahrnehmung nicht mehr bedarf. 19 Hier zeigt sich in der Praxis ein mangelndes Interesse an Verständigung, ein Umstand, den Kim/Hoppe-Graff am Begriff der ›interkulturellen Kompetenz‹ kritisieren (Kim/Hoppe-Graff 2003). 20 Durch ein Wissen um ein spezifisch ›kulturelles‹ Verhalten ist der Zugang im Sinne von Teilhabe zu einem konjunktiven Erfahrungsraum einer Gruppe jedoch längst nicht gesichert. Wer dazu gehört und sich dem Milieu entsprechend ›richtig‹ verhält, unterliegt noch weiteren Dimensionen. Denn es sind nicht allein die ›richtigen‹ Worte und Gesten zu erlernen, diese sind nur Repräsentanten einer Struktur. Wie D’Andarde formuliert: Nicht nur Worte formen einen Satz, sondern erst die Struktur erschafft Sinn (vgl. D’Andarde 1995: 13). In sozialen Gruppen sind die Zugehörigkeiten und damit der Zugang zu internem Wissen meist auch Machtentscheidungen. Wer einmal erfahren oder zugesehen hat, wie Kinder Freunde ein- und ausschließen, erahnt die Komplexität von Zugehörigkeiten, die willkürlich scheinen, jedoch an bestimmte Merkmale gebunden sind, die nicht allein auf das Verhalten

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Diese folgenreichen Praxen von Ego-, Logo- und Ethnozentrismus (vgl. Wulf 2006: 47 ff.) entstehen, so ein Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, nicht nur angesichts der Irritation durch die ›kulturell‹ Anderen, sondern sind selbstverständliche und nicht hinterfragte Formen einer beruflichen Überlegenheits- und Experten-,Kultur‹. Auch in der Praxis eines interpretativen Fremdverstehens beanspruchen die Personen einen Expertinnenstatus, jedoch, und dies ist für die Frage der Verständigung in milieuübergreifenden Begegnungen relevant, findet hier eine Interaktion und ein Austausch mit der Anderen statt. Diese Form des Fremdverstehens sehe ich zwischen einer ›objektivistischen‹ externen Sicht und einer ›sinnerfassenden‹ internen Sicht angesiedelt. Hier dokumentiert sich in der Handlungspraxis von Auslandskorrespondenten eine Form des Handelns, welche auf ein ›Spannungsverhältnis‹ zwischen ›Erklären‹ und ›Verstehen‹ reagiert.21 Dabei greifen die Auslandskorrespondentinnen sowohl auf eine Vermittlung durch Dritte22 als auch auf eine Art »Verstehensfiktion« (Luckmann 1970: 147) zurück. Das interpretative Fremdverstehen mag als berufliche Strategie dienen und im Interesse der Informationsbeschaffung für journalistisches Schreiben stehen, kann aber auch ein allgemeines Motiv des Handelns selbst sein. Im Vordergrund stehen dann der Wunsch des Verstehens und die Praxis des Verständigens, die aus dem Verstehen eine Verständigung machen, eine gemeinsame soziale Praxis. »Das Verstehen ist also zunächst ein implizites Verstehen, indem es der Verständigung dient und selbst von ihr lebt; es eröffnet nicht erst den Zugang zu den Anderen, sondern ist von vornherein in einen sozialen Kontext eingebettet« (Luckmann 1970: 215). Der subjektive Sinn der Alltagswelt der Anderen, der des anderen Kindes bezogen sind. Die Nicht-Teilhabe an gesellschaftlichem Leben und die dahinterliegenden Machtaspekte dokumentieren Elias und Scotson eindrücklich in ihrer Studie zu Etablierten und Außenseitern in einem Ort in England, welchen sie Winston Parva nennen (vgl. Elias/Scotson 1990). 21 Straub und Arnold rekonstruieren in ihrer Studie zu missionarischem Handeln ein »psychologisch komplexes Spannungsverhältnis« zwischen dem Wunsch nach gemeinsamer Praxis und Anerkennung durch den Anderen und dem missionarischen Ziel der Bekehrung des Anderen (Straub/Arnold 2008: 184). Diesen konstatierten Widerstreit sehen Straub und Arnold als »unendliche Aufgabe« der untersuchten Protestantinnen. In der Analyse der Praxis dieser (inneren und äußeren) Aushandlung gehen Straub und Arnold jedoch nicht dezidiert darauf ein, wie die Missionare dies tun und mit welchem Bild vom Anderen jeweils operiert wird. Erkenntlich wird jedoch, dass trotz aller Toleranz die Protestantinnen ihre Orientierung an ihrer missionarischen Aufgabe bewahren. Eine ähnliche (feste) Orientierung an der beruflichen Aufgabe des Berichtens findet sich bei einigen Auslandskorrespondenten der vorliegenden Studie. Wie Fremdverstehen und berufliche Orientierung zusammenkommen, zeigt sich in den drei rekonstruierten Formen des Fremdverstehens. 22 Auf diese Form des Fremdverstehens geht auch Busch in seiner Arbeit zur interkulturellen Mediation ein. Als ›dritte Person‹, die eine Rolle als ›interkultureller Mediator‹ einnehmen könnte, käme, so Busch, etwa ein Dolmetscher oder Übersetzer in Betracht. Dies leitet er aus hermeneutischen Annahmen in den Übersetzungswissenschaften ab (vg. Busch 2005: 80 ff.).

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über Verstehen erschlossen werden soll, ist damit in der Verständigung immer schon ein gemeinsamer Sinn. Verschiedene Erfahrungsdimensionen werden somit nicht nur beobachtet, sondern auch erlebt. Dies ist der Unterschied zum Beobachter aus der Distanz, welcher in seiner Deutung nur eigene Ziele (auch professionelle) verfolgt und keine Gemeinsamkeit anstrebt. Eine solche Distanz kann zwar die Möglichkeit eröffnen, Beziehungen zu überblicken, jedoch auch dazu führen, dass man nicht ins Auge bekommt, was für die handelnden Beobachteten relevant ist. In der Distanz wird die Andere zum Objekt. Es ist eine anonyme soziale Beziehung und das Verstehen tendiert zu einem Erklären anhand von Typisierungen (vgl. ebd.:217). Das interpretative Fremdverstehen subjektiven Sinns hingegen vollzieht alltagspraktisch eine Wahrnehmungsverlagerung von einer (vermeintlich) objektiven Haltung zu einem verstehensorientierten Prozess. Wirklichkeit wird als konstruiert und individuell unterschiedlich mit Sinn behaftet gesehen. Auch wenn Dimensionen gesellschaftlicher Strukturen, etwa durch die Einbettung der Aussagen innerhalb eines politischen Ereignisses, wahrgenommen werden, wird zunächst kommunikativ-generalisiertes Wissen erfasst. Dies ermöglicht den Akteurinnen, subjektives Sinnverstehen nachzuzeichnen und Alltagstheorien zu erfassen und zu beschreiben. Eine solche »Beobachtung zweiter Ordnung« (Luhmann, zit. nach Bohnsack 2001: 328) wandelt sich dort, wo im Prozess des Verstehens durch ›Verstehensfiktionen‹ und mimetische Perspektivenübernahme gemeinsame Praxis stattfindet. Hier kann sich ein Zugang zu implizitem (milieuspezifischem und damit kollektivem) Wissen eröffnen. Auch die berufliche Praxis und die Wiederholung des Fremdverstehens im Laufe der Zeit ermöglichen, die Interpretationen des Fremdverstehens vom einzelnen Individuum zu lösen, durch weitere Vergleichshorizonte das Verstehen des Beobachters zu erweitern und eigene Normalitätserwartungen in der Interpretation zurückzustellen. Interpretatives Fremdverstehen ist ohne die Perspektive der Anderen nicht möglich. Dies kann zu aufwendigen Methoden der Interpretation führen und eigene Annahmen in Frage stellen. Partiell entwickeln sich hier Räume gegenseitigen Austauschs und der Verständigung. Während das interpretative Fremdverstehen eine gezielte Praxis der ›Übersetzung‹ und der Handhabung eines ›Spannungsverhältnisses‹ darstellt, entbehrt ein praxeologisches Fremdverstehen einer gezielten Intention des Verstehens und ist daher nur schwer explizier- oder beeinflussbar. Das ›Eintauchen‹ und ›Anstecken‹(in bestimmten Dimensionen) schafft Gemeinsamkeit und eine Innensicht, welche jedoch nach außen nur schwer wieder kommunizierbar wird, da vom eigenen Erleben abstrahiert werden muss. Die Unmittelbarkeit dieser Form des Fremdverstehens ist die einzige, welche auf emotionaler und körperlicher Ebene ein ›Miterleben‹ oder auch ›Miterleiden‹ schaffen kann.23 Dadurch kann 23 Welcher Maßstab an das Kriterium interkultureller Handlungskompetenz gelegt wird, ist ausschlaggebend für eine Bewertung im Sinne gelungener oder nicht gelungener Praxis. Obschon in den meisten Arbeiten zu interkultureller Kompetenz dem Fremdverstehen ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, bleibt doch offen, was

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kooperatives Handeln auf einer emotionalen oder auch mimetischen Ebene (etwa dem Tanzen) stattfinden, auch wenn andere Differenzen nach wie vor bestehen bleiben.24 Ein sinnverstehender Zugang zum Anderen kann nach einer Phase des Sich-Einlassens auch wieder zu Distanzierungen und auch stereotypen Zuschreibungen führen. In der vorliegenden Studie geschieht dies etwa aufgrund enttäuschender Erfahrungen in einer Liebesbeziehung. 25

Existentielle Distanzierung und existentielles Sich-Einlassen Anhand der rekonstruierten Typen der Interaktion mit Fremden wird der Unterschied zwischen einer exmanenten und einer selbstreferentiellen Bestimmung interkultureller Handlungskompetenz deutlich. Könnte aus einer exmanenten Bestimmung interkultureller Handlungskompetenz der private Rückzug in eine so genannte ›white-community‹, begründet durch psychische Belastungen als eine erfolgreiche Praxis zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit in beruflichen Situationen gelesen werden dahingegen ein Sich-»Durchfummeln« oder auch ein »Bierdeckel-Rundsaufen« als kein spezifisch interkulturelles und daher nicht adäquates Verhalten gesehen werden, zeigt sich mit dem Rückgriff auf die Frage sich anschließender gemeinsamer Handlungsoptionen, dass eine existentielle Distanzierung keine gemeinsame Praxis schafft, ein existentielles Sich-Einlassen diese dagegen ermöglicht. Eine existentielle Distanzierung entsteht gleichzeitig nicht (nur) durch eine ›Unfähigkeit‹ der Personen, sondern kann unterschiedliche Gründe haben, auf die die Personen nicht unbedingt Einfluss nehmen können. In der Interaktion mit ›Fremden‹ gibt es zwischen beruflichen und privaten Situationen deutlich unterscheidbare Beweggründe für eine Distanzierung bzw. ein Erleben von Distanz und ein Sich-Einlassen. Dies hängt eng damit zusammen, wie die Anderen wahrgenommen werden, also auch damit, wann es zu Handlungsirritationen kommt, und daher auch mit eigenen (kollektiven) beruflichen und privaten Vorstellungen. In der vorliegenden Studie wird deutlich, dass manche Aspekte, die zu der jeweiligen Praxis führen, nicht im engeren Sinne mit der Situation einer milieuübergreifenden Begegnung zu tun haben, jedoch im Zusammenhang mit dieser zu einem Katalysator werden können. Dazu zählen unter anderen veränderte unter Fremdverstehen subsumiert wird und welche Bedeutung kognitivem Verstehen und emotionalem Verstehen als Nachfühlen zugesprochen wird. Insbesondere die Anschlussmöglichkeiten des Fremdverstehens bleiben dabei unbeachtet. 24 Aus gesprächanalytischer Perspektive geht Liedke in ihrer Studie zur Funktion von Narrationen in interkulturellen Kontaktsituationen auf diesen Aspekt ein (vgl. Liedke 1998). 25 Steffek zeigt in ihrer Untersuchung von Beziehungen zwischen afrikanischen Männern und österreichischen Frauen in Österreich Grenzen von Gemeinsamkeit und Verständnis im Zusammenleben auf, und zwar sowohl durch negative Reaktionen der Umwelt als auch durch ein ›Gefühl des Nicht-Dazugehörens‹ zu einer afrikanischen Community. Teils führt dies nach einer Zeit der Gemeinsamkeit zu Kontaktabbrüchen und »negativen Einstellungen« (Steffek 2000: 184).

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Berufsbedingungen, eine Verinselung von Lebenswelten, private Enttäuschungen, ein Bedürfnis nach Erholung, aber auch ein kooperatives Aufgabenverständnis sowie bestimmte Freizeitinteressen wie etwa der Besuch eines Jazzfestivals.

Selbstverständliches, reflektiertes und spontanes Handeln in milieuübergreifenden Begegnungen Wird in zahlreichen Studien zu interkultureller Kompetenz explizit oder implizit auf Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft Bezug genommen, um das Phänomen interkultureller Kompetenz zu beschreiben (vgl. Kap. 2.2), habe ich in der vorliegenden Studie durch eine Rekonstruktion biographischer Selbstverständlichkeiten und den Vergleich zwischen unterschiedlichen Handlungsformen den Fokus darauf gelegt, wann es in ›interkulturellen‹ Situationen überhaupt zu Handlungsirritationen kommt und wie Bezug auf den Anderen als anders genommen wird. Dadurch wird offensichtlich, dass Handlungsirritationen erst dann erlebt werden, wenn Verhaltensgewohnheiten gestört werden. Zugleich dokumentieren sich so typenübergreifende interkulturelle Handlungskompetenzen, die Personen in Form von Verhaltensgewohnheiten schon in eine Situation mitbringen, diese durch Reflexion lernen oder in Form von neuen und unüberlegten spontanen Handlungen praktizieren. Selbstverständliches Handeln Verhaltensgewohnheiten und Selbstverständlichkeiten dominieren das Handeln in Form von ›habits‹ (Dewey 1980), die sich auch in einer Konfrontation mit fremden Milieus fortsetzen können. Wenn in Anforderungen an Expatriates auf spezifische kognitive Fähigkeiten, Erfahrung und so genannte »Big-FivePersönlichkeitsfaktoren« (Deller/Albrecht 2007: 744) verwiesen wird, dann wird damit implizit angenommen, dass bestimmte ›Kompetenzen‹ einer Person in Form von Handlungsfähigkeiten zu Grunde liegen und diese persönlichen ›Selbstverständlichkeiten‹ sich (positiv) auf die interkulturelle Interaktion auswirken werden. Tatsächlich stellen bisherige Erfahrungen und Selbstverständlichkeiten einen Großteil der Handlungsfähigkeit in neuen Situationen bereit.26 26 Im gewohnheitsmäßigen Handeln der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen dokumentiert sich ihr Handlungs- und Interaktionswissen auf einer vorreflexiven Ebene. Das ›erfolgreiche‹ Funktionieren ihres beruflichen und privaten Lebens liegt sowohl vor als auch nach einer theoretischen Reflexion dieser Praxis. Biographische Erfahrungen haben ein Hintergrundwissen (tactic knowledge) entstehen lassen, auf welches die hochqualifizierten transnationalen Migranten zurückgreifen, solange es zu keiner Irritation kommt, welche den Handlungsfluss stört. Der Umgang mit bestimmten (beruflichen) Situationen ist dabei aber mehr als nur Gewohnheit. Es ist ein handlungspraktisches Wissen (Können), entstanden aus gefundenen Lösungen von Handlungsproblemen, welches in der praktischen Anwendung dem Bewusstsein entschwindet und als Disposition vorliegt (vgl. Ryle 1969: 56). Die ›erfolgreiche‹ berufliche Praxis der interviewten Personen ist

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Aber da milieuübergreifende Situationen gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass selbstverständliches Handeln nicht greift, kommt der Reflexion und spontanen Ideen und Praxen ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. In der vorliegenden Studie lassen sich sowohl ›habits‹ rekonstruieren, die kooperative neue Handlungsoptionen eröffnen, als auch solche, die diese verschließen. Das Gefühl einer Nicht-Zugehörigkeit, der Wunsch lieber (neugierig) zu beobachten, als teilzuhaben, sich Nischen zu suchen oder lieber auf sich allein gestellt zu sein, als zum ›Teamplayer‹ zu werden, sind habitualisierte Verhaltensweisen der Distanzierung vom Anderen. Sie treten nicht plötzlich angesichts einer Verunsicherung durch ein fremdes Milieu auf. Vielmehr mag der (berufliche) Auslandsaufenthalt selbst eher Dokument für eine habitualisierte Distanz sein (vgl. Kap. 4.3). Das andere Milieu in einer interkulturellen Situation taucht dann nicht als Anlass zur Reflexion des Handelns oder als »Auslöser für Bildungsprozesse« (Nohl 2006c: 180) auf, sondern wird von den Personen in ähnlicher Distanz gesehen, wie ihre sonstige Mitwelt, von der die Akteure sich ohnehin getrennt erleben. Selbstverständliche Praxen von Selbstorganisation und Unabhängigkeit können teils auch trotz veränderter Lebens- und Berufsbedingungen beibehalten werden.27 Ein Festhalten an Verhaltensgewohnheiten kann aber auch durch Handlungsirritationen geschehen, ohne dass dies reflektiert wird. In der vorliegenden Studie zeigt sich dies, wo berufliche Anforderungen in den Vordergrund geraten und mögliche Differenzen gar nicht wahrgenommen oder übergangen werden. Die handelnde Person meidet Handlungssituationen, zu welchen keine Erfahrungen vorliegen, und zwar zum einen konkret durch eine Distanzierung, zum anderen indirekt, indem verunsichernde Faktoren ausgeblendet werden. Gewohnheitsmäßiges Handeln kann so auch Sicherheit vermitteln, wenn Personen durch veränderte äußere Bedingungen irritiert sind.28 Gewohnheitsmäßiges Handeln, welches neue (kooperative) Handlungsoptionen ermöglicht, sind so differente Praxen wie ein paternalistisches Sich-Kümmern, das Leben in unkonventionellen Lebensformen wie auch eine Neugier29. In diesem Handeln der Dokument dieses Könnens. Sie meistern ihr alltägliches Leben im Ausland und sind in der Lage, auch unter anderen Bedingungen als in ihrem Herkunftsland eine Karriere zu verfolgen. 27 Als präreflexive Struktur des Denkens, Wahrnehmens und Deutens sorgen habits so lange wie möglich dafür erhalten zu bleiben und blenden Irritationen aus, indem sie nicht wahrgenommen werden. ›Habits‹ können daher auch unter anderen Umweltbedingungen (Auslandsaufenthalt) weiterpraktiziert werden bzw. erfahren nur leichte situationsspezifische Veränderungen (vgl. Nohl 2006a: 86). 28 Sicherheitssuche ist für Dewey ein allatgspraktischer Prozess, um ein Leben voller Gefahren zu meistern: »In the absence of actual certainty in the midst of a precarious and hazardous world, men cultivated all sorts of things that would give them the feeling of certainty. And it is possible that, when not carried to an illusory point, the cultivation of the feeling gave man courage and confidence and enabled him to carry the burdens of life more successfully« (Dewey 1929: 29). 29 Am Beispiel der »Neugier« wird offensichtlich, welches grundlegende Problem eine normative Definition interkultureller Kompetenz anhand von sogenannten

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Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen zeigt sich, dass diese eine spezifische Form des Umgangs mit Differenz haben und das andere Milieu nicht notwendigerweise als interkulturell definieren (vgl. Nohl 2006c: 182). Selbstverständliche Praxen des Umgangs mit Fremden schaffen in einer interkulturellen Situation den Vertrauensvorschuss, welcher den eigenen Handlungstendenzen des Sich-Einlassens Raum gewährt. Ein in diesem Sinne habitualisiertes Handeln muss demnach nicht notwendigerweise Erfahrungsgrenzen bilden, es kann in diesen Fällen, im Gegensatz zu einer habitualisierten Distanzierung, auch die Voraussetzungen für Erfahrungserweiterungen durch Grenzüberschreitungen eigener Erfahrung, schaffen.

Reflektiertes Handeln Keine Entwicklungshelferin und keine Auslandskorrespondentin handelt aber nur habitualisiert, dafür gibt es zu viele Differenzen zu anderen Milieus, zu wenig Möglichkeiten, sich im Ausland nur innerhalb des eigenen (beruflichen, ethnischen, sozialen, etc.) Milieus zu bewegen, und genügend Anlässe, mit ›habits‹ nicht weiterzukommen. Die Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer dieser Studie erfahren meist schon durch ihren Umzug ins Ausland einen Bruch mit ihrem gewohnheitsmäßigen Handeln. Aber erst in der Interaktion mit anderen Milieus und anderen Selbstverständlichkeiten kommt es zu einer Diskontinuität von Erfahrungen. In Situationen, in denen die Selbstverständlichkeit der eigenen Lebenswelt quasi aufgehoben wird, in denen plötzlich eine andere Wirklichkeit erscheint bzw. die Möglichkeit einer anderen Wirklichkeit gedacht werden kann (vgl. Schütz/Luckmann 1979: S. 139 ff.), kommt es zu einer Infragestellung bisherigen Handelns und reflektiertes Handeln wird möglich. In ›problematischen‹ Handlungssituationen wird der ›natürliche Fluss‹ des Handelns gestört und die Situationsbestandteile werden von den Akteurinnen neu analysiert, ein bewusstes Denken setzt ein. In der Zusammenarbeit mit einheimischen Kollegen zeigt sich dies, wenn Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer feststellen, dass ihre Handlungsabsichten nicht verstanden oder in ihren Augen falsch gedeutet werden oder Kooperation verhindert wird. Ebenso vollzieht es sich im privaten Bereich, wenn bisherige Freizeitaktivitäten nicht mehr möglich sind (weil etwa das lokale Theater als nicht anregend empfunden wird) oder ein Freundschaftsaufbau sich als schwierig gestaltet. Es sind viele kleine und größere Unterschiede, welche zu einer Irritation und Reflexion führen. »Komponentenlisten« hat. Die Benennung bedeutender Komponenten wie etwa »Verstehen« oder auch »Neugier« sagen nichts über den Inhalt, über die praktische Umsetzung aus. Ebenso wie der Begriff des Verstehens uneindeutig ist, zeigt sich in der vorliegenden Studie, dass eine (habitualisierte) Neugier handlungspraktisch höchst different umgesetzt wird. Eine habitualisierte Neugier kann nämlich ebenso auf ein neugieriges Beobachten der Anderen wie auch auf ein neugieriges Teilhaben im Milieu der Anderen gerichtet sein. Für die Frage des interkulturellen Miteinanders macht dies einen bedeutsamen Unterschied.

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Ein Unverständnis der Situation, aber auch Betroffenheit, ein ›Kulturschock‹, andere Infrastrukturen, Grausamkeiten, veränderte Berufsbedingungen, mangelndes Interesse der Einheimischen, Armut, Elend, Angst, Enttäuschung, Fremdheit, falsche Annahmen und der Wunsch, zu helfen, aber nicht zu wissen, wie, sind Impulse, welche für die in dieser Studie untersuchten Akteurinnen zum Anlass für Reflexionen werden.30 Im Zuge dieser Reflexionen entstehen weitere Handlungsoptionen, wenn durch Handlungsalternativen versucht wird, neue Wege zu gehen, also ein Lernprozess in Gang gesetzt wird.31 Dies geschieht etwa in der Suche nach einheimischen Freunden, mit ähnlichem (ökonomischen) Status32 oder auch in einem interpretativen Fremdverstehen. Die irritierende Differenz wird bewusst versucht zu überwinden. In Arbeiten zu interkulturellem Lernen wird dieser Form des Handelns eine besondere Bedeutung beigemessen. Die Irritation durch den Anderen wird als Chance für (interkulturelles) Lernen (vgl. Wulf 2006: 47, Nohl 2006c: 177/178) und als Entstehungsmoment interkultureller Handlungskompetenzen gesehen. Dies konnte auch in der vorliegenden Studie bestätigt werden, jedoch führt die Reflexion in interkulturellen Situationen nicht selbstläufig dazu, neue Handlungsoptionen wahrzunehmen und zu erkunden. Das Innehalten und Nachdenken über die Handlungsirritation kann auch zur Folge haben, dass entweder das eigene Handeln (bewusst) fortgeführt wird und die entstandene Problemsituation dem Verhalten der Anderen zugeschrieben wird oder die Fremdheit und Irritation so überhand nimmt, dass die Personen sich bewusst distanzieren bis hin zu einer Aufgabe der interkulturellen Interaktion.

Spontanes Handeln Auch durch spontanes Handeln können sich neue kooperative Handlungsoptionen ergeben bzw. diese verhindert werden. Durch spontane Impulse, Anregungen aus Situationen und von Anderen, findet jenseits von Gewohnheit und 30 Die Definition von problematischen Situationen in Studien zu interkultureller Kompetenz können als solche Impulse von Irritationen gelesen werden. In der Studie von Stahl zu Auslandsentsendungen wurden mithilfe einer Critical Incident Technique-Interviewform folgende Problemklassen identifiziert: Reintegration, Stammhausbeziehungen, Personal/Führung, Sprache/Kommunikation, Gastlandkontakte, Arbeitszeit/-menge, Entsandtenrolle, (Ehe-) Partner, Lebensqualität, Arbeitsinhalte/-abläufe, Geschäftspraktiken (vgl. Stahl 1998: 157, 171). 31 Das Abwägen von Handlungsfähigkeiten und -optionen durch eine Handlungsirritation kann neue Lösungsmöglichkeiten zur Fortsetzung des Handelns kreieren und somit als Lernprozess bezeichnet werden (vgl. Nohl 2006c: 182). Diese Lösungsmöglichkeiten entstehen jedoch nicht allein in der theoretischen Vorstellung, sondern in der Wechselwirkung zwischen eigener Erkenntnis und praktischem Handeln (vgl. Dewey 2001: 41). Neue Ideen werden im praktischen Handeln ausprobiert und erfahren dort neue Impulse zur Reflexion. 32 In diesem reflektierten Einlassen auf den Anderen spielt möglicherweise das Alter eine nicht unerhebliche Rolle. Es scheint für unverheiratete Mittdreißigerinnen und (relative) Berufsanfängerinnen einfacher zu sein, Einheimische aus einem ähnlichen Milieu zu treffen als für Personen Mitte Vierzig.

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biographischer Reflexion ein unreflektiertes neues Handeln in der unmittelbaren Gegenwärtigkeit einer Situation der Handlungsirritation statt. Diese Handeln ›geschieht‹ mehr, als dass die Handelnde sich als aktiv handelndes Subjekt wahrnimmt. Eine unreflektierte Übernahme von Slangwörtern, Momente der Überraschung, sofortige Reaktionen am Telefon, plötzlich ausbrechende Aggressionen, aber auch das spontane Trinken mit Söldnern, ein unerwartetes Gespräch mit einem Diamantenhändler oder der Ausflug in ein europäisch anmutendes Shoppingcenter ist Handeln, welches – wenn überhaupt – erst im Nachhinein reflektiert und erklärbar wird. Im Moment des Handelns gibt es keine Reflexion darüber, ob etwa Slang zu sprechen eine gute Möglichkeit wäre, eine Barriere zwischen Milieus zu überwinden. Es gibt nicht einmal die Idee, dass eine Milieuüberwindung stattfinden könnte. Erst im Moment, wo durch »spontane Impulse«33 (vgl. Nohl 2006a: 86ff.) Slang gesprochen wird und das Umfeld überraschend positiv und anerkennend darauf reagiert, trifft das Handeln in das Bewusstsein der Handelnden. Eine Reflexion über spontanes Handeln findet auch dort im Nachhinein statt, wo Erwartungen enttäuscht wurden oder die Akteurinnen das Bedürfnis verspüren ihr Verhalten zu erklären. Die Fahrt ins Shoppingcenter findet zunächst unreflektiert, einem unklaren Impuls folgend, ›einfach so‹ statt und erhält ihre funktionale Erklärung der Entlastung von bedrohlichen und fremden Umständen (Armut) erst im Nachhinein in der Situation des Interviews. Spontane Handlungsformen können ein kreativer Umgang mit der Unsicherheit von interkulturellen Situationen sein und sogar Reflexions- und Bildungsprozesse in Gang setzen. Die spontane Einführung neuer Handlung in der praktischen Interkulturalität (vgl. Nohl 2001: 234ff. und Nohl 2006c: 180ff., Nohl 2006a: 112ff.) zeigt Handlungspotentiale (aus bisherigen Erfahrungen) auf, die zuvor vom Handelnden nicht bewusst gekannt waren. Dass sich im Telefongespräch unbeabsichtigt eine Form des Umgangs entwickelt, welche beruflich nützlich wird, aber auch dass Emotionen ›aufkochen‹ und zu Handgreiflichkeiten führen können, sind Formen spontanen Handelns, in welchem sich eine Form der Handlungsfähigkeit dokumentiert, auf welche aber auch nicht bewusst zurückgegriffen werden kann. Spontanes Handeln bringt Handlungsanforderungen durch die Anderen bzw. die Situation und Handlungspotentiale zusammen, ohne dass im Tun Kontrolle über den Verlauf des eigenen Handelns bestünde, was zu kooperativem aber auch distanzierendem Handeln führen kann. Die Andere kann hierbei als Vorbild bzw. als Horizont auftauchen, an der das Handeln (unbewusst) ausgerichtet wird. In mimetischen Prozessen der kreativen Nachahmung kann so auf sinnlicher Ebene die Herausbildung eines praktischen, handlungsrelevanten Wissens erfolgen (vgl. Wulf 2001: 111), welches jedoch erst retrospektiv und durch das Erleben einer sozialen Reaktion auf das Handeln, erklärbar

33 Spontane Impulse treten nach der pragmatistischen Theorie Deweys aus einem »präreflexiven Erfahrungshintergrund« hervor und die Akteure handeln in »blind spontaneity« (Dewey 1980: 117).

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wird. Diese spontanen Prozesse sind bildungstheoretisch bedeutsam, jedoch nicht planbar und zudem riskant, da nicht abzuschätzen ist, ob das Handeln der Situation angemessen ist. In der Rekonstruktion von selbstverständlichem, reflektiertem und spontanem Handeln der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer wird ersichtlich, welche Bedeutung bisherige Erfahrungen für ein praktisches Handeln in einer interkulturellen Situation haben. Diese Erfahrungen bestimmen über den Zeitpunkt, zu dem ›habits‹ als vorreflexive Repertoires von Handlungsabläufen und Wahrnehmungen ins Stocken geraten und die Fähigkeit verloren geht, neue Situation zu bewältigen (vgl. Nohl 2006a: 88). Sie dokumentieren auch ein bereits vorhandenes ›interkulturelles Können‹. Zudem wird so ersichtlich, wann und wie Lernprozesse durch Handlungsirritationen entstehen und dass neues Handeln immer auch durch spontane Impulse der Situation und der Anderen entstehen kann.

8.2.2 Reflexion und Umgang mit Nicht-Wissen Aus der bisherigen Diskussion der empirischen Ergebnisse wurde ersichtlich, dass Handlungsirritationen zur Reflexion über die Situation führen und sich, durch die Form der Reflexion, verschiedene Anschlussmöglichkeiten des Handelns ergeben. An dieser Stelle möchte ich explizit die Frage des Umgangs mit Nicht-Wissen aufgreifen, ein Aspekt interkultureller Handlungskompetenz, der insbesondere in theoretischen Arbeiten zu interkultureller Kompetenz von Bedeutung ist (vgl. Mecheril 2003, Castro-Varela 2002) und meines Erachtens eine grundlegende Problematik interaktionalen und interkulturellen (professionellen) Handelns darstellt. Das Wie der Reflexion über eigenes Wissen und Handeln, so ein Ergebnis der vorliegenden Studie, ist für die Frage sich eröffnender oder verschließender Handlungsmöglichkeiten mit Anderen zentral.

Nicht-Infragestellung eigenen Wissens und Handelns Eine Nicht-Infragestellung und Immunisierung eigenen Wissens und Handelns rekurriert auf Erkenntnisprozesse, welche als begründete Meinungen nicht nur die Überzeugung bewirken, über eine ›Wahrheit‹ zu verfügen, sondern auch die Absicht, diese behalten zu wollen. Insbesondere in Bezug auf berufliches Handeln dominiert bei einigen Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfern eine Haltung des ›richtigen‹ Wissens über Andere. Dieses Wissen wird dabei nicht nur als allgemeingültige Wahrheit demonstriert, sondern vielmehr als beruflich erwachsene Kompetenz der Analyse von Situationen und damit legitimiert.34 Die Reflexion, die hier stattfindet und eine Beziehung zwischen »Ich« 34 Die Fokussierung auf eine berufliche ›Kompetenz‹ ist eine selektive Wahrnehmung, wie aus einer komparativen Analyse des Materials ersichtlich wird. Die Aufmerksamkeit hängt mit der Zwecksetzung des Handelns (berufliche Vorgaben) zusammen. Diese Zwecksetzung ist Resultat der Reflexion auf Widerstände gegenüber

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und »Situation« herstellt, ist keine Selbstreflexion, als kritische Analyse eignen Wissens und eigener Handlungspraktiken, welche etwaige Misseinschätzungen thematisiert.35 Die Irritation ist keine Irritationen über das eigene Handeln.36 Vielmehr wird die Reflexion zu einer Bestätigung und Rechtfertigung des eigenen Handelns. (Berufliche) Kompetenzen, also beispielsweise ›erfolgreiche‹ Praktiken des Fremdverstehens, so ein Ergebnis dieser Studie, können im Sinne sich eröffnender (gemeinsamer) Handlungsmöglichkeiten aber nur dann als interkulturelle Handlungskompetenzen gesehen werden, wenn eigenes Wissen nicht immunisiert wird, es also ein Interesse am Wissen und Können der Anderen gibt. Andernfalls führt die Handlungssicherheit ›kompetenten beruflichen‹ Handelns zu einer gewissen Starrheit, welche neue Impulse durch Andere nur schwer oder gar nicht integrieren kann und damit gemeinsames Handeln verhindert. Die Überzeugung, ›richtig‹ zu handeln, kann in der Interaktion mit Anderen dann

dem vielfältig orientierten Verhalten, etwa wenn die Akteurinnen nicht wissen, wie sie auf Irritationen reagieren sollen, beispielsweise wenn sie mit anderen Vorstellungen von Zeit konfrontiert werden. So können berufliche Ansprüche und Anforderungen zu objektiven Größen werden, an denen das weitere Handeln orientiert ist. Die Anforderung, einen Artikel bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Form der deutschen Redaktion vorzulegen, wird dann zum Antrieb, welcher für das Handeln relevant erscheint und in der Reflexion als dominantes Motiv herausgestellt wird. In diese Orientierung fließen praktisches und theoretisches Wissen ein und bilden eine Meinung, an der sich das Handeln orientieren kann (vgl. Craig 1993: 40). Zu diesen Meinungen kommen die Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten durch Reflexionen, kollektives Wissen und Informationen von Anderen, deren Meinungen übernommen werden. Wird von den hochqualifizierten transnationalen Migrantinnen angenommen, die ›richtigen‹ Schlüsse gezogen zu haben und über ›gute‹ Informantinnen und Informationsquellen zu verfügen oder wird ihnen durch Ereignisse recht gegeben, steigt die Überzeugung eines unfehlbaren eigenen Wissens. Unterstützung und Anerkennung von Anderen und eine Absicherung durch so genanntes Faktenwissen verleiht dem subjektiven Wissen eine Objektivität und generalisierbare Richtigkeit. 35 Die Rekonstruktion einer solchen Expertenhaltung, die gelungenes berufliches (und auch privates) Handeln dargestellt, muss auch im Kontext einer berufsbezogenen Erhebung gesehen werden. Hier fällt auf, dass ein so genanntes professionelles (im Sinne von sicherem, nicht eingeschränktem Wissen) Handeln insbesondere von Männern in den Interviews demonstriert wurde. 36 Davon zu unterscheiden sind Irritationen über anderes Handeln. Wie in dieser Studie durch eine mehrdimensionale Typenbildung sichtbar wird, ist es ratsam, den Aspekt der Irritation multiperspektivisch zu betrachten. Nicht der Moment, wo eine Irritation durch das Handeln der Anderen eintritt, ist handlungstheoretisch interessant, sondern jener, wo eigenes Handeln reflektiert wird. Der in der interkulturellen Forschung dominante »Kulturschock« (Rummler 2006: 285) thematisiert Irritation, setzt jedoch keinen Bezug zum eigenen Handeln der geschockten Personen. In der vorliegenden Studie zeigt sich, dass Personen irritiert über das Verhalten Anderer sind, dies aber nicht in Verbindung mit ihrem eigenen Handeln sehen. Wird mit der Irritation eine reflektierte Distanz zum eigenen Handeln hergestellt, ergibt sich die Möglichkeit eines Verstehens-, Lern- oder Bildungsprozesses und es können sich neue Handlungsoptionen auftun.

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eindimensional wirken und Lern- und Bildungsprozesse durch die Wahrnehmung, das Ausprobieren oder auch das Nachahmen anderen Handelns nicht zulassen. Sie verschließt tendenziell den Blick auf Unbekanntes und die Bereitschaft, anderes Denken und Handeln anzuerkennen.37

Handlungspraktischer Umgang mit Nicht-Wissen Wird eigenes Wissen und Können in Frage gestellt, so zeigt sich in der Studie, kann daraus eine Erweiterung des Verstehens und Wissens durch Andere erfolgen, welche eigene Antizipationen überschreitet. Hier können komplexe Erkenntnisprozesse in Gang gesetzt werden wie eine Reflexion über den eigenen sozialen Status, über gesellschaftliche Veränderungen am Aufenthaltsort oder auch ein Erkennen milieuübergreifender Verhaltensmuster in Konfliktsituationen sowie eine Wahrnehmung grundlegender menschlicher Bedürfnisse. Durch ein Wissen um das eigene Nicht-Wissen wird dem Wissen und Können des Anderen und der momentanen Situation Raum gegeben. Dadurch kann ein Zugang zu neuem Wissen entstehen, da der Andere gegenüber einer unpersönlichen Informationsquelle den Vorteil hat, mehr Informationen zugänglich machen zu können, als erwartet wurden, da er auch Dinge mitteilt, welche nicht konkret erfragt wurden (vgl. Craig 1993: 86). Die Andere kann so zur Übersetzerin werden, welche den Weg zu Wissen und Meinungen abkürzt (ebd.: 109). Um das eigene Nicht-Wissen zu wissen und damit umgehen zu können, bedeutet also keinesfalls den Verlust von Handlungsoptionen, aber schon den Verlust einer privilegierten Expertenposition. Dies wird dort offensichtlich, wo mit der Übernahme der Perspektive Anderer eigene Privilegien in Frage gestellt werden. Je symmetrischer die Interaktion zwischen Entwicklungshelfern oder Auslandskorrespondenten und der einheimischen Bevölkerung stattfindet, desto mehr richtet sich der Einfluss des Anderen auf Zusammenarbeit und weniger auf einseitigen Erwerb von Wissen.38 Positiv gesehen, kommt es zu einem Abwägen von Handlungsoptionen. Dadurch können aber auch Verunsicherungen entstehen, welche das Handeln blockieren. Die Wahrnehmung von Grenzen eigenen Denkens und Handelns ist verbunden mit einer Abkehr von Definitions- und Wahrheitsansprüchen und einer prinzipiellen Lernbereitschaft. Die Reflexion über eigenes Nicht-Können, so stellte sich heraus, kann auch dazu führen, sich aus interkulturellen Interaktionen zu verabschieden. So liegen die Möglichkeit, durch kritische Reflexion

37 Schlehe bezeichnet das erweiterte Wissen über die Andere und um die Vielfalt von Lebensformen als »selektives Wissen«, welches homogenisierend und essentialisierend wirken kann und »keineswegs ohne Weiteres zu mehr Austausch und kosmopolitischem Denken, sondern vielfach auch zu kultureller Selbstvergewisserung und Identitätspolitik« führt (Schlehe 2007: 458). 38 Youniss sieht in einer symmetrischen Reziprozität einen doppelten Prozess des Wissenserwerbs über Rückmeldungen vom jeweils Anderen (vgl. Youniss 1982: 81).

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eigenen Tuns zu Lernen, Neues zu entdecken und eine positive Erfahrung zu machen, sowie das Erleben eines Unvermögens nahe beieinander. Ein Wissen um das eigene Nicht-Wissen wird zu einem Akt der Partizipation, da das, was über etwas oder jemanden gewusst wird, mit dem Akt des Verstehens zusammenhängt und das Verstehen eine eigene Perspektive des Anderen mitdenkt. »Das, was an Verstehen möglich ist, gründet auf Nicht-Wissen und insofern Nicht-Verstehen« (Hahn 1994: 145). In konkreten Interaktionen mit Anderen wird Wissen über die Welt erzeugt, welches wiederum ermöglicht, mit der Welt zu interagieren. Milieuübergreifende Interaktionen definieren sich geradezu darüber, dass die Andere nicht selbstverständlich verstanden wird, dass der Zugang zu konjunktivem Wissen anderer Milieus nicht offen steht. Ein Bewusstsein über eine trennende Fremdheit, über die Beschränktheit des eigenen Wissens, reduziert den Anderen nicht. Die Infragestellung des eigenen Handelns überhaupt zuzulassen, kann der erste Schritt sein, von der und durch die Andere zu lernen. Sicherheit aufzugeben und Unsicherheit einzuräumen, ist ein Weg von einer idealisierten Theorie zu einer realen Praxis. Diese handlungspraktische Herstellung von Realität (vgl. Bohnsack 2006 et al.: 11) findet partiell, temporär und mit dem Wissen statt, dass sich auch wieder etwas ändern kann. Aus einer erziehungswissenschaftlichen und bildungstheoretischen Perspektive kommt dem Aspekt des Wissens, praktisch und theoretisch, eine wichtige Bedeutung innerhalb des Lebens zu. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, abstrakte Erkenntnisse über die Welt zu erlangen und Wahrheit als eine korrekte Repräsentation der Wirklichkeit zu verstehen. Eine solche Handlungskompetenz, verstanden als offene Handlungsoptionen, entsteht erstens durch die Teilhabe an Alltagswissen, welches einen Strukturzusammenhang kollektiven Wissens bildet und das Handeln relativ unabhängig vom subjektiv gemeinten Sinn orientiert, sowie zweitens durch Reflexionen. Diese Reflexionen schaffen weitere Handlungsmöglichkeiten. Die Anschlüsse des Handelns hängen, so ließ sich in dieser Studie rekonstruieren, eng mit der Bereitschaft zusammen, Neues zu lernen. Auf welcher Ebene dieses Lernen stattfindet, unterscheidet sich nach der Einschätzung eigener Wissensbestände. Je fester und sicherer eigenes Wissen erscheint, desto festgelegter ist, durch wen oder durch was neue Informationen in die eigene Wissensbestände aufgenommen werden. Ein Befremden durch Anderes findet in diesem Fall nicht statt, da die Unkenntnis über den Anderen nicht als solche wahrgenommen wird. Auch der Umgang mit Erwartungsenttäuschungen hängt mit der Bereitschaft, eigene Annahmen zu überdenken, zusammen. Hahn weist darauf hin, dass »Erwartungsenttäuschung normalerweise lediglich zu einer inhaltlichen Korrektur der in Rede stehenden Erwartungen [führen], nicht aber zum Zweifel an der Verständlichkeit des anderen überhaupt« (Hahn 1994: 149). Wer aber ändert seine Annahmen und in welche Richtung? Es kann sowohl dazu kommen, dass den Anderen Schuld an der Enttäuschung zugesprochen wird, als auch die eigenen Erwartungen und »Verstehensfiktionen« (ebd.: 147) als falsch interpretiert werden und das eigene Wissen revidiert wird. Werden andere und

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neue Handlungsoptionen mitgedacht, können diese in anschließendem Handeln ausprobiert werden und ein selbstkritisches Verhältnis zur eigenen Lebensführungspraxis kann eigene Annahmen relativieren. Die Wahrnehmung des Fremden und das »Fremdverstehen erweist sich somit als ein dynamischer und unabschließbarer Bildungsprozess mit Rückwirkung auf das eigene Selbst- und Weltverständnis, in dem die Fremden von uns lernen und wir von ihnen lernen können. Es gibt aber auch Formen des Fremdverstehens bzw. des interkulturellen Verstehens, bei denen Rückwirkungen auf das eigene Selbst – und Weltverständnis nicht erwünscht sind« (Bredella 2007: 24).

Für die Diskussion der Erkenntnisse aus dieser Studie werden bezüglich des Umgangs mit eigenem Wissen und Handeln zwei sich teils widerstreitende Aspekte bedeutsam. Ein beruflich professioneller Fokus rekonstruiert Handlungskompetenzen, die das berufliche Handeln erfolgreich machen. Der Maßstab dessen, was Erfolg ist, bleibt ein offenes Feld, abhängig von gesetzten Motiven und Weltanschauungen. Geraten interkulturelle Lern- und Bildungsprozesse rekonstruktiv in den Blick, werden Prozesse der Verständigung des Miteinanders und der Veränderung des Denkens ersichtlich. Diese können genau dann entstehen, wenn eine andere als die eigene Interpretation der Situation möglich ist. »So bildet sich das reflexive Selbst über die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, die es dem Subjekt ermöglicht, sein eigenes Handeln vom Standpunkt des Anderen zu sehen« (Edelstein/Keller 1982: 13, Hervorhebung ACS) und, so füge ich hinzu, eigene Annahmen in Frage zu stellen. Ein Umgang mit eigenem Nicht-Wissen kann eine Zusammenarbeit und ein Zusammenleben ermöglichen, welches sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach im Laufe der Zeit von bestimmten Vorannahmen und Zielen lösen wird. Mecheril hält eine »Kompetenzlosigkeitskompetenz« als Ausgangspunkt für interkulturelles Arbeiten für sinnvoll. Erst dort, wo die Grenzen eigenen Wissens und Könnens wahrgenommen werden und man einen Umgang mit eigenem Nicht-Wissen gefunden hat, kann sich eine interkulturelle Interaktion ergeben, die einem professionellen Anspruch gewachsen ist (vgl. Mecheril 2002). Die Reflexion über das eigene Wissen und die eigenen Methoden des Fremdverstehens und Interagierens ermöglichen je nach Kontext neue Handlungsoptionen oder schließen sie auch aus. Eine Immunität eigenen Wissens und eigener Methoden des Fremdverstehens versperrt sich zwar neuen und alternativen Wissensformen und Praxen, ist aber hinsichtlich einer sozialen Praxis nicht grundsätzlich auf Differenz orientiert. Es fragt sich jedoch, um was für eine Art der Interaktion es sich handelt, wenn dem Wissen und Können der Anderen so wenig Raum zugesprochen wird und Befremdungen ausgeschlossen werden. Ein Wissen um die Fehlbarkeit der Methoden des Interagierens und Fremdverstehens und um das eigene Nicht-Wissen begünstigen dagegen neue Erfahrungen, da alternative Praxen wahrgenommen und für das eigene Handeln in Betracht gezogen

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werden. Dabei geht es nicht um Formen der Anpassung, wie dies in Modellen interkultureller Kompetenz (Deardorff 2006: 21) thematisiert wird, sondern um eine ›echte‹ Begegnung, in der Andere nicht bevormundet oder für die eignen Zwecke benutzt werden.39 Eine solche ›echte‹ Begegnung kann auch zur Folge haben, dass mit der Wahrnehmung des eigenen Nicht-Könnens bzw. NichtWollens weitere soziale Interaktionen ausgeschlossen werden. Eine Reflexion der eigenen Praxis setzt, um als interkulturelle Handlungskompetenz wirksam zu werden, eine soziale Praxis voraus, in der neu Reflektiertes und Erlerntes überhaupt zur Anwendung kommen kann.

8.2.3 Selbst- und Fremdbilder in milieuübergreifenden Begegnungen Als dritten und letzten Aspekt der Studie zu interkulturellen Handlungskompetenzen möchte ich auf die Selbst- und Fremdbilder der Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten eingehen und daran deutlich machen, dass die Frage, wie der Andere als anders wahrgenommen wird, nicht nur eine Frage von unterschiedlichen Weltanschauungen ist, sondern der Umstand, dass er überhaupt als anders wahrgenommen, empfunden und konstruiert wird, mit den oben diskutierten Praxen des Handelns, Reflektierens und Infragestellens zusammenhängt. In Studien zu interkulturellen Begegnungen und interkultureller Kompetenz wird auf Selbst- und Fremdbilder sowie Vorurteile und Zuschreibungspraxen häufig Bezug genommen (vgl. u. a. Jonas/Schmid Mast 2007; Nicklas 2006; Lipiansky 2006; Kordes 2006; Kotthoff 2002; Schondelmayer 2008). Dabei wird sowohl der Frage nachgegangen, welche handlungspraktischen Folgen die »Pictures in our heads« (Lippmann 1965) haben, als auch in Betracht gezogen, wie durch Differenzkonstruktion Menschen zu Anderen und Fremden (gemacht) werden und es zu einer Reproduktion von Zuschreibungskategorien kommt. An diese Überlegungen ist die vorliegende Studie anschlussfähig. Im Folgenden möchte ich, ohne auf diese Studien zu Selbst- und Fremdbildern dezidiert einzugehen, allein den Fokus auf sich erweiternde oder verschließende Handlungsoptionen durch die in dieser Studie jeweilig rekonstruierte Perspektive einer kulturalisierenden, politökonomisierenden sowie individualisierenden und universalisierenden Darstellung des Anderen legen und zeigen, wie durch starre Selbst- und Fremdbilder und mangelnde gemeinsame Handlungspraxis Differenz festgeschrieben wird. 39 Straub und Arnold arbeiten in ihrer Studie eine solche ›unaufrichtige‹ Beziehung zwischen Missionierenden und der einheimischen Bevölkerung heraus, in der Andere zum Zweck für eigene Interessen werden: »Die Anderen – nicht allein die ohnehin Gleichgesinnten, die Lehrer, Mentoren und ›Mitmissionare‹ – übernehmen eine Schutz – und Stützfunktion für ein stets gefährdetes Selbst. [...] Sie [die missionarische Handlung; ACS] dient funktional der Stärkung des Selbst der Missionierenden und der Steigerung ihres Selbstgefühls, indem sie Innen-AußenGleichgewichte schafft und reguliert – vorübergehende und dennoch, psychologisch betrachtet, nachhaltig wirksame Balancen« (Straub/Arnold 2008: 177).

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In den Interpretationen und Darstellungen der Anderen dokumentiert sich, wie fest eigene Wissensbestände und Interpretationshaltung sind bzw. wie auf verfestigte Annahmen über sich und die Andere zurückgegriffen wird. In der Analyse des empirischen Materials der Studie wird deutlich, dass es sich dabei nicht um situativ-spontane Wahrnehmungen und Erklärungsschemata handelt, sondern um ein Interpretationsschema, das der Wahrnehmung im Sinne praktischen, das Handeln vorstrukturierenden Wissens zu Grunde liegt. Welche Milieudifferenz(en) für hochqualifizierte transnationale Migranten bedeutsam werden, hängt in hohem Maße mit bereits bestehenden Annahmen zusammen und entsteht nur partiell im Rahmen eines Lernprozesses, einer veränderten Perspektive oder aus spontanen Impulsen. In welcher Form die Andere in Erscheinung treten kann bzw. wahrgenommen wird, korrespondiert mit einer diesbezüglichen Wahrnehmungshaltung. Diese zeigt sich als Orientierung im Sinne vortheoretischen Wissens, durch den handlungspraktischen Umgang mit Widerständen und die Bereitschaft, eigene (Vor-) Annahmen zu relativieren oder revidieren. Die Interpretation und Darstellung des (milieudifferenten) Anderen und der (von Milieudifferenz geprägten) Situation geht mit einer impliziten, teils auch expliziten Selbstzuschreibung einher. Nicht immer ist klar, wann eine Erklärungstheorie dafür herangezogen wird, Fremdes verständlich und handhabbar zu machen, und wann es darum geht, das eigene Image zu präsentieren oder auch aufzuwerten.40

Der kulturell Andere In einer kulturalisierenden Wahrnehmung erscheint der Andere different zum Eigenen durch ein als different wahrgenommenes Verhalten, bestimmte »kulturelle Repräsentationen« (Nohl 2006c: 138) und häufig allein aufgrund von Imaginationen und konkreten Erfahrungen entbehrender Stereotypen.41 Die Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen, welche kulturalisierend wahrnehmen und darstellen, beschreiben die Andere mit unterschiedlicher Wertschätzung und auch unterschiedlich differenziert. Die Andere kann dabei in einer stereotypen Vereinfachung als Distinktionsmerkmal für Identitätskonstruktionen von Individuen und Gruppen fungieren. Die Stereotypisierung des Anderen ist dann nicht nur ein Wahrnehmungs- und Kategorisierungsprozess; die damit verbundenen impliziten und expliziten Selbstbilder gehen mit Identifikationen und 40 Goffman hat mit der Thematisierung von »personal« und »social identity« auf eine doppelte Konstruktion des Selbst verwiesen; wobei eine Ebene der Interaktion immer als Wahrung des eigenen Images verstanden werden muss (vgl. Goffman 1996: 38). Nach impliziten Regeln des sozialen Lebens werden dabei Rollen übernommen, welche einerseits von außen herangetragen werden, andererseits dem Subjekt einen Spielraum des Verhaltens, durch eine gewisse Nicht-Identifikation zwischen sich und Selbst, einräumen (vgl. Goffman 1975:149). 41 Stereotype werden hier nicht nur als negative Zuschreibungen verstanden, sondern primär als gruppenzusammenfassende Vorurteile, welche sowohl auf eigener Erfahrung als auch auf Tradierung von Vorurteilen beruhen können.

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Selbstdarstellungen einher.42 Die Wahrnehmung von Differenz kann insofern zu Identitätskonflikten führen, welche einen Bewertungsprozess in Gang setzen, aus dem der Andere nicht nur als anders, sondern zudem als minderwertig hervorgehen kann und in dem das Selbst als Norm und Ideal inszeniert wird.43 In Prozessen kollektiver und essentialisierender Zuschreibung zeigen sich im Zuge dessen Rassismen, welche als kulturalisierende Aussagen verharmlosend wirken. Die Essentialisierung, Exotisierung und Diskriminierung der Anderen erfolgt dabei auch auf der Ebene von »vorgestellten Gemeinschaften« (Anderson 2005, zit. nach Nohl 2006c: 145).44 In der kulturalisierenden Wahrnehmung und Darstellung der Anderen finden sich solche »Zugehörigkeitsfiktionen« (Nohl 2006c: 147) insbesondere bezüglich ethnischer Dimensionen. Ethnische Zugehörigkeit wird zu einer »totalen Identifizierung« (ebd.: 235), wird der Andere auf sein ›Afrikaner-Sein‹ reduziert. Hier geht es nicht um gemeinsame Erfahrungen bzw. die vielfältigen Erfahrungsdimensionen des Einzelnen, die Anderen werden als ethnisch Andere festgeschrieben. Die Gründe des Handelns der Südafrikanerinnen und Kenianerinnen werden damit scheinbar ›objektiv‹ identifiziert. Diese Fiktionen können in kollektive Erfahrungen münden, wo kurzfristig reale Gemeinschaften entstehen bzw. das eigene Handeln bewusst und unbewusst auch nur auf einer Milieudimension wahrgenommen wird, auf Seiten der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer etwa als berufliches oder auch als typisch ›weißes‹ Handeln.

42 Eine positive Selbsteinschätzung erlangen Individuen meist durch die Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und den damit verbundenen Bewertung (vgl. Tajfel 1982: 254 ff.), welche nicht unbedingt mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen übereinstimmen müssen. Vielmehr schafft die Gruppenbildung und das konjunktive Wissen eines Milieus ›innere Maßstäbe‹ für Erfolg und Nicht-Erfolg, Anerkennung und Nicht-Anerkennung. Teil einer Gruppe zu sein, kann also schon ein positives oder auch überlegenes Selbstbild schaffen, auch wenn es sich um eine Minderheit (ohne gesellschaftliche Anerkennung) handelt. Dieses positive Selbstbild ist aber umso prekärer, je weniger Anschlussmöglichkeiten sich außerhalb der Gruppe bieten. Je größer die Gruppe ist, die bestimmte Normen und Werte teilt, desto geringer wird das Bewusstsein darüber, dass es sich um ein ›Gruppenwissen und -denken‹ handelt. 43 Auf Gruppenzuschreibungen durch Abgrenzung zu Anderen weist Tajfel hin: »Die Charakteristika der eigenen Gruppe (wie z. B. Status, Reichtum oder Armut, Hautfarbe oder die Fähigkeit, Ziele zu erreichen) erhalten den Großteil ihrer Bedeutung erst in Relation zu wahrgenommen Unterschieden zu anderen Gruppen und zu den Wertkonnotationen dieser Unterschiede« (Tajfel 1982: 57). 44 Nohl entwickelt den Begriff der vorgestellten Gemeinschaft dahin weiter, dass er auf die fehlende milieuspezifische Erfahrungsbasis hinweist, welche dazu führt, dass Mitglieder einer Gemeinschaft sich ihre und die Gemeinschaft Anderer lediglich vorstellen (vgl. Nohl 2006c: 146), jedoch nicht auf einen gemeinsamen und übergreifenden Erfahrungsraum zurückgreifen können. Konstruktionen vorgestellter Gemeinschaften können auch als ideologische Imaginationen bezeichnet werden, da sie niemals dem eigenen Wirken in der Welt und dem der Anderen ganz entsprechen (vgl. Mannheim 1952: 171).

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Die Funktion von Differenzkonstruktionen wird zum einen als komplexitätsreduzierende Typisierung, zum anderen als Existenz-Vergewisserung und Schutz nach außen interpretiert (vgl. Baumann 2002: 74 f.; Scherr 1999: 51 ff.; Weiß 2001: 22 ff.), ohne dass aber eine unmittelbare Bedrohungssituation gegeben sein muss. Obschon Fremdzuschreibungen immer auf das Eigene verweisen und damit die Wahrnehmung des Anderen immer auch als eine Wahrnehmung und Interpretation von Welt gesehen werden muss, an der der Akteur selbst teilhat, so zeigt sich in dieser Studie, dass es die Prozesse der Selbstreflexion sind, welche darüber entscheiden, wie bewusst die eigene ›kulturelle‹ Einbettung erkannt und thematisiert wird. Denn Akteurinnen nehmen zwar kollektive Prägungen der Anderen bewusst wahr oder konstruieren diese, eine eigene kollektive Orientierung scheint demnach aber nicht bewusst reflektiert zu werden.45 Eine kulturalisierende Interpretation des Anderen, so lässt sich rekonstruieren, hat teilweise eine eigene kollektive Bindung im Blick und kann dadurch Milieugrenzen als solche erkennen. Fremdheit wird wahrgenommen, womit sowohl der Anderen etwas Eigenes zugestanden wird als auch Momente der Selbstbefremdung erlebt werden. Gibt es eine Orientierung an Gemeinsamkeiten, so kann dies zur Folge haben, dass über kommunikativ-generalisiertes Wissen versucht wird, ein Verständnis des Anderen zu erlangen. Die Distanz unterschiedlicher Milieus und die Kommunikation über generalisiertes Wissen können jedoch auch zu Frustrationen und gegenseitigen Schuldzuweisungen führen. So kommt es zu gegenseitigen Vorwürfen mangelnden Wissens und eines Denkens in Stereotypen. Das Eigene, das den Anderen zugestanden wird (handelt es sich nicht mehr um einen Verständigungsprozess), wird dann zum Symbol von Abwehr und Distinktion und die Differenz zu einer Frage von Über- und Unterlegenheit. Als »Gefangene unserer Kultur« (Bredella 2007: 20) gelingt es scheinbar nicht mehr, eigene Vorstellungen einzuklammern und eine Innenperspektive des Anderen zu entwickeln. Die Andere wird in diesem Fall als Konkurrentin im Kampf um das ›richtige‹ Wissen und Handeln wahrgenommen, gegen die man sich behaupten muss. Häufig lässt sich hier ein Rückzug in eine eigene ›ethnic‹ oder auch ›expatriates community‹ finden.46 Eine solche Typisierung des Anderen ist kein individueller Akt eines einzelnen Akteurs. Vielmehr dokumentieren sich hier kollektive Gruppenprozesse, welche sozial abgeleitet und gebilligt werden (vgl. Schütz 1971: 12). 45 Auf dieses Phänomen macht auch Moosmüller in seiner Studie zu Expatriates in Japan aufmerksam (vgl. Moosmüller 1997: 37). 46 In seiner Studie zu Auslandskorrespondenten schreibt Hannerz die Einbindung in Expatriate-communities insbesondere kurzfristigen Aufenthalten zu. »Whereas the spiralists sometimes risk becoming encapsulated in their social lives in circles of expatriates and perhaps local ex-expatriates, the long-timers will frequently have wide and varied local networks that can be important resources in their reporting« (Hannerz 2004: 85). In der vorliegenden Studie konnte eine solche Unterscheidung nach Aufenthaltsdauer nicht getroffen werden.

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Der arme Andere Das Zusammenspiel von Fremd- und Selbstbild erhält in seiner Konsequenz für interkulturelles Handeln in einer politökonomisierenden Darstellung eine herausgestellte Relevanz. Tauchen, in Erweiterung einer kulturalisierenden Wahrnehmung, zwar weitere bestimmende Faktoren des Handelns auf und wird einem sozialen Handeln auch in seiner historischen und gesellschaftlichen Prägung Rechung getragen, verengt sich trotzdem der Handlungsspielraum der Akteurinnen zum Teil signifikant. Den Anderen als kulturell anders wahrzunehmen, ermöglicht neben einer Distanzierung und Abwertung immerhin eine Option des Verstehens über kommunikativ-generalisiertes Wissen. Tritt jedoch die Andere innerhalb ihres sozialen Status als different auf, scheinen Begegnungen nahezu unmöglich.47 Zugehörigkeitskonstruktionen, die mehrdimensionale Milieuerfahrungen ausblenden und homogenisierend Gemeinschaft imaginieren, wie etwa entlang sozialer Differenzen, können zu einer Distinktion führen, welche den Anderen zum negativen Gegenhorizont des eigenen (aufgewerteten) Handelns macht. In diesem Fall führt die Klassifizierung der Anderen auch zu deren Diskriminierung. Dass Milieudifferenzen entlang ökonomischer Unterschiede wahrgenommen werden, ist nicht lediglich ein Konstatieren von Gegebenheiten, welche auch ohne die Wahrnehmung der Differenz vorhanden wären. Die Distinktion findet als Interpretation statt (vgl. Dewey 1963: 261). Die Bilder über den Anderen entstehen durch die Wahrnehmung einer Fremdheitsdimension, welche als plausible Etikette in einer Fülle unbeachteter oder als irrelevant interpretierter Unterschiede und Gemeinsamkeiten bedeutsam werden. Die Plausibilitätsvoraussetzungen sind dabei nicht individuell bedingt, sondern ergeben sich aus bereits existierenden Strukturen, geteilter Geschichte und aktuellen Krisen der beteiligten Gruppen. Dies trifft sowohl auf die Berufsgruppen als auch auf ethnische Gruppen zu. Dass diese Aspekte fokussiert werden, steht, insbesondere für Auslandskorrespondenten, im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit. Berufliche Handlungsfähigkeiten, -möglichkeiten und -anforderungen wirken auf die Wahrnehmung strukturierend. Die durch eine politische und soziale Analyse in Erscheinung tretenden Machtunterschiede machen sensibel für eine Wahrnehmung von Konkurrenz und daraus resultierende Interessenkonflikte.48 47 Hannerz beschreibt die Differenz zur einheimischen Bevölkerung Südafrikas in der Darstellung eines britischen Journalisten entlang der Differenzlinien Rasse, Ethnie und Schicht: »Yet in five years based in Johannesburg, he really felt he made only two close friends, one black and the other Afrikaner. It was a society, many of his colleagues also agreed, that was still highly segmented, not only by race but by ethnicity and class aswell« (Hannerz 2004: 91). 48 Kordes weist darauf hin, dass eine Erklärung interkultureller Begegnungen allein als Abwehr- (durch Konstruktion von Fremdbildern) oder Annahmemanöver (durch Selbstbefremdung) zu interpretieren, eine Vereinfachung darstelle. Über eine Befremdung der Anderen könnte eine Selbstbefremdung erst stattfinden. Am Beispiel eines deutsch-türkischen Schülerstreits möchte er die Fremdheitserfahrungen be-

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Auslandskorrespondentinnen und Entwicklungshelferinnen beobachten diese aber nicht nur, sie nehmen sich als daran teilhabend wahr. Der analytische Blick von Außen, der hier demonstriert wird, ist Teil der Machtkämpfe um ›richtiges Wissen‹. Privilegierungserfahrungen werden dabei aber kaum selbstkritisch thematisiert oder Überlegenheitsannahmen reflektiert. Es scheint, als könnten sich die Interviewten (beruflich bedingt) keine Relativierung ihrer Überzeugungen leisten.49 Der Andere tritt hier nicht wie aus einer kulturalisierenden Perspektive als »symbolische Gefährdung der eigenen Weltdeutung« (Hahn 1994: 153) auf, da sein Handeln innerhalb eines bestimmten Weltbildes einen festen Platz hat. Die Andere handelt nicht befremdlich, sondern vertraut, wenn sie als »Habenichts« bettelt. Diese Vertrautheit ist jedoch mehr analytische Interpretation als konkretes Erleben von Nähe. ›Reicher Weißer‹ zu sein, stellt die Akteure handlungspraktisch ins interkulturelle Abseits. Auch in einer polit-ökonomisierenden Darstellung lassen sich jene Zugehörigkeitskonstruktionen finden, die mehrdimensionale Milieuerfahrungen ausblenden und homogenisierend Gemeinschaft imaginieren. Nicht die Wahrnehmung einer kollektiven Einbindung ist dabei problematisch, sondern die Festschreibung auf nur jeweils eine Milieudimension.

Der gleiche Andere Steht in der obigen Darstellung des Anderen die Differenz im Vordergrund, fokussiert eine individualisierende und universalisierende Perspektive auf (theoretische) Gemeinsamkeiten. Dadurch, dass individuelle Aspekte wie etwa Geschmack als unterschiedlich wahrgenommen werden, dieser Unterschied jedoch nicht einer Gruppe fest zugeschrieben wird, kommen andere, verbindende Dimensionen zumindest theoretisch ins Blickfeld der Betrachterin. Durch eine solche Wahrnehmung und eine gleichzeitige anthropologische Universalisierung der gleichen Bedürfnisse aller Menschen eröffnen sich neue gemeinsame Handlungsmöglichkeiten, denn zwischen der Wahrnehmungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit besteht ein enger Zusammenhang (vgl. Dewey 1980: 26). Aber in der vorliegenden Studie zeigt sich auch, dass die theoretischen Anschlussmöglichkeiten eines praktischen Handelns mit einer individualisierenden Perspektive und die tatsächlich rekonstruierbare Handlungspraxis nicht immer deckungsgleich sind. Die Analyse der Gleichheit aller Menschen kann einerseits zu einem partizipierenden Miteinander, etwa im Unterricht von kenianischen Soldaten, arbeitungsfähig machen. Dort wäre es nun spannend, zu sehen, an welcher Stelle und mit Bezug auf welche Orientierung interkulturelle Begegnungen als Konkurrenzsituationen wahrgenommen werden und wie flexibel oder veränderbar diese Weltsicht ist (vgl. Kordes 2006: 312 ff.). 49 Thomas diskutiert, dass Manager und Geschäftsleute sich eine Relativierung ihrer Überzeugung nicht leisten könnten und die Überlegenheit der eigenen Kultur in diesem Rahmen gesehen werden müsste. Interkulturelle Kompetenz wird dann als strategische Form thematisiert, welche auf die Situation von Wirtschaftssituationen angewendet sich von Idealvorstellungen löse und ein »realistisches Bild« male (Thomas 2003: 145).

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andererseits zu einer wertschätzenden und empathischen distanzierten Beobachtung und Beschreibung des Anderen in essayistischen Reportagen führen. Dieser handlungspraktische Unterschied in der Interaktion mit Anderen kann auch als Ausdruck eines berufsspezifischen Handelns des Eingreifens und Beobachtens gesehen werden. Eine individualisierende Perspektive, die gesellschaftliche, politische und ökonomische Einflüsse auf das Handeln weniger thematisiert und kollektive Einbindungen als wenig relevant wahrnimmt, kann so individualistisch sein, dass kritisch gefragt werden muss, ob es aus individualistischer Perspektive noch ein Interesse an der Anderen gibt und wie weit dieses reicht. Wenn das Gelingen einer interkulturellen Begegnung als etwas gesehen wird, was erfolgreich ist, wenn sie sich eher zufällig ergibt und wenn die jeweiligen Lebenssituationen passen, so kann das für eine interkulturelle Begegnung bedeuten, dass es kaum einen Austausch über ein gemeinsam geteiltes Leben gibt und jeder sich in seine kleine eigene Erfahrungswelt zurückzieht. Wird die Andere nicht mehr als die zu verstehende Fremde wahrgenommen, sondern als die gleiche Andere, kann dies auch zu Desinteresse führen.

8.3 Resümee und Ausblick In der vorliegenden Arbeit wurde das Handeln von hochqualifizierten transnationalen Migranten in milieuübergreifenden Begegnungen in einer komparativen Analyse systematisch rekonstruiert. Erst durch eine praxeologische Perspektive konnten die heterogenen Formen des interkulturellen praktischen ›Könnens‹ herausgearbeitet werden. Mit dem Rückgriff auf eine Theorie zirkulärer Handlungskoordination konnte die soziale Praxis des Handelns, Reflektierens und Interpretierens differenziert betrachtet und somit konnten Zusammenhänge zwischen Orientierungen, Handeln und Reflexion erarbeitet werden. Die Kompetenzen der Interviewten und das heißt hier: ihre Verstehens-, Interaktions-, Reflektions- und Interpretationspraktiken im Umgang mit Verschieden- und Andersheit wurden aus der Logik der Praxis heraus rekonstruiert und nicht, wie dies in vielen Konzepten zu interkultureller Kompetenz der Fall ist, an die Personen als Anforderungen herangetragen bzw. ihr Handeln auf Basis dieser Anforderungen überprüft. Damit liegt eine empirisch-fundierte Typik interkultureller Handlungskompetenz vor, mit der sich zusammenfassend folgende Aussagen treffen lassen: Aus praxeologischer Perspektive, so zeigen die Ergebnisse dieser Studie, lässt sich interkulturelle Handlungskompetenz nicht an Personen, sondern nur an bestimmten Handlungsformen festmachen. Dabei muss interkulturelle Handlungskompetenz als soziale Praxis gesehen werden, denn nur so können Aussagen über Handeln getroffen werden. Im interkulturellen Handeln finden sich differenzierte und kreative Formen interkultureller Handlungskompetenz, die sowohl selbstverständliche Praxis, reflektierte Lernprozesse als auch spontane Ideen

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umfassen. Zudem zeigt sich, dass die Bedeutung der Reflexion über eigenes Wissen und Handeln – sie erhält im Fachdiskurs über interkulturelles Lernen häufig eine herausgestellte Bedeutung – eingeschränkt werden muss. Reflektieren führt nicht zwangsläufig zu einem Lernprozess, vielmehr können im Sinne einer Verfestigung von Überlegenheitspositionen durch ein berufliches Selbstverständnis als Expertin interkulturelle Begegnungen behindert werden. Deutlich wird, dass im Zuge von Verunsicherungen und Irritation häufig auf feste Selbstund Fremdbilder zurückgegriffen wird und damit neue Repräsentationen des Anderen kaum möglich werden. Handlungsoptionen in milieuübergreifenden Situationen erweitern sich dort, wo Andere wahr- und ernst genommen werden, damit Platz für andere Perspektiven und eine Bereitschaft, dazuzulernen, entsteht und es überhaupt eine gemeinsame Praxis gibt. Im Handeln der Entwicklungshelferinnen und Auslandskorrespondentinnen der vorliegenden Studie zeigt sich jedoch, neben den rekonstruierten ›Kompetenzen‹, dass ein großer Teil des praktischen interkulturellen Handelns nicht im Sinne eines globalen und gemeinsamen Lernens abläuft und sich mit dem ›schlichten‹ Kontakt zu Anderen nicht zwangsläufig neue Orientierungen ergeben. Nach wie vor stellt sich damit aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive die Frage, welches Wissen in einer globalisierten, heterogenen Welt wie vermittelt werden kann, so dass sich heterogene ›Welten‹ aneinander anschließen und einander begegnen können (vgl. Wulf 2001). Dies scheint mir für die Befragten umso problematischer, als sie nicht gezwungenermaßen oder unter prekären Bedingungen migriert sind, sondern in relativ abgesicherten Kontexten mit einem hohen Interesse an einem Leben an einem anderen Ort interkulturelle Situationen erleben. Gleichwohl scheint dieser vergleichsweise privilegierte Standpunkt mit einer hohen Handlungsautonomie und einem Expertenstatus dazu beizutragen, dass an eigenem Wissen festgehalten wird, der Andere nostrifiziert50 und die eigene Standortgebundenheit wenig kritisch hinterfragt wird. Das Verstehen-Wollen und das Verstehen-Können der Anderen treffen handlungspraktisch nicht aufeinander, wenn ein Zugehen auf die Anderen ausbleibt und der eigene Standpunkt beibehalten wird.51 50 Vgl. zum Begriff der Nostrifizierung Stagl 1997. 51 Bolten stellt eine Studie zum internationalen Einsatz von Führungskräften vor (Stahl 1998, nach Bolten 2007), in der sich »ausgerechnet die drei erfolglosesten Problemlösungsstrategien in der Gruppe der am häufigsten eingesetzten Bewältigungsform wieder finden« (Bolten 2007: 84). Obschon die Studie in ihrer Operationalisierung von Problemen und Bewältigungsstrategien kritisch zu lesen ist, wird doch hier offensichtlich, wie wenig Konzepte interkultureller Kompetenz mit der Praxis interkultureller Kompetenz zu tun haben und wie wenig sinnvoll die Kriterien erscheinen, die an die Praxis angesetzt werden. Bestenfalls kann es bei einer solchen ›Kontrolle‹ interkultureller Kompetenz durch eine Offenlegung zu einer kritischen Reflexion der eigenen Praxis kommen. Hier bleibt zu bedenken, ob es nicht sinnvoller sein kann, die Personen zu fragen, welche Vorstellungen sie darüber haben, was passieren könnte, wenn sie auf den Anderen zugehen würden.

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Die Schwierigkeit, die eigene Perspektivität des Wissens und Handelns zu erkennen, liegt dabei nicht auf einer mangelnden kognitiven Leistung, sondern in der mangelnden oder begrenzten Fähigkeit und/oder dem Unwillen, mit der einhergehenden Unsicherheit und der Erfahrung von Differenz kreativ umzugehen und sie gegebenenfalls auch aushalten zu können. Eine Nicht-Bereitschaft, die Perspektive des Anderen wahrzunehmen und anzuerkennen, eine Praxis, die sich durch alle sozialen Interaktionen zieht, wird dort, wo äußere Markierungen der Differenz besonders sichtbar sind bzw. bereits Kategorien der Differenzbeschreibung existieren (entlang ethnischer, nationaler, religiöser u. a. Zugehörigkeiten), verbalisiert und zum Anlass genommen, zwischen eigen und fremd zu unterscheiden und diese Unterscheidungen auf der Basis der bereits existierenden Kategorien festzuschreiben. Diese Zuschreibung und Festlegung entlastet von einer weiteren Beschäftigung mit eigenen Selbstverständlichkeiten und fremden Bedürfnissen und Ansprüchen. Kreative und spontane Praktiken, mit denen spielerisch versucht wird, einen Umgang mit der Unsicherheit zu finden oder diese zu umgehen, wobei auch das Risiko des Scheiterns in Kauf genommen wird, aber auch eine selbstkritische Reflexion über die eigene Haltung und eigene Vorurteile, können durchaus, so zeigen die Untersuchungsergebnisse, Gemeinsamkeiten, Verstehen und Verständnis schaffen. Was Wulf theoretisch von einem globalen Lernen fordert, nämlich »neue Repräsentationen des Anderen, neue transnationale Loyalitäten und Solidaritäten zu entwickeln« (Wulf 2001: 36, Hervorhebungen im Original), geschieht auf einer Mikro-Ebene des Handelns, wenn z. B. eine Entwicklungshelferin erkennt, dass ihre kenianischen Schüler sehr wohl in der Lage sind, einen Bericht zu verfassen. Damit wird auch deutlich, dass erst dort, wo den Anderen und damit auch der eigenen Wahrnehmung Raum gegeben wird, Transformationen und neue Gemeinsamkeiten in der Differenz stattfinden können. Erst dort, wo eine Orientierung am ›Richtigen‹ aufgegeben wird, auch am eigenen ›richtigen‹ Verhalten, kommt es zu Interaktionen, die nicht entlang von Handlungsidealen, Vorbildern, Empfehlungen oder Richtlinien stattfinden, sondern in eine unmittelbare Begegnung münden. In diesen Momenten begegnen sich dann Menschen aus unterschiedlichen Milieus, ohne dass diesbezügliche Differenzen zentrale Bezugspunkte des Handelns werden. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie ergeben sich weitere Forschungsperspektiven sowie Möglichkeiten der Anwendung im Bereich interkultureller Bildung und interkultureller Trainings. So wäre es sicherlich gewinnbringend, die Zusammenhänge biographischer (interkultureller) Erfahrungen und gegenwärtiger Handlungspraktiken tiefgehender zu untersuchen. Auch die in der vorliegenden Studie bereits angedeuteten Lern- und Bildungsprozesse angesichts von Handlungsirritationen könnten noch weiter ausgearbeitet werden, so dass sich daraus Praxen (nicht intendierter) interkultureller Bildung erforschen lassen. Eine thematische Erweiterung sehe ich zudem in einer weiteren Diskussion um Praxen des Zum-Anderen-Machens, die an postkoloniale Diskurse oder auch den

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Intersektionalitätsansatz angebunden werden können, welche nach wie vor eher theoretisch rezipiert werden. Auch im Bereich des Kompetenzdiskurses sehe ich eine Möglichkeit, durch praxeologische Rekonstruktionen einen empirischen Beitrag zur Bestimmung von (interkulturellen) Handlungskompetenzen zu leisten, der an die Ergebnisse der vorliegende Studie anknüpfen könnte. Nicht zuletzt ergeben sich aus den Rekonstruktionen des Handelns, Reflektierens und Interpretierens Perspektiven auf Lern- und Trainingsmöglichkeiten interkultureller Handlungskompetenz, welche verstärkt auf die Frage des (generellen) Umgangs mit Unsicherheit und Unwissenheit fokussieren und für neue Erfahrungen ermutigen könnte. Denn, so dokumentiert sich in der Praxis der Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfer in Afrika, mit einem Wissen um eigenes Nicht-Wissen gehen Handlungsmöglichkeiten (und auch die berufliche Position) nicht verloren; vielmehr eröffnen sich neue (gemeinsame) Handlungsoptionen.

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Anhang

Richtlinien der Transkription:  (3) nein nein »nee« . ; ? , viellei– oh=nee nei::n (doch) () ((stöhnt)) @nein@ @(.)@ @(3)@

Beginn einer Überlappung; Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert; betont; laut (in Relation zur üblichen Lautstärke); sehr leise; stark sinkende Intonation; schwach sinkende Intonation; stark steigende Intonation; schwach steigende Intonation; Abbruch eines Wortes; Wortschleifung; Dehnung, die Häufigkeit von: entspricht der Länge der Dehnung; Unsicherheit bei der Transkription; unverständliche Äußerung; Kommentar; lachend gesprochen; kurzes Auflachen; 3 Sek. Lachen;

Kultur und soziale Praxis Gabriele Cappai, Shingo Shimada, Jürgen Straub (Hg.) Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns Juni 2010, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-793-6

Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold (Hg.) Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität September 2010, ca. 146 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1375-9

Özkan Ezli (Hg.) Kultur als Ereignis Fatih Akins Film »Auf der anderen Seite« als transkulturelle Narration Oktober 2010, ca. 150 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1386-5

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Anne Broden, Paul Mecheril (Hg.) Rassismus bildet Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft

Politiques, Sociétés, Espaces IPSE – Identités (Hg.) Doing Identity in Luxemburg Subjektive Aneignungen – institutionelle Zuschreibungen – sozio-kulturelle Milieus

Mai 2010, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1456-5

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Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo

Juli 2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1448-0

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