Fremde vor Ort: Selbstbild und regionale Identität in Integrationsprozessen. Eine Studie im Hunsrück [1. Aufl.] 9783839413951

Globale Prozesse haben die Region um den Flugplatz Hahn im Hunsrück gravierend verändert. Mit dem Abzug der amerikanisch

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Fremde vor Ort: Selbstbild und regionale Identität in Integrationsprozessen. Eine Studie im Hunsrück [1. Aufl.]
 9783839413951

Table of contents :
Inhalt
Dank
1. Einleitung – Fremde auf dem Hunsrück
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung
1.2 Methoden und Vorgehen vor Ort
1.2.1 Zum Vorgehen und zur Kontaktaufnahme vor Ort
1.2.2 Zu den Interviews
1.2.3 Erzählstrategien
1.3 Zur Gliederung der Arbeit
2. Fremdheit und Ort – theoretische Rahmenbedingungen und Forschungsstand
2.1 Fremdheit und Fremde
2.1.1 Grade der Fremdheit
2.1.2 Eigen und Fremd
2.1.3 Identität und Alterität
2.1.4 Amerikanisierung und Amerikabild in Deutschland
2.2 Zum Verhältnis von Raum und Ort
2.2.1 Raumkonzepte der Vergangenheit
2.2.2 Dorf und Gemeinde
2.2.3 „Glokale Orte“
2.3 Studien zum Umgang mit Fremdheit an einem Ort
2.3.1 Rückblick: Dorf- und Gemeindeforschung
2.3.2 Dorf- und Gemeindestudien in Rheinland-Pfalz
2.3.3 Flüchtlingsstudien
2.3.4 „Neue Siedlungen“
2.3.5 Gastarbeiter und Ethnisierung
2.3.6 Etablierte/Außenseiter
2.3.7 Fremde im Dorf
2.4 Leitfragen der Analyse
3. Vor Ort
3.1 Region und Regionalisierung
3.1.1 Der Hunsrück
3.1.2 Sohren und Büchenbeuren
3.1.3 Der Flugplatz Hahn
3.2 Ortsbilder
3.2.1 Hunsrück und Hunsrücker
3.2.2 Selbstbilder und Selbstverständnis
3.2.3 Sohren im Internet
3.2.4 Die Verteidigung der Region
3.2.5 Zum Begriff Heimat und „Heimat“ als Film
3.3 Zuzug Russlanddeutscher und Veränderungen vor Ort
3.3.1 Auf der Straße
3.3.2 Präsenz vor Ort
3.3.3 Unsicherheiten
3.3.4 Öffentliche Neubauten: Jugendzentrum
3.3.5 Private Neubauten
3.3.6 „Echte Nachbarschaft“
3.3.7 Die Ortsveränderungen in der Darstellung der Medien
3.4 Fazit: Vor Ort
4. Einheimische und Fremde
4.1 Erinnerungen: Amerikaner
4.1.1 „Amis“
4.1.2 Soldaten
4.1.3 „Weiße und Schwarze“
4.1.4 „Reich, modern und mobil“
4.1.5 Das Militär und der professionelle Umgang mit Fremdheit
4.1.6 Beziehungen
4.1.7 Abzug
4.2 Gegenwart: Russlanddeutsche Aussiedler
4.2.1 Vorstellung vom Osten: „Russen“ und Russlanddeutsche
4.2.2 Aussiedler
4.2.3 Arbeit und Sozialleistungen – Anspruch, Neid und Betrug
4.2.4 „Deutsche Tugenden und Werte“
4.2.5 „Integrationsverweigerer“
4.2.6 Zwischenfazit: Wahrnehmungen und Zuschreibungen
4.3 Direkte Vergleiche und Typisierungen
4.3.1 Aussehen
4.3.2 Sprache, Kommunikation und Beziehungen
4.3.3 Essen und Trinken
4.3.4 Hygiene
4.3.5 Wohnen
4.3.6 Typisierungen: Amerikaner und Russlanddeutsche
4.3.7 Zwischenfazit: Direkte Vergleiche und Typisierungen
4.4 Wahrnehmung und Imagination: Zur Darstellung der Fremden in den Medien
4.4.1 Die Russlanddeutschen auf dem Hunsrück
4.4.2 Der Einfluss der Medien auf den Umgang mit Fremdheit
4.5 Exkurs – Erinnerungen und Sichtweisen der Amerikaner
4.6 Exkurs – Zur Perspektive der Russlanddeutschen
4.7 Fazit: Einheimische und Fremde
5. Fazit und Ausblick
5.1 Glokalisierung und Fremdheit
5.2 Ortsbezüge – der Flugplatz Hahn als Erinnerungsort
5.3 Ausblick
6. Anhang
6.1 Literaturverzeichnis
6.1.1 Monographien, Sammelbände, Aufsätze
6.1.2 Zeitungs- und Magazinartikel
6.1.3 Filme und Fernsehbeiträge
6.1.4 Internetseiten
6.1.5 Sonstige Quellen
6.2 Die Interviewpartner
6.3 Sohren auf Kartendarstellungen 1967 – 2000

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Sabine Zinn-Thomas Fremde vor Ort

2010-02-05 13-02-03 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b8233159752394|(S.

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Sabine Zinn-Thomas (PD Dr. phil.) ist Assistentin an der Universität Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Migration/Fremdheit/Region sowie Körper/Medizin/Sexualität/Gender.

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Sabine Zinn-Thomas

Fremde vor Ort Selbstbild und regionale Identität in Integrationsprozessen. Eine Studie im Hunsrück

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Sabine Zinn-Thomas und Heidi Hajosch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1395-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt

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1. Einleitung – Fremde auf dem Hunsrück 1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung 1.2 Methoden und Vorgehen vor Ort 1.2.1 Zum Vorgehen und zur Kontaktaufnahme vor Ort 1.2.2 Zu den Interviews 1.2.3 Erzählstrategien 1.3 Zur Gliederung der Arbeit

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2. Fremdheit und Ort – theoretische Rahmenbedingungen und Forschungsstand 2.1 Fremdheit und Fremde 2.1.1 Grade der Fremdheit 2.1.2 Eigen und Fremd 2.1.3 Identität und Alterität 2.1.4 Amerikanisierung und Amerikabild in Deutschland 2.2 Zum Verhältnis von Raum und Ort 2.2.1 Raumkonzepte der Vergangenheit 2.2.2 Dorf und Gemeinde 2.2.3 „Glokale Orte“ 2.3 Studien zum Umgang mit Fremdheit an einem Ort 2.3.1 Rückblick: Dorf- und Gemeindeforschung 2.3.2 Dorf- und Gemeindestudien in Rheinland-Pfalz 2.3.3 Flüchtlingsstudien 2.3.4 „Neue Siedlungen“ 2.3.5 Gastarbeiter und Ethnisierung 2.3.6 Etablierte/Außenseiter 2.3.7 Fremde im Dorf 2.4 Leitfragen der Analyse

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3. Vor Ort 3.1 Region und Regionalisierung 3.1.1 Der Hunsrück 3.1.2 Sohren und Büchenbeuren 3.1.3 Der Flugplatz Hahn 3.2 Ortsbilder 3.2.1 Hunsrück und Hunsrücker 3.2.2 Selbstbilder und Selbstverständnis 3.2.3 Sohren im Internet 3.2.4 Die Verteidigung der Region 3.2.5 Zum Begriff Heimat und „Heimat“ als Film 3.3 Zuzug Russlanddeutscher und Veränderungen vor Ort 3.3.1 Auf der Straße 3.3.2 Präsenz vor Ort 3.3.3 Unsicherheiten 3.3.4 Öffentliche Neubauten: Jugendzentrum 3.3.5 Private Neubauten 3.3.6 „Echte Nachbarschaft“ 3.3.7 Die Ortsveränderungen in der Darstellung der Medien 3.4 Fazit: Vor Ort

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4. Einheimische und Fremde 4.1 Erinnerungen: Amerikaner 4.1.1 „Amis“ 4.1.2 Soldaten 4.1.3 „Weiße und Schwarze“ 4.1.4 „Reich, modern und mobil“ 4.1.5 Das Militär und der professionelle Umgang mit Fremdheit 4.1.6 Beziehungen 4.1.7 Abzug 4.2 Gegenwart: Russlanddeutsche Aussiedler 4.2.1 Vorstellung vom Osten: „Russen“ und Russlanddeutsche 4.2.2 Aussiedler 4.2.3 Arbeit und Sozialleistungen – Anspruch, Neid und Betrug 4.2.4 „Deutsche Tugenden und Werte“ 4.2.5 „Integrationsverweigerer“ 4.2.6 Zwischenfazit: Wahrnehmungen und Zuschreibungen 4.3 Direkte Vergleiche und Typisierungen 4.3.1 Aussehen 4.3.2 Sprache, Kommunikation und Beziehungen 4.3.3 Essen und Trinken

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4.3.4 Hygiene 4.3.5 Wohnen 4.3.6 Typisierungen: Amerikaner und Russlanddeutsche 4.3.7 Zwischenfazit: Direkte Vergleiche und Typisierungen 4.4 Wahrnehmung und Imagination: Zur Darstellung der Fremden in den Medien 4.4.1 Die Russlanddeutschen auf dem Hunsrück 4.4.2 Der Einfluss der Medien auf den Umgang mit Fremdheit 4.5 Exkurs – Erinnerungen und Sichtweisen der Amerikaner 4.6 Exkurs – Zur Perspektive der Russlanddeutschen 4.7 Fazit: Einheimische und Fremde

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5. Fazit und Ausblick 5.1 Glokalisierung und Fremdheit 5.2 Ortsbezüge – der Flugplatz Hahn als Erinnerungsort 5.3 Ausblick

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6. Anhang 6.1 Literaturverzeichnis 6.1.1 Monographien, Sammelbände, Aufsätze 6.1.2 Zeitungs- und Magazinartikel 6.1.3 Filme und Fernsehbeiträge 6.1.4 Internetseiten 6.1.5 Sonstige Quellen 6.2 Die Interviewpartner 6.3 Sohren auf Kartendarstellungen 1967 – 2000

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Da nk Eine langjährige Forschungsarbeit zu beenden ist mit vielen Gefühlen verbunden – allen voran dem Gefühl der Dankbarkeit. Vorbereitung, Durchführung und Abschluss dieser Arbeit waren nur möglich, weil mich viele Menschen hierbei unterstützt haben, bei denen ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Zuallererst gilt mein Dank Prof. Dr. Max Matter, der mich mit den Themen Fremdheit, Migration sowie Gemeinde und Region vertraut gemacht und ermuntert hat, mich mit diesen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu beschäftigen. Er hat mein Forschungsvorhaben wissenschaftlich begleitet, ihm verdanke ich viele Denkanstöße, Literaturhinweise und kritische Diskussionen sowie den nötigen Freiraum, um die Materialerhebungen vor Ort durchzuführen. Besonderer Dank gilt auch all jenen, die maßgeblich „vor Ort“ zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben, an erster Stelle meinen zahlreichen Interviewpartnerinnen und -partnern. Hervorheben möchte ich Marianne und Gerd Frenzel mit ihrer Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit und den vielfältigen Kontakten, die sie mir vor Ort ermöglichten, ebenso wie Thorsten Frenzel, Stefan Thomas und Anne Mc Kinney. Zu nennen sind aber auch Vertreter des öffentlichen Lebens, die mir bei den Interviews, der Kontaktaufnahme mit weiteren Gesprächspartnerinnen und -partnern sowie mit wertvollen Informationen maßgeblich geholfen haben wie der ehemalige und amtierende Bürgermeister von Sohren, Herr Heinz Michel und Herr Klaus Gewehr sowie Herr Erich Bremm, als ehemaliger Bürgermeister von Büchenbeuren. Dies gilt auch für Dr. Fritz Schellack vom Hunsrück-Museum Simmern und Gustav Schellack vom Hunsrücker Geschichtsverein. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Werner Busch und Lydia Stier vom Verein Begegnungshaus e.V. in Büchenbeuren für ihr großes persönliches Engagement. Durch sie erhielt ich vielfältige Kontakte und Zugang ins-

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FREMDE VOR ORT

besondere zu den zugezogenen russlanddeutschen Neubürgern, die mir einen tiefen Einblick in ihr Alltagsleben ermöglichten. Dank gebührt auch Volkmar Vogt vom Archiv für Soziale Bewegungen und den Mitarbeitern des Kreisarchivs Simmern. Die Erstellung der Arbeit wurde von Seminaren, Kolloquien und Exkursionen, durchgeführt an den Universitäten Freiburg und Basel sowie der Shanghaier Tongji-Universität, zudem durch Vorträge auf Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsethnologie (AEEG) e.V. (Tutzing), des Zentrums für Deutschland- und Europastudien (ZDES) (Bielefeld) und auf Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (Jena, Mainz) begleitet. Für Diskussionen und Anregungen möchte ich mich besonders bedanken bei Herrn Jörg Giray M.A. Daran anknüpfend möchte ich mich ebenso ausdrücklich bedanken bei jenen Freunden und Kollegen, die mir bei der Literaturrecherche und -beschaffung, weiteren Diskussionen sowie beim Korrekturlesen geholfen haben: Christina Fischer M.A., Ben Gehring M.A., Stefan Peetz M.A. sowie Daniele Frija M.A. Heidi Hajosch M.A. sei besonders gedankt für ihre Sorgfalt und Geduld bei der Drucklegung dieser Arbeit. Für Fragen und Anregungen von kollegialer Seite gebührt mein Dank Herrn Dr. Hans-Werner Retterath und Nadine Bartels M.A. Ich möchte die vorliegende Arbeit dem Andenken an Bill R. Shea (3.2.1928-23.1.2004) widmen.

Freiburg/Brsg. im Januar 2010

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Sabine Zinn-Thomas

1 . Einleitung – Fre mde a uf de m Hunsrück Als ich das erste Mal Ende der 1980er Jahre auf den Hunsrück kam, um dort Freunde zu besuchen, waren auf der Airbase Hahn noch Amerikaner stationiert. Viele Soldaten lebten in den umliegenden Gemeinden und man begegnete ihnen oftmals in Geschäften, Restaurants und Kneipen. Damals wurden mir immer wieder Geschichten vom Zusammenleben mit den Amerikanern – oder den „Amis“, wie sie meist von den Einheimischen genannt wurden – erzählt und – soweit es die Zutrittsmöglichkeiten zuließen – auch die amerikanischen Einrichtungen am Flugplatz Hahn und die Wohngebiete der Amerikaner gezeigt. Zu dieser Zeit gab es noch keine Anzeichen dafür, dass nur wenige Jahre später ein für die Region dramatischer Wandel anstehen würde – nämlich der Abzug der Amerikaner verbunden mit der Schließung des Flugplatzes Hahn und der fast zeitgleiche Zuzug einer großen Zahl russlanddeutscher Aussiedler in die freistehenden Häuser und Wohnungen. Dieser gewaltige demographische, wirtschaftliche und kulturelle Umbruch in der Region um den Flugplatz Hahn war ein wesentlicher Grund, mich auch wissenschaftlich mit dieser Region auseinanderzusetzen und das Zusammenleben mit diesen neuen Fremden im Dorf näher zu untersuchen.1 Ich war gespannt zu sehen und zu hören, wie die Einheimischen mit den Russlanddeutschen umgingen, wie sie das Zusammenleben erlebten und was sie darüber erzählten – gerade vor dem Hintergrund, dass zuvor das Alltagsleben der Einheimischen maßgeblich durch die Präsenz der Amerikaner bestimmt worden war. Vor allem interessierte ich mich für jene Prozesse, die in der Literatur mit Glokalisierung umschrieben werden, das heißt für die Auswirkungen globaler

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Zur Vorbereitung habe ich 1998 an einer Studien-Reise der Otto Benecke Stiftung e.V. teilgenommen, bei der die deutschen Rayons in Sibirien bei Halbstadt im Altay-Gebiet am Rande der Kulunda Steppe besucht wurden. Dort lernte ich das Alltagsleben der Menschen vor Ort, vor allem das der verbliebenen Russlanddeutschen, kennen. 11

FREMDE VOR ORT

Prozesse im Lokalen.2 Zentral war für mich hierbei die Frage, ob der Zuzug der Russlanddeutschen zu einer aktiven und kreativen Bearbeitung globaler Einflüsse in Form vielfältiger Verknüpfungen von lokal und global bzw. zu kulturellen Vermischungen etwa im Sinne von Transnationalismus und Hybridität geführt hat. Dies hat auch die Frage aufgeworfen, ob es zu einer ausgeprägten oder gar neuen Regionalisierung und einer Bezugnahme auf die Region im Sinne von Heimat gekommen ist, die mit dem Bedürfnis korrespondiert, in einer als unübersichtlich erfahrenen Welt Erkennbarkeit und Identität zu schaffen.

1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen Geographisch gesehen wird mit Hunsrück das Gebirgsland zwischen Rhein, Mosel, Saar und dem Abfall zum Nahebergland beschrieben. Im umgangssprachlichen Gebrauch bezieht sich die Bezeichnung Hunsrück jedoch vor allem auf die Hochfläche zwischen Rhein, Mosel, Soonwald und Idarwald.3 Der Hunsrück zählt zu den deutschen Mittelgebirgslandschaften, die Wilhelm Heinrich Riehl 1861 „das Land der armen Leute“4 nannte, und über die es im Volksmund heißt, hier herrsche das halbe Jahr Winter und das andere halbe Jahr über sei es kalt. Die Landschaft ist geprägt von Wald, Wiesen und wenig Ackerbau, denn für eine intensive Agrarnutzung ist der Boden nicht fruchtbar genug. Die meisten Einwohner leben in Dörfern mit einer Einwohnerzahl zwischen 300 und 3000. Die Landwirtschaft reichte schon in der Vergangenheit nicht zur Erhaltung einer Familie aus, so dass die Bauern in vielen Fällen gezwungen waren, sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten (Holzwald, Industriebetriebe) umzuschauen. Obwohl es viele billige Arbeitskräfte gab, fand ein größerer industrieller Ausbau des Hunsrücks nicht statt. Die Region gilt somit als strukturschwach, auch wenn einige Betriebe der Holz- und Papierindustrie hier angesiedelt sind, deren Boomzeit jedoch schon ein paar Jahre zurück liegt. Die Einheimischen orientieren sich in ihrer Freizeit meistens zur Mosel oder zum Rhein hin. Dort gilt der Hunsrück eher als unwirtliche Gegend, die nicht zum Verweilen einlädt. Globale Prozesse, die zum Zuzug der Fremden führten, waren Auslöser sowohl des sozialen Wandels wie auch der Veränderungen des Alltagslebens in den Dörfern und Gemeinden auf dem Hunsrück. Von daher bestimmten in 2

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Siehe hierzu Roland Robertson: Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Ulrich Beck (Hrsg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main 1998, S. 192-220. Vgl. Helmut Hahn: Der Einfluss der Konfessionen auf die Bevölkerungs- und Sozialgeographie des Hunsrücks. Bonn 1950, S. 11. Wilhelm Heinrich Riehl: Land und Leute. Stuttgart 1861, S. 231.

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

dieser Region bereits in den 1950er Jahren Glokalisierungsprozesse das Leben vor Ort. Dazu zählte vor allem der Bau des Flugplatzes Hahn Anfang der 1950er Jahre und die dort stationierten amerikanischen Soldaten. Sie prägten bis zu ihrem Abzug Anfang der 1990er Jahre das Leben auf dem Hunsrück. Sie wurden abgelöst durch eine andere Gruppe Fremder: die Russlanddeutschen.5 Besonders betroffen von diesem Wandel waren die unmittelbar an den Flugplatz Hahn angrenzenden Gemeinden, vor allem die Dörfer Sohren und Büchenbeuren, die zur Verbandsgemeinde Kirchberg im Rhein-HunsrückKreis gehören. Hatte sich während der Stationierung der Amerikaner die Einwohnerzahl in Sohren und Büchenbeuren mehr als verdoppelt, kam es nach dem Abzug der Amerikaner und dem Zuzug der Russlanddeutschen erneut zu einem Bevölkerungsanstieg, der jedoch statistisch nicht als Ausländerzuzug ausgewiesen wurde.6 Sohren und Büchenbeuren wiesen die höchsten Zuzugszahlen von Russlanddeutschen im Rhein-Hunsrück-Kreis auf (siehe hierzu in Kapitel 3.1 die Darstellung der Einwohnerentwicklung). Das Besondere an der Situation vor Ort zu Beginn des Untersuchungszeitraums (1998) war, dass hier nicht nur eine Bevölkerungsgruppe nahezu komplett durch eine andere ersetzt, eine Gruppe Fremder durch eine andere scheinbar ausgetauscht worden war – „Für jeden Ami ein Russe“, hieß es damals im „Spiegel“7 – sondern es außerdem zu einem Zahlenverhältnis zwischen Einheimischen und Fremden gekommen war, bei dem sich zwei annähernd gleich große Bevölkerungsgruppen gegenüberstanden. Von einem Aufgehen der Gruppe der Zugezogenen in die Gruppe der Einheimischen konnte also keine Rede sein. Zudem spielte die Tatsache eine wichtige Rolle, dass es sich um einen zeitnahen Wechsel von einer Gruppe Fremder zur nächsten handelte, weil dadurch die Erinnerungen an die „alten Fremden“ im Zusammenleben mit den „neuen Fremden“ relativ präsent waren. Des Weiteren unterschieden sich beide Gruppen deutlich voneinander aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen – erstens wegen ihrer unterschiedlichen „Blockzugehörigkeiten“ im „Kalten Krieg“ und zweitens wegen Ursache und Dauer ihres Aufenthalts vor Ort: • Die vor Ort stationierten Amerikaner waren zunächst Besatzer, dann Bündnispartner im Rahmen der NATO und repräsentierten nicht nur das 5

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Die Bezeichnung „Russlanddeutsche“ hat sich inzwischen eingebürgert. Mitglieder von Landsmannschaften deutschstämmiger Aussiedlerinnen und Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion verwenden selbst diese Bezeichnung, so dass hier im Folgenden die Bezeichnung „Russlanddeutsche“ oder „russlanddeutsche Aussiedler“ oder einfach nur „Aussiedler“ verwendet wird. Siehe hierzu das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, in dem unter § 4 (Spät-)Aussiedler als Deutsche definiert werden sowie § 6, der die Volkszugehörigkeit bestimmt. „Für jeden Ami ein Russe.“ In: Der Spiegel 4/1994, S. 45-50, hier S. 45. 13

FREMDE VOR ORT



westliche Blockbündnis bzw. den Westen, sie galten für viele Einheimische auch als Freunde. Sie sollten zur Zeit des „Kalten Kriegs“ Westdeutschland vor einem Feind aus dem Osten, d.h. vor Russland bzw. der ehemaligen Sowjetunion, schützen. Demgegenüber wurden die Russlanddeutschen von vielen (ungeachtet ihrer Herkunft und Geschichte) unter Rückgriff auf stereotypisierende Vereinfachungen und Verkürzungen mit dem früheren Ostblock assoziiert, der wiederum für Gefahr und Feindschaft stand. Der Zuzug der Amerikaner war militärisch bedingt und der Aufenthalt jedes einzelnen Soldaten vor Ort von vornherein zeitlich begrenzt; sie waren im Sinne Georg Simmels „Gäste“ auf Zeit. Die Russlanddeutschen hingegen kamen (scheinbar) freiwillig, ihr Zuzug galt aufgrund ihrer deutschen Herkunft als Rückkehr. Sie waren nach Simmel jene Fremden, die heute kommen und morgen bleiben.8

Besonders die Tatsache, dass es sich bei Sohren und Büchenbeuren um begrenzte Örtlichkeiten mit einer relativ kleinen Einwohnerzahl handelte, gab damit eine Perspektive vor, bei der sich zeigen würde, wie „Weltpolitik Dorfgeschichte schrieb“9, das heißt wie sich soziale und politische Makroprozesse in lokalen, partikulären Welten manifestieren.10 Diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen gilt es in der vorliegenden Analyse zu berücksichtigen. Bereits zu Beginn der Recherchen zeichnete sich ab, dass der Zeithorizont maßgeblich die Fremdheitserfahrungen bedingte. Denn das Zusammenleben der Einheimischen mit den Russlanddeutschen findet vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Erinnerungen an das Zusammenleben mit den Amerikanern statt. Die Gegenwart, also das Zusammenleben mit den Russlanddeutschen, prägte somit das Erzählen der Einheimischen über ihre Vergangenheit bzw. über die Amerikaner.

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Vgl. Georg Simmel: Exkurs über den Fremden. In: Ders.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Frankfurt am Main 1999, S. 764-771 (Erstauflage 1908). 9 Tatjana Wagner: Wo die Weltpolitik Dorfgeschichte schrieb. Beobachtungen rund um den ehemaligen NATO-Flugplatz „Hahn“ im Hunsrück. SWR 2 Der Samstagabend aus dem Land Rheinland-Pfalz. Sendung vom 17.11.2001. Redaktion Franziska Kottmann. 10 Peter Niedermüller: Sozialer Wandel und kulturelle Repräsentation. Skizzen zu ethnologischer Transformationsforschung. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 98 (2002), S. 271-285, hier S. 276. Niedermüller verweist in diesem Zusammenhang auf die von Georg Marcus entwickelte Theorie multilokaler Ethnografien. Diese beschränkt lokale Forschungen nicht auf einen sozialen Ort, sondern berücksichtigt die wechselseitigen Verhältnisse und Beziehungen zwischen den einzelnen Lebenswelten und den umfassenden sozialhistorischen bzw. politischen Kontexten. 14

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

Die Tatsache, dass die Russlanddeutschen gekommen waren, um vor Ort zu bleiben, forderte die Einheimischen – im Gegensatz zum früheren Zusammenleben mit den Amerikanern – stärker heraus, sich ihrem Selbstverständnis, vor allem ihrer kulturellen und regionalen Identität, zu versichern: als Einheimische und als Hunsrücker. Dabei spielt der Ort eine wichtige Rolle, besonders vor dem Hintergrund, dass es sich hier um eine strukturschwache ländliche Region handelt, bei der dem (Wohn-)Ort bzw. der „Heimat“ ein anderer Stellenwert für das Selbstverständnis der Einheimischen unterstellt werden kann als etwa in urbanen Regionen.11 Auch aus diesem Grund schien gerade die Perspektive der Einheimischen als vielversprechend, zumal diese bislang in Studien über das Zusammenleben mit Fremden eher vernachlässigt worden war. Im Mittelpunkt der einschlägigen Literatur standen vielmehr die Zugewanderten selbst und ihre Integration; die Rolle der Einheimischen an diesen Eingliederungsprozessen fand meistens kaum Beachtung. Der Fokus der Arbeit liegt somit auf den Einheimischen: Wie kamen sie mit den Veränderungen in den Dörfern und in der Region zurecht? Was hieß es für den Einzelnen wie auch für die Gruppe der Einheimischen, wenn scheinbar „angestammte“ Orte bzw. „die Heimat“ immer mehr auch zum Zuhause von „Anderen“ werden, die einen Anspruch auf Zugehörigkeit artikulieren? Welche Auswirkungen hatte dies alles auf das Zusammenleben miteinander, auf Konstruktionen der eigenen Identität und auf den Umgang mit Fremden und Fremdheit generell? Und letztlich: Was lässt sich daraus für das Verhältnis von Globalem zu Lokalem ableiten? Kommt es zu Abschottungen vor (kultureller) Globalisierung oder zu einer aktiven und kreativen Bearbeitung globaler Einflüsse vor Ort? Antworten auf diese Fragen versucht die vorliegende Arbeit zu finden. Sie soll damit auch einen Beitrag leisten, Verhaltensweisen von Einheimischen im Zusammenleben mit Fremden vor dem Hintergrund globaler Prozesse und deren Auswirkungen im Lokalen (gerade in strukturschwachen Regionen) breiteren Kreisen, insbesondere aber auch Planern und Politikern, verständlich zu machen. Damit eröffnet sie die Möglichkeit, Deutungen und Interpretationen zur Diskussion zu stellen und dadurch Forschungsergebnisse rückfließen zu lassen zu denjenigen, die sie unmittelbar betreffen bzw. daran beteiligt sind. Diese Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde Ende der 1960er Jahre im Fach ausführlich diskutiert und fand schließlich in der „Fal-

11 Siehe hierzu Hermann Bausinger: Dorf und Stadt – ein traditioneller Gegensatz. In: Hans-Georg Wehling (Hrsg.): Dorfpolitik. Fachwissenschaftliche Analysen und didaktische Hilfen. Opladen 1978, S. 18-30; Herbert Schwedt: Auf dem Land leben. Die vier unterschiedlichen Bedeutungen von „Land“ heute. In: Wehling: Dorfpolitik (wie Anm. 11, S. 15), S. 31-37. 15

FREMDE VOR ORT

kensteiner Formel“12 insofern ihren Niederschlag, dass es fortan als Ziel galt, an der Lösung sozio-kulturaler Probleme mitzuwirken. Dem fühlt sich auch diese Arbeit verpflichtet.

1 . 2 M e t h o d e n u n d V o r g e h e n vo r O r t Glokalisierungsprozesse vor Ort manifestieren sich vor allem im Zusammenleben von Einheimischen mit Fremden. Daher sind Einheimische und ihr Verhältnis zu Fremden Ausgangspunkt und Ziel der Materialerhebungen. Das methodische Vorgehen der Untersuchung erfolgte auf der Basis qualitativer Erhebungs- und Analyseverfahren. Die qualitativen Interviews sind somit das Kernstück der empirischen Materialgrundlage und der weiterführenden Analyse. Zum Selbstverständnis der Volkskunde/Europäischen Ethnologie, die sich als historisch argumentierende, gegenwartsbezogene Kulturwissenschaft versteht, zählt es, methodische Verfahren zu favorisieren, die sich durch eine besondere Nähe zu den Forschungssubjekten auszeichnen. Gerade hier liegen die Stärken qualitativer Forschungsansätze. „Sie arbeiten situativ (das Thema im Raum und innerhalb sozialer Beziehungen verortend), kontextuell (multiperspektivisch) sowie prozessual (es in der Zeit situierend). Ihre Methoden sind Systematisierungen von Alltagstechniken wie z.B. Beobachtung und Gesprächsführung.“13 Mit Hilfe qualitativer Interviews wurde Material eigenständig erhoben, bei dem das Subjekt im Mittelpunkt stand, um dieses, also Einheimische und Fremde vor Ort, zu Wort kommen zu lassen. Die Vorgehensweise beim Prozess der Materialerhebung orientierte sich dabei an der „grounded theory“. Hierbei werden theoretische Konzepte, Konstrukte und Hypothesen während der Datensammlung entwickelt, verfeinert und transparent gestaltet.14 Vorab ist anzumerken, dass hier zwar Sohren und Büchenbeuren exemplarisch herausgegriffen und anhand von Daten- und Quellenmaterial als kon12 Die Falkensteiner Formel bezieht sich auf folgende Aussage: „Volkskunde analysiert die Vermittlung (die sie bedingenden Ursachen und die sie begleitenden Prozesse) von kulturalen Werten in Objektivationen (Güter und Normen) und Subjektivationen (Attitüden und Meinungen). Ziel ist es, an der Lösung soziokultureller Probleme mitzuwirken.“ Wolfgang Brückner (Hrsg.): Falkensteiner Protokolle. Frankfurt am Main 1971, S. 303. 13 Brigitta Schmidt-Lauber: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des RedenLassens. In: Silke Göttsch und Albrecht Lehmann (Hrsg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S. 165-186, hier S. 165. 14 Vgl. Philipp Mayring: Einführung in die Qualitative Sozialforschung. Eine Einleitung zu qualitativem Denken. Weinheim und Basel 2002, S. 104f. 16

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

krete Orte vorgestellt werden. Sie gelten jedoch im Gegensatz zu früheren Dorf- und Gemeindestudien nicht primär als Untersuchungseinheiten und wurden somit auch nicht selber zum Gegenstand der Untersuchung. Denn, so Clifford Geertz, „wir untersuchen heute nicht Dörfer, Städte oder Regionen, sondern in Dörfern, Städten oder Regionen“15. Vielmehr sollen „die wechselseitigen Verhältnisse und Beziehungen zwischen den einzelnen Lebenswelten und den umfassenden sozialhistorischen bzw. politischen Kontexten in den Mittelpunkt der Forschung“ gestellt werden, wie sie mit dem Begriff der „multisited ethnography“ von George Marcus beschrieben wurde.16 Sohren und Büchenbeuren sind daher als paradigmatische Orte anzusehen, da sie sich vor allem aufgrund bestimmter Kriterien für eine Untersuchung des Umgangs mit Fremdheit angeboten haben.17

1.2.1 Zum Vorgehen und zur Kontaktaufnahme vor Ort Der Zugang zum Forschungsfeld sollte verschiedene Perspektiven berücksichtigen und über unterschiedliche methodische Herangehensweisen erfolgen. Geplant war in einem ersten Schritt eine Annäherung an Ort und Region über eine Außensicht, d.h. über die Analyse von Primär- und Sekundärliteratur. In einem zweiten Schritt sollten Ansichten und Meinungen der Protagonisten vor Ort, vermittelt in Interviews, Gesprächen und teilnehmender Beobachtung, eine Innensicht präsentieren. Tatsächlich vermischten sich die Herangehensweisen, d.h. die Recherche in den Archiven (v.a. im Gemeindearchiv Kirchberg und im Kreisarchiv Simmern) und die Analyse der Quellenund Sekundärliteratur mit der teilnehmenden Beobachtung und den Inter-

15 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1987, S. 32. 16 Niedermüller: Sozialer Wandel (wie Anm. 10, S. 14), S. 271-285, hier S. 276f. Siehe hierzu George Marcus: Contemporary Problems of Ethnography in the Modern World System. In: James Clifford und George Marcus (Hrsg.): Writing Cultures. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley 1986, S. 165-193; George Marcus: Ethnography in/of the World System. The Emergence of MultiSited Ethnography. In: Annual Review of Anthropology 24 (1995), S. 95-117. 17 In „Orte der Moderne“ verweisen Alexa Geisthövel und Habbó Knoch darauf, dass für sie mit diesen Orten weniger bestimmte Orte gemeint sind als vielmehr ein Typus verstanden wird, „der den dreidimensionalen Raum auf eine bestimmte, verallgemeinerbare Weise nach Außen und Innen räumlich ordnet und der mit raumspezifischen Funktionen und Erfahrungen verbunden ist“. Dadurch erhalte ein Stück Raum eigenen Sinn. Dies gilt auch ansatzweise für Orte, die mit Dorf bzw. Gemeinde bezeichnet werden, da sie durch ihre Anlage und durch die damit verbundenen Raumerfahrungen diese in eine eigene erlebte Welt verwandeln. Alexa Geisthövel und Habbó Knoch (Hrsg.): Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main und New York 2005, S. 9-14, hier S. 11. 17

FREMDE VOR ORT

views, wie auch die Betrachtungsebenen während der Aufenthalte vor Ort wechselten. Es waren regelmäßige Aufenthalte vor Ort geplant, bei denen neben teilnehmender Beobachtung qualitative Interviews mit sogenannten Experten (wie z.B. Bürgermeistern, Lehrern, Pfarrern, Sozialarbeitern), Einheimischen, Russlanddeutschen, Amerikanern und anderen Ausländern durchgeführt werden sollten. Gerade die Interviewpartner der Gruppe der Einheimischen sollte möglichst heterogen strukturiert sein, d.h. sich nicht nur aufgrund von Alter und Geschlecht, sondern auch aufgrund von Nähe oder Distanz zu den Fremden unterscheiden. Außerdem galt es, einheimische Interviewpartner zu finden, die sowohl über das Zusammenleben mit Russlanddeutschen berichten konnten sowie als „Zeitzeugen“ in der Lage waren, Auskunft über das Zusammenleben mit den Amerikanern zu geben. Ergänzend zur Perspektive der Einheimischen sollten zudem Amerikaner, Russlanddeutsche und andere Ausländer vor Ort befragt werden. Im Vorfeld der Durchführung von qualitativen Interviews ist es wichtig, die eigene Rolle innerhalb des Forschungsprozesses zu identifizieren und zu reflektieren, das heißt darüber nachzudenken, was es bedeutet, als Fremder mit Fremden über andere Fremde zu sprechen. Reflexionen über ein Gespräch mit Fremden und sogar über andere Fremde hängen auch mit dem Ort zusammen, da der „Feldforscher“, überall wo er auftaucht, von Berufs wegen ein Fremder ist.18 Dabei stellen seit jeher Dorf bzw. Gemeinde eine spezielle Herausforderung dar, besonders wenn es darum geht, vor Ort Kontakt zu finden. Was zunächst als „potentielle Ressource der Erkenntnisgewinnung“ zwingend notwendig erscheint – nämlich die Unvertrautheit19 – kann vor Ort

18 Mit „Feldforschung“ wird in der Regel ein längerer Forschungsaufenthalt nicht unter einem Jahr bezeichnet. Die Stärke dieser Forschungsmethode ist die dauernde Kopräsenz von Forschern und Erforschten, die dem Ethnografen das Mitvollziehen von Handeln und Erfahrungen in situ ermöglicht. Dieser Zugang ist jedoch zunehmend im Wandel begriffen und wird auch angesichts mangelnder finanzieller Förderung und aufgrund von Qualifizierungszwängen immer weniger zum Kriterium dessen, was als ethnografische Feldforschung gelten darf. Vgl. Gisela Welz: Ethnografien europäischer Modernen. In: Beate Binder u.a. (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper. Ethnografie Europäischer Modernen. 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Berlin vom 3.-5. Oktober 2003. Münster und New York 2005, S. 19-32, hier S. 25f. 19 Herfried Münkler und Bernd Ladwig: Dimensionen der Fremdheit. In: Dies. (Hrsg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit (= Studien und Materialien der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Die Herausforderung durch das Fremde“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften). Berlin 1997, S. 11-44, hier S. 35. 18

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

schlichtweg Angst auslösen, auch davor, vorwiegend mit so genannten Experten oder Außenseitern ins Gespräch zu kommen.20 Über die Verhältnisse in Büchenbeuren und Sohren war im Vorfeld der Studie bereits ausführlich in den Medien berichtet worden. Dadurch kam es häufig zu Anfragen von Journalisten nach Gesprächspartnern bei der Gemeindeverwaltung. Dort wurde mit der Zeit eine Liste mit Namen und Adressen von überwiegend Gemeinderatsmitgliedern zusammengestellt, die zu einem Gespräch bereit waren. Eine erste Kontaktaufnahme vor Ort erschien daher auch für die vorliegende Arbeit zunächst überaus einfach und vielversprechend. Nach den ersten Treffen zeigte sich jedoch bald, dass die Gesprächspartner (Einheimische wie Russlanddeutsche) bereits einige Interviewerfahrungen mit Journalisten gesammelt hatten, weswegen die Antworten entsprechend standardisiert und in ihrer Wirkung erprobt klangen. Zudem entstand der Eindruck, dass sie zu wissen glaubten, was man hören wollte. Das Gesagte erschien ausgewogen, „wasserdicht“, politisch korrekt und gab weder Anlass zur Kontroverse noch für Nachfragen. Dieser scheinbar „professionelle Umgang“ der Gemeinde mit Anfragen seitens der Medien, der vor allem dazu diente, ein möglichst positives Bild vom Umgang mit Fremdheit vor Ort zu evozieren, erwies sich auch insofern als hinderlich, als dass von vielen das Gefühl geäußert wurde, es sei doch bereits alles gesagt worden. Von daher gestaltete es sich nun doch als weitaus schwieriger, Gesprächspartner jenseits der üblichen Gesprächszirkel zu finden, um dem „Mainstream“ des bereits Bekannten entfliehen zu können. Denn dadurch, dass bereits von den Medien Eindrücke und Meinungen (meistens voller Sensationsgier) abgefragt und entsprechend aufbereitet worden waren, war die Neugier eher gering und das Misstrauen gegenüber „Fremden“, die Fragen stellten, entsprechend groß. Dies traf besonders dann zu, wenn das gesprochene Wort festgehalten, d.h. aufgezeichnet werden sollte, was einige ablehnten. Letztendlich gelang es mithilfe einzelner Personen des öffentlichen Lebens, die Empfehlungen abgegeben hatten und als „gatekeeper“ fungierten, Gesprächspartner zu finden. Nach dem Schneeballprinzip ergaben sich danach immer mehr Kontakte, die sich zunehmend persönlicher gestalteten und die Gelegenheit zur teilnehmenden Beobachtung boten. Hierzu gehörten bald auch Einladungen zum Kaffee, zum Essen oder zu besonderen Anlässen.21 20 Siehe hierzu Rolf Lindner: Die Angst des Forschers vor dem Feld. Überlegungen zur teilnehmenden Beobachtung als Interaktionsprozess. In: Zeitschrift für Volkskunde 77 (1981), S. 51-66; Bernd Jürgen Warneken und Andreas Wittel: Die neue Angst vor dem Feld. Ethnographisches research up am Beispiel der Unternehmensforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 93 (1997), S. 1-16. 21 Solche teilnehmenden Beobachtungen wurden in einem Forschungstagebuch festgehalten. 19

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Von daher fiel es zunehmend leichter, sich „im Forschungsakt ganz dem Fremden hinzugeben“, wie Max Matter es unter Bezugnahme auf Klaus-Peter Köpping formuliert hatte. Für ihn ist „Authentizität […] nur zu erreichen bei einer weitgehenden Bereitschaft, sich dem Fremden auch wirklich auszusetzen, die Fremden nicht nur aus der Distanz, sondern auch in ihrem Eigenen kennenzulernen“22. Diese Fremdheit zu nutzen, welche die Möglichkeit eröffnet, Dinge zu erkennen, die für die Untersuchten alltäglich, nichts Besonderes und ihnen eigen sind, nimmt jedoch bei längeren Forschungsaufenthalten immer mehr ab. Dadurch verändert sich auch das Vor- und Gegenstandsverständnis.23 Das heißt, zu Anfang ist Fremdheit ein Vorteil, weil Dinge anvertraut werden, über die mit Vertrauten nicht gesprochen wird, weil der Fremde wieder geht. Gerade in frühen Phasen eines Feldaufenthaltes nutzen oftmals diejenigen, die selber Außenseiter sind, die berufsbedingte Neugier des Forschers, um ihm Auskünfte über die Gesellschaft zu geben. Mit zunehmender Dauer des Aufenthalts und mit zunehmender Vertrautheit miteinander, wird es jedoch umso schwieriger für den Feldforscher, von sich als Person zu abstrahieren und nicht selber Position zu beziehen.24 So fühlten sich viele Einheimische anfangs durch das an ihnen bekundete Interesse wahr- und ernst genommen. Jedoch führte der Umstand, dass auch mit den Anderen d.h. mit den Russland22 Max Matter: Das Eigene und das Fremde – Gedanken zur Volkskunde als Europäische Ethnologie. In: Andreas Kuntz (Hrsg.): Lokale und biographische Erfahrungen. Studien zur Volkskunde „Gast am Gabelmann“. Münster 1995, S. 271284, hier S. 276. Vgl. Klaus-Peter Köpping: Authentizität in der Dialektik Selbst/Anderer. In: kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaft 1 (1990), S. 6-20, hier S. 18. Siehe auch Max Matter: Gedanken zur ethnologischen Gemeindeforschung und zu den dafür notwendigen Datenerhebungsverfahren. In: Cox, H. L.

(Hrsg.): Gemeinde – Region (= Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 22/2). Bonn 1978. S. 283-311. 23 Vgl. Mayring: Einführung (wie Anm. 14, S. 16), S. 30. 24 Wie problematisch dies werden kann illustriert das folgende Beispiel. Darin beschreibt Matter den unterschiedlichen Umgang von Einheimischen eines Schweizer Bergdorfs mit ihm und einem amerikanischen Kollegen, der zeitgleich dort forschte. Während bei ihm (als Schweizer Staatsbürger und Doktorand) versucht wurde, ihn auf die Regeln der eigenen Gruppe hin zu resozialisieren, wurde der amerikanische Kollege als „Ehrengast“ behandelt. „Er [der Kollege] war der Fremde, der heute kommt und morgen geht“, von ihm [Max Matter] wussten sie nicht, ob er nicht vielleicht doch bleiben würde. Von daher war das Interesse der Einheimischen an den Ergebnissen des amerikanischen Kollegen auch eher gering, was Matter u.a. darauf zurückführt, dass sie in einer fremden Sprache in einem fremden Land veröffentlicht wurden. Hingegen wurde ihm mit „brunnentrögeln“ [d.h. jemanden bis zur Bewusstlosigkeit kopfüber in den Brunnentrog zu tauchen] gedroht, wenn er Lügen über die Gemeinde verbreiten würde. „Meine Person wurde im Verlauf der Feldforschung nie mehr so grundlegend in Frage gestellt wie dort im Lötschental – dem scheinbar Nahen.“ Siehe hierzu: Matter: Das Eigene (wie Anm. 22, S. 20), S. 278f. 20

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deutschen gesprochen wurde, zu Distanzierung und zu der Unterstellung, einseitig für die Aussiedler Partei zu ergreifen. Konnten gerade zu Beginn der Kontaktaufnahme viele mit der Bezeichnung „Wissenschaftlerin“ oder „Forscherin“ wenig anfangen und verwechselten es häufig mit Tätigkeiten im Medienbereich, änderte sich dies dahingehend, dass immer öfter von der „Russenfreundin“ die Rede war. Dies hing u.a. mit der Teilnahme an der Beerdigung eines jungen Russlanddeutschen vor Ort zusammen, zu der neben dem Leiter des Begegnungshauses und Mitgliedern des Kirchenchores nur wenige Einheimische gekommen waren.25 Von daher verwundert es wenig, wenn die vielfältigen Beziehungen zwischen Forscher und Erforschten in der wissenschaftlichen Literatur einen breiten Raum einnehmen. Mit Verweis auf Pierre Bourdieu haben dies Berg und Fuchs anschaulich beschrieben: „Die Haltung des Wissenschaftlers, der soziale Praxis repräsentiert, gemahnt an einen Zuschauer, der, in letzter Instanz nicht unmittelbar betroffen und nicht wirklich nicht existentiell involviert, sondern‚ ‚ausgeschlossen‘ aus dem ‚realen Spiel der sozialen Praktiken‘, die sozialen Handlungen und Äußerungen der Anderen wie ein Schauspiel erlebt, dass sich vor seinen Augen zuträgt und das er aus einem theoretischen Verhältnis zur Welt heraus hermeneutisch auslegt, interpretiert. Sein Verhältnis zur Welt unterscheidet sich prinzipiell von dem eines wirklich Beteiligten.“26

Es geht letztendlich um Wechselbeziehungen zwischen dem, der sich verständlich machen und dem, der verstehen will. Dies gestaltet sich jedoch deshalb so schwierig, weil dazwischen die kommunikative Situation gesetzt ist. Von daher kann jemanden verstehen zu wollen nur heißen, „sich vielmehr ein Bild von ihm zu machen oder […] eine Beschreibung. […] Auch der Verstehende also ist schon bei der Wahrnehmung des Anderen konstruierend wirksam.“27 Auch aus diesem Grund wird immer ein Rest von Fremdheit bleiben, der durch keine noch so raffinierte Forschungstechnik zu erfassen sein wird. Dieses Fremde, so stellte Utz Jeggle einmal fast resignierend am Ende seiner 25 Üblicherweise nehmen auf dem Dorf an Beerdigungen Mitglieder aus jeder Familie Anteil. Siehe hierzu: Sabine Zinn-Thomas: Kulturelle Differenzen? Wahrnehmungs- und Identitätsstrategien im Zusammenleben mit russlanddeutschen Aussiedlern am Beispiel einer Hunsrücker Gemeinde. In: Daniele Franzke und Michael Schönhuth (Hrsg.): Der Einfluss soziokultureller Faktoren auf den Integrationsprozess von Spätaussiedlern. Saarbrücken 2003, S. 45-58, hier S. 48f. 26 Martin Fuchs und Eberhard Berg: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. In: Dies. (Hrsg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am Main 1999, S. 11-108, hier S. 33. 27 Alois Hahn: Die soziale Konstruktion des Fremden. In: Walter M. Sprondel (Hrsg.): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Frankfurt am Main 1994, S. 140-163, hier S. 144. 21

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Betrachtungen über die Auseinandersetzung in einem Dorf um ein jüdisches Mahnmal fest, macht „zugleich auch das Eigene dieser Leute“ aus.28

1.2.2 Zu den Interviews Die Materialerhebung begann im August 2000 und endete im März 2004. Im Sommersemester 2001 führte zudem eine studentische Projektgruppe mit neun Gesprächspartnern Interviews durch. Zu dieser Zeit lag der Abzug der Amerikaner schon fast zehn Jahre zurück und der Zuzug der Russlanddeutschen hatte bereits seinen Höhepunkt überschritten. Die Kontaktaufnahme mit potentiellen Gesprächspartnern erfolgte, wie bereits zuvor erwähnt, über so genannte gatekeeper. Dazu zählten Bürgermeister, Sozialarbeiter und Pfarrer. Daraus ergaben sich nach dem Schneeballprinzip weitere Kontakte. Insgesamt wurden mit 92 Gesprächspartnern halbstandardisierte Interviews durchgeführt, mit manchen mehrfach, davon 64 mit Einheimischen. Ergänzend zu den Einheimischen wurden verschiedene Gruppen von Fremden befragt: amerikanische Militärangehörige (7 Personen, zusätzlich 16 Befragungen per Internet), russlanddeutsche Aussiedler (17 Personen) und andere Ausländer (insgesamt vier aus Italien, Griechenland und der Türkei). Die Dauer der Interviews variierte zwischen 30 Minuten und drei Stunden, teilweise wurde mit manchen Gesprächspartnern mehrfach zu unterschiedlichen Zeitpunkten gesprochen. Die Gespräche fanden in der Regel in den Wohnungen der Interviewten statt, und ihnen ging fast immer ein Kontakttreffen voraus. Die Gesprächspartner gingen in den meisten Fällen bereits von sich aus auf die Fragestellungen ein, die im Vorfeld in einem Leitfaden formuliert worden waren. Insbesondere verwiesen sie immer wieder auf die Amerikaner als Relevanzgruppe, ohne dass diese zuvor von der Interviewerin ins Spiel gebracht worden war. Der im Vorfeld konzipierte Interviewleitfaden diente überwiegend der Gedächtnisstütze. Alle Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und anonymisiert. Hierbei wurden sprachliche Anpassungen insofern vorgenommen, als dass Satzstellung, Grammatik und offenkundige Fehler korrigiert wurden ohne jedoch die Eigenart der Aussage übermäßig zu verändern. Gegenstand der Inhaltsanalyse ist also die fixierte Kommunikation. Das Vorgehen erfolgt systematisch, regelgeleitet und theorieorientiert mit dem Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen. Dabei ging es u.a. darum,

28 Utz Jeggle: Das Fremde im Eigenen – Ansichten der Volkskunde. In: Andreas Kuntz und Beatrix Pfleiderer (Hrsg.): Fremdheit und Migration. Berlin und Hamburg 1987, S. 13-32, hier S. 30. 22

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

Aussagen über den „Sender“ (z.B. dessen Absichten), über Wirkungen beim „Empfänger“ o.ä. abzuleiten.29 Abbildung 1: Übersicht über die Interviewpartner nach Gruppen

Die Einheimischen wurden drei verschiedenen Gruppen zugeordnet: den Gruppen der „Experten“ (Politiker, Lehrer, Sozialarbeiter, Pfarrer) und der Geschäftsleute, die aufgrund ihres Tätigkeitsprofils möglicherweise einen anderen Zugang zu den russlanddeutschen Aussiedlern hatten als die meisten Einheimischen, und der Gruppe „Wir“, die alle anderen Einheimischen umfasst. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Interviewpartner. Eine anonymisierte Auflistung der einzelnen Interviewpartner mit Kurzprofil findet sich im Anhang 6.2 der Arbeit. Die Auswahl und die Anzahl der Interviewpartner orientierten sich am Erkenntnisinteresse. Im Vordergrund der qualitativen Interviews steht nicht die Repräsentativität, sondern die Identifikation und Bewertung typischer Fälle. Die Suche nach Interviewpartnern und typischen Fällen ist interessengeleitet und unterliegt einer gewissen Selbstkontrolle durch den Forscher.30 In der vorliegenden Arbeit wurde die Auswahl und Anzahl der Interviewpartner dadurch bestimmt, in welchem Maße mit der Zeit und mit zunehmender Anzahl der Interviewpartner sich die in den Gesprächen artikulierten Vorstellungen und Meinungen verdichteten und als typische Fälle (Sachverhalte) bewertet werden konnten.

29 Vgl. Mayring: Einführung (wie Anm. 14, S. 16), S. 12. 30 Siegfried Lamnek: Qualitative Sozialforschung. Weinheim und Basel 2005, S. 384f. 23

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Bei der Auswahl der Interviewpartner und -passagen wurde zudem darauf geachtet, der Anzahl der Interviewpartner pro Gruppe Rechnung zu tragen und verschiedene Repräsentanten einer Gruppe je nach Sachverhalt und Eignung der Aussagen in die Analyse einzubeziehen (als Zitat oder indirekte Auswertung der Interviews).31 Wie sich bei der Interviewanalyse herausgestellt hatte, konnten nur sehr begrenzt Aussagen- oder Interpretations-Cluster nach gruppenspezifischen Merkmalen der Interviewten gebildet werden; vielfach wurden unabhängig von Geschlecht, Beruf, Konfession etc. ähnliche Aussagen und Bewertungen getroffen. Am ehesten noch ließen sich in Bezug auf Alter oder im Hinblick auf den professionellen Umgang mit den Fremden gruppenspezifische Aussagenmuster identifizieren. Entsprechend wurde bei der Auswahl der Interviews und Interviewpassagen für die nachfolgende Analyse wie folgt vorgegangen: Ein Sachverhalt wurde durch die Auswahl eines geeigneten Zitats dann hervorgehoben, wenn er besonders häufig beschrieben wurde oder als „typisch“ angesehen werden konnte, oder wenn er einen besonderen Aspekt hervorbrachte, wobei dann die Besonderheit im Analysekontext auch entsprechend herausgestellt wurde. Die in den Interviews aufgebrachten Sachverhalte wurden zudem maßgeblich für die Festlegung der Themenschwerpunkte und für die Strukturierung der Analysen in Kapitel drei und vier herangezogen. Die Interviews wurden somit themenbezogen eingebunden und ausgewertet. Insofern handelt es sich hierbei um einen parallel verlaufenden Prozess von Auswertung und Analyse, bei der die theoretische Strukturierung so lange zurück steht, bis sie sich im Forschungsprozess ausgebildet hat. Die inhaltsanalytische Aufbereitung der Interviews basierte auf den folgenden drei Aspekten: • Aspekt 1: Die Erinnerungen der Einheimischen an die Amerikaner; • Aspekt 2: Die Erfahrungen der Einheimischen mit den Russlanddeutschen; • Aspekt 3: Der Vergleich zwischen Einheimischen, Amerikanern und Russlanddeutschen durch die Einheimischen. Innerhalb dieser Aspekte wurden die Aussagen verschiedenen Kategorien zugeordnet wie Aussehen, Wohnen, Beziehungen, Status usw. Anschließend

31 In der nachfolgenden Analyse werden die Interviewpartner anonym behandelt und in den jeweiligen Fußnoten mit einem Kurzzeichen gekennzeichnet. Eine Ziffer nach diesem Kurzzeichen verweist darauf, dass mit dieser Person mehr als ein Interview geführt worden ist. In der Klammer wird dann das Alter und der Status wiedergegeben, wobei „E“ für die Einheimischen, „Ex“ für die einheimischen Experten, „EG“ für die einheimischen Geschäftsleute, „RA“ für die russlanddeutschen Aussiedler und „A“ für die Amerikaner steht. Abschließend ist die Seitenzahl in der Transkription angegeben. 24

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

wurden die Aussagen zu den einzelnen Kategorien nach Interviewgruppen zusammengefasst und dann gemäß der zu untersuchenden Fragen und im Kontext des entsprechenden wissenschaftlichen Diskurses analysiert. Bereits im Vorfeld der Materialerhebung wurde deutlich, dass sowohl in der Berichterstattung der Medien wie auch bei ersten Kontakten vor Ort (1998) die vormals dort stationierten Amerikaner und der Flugplatz Hahn noch immer eine wichtige Rolle spielten und im Alltag sehr präsent waren. Besonders vor dem Hintergrund des Zusammenlebens mit den russlanddeutschen Aussiedlern schien vielen Einheimischen die Zeit mit den Amerikanern als „besser und schöner“, d.h. retrospektiv wurde die Zeit idealisiert bzw. verklärt. Von daher bestimmte neben den Erinnerungen vor allem der Vergleich zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen von Anfang an das Reden der Einheimischen und den Diskurs über die Fremden vor Ort.

1.2.3 Erzählstrategien Beim Reden der Einheimischen spielten Erinnerungserzählungen eine wichtige Rolle. Sie bildeten von daher einen wesentlichen methodischen Baustein der vorliegenden Analyse: Zum einen beziehen sie sich auf die Erinnerungen an die Amerikaner, die zum Zeitpunkt der Materialerhebung schon seit mehr als fünf Jahren aus der Region abgezogen waren; zum anderen umfassen sie aber auch die Russlanddeutschen, die bereits seit dem Abzug der Amerikaner in der Region leben, so dass das Reden über die Russlanddeutschen ebenfalls maßgeblich mit Erinnerungen an die erste Zeit vor Ort verknüpft ist. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf die Erzählforschung, insbesondere auf Erinnerungserzählungen mit den Leitmotiven Fremdheit, Fremdsein und Fremde eingegangen. Dabei wird vor allem auf das kommunikative Muster des Vergleichs abgestellt, das ganz wesentlich dem Reden über die Fremden zugrunde liegt.

Erinnerungserzählungen Im Mittelpunkt der Erzählforschung stehen Menschen und ihre Geschichten. In der Volkskunde führte Kurt Ranke 1967 den „homo narrans“ in die Erzählforschung ein, um einen Perspektivwechsel zu initiieren, „von den Gattungen des Erzählens, also von den Texten zu den Menschen“32. Widmete sich die traditionelle Erzählforschung im Fach Volkskunde in der Vergangenheit vor allem den Genres aus „überlieferter Ordnung“ (Märchen, Sagen, Schwänke, Legenden, Fabeln usw.), erweiterte die moderne Erzählforschung durch die

32 Albrecht Lehmann: Reden über Erfahrung. Kulturwissenschaftliche Bewusstseinsanalyse des Erzählens. Berlin 2007, S. 43. 25

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Einbeziehung des alltäglichen Erzählens ihren Gegenstandsbereich und setzte auf eine bewusste Gegenwartsorientierung. Dabei sollte nach Rolf Wilhelm Brednich der moderne „homo narrans“ auch in seiner sozialen Dimension beschrieben, die Erzählforschung, so Albrecht Lehmann, zur Bewusstseinsanalyse hin weiterentwickelt werden.33 Besonders in den „contemporary legends“ werden Begegnungen mit Fremden und das Erlebnis des Andersartigen zum Thema.34 In diesen modernen Sagen, so schreibt Ingo Schneider, werden meistens die Begegnungen mit Fremden im eigenen Land thematisiert, leben Fremde „mitten unter uns, zum Teil auch in ‚unseren‘ modernen Wohnungen, ihre ‚primitiven‘ Lebensgewohnheiten treten aber allenthalben zu Tage. Sie schlachten Schweine am Balkon [sic!], reißen den Fußboden im Wohnzimmer auf, bauen dort Kartoffeln an und unterhalten offene Feuerstellen.“35 Andere wiederum thematisieren etwa die Bedrohungen, die durch ausländische Waren in unser Land kommen, z.B. giftige Schlangen oder Spinnen in Yucca-Palmen.36 Nach Schneider sind „die betreffenden Sagen […] vielmehr unsere eigenen Geschichten. Sie transportieren unsere Vorurteile und Ängste gegenüber den Fremden.“37 Daneben erlangten die Methoden der „Oral History“, allen voran das narrative Interview, in den 1980er Jahren besonders in den Geschichtswissenschaften und in der Volkskunde einen zentralen Stellenwert und wurden zu einem wichtigen Instrumentarium, um Erinnerungserzählungen zu erforschen. Für Albrecht Lehman steht Erzählen „wie alles Handeln, alles Reden und Schreiben – unter dem Eindruck der Gegenwart; d.h. unter dem Eindruck der aktuellen kommunikativen Situation und der übergreifenden historischen Konstellation“38. In den Geschichtswissenschaften spielten dabei besonders Vorstellungen von einer „Geschichte von unten“ eine wichtige Rolle, bei denen die individuellen Äußerungen der Volkserfahrung in eine sinnvolle interpretative Beziehung zur traditionellen Herrschaft gesetzt werden.39

33 Ebd., S. 45. 34 Ingo Schneider: Erzählungen als kulturelle Konstruktionen. In: Sabine WienkerPiepho und Klaus Roth (Hrsg.): Erzählen zwischen den Kulturen. Münster 2004, S. 21-32, hier S. 26. 35 Ebd., S. 27. 36 Siehe hierzu etwa die Bände von Rolf Wilhelm Brednich: Die Spinne in der Yucca-Palme. Sagenhafte Geschichten von heute. München 1990; Ders.: Die Maus im Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute. München 1991. 37 Schneider: Erzählungen (wie Anm. 34, S. 26), S. 27. 38 Albrecht Lehmann: Bewusstseinsanalyse. In: Göttsch und Lehmann (Hrsg.): Methoden (wie Anm. 13, S. 16), S. 233-250, hier S. 243. 39 Vgl. Lutz Niethammer: Vorwort. In: Ders. (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt am Main 1985, S. IV, hier S. IV. 26

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

Die Arbeiten von Albrecht Lehmann gaben der modernen volkskundlichen Erzählforschung wichtige Impulse; er entwickelte diese weiter zu einer Bewusstseinsforschung. Erzählungen dienten ihm dabei als Quelle für die Analyse von Erinnerungs- und Bewusstseinsprozessen: „Erzählforschung als Bewusstseinsanalyse besteht darin, die Regeln und Gattungen des Erzählens im Alltag zu entdecken, sie genau zu beschreiben, in ihrem Kontext zu analysieren, ihnen einen Namen zu geben und sie in ihrer funktionalen Bedeutung für den Einzelnen und die Kultur der Gruppe zu analysieren.“40

Erinnerungen nehmen in der Erzählforschung also einen bedeutenden Stellenwert ein, gerade weil sie keine objektiven Spiegelbilder vergangener Wirklichkeit oder Wahrnehmung darstellen. Nach Lutz Niethammer sind sie „vielmehr davon mitbestimmt, dass das Gedächtnis auswählt und zusammenfasst, dass die Erinnerungselemente durch zwischenzeitlich erworbene Deutungsmuster oder kommunikationsgerechte Ausformung neu zusammengesetzt und sprachlich aufbereitet werden und dass sie durch Wandlungen in den sozial akzeptierten Werten und durch die soziokulturelle Interaktion im Interview selbst beeinflusst werden.“41

Von daher hängen eben auch Erinnern und Vergessen miteinander zusammen. Das Vergessen hat an Erinnerungen teil und geht in sie ein. Aber Erinnerung ist auch eine Kraft, die sich gegen den Wunsch des Vergessens und Verdrängens zur Geltung bringt. Erinnerungen an Erlebnisse und Geschehnisse, die in Interviews erzählt werden, unterscheiden sich auch deutlich von Erlebnissen und Geschehnissen, wie sie in der historischen Situation geschehen und erlebt worden sind. Denn, so Harald Welzer, das Gedächtnis ist ein konstruktives System, „das Realität nicht einfach abbildet, sondern auf unterschiedlichstem Wege und nach unterschiedlichsten Funktionen filtert und interpretiert […]“42. Nach Welzer bedeu40 Lehmann: Bewusstseinsanalyse (wie Anm. 38, S. 26), S. 246. 41 Lutz Niethammer (Hrsg.): „Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll.“ Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet. Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930-1960. Bd. 1. Berlin und Bonn 1983, S. 19. 42 Harald Welzer: Die Medialität des menschlichen Gedächtnisses. In: BIOS 21 (2008), S. 15-27, hier S. 17. Gedächtnis, so Welzer, repräsentiert nicht nur Spuren von faktischen Geschehnissen, sondern von allem, was in der kommunikativen Existenz von Personen eine Rolle gespielt hat. „Gedächtnis dient der Bewältigung von Gegenwartsanforderungen; der Bezugspunkt von Erinnerungen liegt also weniger in Vergangenheit als in Gegenwart und Zukunft. […] Erinnert wird also so, wie es im jeweiligen Augenblick zu gebrauchen ist.“ Welzer beschreibt sieben Fehlleistungen des Gedächtnisses: das Verblassen von Erinnerungen, selektive Erinnerungen, blockierte Erinnerungen, Fehlerinnerungen, Suggestibili27

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tet sich zu erinnern, ein Muster zu bilden („pattern completion“) bei dem die Bestandteile des Erinnerten wie etwa ihre zeitlichen, situativen, emotionalen Merkmale, in dieser oder jener Weise neu figuriert werden.43 Entscheidend sei aber auch die soziale Situation, in der Erinnerungen aufgerufen und kommuniziert werden. Gerade bei qualitativen Interviews gilt es deswegen, so Welzer, zwei grundsätzliche Annahmen zu berücksichtigen: Man kann nicht nicht kommunizieren44 und man spricht so, wie man erwartet, dass der andere erwartet, dass man sprechen wird. Das heißt, die antizipierten Reaktionen des anderen auf das, was ich sage, sind immer schon Teil meiner Äußerungen. Für das Interview heißt dies, dass es im selben Maß Artefakt ist wie jede andere Gesprächssituation auch. „Es ist eine einmalige, nicht replizierbare Situation der gemeinsamen Verfertigung eines Textes, eine Kette aufeinander bezogener Sprechhandlungen.“45 Darüber hinaus gibt es abhängig vom Lebensalter zudem unterschiedliche Verdichtungen von Erinnerungen, wie auch mediale Produkte und Diskurse Erinnerungen nicht nur überformen, sondern diese oft überhaupt erst entstehen lassen. Gerade für Zeitzeugen-Interviews gilt, dass sie als „adressatenbezogene Konstruktionen“46 aufgefasst werden müssen, in denen biographische Erfahrungen nach ihrer sozialen und emotionalen Bedeutsamkeit, nach narrativen und normativen Erfordernissen und nach Maßgabe nachträglichen Wissens jeweils figuriert und präsentiert werden. Interessant hierbei ist also, wie ein Erzähler seine Auffassung von der Vergangenheit einem Zuhörer zu vermitteln versucht, denn dadurch kommt hier Material „über das Fortwirken von Geschichte in aktuellen sozialen Prozessen, das heißt, über die Bedeutung einer jeweiligen Vergangenheitsmodulation für die Gegenwart“47 zum Aus-

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tät, verzerrte Erinnerungen sowie das Problem der Persistenz von Erinnerungen. Vergessen ist nach Welzer konstitutiv für die Fähigkeit des Erinnerns überhaupt, wie auch das autobiographische Gedächtnis nicht zwischen wahren und falschen Erinnerungen unterscheidet (vgl. S. 19f.) In Bezug auf Frederick Bartlet macht er deutlich „dass vorhandene kulturelle Schemata die Wahrnehmungen und dementsprechend die Erinnerungen in so hohem Maße prägen, dass Fremdes auf subtile und vom sich Erinnernden unbemerkte Weise zu Eigenem wird“ (S. 21). Daraus folgt, dass situative Umstände, Kausalitäten, Abläufe etc. so erinnert werden, wie es dem Zuhörer und Weitererzähler am meisten „Sinn macht“. „Jede Gegenwart, jede Generation, jede Epoche schafft sich jene Vergangenheit, die für ihre Zukunftsorientierungen und -optionen den funktional höchsten Wert hat.“ (S. 26). Harald Welzer: Das Interview als Artefakt. Zur Kritik der Zeitzeugenforschung. In: BIOS 13 (2000), S. 51-63, hier S. 52. Vgl. Paul Watzlawick, Janet Beavin Bavelas und Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Stuttgart 1971, S. 50f. Welzer: Das Interview (wie Anm. 43, S. 28), S. 53. Ebd., S. 60. Ebd.

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

druck. Bei den Erinnerungserzählungen geht es also darum, wie etwas von heute aus als vergangenes Ereignis wahrgenommen wird. „Erinnerungserzählungen sind Medien der Erinnerungen an Erinnerungen.“48 Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Aussagen in den Interviews. Die Selbstbezogenheit des Erinnerns muss jedoch methodisch reflektiert werden. Bei den meisten Themen gibt es trotz aller individueller Modifikationen eine Fülle relativ fester, überindividueller Vorstellungsmuster, die im Alltagsdenken präsent ist. „Solche kulturell vermittelten Denkschemata beeinflussen und überlagern […] die tatsächlichen Erfahrungen und prägen unsere Wahrnehmungen vor.“49 Bei der Interpretation von Interviews kommt es also darauf an, „allgemein verbreitete Ansichten in ihrer kulturellen Herkunft zu analysieren, d.h. konkret jeweils nach dem Wechselspiel dieser Kulturmuster mit den eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen zu fragen“50. Auf die Bedeutung von Erinnerungen für die Bildung von Zukunftserwartungen hat Aleida Assmann hingewiesen. Ihrer Meinung nach sind Gestalt und Qualität kultureller Erinnerungsräume sowohl von politischen als auch von sozialen Interessen sowie vom Wandel der technischen Medien bestimmt. Assmann unterscheidet hier zwischen Erinnerungsräumen mit bewohntem „Funktionsgedächtnis“ (d.h. aktiv präsent gehaltene Inhalte) und solchen mit unbewohntem „Speichergedächtnis“ (d.h. zur potentiellen Verfügung bereitgestellte Inhalte). Erinnerungsräume entstehen zum einen „durch jene partielle Ausleuchtung von Vergangenheit, wie sie ein Individuum oder eine Gruppe zur Konstruktion von Sinn, zur Fundierung ihrer Identität, zur Orientierung ihres Lebens, zur Motivierung ihres Handelns brauchen […]. Von einer bestimmten Gegenwart aus wird ein Ausschnitt der Vergangenheit auf eine Weise beleuchtet, dass er einen Zukunftshorizont freigibt.“51

Der bewohnte Erinnerungsraum steht quer zu jenem historischen Zeitkonzept, welches die „Trennung von Vergangenheit und Zukunft“ bzw. die „Kluft zwischen Erfahrungen und Erwartungen“ betont. Neben historischer Zeiterfahrung, „gibt es Erinnerungsräume, in denen sich Zukunftserwartungen keineswegs von Bildern der Vergangenheit ablösen, sondern von bestimmten Geschichtserinnerungen angestoßen und untermauert sind“52. Inwiefern derartige

48 49 50 51

Ebd., S. 61. Lehmann: Bewusstseinsanalyse (wie Anm. 38, S. 26), S. 240. Ebd., S. 241. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999, S. 408. 52 Ebd. 29

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Erinnerungsräume auch die (Zukunfts-)Erwartungen der Einheimischen im Hunsrück an das Zusammenleben mit den russlanddeutschen Aussiedlern prägten und beeinflussten, wird eine der wesentlichen Fragen sein, der in der Interviewanalyse nachgegangen wird.

Erinnern und Vergleichen Vergleiche zu ziehen zählt zu den Mustern unseres Denkens und des alltäglichen Redens. Der Vergleich ist ein situationsübergreifendes und inhaltlich unspezifisches Regelsystem: „Vergleichen wird, wie jede kulturelle Regel des miteinander Umgehens, in seinen formalen und funktionalen Zügen gelernt.“53 Ähnlich einem Beispiel (Exemplum) dient der Vergleich dazu, einen komplizierten Tatbestand zu reduzieren und zu illustrieren. Gerade bei Kulturkontakterzählungen wird dies deutlich, weil sie sich vor allem wegen ihrer Form des impliziten und expliziten Vergleichs auszeichnen.54 In diesen Erzählungen von der Konfrontation mit anderen Normalitäten, mit anderen Handlungs- und Denkweisen und mit anderen Möglichkeiten des Seins findet eine narrative Bearbeitung und Bewältigung des Fremden statt. Fremdheit im alltäglichen Erzählen muss somit auch als eine Strategie gesehen werden, das Unvertraute in die eigene Sphäre einzugliedern. Deutlich wird dies etwa im interkulturellen Dialog, bei dem das lockere und unaufgeregte Vergleichen von kulturellen Faktoren wie etwa dem äußeren Erscheinungsbild gängiges Thema alltäglichen Erzählens ist.55 Vergleiche sind aber auch eine Methode des Erinnerns und des Redens über Erinnerungen.56 Der Vergleich historischer Ereignisse und Konstellationen geht dabei stets von der Gegenwart aus und dient deren Erhellung. Historische Vergleiche sind somit ein Mittel der Erinnerung, bei dem die Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart herangezogen wird und dabei häufig mit Blick auf die Gegenwart zu eigenen Zwecken aktualisiert bzw. instrumentalisiert wird. In seinen Arbeiten über Flüchtlingserzählungen zeigt Lehmann, wie ehemalige Flüchtlinge „ihre eigenen Verhältnisse im Jahre 1945 ausgie-

53 Albrecht Lehmann: Der Schicksalsvergleich. Eine Gattung des Erzählens und eine Methode des Erinnerns. In: Brigitte Bönisch-Brednich, Rolf Wilhelm Brednich und Helge Gerndt (Hrsg.): Erinnern und Vergessen. Vorträge des 27. Deutschen Volkskundekongresses in Göttingen 1989. Göttingen 1991, S. 197-207, hier S. 198. 54 Vgl. Klaus Roth: Erzählen vom „Anderen“: Zum Umgang mit kultureller Differenz im alltäglichen Erzählen. In: Wienker-Piepho und Roth (Hrsg.): Erzählen (wie Anm. 34, S. 26), S. 33-48, hier S. 41. 55 Vgl. Lehmann: Reden über Erfahrung (wie Anm. 32, S. 25), S. 215. 56 Lehmann: Schicksalsvergleich (wie Anm. 53, S. 30), S. 200. 30

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big denen der heutigen ausländischen Arbeitskräfte, der Aussiedler und DDRÜbersiedler gegenüberstellen“57. Lehmann regte in diesem Zusammenhang mehrfach an, das Vergleichen zwischen den heutigen Verhältnissen von Migration und Akkulturation mit denen der Vergangenheit auch für die Wissenschaft fruchtbar zu machen. Denn seiner Meinung nach wiederholt sich hier Geschichte: Damals wie heute seien die Gefühle der Einheimischen gegenüber den Fremden vornehmlich mit Sozialneid gepaart und es ginge primär um Interessen wirtschaftlicher und kultureller Art, um soziale Geltung im Zusammenleben und um die Sicherung der eigenen Lebensformen.58 Lehmann zufolge wurde in der Nachkriegszeit das Verhältnis zwischen Einheimischen und Fremden sowohl von Interessengegensätzen wie auch Misstrauen dominiert, was beide Gruppen voneinander trennte. Die Familien aus dem Osten wurden bei ihrer Ankunft als „Habenichtse“ und bald darauf als Konkurrenten wahrgenommen. Dies verlief in Dörfern und kleineren Städten in stärkerer Ausprägung als in größeren Städten.59 Von daher hätte es nach 1945 auch beinahe alle Aussiedlerprobleme und Ausländerkonflikte der Gegenwart schon einmal gegeben: „das Leben in Lagern und in überfüllten Notunterkünften, Konflikte zwischen ‚Altund Neubürgern‘, auf dem Schulhof, zwischen Nachbarn, mangelnde Arbeitsmöglichkeiten für die Neuankömmlinge und die altansässige Bevölkerung und teilweise eine Atmosphäre, die bis zur Feindschaft zwischen den Einheimischen und ihren ‚Gästen‘ gehen konnte.“60

Zudem zeigten Schicksalsvergleiche von Kriegsflüchtlingen von 1945 mit der von Migranten der 1980er Jahre, wie die „Transformation von Deutungsmustern aus Lektüre und Rundfunk ins eigene Bewusstsein – die Mischung von Erfahrungen aus erster und zweiter Hand – bereits nach erstaunlich kurzer Zeit nahtlos vollzogen waren“61. In diesem Kontext weist Lehmann darauf hin, dass kommunikative Muster wie die des Vergleichs nicht nur als „augenblickliche Gestaltungen des Redens“ gesehen werden sollen, sondern als „Formen des individuellen und kollektiven Bewusstseins“ zu analysieren seien. „Es kommt darauf an, über die subjektive Seite der Geschichte einen Zu-

57 Lehmann: Schicksalsvergleich (wie Anm. 53, S. 30), S. 202. 58 Albrecht Lehmann: Erinnern und Vergleichen. Flüchtlingsforschung im Kontext heutiger Migrationsbewegungen. In: Kurt Dröge (Hrsg.): Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte. Beiträge zur Volkskunde der Deutschen im und aus dem östlichen Europa. München 1995, S. 15-30, hier S. 27. 59 Lehmann: Schicksalsvergleich (wie Anm. 53, S. 30), S. 202. 60 Lehmann: Erinnern und Vergleichen (wie Anm. 58, S. 31), S. 24. 61 Lehmann: Schicksalsvergleich (wie Anm. 53, S. 30), S. 205. 31

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gang zu den kollektiven Wandlungsprozessen des Bewusstseins und des Alltagshandelns zu gewinnen.“62 Retrospektiv zeigte sich, so Lehmann, wie in den Erinnerungserzählungen der Einheimischen wie auch der Flüchtlinge mit der Zeit kollektive Deutungen und persönliche Erfahrungen und Ansichten im individuellen Erinnern sich unentwirrbar miteinander verknüpften. Dabei sei deutlich geworden, dass das Denkschema des Vergleichs auf Dualismen beruhte, bei denen es auch noch dann zu Konflikten kommen kann, wenn es zunächst nur um einen Abgleich von Übereinstimmungen gegangen wäre. Von der Allgegenwart des Vergleichs für das Denken im Alltag sowie als narrative Strategie muss die wissenschaftliche Methode des Vergleichs unterschieden werden. Im wissenschaftlichen Kontext gilt die vergleichende Problemanalyse gemeinhin als schwierig. Dies haben nicht zuletzt die Diskussionen während des so genannten Historikerstreits gezeigt.63 Gerade auch für die (historische) Migrationsforschung besteht die Gefahr, Vergleichbarkeit zu konstruieren und die komplexe Realität sozialer Verhältnisse und Prozesse zu nivellieren. Hinzu kommt, dass Vergleiche generell eine ahistorische Dimension haben: das Vergleichen macht Ungleichzeitiges gleichzeitig.64 Dies hängt damit zusammen, dass das historische Vergleichen wie jedes historische Argumentieren von der Gegenwart ausgeht.65 Im Alltagsdenken und -reden jedoch ist das Vergleichen als Erkenntnismethode ohne eine Alternative und allgegenwärtig. Deswegen liegt in der vorliegenden Untersuchung der Fokus auf der Analyse des Vergleichs, der das Reden der Einheimischen prägt. In der Interviewanalyse gilt es also, die narrative Strategie des Vergleichs in den Erinnerungserzählungen der Einheimischen herauszuarbeiten und ihre Funktion innerhalb von Zuschreibungsprozessen, das heißt bei Konstruktionen von fremd und eigen bzw. von Identität und Alterität, zu analysieren.

62 Lehmann: Erinnern und Vergleichen (wie Anm. 58, S. 31), S. 23. 63 Siehe hierzu: Hans-Ulrich Wehler: Entsorgung der deutschen Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum „Historikerstreit“. München 1988; Helge Gerndt: Kultur als Forschungsfeld. Über volkskundliches Denken und Arbeiten. München 1986. 64 Lehmann: Reden über Erfahrung (wie Anm. 32, S. 25), S. 183. Auch die in der vorliegenden Analyse von den Einheimischen angestellten Vergleiche zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, denn das Zusammenleben mit den Amerikanern und den russlanddeutschen Aussiedlern ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen und historischer Gegebenheiten zu sehen. Daraus ergibt sich eine „Unvergleichbarkeit“ der Perspektiven. 65 Zur Kritik des historischen Vergleichens siehe Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen (5. Aufl.) 1975. 32

1. EINLEITUNG – FREMDE AUF DEM HUNSRÜCK

1 . 3 Z u r G l i e d e r u n g d e r Ar b e i t Die Arbeit berücksichtigt interdisziplinäre Kontexte, d.h. Studien zu relevanten Themen und Aspekten werden fachübergreifend herangezogen. Um eine bessere Lesbarkeit des Textes zu gewährleisten, wird grundsätzlich das grammatikalische Maskulinum verwendet. Wenn von Amerikanern oder Russlanddeutschen die Rede ist, geschieht dies eingedenk der Tatsache, dass damit ein Diskursfeld angesprochen wird, dem die Idee ethnisch geschlossener Kulturen zugrunde liegt. Die Wirksamkeit solcher Konzepte anzuerkennen, sie auch zu rekonstruieren, sind Voraussetzungen für ihre Dekonstruktion und Kritik. Ebenso verhält es sich im Umgang mit der Bezeichnung Einheimische und dessen Synonyme Altbürger und Alteingesessene. Auch diese Konstrukte suggerieren eine Einheit, die so nicht existiert. Nachdem bislang in die grundlegende Fragestellung dieser Arbeit eingeführt und das methodische Vorgehen dargestellt worden ist, geht es in Kapitel 2 um die theoretischen Rahmenbedingungen und den Forschungsstand. Im Mittelpunkt stehen grundlegende theoretische Konzepte zu Fremdheit und Ort sowie wesentliche Studien, die Fremdheit im Kontext von Raum und Ort untersuchen. Zentral sind hierbei Konstruktionen von Fremdheit und Raum und damit verbundene Zuschreibungsprozesse sowie Konstruktionen von Identität und Alterität. Derartige Konstruktionen spielen im Reden der Einheimischen eine wichtige Rolle und dienen damit auch als theoretischer Referenzrahmen, die oben gestellten Fragen im wissenschaftlichen Kontext zu präzisieren und entsprechende Leitfragen (Kap. 2.4) zu formulieren, die einer vertiefenden Analyse unterzogen werden. In den nachfolgenden Kapiteln geht es schließlich um die Untersuchung von Fremdheit vor Ort am konkreten Forschungsgegenstand: In Kapitel 3 „Vor Ort“66 stehen zunächst Ortsbilder im Mittelpunkt. Hierzu wird, basierend auf statistischen Daten (Sozialgeographie), Chronik- und Archivmaterial sowie Darstellungen überregionaler Medien und ergänzt durch Vorstellungen, Meinungen und Ansichten, wie sie in Interviews, Broschüren, Chroniken, populären Darstellungen und im Internet zum Ausdruck kommen, ein Bild vom jeweiligen Ort vermittelt. Des Weiteren geht es um Selbst- und Fremdbilder. Anschließend werden die Veränderungen vor Ort thematisiert. Wie werden die Veränderungsprozesse auf dem Hunsrück seit 1950 von den Einheimi-

66 Vgl. Konrad Köstlin: Region in europäischen Modernen. In: Binder u.a. (Hrsg.) Ort. Arbeit. Körper (wie Anm. 18, S. 18), S. 119-126, hier S. 124. Köstlin stellt in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern das „vor Ort sein“ ebenso ein „näher am Leben dran sein“ bedeute und inwiefern damit auch a priori eine gesteigerte Authentizität verbunden sei. 33

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schen im Hinblick auf die unterschiedlichen Gruppen von Fremden wahrgenommen und bewertet? Im vierten Kapitel „Einheimische und Fremde“ geht es um die Folgen dieser Veränderungen für das Zusammenleben von Einheimischen mit den Fremden. Welche Vorstellungen und Erwartungen prägen die Wahrnehmungen der Einheimischen in Bezug auf die Amerikaner und Russlanddeutschen, inwiefern kommt es zu Zuschreibungen von Fremdheit im Spannungsfeld von Identität und Alterität? Ergänzend zur Perspektive der Einheimischen werden hier auch Aussagen der verschiedenen Gruppen von Fremden angeführt. Im fünften Kapitel wird abschließend in einer zusammenfassenden Darstellung die Frage beantwortet, wie sich durch den Zuzug der Fremden das Leben der Einheimischen vor Ort verändert hat und welche Strategien diese im Umgang mit Fremdheit entwickelt haben. Dies geschieht vor dem Hintergrund des Wandels ihres Selbstbildes und Selbstverständnisses und im Hinblick auf Konstruktionen lokaler Identität im globalen Kontext.

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2. Fremdheit und Ort – theoretische Rahmenbedingungen und Forschungsstand Im Folgenden werden zunächst die theoretischen Rahmenbedingungen und der Forschungsstand zu den Themenfeldern „Fremdheit“ und „Ort“ reflektiert, dem sich ein Überblick über wichtige Studien anschließt, die Fremdheit im Kontext von Raum und Ort untersuchen. Sie bilden den theoretischer Referenzrahmen für die anschließende Präzisierung der Leitfragen dieser Arbeit.

2.1 Fremdheit und Fremde Definitionen von Fremdheit oder dem Fremden variieren von Fach zu Fach, ohne dass es zu einer allgemeinen Begriffsbestimmung oder einem tragfähigen Konzept dessen, was damit gemeint sei, gekommen ist.1 Den Versuch, eine Schnittmenge von Forschungsinteressen verschiedener Disziplinen zu bestimmen, hat Anfang der 1990er Jahre Alois Wierlacher mit seinem Band „Kulturthema Fremdheit“ unternommen.2 In diesem inzwischen etwas veralteten Überblick entwickelte er die Konturen einer interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Fremdheitsforschung (Xenologie) als systematisches, theoretisch und methodologisch fundiertes Forschungsfeld. Denn für Wierlacher sind „Fremdheitsfragen keine wissenschaftlichen, ästhetischen, kommunikativen oder kulturellen Randfragen, sondern zentrale Beziehungskonstituenten zwischen Menschen und Kulturen“3.

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Vgl. Corinna Albrecht: Der Begriff der, die, das Fremde. Zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Fremde. Ein Beitrag zur Klärung einer Kategorie. In: Yves Bizeul u.a. (Hrsg.): Vom Umgang mit dem Fremden. Hintergrund – Definitionen – Vorschläge. Weinheim und Basel 1997, S. 80-93, hier S. 82f. Alois Wierlacher (Hrsg.): Kulturthema Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. München 1993. Ebd., S. 11. 35

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Nachdem in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Arbeiten zum Thema Fremdheit von den später als „Klassikern der Fremdheitsforschung“ apostrophierten Georg Simmel, Otto F. Bollnow oder auch Alfred Schütz erschienen sind,4 kam es erst in den 1970er Jahren zu einer Wiederentdeckung dieses Forschungsfeldes. Gerade die Herausforderungen im Kontext der Arbeitsmigration, zu denen es nach der Anwerbung von Gastarbeitern in Deutschland gekommen war, und eine dadurch initiierte Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Ethnizität“ führten zu einer verstärkten wissenschaftlichen Beschäftigung mit „Fremdheit“ als Kategorie zur Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse.5 Inzwischen zählt die Beschäftigung mit Fremdheit und mit dem Umgang mit Fremden zum Kanon verschiedener Disziplinen und ist auch zentrales Forschungsthema von der sich aus der Volkskunde heraus entwickelnden Europäischen Ethnologie.6 Generell lassen sich drei größere zum Teil überlagernde Forschungsbereiche bzw. Diskurse feststellen: die Migrationsforschung, die Erforschung von Formen und Ursachen der Fremden- und Ausländerfeindlichkeit, und Fragen der Ethnizität und ethnischen Identität in den spätmodernen Gesellschaften.7 Die Volkskunde schien sich lange Zeit vor allem auf das Eigene zu fokussieren – eine Aufteilung der Forschungsfelder zwischen Volks- und Völkerkunde basierte einstmals auf dem Gegensatzpaar Fremd/Eigen, wobei der Volkskunde die Beschäftigung mit dem Eigenen und der Völkerkunde die mit dem Fremden zugeschrieben wurde – was bereits in den 1980er Jahren von 4

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Simmel: Exkurs (wie Anm. 8, S. 14), S. 1-29; Otto F. Bollnow: Das kritische Verstehen. In: Ders.: Studien zur Hermeneutik. Band I: Zur Philosophie der Geisteswissenschaften Freiburg im Breisgau und München 1982, S. 73-102 (Erstdruck in der Deutschen Vierteljahresschrift 22/1924); Alfred Schütz: Grundzüge einer Theorie des Fremdverstehens. In: Ders.: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Konstanz 2004 (Erstauflage 1932). Frank-Olaf Radtke: Fremde und Allzufremde: Zur Ausbreitung des ethnologischen Blicks in der Einwanderungsgesellschaft. In: Hans-Rudolf Wicker u.a. (Hrsg.): Das Fremde in der Gesellschaft. Migration, Ethnizität und Staat. Zürich 1996, S. 333-352, hier S. 337. Siehe hierzu u.a. Ina-Maria Greverus, Konrad Köstlin und Heinz Schilling (Hrsg.): Kulturkontakt – Kulturkonflikt. 26. Deutscher Volkskundekongress in Frankfurt am Main vom 28.9. bis 2.10.1987. Frankfurt am Main 1988; Werner Schiffauer: Fremde in der Stadt. Zehn Essays über Kultur und Differenz. Frankfurt am Main 1997; Wolfgang Kaschuba: Ethnische Parallelgesellschaften? Zur kulturellen Konstruktion des Fremden in der europäischen Migration. In: Zeitschrift für Volkskunde 103 (2007), S. 65-86. Vgl. hierzu Peter Niedermüller: Studien zur sozialen Taxonomie des Fremden. Einleitung. In: Harry Adler u.a. (Hrsg.): Zwischen Räumen. Studien zur sozialen Taxonomie des Fremden (= Berliner Blätter, 19). Berlin 1999, S. 9-20, hier S. 10.

2. FREMDHEIT UND ORT

Utz Jeggle als „vulgäres Vorurteil“ kritisiert worden ist.8 Seine Ausführungen von damals sind heute noch aktuell, zumal die Verortung von Forschungsgegenständen und -feldern beider Disziplinen nach wie vor im Wandel begriffen ist und zunehmend mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen beider Fächer offenbart.9 Für Jeggle damals essentiell war die These, dass Volks- und Völkerkunde von verschiedenen Fremdheitserfahrungen ausgehen würden.10 Durchaus selbstkritisch führte er an, dass sich die Volkskunde schon im Vorfeld der Erfahrung absichern und Feldforschung als längerfristige Auseinandersetzung mit dem Unbekannten vermeiden würde. War die Völkerkunde auf die Erfahrung des Fremden ausgerichtet, glaubte „die Volkskunde an die Durchsichtigkeit des Eigenen und mied die Einsicht in die innere Fremdheit. So entstand eine für die Volkskunde symptomatische Polarisierung zwischen innen und außen, niedlich und bedrohlich. Man sah das Eigene nicht wie etwas Fremdes und verfehlte deshalb auch häufig den analytischen Zugang.“11

Basierend auf diesen Überlegungen plädierte Jeggle für eine Orientierung am Lokalen, am bislang Unbeachteten, Alltäglichen, denn „die Erfahrung von Fremdheit als Grunderfahrung des Anthropologen ist nicht an lokale Ferne und nicht an spektakuläre kulturelle Distanzen gebunden, sondern auch im kleinen Unterschied festzumachen“12. Ähnlich argumentiert auch Max Matter, wenn er 1995 im Bezug auf Klaus-Peter Köpping darauf verweist, dass sich Fremdheit schon oft im nächsten Dorf bemerkbar mache, durch die Differenz der kleinen Unterschiede wie beispielsweise Kleidung. Auch er konstatiert, dass die Konfrontation des Eigenen mit dem Fremden, wie sie bereits im 19. Jahrhundert zutage trat, von der traditionellen Volkskunde wenig wahrgenommen worden sei. So hätte auch später, als gerade vehemente Kritiker des eigenen Fachs das Leben im Dorf untersuchten – auch um die Kategorie Dorf zu dekonstruieren und dar-

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Utz Jeggle: Das Fremde im Eigenen (wie Anm. 28, S. 22), S. 14. Jeggle hat diesen Aufsatz in einer überarbeiteten Form erneut publiziert in Wierlacher (Hrsg.): Kulturthema (wie Anm. 2, S. 35), S. 235-242. 9 Zum Unterschied zwischen Volks- und Völkerkunde siehe auch Klaus Roth: Zwischen Volkskunde und Völkerkunde: Europäische Ethnologie und Interkulturelle Kommunikation. In: Christian Giordano und Johanna Rolshoven (Hrsg.): Europäische Ethnologie – Ethnologie Europas. Ethnologie européene – Ethnologie de l’Europe (= Studia Ethnographica Friburgensia, 22). Fribourg 1999, S. 31-44, hier S. 32-36. 10 Jeggle: Das Fremde im Eigenen (wie Anm. 8, S. 37), S. 239. 11 Ebd., S. 241. 12 Ebd., S. 239. 37

FREMDE VOR ORT

über aufzuklären – die Erforschung des Fremden im Eigenen nur wenig Berücksichtigung gefunden.13 Für Matter hat sich Volkskunde als Europäische Ethnologie an gegenwärtigen, konkreten gesellschaftlichen Problemen zu orientieren.14 Von daher zählt für ihn die Erforschung des Fremden zu den zentralen Aufgaben des Fachs. Denn der Fremde ist dort, wo er erscheint, immer eine Herausforderung. Er erzeugt Spannungen, sein Auftreten raubt der Aufnahmegesellschaft die Illusion Universalgesellschaft zu sein. Von daher ist die vermeintliche Bedrohung des Eigenen durch das Fremde ein zentrales Thema unserer Gesellschaft.15 Einen wichtigen Zugang zur Erforschung von Fremdheit lieferte in den 1990er Jahren Alois Hahn. Mit seiner These von Fremdheit als Zuschreibung eröffnet er die Möglichkeit, den Begriff als Analyseinstrument zu verwenden. Für Hahn ist Fremdheit „keine Eigenschaft, auch kein objektives Verhältnis zweier Personen oder Gruppen“ wie er gleich zu Anfang seines Beitrags über die soziale Konstruktion des Fremden feststellt, sondern „die Definition einer Beziehung“. Als solche wird sie zugeschrieben. „Wenn man sagt, was man ist, muss man dies in Abgrenzung von dem tun, was man nicht ist.“16 Andere als Fremde einzustufen führt demnach zu Selbstidentifikationen, die Aufschluss über das geben, was als eigen angesehen wird. Jede Zuschreibung von Fremdheit ist daher ein kommunikativer Akt.17

2.1.1 Grade von Fremdheit Fremdheit als relationale Größe meint somit eine Beziehung, die in einer von beiden Seiten empfundenen Nichtzugehörigkeit besteht.18 Die Nichtzugehörigkeit muss jedoch „pragmatische Relevanz“ erhalten, d.h. „eine Irritation von Erwartungen hervorrufen oder dauerhaft ein Handlungs- bzw. Orientierungsproblem markieren“19, um als solche wahrgenommen zu werden. Fehlt diese Relevanz, handelt es sich um eine Beziehung der Andersheit. Diese Unterscheidung zeigte sich beispielsweise deutlich beim Wandel der politischen 13 Matter: Das Eigene (wie Anm. 22, S. 20), S. 272f; Klaus-Peter Köpping: Authentizität in der Dialektik Selbst/Anderer (wie Anm. 22, S. 20), S. 7f. 14 Matter: Das Eigene (wie Anm. 22, S. 20), S. 271. 15 Ebd., S. 272f. 16 Alois Hahn: Die soziale Konstruktion des Fremden (wie Anm. 27, S. 21), S. 140. 17 Vgl. Münkler und Ladwig: Dimensionen der Fremdheit (wie Anm. 19, S. 18), S. 13. 18 Vgl. Justin Stagl: Grade der Fremdheit. In: Münkler und Ladwig (Hrsg.): Furcht und Faszination (wie Anm. 19, S. 18), S. 85-114, hier S. 86. 19 Vgl. Horst Stenger: Deutungsmuster der Fremdheit. In: Münkler und Ladwig (Hrsg.): Furcht und Faszination (wie Anm. 19, S. 18), S. 159-222, hier S. 161. 38

2. FREMDHEIT UND ORT

Wertung des Aufenthalts ausländischer Arbeitnehmer, bei dem zunächst von einem Gastarbeiter-, später dann von einem Ausländerproblem die Rede war. Aber auch das Gegenteil kann eintreffen, nämlich dass die Nichtzugehörigkeit des Fremden an pragmatischer Relevanz verliert. Dann verwandelt sich der Fremde in den Anderen, „jenen dominanten Typus moderner Gesellschaften, dem routinemäßig mit einer Haltung der Indifferenz begegnet wird“20. Sowohl Münkler und Ladwig wie auch Waldenfels haben hierzu Modelle entwickelt, die versuchen, das Phänomen Fremdheit stärker auszudifferenzieren. So unterscheiden Münkler und Ladwig zwischen sozialer und lebensweltlicher Fremdheit mit dem Sonderfall der kulturellen Fremdheit. Soziale Fremdheit bezeichnet demnach eine Dimension, in der Fremdheit kommuniziert wird, um die Nichtzugehörigkeit eines anderen zu akzentuieren. Dadurch wird Distanz ausgedrückt, die u.a. auf räumliche Bedeutungsdimensionen verweist: Der Fremde ist an einem anderen Ort oder er kommt von jenseits der Grenzen. Mit der Zuschreibung von sozialer Fremdheit geht eine „affektive Distanzierung einher“. Dem Anderen wird bedeutet, „dass er nicht zu uns gehört“ oder wir nicht zu ihm. Er oder sein Verhalten werden negativ bewertet.21 Eine weitere Möglichkeit Nichtzugehörigkeit zu akzentuieren besteht darin, den kulturellen Abstand zwischen Eigenem und Fremdem hervorzuheben. „Die Binnenperspektive seiner Gruppe bleibt uns verschlossen, seine Vorstellung [des Fremden] von den Dingen, seine Normen des Wahren, Schönen und Guten scheinen mit dem, was wir gewohnt sind, in keiner wesentlichen Hinsicht überein zustimmen.“22 Bezeichnen Münkler und Ladwig soziale Fremdheit als Nichtzugehörigkeit, beschreiben sie mit lebensweltlicher Fremdheit eine Fremdheit, die sie als Unvertrautheit verstanden wissen wollen: „Das Nichtzugehörige kann vertraut, das Unvertraute kann zugehörig sein. […] Die Betonung von Nichtzugehörigkeit ist nicht an das Vorliegen von Unvertrautheit gebunden. Umgekehrt gilt auch: Indem wir jemanden oder etwas als unvertraut wahrnehmen, nehmen wir nicht unbedingt eine exkludierende Grenzziehung vor. […] Die Unvertrautheit führt uns die Kontingenz unserer Erwartungen und die Begrenztheit unseres Wissensvorrates vor Augen. Sie sorgt für eine Infragestellung unserer eingelebten Gewissheiten.“23

20 Ebd. 21 Münkler und Ladwig: Dimensionen der Fremdheit (wie Anm. 19, S. 18), S. 25; Bernhard Waldenfels: Phänomenologie des Fremden. In: Münkler und Ladwig (Hrsg.): Furcht und Faszination (wie Anm. 19, S. 18), S. 65-84. 22 Münkler und Ladwig: Dimensionen (wie Anm. 19, S. 18), S. 25. 23 Ebd., S. 26. 39

FREMDE VOR ORT

Auch Waldenfels versucht graduelle Unterschiede von Fremdheit abzubilden und verwendet hierzu ein Stufenmodell, welches verschiedene Steigerungsformen beschreibt: Ausgehend von einer alltäglichen und normalen Form der Fremdheit, die all das umfasst, was innerhalb der eigenen Ordnung fremd bleibt, meint die erste Steigerungsform – die strukturelle Fremdheit – all das, „was außerhalb einer bestimmten Ordnung liegt“. Als höchste Steigerungsform bezeichnet er radikale Fremdheit, welche alles meint, was „außerhalb jeder Ordnung bleibt“24. Während strukturelle Fremdheit in der Konfrontation mit einer anderen Wirklichkeitsordnung entsteht, beschreibt radikale Fremdheit jenen Moment, in dem die Voraussetzungen unserer Orientierungsfähigkeit selber fragwürdig werden. „Radikal ist diese Erfahrung, weil sie die Wurzeln der eigenen Gewissheiten angreift und diese Gewissheiten nicht lediglich an die Grenzen ihrer Geltung stößt.“25 Alltägliche, strukturelle und radikale Fremdheit ermöglichen generell, dass das heute Unvertraute morgen vertraut wird, es ist abhängig von der Verarbeitungsleistung eines Subjekts.26 Unterschieden werden muss somit nicht nur zwischen Fremd- und Andersheit, sondern auch zwischen verschiedenen Ausprägungen von Fremdheit, die zudem je nach Kontext variieren bzw. sich verändern können. Genauso wie nicht jeder Andere zwingend auch als Fremder wahrgenommen wird, ist auch nicht jeder Fremde ein Anderer. Deutlich wird: Fremdheit als Interpretament von Andersheit ist sozial konstruiert27 und meint den Ausschluss von alternativen Sinnmöglichkeiten. „Konstruktion in diesem Sinne entsteht aus der anthropologischen Notwendigkeit der Deutung, der Interpretation sozialer Erfahrungen und sozialer Wirklichkeit durch die ‚Entscheidung‘ für eine von mehreren Sinnmöglichkeiten.“28 Bei der Konstruktion von Fremdheit geht es also zum einen um die Feststellung eines Unterschieds und zum anderen um eine Bewertung dieses Unterschieds.29 Wahrnehmung und Bewertung des Unterschieds finden dabei jeweils vor der Folie des Eigenen statt. Die Wahrnehmung der Differenz beschreibt zunächst ein Verhältnis der Alterität, woraus durch Interpretation Fremdheit entstehen kann. Diese orientiert sich an Beobachtbarem und ist zugleich Zuschreibung, welche aus dem dialektischen Verhältnis von Eigenem und Fremden hervorgeht.30 Von daher wird erst im Kontakt mit dem Fremden das Ei24 25 26 27 28 29

Waldenfels: Phänomenologie (wie Anm. 21, S. 39), S. 72. Münkler und Ladwig: Dimensionen (wie Anm. 19, S. 18), S. 30. Ebd., S. 31. Vgl. hierzu Albrecht: Der Begriff (wie Anm. 1, S. 35), S. 87f. Stenger: Deutungsmuster (wie Anm. 19, S. 38), S. 160. Siehe hierzu auch die Ausführungen von Werner Schiffauer zum wissenschaftlichen Umgang mit der Differenz: Werner Schiffauer: Die Angst vor der Differenz. Zu neuen Strömungen in der Kulturanthropologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 92 (1996), S. 20-31. 30 Vgl. Albrecht: Der Begriff (wie Anm. 1, S. 35), S. 87. 40

2. FREMDHEIT UND ORT

gene sichtbar/spürbar bzw. als Gegenbild konstruiert: „Fremdheit ist die andere Seite des Selbst […], in der Beschreibung von Personen oder Umständen als ‚fremd‘ enthüllen [oder verbergen] sich Selbstbeschreibungen.“31 Aus dem Grund kann die Erfahrung von Fremdheit zum Spiegel und zur Erkenntnis der eigenen Kultur werden, als „historisch wandelbare Form von sozial verbindlichen Selbstbeschreibungen“32. Das bedeutet wiederum, „von Fremden kann nur dort die Rede sein, wo es gleichzeitig auch die Vorstellung eines Eigenen gibt. […] Erst über die Bezeichnung einer Person, Sache oder Situation als fremd wird das jeweils Eigene konturiert und umgekehrt wird das Verhältnis zu einer anderen Person oder Situation nur als Fremde bezeichnet werden können, wenn es vom Eigenen als unterschieden wahrgenommen oder bewertet wird.“33

2.1.2 Eigen und Fremd Als Gegensatzpaar verweist Eigen und Fremd auf das Denken in Dichotomien, welche scheinbar als anthropogenetisches Grundmuster unsere Wahrnehmung präformieren und wodurch wir erst in die Lage versetzt werden, mit Anderen in Beziehung zu treten.34 Nach Klaus-Peter Köpping handelt es sich hier um eine ontologische und anthropologische Konstante, bei der es keine Etablierung des Selbst ohne den Anderen gibt, kein Eigenes ohne NichtEigenes, Fremdes. „Die Tatsache jedoch, dass es Eigenes und Fremdes geben muss, um das Eigene konkret erleben und definieren zu können, heißt nicht, dass es sich um eine natürliche Konstante handeln muss. Vielmehr handelt es sich bei der Gleichsetzung von eigen mit normal, natürlich, echt und richtig um eine kulturell geprägte Wertung des Fremden, die variabel und von Machtfaktoren abhängig ist.“35

31 Alois Hahn: „Partizipative“ Identitäten. In: Münkler und Ladwig (Hrsg.): Furcht und Faszination (wie Anm. 19, S. 18), S. 115-158, hier S. 115. 32 Ebd. 33 Albrecht: Der Begriff (wie Anm. 1, S. 35), S. 86. 34 Dabei ist jedoch nach wie vor ungeklärt, ob es sich bei diesen Unterscheidungen um binäre Codes oder um soziale Klassifikationen handelt. Nach Rudolf Stichweh enthalten binäre Codes das Moment der exklusiven Zweiwertigkeit, jemand ist entweder zugehörig oder fremd. Soziale Klassifikationen hingegen können mehrstellig sein, Übergangszonen aufweisen und Uneindeutigkeiten Rechnung tragen. Vgl. Rudolf Stichweh: Das Fremde – Zur Soziologie der Indifferenz. In: Münkler und Ladwig (Hrsg.): Furcht und Faszination (wie Anm. 19, S. 18), S. 45-64, hier S. 48. 35 Klaus-Peter Köpping: Ausgrenzung oder Vereinnahmung? Eigenes und Fremdes aus der Sicht der Ethnologie. In: Siegfried Müller u.a. (Hrsg.): Fremde und Andere in Deutschland. Nachdenken über das Einverleiben, Einebnen, Ausgrenzen. Opladen 1995, S. 179-202, hier S. 190. 41

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Es hängt somit vom Standort und der intentionalen Einstellung des Einzelnen ab, „was diesem als fremd gilt oder gelten kann“36. Genauso wie die Erfahrungen des eigenen Selbst eingebunden sind in das Wert- und Normensystem der eigenen Kultur und Gesellschaft und dadurch Veränderungen unterworfen, ist auch das Interpretament „fremd“ in kollektive Deutungs- und Sinnbildungsprozesse verwoben. „Der einzelne erfährt sich ja nicht nur in der Auseinandersetzung mit anderen, sondern auch in seiner kulturellen Ausstattung mit einer bestimmten Sprache, mit bestimmten Überlieferungen, bestimmten Eigenheiten der materiellen Kultur, mit Normen und Werten.“37 Mit anderen Worten, das Eigene muss genauso gut erlernt werden wie das Fremde, von daher ist Fremderfahrung essentiell für den Menschen. Denn „ohne Fremderfahrung können wir uns nicht lernend mit der Welt auseinandersetzen, von daher hört das Fremde nicht eigentlich auf“38. Entscheidend für die Dialektik von Fremd und Eigen ist dabei, dass „das ‚Fremde‘ […] die primäre Erfahrungsform ist, über die sich das Eigene erst herausbildet. Keiner ist eigenes Selbst von Anfang an, jeder lernt schon im frühesten Sozialisationsprozess das Eigene als Verneinung des Fremden.“39 Daraus ergibt sich für Jeggle die Notwendigkeit: „das Fremde muss als Eigenes erlebt werden, um das Eigene im Fremden wahrnehmen zu können“. Aus einer anderen Perspektive betrachtet formuliert dies eine bekannte Redensart: Was Paul über Peter sagt, sagt mehr über Paul als über Peter.40 Von daher heißt über andere zu reden, über sich selbst zu reden. „Die Konstruktion der Anderen ist zugleich die Konstruktion des Selbst.“ Darin wird deutlich, „wie eng Fremdbild und Selbstbild, die Darstellung, die man vom Fremden gibt, mit der Vorstellung, die man von der eigenen Welt hat, verknüpft ist“. In der Wissenschaft hat man diesen Akt der Abgrenzung mit dem Neologismus des „Othering“ belegt.41 Eigen und Fremd lassen sich nach Justin Stagl über drei Bestimmungsmerkmale identifizieren: durch das von der „Normalität verschiedene“ bzw. „andersartige“, „dem dort bzw. hier im Raum“ und dem „einstmals und jetzt in der Zeit“42. Während letzteres vor allem den Wandel von Fremdheit meint, indem diese sich durch allmähliches „Vertraut-werden“ verlieren kann, impliziert der räumliche Aspekt zweierlei: zum einen Ortsbezogenheit, die in dem 36 Münkler und Ladwig: Dimensionen (wie Anm. 19, S. 18), S. 14. 37 Hermann Bausinger: Kulturelle Identität – Schlagwort und Wirklichkeit. In: Ders. (Hrsg.): Ausländer – Inländer. Arbeitsmigration und kulturelle Identität. Tübingen 1986, S. 141-160, hier S. 143. 38 Münkler und Ladwig: Dimensionen (wie Anm. 19, S. 18), S. 26. 39 Utz Jeggle: Fremdsein im eigenen Land. In: Müller u.a. (Hrsg.): Fremde und Andere (wie Anm. 35, S. 41), S. 203-218, hier S. 205. 40 Ebd., S. 214. 41 Fuchs und Berg: Phänomenologie der Differenz (wie Anm. 26, S. 21), S. 13. 42 Stagl: Grade der Fremdheit (wie Anm. 18, S. 38), S. 91. 42

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Begriffspaar „Heimat und Fremde“ zum Ausdruck kommt, und zum anderen Eigenschaften, die eine Beziehung durch „Nähe oder Distanz“ charakterisieren. Diese Charakterisierung hat allen voran Simmel in seinem Essay „Exkurs über den Fremden“ vorgenommen, in dem er den Fremden durch das Verhältnis von nah und fern definiert. Im Unterschied zum Gast setzt er voraus, dass „der Fremde heute kommt und morgen bleibt“. Er beschreibt den Fremden als „potenziell Wandernden, der die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht überwunden hat. Er ist ein Element der Gruppe selbst.“43 In der Figur des Fremden werden bei Simmel „Nähe“ und „Ferne“ zu einer Einheit gebracht.44 Der Fremde ist zugleich nah und fern. „Darum werden die Fremden auch eigentlich nicht als Individuen, sondern als die Fremden eines bestimmten Typus überhaupt empfunden, das Moment der Ferne ist ihnen gegenüber nicht weniger generell als das der Nähe.“45

2.1.3 Identität und Alterität46 Stand bei den bislang angeführten Theorien Fremdheit als Akt der Zuschreibung im Mittelpunkt, fokussieren postkoloniale Theorien eher auf das Verhältnis von Eigenem und Fremdem bzw. Identität und Alterität. Hierbei wird auch auf jene Konzepte kultureller Vermischung kurz eingegangen, die als kreativ konzipierte Aneignungsformen des Globalen im Lokalen gesehen werden können. Der Begriff des „Postkolonialen“ bezog sich zunächst auf die Phase der Dekolonisierung nach 1945 und meinte den Kampf um Unabhängigkeit von kolonialer Herrschaft. Zunehmend ging es in den postkolonialen Theorien auch um das Entstehen neuer, neokolonialer Abhängigkeiten. Die postkoloniale Theorie machte deutlich, dass intersubjektive und interkulturelle Beziehungen nicht immer auf der Gleichberechtigung der Partner basieren, sondern gerade während der Zeit des Kolonialismus bestimmt wurden durch normative Hierarchisierungen und Machtstrukturen der herrschenden Gruppe.47 Mit dem Aufkommen der „postcolonial studies“ in den 1980er Jahren gerieten immer mehr eurozentrische Wissensordnungen und Repräsentationssys43 44 45 46

Simmel: Exkurs (wie Anm. 8, S. 14), S. 764f. Vgl. Stichweh: Das Fremde (wie Anm. 34, S. 41), S. 49. Simmel: Exkurs (wie Anm. 8, S. 14), S. 770. Hierzu gab es von 1997-2003 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg einen von der DFG geförderten Sonderforschungsbereich SFB 541: „Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität“. Siehe hierzu Monika Fludernik und Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.): Grenzgänger zwischen Kulturen. Würzburg 1999. 47 Hanne Birk und Birgit Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie. In: Ansgar Nünning und Vera Nünning (Hrsg.): Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Trier 2002, S. 115-152, hier S. 124. 43

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teme ins Visier. Damit einher ging ein Wandel von einem imperialismuskritischen Epochenbegriff zu einem politisch-programmatischen und diskurskritischen Begriff. Das Präfix „post“ markierte nun das Weiterwirken kolonialistischer Strukturen in anderen Formen, nicht zuletzt im kulturellen und ökonomischen Gewand. Von daher war es wichtig, kritische Analysekategorien zu entwickeln, mit denen die problematische Konstruktion des „Anderen“ (othering) aufgearbeitet werden konnte. Gerade die postkoloniale Literaturkritik lieferte hierzu entscheidende Impulse, indem sie „die literarische Inszenierung von interkulturellen Begegnungen, d.h. die Konfrontation des Eigenen mit dem Fremden bzw. die Folgen dieses Aufeinandertreffens“ fokussierte.48 Postkoloniale Literaturkritik analysiert die „Formation von individuellen und kulturellen Identitäten, Wahrnehmungs- und Konstruktionsweisen von Alterität sowie ihre Bedeutung für die Identitätskonstitution“, wie auch die in den Texten implizierte Beurteilung transkultureller Hybridität. Das Ziel ist es dabei, die Korrelationen soziokultureller Kategorien mit formalen, narratologischen Analysekategorien aufzuzeigen, um die vielfältigen Repräsentationen des Fremden zu verdeutlichen und sie kulturhistorisch kontextualisieren zu können.49 Der Begriff der Identität, neben Alterität und Hybridität einer der zentralen Begriffe postkolonialer Theorie, wird dabei einer kritischen Revision unterzogen. Hierbei geht es auch darum, „sich selbst als Anderes, auch Fremdbestimmtes zu sehen“50. Ausgangspunkt bilden dabei Überlegungen zur Identitätskonstruktion, die meistens darauf basieren, die Konstruktion des Eigenen unauflöslich mit der Vorstellung vom Anderen zu verknüpfen. Alterität ist somit relational, das heißt, sie wird bestimmt von der subjektiven Idee vom Anderen, Andersartigen oder Fremden, weswegen es bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen Eigenem und Fremden nicht nur um das „Wesen“ des Anderen gehen kann. Das Augenmerk liegt vielmehr auf kulturell dominanten Wahrnehmungsmustern und narrativen Konstruktionen.51 Für die postkoloniale Erzähltheorie steht deswegen die Analyse von Erzählstrategien, durch die stereotypisierende Repräsentationen des Fremden konstruiert und beschrieben werden, sowie deren Funktionen im Mittelpunkt. Es zeigt sich, dass das Konzept eines dynamischen Verhältnisses zwischen Identität und Alterität verdeutlicht, „dass Identität nur in engem Zusammenwirken mit ‚den Anderen‘, in der Interaktion mit einem sozialen Umfeld kon-

48 Ebd., S. 119. 49 Ebd. 50 Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Hamburg (3. neu bearb. Aufl.) 2009, S. 206. 51 Birk und Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie (wie Anm. 47, S. 43), S. 123. 44

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struiert und stabilisiert werden kann. Die individuelle Existenz ist insofern unausweichlich dialogisch […]“52. Dieser Dialog – und das herausgearbeitet zu haben, ist ein Verdienst der postkolonialen Theorie – findet jedoch meistens nicht auf neutralem Feld statt, bei dem die Partner gleichberechtigt interagieren können. Vielmehr basiert die Konstruktion kultureller Identität oftmals auf einem „Akt der bewussten Abgrenzung von Anderen“. Identität wird dabei durch wertende Kontrastierungen mit stigmatisierendem und abwertendem Charakter etabliert. „Bei diesem ethnozentrischen Dichotomiemodell wird der höher bewertete Pol mit Identität, die abgewertete Eigenschaft diskursiv mit Alterität markiert. Ziel einer solch polarisierenden, negativen Konstruktion kultureller Alterität ist es, die eigene Identität zu stabilisieren und sie in ihrer Überlegenheit zu bestätigen.“53

Nach Seyla Benhabib markiert die Logik der binären Opposition auch eine Logik der Unterordnung und der Herrschaftsausübung.54 Psychische Folgen derart stereotypisierender und herabsetzender Konstruktionen beschreibt etwa Frantz Fanon, bei denen deutlich wird, wie z.B. nicht nur die rassistischen Stigmatisierungen die schwarze Bevölkerung auf ihre ethnische Zugehörigkeit reduzierten, sondern diese auch die ihnen zugeschriebenen Attribute sowie die eurozentristischen Werte des Machtdiskurses selbst internalisierten.55 „Diese Internalisierung des Selbst als Anderer hat weitreichende Folgen für die persönliche und kulturelle Identitätsbildung, denn sie ebnet einer inneren Enteignung der Subjektivität den Weg und treibt zur selbstentfremdeten Assimilation an die herrschende Kultur.“56 Demgegenüber machen wechselseitige Abhängigkeiten zwischen dem Selbst und dem Anderen aber auch deutlich: Der Andere ist nie jenseits der eigenen Identität verortet, sondern wird als integraler Teil des Selbst verstanden. Deswegen ist jeder Identität eine innere Differenz eingeschrieben. Differenz ist im Innern der Identität angesiedelt. Ähnlich formuliert es auch Julia Kristeva: „Das Fremde ist in uns selbst. Und wenn wir den Fremden fliehen oder bekämpfen, kämpfen wir gegen unser Unbewusstes – dieses ‚Uneigene‘ unseres nicht möglichen ‚Eigenen‘ […]. Das Fremde ist in mir, also sind wir alle Fremde. Wenn ich Fremder bin, gibt es keine Fremden.“57 Nach Homi Bhabha ist Differenz somit nicht reduzierbar, sondern bezeichnet einen fortwährenden Prozess des Unterscheidens; sie kann weder 52 53 54 55 56 57

Ebd., S. 124. Ebd. Seyla Benhabib: Selbst im Kontext: Genderstudies. Frankfurt 1995, S. 26. Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde. Hamburg 1969. Birk und Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie (wie Anm. 47, S. 43), S. 125. Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt am Main 1990, S. 208f. 45

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durch einfache Aneignung noch durch eine dialektisch vermittelte Synthese aufgelöst werden.58 „Die wechselseitige spannungsgeladene Durchdringung von Identität und Alterität bzw. die ‚Persistenz des Fremden im Eigenen‘“ – wie dies Gehrke59 formuliert hat – „erlaubt es schließlich, polarisierende Alteritätsmodelle zu überwinden. Kulturelle Identität wird folglich zu einem endlosen Prozess der Positionierung und Verhandlung“ worin sich kulturelle Alterität gleichsam selbst aufhebt und die Reibungsflächen zwischen dem Eigenen und dem Fremden ständig verschieben.60 „Hybridität“ wird von Bhabha deswegen als positiver Gegenentwurf zu dichotom konstruierten Identitäten verstanden, „als ein Gegenentwurf, der personale und kollektive Selbstbilder nicht in Abgrenzung von anderen bestimmt, sondern der die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem letztlich auflöst. Das Hybride ist dann nicht mehr die Spezifikation des Anderen, den ‚Wir‘ nicht kennen, sondern ein dem Eigenen und dem Anderen übergeordneter oder innewohnender ‚dritter Zustand‘.“61

Von daher zeigt sich Hybridität nicht erst zwischen den (verschiedenen) Kulturen, sondern bereits als innere Differenzierung einer Kultur, ja der Subjekte selbst.62 Hybridität impliziert auch ein Gegenkonzept zur Postulierung einer „Leitkultur“ und zu den Leitbegriffen multikultureller Gesellschaften wie Akkulturation, Integration und Assimilation, welches das wechselseitige Ineinanderwirken verschiedener, auch antagonistischer Kulturen und Teilkulturen betont. Interkulturelle Kontakte werden von Bhabha dabei „als ein unlösbares transkulturelles Zusammenspiel zwischen Identität und Alterität sowie Zentrum und Peripherie konzipiert“63. In einem dritten Raum des „Dazwischen“, der durch vielfältige Überlagerungsprozesse entsteht, kommt es durch transkulturelle Übersetzung- und Verschiebungsprozesse zu neuen hybriden Formen kultureller Identität, die 58 Vgl. Homi K. Bhabha: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000; Homi K. Bhabha: Verortungen der Kultur. In: Elisabeth Bronfen u.a. (Hrsg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen 1997, S. 123-148. 59 Vgl. Hans-Joachim Gehrke: Einleitung: Grenzgänger im Spannungsfeld zwischen Identität und Alterität. In: Monika Fludernik und Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.): Grenzgänger zwischen Kulturen. Würzburg 1999, S. 15-27, hier S. 16. 60 Birk und Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie (wie Anm. 47, S. 43), S. 126. 61 Birk und Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie (wie Anm. 47, S. 43), S. 128. Bhabhas Konzept der Hybridität wurde vielfach kritisiert. Eine ausführliche Darstellung der Kritik findet sich bei Castro Varella, Maria do Mar und Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld 2005. 62 Bachmann-Medick: Cultural Turns (wie Anm. 50, S. 44), S. 207. 63 Birk und Neumann: Postkoloniale Erzähltheorie (wie Anm. 47, S. 43), S. 127. 46

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Modelle einer „reinen oder authentischen Kultur fragwürdig erscheinen lassen“64. Das Ausloten des dritten Raums wurde zu einer Interpretationsmethode gemacht, die gegen Dichotomien und binäre Kategorisierungen einschreitet. Er hatte für die Forschungspraxis eine Erschütterung ihrer konventionellen, festen Untersuchungseinheiten zur Folge, weil dadurch die Unterscheidungen von innen und außen, lokal und global von Wir und den Anderen sich verwischen.65 Die grundsätzliche Kritik an der modernen Wissensordnung und am universalisierenden Herrschaftsdiskurs des westlichen Rationalismus führte zu einer breiten Rezeption der postkolonialen Theorie in den Geisteswissenschaften und zu einem „postcolonial turn“.66 Besonders im Hinblick auf methodische Zugänge bedeutete dies, sich nicht länger auf „vorgegebene Identitäten oder kulturelle Ganzheiten zu berufen, sondern deren Konstruktcharakter nachzugehen, d.h. feste Einheiten – auch Kulturen – zu dekonstruieren und aufzuzeigen, wie Kulturen in sich mehrschichtig widersprüchlich und unrein, da von Gegendiskursen durchzogen sind“67. In den Ethnowissenschaften führte dieser methodische Impetus dazu, die Zugänge zum Feld neu zu überdenken etwa im Sinne einer „multisited ethnography“ und zur Entwicklung neuer Themenfelder im Kontext postkolonialer Transformationen wie etwa Globalisierung und Migration, Diaspora und hybride Räume.68 Die Frage, wie sich das Zusammenspiel von Identität und Alterität im Reden der Einheimischen und in deren Identitätskonstruktionen widerspiegelt, wird ein Schwerpunkt der Interviewanalyse in Kapitel 4 sein. Eine Form des Umgangs mit Fremdheit, die für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist, ist mit dem Begriff der Amerikanisierung verbunden, auf den im Folgenden näher eingegangen wird.

2.1.4 Amerikanisierung und Amerikabild in Deutschland Ein besonderes Phänomen im Kontext von Fremdheit und Ort ist die Dominanz der amerikanischen (Populär-)Kultur und der damit verbundene Grad der Identifikation mit amerikanischen Werten. Dies gilt sowohl im weltweiten als auch im regionalen Kontext und vor allem dort, wo Amerikaner durch ihre langjährige Präsenz das Leben vor Ort maßgeblich prägten, wie dies im Hunsrück der Fall war. Eine zentrale Herausforderung der Amerikanisierungsdebatte wird darin gesehen, die erstaunliche Wirkung, die die amerikanische Populärkultur 64 65 66 67 68

Ebd., S. 128. Bachmann-Medick: Cultural Turns (wie Anm. 50, S. 44), S. 203f. Ebd., S. 185. Ebd., S. 206. Ebd., S. 218. 47

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weltweit gefunden hat, zu erklären. Amerikanisierung und Selbstamerikanisierung sind ein Beispiel dafür, wie Kategorien des „Fremden“ in das „Eigene“ übernommen wurden und Teil der eigenen Identitätskonstruktion geworden sind. Nach Winfried Fluck ist dies in erster Linie nicht das Resultat von Marktdominanz und politischem Einfluss, sondern eher Folge einer Form der Selbstamerikanisierung. Für Fluck prägten zwei Faktoren, die mit der multiethnischen Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft verbunden waren, die amerikanische Populärkultur: Sie profitierte zum einen frühzeitig von einem breiten Spektrum verschiedener ethnischer Einflüsse; zum anderen stand sie einem Markt gegenüber, bei dem sie gezwungen war, Ausdrucksformen zu entwickeln, die ein heterogenes Publikum ansprechen konnten. Vereinfachungen und Reduktionen, die zum entscheidenden Bezugspunkt der Kulturkritik wurden, bezeichnet Fluck als die zentralen Mechanismen der amerikanischen Populärkultur.69 Amerikanisierung kann von daher als ein Effekt von Modernisierung begriffen werden und zwar im Sinne des kulturellen Versprechens der Moderne auf individuelle Selbstentfaltung. Auch Kaspar Maase stimmt dem zu: „Die Deutschen wissen, was sie tun, wenn sie den Amerikanern etwas abschauen. Sie wählten aus, was ihnen für ihr Leben und zur Durchsetzung ihrer Interessen im eigenen Land nützlich erschien. Sie legten es sich so zurecht und gebrauchten es so, wie es hierher passte. Amerikanisierung in Deutschland war in erster Linie modern, in zweiter – wenn man denn so will – ‚deutsch‘ und allenfalls in dritter Linie ‚amerikanisch‘.“70

Deutsche Selbstamerikanisierung hatte nach Maase nichts mit dem Drang, in allem so zu werden wie die Amerikaner, zu tun. Vielmehr galt das Streben dem „amerikanischen Vorsprung und die Ausstrahlung des ‚Amerikanischen‘ zu nutzen, um Wünsche zu erfüllen, die man in Deutschland schon seit Generationen nährte: das Verlangen nach einem guten, weniger anstrengenden, nach einem schicken und

69 Winfried Fluck: California Blue. Amerikanisierung als Selbstamerikanisierung. In: Ute Bechdolf, Reinhard Johler und Horst Tonn (Hrsg.): Amerikanisierung – Globalisierung. Transnationale Prozesse im europäischen Alltag. Trier 2007, S. 9-29. 70 Kaspar Maase: Amerikanisierung der Gesellschaft. Nationalisierende Deutungen von Globalisierungsprozessen? In: Konrad Jarausch und Hannes Siegrist (Hrsg.): Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945-1970. Frankfurt am Main und New York 1997, S. 219-241. 48

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pflegeleichten Leben für die einfachen Leute, nach mehr Rechten auch und mehr Respekt für ‚die Masse‘.“71

Die Bewertung schlug jedoch um, gerade weil Amerikanisierung nach 1945 so erfolgreich war. Durch Amerikanisierung „von oben“, u.a. durch umfangreiche Besuchs- und Austauschprogramme, sollte Deutschland erfolgreich verwestlicht werden, wobei die amerikanische Hegemonie und Angst vor dem Kommunismus dabei eine wesentliche Rolle spielten.72 Maase weist darauf hin, dass die Amerikanisierung auch maßgeblich „von unten“ vorangetrieben wurde. Er meint damit die Hinwendung der „einfachen und ungebildeten Masse“ zu den Versprechungen und Vergnügungen des American Way of Life. Obwohl teilweise unbeabsichtigt, trug sie wesentlich zur Verwestlichung der Deutschen bei. Sich auf Amerika zu berufen, bedeutete damals soziale Anerkennung für die einfachen Leute und half im Ringen um die Anerkennung des popularen Geschmacks. „Was der Mehrheit gefiel, war zu respektieren, weil in der Demokratie Mehrheiten zählen.“73 Allerdings war in Deutschland das Meinungsbild über die Amerikaner durchaus nicht einheitlich und einem Wandel unterworfen. Mitte der 1950er Jahre lagen die Sympathiewerte für die Amerikaner bei den Jüngeren höher als bei den Älteren.74 Die junge Elite verschrieb sich Amerika, so Marion Gräfin Dönhoff: „Nach dem Zusammenbruch und den langen Jahren moralischer Pervertierung, Intoleranz und geistiger Öde war die moderne, freidiskutierende, offene Gesellschaft der Vereinigten Staaten mit ihrem Optimismus und ihrem Vertrauen in die Zukunft für diejenigen von uns, die damals die Gelegenheit hatten, Amerika näher kennenzulernen, geradezu eine Offenbarung.“75

Aber auch die Deutschen, die nicht in die USA reisen konnten, sahen in den Amerikanern die Überbringer von Freiheit und Wohlstand. Die zügige Orientierung in Richtung Westen machten die USA zum alltäglichen Vorbild in je71 Kaspar Maase: „I like to be in America“ – Zur ‚Amerikanisierung‘ deutscher Alltagskultur nach 1945. In: Bechdolf, Johler und Tonn (Hrsg.): Amerikanisierung – Globalisierung (wie Anm. 69, S. 48), S. 31-47, hier. S. 38. 72 Maase: „I like to be in America“ (wie Anm. 71, S. 49), S. 39. Nach von Saldern wurden die Diskussionen über Amerikanisierung und Amerikanismus hauptsächlich von der gebildeten Mittelschicht im weiteren und vom Bildungsbürgertum im engeren Sinne getragen“. Adelheid von Saldern: Überfremdungsängste. Gegen die Amerikanisierung der deutschen Kultur. In: Alf Lüdtke u.a. (Hrsg.): Amerikanisierung: Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996, S. 213-244, hier S. 215. 73 Maase: „I like to be in America“ (wie Anm. 71, S. 49), S. 42. 74 Ebd. 75 Marion Gräfin Dönhoff: Amerikanische Wechselbäder. Stuttgart 1983, S. 7. 49

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dem Lebensbereich der Nachkriegsjugend. Gerade aufgrund der amerikanischen Reaktionen auf die Blockade Berlins mit der Versorgung des Westteils der Stadt über die Luftbrücke wandelten sich die Amerikaner in der Sichtweise vieler Deutscher von Besatzern zu Verteidigern. Die Westdeutschen fühlten sich geborgen in der Gewissheit des amerikanischen Schutzes. Dieses Gefühl der Verbundenheit mit Amerika hielt nach Schmiese zwei Jahrzehnte an und erlebte einen Höhepunkt unter der Präsidentschaft von John F. Kennedy.76 Nach dessen Ermordung zerbrach das nahezu einheitliche positive Amerikabild der deutschen Bevölkerung, wie auch der Krieg in Vietnam den Protest gegen die Weltmacht herausforderte. Den USA wurden wegen Vietnam und Watergate Imperialismus, Skrupellosigkeit und Heuchelei vorgehalten. Diese Stereotypen tauchten dann in den frühen 1980er Jahren zur Zeit der NATO Nachrüstungsdebatte erneut auf.77 Trotz der abnehmenden Sympathiewerte für die Amerikaner bleibt festzuhalten, dass die Auswirkungen der Amerikanisierung – insbesondere der „von unten“ – noch lange nachwirkten und wirken – ein Umstand, der in den Erzählungen der Einheimischen auf dem Hunsrück eine bedeutende Rolle spielt.

2 . 2 Z u m V e r h ä l t n i s vo n R a u m u n d O r t „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, kalauerte Karl Valentin78 und machte damit deutlich, dass dem Raum bzw. dessen Kontext eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung von Fremdheit zukommt. Welchen Stellenwert dabei Lokalisationen bzw. Orte einnehmen, wird im Folgenden erörtert. Zeit und Raum sind als „kulturelles Koordinatensystem gesellschaftlichen Lebens“ keine absoluten Größen,79 sondern vielmehr in ihrer erlebten, sozialen Form ein Produkt historisch gewachsener Konstellationen, Wahrnehmungsmuster und Aneignungspraktiken.80 So ist auch die Produktion von Raum Bestandteil sozialer Praktiken, in denen Regionen oder Orte durch Interaktionen abgegrenzt und gestaltet werden.81 „Raum“ ergibt sich somit erst

76 Wulf Schmiese: Fremde Freunde. Deutschland und die USA. Zwischen Mauerfall und Golfkrieg. Paderborn u.a. 2000, S. 71. 77 Ebd., S. 74-76. 78 Karl Valentin: Die Fremden. In: Ders.: Monologe und Dialoge. München und Zürich 1981, S. 158-160. 79 Wolfgang Kaschuba: Die Überwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europäischen Moderne. Frankfurt am Main 2004, S. 9. 80 Vgl. Martina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt am Main 2002, S. 34. 81 Siehe hierzu: David Harvey: The Condition of Postmodernity. An Enquiry into the Origins of Cultural Change. Oxford 1989; Anthony Giddens: Konsequenzen 50

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als „Resultat menschlicher Syntheseleistung, als eine Art Synopsis der einzelnen ‚Orte‘, durch die das örtlich Getrennte in einen simultanen Zusammenhang, in ein räumliches Bezugssystem gebracht wird“82. Orte bezeichnen demnach Markierungen im Raum, wobei sie sich gegenseitig bedingen: „Die Konstitution von Raum bringt systematisch Orte hervor, so wie Orte die Entstehung von Raum erst möglich machen.“83 „Dabei wird die fundamentale Bedeutung von Orten für die Konstitution von Raum vor allem darin gesehen, dass alle Raumkonstruktionen mittelbar oder unmittelbar auf Lokalisierungen basieren, durch die Orte entstehen.“84 Von daher bezeichnet Ort einen Platz, eine Stelle, ist konkret benennbar, einzigartig und meist geografisch markiert. Im Ort sind das Eigene, das Unverwechselbare, das Nichtvergleichbare aufgehoben.85 Orte werden durch die Platzierung sozialer Güter oder Menschen kenntlich gemacht, verschwinden aber nicht mit den Gütern/Menschen, sondern stehen dann für andere Besetzungen zur Verfügung. Der Ort ist somit Ziel und Resultat der Platzierung und nicht wie Menschen/Güter selbst platziertes Element.86 Er ist nach Pierre Bourdieu u.a. „die Stelle, an der ein Akteur oder ein Gegenstand situiert ist, seinen Platz hat, […] als Lokalisation. […] Jeder Akteur ist charakterisiert durch den Ort, an dem er mehr oder minder dauerhaft situiert ist […] und durch die Position seiner Lokalisationen […] im Verhältnis zur Position der Lokalisationen der anderen Akteure.“87

Raum und Ort besitzen somit eine Orientierungsfunktion und sind auch Ausdruck des Wertesystems einer Gesellschaft. Als Bedeutungs- und Bezugssystem weisen sie in Vergangenheit und Zukunft. Die Bedeutung, die einem Ort beigemessen wird, ist somit nicht dauerhaft und ein für alle Mal gegeben, sondern kulturelles Konstrukt und Ergebnis vielfältiger gesellschaftlichkultureller Prozesse. Sie wird bestimmt vom sozialen Wandel und hängt mit einer Symbolisierung menschlicher Beziehungen zusammen, die, wie Heiner

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der Moderne. Frankfurt am Main 2001; Henri Lefebvre: The Production of Space. Oxford 1991. Dieter Läpple: Gesellschaftszentriertes Raumkonzept. Zur Überwindung von physikalisch-mathematischen Raumauffassungen in der Gesellschaftsanalyse. In: Martin Wentz (Hrsg.): Stadt – Räume. Frankfurt am Main und New York 1992, S. 35-46, hier S. 37. Siehe hierzu auch die Trennung von Pierre Bourdieu in einen physischen und sozialen Raum, worauf später noch näher eingegangen wird: Pierre Bourdieu: Physischer, sozialer und angeeigneter Raum. In: Wentz (Hrsg.): Stadt – Räume (wie Anm. 82, S. 51), S. 25-34. Löw: Raumsoziologie (wie Anm. 80, S. 50), S. 224. Ebd., S. 201. Vgl. ebd., S. 199. Vgl. ebd., S. 198. Bourdieu: Physischer, sozialer und angeeigneter Raum (wie Anm. 82, S. 51), S. 26. 51

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Treinen bereits 1965 gezeigt hat, im Ortsbezug zum Ausdruck kommt.88 Für Treinen sind es primär die Sozialzusammenhänge der Bewohner bestimmter Orte bzw. Regionen, die ihre Ortsbezogenheit bewirken. Dabei trägt in den Dörfern das Miteinander-Reden und das gegenseitige Erzählen zum Ortsbewusstsein bei. Nach Ulf Hannerz erleben Menschen ihre lokale Umgebung mit all ihren Sinnen. „Es besteht ein Gefühl der Unmittelbarkeit, sogar des Eintauchens, des Umgebenseins. Was erfahren wird, wird auch weitgehend kontextualisiert.“89 Damit eine Person sich einem „Ort“ zugehörig definieren kann, müssen bestimmte institutionalisierte Merkmale vorliegen, wie etwa die Wohndauer oder Festansässigkeit. Erst die Interaktion mit Menschen in einem bestimmten Situationszusammenhang, der den Ort betrifft, führt dann zur „emotionalen Besetzung eines Ortssymbols“90. Ort und Raum sind also das Produkt dessen, was der Mensch hergestellt und gedeutet hat. Sie sind sozial und kulturell konstruiert.91 Eine Auseinandersetzung damit beinhaltet eine Beschäftigung mit Bildern und Deutungen, d.h. „wir reden über Bilder von Bildern“92, die einem steten Wandel unterworfen sind.

2.2.1 Raumkonzepte der Vergangenheit Herkömmliche Raumkonzepte, die lange Zeit auch die volkskundliche Kulturraumforschung dominierten, gingen von einem territorialen Raumbegriff aus, bei dem die zu erforschenden Phänomene vorab lokalisiert und dadurch dem Ort ein zentraler Stellenwert zugeschrieben wurde.93 Dies hing damit zu88 Heiner Treinen: Symbolische Ortsbezogenheit. Eine soziologische Untersuchung zum Heimatproblem. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 7 (1965), S. 73-79 und S. 254-297; Heiner Treinen: Symbolische Ortsbezogenheit. In: Peter Atteslander und Bernd Hamm (Hrsg.): Materialien zur Siedlungssoziologie. Köln 1974, S. 234-259, hier S. 254. 89 Ulf Hannerz: Das Lokale und das Globale: Kontinuität und Wandel. In: Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.): Ethnizität und Migration. Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder. Berlin 2007, S. 95-114, hier S. 108. 90 Treinen: Symbolische Ortsbezogenheit (wie Anm. 88, S. 52), S. 255. 91 Auch Konstrukte sind „generelle Elemente der Wirklichkeitsauffassung“ und „Bestandteil von Realitäten im allgemeinen Bewusstsein“, weswegen die Darstellung von Fakten zum Problem werden könnte. Hermann Bausinger: Kulturen – Räume – Grenzen. In: Hildegard Frieß-Reimann und Fritz Schellack (Hrsg.): Kulturen, Räume, Grenzen. Interdisziplinäres Kolloquium zum 60. Geburtstag von Herbert Schwedt (= Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz 19). Mainz 1996, S. 7-24, hier S. 9. 92 Konrad Köstlin: Region in europäischen Modernen (wie Anm. 66, S. 33), S. 123. 93 In ihrem Plädoyer, „mehr in Räumen zu denken“, setzt sich Johanna Rolshoven ausführlich mit bisherigen Raum- und Kulturkonzepten der Volkskunde auseinander und trägt mit ihren Überlegungen dabei bereits früh einem allgemein in 52

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sammen, dass der Kulturbegriff an die Idee eines festen Ortes gekoppelt war. „Wurzeln (roots) hatten immer den Vorrang vor Wegen (routes)“ so James Clifford.94 Der Ort wurde darin zum „pars pro toto“ für Kultur überhaupt, Kultur und Raum deckungsgleich behandelt. Kultur ließ sich damals nur als „Kultur vor Ort“ verstehen.95 Clifford dagegen plädierte dafür, den Kulturbegriff von der Gebundenheit an einen Ort abzulösen: „Die Vorstellung, das Konzept der Kultur sei untrennbar an Lokalitäten gebunden, ist unhaltbar, denn Bedeutung wird ebenso von Menschen ‚in Bewegung‘ geschaffen und von den Flüssen und Verbindungen zwischen ‚Kulturen‘.“96 Was lange als klassisches anthropologisches Konzept galt, „nämlich die Vorstellung, dass Kultur als etwas Festes, als etwas Abgegrenztes an bestimmte Orte oder Räume gebunden ist und dass damit also unterschiedliche Kulturen in Konsequenz eben ganz einfach territorial voneinander getrennte homogene Einheiten sind“, wurde von daher in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt.97 Das zeigte sich auch an „alten“ volkskundlichen Vorstellungen von Dorf, Gemeinde oder Region, deren Bezeichnung auch früher schon immer wieder zu Definitionsproblemen führte. Im Gegensatz zum Siedlungsbegriff,98 der allgemein räumliches Sozialverhalten in einem offenen System benennt, wurden mit Dorf und Gemeinde

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den Sozial- und Kulturwissenschaften konstatierten „Spatial Turn“ Rechnung. Johanna Rolshoven: Von der Kulturraum- zur Raumkulturforschung. Theoretische Herausforderungen an eine Kultur- und Sozialwissenschaft des Alltags. In: Zeitschrift für Volkskunde 99 (2003), S. 189-213, hier S. 191. Der von Rolshoven verwendete territoriale Raumbegriff unterscheidet sich von dem gleichnamigen, der auf Ina-Maria Greverus zurückgeht. Siehe hierzu: Ina-Maria Greverus: Der territoriale Mensch. Ein literaturanthropologischer Versuch zum Heimatphänomen. Frankfurt am Main 1972. James Clifford: Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century. Harvard 1997. Vgl. Michael Dickhardt und Brigitta Hauser-Schäublin: Eine Theorie kultureller Räumlichkeit als Deutungsrahmen. In: Brigitta Hauser-Schäublin und Michael Dickhardt (Hrsg.): Kulturelle Räume – räumliche Kultur. Zur Neubestimmung des Verhältnisses zweier fundamentaler Kategorien menschlicher Praxis. Münster, Hamburg und London 2003, S. 13-42, hier S. 17. John Tomlinson: Globalisierung, Kultur und komplexe Vernetzungen. In: Thomas Düllo u.a. (Hrsg.): Kursbuch Kulturwissenschaft. Münster, u.a. 2000, S. 1744, hier S. 40. Reinhard Johler: Volkskunde und Europa. Zum Beispiel: das „Europa der Regionen.“ In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 102 (2006), S. 147-162, hier S. 152. Dieser spielte bei den Akkulturationsstudien von Hermann Bausinger, Markus Braun, Herbert Schwedt (Neue Siedlungen, Tübingen 1959) oder von Ulrich Tolksdorf (Volksleben in den Ermländersiedlungen der Eifel, Marburg 1967) eine wichtige Rolle. 53

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konkrete Lokalisierungen assoziiert. Sie waren durch spezifische Strukturen gekennzeichnet, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.

2.2.2 Dorf und Gemeinde Dorf und Gemeinde meinen zweierlei: Ist der Begriff des Dorfes ideologisch aufgeladen und verweist auf Vorstellungen von Einheit und Geschlossenheit, wird mit Gemeinde eine Verwaltungseinheit umschrieben, die „verwaltungstechnische Modalitäten“ definiert.99 Das Dorf wurde lange Zeit als ein Mikrokosmos – als eine Welt im Kleinen – gesehen.100 Es diente aber auch als Projektionsfolie: Das Dorf schien geprägt durch Gemeinschaft und Tradition, es galt als überschaubarer gegenüber einer zunehmend komplexer werdenden Welt und wurde so zur betulichen Gegenwelt stilisiert.101 Als Kennzeichen des Dorfes galten neben Vielfachüberlappungen eines sozialen Netzes, welches auf dem Land deutlich dichter erschien als in der Stadt, dessen scheinbare Einheit und Geschlossenheit, die bereits früh Widerspruch hervorrief. Die „Einheit des Orts“, schrieb Hermann Bausinger 1961, steckte zunächst einen Raum ab, in dem sich das Geschehen vollzieht – ein Geschehen, das zusammengehörig und aufeinander bezogen ist, bei der die Einheit des Ortes die Horizonte setzte. „So entsteht auch die von uns gemeinte Einheit des Orts in der Wirklichkeit nicht durch ein ethisches Prinzip, das einheitlich einen Ort durchwirkt, sondern durch Horizonte, welche die Zusammengehörigkeit des Geschehens und die Verständigungsmöglichkeiten begrenzen: was jenseits dieser Horizonte ist, rückt gar nicht ins Blickfeld.“102

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Carola Lipp und Wolfgang Kaschuba: Abriss der Gemeindeforschung. Probleme der Realität und wie sie sich in einer Wissenschaft widerspiegeln. In: Tübinger Korrespondenzblatt 17 (1977), S. 7-20, hier S. 12. Ausführlich dazu: René König: Grundformen der Gesellschaft: Die Gemeinde. Hamburg 1958. 100 Siehe hierzu das Vorwort in der „Deutschen Volkskunde“ von Richard Beitl: „Die Volkskunde eines jeden Landes steht nicht nur im Dienste der eigenen Nation, sie erfüllt auch eine wichtige, ja unentbehrliche Aufgabe in der Bildungs- und Weltanschauungskrise des europäischen Menschen überhaupt. Der Volksglaube führt uns an die Quelle des Religiösen. Die kleine Gemeinschaft, das Dorf, das Haus, ihr Wesen und Leben zeigen uns, wie soziale Gebilde entstehen.“ Richard Beitl: Deutsche Volkskunde. Von Siedlung, Haus und Ackerflur – Von Glaube und Volk – Von Sage, Wort und Lied des deutschen Volkes. Berlin 1933, S. 5. 101 Vgl. Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie. München 1999, S. 128f. 102 Hermann Bausinger: Volkskultur in der technischen Welt. Frankfurt am Main und New York 1986 (Erstausgabe 1961), S. 56. 54

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Das „wirkliche Bild des alten Dorfes – oder richtiger – der verschiedenartigen Dörfer und ihrer Vergangenheit zu zeichnen“103, führte in den 1960er und 1970er Jahren zu einer Vielzahl von Forschungsarbeiten im Fach. Bereits damals wurde deutlich, dass von einer Geschlossenheit des Dorfes keine Rede (mehr) sein konnte. Denn die Mobilität in den Dörfern war „außerordentlich hoch […], der Bestand der Bevölkerung wechselte so im Laufe der Jahrhunderte fast überall mehrfach“. Dies widersprach dem Bild vom geschlossenen Dorf, wie eben auch dörfliche Eigenart gar nicht in erster Linie eine Frage äußerer Geschlossenheit sei, sondern eine Frage des Stils, der zwar seine sozialen und geschichtlichen Bedingungen habe, aber keineswegs nur eine Funktion dieser Bedingungen sei.104 Dennoch bestimmten die Verabsolutierung des Dorfes als Bauerndorf und die Deutung des Dorfes als ahistorisches Gebilde lange Zeit die sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung. Erst die Öffnung der Volkskunde für sozialwissenschaftliche Themen und Methoden brachte „die dörfliche Lebenswelt als ‚Gesellschaft‘, als Wirkungsraum des Modernisierungsprozesses“ ins Blickfeld.105 Im Zentrum stand damals die Frage nach dem Kulturwandel, der sich, ausgelöst durch die Folgen der Industrialisierung und der Modernisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem in einem Mikrokosmos wie dem Dorf zeigen ließ. Denn das Dorf galt als eine Nische der Geschichte, dort schienen sich bestimmte Dinge länger zu halten als anderswo, besonders im Vergleich mit der Stadt. „Die Dörfler waren sich dessen sehr bewusst. […] Als Randständige der Nachkriegsmoderne […] erlebten sie jenes Gefühl eigener ‚Ungleichzeitigkeit‘.“106 Mit dem propagierten „Abschied von der Idylle“ (bzw. vom Volksleben) wurde auch dem romantisch anheimelnden Bild von der dörflichen Gemeinschaft als einer „Einheit in der Einigkeit“, das geprägt wurde von der Vorstellung, dass wir es hier mit einem „in allen Teilen abgestimmten, geschlossenen Organismus“ zu tun hätten, wissenschaftlich eine Absage erteilt.107 Als Zeichen der Abgrenzung gegenüber herkömmlichen Dorfforschungen scheint sich der Gemeindebegriff deutlich neutraler gegenüber dem des Dorfes zu verhalten. Dessen Verwendung – darauf hatte bereits 1954 Conrad Arensberg hingewiesen – war jedoch ebenfalls mit einem Paradigma verbunden.108 Die Gemeinde wurde nicht als Erkenntnisobjekt, sondern als Verwal103 Ebd., S. 54. 104 Vgl. ebd., S. 55. 105 Wolfgang Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie. München (2. aktualisierte. Aufl.) 2003, S. 95. 106 Ebd., S. 178. 107 Vgl. Bausinger: Volkskultur (wie Anm. 102, S. 54), S. 56. 108 Vgl. Conrad M. Arensberg: Die Gemeinde als Objekt und Paradigma. In: René König (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung Bd. 4. Stuttgart 1974, S. 82-116, hier S. 84. Conrad M. Arensberg unterscheidet hier zwischen Untersuchungen der Gemeinde an sich und solchen, „die die Gemeinde als ein 55

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tungseinheit bzw. Lokalität gesehen, auf deren Gebiet eine Vielzahl gesamtgesellschaftlicher Erscheinungen beschrieben und erforscht wurden. Daraus resultierte zwar eine Fülle von Erkenntnissen über das Leben in der Gemeinde, das Funktionieren der Gemeinde selbst als System oder Siedlungseinheit wurde jedoch nicht erklärt. Denn „nicht eine Siedlungseinheit ist Erkenntnisobjekt wie in der Gemeindesoziologie, sondern die Raumbezogenheit der Gesellschaft“109. Nachdem sich die vermeintliche Einheit von Kultur, Ort bzw. Raum und Sprache immer mehr als Trugschluss erwiesen hatte, was für Bausinger mit einer veränderten gesellschaftlichen Raumerfahrung korrespondierte, traten an die Stelle räumlicher Orientierung und daraus hervorgehender räumlicher Einheiten immer häufiger multiple Bezüge, die sich räumlich nicht präzisieren ließen.110

2.2.3 „Glokale Orte“ Heute stehen im Fokus der Beschäftigung mit Orten und Räumen in den Sozial- und Kulturwissenschaften vor allem deren diskursive Herstellung sowie neue Formen individueller wie kollektiver Ortsbezogenheit. Hinzu kommt, dass die Beschreibung von globalen Prozessen Raumkonzepte verlangt, die anders als die bislang gültigen nicht länger von einem konkreten Ort als gegebenem Kontinuum ausgehen. Der Ort wurde vielmehr zur „fragilen sozialen Errungenschaft“, die immer wieder hervorgebracht und verteidigt werden müsse. Der „Verlust des Ortes“, „Ortlosigkeit“ oder gar das „Verschwinden des Raums“, wie es vor dem Hintergrund globaler Transformationsprozesse mehrfach konstatiert worden ist, wurden zu Topoi von scheinbar enträumlichten Bedingungen unserer Lebensbezüge.111 Untersuchungsfeld oder Paradigma betrachten, innerhalb dessen etwas anderes als die Gemeinde selbst erforscht werden soll.“ Er diskutiert darin die Frage, inwiefern es legitim sei, „eine Gemeinde als Mikrokosmos eines gesamtgesellschaftlichen Makrokosmos“ zu betrachten. 109 Peter Atteslander und Bernd Hamm: Einleitung. Grundzüge einer Siedlungssoziologie. In: Dies. (Hrsg.): Materialien (wie Anm. 88, S. 52), S. 16. 110 Vgl. Bausinger: Kulturen (wie Anm. 91, S. 52), S. 17ff. 111 Vgl. hierzu Arjun Appadurai: The Production of Locality. In: Ders.: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis und London 1996, S. 178-199; Akhil Gupta und James Ferguson: Culture, Power, Place: Ethnography at the End of the Era. In: Dies.: Culture, Power, Place. Explorations in Critical Anthropology. Durham und London 1997, S. 33-51; Robertson: Glokalisierung (wie Anm. 2, S. 12), S. 192-220. Siehe hierzu auch: Beate Binder u.a. (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper (wie Anm. 18, S. 18). Zur Fragilität von Orten bzw. „Nicht-Orten“ in Transiträumen: Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Frankfurt am Main 1994. 56

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Folgt man Ulrich Beck, so bezeichnet „Globalität“ die Tatsache, dass von nun an nichts, was sich auf unserem Planeten abspielt, nur ein örtlich begrenzter Vorgang ist, sondern, „dass alle Erfindungen, Siege, Katastrophen die ganze Welt betreffen und wir unser Leben und Handeln, unsere Organisationen und Institutionen entlang der Achse ‚lokal-global‘ reorientieren und reorganisieren müssen“112. Nach Beck bricht das Gefüge der Grundannahmen zusammen, in denen bisher Gesellschaften und Staaten als territoriale, gegeneinander abgegrenzte Einheiten vorgestellt, organisiert und gelebt wurden. Dadurch wird das eigene Leben zum Ort des Glokalen. Es „ist kein ortseingebundenes mehr, kein gesetztes, kein sesshaftes Leben“113. Durch diese Transnationalität, welche durch Zeit- und Raumüberbrückungstechnologien möglich werde, kommt es, so Beck, zur Auflösung der Verbindung von Ort und Gemeinschaft.114 Menschen spannen ihr Leben über getrennte Welten hin auf, wobei die Gegensätze dieser verschiedenen Orte ins Blickfeld rücken. Um im Dazwischen leben und bestehen zu können, muss für andere dauernd übersetzt werden, was ein hohes Maß an innerer Mobilität erfordert.115 Dabei sind die verschiedenen Welten potenziell an einem Ort präsent, jedoch „die Vorstellung an einem abgeschlossenen, abschließbaren Ort zu leben, wird überall erfahrbar fiktiv“116. Dabei zeigt sich, dass der scheinbare „Verlust des Ortes“ eher mit einer räumlich definierten Besonderheit einhergeht: „Im Kontext von sich verändernden Machtkonstellationen […], von fragwürdig werdenden Formen der Identitätskonstruktion und zunehmender Entgrenzung sozialer, politischer und ökonomischer Strukturen scheinen Ort und Territorium als Faktor von Macht, Identitätskonstruktion und Abgrenzung gegen ‚Andere‘ eine neue Funktion zu erhalten. […] Demnach haben sich die Möglichkeiten räumlichen Handelns verändert, nicht aber die Tatsache, dass menschliches Handeln fundamental räumliches Handeln ist.“117

Gerade der letzte Aspekt scheint im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung besonders interessant, wirft er doch Fragen nach dem Stellenwert des Ortes bzw. nach der Herstellung und Bedeutung von Ortsbezogenheit für das Zusammenleben mit Fremden und dem Umgang mit Fremdheit auf. Vor dem 112 Ulrich Beck: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankfurt am Main (6. Aufl.) 1999, S. 30. 113 Ebd., S. 129. 114 Ebd., S. 130. 115 Innere Mobilität meint nach Ulrich Beck „das Maß an geistiger und physischer Beweglichkeit, das nötig oder gewünscht wird, um das alltägliche Leben zwischen verschiedenen Welten zu meistern.“ Ebd., S. 132. 116 Ebd. 117 Dickhardt und Hauser-Schäublin: Eine Theorie (wie Anm. 95, S. 53), S. 14f. 57

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Hintergrund von Gegenwartsanalysen, in denen die gesellschaftliche Neuformierung des Raums vor allem als Auflösungsprozess beschrieben wird, stellt sich hier aber auch die Frage nach dem Stellenwert von Region in einem sich verändernden Europa und vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen.118 So mag zwar der scheinbare „Verlust des Ortes“ wie auch die Produktion angeblich „identischer Orte“ einem Bedeutungswandel zugeschrieben werden, der auf einen Prozess der Entnationalisierung zurückzuführen ist. Inwiefern darauf jedoch, sozusagen reaktiv, ein Prozess der Reterritorialisierung folgen muss, wie dies immer wieder apostrophiert wird119, und dabei zu einer Aufwertung von Lokalität und zur Betonung von „Heimat“ und „Gemeinschaft“, soll hier überprüft werden.

2.3 Studien zum Umgang mit Fremdheit an einem Ort Es gibt nur wenige sozial- und kulturwissenschaftliche Studien, die Fremdheit im Kontext von Raum- und Ortsbezogenheit untersucht haben. Frühere Untersuchungen fokussieren entweder das Thema Fremdheit oder eine Region bzw. einen Ort. Gerade in der Dorf- und Gemeindeforschung hätte sich jedoch derlei angeboten, denn die Abgrenzung gegenüber Anderen bildete hier schon immer ein wichtiges Konstitutionsmerkmal und unterstützte letztendlich auch Begründungen kulturspezifischer Lokalität.

2.3.1 Rückblick: Dorf- und Gemeindeforschung Dorf und Gemeinde waren in der Nachkriegszeit zunächst Forschungsfelder der Soziologie, die den sozialen Wandel unter dem Einfluss gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen erforschte.120 Hieraus resultierten Dorfstudien, in 118 Konrad Köstlin konstatiert in diesem Zusammenhang eher eine „obsessive Raumbezogenheit“, bei der das Regionale zum Rettungsanker einer ortsvergessenen Kälte der Moderne würde. Diese „neue Ortsheiligkeit“, so Köstlin, habe sich gegen die Rede von der Ortlosigkeit der Moderne positioniert, wodurch das Insistieren auf dem Regionalen zum Spezifikum der Moderne werden würde. Konrad Köstlin: Region (wie Anm. 66, S. 33). 119 Regina Bendix: Einführung. In: Beate Binder u.a. (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper (wie Anm. 18, S. 18), S. 117-118, hier S. 117. 120 Zwei Gemeindestudien werden dabei als herausragend gesehen – die Gemeindestudie des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung in Darmstadt (1952/54) und die Gemeindestudie des deutschen UNESCO-Institutes in Köln (1954). Wurde in früheren Studien der soziale Wandel eher bedenklich oder gar bedrohlich gedeutet, wird er in der Darmstadt-Studie als notwendiger Entwicklungsschritt nicht nur begrüßt, sondern sogar gefordert. Vgl. Ulrich Planck: Dorfforschung im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik 58

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denen entweder auf Grund einer Analyse der vorgefundenen Zustände Empfehlungen für Maßnahmen der Dorfsanierung oder Dorferneuerung erarbeitet oder die Auswirkung von Maßnahmen der Dorfsanierung untersucht wurden. Sie lassen sich vier Kategorien zuordnen: Inventuren, Übersichtsstudien, Einzelfallstudien und Problemstudien.121 Trotz einer Vielzahl an Studien kam es jedoch zu keiner umfassenden Theorie des Dorfes, sondern es zeigte sich vielmehr, dass die Isomorphie von Kultur, Gesellschaft und Ort empirisch nicht haltbar war.122 Nicht zuletzt auch aufgrund ihres umstrittenen heuristischen Gehalts werden diese Arbeiten aus heutiger Perspektive als „unreflektierter ontologischer Ballast“ bewertet.123 Mittlerweile gelten gerade diese Ortsmonografien vor dem Hintergrund der Debatte um die Rolle der Wissenschaften in der Wissensgesellschaft wieder als interessant. Sie repräsentieren Wissensformate, in denen sich nicht nur Fragestellungen und Zugangsweisen der Vergangenheit spiegeln, sondern geben zudem Auskunft über spezifische gesellschaftliche Konstellationen und politische Kontexte. Hierzu wurde vor einiger Zeit ein DFG-Projekt vom Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt Universität initiiert, bei dem auch die Ortsmonografie als Wissensformat des 20. Jahrhunderts näher erforscht werden soll.124 Mit der Eingemeindung vieler Dörfer Anfang der 1970er Jahre ging ein Verlust an Eigenständigkeit einher, der das Dorf und die „Gemeinde als Heimat“125 immer mehr zur Disposition stellten. Die damit einhergehende Flurbereinigung (Güterzusammenlegung) führte zu einem Strukturwandel, der den Einfluss externer politischer und ökonomischer Faktoren für das Leben vor Ort deutlich machte. Dies führte in der Folgezeit zu einer Vielzahl volkskund-

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Deutschland. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 22 (1974), S. 146-178. Während Dorfinventuren flächendeckende landes- und volkskundliche Bestandssaufnahmen sind, in die alle Erhebungseinheiten eines Gebietes einbezogen werden – sie sind die frühesten Zeugnisse des öffentlichen Interesses an den ländlichen Zuständen – beruhen die sozialen Übersichten auf Materialsammlungen, die der Forscher bei „statistischen Reisen“, ähnlich denen Wilhelm Heinrich Riehls, gewann. Planck verzeichnet zwischen 1950 und 1970 allein 33 soziologische Gemeindestudien. Planck: Dorfforschung (wie Anm. 120, S. 58), S. 159. Dickhardt und Hauser-Schäublin: Eine Theorie (wie Anm. 95, S. 53), S. 17. Siehe hierzu die Webseite des von der DFG geförderten Projekts „Volkskunde als öffentliche Wissenschaft“, welches u.a. in Kooperation mit dem Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Frankfurt am Main, durchgeführt wird. Dort wird das Thema „Ortsmonographie als Wissensformat am Beispiel der Gemeindeforschung im 20. Jahrhundert“ bearbeitet: www2.huberlin.de/ethno/seiten/forschung/forschungsprojekte/volkskunde/index.htm [Stand: 23.2.2008]. Vgl. Gisela Riescher: Gemeinde als Heimat. Die politisch-anthropologische Dimension lokaler Politik. München 1988. 59

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licher Ortsmonografien,126 in denen der kulturelle Wandel – der sich immer mehr als „Krise der Gemeinde“ gerierte und deren lokale Einheit sich als „Ideotop“ erwies – näher untersucht und auch auf Kongressen und Tagungen ausführlich thematisiert wurde.127 Es zeigte sich jedoch immer mehr, dass sich aus wissenschaftlicher Perspektive räumliches Handeln immer weniger auf einen Raum oder Ort begrenzen ließ, der aufgrund seiner Determiniertheit als prägend galt. Ein ständig wachsendes Unbehagen an der bisherigen Gemeindeforschung führte zwar dazu, Vor- und Nachteile von Gemeindestudien bzw. deren Erweiterung zu Regionalanalysen zu diskutieren, brachte jedoch insgesamt keinen Durch126 Als international herausragend galt damals vor allem die Arbeit von Edith Fél und Támás Hofer: Edith Fél und Támás Hofer: Proper Peasants. Traditional Life in a Hungarian Village. Chicago 1969; Dies.: Bäuerliche Denkweise in Wirtschaft und Haushalt. Eine ethnographische Untersuchung über das ungarische Dorf Átány. Göttingen 1972; siehe hierzu auch Brigitte BönischBrednich: Überlegungen zur Kunstform des ethnographischen Erzählens. Die Faszination des Dorfes Átány. In Zeitschrift für Volkskunde 102 (2006), S. 115. Weitere wichtige Arbeiten: Albrecht Lehmann: Das Leben in einem Arbeiterdorf. Stuttgart 1976; Utz Jeggle: Kiebingen – eine Heimatgeschichte. Zum Prozess der Zivilisation in einem schwäbischen Dorf. Tübingen 1977; Max Matter: Wertsystem und Innovationsverhalten. Studien zur Evaluation innovationstheoretischer Ansätze, durchgeführt im Lötschental/Schweiz (= Kulturanthropologische Studien, 3). Hohenschäftlarn bei München 1978; Paul Hugger: Amden. Eine volkskundliche Monographie (= Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde, 41). Basel 1961. Einen fremden Blick auf das Dorf und damit einen spannungsreichen Kontrast bildeten die Arbeiten amerikanischer Kulturanthropologen/Gemeindesoziologen. Deren so genannte „Case Studies“ zeichneten sich durch eigene Methoden, Begriffe und Theorien sowie eine Ganzheitsperspektive auf ökonomischer Basis aus. Zur Gemeindeforschung in Europa siehe hierzu besonders George D. Spindler (and student collaborators): Burgbach. Urbanization and Identity in a German Village (= Case Studies in Cultural Anthropology). New York u.a. 1973; John Friedl: Kippel: A Changing Village in the Alps. New York 1974. 127 Utz Jeggle: Krise der Gemeinde – Krise der Gemeindeforschung. In: Günter Wiegelmann (Hrsg.): Gemeinde im Wandel. Volkskundliche Gemeindestudien in Europa. Beiträge des 21. Deutschen Volkskundekongresses in Braunschweig 1977 (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 13). Münster 1979, S. 101-110, hier S. 108. Zu Kongressen und Tagungen siehe: Günter Wiegelmann (Hrsg.): Gemeinde im Wandel. Volkskundliche Gemeindestudien in Europa. Beiträge des 21. Deutschen Volkskundekongresses in Braunschweig 1977 (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 13). Münster 1979; Gerhard Kaufmann (Hrsg.): Stadt-Land-Beziehungen. 19. Deutscher Volkskundekongress in Hamburg vom 1. bis 7. Oktober 1973. Göttingen 1975; H. L. Cox: (Hrsg.): Gemeinde – Region (= Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 22/2). Bonn 1978; Helge Gerndt und Georg R. Schroubek (Hrsg.): Regionale Kulturanalyse. Protokollmanuskript einer wissenschaftlichen Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 8.-11. Oktober 1978 in München. München 1979. 60

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bruch. Utz Jeggle plädierte damals für die Konzentration auf „Gemeinde“ mit dem Hinweis auf deren „einheitlichere Strukturierung“ und einem „mehr an gemeinsamen Vielfachen“.128 In seinen Arbeiten über Kiebingen thematisiert er als einer der wenigen Forscher den Aspekt des eigenen Fremdseins im Dorf. Darin unterscheidet er zwischen einer Innen- und einer Außenperspektive. Dörfliches Kollektivbewusstsein – das „Innen“ – käme vor allem dann zum Ausdruck, wenn es gegen die äußere Welt – das „Außen“ – gehe. Das Fremde sei dabei nicht nur kontrastiver, sondern auch integrativer Bestandteil; d.h., das Fremde strukturiere das Vertraute: „Auch im übermächtigen Schicksalhaften ist es das Fremde, das das ,Dorf‘ erst als gemeinschaftliches heraus treibt, konstituiert. Die notgedrungene Allianz kann aber sehr schnell wieder verfallen […] plötzlich der eigene Dorfgenosse zum ,Fremden‘, seine ,Verwandtschaft‘ zum übermächtigen Feind werden konnte.“129

Für Jeggle ließen sich gerade an einem eher traditionellen Untersuchungsgegenstand wie dem Dorf die „Verfremdungen des Eigenen“ exemplarisch aufzeigen und damit zugleich ein Beitrag zu dessen Dekonstruktion leisten.130 Generell jedoch war das Thema Fremdheit oder gar Fremde für die Dorfund Gemeindeforschung kaum interessant und wurde deswegen wenig berücksichtigt, auch nicht aus binnenexotischer Perspektive. Vielmehr ging es in späteren Studien eher darum, jenen Faktoren nachzuspüren, die eine Veränderung bzw. Auflösung bisheriger Dorf- und Gemeindestrukturen zu begünstigen schienen. Dabei schienen Fremde keine Rolle zu spielen.

2.3.2 Dorf- und Gemeindestudien in Rheinland-Pfalz Die Abwanderung in zentrale Orte und ein damit einhergehender demographischer Wandel in den 1980er und 1990er Jahren führten erneut zu Veränderungen, die jenseits von Dorf und Gemeinde den ländlichen Raum insgesamt 128 Zur Kritik an den Methoden der Gemeindeforschung siehe Max Matter: Gedanken zur ethnologischen Gemeindeforschung und zu den dafür notwendigen Datenerhebungsverfahren. In: Cox (Hrsg.): Gemeinde (wie Anm. 127, S. 60), S. 283-311. Zur Diskussion zwischen Matter und Jeggle siehe: Max Matter: Gedanken zum Verhältnis (wie Anm. 22, S. 20); Utz Jeggle: Regional- und Gemeindeforschung. S. 17-19, hier S. 18. Beide Aufsätze erschienen in: Gerndt und Schroubek (Hrsg.): Regionale Kulturanalyse (wie Anm. 127, S. 60). 129 Albert Ilien und Utz Jeggle: Leben auf dem Dorf. Zur Sozialgeschichte des Dorfes und zur Sozialpsychologie seiner Bewohner. Opladen 1978, S. 179. 130 Siehe hierzu auch Wolfgang Kaschuba und Carola Lipp (Hrsg.): Dörfliches Überleben. Zur Geschichte materieller und sozialer Reproduktion ländlicher Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Tübingen 1982. 61

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betrafen. Strukturschwache Gegenden, wie es die Mittelgebirgslandschaften immer schon waren, schienen zu veröden und damit die Zukunft kleiner Dörfer und Gemeinden in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund müssen die Untersuchungen gesehen werden, die in Rheinland-Pfalz, u.a. auch auf dem Hunsrück, von Herbert Schwedt durchgeführt wurden.131 Seine Bestandsaufnahme solcher „Ungunstregionen“ dokumentierte nicht nur die resignative Stimmung vor Ort, sondern zeichnete insgesamt ein düsteres Bild, welches durch den Rückgang der Bevölkerungszahlen, des Verlustes vieler Versorgungseinrichtungen und die Veränderung der Sozialstruktur gekennzeichnet ist. „Die aufgezeigte Perspektive macht deutlich, dass die Gefährdung der Dörfer auch im Bewusstsein der Menschen vorhanden ist und ihre Lebenssituation mitbestimmt. Wenn die Senioren […] die größte Altersgruppe stellen, liegt der Gedanke nicht mehr fern, dass der Ort innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte ausgestorben sein könnte.“132

Angesichts der hohen Zuwanderungszahlen von russlanddeutschen Aussiedlern im Hunsrück, die im Erscheinungsjahr der Studie von Schwedt 1995 ihren Höhepunkt erreichten, erscheinen diese Prognosen überholt. Als „verlassenes Land“ gilt mittlerweile eher der Osten Deutschlands, wo sich nicht nur in „Bauerndörfern“, sondern vor allem in dessen einstigen Industriegebieten in Sachsen und Thüringen der „Niedergang der Provinz“ vollzieht.133 So scheint der ländliche Raum in Rheinland-Pfalz durch den Zuzug von Fremden eine Chance bekommen zu haben, bei der es sich noch zeigen wird, ob diese im Umgang mit den Fremden auch als solche wahrgenommen und begriffen wird.

131 Vgl. Herbert Schwedt (Hrsg.): Migration und Dorfkultur. Untersuchungen in Abwanderungsregionen des Landes Rheinland-Pfalz. Stuttgart 1984; Herbert Schwedt: Probleme ländlicher Kultur. Gesammelte Aufsätze. Mainz 1994. 132 Hildegard Frieß-Reimann, Christina Niem und Thomas Schneider: Probleme kleiner Gemeinden in Rheinland-Pfalz – Ein Projektbericht. In: Andreas Kuntz (Hrsg.): Lokale und biographische Erfahrungen. Studien zur Volkskunde. Münster und New York 1995, S. 127-142, hier S. 140. Siehe hierzu auch Christina Niem und Thomas Schneider (Hrsg.): Zukunft kleiner Gemeinden in Rheinland-Pfalz. Ergebnisse eines interdisziplinären Forschungsprojekts. Mainz 1995. 133 Siehe hierzu die Berichterstattung in Spiegel Online: Jochen Bölsche: „Deutsche Provinz – Verlassenes Land, verlorenes Land“ vom 14. März 2006; Jochen Bölsche: „Sterbendes Land – Keine Zukunft für die Kuhzunft“ vom 15. März 2006; o. Autor: „Abwanderung – Heimatschachteln für Ostdeutsche“ vom 16. März 2006; Jochen Bölsche: „Verlassenes Land – Lockruf der Leere“ vom 20. März 2006; abrufbar unter: http://www.Spiegel.de/politik/ deutschland/0,1518,druck-404888,00html [Stand: 21.3.2006]. 62

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Im Folgenden geht es zunächst in einem Rückblick um Studien, die das Zusammenleben von Einheimischen mit Fremden fokussieren. Hierzu zählen neben Arbeiten zu Flüchtlingen in der Nachkriegszeit auch diejenigen zu Gastarbeitern in den 1960er und 1970er Jahren. In diesem Kontext wird auf den Begriff der Ethnizität näher eingegangen. Abschließend werden aktuelle Arbeiten zum Thema „Fremde im Dorf“ vorgestellt.

2.3.3 Flüchtlingsstudien Wenn überhaupt vom Thema Fremdheit innerhalb der (volkskundlichen) Dorf- und Gemeindeforschung die Rede sein kann, dann vor allem in den 1950er Jahren im Kontext der Vertriebenen- und Flüchtlingsforschung. Insbesondere die Akkulturation der Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen waren und begonnen hatten, sich vor allem in Dörfern und Gemeinden niederzulassen, weckte das Forschungsinteresse. Diese Untersuchungen erschienen besonders vielversprechend, denn der kulturelle Wandel durch die Fremden war nicht nur vorprogrammiert, sondern forderte die „Einheit des Dorfes“ geradezu heraus. Doch bis auf wenige Ausnahmen – zu denen die Studie „Neue Siedlungen“ (1959) von Hermann Bausinger, Markus Braun und Herbert Schwedt gehört, auf die nachfolgend noch näher eingegangen wird – konzentrierten sich die Arbeiten überwiegend auf die Fremden und hatten weniger den Ort und die Einheimischen im Fokus. Ulrich Tolksdorf zufolge kam es in den 1950er und 1960er Jahren zu einer „Flut“ volkskundlicher Arbeiten zum Thema „Flüchtlinge und Vertriebene“134, weswegen er in diesem Zusammenhang sogar von einer „Neusiedlungen-Volkskunde“ innerhalb der damaligen Gegenwarts-Volkskunde spricht. Das volkskundliche Interesse stützte sich dabei vor allem auf die Erwartung, dass sich in den Neusiedlungen „eigenkulturelle ‚Sprach- und Volkstumsinseln‘“ erhalten und weiterentwickeln könnten, was jedoch nicht eintraf.135 134 Friedrich Heinz Schmidt-Ebhausen: Volkskundliche Gegenwartsfragen in einem Umsiedlerdorf (Eichenau bei Riedlingen). In: Soziale Welt 4 (1953), S. 69-73; Josef Hanika: Ortsuntersuchungen zur Eingliederungsforschung. In: Jahrbuch für Volkskunde der Heimatvertriebenen 1 (1955), S. 186-197; Heinrich Husmann: Lebensformen und ihr Wandel beim Arbeiter in Hamborn. In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 4 (1957), S. 133-214; Bausinger, Braun und Schwedt: Neue Siedlungen (wie Anm. 98, S. 53); Herbert Schwedt: Großstädtische Siedlungen. Untersuchungen zur Entstehung gemeinschaftlicher Lebensformen in neuen Stuttgarter Wohngebieten. Tübingen 1960 (masch.-schr.); Herbert Schwedt: Heimatvertriebene in Großstadtsiedlungen. Untersuchungen zur Gruppenbildung in Stuttgarter Wohngebieten. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 7 (1963), S. 11-65; Ulrich Tolksdorf: Volksleben (wie Anm. 98, S. 53). 135 Ulrich Tolksdorf: Zum Stand der ostdeutschen Volkskundeforschung. In: Rainer Schulze, Doris von der Brelie-Lewien und Helga Grebing (Hrsg.): Flücht63

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Gerade deshalb wird die Arbeit von Bausinger, Braun und Schwedt als beispielhaft und wegweisend für die Volkskunde dieser Zeit angesehen, weil sie eben nicht die Flüchtlinge danach fragten, was sie mitgebracht hatten, sondern wie sie hier nun lebten und wie sich das Zusammenleben mit den Einheimischen gestaltete. Die Autoren begnügten sich also nicht mit Reliktforschung, sondern versuchten gegenwärtige Prozesse zu analysieren.136 Das bedeutete „eine Abweichung von dem stammlichen oder ethnischen Verständnis der Volkskultur“, wie es gerade für die „Sprachinselvolkskunde“ kennzeichnend war.137 Nach diesen vielversprechenden Anfängen kam es jedoch zu einem Bruch und zu einem Rückgang der Akkulturationsforschung über Flüchtlinge und Vertriebene der Nachkriegszeit in der Volkskunde, dessen Ursachen und Hintergründe Herbert Schwedt 1974 mit einem „Konsensus des Schweigens“ zu fassen versucht hat.138 Auch Bausinger sucht hierfür nach Erklärungen und macht dafür neben einem Verdrängungseffekt vor allem den Zuzug von Arbeitsmigranten verantwortlich. Demnach wurde das „Flüchtlingsproblem“ durch das „Ausländerproblem“ ersetzt, wobei Bausinger einräumt, dass diese Begriffe „kaum auf Probleme der Betroffenen zielen, sondern Probleme der Mehrheitsbevölkerung mit den Zuzüglern meinen“139. Die vielfach konstatierte Konfliktabstinenz vieler Wissenschaftler, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, trug jedoch dazu bei, dass Vorstellungen von einer „schnellen Integration“ der Vertriebenen und Flüchtlinge immer mehr zu einem gesellschaftlichen Topos wurden. Die scheinbar problemlose

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linge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bilanzierung der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit. Hildesheim 1980, S. 196-200, hier S. 198. Siehe hierzu auch die methodische Forschungsanleitung zum Thema von Josef Hanika: Volkskundliche Wandlungen durch Heimatverlust und Zwangswanderung. Methodische Forschungsanleitung am Beispiel der deutschen Gegenwart. Salzburg 1957. Vgl. Tolksdorf: Zum Stand (wie Anm. 135, S. 63), S. 185. Auch deshalb kam es auf Anregung von Hermann Bausinger 1992 zu einer Vergleichs- und Folgestudie, die Christel Köhle-Hezinger mit Studenten in einzelnen Siedlungen durchgeführt hatte; Christel Köhle-Hezinger (Hrsg.): Neue Siedlungen, neue Fragen. Eine Folgestudie über Heimatvertriebene in Baden-Württemberg – 40 Jahre danach. Tübingen 1995. Diese wurde jedoch dem Anspruch, Folgestudie zu sein, nur unzureichend gerecht. Vgl. hierzu die Rezension von Elisabeth Fendl im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde 1999, S. 178-180. Tolksdorf: Zum Stand (wie Anm. 135, S. 63), S. 186. Herbert Schwedt: Ist eine Volkskunde der Heimatvertriebenen überflüssig geworden? In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 17 (1974), S. 20-26, hier S. 20. Hermann Bausinger: Das Problem der Flüchtlinge und Vertriebenen in den Forschungen zur Kultur der unteren Schichten. In: Schulze, Brelie-Lewien und Grebing (Hrsg.): Flüchtlinge (wie Anm. 135, S. 63), S. 180-197, hier S. 192; siehe auch Bausinger: Ausländer – Inländer (wie Anm. 37, S. 42).

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Eingliederung dieser Zuwanderergruppe, die sich trotz ungleicher Chancen gegenüber den Einheimischen behauptet hätte, ohne dass es zu größeren Differenzen gekommen sei, wurde häufig gerade von Einheimischen als Maßstab herangezogen, insbesondere bei der Aussiedlerintegration. Sie erwies sich jedoch bei näherem Hinsehen als ein Mythos.140 Vielmehr reagierten die Einheimischen auf dem Land eher mit einer Stigmatisierung der Flüchtlinge, d.h. sie versuchten diese auszugrenzen und abzuwerten mit dem Ziel, die alte Dorfstruktur mit den alten Machtverhältnissen zu erhalten. Dazu zählten Faktoren, die einerseits die Fremdheit der Flüchtlinge als bedrohliche Abweichung von der eigenen Norm sichtbar machten und andererseits den Flüchtlingsstatus mit negativen Konnotationen wie „entwurzelt“ oder „nichtsesshaft“ belegten.141 Konstruktionen im Hinblick auf Herkunft und Sozialstatus, die sich in Sprüchen wie „Kommen da aus der Walachei und bauen sich Paläste“142 wiederspiegeln, weisen dabei durchaus Parallelen zu den Reaktionen der Einheimischen in Bezug auf die Russlanddeutschen auf. Unterschiede zwischen beiden Gruppen bestanden eher in den verschiedenen Rahmenbedingungen wie im vermeintlichen Gästestatus der Flüchtlinge und Vertriebenen (Hoffnung auf Rückkehr in die alte Heimat), der Art und Weise der Zuwanderung (ungeplante Flucht gegenüber der geplanten Aussiedlung unter weitgehendem Einfluss der Aussiedler) sowie der Verteilung der Zugewanderten (das Flüchtlingsproblem stellte vor allem ein Problem der ländlichen Regionen dar). „Die Flüchtlinge waren ein ‚Problem‘ für die Bauern […] und ein Problem der sozialen Schichten und Gruppen unter den Einheimischen, mit denen sie um eine Wohnung und einen Arbeitsplatz konkurrierten.“ Das heißt, damals wie heute ging es auf beiden Seiten vornehmlich um Interessen wirtschaftlicher und kultureller Art, um soziale Geltung und um die Sicherung der eigenen Lebensformen.143

140 Vgl. Paul Lüttinger: Der Mythos der schnellen Integration. In: Zeitschrift für Soziologie 15 (1986), S. 20-36; Rainer Schulze: „Die Flüchtlinge liegen uns alle schwer im Magen“. Zum Verhältnis von Einheimischen und Flüchtlingen im ländlichen Raum. In: Geschichtswerkstatt 13 (1987), S. 35-45; Siehe hierzu auch aktuell Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. München 2008; dazu die Besprechung von Volker Ullrich: Keine Landsleute, sondern Fremde. In: Die Zeit 23 (2008), S. 59. 141 Frauke Dettmer: Konflikte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen nach Ende des Zweiten Weltkriegs. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 26 (1983), S. 311-324, hier S. 316. 142 Zitiert nach Andreas Lüttig: Fremde im Dorf. Flüchtlingsintegration im westfälischen Wewelsburg 1945-1958 (= Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg, 1). Essen 1993, S. 11. 143 Lehmann: Erinnern und Vergleichen (wie Anm. 58, S. 31), hier S. 24. 65

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Generell kann sich eine Untersuchung solcher Vergleiche zwischen damaligen und heutigen Bedingungen von Migration und Akkulturation als sinnvoll erweisen,144 besonders weil heute Einheimische häufig selbst auf diesen Vergleich zurückgreifen. Dabei sollte jedoch gerade im Hinblick eines Vergleichs zwischen Flüchtlingen und Vertriebenen mit russlanddeutschen Aussiedlern ein bedeutender Unterschied zwischen der Nachkriegszeit und der Situation im vereinten Deutschland nicht übersehen werden: Den zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit standen von 1950 bis 1999 insgesamt nur vier Millionen Aussiedler gegenüber.145 Auf einige Aspekte der „Neuen Siedlungen“ von Bausinger, Braun und Schwedt wird nun – sofern sie das Verhältnis Einheimische, Fremde und den Ort betreffen – näher eingegangen.

2.3.4 „Neue Siedlungen“ Hermann Bausinger, Markus Braun und Herbert Schwedt gingen in ihrer Untersuchung von einem Siedlungsbegriff aus, der Siedlung als „das verhältnismäßig geschlossene und einheitliche Wohnviertel außerhalb oder am Rande bisheriger Wohngebiete“ beschreibt, und für die Autoren damals „eine für unsere Zeit charakteristische Siedlungsform“ bezeichnete. Ähnlich wie in den Dorf- und Gemeindestudien waren sie der Ansicht, dort besonders gut die „Herausbildung neuer Ordnungen“ erforschen zu können, wobei den Verfassern jedoch klar war, dass es „die“ Siedlung an sich nicht gäbe.146 Im Rückblick meinte Bausinger später, dass „das Ineinander von Heimatvertriebenen und Einheimischen, der Abbau von Traditionen und die Entstehung neuer Bindungen, die Dynamisierung des Lebens, der Umbruch der Sozialstruktur“ in der Siedlung deutlicher zu Tage trat als im Gefüge „alter Dörfer und Städte“. Die Siedlung sei von daher nicht nur Ausschnitt der Wirklichkeit, sondern bis zu einem gewissen Grad ihr Modell geworden.147 Damals hätte der jeweilige Wohnort die Menschen sehr viel stärker definiert als heute. „Hier suchten 144 So hat etwa Klaus Boll versucht, das Tolksdorf’sche Sechs-Phasen-Modell auf die Akkulturation russlanddeutscher Aussiedler zu übertragen. Vgl. Klaus Boll: Akkulturation russlanddeutscher Aussiedler. In: Kurt Dröge (Hrsg.): Alltagskulturen (wie Anm. 58, S. 31), S. 119-150, hier S.145. 145 Vgl. Rainer Münz und Rainer Ohliger: Auslandsdeutsche. In: Étienne François und Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. München 2003. Bd. 1. S. 370-390, hier S. 383. 146 Bausinger, Braun und Schwedt: Neue Siedlungen (wie Anm. 98, S. 53), S. 10. Das Untersuchungsgebiet beschränkte sich auf Baden-Württemberg. Im Einzelnen waren es Siedlungen im württembergischen Industriegebiet, vor allem im Neckarraum, aber auch im Hohenlohischen, auf der Alb, im Oberschwäbischen und Rande des Nordschwarzwaldes. 147 Hermann Bausinger: Vorwort. In: Köhle-Hezinger (Hrsg.): Neue Siedlungen – Neue Fragen (wie Anm. 136, S. 64), S. 11-13, hier S. 12. 66

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die Leute ihr Zuhause auszugestalten, hier gingen sie ihren Nebenarbeiten in Gärten, in Werkstätten, auf Baustellen nach, und hier verbrachten sie ihre Freizeit.“148 Annäherungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen ließen sich exemplarisch in verschiedenen Siedlungen beobachten und liefen nach ähnlichem Muster ab: einem anfänglichen Fremdsein folgte eine Phase sozialer Interaktionen, deren Ausmaß in einer weiteren Phase schnell wieder abnahm: In der ersten Phase kämen die Flüchtlinge in eine fremde Umgebung, in der sie sich provisorisch einzurichten versuchten – eine Notsituation, in der die Reaktionen spontan erfolgten und in der die Einheimischen den Flüchtlingen mit echter Hilfsbereitschaft begegnet wären. Die zweite Phase würde dann beginnen, wenn der größte Druck auf die Zuwanderer nachgelassen hätte. Die Flüchtlinge würden ihre Zusammengehörigkeit betonen, wie sie sich auch bewusst der neuen Wirklichkeit zugewendet hätten z.B. durch Erkundung der eigenen Nahwelt, Reisen, Aktivitäten in Vereinen. Die meisten Streitereien zwischen Einheimischen und Flüchtlingen fänden in dieser Zeit statt. In der dritten Phase würden dann die Aktivitäten erlahmen, die Flüchtlinge zögen sich in kleinere Kreise zurück, das Leben verliefe „normaler“ und hätte einen „bürgerlichen“ Anstrich bekommen.149 Die meisten Siedlungsbewohner seien von starkem Misstrauen gegen vorgegebene Beziehungsstrukturen erfüllt gewesen, weswegen sie anstelle der Nachbarschaftsbeziehungen eher eigene Verkehrskreise (Vereine, kirchliche Vereinigungen und der gemeinsame Arbeitsplatz) bevorzugt hätten. Eine wesentlich größere Rolle als der gemeinsame Wohnort hätte dabei der Arbeitsplatz für die sozialen Beziehungen gespielt. Die neuen Siedlungen wurden oftmals von Einheimischen als „Polackensiedlung“ oder „Klein-Moskau“ bezeichnet. Die Autoren interpretierten dies im Rückgriff auf sozialpsychologische Studien als einen Ausdruck von Unifikation, d.h. eine Vereinheitlichung der Meinung, welche die dahinterstehende Gruppe (die Einheimischen) stärken und sie ihrer Ordnung versichern würde.

148 Vgl. ebd., S. 12. 149 Ebd., S. 164. Einige Jahrzehnte später hat Ulrich Tolksdorf ebenfalls versucht, verschiedene Phasen der kulturellen Integration von Flüchtlingen in der Nachkriegszeit zu beschreiben. Für ihn leitet sich der (Kultur-)Konflikt direkt aus dem (Kultur-)Kontakt her. Darauf folgt bei ihm zum einen eine Rückbesinnung auf eigenkulturelle Werte in der Auseinandersetzung mit denen der Aufnahmegesellschaft und zum anderen auch eine Integrationsbereitschaft in die neue Umwelt bei bekundeter Beibehaltung der „Heimatfähigkeit“. Ulrich Tolksdorf: Phasen der kulturellen Integration bei Flüchtlingen und Aussiedlern. In: Klaus J. Bade (Hrsg.): Neue Heimat im Westen. Vertriebene, Flüchtlinge, Aussiedler. Münster 1990, S. 106-127, hier S. 117. 67

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„Während aber der Einheimische alles Fremde mit einer einzigen Formel in die vorgeordnete Umwelt zu bannen vermag, ist die Situation des Zuwanderers grundsätzlich anders. Er kann es sich nicht leisten, seine neue Umwelt nur summarisch oder formelhaft zu erfassen; er steht außerdem nicht bloß den Einheimischen gegenüber, sondern auch anderen, ihm unvertrauten Gruppen von Zuwanderern.“150

Von daher sei es besonders in kritischen Lagen zu einem „Kausalkurzschluß“ seitens der Einheimischen gekommen, d.h. zu einseitigen Schuldzuschreibungen.151 Nach Bausinger, Braun und Schwedt hätten die Flüchtlinge in ständiger Spannung zwischen der Bindung an die alte und der an die neue Heimat gelebt. „Die neue Heimat wird mit Maßstäben der alten gemessen und umgekehrt gewinnt die alte, von der neuen Heimat her gesehen, ein verändertes Aussehen und anderen Inhalt. Die Flüchtlinge suchen deshalb nach offenkundigen Gemeinsamkeiten zwischen der alten und neuen Heimat.“152 Dabei ist die alte Heimat das Maß schlechthin, wie auch das Tun der Flüchtlinge von mitgebrachten Vorstellungen, Gewohnheiten und von mehr oder weniger bewussten Leitbildern bestimmt worden sei. Gemessen an der alten Heimat schnitt die neue Heimat von daher meistens schlechter ab. Zudem käme als eine besondere Form der Rückwendung zur alten Heimat die „gepflegte Erinnerung“, in Form von Heimatbriefen oder Heimatzeitungen.153 Der gemeinsame Verlust der Heimat bzw. die Erinnerung daran ist es dann auch, was von vielen Flüchtlingen als verbindend angesehen wurde, obgleich sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft eine eher heterogene Gruppe darstellten. „Das allen gemeinsame Fluchterlebnis, das Lager- und Flüchtlingsdasein lassen so etwas wie ein Flüchtlingsbewusstsein oder eine Flüchtlingsgesinnung aufkommen.“154 Aber auch durch die Gegenüberstellung mit den Einheimischen werden sie, so Bausinger, Braun und Schwedt, in diese Haltung gedrängt. Insofern hatte der Heimatverlust der Flüchtlinge ebenso Rückwirkungen auf das Heimatgefühl der Einheimischen. Diese hätten besonders auf die Veränderungen des äußeren Bildes ihrer Heimat verwiesen. Auch habe die Existenz der Flüchtlinge den Einheimischen die allgemeine Unsicherheit des Daseins vor Augen geführt.

150 Ebd., S. 128. 151 Bausinger, Braun und Schwedt: Neue Siedlungen (wie Anm. 98, S. 53), S. 130. 152 Ebd., S. 165. 153 Ebd., S. 166f. 154 Ebd., S. 160. 68

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„Sie betrachten diese oft als störende Eindringlinge und zeigen sich ihnen gegenüber gereizt und misstrauisch. Sie fühlen sich benachteiligt, klagen über die staatlichen Zuschüsse an die Flüchtlinge und beobachten mit Neid deren Wiederaufstieg. Oft erregten alle noch so harmlos gemeinten Äußerungen der Flüchtlinge Anstoß bei den Einheimischen.“155

Insgesamt habe die Untersuchung zwar gezeigt, so Bausinger, Braun und Schwedt, dass ein Kommunikations- und Gesellungsbedürfnis auf Seiten der Neusiedler vorhanden gewesen wäre, sie aber dennoch in den Siedlungen vorwiegend unter sich gelebt hätten. Die dort lebenden Einheimischen, die ebenfalls zugezogen waren, hätten dabei eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Bei denen sei eher die Vorstellung bestimmend gewesen, „man muss eben unter die Leute gehen, dann lernt man sie auch kennen“156. Dies wurde von den Autoren als Optimismus bewertet, den sie darauf zurückführten, dass viele glauben würden, solche Kontakte könnten willkürlich hergestellt werden, wobei aber die Komplexität und Unübersichtlichkeit der sozialen Vorgänge verkannt werden würde.

2.3.5 Gastarbeiter und Ethnisierung Arbeiten, die ihren Fokus primär auf die Fremden richten, untersuchen zumeist wie diese sich als Minderheit in eine Mehrheit integrierten. Sie basieren also darauf, dass die Einheimischen die Mehrzahl und die Fremden die Minderheit bilden, die Einheimischen somit eine organisierte Gruppe sind, welcher die Fremden als mehr oder minder Isolierte entgegentreten. Darin spielt das Paradigma kultureller Differenz eine wichtige Rolle. Das heißt, die Zuschreibung kultureller Differenz wird als Prämisse der Wahrnehmung und Auseinandersetzung verstanden, eindeutige Unterschiede als gegeben vorausgesetzt.157 Hierzu zählen vor allem jene Studien, die seit den 1970er Jahren im Kontext der Arbeitsmigration erschienen sind. Der Begriff des Fremden bezieht sich hier auf Ausländer, die in der Mehrzahl als Gastarbeiter in die Bundesrepublik gekommen waren.158 In diesen Arbeiten geht es primär um die Folgen 155 Ebd., S. 175. 156 Ebd., S. 117. 157 Martin Sökefeld: Zum Paradigma kultureller Differenz. In: Reinhard Johler u.a. (Hrsg.): Europa und seine Fremden. Die Gestaltung kultureller Vielfalt als Herausforderung. Bielefeld 2007, S. 41-58, hier S. 49. 158 Siehe hierzu etwa Rudolf Braun: Sozio-kulturelle Probleme der Eingliederung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz. Erlenbach-Zürich 1970; Ursula Mehrländer: Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland unter spezieller Berücksichtigung von Nordrhein-Westfalen. Opladen 1969; Karl Bingemer u.a.: Leben als Gastarbeiter. Geglückte und 69

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der Migration für die Zugewanderten, weswegen auf sie hier nicht näher eingegangen wird. Eine Ausnahme bilden jene Aspekte, die den Umgang der Aufnahmegesellschaft bzw. der Einheimischen mit Zuwanderern betreffen. Sie könnten bei der Analyse des Umgangs mit Fremdheit im Hunsrück zum Tragen kommen. Annette Treibel hat in ihrem Überblick zu „Migration in modernen Gesellschaften“ diese zusammenfassend dargestellt. Auf sie wird im Folgenden Bezug genommen. Zum einen geht es darin um die ethnische Herkunft und zum anderen um Ansätze, die das Verhältnis zwischen Einheimischen und Eingewanderten als Spezialfall einer bestimmten Gruppenbeziehung auffassen. Die ethnische Herkunft der Zuwanderer spielt in den Zuweisungsprozessen durch die Einheimischen (Ethnisierung) eine wichtige Rolle. Ethnisierung, so wird deutlich, ist ähnlich wie Fremdheit Resultat eines Zuschreibungsprozesses durch die Einheimischen. „Die Einheimischen etikettieren die Zugewanderten aufgrund bestimmter Wahrnehmungen als nicht-dazugehörig, als ausländisch.“159 Ethnisierung stellt somit eine besondere Form der Etikettierung von Fremden dar und gilt als wechselseitiger Prozess, der nicht von der ethnischen Herkunft als solcher abhängig sei. Treibel ist jedoch der Ansicht, dass ethnische Unterschiede erst in der Aufnahmegesellschaft funktional werden würden. „Der Rückgriff auf ethnische Kriterien dient der Ausgrenzung von Zugewanderten, er unterstützt die Zuweisung zu unteren Statuspositionen“, was Treibel im Rückgriff auf Hoffmann-Nowotny (1973) als „Unterschichtung“ bezeichnet. Ethnisierung und Unterschichtung werden so zu unterschiedlichen Formen der Ausgrenzung, die ineinander greifen und dem Nutzen der Einheimischen dienen würden.160 Aus diesem Grund ist auch Ethnizität keine soziale Tatsache, sondern basiert auf sozialen Konstruktionsprozessen, „in denen der Glauben an eine gemeinsame Abstammung, Geschichte und Kultur entwickelt und durchgesetzt wird“161. Ethnizität meint sowohl einen Prozess der Zuschreibung kultureller missglückte Integration. Köln und Opladen 1970; Hartmut Esser: Arbeitsmigration und Integration. Sozialwissenschaftliche Grundlagen (= Materialien zur Arbeitsmigration und Ausländerbeschäftigung, 4). Königstein 1972; Ders.: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Darmstadt 1980; Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny und Karl-Otto Hondrich: Ausländer in der Bundesrepublik und in der Schweiz. Segregation und Integration. Ein Vergleich. Frankfurt am Main 1982. 159 Annette Treibel: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung und Gastarbeit. Weinheim und München 1990, S. 146. 160 Ebd., S. 148. 161 Ulrike Hormel und Albert Scheer: Was heißt „Ethnien“ und „ethnische Konflikte“ in der modernen Gesellschaft? In: Axel Groenemeyer und Jürgen Mansel (Hrsg.): Die Ethnisierung von Alltagskonflikten. Opladen 2003, S. 47-68, hier S. 60. 70

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Unterschiede wie auch ein kognitives Phänomen, das die Wahrnehmungen prägt.162 Es können dabei vier Formen von Ethnisierung unterschieden werden: als Zuweisung einer kollektiven Identität an Migranten und Minderheiten, als Reaktion auf die Erfahrung ökonomischer Ungleichbehandlung, als Reaktion auf politische Diskriminierung und als Reaktion auf Prozesse der sozialräumlichen Segregation und Konzentration von Einwanderergruppen.163

2.3.6 Etablierte/Außenseiter Inwiefern das Verhältnis zwischen Einheimischen und Zugewanderten als eine Form einer Gruppenbeziehung zwischen Etablierten und Außenseitern gesehen werden muss, diskutiert Treibel im Bezug auf die 1965 veröffentlichte Studie von Norbert Elias und John L. Scotson.164 Sie beschreiben darin Konflikte, die sich dadurch ergeben hätten, dass durch die Entstehung eines neuen Ortsteils „alte“ und „neue“ (zugezogene) Familien aufeinandertrafen. Die Altansässigen sahen sich durch die Neuankömmlinge in ihrem Status und ihren Normen gefährdet. Eine Statusideologie habe über das Ansehen in der Gemeinde entschieden, dessen Bestandteile seien u.a. die Dauer der Anwesenheit der Familie vor Ort und eine gemeinsame Geschichte und Intimität gewesen. Treibel überträgt die Beziehung Etablierte/Außenseiter auf die Figuration der einheimischen Etablierten und der ausländischen Zugewanderten. Bei Elias und Scotson waren die Neuankömmlinge machtlos, weil sie keine gemeinsame Geschichte besaßen und aus unterschiedlichen Regionen zuwanderten. Demgegenüber hatten die Einheimischen einen „Schatz an gemeinsamen Erinnerungen, Sympathien und Antipathien“165. „In dem Moment“, so Treibel, „wo auch die Zugewanderten ein Wir-Gefühl entwickeln, z.B. das als einer ethnischen Gruppe […], erhöht sich ihre Sichtbarkeit und gleichzeitig die Notwendigkeit für die Einheimischen, ihre Sicht auf die Niedergelassenen […] zu revidieren. Das Gefühl, sich dauerhaft mit diesen Anderen arrangieren zu müssen, verbindet sich mit der Angst vor dem Statusverlust.“

162 Vgl. Axel Groenemeyer: Kulturelle Differenz, ethnische Identität und die Ethnisierung von Alltagskonflikten. Ein Überblick sozialwissenschaftlicher Thematisierungen. In: Groenemeyer und Mansel (Hrsg.): Die Ethnisierung von Alltagskonflikten (wie Anm. 161, S. 70), S. 11- 46, hier S. 27. 163 Hormel und Scheer: Was heißt „Ethnien“? (wie Anm. 161, S. 70), S. 61. 164 Norbert Elias und John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main 1993 (engl. Original von 1965). 165 Ebd., S. 37. 71

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Nach Treibel versuchten die Einheimischen bzw. Längeransässigen u.a. durch Ethnisierung die Ansprüche der Zugewanderten zurückzudrängen.166 Treibel kommt zu dem Schluss, dass die Bedeutung der ethnischen Herkunft für die Beziehung zwischen Einheimischen und Zugewanderten abhängig ist vom erreichten Status der Mitglieder der Aufnahmegesellschaft. „Die ethnische Herkunft als solche hat nicht die Bedeutung, die ihr in der Öffentlichkeit zugewiesen wird. Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten entstehen nicht deshalb, weil sich die Kulturen voneinander unterscheiden […]. Die Einheimischen nutzen die Zugehörigkeit der Zuwanderer zu einer anderen Kultur oder Ethnie als Argument, um diese abzuwehren. Zentrales Motiv dabei ist die Angst vor dem Verlust des eigenen Status und des eigenen Ansehens.“167

Durch die Zuschreibungsprozesse der Einheimischen wird die Wirksamkeit der ethnischen Identifikation innerhalb der Gruppe der Zugewanderten verstärkt. Mit Verweis auf Bukow und Llaryora (1988) meint Treibel, dieser Zuschreibungsprozess, in dem die Einheimischen die Zugewanderten als nichtdazugehörig etikettieren und dies mit der „abweichenden“ ethnischen Herkunft begründen, produziere sogar erst die so genannten kulturellen Unterschiede. „Der Mechanismus der Ethnisierung überlagert die ethnischen Identifikationen.“168 Ethnische Kriterien und weniger die ethnische Herkunft übernehmen von daher eine zentrale Funktion in der Beziehung zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Mit Hilfe ethnischer Kriterien werden Zugewanderte ausgegrenzt, den Zugewanderten selber dienen sie dagegen der Selbstvergewisserung in einer fremden Umgebung. Für viele Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten führen Elias und Scotson jedoch weniger das Kriterium der ethnischen Zugehörigkeit als vielmehr das soziologische Alter einer zugewanderten Gruppe an. „Die länger Ansässigen schotten sich immer gegen Neue ab.“169 Gibt es ethnische Unterschiede, erleichtert dies den Einheimischen die Begründung, sie stützen sich weniger auf den Faktor „neu“ als auf den Faktor Ausländer/Fremder. „Diese Kriterien haben den unschätzbaren Vorzug, dass sie häufig besonders sinnlich gut wahrnehmbar sind (andere Kleidung, Sprache, kulturelle Gewohnheiten etc.).“170 Nach Treibel dienen die Kriterien gemeinsame Geschichte, angeblich homogene Kultur und ein diffuses Wir-Gefühl dazu, Zu-

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Vgl. Treibel: Migration (wie Anm. 159, S. 70), S. 160. Ebd., S. 161. Ebd., S. 163. Ebd., S. 164. Ebd.

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gewanderte als kulturell rückständig abzuwerten und dauerhaft auszugrenzen.171

2.3.7 Fremde im Dorf Auch in neueren Arbeiten fokussiert sich das Forschungsinteresse beim Thema Fremdheit primär auf die Fremden und auf urbane Ballungsräume. Der ländliche Raum bzw. Dörfer und Gemeinden als Ort der Untersuchung bilden eher die Ausnahme. So findet das Thema am ehesten noch Berücksichtigung in Museen oder bei Ausstellungen wie 1994 im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck, „Fremde im Dorf“ oder 2000 im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim „Fremde auf dem Land“172. Beide Museen haben jeweils Begleithefte zu ihren Ausstellungen herausgegeben, in denen das Thema überwiegend historisch und regionalspezifisch aufgearbeitet wird. Fremdheit wird hier vor allem als Kategorie der Differenz beschrieben, die Grenzen markiert und als Exklusionsmechanismus fungiert. Aus eher historischer Perspektive geht die Arbeit von Andreas Lüttig dem Zusammenleben von Einheimischen und Flüchtlingen nach 1945 im niedersächsischen Wewelsburg nach. Dort wurden die Flüchtlinge u.a. in einem ehemaligen Konzentrationslager untergebracht und als „Pollacken“ diffamiert.173 In einem Vergleich von zwei Dörfern – das eine östlich das andere westlich der ehemaligen innerdeutschen Grenze im Vogtland gelegen – zeigen Winfried Gebhardt und Georg Kamphausen, wie die Dorfbewohner Ausländer in zwei Klassen – gewohnte und ungewohnte Fremde – selektieren. Die ungewohnten oder wirklichen Fremden werden oftmals als „Sicherheitsrisiko“ empfunden und mit einer angeblich gestiegenen Kriminalität in Verbindung gebracht. „Man reagiert mit einem gesteigerten Misstrauen und schließt sich gegenüber den ‚Fremden‘ ab.“174 Einen ganz anderen Zugang findet Susanna Kolbe, die am Beispiel des Wandels eines Dorfes des hessischen Hinterlandes den Umgang mit Fremden, d.h. Arbeitern italienischer, kroatischer und polnischer Herkunft, be-

171 Vgl. ebd., S. 179. 172 Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck (Hrsg.): Fremd im Dorf. Grenzerfahrungen im ländlichen Alltag. Begleitheft zur Ausstellung vom 24. April bis 30. Oktober 1994 (= Kleine Schriften des Freilichtmuseums Neuhausen ob Eck, 11). Tuttlingen 1994; Hermann Heidrich u.a. (Hrsg.): Fremde auf dem Land. 11 Fallstudien zum Thema Fremdarbeiter, Flüchtlinge, Schwabengänger. Bad Windsheim 2000. 173 Lüttig: Fremde (wie Anm. 142, S. 65), S. 83. 174 Winfried Gebhardt und Georg Kamphausen: Zwei Dörfer in Deutschland. Mentalitätsunterschiede nach der Wiedervereinigung. Opladen 1994, S. 130f. 73

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schreibt.175 Sie überträgt dabei das van Gennep’sche Konzept der „Rites de Passage“ auf die dörfliche Situation des Wandels. Für Kolbe lässt sich „alle Erfahrung mit Fremdem, Anderem und Neuem […] konkret räumlich als auch zeitlich im Sinne einer Umbauphase, als Ungeklärtes, als Improvisation auf den Moment der Begegnung auf der Schwelle fokussieren. […] In den ZwischenRäumen geschieht das Unsichere, Riskante mit seinen Chancen und Gefahren.“176

Aus dem Grund kann Fremdheit nur als „Prozess beschrieben werden, als Phase des Sich-Verwandelns vom Außeralltäglichen zum Alltäglichen. […] So wie sich das Fremde und die Fremden verwandeln, verwandelt sich auch das Heimische und die Einheimischen. […] Die besonders aufregende und lebhafte Zwischen-Phase ist die entscheidende Zeit.“177

2 . 4 L e i t f r a g e n d e r An a l ys e Wie können nun vor dem Hintergrund der dargestellten Konzepte zu Fremdheit und Ort die zu Beginn dieser Arbeit formulierte Fragestellung präzisiert und einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich gemacht werden? Die Darstellung des Forschungsstands hat gezeigt, dass die meisten Publikationen auf nur einen Aspekt fokussierten, das heißt entweder auf Fremdheit oder auf den Ort. In dieser Arbeit sollen nun beide Aspekte zusammengeführt werden und zwar vor dem Hintergrund der Frage nach Glokalisierung. Ausgehend von der Prämisse von Fremdheit als Zuschreibung sollen hier die Auswirkungen dieser Zuschreibungen auf das Zusammenleben vor Ort und im Hinblick auf den Stellenwert des Ortsbezugs und auf die Ausbildung von Lokalität näher betrachtet werden. Außerdem soll herausgearbeitet werden, wie der Vergleich in den Erinnerungserzählungen der Einheimischen zur Feststellung der Differenz und deren Bewertung beiträgt und dadurch Konstruktionen von „eigen“ und „fremd“ beeinflusst. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Tatsache, dass gleich mehrere Vergleichsebenen zusammen wirken: der Vergleich von Einheimischen mit Russlanddeutschen und die Vergleiche, die von den Einheimischen im Hinblick auf das frühere Zusammenleben mit den Amerikanern angestellt werden.

175 Susanna Kolbe: Am Übergang: Fremde im Dorf und dörflicher Wandel. In: Johanna Rolshoven (Hrsg.): „Hexen, Wiedergänger, Sans-Papiers…“. Kulturtheoretische Reflexionen zu den Rändern des sozialen Raums. Marburg 2003, S. 104-113. 176 Ebd., S. 112. 177 Ebd., S. 113. 74

2. FREMDHEIT UND ORT

Aus dem anfangs formulierten Forschungsinteresse, die Veränderungen im Leben der Einheimischen durch das Zusammenleben mit Fremden und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Selbstbild und den lokalen Ortsund Regionalbezug im Kontext von Glokalisierung zu untersuchen, wurden die nachfolgenden Leitfragen der Analyse formuliert, die auch Grundlage für die nachfolgenden Kapitel sind: • Wie veränderten sich durch den Zuzug der Fremden der Ort sowie die Vorstellungen über den Ort? Wie wurden diese Veränderungen von den Einheimischen im Hinblick auf die unterschiedlichen Gruppen von Fremden gedeutet und bewertet und welche Rolle spielten dabei die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Fremden wie z.B. die Dauer des Aufenthalts? Inwiefern beeinflussten die Veränderungen das Selbstbild und das Selbstverständnis der Einheimischen? (Kapitel 3). • Wie wurden Amerikaner und russlanddeutsche Aussiedler von den Einheimischen wahrgenommen und bewertet und welche Rolle spielten hierbei Zuschreibungen von Fremdheit? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden festgestellt und welchen Einfluss hatten dabei Deutungs- und Wertungsmuster der Medien? Welche Auswirkungen hatte das Zusammenleben mit den Fremden auf Konstruktionen von „eigen“ und „fremd“? (Kapitel 4). • Schließlich geht es mit Blick auf die zuvor bearbeiteten Fragestellungen um die Auswirkungen vor Ort: Wie hat sich durch die Fremden das Leben vor Ort verändert? Welche Strategien der Abgrenzung von Einheimischen und Russlanddeutschen wurden entwickelt? Kam es dabei zu einem verstärkten Orts- und Regionalbezug und zur Bildung von Erinnerungsräumen? Welches Fazit lässt sich im Hinblick auf Glokalisierung ziehen? (Kapitel 5).

75

3. Vor Ort In diesem Kapitel geht es darum, wie sich der Ort – damit sind gleichermaßen der Hunsrück als Region wie auch die beiden Dörfer Sohren und Büchenbeuren gemeint – sowohl konkret anhand von Fakten und in der Außenperspektive als auch in Bildern und Vorstellungen, wie sie in der Innenperspektive zum Ausdruck kommen, darstellt. Dies geschieht in Anlehnung an die Überlegungen von Pierre Bourdieu zur Trennung von physischem und sozialem Raum und vor dem Hintergrund, dass Raum territorial gesehen weniger bedeutsam ist, sondern „als Konstruktion, d.h. als sozial, ökonomisch und politisch interpretierter, als symbolisierter Raum“1 einen Stellenwert hat. Im Einzelnen werden folgende Fragen analysiert: • Wie veränderte sich der Ort durch den Zuzug der Russlanddeutschen? Wie wurden diese Veränderungen von den Einheimischen wahrgenommen? • Welche Rolle spielten dabei die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Russlanddeutschen im Vergleich zu den Amerikanern und welche Erwartungen leiteten die Einheimischen daraus ab? Ausgehend von Überlegungen zum Begriff der Region werden zunächst basierend auf statistischen Daten und Fakten der Hunsrück, die beiden Dörfer Sohren und Büchenbeuren sowie der Flugplatz Hahn vorgestellt. Hierbei war jedoch nicht immer eine klare Trennung zwischen Fakten und Vorstellungen, insbesondere bei der Beschreibung des Flugplatzes Hahn, einzuhalten. Den Bildern, Beschreibungen und Deutungen des Ortes und seiner Bewohner wird dann anhand von Archivmaterialien, Regionalstudien, Ortsmonographien, Medienberichten und Interviewpassagen nachgegangen. Abschließend wird

1

Vgl. Bourdieu: Physischer, sozialer und angeeigneter Raum (wie Anm. 82, S. 51), S. 28; Siehe hierzu auch Hans Gebhardt, Paul Reuber und Günter Wolkersdorfer: Kulturgeographie – Leitlinien und Perspektiven. In: Dies. (Hrsg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg und Berlin 2003, S. 1-30, hier S. 3. 77

FREMDE VOR ORT

unter Berücksichtigung der Prämisse, dass die Bedeutung, die einem Ort beigemessen wird, nicht dauerhaft und ein für alle Mal gegeben, sondern kulturelle Konstruktion und das Ergebnis vielfältiger gesellschaftlich-kultureller Prozesse und Zuschreibungen ist, nach den Veränderungen vor Ort und im Selbstbild der Einheimischen insbesondere nach dem Zuzug der Russlanddeutschen gefragt.

3.1 Region und Regionalisierung Räume als Regionen zu beschreiben hängt immer mit Konstrukten zusammen, mit „Geschichten neuer Versionen von Identität“, wie es Konrad Köstlin in seinem Beitrag auf dem Berliner dgv-Kongress 2003 genannt hat. Raumnarrative sind somit Zeugen der Flexibilisierung von Raumdeutungen.2 Die Beschäftigung mit Region, also gemachten Räumen, und Regionalisierung als einem Prozess, der Kultur in Räumen festmacht und vorgibt, eine bestimmte Kultur sei nur hier zu finden, hat im Fach Volkskunde/Europäische Ethnologie eine lange Forschungstradition.3 Dazu zählt auch eine in der Literatur regelmäßig konstatierte „Wiederkehr des Regionalen“, sei es als Gegenbewegung zur Globalisierung bereits in den 1970er Jahren oder als „Rückbesinnung auf eigene Qualitäten bei der Bewältigung eines tendenziell globalen Strukturwandels“, wie auch im Hinblick auf die Frage nach einem „Europa der Regionen“4. Diese richtete dabei den Fokus auf einen Nahraum, der als Rückzugsort „Authentizität, Unvermitteltheit, Direktheit, Unverwechselbarkeit und Ordnung, Geordnetheit verspricht“5. Die immer wiederkehrende Bezugnahme auf Region bzw. die Behauptung regionaler Charakteristika und Einzigartigkeit wurden so zu Kennzeichen der Moderne und als Kompensationsphänomene gedeutet.6 Entscheidend wurde hierfür in der Wissenschaft ein von Anthony Giddens geforderter Perspektivwechsel, wonach die zentrale Frage nicht die nach den räumlichen Eigenschaften der Gesellschaft, sondern die nach der Bedeutung 2 3

4

5 6 78

Köstlin: Region (wie Anm. 66, S. 33), S. 119. Siehe hierzu Konrad Köstlin: Die Regionalisierung von Kultur. In: Konrad Köstlin und Hermann Bausinger (Hrsg.): Heimat und Identität. Probleme regionaler Kultur. 22. Deutscher Volkskundekongress in Kiel vom 16. bis 21. Juni 1979. Neumünster 1980, S. 25-38; Rolf Lindner: Region als Forschungsgegenstand der Europäischen Ethnologie. In: Gerhard Brunn (Hrsg.): Region und Regionsbildung in Europa. Baden-Baden 1996, S. 94-99. Rolf Lindner: Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Die Wiederkehr des Regionalen. Über neue Formen kultureller Identität. Frankfurt am Main 1994, S. 7-12, hier S. 7. Köstlin: Region (wie Anm. 66, S. 33), S. 126. Vgl. Reinhard Johler: Volkskunde und Europa (wie Anm. 97, S. 53), S. 154.

3. VOR ORT

sozial besetzter Territorien für die Konstitution moderner Gesellschaften sei. Globalisierung schlägt sich in diesem Konzept nicht einfach in der räumlichen Ausdehnung von sozialem Handeln auf die ganze Welt nieder, sondern in einem Wandel grundlegender Muster sozialer Beziehungen. Diesen Wandel bezeichnet Giddens als Regionalisierung. Er kennzeichnet die Art und Weise, in der Menschen die Raum-Zeit-Organisation zwischen verschiedenen Orten der Interaktion innerhalb von umfassenderen sozialen Systemen ordnen und herstellen.7 Somit bezieht sich Regionalisierung „nicht auf eine bestehende politisch, landschaftlich oder ökonomisch definierte Region, sondern auf eine soziale Praxis, anhand derer die handelnden Subjekte praktisch Kontexte in Raum und Zeit miteinander verknüpfen und die Welt auf sich beziehen. Regionen kennzeichnen folglich keine physisch abgrenzbaren Gebiete sondern Handlungsfelder, die durch die Strukturierung sozialen Verhaltens über Raum und Zeit hinweg definiert werden.“8

Der Begriff ist deshalb auch für den Frankfurter Soziologen Peter Noller nicht ausschließlich materiell-räumlich, sondern als eine sinnhaft konstituierte Wirklichkeit zu begreifen. Von daher richtet sich im Folgenden das Erkenntnisinteresse auch nicht auf das, was eine Region auszeichnet, sondern darauf, wer sich unter welchen Umständen wann auf Region bezieht.9 Damit wird einerseits dem Konstruktionscharakter von Region Rechnung getragen und andererseits betont, dass Region zeitlich, räumlich und inhaltlich einem Wandel unterliegt. Denn „erst durch das erfahrende und wahrnehmende Subjekt wird die Region zur Region, […] durch die Art der Erinnerung und der Deutung, die eine Gesellschaft an sie heranträgt und durch die Art der Ausstattung, die ihr in medialen Diskursen angetan wird“.10

7

Vgl. Anthony Giddens: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt am Main und New York 1988. 8 Vgl. Peter Noller: Globalisierung, Raum und Gesellschaft: Elemente einer modernen Soziologie des Raumes. In: Berliner Journal für Soziologie 1 (2000), S. 21-48, hier S. 36. 9 Vgl. Max Matter: Schwierigkeiten mit der „Region.“ Gedanken zu Begriffsinhalt und -umfang, zu Alltags- und Wissenschaftssprache. In: Ronald Lutz (Hrsg.): Die Region der Kultur. Münster 1998, S. 31-48, hier S. 39. 10 Köstlin: Region (wie Anm. 66, S. 33), S. 120ff. 79

FREMDE VOR ORT

3.1.1 Der Hunsrück Die meisten Quellen verorten den Hunsrück11 primär geographisch, als eine Mittelgebirgslandschaft, die Teil des Rheinischen Schiefergebirges ist. Als Begrenzungen werden häufig entsprechend der Himmelsrichtungen Flüsse angeführt – im Norden die Mosel, im Osten der Rhein, im Süden die Nahe und im Westen der Unterlauf von Saar und Pims, einem Nebenfluss der Saar. Erwähnung finden zudem die Hochfläche des Hunsrücks, welche ca. 400 m über dem Meeresspiegel liegt, die höchsten Höhenzüge – mit Soon-, Idar-, und Hochwald – und der Erbeskopf als höchste Erhebung (818 m). Als wichtige Markierungen werden in Darstellungen zur Region und in vielen Interviews zentrale Orte wie Simmern und Kirchberg, aber auch der Flugplatz Hahn und die Hunsrückhöhenstraße12 genannt. Die Region selber wird deswegen auch häufig lokalisiert als der „Raum um die am Flugplatz vorbeiführende Hunsrückhöhenstraße“13. Auch kartographische Darstellungen der Amerikaner verzeichnen den Verlauf der Hunsrückhöhenstraße, verorten jedoch die Region mit dem Flugplatz eher als zwischen Rhein und Mosel gelegen. „The base, which is between two small towns – Hahn and Lautzenhausen – is ideally located about 60 miles west of Wiesbaden, 50 miles south of Koblenz on the Rhine and 50 miles northeast of Trier on the Mosel. Actually, Hahn-Air Base is high on a ridge, 1650 feet above sea level and on a northern latitude about even with Labrador.“14

11 Die Herkunft des Namens „Hunsrück“ ist bis heute ungeklärt. Er tritt erst im Mittelalter als geographische Bezeichnung auf. Ein Erklärungsansatz will den Namen mit den „Hunnen“ in Verbindung bringen, die von Osten zu den Katalaunischen Feldern zogen. Ein anderer Ansatz bringt den Namen mit „Hunderücken“ oder „Hundsbuckel“ in Verbindung. Siehe hierzu: Gustav Schellack und Willi Wagner: Der Hunsrück zwischen Rhein, Mosel und Nahe. Stuttgart 1984, S. 8f.; G. Walter Diener und Willy Born: Hunsrücker Volkskunde. Würzburg (3. überarbeitete Aufl.) 1984 (Erstauflage unter alleiniger Autorschaft von G. Walter Diener von 1925), S. 17. 12 1938 wurde mit dem Bau der 150 km langen Hunsrückhöhenstrasse (B 327) im Zuge der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen begonnen. Sie wurde in kurzer Zeit fertig gestellt und sorgte für einen Aufschwung in der Bauwirtschaft. Die Hunsrückhöhenstraße diente zunächst der Sicherung der Westwallbefestigungen gegen Frankreich, später erfolgte über diese der Nachschub für die Westfront. 13 Gustav Schellack: 25 Jahre NATO-Fliegerhorst Hahn. In: Hunsrücker Heimatblätter 42 (Juli 1978), S. 34-38, hier S. 36. 14 John F. Negri: History of the 50th Tactical Fighter Wing Hahn Air Base Germany. O.O. 1990, S. 13. 80

3. VOR ORT

Bezugspunkte sind neben den Flusstälern die Zentren Mainz, Koblenz und Trier. Abbildung 2: Geographische Lage des Flugplatzes Hahn und der Hunsrück-Region nach einer amerikanischen Darstellung

Quelle: John F. Negri: History of the 50th Tactical Fighter Wing Hahn Air Base Germany. O.O. 1990, S. 13.

Die Verbandsgemeinde Kirchberg und die an den Flugplatz Hahn angrenzenden Orte Simmern und Büchenbeuren liegen zentral im Hunsrück. Sohren und Büchenbeuren sind etwa zwölf Kilometer von Kirchberg entfernt, der ältesten Stadt auf dem Hunsrück (Stadtrecht seit 1249). Von Sohren aus betragen die Entfernungen zu den nächsten Großstädten Trier, Koblenz und Mainz etwa 75 km. Die Entfernung zur Kreisstadt Simmern (Sitz des Rhein-HunsrückKreises) beträgt rund 25 km (Entfernung Kirchberg – Simmern rund 15 km).

81

FREMDE VOR ORT

Abbildung 3: Räumliche Markierungspunkte in der Region um den Flugplatz Hahn nach einer amerikanischen Darstellung

Quelle: John F. Negri: History of the 50th Tactical Fighter Wing Hahn Air Base Germany. O.O. 1990, S. 13.

Das Landschaftsbild der Hochfläche ist geprägt von Äckern, Weiden und Wiesen, die immer wieder von Fichten- und Laubwäldern durchbrochen werden. Vorherrschend sind überwiegend Verwitterungsböden, die aus relativ schweren Lehm- und Tonböden bestehen. Die Höhenrücken von Soon-, Idarund Hochwald sind fast vollständig mit Wäldern, überwiegend Fichten, bewachsen. An den Rändern fällt das Hochplateau des Hunsrücks steil ab zu den Flüssen Mosel und Rhein. Ein Topos in der Darstellung des Hunsrücks ist der Hinweis auf seine relativ dünne Besiedelung. Tatsächlich gibt es nur wenige Orte mit mehr als 3000 Einwohnern wie Simmern, Kirchberg, Kastellaun oder Sohren; die Mehrzahl der Gemeinden sind kleine Dörfer von oft weniger als 500 Einwohnern. Als markant wird das äußere Erscheinungsbild vieler Ortskerne beschrieben, welches auch heute noch von schiefergedeckten Häusern mit teilweise (auf der Wetterseite) oder ganz mit Schiefer verkleideten Außenwänden geprägt ist, die erst im größeren Ausmaß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich wurden. Die Verbreitung der Schieferbedachung hing mit einer verstärkten Durchsetzung des Verbots von Strohdächern zusammen. An den Ortsrändern breiten sich meist Neubaugebiete aus, die gerade in den Gemeinden mit einem hohen Anteil russlanddeutscher Übersiedler inzwischen beachtliche Ausmaße erreicht haben (z.B. in Sohren, Büchenbeuren, Rhaunen). 82

3. VOR ORT

Sohren und Büchenbeuren gelten innerhalb der Region als prototypisch und entsprechen im hohen Maß den zuvor beschriebenen „Hunsrückdörfern“. Sie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Vor der Kreisreform war Büchenbeuren Sitz des „Amtes“, was dem Ort insofern eine gewisse Bedeutung verliehen hatte und ihn von anderen Dörfern unterschied. Später hatte sich Sohren dann erfolglos um den Sitz der Verbandsgemeindeverwaltung bemüht. Die Konkurrenz untereinander kommt u.a. in harmlosen Sprüchen zum Ausdruck: „In der Schule hieß es immer, Sohren sei ein Vorort von Büchenbeuren. In Sohren ging der Spruch genau andersrum.“15

3.1.2 Sohren und Büchenbeuren Sohren (2005: 3463 Einw.) und Büchenbeuren (2005: 1660 Einw.). liegen ca. zwei Kilometer voneinander entfernt und in etwa gleich großer Entfernung zum Flughafen Hahn. Beide Gemeinden sind Grundzentren und konfessionelles Mischgebiet, wobei der evangelische Anteil der Bevölkerung traditionell etwas höher ist als der katholische.16 In Sohren gibt es eine Grundschule und eine Regionalschule sowie eine evangelische und katholische Kirche, in Büchenbeuren eine Grundschule und eine evangelische Kirche. Sohren und Büchenbeuren haben fünf bzw. sieben praktizierende Ärzte und Zahnärzte und jeweils eine Apotheke. Die lokale Wirtschaftsstruktur ist geprägt von Einzelhandelsgeschäften – wobei auch hier Lebensmitteldiscounter „auf der grünen Wiese“ traditionelle Geschäfte in den Ortszentren verdrängen – einigen kleineren Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben und nur wenigen kleinen Produktionsbetrieben (die ehemals bedeutende Möbelfabrik Felke in Sohren hat in den 1990er Jahren die Produktion eingestellt). Zur Zeit der Materialerhebung gab es in Sohren noch 12 landwirtschaftliche Betriebe (2003), in Büchenbeuren noch vier (2003).17 Viele Menschen arbeiten auf dem Flughafen Hahn oder pendeln in die Zent-

15 Herr Te (21 E), TS 1. 16 Zur Bedeutung der Konfession im Hunsrück in den 1950er Jahren siehe Helmut Hahn: Der Einfluss der Konfessionen auf die Bevölkerungs- und Sozialgeographie des Hunsrücks. Bonn 1950. Hahn unternahm in dieser Zeit konfessionsgeographische Arbeiten u.a. im Hunsrück, die heute noch als paradigmatisch für sozialgeographisches Arbeiten angesehen werden. Er untersuchte auf Gemeindeebene die konfessionelle Zusammensetzung und setzte sie in Beziehung zu Betriebsformen, Hausbauweise, Kinderzahl usw. Sein Fokus auf sozialgeographische Gruppen als landschaftsgestaltendes Element, weist über seine Zeit hinaus. Vgl. Edgar Wunder: Religion in der postkonfessionellen Gesellschaft. Ein Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung in der Religionsgeographie. Stuttgart 2005, S. 245. 17 Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2006. 83

FREMDE VOR ORT

ren der Region (z.B. Kirchberg, Simmern) und sogar bis in die Großstädte Mainz, Koblenz oder Trier. Abbildung 4: Der Rhein-Hunsrück-Kreis vor und nach der Verwaltungsreform

Quelle: Willi Wagner: Der Rhein-Hunsrück-Kreis wird gebildet. Die kommunale Neugliederung vor 25 Jahren. In: Hunsrücker Heimatblätter 94 (1994), S. 175.

Das Verhältnis der Gemeinden Sohren und Büchenbeuren zueinander wird vor allem durch die rheinland-pfälzische Verwaltungsreform vom 28. Juli 1970 geprägt. Bis zu diesem Zeitpunkt basierte die politische Gliederung im Raum Sohren auf der seit 1816 gültigen Gliederung des Regierungsbezirks Koblenz in 16 Kreise.18 18 Nach dem Wiener Kongress 1815 wurden die Rheinlande Preußen zugeteilt. Der preußische Staat wurde in Regierungsbezirke eingeteilt, diese wiederum in Kreise und letztere in Bürgermeistereien und Gemeinden. 1816 trat die Neugliederung des Regierungsbezirks Koblenz in 16 Kreise in Kraft (ab 1817 in 14 Krei84

3. VOR ORT

Der Raum Sohren mit insgesamt 18 Hunsrück-Orten gehörte bis zur Verwaltungsreform zum Kreis Zell/Mosel.19 Diese Orte (Altlay, Bärenbach, Belg, Beuren, Büchenbeuren, Hahn, Hirschfeld, Irmenach, Lautzenhausen, Lötzbeuren, Niedersohren, Niederweiler, Raversbeuren, Rödelhausen, Sohren, Thalkleinich, Wahlenau und Würrich) waren zur Amtbürgermeisterei Sohren mit Sitz in Büchenbeuren zusammengefasst. Durch eine Anordnung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 29. Januar 1939 wurde diese Verwaltungseinheit in „Amt Büchenbeuren“ umbenannt.20 Mit der bereits erwähnten Verwaltungsreform wurde 1970 die Verbandsgemeinde Büchenbeuren aufgelöst. Die Orte Bärenbach, Belg, Büchenbeuren, Hahn, Hirschfeld, Lautzenhausen, Niedersohren, Niederweiler, Raversbeuren, Rödelhausen, Sohren, Wahlenau und Würrich – die auch das Kern-Umfeld des Flugplatzes Hahn darstellen – kamen zur Verbandsgemeinde Kirchberg im neu gebildeten Rhein-Hunsrück-Kreis mit der Kreisstadt Simmern. Gegen diese Neuordnung haben sich die Ortsgemeinden der Verbandsgemeinde Büchenbeuren (und der Verbandsgemeinde Gemünden) gewandt und beantragt, die vorherige Aufteilung zu erhalten. So legte die Verbandsgemeinde Büchenbeuren gegen das Gesetz21, das Grundlage der Verwaltungsreform war, Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof für das Land Rheinland-Pfalz in Koblenz ein. Die Beschwerde wurde damit begründet, dass die gemeindliche Verwaltungs- und Leistungskraft für die Zielvorstellung des Gesetzgebers bei der Verbandsgemeinde Büchenbeuren mit dem schon im Anhörverfahren vorgeschlagenen Verwaltungssitz in Sohren vorhanden sei. Vorausgegangen war der Versuch, durch die Verlegung des Verwaltungssitzes von Büchenbeuren nach Sohren die Eigenständigkeit der Verbandsgemeinde zu erhalten. Dieser Versuch wurde jedoch dadurch beeinträchtigt, dass beide Gemeinden sich zunächst um den Sitz stritten und nicht zu einer gemeinsamen Linie fanden. Letztlich wurde die Verfassungsbe-

se). Diese Gebietseinteilung blieb im wesentlichen bis zur rheinland-pfälzischen Verwaltungsreform 1969 bestehen. Das Gebiet der heutigen Verbandsgemeinde Kirchberg gehörte zu den Kreisen Simmern und Zell im Regierungsbezirk Koblenz wie auch zum Kreis Bernkastel im Regierungsbezirk Trier. Nach der Verwaltungsreform wurde die neue Verbandsgemeinde Kirchberg gebildet, die sowohl nach Einwohnern als auch nach Fläche die größte Verbandsgemeinde im Rhein-Hunsrück-Kreis (Kreisstadt Simmern) ist. Vgl. Carla Regge: Chronik der Verbandsgemeinde Kirchberg im Hunsrück, 1789-1983. Idar-Oberstein 1983, S. 55f. und S. 315–317. 19 Vgl. Gustav Schellack und Willi Wagner: Sohren – Chronik einer Hunsrückgemeinde. Simmern 1981, S. 59. 20 Ebd., S. 62. 21 8. Landesgesetz über die Verwaltungsvereinfachung in Rheinland-Pfalz vom 28. Juli 1970. Dieses Gesetz befasste sich mit der Auflösung und Neubildung der Verbandsgemeinden. Regge: Chronik (wie Anm. 18, S. 84), S. 315. 85

FREMDE VOR ORT

schwerde 1971 abgelehnt und damit die Verfassungsmäßigkeit des betreffenden Landesgesetzes und somit der Reform anerkannt. Die Verbandsgemeinde Kirchberg ist mit 40 Ortsgemeinden die zweitgrößte von insgesamt 69 Verbandsgemeinden des Regierungsbezirkes Koblenz. Sie gehört zu den einwohnerstärksten des Rhein-Hunsrück-Kreises und hat mit rund 228 km2 den größten Flächenanteil an den 962 km2 des RheinHunsrück-Kreises.22 In der Verbandsgemeinde Kirchberg ist der Ort Kirchberg gemessen an der Bevölkerung die größte Gemeinde (2005: 3740 Einw.), gefolgt von Sohren (2005: 3463 Einw.) und Büchenbeuren (2005: 1660 Einw.). Der Großteil der 41 Gemeinden der Verbandsgemeinde Kirchberg hat weniger als 400 Einwohner. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Bevölkerung in fast allen Gemeinden der Verbandsgemeinde Kirchberg gewachsen. Seit den 1950ern lassen sich im Wesentlichen drei Phasen der Bevölkerungsentwicklung unterscheiden: • Bevölkerungsanstieg durch Zuzug von Flüchtlingen (1950-61) und anschließender Konsolidierung; • Rückgang der Bevölkerung ab Mitte der 1970er Jahre bis in die 1980er Jahre (u.a. wegen Landflucht) sowie • Bevölkerungsanstieg durch Zuzug von russlanddeutschen Aussiedlern. Abbildung 5: Einwohnerentwicklung in Sohren und Büchenbeuren

Gemeinde

1950 1961 1970 1980 1985 1990 1995 2000 2005

Sohren

1263 1816 1986 1904 1797 1985 2982 3487 3463

Büchenbeuren

538

798

797

884

867 1110 2046 1756 1660

Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2006.

In Sohren ist die Bevölkerung bis Anfang der 1970er Jahre auf rund 2000 Einwohner gestiegen und erreichte 1986 mit rund 1800 Einwohnern ihren Tiefpunkt. Anschließend stieg die Bevölkerung auf rund 3500 Einwohner in den Jahren 2000/2001. Zuletzt war sie wieder leicht rückläufig. In Büchenbeuren wurde der erste Höhepunkt bei der Einwohnerzahl Anfang der 1980er Jahre erreicht mit rund 950 Einwohnern (1981), ging dann bis Mitte der 1980er Jahre auf rund 850 Einwohner zurück und stieg dann wieder kräftig auf rund 2000 Einwohner 1995. Seitdem ist die Bevölkerungszahl wieder rückläufig und erreichte 2005 einen Stand von 1660 Einwohnern. Eine geson22 Vgl. Regge: Chronik (wie Anm. 18, S. 84), S. 316f. 86

3. VOR ORT

derte Darstellung des Anteils an Russlanddeutschen ist nicht möglich, da Russlanddeutsche als Deutsche gelten und somit statistisch nicht separat erfasst werden. Am Beispiel Sohren wird im Folgenden der Wandel der Altersstruktur durch den Zuzug der russlanddeutschen Aussiedler gezeigt: Abbildung 6: Altersentwicklung in Sohren

100% 14,8

16,9

50,3

52

20,3

22,2

52,9

55,5

19,2

21,5

21,1

52,3

50,2

55

80% 60% 40% 20%

34,9

31

26,8

22,3

28,5

28,3

23,8

1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

0%

unter 20 Jahre

20 bis 60 Jahre

60 Jahre und aelter

Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2006.

Bis Anfang der 1990er Jahre ist der Anteil der „Unter-20-jährigen“ kontinuierlich auf rund 22% gesunken. Entsprechend stark war der Anstieg der Älteren, vor allem in der Gruppe der „Über-60-jährigen.“ Durch die Zuwanderung der Aussiedler hat sich die Bevölkerung deutlich verjüngt. In den 1990er Jahren stieg der Anteil der „Unter-20-jährigen“ auf fast 30%. Zuletzt ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wieder merklich auf rund 24% im Jahr 2005 gefallen. Sowohl der zuletzt leichte Rückgang der Bevölkerung als auch der erneute Rückgang des Anteils junger Menschen in Sohren sind Indizien, dass der „Zuwanderungseffekt“ abzuklingen scheint und wieder Effekte an Bedeutung gewinnen, die bis in die 1980er Jahre vorherrschend in der Region waren, wie zunehmende „Überalterung“ und Wegzug jüngerer Einwohner und Familien, um anderswo Ausbildung und Beschäftigung zu finden.

87

FREMDE VOR ORT

Abbildung 7: Stimmenverteilung in Sohren bei den Gemeinderatswahlen

60,0

% 56,5 49,8

50,0 40,0 30,0

38,6 34,0 27,4

33,0 31,1 27,2

20,0

31,2 19,0

48,0 35,2

16,8

50,8 43,9 39,4 32,3

35,8 32,2 30,1 32,0 19,0

16,6

SPD CDU FWG

11,1

10,0 0,0 1969

1974

1979

1984

1989

1994

1999

2004

Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2006.

Andere Struktureffekte zeigen sich insbesondere am Wahlverhalten, hier exemplarisch dargestellt an den Gemeinderatswahlergebnissen von Sohren: Hier war traditionell die CDU stärkste Partei. Viele Aussiedler wählten ebenfalls CDU (auch aus Dankbarkeit für die unter der damaligen Regierung Kohl ermöglichte Aussiedlung), so dass bei der Gemeinderatswahl 1994 die CDU das Rekordergebnis von 56.5% der Stimmen erreichte. Die SPD als traditionell zweitstärkste Partei konnte dagegen bei der Wahl 2004 erstmals mehr Stimmen erzielen als die CDU. Stärkste Partei 2004 wurde aber die Freie Wählergemeinschaft (FWG), die vor allem auf Kosten der CDU kräftig zulegen konnte. Grund für diesen gravierenden Umschwung war, dass erstmals auch viele Aussiedler aus kommunalpolitischen Gründen die FWG wählten – worauf später noch einzugehen sein wird. An dieser Entwicklung lässt sich eine gewisse „Integration“ der Aussiedler feststellen, die sich nun scheinbar mehr von kommunalpolitischen Überlegungen als von allgemeinen Parteipräferenzen leiten lassen.

3.1.3 Der Flugplatz Hahn23 Der Flugplatz Hahn erstreckt sich auf die Gemarkung der Gemeinden Büchenbeuren und Lautzenhausen. Namensgeber wäre rein formell die Gemarkung Lautzenhausen gewesen. Dieser Ortsname war jedoch, so eine populäre Version der Namensgebung vor Ort, für die Amerikaner schwer auszusprechen gewesen, weswegen sie sich für den kürzeren und einfacheren Namen

23 Weitere amerikanische Militärflughäfen in Rheinland-Pfalz waren Bitburg, Sembach, Zweibrücken, Ramstein und Spangdahlem. Die dort stationierten Einheiten gehörten alle zur 17. US-Luftflotte. Siehe hierzu: Winfried Herget, Werner Kremp und Walter G. Rödel (Hrsg.): Nachbar Amerika. 50 Jahre Amerikaner in Rheinland-Pfalz. Trier 1995. 88

3. VOR ORT

des gleichlautenden Dorfes „Hahn“ entschieden hätten.24 Die Einheimischen selber sprachen vom „Hahn“ oder von der „Bäääs“, wenn sie die Air-Base meinten, wobei es auch zu sprachlichen Verballhornungen kam, wenn in Anlehnung an die amerikanische Bezeichnung von der „Eier-Base“ die Rede war. Im offiziellen Sprachgebrauch wurde in den 1950er Jahren die Bezeichnung Fliegerhorst Hahn verwendet, später Flugplatz Hahn, heute ist die Rede vom Flughafen Frankfurt/Hahn. Tagsüber war der Flugplatz trotz seiner Lage auf einer Hochebene lediglich durch die startenden und landenden Jets und deren Lärm zu lokalisieren. Nachts hingegen markierten Positionslichter den Standort. Für die Amerikaner lag die Bedeutung des Flugplatzes vor allem in dessen strategisch günstiger Lage. Überblicksdarstellungen zur Geschichte des Flugplatzes von USamerikanischer Seite wiesen von daher auch meistens darauf hin, dass die Flugbasen als Gegenstücke zu den von den Sowjets initiierten Flugplatzanlagen in Osteuropa geplant worden seien. „To meet that threat, the redeployment of U.S. Air Force units to sites west of the Rhine River was desired with a contemplated redeployment area in the French Zone of Germany.“25 Der Bau des Flugplatzes wurde zwangsverordnet und durch Enteignung möglich gemacht, ein Umstand, der in offiziellen Darstellungen lediglich nebenbei Erwähnung findet.26 Über den Bau des Flugplatzes Hahn wurden die betroffenen Gemeinden zunächst nicht informiert.27 Im März 1951 hatte die Amtsverwaltung Büchenbeuren dem Landwirtschaftsministerium in Mainz mitgeteilt, dass der Bau des Flugplatzes beschlossene Sache sei. „Es möge daher alles getan werden, die Maßnahmen ohne große Härten durchzuführen, zumal die Bevölkerung guten Willens zur Erledigung und Mithilfe bei dem nicht abwendbaren, für sie allerdings äußerst schweren Geschehen ist.“28 24 Der Heimatforscher D. Ochs-Wedertz verweist darauf, dass ursprünglich geplant gewesen sei, den Flugplatz hinter dem Dorf Hahn beginnen zu lassen. Von daher hätte der Name des Flugplatzes für die Planer bereits festgelegen. https://www.dorf-hahn.de [Stand: 16.4.2008]. 25 Negri: History of the 50th (wie Anm. 14, S. 80), S. 13. 26 Nach Gründung der NATO 1949 schlossen die französische und amerikanische Besatzungsmacht ein Abkommen über den Bau von NATO-Flugplätzen in der französisch besetzten Zone Rheinland-Pfalz. Auf Grund dieses Abkommens wurde von der französischen Besatzungsmacht 1951 mit dem Bau des Flugplatzes Hahn begonnen. Nach der Übergabe an die Amerikaner nahmen diese ihn 1953 in Betrieb. 27 Zur „Geheimnistuerei“ des amerikanischen Militärs siehe Michael Grabenströer: Flugträger Rheinland-Pfalz: Die Lasten der Verteidigung. In: Winfried Herget, Werner Kremp und Walter G. Rödel (Hrsg.): Nachbar Amerika. 50 Jahre Amerikaner in Rheinland Pfalz. Trier 1995, 105-128, S. 107. 28 Rudolf Rabs: Der NATO-Flugplatz Hahn im Hunsrück. In: Rhein-Hunsrück Kalender 1970, S. 33. 89

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Im April 1951 berichtete die Rhein-Hunsrück Zeitung, auch um vermeintlichen Gerüchten entgegenzuwirken, über den aktuellen „Stand der Tatsachen“: Die geplante Fläche sei auf 630 ha festgelegt und „zum Schutze der Geschädigten“ ein Zweckverband gegründet worden. Die Geländeteile, welche nicht betoniert würden, könnten bis zur Ernte bebaut werden; der Holzeinschlag habe begonnen. Explizit wurde darauf hingewiesen, dass Interventionen zwecklos seien und die Situation erschweren würden.29 Die sich abzeichnenden Veränderungen wurden in den örtlichen Medien als gravierend dargestellt, das „Gesicht des mittleren Hunsrückgebietes“ verwandelnd, ohne dass man wusste, ob sie zum Vor- oder Nachteil gereichen würden. Ein wichtiger Punkt betraf dabei die Landwirtschaft, die im Hunsrück damals ausschließlich aus bäuerlichen Kleinbetrieben bestand.30 Der Verlust wertvollen Landes zur landwirtschaftlichen Nutzung würde, so die damals geäußerte Befürchtung, dazu führen, dass viele Bauern aufgeben müssten. „Von der Landbeschlagnahme wurden insgesamt 170 Grundstückseigner betroffen, die sich wiederum auf 112 landwirtschaftliche Betriebe aufteilen. Es gibt Bauern, die 50, ja 60 v.H. ihres Landes verloren haben.“ Eine Veränderung der Region war aber auch durch die „Millionen in den Gemeindekassen“ zu erwarten. „Die Orte können sich nun neue Schulen und sonstige Einrichtungen anschaffen, die Bauern selbst kaufen sich Radios, Schlafzimmereinrichtungen und Motorräder.“31 Als die am „schwersten betroffene Gemeinde“ wird Lautzenhausen beschrieben, die zwar einen „unheimlichen Waldverlust, etwa 89 Prozent“, dafür aber Hunderttausende von DM bekommen habe. Die Ortschronik vermerkt hingegen „eine große Verbitterung“, die dieser Eingriff in den Eigen29 „Der Bau eines Flugplatzes bei Hahn. Sechs Gemeinden verlieren 630 ha – Tausende Festmeter Holz werden eingeschlagen.“ In: Hunsrücker Zeitung vom 16.4.1951. 30 Bis in die 1950er Jahre hinein war die Landwirtschaft die dominierende Lebensgrundlage. Auch viele Handwerker hatten meist noch einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Durch die zunehmende Rationalisierung in der Landwirtschaft konnten sich viele Betriebe die hohen Investitionen in neue Maschinen nicht leisten. Es entstanden Maschinenringe, bei denen die Landwirte die gemeinschaftlich angeschafften Maschinen nutzen konnten. Dennoch führte die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft dazu, dass immer mehr Betriebe aufgaben zugunsten weniger, die sich dadurch ständig vergrößern konnten. 1970 gab es noch 1050 landwirtschaftliche Betriebe in der Verbandsgemeinde Kirchberg, neun Jahre später waren es nur noch 907. Betrug die durchschnittliche Betriebsgröße 1977 11,23 ha, lag sie bereits zwei Jahre später bei 12,24 ha und erhöhte sich bis 1981 auf 13,06 ha. Vgl. Regge, Chronik (wie Anm. 18, S. 84), S. 296f.; siehe hierzu auch: Niem und Schneider (Hrsg.): Zukunft (wie Anm. 132, S. 62). 31 Peter Faller: „American Bars“ in Hunsrückwäldern. Kasernen und Wohnviertel wie in Baumholder. Im Mittelpunkt die Luftbasis. Was sagen die Hunsrücker?“ In: Rhein-Zeitung Nr. 231 vom 4./5.10.1951. 90

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und Gemeindebesitz an Land und Wald zur Folge hatte. „Denn das ist ein schlechter Bauer, der nicht an seinem Besitz hängt und damit verwachsen ist. Doch an der Sache konnten wir nichts ändern, wir mussten gute Miene zum bösen Spiel machen, denn der Flugplatz wurde von der Besatzungsmacht [in dem Fall Frankreich] gebaut.“32 So sei nach einem Jahr Bauzeit aus dem „stillen Hunsrück“ ein „einziger, riesiger Baukomplex“ geworden. Dessen Beschreibung mündet in einen Vergleich, bei dem „tiefe, rauschende Wälder“ und „kilometerlange Betonbahnen“, oder „fruchtbare Äcker und Wiesen“ und „schwere Räumpflüge und Bagger“ oder „wogende Ährenfelder“ und „stockwerkhohe Bauten“ einander gegenübergestellt wurden.33 Letztendlich, so der Tenor der Berichterstattung, sei hier die Natur dem Menschen geopfert worden, indem „wertvolles Waldund Ackerland seiner eigentlichen Zweckbestimmung entzogen“ wurde.34 Abbildung 8: Luftaufnahme Flugplatz Hahn

Quelle: Heinz Michel und Carsten Koppke: Im Hunsrück zu Hause. Hahn Air Base. Simmern 2002, S. 93.

32 Fritz Schellack: Lautzenhausen. Geschichte und Entwicklung eines Hunsrückdorfes am Tor zum Flugplatz Hahn (Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins, 29). Dichtelbach, Lautzenhausen 1998, S. 247 (mit Verweis auf Aufzeichnungen, die sich unter der Bezeichnung „Chronik Michel“ Band 2, S. 18 im Archiv des Hunsrückmuseums in Simmern befinden). Siehe hierzu auch: Fritz Schellack: Lautzenhausen – Hahn Airbase – Rhein-Mosel – Flughafen. In: Hunsrücker Heimatblätter 106 (1998), S. 247-258. 33 „Auf dem Flugplatz Hahn entstehen jetzt die Hochbauten. Für die Übergangszeit Barackendorf errichtet. Wälder wichen den Betonbahnen.“ In: Hunsrücker Zeitung vom 22.10.1952. 34 „Besuch in Neu-Büchenbeuren. Hunsrückstadt wächst aus dem Boden.“ In: Rhein-Zeitung vom 5.5.1953. 91

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Damit einher ging die Verlegung der Hunsrückhöhenstraße. Dies wurde von einheimischer Seite mit dem Hinweis auf kommende Verkehrsprobleme versucht zu verhindern. „Der Fernverkehr der bisherigen Hunsrückhöhenstraße muss in Zukunft kurz hinter dem Wäldchen vor der Abzweigung nach Hahn seinen Weg über eine nördlich […] gelegene Umgehungsstraße […] nehmen. Eine Verbindung der Gemeinden Altlay, Belg, Würrich, Hahn nach Büchenbeuren, dem Sitz der Amtsverwaltung, ist unter diesen Umständen in Frage gestellt. […] Die genannten Gemeinden sind seit alters her mit Büchenbeuren verbunden. Eine Trennung würde auf den verschiedensten Gebieten größte Schwierigkeiten bereiten.“35

Ungeachtet dessen wurde die Umgehungsstraße gebaut, wodurch die erwähnten Orte ihre bisherige Stellung und Bedeutung im Raum verloren. Die Gemeindegebietsreform 1969 zerstörte dann endgültig bislang gewachsene Strukturen und schuf eine neue Raumordnung.36 1953 war der Bau soweit abgeschlossen, dass der Betrieb aufgenommen werden konnte. „Anfang August wurde der Flugplatz von ca. 3.000 amerikanischen Truppen und Düsenjägern [sic!] belegt. Seitdem ist über dem Dorf und der ganzen Gegend viel Motorengeräusch und im Dorf, vom und zum Flugplatz, viel Durchgangsverkehr amerikanischer, weißer und schwarzer Soldaten, zu Fuß oder mit Auto.“37

Die Ankunft der Fremden brachte die Erinnerungen an die Kriegszeit zurück. Das Vorgehen beim Bau des Flugplatzes, die mangelnde Informationspolitik der Besatzungsmächte wie auch die Enteignungen, nahezu alles wurde als eine direkte Kriegsfolge gesehen. Dementsprechend meint der in Sohren lebende selbständige Handwerker Herr Hn: „Da hat hier jeder gedacht: ‚Ach,

35 „Der Bau eines Flugplatzes“ (wie Anm. 29, S. 90). 36 Siehe hierzu den Beitrag von Willi Wagner: Der Rhein-Hunsrück-Kreis wird gebildet. Die kommunale Neugliederung vor 25 Jahren. In: Hunsrücker Heimatblätter 94 (1994), S. 169-178. Albecht Lehmann fragte in den 1970er Jahren nach dem Einfluss der Verwaltungs- und Gebietsreform auf das Ortsbewusstsein der Bewohner. Er kam damals zu dem Schluss, dass „das Bewusstsein der Menschen stärker durch Einflüsse der übergreifenden Kultur als durch die sozialen und kulturellen Besonderheiten des Heimatortes geprägt wird […] es dominiert das durch großgesellschaftliche Verhältnisse geformte Selbstverständnis eines Menschen, ein Arbeiter, Angestellter oder Beamter zu sein, über sein Ortsbewußtsein.“ Albrecht Lehmann: Ortsbewusstsein in einem Arbeiterdorf. Einflüsse der Gemeindereform. In: Günter Wiegelmann (Hrsg.): Gemeinde (wie Anm. 127, S. 60), S. 183. 37 Schellack: Lautzenhausen (wie Anm. 32, S. 91), S. 248 mit Verweis auf die „Chronik Michel“, Bd. 2, S. 25. 92

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jetzt haben wir den Krieg verloren, jetzt müssen wir täglich diese Amerikaner sehen!‘ Und das war zuerst ein klein bisschen Spannung, bis die Ersten beschäftigt waren, dann wurde das eine Gemeinschaft.“38 Für die Region und die Einheimischen ist der Flugplatz heute vor allem ein Wirtschaftsfaktor. Dies kam auch schon während der Stationierung der Amerikaner zum Ausdruck, wie der Blick in die Hunsrücker Heimatblätter oder den Rhein-Hunsrück-Kalender zeigt. Der Flugplatz wird dort als „größter Arbeitgeber auf dem Hunsrück“, beschrieben, der die Holzindustrie abgelöst hatte und scheinbar „krisenfeste Arbeitsplätze“ bot. 39 Darüber hinaus kommt aber noch ein anderes Bild zum Ausdruck, welches deutlich macht, wie der Flugplatz und die Präsenz der Amerikaner vor Ort in den 1970er Jahren von den Einheimischen gesehen und bewertet werden sollten. Dazu zählt, dass zunächst die Vorteile durch den Flugplatz Hahn hervorgehoben wurden. Der Flugplatz wurde als „Quelle des Wohlstands in unseren Dörfern“ bezeichnet, wozu auch die Mieteinnahmen gezählt hätten: „So fließen in den Verbandsbezirk jährlich durch die Amerikaner allein an Mieten über zwei Millionen Mark. Kein Wunder, dass die Neubauten in manchen Gemeinden fast ganz aus den Mieteinnahmen finanziert werden und dass zur Zeit im ausgedehnten Neubaugebiet von Büchenbeuren mehr Amerikaner als Deutsche wohnen.“40

Zudem wurde auf die „sehr guten Beziehungen“ sowohl zwischen den „verantwortlichen Männern des Flugplatzes“ zu den deutschen Behörden als auch zur Bevölkerung hingewiesen. „Sie gehen auf manchen Gebieten so weit, dass man schon von einer Amerikanisierung sprechen kann. Sie gehen aber nicht so weit, dass unsere Dörfer ihren deutschen Charakter eingebüßt hätten.“41 Letztendlich ging es den Autoren jedoch darum, fast mahnend daran zu erinnern, dass die ständige Verteidigungsbereitschaft und Wachsamkeit der 38 Herr Hn (60 EG), TS 12. 39 In den Hunsrücker Heimatblättern oder im Rhein-Hunsrück-Kalender wurden Jubiläen des Flugplatzes entsprechend gewürdigt. Siehe hierzu Rabs: Der NATO-Flugplatz (wie Anm. 28, S. 89) und Gustav Schellack: 25 Jahre NATOFliegerhorst (wie Anm. 13, S. 80). Noch zehn Jahre nach dem Abzug der Amerikaner erscheint ein Bildband über den Flugplatz, der „die Erinnerung wach halten“ soll. Daran wird deutlich, wie sehr der Flugplatz als amerikanische AirBase immer noch im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Heinz Michel und Carsten Koppke: Im Hunsrück zu Hause. Hahn Air Base. Simmern 2002. Rudolf Rabs war von 1959 bis 1971 Amtsbürgermeister in Büchenbeuren. Heinz Michel war von April 1974 bis August 1999 Bürgermeister von Sohren. Carsten Koppke war von 1980 bis 2007 Bürgermeister der Verbandsgemeinde in Kirchberg. 40 Rabs: Der NATO-Flugplatz (wie Anm. 28, S. 89), S. 30. 41 Ebd., S. 31. 93

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Amerikaner der „Erhaltung des Friedens“ und der Freiheit diene, „die zu keiner Zeit als selbstverständlich hingenommen werden darf“42. Insgesamt wurde darin der Stellenwert des Flugplatzes zwar zwiespältig, letztlich aber doch positiv gesehen. Als negativ galten die Auswirkungen der militärischen Präsenz – wie die Schäden an den Wasserläufen rund um den Flugplatz, die Lärmbelästigung durch die Flugzeuge, die noch zu bauende neue Wasserversorgung der Gemeinde Hahn wie die mit dem Flugplatz Hahn zusammenhängende Mehrarbeit bei der Verbandsgemeindeverwaltung Büchenbeuren. Dem wurden die Vorteile gegenübergestellt, wie vor allem der Stellenwert des Flugplatzes als Wirtschaftsfaktor und Garant für Frieden, welche die Nachteile überwiegen würden und deswegen auch nicht weiter zu thematisieren seien.43 Die Aussicht, von dem Flugplatz profitieren zu können, veränderte die Wahrnehmung und erhöhte die Bereitschaft der Einheimischen, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. So beschreibt eine Rentnerin aus Sohren die damalige Situation vor Ort wie folgt: „Jetzt kommt ein Flugplatz hierhin und da bekommen wir eine Menge Arbeit. Wir haben ja gut verdient und so anstrengend war die Arbeit nicht. Da haben auch die Bauern hier aufgehört und sind zum Flugplatz. Wenn die in den Flugplatz konnten, waren die glücklich.“44 Viele Einheimische waren dort als Zivilarbeitskräfte zehn, 15 Jahre oder länger beschäftigt. Ein gutes Betriebsklima wie auch ein Anreizsystem, welches Engagement und gute Arbeit mit Extra-Vergütungen belohnte, machten u.a. „den Hahn“ zu einem begehrten und beliebten Arbeitsplatz. Der Flugplatz als „Arbeitgeber“ ließ manche Probleme in einem anderen Licht erscheinen: „Alle haben vom Flughafen gelebt. Und das war schon was für die Region.“45 „Der Hahn war der größte Arbeitgeber und ich mein’, man kann nicht Arbeit haben und dann keine Unannehmlichkeiten.“46 Der Bau des Flugplatzes setzte für viele einen Kreislauf in Gang, der zu einem Bauboom und zum wirtschaftlichen Aufschwung der ganzen Region führte. „Die Leute hätten sonst weniger gebaut, die Baubranche hätte weniger Aufträge, und durch die Mieteinnahmen konnte insgesamt mehr Geld ausgegeben werden. Da war ein Geldumlauf wie in Ludwigshafen, wo die BASF Hauptarbeitgeber ist. Da war

42 Ebd., S. 29. 43 Vgl. ebd., S. 32f. 44 Frau Mr (77 E), TS 3. Siehe hierzu Grabenströer: Flugzeugträger (wie Anm. 27, S. 89), S. 108. 45 Herr Hn (60 EG), TS 14. 46 Frau Kz (48 E), TS 4. 94

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hier ein Wohlstand durch den Amerikaner gekommen und der war immer gleichmäßig. Der Flugplatz Hahn als Arbeitgeber, der war sicher.“47

Der Raumverlust durch den Flugplatz und auch die Veränderungen der Landschaft, sei es im Wald und auf den Feldern durch Manöverschäden oder durch Lärm während der Übungsflüge, erscheinen heute, im Rückblick, als eher unbedeutend. Nur wenige Einheimische erinnern sich noch an ihren Unmut: „Denen war das wurschtegal, die haben noch sehr den Sieger raushängen lassen. […] Die kannten auch keine deutschen Feiertage. Wenn wir Feiertage hatten und die keine, sind die geflogen – gnadenlos. Und dann oftmals im Tiefflug über den Hunsrück weg. Das war unerträglich, was sie uns zugemutet haben und da hat man sich wirklich noch als besetztes Land gefühlt.“48

Das Gefühl, unterlegen gewesen zu sein, machtlos den Fremden ausgeliefert, macht sich hier am Land fest, an der Inbesitznahme der Region, mit der nach Gutdünken verfahren werden konnte. „Wir durften nicht mehr dahin, wir durften nicht mehr dorthin und immer wieder hieß es nur: die Amerikaner, die Amerikaner!“49 Die Dominanz der Amerikaner zeigte sich auch noch am Ende ihrer Stationierung: Genauso überraschend wie zu Beginn kam die Meldung über das Ende der Air-Base. Dabei war mit dem Bau neuer Flugzeughallen und einer weiteren Housing50 in Sohren51 gerade erst begonnen worden. Alles wurde trotzdem fertiggestellt und die Housing direkt an Einheimische weiterverkauft. Ähnliches schien auch für die leerstehenden Gebäude am Flugplatz möglich. Herr Bm, der noch heute ein offizielles Amt in Büchenbeuren bekleidet, sagt über die damalige Hoffnung vieler: „Wir dachten, da ist eine Struktur da oben. Gebäude, alles in einem Top-Zustand. Der Flugplatz Hahn zu Amerikanerzeiten, der war im besseren Zustand als zum Beispiel Spangdahlem, Bitburg oder sonst einer, der heute noch in Betrieb ist. Da haben

47 48 49 50

Herr Hn (60 EG), TS 11. Herr Ht (55 Ex), TS 21. Herr Nk (57 Ex), TS 4. Mit „Housing“ wurden amerikanische Wohnkomplexe bezeichnet, die ursprünglich nur auf dem Kasernengelände lagen. Später bezog sich der Begriff auch auf amerikanische Wohnkomplexe in den Dörfern. 51 Im Volksmund wird diese Housing nach dem Altbürgermeister Michel „Michelstadt“ genannt. Er setzte sich sehr für deren Bau und Fertigstellung ein, auch nachdem der Abzug der Amerikaner bereits beschlossen war. 95

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wir gedacht, jetzt brauchen die nur zu kommen, die Interessenten, und können hier die Gebäude benutzen.“52

Im August 1993 verließen die letzten amerikanischen Soldaten den Flugplatz Hahn und hinterließen zunächst nicht nur räumlich gesehen ein Vakuum. Der Flugplatz und seine Gebäude standen zur Disposition und noch war keine neue Nutzung in Aussicht. Die lokale Presse sprach von einem „Alptraum“, der wahr geworden sei, sowohl Arbeitsplätze wie auch Kaufkraftpotenzial waren in Gefahr. Und das zu einer Zeit, in der immer mehr russlanddeutsche Aussiedler begannen – nach entsprechender Zuweisung durch die Behörden und auch nach Werbung durch den Landrat – sich in den leer stehenden Wohnungen der Amerikaner einzurichten oder Häuser zu bauen und sich dauerhaft niederzulassen. Abbildung 9: Leerstehende Kasernen auf dem Flugplatz Hahn nach dem Abzug der Amerikaner

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

Auch nach dem Abzug der Amerikaner und dem Zuzug der Russlanddeutschen wurde das Bild vom Flugplatz von der Frage nach seiner Zukunft als Wirtschaftsstandort dominiert. Denn nur dort konnten Arbeitsplätze geschaffen werden, die für viele das Auskommen sichern würden. Somit hing es letztendlich auch von der Entwicklung des Flughafens ab, inwiefern die Integrationsmaßnahmen vor Ort greifen würden, für die von Land und Bund um-

52 Herr Bm1 (60 Ex), TS 5. 96

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fangreiche Mittel zur Verfügung gestellt worden waren, um eine soziale Eskalation zu verhindern.53 Hierzu wurden diverse Szenarien entworfen, wie z.B. die 24-StundenNutzung des Flughafens, die sehr kontrovers diskutiert wurde. Im März 1993 übergab die Bürgerinitiative „Pro Hahn“ 7500 Unterschriften, die sich für eine zivile Nutzung des Flughafens aussprachen. Von mehreren Seiten wurde damals zwar der Ausbau zu einem internationalen Fracht- und Passagierflughafen favorisiert; die Perspektive kleinerer Flughäfen wurde zu dieser Zeit jedoch eher negativ eingeschätzt. Die Vorstellung, vom Hahn aus einmal nach Mallorca fliegen zu können, bedurfte schon einiger Phantasie. Mit der Gründung einer Holding-Hahn GmbH 1995 und der Entscheidung der irischen Billigfluglinie Ryanair, Frankfurt/Hahn – so der inzwischen offizielle Name – als kontinentale Drehscheibe zu nutzen, begann ein rasanter Aufschwung. 2005 flogen bereits ca. 3 Millionen Fluggäste jährlich zu 22 Zielen in Europa. Dieser Boom schuf und sicherte mittelfristig Arbeitsplätze, was sich auch immer mehr auf das Zusammenleben mit den Aussiedlern auszuwirken begann. Inzwischen bietet der Flughafen Frankfurt/Hahn auch den Einheimischen die Möglichkeit, günstig überall in Europa herumzukommen. Tagestrips an den Strand nach Italien oder Betriebsausflüge zum Weihnachtsshopping nach Stockholm sind en vogue und werden als äußere Zeichen innerer Mobilität54 – im Sinne von Aufgeschlossenheit und Weltoffenheit – verstanden. Auch die Schulen nutzen die Angebote des Flughafens. „Es ist jetzt schon so, dass Klassenfahrten nach Mailand mit dem Billigflieger geplant werden, was günstiger kommt als nach Frankfurt zu fahren“, beschreibt der 55 Jahre alte Pädagoge Herr Ht diese Situation.55 Der „Hahn“ hat sich seinen Stellenwert als Wirtschaftsfaktor erhalten. Denjenigen, die dort beschäftigt sind, verschafft er ein geregeltes Einkommen, zumindest solange die Nachfrage stimmt und es ein Bedürfnis nach noch mehr Mobilität zu einem günstigen Preis gibt. Darüber hinaus wurde der

53 1992 wurde vom Land Rheinland-Pfalz ein Landeskonversionsprogramm beschlossen, um den negativen Folgen von Truppenreduzierungen und Standortschließungen entgegenzuwirken. Darin wird der Flughafen Frankfurt-Hahn als eines der „bedeutendsten Konversionsprojekte“ mit einer „beispiellosen Erfolgsgeschichte“ beschrieben. 2005 habe das Passagieraufkommen 3,1 Millionen und das Frachtaufkommen 228.000 Tonnen betragen. Dadurch seien bis Ende 2003 in der Region 8000 neue Arbeitsplätze entstanden, davon 2400 auf dem Flughafen direkt. Vgl. Konversionsbericht 2004/05 der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Tischvorlage zur Pressekonferenz am 7. März 2006. Siehe hierzu auch: Ministerium des Innern und Sport Rheinland Pfalz (Hrsg.): Konversion 2000. Ein Jahrzehnt Konversionspolitik. Mainz 2000. 54 Vgl. Beck: Globalisierung (wie Anm. 112, S. 57), S. 132. 55 Herr Ht (55 Ex), TS 29f. 97

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Flughafen aber auch zum Katalysator für Mobilität und brachte die Region in die Schlagzeilen. Die Nummernschilder der Autos auf den Parkplätzen stammen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden Ausland. Diese „neuen Fremden“ kommen, um möglichst schnell wieder zu gehen. Der Flughafen wurde zur Durchgangsstation für die Einen und zum Fixpunkt der Anderen. Und obwohl nur noch wenig von der ehemaligen US-Airbase erhalten geblieben ist, markiert er für viele auch einen Ort der Erinnerung an jene Zeit, in der die Dörfer und Gemeinden der Region begonnen hatten, sich in einem bisher nicht bekannten Ausmaß zu verändern.

3.2 Ortsbilder Bilder von Regionen und Orten basieren auf Imaginationen, die sowohl von Erinnerungen und Deutungen der Gesellschaft und medialer Diskurse als auch durch Daten und Fakten geprägt werden. Fremd-Bilder etwa der Medien präsentieren eher eine Außensicht auf Orte und unterscheiden sich meistens von den Selbstbildern – der Innensicht – der Bewohner, wobei sich diese auch untereinander als überaus heterogen konstruiert erweisen können und durchaus auch von den Fremdbildern beeinflusst werden. Welche Vorstellungen und Imaginationen prägten nun das Selbst- und Fremd-Bild vom Hunsrück und seinen Bewohnern bis zum Abzug der Amerikaner?

3.2.1 Hunsrück und Hunsrücker Ältere Darstellungen der Region, wie die „Hunsrücker Volkskunde“ von G. Walter Diener, beschreiben den Hunsrück meistens als „rauh und herb“56. Diese Charakterisierung wird durch Verweis auf frühe Quellen und auf naturräumliche Gegebenheiten begründet und ausführlich dargelegt. „Wie das Land, so die Menschen“57 lautet das Deutungsmuster, welches die Die-

56 Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80). Siehe hierzu auch die Beschreibung des „herben Charakters des Hunsrücks“ in der Dorfstudie von Leopold von Wiese, welche u.a. auch auf Erhebungen im Hunsrück basiert. Hubert A. Kehren: Außersoziologische Grundlagen. In: Leopold von Wiese (Hrsg.): Das Dorf als soziales Gebilde (= Beiträge zur Beziehungslehre, 1). München und Leipzig 1928, S. 10-15, hier S. 10. 57 So lautet der Titel eines Zeitschriftenbeitrags über den Pinzgau in: Landlust. Die schönsten Seiten des Landlebens. Ausgabe Juli/August 2006. Hrsg. vom Landwirtschaftsverlag Münster, S. 64-71, der einmal mehr zeigt, wie Deutungsmuster, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen und die Naturbeschaffenheit als Sinnbild für Lebensführung und -stil propagieren, auch heute noch wirksam sind. 98

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ner’schen Ausführungen entsprechend seiner Zeit wie ein roter Faden durchzieht. „Unterschiede im Wesen und Charakter der Bevölkerung sind auch bedingt durch die Bodenbeschaffenheit. […] Rauh wie der Boden des Landes ist die Luft, die über die Höhen des Hunsrücks weht. In den oft harten Wintern liegt lange hoher Schnee. Da gedeiht ein Menschenschlag, der rauh und bloß’ gewöhnt ist! Scharfkantig und steifnackig muß […] der Hunsrücker sein. Die Rauhheit des Klimas und des Bodens verlangt es, daher ist auch dem Hunsrücker ein bestimmter Ernst des Wesens, Zähigkeit, ‚Festigkeit und Kernigkeit‘ eigen.“58

Gerade im Vergleich mit den benachbarten Weinbauregionen, die bei Darstellungen des Hunsrücks fast immer kontrapunktisch herangezogen werden, zeigt sich dessen „verkehrsarme und abgeschlossene Lage“, welche die Landschaft als „zurückgeblieben“ erscheinen lässt. Die Abgeschlossenheit der Region wird für eine „weite Uniformierung im Denken und Handeln der Menschen“59 verantwortlich gemacht und zum konstituierenden Element „des Hunsrückers“: „Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts [des 19. Jahrhunderts] waren nur wenige gute Straßen vorhanden. […] Wer will sich da wundern, wenn, bei solcher Abgeschlossenheit, äußere Einflüsse auf die geistige Entwicklung des Hunsrückers sich nur wenig oder gar nicht bemerkbar machten. Bis zum ersten Weltkrieg blieb für viele Hunsrücker das Heimatdorf die Welt!“60

Entsprechend sei lange Zeit, so Diener, über den Hunsrück die Nase gerümpft worden.61 Noch heute lautet eine gängige Redensart an der Mosel: „Lieber fünfmal an der Mosel abgesoffen als einmal auf dem Hunsrück übernachtet.“ Eindeutiger lässt sich das Verhältnis der „Moselaner“ zur angrenzenden Mittelgebirgslandschaft nicht fassen. Auf den Hunsrück fuhr aus den Tälern nur, wer es nicht vermeiden konnte. Umgekehrt gelten die drei Flusstäler von Mosel, Rhein und Nahe als Orte, in denen das Klima angenehm ist, Wein angebaut wird und Touristen gerne verweilen. Je nachdem, wo man sich auf dem

58 Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80), S. 75. 59 Siehe hierzu Leopold von Wiese (Hrsg.): Das Dorf (wie Anm. 56, S. 98), S. 74. Wiese unternahm im Sommersemester 1927 mit Studierenden eine Exkursion u.a. in den Hunsrück, um dort in verschiedenen Dörfern Erhebungen durchzuführen. 60 Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80), S. 80. 61 Ebd., S. 15. Dem entgegen zu wirken dürfte ursprünglich eines der Motive von Diener gewesen sein, als er noch als alleiniger Verfasser begonnen hatte, die „Hunsrücker Volkskunde“ zu schreiben. Seine eigene Betroffenheit kommt darin immer wieder zum Ausdruck. 99

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Hunsrück befindet bildet einer der Flüsse immer einen festen Bezugspunkt: Rhein, Mosel oder Nahe sind Ausflugsorte für Besuch. Gerade die Abgeschiedenheit des Hunsrücks bot in der Vergangenheit Zuflucht für soziale Randgruppen, „Gesindel“ oder „Räuber“. Neben den mehr oder weniger bekannten (Heimat-)Dichtern und -Malern der Region62 werden vor allem die Geschichten um die Figur des Schinderhannes mit dem Hunsrück assoziiert. Darin ist von Überfällen, Raub und Mord, aber auch mancherlei Späßen die Rede, die den Hunsrück damals zu einer unsicheren Gegend gemacht hätten. Die Quellenlage zu dieser Figur ist sehr dürftig, was den Schinderhannes schon früh zu einer Projektionsfläche werden ließ. Zunehmend entwickelte er sich zu einer Art „Sozialrebell“ nach dem Vorbild der Figur des Robin Hood. Filme, wie etwa mit Curd Jürgens in der Rolle des Schinderhannes, stilisierten ihn zu einem populären Helden und trugen dazu bei, dass er heute als „Markenzeichen“ der Region fungiert.63 Trotz der überwiegend positiven Eigenschaften, die den „Hunsrücker Menschenschlag“ das karge Leben vor Ort ertragen ließen, wie „derb und rührig“ oder „bescheiden, aber willensstark“, brachte große wirtschaftliche Not viele dazu, im 19. Jahrhundert nach Südamerika (insbesondere Brasilien) auszuwandern. Aber auch dort habe sich der Hunsrücker Charakter bewährt, dessen „großer Fleiß und ebenso große Bedürfnislosigkeit“ manchem zu Wohlstand verholfen habe.64 Galt der Hunsrück lange Zeit als eine vernachlässigte Region, beginnt sich dies Anfang der 1950er Jahre zu wandeln. Die Region wurde nicht nur, wie Diener konstatierte, zum Wander- und Reiseziel, sondern zum USTruppenstandort der NATO. Hatten sich bislang die Hunsrücker den „ortsund wesensfremden Einflüssen“, d.h. allem Neuem gegenüber als resistent erwiesen, so „als trüge der Hunsrück nur ein ander Kleid; das ist ihm angehängt, aber was drin steckt, das ist der alte Hunsrück“65, konnten sich „die Hunsrücker“ den sich nun abzeichnenden tiefgreifenden Veränderungen nicht entziehen.

62 Zu den bekanntesten zählen: W. O. von Horn (Wilhelm Oertel), Peter Joseph Rottmann, Nanny Lambrecht, Fritz Stoffel, Karl Ströher. Siehe hierzu auch die Arbeit von Christina Niem: Nanny Lambrecht 1868-1942. Eine unangepasste Schriftstellerin. Mainz 1993. 63 Der Name Schinderhannes findet sich auf allen Arten von Konsumartikeln, aber auch im Namen von Hotels, Gaststätten, Fahrradwegen oder auch für regionaltypische deftige Gerichte. 64 Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80), S. 71f. 65 Ebd., S. 92. 100

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3.2.2 Selbstbilder und Selbstverständnis Viele Einheimische verbinden mit der Region Hunsrück „Bodenständigkeit“66, insbesondere für die Zeit vor dem Flugplatzbau, als der Aktionsradius des Einzelnen noch stärker eingeschränkt war. Als zentrale Orte galten traditionell Büchenbeuren und – was heute noch gilt – Simmern: „In Büchenbeuren war die Verbandsgemeinde oder das Amt. Simmern war schon ’ne größere Fahrt und nach Koblenz ging es hin und wieder zum Einkaufen. Das war ’ne Attraktion und dann so Riesengeschäfte und so eine Riesenauswahl. Die Leute hatten ja keine Fahrmöglichkeit, wer hatte damals ein Auto oder so was.“67

Die Region damals wird als abgeschlossen und rückständig beschrieben und sei deswegen auch als „Preußisch-Sibirien“ bezeichnet worden.68 Erst die Amerikaner, so die Sichtweise der meisten befragten Einheimischen, hätten für „den Weltanschluss“ gesorgt, indem sie „die Welt auf den Hunsrück brachten“, ihn dadurch prägten und dem Raum somit „ein Gesicht“ verliehen, wie Herr Schr meint, der als Gastronom in Büchenbeuren tätig ist.69 Gerade von den nachfolgenden Generationen wird der Zuzug der Amerikaner als positiv gesehen. Denn vor dem Bild einer Region, die als rückständig galt, erschienen die mit den Amerikanern zusammenhängenden Veränderungen wie ein Aufbruch und fügten sich zu dem Bild einer neuen Region. 66 1972 kritisierte Utz Jeggle den Begriff der „Bodenständigkeit“ im Kontext der Trachtenbewegung in Süddeutschland als Zeichen der „Leere der Tradition“ und „Allmacht der Willkür“. „Der Mangel an historischem Selbstbewusstsein erzeugt eine Unsicherheit, die sich im eiligen Preisgeben von Eigenheiten zugunsten jener nur an von oben oder außen dekretierten Diffusionsgrenzen halt machenden Bodenständigkeit. Der Einsatz der Vokabel Boden als höchster Kompatibilitätsinstanz erinnert nicht nur an faschistische Zeiten, sondern dient noch immer den gleichen Zwecken: man nimmt die Autonomie, indem man sie scheinbar sichert und ihre Selbständigkeit beschwört.“ Utz Jeggle: Fremdheit und Initiative. Vorbemerkungen zu einer Variante des soziokulturellen Wandels. In: Zeitschrift für Volkskunde 68 (1972), S. 43-60, hier S. 59. 67 Frau Th (53 E), TS 37. 68 In heimatkundlichen Darstellungen werden mit Verweis auf den Volksmund abgelegene Gebiete mit dem Zusatz „Sibirien“ konnotiert. So wurden etwa bis in die jüngste Vergangenheit hinein Teile des ehemaligen Zonengrenzgebietes als Hessisch-Sibirien bezeichnet. Auch für den Hunsrück lassen sich in der Literatur zahlreiche Hinweise finden, welche die Region und seine Bevölkerung in der Vergangenheit mit Begriffen wie „abgeschlossen“ oder „rückständig“ in Verbindung bringen. Nach der Eingliederung zu Preußen wurde der Hunsrück u.a. wegen seines rauhen Klimas und seiner Randlage (von Preußen aus gesehen) unter preußischen Beamten mit „Preußisch-Sibirien“ bezeichnet. Vgl. hierzu Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80), S. 40f. und S. 71f.; Schellack und Wagner: Sohren (wie Anm. 19, S. 85), S. 7f. 69 Herr Schr (40 EG), TS 2. 101

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Von daher distanzieren sich viele Einheimische eher gegenüber früheren Generationen von Hunsrückern: „Die waren damals viel verschlossener hier im Hunsrück, aber durch den Amerikaner sind die weltoffener geworden. […] mit dem alten Hunsrücker, der ärmliche Landwirtschaft, der Sparen gewohnt war und alles, dem wurden doch da die Augen geöffnet. Der Amerikaner hat ganz anders gelebt, der hatte eine ganz andere Lebensart, das war ein ganz anderer Typ von Mensch.“70

So werden auch Vorstellungen von Toleranz und Weltoffenheit als die entscheidenden Werte beschrieben, die durch die Amerikaner vermittelt worden seien. „Das haben wir gelernt durch die Amerikaner. Da waren ja Neger dabei. Schwarze, Gelbe, war ja alles da. Und wir Sohrener sind offener geworden für Fremde“, meint etwa der selbständige Unternehmer Herr Bg71 und Frau Kz, die lange Zeit als Sekretärin für die amerikanischen Streitkräfte gearbeitet hat, fügt hinzu: „Dass wir einfach mal ein bisschen freier wurden und auch mal eine andere Sprache gesprochen haben oder versucht haben. Das hat dem Hunsrück richtig gut getan. Und das merken die Leute auch.“72 „Wie nachher diese ganzen Aussiedler kamen, da war hier der Raum um den Flugplatz Hahn so tolerant und so weltoffen, das hat uns der Amerikaner gelernt [sic!].“73 Maßgeblich unterstützt wurde die Übernahme amerikanischer „Werte und Lebensart“ durch die Dominanz und den Erfolg der amerikanischen (Populär-)Kultur, wie dies in Abschnitt 2.1.4 thematisiert wurde. Verstärkend wirkte hier, dass die Einheimischen auch direkt dem Kontakt mit den Amerikanern und dem „American Way of Life“ ausgesetzt waren und diesen nicht nur über die Medien vermittelt bekommen haben. Wesentliche Treiber, wie die Diskussion um Selbstamerikanisierung gezeigt hat, waren der Wunsch nach einem (materiell) besseren, „schicken“ und pflegeleichten Leben.74 Dieser konnte vor Ort nicht nur durch die Übernahme amerikanischer Werte und Lebensart, sondern insbesondere durch die Wirtschaftskraft der Amerikaner für viele Einheimische „erfüllt“ werden. Im Selbstbild der Einheimischen verbanden sich Assoziationen wie modern, weltoffen und tolerant zu einem neuen Selbstbild, wodurch frühere Attributive wie „herb, verschlossen oder bescheiden“ zunehmend in die Vergangenheit verwiesen wurden. Nur wenige stellten dem etwas entgegen, indem sie an frühere Werte erinnern. 70 71 72 73 74

Herr Hn (60 EG), TS 14f. Herr Bg (50 EG), TS 31. Frau Kz (48 E), TS 4. Herr Hn (60 EG), TS 14. Vgl. hierzu die Ausführungen von Maase in Abschnitt 2.1.4.

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„Der Hunsrücker ist schon ein bisschen stur und wenn er Freundschaft hat, dann pflegt er sie auch. Aber ich denke mittlerweile, dass wir einiges von den Amerikanern in deren Sinn übernommen haben. Das ist nichts Positives, weil wir mehr Exund Hoppgesellschaft geworden sind. […] Dass wir finsterer Hunsrück waren und keine Kultur hatten, das ist Quatsch.“75

Zum Selbstbild der Einheimischen in Sohren und Büchenbeuren gehört aber auch, sich dem Ort, d.h. dem Herkunftsdorf oder der Herkunftsregion, zugehörig zu fühlen. Diese Verbundenheit wird jedem, der vor Ort geboren wurde, unterstellt bzw. von ihm erwartet. Denn dadurch entscheidet sich, wer als Einheimischer dazugehört und wer nicht. Ob jemand vor Ort geboren oder zugezogen ist, spielt auch dann noch eine Rolle, wenn, wie bei manchen Dorfbewohnern, der Zuzug Jahrzehnte zurückliegt. Er wird immer dann angeführt, wenn es darum geht, sich ab- und andere auszugrenzen: „Ich weiß genau, dass er das nicht bös’ gemeint hat. Aber wir sind ja eine Clique und da würd’ ich Bein und Stein wetten, dass da unterschwellig doch noch Unterschiede gemacht werden. Von den Einheimischen zu uns Zugereisten. Denn für die ist Heimat da, wo man geboren ist.“ Von daher würden sich Zugezogene oftmals „heimatlos“ fühlen. „Ich find’ das schlimm. Die [eine Bekannte] wohnt doch jetzt schon über 60 Jahre hier und sagt: Ich bin nie ein Hunsrücker, ich bin nie aufgenommen worden.“76 Sich als Sohrener, Büchenbeurer oder gar Hunsrücker zu bezeichnen, bedeutet sich an einem Ort heimisch zu fühlen, d.h. einen Ortsbezug entwickelt zu haben. Dieser hängt, wie Treinen feststellte, vor allem mit der Länge der Wohndauer zusammen und wird verstärkt durch „Festansässigkeit – indiziert durch Hausbesitz“77. Der Ort wird zum Bezugsobjekt gemacht, wobei „nicht Raumteile sondern Sozialzusammenhänge der Bewohner dieser Orte bzw. Regionen das Bezugsobjekt“ darstellen. Im Ortsbezug bildet sich die Symbolisierung menschlicher Beziehungen ab.78 Voraussetzung für die emotionale Besetzung eines Ortssymbols ist demnach die Interaktion mit Menschen in einem bestimmten Situationszusammenhang, der den Ort betrifft. Die Interaktionen haben die Funktion, den Gruppenzusammenhang zu stärken. Dabei werden Norm- und Wertvorstellungen vermittelt. Zudem befriedigen sie das jeweils individuelle Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit. Der Ort wird dadurch sowohl zum verbindenden Element im sozialen Handeln der Mitglieder einer örtlichen Sozialstruktur,

75 76 77 78

Frau Br (54 E), TS 12. Frau Fl (57 E), TS 26f. Treinen: Symbolische Ortsbezogenheit (wie Anm. 88, S. 52), S. 254. Ebd., S. 236f. 103

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zur Inklusions- als auch zur Exklusionsinstanz, die darüber entscheidet, wer Büchenbeurer oder Sohrener ist, wer dazugehört und wer nicht.79 Wer nicht vor Ort gebürtig und als alteingesessen gilt, muss sich um Akzeptanz und Anerkennung bei den Einheimischen bemühen. Dies wird einseitig den Zugezogenen als Aufgabe zugeschrieben. Der 37-jährige Handwerker Herr Ft, der mit seiner Frau und zwei Kindern in Sohren lebt, konkretisiert diese Ansicht, wenn er sagt: „Egal woher ich auch komme, aus der Stadt oder auch aus nächster Nähe, bin ich als derjenige, der dazu stößt, derjenige, der sich anpassen muss. Ich kann nicht von den anderen verlangen, sich anzupassen an meine Gewohnheiten. […] Wir sind schon aufgeschlossen mit den Fremden, wenn sie nicht grad so ausgefallen sind.“80

Im Umkehrschluss sind daher diejenigen, die sich nicht bemühen, auch selbst dafür verantwortlich, wenn sie ausgegrenzt werden. „Wenn ich so die Städter sehe, die jetzt in den Häusern wohnen, wo ältere Leute gestorben sind und sich dann so isolieren, barrikadieren, die brauchen sich nicht zu wundern, wenn sie nicht Einheimische werden.“81 Wenn die Erwartungen der Einheimischen erfüllt würden, der Andere also die Initiative ergreift, dann würde sich die Kontaktaufnahme nach Aussage eines Zugezogenen, der 1974 in den Hunsrück kam, problemlos gestalten. Er räumte zwar ein, dass Fremde auf dem Hunsrück generell kritisch beäugt würden, aber, „wenn man dann halt ein bisschen offen ist und diese Banalitäten wie ‚guten Morgen, guten Tag‘ macht und grüßt – weil man hier immer noch sehr konservativ ist, und auf diese Gepflogenheiten viel Wert legt – wenn man die ein bisschen annimmt, dann findet man eigentlich recht schnell Kontakt. Sobald man den Fuß in der Tür hat, dann wird es gut. Wenn man einen Leumund hat, der sagt, ach, mit dem hab’ ich gestern mal geredet, der ist gar nicht so schlimm. So eine Art Schneeballeffekt, dann vielleicht auch. Aber es dauert, es dauert. Das ist aber vielleicht der Hunsrücker.“82

Er habe sich, im Gegensatz zu seiner Frau, schon bald als „Eingeborener“ gefühlt, auch wenn er den Dialekt noch nicht beherrschen würde. „Mit den Leuten hier war man sehr schnell in Kontakt, und ich bin nun auch nicht gerade ein gesellschaftsfeindlicher Mensch, bin ein geselliger Mensch. Ich bin dann

79 80 81 82

Ebd., S. 254. Herr Ft (37 E), TS 44f. Herr Fl (60 E), TS 25. Herr Sr (44 EG), TS 23.

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damals auch in dem Dorf gleich in den Musikverein eingetreten, hab’ da mitgemacht und dann ist man auch gleich drin irgendwo. Wir waren also irgendwo direkt drin.“83

Besonders die Mitgliedschaft in einem Verein wird hierfür als wichtiger Faktor gesehen. Unabhängig vom tatsächlichen Engagement im Verein signalisiert dieser Akt des Beitritts, dass man dazugehören möchte. Herr Ht beschreibt die von einer Vereinsmitgliedschaft ausgehende Wirkung wie folgt: „Sich nicht ausschließen und sich nicht separieren, sondern mit einsteigen in den aktuellen Vereinsbestand eines Dorfes. Es gibt Musikvereine, Sportvereine, also die Aktivitäten auf dem Hunsrück sind vielfältig. Man muss zeigen, dass man mitmachen möchte und sich anbieten, wenn ihr ein Fest habt. Ich bin bereit, irgendwo auch Thekendienst zu machen, meine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen – das ist im Hunsrück so.“84

Ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung bewertet das Selbstbild der Einheimischen als Teil einer „Dorfnostalgie“. „Der Hunsrücker wird ja immer so geschildert als einer, der auf dem kargen Land ärmlich gelebt hat und gucken musste, dass er irgendwie halbwegs rumkam. Dieses ganze Gefaxe drum herum, wie mit zusammen feiern, Kommunikation usw. stimmt so alles nicht. Der Hunsrücker ist ja aufs Wesentliche beschränkt worden. Insofern gibt es auch dieses Nebeneinanderher leben, was nicht unbedingt was Neues ist [vor dem Hintergrund des Aussiedlerzuzugs]. Das hat sich über die Jahre des Wohlstands durch die Amis eingeschliffen. […] Wir mussten ja damals nicht denken. Gerade die Verbandsgemeinde Kirchberg, die war ja so was von eingeschlafen. Die hatte vor dem Aussiedlerzuzug eine totale Überalterungstendenz, weitaus stärker als andere Verbandsgemeinden. Die waren zu faul, sich fortzupflanzen.“85

Insgesamt jedoch führte die Stationierung der Amerikaner zu einem Wandel des Selbstbildes der Einheimischen und zu einer Aufwertung der Region. Das Selbstbild vom offenen und toleranten aber auch ortsverbundenen Menschen findet seinen Niederschlag in den Selbstdarstellungen der Kommunen. Hierbei wird eine Traditionslinie gezeichnet, die auch das heutige Zusammenleben mit den Russlanddeutschen umfasst, wie das nachfolgende Beispiel Sohren zeigt.

83 Herr Ht (55 Ex), TS 15. 84 Ebd., TS 16. 85 Herr Sn (51 Ex), TS 7f. 105

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3.2.3 Sohren im Internet Selbstdarstellungen der Gemeinde Sohren finden sich nicht nur in Broschüren für den Fremdenverkehr, sondern auch im Internet.86 Zu Büchenbeuren fand sich zum Zeitpunkt der Materialerhebung nichts Vergleichbares. Eine Internetseite war im Aufbau begriffen, Broschüren o.ä. lagen nicht vor. Abbildung 10: Postkarte von Sohren

Zeichnung: Michael Jonas. © dmc. Druck- und Maschinencenter Hunsrück. Sohren.

Die erste Seite der Homepage von Sohren enthält das Grußwort des Bürgermeisters Klaus Gewehr (SPD), der den Besucher im „schönen Sohren“ willkommen heißt. Neben Werbung für Bauplätze in Südhanglage und einem Müllplaner zum Herunterladen geht es zunächst darum, Sohren zu verorten: „in der Mitte des Hunsrücks“, als „zweitgrößte Gemeinde der Verbandsgemeinde Kirchberg, 2 km vom Flughafen Hahn entfernt“, an der B50 und in der Nähe der Hunsrückhöhenstraße gelegen. Als Mittelzentren werden Koblenz, Mainz und Trier (jeweils 75 km entfernt) genannt. Flughafen und Hunsrückhöhenstraße markieren nicht nur die geographische Lage, sondern sind – wie bereits ausgeführt – Bestandteil des Selbstbildes. Der Text fährt weiter fort mit dem, was den Ort geprägt zu haben scheint: der Aufschwung in den 1950er Jahren durch Möbelindustrie und Stationierung der Amerikaner und nach deren Weggang der Zuzug vieler „Neubürger aus der ehemaligen UdSSR“, die in Sohren eine neue Heimat gefunden hät86 Homepage der Gemeinde Sohren: httpp://www.sohren.de/index_neu.php [Stand: 17.7.2006]. 106

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ten. Der abschließende Hinweis: „Uns Sohrenern sind alle herzlich willkommen“87 enthält den Versuch, durch das Herstellen eines Ortsbezugs Einheit, Gemeinschaft und Verbundenheit zu demonstrieren und dabei die Einheimischen als homogene Gruppe zu präsentieren. Er soll aber auch Offenheit und Toleranz im Umgang miteinander zum Ausdruck bringen. Eine aufwendige Galerie mit Bildern zu Sohren heute und in der Vergangenheit zeichnet eine Traditionslinie, bei der sich der Überblick zur Geschichte reduziert auf die Darstellung der Besiedelung des Raums. Informationen zu Rathaus, öffentlichen Einrichtungen, ärztlicher Versorgung usw. machen diesen Teil des Internetauftritts zu einem Serviceinstrument. Die Rubrik „Einrichtungen“ enthält neben Angaben zum Altenpflegeheim, der Bürgerhalle, zur Feuerwehr, dem Hallenbad, zu Kindergarten, der evangelischen und katholischen Kirche und den Schulen auch eine ausführliche Darstellung des Jugendzentrums. Dieses stand, wie noch auszuführen sein wird, immer wieder in der Kritik, weswegen auch die Aussagen zur Arbeit des Zentrums vor allem rechtfertigend wirken. So wird hervorgehoben, dass das Jugendzentrum „von großer Bedeutung“ sei, u.a. weil „die Jugendlichen während der Öffnungszeiten von der Straße weg sind“. Die erfolgreiche Teilnahme von Jugendlichen des Zentrums an Sportturnieren wird ebenfalls herausgestrichen, denn „Sport ist wichtig in der Drogenprävention!“ Am Ende der Seite wird überzogenen Erwartungen an die Arbeit des Jugendzentrums vorzubeugen versucht, indem auf die gesamtgesellschaftliche Dimension von Integration verwiesen wird. „Das Jugendzentrum [kann] die gesamtgesellschaftlichen Integrationsprobleme nicht lösen“, denn „ein erfolgreicher Integrationsprozess [lässt] sich nicht auf wenige Jahre begrenzen“88. Interessant ist auch die Rubrik „Vereine“, werden diese doch als maßgeblich für das Zusammenleben vor Ort angesehen. Unter der Überschrift „Der TuS Sohren 1908 e.V. bietet Aussiedlern eine neue Heimat“, wird nicht nur über den Mitgliederzuwachs durch Aussiedler berichtet, sondern betont, dass der Verein seine Arbeit dem Bevölkerungswandel angepasst habe, „um den Aussiedler [sic!] mit einer Vielzahl von Maßnahmen im Sportverein eine neue Heimat zu bieten“. Dieses Engagement wird als Herausforderung begriffen, der es sich zu stellen gilt. Denn „das Problem [die Integration der Aussiedler] ist hier in der Region so massiv, dass es kein Vorbei daran gibt“.

87 httpp://www.sohren.de/index_neu.php [Stand: 17.7.2006]. 88 http://www.sohren.de/index_neu.php?mid=18 [Stand: 18.7.2006]. 107

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3.2.4 Die Verteidigung der Region Eine besondere Herausforderung für das Selbstbild der Einheimischen stellte die zunehmende Aufrüstung in der Region und in deren Folge die Protestmärsche der Friedensbewegung dar. In den 1980er Jahren wurde Rheinland-Pfalz vom damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel als größter Flugzeugträger der USA bezeichnet. Der Flughafen Hahn war mit ca. 5000 Soldaten und 700 Zivilangestellten damals eine der größten Anlagen im Hunsrück und gehörte zu den bedeutenderen Atomwaffenbasen in Europa. Dort, in der Umgebung wie auch an weiteren Standorten, sollten entsprechend dem NatoDoppelbeschluss von 1979 Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles stationiert werden. Rheinland-Pfalz galt deswegen schon bald als das Land der „Reben, Rüben und Raketen“89. Dies führte zu Widerstand, der von außerhalb in die Region hineingetragen wurde. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch zahlreiche Aktivitäten, die 1986 in der zentralen Kundgebung der Friedensbewegung auf dem Hunsrück ihren Höhepunkt fanden. Die ersten Aktionen erregten noch wenig Interesse und Zustimmung derjenigen, die eigentlich am meisten betroffen sein sollten. 1981 fand erstmals eine „Osterfriedensfahrt“ und 1982 der erste „Osterfriedensmarsch“ zum Flughafen Hahn statt. Erst langsam begannen sich auch vorwiegend junge Leute – v.a. Studenten und Zivildienstleistende – aus der Region zu engagieren. In der Erinnerung eines mittlerweile als etabliert geltenden Ratsmitgliedes und Mediziners aus Büchenbeuren erscheint dieses Engagement heute eher als „Mitläufertum“: „Das war’ ne Zeit, wo man auf betroffen gemimt hat. So Zeitgeist, da gab es eine Pflicht auf die Märsche zu gehen.“90 1984 wurde in Kirchberg und später auch in Kastellaun ein Friedensbüro errichtet, das interne Informationsbroschüren, sogenannte „Friedensinformationen“, verschickte. Darin wurden aktuelle Themen, wie z.B. „Fluglärmterror im Hunsrück“ oder „Ausbau der Hunsrück Bahn dient der Militarisierung“, aufgegriffen und entsprechend aufbereitet. Auch diverse WiderstandsAktionen sind Gegenstand der Berichterstattung, wie z.B. gegen die Rekultivierung eines Baugeländes für eine neue US-Wohnanlage, die spätere „Michelstadt“91.

89 Grabenströer: Flugzeugträger (wie Anm. 27, S. 89), S. 109. 90 Herr Mr (38 EG), TS 7. 91 Fluglärmterror im Hunsrück. In: Friedensinitiativen Rhein – Hunsrück und Nahe – Mosel. Friedensinformationen Nr. 22, Februar/März 1987, S. 18-19. Der Beitrag enthielt zudem eine Grafik, welche die Anzahl der militärischen Tiefflüge aufzeigte. Ausbau der Hunsrück-Bahn dient der Militarisierung. In: Friedensinitiativen Rhein-Hunsrück und Nahe-Mosel. Friedensinformationen Nr. 29, November 1987, S. 8; Friedensbewegung rekultiviert Militärflächen. In: Ebd., S. 13. 108

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Von 1983 an erschien mit insgesamt 61 Ausgaben bis 1995 regelmäßig die Zeitschrift „Hunsrück-Forum/Zeitschrift für Demokratie und Frieden“, die von dem gleichnamigen Verein Hunsrück Forum e.V. herausgegeben wurde.92 Darin wurde, neben den „Friedensinformationen“, ausführlich über die Vorgänge rund um den Stationierungsort, über Rüstung in Deutschland im Allgemeinen und über die Arbeit der Friedensbewegung berichtet. Alle Aktivitäten zielten darauf ab, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Bevölkerung – nicht zuletzt durch eine ausführliche Berichterstattung der Medien – zu erreichen. Besonders auffallend und nachhaltig wirkte eine Aktion mit 96 Holzkreuzen, die anlässlich eines Ostermarsches auf einem Acker an der Hunsrückhöhenstraße bei Bell aufgestellt wurden. Sie symbolisierten die 96 Marschflugkörper, deren Stationierung in der Nähe des Flughafens Hahn (auf der „Pytna“ bei Kastellaun) unmittelbar bevorstand.93 „Da sind wir hin, meine Mutter hat komisch geguckt und den Kopf geschüttelt. Ich fand das gut, aber das ging eher von meiner Freundin damals aus, die war ganz friedensbewegt, und da hab ich halt mitgemacht. War ja auch mal was anderes.“94 Als 1984 der TV-Zehnteiler „Heimat“ von Edgar Reitz in der ARD ausgestrahlt wurde, der von einem fiktiven Hunsrück-Ort namens Schabbach handelte – und wovon Ende 2004 der letzte Teil dieser Trilogie in die Kinos kam – nutzte die Friedensinitiative das große Zuschauerinteresse an der Region, um auf die Stationierung aufmerksam zu machen.95 Auch berichtete das Fernsehen regelmäßig, wie in den ARD-Magazinen „Monitor“ oder „Report“ z.B. unter dem Titel „Schabbach wehrt sich gegen Raketen“ (SWF 1984) oder „Mit Kreuzen gegen Raketen – Die Protestanten von Bell im Hunsrück“ (WDR 1986), über die Ereignisse vor Ort.96 Die Proteste ebbten nicht ab und hatten nun auch einen Teil der Bevölkerung auf dem Hunsrück mobilisiert. Im August 1986 reagierte das Bundesverteidigungsministerium und gab eine

92 Siehe hierzu: www.hunsrueck-forum.de [Stand: 4.6.2008]. 93 Im Anhang der dritten Auflage der „Hunsrücker Volkskunde“ fand diese Aktion Erwähnung mit dem Hinweis, dass darüber „bundesweit“ das Fernsehen berichtet hätte. Diener und Born: Hunsrücker Volkskunde (wie Anm. 11, S. 80), S. 229. 94 Herr Ts (35 E), TS 4. 95 Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5 Zum Begriff Heimat und „Heimat“ als Film. 96 ARD Sendung „Monitor“ vom 6.8.1985: Gabriele Krone-Schmalz und Udo Frank: Staatsanwalt will Hunsrück-Forum mundtot machen. WDR 1985; ARD Sendung „Report“ vom 6.11.1984: Schabbach wehrt sich gegen Raketen. SWF 1984; Klaus Möllering und Gerhard Müller-Werthmann: Mit Kreuzen gegen Raketen – Die Protestanten von Bell im Hunsrück. WDR 1986. 109

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Broschüre mit dem Titel „Marschflugkörper im Hunsrück – eine Bürgerinformation“ heraus.97 Höhepunkt der Aktivitäten war das Jahr 1986, in dem am 11. Oktober die zentrale Kundgebung der Friedensbewegung in Deutschland im Hunsrück stattfand. Insgesamt 200.000 Menschen, davon ca. 10.000 Hunsrücker Bürger, kamen zur Demonstration am Stationierungsgelände. Bekannte Künstler und Sänger wie Udo Lindenberg und Hannes Wader traten auf dem Beller Marktplatz auf. Allgemein wurde die Aktion von der Friedensbewegung als Erfolg gewertet, vor allem, weil es gelungen sei, viele Hunsrücker zu mobilisieren. Gerade dieser Umstand sorgte immer wieder für Gesprächsstoff unter den Aktiven, zielten doch die meisten Aktionen letztendlich darauf ab, die Bevölkerung vor Ort zum Mitmachen und zum Widerstand gegen die Aktivitäten der Amerikaner zu motivieren. Dies geschah durch eine detaillierte Informationsarbeit der Friedensbewegung, die nach dem Bekanntwerden der Stationierungspläne ausführlich die Bedrohung durch die Marschflugkörper schilderte und die Bürger mit ihren Ängsten ansprach. Vor allem die Angst vor dem Feind aus der Sowjetunion, der den Hunsrück im Ernstfall zum „atomaren Erstschlaggebiet“ machen würde, stand dabei im Mittelpunkt. Die Friedensinitiative gewann zunehmend das Vertrauen der Bewohner vor Ort, was nicht zuletzt auch auf das Engagement der evangelischen Kirche zurück zu führen ist. Der überaus populäre Pfarrer August Dahl – auch als „Raketen-August“ bezeichnet – wurde zur Identifikationsfigur. Besonders lokale Veranstaltungen fanden den Zuspruch der Bevölkerung vor Ort, wohingegen Aktionen auswärtiger Gruppen das Misstrauen eher schürten. Nicht zuletzt trugen die Medien wie die Rhein-Hunsrück Zeitung mit Überschriften wie „Die Raketengegner planen Aufstand“ dazu bei, dass deutlich unterschieden wurde, zwischen „denen“ und „uns“. Publikationen, die während der 1980er Jahre von Teilen der Friedensbewegung veröffentlicht wurden, stereotypisierten „die Hunsrücker“ in einer Art und Weise, wie dies schon Diener in seiner „Hunsrücker Volkskunde“ getan hatte. Aufgrund dieser Stereotypen und Klischees über die Einheimischen rühmten sich damals viele aus der Friedensbewegung, die Jahrhunderte währende Obrigkeitshörigkeit und Apathie derselben durchbrochen und zu einer neuen Identifikation mit der Heimat beigetragen zu haben. Mit geeigneten Mitteln seien auch unpolitische Bürger für politische Forderungen zu mobilisieren, lautete ein Fazit.98 Dass jedoch die meisten Einheimischen sich gegen97 Informations- und Pressestab des Bundesministers der Verteidigung (Hrsg.): Marschflugkörper im Hunsrück. Bonn 1986. 98 Vgl. Helmut Jordan: Friedensarbeit auf dem Hunsrück. In: Uwe Anhäuser (Hrsg.): Militärheimat Hunsrück. Fichten, Fachwerk, Flugzeugkörper. Beiträge zu einer regionalen Militäranalyse. Neckarsulm 1986, S. 85-99, hier S. 96f. 110

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über den Amerikanern letztendlich „loyal“ verhielten und sich nicht engagierten, trug auch dazu bei, dass von Außenstehenden damals ein Bild von der Region gezeichnet wurde, welches die Einheimischen als „typische Hunsrücker“ charakterisierte und diese im bereits bekannten Licht erscheinen ließ. Bücher mit Titeln wie „Militärheimat Hunsrück“ oder „Kriegsvorbereitungen im Hunsrück“, die in dieser Zeit erschienen sind, wollten im Sinne einer „regionalen Militäranalyse“ aufklären, indem sie wichtige militärische Einrichtungen, deren Funktion und Aufgabe, bestimmte Waffensysteme und Planungen, von denen der Hunsrück künftig betroffen sei, beschrieben.99 Die Hahn Air-Base wird darin als die zentrale Militäreinrichtung im Hunsrück dargestellt, die nach Ramstein „der wichtigste nukleare US-Luftwaffenstützpunkt“ sei.100 Friedensarbeit, so wird darin betont, sei von daher in einer solchen ländlichen und strukturschwachen Region mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und dem Militär als größtem Arbeitgeber, nahezu unmöglich. Der Wandel durch die Stationierung der Amerikaner wird wie folgt beschrieben: „Jahrhunderte alte Dorfstrukturen wurden widerspruchslos den wachsenden Militäranlagen geopfert, Dörfer in wenigen Wochen geschleift, planiert, ausgelöscht. Dazwischen die Menschen mit ihren Einzelschicksalen und Abhängigkeiten vom Militär.“ Die Redensart „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ werde im Hunsrück oft zitiert.101 In Form einer Beschreibung vom „Wesen und Charakter der Hunsrücker“, so der Diener’sche Sprachduktus, oder einer „Regionalcharakteranalyse“ kommen sie immer wieder auf die dem Schicksal ergebene Zurückhaltung der Einheimischen zurück, deren Credo lauten würde: „Man kann ja doch nichts machen, hier macht man das, was alle machen, und alle machen, was man schon immer gemacht hat.“102 Demzufolge hätten auch Gespräche von Aktivisten mit Einheimischen über das Zusammenleben mit den Amerikanern einen fatalistischen Beigeschmack gehabt: „Was soll man machen, uns fragt ja keiner“ oder, was als Ursache der Gleichgültigkeit gegenüber der Stationierung angeführt wird:

99

Anhäuser (Hrsg.): Militärheimat (wie Anm. 98, S. 110); Sabine Stange (Hrsg.): Kriegsvorbereitung im Hunsrück. Der Einfluss der Raketenstationierung auf den Alltag der Menschen. Essen 1985. 100 Otfried Nassauer: Hahn Air Base – Die zentrale Militäreinrichtung im Hunsrück. In: Anhäuser (Hrsg.): Militärheimat Hunsrück (wie Anm. 98, S. 110), S. 59. 101 Jordan: Friedensarbeit (wie Anm. 98, S. 110), S. 85. 102 Rosel Thomas: Hier macht man das, was alle machen. In: Stange (Hrsg.): Kriegsvorbereitungen (wie Anm. 99, S. 111), S. 44-45, hier S. 44. 111

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„Ich seh’ sie [die Atomraketen] ja nicht, und was ich nicht sehe, macht mir keine Angst.“103 Einmal mehr muss als Grund der Flughafen Hahn herhalten, mit dem viele auf vielfältige Weise verbunden sind. Mit den Amerikanern sei der Wohlstand gekommen und mit den Mieteinnahmen die neu gebauten Häuser finanziert worden. Hervorgehoben wurde aber auch, dass es zwischen Amerikanern und Einheimischen nur wenige Berührungspunkte gegeben hätte, vor allem deshalb nicht, weil – und hier folgt nun ein weiteres bekanntes Stereotyp – „der Hunsrücker“ ein sehr verschlossener Menschenschlag, misstrauisch gegenüber Fremden sei und es sehr lange dauern könne, bis er sich auf jemanden einließe.104 Die Aktionen der Friedensbewegung brachten das Selbstverständnis der Menschen auf dem Hunsrück durcheinander. Hatten sich viele mit den stationierten Soldaten arrangiert und sogar angefreundet, wurden sie nun von außen erneut gezwungen, diese Beziehung kritisch zu hinterfragen. Die körperliche und geistige Beweglichkeit in der Vergangenheit in Form einer Annäherung an die Fremden (Amerikaner) führte zu einem Loyalitätskonflikt, in dem viele die Orientierung verloren. Vermittelten die Amerikaner den Einheimischen eher einen positiven Eindruck von sich selber und von der Region, auch indem sie die Region durch ihre Präsenz aufzuwerten schienen, trugen die Aktivisten der Friedensbewegung eher dazu bei, dieses Bild zu demontieren. Das, wovon die Einheimischen glaubten, dass es sie auszeichnete und womit sie sich auch identifizierten, nämlich ihr Umgang mit den Amerikanern, erschien aus Perspektive der Friedensaktivisten als „stilles Ertragen“ und als eine Mischung aus Fatalismus und Opportunismus. Sie forderten von den Einheimischen eine Hinwendung zur Region, die den Einheimischen fremd erschien. Scheinbar gab es nur wenige, die das „richtige Bewusstsein“ nach Maßgabe der Aktivisten hatten und sich mit dem Hunsrück in der Form identifizierten, die es nun zwingend erforderlich machte, sich für die Region zu engagieren. Für die Einheimischen führte das Zusammenleben mit den Fremden daher weniger zu einer Abgrenzung oder gar zum Rückzug auf das Eigene als vielmehr zu einem neuen Bild von sich selbst und der Region, welches durch die Friedensaktivitäten, die eine Konzentration auf das Eigene zu fordern vorgaben, gestört wurde. Vorstellungen vom Hunsrück als „(Militär-)Heimat“ schienen so weniger auf diejenigen vor Ort als vielmehr für jene von außerhalb zutreffend gewesen zu sein. Die „Verteidigung der Heimat“ machten sich damit einmal mehr diejenigen zur Auf-

103 Was ich nicht seh… In: Stange (Hrsg.): Kriegsvorbereitungen (wie Anm. 99, S. 111), S. 42-43, hier S. 42. 104 Vgl. Rosel Thomas: Hier macht man das, was alle machen. In Stange: Kriegsvorbereitungen (wie Anm. 99, S. 111), S. 44f., hier S. 44. 112

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gabe, die mit ihrem Erhalt eine nostalgisch-retrospektiv ausgerichtete Vorstellung verbanden.105 Dazu zählt auch Edgar Reitz, dessen Bild vom Hunsrück in seinem TVMehrteiler „Heimat“ in die Vergangenheit verweist. Dort hat er es auch konserviert, denn jenseits aktueller Definitionen und Deutungen des Begriffs findet für ihn Heimat vor allem in der Erinnerung statt.

3.2.5 Zum Begriff Heimat und „Heimat“ als Film Die Begriffsgeschichte von Heimat wird häufig als eine Problemgeschichte beschrieben, was mit den unterschiedlichen Vorstellungen und Deutungen, aber auch mit ideologischer Aufladung von Heimat während der Zeit des Nationalsozialismus zusammenhängt.106 „Heimat ist kein problemloser Harmonieraum, sondern ein soziales und kulturelles Spannungsfeld.“107 Heimat bezeichnete zunächst nur den Herkunftsort und die gewohnte Umgebung. Es war der Ort, wo man das Recht hatte, zu Hause zu sein, war also Rechtswirklichkeit in Form von Haus und Hof. Außerhalb des vertrauten Umfeldes war Heimat Objekt von Sehnsucht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Heimat dann immer mehr zur Idee und zum literarischen Topos.108 Heimat verband sich mit einer Vorstellung von Mensch, Natur und Geschichte, die die Subjektivität und das Gefühl des Individuums an den Beginn jeder Heimatbetrachtung stellte. „Neue Mobilität, Landflucht und Bevölkerungsanstieg in den Städten bildeten die Folie, vor der sich moderne Heimatvorstellungen ausbilden konnten.“109 Insbesondere Volkskundler haben sich schon früh immer wieder mit dem Begriff und mit seinen teilweise widersprüchlichen Inhalten auseinandergesetzt, wie auch das Fach letztendlich

105 Mit diesem Begriff kritisierte Greverus Ende der 1960er Jahre Sichtweisen in der Volkskunde, die für sie damals als überholt galten. Dazu zählten sowohl eine retrospektiv orientierte Betrachtung der Volkskultur wie auch eine damit verbundene nostalgische Komponente – ähnlich dem Heimweh – die „auf einer Verlusterfahrung beruht und in der nostalgischen Reaktion symbolisch in einen Vorstellungsraum zurückkehrt, der den höchsten Satisfaktionswert bot“. Ina-Maria Greverus: Zu einer nostalgisch-retrospektiven Bezugsrichtung der Volkskunde. In: Hessische Blätter für Volkskunde 60 (1969), S. 11-28, hier S. 11. 106 Hermann Bausinger: Auf dem Wege zu einem neuen, aktiven Heimatverständnis. Begriffsgeschichte als Problemgeschichte. In: Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Heimat heute. Stuttgart 1984, S. 11-27. 107 Herman Bausinger: Heimat und Globalisierung. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 104 (2001), S. 121-135, hier S. 134. 108 Konrad Köstlin: Heimat als Identitätsfabrik. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 99 (1996), S. 321-338, hier S. 328f. 109 Ebd., S. 329. 113

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seine universitäre Etablierung dem Heimatgedanken verdankte.110 „Heimat war auf das Bodenständig-Bäuerliche beschränkt, bot gesellschaftliche Ganzheit und favorisierte Emotionalität gegen Materialismus, der Begriff trennte das Fremde vom Eigenen im nationalen wie auch im kulturellen Sinn.“111 Gerade die Idee von der Sesshaftigkeit hatte angesichts wachsender Mobilitätszumutungen dabei ihren Reiz, und die Volkskunde trug dazu bei, eine Gegenwelt zu formulieren, bei der Überschaubarkeit gegen Unübersichtlichkeit ausgespielt wurde. Bis heute ist dies ein wirkmächtiges Deutungsmuster, welches gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung neuen Auftrieb erhält. Vor allem deren Gegner führen dabei ein Verschwinden der Heimat an, gerade weil das Fremde zunehmend verschwinden würde. „Die Globalisierung sprengt Binnenidentitäten. Denn wo sich das Fremde unter die Einheimischen mischt, befremdet irgendwann nichts mehr.“112 Demnach lösen sich Heimat und Fremde als aufeinander bezogene Gegensätze, die sich besonders durch das Moment der Vertrautheit, sei es mit einer Landschaft, mit Menschen oder Sprache usw. voneinander unterscheiden, immer mehr auf – auch weil erst im Kontrast mit der Fremde die Bedeutung von Heimat erfahrbar wird.113 Heimatgefühle und Heimatbewusstsein können aber auch durch Geschichten und Bilder evoziert werden, beispielsweise in den 1950er Jahren, in denen Heimatfilme wie „Schwarzwaldmädel“ oder „Försterliesel“ starken Zuspruch hatten.114 Darin verkörperte Heimat „ein vages, verschieden besetzbares Symbol für intakte Beziehungen“ und stand für Identität als Übereinstimmung des Menschen mit sich und seiner Umgebung.115 In diesem Kontext ist der Film „Heimat“, die fiktive und mit autobiographischen Motiven angereicherte Hunsrücker Familiengeschichte von Edgar Reitz, zu sehen. Er spielt mit den Versatzstücken des Heimatfilm-Genres.116 Heimat wird darin zur heimatli110 Reinhard Johler: Die Volkskunde und der Heimatbegriff. In: Katharina Weigand (Hrsg.): Heimat. Konstanten und Wandel im 19./20. Jahrhundert. Vorstellungen und Wirklichkeiten. München 1997, S. 85-108, hier S. 94. 111 Ebd., S. 96. 112 Martin Hecht: Wir Heimat-Vertriebenen. In: Psychologie heute 32 (2005), S. 22-27, hier S. 25. 113 Vgl. Michael Neumeyer: Heimat. Zu Geschichte und Begriff eines Phänomens. Kiel 1992, S.103. 114 Siehe hierzu Wolfgang Kaschuba: Der deutsche Heimatfilm – Bildwelten als Weltbilder. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Bonn 1990, S. 829-851; Wolfgang Kaschuba: Der deutsche Heimatfilm: Bildwelten und Weltbilder. Bilder, Texte, Analysen zu 70 Jahren deutscher Filmgeschichte. Tübingen 1989. 115 Hermann Bausinger: Heimat und Identität. In: Köstlin und Bausinger (Hrsg.): Heimat und Identität (wie Anm. 3, S. 78), S. 9-24, hier S. 20. 116 Der Film Heimat wurde, verteilt auf elf Folgen im September und Oktober 1984, sechs Wochen lang im Fernsehen gezeigt. „Heimat“ wird als Gegenent114

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chen Provinz: ein ländlicher Lebensraum, bei dem Assoziationen mit der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie gewollt sind, so der Germanist und Filmwissenschaftler Anton Kaes in seiner Analyse der ersten beiden Teile der Trilogie. Der Film übernimmt vom klassischen Heimatfilm dessen narrative Grundmuster, wobei er jedoch die nostalgisch in Szene gesetzte Idylle kritisch punktiert und konterkariert und gegen Ende des Films auflöst.117 Für Reitz wird in dem Film die Heimat immer stärker von den Menschen entfremdet und somit auf Erinnerung reduziert: „Heimat, Nähe, Kindheit, Geborgenheit, Wärme, Großmütterlichkeit und all diese Dinge gehen kaputt, verwandeln sich in Erinnerungen. Das geschieht umso mehr, je mehr wir mit der Erzählung in die Gegenwart gelangen.“118 Er fächert deutsche Identität in regionale Identitäten auf. Nur an der Peripherie in der Provinz scheint ihm zufolge eine authentische deutsche Identität „Heimat“ möglich zu sein. „Nicht Deutschland kann Heimat sein, sondern die heimische Landschaft, der umzirkelte und vertraute Ort der Kindheit, wo man jeden kennt und Dialekt spricht.“ Ihm geht es um die Heimat im Hunsrück, nicht um eine Heimat in Deutschland, denn Heimat und Nation stellen für ihn einen Widerspruch dar.119 Sein Film basiert auf Erinnerungen an eine Heimat – seine Heimat – die es so für ihn nicht mehr zu geben scheint. Die erinnerte Heimat wird deshalb zum Ort außerhalb von Geschichte und fern vom Fortschritt. Sie wird dadurch fixiert und damit unverwandelbar. Bereits 1954 und erneut 1960/61 thematisierten Spielfilme, die z.T. im Hunsrück gedreht wurden, die Veränderungen in einem kleinen Dorf, in dem eine amerikanische Militärbasis errichtet wurde. „Die goldene Pest“ (Deutsche Erstaufführung 30.12.1954) könnte dabei durchaus als Vorbild für „Heimat“ gelten. Darin kehrt ein zuvor in die USA ausgewanderter Dörfler in seine Heimat zurück, in der sich Scheunen und Ställe in Bars und zweifelhafte Hotels verwandelt haben. „Schwarzer Kies“ (Deutsche Erstaufführung 13.04.1961) handelt ebenfalls von dem Zusammenleben mit amerikanischen Soldaten, die zwar keiner leiden kann, aber mit denen jeder doch sein Geschäft machen will. Die Kieslieferungen zum Bau der Startbahn führen zu einem florierenden Schwarzhandel mit deutschen Bauunternehmern.120

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wurf sowohl zu dem Film gleichen Titels von 1938 als auch zu den Heimatfilmen der 1950er Jahre gesehen. Wilhelm Roth: epd Film Heft 9/1984, S. 36. Anton Kaes: Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film. München 1987, S. 176. (Der eher reißerische Titel der englischen Übersetzung von 1992 lautet: From Hitler to Heimat). Ebd., S. 177. Ebd., S. 180. Die Goldene Pest. Drama von 1954, Regie Hans Brahm, Bundesrepublik Deutschland Transit Film GmbH; Schwarzer Kies. Kriminalfilm von 1960/61, Regie Helmut Käutner. Bundesrepublik Deutschland. Siehe hierzu Ute Ritzenhofen: Goldene Pest und Schwarzer Kies. Amerikaner in Rheinland-Pfalz 115

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Bei Reitz wird der Hunsrück zum Synonym für Heimat, er dient als Kulisse und wird dadurch zur „fiktiven Landschaft“, in die Reitz seine Geschichten „hineinpflanzt“121. Die unterschiedlichen Drehorte liefern jeweils Versatzstücke einer Gegend, die zusammengefügt ein „Idealbild“ ergeben, welches fortan das Bild von der Region prägen sollte. Als regionalspezifisch für den Hunsrück galt für die Zuschauer in Zukunft das, was der Film mit der Region in Zusammenhang gebracht hatte. Zudem trug der hohe Wiederkennungswert dieser Bilder und Vorstellungen – gerade für die vor Ort Lebenden – dazu bei, dass „Heimat“ die Herausbildung regionaler Identifikationsmöglichkeiten provozierte: „Ich lebe seit 50 Jahren im Hunsrück, bin hier geboren, es ist meine Heimat. Dass es hier so schön ist, seh ich erst jetzt so richtig, wo das im Fernsehen kommt.“122 Dieser Ausspruch, der einer „Hunsrücker Bäuerin“ zugeschrieben und als Pressematerial zu „Heimat“ veröffentlicht wird, scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Ähnlich wie die Schönheit der Alpen, die auch erst durch den Blick der Fremden von den Einheimischen entdeckt und später vermarktet wurden,123 wird auch der Hunsrück von den Einheimischen als etwas wahrgenommen, was auf andere anziehend wirkt und dadurch zur Touristenattraktion gerät. Busse mit „Heimat“-Fans rollten durch die Orte, in denen der Film gedreht wurde, auf der Suche nach Authentizität und Regionalspezifischem. Genauso wie die Fans der Fernsehserie „Schwarzwaldklinik“ in den Schwarzwald fuhren und die Originalschauplätze der Serie besichtigten, um sich zu vergewissern, dass alles „echt“ und damit auch „wirklich“ gewesen sei, zog es viele in den Hunsrück.124

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im Spielfilm. In: Winfried Herget (Hrsg.): Amerika in Rheinland-Pfalz. Beiträge zu einem halben Jahrhundert deutsch-amerikanischer Nachbarschaft. Trier 1996, S. 37-56. Badische Zeitung vom 15.12.2004. „Heimat kann man nie alleine haben.“ BZInterview: Edgar Reitz über die Arbeit am dritten Teil seines Fernsehfilmzyklus „Heimat“, S. 33. Siehe hierzu das Plädoyer von Kaspar Maase für das „unvoreingenommene Studium von Region als Kulisse“. Kaspar Maase: Nahwelten zwischen „Heimat“ und Kulisse. Anmerkungen zur volkskundlichkulturwissenschaftlichen Regionalitätsforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 94 (1998), S. 53-70. Kaes: Deutschlandbilder (wie Anm. 117, S. 115), S. 205. Siehe hierzu Utz Jeggle und Gottfried Korff: Zur Entwicklung des Zillertaler Regionalcharakters. In: Zeitschrift für Volkskunde 70 (1974), S. 39-57. Siehe hierzu Michael Prosser: Das Phänomen „Schwarzwaldklinik“. In: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 5 (1993), S. 97-143.

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Abbildung 11: Karte mit den Originalschauplätzen von „Heimat“

Quelle: Hunsrück Tourismus GmbH (Hrsg.): Prospekt: Wege in die Heimat: Filmreise vom Hunsrück zum Rhein. o.J., S. 12-13.

Der Film diente dabei als Wegweiser bei der Suche nach einer Region, die bislang nur auf Imaginationen beruhte. Diese auf die Landschaft projizierten Vorstellungen trugen dazu bei, den Hunsrück als Region zu konstruieren, die dadurch affektiv aufgeladen zur Heimat wurde – jedoch nur so lange, bis die Fremden in Form der Amerikaner den Hunsrück okkupierten und damit für Reitz jenen gefühlsmäßig aufgeladenen virtuellen Raum Heimat veränderten bzw. zerstörten. Für ihn verlor der Hunsrück somit seine scheinbare Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit, die ihn als Region ausgezeichnet hatte. „Wenn die Welt grenzenlos und die Orte beliebig werden, ist Heimat kein Ortsbegriff mehr, sondern ein Zeitbegriff. Der Film kann […] die Zeit bannen. Der Film kann Heimat sein.“125 Aus diesem Grund wird in den letzten vier Folgen der zweiten Staffel der Hunsrück äußerst negativ dargestellt. Er dient weniger als Identifikationsobjekt, sondern steht für den rapiden Verfall von Heimat nach 1945. „Die Schlussbilder des kaputten Dorfes mit den darüber donnernden Düsenjägern, aus deren Perspektive sich Heimat als geographischer Ort zu einem grauen, zitternden Fleck auf dem Radarschirm verflüchtigt, deuten auf eine Sicht, die Heimat nicht 125 Flyer zur Aufführung von Heimat 3 in der Zeit vom 4.-10. November 2004 im Kandelhof Kino in Freiburg. 117

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verklärt. […] Heimat als geographischer Ort und sinnlicher Erfahrungs-Raum ist allein schon durch die moderne Technik derealisiert worden.“126

Der Bau des Flugplatzes und die Stationierung der Amerikaner markieren die Wendepunkte in der Entwicklung der Region, mit denen „Heimat“ endet. Der Schluss mündet in einer Kritik an der Bundesrepublik Deutschland, die im Zuge der „Amerikanisierung“ ihre Identität verloren und aus dem Hunsrück einen Militärübungsplatz gemacht habe. Für Kaes verbinden sich darin konservativ-kulturkritische, nostalgische und politische Impulse „zu einem Angriff auf jeglichen sentimentalen Gebrauch des Heimatbegriffs“. Gleichwohl wurde der Film, sowohl was seine Rezeption in den Medien wie auch seinen großen Publikumserfolg betrifft, mit einer „Affirmation von deutscher Heimat“ in Zusammenhang gebracht, die auf ein Bedürfnis nach nationaler Identität, Normalisierung und Sinnstiftung in der Gesellschaft schließen ließ.127 Neun Millionen Zuschauer pro Folge machten die erste und zweite Staffel des Films zu einem Erfolg, an den der dritte Teil, der in den 1990er Jahren spielt, nicht anknüpfen konnte.128 In den beiden ersten Teilen gelang Reitz eine „politische Überformung des Privaten“129, welche in den 1980er Jahren auf ein Publikum traf, das den Rückzug ins Kleine, Überschaubare, Bescheidene angetreten hatte. „Das Ideal war die Selbstversorgung auf dem entlegenen Bauernhof […], auf den Flohmärkten versorgte man sich mit der Patina einer heilen Welt der Vergangenheit. Das Zauberwort hieß Nostalgie.“130 Diese Sehnsucht nach Heimat wies alle Zeichen einer zweiten Heimatbewegung auf, die in den vielfältigen Aktivitäten zur Erhaltung einer lebenswerten Umwelt wie auch im Kampf für den Frieden ihren Niederschlag fand.131 Der Film regte damals zu zahllosen Reflexionen über Heimat, nationale Identität und Deutschland an und wurde als Ausdruck und Katalysator einer

126 Kaes: Deutschlandbilder (wie Anm. 117, S. 115), S. 203f. 127 Ebd., S. 204. 128 Nach Aufführung der ersten und zweiten Staffel entstanden Fanclubs zum Film http://home.t-online.de/home/th.hoenemann/heimat (8.11.2004). Edgar Reitz plante 1999 eine Webside (www.heimat.net), die Hintergrundinformationen zum Film und Material zum Hunsrück enthalten sollte. Während der EXPO in Hannover war die Premiere geplant, das Projekt scheiterte jedoch. 129 Katja Nicodemus: Westdeutsche Provinzler, mit sich selbst beschäftigt. In: Die Zeit Nr. 38 vom 9. September 2004, S. 53. 130 Joachim Paschen: Auf der Suche nach Heimat: eine neue Heimatbewegung? In: Beiheft zu Heimat. Eine deutsche Chronik von Edgar Reitz. Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Grünwald 1985, S. 5-7, hier S. 6. 131 Von einer ersten Heimatbewegung ist Anfang des 20. Jahrhunderts die Rede, die u.a. als Reaktion auf zunehmende Industrialisierung gesehen wird. 118

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kollektiven Sehnsucht nach Identität gesehen.132 Reitz selber betonte, dass er seinen Film eher als Gegenentwurf zur Holocaust-Serie konzipiert habe, an der ihm „die authentische Atmosphäre der Bilder fehlte“133. In „Heimat“ sollte „große Politik“ prismatisch gespiegelt im begrenzten Bewusstseinsstand der „kleinen Leute“ erscheinen. „Seine ‚Geschichte von unten‘ polemisiert nicht nur gegen den Totalitätsanspruch der offiziellen Geschichtsschreibung, die die Vielfalt von Geschichten radikal auf eine Geschichte reduziert, sie legitimiert auch die Aussparung all jener Ereignisse, von denen die ‚einfachen Leute‘ nichts wussten oder wissen wollten.“134

Vielleicht hat gerade diese Art der Darstellung von Geschichte im Film dazu beigetragen, dass sich die Einheimischen im Hunsrück in den Geschichten wiederfanden und dadurch glaubten, sich verstanden und „richtig“ präsentiert zu fühlen. Zusammenfassend bleibt also festzuhalten, dass die Einheimischen den Hunsrück seit dem Flugplatzbau Anfang der 1950er Jahren vor allem als Stationierungsort der Amerikaner wahrgenommen hatten. Der Film „Heimat“ vermittelte ihnen zudem ein Bild von der Region, das ihnen zwar einerseits fremd erschien, das sie andererseits aber auch mit Stolz erfüllte. Die filmische Inszenierung des Hunsrücks wie auch seine mediale Präsentation konstruierten eine Region, mit der sich nicht nur die Einheimischen identifizieren konnten, sondern deren Darstellung sie auch internalisierten. Somit bilden sowohl die Amerikaner, deren Präsenz durch den Flugplatz versinnbildlicht wurde, wie auch der Film „Heimat“ Anknüpfungspunkte für eine Region, die sich vor allem in der Retrospektive der Einheimischen zu dem verdichten, was sie mit dem Hunsrück verbinden. Hinweise oder gar Artikulationen eines in diesem Kontext aufkommenden Heimat- oder Regionalbewusstseins vor Ort, als Reaktion um sich beispielsweise gegenüber den Amerikanern abzugrenzen, lassen sich jenseits der Aktivitäten der Friedens-

132 Auch Volkskundlerinnen wie Sabine Doering-Manteuffel (Augsburg) konnten sich solchen Deutungen nicht entziehen. Für sie trug der Film dazu bei, dass Heimat wieder einen „positiven Wert“ darstellte. Sabine Doering-Manteuffel: Die Eifel. Geschichte einer Landschaft. Frankfurt am Main und New York 1995, S. 229. 133 Joachim Paschen: Von „Made in Germany“ zu „Heimat“ – Zur Entstehung der „Hunsrück-Saga“. In: Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Grünwald 1985, S. 16-20, hier S. 16; Zu „Holocaust“ siehe Susanne Brandt: Holocaust – redaktionell bearbeitet. Wie die Erstausstrahlung der Holocaust-Serie 1979 das deutsche Nachkriegserinnern beeinflusste. Über den Zusammenhang von Fernsehen und kollektivem Gedächtnis. In: Zeitschrift für Kultur-Austausch 49/4 (1999), S. 89-91. 134 Kaes: Deutschlandbilder (wie Anm. 117, S. 115), S. 197. 119

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bewegung jedoch nicht ausmachen. Aufkleber aus dieser Zeit mit der Aufschrift „Eich sinn en Hunsricker“ bilden da die Ausnahme von der Regel.135 Abbildung 12: Sticker – „Eich sinn en Hunsricker“

Quelle: Hunsrück-Museum Simmern (Fritz Schellack); Repro/Scan.

Für Reitz unterscheiden sich die Einheimischen im Hunsrück nur gering von den Bewohnern in der Provinz anderenorts. Ihnen wird häufig unterstellt, sich selber und ihr Dorf für die Mitte oder den Nabel der Welt zu halten. Als eine regionalspezifische Besonderheit könnte jedoch die Begründung der Hunsrücker dafür gelten: weil hier erneut „die Welt Dorfgeschichte schrieb“, bzw. sich im Kleinen der Kollaps der großen weltpolitischen Fronten spiegelt.136 Denn dort hat schon längst das Erleben des Globalen im lokalen Raum stattgefunden, ist die Anpassung einer globalen Perspektive an lokale Umstände137 Geschichte und die Besonderheit des Ortes neu bestimmt: „Durch Räume und noch mehr durch Zwischenwelten, in denen sich Globales und Eigenes nur scheinbar widerspruchsvoll mischen.“138 Der Hunsrück ist somit ein glokaler

135 Im Schinderhannesturm in Simmern, der als Außenstelle des Stadtmuseums fungiert, erinnert eine Sammlung an die 1980er Jahre im Hunsrück und an die Friedendemonstrationen. 136 Spiegel Spezial 6/1999. Es geht um Geschichte. Edgar Reitz über die geplante Fortsetzung seines „Heimat“-Projektes, S. 4. 137 Vgl. Roland Robertson: Glokalisierung (wie Anm. 2, S. 12), S. 197. 138 Konrad Köstlin: Volkskunde und Geländewagen: Landrituale in der Stadt. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 101 (1998), S. 303-327, hier S. 320. 120

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Ort, der durch den Zuzug der Russlanddeutschen als Region erneut herausgefordert wird.139

3.3 Zuzug Russlanddeutscher und Veränderungen vor Ort Nach Schließung der Air-Base 1991 verließen bis auf wenige Ausnahmen alle vor Ort stationierten Soldaten die Region. Zur Jahreswende 1992/93 lebten im Rhein-Hunsrück-Kreis etwa 6200 Aussiedler, davon ca. 3000 in der Verbandsgemeinde Kirchberg. Damals wurde in einer Studie des Rhein-Hunsrück Kreises prognostiziert, dass besonders in Sohren und Büchenbeuren die Aussiedler einen Bevölkerungsanteil von bis zu 50% erreichen würden.140 Insbesondere überregionale Medien sprachen in diesem Zusammenhang davon, dass hier eine Bevölkerungsgruppe durch eine andere ersetzt worden sei.141 Dies entsprach weitestgehend auch der Sichtweise der meisten Einheimischen. Nur wenige machten in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass es sich zwar in beiden Fällen um Fremde handeln würde, diese jedoch nicht miteinander vergleichbar seien. Trotz der bereits im Vorfeld von den Einheimischen konstatierten Unterschiede zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen kam es beim Reden über die Russlanddeutschen immer wieder zum Vergleich mit den Amerikanern, das heißt, die Einheimischen verglichen die Russlanddeutschen nicht nur mit sich selbst, sondern vor allem im Hinblick auf die Amerikaner. Somit dominierten, wie bereits erwähnt, sowohl der Vergleich wie auch die Erinnerungserzählung als zentrale narrative Strategien das Reden der Einheimischen.

139 Globalisierung verstanden als ein Phänomen der Raumdeutung bietet für das Verhältnis von globalem und lokalem Raum und des Sich-in-BeziehungSetzens mit der ganzen Welt einen Interpretationsschlüssel. Vgl. Noller: Globalisierung (wie Anm. 8, S. 79), S. 24. Denn „Globalisierung wird fassbar im Kleinen, Konkreten, im Ort, im eigenen Leben, in kulturellen Symbolen, die alle die Signatur des ‚Glokalen‘ tragen.“ Beck: Was ist Globalisierung? (wie Anm. 112, S. 57), S. 91. Glokalisierung – ein Neologismus von Globalisierung und Lokalisierung – wird deswegen von Robertson als Begriff vorgeschlagen, um deutlich zu machen, dass das Lokale als Aspekt des Globalen verstanden werden muss. Glokal meint somit die Anpassung einer globalen Perspektive an lokale Umstände, wie auch die Aneignung und das Erleben des Globalen im lokalen Raum. Vgl. Robertson: Glokalisierung (wie Anm. 2, S. 12), S. 197. 140 Vgl. Aussiedler im Rhein-Hunsrück-Kreis. Projektstudie. O.O. [1992]. Gegenüber vergleichbaren Regionen wie etwa Cloppenburg (Niedersachsen) oder Lahr (Baden-Württemberg) ist im Hunsrück die Zahl der zugezogenen Russlanddeutschen im Verhältnis zur Zahl der Einheimischen wesentlich höher. 141 Vgl. „Für jeden Ami ein Russe“ (wie Anm. 7, S. 13), S. 45. 121

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Im nächsten Abschnitt geht es nun – gemäß der zu Beginn des Kapitels gestellten Fragen – um die Folgen des Zuzugs der Russlanddeutschen und die damit verbundenen Veränderungen im Ort (Außenperspektive) sowie im Selbstbild der Einheimischen (Innenperspektive). Herausgearbeitet wird dabei auch die Rolle der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen beider Gruppen von Fremden auf die Bewertung der Veränderungen vor Ort und auf die Bildung von Erwartungen, wobei auch der Einfluss der Medien berücksichtigt wird.

3.3.1 Auf der Straße Die „Fremden“, ob Amerikaner oder Russlanddeutsche, waren zunächst im öffentlichen Raum, das heißt im Straßen- und Ortsbild, wahrnehmbar. Ihre Präsenz als Passanten oder Autofahrer, in Geschäften und Lokalen verschaffte den meisten Einheimischen einen ersten Eindruck. Wahrgenommen wurde das, wodurch sie sich von den Einheimischen unterschieden, was Aufsehen erregte und anders war: an den Autos, ihrem Verhalten vor Ort, der Kleidung und an den Häusern und Wohnungen, die sie bewohnten oder bauten. Das jedoch, wodurch sich Amerikaner und Russlanddeutsche von den Einheimischen unterschieden, wurde aus deren Perspektive jeweils anders gedeutet und bewertet. Die Fremdheit im Raum blieb aber zu jeder Zeit spürbar. Während der Zeit des so genannten Kalten Krieges wurde der Flughafen ständig vergrößert und es kamen immer mehr amerikanische Soldaten in den Hunsrück. Die räumliche Expansion korrespondierte mit einem Anstieg der Mobilität in der Region. Schulbusse verkehrten regelmäßig zwischen der AirBase und den einzelnen Dörfern und amerikanische „Straßenkreuzer“ fuhren über schmale Straßen und durch enge Dörfer. Die Einheimischen hingegen gingen häufig noch zu Fuß. So hatten viele bald den Eindruck, dass die Amerikaner den öffentlichen Raum auf dem Hunsrück prägen würden. Ähnliches wurde nach deren Abzug für die Situation mit den Russlanddeutschen in Anspruch genommen, die jedoch im Gegensatz zu den Amerikanern, wie etwa der Sohrener Unternehmer Herr Bg herausstellt, „immer auf der Straße irgendwo rum sitzen“142. Die Autos der Amerikaner waren von den Einheimischen u.a. anhand ihrer unterschiedlichen Nummernschilder leicht zu identifizieren. So wurde dann auch zahlenmäßig fassbar, was man ohnehin schon wusste. „Jedes fünfte Auto morgens ist nur ein deutsches gewesen. Erst zu ,RAF-Zeiten‘ [RoteArmee-Fraktion] haben die Amis sich dann unauffälliger bewegen müssen und andere Nummernschilder erhalten“, beschreibt die verheiratete Pädagogin

142 Herr Bg (50 EG), TS 34. 122

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Frau Wh die Situation.143 Die Dominanz im öffentlichen Raum schien erst durch eine Bedrohung von außen gebrochen worden zu sein. Abbildung 13: Straßenszene in Lautzenhausen in den 1960er Jahren

Quelle: Archiv Ortsgemeinde Lautzenhausen, ohne Datum.

Doch nicht nur die Nummernschilder verrieten ihre Besitzer. Bekannt wurden die Amerikaner144 in den 1970er und 1980er Jahren auch dafür, dass sie in ihren Autos teure Musikanlagen installiert hatten, die sich noch wenige Einheimische leisten konnten. Mit voll aufgedrehten Boxen fuhren sie nicht selten durch die Gegend und nahmen Tramper mit, meistens Einheimische. „Das waren diejenigen, die angehalten haben. Da hab ich sogar einen kennen gelernt, der hat behauptet in Woodstock dabei gewesen zu sein“, beschreibt der in Büchenbeuren praktizierende Mediziner Herr Mr eine Begegnung.145 Musik und Lifestyle (Trampen) treffen hier aufeinander und erzeugen Bewunderung zumindest bei Gleichaltrigen oder Jüngeren, für die amerikanische Musik und das Woodstock-Festival ein Begriff waren. Mit lauter Musik durchs Dorf zu fahren war aber den meisten älteren Einheimischen damals fremd, und aus ihrer Sicht etwas, was nur die Amerikaner machten – auch, weil nur sie es sich leisten konnten. Es war eine weitere Variante, die zeigte, wer den Raum „besetzt“ hatte.

143 Frau Wh (28 E), TS 7. 144 Hierbei handelte es sich in erster Linie um Soldaten, die zwischen 18 und 25 Jahre alt und unverheiratet waren. 145 Herr Mr (38 EG), TS 5. 123

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Abbildung 14: Bericht eines Autounfalls im „Hahn Habicht“ (Hahn Hawk)

Quelle: Hahn Hawk. Nr. 20/26. Mai 1967, S. 2.

Als sie es sich leisten konnten, fuhren dann auch viele junge Einheimische mit lauter Musik und röhrendem Motor durch die Dörfer. Vor allem unter männlichen Heranwachsenden wurde das sogenannte „Cruising“ zur Rites de Passage. Es galt als schick, weil man auffiel, sich anderen präsentieren konnte, Dominanz zum Ausdruck brachte usw. Von daher war es auch nicht verwunderlich, dass russlanddeutsche Heranwachsende dies in den 1990er Jahren ebenfalls taten. Ihre Musik war dabei entweder russischer oder internationaler Provenienz. Auffallend war, dass sie sich scheinbar organisiert hatten. „An bestimmten Orten treffen die sich mit den Autos. Da haben sich Clubs gebildet, wie z.B. Autoclub Wolgograd und da stacheln die sich untereinander auf.“146 Was als Männlichkeitsritual Einzelner galt wird zum Erkennungszeichen einer Gruppe Gleichgesinnter, die sich aufgrund ihrer Herkunft als zusammengehörig fühlen. Auf ihre Art bringen sie ihre Präsenz zum Ausdruck und eignen sich so den Raum an. Ohne mehr aufschauen zu müssen, werden nun Autos mit lauter Musik von Einheimischen als zu jungen Russlanddeutschen gehörend wahrgenommen und damit zum Kennzeichen der neuen Fremden. Mit dem höheren Verkehrsaufkommen seit den 1950/60er Jahren kam es auch zu immer mehr Unfällen, insbesondere auf der Hunsrückhöhenstraße: 146 Herr Te (21 E), TS 12. 124

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Sie war eine der ersten ausgebauten Bundesstraßen in der Region und wurde zum Synonym für Gefahr – ähnlich wie die B50, die zwischen Rheinböllen und Sohren als besonders unfallträchtig gilt. Mittlerweile genügte schon die Absichtserklärung, dort entlang fahren zu wollen, um entsprechende Tipps und Hinweise für das Fahrverhalten zu bekommen. Insbesondere die mangelnde Einhaltung der Verkehrsregeln sorgte nicht nur für Unmut bei den Einheimischen, sondern wurde einmal mehr als Ausdruck der Dominanz der Amerikaner gedeutet. Der 55 Jahre alte Pädagoge Herr Ht benennt die Auswirkungen dieses Verhaltens explizit: „Noch in den siebziger Jahren waren die Amis nicht dran gewöhnt, sich an deutsche Verkehrsregeln zu halten. Die haben geparkt, wo sie wollten. Das war gar nicht so einfach, denen beizukommen, weil, die hatten amerikanische Nummernschilder und da musste immer noch die Militärpolizei gerufen werden. Wir konnten die ja nicht direkt anzeigen. Und in dieser Sicherheit haben sie auch lange gelebt: Wir können machen, was wir wollen hier – so schnell kriegen die uns nicht!“147

3.3.2 Präsenz vor Ort Generell gehen die Meinungen der Einheimischen, was die Anwesenheit der Amerikaner in den Dörfern betrifft, auseinander. Die einen sprechen vom „Ghettoleben in den Housings“, andere betonen das Zusammenleben im Dorf. Demgegenüber werden die Russlanddeutschen auf der Straße als dauerpräsent wahrgenommen. „Die Amerikaner, die waren immer auf dem Flugplatz. Ganz selten mal hier im Gemeindeleben, höchstens mal bei Veranstaltungen. Aber die Aussiedler, die sitzen auf Parkbänken. Das war ein Thema in Büchenbeuren, die hocken nur auf der Parkbank, man kann sich nirgends mehr setzen.“148 Die Anwesenheit der Russlanddeutschen vor Ort ruft auch deswegen Befremden hervor, weil sie im Gegensatz zu den Amerikanern Spuren hinterlassen, wie z.B. einen „Riesenfleck Sonnenblumenkerne [-schalen]“, wo sie sich aufgehalten hätten. Als besonders befremdlich wird die Art und Weise des Sitzens der Männer wahrgenommen. „Die sitzen in der Hocke da und die gehen kein Stück rüber, wenn jemand da kommt. Die sind auch irgendwo aggressiver.“149 Nicht Platz zu machen, ihn scheinbar sogar verteidigen zu wollen, provoziert und verstärkt den Eindruck des dominanten Verhaltens der Russlanddeutschen gegenüber den Einheimischen.

147 Herr Ht (55 Ex), TS 24. 148 Herr Nk (57 Ex), TS 7. 149 Herr Bg (50 EG), TS 34. 125

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Besonders die Jugendlichen, die „auf der Straße rumlungern würden“ oder sich bevorzugt an abgelegenen Stellen wie dem Bahndamm aufhalten, fallen unangenehm auf. „Die haben da mit zwei Mann versucht, Bahnschilder auszureißen. Da hab ich was gesagt und die Quittung war dann gewesen, dass am nächsten Tag unser Zaun eingeschlagen war. Es war kein großer materieller Schaden gewesen, aber es geht halt wirklich ums Prinzip. Du willst irgendwie deine Ruhe und dann sind da oben acht bis zehn, vielleicht auch zwölf Jugendliche, die auf den Bahnschienen sitzen, und hauen sich ihren Wodka und ihr Bier rein und singen dann ihr Jägermeisterlied oder diese russischen Volksweisen.“150

Die Einheimischen stehen dem Verhalten aus ihrer Sicht oftmals ohnmächtig gegenüber. Ihre Handlungsmöglichkeiten erscheinen gering, scheint doch mit einer Einsicht seitens der Jugendlichen nicht zu rechnen zu sein. Auch den Eltern oder den Sozialarbeitern vor Ort wird hier nur eine eingeschränkte Einflussnahme zugeschrieben. Dies verstärkt insgesamt den Eindruck, die Kontrolle über den eigenen Nahraum zu verlieren und den Fremden ausgeliefert zu sein. Anscheinend sind die Aussiedler immer zur falschen Zeit am falschen Ort: „Die kommen zu keiner Veranstaltung im Dorf, bei keiner Festivität siehst du die. Die sitzen lieber irgendwo und hocken dann in ihrem Kreis auf dem Parkplatz und trinken ihre Wodkaflasche. Die haben ihre eigenen Leute, ihre eigenen Kreise, ihr eigenes Geschäftchen und alles. Die haben ihren eigenen Kreislauf. Die einzigen, die von denen profitieren, sind Aldi und Norma.“151

Anders als die Alteingesessenen, würden die Aussiedler auch selten mal „nach Koblenz oder Trier zum Einkaufen fahren“152. Demgegenüber waren die Amerikaner zumindest aus der Perspektive der Einheimischen gern gesehene Gäste im Ort. Sie seien bei den Festen dabei gewesen und hätten dadurch dazugehört. In diesem Fall störte es dann auch weniger, dass sie aufgrund ihrer eigenen Einrichtungen (wie Supermarkt, Ärzte, Schulen usw.) auf dem Flugplatz völlig unabhängig von dem Angebot in den Dörfern existieren konnten. Das Einkaufsverhalten der Amerikaner vor Ort konzentrierte sich vor allem auf Souvenirs und Kunsthandwerk, eher selten wurden Dinge des täglichen Bedarfs nachgefragt. Diese waren zudem teurer als in den „PX“ Läden (Supermarkt für amerikanische Militärangehörige) 150 Frau Ky (48 E), TS 22. 151 Ebd., TS 24. 152 Herr Te (21 E), TS 1. 126

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des Flugplatzes. Trotzdem mussten einige Läden nach dem Abzug der Amerikaner schließen. Dafür eröffneten dann im Laufe der 1990er Jahre Discounter-Ketten ihre Filialen in Sohren und Umgebung. Ihr Angebot, wie z.B. eine große Auswahl verschiedener Wodkamarken (sic!) oder laufende Billigangebote, spiegelt nicht nur die Bedürfnisse der neu hinzugezogenen Kunden, sondern trug auch den veränderten (finanziellen) Verhältnissen vor Ort Rechnung. Im Sprachgebrauch der Einheimischen war deswegen schnell von „Russenläden“ die Rede. Diese abwertend gemeinte Bezeichnung bezog sich jedoch nicht auf die drei Läden in Büchenbeuren und Sohren, die russische Produkte im Angebot hatten und von Russlanddeutschen betrieben wurden, zumal diese von den Einheimischen eher selten betreten wurden, und hier die Schwellenangst entsprechend groß war. Vielmehr waren damit die Discountersupermärkte gemeint. Ähnlich verhielt es sich mit Diskotheken und Bars, deren Publikum überwiegend russlanddeutsch ist. Auch hier wurde der Begriff „Russendisko“153 prägend. Gab es zur Zeit der Amerikaner Diskotheken und Bars, die „off limits“154 waren, dort also Amerikaner keinen Zutritt hatten, so galt dies nun in einigen Diskotheken für Einheimische. Diese waren zwar für Einheimische nicht offiziell verbotenes Terrain, faktisch wurden sie es aber doch. Hatten zunächst die Einheimischen die Fremden ausgegrenzt, trat nun der umgekehrte Fall ein. Es zeigt sich, dass oft die Erinnerungen an die Amerikaner der Maßstab sind, an dem der Umgang mit Fremden in der Gegenwart gemessen wird. So galt etwa „Tonis Club“ in Sohren als ein beliebter Treffpunkt zur Zeit der Amerikaner. Dort sei immer die „Hölle los gewesen“155. Demgegenüber hatte ein Besuch in der so genannten „Russendisko“ in Sohren angeblich den Charakters eines Spießrutenlaufs: „Da merkt man schon, dass man nicht willkommen ist. Und dann kam das auf mit dem Achsel und dem Schweiß [Geruch]. Da bist du total fremd! Ich war richtig froh wie wir da raus waren.“156 Gerade Diskotheken und Bars sind Begegnungsorte von Fremden, in denen es seit Anfang der 1960er Jahre z.B. in Lautzenhausen157 vermehrt zu 153 Dieser Begriff meint zunächst, dass dort überwiegend Russlanddeutsche verkehren. Im gleichnamigen Bestseller von Wladimir Kaminer kommen eher die übergeordneten Deutungen zum Ausdruck, die mehr die Stimmung an einem solchen Ort fokussieren. Wladimir Kaminer: Russendisko. München 2000. 154 Ein Schild mit der Aufschrift „off limits“ verweigerte amerikanischen Soldaten den Zutritt. Siehe hierzu Daniel Nelson: Defenders or Intruders? The Dilemmas of U.S. Forces in Germany. Boulder und London 1987. 155 Herr Ft (37 E), TS 16f. 156 Ebd., TS 18. 157 Die Nähe zum Flughafen führte dazu, dass der Ort vor allem in den 1960er Jahren immer mehr zu einem Vergnügungszentrum um- und ausgebaut wurde. Aus alten Scheunen wurden Bars und aus Ställen Cafes und Restaurants. Etab127

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„Verbrüderungen“ zwischen Einheimischen und Amerikanern gekommen ist oder aber auch, wie in Sohren Mitte der 1990er Jahre, zu Abgrenzung und Separierung. In beiden Fällen ist es die heranwachsende Generation, die sich trifft und entweder den Raum miteinander teilt oder gegenüber den Anderen verteidigt. Über die Zeit mit den Amerikanern berichtet der heute 44-jährige Geschäftsmann Herr Sr, der früher als Flugzeugmechaniker bei den amerikanischen Streitkräften tätig war: „Nach Lautzenhausen, da konnte man hinfahren, wann man wollte. Rund um die Uhr, da wusste man, wo man klingeln, wo man klopfen musste. Polizeistunde ja, aber dann ging’s halt drinnen privat weiter. Es war wirklich ganz toll! Jetzt nicht wegen der Damen, sondern überhaupt von der Atmosphäre her. Wenn man mit achtzehn in der Zeit da aufwächst, dann ist das natürlich was Tolles mit den Amerikanern, und Geld spielte keine Rolle.“158

Im Gegensatz dazu werden heute Vergnügungsorte, an denen überwiegend Russlanddeutsche anzutreffen sind, tendenziell gemieden. Manche Einheimische geben sich selbst die Schuld daran, indem sie sich haben einschüchtern lassen. „Die [Russlanddeutschen] stehen da mit dem Beil. Das ist irgendwie nicht richtig. Dann hast du nämlich eine Beule im Motor.“159 Offenbar haben manche Einheimische ihre Vorbehalte und Ängste gegenüber Russlanddeutschen soweit internalisiert, dass sich dies bereits auf ihr Verhalten einschränkend auswirkt, wie dies im Folgenden weiter vertieft wird.

3.3.3 Unsicherheiten Das Gefühl, an Terrain zu verlieren und sich dagegen nicht wehren zu können, erzeugt bei vielen Angst. Angst, die real erlebt wird, wenn man sich einmischt und anschließend – wie bereits in einem Interviewbeispiel verdeutlicht – von russlanddeutschen Jugendlichen verfolgt wird. Aber auch Angst, die im Vorfeld entsteht und das eigene Handeln beeinflusst. Von dieser Angst berichtet der verheiratete Sohrener Geschäftsmann Herr Bg, der erzählt: „Früher sind die Frauen nachts alleine heimgegangen. Wir haben uns irgendwo getroffen, dann sind die Frauen seelenruhig nachts nach Hause gegangen. Heute lissements mit Namen wie „Atlantic Club“, „Eldorado“, „Roulette“, „Charly“, „Capri“ oder „Dolly Bar“ wurden zwar vorwiegend von jungen, amerikanischen Soldaten besucht, sie weckten aber immer mehr auch das Interesse junger Einheimischer, für die der Besuch einer Nacktbar zu einer Art „Rites de passage“ wurde. In der berüchtigten „Dolly Bar“ kam es zum Beispiel zur sog. „Flitzer Mutprobe“, bei der man nackt durch das Lokal zu laufen hatte. 158 Herr Sr (44 EG), TS 13. 159 Herr Ft (37 E), TS 19. 128

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trauen sich die Frauen das nicht mehr.“160 Auslöser der Angst sind die Fremden, die von außen kommend das Dorf oder die Stadt sozusagen eroberten. Auch wenn die Vergleiche der Einheimischen nicht so weit gingen, zeigen sich hier gewisse Parallelen zur Situation in den 1950er Jahren, als die ersten schwarzen amerikanischen Soldaten in Deutschland stationiert waren. „[…] no woman had been able to go out at night anymore because the town had become a dangerous spot because of all the blacks.“161 Damals wie heute tragen auch die Medien dazu bei, diese Ängste weiter zu schüren. Schlagzeilen aus den 1950er Jahren über tatsächliche oder angebliche Vergehen amerikanischer Soldaten wie zum Beispiel „Baumholder: Who is the next victim of such willful disregard – Every colored American soldier carries a knife!“162 korrespondieren mit jenen aus Sohren, bei denen vor allem jugendliche Spätaussiedler als Täter ausgemacht wurden. Gerade weil diese Gruppe als besonders problematisch gilt, wurde in Sohren bereits relativ früh ein Jugendzentrum errichtet, welches von der Caritas betrieben wird. Gerade an dieser Einrichtung entzündeten sich aber immer wieder innerdörfliche Kontroversen.

3.3.4 Öffentliche Neubauten: Jugendzentrum Bereits in den 1980er Jahren wurden immer wieder Pläne für eine solches Zentrum diskutiert, auf das die einheimischen Jugendlichen schon lange gewartet hatten. Erst der Zuzug der Aussiedler ließ die Pläne sehr schnell zur Realität werden.163 Bereits im Vorfeld kam es jedoch wegen der Lage des Jugendzentrums zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Inhaber eines gegenüberliegenden Hotels mit Pizzeria. Dort, wo früher Amerikaner und Deutsche miteinander feierten, wollten nun Gäste ungestört essen oder schlafen. Durch den Betrieb des Jugendzentrums war diese Ruhe vor allem nachts gestört. Hinzu kam, dass, anders als geplant, das Jugendzentrum überwiegend von russlanddeutschen Jugendlichen „besetzt wurde“ und dort kein „ReinDeutscher“ hingehen würde.164 Ähnlich verhält es sich mit dem Begegnungszentrum165 in Büchenbeuren, welches als Kommunikationszentrum annonciert worden war und umgangs-

160 Herr Bg (50 EG), TS 34. 161 Maria Höhn: GIs and Fräuleins. The German-American Encounter in 1950s West Germany. Chapel Hill und London 2002, S. 94. 162 Ebd. 163 Aussiedler im Rhein-Hunsrück-Kreis, (wie Anm. 140, S. 121), S. 48. 164 Herr Ft (37 E), TS 5. 165 Das Begegnungszentrum wird mittlerweile von dem Verein Begegnungshaus e.V. unterhalten, der zunächst in der ehemaligen Grundschule und später im alten Amt in Büchenbeuren unterkam. Der Verein übernahm das Projekt Be129

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sprachlich KZ genannt wird. Fragen sich die Einen, wer sich denn dort begegnen solle, reden Andere von den „Berufsbegegnern“, die sich dort für die Russen engagieren würden – Aussagen, die ein erhebliches Maß an Skepsis und Ablehnung zum Ausdruck bringen. Beide Zentren sind ein Beispiel für strukturelle Veränderungen im Raum, die auf den Zuzug der Aussiedler zurückzuführen sind. Sie markieren darüber hinaus Orte, die überwiegend von Russlanddeutschen genutzt werden und gewissermaßen Inseln innerhalb des Dorfes darstellen.

3.3.5 Private Neubauten Neben öffentlichen Gebäuden waren es vor allem die privaten Neubauten, die für oder durch die Fremden errichtet wurden, die nachhaltig das Ortsbild veränderten. Die damit verbundenen Umwälzungen hingen jedoch weniger mit der Fremdheit der jeweiligen Gruppe, als mit dem Eigennutz der Einheimischen zusammen. Sie waren es, die anfingen ihre Häuser für die Amerikaner herzurichten, zu modernisieren und zu vergrößern oder gar neu zu bauen. Auch die Erschließung weiterer Neubaugebiete nach dem Zuzug der Russlanddeutschen muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Gerade nach Jahren der Stagnation, in denen schon vor dem Abzug der Amerikaner die „Zukunft kleiner Gemeinden“ in strukturschwachen Gegenden mehrfach diskutiert wurde166, bedeutete der Zuzug der Aussiedler Wachstum in mehrfacher Hinsicht. Deutlich lässt sich anhand der Ortspläne von Büchenbeuren und Sohren erkennen, welche Neubaugebiete für den Hausbau für Amerikaner und welche nach dem Zuzug der Russlanddeutschen erschlossen wurden. Die Kartendarstellungen in Anhang 6.3 zeigen diese Entwicklung am Beispiel Sohren im Zeitraum 1967 – 2000. Üblicherweise gruppieren sich die Neubauten um die alten Ortskerne bzw. weichen auf die angrenzenden Hanglagen aus. Der Blick von dort auf das Dorf und in die Landschaft spiegelt die Perspektive der Zugezogenen: Ihnen wird die Außenansicht auf eine Kulisse gewährt, deren Innerstes ihnen zunächst verborgen und fremd erscheint.

gegnungshaus, welches vom Netzwerk der Aussiedlerintegration im RheinHunsrück-Kreis initiiert worden war. 166 Niem und Schneider: Zukunft (wie Anm. 132, S. 62). 130

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Abbildung 15: Neubaugebiet in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

Gerade die Neubaugebiete mit einem hohen Anteil russlanddeutscher Bewohner wurden mit der Zeit immer mehr zu „russischen Enklaven“, in deren Nähe viele Einheimische nicht bauen wollten. Als „Russenecke“ oder „KleinKasachstan“ werden diese Wohngebiete der Russlanddeutschen nicht nur in Sohren oder Büchenbeuren, sondern vielerorts, wo Russlanddeutsche in größeren Gruppen zusammen leben, bezeichnet.167 Derartige Bezeichnungen finden sich schon bei Braun, Bausinger und Schwedt für die neuen Siedlungen der Flüchtlinge in der Nachkriegszeit (siehe Kapitel 2).168

167 Siehe hierzu Hans-Werner Retterath: Russlanddeutsche Zuwanderung und Rüstungskonversion in Lahr/Schwarzwald. In: Uwe Meiners und Christoph Reinders-Düselder (Hrsg.): Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Cloppenburg 1999, S. 327-332, hier S. 330. 168 Weitere Bezeichnungen für Siedlungskonzentrationen von Russlanddeutschen lauten etwa „Klein-Kasachstan“ oder „Little Moskau“; siehe dazu auch Heike Pfister-Heckmann: Sehnsucht Heimat? Die Russlanddeutschen im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 97). Münster u.a. 1998, S. 95; Heike Pfister-Heckmann, HansWerner Retterath und Heike Müns: Aussiedler in Deutschland. In: Meiners und Reinders-Düselder (Hrsg.): Fremde in Deutschland (wie Anm. 167, S. 131), S. 321-334, hier S. 330. 131

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Abbildung 16: Bauten der 1960er Jahre in der „Housing“ am Flugplatz Hahn

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

Die Neubauten der 1960er und 1970er Jahre, die überwiegend an die Amerikaner vermietet wurden, waren meistens schmucklose Zweifamilienhäuser mit Balkon und Terrasse. Bei Architektur und Gestaltung standen weniger ästhetische als vielmehr funktionale Aspekte im Vordergrund. Abbildung 17: Reihenhäuser der Housing-Siedlung „Im Grund“ in der Challenger Straße in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

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Neben den Neubauten der Einheimischen entstand in Sohren dann Ende der 1980er Jahre noch die Housing-Siedlung „Im Grund“, die am Rand des Dorfes in einer Senke errichtet worden war (siehe Anlage 6.3). Auch deren Reihenhäuser unterscheiden sich wenig voneinander. Besonders die Außengestaltung mit ineinander übergehenden Rasenflächen erinnerte an amerikanische Wohngebiete. Erst nach dem Verkauf der einzelnen Parzellen sowohl an Einheimische wie auch an Russlanddeutsche änderte sich das Bild der Siedlung. Zäune markieren die Grenzen der Grundstücke, deren Außengestaltung zunehmend individueller wird. Ende der 1990er Jahre erinnern nur noch die Straßennamen169 daran, dass es sich ursprünglich einmal um eine amerikanische Siedlung gehandelt hat. Der Raum zwischen Ortsrand und Siedlung wurde in den 1990er Jahren durch die Ausweisung weiterer Bauplätze erschlossen, die überwiegend von russlanddeutschen Familien bebaut wurden (siehe hierzu z.B. das Neubaugebiet „Im Berg“ in Anlage 6.3). Deren große, leerstehende Ein-, Zwei- und sogar Dreifamilienhäuser forderten bereits während des Baus die Einheimischen heraus, schienen sie doch den Status der Einheimischen in Frage zu stellen. Besonders die Eigentümer der Reihenhäuser in der ehemaligen Housing, vor allem die Einheimischen, fühlen sich gegenüber diesen unterkellerten und massiv gebauten Häusern der Russlanddeutschen im Nachteil. Dies kam unter anderem auch dadurch zum Ausdruck, dass sie deren Außengestaltung, wie z.B. aufwendig geschwungene Geländer und Zäune oder die Farbgebung der Fassade, kritisierten. Diese Neubauten werden nur von wenigen Einheimischen neutral betrachtet, zeugen sie doch von einer Dominanz der Fremden im Raum, von der die meisten ausgingen, dass sie ihnen als Alteingesessene zustehen würde.

169 Andere Straßennamen der ehemaligen Housing, deren Bezugnahme nicht eindeutig zu verorten ist, wie etwa „Straße der Gemeinschaft“ rufen mittlerweile nicht mehr Assoziationen an das Zusammenleben mit den Amerikanern hervor, sondern werden gerade von den Medien oftmals als Zeichen von Bemühungen für eine gelungene Integration der Russlanddeutschen gedeutet. Vgl. Report Mainz (2003). Kriminell und nicht integrierbar? – Russlanddeutsche in der Provinz, Manuskript der Sendung vom 17.11.2003. Verfügbar unter: http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/031117/02/frames.html [Stand: 19.11.2003]; Tatjana Wagner: Wo die Weltpolitik Dorfgeschichte schrieb. [Radio]. Mainz 2004: SWR 2. 133

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Abbildung 18: Neue Zäune und Gärten im Wohngebiet „Im Grund“ in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 2001.

Häuser symbolisieren für viele einen Stein gewordenen Anspruch auf Heimat. In Häusern materialisiert sich Bleiberecht. Wer Grund und Boden erwirbt und ein Haus darauf baut, bringt damit seinen Raumanspruch zum Ausdruck. Den reklamieren die Einheimischen zuallererst für sich, bevor sie ihn anderen zugestehen. Abbildung 19: Rohbau eines „russlanddeutschen“ Hauses in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

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Abbildung 20: Neubau eines „russlanddeutschen“ Hauses in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

Im Vergleich zu den Russlanddeutschen war der Raumanspruch der Amerikaner zwar absolut, wenn es um die militärische Nutzung des Flugplatzes ging, darüber hinaus aber temporär begrenzt und nicht mit dem Erwerb von Eigentum verbunden. Dadurch unterschieden sich die Amerikaner grundlegend von den Russlanddeutschen. Sie waren „Fremde auf Zeit“, die sich darauf beschränkten, vor Ort in den Häusern der Einheimischen zur Miete zu wohnen.170 In dieser Hinsicht stellten sie die Dominanz der Einheimischen nicht in Frage, sondern ermöglichten diesen sogar, sie auszudehnen. „Die Amerikaner, die brauchten Wohnraum und die bezahlten ganz schön Geld“, hebt der selbständige Unternehmer Herr Bg hervor.171 Der Hausbau stellte somit für die Einheimischen ein kalkulierbares Risiko dar. „Zur einen Hälfte wurde selber gebaut [mit Eigenkapital], zur anderen Hälfte hat man bauen lassen [Finanzierung durch erwartete Mieteinnahmen]. Da ist man zuerst in die kleinere Wohnung selber eingezogen, hat dadurch die Miete gespart, sich bisschen eingeschränkt und die große Wohnung für viel Geld vermietet. Bis das Haus zum größten Teil abbezahlt war. Dann, beim nächsten Amerikaner, ist man in

170 Obwohl bis zu den weitreichenden Veränderungen in Osteuropa keiner absehen konnte, wie lange die amerikanischen Truppen vor Ort stationiert sein würden, wurden die einzelnen amerikanischen Soldaten mit ihren Familien nur als „Gäste“ oder „Fremde“ auf Zeit gesehen. Eine Integration wie bei anderen Fremden wurde weder erwartet, noch wurde sie (politisch) betrieben. 171 Herr Bg (50 EG), TS 9. 135

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die größere Wohnung und der Amerikaner in die kleinere Wohnung. Der hat dann den Rest bezahlt. Die Bauerei war also eine relativ einfache Sache.“172

Damals hätten die Einheimischen sozusagen vor der Wahl gestanden: „Sollen wir uns eine Wutz oder einen Ami halten?“173 Bei den meisten Bauvorhaben wurde die Mietwohnung für die Amerikaner gleich mit eingeplant.174 Viele beschränkten sich auch eine Weile lang und nahmen eine schlechtere Wohnqualität in Kauf. Dementsprechend erklärt Frau Wr, die ein kleines Geschäft in Sohren betreibt: „Wir sind in eine Hausmeisterwohnung gezogen, da haben wir so ein bisschen was verdient und konnten unser neues Haus für 380 DM im Monat vermieten. Dadurch haben wir es schneller abbezahlt.“175 Dennoch scheint für viele Einheimische im Nachhinein ihre Ausgangslage in den 1960/70er Jahren mit jener der Russlanddeutschen in den 1990er Jahren als vergleichbar und offenbart hier eine Gemeinsamkeit. So meint Herr Ml, der lange Jahre für die Gemeinde Sohren tätig war: „Wenn was schief gegangen wäre, hätte man mir nichts abnehmen können, denn ich hatte nichts. So bauen die auch. Da hilft die ganze Verwandtschaft mit.“176 Unterstellt wird dabei ein Familienzusammenhalt, der auch in Deutschland üblich gewesen sei. „Die Russlanddeutschen, die machen das, was bei uns in den 1960er Jahren passiert ist. Die Familien halten zusammen, bauen ein Haus zusammen und bezahlen das auch zusammen.“177 Die offensichtliche Solidarität der Russlanddeutschen untereinander findet Anerkennung bei den Einheimischen, denn es wird mit dem Leben im Dorf in einer (idealisierten) Vergangenheit verglichen. Auch die medizinische Angestellte Frau Ky vertritt diese Ansicht, wenn sie sagt: „Wenn einer baute, dann half das halbe Dorf. Und das ist bei denen halt noch so. Die kennen sich ja alle von drüben her und wenn dann einer baut, dann wird ein Haus nach dem anderen hochgezogen, dann sind die mit zwanzig Leuten auf der Baustelle.“178 Ausführlich beschreibt ein ortsansässiger Bauunternehmer die Unterschiede: angefangen von der Entlohnung, „die war minimal wie bei uns nach dem Krieg, höchstens mit Wodka dazu. Die arbeiten so wie es früher hier im Land auch gewesen ist. Das kann man mit Schwarz-

172 173 174 175 176 177 178 136

Herr Bg (50 EG), TS 9. Höhn: GIs (wie Anm. 161, S. 129), S. 45. Herr Hn (60 EG), TS 11. Frau Wr (60 EG), TS 5. Herr Ml (70 Ex), TS 7. Frau Sn (47 Ex), TS 4. Frau Ky (48 E), TS 16.

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arbeit in dem Sinne nicht vergleichen. Die kaufen das Material und dann haben sie den und den Onkel und den Verwandten und den Bekannten – und die helfen alle. Da werden die Stunden aufgeschrieben, das müssen die zurückarbeiten. Da fließt kein Geld. Der kriegt sogar kärgliches Essen. Die kriegen ein großes Stück Weißbrot und kriegen ’ne Suppe. Die kriegen noch nicht einmal ’ne Wurst dazu.“179

Erklärt wird dieses Verhalten mit den Umständen in Russland. „Dadurch, dass in Russland doch eine gewisse Mangelsituation vorherrschte. Das Handwerkliche, wenn da einer was reparieren konnte, war das schon ein toller Kerl. Das ist nicht verloren gegangen.“180 Hatte die Solidarität unter den Einheimischen im Dorf schon in den 1960/70er Jahren ihre Grenzen, wird heute fast ausschließlich ohne Nachbarschaftshilfe gebaut. „Wir machen morgens um sieben den Betrieb auf und die Leute, die Übersiedler, die bei uns Material kaufen, die stehen morgens um sieben schon am Tor. Und so war das auch früher hier bei unseren Leuten. Die Übersiedler kaufen morgens was und sind den ganzen Tag weg. Und jetzt unsere Deutschen, die jetzt bauen, da ist es in der Regel so, dass die meistens mit der Firma bauen, weil sie es selber gar nicht mehr können. Die kommen so um zehn Uhr, halb elf hierher. Die haben morgens noch mal länger geschlafen, die hätten am liebsten, dass wir abends bis zehn auf haben. Das verschiebt sich, die machen höchstens noch Außenanlagen selber, die relativ klein gehalten werden mit Rasen und ein paar Blumenrabatten, damit sie leichter unterhalten und wenig Arbeit machen.“181

Beim Hausbau scheinen sich die Einheimischen generell zu differenzieren. So wird auch hier ein allgemeines Vorurteil angeführt, wonach diejenigen in den höher qualifizierten Berufen nicht mehr in der Lage seien, selber zu bauen. „Die Bauern hier, die konnten das auch. Die haben bei uns Kies und Zement gekauft und haben selber betoniert. So wie einer jetzt schon mal Abitur gemacht hat und einen höher qualifizierten Beruf, ist der nicht mehr dazu in der Lage. Der hat gar keine Schippe mehr zuhause. Das wird also von Generation zu Generation immer weniger, dass Leute das können und das Handwerk wird deswegen auch wieder wichtiger“,

glaubt Herr Bg und verweist gleichzeitig auf einen Unterschied zu den Russlanddeutschen, denn bei ihnen stehe (noch) die Eigenleistung im Vordergrund.182

179 180 181 182

Herr Bg (50 EG), TS 6. Ebd. Ebd., TS 8. Ebd. 137

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Eine ähnliche Ansicht vertritt die Sohrenerin Frau Ky, wenn sie ausführt: „Nur das Notwendigste machen hier ein paar Firmen, Sanitär, Heizung, Elektro. Den Rest machen die alles selbst, vom Keller bis zum Speicher. Und von daher sind das auch nicht unbedingt die Wirtschaftskräfte, die mobilisiert werden, wenn es heißt, die würden Geld in die Bauwirtschaft bringen. Ein paar Firmen haben die Sympathie der Russen, die können sich dann halt eine goldene Nase verdienen, aber der Rest bleibt außen vor.“183

Der Hausbau der Russlanddeutschen und der damit verbundene scheinbare Wohlstand suggeriert, dass sie es sich auch leisten können. Das macht viele Einheimische nicht nur neidisch, sondern auch skeptisch. „Die meisten, die heute hier bauen, sind schon weit über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus. Wo ich weiß, was die verdienen, und wenn ich dann überlege, dass die Häuser bauen. Die fahren ein Auto, was mit Sicherheit noch nicht bezahlt ist. Bezahlen relativ hohe Mieten hier und das ist natürlich auch ein Grund, dass sie dann den Mut besitzen, zu bauen. Aber wenn ich dann sehe, was die dann bauen. Und wenn ich mir überlege, wie das finanziert werden soll.“184

Vielen Einheimischen, die trotz der Mieteinnahmen der Amerikaner Jahrzehnte gebraucht hatten, ihre Häuser abzubezahlen, erscheinen die Bauvorhaben der Russlanddeutschen nach hiesigen Maßstäben als „zu früh, zu schnell und zu groß“185. Immer wieder würden deshalb auch Sozialarbeiter und Integrationsbeauftragte versuchen, Einheimische darüber aufzuklären, dass hierbei mehrere Aspekte der Finanzierung zu beachten seien: so etwa Landesdarlehen für kinderreiche Familien, die auch Einheimische in Anspruch nehmen könnten, die hohe und risikoreiche Verschuldung (bei Banken, die oftmals wenig nach Sicherheiten fragen würden, denn wenn das Haus dastände, sei auch die Sicherheit vorhanden), und die gemeinsame Finanzierung durch die Großfamilie, die sehr sparsam lebt und bei der das Gehalt aller mit einfließt. Einige Einheimische stellten daher auch nicht ohne Anerkennung fest: „Die wohnen da mit drei oder vier Familien in dem Haus drin, da wird alles in einen Topf geschmissen. Da hat die Oma nichts von der Rente, da hat der Sohn auch nichts von der Ausbildungsvergütung. Da wird alles reingepackt und dann wird zuerst mal geguckt, was braucht man zum Leben. Klamotten: Winterschlussverkauf, Sommerschlussverkauf, dann werden mal Schnäppchen gekauft und der Rest wird abbezahlt so schnell wie’s geht. […] Die gehen Putzen und was weiß ich noch alles, wie das bei uns auch so war“, 183 Frau Ky (48 E), TS 16. 184 Herr Bg (50 EG), TS 7. 185 Frau Ky (48 E), TS 16. 138

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erzählt der in der Kommunalpolitik engagierte Herr Gr von seinen Eindrücken.186 Vor allem jedoch würde übersehen werden, dass auch bei den Aussiedlern unterschieden werden müsse zwischen einem äußeren Eindruck und der Realität. Herr Bm, der für die Gemeinde Büchenbeuren tätig ist, relativiert etwa: „Inzwischen sind fünf oder sechs Häuser schon zwangsversteigert worden. Und die Neubürger haben allgemein gemerkt, in der Gesellschaft gilt der mehr, der nach außen viel darstellt. Hier gilt man eigentlich nur was, wenn man was zeigt.“187 Auch aus diesem Grund gehört für die Einheimischen das eigene Haus zum Selbstverständnis. „Auf dem Land wohnt man nicht zur Miete, sondern baut sich was Eigenes.“188 Auch hier zeigt sich eine Gemeinsamkeit zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen, weswegen es für die Einheimischen per se auch nachvollziehbar ist, dass viele Aussiedler schnell bauen: „Das machen doch die Hunsrücker auch.“189 Schließlich würden die Russlanddeutschen sich mit dem Hausbau bleibende Werte sichern wollen.190 Auf diese Art und Weise werden auch die Ansprüche der Aussiedler vergleichbar und damit zur Herausforderung. „Die Einheimischen haben ein schönes Haus und können sich was leisten. Das wollen die auch haben. Aber, dass das eben viele Menschen sind, die das schubweise sich geleistet haben, über mehrere Jahre gespart, das sehen viele Russlanddeutsche nicht.“191 Daher unterstellen die Einheimischen beim Hausbau den Russlanddeutschen ähnliche Motive wie die eigenen. Das eigene Haus symbolisiert für die Einheimischen Sicherheit und Zuflucht: „Da bin ich sicher. Das gehört mir, hier kann mir nichts passieren. Es gibt einen Entspannungsort, einen Begegnungsplatz für Bekannte oder Freunde, Verwandtschaft.“192 Dazu passt auch, dass mittlerweile viele Russlanddeutsche deshalb auf den Hunsrück kommen würden, um zu bauen, „weil hier schon andere Aussiedler leben“, wie der in der Jugendarbeit tätige Pädagoge Herr Str erklärt.193

186 Herr Gr (43 Ex), TS 20. 187 Herr Bm (60 Ex), TS 27. 188 Herr Ts (38 E), TS 5. Zur Eigenheimideologie allgemein siehe auch Max Matter: Dörflicher Hausbau und Hausbesitz heute. Ein ländliches Kulturmuster – seine historische und ideologische Herkunft. (unveröffentl. Habilitationsschrift Universität Mainz 1981); Max Matter: Bauen und Wohnen als Spiegel von Geschichtsbild und Traditionsverständnis. In: Nils-Arvid Bringéus u.a. (Hrsg.): Wandel der Volkskultur in Europa. Festschrift für Günter Wiegelmann zum 60. Geburtstag. Münster 1988, S. 621-633. 189 Herr Bt (45 Ex), TS 20. 190 Vgl. Herr Str2 (36 Ex), TS 9. 191 Frau Kz (48 E), TS 12. 192 Ebd., TS 13. 193 Herr Str (36 Ex), TS 9. 139

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Ein weiteres Deutungsmuster der Einheimischen interpretiert den Hausbau der Russlanddeutschen als ein Signal, sich integrieren zu wollen. „Die wollen bleiben, die wollen heimisch werden, die wollen sich was aufbauen hier. Und das ist für diese Leute auch wichtig, eine Bleibe zu haben. Wenn ich mich schon in diesem System fremd fühle, habe ich zumindest mein Häuschen. Und meine Kinder werden hier aufwachsen. Statt, dass sie hier nur die Wohnungen mieten und sagen würden, wenn dort es besser wird, gehen wir wieder zurück.“194

Zudem wird das Bauen auch als Ergebnis einer Kostenkalkulation gesehen: „Die haben sich das aufgeteilt und durchgerechnet. Sie wohnen im Haus billiger als in den vier verschiedenen Wohnungen – ganz klar.“195 Diese Sichtweise korrespondiert mit der der Russlanddeutschen: „Warum soll ich jemandem Geld geben, wenn ich wie er Eigentum, ein Haus haben kann. Es gibt hier keine Verbindung zu den Leuten, die hier schon hundert Jahre leben. In Sohren ist der Bruder mit seinem Bruder nicht so dicht zusammen wie bei uns die Dorfleute – und der Nachbar hilft mit. Und das ist der Grund dafür, dass die Aussiedler ein Haus miteinander bauen. Viele können auch vieles. Der eine kann mauern, der kann verputzen, da sind Zimmermänner und Schweißer. Die helfen einander gut mit und da ist es viel billiger.“196

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Einheimische und Russlanddeutsche vergleichbare Motive für den Hausbau anführen. Für beide spielt neben dem Aspekt, langfristig billiger als in Miete wohnen zu können, die Schaffung von Eigentum, sogenannte „bleibende Werte“, eine wichtige Rolle.197 Die Möglichkeit durch den Hausbau zeigen zu können, wer man ist und was man sich leisten kann, ist ebenfalls für Einheimische und Russlanddeutsche von entscheidender Bedeutung. Allerdings gestehen viele Einheimische den Russlanddeutschen den Hausbau (noch) nicht zu, verhilft er doch den Russlanddeutschen, im Status mit den Einheimischen gleichzuziehen. Manche Einheimische versuchen, das schnelle Gleichziehen zu relativieren, indem sie auf vermeintliche Vorteile der Russlanddeutschen verweisen. Hierzu zählt die gemeinsame Finanzierung

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Frau Gn (60 E), TS 25. Herr Fl (60 E), TS 7. Herr Gö (64 Ex), TS 9. In diesem Zusammenhang hat Dietz darauf hingewiesen, dass das Interesse der Russlanddeutschen an Wohneigentum vor allem auf das Festhalten an bäuerlichen Traditionen zurückzuführen sei, wonach das eigene Haus im Zentrum des familiären Lebens steht. Vgl. Barbara Dietz: Zwischen Anpassung und Autonomie. Russlanddeutsche in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1995, S. 164.

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und Nutzung des Hauses durch die Großfamilie und der hohe Grad an Gemeinschaftsleistung beim Bau des Hauses, was eine entsprechend hohe Einigkeit sowohl innerhalb der Familie als auch in der gesamten Gruppe voraussetzt. Diese wahrgenommene Solidarität und Hilfsbereitschaft der Russlanddeutschen untereinander trägt bei vielen Einheimischen zu einem scheinbar homogen Bild bei. Es erinnert die Einheimischen nicht nur an die eigene (idealisierte) Vergangenheit, sondern lässt die Aussiedler den Einheimischen gegenüber sogar als überlegen erscheinen. Scheinbar gemeinsam erobern die Russlanddeutschen den Raum bzw. das Dorf und sorgen dafür, dass jeder Einzelne der Gruppe sein Dach über den Kopf erhält. Ganz anders ist die Sichtweise der Einheimischen, wenn es um die Fremden als Mieter geht: Sorgten die Amerikaner höchstens für ein Kopfschütteln, wenn sie für die Katze ein Loch in die Tür sägten, im Haus alle Türen entfernten, keine Gardinen aufhängten, keine Fenster putzten oder Partys feierten und alles mit „no problem“ abtaten198, wird den Russlanddeutschen vorgeworfen, nichts zum Erhalt des Hauses oder der Wohnung beizutragen. „Da wird nichts renoviert oder sonst was. Die ziehen da ein wie sie es vor finden und ziehen auch genauso wieder aus bzw. halt dementsprechend abgenutzt. Die achten nicht darauf, es ist denen völlig scheißegal.“199 Auch die Amerikaner dürften wenig zur Instandhaltung der Wohnungen beigetragen haben. Inwiefern sie ähnliche Vorstellungen wie die Einheimischen von Sauberkeit und Ordnung hatten, bleibt unklar. Gegenüber den Russlanddeutschen werden diese Eigenschaften jedoch herausgestrichen und als Ausdruck der Differenz gewertet. So betont der in der Arbeit mit russlanddeutschen Jugendlichen engagierte Pädagoge Herr Nk: „In Büchenbeuren sind Straßenzüge, da wurden für Amerikaner Wohnungen gebaut. Also sechs, sieben und acht Familienhäuser und da wohnen jetzt nur Aussiedler drin. Die haben nicht die deutschen Gewohnheiten wie Straße kehren und Müll wegräumen. Das waren immer Ansatzpunkte für Kritik.“200 Das Beispiel „Miete“ zeigt, dass Einheimische zuweilen Normverstöße von Amerikanern und Russlanddeutschen diametral bewerten. Was bei Amerikanern als skurrile Andersartigkeit gilt, wird bei den Russlanddeutschen als Merkmal der Abgrenzung hochstilisiert.

3.3.6 „Echte Nachbarschaft“ Viele Einheimische vermieden es – wenn möglich – in der Nachbarschaft von Aussiedlern zu bauen. Die Russlanddeutschen hingegen schienen weniger Be-

198 Ebd., TS 3. 199 Ebd., TS 15. 200 Herr Nk (57 Ex), TS 7. 141

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rührungsängste zu haben. Gleichwohl blieben die Kontakte reserviert. Erst der Widerstand gegen einen Gemeinderatsbeschluss zur Straßensanierung führte in einem Teil von Sohren dazu, dass sich Russlanddeutsche und Einheimische näher kamen. „Das war natürlich am Anfang für mich schon komisch: wie reagieren die [Russlanddeutschen], wie sind die überhaupt gesonnen, können die dich überhaupt verstehen. Da bin ich halt hin und hab geklingelt. Man hat ja dann die ersten Hemmungen verloren, nachdem man so einige Häuser abgeklappert hat. […] die Frau hat dann die ganze Nachbarschaft zusammen gerufen. Innerhalb von zehn Minuten war die Küche voll. Ich saß da auf dem Stuhl und die stehen alle um mich rum und ich erkläre die ganzen Sachen noch mal und die: ‚Ah ja, gut. Wir müssen was machen, das können wir uns nicht gefallen lassen.‘ Die waren da hellauf begeistert von der Sache, dass jemand da ist, der da was macht, der sich auch um sie kümmert. Das hat auch noch mal richtig Aufwind gegeben, hat richtig Spaß gemacht.“201

Erst als es also um den eigenen, unmittelbaren Nahraum ging und der Zwang bestand, sich zu solidarisieren, kam es zu einer Annäherung. „Wenn es um Geld geht, ist ja auch jeder für so was zu haben. Und dann hatte ich wirklich innerhalb von zwei Wochen knapp 140 Unterschriften gehabt, wo ich wusste, dass die Widerspruch eingelegt haben. Eigentlich war es ja so gedacht, jeder gibt seinen Widerspruch selbst ab oder schickt ihn da zum Amt. Letztendlich haben aber die Russen alle gesammelt“,

was erneut dem Bild der Einheimischen von den Russlanddeutschen als Gruppe entsprach, „und nachher mir gegeben, als Übergabe ans Amt, was ich dann auch gemacht habe“202. Nach dieser ersten Aktion kam es dann zu weiteren Begegnungen. „Ich habe dann die ganze Siedlung kennen gelernt und bin selber bekannt geworden. Und ich habe Visitenkarten gedruckt und verteilt. Dann riefen mich Aussiedler an und denen habe ich das alles erklärt. Die waren doch recht interessiert.“203 Die Nachbarschaftsbeziehungen sind dadurch vorstellbarer geworden. „Da vorne wohnt Sch., mit denen hatten wir schon mal Party gemacht zusammen so spontan. Und hier vorne der W., der junge Russe, der da auch gebaut hat – die übernächsten Nachbarn – , die hat man vorher schon gegrüßt und jetzt halt auch regelmäßig, der ist auch schon vorher sehr umgänglich gewesen, sehr freundlich. Auch die Frau, die grüßt jetzt auch immer. Ich hab’ jetzt eigentlich alle angesprochen hier 201 Herr Ts (35 E), TS 8f. 202 Ebd. 203 Ebd., TS 9. 142

3. VOR ORT

in der Straße, und da ist auch so ein bisschen das Eis getaut. Man grüßt sich jetzt, wenn man sich sieht, aber mehr jetzt auch nicht.“204

3.3.7 Die Ortsveränderungen in der Darstellung der Medien Der Zuzug der Russlanddeutschen in die Region weckte, wie schon zuvor die Stationierung der Amerikaner, das Interesse auch überregionaler Medien. Damals, in den 1950er und 1960er Jahren berichteten die deutschen Boulevardblätter über „Lousy-Housy“205 bzw. Lautzenhausen, ein in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen gelegenes Dorf, anhand dessen anschaulich die Folgen der Stationierung einer Sieger- und Besatzungsmacht beschrieben wurden. Dort, in einem Dorf mit 200 Einwohnern, hatten sich nach dem Bau des Flugplatzes Hahn Bars und Nachtclubs etabliert, die von den amerikanischen Soldaten profitierten. In jener Zeit war von einem „sündigen Dorf“ die Rede, das sich „zum größten Puff Deutschlands“ entwickeln würde, was die Phantasie der Einheimischen wie auch die des Rests der Republik anregte.206 Die Beschreibung der Veränderungen vor Ort, die, wie bereits erwähnt, auch den Stoff für zwei Spielfilme lieferten207, war zwar allein auf Lautzenhausen fokussiert, schien aber übertragbar auf alle Orte, in denen amerikanische Soldaten beabsichtigten, sich niederzulassen. Entsprechendes Bildmaterial ergänzte die Berichterstattung und verdeutlichte anschaulich das Aufeinandertreffen zweier Welten.208

204 Ebd. 205 So lautete angeblich der Kosename der Amerikaner für Lautzenhausen. Dort kam es zur Etablierung von zahlreichen Gaststätten, Bars und Restaurants sowie von Etablissements mit Prostituierten, weswegen auch von „Klein St. Pauli“ in den Medien die Rede ist. Auch in der Badischen Zeitung erschien ein Bericht über Lautzenhausen unter der Überschrift „Dollarschwemme in den Eifeldörfern“, welchen die Rhein-Zeitung nachdruckte; Rhein-Zeitung vom 26.3.1960. 206 Vgl. Werner Stratenschulte: Ist Lautzenhausen im Hunsrück wirklich ein „sündiges Dorf“? Rhein-Zeitung vom 16. Dezember 1960; Eine Bezeichnung Lautzenhausens „als Puff Europas“ findet sich in einem Spiegel-Beitrag. Vgl. Heimliches Zubrot. In: Der Spiegel 18 (1983), S. 52. Der Ausdruck „größter Puff Deutschlands“ geht auf eine mündliche Überlieferung zurück. 207 „Schwarzer Kies“ (1960/61) und „Die Goldene Pest“ (1953); siehe hierzu Anm. 120, S. 115. 208 Siehe hierzu „Der Dollar rollt in Lautzenhausen. Mit den Raketen kamen die Vergnügungs-Manager in das Dorf. 1200 Mark Miete für Kuhstall“. In: Allgemeine Zeitung vom 29. April 1959; „Die Bar auf der Tenne.“ In: Der Stern Nr. 16 (April 1959). 143

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Abbildung 21: Zeitungsanzeige aus den 1960er Jahren

Quelle: Archiv Ortsgemeinde Lautzenhausen, ohne Datum.

Seit Beginn der 1990er Jahre dominierten dann die Russlanddeutschen die Berichterstattung und die Bilder vom Hunsrück. Wöchentlich wurde nun über die Verhältnisse in den Hunsrückdörfern berichtet, zunächst über die Erfolge, später dann immer mehr über die Schwierigkeiten mit der Integration und über die Aggressivität und Kriminalität der vor allem jugendlichen Spätaussiedler. Seitdem sind Schlagworte wie Integration und Konversion dort vielen geläufig.209 Gerade in überregionalen Medien wurden und werden Büchenbeuren und Sohren nahezu ausschließlich im Kontext von Reportagen über Aussiedler dargestellt – auch weil beide Orte als typische Hunsrückdörfer gelten, in denen das Zusammenleben mit Fremden etwas Alltägliches zu sein scheint.

209 Dazu trugen neben den Journalisten auch Studierende der Wirtschaftswissenschaften, Sozialpädagogik und Geographie bei. Sie entdeckten die Region um den ehemaligen NATO-Flughafen Hahn als Forschungsfeld, verteilten Fragebögen an die Bewohner und machten auf vielerlei Weise ihre Erhebungen. Vgl. zum Beispiel Andrea Helwing: Deutsche begegnen Deutschen – Aspekte des Integrationsprozesses deutscher Aussiedlerfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion (unveröffentlichte Diplomarbeit Koblenz 1993); Holger Wytzes: Zur Situation russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Inhaltsanalyse von Eingliederungskonzepten im Rhein-HunsrückKreis und pädagogische Konsequenzen (unveröffentlichte Diplomarbeit Düsseldorf 1996). 144

3. VOR ORT

Die Dörfer werden als „aufgeräumte Puppenstube“ beschrieben, „die Dächer aus Schiefer, die Straßen sauber, die Tage schläfrig“210, von wo aus die Pendler zur Arbeit nach Simmern, Kirchberg oder Trier fahren. „Es lebt sich ländlich ruhig hier, der Durchgangsverkehr bleibt in geziemendem Abstand auf der B50.“211 In diesem Kontext wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Region als „strukturschwach“ gelte, bei der „Argwohn und Neid an der Tagesordnung“ wären. Auch werden die Einflüsse aus dem Zusammenleben mit den Fremden oft negativ dargestellt, wie etwa die durch die Amerikaner, die nach ihrem Abzug „zahlreiche leerstehende Wohnhäuser in ihren Siedlungen“ hinterließen, wozu noch eine Einbuße von „250 Millionen Mark Kaufkraft und 2300 Arbeitsplätzen“212 komme. Später bei den Aussiedlern hieß es: „Es gibt Einbrüche, Vandalismus, mal eine Schlägerei, Drogenprobleme“ und anscheinend eine „Russenecke“ in Sohren.213 Auch das Zahlenverhältnis der Einheimischen zu den Aussiedlern wird ausführlich gewürdigt, findet sich doch in Sohren ein Aussiedleranteil von ca. 30 bis 40% bzw. 50% in Büchenbeuren. Vermittelt werden soll, dass es sich bei den Russlanddeutschen nicht um eine Minderheit handelt, die von einer Mehrheit zu integrieren sei, sondern dass die hohe Zahl Zugewanderter eine wichtige Rolle für das Zusammenleben spielt. Der Bevölkerungsanstieg wird häufig als „Wandel der Bevölkerungsstruktur“ beschrieben, dessen Auswirkungen gravierend für die Gegend gewesen seien und diese „auf den Kopf gestellt“ hätten.214 Das überwiegend negative Bild der Medien ist nicht nur auf die Zu- und Abwanderungsproblematik zurückzuführen, sondern hängt auch damit zusammen, dass hier der Eindruck von „Provinzialität“ vermittelt werden soll. Gerade dieser Begriff findet sich regelmäßig in der Berichterstattung über jene Dörfer oder ländliche Gegenden, die, auch wenn sie weniger abgelegen sind, als „gottverlassen“ erscheinen. Er ist verbunden mit Adjektiven wie „trist“, „eng“, „ärmlich“, „verödet“ und abwertend gemeinten Bezeichnungen wie „Dörfler“ oder „Landvolk“ für die Bewohner dieser Regionen. Dadurch sollen Assoziationen geweckt werden, welche die Gegend als rückständig und sogar fremdenfeindlich erscheinen lassen. Damit einhergehende Polarisierun210 Wolfgang Kohrt: Out of Kasachstan. „Wir hätten sie nicht gebraucht.“ In einem Hunsrückdorf leben zwölfhundert Spätaussiedler und die Einheimischen nebeneinander her – im besten Fall. In: Berliner Zeitung vom 17.04.2002, S. 3. 211 Christian Schnitzler: Die Amis sind weg, die Russen kommen. Auf dem Land gibt es bei der Integration der Aussiedler kaum Probleme. Ein Blick in den Hunsrück. In: Rheinischer Merkur, Nr. 26 (1994). 212 Jutta Witte: Eine Region steht Kopf. Der Zuzug von Aussiedlern hat das Leben im Hunsrück verändert. In: Hamburger Abendblatt Nr. 5 vom 7.1.1999, S. 3. 213 Kohrt: Kasachstan (wie Anm. 210, S. 145), S. 3. 214 Witte: Region (wie Anm. 212, S. 145), S. 3. 145

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gen oder gar eine dadurch ausgelöste Zuspitzung der Situation vor Ort werden dabei billig in Kauf genommen. Auch Sohren und Büchenbeuren erscheinen aus Sicht der Medien zunächst als „Bilderbuchdörfer“ mit allen Versatzstücken, die dazugehören. Zudem wird gerade in vielen Medienberichten der Eindruck vermittelt, dass mit der Provinzialität auch eine gewisse Fremdenfeindlichkeit einhergehe.

3.4 Fazit: Vor Ort In diesem Kapitel ging es zunächst um den konkreten Ort der Untersuchung, d.h. um Beschreibungen der Region Hunsrück, der Dörfer Sohren und Büchenbeuren sowie des Flugplatzes Hahn. Dabei wurden auch Identitätskonstruktionen der Einheimischen sowohl im Hinblick auf Landschaft und „Menschenschlag“ als auch im Hinblick auf „Fremde“ (Amerikaner, Russlanddeutsche) aufgezeigt. Eingegangen wurde ebenso auf das Selbstbild und Selbstverständnis der Einheimischen und ihr Bezug zur „Heimat“ (auch wie sich dies im Film „Heimat“ darstellte). Im letzten Abschnitt wurden schließlich die Veränderungen vor Ort durch den Zuzug der Russlanddeutschen thematisiert, wie sie vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im Vergleich zu den Amerikanern und auch im Hinblick auf den Einfluss der Medien bewertet worden sind. Der Zuzug der Russlanddeutschen führte aus Sicht der Einheimischen sowohl zu äußerlich wahrnehmbaren Veränderungen als auch zu weniger sichtbaren Veränderungen, die sich vor allem auf das Selbstbild und das Selbstverständnis der Einheimischen auswirkten. Diese äußeren und inneren Veränderungen korrespondierten teilweise miteinander und haben sich wechselseitig bedingt. In der Außenperspektive zählten die Präsenz der Fremden im Straßenbild sowie die öffentlichen Gebäude (Schule, Jugendzentrum) und die privaten Wohnbauten, die durch den Zuzug der Russlanddeutschen initiiert worden waren, zu den von den Einheimischen am stärksten wahrgenommenen Ortsveränderungen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass die Einheimischen die Veränderungen durch den Zuzug der Russlanddeutschen vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit den Amerikanern wahrgenommen und bewertet haben. Hierbei kam es zu einem impliziten Vergleich mit den Amerikanern, bei dem die Veränderungen vor Ort vor allem mit den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen beider Gruppen in Beziehung gesetzt worden sind: Der Zuzug der Amerikaner markierte den Beginn einer Entwicklung, durch die immer wieder neue Fremde in den Hunsrück kamen. Zwar blieb die Zahl der stationierten Soldaten weitgehend konstant, der einzelne Soldat und gegebenenfalls seine Familie wechselten jedoch in der Regel nach drei Jahren den Standort. Die 146

3. VOR ORT

Amerikaner waren zwar seit den 1950er Jahren als Gruppe ununterbrochen präsent, als Individuen jedoch nur befristet vor Ort; die Erwartungen der Einheimischen bezogen sich somit auf ihren Status als Gäste. Daher stellten die Amerikaner das Selbstverständnis sowie den Status der Einheimischen als „Alteingesessene“ auch nicht in Frage, selbst wenn es bei manchen Einheimischen zu Loyalitätskonflikten während der Zeit der Friedensdemonstrationen gekommen war. Vielmehr führte die Stationierung der amerikanischen Soldaten für viele Einheimische zu einem veränderten Selbstbild. Dabei wurden Vorstellungen der Vergangenheit, die den „rauhen und herben Charakters“ des Hunsrückers betonten, abgelöst von solchen, die auf einem Bild vom Hunsrück basierten, das diesen als Grenz- und Durchgangsgebiet charakterisierte.215 Wiederholt kam es dabei zu einem Rückschluss von der Region auf die Menschen, der zur Folge hatte, dass diese mit einer scheinbar historisch gewachsenen Fremdenfreundlichkeit in Verbindung gebracht wurde: „Der Hunsrücker Mensch, da er schon viele Invasionen und Völkerwanderungen überlebt hat, ist von Natur aus neugierig und gesellig, er will mit Fremden ins Gespräch kommen.“216 Diese Vorstellungen eines mehrfach erprobten Umgangs mit Fremden korrespondierten mit den Erfahrungen der Einheimischen vor Ort. Sie prägten immer mehr ein Selbstbild, bei dem den Amerikanern zugeschriebene Werte wie Weltoffenheit und Toleranz zunehmend übernommen wurden – auch wenn dieses Selbstbild nicht immer mit dem Handeln der Einheimischen im Einklang zu stehen scheint (wie dies z.B. in der kritischen Distanz zu den Veränderungen vor Ort durch die Russlanddeutschen zum Ausdruck kommt). Für die Einheimischen waren die Amerikaner aufgrund ihrer begrenzten Aufenthaltsdauer Gäste.217 Mit dem Gaststatus ist prinzipiell eine Rollenverteilung verbunden, bei der der Gastgeber den Grad der Annäherung bestimmt und bei der der Gastgeber „Herr der Situation“ ist und bleibt.218 Das Gegenteil vom Gaststatus ist die Überwältigung des Eigenen durch das Fremde. Hier gibt der Fremde scheinbar die Regeln der Interaktion vor. Wenn es der Frem215 Im Zuge der Französischen Revolution und der ihr nachfolgenden Revolutionskriege zwischen Frankreich und den Verbündeten Österreich und Preußen (1792-1794) wurde der Hunsrück – wie schon zu Zeiten der Römer (Ausonisustraße zwischen Mainz und Trier) – vor allem zum Durchmarschgebiet von Truppen, ein Höhenzug, der durchquert werden musste, um nach Koblenz oder Mainz zu gelangen. Entsprechend hoch waren die Belastungen für die Hunsrücker Bevölkerung durch Abgaben und Einquartierungen von Soldaten bis hin zu Plünderungen und Gewalterfahrungen. Siehe hierzu Regge: Chronik (wie Anm. 18, S. 84), S. 23f. 216 Spiegel Spezial (wie Anm. 7, S. 13), S. 4. 217 Vgl. Simmel: Exkurs (wie Anm. 8, S. 14), S. 764. 218 Vgl. Münkler und Ladwig: Dimensionen (wie Anm. 19, S. 18), S. 27. 147

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de selber ist, der Einblick in vertraute Bezirke verweigern kann, kommt darin seine Macht zum Ausdruck. Denn zu den wesentlichen Ressourcen der Machtsicherung gehört die einseitige Kontrolle über die Verfügbarkeit von Informationen. „Dadurch wird deutlich, wie eng Unvertrautheit und Exklusion miteinander verknüpft sind.“219 Die Amerikaner als Militärmacht entsprachen in dieser Hinsicht nicht der Rolle, die mit dem Gaststatus verbunden ist. Der Flugplatz Hahn unterstand amerikanischem Kommando; dessen Verfügungsgewalt – sofern es die Soldaten und ihre Familien betraf – bis in das dörfliche Umfeld hineinreichte und durch die Militärpolizei vor Ort repräsentiert wurde. Letztendlich verkörperte jeder einzelne Soldat die Präsenz der US-amerikanischen Streitmacht in der Region. Sie kontrollierten als Militärmacht das Verhältnis von Nähe und Distanz;220 ihr Machteinfluss war somit ungleich größer als der der Russlanddeutschen. Eher indirekt wurde dies vor allem von älteren Einheimischen thematisiert und auch kritisiert, insbesondere jedoch im Hinblick auf die Amerikaner als Sieger- und Besatzungsmacht der Vergangenheit. Demgegenüber waren die Rahmenbedingungen der Russlanddeutschen grundlegend andere. Vor allem die Tatsache, dass sie mit dem Anspruch kamen, dauerhaft bleiben zu wollen, führte zu anderen Erwartungen seitens der Einheimischen; die Russlanddeutschen wurden deshalb mit anderen Maßstäben gemessen, die sich stärker an den Werten und Normen der Einheimischen sowie deren Erfahrungen im Umgang mit den Amerikanern orientierten. Hinzu kam, dass sie als arm und rückständig galten. Die Möglichkeiten, direkt von ihnen zu profitieren waren (bis auf einige wenige Unternehmer vor allem in der Baubranche) begrenzt. Die Russlanddeutschen bewohnten zwar vorübergehend die zuvor leerstehenden Mietshäuser der Einheimischen, zogen aber mittelfristig in ihre neu gebauten Häuser um. Daraus resultierten unterschiedliche Bewertungen der Ortsveränderungen: Die von den Amerikanern initiierten Veränderungen, wie z.B. der Bau des Flugplatzes Hahn, die Neubauten der Einheimischen zur Vermietung an die Amerikaner, die großen Autos auf den Straßen und die damit assoziierte höhere Mobilität waren in der Retrospektive tendenziell positiv konnotiert; dagegen waren die Ortsveränderungen, die mit den Russlanddeutschen in Verbindung gebracht wurden, wie z.B. deren angeblich dauernde Präsenz auf der Straße („Herumsitzen“), die von einigen Einheimischen beschriebene Verschlechterung der Sicherheitslage vor Ort und insbesondere ihre Neubauten überwiegend negativ konnotiert. Dazu kam auch, dass viele Neuerungen jener Zeit wie die Erweiterung und Modernisierung von Kindergärten und Schulen (die Einführung einer Ganztagesschule) oder der Bau des Jugendzentrums be219 Ebd., S. 28. 220 Ebd. 148

3. VOR ORT

reits vor dem Zuzug gefordert aber nie realisiert wurden. Dass dies erst durch den Zuzug der Russlanddeutschen ermöglicht wurde, hinterließ bei vielen Einheimischen einen negativen Beigeschmack und hat nicht dazu beigetragen, sich den Vorstellungen einiger Kommunalpolitiker anzuschließen, die immer wieder von einer Bereicherung der Region durch die Russlanddeutschen sprachen und den Wandel zu einer multikulturellen Gesellschaft proklamierten.221 Gerade in der eher negativen Bewertung des Hausbaus kamen die Erwartungen und Anforderungen der Einheimischen an die Zugezogenen zum Ausdruck. Der Hausbau symbolisierte für die Einheimischen den Anspruch der Russlanddeutschen, dauerhaft bleiben zu wollen und sich „bleibende Werte“ zu schaffen. Zwar offenbarte die Bedeutung des Hausbaus auch einige Gemeinsamkeiten zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen, wie etwa der gemeinsame Wertehorizont im Hinblick auf die Schaffung von Eigentum oder beim Blick in die eigene Vergangenheit (Zusammengehörigkeitsgefühl, Sparsamkeit, Gemeinschaftsleistung, handwerkliche Kenntnisse und Fertigkeiten usw.). Doch für viele Einheimische hatten die Russlanddeutschen „zu früh“ und „zu schnell“ gebaut. Die Russlanddeutschen hätten sich zunächst um Kontakt und Nachbarschaft bemühen sollen. Auch hätten sie sich den Hausbau erst einmal „verdienen“ müssen – ähnlich wie es bei vielen Einheimischen in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Mit diesen Erwartungen unterstrichen die Einheimischen ihren Status als „Alteingesessene“ und wiesen den Russlanddeutschen jenen der „Fremden“ zu. Viele Russlanddeutsche erfüllten jedoch diese Erwartungen nicht und ihr Verhalten entsprach nicht dem ihnen zugewiesenen Status als Fremde, was wiederum bei vielen Einheimischen zu einem Gefühl der Fremdheit und Angst vor Marginalisierung der eigenen Gruppe führte. Dieses Gefühl beschreibt Herr Lz, der gemeinsam mit seiner Frau in Büchenbeuren lebt: „Früher, da kannte man noch jeden, der hier wohnte. Da war man Hirschfelder oder Büchenbeurener und heute kennt man doch viele nicht mehr. Für die Dorfgemein-

221 Was auf kommunalpolitischer Ebene immer noch als Vision einer neuen Gesellschaft versucht wird zu vermitteln, ist inzwischen mehrfach kritisiert worden. Denn beim Multikulturalismus wird die Fiktion nationaler Homogenität lediglich abgelöst von der Konstruktion ethnischer Heterogenität und eben nicht z.B. der sozialen Lage, ökonomischer Interessen oder politischen Überzeugungen als gesellschaftskonstituierende Prinzipien Rechnung getragen. „Die den Nationalismus stützende Idee der Unhintergehbarkeit ethnischer Bindung lebt im Multikulturalismus in multiplizierter Form fort.“ Radtke: Fremde (wie Anm. 5, S. 36), S. 341. Der Begriff stützt dabei die Illusion von klar abgegrenzten Gruppen, die zwar nebeneinander existieren, deren Überschneidungen aber implizit negiert werden. 149

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schaft ist das schlecht. Wenn die [Russlanddeutschen] dann auch noch so viele sind, da werden wir immer weniger. Denn die sind einig miteinander.“222

Durch diese Wahrnehmungen und Bewertungen kam es zu Irritationen des Selbstbildes vom „offenen und toleranten Hunsrücker“, was auch durch entsprechende Berichte in den Medien gestützt wurde, die zunehmend kritischer über das Verhältnis von Einheimischen und Russlanddeutschen berichteten. Vor allem der Wandel im Gefühl der Zugehörigkeit bzw. der Identifikation mit dem Ort, der für die Einheimischen zunehmend spürbarer wurde, trug dazu bei, dass sich die Einheimischen immer mehr in ihrem Selbstverständnis und ihrem Status herausgefordert fühlten. Zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen bestand eine ungleiche Machtbalance, wie sie von Elias und Scotson als Kern einer Figuration von Etablierten und Außenseitern beschrieben worden ist.223 Der Machtüberschuss der Etablierten kann dabei auf verschiedenen Machtquellen beruhen u.a. in Gruppenkohäsion und kollektiver Identifikation. Gegenüber den Russlanddeutschen dominierte bei den Einheimischen ein Wir-Gefühl, das wie überall in Westeuropa sich bislang nicht nur seiner wirtschaftlichen und politischen Statusüberlegenheit gewiss sein konnte, sondern auch ein Zivilisationsgefälle zwischen den Gesellschaften des Westens und Ostens unterstellte. Aus diesem Grund war im Zusammenleben mit den Russlanddeutschen von vornherein ein Konfliktmuster angelegt, welches das Ost-West-Verhältnis auf der Ebene „Etablierte-Außenseiter-Beziehungen“ reproduzierte und Konstruktionen des Fremden maßgeblich beeinflusste. Insgesamt wurden der Zuzug der Russlanddeutschen und die damit verbundenen Veränderungen vor Ort im Vergleich zur Präsenz der Amerikaner negativer bewertet; die Veränderungen wurden deshalb auch als tiefgreifender und nachhaltiger erlebt. Die Erinnerungen an die Amerikaner bilden somit die Folie für die Wahrnehmung der Differenz, d.h. die Unterschiede der Russlanddeutschen werden durch den Vergleich mit den Amerikanern stärker akzentuiert wahrgenommen. Was heißt das nun für das Verhältnis von Einheimischen und Russlanddeutschen, für Zuschreibungen von Fremdheit und für das Zusammenleben vor Ort? Dies wird nun im folgenden Kapitel analysiert.

222 Herr Lz (66 E), TS 12. 223 Elias und Scotson: Etablierte (wie Anm. 164, S. 71). 150

4. Einheimische und Fremde In diesem Kapitel geht es um das Verhältnis von Einheimischen und Fremden generell und um Zuschreibungen von Fremdheit im Hinblick auf Amerikaner und Russlanddeutsche sowie um die Folgen dieser Zuschreibungen für das Zusammenleben von Einheimischen und Russlanddeutschen im Alltag. Dabei steht der explizite Vergleich der Einheimischen im Mittelpunkt der Analyse. Die Analyse des Vergleichs gibt Einblick in die kollektiven Wandlungsprozesse des Bewusstseins und des Alltagshandelns.1 Letztendlich soll dabei der Einfluss der Präsenz von Amerikanern und Russlanddeutschen auf die Identitätskonstruktionen der Einheimischen herausgearbeitet werden. Wie bereits im zweiten Kapitel ausführlich erörtert, ist Fremdheit ein „Etikett“ oder „Label“, welches zugeschrieben wird. Dabei handelt es sich nicht allein um eine Konstatierung von Gegebenheiten, vielmehr sind Etikettierungen Operationen, bei denen mit Unterscheidungen gearbeitet wird und deren Urheber die Etikettierenden sind. Nach Hahn kommt es deshalb „ohne die Definition eines Unterschieds zwischen ‚uns‘ und den ‚anderen‘ (zu) keine(n) Fremden. Häufig ist den Beteiligten jedoch nicht bewusst, dass es sich hierbei um Zuschreibungen handelt; diese erscheinen vielmehr als „,naturwüchsige‘ Differenzen.“ Für ihn machen nicht die Unterschiede jemanden zum Fremden, sondern die institutionalisierte Fremdheit, „die zur Wahrnehmung und Dramatisierung von Unterschieden führt.“ Für Hahn gehören diese Unterscheidungskriterien zu Momenten der partizipativen Identität, bei der sich Individuen selber als „Einheimische“ oder „Fremde“ definieren.2 Somit handelt es sich beim Verhältnis von Einheimischen zu Fremden nicht nur um 1

2

In der Gruppe der interviewten Einheimischen gab es durchaus differenzierte Aussagen und Vergleiche über Amerikaner und Russlanddeutsche, vor allem bestimmt durch die persönliche Intensität des Kontakts und die damit verbundenen Erfahrungen sowie von der persönlichen Interessenlage der Einheimischen. Gleichwohl konnten typische oder tendenzielle Aussagen und Vergleiche identifiziert werden, die der Darstellung des Zusammenlebens mit den Fremden zugrunde gelegt wurden. Vgl. Hahn: „Partizipative“ Identitäten (wie Anm. 31, S. 41), S. 134f. 151

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ein reziprokes Verhältnis „in dem Sinne, dass zwei Gruppen einander fremd sind, sondern, die Beteiligten haben sich darüber verständigt, wer ‚zu Hause‘ und wer ‚in der Fremde‘ ist“3. Eine wichtige Rolle bei diesen Aushandlungsprozessen spielt dabei die Wahrnehmung, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Sie ist immer Sinnkonstruktion, d.h. es geht nicht darum, wie andere wirklich sind, sondern wie sie wahrgenommen werden und wie diese Wahrnehmungen gedeutet und in Handeln umgesetzt werden. Die Wahrnehmung und Zuschreibung von Eigenschaften (Attribution) bezieht sich dabei zuerst auf das unmittelbar mit den Sinnen Fassbare: Das Außergewöhnliche rangiert vor dem Normalen, die Differenz wird vor der Ähnlichkeit oder Gleichheit wahrgenommen. Denn „beim Aufeinandertreffen differenter Kategorien [Werte, Normen, Verhaltensweisen usw.] d.h. bei kategorieller Diskrepanz, wird die Beurteilung und Bewertung der ‚Anderen‘ stets aus dem eigenen Werte- und Normensystem vorgenommen […]. Stereotype Bewertungen sind damit das Resultat der Erfahrung nicht zueinander passender Kategorien.“4

Als fremd erscheint somit das, was anders ist oder dem Anderssein zugeschrieben wird, „was uns unvertraut, unbekannt, neu und unerforscht vorkommt“5. Dahinter verbergen sich aber auch oft Selbstbeschreibungen, was nicht immer ausdrücklich bewusst oder thematisiert wird. „In der Ausgrenzung von Fremden und Fremdem wird also immer nur ein Merkmal oder ein Bündel von Eigentümlichkeiten herausgegriffen, von denen man sich expressis verbis distanziert. Man selber aber ist diese Distanz.“6 Darüber hinaus wird aber auch das herausgefiltert, was sich mit Bekanntem, insbesondere mit gefühlsbetonten Erinnerungen verknüpfen lässt, nach der Devise: „Man sieht nur was man weiß.“7 Die Realität wird deshalb nach Hinweisen abgesucht, welche die bisherigen Erwartungen eher bestätigen als widerlegen. Somit hängt das, was und wie wir etwas wahrnehmen und deuten auch mit unserem Wissen darüber zusammen, denn im Fremden und in der

3 4

5 6 7

Vgl. Hahn: Die soziale Konstruktion (wie Anm. 27, S. 21), S. 151. Klaus Roth: „Bilder in den Köpfen.“ Stereotypen, Mythen, Identitäten aus ethnologischer Sicht. In: Valeria Heuberger, Arnold Suppan und Elisabeth Vyslonzil (Hrsg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen. Frankfurt am Main 1999, S. 21-44, hier S. 31f. Hahn: Die soziale Konstruktion (wie Anm. 27, S. 21), S. 142. Hahn: „Partizipative“ Identitäten (wie Anm. 31, S. 41), S. 115. Wolf Wagner: Fremde Kulturen wahrnehmen. Erfurt 1997, S. 12.

152

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Abgrenzung zu ihm erkennen, beschreiben und bestätigen wir uns immer selbst.8 Stereotypisierungen tragen dazu bei, die Komplexität der realen Lebenswelt und der Wahrnehmung zu reduzieren. Sie dienen als Ordnungssystem der kognitiven Orientierung und haben eine psychohygienische Funktion, indem sie u.a. Identifikationsmöglichkeiten anbieten, über die neue Realbezüge entstehen können. Darüber hinaus fungieren sie als soziale Anpassungs- und Abgrenzungssysteme.9 „Stereotypen betreffen somit sowohl die Identität des Individuums als auch jene von Gruppen, denn die Definition des Selbst beinhaltet stets auch die Definition des Nicht-Selbst, der anderen.“10 Sie können dann notwendig und hilfreich sein, wenn sie bewusst sind, deskriptiv und nicht wertend verwandt werden, um so einer ersten Annäherung zu dienen.11 Am konkreten Fall wird nun überprüft, wie sich dies im Einzelnen vor Ort darstellte, und zwar in Bezug auf • die Wahrnehmungsmuster der Einheimischen im Hinblick auf Amerikaner und Russlanddeutsche, • die Zuschreibungen von Fremdheit im Hinblick auf Amerikaner und Russlanddeutsche, • die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beim expliziten Vergleich zwischen Einheimischen, Amerikanern und Russlanddeutschen und um die Wechselwirkungen mit der Berichterstattung der Medien (kollektive Deutungs- und Wertungsmuster sowie Sinnbildungsprozesse) sowie dem Selbstbild der Fremden, • und um die Auswirkungen auf Konstruktionen von eigen und fremd bzw. von Identität und Alterität (regional/lokal) der Einheimischen. Die Analyse folgt der Chronologie, d.h. zunächst geht es um die Erinnerungen der Einheimischen an die amerikanischen Soldaten, dann um die Wahrnehmung der russlanddeutschen Aussiedler in der Gegenwart. Als Einleitung wird dabei zunächst jeweils ein kurzer Abriss über entsprechende Darstellungen in der Literatur mit einer Abgrenzung zur vorliegenden Arbeit gegeben. Auf der Grundlage der Analyse der Wahrnehmungen werden dann die Zuschreibungen von Fremdheit herausgearbeitet.

8

Vgl. Stephen Greenblatt: Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker. Berlin 1994, S. 27. 9 Roth: „Bilder in den Köpfen“ (wie Anm. 4, S. 152), S. 33f. 10 Ebd., S. 35. 11 Ebd., S. 39. 153

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4 . 1 E r i n n e r u n g e n : Am e r i k a n e r Generell gibt es nur wenige Studien über die amerikanische Truppenstationierung in Deutschland, die das Zusammenleben von amerikanischen GIs mit der einheimischen Bevölkerung ausführlich thematisieren.12 Dies hängt vor allem damit zusammen, dass hier – im Gegensatz zu anderen Gruppen zugezogener Fremder – eine Einbindung oder gar Integration der amerikanischen Soldaten vor Ort weder vorgesehen war noch zur Debatte stand. Vor diesem Hintergrund erübrigten sich von vornherein bestimmte Fragestellungen zum Umgang und über das Zusammenleben mit Amerikanern, die sonst bei zugezogenen Fremden untersucht werden.13 Zudem erschwerten die teilweise unzugängliche Datenlage sowie die Abschottung der Militärbasen, deren strenge Sicherheitsvorkehrungen und Geheimhaltungsauflagen einen wissenschaftlichen Zugang.14 Auch galt die Thematik der amerikanischen Truppenstationierung in der Bundesrepublik Deutschland als politisch brisant und wurde kontrovers diskutiert insbesondere seit dem NATO Doppelbeschluss 1979 und den damit zusammenhängenden Protesten im Kontext der Friedensbewegung. Dies sowie generelle Vorbehalte der Sozial- und Kulturwissenschaften gegenüber der Erforschung des Militärischen insbesondere im Kontext amerikanischer Truppenstationierungen in der Bundesrepublik Deutschland trugen dazu bei, dass dieser Themenkomplex wissenschaftlich fast mit einem Tabu belegt zu sein schien.15 Von daher konzentrieren sich die meisten Arbeiten 12 Auch in der Nachkriegszeit gab es nur vereinzelt Arbeiten, die das Zusammenleben von Einheimischen mit Amerikanern während der Besatzung thematisieren. Hier ist vor allem auf die Studie von David Rodnick: Postwar Germans. An Anthropologist’s Account. New Haven 1948 hinzuweisen. Die Arbeit entstand im Auftrag der amerikanischen Information Control Division und sollte das Verhältnis der Nachkriegsdeutschen zur Demokratie und zum Nationalsozialismus feststellen. Rodnick suchte vor allem in der (protestantischen) deutschen Kindererziehung nach Erklärungen für das Geschehene. Vgl. Jens Schneider: Deutsch sein. Das Eigene, das Fremde und die Vergangenheit im Selbstbild des vereinten Deutschland. Frankfurt am Main und New York 2001, S. 59. 13 Eine Ausnahme bilden hier die Arbeiten von Hans Becker und Joachim Burdack: Amerikaner in Bamberg. Eine ethnische Minorität zwischen Segregation und Integration. Bamberg 1987; Heinz-Ulrich Kohr und Harald Standl: Akzeptanz oder Integration? Soldaten in Amberg. Sozialgeographische und soziologische Untersuchungen zur Lebenssituation von Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr und der US-Streitkräfte in Amberg. München 1990. 14 Vgl. Signe Seiler: Die GIs. Amerikanische Soldaten in Deutschland. Reinbek 1985. 15 Demgegenüber finden sich eher Arbeiten, die sich mit den DeutschAmerikanischen Beziehungen beschäftigen oder sich mit den unterschiedlichen Formen und Folgen der Amerikanisierung auseinandersetzen. Siehe hierzu: Heinz Bude und Bernd Greiner (Hrsg.): Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik. Hamburg 1999; Anselm Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die 154

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

entweder auf die räumlichen und wirtschaftlichen Folgen der amerikanischen Truppenpräsenz16 oder sie widmen sich überwiegend den Protagonisten der Besatzungs- bzw. Stationierungszeit, den so genannten „Veronikas“, „Fräuleins“ und „GIs“.17 Überblicksdarstellungen, wie der 1995 von dem Mainzer Amerikanisten Winfried Herget herausgegebene Band „Nachbar Amerika“, der die Ergebnisse eines Forschungsprojektes über „Amerikaner in Rheinland-Pfalz“ zusammenfasst, sind eher selten. Darin wird aus unterschiedlicher Perspektive ein Fazit der damals bereits über 50 Jahre andauernden Stationierung von Amerikanern in Rheinland-Pfalz gezogen. Die Darstellung reicht vom Einmarsch der Amerikaner über Beschreibungen der Truppenstärke und Truppenstandorte bis hin zu gesellschaftlichen Aspekten, bei denen die US-Streitkräfte als Arbeitgeber sowie das alltägliche Zusammenleben mit den Amerikanern und deren Wahrnehmung durch die rheinland-pfälzische Bevölkerung thematisiert werden. Zwar geht es dabei auch um die inzwischen bekannten Wahrnehmungsmuster der Einheimischen in Bezug auf Amerikaner im Allgemeinen (große Autos, bunte Kleidung) und es werden auch die gängigen Stereotypisierungen von amerikanischer Lockerheit, Kontaktfreudigkeit, Offenheit und Kommunikationsfähigkeit aufgezählt. Insgesamt bleibt aber die Darstellung sowohl der amerikanischen Soldaten wie auch der einheimischen Bevölkerung weitgehend im Allgemeinen und wird nur selten konkret oder verweist gar auf Gewährspersonen bzw. Zeitzeugen. Von daher erscheint auch Hergets Interpretation der positiven Bewertung der Amerikaner durch die Einheimischen, die trotz Lärmbelästigung und Landverlust an ihrem Urteil festhalten, letztendlich lapidar, wenn er diese mit der Notwendigkeit und Bereitschaft der

Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert. Göttingen 1999; Lüdtke u.a. (Hrsg.): Amerikanisierung (wie Anm. 72, S. 49); Kaspar Maase: Bravo Amerika. Erkundungen zur Jugendkultur der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren. Hamburg 1992; Jarausch und Sigrist (Hrsg.): Amerikanisierung und Sowjetisierung (wie Anm. 70, S. 48). 16 Siehe hierzu Stefan Spitzer: Die Raumwirksamkeit von militärischen Standorten unter dem Aspekt des Raumbedarfs und der Raumbelastung. Untersuchungsgebiet Hunsrück. Euskirchen 1992; Claudius Moseler: Liegenschaftskonversion in Rheinland-Pfalz. Geographische Untersuchung zu den Entwicklungschancen bei der Umnutzung aufgelassener militärischer Liegenschaften. Mainz 1996; Rainer Brüderle: Die wirtschaftliche Bedeutung des militärischen Sektors für die Städte und Kreise in Rheinland-Pfalz. Ein Vergleich mit militärischen Standorten in anderen Bundesländern. Mainz 1990; Hartmut Bebermeyer: Wirtschaftsfaktor US-Streitkräfte. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der Stationierung. In: Detlef Greiswelle und Wilfried Schlau (Hrsg.): Alliierte Truppen in der Bundesrepublik Deutschland (= Vorträge und Beiträge der Politischen Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V). Bonn 1990. 17 Höhn: GIs (wie Anm. 161, S. 129); Annette Brauerhoch: Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte. Frankfurt am Main und Basel 2006. 155

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Einheimischen, sich mit dem Militär und dessen Bedürfnissen zu arrangieren, erklärt. Neben diesem Sammelband, der 1996 durch eine weitere Publikation zum gleichen Thema ergänzt wurde,18 schien das Thema gerade nach dem umfassenden Truppenabzug Anfang der 1990er Jahre zumindest bei Studierenden der Volkskunde/Europäische Ethnologie auf Interesse zu stoßen und wurde zum Thema einiger Magisterarbeiten.19 Auch die Mainzer Dissertation von Martina Schommer ist in diesem Kontext zu nennen, die den Alltag von Amerikanern und Einheimischen in den Fokus nimmt und dabei aufzeigen will, welche Kontaktmöglichkeiten und Konfliktpotenziale sich hierbei ergeben können.20 Ihre Gesprächspartner schildern darin das Zusammenleben mit den Amerikanern als ein „gut funktionierendes Nebeneinander“, ohne dass ein Bedürfnis danach bestanden hätte, dieses in ein „Miteinander umzuwandeln“21. Neun der insgesamt 20 Interviewpartner verglichen zudem die Anwesenheit der Amerikaner mit der von russlanddeutschen Aussiedlern im Ort und bewerten diejenige der Amerikaner eindeutig höher, was, wie zu erwarten war, auf die ökonomischen Vorteile durch die Amerikaner zurückgeführt wurde. Die Arbeit von Schommer konzentriert sich auf eine überwiegend deskriptive Darstellung insbesondere der Hetero- und Autostereotype. Dabei geht sie nur am Rande darauf ein, wie das Zusammenleben mit den amerikanischen Soldaten das Selbstverständnis und Selbstbild der Einheimischen beeinflusste.22 18 Herget (Hrsg.): Amerika in Rheinland-Pfalz (wie Anm. 120, S. 115). 19 Siehe hierzu die unveröffentlichten Magisterarbeiten von Tina Hoekstra: Der Deutsch-Amerikanische Frauenclub Nürnberg-Fürth. Geschichte, Organisation, Struktur, Aktivitäten und Zukunftsaussichten (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Erlangen-Nürnberg 1992); Petra Ziegler: Amerikaner in Bamberg (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Münster 1993); Gabriele Koppe-Bloyd: U.S. Army, Europa und deutsche Kultur. Eine Jahresanalyse von 1993 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Mainz 1999). 20 Martina Schommer: Binsfeld und die Base. Eine Gemeindestudie über den Alltag mit Amerikanern. Münster 2005. 21 Ebd., S. 269. 22 Schommer selbst erhebt den Anspruch, mit ihrer Arbeit den Raum „zwischen den Kulturen“ erforschen zu wollen, um dadurch zu einem tiefergehenden Verständnis der eigenen Kultur beitragen zu können. Ihre Arbeit bestätigt jedoch bereits viel Bekanntes. Siehe hierzu etwa Winfried Herget: „Die Amis“: Amerikaner in der Wahrnehmung der rheinland-pfälzischen Bevölkerung. In: Ders. (Hrsg.): Nachbar Amerika (wie Anm. 23, S. 88), S. 225-235, hier S. 230; Sabine Zinn-Thomas: Herausforderung Fremdheit. Zwischen Abweisung und Aneignung. In: Silke Göttsch und Christel Köhle-Hezinger (Hrsg.): Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als Orientierung. 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Jena 2001. Münster u.a. 2003, S. 159-166, hier S. 165. 156

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass Untersuchungen über das Zusammenleben von amerikanischen Soldaten mit Einheimischen weder die Perspektive eines Umgangs mit Fremdheit dezidiert berücksichtigen noch den Veränderungen vor Ort durch die Truppenstationierung besonders Rechnung tragen. Vielmehr werden die Beiträge dominiert von der Präsentation der unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im Hinblick auf die Amerikaner ohne diese anschließend weiter in Beziehung zu setzen oder gar mit anderen Gruppen von Fremden zu vergleichen, wie dies in der vorliegenden Arbeit der Fall ist. Im Folgenden geht es zwar auch um Wahrnehmungsund Deutungsmuster von Einheimischen, bei denen es im Hinblick auf die Amerikaner sicherlich zu Überschneidungen mit der einschlägigen Literatur kommen kann, diese werden jedoch anschließend zu denjenigen von russlanddeutschen Aussiedlern in Beziehung gesetzt. Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung der Vergleiche von Einheimischen und deren Funktion für die Zuschreibung von Fremdheit sowie deren Rolle bei der Konstruktion von Identität.

4.1.1 „Amis“ Das Bild der Einheimischen von den Amerikanern wurde maßgeblich durch das Verhalten der amerikanischen Soldaten auf dem Flugplatz Hahn und in den umliegenden Dörfern geprägt.23 Von daher bezieht sich die Zuschreibung „Amerikaner“ zunächst auf die Militärangehörigen und erst in zweiter Linie auf die Einwohner der USA. Auch wird häufig die singuläre Form „der Amerikaner“ verwendet, wenn von „den Amerikanern“ als Gruppe die Rede ist. In den Vorstellungen und Ansichten der Einheimischen werden beide Ebenen jedoch häufig miteinander vermischt, so dass es nicht immer eindeutig zu identifizieren war, auf wen sich die Interviewpartner beziehen. Im Kürzel „Amis“ kommt dies zum Ausdruck. Es bezeichnete während der Zeit des Kalten Krieges diejenigen, die von ihrer Herkunft her zwar Amerikaner waren, jedoch in erster Linie als Soldaten bzw. in der Anfangszeit als Besatzer und später auch als Beschützer wahrgenommen wurden. Für die Einheimischen verkörperten sie mangels Vergleichs die Amerikaner schlechthin. „Die kamen hierher als Besatzungsmacht. Da war der Amerikaner und hier die Deutschen, das waren zwei verschiedene Kulturen, die sich vor allem durch den unterschiedlichen Wohlstand unterschieden. Da war in den Anfangsjahren auch nicht 23 Mit der Zeit wandelte sich das Bild und wurde nicht nur von den Amerikanern als Soldaten geprägt, sondern auch durch die Einblicke der Einheimischen in das Leben der Amerikaner etwa als Mieter auf den Dörfern. Vgl. Herget: „Die Amis“ (wie Anm. 22, S. 156), S. 227. 157

FREMDE VOR ORT

alles Gold, was glänzt. Nicht wie das jetzt in den letzten Jahren war, unsere Freunde und so“,

relativiert der Landwirt Herr Lz, der mit seiner Frau in Büchenbeuren wohnt.24

4.1.2 Soldaten Als Soldaten hinterließen die Amerikaner als Gruppe bei den Einheimischen einen eher gemischten Eindruck. Dieser differiert von Generation zu Generation und ist abhängig von der Dauer des Zusammenlebens. Generell kam es innerhalb der Gruppe der Einheimischen in Bezug auf die Stationierung der Amerikaner zu einer Generationenverzerrung und sozialen Differenzierung. Einheimische, welche als Heranwachsende in den 1950er und 1960er Jahren den Zuzug der Amerikaner erlebt hatten, wie auch diejenigen, die mit den Amerikanern groß geworden und heute zwischen 35 und 45 Jahre alt sind, zeichneten ein insgesamt positives Bild von der Zeit der Stationierung.25 Demgegenüber artikulierte die Gruppe der Experten (Politiker, Lehrer, Pfarrer, Geschäftsleute) ein wesentlich kritischeres Urteil über das Zusammenleben mit den Amerikanern als der „Durchschnittseinheimische“. Retrospektiv unterschieden die Einheimischen zwischen den Amerikanern aus der Anfangszeit der Stationierung, und jenen, die erst viel später kamen. So betont etwa die Geschäftsinhaberin Frau Wr: „Die ersten Amerikaner, die auf den Hunsrück kamen, das waren die Besten, feine Leute. Später waren es dann mehr Sozialschwache.“26 In diesem Kontext wird häufig betont, dass es sich um eine Berufsarmee handele, womit assoziiert wurde, dass deren Mannschaftsdienstgerade oft nur eine mangelhafte Schulbildung vorweisen würden und das Militär als „Sammelbecken für sozial schwierige Menschen“27 fungiere. „Das waren meistens junge Burschen. In Amerika sind die sehr dumm gehalten worden. Entsprechend wurden auch wir Deutschen hingestellt. Die haben gemeint, wir würden noch alle auf dem Plumpsklo hocken, hätten die Welt mit Brettern zugenagelt und sie könnten uns die Kultur bringen.“28 Auch der Sohrener Herr Ts beschreibt diesen Eindruck, wenn er meint, dass der eine oder andere Amerikaner noch nicht einmal gewusst hätte, ob er nun in „East-“ oder „West-Germany“ gelandet sei.29

24 Herr Lz (66 E), TS 6. 25 Vgl. hierzu die Ausführungen zu „Amerikanisierung“ in Kapitel 2. 26 Frau Wr (60 EG), TS 9. Dies korrespondiert mit einer generell zunehmend kritischen Sicht auf die Amerikaner in vielen Ländern und Bevölkerungsgruppen. 27 Herr Ht (55 Ex), TS 20. 28 Herr Lz (66 E), TS 7. 29 Herr Ts (38 E), TS 10. 158

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

In späteren Jahren bezog sich die Ablehnung der Einheimischen vor allem auf den geringeren sozialen Status der Soldaten. „Die waren fremd. Die hatten ja auch überwiegend keine Berufe. Die waren bei der Army, aber die hatten nichts gelernt und wenn die dann hier in Deutschland blieben, dann waren sie Hilfsarbeiter.“30 Die Luftwaffe- bzw. Air-Force-Angehörigen, die innerhalb des Militärs ein hohes Ansehen hatten, und zu denen die meisten auf dem Hahn stationierten Soldaten gehörten, wurden in diesem Zusammenhang oft als etwas Besonderes dargestellt.

4.1.3 „Weiße und Schwarze“ Die Vorstellungen der Einheimischen von den Amerikanern waren vor allem auf „weiße“ Amerikaner fokussiert. Schwarze, asiatisch- oder lateinamerikanisch aussehende Soldaten schienen davon ausgenommen. Sie galten als besonders fremd. „Das war auch der erste Kontakt, den man mit Negern hatte. Ich konnte immer nicht feststellen, wie man die unterscheiden sollte, die waren für mich schwarz und ansonsten [lacht] hab’ ich immer gedacht, da sieht einer aus wie der andere!“31 Dabei wurde jedoch betont, dass man sich – im Gegensatz zu vielen weißen Amerikanern – ihnen gegenüber genauso tolerant und offen verhalten habe wie gegenüber weißen Amerikanern. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang auch, sich dem allgemeinen Sprachduktus angepasst zu haben. „Die Amis selber haben immer Dunkle gesagt und dann hatten wir uns das angewöhnt. Wir haben nicht Schwarze gesagt. Und die haben uns verstanden, die konnten viel schneller Deutsch als die anderen. Die Dunklen waren sehr, sehr fleißig und haben gelernt! Auch in der Schule. Die haben die Tests auch bestanden und alles so. […] Wir hatten keine Probleme mit denen und auch keine Angst.“32

Die offensichtliche Verwunderung darüber, dass sich die „Dunklen“ genauso verhielten wie die anderen Amerikaner legt den Eindruck nahe, dass Schwarze immer noch anders gesehen und erlebt wurden als weiße Amerikaner.33 In den Dörfern waren schwarze Amerikanern eher selten präsent. Die meisten Vorurteile in Bezug auf schwarze Amerikaner und besonders die Vorstellung, dass sie anders riechen würden, seien vor allem von weißen Amerikanern selbst gepflegt worden. So wird von Einheimischen immer wieder erzählt, dass in Wohnungen, in denen vorher Schwarze gewohnt hätten, später keine weißen Amerikaner mehr eingezogen wären. „Die sind in die 30 31 32 33

Frau Th (53 E), TS 10. Ebd., TS 5. Frau Gn (60 E), TS 4f. Siehe hierzu auch Herget: „Die Amis“ (wie Anm. 22, S. 156), S. 230f. 159

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Wohnungen nicht mehr rein, wo die [Schwarzen] drin waren. Die haben gesagt, die stinken, und in die Wohnungen kämen sie nicht rein. Deswegen haben dann auch die Vermieter gesagt, nein, da nehmen wir keine!“34 Den anderen, fremden Geruch meinen auch einige Einheimische wahrgenommen zu haben. In ihrer Darstellung bemühen sie sich jedoch, dies möglichst harmlos erscheinen zu lassen. „Die riechen ja, aber die können ja nichts dafür. Das ist eine bestimmte Ausdünstung des Menschen, ist bisschen süß! Ich hab’ genäht da oben und wenn ich eine Uniform in der Hand hatte, wusste ich, von wem die war.“35 Schwarze Soldaten der US-Streitkräfte wurden in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger argwöhnisch beäugt und als exotisch empfunden. Dies offensichtlich negieren zu wollen bzw. die eigene Toleranz herauszustellen, bestätigt letztendlich nur die immer noch besondere Position, die die Einheimischen den schwarzen Amerikanern zugewiesen haben.

4.1.4 „Reich, modern und mobil“ Stereotype Vorstellungen von den Amerikanern als reich oder wohlhabend und modern basierten überwiegend auf den Erfahrungen der älteren Generation und stammten aus der Nachkriegszeit. Bilder von Kaugummi kauenden oder Zigarette rauchenden amerikanischen Soldaten prägten die Vorstellungen von den Amerikanern und wurden Teil des kollektiven Gedächtnisses.36 Sie wirken bis in die Gegenwart hinein und sind verantwortlich für das nach wie vor überwiegend positive Bild vieler Einheimischer von den Amerikanern. Von solch positiven Begegnungen erzählt der ehemalige Sohrener Politiker Herr Ml: „Da gab es meterlange Kippen, die auf der Straße lagen, wo die herfuhren. Da gab es Kaugummi für die Kinder und Schokolade. Die haben sich auf irgendeine Art und Weise immer Freunde gemacht.“37 Hinzu kamen Vorstellungen, die entgegengesetzt zum eigenen Verhalten standen, wie etwa das Thema Sparsamkeit. „Das Geld wurde ausgegeben. Wenn die ‚payday‘ hatten, wurde das Geld geholt und dann haste das außen auch gemerkt. Dann waren die Gaststätten voll. Und dann wurde richtig eingekauft.“38 „[…] Die Amis, die haben im Geld geschwommen und gedacht, dass sie damals die Könige gewesen wären.“39 „[…] Die haben ja rund ums Jahr gefeiert, da war jedes Hotel hier ausgebucht. Die Säle und alles und da haben die hier wirklich die Sau raus gelassen! Da spielte Geld keine Rolle, al34 35 36 37 38 39

Frau Th (53 E), TS 5. Frau Gn (60 E), TS 4. Siehe hierzu Herget: „Die Amis“ (wie Anm. 22, S. 156), S. 225. Herr Ml (70 Ex), TS 2. Frau Kz (48 E), TS 25. Herr Lz (66 E), TS 8.

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4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

so wirklich nicht“, vertritt auch der Sohrener Geschäftsinhaber Herr Sr diese Ansicht und erklärt weiter:40 „[…] Die Amerikaner waren die Eier legende Wollmilchsau. Jeder hat von denen profitiert, ob er es wollte oder nicht. Auch menschlich, von ihrer Art zu leben, das hat irgendwie abgefärbt.“41 Als modern galten die Amerikaner in den meisten Fällen wegen ihres ungewohnten, von den Einheimischen als „unkompliziert“ beschriebenen Lebensstils. Dieser kam in vielen Bereichen zum Ausdruck und bezog sich auf „ungebügelte Kleidung“, auf sogenannte „Bottle-Parties“42, bei denen jeder etwas zu trinken mitbrachte, auf eine unkonventionelle Wohnungseinrichtung, etwa mit Küchentheke.43 Oder aber auch auf den Umgang mit Kindern, die überallhin mitgenommen wurden, weil keine Großeltern da waren, die abends auf die Kinder hätten aufpassen können.44 „Die Amis haben die Moderne gebracht in Form von Kühlschränken, TV-Serien und westlichem Denken.“45 Ein weiteres Beispiel, das aufgeführt wurde, um den Wohlstand der Amerikaner zu illustrieren, beschreibt, wie Einheimische auf die Müllkippe gefahren seien und die Gläser mit dem Drehverschluss gesammelt hätten, um sie als Einmachgläser zu verwenden. „Da haben die sich die Gläser geholt, und sie zu Hause gespült und konnten nicht verstehen, was die alles wegwerfen.“46 Von den meisten einheimischen Interviewpartnern wurde vieles, was den Konsumbereich betraf und von den Amerikanern kam, als „besser“ angesehen, egal ob es sich dabei um Nahrungsmittel wie Eiscreme, „Turkeys“, Popcorn oder um Körperpflege- und Haushaltsprodukte wie Cremes, Toilettenpapier oder Raumsprays handelte.47 Die Vorstellung, dass die Amerikaner die Zukunft verkörperten, hing auch damit zusammen, „dass wir jetzt noch mit vielen Dingen auf dem Stand sind, auf dem die Amerikaner vor zehn oder zwanzig Jahren waren“48. Als Beispiel wurden Dosensuppen und die Großtankstelle mit 24-Stunden Service genannt. Den Amerikanern habe man sich nähern wollen, weil das, was sie hatten, erstrebenswert erschien. Und diese Einschätzungen sind gegensätzlich zu den Urteilen über die Russlanddeutschen, denn die Amerikaner hätten nicht für Probleme gesorgt.49 Im Gegenteil, sie hatten den Einheimischen einiges zu

40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Herr Sr (44 EG), TS 5. Ebd., TS 16. Herr Lz (66 E), TS 21. Vgl. Frau Kz (48 E), TS 24. Vgl. ebd., TS 8. Ebd., TS 40. Ebd., TS 8. Vgl. ebd., TS 19. Vgl. Herr Str (38 Ex), TS 8. Vgl. Herr Str (36 Ex), TS 8. 161

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bieten: „Flugschau, Tag der offenen Tür, Barbecue, ,Thanksgiving‘, Halloween, Weihnachtsdeko und den ‚Turkey‘.“50 Für ihren Lebensstil, wozu auch der sorglose Umgang mit materiellen Dingen zählte, wurden die Amerikaner von vielen Einheimischen bewundert, wenn nicht gar beneidet. Amerikanische Kleidung, die sie nicht nur verschenkten, sondern bei Umzügen auch häufig einfach zurückließen, war besonders begehrt und wurde von den Einheimischen gerne aufgetragen. Diese „Säcke voll Kleidung“ repräsentierten nicht nur den Wohlstand der Amerikaner, sondern ermöglichten es auch den Einheimischen, an deren „Lifestyle“ zu partizipieren.51 Auch die Mobilität und Reiselust sowie die damit verbundenen „großen Autos“ der Amerikaner riefen Bewunderung bei den Einheimischen hervor. So berichtet der Büchenbeurener Landwirt Herr Lz von dieser Reisebegeisterung: „Die sind nach Stuttgart gefahren einen Tag. Dann waren sie zwei Tage in München, dann waren sie in Hamburg, Holland, Spanien, und am schiefen Turm von Pisa. Das haben die alles in vierzehn Tage abgereist. War für die ja keine Entfernung. Die haben in den vierzehn Tagen mehr gesehen wie wir in zehn Jahren.52 […] Chevrolet oder Cadillac, damit kamen die an, wie der Graf Koks. Hat aber auch keine Rolle gespielt, ob die zwanzig Liter gebraucht hatten auf hundert Kilometer, oder dreißig oder fünfzig. Hauptsache, das hat bubub gemacht.“53

Trotz ihrer Größe und ihres chromglänzenden Aussehens überzeugten die amerikanischen Modelle in ihrem Gebrauchswert viele Einheimische nicht. „Die haben oft nur rumgestanden und Öl verloren.“ Als das Benzin teurer wurde hätten immer mehr Amerikaner auch alte Autos von Einheimischen gekauft. „An die Amis konnte man sein Auto verkaufen, wenn es nicht mehr über den TÜV kam. Die waren dankbare Abnehmer.“54 Die „Bewunderung“ vieler Einheimischer für die Amerikaner führte auch dazu, dass immer mehr Englisch lernten bzw. englische Wörter oder Floskeln in ihre Alltagssprache übernahmen. Gerade für jene Einheimischen, die beruflich mit ihnen zu tun hatten, wurden die Amerikaner selber zum Vorbild, was sich auch auf den Umgang mit Nationalsymbolen erstreckte, wie eine ehemalige Angestellte berichtet:

50 51 52 53 54

Herr Ts (38 E), TS 2. Vgl. Herr Hn (60 EG), TS 33. Herr Lz (66 E), TS 22. Ebd., TS 8. Frau Mr (77 E), TS 5.

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4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

„Um halb fünf Uhr abends, wenn die Fahne runtergeholt wurde, stand ich auch da, Hand auf’m Herz, das war einfach so. Ich wäre nie einen Schritt gegangen oder gefahren. Ich hab’ da gebremst und bin aus dem Auto raus. Und ich hab’ ja die letzte Fahne, die auf den Hahn war, die hab’ ich ja noch. Die wurde mit der F-16 noch mal über dem Hahn geflogen und die hab’ ich dann bekommen.“55

Insgesamt setzten die Amerikaner besonders in der Anfangszeit Maßstäbe, an denen sich mit der Zeit viele Einheimische orientierten. Bei den Amerikanern wurden unterschiedliche Eigenschaften und Merkmale wahrgenommen: Je nachdem welcher Eindruck beim Einzelnen dominierte, standen mal deren Herkunft und Nationalität, der Berufsstand, die Hautfarbe oder die materielle Ausstattung im Vordergrund der Wahrnehmung. Aber auch das Militär versuchte, gezielt die Wahrnehmung der amerikanischen Soldaten und deren Bild in der deutschen Öffentlichkeit zu beeinflussen.

4.1.5 Das Militär und der professionelle Umgang mit Fremdheit Seitens des Militärs wurde verstärkt daran gearbeitet, die Stationierung der Amerikaner in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Die Soldaten sollten von den Einheimischen als freundlich und hilfsbereit wahrgenommen werden. Hierzu gab es entsprechende Kurse für die Soldaten und es wurde seitens der Militärverwaltung darauf geachtet, sich vor Ort bei Aktivitäten der Kommune oder der Vereine einzubringen. Regelmäßig fanden auch Konsultationen zwischen Führungskräften des Flugplatzes und den Ortsbürgermeistern der umliegenden Dörfer statt.

Orientierungskurse und Beziehungspflege Die Soldaten wurden in Kursen („Orientation-Program“), aber auch anhand von Broschüren und in Beiträgen der Flugplatzzeitung über „kulturelle Gepflogenheiten“ und allgemeine Umgangsformen vor Ort informiert.56 Vermittelt wurde das, „was in Deutschland Brauch“ sei. „Die Familie ging dann in diese Kurse rein, zur Orientierung. Da haben die denen erzählt, wie man sich in einem deutschen Kaufhaus verhält […] was für Lebensgewohnheiten es hier gibt und wie man sich unter Deutschen in der Öffentlichkeit benimmt, besonders auf deutschen Veranstaltungen wie Weinfesten, Kirmes usw. Was da so üblich ist, Bräuche usw. Damit sie nicht anecken.“57

55 Frau Kz (48 E), TS 8. 56 Viele amerikanische Stützpunkte gaben eine eigene Zeitung heraus, die des Flugplatzes Hahn nannte sich „Hahn Hawk“ und erschien bis 1993. 57 Herr Bm (60 Ex), TS 24. 163

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Ein Thema war zum Beispiel der Umgang mit Trinkgeld, das von der mit einem Amerikaner verheirateten Frau Ps angesprochen wird: „Denen hat man erklären müssen, dass sie das Geld nicht einfach auf dem Tisch liegen lassen, sondern der Bedienung geben. Die Bedienung konnte damals noch nichts anfangen mit soviel Trinkgeld, die Amis sollten nur aufrunden.“58 In den von der Militärverwaltung herausgegebenen Mitteilungen, die meistens von Deutschen bearbeitet wurden, gab es zudem eine Rubrik, die regelmäßig über typische Aspekte des „Deutsch-Seins“ informierte. Hierzu zählen etwa Erläuterungen zu den Feiertagen (Fasnacht, Nikolaus) oder zu regionalen Spezialitäten (Leberwurst) sowie Kommentare zu lokalen Ereignissen wie das Hochwasser an der Mosel. Außerdem gab es eine Seite in deutscher Sprache für die deutschen Zivilangestellten auf dem Flugplatz, auf der auch über Arbeitsjubiläen und Auszeichnungen von Mitarbeitern berichtet wurde. Abbildung 22: Deutsche Zeitungsspalte im „Hahn Habicht“ (Hahn Hawk)

Quelle: Hahn Hawk. Nr. 13/4 (April 1969), S. 2.

Viele Einheimische begrüßten diese Orientierungskurse. Sie fühlten sich dadurch in ihrer (kulturellen) Andersheit wahrgenommen und respektiert. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Rücksichtnahme der Amerikaner 58 Frau Ps (47 E), TS 11. 164

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

verwiesen, etwa bei Beerdigungen auf dem Friedhof Lautzenhausen. Da dieser unmittelbar an die Rollbahnen grenzte, stellten die Amerikaner nach Rücksprache und für die Dauer der Beerdigung den Flugbetrieb ein. (In einem anderen Zusammenhang wurde dagegen die Rücksichtslosigkeit der Amerikaner gerade in Bezug auf den Fluglärm kritisiert). Diese Form der Hilfsbereitschaft und des Engagements der Amerikaner wurde von vielen Einheimischen honoriert. Besonders dann, wenn die Einheimischen von deren Professionalität einen Nutzen hatten, wie etwa bei Einsätzen der örtlichen Feuerwehr, bei der die Feuerwehr des Flugplatzes, die wesentlich besser ausgestattet war als die örtlichen Wehren, diese unterstützte. Ein weiterer Aspekt war der gemeinsame Auftritt mit der amerikanischen Bigband: „Wenn hier ein Fest war, kamen die Amerikaner mit ihrer Bigband. Das waren meistens ausgebildete Musiker. Da haben wir [der Musikverein] ganz toll zusammen Musik gemacht. Das wuchs nachher zusammen, das war hier eine Einheit. Das war ja nur ein Vorteil für die hiesigen Vereine.“59 Darüber wurde dann sowohl in den örtlichen Medien wie auch in der Flugplatzzeitung entsprechend berichtet.

Recht und Ordnung Auch die „Air-Police“ war in Konfliktfällen Ansprechpartner der Einheimischen, und sollte helfen, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Deren Präsenz vor Ort wurde von den Einheimischen als respekteinflößend erlebt, zum Beispiel, wenn sie bei Geschwindigkeitskontrollen der Air-Police involviert waren oder auch bei Sanktionen für die betroffenen Soldaten. „Einen Streifen geholt zu bekommen, degradiert oder schlimmstenfalls in die USA zurückgeschickt zu werden“60, rief bei den meisten Einheimischen auch eine gewisse Bewunderung und Anerkennung hervor. Diese Sanktionen wurden als maßgeblich dafür angesehen, dass es scheinbar keine Kriminalität, vor allem aber keine Drogenkriminalität, gegeben habe. „Der Flugplatz hat das in Schach gehalten“, sagt zum Beispiel Frau Th, die mit ihrer Familie in Sohren lebt61 und Frau Kz ergänzt: „dort oben gab es auch ein Gefängnis“62. Unterstellt wurde dabei, dass die Amerikaner ihre Leute „im Griff zu haben“ schienen. Der Einzelne, der hier auffallend wurde, repräsentierte somit zwar auch die ganze Gruppe, diese geriet jedoch aufgrund der gruppeneigenen Sanktionsmechanismen bei den Einheimischen weniger in Verruf als dies im Vergleich zu den Russlanddeutschen der Fall war, wie noch zu zeigen sein wird.

59 60 61 62

Herr Hn (60 EG), TS 12. Frau Wh (28 E), TS 2. Frau Th (53 E), TS 14. Frau Kz (48 E), TS 15. 165

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Die Ausübung von staatlicher Gewalt durch die Air-Police, vor allem gegenüber Angehörigen der eigenen Gruppe, erschien den Einheimischen als legitim und wurde entsprechend positiv gedeutet, denn sie diente der Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Ordnung vor Ort. Richtete sie sich jedoch gegen Einheimische oder brachte gar das Machtgefälle zwischen Einheimischen und Amerikanern zum Ausdruck, änderte sich das Bild. Von dieser Ausübung der Macht berichtet Herr Gr, der in der Lokalpolitik engagiert ist und in Sohren lebt: „Das waren schon Besatzer. Und die Mentalität war auch so, wenn es da oben gebrannt hat und man ist da mit dem Auto vorbeigefahren, dann ist man von der AirPolice aus dem Auto gezerrt worden, hat die Hände aufs Dach gelegt gekriegt und ist dann mit der Waffe in Schach gehalten und untersucht worden. Das war noch Anfang der 1990er Jahre so im großen Umfang. Ihre Hausmacht in unmittelbarer Umgebung von ihrer Air-Base haben die wahrgenommen.“63

Gerade diesen Eindruck wollten aber die Amerikaner weitgehend vermeiden. Sie sollten vielmehr als Freunde, als Beschützer und Friedenssicherer wahrgenommen werden.

4.1.6 Beziehungen Ein besonderer Beziehungsaspekt stellte das Verhältnis zwischen amerikanischen Männern und deutschen Frauen dar. Zu Beginn der Stationierung in den 1950er Jahren wurden Freundschaften oder Eheschließungen von einheimischen Frauen mit amerikanischen Soldaten von beiden Seiten nicht gerne gesehen.64 Bei den Einheimischen hatten die Amerikaner den Ruf, sich schnell wieder zu trennen bzw. scheiden zu lassen.65 Zudem wurden bis zuletzt Frauen, die sich mit Amerikanern eingelassen hatten, diskreditiert: „Lass sie alle Frauen mitnehmen, denn die, die sie mitnehmen, die brauchen wir gar nicht.“66 Diese scheinbare Selektion durch die Amerikaner führte angeblich dazu, dass auch jene Frauen einen Mann fanden, die „von den Einheimischen keiner wollte“, weil sie als „asozial“ gegolten hatten oder als „nicht attraktiv genug“67. Den Frauen wurde zudem unterstellt, Amerikaner heiraten zu wollen, um selbst versorgt zu sein.68

63 64 65 66 67 68

Herr Gr (43 Ex), TS 9. Siehe hierzu Brauerhoch: Fräuleins (wie Anm. 17, S. 155), S. 39-45. Vgl. Frau Th (53 E), TS 12. Herr Ml (70 Ex), TS 3. Frau Th (53 E), TS 10. Vgl. Frau Gn (60 E), TS 2.

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4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Im Laufe der Zeit wurden die Beziehungen der Einheimischen zu den Amerikanern jedoch immer mehr dominiert von ihrer Rolle als Arbeitgeber. Immerhin waren Anfang der 1990er Jahre ca. 1000 Einheimische auf dem Flugplatz beschäftigt und viele profitierten zudem über vielfältige Geschäftsbeziehungen (Subunternehmer, Vermieter, Restaurants usw.).69 Es gab aber auch kritische Aspekte, wie Herr Nk herausstellt, der als Pädagoge heute mit russlanddeutschen Jugendlichen arbeitet: „Mich hat immer gestört, wenn ich in ein Geschäft kam und ein Amerikaner war da, dann haben die Deutschen alles links liegen lassen. Hier beim großen Porzellanhaus etwa. […] weil wir keine Kaufkraft in dem Sinne hatten.“70 Darüber hinaus wurde auch kritisiert, dass sich viele Einheimische nicht nur zu diensteifrig, sondern auch zu loyal gegenüber den Amerikanern verhalten würden. Als die Aktivitäten der Friedensbewegung immer mehr zunahmen und auch die Einheimischen immer öfter gefordert waren, Position zu beziehen, offenbarte sich ihr Dilemma: Einerseits wollten viele an und bei den Amerikanern verdienen, andererseits wollten sie sich aber auch nicht politisch „für dumm verkaufen“ lassen. Den Zwiespalt, in dem sich damals einige sahen, erklärt der politisch engagierte Sohrener Herr Gr: „Die ersten (Ostermärsche), da haben wir uns damals nicht getraut, hatten Angst, uns lächerlich zu machen. Aber bei den letzten, da hab’ ich Transparente geschmückt und auf dem Flughafen gestanden. Das war also schon eine Sache, wobei ich mit den Amerikanern, die hier bei mir gemietet hatten, überhaupt keine Probleme hatte. Ich hatte kein Problem mit den Menschen, sondern mit der Machtpolitik. Damals hieß es allerdings, wenn ihr sagt, ,Ami go home‘, dann dürft ihr auch nicht an die vermieten.“71

Ähnlich verhielt es sich bei den Zivilangestellten, wie der damals als Flugzeugmechaniker angestellte Herr Sr berichtet: „Ich kann nicht bei den Amerikanern arbeiten und dann auf der anderen Seite da mit marschieren. Das geht nicht. Ich muss mich irgendwann entscheiden und dann sag’ ich, dass das Militär da ist, ist in Ordnung, mit den Atomwaffen, nein. Aber wenn ich jetzt halt mit der Friedensbewegung mitgehen würde, dann beziehe ich, glaub’ ich, Position gegen das Militär. Das kann ich dann nicht machen. Die haben ja auch das Brot gegeben, sagen wir mal so, und dann kann ich ihnen nicht so in den Rücken fallen.“72

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Aussiedler im Rhein-Hunsrück-Kreis (wie Anm. 140, S. 121), S. 20. Herr Nk (57 Ex), TS 4. Herr Gr (43 Ex), TS 23f. Herr Sr (44 EG), TS 6. 167

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Einheimische, die auf dem Flugplatz Arbeit als Zivilangestellte gefunden hatten, beschrieben die Amerikaner als „ideale Arbeitgeber“73. Dies hing vor allem damit zusammen, dass sie den Eindruck hatten, für ihre Arbeit nicht nur entlohnt, sondern auch anerkannt zu werden. Der Hauptgrund, weswegen es seitens der Einheimischen selten zu Beschwerden kam – auch nicht wegen des Fluglärms – lag darin, dass der Flughafen als größter Arbeitgeber in der Region galt und auch war. Arbeit und damit sein Auskommen zu haben, hatte und hat für die meisten Einheimischen einen hohen Stellenwert. Mögliche Unannehmlichkeiten, die damit in Zusammenhang standen, wurden deshalb billigend in Kauf genommen. Zu dem Loyalitätskonflikt kam hinzu, dass die Präsenz der Amerikaner auf dem Flugplatz Hahn bei den Einheimischen nur selten Ängste auslöste. Angst machte ihnen vielmehr die Vorstellung, dass die Amerikaner eines Tages nicht mehr auf dem Hahn sein könnten, denn, so die Vorstellung, „wenn der Flugplatz mal nicht mehr da ist, gehen hier die Lichter aus“74. Außerdem galten die Amerikaner auch als Beschützer vor „dem Osten, den Russen.“75 Von daher hatten viele auch grundsätzlich nicht die Aktivitäten der Friedensbewegung unterstützt. „Wir haben uns so im Stillen gefragt, was soll das hier auf ’m Hahn, geht lieber mehr Richtung Osten, die machen ja nichts hier, die bewachen uns ja.“76 Das Bild von den Amerikanern, die den Westen vor einer sowjetischen Okkupation schützen sollten, war bei vielen Einheimischen dominant. Diese Ansicht vertritt auch die damals auf der Airbase arbeitende Frau Kz: „Die haben gesagt, wir müssen ja hier sein, drüben wird aufgerüstet und wir müssen ja halt das Gegenstück hier haben. Nur dadurch wurde ja auch vielleicht ein Krieg verhindert, weil jeder vor dem anderen ein bisschen Angst hatte und wusste, der hat das, der hat jenes. Ich wusste, welche Sicherheitsmaßnahmen die [Amerikaner] hatten und wie sicher das war. Ich hatte überhaupt keine Angst mit den Waffen, die damals da waren.“77

Publikationen, die zu dieser Zeit von Aktivisten der Friedensbewegung über die Situation im Hunsrück herausgegeben wurden, warfen den Hunsrückern Konservatismus und Obrigkeitshörigkeit vor. Als eine der herausragendsten Figuren wurde der damalige Pfarrer in Bell, August Dahl beschrieben.78 Sein Engagement trug dazu bei, dass einige Einheimische auch 73 74 75 76 77 78

Frau Gn (60 E), TS 1. Herr Str (36 Ex), TS 16. Herr Hn (60 EG), TS 14. Ebd. Frau Kz (48 E), TS 17. August Dahl spielte später in dem Film „Heimat“ auch die Rolle des Pfarrers. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.5.

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4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

„mal ‚Probe halber‘ auf eine Friedensdemo mitgegangen sind. Am Anfang hat man gedacht, das sind Spinner! Und nachher, wenn man sich dann selbst mit der Sache mal befasst hat, hat man gesagt, okay, man findet das [die geplante Stationierung der cruise missiles] nicht richtig, aber man war auch der Auffassung, auf diese Art erreicht man nichts.“79

4.1.7 Abzug Der Abzug der Amerikaner ging ähnlich planmäßig vonstatten wie die Stationierung und offenbarte einmal mehr deren Professionalität. Der Abschied fiel den meisten Einheimischen schwer. Einige fühlten sich emotional besonders betroffen: „Ich habe es nicht geglaubt, bis die letzte F-16 abhob. Irgendwo hab’ ich das total verdrängt und deshalb war auch dieser Tag, der 23. August 1991, als die letzte F-16 hochging, das war für mich der schlimmste Tag.“80 Andere betonten, dass sie immer wieder gezwungen waren, von Amerikanern Abschied zu nehmen, weil diese nur temporär auf dem Hahn stationiert waren. „Es war immer ein Weggehen“81, meint etwa Herr Str, fügt jedoch hinzu, es seien aber immer auch wieder Neue gekommen. Befremden artikulierte sich aber auch unter Einheimischen gegenüber jenen, welche die Amerikaner früher kritisiert hatten und nun deren Abzug bedauern würden. „Das sind die gleichen Leute, die früher über die Amerikaner teilweise auch geschimpft haben. Man kennt sie ja.“82 Den meisten war damals klar, dass der Abzug der Amerikaner einschneidende Veränderungen nach sich ziehen würde. Diese wurden erneut anderenorts beschlossen, kamen von außen und waren wiederum mit einem Zuzug von neuen Fremden verknüpft. Mit der Verabschiedung des amerikanischen Kommandanten des Flugplatzes endete für viele Einheimische eine Ära, in der sich die einfache Aufteilung der Welt in West und Ost und damit in Gut und Böse erledigt hatte. So wurde auch die Bemerkung des Kommandanten, die als Witz gemeint war, schnell von den Einheimischen als Tatsache kolportiert: „Wir waren hier, um die Russen abzuhalten, wir haben unseren militärischen Auftrag nicht erfüllt, wir sind noch hier und die Russen sind schon da.“83 Sie markierte den Beginn einer Zeit, in der die bislang gültigen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von Fremden einer Revision unterzogen werden mussten.

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Frau Th (53 E), TS 31. Frau Kz (48 E), TS 10. Herr Str (36 Ex), TS 15. Frau Kz (48 E), TS 12. Frau Th (53 E), TS 20. In Lahr gibt es ähnliche Aussagen und Witzeleien hierüber. Siehe hierzu: Pfister-Heckmann, Retterath und Müns: Aussiedler (wie Anm. 168, S. 131), S. 329. 169

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4 . 2 G e g e nw a r t : R u s s l a n d d e u t s c h e Au s s i e d l e r Das Forschungsfeld „russlanddeutsche Aussiedler“ ist breit gefächert. Die meisten Arbeiten aus den Sozial- und Kulturwissenschaften zu diesem Thema enthalten auch einen Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung, denn erst dadurch wird es möglich, Ursache und Verlauf der aktuellen Situation der Russlanddeutschen zu begreifen. Einen umfassenden allgemeinen Überblick zu den Forschungen über die Russlanddeutschen bietet Klaus Bade.84 Er thematisiert in seinen Beiträgen nicht nur die wirtschaftlichen, sozialen und mentalen Aspekte der Zuwanderung und Integration von Aussiedlern, sondern gibt auch Auskunft zu einzelnen Problemfeldern wie der Integration jugendlicher Aussiedler oder der Aussiedlerintegration als kommunalem Problem. Neben einzelnen Studien, auf die weiter unten noch näher einzugehen ist, finden sich in den Reihen der einschlägigen Forschungsinstitute regelmäßige Publikationen zum Thema Russlanddeutsche. Hierzu zählen etwa das „Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ (Düsseldorf), das „Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur und Geschichte“ (Oldenburg), das „Osteuropa-Institut“ (München) oder das „Johannes-Künzig-Institut für ostdeutsche Volkskunde“ (Freiburg).85 Auch auf die Publikationen der unterschiedlichen wissenschaftlichen Kommissionen, wie etwa der für „Kultur und Geschichte der Deutschen in Russland und der GUS“ (Göttingen) oder der

84 Siehe hierzu Klaus J. Bade und Jochen Oltmer: Einführung: Aussiedlerzuwanderung und Aussiedlerintegration. Historische Entwicklung und aktuelle Probleme. In: Dies. (Hrsg.): Aussiedler: Deutsche Einwanderer aus Osteuropa. Osnabrück 1990, S. 9-54; Klaus J. Bade: Fremde Deutsche: „Republikflüchtlinge“ – Übersiedler – Aussiedler. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München (3. Aufl.) 1993. S. 401-411; Klaus J. Bade: Ausländer – Aussiedler – Asyl: Eine Bestandsaufnahme. München 1994; Siehe auch Annette Treibel: Migration (wie Anm. 159, S. 70), S. 32-39; Ines Graudenz und Regina Römhild (Hrsg.): Forschungsfeld Aussiedler. Ansichten aus Deutschland. Frankfurt am Main u.a. 1996. 85 Bereits 1991 hat der früh verstorbene damalige Leiter des Freiburger JohannesKünzig-Instituts, Peter Assion, ein Projekt zur Integrationsproblematik von Spätaussiedlern initiiert. Siehe hierzu Peter Assion: Russlanddeutsche in Freiburg im Breisgau. Ein Forschungsprojekt des Freiburger Instituts für Volkskunde zur Integrationsproblematik der Spätaussiedler. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 36 (1993), S. 318-337; Hans-Werner Retterath hat 2002 einen ersten Band herausgegebenen, in dem zunächst grundlegende Begriffe diskutiert, der Projektverlauf nachgezeichnet sowie die Verhältnisse in den Hauptherkunftsländern Russland und Kasachstan erörtert werden. Hans-Werner Retterath: Endlich daheim? Postsowjetische Migration und kulturelle Integration Russlanddeutscher in Südbaden. Teil 1: Anlage des Forschungsprojektes und Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern. Freiburg im Breisgau 2002. 170

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

„Kommission für ostdeutsche Volkskunde“ in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., sei an dieser Stelle verwiesen.86 Darüber hinaus gib es auch eine große Zahl an Informationen für Russlanddeutsche, aber auch für Einheimische über Russlanddeutsche, die von verschiedenen Behörden, kirchlichen Organisationen usw. herausgegeben werden sowie umfassende „graue“ Literatur, die zum Teil in den einschlägigen Bibliographien erfasst worden ist.87 Den Russlanddeutschen galt bereits vor ihrer Zuschreibung als Aussiedler bzw. Spätaussiedler ein – wenn auch eher geringes – wissenschaftliches Interesse. Dieses fokussierte sich v.a. auf die Wanderungen der Kolonisten im 18. und 19. Jahrhundert und deren Leben im Osten.88 Jenseits des Aussiedlerdiskurses arbeiten heute überwiegend Historiker zu diesem Thema.89 In vielen dieser Arbeiten aber auch in aktuellen Publikationen wird häufig von einer Homogenität der Gruppe der Russlanddeutschen ausgegangen, ohne diese zu hinterfragen. Dabei kamen die ersten Kolonisten im 18. Jahrhundert, 86 Insbesondere die Beiträge über Russlanddeutsche im „Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde“ hat Klaus Brake ausführlich analysiert. Siehe hierzu Klaus Brake: Lebenserinnerungen russlanddeutscher Einwanderer. Zeitgeschichte und Narrativik. Berlin und Hamburg 1998. 87 Neben der Bibliographie des russlanddeutschen Autors Karl Stumpp, die nicht frei von Lücken und Widersprüchen ist und nach seinem Tod von der Landsmannschaft der Russlanddeutschen (LdR) weitergeführt wurde, erstellte der Kasseler Pädagoge Wladimir Süß für den Info-Dienst Deutsche Aussiedler des Bundesinnenministeriums eine kommentierte Auswahl. Karl Stumpp: Das Schrifttum über das Deutschtum in Russland. Stuttgart (5. sehr erweiterte Aufl.) 1980; Wladimir Süß: Kommentierte Bibliographie zum Thema „Deutsche Minderheit in Russland/UdSSR/GUS“ (1985-1993), Stuttgart 1994; Ders.: Integration von Aussiedlern in der Bundesrepublik Deutschland. Nachtrag zur kommentierten Bibliographie für die Jahre 1985-1994, Stuttgart 1995; Siehe hierzu auch: Detlef Brandes, Margarethe Busch und Christina Pavlović: Bibliographie zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen. Bd. 1 – Von der Einwanderung bis 1917. München 1994; Haus der Heimat Baden-Württemberg (Hrsg.): Integration von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern in der Bundesrepublik Deutschland. Auswahlliste der Bibliothek. Stuttgart 2001. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.): Zuwanderung und Asyl in Zahlen. Nürnberg (7. Aufl.) 2000. 88 Siehe hierzu Karl Stumpp: Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis 1862. Tübingen o.J.; Alfred Eisfeld: Deutsche Kolonien an der Wolga 1917-1919 und das deutsche Reich. Wiesbaden 1985; Alfred Eisfeld und Viktor Herd (Hrsg.): Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941-1956. Köln 1996; Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft. Stuttgart 1986. 89 Siehe hierzu etwa Elvira Barbašina, Detlef Brandes und Dietmar Neutatz (Hrsg.): Die Russlanddeutschen in Russland und Deutschland. Selbstbilder, Fremdbilder, Aspekte der Wirklichkeit (= Jahrbuch des Institut für Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 9). Essen 1999. 171

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die auf Anwerbemaßnahmen des zaristischen Russlands hin ausgewandert waren, aus Hessen, Baden oder der Pfalz und nicht aus einem einheitlichen deutschen Nationalstaat. Sie lebten seit den 1760er Jahren in relativ autonomen Siedlungsgebieten in Russland, ohne dass eine Assimilation, d.h. Angleichung an die Umgebung oder ein Austausch untereinander, stattgefunden hätte. Schon damals hoben sie sich aufgrund ihrer religiösen und regionalen Differenzierungen sowie durch ihre soziale Zugehörigkeit voneinander ab. Erst mit der Reichsgründung 1871 und der Bildung einer deutschen Nation wurden sie zu Deutschen und gerieten in das Spannungsfeld der russisch-deutschen Verhältnisse.90 Besonders die Deportation der Russlanddeutschen im Zweiten Weltkrieg nach Sibirien, Kirgisien, Tadschikistan und Kasachstan, die einherging mit der Auflösung der 1924 gegründeten autonomen Wolgarepublik, wurde für die Gruppe prägend. Diese existentiell kollektive Erfahrung der physischen Verfolgung und Vertreibung aus den Siedlungsgebieten, in denen sich die Russlanddeutschen im Lauf ihrer Einwanderungsgeschichte niedergelassen hatten, führte zu jenem „kollektiven Trauma“91, welches heute als gemeinschaftsbildend in einem ethnischen Sinne bewertet wird. Diese Zwangserfahrungen dominierten fortan die „Identität der Russlanddeutschen“, stärkten ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und riefen eine Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit von politischen Entwicklungen hervor, welche bis in die Gegenwart anhält.92 Von daher ist die Zuwanderung der Aussiedler und Spätaussiedler in die Bundesrepublik als eine Folge des Zweiten Weltkriegs und der schwierigen Situation der Russlanddeutschen in der ehemaligen UdSSR anzusehen.93 Zu zahlenmäßig großen Wanderungsbewegungen von Aussiedlern kam es gegen und nach Ende des zweiten Weltkrieges und erneut wieder ab 1990. Allein 1990 wanderten rund 400.000 Aussiedler (davon 150.000 aus der ehemaligen Sowjetunion) zu, weswegen die Aussiedlerpolitik mehrfach modifiziert und die Einwanderung nach Deutschland für diese Gruppe erschwert wurde.94 Die Auswanderung wird von den Aussiedlern selbst häufig ethnischreligiös und mit der Familienzusammenführung begründet. Wirtschaftliche 90 Vgl. Annette Treibel: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung und Gastarbeit. Weinheim und München (4. überarbeitete Aufl.) 2008, S. 35f. 91 Vgl. Regina Römhild: Die Macht des Ethnischen: Grenzfall Russlanddeutsche. Perspektiven einer politischen Anthropologie. Frankfurt am Main u.a. 1998, S. 136. 92 Vgl. ebd.; vgl. auch Treibel: Migration (wie Anm. 90, S. 172), S. 39. 93 Ebd., S. 35. 94 Siehe hierzu Jürgen Puskeppeleit: Die Minderheit der (Spät-)Aussiedler und (Spät-)Aussiedlerinnen. In: Cornelia Schmalz-Jacobsen und Georg Hansen (Hrsg.): Ethnische Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Lexikon. München 1995, S. 75-89. 172

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Motive der Auswanderung werden meist nicht thematisiert, zumal sie von bundesdeutscher und russischer Seite bei der Antragstellung nicht akzeptiert worden wären. Politisch relevant war im Wesentlichen der Nachweis russlanddeutscher Identität.95 Gerade die ethnische Identität der Russlanddeutschen wird dann in Deutschland in einer höchst widersprüchlichen Einwanderungssituation und im Kontext von Selbst- und Fremdzuschreibungen immer wieder herausgefordert. Diese Widersprüche entstehen dabei weniger durch ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen in Form eines Kulturkonflikts, wie dies entsprechende Akkulturationsmodelle der Vergangenheit nahe legten96, sondern vielmehr durch einen „Schlagabtausch ethnisierender Polarisierungen zwischen Deutschsein und Fremdsein“97. Im Gegensatz zu den Wanderungsprozessen anderer Gruppen, die über marktwirtschaftliche Selbstregulierung organisiert ist und damit das wirtschaftliche Risiko den Zuwanderern weitgehend selbst überlässt, wurde die Zuwanderung der Russlanddeutschen staatlich-bürokratisch gelenkt und unterstützt. Die Aussiedler wurden nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer verteilt.98 In der Zeit geringer Aussiedlerzuwanderung bemühten sich vor allem ländliche Kreise wegen der großzügigen staatlichen Hilfe um deren Zuzug. Auch die Aussiedler bevorzugten eher ländliche Räume gegenüber Verdichtungsräumen und größeren Stadtregionen. Häufig kamen sie selber aus ländlichen Milieus und wählten in Deutschland vergleichbare sozialräumliche Kontexte, wobei sie die Erstzuwanderungsregion nur im Ausnahmefall verließen. Auch vermittelte der ländliche Raum aufgrund seiner Überschaubarkeit und aus sozialer Sicht den Aussiedlern bessere Einstiegschancen als größere Stadtregionen. Dennoch zeigen Studien, dass die Kontaktdichte zwischen Aussiedlern und länger ansässigen Bewohnern in kleineren Gemeinden deut95 Vgl. Manuela Westphal: Aussiedlerinnen. Geschlecht, Beruf und Bildung unter Einwanderungsbedingungen (= Theorie und Praxis der Frauenforschung, 26). Bielefeld 1997. S. 96. 96 Siehe hierzu Klaus Boll: Kulturwandel der Deutschen aus der Sowjetunion. Eine empirische Studie zur Lebenswelt russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik. Marburg 1993; Tolksdorf: Phasen (wie Anm. 149, S. 67). 97 Römhild: Macht des Ethnischen (wie Anm. 91, S. 172), S. 323. 1955 hat bereits den Hollander darauf hingewiesen, dass scheinbare Kulturkonflikte oftmals nur symbolischen Charakter haben und viele Gruppenkonflikte keine eigentlichen Kulturkonflikte sind. Vgl. A. N. J. den Hollander: Der „Kulturkonflikt“ als soziologischer Begriff und als Erscheinung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie 7 (1955), S. 161-187, hier S. 167. 98 Siehe hierzu Dietrich Thränhardt: Integration und Partizipation von Einwanderungsgruppen im lokalen Kontext. In: Bade und Oltmer (Hrsg.): Aussiedler (wie Anm. 84, S. 170), S. 229-246, hier S. 235. 173

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lich niedriger lag und die Vorbehalte gegenüber Aussiedlern deutlich größer waren als in Großstädten.99 Zudem bildeten sich in einigen kleineren Siedlungen „Aussiedlerghettos“ heraus, wo im Rahmen der Konversion militärische Wohnanlagen umgenutzt wurden.100 Anfang der 1990er Jahre führten drei wesentliche Veränderungen dazu, dass die Kommunen zunehmend über Probleme mit Aussiedlern klagten: Erstens erhöhte sich die Zahl der Aussiedler gravierend, zweitens kürzte der Bund 1992 und 1994 seine Leistungen (wenn z.B. Aussiedler keine Arbeit fanden, fielen sie den Kommunen als Träger der Sozialhilfe zur Last) und drittens kam es nach dem Wiedervereinigungsboom insgesamt zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit.101 Durch die Aussiedlerzuwanderung verschärfte sich so auch die häufig angeführte Strukturschwäche einiger ländlicher Regionen.102 In einer Repräsentativbefragung im Februar/März 1992 in NordrheinWestfalen konnte gegenüber einer Befragung von 1988 festgestellt werden, dass sich die Einstellungen gegenüber Aussiedlern zum Negativen verändert hatten.103 Auch die persönliche Bereitschaft Aussiedlern zu helfen, hatte sich stark verringert. Aussiedler – wie auch andere Einwanderergruppen – wurden zunehmend als Bedrohung der eigenen Zukunftsperspektive und des eigenen Lebensstandards erlebt. Im Gegensatz zu 1988 gab es starke Distanzierungsbemühungen, vor allem im Hinblick auf Wohnnachbarschaft. Die Betonung der sozialen und ethnischen Distanz herrschte eher in der mittleren und älteren Generation vor. Befragte mit höheren Schulabschlüssen und in höheren beruflichen Positionen hatten deutlich liberalere Einstellungen als etwa Hauptschüler und un- bzw. angelernte Arbeiter – auch im Hinblick auf eine weitere Aufnahme von Aussiedlern. Generell plädierten mehr als 3/4 der Befragten für eine Verstärkung der Hilfe „vor Ort“. Eine im gleichen Zeitraum verfasste Studie des Rhein-Hunsrück-Kreises zu Aussiedlern in der Region kommt zu vergleichbaren Ergebnissen.104 Bei einer Zufallsumfrage von 101 Straßenpassanten äußerten 36% der Befragten,

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Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung als Strukturproblem in ländlichen Räumen. In: Bade und Oltmer (Hrsg.): Aussiedler (wie Anm. 84, S. 170), S. 265281, hier S. 269; Siehe hierzu auch Gerhard Herdegen: Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Einstellungen und aktuelle Ansichten der Bundesbürger. In: Informationen zur Raumentwicklung 1989, S. 331-342, hier S. 335. Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung (wie Anm. 99, S. 174), S. 270. Vgl. Thränhardt: Integration (wie Anm. 98, S. 173), S. 233. Vgl. Wenzel: Aussiedlerzuwanderung (wie Anm. 99, S. 174), S. 270. Vgl. Polis. Gesellschaft für Politik und Sozialforschung mbH: Einstellungen zu Aussiedlern. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung im Februar/März 1992 – eine Untersuchung im Auftrag des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein- Westfalen. München 1992. Aussiedler im Rhein-Hunsrück-Kreis (wie Anm. 69, S. 167).

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

dass Aussiedler von ihrer Mentalität her nicht „zu uns Deutschen“ passen würden. 44% befürchteten, Aussiedler könnten „uns Wohnung und Arbeit“ wegnehmen. Hingegen glaubten 66%, Aussiedler seien für die wirtschaftliche Entwicklung des Rhein-Hunsrück-Kreises wichtig. Scheinbar gab es damals keine nennenswerten Berührungsängste zwischen Aussiedlern und Einheimischen: 92% der Befragten würden sich engagieren, wenn sie um Hilfe für Aussiedler und deren Integration gefragt würden. Diese Befragungen zu Beginn der 1990er Jahre reflektieren noch nicht die Verschlechterung im Verhältnis zwischen Einheimischen und Aussiedlern, auf die im Folgenden eingegangen wird. Mit der wachsenden Kettenwanderung der Aussiedler nahm die Akzeptanz und Bereitschaft der Einheimischen, diese aufzunehmen, immer mehr ab.105 Dies wurde seitens der Einheimischen oftmals damit begründet, dass die ersten Aussiedler „besser“ im Sinne von anpassungsfähiger, fleißiger und bemühter gewesen seien als die nachfolgenden Spätaussiedler, die deutlich negativer beurteilt wurden. Dies korrespondierte mit einem seit Mitte der 1990er Jahre festzustellenden allgemeinen Stigmatisierungsdiskurs, der den Aussiedlern eine geringere Integrationsfähigkeit zuschrieb als früher.106 Auch in der Literatur wird 1992/93 ein „Bruch“ in Bezug auf die aus der ehemaligen Sowjetunion auswandernde Bevölkerung konstatiert. Klaus Bade spricht in diesem Zusammenhang von einem Rückgang der „Dominanz der

105 Siehe hierzu Polis: Einstellungen (wie Anm. 103, S. 174); Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen. Ausländer, Aussiedler und Einheimische als Nachbarn. Ermittlung von Konfliktpotentialen und exemplarischen Konfliktlösungen im nachbarschaftlichen Zusammenleben von Ausländern, Aussiedlern und Einheimischen. Erarbeitet von der Forschungsgruppe Kommunikation und Sozialanalysen GmbH, FOKUS Wuppertal 1992. 106 Darauf basieren auch die Erhebungen von Kleinknecht-Strähle, die von drei Phasen der Migration Russlanddeutscher ausgeht: Die erste Phase umfasst jene Zugezogenen, die nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in die westlichen Besatzungszonen flüchteten. Die zweite Phase bezieht sich auf die Jahre 19561986, bei der 93.300 Russlanddeutsche vor dem Hintergrund einer Politik der Familienzusammenführung in der Bundesrepublik Deutschland eintrafen. Die dritte Phase beginnt 1987 und reicht bis 1995 (dem Ende der Studie von Kleinknecht-Strähle). Die wirtschaftliche Integration der in Phase eins und zwei gekommenen vollzog sich ihrer Meinung nach wesentlich schneller und unproblematischer als die der in Phase drei Eingewanderten. Russlanddeutsche der Phase drei hätten sich erst im Zusammenhang mit der Ausreisemöglichkeit Ende der 1980er Jahre als Deutsche identifiziert; vgl. Ulrike KleinknechtSträhle: Deutsche aus der ehemaligen UdSSR. Drei Phasen der Migration und Integration in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. In: Hans-Werner Retterath (Hrsg.): Wanderer und Wanderinnen zwischen zwei Welten? Zur kulturellen Integration russlanddeutscher Aussiedlerinnen und Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg im Breisgau 1998, S. 39-59. 175

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Pioniermigration hochmotivierter Aussiedler“ zugunsten einer Massenbewegung, die viele auch in bloßem Anschlusshandeln mit sich riss.107 So erwies sich die stetig größer werdende Gruppe der Aussiedler in Deutschland, die von ihrer Altersstruktur zunehmend von Jüngeren dominiert wurde108, im Hinblick auf ihre Eingliederung als immer problematischer. Dies führte zu zahlreichen Studien und Publikationen, und die Aussiedlerforschung avancierte zu einem Zentralbereich der Migrations- und Integrationsforschung in Deutschland. Aus unterschiedlichen Perspektiven (Geschichte, Geographie, Soziologie und Ökonomie, Ethnologie, Volkskunde, Sprach- und Literaturwissenschaft und Psychologie) richtete sich dabei der Fokus vor allem auf die russlanddeutschen Zuwanderer (seit Mitte der 1990er Jahre auch zunehmend jugendliche Spätaussiedler) und weniger auf die aufnehmende Gesellschaft bzw. die Einheimischen. Generell wurden dabei Aspekten der wirtschaftlichen Integration ein größerer Stellenwert als den sozialen und kulturellen Bedingungen der Integration zugeschrieben. Von denjenigen Arbeiten, die auch auf die Situation der Einheimischen eingehen, sei insbesondere auf die Studien des Osteuropa-Instituts in München verwiesen.109 Als Gründe für die Ablehnung Russlanddeutscher durch die Einheimischen werden angeführt, dass die Sicht vorherrsche, russlanddeutsche Aussiedler seien vornehmlich aus materiellen Gründen in die Bundesrepublik gekommen, und dass sie mit Deutschen wenig gemeinsam hätten.110 Dies wird von den Einheimischen mit der fehlenden deutschen Sprachkompetenz und mit der Unkenntnis des Lebensstils und des Gesellschaftssystems in der Bundesrepublik begründet. Die Ablehnung äußere sich am häufigsten in der 107 Bade und Oltmer: Aussiedler (wie Anm. 84, S. 170), S. 34. 108 Siehe hierzu Barbara Dietz: Jugendliche Aussiedler. Ausreise, Aufnahme, Integration. Berlin 1997; Rainer Strobl und Wolfgang Kühnel: Dazugehörig und ausgegrenzt. Analysen zu Integrationschancen junger Aussiedler. Weinheim und München 2000; Joachim Brüß: Soziale Nähe und Distanz zwischen deutschen, türkischen und Aussiedler-Jugendlichen. In: Groenemeyer und Mansel (Hrsg.): Ethnisierung (wie Anm. 161, S. 70), S. 109-134; Barbara Koller: Aussiedler in Deutschland. Aspekte ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 48 (1993), S. 12-22. 109 Barbara Dietz und Peter Hilkes: Integriert oder isoliert? Zur Situation russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. München 1994; Dietz: Anpassung (wie Anm. 197, S. 140); Dies.: Rückwanderung in eine fremde Gesellschaft. Zur sozialen Integration russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik. In: Graudenz und Römhild (Hrsg.): Forschungsfeld Aussiedler (wie Anm. 84, S. 170), 123-138; Barbara Dietz und Heike Roll: Jugendliche Aussiedler – Porträt einer Zuwanderergeneration. Frankfurt am Main und New York 1998. 110 Sie werden von den Einheimischen „als x-beliebige Fremde wahrgenommen, die bestenfalls deutschstämmig sind.“ Vgl. Zinn-Thomas: Kulturelle Differenzen (wie Anm. 25, S. 21), S. 50. 176

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Nachbarschaft, aber auch bei Behördengängen und in der Schule und am Ausbildungsplatz.111 Im Alltag würde es russlanddeutschen Aussiedlern nur schwer gelingen, mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt zu treten, gleichwohl die meisten Russlanddeutschen angaben, mehr mit der einheimischen deutschen Bevölkerung zu tun haben zu wollen.112 Die Arbeit der Volkskundlerin Pfister-Heckmann über die Russlanddeutschen im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg geht ansatzweise auch auf die Einstellungen von Einheimischen ein.113 Bei den Einheimischen löste hier der Anspruch der Aussiedler, Deutsche zu sein, Befremden aus, da sie aufgrund ihrer teilweise mangelhaften Deutschkenntnisse eher als „Russen“ wahrgenommen wurden. Ältere Frauen und junge Mädchen fielen vor allem aufgrund ihrer Kleidung auf. Die Aussiedler wurden schon bald als Konkurrenten um Privilegien angesehen. Auch die Bereitschaft, Wohnungen an sie zu vermieten, nahm merklich ab. Verstärkt wurden die Aussiedler auch wegen ihrer mangelnden Integrationsbereitschaft kritisiert.114 Unter Eingliederung wird von den Einheimischen häufig Assimilation im Sinne von v.a. kultureller Angleichung der Zuwanderer an die Einheimischen verstanden. Das Integrationsverständnis Russlanddeutscher unterscheidet sich jedoch von dem der Einheimischen dahingehend, dass dem eigenen Willen sowie den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten eine größere Bedeutung beigemessen wird.115 Immer wieder wird deutlich, dass die persönlichen Fähigkeiten der Migranten im Zentrum einer Bewertung der Integrationsleistung seitens der Russlanddeutschen stehen. So sehen sich Russlanddeutsche häufig bereits als integriert an, wenn sie einer festen Arbeit nachgehen.116 Mit dem Thema Russlanddeutsche befassten sich auch einige, meist unveröffentlichte Diplom- und Magisterarbeiten aus dem Bereich der Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaft, Geographie und Volkskunde/Europäische Ethnologie. Zu den aktuellsten zählt hier die Studie von Nadine Bartels, die Aussiedler im baden-württembergischen Lahr untersucht. Sie zeigt, dass sowohl seitens der Einheimischen wie auch seitens der Russlanddeutschen dem Faktor Zeit eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Denn die Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland und nicht die realen oder angeblich kulturellen Un111 Vgl. Dietz: Zwischen Anpassung und Autonomie (wie Anm. 197, S. 140), S. 168. 112 Vgl. ebd., S. 171. 113 Pfister-Heckmann: Sehnsucht (wie Anm. 168, S. 131). 114 Vgl. ebd., S. 95-97. 115 Siehe hierzu Irene Tröster: Wann ist man integriert? Eine empirische Analyse zum Integrationsverständnis Russlanddeutscher. Frankfurt am Main und Berlin 2003; dies.: Aussiedler – „neue alte Deutsche“? In: Karl-Heinz MeierBraun und Reinhold Weber (Hrsg.): Kulturelle Vielfalt. Baden-Württemberg als Einwanderungsland. Stuttgart 2005, S. 146-163. 116 Vgl. ebd., S. 157. 177

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terschiede werden als ein entscheidender Faktor im Integrationsprozess gesehen.117 Auch würden weder die Anstrengungen und Fähigkeiten der Zuwanderer noch die Aufnahmebereitschaft der Einheimischen isoliert betrachtet zu einem von beiden Seiten gewünschten Erfolg führen.118 Abschließend kann festgehalten werden, dass gerade in der Literatur zur Integration von Russlanddeutschen zwar hin und wieder betont wird, dass es sich bei der Eingliederung von Zuwanderern um Prozesse handeln würde, die auf Gegenseitigkeit beruhten, dennoch blieben bislang die Reaktionen der Aufnahmegesellschaft weitgehend unberücksichtigt. Auch gerade deshalb stehen in den nachfolgenden Abschnitten die Sichtweisen der Einheimischen im Mittelpunkt. Die Wahrnehmung der Russlanddeutschen durch die Einheimischen fokussierte sich ähnlich wie bei den Amerikanern auf unterschiedliche Aspekte ihrer Fremdheit. Auch hier kommen Versatzstücke zum Tragen, die dem Einzelnen nicht gerecht werden, zusammen aber einen Eindruck von der Sichtweise der Einheimischen vermitteln.

4.2.1 Vorstellungen vom Osten: „Russen“ und Russlanddeutsche Viele Ansichten der Einheimischen lassen Rückschlüsse auf ihr Bild von Russland, der ehemaligen Sowjetunion und des ganzen früheren Ostblocks zu. Dieses wurde über Jahrzehnte vor allem von den politischen Konstellationen, d.h. dem „Kalten Krieg“ geprägt. Es entspricht weitgehend den gängigen Klischees. Der Osten wird gleichgesetzt mit Vorstellungen von Aggressivität und Brutalität, Tauschhandel, Kungelei und Korruption, Armut bei gleichzeitiger Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, fehlender Umgang mit Besitz und Eigentum, Mangelwirtschaft, Kommunismus, kein Demokratieverständnis, Unselbständigkeit sowie mangelndem Verantwortungsbewusstsein. Bezeichnend bei diesen Vorstellungen ist, dass das, was als Zeichen der Differenz gesehen wird, auch dazu dient, das Eigene, nämlich die Normen und Wertvorstellungen der Einheimischen, hervorzuheben. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit Legalität. „Da gab’s Anfangs schon einige, die da ihre Führerscheine abgeben mussten. Und das Schöne war ja, ganz am Anfang haben die ja dann, damals war ich noch in Simmern – das ist schon zehn Jahre her – haben die doch glatt gemeint, die könnten 117 Nadine Bartels: Symbol misslungener Integration? Zur ethnischen Kolonie russlanddeutscher Migrantinnen und Migranten in Lahr (= Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, 92). Marburg 2007, S. 33. 118 Ebd., S. 31. 178

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

das so machen wie sie es gewohnt sind. Wenn da in Russland jemand, oder in Kasachstan, den Führerschein abgeholt hat, haben die halt geschmiert und dann haben sie ihn eventuell noch mal gekriegt. Da hat mir so einer zehntausend Mark angeboten, nur damit ich ihm seinen Führerschein wieder gebe“,

berichtet der für die Kommune in Sohren tätige Herr Re.119 Ein anderes Beispiel ist das Verhältnis zu Gewalt. So lassen etwa die als sehr aggressiv wahrgenommenen russlanddeutschen Jugendlichen einheimische Jugendliche als friedfertig und harmlos erscheinen. Ein Rückschluss auf die Verhältnisse in Russland, die als Ursache dieses Verhaltens gesehen werden, stellte dabei humanitäre Wertigkeiten generell in Frage. „Die [Russlanddeutschen] fackeln nicht lange und die sind auch so von ihrer Erziehung her, oder was sie von zu Hause mitbekommen haben, schon ziemlich brutal. Das war eigentlich in den letzten Jahren hier nicht mehr so bekannt, so knallharte Prügeleien. Da in Russland ist so ein Menschenleben halt nicht so viel wert. Da gab es so was öfter. Selbst wenn da einer auf dem Boden liegt, treten die immer noch zu und das ist schon irgendwie hart.“120

Positiv gesehen wird allerdings der Stellenwert der Nachbarschaftshilfe bei den Aussiedlern, der Erinnerungen an die Vergangenheit der Einheimischen weckte: „Der Ami, der hat alles mit Geld gerechnet. Und hier die Aussiedler sind auf dem Stand, da ist die Nachbarschaftshilfe noch sehr groß. Da wird gekungelt, wie in Russland. Gib mir einen Kappes, kriegst Du von mir ein Fahrrad. Gib mir das, kriegst du das, das ist noch drin. Hier war das auch so. Als das Geld kam, war das zu Ende. Wie die Leute genug verdient haben, sprich durch die Amis, da war keiner mehr auf den anderen angewiesen, wollte nicht mehr abhängig sein. Und das ist bei den Russen noch nicht so. Die machen das heute noch so. Keiner ist heute mehr bereit, zum Nachbarn ‚Danke schön‘ zu sagen.“121

119 Herr Re (39 E), TS 11. 120 Ebd., TS 3. Die verbreitete Vorstellung, dass (v.a. jugendliche) Aussiedler zu exzessivem Konsum von Alkohol und illegalen Drogen neigen sowie durch besonders gewaltförmiges Verhalten auffallen, wird häufig mit Kulturunterschieden erklärt. Für keine dieser Annahmen lassen sich jedoch empirische Evidenzen finden. Vgl. Strobl und Kühnel: Dazugehörig (wie Anm. 108, S. 176), S. 188. Siehe hierzu auch Sabine Zinn-Thomas: Kriminelle, jugendliche Spätaussiedler – Opfer oder Täter? Zur Ethnisierung des Sozialen. In: Sabine Ipsen-Peitzmeier und Markus Kaiser (Hrsg.): Zuhause fremd. Russlanddeutsche zwischen Russland und Deutschland. Bielefeld 2006, S. 307-320. 121 Herr Lz (66 E), TS 28. 179

FREMDE VOR ORT

Der Übergang von der Nachbarschaftshilfe zur „Kungelei“ gerät dabei fließend, zählt doch zu den Stereotypen über den Osten auch, sich letztendlich „alles bescheinigen und alles kaufen zu können“122. Besonders Besitz und der „richtige“ Umgang damit haben vor Ort einen hohen Stellenwert. Ein örtlicher Bauunternehmer, der speziell für Aussiedler Weiterbildungskurse angeboten und mit Erfolg durchgeführt hat, berichtet von seinen Erfahrungen: „Dass die einfach nicht zwischen Mein und Dein unterscheiden können, das ist ein großes Problem.“ Zum Beispiel hätte es ihn gestört, als die Russlanddeutschen auf seinen Hof gespuckt oder Kippen auf den Boden geworfen hatten. „Da muss man wirklich die erwachsenen Männer erziehen, weil die das nicht gewöhnt sind. So vom Besitz her. Ich sag, ,du kannst nicht auf meinen Hof spucken!‘ Dann sind die ganz erschrocken, wieso ist das ‚mein‘ Hof. Das ist einfach nur ein Hof, der gehört da keinem. Oder wenn da irgendwas kaputt geht, das stört die eigentlich gar nicht, weil, das gehört ja niemandem. Und das ist wahrscheinlich der Kommunismus gewesen.“123

Nichts illustriert das Leben im Wohlstand besser als der Umstand, zu fast jeder Zeit alles angeboten zu bekommen und eine reduzierte Vorratshaltung praktizieren zu können. Diese Anpassung an ein zunehmend größeres und differenziertes Warenangebot haben die Einheimischen selber vor nicht allzu langer Zeit schrittweise geleistet, ohne sich in den meisten Fällen dessen bewusst zu werden. Der damit verbundene Fortschritt wird zum Eigenen erklärt und kontrapunktisch gegen eine scheinbare rückständige Mangel- und Misswirtschaft der Fremden gesetzt. „Die [Russlanddeutschen] haben sich Berge voll auf den Einkaufswagen geladen und haben gesagt, ‚Mensch, das kann ja nächste Woche nicht mehr da sein.‘ Dass es hier zu jeder Zeit alles gibt, das kannten die gar nicht. Die mussten hier am Anfang erst mal lernen, wie gehe ich damit um. Wie viel kaufe ich, damit es mir nicht schlecht wird, denn ich krieg es ja immer wieder. Ich brauche nicht zu horten. Das war für die auch ein Lernprozess.“124

Kleinigkeiten wie Vorratshaltung oder aber auch der richtige Gebrauch des Einkaufwagens werden als Ausdruck der Differenz und als Gradmesser für die unterschiedlichen Lebensweisen und Erfahrungshintergründe gesehen. Etwa wenn Einkäufe nicht in einem Einkaufskorb oder -wagen, sondern in eine mitgebrachte Tasche gepackt werden. Ein Verhalten, das auch bei Einhei122 Herr Bg (50 EG), TS 24. 123 Ebd., TS 16. 124 Ebd., TS 27. 180

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

mischen durchaus üblich ist, wenn es schnell gehen soll. Der Büchenbeurener Herr Bm berichtet über seine Erfahrung mit Russlanddeutschen in einem Supermarkt: „Dann habe ich sie angesprochen und ihr gesagt: ,Sie müssen sich einen Einkaufskorb holen, der ist nicht wegen dem Kaufen [Transport ist gemeint], er ist, damit es offen liegt, damit Sie nicht in Verdacht kommen, wenn der Hausdetektiv seine Runde geht.‘ Das hat sie nicht gewusst. Und da hat sie sich dann einen Korb geholt.“125

Auch in Bezug auf das Wahlverhalten wurde für einige Einheimische deutlich, dass die Russlanddeutschen erst noch lernen mussten, mit westlichem Demokratieverständnis umzugehen. Bei den Kommunalwahlen waren viele Aussiedler irritiert, weil sie einige Politiker nicht auf dem Stimmzettel gelistet fanden. „Viele von denen haben immer wieder die Frage gestellt, wo steht auf dem Wahlzettel der Helmut Kohl. Das war eine ganz einfache Philosophie: Diese Leute haben gesagt, wir sind hierher gekommen in der Zeit, wo Helmut Kohl Bundeskanzler war. Ihm wollen wir dankbar sein, dass der uns aus dieser Misere herausgeholt hatte.“126

Darüber hinaus hätten sich die Aussiedler nicht für Kommunalpolitik interessiert, was für viele Einheimische verständlich erschien, denn diese mussten sich ja erst eine Existenz aufbauen und sich in der neuen Lebenswelt orientieren.127 Die Abwahl Kohls 1998 war für viele Aussiedler von daher auch nicht nachvollziehbar. „Wie ein Schock war das für die. ‚Wie kann man so undankbar sein! Ein Mann, der so viel getan hat für Deutschland. Wie kann man so undankbar sein und ihn nicht mehr wählen‘, haben die gesagt. Ich hatte hier eine Frau, die hat geweint! Es war für die völlig unverständlich. […] Die haben ja gar keine Demokratie gekannt. Die haben nie eine Demokratie gehabt. Die Erfahrung ist ihnen ja vollkommen abgegangen. […] Die waren immer unter autoritären Systemen.“128

Aus diesem Grund hielten viele die Russlanddeutschen auch nicht für in der Lage, mit (demokratischen) Freiheiten bzw. Offenheit umzugehen. „Die haben Generationen unter ganz anderen Verhältnissen gelebt. Schon morgens wurde ihnen gesagt, was sie abends zu tun hatten oder was sie dann am glei-

125 126 127 128

Herr Bm (60 Ex), TS 25. Ebd., TS 8. Vgl. ebd., TS 9. Ebd., TS 11. 181

FREMDE VOR ORT

chen Tag zu tun hatten. Sie hatten keine Möglichkeiten, selbständig zu denken.“129 Sprachen die Einheimischen meistens von den „Russen“ oder Russlanddeutschen, was als ethnische Zuschreibung gesehen werden kann und von den meisten unreflektiert verwendet wurde, war mit der Bezeichnung Aussiedler deren Status angesprochen. Auf die damit verbundenen Zuschreibungen wird im nächsten Abschnitt eingegangen.

4.2.2 Aussiedler Viele Einheimische verwenden die Bezeichnung „Aussiedler“, weil für sie dadurch die Russlanddeutschen treffend charakterisiert würden, nämlich durch den Tatbestand der Aussiedelung – vergleichbar mit den Flüchtlingen bzw. Vertriebenen.130 Dass es sich hierbei auch um Rück- oder Einwanderer handeln könnte, spielt für die meisten keine Rolle und noch weniger, dass es sich hierbei um einen, wie es Bade formuliert hat, „ethnonationalen Euphemismus“ gar „euphemistischen Mummenschanz“ handeln könnte, weil eben anerkannte Aussiedler Deutsche und Einwanderer zugleich sind.131 Vielmehr wird bei den meisten Einheimischen die Vorstellung über das Leben der Russlanddeutschen in Russland davon dominiert, dass diese dort unterdrückt wurden, weil „Deutschstämmige nichts wert gewesen“132 seien. Dies korrespondiert mit entsprechenden Medienberichten. „In Russland waren sie die Deutschen und hier die Russen“133, was auch als Erklärung für den Gebrauch der russischen Sprache herangezogen wird. „Die mussten ja immer russisch sprechen, die durften nicht deutsch sprechen. Sie wurden dort als Faschisten beschimpft. Und man wusste, wer Deutscher war, auch wenn sie russisch sprachen. Die haben dort viele Nachteile gehabt als Deutsche in Russland. Und hier sind sie nun die Russen auch, weil sie überall Russisch sprechen. Das kommt nicht so gut an.“134

Über die Motive der Aussiedlung fanden sich bei den Einheimischen allgemein bekannte Vorstellungen: aufkommender Nationalismus in den ehemaligen Sowjetrepubliken, materielle Not und diffuses Deutschlandbild bzw.

129 Herr Ml (70 Ex), TS 16. 130 Vgl. Frau Fl (57 E), TS 3. 131 Bade und Oltmer: Vorwort. In: Bade und Oltmer (Hrsg.): Aussiedler (wie Anm. 84, S. 170), S. 7-8, hier S. 7; Bade und Oltmer: Einführung (wie Anm. 84, S. 170), S. 32. 132 Herr Fl (60 E), TS 27. 133 Herr Fl (60 E), TS 18. 134 Herr Mg (65 Ex), TS 8. 182

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Heimatgefühl. Der in Sohren lebende und arbeitende Herr Re sagt zu den Ausreisegründen der Russlanddeutschen: „Weil sie auch da drüben als Ausländer angesehen wurden, halt als Deutsche, und da wohl auch nie richtig integriert waren. Denen ist es ja wahrscheinlich auch nicht besonders gut gegangen. Es lässt sich hier wahrscheinlich schon besser leben, finanziell, materiell gesehen. Wenn es mir irgendwo gut geht, ich werde akzeptiert, lebe gut, hab’ genug zu essen und zu trinken, dann werde ich ja wohl auch nicht so schnell versuchen da wegzuziehen, warum auch.“135

Nationalistische Gründe wurden dabei eher von Experten angeführt. „Da ist natürlich eine Dynamik entstanden, die die Aussiedler nicht selbst beeinflusst haben. […] So diese Konflikte zwischen den Weißen und den Schwarzen. Die haben ja immer gesagt, die Schwarzen, das waren ja die Einheimischen [in dem Fall Kasachen] und die Weißen waren die Aussiedler und die Russen. Und die sind ja, also Kasachstan, die sind aus allem raus gedrängt. Die konnten keine verantwortungsvollen Positionen mehr bekommen, das waren alles dann Kasachen.“136

Ausführlich wurde in diesem Kontext auf das Bemühen Deutschlands hingewiesen, an Ort und Stelle den Russlanddeutschen zu helfen, um sie zum Bleiben zu bewegen, etwa durch Häuserbau und diverse Projekte.137 Insbesondere in Kasachstan seien die Russlanddeutschen als Minderheit immer mehr in eine wirtschaftliche Notlage geraten, durften bestimmte Berufe nicht ergreifen und seien diffamiert und diskreditiert worden. Als die Möglichkeit der Ausreise bestand, hätte nach Maßgabe eines Experten, die „moralische Pflicht“ Deutschlands darin bestanden, sich diesem Zuzug nicht zu verschließen.

135 Herr Re (39 E), TS 22. 136 Herr Sn (51 Ex), TS 8. Nach dem Ende der Sowjetunion verlor auch die russische Sprache an Bedeutung. In den meisten Nachfolgestaaten der UdSSR wurden sogenannte Titularsprachen (Kasachisch, Kirgisch, Lettisch) die Hauptsprache, weswegen Angehörige ethnischer Minderheiten (Deutsche und auch Russen) einen schwierigen Stand hatten. Vgl. Treibel: Migration (wie Anm. 90, S. 172), S. 38. 137 1991 entstanden deutsche Kreise (Rayons) in den Siedlungsräumen der Russlanddeutschen bei Omsk und im Altay-Gebiet. Dort wurden von der Bundesregierung Gelder bereitgestellt, um durch Maßnahmen wie etwa den Bau einer Bäckerei oder eines Schlachthauses die Versorgungslage und damit die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern und um die dort lebenden Russlanddeutschen zum bleiben zu bewegen. Über die Wirkung der deutschen Hilfsmaßnahmen in den Aussiedlergebieten und auf die Abwanderungsneigung gibt es nur wenige verlässliche Informationen. Vgl. Bade und Oltmer: Einführung (wie Anm. 84, S. 170), S. 25. 183

FREMDE VOR ORT

„Wie eine ältere Frau mir erzählt hat, die wollte ja eigentlich gar nicht weg, die wollte da bleiben. Sie war ganz alleine, über zwei Jahre lang ganz alleine dort im Hause. Abends, wenn es dunkel war, hat die gesagt, dann hat es auf einmal draußen geklopft. Und dann wusste sie genau, was los war. Die Kasachen, die Eingeborenen haben mal geklopft: ist da noch jemand drin von den Deutschen? Dann hat sie gerufen, sich bemerkbar gemacht und dann war es gut. Und das ging dann manchmal zwei/dreimal in der Woche abends. Und sobald niemand mehr geantwortet hat, haben die das Haus in Besitz genommen. So ist das da abgelaufen. Zum Nulltarif! Sie konnten das Haus ja nicht mitnehmen. Und bezahlt hat keiner von denen. Die ersten, die kamen, konnten noch ihre Häuser verkaufen, das hat gereicht für die Flugkosten über Moskau hierher nach Deutschland. Die Letzten Mitte der 1990er Jahre, da konnte keiner mehr ein Haus verkaufen. Die alte Frau war dann so zermürbt, sie konnte nicht mehr bleiben. Obwohl ihre Bekannten, ihre Vorfahren alle da beerdigt waren, ihre Väter ihr ganzes Leben da verbracht hatten.“138

Auszusiedeln, um möglichen Konflikten mit dominierenden Gruppen, wie hier den Kasachen, aus dem Weg zu gehen, wird auch in der Literatur als Ausreisemotiv seit den frühen 1990er Jahren beschrieben. Demnach traten Familienzusammenführung und ethnische Motive immer mehr zurück „hinter die wirtschaftliche und soziale Anziehungskraft der Bundesrepublik Deutschland sowie den Versuch, durch Aussiedlung den zunehmenden Nationalitätenkonflikten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu entgehen“139. Die meisten Einheimischen akzeptierten als Motiv der Aussiedlung eher materiellen Überlegungen als Motive, die in irgendeiner Form von Russlanddeutschen mit „Deutsch-Sein“ in Zusammenhang gebracht wurden. „Wenn ich deutscher Abstammung bin und so stolz auf mein Deutschsein, dann rede ich auch deutsch. Und die kommen her und können kein Wort! […] Wenn es denen in Russland so gegangen wäre wie jetzt hier, wären die nicht gekommen. Da bin ich absolut überzeugt von. Wenn die in Russland den Lebensstandard hätten wie hier, dann könnten die dort noch so fremd sein, dann kämen die doch nicht hier nach Deutschland nur weil sie Deutsche sind. Deswegen käme kein Mensch hierher. Die kommen her, weil es denen hier besser geht. Dann muss ich auch soweit ehrlich sein.“140

Zum Vergleich wird das Schicksal der Hunsrücker, die nach Südamerika ausgewandert sind, herangezogen: „Die Hunsrücker, die damals ausgewandert

138 Herr Bm (60 Ex), TS 2. 139 Bade und Oltmer: Einführung (wie Anm. 84, S. 170), S. 27. 140 Frau Wh (28 E), TS 1. 184

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

sind, hatten bestimmt auch Misserfolge in wirtschaftlicher Hinsicht. Die hatten jedoch keinen Anspruch zurückzukommen.“141 Lediglich der älteren Generation, die als maßgeblich für die Aussiedlung gesehen wurde, ist die Sehnsucht nach der „alten Heimat“ zugebilligt worden. Deren wirtschaftliche Not im Kontext mit einem idealisierten Deutschlandbild hätte dazu beigetragen, die Aussiedlung zu forcieren. „Da war ja wirtschaftlich eine verheerende Situation nachher, als die Sowjetunion zusammen gebrochen ist, und die haben ja fast keine Rente gekriegt, die älteren Leute usw. Ja, die hatten völlig verklärte Vorstellungen von Deutschland, dem Land ihrer Vor-Vorväter. Als ob hier an jeder Ecke, in den Dörfern, der Reigen getanzt und ‚Am Brunnen vor dem Tore‘ gesungen werde. Völlig idealisierte Vorstellungen. Für die war hier das Schlaraffenland.“142

Der Aspekt der Familienzusammenführung spielte in den Vorstellungen der Einheimischen (hier vor allem der „Experten“) eine wichtige Rolle. „Wenn die Großeltern ausreisen wollten, dann ist die ganze Familie mit gezogen. „Die wollten ins ‚Reich‘. Und die Alten haben das Sagen. Das Thema Geld ist da nie gefallen, die haben einfach gesagt, wir wollen mit der Familie zusammen sein.“143 Hier angekommen, wären vor allem die Alten orientierungs- und hilflos gewesen. Diesen wurden enttäuschte Hoffnungen unterstellt, weil sie eben nicht wie verlorene Familienmitglieder aufgenommen worden waren. „Die haben sich hier die deutsche Heimat etwas anders vorgestellt, vielleicht auch viel geträumt: Deutschland, da ist alles noch sauber, die Menschen sind alle fleißig, gutmütig, ehrlich.“144 Von daher sei es für viele schwierig gewesen zu begreifen, nicht als deutsch anerkannt zu sein, obwohl man ihnen das in Russland dauernd zugewiesen hätte. Viele Einheimische betonten, nicht genügend über die Hintergründe des Zuzugs der Russlanddeutschen aufgeklärt worden zu sein. Sie geben damit indirekt der Politik die Schuld an ihrem eigenen mangelnden Verständnis für die Aussiedler sowie für ihre „Überforderung“ mit der Problematik, wie die Erzählung von Frau Kz deutlich macht, die noch heute auf dem Flugplatz Hahn tätig ist:

141 Frau Ky (48 E), TS 19. Zu den Nachfahren der einst ausgewanderten Hunsrücker bestehen heute noch Kontakte, weswegen sie zum Vergleich herangezogen wurden. Siehe hierzu den Bericht in der Rhein-Hunsrück-Zeitung unter der Überschrift: „Urhunsrücker besuchen die Heimat“ vom 21. Mai 2002, S. 19. 142 Herr Bm (60 Ex), TS 25f. 143 Herr Gr (43 Ex), TS 4. 144 Frau Kz (48 E), TS 16. 185

FREMDE VOR ORT

„Die kamen hier hin, und der Hunsrücker ist halt von der Mentalität eher so, man nimmt halt, was man vorgesetzt kriegt und wenn’s nicht gefällt, wird drüber räsoniert und dann am Stammtisch drüber hergezogen. Und dann baut sich eine Aggression und Wut auf und ob sie sich mal irgendwann entlädt, weiß man nicht. Solange es den Leuten noch halbwegs gut geht, ist das alles noch erträglich.“145

Mit der Zeit änderte sich das Akzeptanzverhalten der Einheimischen. Genauso wie die ersten amerikanischen Soldaten als „die Besseren“ galten, wurden auch die ersten Russlanddeutschen als „besser“ im Vergleich zu den Nachfolgenden angesehen.146 Damit wurde ihnen auch eine höhere Motivation für das Leben in Deutschland zugeschrieben. „Die ersten haben Deutschland als die Hoffnung gesehen, aus dem Trott zu kommen, den sie eigentlich leid waren in Russland.“147 Später, so glaubten viel Einheimische, hätten „die“ kein Interesse mehr gehabt und sehr schnell „unser“ Sozialsystem ausgenutzt. So berichtet ein Sohrener Bauunternehmer von seinen Erfahrungen: „Die haben mir knallhart gesagt, warum soll ich arbeiten gehen. Die paar hundert Mark mehr, das lohnt sich nicht.“148 Nach Meinung einer Kommunalpolitikerin hätte sich die erste Gruppe der Aussiedler am besten integriert, weil ihre Anzahl noch relativ gering gewesen sei. „Die haben auch versucht, den Kontakt zu suchen, die haben sich wunderbar hier eingelebt.“ Aber als dann immer mehr gekommen seien, die auch nicht gut deutsch konnten, sei es problematischer geworden. Und dies in hohem Maß, wenn ein Ehepartner „Russe“ gewesen sei und nie ein Wort deutsch geredet hätte. Sie führt die meisten Probleme des Zusammenlebens auf die hohe Zahl der Zugezogenen zurück.149 Aus dem Zahlenverhältnis leitet sie Vorgaben für das Verhältnis zwischen Zuwanderern (=Minderheit) und Einheimischen (=Mehrheit) ab, wonach es für sie und die meisten Einheimischen schlüssig erscheint, dass eine Minderheit überwiegend von einer Mehrheit lernen und sich dieser anpassen muss.150 Die hohe Zahl der Zugezogenen jedoch führte zu einem fast ausgeglichen Zahlenverhältnis beider Gruppen, wodurch dieser Mechanismus nach Ansicht der meisten Befragten vor Ort 145 146 147 148 149 150

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Ebd., TS 19. Siehe Abschnitt 4.3. Herr Bg (50 EG), TS 12. Ebd., TS 13. Vgl. Frau Sn (47 Ex), TS 4. Dahinter steht letztendlich der Wunsch der Einheimischen nach Assimilierung (d.h. einer völligen Angleichung) und nicht nach Akkulturierung der Russlanddeutschen. Denn Akkulturation meint eine wechselseitige aber nicht gleichgewichtige Beeinflussung und Veränderung, bei der es zu einer Annäherung der Minderheit an die Mehrheit kommt und in geringem Maße auch Elemente der Minderheitenkultur von der Mehrheit aufgenommen werden. Siehe hierzu Friedrich Heckmann: Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen. Stuttgart 1992, S. 167.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

scheinbar außer Kraft gesetzt wurde. Von daher sehen sie in der hohen Zahl der Zugezogenen eine Hauptursache für die Probleme vor Ort und letztendlich die Russlanddeutschen als dafür verantwortlich. Beschrieben sich die meisten Einheimischen anfangs als sehr begeistert über den Zuzug – die ersten Russlanddeutschen seien noch mit Handschlag begrüßt und es sei für sie Kleider und Möbel gesammelt worden – was von Experten als eine Art „verzweckte Mildtätigkeit“151 interpretiert wurde – sei dies schnell umgeschlagen, als die ersten gespendeten Sachen zurückgewiesen oder auf dem Sperrmüll gefunden wurden. Für manche Experten seien jetzt Einheimische und Russlanddeutsche im Stadium des Nebeneinanderherlebens angekommen.152 Der für einen kirchlichen Arbeitgeber in Sohren tätige Herr Mg erzählt in diesem Zusammenhang: „Da gibt es diese Vorurteile, dieser Neid. Denen wirft man ja das Geld nach, die nehmen unsere Arbeitsplätze, die nehmen aus unserer Rentenkasse, kriegen die Renten, obwohl sie nichts eingezahlt haben. Das sind die Vorurteile! Zum Teil vielleicht ein bisschen berechtigt, aber nicht ganz. Die haben ja auch gearbeitet, sie sind ja nicht Schuld an ihrem Schicksal. Und sie erzählen dann auch ihre Geschichten, was sie so erlebt haben, die kennt man ja. Die wurden dann zwangsumgesiedelt in den Fernen Osten: nach Kasachstan, nach Sibirien – von der Wolga mussten sie wegziehen und so.“153

4.2.3 Arbeit und Sozialleistungen – Anspruch, Neid und Betrug Vorstellungen über Russlanddeutsche, denen häufig unterstellt wurde, aus überwiegend ökonomischen Gründen ausgesiedelt zu sein, riefen bei den Einheimischen Erinnerungen und Vergleichsmomente an die eigene Vergangenheit hervor. „Die [Russlanddeutschen] haben mit uns nichts gemeinsam. Für uns liegen sie mindestens 50 Jahre zurück. […] Wir haben uns den Amerikanern angenähert und wir leben eher das Leben, was die Amerikaner gelebt haben, und wollen mit dem Leben, was die Russlanddeutschen kennen, nichts mehr zu tun haben.“154

Deren Rückständigkeit wird vor allem mit den Verhältnissen in ihrer Herkunftsregion in Verbindung gebracht. So meint etwa der politisch engagierte Herr Ml: „Sie müssen sich erst mal an unser modernes Leben hier gewöhnen,

151 152 153 154

Vgl. Herr Sn (51 Ex), TS 15. Vgl. ebd. Herr Mg (65 Ex), TS 3. Frau Th (53 E), TS 39f. 187

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vieles kannten sie gar nicht in Kasachstan. Wenn ich heute diese Leute sehe, die erinnern mich an die Zeit vor sechzig Jahren.“155 Armut und Rückständigkeit der Aussiedler stand jedoch in einigen Interviews gegenüber, dass ihnen gleichzeitig eine größere soziale Nähe untereinander unterstellt wird: „Die sind zwar arm, aber die haben mehr soziale Wärme! Und hier bei uns ist eine gewisse soziale Kälte vorhanden.“156 Der Zuzug der Aussiedler in eine strukturschwache Region, die sich wirtschaftlich und politisch in Zeiten des Umbruchs befand, schürte bei den Einheimischen auch Ängste vor Arbeitsplatzverlust. So wird in den Interviews nicht nur ein Versagen der Politik festgestellt – „Da hat der [Landrat] gesagt: ‚Go west.‘ In dem westlichen Teil des Kreises, da sind Wohnungen: Sohren, Büchenbeuren. Nur, da waren keine Arbeitsplätze mehr“157 – sondern die Aussiedler selber wurden als massive Konkurrenten wahrgenommen. Gefühle von Benachteiligung und Ohnmacht seitens der Einheimischen trugen dazu bei, sich gegenüber den Fremden stärker abzugrenzen und ihnen die Schuld auch für ein Versagen der Politik zuzuschreiben. Hierzu gehören immer wiederkehrende Gerüchte, dass Russlanddeutsche bei Bauunternehmen zu Niedriglöhnen arbeiten und so „Lohndumping“ begünstigen würden. Früher seien die Deutschen auch über den Winter weiterbeschäftigt worden. Heute würden hingegen die Russlanddeutschen entlassen werden. Das könne man mit den Deutschen so nicht machen, die würden sich wehren. Deswegen würden jetzt allgemein weniger Deutsche beschäftigt.158 Besonders aufgebracht reagieren viele Einheimische, wenn es um das Thema Rente geht. Im Mittelpunkt steht dabei der vermeintliche Rentenbetrug durch die Aussiedler. Nur wenige Einheimische sehen das Thema differenziert: „Es sind ja nicht die Aussiedler Schuld [an der angeblichen Ausbeutung des Rentensystems]. Die Aussiedler sind eine Hilfe, die bringen Kinder.“159 Trotz Aufklärungskampagnen sind viele Einheimische skeptisch. „Da frag’ ich mich nur, wo wollen die hier Rente bezahlen, wenn die keine Arbeit haben? Das ist mal Voraussetzung dafür, Rente bezahlen zu können. Ich muss erst mal einen Arbeitsplatz haben. Und was noch gravierender ist sind die Jugendlichen und die Lehrstellensituation – die sitzen fast alle auf der Straße.“160

Viele Einheimische fühlten sich beim Thema Rentenbetrug direkt angegriffen oder gar als Opfer. Sie unterstellten den Aussiedlern falsche Angaben zu ma155 156 157 158 159 160 188

Herr Ml (70 Ex), TS 5. Frau Br (54 E), TS 15. Herr Bm (60 Ex), TS 15. Vgl. Herr Ts (38 E), TS 11. Herr Mg (65 Ex), TS 10. Frau Ky (48 E), TS 21.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

chen, um eine höhere Rente zu erhalten. Ein Beispiel hierfür ist der selbständige Sohrener Unternehmer Herr Bg: „Wir haben viele Leute, die angeblich Bergmann waren. Und wenn man das richtig hinterfragt und denen mal auf die Füße tritt und sagt, du warst doch niemals Bergmann, so viel Bergwerke habt ihr gar nicht in Kasachstan, da kommt man dann dahinter, das sind dann Leute, die in der Regel erzählt gekriegt haben, wie man hier eine hohe Rente bekommt. Und die Bergleute haben in Deutschland mit Abstand die höchste Rente.“161

Aus der Opferperspektive der Einheimischen erscheinen die Aussiedler nicht nur als Gewinner im Kampf um eine entsprechende Versorgung und Absicherung im Alter, sondern auch als Gewinner der Geschichte. „Die Bäuerin, die Ihr Leben lang in der Kolchose drüben gearbeitet hat, die war da eben Agraringenieurin. Die kriegt hier dementsprechend auch Rente, wenn sie als Rentnerin rüberkommt. Eine Frau, die ein Leben lang sich gebuckelt hat auf dem Feld hier im Hunsrück und sich zerschunden hat, die kriegt gar nichts. Die kriegt grad so die Bauernrente.“162

Für die meisten Experten und Einheimischen war die bereits beschriebene Vorstellung, dass die Russlanddeutschen in ihrer Heimat keine Freiheit und Demokratie gekannt hätten, auch eine willkommene Erklärung für Integrationsprobleme, vor allem der Jugendlichen. „Die Jugendlichen sind nicht bereit, sich in ‚unser System‘ einzufinden. Sie haben hier Freiheiten, die sie wahrscheinlich zuhause nicht hatten, […] dass sie mit diesen Freiheiten nicht umgehen können […] dass man versuchen muss, den jungen Menschen auch Grenzen zu zeigen.“163 Nicht nur der Vergleich mit der eigenen Situation, sondern auch der mit Ausländern spielt für die Interviewten eine bedeutende Rolle. So schneiden viele Aussiedler im Vergleich zu Ausländern im Urteil der Einheimischen schlecht ab. „Mit den Türken bin ich prima ausgekommen. Die Jungs sind hergekommen, um Scheißarbeit zu machen. Die mussten schaffen, sonst hatten sie nichts zu fressen gehabt, und die mussten auch deutsch lernen und sich verständigen können, sonst ging gar nichts. Die hatten es nicht leicht, die haben auch da geschafft, wo die Deutschen sich viel zu Schad waren. Die konnten auch nicht so schnell einen deutschen Pass kriegen.“164 161 162 163 164

Herr Bg (50 EG), TS 23. Herr Ts (35 E), TS 13. Herr Sr (44 EG), TS 2f. Herr Ft (37 E), TS 41f. 189

FREMDE VOR ORT

Völlig anders sei die Situation bei den Russlanddeutschen gewesen: „Die kommen an die Grenzen und sind deutschstämmig. Bei denen wird Deutsch mit ‚ai‘ geschrieben, so wie man es spricht, dadurch haben sie dann viele Vorteile. Ich wollte ja auch kurzfristig auswandern und wiederkommen mit dem Zusatz ‚ai‘, da ging’s mir besser.“165

4.2.4 „Deutsche Tugenden und Werte“ Als positiv wahrgenommen und von den Einheimischen hervorgehoben wurden sogenannte Tugenden, die als typisch deutsch gelten, wie Sparsamkeit und Fleiß. Zudem galten Russlanddeutsche als gute Handwerker, weswegen einheimische Unternehmer diese gerne beschäftigen würden, „der [Unternehmer] gibt sie nicht mehr her […] die gucken nicht auf die Uhr! Und kommen mit einer ganz anderen Einstellung zur Arbeit.“166 Auffallend war auch die Sparsamkeit der Russlanddeutschen in Bezug auf Kleidung, Urlaub und Ausgehen: „Die meisten von uns trinken dann drei/vier Gläser Wein. Gehen Sie mit den Aussiedlern weg, die trinken vielleicht einen ganzen Abend ihren Sprudel“, berichtet eine 54-jährige Sohrenerin.167 In diesem Kontext wird die an anderer Stelle positiv hervorgehobene Sparsamkeit der Russlanddeutschen zu negativ konnotiertem Geiz.168 Auch der Zusammenhalt und das Zugehörigkeitsgefühl der Russlanddeutschen wurden von den Einheimischen zunächst grundsätzlich positiv gesehen (vgl. Abschnitt 3.3). Dieses wurde später jedoch mit größerer Skepsis gesehen, als zum Beispiel bei den letzten Kommunalwahlen Ängste bei den Einheimischen aufkamen, weil ein russlanddeutscher Bürgermeisterkandidat im Gespräch war. „Die halten eigentlich stramm an ihrer Richtung fest, und grad hier in Sohren bringen sie locker 50%. Das Spiel ist ganz einfach, auch auf politischer Ebene: Die tun einen Kandidaten aufstellen und den wählen sie alle. Das ist vorher klar. Ganz einfache Geschichte. Bei uns sind es zwei, drei, die kandidieren, und dann geht es schon wieder nicht auf.“169

Darin artikulierte sich auch die Befürchtung, von den Anderen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch von der Bedeutung her verdrängt zu werden. Wahrnehmungen Russlanddeutscher, die positiv bewertet wurden, wie etwa Sparsamkeit oder Fleiß, wurden von den Einheimischen kulturalisiert 165 166 167 168 169 190

Herr Ft (37 E), TS 42. Herr Ml (70 Ex), TS 15. Frau Br (54 E), TS 16. Siehe hierzu Roth: „Bilder in den Köpfen“ (wie Anm. 4, S. 152). Herr Ft (37 E), TS 7.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

und als „deutsch“ verortet. Auch wurden Vorstellungen von Zusammenhalt und Zugehörigkeitsgefühl der Russlanddeutschen mit Erinnerungen an die eigene Vergangenheit in Verbindung gebracht.

4.2.5 „Integrationsverweigerer“ In Sohren und Büchenbeuren wurde deutlich, dass es für viele Einheimische entscheidend war, wer bei der Kontaktaufnahme den ersten Schritt machte. Die Zuweisung der Verantwortung hierfür war eindeutig, denn dieser sollte von den neu Zugezogenen gemacht werden. So erklärt auch der Büchenbeurener Herr Lz zu diesem Thema: „Ich komme her, ich will hier wohnen bleiben. Da ist es egal, aus welchem Land ich komme. Da kann genauso gut einer aus dem Nachbarort hier zuziehen oder zu heiraten, aber ich muss mich integrieren.“170 Nach dem ersten Schritt spielte auch die Mitgliedschaft in einem Verein eine wichtige Rolle. Diejenigen galten in einem Ort als integriert, „die Häuser gebaut haben und in der Feuerwehr sind. Außerdem sind sie immer da, wenn man sie braucht.“171 Unter Integration wurde deshalb oft die Anpassung an die Verhältnisse vor Ort verstanden. „Die sollen mal hier die deutsche Sprache lernen, unsere Kultur kennen lernen, die sollen sich anpassen und kein Russisch sprechen, das war’s dann.“172 Ein Lokalpolitiker hob hingegen hervor, dass sich die Aussiedler auch nicht in Russland integriert hätten, was aus heutiger Perspektive positiv gewertet würde: „Genauso wenig wie sie sich da integriert haben, integrieren die sich auch hier. Wir haben nur die gleichen Wurzeln.“ Auch er zieht die Anzahl der Zugezogenen als Begründungszusammenhang heran. „Was hier das Problem ist sind nicht die Menschen selbst, sondern die Massierung und dass kein Integrationsdruck da ist.“ Dennoch glaubt er, dass sich in zwei bis drei Generationen das Problem, vergleichbar mit dem der Flüchtlingsintegration nach dem Zweiten Weltkrieg, von selber lösen werde.173 Viele Einheimische waren enttäuscht, wie ihre Bemühungen um die Aussiedler aufgenommen wurden. Trotz zahlreicher Aktivitäten und mehrfacher Auszeichnungen174 gerade in der Anfangszeit waren viele über die Integrationsfortschritte ernüchtert, wie ein anderer Lokalpolitiker erzählt: 170 171 172 173 174

Herr Lz (66 E), TS 34. Ebd., TS 31. Frau Kz (48 E), TS 19. Vgl. Herr Ml (70 Ex), TS 10. Das Netzwerk der Aussiedlerintegration im Rhein-Hunsrück-Kreis und die Gemeinde Büchenbeuren haben als eine von 16 Gemeinden eine Goldplakette im bundesweiten Wettbewerb für vorbildliche Integration erhalten, die Ihnen 191

FREMDE VOR ORT

„Alle diese Bemühungen haben im Grunde genommen keine allzu großen Früchte getragen! […] weil eine wirkliche Integration fast nicht stattgefunden hat. Wir haben jetzt in vierzehn Tagen unser Heimatfest, da kommen keine fünfzig [Aussiedler] auf so eine Veranstaltung. Sie nehmen an unseren kulturellen Veranstaltungen so gut wie nicht teil.“175

4.2.6 Zwischenfazit: Wahrnehmungen und Zuschreibungen In Sohren und Büchenbeuren galten bis zum Zuzug der Russlanddeutschen diejenigen als „Einheimische“ oder „Alteingesessene“, die von dort stammten, also dort geboren waren. Sie bildeten die Mehrheit gegenüber all jenen, die als Neu-Zugezogene oder Fremde bezeichnet wurden und meistens in der Minderheit waren.176 Verständigungen darüber, wer vor Ort als Alteingesessener bzw. als Zugezogener oder „Fremder“ gesehen wurde, gestalteten sich von daher problemlos. Auch der Zuzug der Amerikaner stellte diesen Aushandlungsprozess zwischen „einheimisch“ und „fremd“ grundsätzlich nicht in Frage: Den Amerikanern wurde der Status des Fremden zugeschrieben, wobei sich dieser im Lauf der Zeit insofern änderte, als dass im Verhältnis zwischen Einheimischen und Amerikanern die pragmatische Relevanz der Nichtzugehörigkeit zunehmend an Bedeutung verlor. Dadurch wurde das Interpretament „Fremdheit“ immer mehr zur „Andersheit“ (vgl. Kap. 2) und die Amerikaner immer öfter als „Freunde“ gesehen. Demgegenüber stellte der Zuzug der Russlanddeutschen die Zuschreibungskategorien von „einheimisch“ und „fremd“ vor Ort zur Disposition. Viele Russlanddeutsche sahen sich von Anfang an als Deutsche und beanspruchten von daher den Status als Neu-Zugezogene und nicht als Fremde. Bei den Einheimischen führte dies aus verschiedenen Gründen zu Irritationen: • Wie in Kapitel 2 dargelegt, basiert der Status der Einheimischen auf der Dauer der Anwesenheit vor Ort und der gemeinsamen Geschichte und Intimität der Bewohner. Dabei führen Interaktionen mit Anderen zu einer emotionalen Besetzung des Ortssymbols. Dies wurde nun durch den Zuzug der Russlanddeutschen gestört; viele Einheimische sahen durch die „Ansprüche“ der Russlanddeutschen ihren Status und ihr Norm- und Wertgefüge gefährdet. • Hinzu kamen Vorstellungen, wonach Neuankömmlinge sich meistens dadurch auszeichnen, dass sie niemanden oder nur wenige vor Ort kennen, in Köln 1995 von der damaligen Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth überreicht wurde. 175 Herr Bm (60 Ex), TS 21. 176 Als Ausländer vor Ort galten vor allem Türken, Italiener und Griechen, die überwiegend in der Gastronomie tätig waren. 192

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

sie keine gemeinsame Geschichte oder gar Herkunft miteinander verbindet und sie deswegen machtlos seien. Dies traf aber auf die Gruppe der Russlanddeutschen in mancherlei Hinsicht nicht zu. Zu ihrer großen Anzahl kam hinzu, dass sich viele untereinander kannten, sie eine gemeinsame Geschichte verband und sie zum Teil sogar aus dem gleichen Dorf stammten; aus diesem Grund waren sie von Anfang an als bedeutende Gruppe vor Ort „sichtbar“. Viele Einheimischen fühlten sich dadurch in ihrem Selbstverständnis herausgefordert (vgl. Kap. 3), verbunden mit einer Angst vor Statusverlust und einem Gefühl, sich letztlich mit den neuen Fremden arrangieren zu müssen. Die Einheimischen hatten unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen gegenüber den Fremden, die durch (erinnertes) Wissen sowie durch Stereotypisierungen von Amerikanern und Russlanddeutschen beeinflusst waren. Die Erinnerungen an die Amerikaner und damit einhergehende Stereotypisierungen wie „reich, modern und mobil“ waren überwiegend positiv konnotiert. Sie gaben einerseits Einblick in den Prozess der Selbstamerikanisierung der Einheimischen und waren andererseits durch das Militär gezielt intendiert. Gerade über die Amerikaner glaubten viele Einheimische Bescheid zu wissen. Besonders die Jüngeren hatten diesen Eindruck, da die Amerikaner bei ihrer Geburt schon vor Ort waren, „wir sind praktisch mit denen aufgewachsen“177. Im Gegensatz dazu erscheinen die Beschreibungen und Stereotypisierungen der Russlanddeutschen eher negativ konnotiert und zielen darauf ab, diese abzuwerten und als kulturell rückständig darzustellen. Die damit einhergehende negative Bewertung der Russlanddeutschen als rückständig und kulturell minderwertig unterstreicht jene Nichtzugehörigkeit, die als Voraussetzung der Zuschreibung von Fremdheit gilt. Nach Münckler und Ladwig handelt es sich dabei um eine Form der sozialen Fremdheit, bei der im Gegensatz zur lebensweltlichen Fremdheit das Nichtzugehörige durchaus vertraut sein kann. Das heißt, die Russlanddeutschen wurden von den Einheimischen durch die Feststellung von Differenz sowie deren negative Bewertung im Vergleich zu den Amerikanern zu Fremden gemacht. Auch im Sprachgebrauch der Einheimischen spiegelten sich diese unterschiedlichen Bewertungen wieder. Verwendeten sie für die Amerikaner meistens die Kurz- und Verkleinerungsform „Ami(e)s“, wurden die Russlanddeutschen eher statusbezogen als „Aussiedler“ oder gar abwertend als „Russen“ oder „Kantköpp“ bezeichnet. Kommunalpolitiker orientierten sich hingegen an einem politisch korrekten Sprachgebrauch und verwendeten vornehmlich die eher neutrale Bezeichnung „Neubürger“.

177 Frau Sy (34 E), TS 8. 193

FREMDE VOR ORT

Die Analyse der Gegenüberstellungen der Einheimischen zeigten unterschiedliche Zuweisungen von Fremdheit, wobei der Grad an Fremdheit zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen als unterschiedlich ausgeprägt wahrgenommen wurde. Allerdings wurden die Unterschiede zu den Amerikanern mittlerweile als so gering und unbedeutend wahrgenommen, dass sie ihnen nicht mehr als Fremde, sondern nur noch als „Andere“ erschienen. Demgegenüber wurden die Unterschiede zu den Russlanddeutschen hervorgehoben und dramatisiert. Was bedeutet diese Zuschreibung der Russlanddeutschen als Fremde nun für das Zusammenleben mit den Einheimischen und im Hinblick auf Konstruktionen des Eigenen sowie für das Verhältnis von Identität und Alterität?

4 . 3 D i r e k t e V e r g l e i c h e u n d T yp i s i e r u n g e n Eine wesentliche Rolle bei dieser Analyse spielt – wie bereits erwähnt – die Erinnerungserzählung der Einheimischen und dabei vor allem das Kommunikationsmuster des Vergleichs. Im diesem Abschnitt geht es nun um jene Themen, die Gegenstand des expliziten Vergleichs der Einheimischen waren. Dazu zählten vor allem die Diskrepanzen, die sich scheinbar in den „kleinen Dingen des Alltaglebens“ wie Aussehen, Kleidung, Geruch, Geschmack und Essensgewohnheiten offenbarten. Die hierbei zum Ausdruck kommenden Dualismen beziehen sich im Wesentlichen auf folgende Vergleichsebenen: der Vergleich zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen, zwischen Einheimischen und Amerikanern, zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen. Dabei ist zu beachten, dass es eine zeitliche Inkongruenz der Vergleichsebenen gibt. Der Vergleich mit den Amerikanern bezog sich fast ausschließlich auf eine länger zurückliegende Vergangenheit und ist daher möglicherweise stärker „verzerrt“ und „verklärt“ als der mit den Russlanddeutschen. Aber auch in Bezug auf die Russlanddeutschen gab es zum Zeitpunkt der Interviews bereits eine Vergangenheit, auf die sich vor allem die Erinnerungen an die ersten Kontakte und Erfahrungen bezog, die sich von jenen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart durchaus unterscheiden konnte. Wurden bislang die Erinnerungen an die Amerikaner wie auch die Beschreibung der Russlanddeutschen durch die Einheimischen eher getrennt präsentiert, orientiert sich nun die Darstellung direkt an der vergleichenden Perspektive der Einheimischen. Das heißt, die Aussagen der Einheimischen zu den einzelnen Themen werden entsprechend ihrem Reden kontrapunktisch dargestellt.

194

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

4.3.1 Aussehen Offensichtliche Unterschiede wurden von den Einheimischen vor allem am Aussehen der Fremden festgemacht, d.h. sie fielen besonders durch ihre Kleidung auf. „Wenn ein Amerikaner durchs Dorf gegangen ist, egal, was er anhatte, da wussten wir, das ist ein Amerikaner. So wie wir heute sagen, das ist ein Aussiedler“, stellt Frau Th heraus, die mit ihrem Mann in Sohren lebt.178 Die Amerikaner wurden unter anderem deshalb als Fremde identifiziert, weil sie keinen Unterschied zwischen Werktags- und Sonntagskleidung machten: „Sonntags wurde sich fein gemacht, auch oft Krawatte getragen. Ein normaler Amerikaner, der war wochentags wie sonntags gekleidet. Der war zwar sauber gekleidet, aber der hat eben am Sonntag ein kariertes Hemd an. Und auch ein Mann mit kurzer Hose – bisschen flippig. Also von der Mode her, haben wir gesagt, wie kann man sich so anziehen.“179

Auch bei den Russlanddeutschen war die Auswahl der Kleidung auffällig: Jogginganzüge, die von älteren Männern getragen wurden oder ausgefallene Farbkombinationen, die nach Maßgabe der Einheimischen nicht zueinander passen, wurden zum Kennzeichen der Differenz. „Vielleicht hatten die drüben viele Farben, dass sie das so gewohnt sind. Also wirklich, die haben da eine lila Hose und ein rotes Hemd an. Das beißt sich wirklich, das passt überhaupt nicht zusammen, auch nicht die Socken und Schuhe.“180 Bunte Kleidung scheint generell ein Fremdenstereotyp mit hohem Erkennungswert zu sein. So berichtet der 60-jährige Herr Fl von ähnlichen Erfahrungen: „Wenn wir in die DDR fuhren, hieß es auch immer, dass man es uns ansähe, dass wir aus dem Westen kämen. Wahrscheinlich wegen der bunten Farben gegenüber der tristen DDR.“181 Wurde also bunte Kleidung bei den Russlanddeutschen eher negativ vermerkt und als geschmacklos und nicht zeitgemäß apostrophiert, so erschien sie im innerdeutschen Vergleich eher positiv, weil auch mit modern assoziiert. Während die Kleidung der Amerikaner bei den Einheimischen begehrt war und sie diese auftrugen, wurde die Kleidung und das Aussehen der Russlanddeutschen als „altmodisch“ und „billig“ beschrieben. Ihnen wurde unterstellt, keine „Markenkleidung“ zu tragen, sondern diese beim Discounter zu kaufen. Dabei würden „die Mädels grundsätzlich bauchfrei und mit Mini-

178 179 180 181

Frau Th (53 E), TS 24. Herr Fl (60 E), TS 12. Frau Wh (28 E), TS 16. Herr Fl (60 E), TS 30. 195

FREMDE VOR ORT

rock“182 rumlaufen. „Billig“ meint in diesem Fall sowohl kostengünstig wie auch „gewöhnlich“ im Sinne von aufreizend. Gerade in der Verallgemeinerung und Bewertung der Frauen kam der Zeichencharakter der Kleidung zum Ausdruck: Die jüngeren russlanddeutschen Frauen wurden als „oft so ein bisschen ins Polnische, so ein bisschen überkandidelt zurecht gemacht“ wahrgenommen. „Zu figurbetont, zu geschminkt, zu bunt und zu gestylt. So bisschen ins Billige rein. So würde kein deutsches Mädel rumlaufen.“183 Hingegen würden die älteren Frauen „rumlaufen wie in Russland, mit Söckchen, mit langen Kleidern und mit Kopftüchern mit Farben gemustert. Jede Mark, die sie für Klamotten ausgeben, ist denen eine Mark zu viel. Die waren das so in Russland gewöhnt.“184 Farbigkeit und die spezifische Betonung der Weiblichkeit wurden hier mit osteuropäisch assoziiert („bisschen ins Polnische rein“) und die betreffenden Personen dadurch verortet und ausgegrenzt. Gleichzeitig zielte der Vergleich („deutsches Mädel“) auf eine Abwertung der Andersartigkeit, indem er auf nationale und ethnische Stereotype verweist. Er greift dabei auf einen Diskurs zurück, der bis zum Nationalsozialismus reicht. Darin offenbarte sich ein Moment der Ungleichzeitigkeit.185 Wurden die jungen Mädchen als „poppiger und aufreizender“186 im Vergleich zu den einheimischen Mädchen wahrgenommen, erschienen die älteren Aussiedler den Einheimischen als früh gealtert und weckten Erinnerungen an frühere Generationen. Der Unternehmer Herr Bg berichtet von diesem Erscheinungsbild: „Die waren dann 35 und haben ausgesehen wie 55, das liegt wohl an der schlechten Ernährung. Grad die Frauen – erschreckend. Die Leute sind auch körperlich verbrauchter, weil sie viel mehr körperliche Arbeit machen mussten. Und wenn ich auch so zurückdenke, früher, die Generation meiner Oma, die sah auch viel älter aus als heute eine Frau in dem Alter.“187

Demgegenüber schnitten die Amerikaner im Aussehen deutlich besser ab als die Russlanddeutschen. Sie wurden als „feiner“ beschrieben und eher als heterogene Gruppe wahrgenommen: „Da gab es ja die mexikanisch aussehenden Typen, dann die Schwarzen halt. Sehr viele verschiedene Arten, jeder hat so ein bisschen ein eigenes Leben gelebt. Und hier die Aussiedler, das ist ja teil-

182 183 184 185

Herr Te (21 E), TS 1. Herr Fl (60 E), TS 30. Ebd. Hermann Bausinger: Ungleichzeitigkeiten. Von der Volkskunde zur empirischen Kulturwissenschaft. In: Der Deutschunterricht 39 (1987), S. 5-16. 186 Herr Re (39 E), TS 18. 187 Herr Bg (50 EG), TS 17. 196

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

weise eine Gruppe.“188 Hoben die Einheimischen bei den Amerikanern außerhalb des Militärischen eher deren individuelles Aussehen hervor, betonten sie bei den Russlanddeutschen deren vermeintliche Kollektivität. Aufgrund ihrer Kleidung wurden sie gesehen als „Fußvolk, einfache Leute, die Frauen haben alle Kopftücher um“189.

4.3.2 Sprache, Kommunikation und Beziehungen Im Hinblick auf Sprache und Kommunikation zeigte sich, dass die Wahrnehmung stark von der jeweiligen Erwartungshaltung abhängig war. Von den Amerikanern wurde, weil sie jeweils nur kurze Zeit da waren, nicht erwartet, dass sie deutsch sprechen oder es gar lernen würden. Von daher hoben die Einheimischen bereits die Bereitschaft der Amerikaner sowie jeglichen Versuch deutsch zu sprechen, lobend hervor. Angeblich schienen sich die Amerikaner aus ihren mangelhaften Kenntnissen „nichts zu machen“, was als Ausdruck eines „lockeren Umgangs“ gedeutet wurde. „Der Ami hat im Imbiss Würstchen bestellt: ‚Bratwurts‘ und ‚two Mettwurts‘. Und der Verkäufer hat natürlich gelacht, weil der Ami das so lustig ausgedrückt hat. Der Ami war so ehrlich und hat mit gelacht, weil sie alle gelacht hatten. Das war kein Problem. Wo die Aussiedler dann eben einen Aufstand machen, die fühlen sich dann angegriffen.“190

Im Gegensatz zu den Amerikanern wurde jedoch von den Russlanddeutschen erwartet, dass sie deutsch sprechen und dies mit deren Bleibeabsicht erklärt. „Da weiß jeder, das sind eigentlich unsere Mitbürger, die wollen ja hier bleiben, die meisten zumindest“191, verdeutlicht ein für die Kommune tätiger Sohrener die Gründe und auch Herr Bg meint: „Die sind hier nach Deutschland gekommen, das sind Deutsche, haben einen Deutschkurs besucht. Wir können kein Russisch. Hier musste man, um zum Beispiel im Geschäft mitreden zu können, englisch sprechen. Es gibt doch keinen im Dorf, der nicht irgendwo Englisch konnte. Von denen [den Russlanddeutschen] aber wird erwartet, dass sie deutsch reden. Die brauchen deswegen nicht die russische Sprache ablegen. Ich leg’ ja auch mein Deutsch nicht ab, wenn ich mal englisch spreche. Aber ich bin ja hier in Deutschland, die müssen hier Deutsch lernen. Die haben auch die Verpflichtung. […] Bei den Amis musste man auch aus eigenem Interesse englisch sprechen, man hat ja vermietet. Da war es wichtig, dass man sich auf eine Ebene setzt, dass jeder was versteht. Das war am Anfang ein Hängen und ein Würgen, 188 189 190 191

Frau Kz (48 E), TS 7. Frau Ml (77 E), TS 20. Herr Ft (37 E), TS 31. Herr Re (39 E), TS 13. 197

FREMDE VOR ORT

aber das macht ja gar nichts, das war lustig. Das wäre auch mit denen so, wenn die das wollten.“192

Aufgrund der unterschiedlichen Erwartungen an die beiden Gruppen, denen zudem unterschiedlich nachgekommen wurde, erscheinen beide – Amerikaner und Russlanddeutsche – extrem verschieden. Die Vorstellung, aus diametralen Welten zu stammen oder denen zugehörig zu sein, diente als weitere Begründung für das unterschiedliche Sprachverhalten. „Zwischen denen liegen Welten, da kann man keine Parallele ziehen. Der Ami hat ja auch Deutsch geredet, der hat das versucht auf Deutsch. Und wenn das geklappt hatte, die waren ja stolz, wenn die Deutsch konnten, das war ja schwierig für die.“193 Der Gebrauch der russischen Sprache wurde von vielen Einheimischen als befremdlich und sogar provozierend wahrgenommen. „Du musst dich da nicht mitten im Globus [großer Einkaufsmarkt in Simmern] laut auf Russisch unterhalten. Das sind einfach Sachen, die ärgern die Leute. Dann steht man da, als wäre man im Ausland. Da wird man ja schon automatisch ausgeschlossen.“194 Die Sprache wurde zum Exklusionsinstrument, dem die Einheimischen hilflos gegenüber standen. Außerdem wurde unterstellt, dass manchen der Wille Deutsch zu lernen fehle. Die Möglichkeit, dass sich die Russlanddeutschen nicht trauen könnten, deutsch zu sprechen, wurde von vielen Einheimischen nicht gelten gelassen. Denn durch den Umgang mit den Amerikanern sei man schließlich tolerant und offen geworden: „Wir versuchen denen das von Anfang an zu vermitteln, dass sie sprechen sollen. Hauptsache sprechen, wenn sie auch mal was falsch sprechen. Das ist eben der Vorteil hier gerade in unserer Gegend, dass die Leute darüber hinweg sehen. Wir sind einfach durch die Amerikaner toleranter geworden. Jeder Amerikaner, der hier versucht hat, deutsch zu sprechen, hat es viel leichter im Umgang, ist vielmehr angenommen worden, mit dem hat jeder versucht zu sprechen.“195

Gleichzeitig wurde jedoch auch vereinzelt, etwa von Experten wie Herrn Gr, Verständnis für die Russlanddeutschen geäußert und hervorgehoben, dass die Notwendigkeit fehle, deutsch zu sprechen. „Ich kann allerdings auch die verstehen, weil das der einfachere Weg ist. Der Integrationsdruck in einer Gemeinde wie Sohren mit 40% Aussiedleranteil ist einfach nicht da. Von uns hat

192 193 194 195 198

Herr Bg (50 EG), TS 31. Herr Ft (37 E), TS 30f. Ebd., TS 30f. Herr Bg (50 EG), TS 4.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

sich auch keiner aufgeregt, dass die Amerikaner amerikanisch untereinander gesprochen haben.“196 Und auch Frau Wh, die als Pädagogin arbeitet, sagt: „Die Amerikaner haben auch nie wirklich Deutsch gelernt, die waren immerhin vier Jahre hier. Wenn ich vier Jahre im fremden Land wäre, würde ich auch die Sprache lernen. Das wird den Amerikanern aber nie zum Vorwurf gemacht. Der ganze Hunsrück hat Englisch gelernt, um sich mit den Amerikanern zu unterhalten und denen etwas zu verkaufen. Und wenn ich nach Russland gehen will und wäre da mit dreitausend Deutschen zusammen, würde ich da auch weiter deutsch reden untereinander. Ich würde doch mit ihnen nicht auf einmal russisch reden.“197

Neben der Sprache war es vor allem die mangelnde Kontaktfreudigkeit der Russlanddeutschen, die ihnen von vielen Einheimischen vorgeworfen wurde und die sie von den Amerikanern unterschied. „Die Amerikaner sind eher auf dich zugekommen und haben geredet“, meint etwa Frau Br einen Unterschied ausgemacht zu haben.198 So wurde von Einladungen auf ein Bier oder zum Essen berichtet, für die sich die Einheimischen häufig revanchiert hätten.199 Viele Einheimischen glaubten daher, diese Offenheit von den Amerikanern übernommen zu haben. „Später, als die Aussiedler kamen, da war hier der Raum um den Flugplatz Hahn so tolerant und so weltoffen durch den Amerikaner. Das hat halt der Amerikaner uns gelernt [sic!].“200 Auch aus dem Grund meinten viele, es hätten vor Ort gute Voraussetzungen geherrscht für ein Zusammenleben mit Aussiedlern.201 Andere sahen dies hingegen wesentlich kritischer, wie beispielsweise Herr Bh, der sich ehrenamtlich für die Integration in Büchenbeuren engagiert: „Dass die [Einheimischen] allgemein gegenüber Fremden offener dadurch geworden sind, das glaube ich nicht. […] Die konnten mit den Amerikanern umgehen, konnten die einschätzen, aber mit anderen haben die dann immer noch keine Erfahrungen gehabt, das zeigt sich ja auch jetzt. Die Offenheit auf die Aussiedler zuzugehen und so, die ist ja gar nicht so ausgeprägt.“202

Die Russlanddeutschen wurden sowohl gegenüber den Einheimischen wie auch gegenüber den Amerikanern als deutlich „verschlossenere Menschen“ wahrgenommen.203 Dies wurde von den Einheimischen zum einen auf die 196 197 198 199 200 201 202 203

Herr Gr (43 Ex), TS 9. Frau Wh (28 E), TS 5. Frau Br (54 E), TS 10. Vgl. Herr Fl (60 E), TS 4. Herr Hn (60 EG), TS 14. Vgl. Herr Ml (70 Ex), TS 12. Herr Bh (62 Ex), TS 16. Herr Fl (60 E), TS 18. 199

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„unterschiedlichen Welten“ zurückgeführt, aus denen Amerikaner und Russlanddeutsche stammten, und zum anderen mit der Größe der Gruppe in Zusammenhang gebracht. Abbildung 23: „Russenladen“ in Sohren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 2002.

Gerade die Vielzahl Russlanddeutscher wurde von vielen Einheimischen als entscheidend für die Separierung angesehen. Sie diente auch als Erklärungsmuster dafür, dass sich die Aussiedler außerhalb ihrer Gruppe gegenüber nichts und niemandem verpflichtet gefühlt hätten. „Die gehen auf keine Feste. Die haben ihre eigenen Leute, ihre eigenen Kreise. Anzahlmäßig kommen sie damit aus. Die haben ihr eigenes Geschäftchen und alles, die haben ihren eigenen Kreislauf.“204 Dabei gab es durchaus Russlanddeutsche, die am Vereinsleben aktiv teilnahmen, etwa als Dirigent in einem Musikverein. Doch auch dort, so der Vorwurf, würden sie sich separieren. „Die haben was weg, mit der Musik. Wenn jetzt Sängerfeste sind, unser Dirigent, der bleibt dann nicht sitzen bei den Leuten. Wenn die ihr Programm abgezogen haben, dann stehen die auf und gehen heim. Dabei geht es ja nicht nur um das Singen, das geht ja auch ein bisschen um die Geselligkeit.“205 Natürlich sei bemerkt worden, dass viele Russlanddeutsche „sich schwer tun“ würden. Deswegen sei man ja auch auf sie zugegangen, anders als man dies beispielsweise bei anderen zugezogenen Deutschen gemacht hätte.

204 Frau Ky (48 E), TS 24. 205 Frau Wr (60 EG), TS 27f. 200

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

„Da sind zwei/drei Familien aus dem Großraum Köln hergezogen. Wenn die nicht auf mich zugehen, ist mir das pieps egal. Dann denke ich, ja gut, sind ja auch fremde Leute. Da mach’ ich mir gar keinen – aber, weil man eben wusste, die kommen aus Russland und tun sich hier schwer, haben wir wirklich mit einigen Leuten Versuche gestartet, sie privat ein bisschen aus der Reserve zu locken. Aber die wollen das nicht.“206

Enttäuschung und Ratlosigkeit, aber auch Schuldzuweisungen gegenüber den Russlanddeutschen dominierten die Reaktionen der Einheimischen: „Sie haben sich doch die Heimat jetzt ausgesucht. Sie haben Häuser gebaut, sie wollen hier leben. Warum verschließen sie sich so? Warum tun sie sich nicht ein bisschen öffnen? […] Da ist die Enttäuschung umso größer, dass wir mit unseren Nachbarn, den Aussiedlern, nicht menschlich klar kommen. Uns ist das nicht egal, also wir können das gar nicht verstehen.“207

Das zunehmend geringer werdende Interesse vieler Einheimischer an den Aussiedlern wurde oft mit der Situation bei den Amerikanern verglichen. Einen solchen Vergleich stellt auch Herr Str an, wenn er erzählt: „Vielleicht war gegenüber den Amerikanern die Aufgeschlossenheit deswegen größer, weil man ein Interesse an irgendwas hatte, was die Amerikaner hatten. Ob das jetzt ein ,Turkey‘ war oder Ringelsocken oder sonst was. Irgendwie so ein eigennütziges Interesse Amerikaner zu kennen, da hat man was vielleicht von.“208

Dennoch wurden die Beziehungen zu den Amerikanern auch im Nachhinein von vielen Einheimischen als eher temporär oder gar flüchtig beschrieben. Gerade deren häufig angeführte Kontaktfreudigkeit weckte bei den Einheimischen Erwartungen von „tiefer Freundschaft“, die oftmals enttäuscht wurden.209 Hingegen wurden die Beziehungen zu einzelnen Aussiedlern von einigen Interviewpartnern als eher konstant und von Dauer erlebt. „Russlanddeutsche, die am Anfang hier rüber kamen, wenn man mit denen eine Freundschaft hatte, dann hatte man eine gute Freundschaft. Die Amerikaner konnten mit dir Freundschaft pflegen und dann ex und hopp, dann waren sie weg. Dann waren sie wirklich weg.“210 Vor diesem Hintergrund erschienen die Amerikaner im Nachhinein deutlich weniger offen und tolerant als es zu Anfang den Eindruck erweckt hatte.

206 207 208 209 210

Herr Fl (60 E), TS 20. Herr Fl (60 E), TS 21f. Herr Str (36 Ex), TS 7. Herget: „Die Amis“ (wie Anm. 22, S. 156), S. 231. Frau Br (54 E), TS 12. 201

FREMDE VOR ORT

Gerade Jüngere, die den Kontakt zu den Amerikanern gesucht hatten, stellten im Nachhinein fest: „Die Amerikaner haben sich nicht wirklich geöffnet. Viele haben doch immer noch irgendwo so ein bisschen Misstrauen gehabt, versteckt zumindest. Die hatten halt ihren Auftrag oder so und wurden vielleicht auch irgendwo dann offiziell ein bisschen beeinflusst im Umgang mit den Einheimischen. […] Ich war mit denen befreundet und war auch oft bei denen, aber irgendwie. Die haben zwar den Kontakt auch gesucht mit Deutschen, aber dann nur bis zum gewissen Punkt.“211

4.3.3 Essen und Trinken Ein weiterer Aspekt, bei dem Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen besonders deutlich wahrgenommen wurden, ist der Komplex Essen und Trinken. Im Umgang damit zeigten sich für die Einheimischen sowohl Unterschiede gegenüber den Amerikanern wie auch gegenüber den Russlanddeutschen. Für die Einheimischen war ein Restaurantbesuch die Ausnahme und wurde als Zeichen materiellen Wohlstands gedeutet. „Vielleicht einmal im Jahr ist mal einer auswärts Essen gegangen. Das gab es ja gar nicht. Und bei den Amerikanern war es halt so, wenn die Geld hatten, haben sie es ausgegeben“212, erzählt die Sohrenerin Frau Th und erklärt weiter: „Die [Amerikaner] haben ja hier gelebt wie die Fürsten: vier Mark der Dollar! Bei denen war das Essengehen preiswerter wie für uns das Kochen. Dadurch sind auch die Pizzerien entstanden. […] Ein Deutscher, der ging eigentlich gar nicht auswärts Essen und wenn, mal sonntags. Aber die Amerikaner gingen ja jeden Tag Essen.“213

Auch die Vorratshaltung der Einheimischen war lange Zeit konventionell und hing u.a. vom Ertrag des eigenen Gartens ab. Einzukochen und Einzuwecken galt als selbstverständlich und als „hausfrauliche Tugend“. Die Amerikaner hingegen verwendeten Konservendosen. „Hier hatte wirklich nur derjenige was, der sich was eingeweckt hat, der einen Garten hatte. Man hätte sich auch geschämt, ins Geschäft zu gehen und da mal eine Dose Erbsen zu kaufen. Wenn das einer gesehen hätte, der hätte gesagt: ‚Hast du das faule Weib da gesehen, die kauft die Erbsen in der Dose.‘“214

211 212 213 214 202

Herr Str (36 Ex), TS 12. Frau Th (53 E), TS 8. Ebd., TS 25. Ebd., TS 28.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Die einstige Sparsamkeit der Einheimischen korrespondiert mit derjenigen der Russlanddeutschen heute. „Die Aussiedler kochen viel Kohl und Speckfleisch. Das ist denen ihr Hauptessen. Sparsam sind die und die halten alle zusammen.“215 Kohl und Speck verweisen auf die Herkunft der Aussiedler und werden als eine aus der Knappheit der Situation erwachsene Küche gedeutet. „Was anderes als Kohl haben die sich wohl in Russland nicht leisten können.“216 Kohlgeruch in der Wohnung und an der Kleidung wurde für die Einheimischen zum olfaktorischen Erkennungszeichen der Aussiedler. Neben der Sparsamkeit wurde aber auch deren Großzügigkeit bei Familienfeiern wahrgenommen, wenngleich sich die Art des Feierns von der der Einheimischen deutlich unterschied. „Die hatten eine Kommunion auszurichten gehabt mit, was weiß ich, fünfzig/sechzig Gästen. Da wurden fünf verschiedene Sorten Bier gekauft und jede Menge Wodka in Flaschen, kistenweise fast schon. Und im Vergleich dazu, ein deutsches Familienfest, da wird ein Fünf-Liter-Fässchen Bier geholt oder Bierkästen und alles gut gekühlt, […] alles von einer Sorte. Die Russen trinken eher Aldi-Büchsenbier, lauwarm. Bei denen stehen auf dem Tisch Wassergläser und Wodkaflaschen. Also nicht, dass da immer nachgeholt wird, sondern die stehen auf dem Tisch und jeder bedient sich dann halt dementsprechend.“217

Gerade beim Alkoholkonsum wollten die einheimischen Interviewpartner nicht mit den Russlanddeutschen verglichen werden und grenzten sich dementsprechend ab. Deren Art Alkohol bzw. Wodka zu konsumieren befremdete viele. „Die sitzen dann im Carport und trinken ihr Bier und ihren Wodka. Da würdest du keinen Deutschen finden, der da so in der Form rumsteht und sich den Alkohol rein pfeift. Das ist schon was ganz anderes.“218 Das Gemeinsame daran, d.h. auf der Terrasse oder im Carport zu sitzen und Alkohol zu trinken, wird zwar nicht herausgestrichen, dafür aber das Trennende: Hochprozentiges öffentlich und tagsüber zu trinken. Bei Einheimischen werden Schnäpse meistens in Kombination mit Bier oder zu bestimmten Anlässen getrunken, wie nach dem Essen oder bei besonderen Gelegenheiten (Hochzeit, Richtfest). Hochprozentiges im Wasserglas, d.h. in großen Mengen zu trinken, ist hingegen nicht üblich.219

215 216 217 218 219

Frau Ml (77 E), TS 20. Frau Th (53 E), TS 41. Herr Te (21 E), TS 6. Ebd., TS 12. Inwiefern Wodka als ein Aspekt nationaler Identität gesehen werden kann, thematisiert Sonja Margolina: „Wodka“. Trinken und Macht in Russland. Berlin 2004. 203

FREMDE VOR ORT

4.3.4 Hygiene Auch das Thema Körperhygiene und allgemeine Sauberkeit wurde als Unterscheidungsmerkmal thematisiert. Hier hatten die Amerikaner neue Maßstäbe gesetzt, an denen sich die Einheimischen orientierten. In den 1950er und 1960er Jahren beschränkten sich sanitäre Anlagen auf dem Hunsrück oft nur auf das „Plumpsklo“ und einfache Waschgelegenheiten. Auch der persönlichen Körperhygiene wurde ein deutlich geringerer Stellenwert beigemessen als heute. Erst als immer mehr Amerikaner kamen und an diese vermietet wurde, modernisierten viele Einheimische ihre Bäder bzw. bauten sie erstmals in den Häusern ein. Die Russlanddeutschen weckten die Erinnerungen an diese Zeit, wie dies bei der 55-jährigen Frau Th deutlich wird: „Da, wo die [Russlanddeutschen] herkommen, wird es wohl so gewesen sein, wie das hier in den Fünfzigerjahren war. Wir hatten hier im Haus dann gleich ein Badezimmer und da weiß ich, dann kam samstags meine Tante und mein Onkel und deren Tochter und auch die Oma noch, die kam dann schon freitags, die haben bei uns gebadet. Und das war einmal die Woche! Und ansonsten hat man sich gewaschen. Ähnlich wie mit dem Bad im Verwandtenkreis ging das übrigens dann auch nachher mit dem Fernsehgucken. Wer ein Fernseher hatte, der hatte abends das Haus voll!“220

Den Russlanddeutschen wurde nicht zuletzt auch wegen angeblich andersartiger Gerüche in Wohnung und an der Kleidung mangelnde Körperhygiene unterstellt. „Ich weiß nicht, ob das von dem Essen kam. Viele riechen auch wirklich nach Schweiß. Da konntest du in der Convenda [ein Supermarkt in Büchenbeuren] stehen und hast gerochen, das sind Russen. Das ist jetzt kein Vorurteil, das war tatsächlich so. Die hatten immer Knoblauchfahnen und es war am Anfang echt unangenehm, die auf der Bank zu bedienen. […] Heute ist das nicht mehr so. Ich weiß nicht, was sich geändert hat, ihre Essensgewohnheiten oder was. Ich will ihnen auch jetzt nicht unterstellen, dass sie sich nicht waschen oder so“,

formuliert vorsichtig Frau Wh.221 In einem anderen Fall, der das Gemeindehaus betraf, gaben die Russlanddeutschen erneut Anlass zur Kritik: „Die spülen nur mit Kaltwasser, die probieren die Kosten so tief wie möglich zu halten. […] Der nächste, der dann

220 Frau Th (53 E), TS 41. 221 Frau Wh (28 E), TS 15. 204

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

rein geht, der kann erst mal stoßweise Teller spülen.“222 Erklärt wurde dies mit den „Kulturunterschieden“ zwischen Russlanddeutschen und Einheimischen, womit in erster Linie die Gegebenheiten vor Ort gemeint waren. „Die Neubürger haben halt eher mit kaltem Wasser gespült, weil sie nicht immer warmes Wasser hatten in Kasachstan. Da waren irgendwelche Streifen auf dem Teller. Der Teller war vielleicht so gespült, wie er vor fünfzig Jahren auch bei uns noch gespült wurde.“223 Viele Einheimische schrieben den Russlanddeutschen generell einen geringen Hygienestandard zu, der meistens mit der Rückständigkeit der Russlanddeutschen in Zusammenhang gebracht wurde (vergleichbar etwa mit der Situation in den 1950er Jahren in Deutschland). Überaus überrascht war ein Interviewpartner, als Russlanddeutsche am Neujahrsmorgen recht bald die Reste der nächtlichen Knallerei auf der Straße entsorgten. Damit schienen sie ein Verständnis von Sauberkeit zum Ausdruck zu bringen, was offenbar nicht der Erwartungshaltung des Interviewten entsprach.224

4.3.5 Wohnen In den 1950er und 1960er Jahren entsprachen die Wohnungen und Häuser vieler Einheimischer, die sie zur Vermietung anboten, noch nicht den Standards, den viele Amerikaner erwartet hatten und gewohnt waren. Viele Einheimische orientierten sich beim Um- oder Neubau von daher an der Ausstattung der Wohnungen und Häuser in der amerikanischen „Housing“. Jeder hätte damals in die „Housing“ gewollt, um sich umzusehen, denn die Wohnungen dort galten als „Traumwohnungen“. Diese Begeisterung zeigt sich in Frau Ths Erzählung: „Das war was ganz Fantastisches! Riesengroße Räume und dann hatten die damals schon in der Küche den Müllschlucker, wo man einfach reinwerfen konnte, was dann nach unten in den Keller ging. Und überall Teppichboden. Und da hatten sie auch sehr viele Putzfrauen.“225 Die neuen Häuser, die später gebaut wurden, hätten dann aber mehr dem amerikanischen Standard und Geschmack entsprochen und das Wohnen im eigenen Haus wurde sehr beliebt. So beliebt, dass die Mietpreise explodiert seien und die Amis viel bezahlt hätten, wenn das Haus ihnen gefiel.226 Dagegen wird den Russlanddeutschen eher eine Vorliebe für „Prunk“ zugeschrieben. Vor allem den Jüngeren unter ihnen wird ein aufwendiger Lebensstil vorgeworfen. Ein 66-jähriger Landwirt kritisiert beispielsweise:

222 223 224 225 226

Herr Fl (60 E), TS 34. Ebd., TS 11. Ebd. Frau Th (53 E), TS 15. Vgl. ebd., TS 16. 205

FREMDE VOR ORT

„Nichts schaffen, alles haben. Ich krieg’ das irgendwie nicht in den Kopf, wenn eine normale Familie auch mit zwei Kindern, warum die über 300 qm Wohnfläche brauchen, wenn ich mit 130 qm hinkomme. Und halt der Kitsch, den die haben. Alles mit Rüschen verziert und die dollste Farbe, rosa und türkis und so.“227

Durch den Abzug der Amerikaner verloren viele Einheimische ihre Rolle als Vermieter. Immer wieder wurde erzählt, dass die Russlanddeutschen erst einmal die von den Amerikanern verlassenen Wohnungen gemietet hätten und damit in eine Lücke gesprungen seien. „Da waren die ganzen leerstehenden Häuser vermietet auf einen Schwung und auch zum selben Geld wie bei den Amis, z.T. auch noch mehr. Und da haben die auch weiter ihre Geschäfte gemacht.“228 Als Mieter hatten die Russlanddeutschen jedoch eher einen schlechten Ruf. Die Gründe wurden in den anderen Gewohnheiten der Russlanddeutschen gesehen: „Die haben ihre eigene Einstellung, Mentalität, Kultur, Gerüche, was alles so dazugehört. Da wird dann der Kappeskopf im Keller zu Dutzenden eingelagert und der Fisch und alles – jedenfalls trägt da nichts zur Wertsteigerung des Hauses bei.“229 Gegenüber den Amerikanern würden viele Russlanddeutsche mit viel mehr Personen in einer Wohnung leben. „Die achten auch nicht wirklich auf die Wohnung, die ist denen völlig egal, einfach wurscht. Da wird gelebt und abends gibt’s den Wodka.“230 Beim Hausbau sahen viele Einheimische Parallelen, denn wie man selber wollten sich auch Russlanddeutsche auf dieses Weise bleibende Werte sichern (siehe hierzu Kapitel 3). Hierfür eignete sich der Hunsrück insofern besonders gut, als sowohl Grundstücke wie auch das Bauen relativ günstig waren, was ebenso Aussiedler aus anderen Regionen anzog. Viele Russlanddeutsche wären aber auch deshalb auf den Hunsrück gekommen, weil hier auch schon viele andere Aussiedler gelebt hätten.231

4.3.6 Typisierungen: Amerikaner und Russlanddeutsche Bislang wurden vor allem solche Aspekte des Umgangs mit Fremdheit thematisiert, die von den interviewten Einheimischen in vergleichender Perspektive angeführt wurden. Darüber hinaus gab es aber auch Zuschreibungen der Einheimischen, welche gruppenspezifische und als typisch erachtete Merkmale 227 228 229 230 231

206

Herr Lz (66 E), TS 6. Frau Ky (48 E), TS 14. Ebd., TS 15. Ebd. Vgl. Herr Str (36 Ex), TS 9. Aussiedler reisen generell in überwiegendem Maße im Familienverband aus bzw. versuchen sich in der Nähe von Verwandten anzusiedeln. Der Wanderungsprozess der Aussiedler wird deswegen als Kettenmigration betrachtet. Vgl. Strobl und Kühnel: Dazugehörig (wie Anm. 108, S. 176), S. 187.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

der Fremden herausstellten. Hierzu zählte häufig zunächst bekanntes und vergleichbares Verhalten, wie z.B. ein Familienfest zu feiern, welches sich dann jedoch in der Ausführung der jeweiligen Gruppe vom bislang üblichen unterschied und die Einheimischen dadurch besonders irritierte bzw. befremdete. Die damit einhergehenden Verallgemeinerungen, die aus Sicht der Einheimischen die gesamte Gruppe kennzeichneten, werden im Folgenden als Stereotypisierungen interpretiert und unter der Überschrift „typisch amerikanisch“ bzw. „typisch russisch“ zusammengefasst. Typisierungen des Amerikanischen kamen in deutlich weniger Aspekten zum Ausdruck als Typisierungen des Russlanddeutschen oder Russischen; zudem wiesen die damit verbundenen Deutungen der Einheimischen bei Amerikanern und Russlanddeutschen in unterschiedliche Richtungen.

Typisch amerikanisch Von den Amerikanern wurde berichtet, dass sie Dingen, die für die Einheimischen wichtig waren, wie etwa Gardinen aufzuhängen oder Fenster zu putzen, keine Bedeutung beimaßen und kritische Bemerkungen nur mit „no problem“ kommentierten.232 Ähnlich hätten sie auch auf Beschwerden der Einheimischen reagiert, wenn sie morgens eine halbe Stunde lang das Auto vor der Tür warm laufen ließen. Im Nachhinein wird dies jedoch von den Einheimischen als Kleinigkeit abgetan und als Ausdruck amerikanischer Besonderheit bzw. „Verschrobenheit“ interpretiert.233 Ein weiteres Beispiel für die scheinbar sorglose Lebensart der Amerikaner wird durch die Geschichte eines einheimischen Handwerkers illustriert. Dabei geht es um einen amerikanischen Soldaten, der trotz einer privaten Skilehrerin nur mäßig Skifahren lernte. „Ich hab’ geguckt, eine halbe Stunde, du bist vier/fünfmal gefallen, da hat die dich aus dem Schnee hochgezogen, so lernst du nie Ski fahren. Und das kostet dich doch einen Haufen Geld. ‚Macht nix‘, hat der da gesagt, ‚das Aufheben da aus dem Schnee, das ist mir jeden Preis wert‘. Das ist amerikanisch! (Lacht).“234

Zum Bild der Einheimischen von den Amerikanern gehörte, dass diese vieles nicht weiter hinterfragen, sondern einfach hinnehmen würden. „So sind halt die Amis“ ist von daher nicht nur Ausdruck von (zwangsläufiger) Akzeptanz, sondern auch von Ohnmacht gegenüber einer statusüberlegenen Gruppe. Dies stellte sich bei den Russlanddeutschen ganz anders dar.

232 Vgl. Frau Th (53 E), TS 3. 233 Vgl. Herr Re (39 E), TS 12. 234 Herr Hn (60 EG), TS 34. 207

FREMDE VOR ORT

Typisch russlanddeutsch bzw. russisch Typisierungen des Russlanddeutschen wurden meistens verkürzt als „typisch russisch“ bezeichnet. Gegenüber den Amerikanern wurde das typische Verhalten von Russlanddeutschen oft kritischer gesehen und zum Anlass genommen, eine Verhaltensänderung zu fordern. Vordergründig wurde dies mit dem Bemühen um Integration in Zusammenhang gebracht, tatsächlich handelte es sich aber um eine Aufforderung zur Assimilierung.235 Für die Einheimischen betraf dies besonders den Umgang der Russlanddeutschen mit Religion wie auch mit der Rolle der Frau. Das religiöse Verhalten vieler Russlanddeutscher löste bei manchen Einheimischen starkes Befremden aus. „Da gab es mal Aufruhr in Büchenbeuren, da haben sie auf dem Friedhof am Grab Wodka und Essen gefunden. Und da haben sie [die Einheimischen] schon gedacht, die würden da campieren auf dem Friedhof. Da hat sich nachher rausgestellt, das ist ein alter Brauch von denen gewesen, wo sie ihre Toten ehren, an sie denken oder so.“236

Berichte der Rhein-Hunsrück Zeitung trugen schließlich zur Aufklärung der Einheimischen bei.237 „Es stellte sich ja auch dann heraus, dass es Leute waren, die aus der Sowjetunion kamen, wo das Brauch war. Die haben da ahnungslos das auch hier gemacht, bevor denen jemand sagen konnte, das geht hier nicht. Und dann war das natürlich ein riesen Wirbel. Und das ist nachher dann nie mehr gemacht worden, weil das den Leuten wahrscheinlich sehr peinlich war, als sie’s gemerkt haben“,

verweist Herr Bm auf die Rolle der Zeitung.238

235 Siehe hierzu Hans-Werner Retterath: „Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh?“ Zu migrationsbedingten Veränderungen russlanddeutscher Begräbnisrituale. In: Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 45 (2003), S. 81-103. 236 Herr Te (21 E), TS 7. 237 Die Rhein-Hunsrück-Zeitung thematisierte diesen Vorfall in zwei Beiträgen: „Saufgelage erwies sich als guter Brauch. Totenritual russischer [sic!] Aussiedler auf dem Friedhof in Büchenbeuren verunsichert zahlreiche Dorfbewohner.“ In: Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 4.2.1997; „Russische Bräuche im Hunsrück.“ In: Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 4.2.1997. 238 Herr Bm (60 Ex), TS 23. 208

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Abbildung 24: Grab eines Russlanddeutschen in Büchenbeuren

Foto: Sabine Zinn-Thomas, 1997.

Auch der Umgang mit Toten bzw. das Verhalten bei Beerdigungen wurde nicht nur als unterschiedlich wahrgenommen, sondern als fremd und deswegen mit typisch russisch beschrieben. So würden etwa im Gegensatz zu den Einheimischen die Aussiedler im Sarg keine Krawatte tragen, hingegen die russlanddeutschen Frauen immer ein Kopftuch.239 Auch würden keine Traueranzeigen veröffentlicht oder Trauerkarten verschickt. In diesem Zusammenhang gab es auch typische Eigenarten der Russlanddeutschen, die durchaus positiv gesehen wurden: „Die Aussiedler tun mehr mit der gesamten Familie trauern. Bei den Einheimischen sind es vielleicht die nächsten Angehörigen, die vor der Beerdigung ab und zu in die Leichenhalle gehen. Die Aussiedler kommen schon am selben Tag, an dem verstorben wurde. Und dann am Tag der Beerdigung, da kommen sie schon um zehn Uhr und treffen sich mit der gesamten Großfamilie, egal woher die aus Deutschland

239 Vgl. Herr Gr (34 EG), TS 1. 209

FREMDE VOR ORT

kommen. Und dann sind sie halt wirklich rund um die Uhr da, bis beigesetzt wurde. Und das soll schon was sagen. Und das ist in meinen Augen toll.“240

Erneut rief der offensichtliche Familien- und Gruppenzusammenhalt, der sich auch im gemeinsamen Trauern offenbarte, bei vielen Einheimischen Achtung hervor. „Hier bei dem schweren Verkehrsunfall, bei dem drei Jugendliche verunglückt sind. Alle drei waren katholisch. Dann haben sich die ganzen Familien jeweils bei der anderen Familie abends jeden Tag getroffen und haben zusammen gebetet, um die Trauer auch auszuleben. So was würde man hier bei den Einheimischen nicht finden […] es war ’ne riesen Beerdigung. Die haben über 800 Leute eingeladen in der Bürgerhalle. Überall wurde Porzellan und Geschirr zusammengefahren, dass man genügend Teller und Tassen hatte. Und vorne saßen dann die drei Väter und die drei Mütter, also die Eltern, und da hat jeder denen kondoliert, jeder der kam. Da konnte man hingehen und so, die haben da zwei Stunden gesessen.“241

Während einerseits das gemeinschaftliche Trauern Achtung und Anerkennung hervorrief, wurden andere Sitten abgelehnt und als Verstoß gegen die Friedhofsordnung gedeutet: Diese verlange zum Beispiel, dass der Sarg auf dem Weg zum Grab geschlossen sein muss. Der politisch tätige Herr Bm erzählt über die Auswirkungen dieser Sitte: „Die haben versucht, den offenen Sarg ans Grab zu tragen. Aber das waren nur die ersten paar Monate so, als die ersten hier beerdigt wurden. Die Beerdigungsinstitute haben den Leuten ganz klar gesagt, hier geht das nicht, hier muss der Sarg geschlossen werden, bevor er aus der Leichenhalle heraus getragen wird.“242

Generell kam bei den Aussiedlern ein Glaubensverständnis zum Ausdruck, bei dem gerade die örtlichen Pfarrer Parallelen sahen „wie bei uns vor 50 Jahren“. Damals seien die Mundkommunion, „magische Glaubensvorstellungen“ gerade im Zusammenhang mit Weihwasser, Segnungen der Häuser (was in Sohren bis in die 1970er Jahren gemacht worden sei), Kerzen und Räucherstäbe, wie auch ein exzessives Trauern üblich gewesen.243 Das Verhalten der Russlanddeutschen wurde in den meisten Fällen, wie bereits erwähnt, von den Einheimischen mit der „anderen Lebensweise“ oder als „typisch russisch“ begründet. Hierzu zählten auch die Hochzeiten, die nicht nur aufwendiger gestaltet, sondern bei denen auch beide Partner deutlich

240 241 242 243 210

Herr Gr (34 EG), TS 2f. Herr Fl (60 E), TS 13. Herr Bm (60 Ex), TS 23. Herr Schr (45 Ex), TS 20.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

jünger als einheimische Paare gewesen wären. „Es vergeht fast kein Wochenende, wo hier keine Hochzeit von sehr jungen Aussiedlern ist. Also bei uns ist das gar nicht mehr üblich. Mittlerweile heiratet man, wenn überhaupt, jenseits von dreißig oder um die dreißig.“244 Das Heiratsalter und ein eher traditionelles Frauenbild wurden dabei eng miteinander verknüpft. Generell unterstellten viele Einheimische den Russlanddeutschen ein – wie sie es bezeichneten – traditionelleres Rollenverständnis. Dies hing vor allem mit dem Aussehen und Verhalten russlanddeutscher Mädchen und Frauen zusammen: „Aufgetakeltes und geschminktes Äußeres“ sowie Verhalten, was zwar mit „Flanieren“ umschrieben, aber als „nach Männern Ausschau halten“ gedeutet wurde. Viele Einheimischen sahen dies als Ausdruck von „etwas in der Zeit zurück“ geblieben, was sich wiederum zum Eindruck des „typisch Russischen“ verdichtete.245 Aber auch Partnersuche, Partnerwahl und das frühe Heiratsalter der Aussiedler repräsentierten für sie eine Form des Andersseins, die nicht mit ihren eigenen Wert- und Normvorstellungen korrespondierte: „Da sind die Einheimischen wirklich nicht so, die haben eine andere Einstellung. Da hat unter uns ein Mädchen gewohnt. Und da hat die russlanddeutsche Nachbarin gesagt: ‚Ach, das ist schon ein altes Fräulein.‘ Und da hab’ ich gefragt, wie alt ist sie denn? ‚Ja, 19 Jahre.‘ Die müssen mit 16/17 Jahren ihren festen Freund haben. Das sind doch ganz andere Vorstellungen.“246

Gleichzeitig wurden aber auch Verhaltensweisen von Männern und Frauen, die noch vor wenigen Jahren vor Ort selber üblich waren, als Zeichen mangelnder Aufgeklärtheit und Partnerschaft, insbesondere der russlanddeutschen Männer, gesehen. So hätten diese etwa Schwierigkeiten mit Frauen, die ohne männliche Begleitung in die Gaststätte gehen würden. „Eine Frau, die allein in die Wirtschaft geht, ist eine Hure. Das ist die Einstellung von denen. Also eine Frau, das gehört sich einfach nicht. War ja früher hier genauso, da durfte die Frau auch nicht allein in die Kneipe gehen, das war etwas sehr, sehr Unanständiges. Eine Frau, also wirklich. Keine Aussiedlerfrau traut sich allein in die Kneipe zu gehen.“247

Viele Einheimische schlossen daraus, dass in Bezug auf „sittliches Verhalten“ die Männer „das Sagen hätten“. Aber auch verheirateten russlanddeutschen Frauen wurde nachgesagt, dass sie sich in diesem Zusammenhang einem kon244 245 246 247

Herr Re (39 E), TS 17. Herr Fl (60 E), TS 10. Frau Br (54 E), TS 4. Frau Br (54 E), TS 3. 211

FREMDE VOR ORT

ventionellen Frauenbild unterordnen würden. Über eine Begegnung in einem kirchlichen Gesprächskreis berichtet Frau Br weiter: „Zum Schluss, als wir fertig waren mit den Diskussionen, da haben sie [damit sind Aussiedlerinnen gemeint] gesagt, sie würden nicht mehr kommen. Wir würden nicht genug beten und die Frauen würden auch Bier trinken.“248 Ganz anders stellte sich die Situation im Hinblick auf die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau dar. Hier würden Frauen eher dominante Züge zeigen: „Da wird ganz viel von Frauen gemacht, was bei uns selbstverständlich von Männern gemacht wird. Wenn irgendwas kaputt ist, haben das die Frauen repariert, nicht die Männer. Da wurde hier das Haus gekauft und renoviert, verputzt und alles, und die Frauen standen auf den Gerüsten und waren da am Machen. Der Mann hat immer nur unten die Eimer aufgefüllt. Da dachtest du, hier ist doch irgendwie etwas verkehrt. Der Mann hatte nur so Handlangerdienste und die Frauen waren am Verputzen.“249

Einen Erklärungsansatz für das als typisch männlich gedeutete Verhalten russlanddeutscher Frauen, was mit dem Stereotyp des „Russenweibs“ korrespondierte, sahen einige Einheimische in dem übermäßigen Alkoholkonsum russlanddeutscher Männer: „Wahrscheinlich waren die Frauen einfach gezwungen, sich selbst zu helfen, sonst wäre es in der Familie nicht rund gelaufen. Weil sich da die Männer auf der Arbeit [in Russland] mit Wodka zugeschüttet haben.“250

4.3.7 Zwischenfazit: Direkte Vergleiche und Typisierungen Die Analyse des expliziten Vergleichs der Einheimischen zeigte sowohl Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten zwischen Einheimischen, Amerikanern und Russlanddeutschen. Die Vergleiche der Einheimischen basierten auf dem Hintergrund ihres eigenen Werte- und Normsystems, welches, wie sich zeigte, durch die Erfahrungen mit den Amerikanern beeinflusst war. Deutlich wurde, dass die Amerikaner vielen Einheimischen als Vorbild dienten und viele sich mit ihnen vor allem im Hinblick auf deren scheinbare Offenheit und Toleranz, Lockerheit und Kontaktfreudigkeit identifizierten. Von daher kam auch im direkten Vergleich zwischen Einheimischen und Amerikanern eine Abnahme der pragmatischen Relevanz der Differenz zum Ausdruck. Unterschiede zwischen Amerikanern und Einheimischen spielten in den Erinnerungserzählungen kaum noch eine Rolle; sie wurden eher als 248 Ebd., TS 6. 249 Herr Re (39 E), TS 23. 250 Ebd. 212

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Kennzeichen des Verhältnisses von Einheimischen und Amerikanern gesehen, wie es vor allem in der Anfangszeit der Stationierung konstituierend war. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass vor dem Hintergrund des Zusammenlebens mit den Russlanddeutschen manche der in die Vergangenheit verorteten Differenzen mit den Amerikanern nun als positiv herausgestellt werden, wie etwa dauerhafte Freundschaft oder Sparsamkeit („selber kochen und einwecken“). Was einstmals gegenüber dem materiellen Wohlstand und Fortschritt der Amerikaner die als unterlegen empfundene Position der Einheimischen illustrierte, wird nun zum Wert an sich stilisiert. Der Zuzug der Russlanddeutschen hat auch zu einem Wandel der Auto- und Heterostereotypisierungen der Einheimischen geführt. Der Autostereotyp der Einheimischen war bis zum Zuzug der Russlanddeutschen tendenziell stärker negativ belegt im Vergleich zum positiven Heterostereotyp der Amerikaner. Im Vergleich der Einheimischen mit den Russlanddeutschen wurden Gemeinsamkeiten, wie z.B. die Bedeutung von Freundschaft und das gemeinschaftliche Bauen und Wohnen, eher in der eigenen Vergangenheit verortet und dagegen die Unterschiede, wie z.B. Konsumgewohnheiten und Wohnund Kleidungsgeschmack als bestimmend für die Gegenwart gesehen. Dabei zeigte sich auch, dass Differenzen im Sinne von „typisch russisch“ viel häufiger von den Einheimischen wahrgenommen und beschrieben wurden als Differenzen, die mit „typisch amerikanisch“ assoziiert wurden – ein weiteres Indiz für die Zuschreibung von Fremdheit. Auch wurden Normverstöße diametral bewertet: was bei den Amerikanern oft akzeptiert oder geduldet wurde, stieß bei den Russlanddeutschen oft auf Ablehnung oder wurde negativ konnotiert. Eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung und Deutung von Unterschieden zwischen den verschiedenen Gruppen spielten besonders überregionale Medien. Sie entwerfen und transportieren nicht nur Bilder von Fremden, sondern liefern auch entsprechende Deutungsmuster. Dadurch beeinflussten sie vor allem diejenigen, die aufgrund fehlender eigener Anschauung nur wenig Erfahrung im Umgang mit Fremden hatten. Aber auch jene blieben davon nicht unbeeindruckt, die mit Fremden zusammenlebten und mit diesen mehr oder weniger auch in Kontakt kamen wie die Einheimischen in der vorliegenden Untersuchung. Anschließend sollen nun Deutungs- und Wahrnehmungsmuster, wie sie in den Medien thematisiert werden, betrachtet werden. Abschließend kommen dann Amerikaner und Russlanddeutsche selbst zu Wort.

213

FREMDE VOR ORT

4.4 Wahrnehmung und Imagination: Zur Darstellung der Fremden in den Medien Seit der Stationierung der Amerikaner im Hunsrück wurde über die Fremden vor Ort auch in überregionalen Medien berichtet. Nach dem Zuzug der Russlanddeutschen kam es erneut zu einem Anstieg des Medieninteresses, bei dem besonders die Unterschiede zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen eine wichtige Rolle spielten und herausgestellt wurden.251 Insofern spiegeln sich die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Einheimischen vor Ort in der Berichterstattung der Medien genauso wie diese durch die Darstellung der Medien beeinflusst wurden. Häufig handelte es sich dabei um Reportagen, die einen Blick hinter die Kulissen versprachen, und die mit Bildern von Fremden operierten, welche mittels Imagination – also Vorstellungskraft und Phantasie – hervorgerufen und produziert worden waren. So konstatierte beispielsweise der Spiegel: „Russen sind auf dem Hunsrück – wie anderswo – nur dann so richtig beliebt, wenn sie singen wie Ivan Rebroff. […] Dass der ‚Iwan‘ [diesmal mit ,w‘ geschrieben] einen deutschen Pass hat und wahlberechtigt ist, will vielen Einheimischen nicht in den Kopf. Die Zuwanderer aus den kasachischen Steppen sind ihnen so fremd wie Türken – vielleicht noch fremder, denn die Türken behaupten wenigstens nicht, Deutsche zu sein.“252

Inwiefern diese Imaginationen auch einen Einfluss auf den Umgang mit Fremdheit hatten und welche Rolle dabei die Medien spielten, soll im Folgenden näher betrachtet werden. Dabei geht es zunächst um die Darstellung Russlanddeutscher. Welche Imaginationen des Fremden sind hier dominierend? Wie sind vor diesem Hintergrund die Erfahrungen mit den amerikanischen Soldaten zu bewerten? Anschließend werden die Imaginationen des Fremden in Beziehung gesetzt zu den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der Einheimischen vor Ort. Wurden Imaginationen jener frühen Fremden von denen der heutigen Fremden abgelöst? Abschließend soll der Einfluss der Medien auf die Wirklichkeit, d.h. auf den Umgang mit Fremdheit hinterfragt werden.

251 Dies hing u.a. auch damit zusammen, dass die Veränderungen im Hunsrück den Wandel der politischen Verhältnisse versinnbildlichten. 252 „Für jeden Ami ein Russe“ (wie Anm. 7, S. 13), S. 47f. 214

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

4.4.1 Die Russlanddeutschen auf dem Hunsrück Russlanddeutsche Aussiedler sind seit den 1990er Jahren für die Medien vor allem aus zwei Gründen interessant: wegen ihrer Herkunft und wegen ihres neuen Lebens in Deutschland.253 Gerade über ältere Russlanddeutsche wurde vor allem in der Anfangszeit des Aussiedlerzuzugs – als das Medieninteresse an den Aussiedlern einen ersten Höhepunkt erreicht hatte – häufig berichtet. Sie galten und gelten als Impulsgeber der Aussiedlung und waren unter den ersten, die nach Deutschland kamen. Ihre Erlebnisse liefern oftmals den Rahmen oder Aufhänger für Berichte, die generell über die Geschichte der Russlanddeutschen informieren. Exemplarisch herausgegriffen wurden sie mit Vor- und Nachnamen genannt und ausführlich in ihrem Habitus beschrieben. Ihr Aussehen, Details der Kleidung sowie Tätigkeiten wie Gartenarbeit oder Putzen sind Teil einer Inszenierung des Fremden. Oft sind die Protagonisten Frauen, die „mit Kopftuch, Wollstrumpfhosen und Kittelschürze“ im Garten Unkraut jäten254 oder von ihren Tomaten in Novosibirsk berichten: „,Gut schmeckten die, und groß waren sie.‘ Irma Herzel lächelt und formt die Hände zu einer tennisballgroßen Kugel.“255 Die Erinnerung an die frühere Heimat, die häufig auch mit Bildern von einer „Datscha“ oder „heißen sibirischen Sommern“ begleitet werden, weist in die Vergangenheit. Entsprechend ist die Beschreibung russlanddeutscher Männer: „Im Gesicht hat er die Spuren eines schweren Lebens. Er ist von der Wolga gekommen. Er war dort Bergarbeiter. Seine Frau ist tot. Seine Kinder in Sohren leben ihr eigenes Leben. […] ‚Die Heimat ist vergesse gange‘ sagt er. Nur manchmal hat er Heimweh nach dem Dorf, in dem er geboren wurde. ‚Da tuts einem manchmal Leid. Aber das vergeht wieder.‘ Anton Reising sitzt hier auf der Bank zwischen den Orten Sohren und Büchenbeuren, und zwischen zwei Welten sitzt er wahrscheinlich auch.“256

Jedes Detail der Darstellung an sich, sei es die Kleidung, die Datscha in Novosibirsk, die Tätigkeit als Bergarbeiter aber auch die Sprache, der Dialekt, ruft Imaginationen hervor. Dadurch kommt es zu Zuschreibungen von Eigenschaften wie ärmlich, bescheiden, vom Schicksal geprüft, einsam und heimatlos, die durch die Vorstellungskraft des Lesers den Fremden konstruieren und

253 Das Interesse der Medien wird auch durch die Wissenschaft gestützt, indem sie die Aussiedler als neue Einwanderer-„Problemgruppe“ bezeichnet und thematisiert. 254 Witte: Region (wie Anm. 212, S. 145), S. 3. 255 „Für jeden Ami ein Russe“ (wie Anm. 7, S. 13), S. 45. 256 Kohrt: Kasachstan (wie Anm. 210, S. 145), S. 3. 215

FREMDE VOR ORT

charakterisieren. Er lässt sich kategorisieren, d.h. ein- und zuordnen und wird dadurch greifbar. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Darstellung russlanddeutscher Jugendlicher. Sowohl in Zeitungen wie auch im Radio und Fernsehen wurde hier mit Vorstellungen und Bildern operiert, die das Anderssein der Jugendlichen betonten.257 Alkohol, Drogen, Gewalt und Kriminalität wurden dadurch Teil einer Imagination des Fremden, welche die Gruppe der Russlanddeutschen insgesamt stigmatisierte. Die Versatzstücke der Imaginationen wiesen jedoch in eine ganz andere Richtung als bei den älteren russlanddeutschen Aussiedlern: Die Darstellungen korrespondierten mit Berichten, in denen vor allem männliche Aussiedler-Jugendliche als „entwurzelt und heimatlos“ sowie „gewalttätig und kriminell“ beschrieben wurden. Dies fand sich auch zum Teil in den Deutungs- und Erklärungsmustern der Einheimischen wieder: So wurde zum einen die Gruppe der Jugendlichen als „entwurzelt“ beschrieben, weil sie einen Großteil ihrer Jugend in Russland verbracht hätten.258 Zum anderen wurde der Drogenkonsum auf die Lebenssituation vor Ort zurückgeführt: „Die verkraften das echt nicht so. Das, was sie da gewöhnt waren, und was jetzt auf einmal hier alles auf sie einstürmt. Wenn die das gewusst hätten, wären sie vielleicht in Russland geblieben.“259 Mit der Zeit setzte die Berichterstattung über jugendliche Spätaussiedler vor Ort einen regelrechten „Medienhype“ in Gang, der die scheinbare Dramatik der Situation unter dem Vorwand der Aufklärung auszuschlachten begann. Eher halbherzige Versuche, den Jugendlichen Mut zu machen, ihr Glück in den Herkunftsländern zu suchen, unterstrichen diesen Eindruck. Kulturelle Zuschreibungen hinsichtlich Gewaltbereitschaft und Suchtverhalten sprachen ihnen zudem jegliche Eigenverantwortung ab. Keine Frage, dass sich die Aussiedler selber nicht nur als Opfer der Umstände sahen, sondern auch als Opfer einer Medienkampagne.260 Im Unterschied zu den Amerikanern, bei denen ebenfalls Drogen im Umlauf waren und es auch zu zahlreichen Unfällen unter Alkoholeinfluss gekommen war,261 berichteten die Medien bei den Russlanddeutschen über diese Vorfälle ausführlich. Dies hing auch damit zusammen, dass bei den Amerikanern zahlreiche Delikte zumeist räumlich beschränkt auf das unmittelbare Umland des Flugplatzes Hahn blieben und von der Air-Police nahezu unter 257 Siehe hierzu vor allem Report Mainz (2003): Kriminell (wie Anm. 169, S. 133). 258 Herr Re (39 E), TS 13. 259 Frau Wh (28 E), TS 2. 260 Siehe hierzu Zinn-Thomas: Kriminelle, jugendliche Spätaussiedler (wie Anm. 120, S. 179). 261 Vgl. Herr Re (39 E), TS 11f. 216

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Medienausschluss geregelt wurden. So berichtet etwa der Pädagoge Herr Str: „Man hat davon nichts mitgekriegt. Man hat nicht die Amerikaner irgendwo an der Bushaltestelle sitzen sehen, wie man jetzt die Aussiedlerjugend sieht.“262 Gestützt auf Berichte der Medien sahen sich auch Einheimische als Opfer, etwa aufgrund der staatlichen Zuwanderungspolitik oder ganz konkret durch Überfälle oder Diebstähle von Russlanddeutschen. Ihre Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen, beispielsweise zusehen zu müssen, wie scheinbar die Polizei diesen Jugendlichen gegenüber kapituliert hatte und nicht hart durchgriff, machte sie empfänglich für Deutungen, die sie in ihrer Opferperspektive bestätigten. Ähnlich verhielt es sich übrigens auch mit den Aussiedlerjugendlichen, die es, zurückgeworfen auf die eigene Gruppe, ablehnten, sich mit divergierenden Werten und Verhaltensmustern auseinander zu setzen.263 Insgesamt zeigte die Darstellung der Rentner wie auch die der Jugendlichen, dass Fremdheit keine Eigenschaft für sich ist, sondern zugeschrieben wird: durch Stereotypisierung, Bilder und Vorstellungen, die durch konkrete Vorfälle, Erlebnisse, Medienberichte usw. und die damit verbundenen Imaginationen hervorgerufen und zusammen gesetzt werden. Sie tragen dazu bei, ein Bild vom Anderen zu konstruieren, das für den alltäglichen Umgang mit Fremdheit als Bewertungsmaßstab dient.264 Durch die Zuschreibungen werden Distanz und Differenz innerhalb sozialer Beziehungen definiert. In den Medien wurden so russlanddeutsche Rentner eher mit positiven und russlanddeutsche Jugendliche eher mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht. Wie aber schnitten sie im Vergleich mit anderen Fremden, insbesondere den Amerikanern, ab? Überschriften wie: „Für jeden Ami ein Russe“ oder „Die Amis sind weg, die Russen kommen“ – ließen bereits erahnen, dass es sich hier nicht um irgendwelche Gruppen von Fremden handelte, sondern dass diese in Beziehung zueinander stehen mussten. Imaginationen des Fremden machten schnell deutlich, wer als Freund und wer als Feind angesehen wurde, wer damit also grundsätzlich eher akzeptiert und wer eher abgelehnt wurde: „Für Bernhard Norris, 48, einen amerikanischen Barbesitzer […] nahe dem ehemaligen US-Fliegerhorst Hahn, steht die Welt auf dem Kopf: ,45 Jahre haben wir euch vor den Russen geschützt, jetzt sind unsere Jungs weg, und die sind da.‘“265 262 Herr Str (36 Ex), TS 6. 263 Siehe hierzu Zinn-Thomas: Kriminelle, jugendliche Spätaussiedler (wie Anm. 120, S. 179). 264 Vgl. Arnold Suppan: Identitäten und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen. In: Heuberger, Suppan und Vyslonzil (Hrsg.): Das Bild vom Anderen (wie Anm. 4, S. 152), S. 9-20, hier S. 15. 265 „Für jeden Ami eine Russe“ (wie Anm. 7, S. 13), S. 45. 217

FREMDE VOR ORT

Typisch für diese Beiträge überregionaler Medien ist, dass darin Erinnerungen an den Kalten Krieg und eine Zeit heraufbeschworen wurden, in denen die Welt noch in Ordnung, das heißt, die Rollen darin eindeutig verteilt waren: die Russen waren der Feind und die amerikanischen „Jungs der Freund, der uns vor ihnen beschützt hat.“ Deswegen wurde in diesem Kontext auch häufig daran erinnert, was das Zusammenleben mit den Amerikanern damals ausgemacht hätte: „Mit den Amis war eben alles einfacher. Die konnten zwar auch kaum Deutsch, waren aber […] irgendwie freier. Außerdem gaben sie eine Menge Geld aus, gingen essen, kauften viele Kuckucksuhren und zahlten ohne Murren Wuchermieten.“266 Die mit solchen Rückblicken in Zeitungen und anderen Medien verbundenen positiven Imaginationen der „Amis“ bestimmten auch den Vergleich mit den Russlanddeutschen.267 Es wird darin zwar deutlich, dass hier eine Gruppe von Soldaten einer Gruppe von Privatpersonen gegenüber stand, was einen Vergleich eigentlich ausschließen würde. Dies schien jedoch für die Imagination des Fremden vernachlässigbar. Für viele repräsentierten die GIs in den meisten Fällen doch die Amerikaner an sich. „Wo noch im Sommer 1991 Uniformierte der Air-Force in Kompaniestärke zum Putzen antreten mussten, feudeln jetzt Irma und August Herzel aus Novosibirsk.“268 Nicht nur zahlenmäßig erscheinen hier die Amerikaner als überlegen: während sie (richtig) „putzen“, „feudeln“ die Russlanddeutschen lediglich, und das auch nur zu zweit. Auch bei der Beschreibung der Region kam die Dominanz der frühen Fremden zum Ausdruck: „Wo der Sound of Freedom der F16-Kampfmaschinen dröhnte – wollen Aussiedler Wurzeln schlagen.“269 Repräsentiert auf der einen Seite der Kampfjet modernes Leben und technischen Fortschritt, weist die Wurzelmetapher eher in die Vergangenheit.270 Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Der Tenor der Darstellungen bliebe jedoch immer der gleiche. Er lässt sich auf die „volkstümliche Kurzform“ bringen, die als solche etikettiert aus einem Radiobericht des SWR stammt: „Die Amerikaner haben gebracht, die Russen haben genommen“, d.h. die Zuschreibungen der Amerikaner betonten deren Stärke und Überlegenheit, jene der Russlanddeutschen deren Schwäche und Unterlegen-

266 Ebd. 267 Diese Rückblicke bzw. Erinnerungen an unwiderruflich Vergangenes entgehen häufig nicht einer gewissen Idealisierung und verweisen eher auf die Bedürfnisse und Belange der Erinnernden in der Gegenwart. Vgl. Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart und Weimar 2005, S. 7. 268 „Für jeden Ami ein Russe“ (wie Anm. 7, S. 13), S. 47. 269 Ebd. 270 Siehe hierzu auch Köstlin: Heimat (wie Anm. 108, S. 113), S. 327. 218

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

heit.271 Zwar standen sich beide nicht mehr als Feind oder Freund gegenüber, die von den Medien imaginierten Bilder und Vorstellungen weisen jedoch immer noch in diese Richtung. Das galt insbesondere dann, wenn der von den Medien inszenierte Vergleich Erinnerungen weckte. Die damit verbundenen Imaginationen wirkten besonders dann nachhaltig, wenn sie auf Zeitungsberichten beruhten, da diesen oft ein hoher Wahrheitsgehalt zugeschrieben wurde. Viele Einheimische fanden – wie bereits gezeigt – nach den Erfahrungen mit den Amerikanern die Rolle des überlegenen Menschenfreundes, gar Xenophilen, verführerisch. Ihr Selbstbild wurde dominiert von Vorstellungen eigener Offenheit und Toleranz. Von daher fühlten sich viele durch den Zuzug der Russlanddeutschen zunächst in dieser Rolle herausgefordert. Schon relativ früh wurden Patenschaften für Familien übernommen, Kleidung und Möbel gespendet. Das Wissen über die Herkunft der Russlanddeutschen war jedoch oftmals rudimentär. Vorstellungen vom „Osten“ kommen darin genauso zum Ausdruck wie Bilder von „den Russen“ aus der Zeit des Kalten Krieges. In der Imagination des Fremden vermischten sich diese mit den Medienberichten über Russlanddeutsche oder wurden in ihnen als vermeintliche Tatsache widergespiegelt. In diesem Kontext erhielten auch die Erinnerungen an die „Amis“ neues Gewicht. Sie waren eine Folie, auf die die Einheimischen ihre Wahrnehmungen und Deutungen der Russlanddeutschen projizierten. Der Vergleich beider Gruppen geriet dabei immer mehr zu einer Art Kultur-Vergleich, der von der Medienberichterstattung flankiert wurde. Er wirkte besonders dann glaubwürdig, wenn hierzu sogenannte Experten angeführt wurden: „,Die beiden Kulturen passen nicht zusammen‘, brachte die damalige Leiterin des Begegnungshauses in Büchenbeuren das Problem auf den Punkt. […] Zu unterschiedlich seien die Wertvorstellungen. Oftmals hängen den Aussiedlerfamilien Gepflogenheiten an, die in Deutschland allenfalls noch in den Fünfzigerjahren galten.“272

Korrespondierten einerseits die Medien mit den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der Einheimischen oder wirkten sogar auf diese verstärkend, trugen sie andererseits dazu bei, neue Sichtweisen zu etablieren. Gerade die Vorstellungen krimineller jugendlicher Aussiedler wurden durch die Medien regelrecht präformiert. Obwohl die Einheimischen ja vor Ort lebten, war deren eigene Anschauung oder Erfahrung im Umgang mit Aussiedlerjugendlichen besonders in der ersten Zeit als eher marginal zu bezeichnen. Imaginati271 Vgl. Wagner: Wo die Weltpolitik (wie Anm. 9, S. 14). 272 Witte: Region (wie Anm. 212, S. 145), S. 3. 219

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onen beherrschten vielmehr die Wahrnehmungen und führten dazu, dass bereits mehrere Jugendliche, die am Straßenrand zusammen standen, schon als bedrohlich empfunden wurden.

4.4.2 Der Einfluss der Medien auf den Umgang mit Fremdheit Der Umgang mit Fremdheit ist abhängig vom Wissen bzw. von dem, was zu wissen geglaubt wird. Auf dem Hunsrück waren sich die meisten sicher zu wissen, was von ihnen im Bezug auf die Russlanddeutschen erwartet wurde. Darin wurden sie jedoch relativ schnell enttäuscht. Waren die Erwartungen der Einheimischen zunächst auf die auch medial aufbereitete Vorstellung „armer russlanddeutscher Rentner“ fokussiert, denen viele mit Offenheit und Hilfsbereitschaft begegneten, entsprach dieser Fokus und daraus resultierende Erwartungen nur ansatzweise der Wirklichkeit vor Ort. Dies führte dazu, dass sich immer mehr Einheimische zunehmend in der „Opferrolle“ gefielen, in der sie sich, verstärkt durch die Medien und aufgrund der dort beschriebenen Zustände vor Ort, immer öfter wiederfanden. So wurden Reportagen wie die von Report Mainz von manchen sogar begrüßt. Schienen sie doch endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen, welche die Polizei und örtliche Presse angeblich „unter der Decke“ hielt.273 Trotz der scheinbar schwierigen Situation führten zwei Ausstellungen Mitte der 1990er Jahre im Begegnungshaus Büchenbeuren dazu – sie blieben von den überregionalen Massenmedien nahezu unbemerkt – Konvergenzen zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen sichtbar werden zu lassen. Unter dem Titel: „Das war unser Leben“, beschrieb die erste Ausstellung 1995 das Leben der Russlanddeutschen in Kasachstan und Sibirien.274 Mit „So lebten unsere Großeltern“, war die zweite Ausstellung im darauffolgenden Jahr überschrieben und handelte von dem Leben auf dem Hunsrück vor 50 Jahren. Die Gemeinsamkeiten des Alltagsleben, welches zwar zeitlich versetzt, aber dennoch vergleichbar erschien, eröffnete hier erstmals die Möglichkeit, sich auf einer Ebene zu treffen.275 Die Imaginationen, die diese Aus273 Siehe hierzu Zinn-Thomas: Kriminelle, jugendliche Spätaussiedler (wie Anm. 120, S. 179). 274 Ein ähnliches Ausstellungsprojekt wurde 2001 im Museum am Burghof in Lörrach realisiert: „Einmal Russland und zurück – Spätaussiedler/innen im Landkreis Lörrach“. Markus Moehring: Lörrach und die Russlanddeutschen. Blick in eine unbekannte weite Welt. (Bericht zur Ausstellung). In: Lörracher Jahrbuch 2001, S. 76-85. 275 Dies war von den Organisatoren der beiden Ausstellungen mit ihrem Projekt bewusst intendiert worden. Über die beiden Projekte informierte die Volkshochschule Kirchberg in ihrer Ausgabe: „kennenlernen. Deutsche aus Osteuropa bei uns.“ I. 95 – Ausstellung im Begegnungshaus Büchenbeuren sowie II. 96 – „So lebten unsere Großeltern.“ 220

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

stellungen freisetzten, basierten zwar ebenfalls auf einem Vergleich; im Gegensatz zu den meisten Medienberichten betonten sie jedoch eher die Gemeinsamkeiten zwischen Einheimischen und Fremden. Die Beispiele zeigen, wie stark die Imaginationen der Einheimischen von den Fremden in der Zeit großen Medieninteresses durch die Berichterstattungen beeinflusst worden sind. Das wirkte sich auch auf den alltäglichen Umgang mit den Fremden aus. Die Darstellung der Medien wirkte nicht nur oftmals verstärkend, sondern trug auch gerade bei Negativerlebnissen der Einheimischen dazu bei, diese in ihrer Sichtweise zu bestärken und eine allgemeine Gültigkeit ihrer Erlebnisse zu unterstellen. Erst nach dem Abklingen des Medieninteresses im Hunsrück gab es die Chance, wieder verstärkt den eigenen Erfahrungen im Zusammenleben mit den Russlanddeutschen zu trauen bzw. diese zum Maßstab der Vorstellungen über die Fremden zu machen. Wenn diese stärker die Oberhand gewännen, käme es möglicherweise auch eher zu einer Anerkennung von Gemeinsamkeiten, welche fortan die Imaginationen des Fremden bestimmen könnten. Es lässt sich also festhalten, dass Imaginationen des Fremden in den Medien vor allem auf Beschreibungen der Differenz gründeten. Sie basierten auf Dichotomien wie Freund/Feind, damit assoziierte Bilder und Vorstellungen waren kulturell geprägt und überformt und beeinflussten nicht nur Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, sondern auch das Handeln. Dabei führten sie auch zu einer verstärkten Polarisierung etwa zwischen Einheimischen und Fremden. Dies wurde vor dem Hintergrund, dass sich schlechte Nachrichten – d.h. solche mit einem gewissen Sensationswert – besser verkaufen lassen, von den Medien in Kauf genommen. Sie sind Teil eines Fremdheitsdiskurses, der sich ständig selbst reproduziert und bei dem sich die Gleichzeitigkeit der Bilder in der Ungleichzeitigkeit ihrer Entstehung überlappen. Nicht zuletzt entsprachen die Berichterstattungen in ihrer Darstellung einem Bedürfnis von Individuen, Gruppen und Nationen, sich eine klar geordnete Welt einzurichten, in der sie sich sozial bestätigt sehen. Abschließend kommen nun die zu Wort, von denen bislang immer die Rede war: die Fremden bzw. die ehemals vor Ort stationierten amerikanischen Soldaten sowie die vor Ort ansässigen Russlanddeutschen. Zur Ergänzung und Spiegelung der Perspektive der Einheimischen werden zunächst in einem Exkurs die Aussagen der Amerikaner, die noch vor Ort leben bzw. die an einer Internet-Umfrage teilgenommen haben, analysiert. Anschließend werden die Ergebnisse der Interviews mit den Russlanddeutschen vor Ort zusammenfassend dargestellt.276 276 Zusätzlich zu Amerikanern und Russlanddeutschen wurden auch einige in Sohren und Büchenbeuren lebende Ausländer befragt. Da dabei keine wesentlich neuen Einblicke zusätzlich zu den Interviews der Einheimischen gewonnen wurden, wird hier nicht gesondert darauf eingegangen. 221

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4.5 Exkurs – Erinnerungen und Sichtweisen d e r Am e r i k a n e r Im Hinblick auf die Erfahrungen der Amerikaner vor Ort waren vor allem zwei Aspekte von Interesse: Der erste betraf die Erinnerungen an sich sowie mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die im Zusammenleben mit den Einheimischen zum Ausdruck kamen. Bei dem anderen ging es um Vorstellungen vom Umgang mit Fremden, auch im Hinblick auf die neuen Fremden aus der ehemaligen UdSSR. Hierzu wurden sieben Interviews mit ehemals auf dem Flugplatz Hahn stationierten Militärangehörigen durchgeführt. Aufgrund familiärer Beziehungen waren sie vor Ort geblieben und leben heute in Dörfern der Umgebung. Ergänzend dazu wurden im Internet mittels Fragebögen entsprechende Daten erhoben.277 Dabei gestaltete sich die Kontaktaufnahme relativ einfach, da es im Netz ein recht breites Angebot an Webseiten, Homepages, Gästebüchern, Gesprächsgruppen sowie einen Club Ehemaliger zur Hahn-Airbase gibt, die sowohl von Amerikanern wie auch Deutschen aus der Region unterhalten und gepflegt werden.278 Insgesamt zeichnete die Mehrzahl der befragten Amerikaner ein positives Bild ihrer Zeit im Hunsrück. Gerade von den Befragten im Internet wurde das gute Zusammenleben mit den Einheimischen vor Ort, der hohe materielle Wohlstand in dieser Zeit – der ihnen erlaubte, oft zu reisen oder auswärts essen zu gehen – sowie angeblich typisch deutsche Bräuche und Traditionen, wie das ausgiebige Feste feiern oder die Gemütlichkeit in deutschen Gaststätten, hervorgehoben. Es gab kaum kritische Äußerungen, etwa zu den Friedensdemonstrationen auf dem Hunsrück oder über die sich verschärfende Sicherheitslage vor Ort aufgrund terroristischer Bedrohungen. Ein wesentlicher Grund für die überwiegend positive Sichtweise ist sicherlich der, dass es zu 277 Im Januar 2004 wurden per Internet 47 Personen kontaktiert, die sich in einem virtuellen Gästebuch zur Hahn-Air Base eingetragen hatten, um Erinnerungen an die Zeit mit anderen Internet-Nutzern auszutauschen. Davon haben 16 (13 Männer und 3 Frauen) sich bereit erklärt, einen halbstandardisierten Fragebogen zu beantworten. Darin wurden sie u.a. nach ihren Erinnerungen an die Zeit ihrer Stationierung auf dem Flugplatz Hahn, nach ihrem Wohnort, ihren Kontakten damals wie heute sowie nach ihrer Meinung zum Zuzug der Russlanddeutschen befragt. 278 Siehe hierzu etwa http://groups.msn.com/HahnAirBase/hahnreuinion 2002.msnw [Stand 28.6.2002]; http://www.net-art.de/netbar/hab/Default.htm [Stand 28.6.2002]; http://www.net-art.net/fellenzer/index.htm [Stand 28.6. 2002]; www.1-2-3-gaestebuch.de/buch.gb?benutzer=Fellenzer&sn=7 [Stand 20.3.2003]; http://www.geocities.com/CapeCanaveral/Lab/4596/hrbios.html [Stand 28.6.2002]; http://community-2.webtv.net/Hahn-50thAP-K9/HahnAir ForceBase/index.html [Stand 28.6.2002]; http://www.hsalums.com/schools/ hahn [Stand 28.6.2002]. 222

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

einer gewissen Verzerrung (bias) bei den über das Internet zustande gekommenen Befragungen gekommen sein dürfte: Bei den meisten Befragten lag die Zeit auf dem Hunsrück deutlich mehr als zehn Jahre zurück, so dass viele Wahrnehmungen und Äußerungen retrospektiv verklärt wurden. Zudem dürften sich auch gerade diejenigen, die sich an der Internet-Umfrage beteiligt haben, durch eine große Offenheit und Interesse an einem Umgang mit Anderem ausgezeichnet haben. Nicht zuletzt aufgrund ihrer positiven Erinnerungen waren sie in einem hohen Maße dazu bereit, an der Befragung teilzunehmen und sich mitzuteilen. Neben den oben erwähnten, fast schon stereotypen Beschreibungen ihrer Zeit auf dem Hunsrück haben einige amerikanische Gesprächspartner nicht ohne Selbstironie über ihre Vorbereitungen auf das Leben vor Ort gesprochen. Erzählt wurde vom „Benimmunterricht für Amerikaner“, um möglichen Fallstricken im Alltagsleben besser aus dem Wege gehen zu können. Beispiele hierfür waren die Beachtung von Ruhestunden, die Regeln zum Entsorgen des Sperrmülls, die Erklärungen zur Handhabung eines Einkaufswagens, für die eine Münze erforderlich war und ist, oder aber der Hinweis, der Gastgeberin bloß keine roten Rosen zu schenken.279 Einige der befragten Amerikaner haben den Zuzug der russlanddeutschen Aussiedler intensiv miterlebt und konnten sich entsprechend hierzu äußern. Auch bei diesem Reden spielte für die Gesprächspartner der Vergleich mit anderen eine zentrale Rolle – sei es der Vergleich zu den russlanddeutschen Aussiedlern oder der mit den Einheimischen. So würden die russlanddeutschen Aussiedler nicht im selben Maße an Festen teilnehmen wie es die Amerikaner getan hätten. Zu erklären versucht wurde dies mit dem totalitären System in Russland. Man hätte sich dort verdächtig gemacht, wenn man lustig gewesen wäre.280 Auch wurde anerkannt, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Aufenthalt der Amerikaner und dem der russlanddeutschen Aussiedler gäbe: Die Amerikaner würden nur eine begrenzte Zeit bleiben, wohingegen die Aussiedler als Deutsche dauerhaft bleiben wollten. Die Aussiedler hätten allerdings ein Deutschlandbild wie vor 100 Jahren und hielten sich für die besseren Deutschen. Sie hätten noch eine Art „Nachkriegsmentalität“. Demgegenüber seien die Amerikaner unkomplizierter und spontaner.281 Als weiterer zentraler Unterschied zwischen Amerikanern und Aussiedlern wurde die Konfliktvermeidung und -bewältigung thematisiert. Bei den Amerikanern hätte man im Konfliktfall die Air-Police rufen können und die Betroffenen hätten etwas zu verlieren gehabt, wie Status und Rang. Bei den

279 Vgl. Herr Ps (60 A), TS 7f. 280 Vgl. Herr Ps (60 A), TS 16. 281 Vgl. Herr Ps (60 A), TS 19. 223

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russlanddeutschen Aussiedlern sei das nicht der Fall. Sie würden ihre Sozialhilfe nicht verlieren können. Es fehle daher eine Kontrollinstanz, wie ein Einheimischer meinte.282 Wie schon weiter oben festgestellt, manifestierte sich bei den Amerikanern ein professioneller Umgang mit Fremdheit in der Form, dass dieser Umgang über eigene Institutionen gesteuert wurde, um mögliche Konflikte bereits im Vorfeld ihres Entstehens auszuräumen. Hierin lag ein wesentlicher Unterschied zu den russlanddeutschen Aussiedlern, die ihr Leben nicht wie die Amerikaner außerhalb der Regel- und Ordnungssysteme der Einheimischen steuern und kontrollieren konnten.

4 . 6 E x k u r s – Z u r P e r s p e k t i ve d e r Russlanddeutschen Hierzu wurden 17 Interviews (davon zehn mit Frauen, sieben mit Männern) mit russlanddeutschen Aussiedlern in der Zeit zwischen Juni 2001 und Oktober 2002 durchgeführt. Die Darstellung der Interviewanalyse fokussiert kontrapunktisch auf jene Aspekte, die auch von den Einheimischen thematisiert worden waren bzw. die für die Aussiedler eine besondere Rolle zu spielen scheinen. Hierzu zählen die Motive der Aussiedlung und die Erinnerungen an die alte Heimat, die ersten Erfahrungen in Deutschland sowie der Vergleich mit den Einheimischen und anderen Fremden und die Beziehungen, die sich in der neuen „Heimat“ zu entwickeln beginnen.

Motive der Aussiedlung und Vorstellungen von Deutschland Im Gespräch darüber, wie es zur Aussiedlung kam und die damit verbundenen Vorstellungen von Deutschland, kristallisierten sich einige zentrale Motive der Aussiedlung heraus.283 So wurde beispielsweise die Ausreise vielfach gedeutet als etwas, was „alle machten“. Die 33-jährige Frau Schr, die 1991 aus Kasachstan nach Deutschland kam, berichtet dementsprechend über ihre Ausreisepläne: „Als die Deutschen [Russlanddeutsche in der ehemaligen UdSSR] alle angefangen haben, nach Deutschland zu fahren, da haben wir gedacht, wir fahren auch. Es war nicht so einfach, aber wir waren noch jung und alle sind rüber gekommen […] Es gibt halt Sachen, die mir dort mehr gefallen haben, es gibt Sachen, die mir hier mehr gefallen, ja, aber zurück wollte ich auch nicht mehr.“284 282 Vgl. Herr Fl (60 E), TS 27. 283 Siehe hierzu Abschnitt 4.2. 284 Frau Schr (33 RA), TS 2. 224

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Als maßgebliche Gründe für die Ausreisewelle wurden die schlechten Bedingungen vor Ort und der Ausblick auf ein besseres Leben in Deutschland angeführt: „Es hieß dort, in Deutschland ist’s viel schöner, also wenn man jetzt überlegt, wie die Zustände drüben [in der ehemaligen UdSSR] sind […]. Es hieß ja auch, eigentlich ist das die Heimat in Deutschland, weil irgendwann sind Deutsche nach Russland gekommen und jetzt gehen alle wieder zurück. Ja und so langsam ist dann die ganze Verwandtschaft nach Deutschland, und man will ja nicht ganz alleine bleiben, deswegen ziehen alle um“,

erklärt Frau Schd, die 1990 aus Kirgisien nach Deutschland ausgereist ist.285 Dabei kam in den Gesprächen auch zum Ausdruck, dass viele Russlanddeutsche in ihrer alten Heimat nicht akzeptiert worden seien, weil sie keine Russen sondern eben „nur“ Deutsche gewesen wären: „Wir haben keine Heimat. Nun sind wir hier in Deutschland und denken, das ist unsere Heimat.“286 Aus den Interviews ging auch hervor, dass viele der Befragten keine klaren Vorstellungen von Deutschland hatten, wie das Beispiel der 19-jährigen Frau Ht verdeutlicht, die von Kasachstan nach Deutschland ausreiste: „Ich wusste gar nicht, was Deutschland ist, ehrlich gesagt. Ich hab’ schon gewusst, dass hier das Leben besser ist. Da gibt’s viel Luxus. Und als wir hier hinkamen, da war alles gepflastert und überall Straßen und die gepflegten Wiesen und so, das war schon anders als bei uns. Und das Essen halt. Diese Supermärkte, das war alles aufregend. So was hat man bei uns in Russland nicht gesehen, solche Riesen-Supermärkte.“287

Einige Russlanddeutsche betonten auch, dass ihre Aussiedlung gezielt von der deutschen Politik betrieben worden sei. So erzählt der medizinische Angestellte Herr Hr, der aus einem deutschen Rayon in Sibirien 1995 nach Deutschland kam: „Ich habe einen Brief von Helmut Kohl bekommen. Und da stand, ‚Wir sind stolz, dass du nach Deutschland kommst.‘ Sie wissen doch: bis 2030 stirbt Deutschland aus, wenn ich nicht komme – grob gesagt. Das war auf Deutsch und auf Russisch geschrieben. Frisches Blut braucht Deutschland! Und ich war noch stolz, dass ich jetzt komme, diesem wunderbaren Staat zu helfen. Russlanddeutsche sind kinderreiche Familien. Ich sage: Guck’, wir haben ein Kind, und die brauchen uns! […] Und ich habe eine Mark, die dreieinhalb tausend Rubel kostet, gleich mit dem Rubel ver-

285 Frau Schd (23 RA), TS 3. 286 Gruppengespräch mit fünf russlanddeutschen Rentnerinnen, TS 2. 287 Frau Ht (19 RA), TS 23. 225

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glichen. In einem Jahr kann man wirklich Millionär sein. Und meine Gedanken waren: okay, ich komme, wir helfen ein bisschen befruchten das Deutschland.“288

Erste Erfahrungen in Deutschland und Vergleiche mit der alten Heimat Die erste Zeit in Deutschland empfanden die meisten Aussiedler als schwer. „Wir waren in einem Aussiedlerwohnheim […]. Wir hatten dann an verschiedenen Orten Arbeit bekommen, u.a. in Morbach in der Papierfabrik, meine Mutter putzt auf dem Flugplatz Hahn“, berichtet Frau Schd, die mit ihrer Familie in Sohren lebt.289 Auch berichteten einige Gesprächspartner davon, dass sie zwar auf der einen Seite willkommen geheißen worden sind, ihnen auf der anderen Seite jedoch auch Mistrauen und Ausgrenzung entgegengebracht wurde. So hätte der Bürgermeister von Sohren in einer Begrüßungsrede betont, dass „auch die Leute von Sohren es sehr schön finden, dass die Leute zusammenarbeiten. Und auch für unsere Leute ist es nicht schlecht, dass sie gucken, wie man früher einander geholfen hat.“290 Eine Rentnerin berichtete davon, dass sie „als russische Schweine bezeichnet würden“. Das hätten sie in einer russischen Zeitung gelesen. Sie selber habe so etwas zwar noch nicht gehört, fühlte sich aber von ihrem Nachbar (einem Einheimischen) schikaniert: „Ich habe in meinem Garten Tomaten und anderes Gemüse angepflanzt. Dann hat der Nachbar eine Hecke gepflanzt, wo jahrelang nichts war.“291 Beim Vergleich mit den Verhältnissen vor Ort unterschieden viele zwischen ihren Erinnerungen an die Kindheit oder an „alte Zeiten“ – mit überwiegend positiven Assoziationen – und der neueren Zeit in der ehemaligen UdSSR, die negativ bewertet wurde. Die 19-jährige Frau Ht erzählt über ihre erste Zeit in Deutschland: „Ich hatte am Anfang sehr Heimweh. Ich lebe jetzt hier in Deutschland seit zwölf Jahren und ich fühle mich auch hier wie zuhause, aber, wenn man nachdenkt, wie es damals in der Kindheit in Russland war, dann will man schon wieder zurück. Aber dann halt unter der Bedingung, dass das so wie damals war. […] Da gab’s einen See und wir haben im See gebadet mit unseren Freundinnen. Sind dann Brot kaufen gegangen, haben das Brot hingebracht nach Hause, haben auf dem Weg gegessen ein Stückchen. Im Sommer sind wir barfuss gelaufen auf der Straße. Da war ja kein Asphalt, sondern das war halt nur Erde, trockene Erde. Bis spät in die Nacht, bis neun oder so, es war noch hell und in den Sommerferien, da waren drei Monate Sommerferien anstatt hier. Oder überhaupt, es war alles anders da. Wir haben viel mehr mit

288 289 290 291 226

Herr Hr (35 RA), TS 16. Frau Schd (23 RA), TS 8. Frau Oz (49 RA), TS 1. Frau Bn (60 RA), TS 11.

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der Natur zu tun. Wir sind ganz oft auf Felder gegangen und haben Blumen gepflückt. Ich hatte ganz viel Kontakt mit Tieren. Oder die Sachen in Russland, die wir gegessen haben. Wenn man da einen Apfel gegessen hat, der hat ganz anders da gerochen wie hier die Äpfel.“292

Deutlich wird hier, dass in der Erinnerungserzählung die ehemalige Heimat zur Idylle stilisiert wird und – in Vorwegnahme von Ergebnissen in Kapitel 5 – als Erinnerungsort fungiert. Erzählt wurde auch von einigen Aussiedlern, die recht bald nach ihrer Ankunft in Deutschland wieder in die alte Heimat zurückgekehrt seien. Einige hätten zwar immer wieder die Absicht geäußert zurückzugehen, aber nur wenige hätten dies dann auch in die Tat umgesetzt. Die meisten würden jedoch nur für kurze Zeit zurückgehen, um Urlaub zu machen. „Dann war er [der Vater – ein Rentner] zurückgefahren nach Russland, um Urlaub zu machen. Als er vom Urlaub zurückgekommen ist, war sein Heimweh weg […]. Er hat gesehen, wie sich da alles in Russland umgestellt hat und wie dies da drüben läuft. Dann war für ihn alles vorbei.“293 Eine Rentnerin berichtete von ihrem Besuch an der Wolga, wo sie aufgewachsen ist. Sie berichtete, dass die Dörfer zerstört und die Wolga durch die vielen Staudämme zu einem „Matschloch“ verkommen sei.294 Im Rückblick wird auch immer wieder das „Deutschsein“ in der ehemaligen UdSSR thematisiert, wie bei Frau Bn, die mit ihrer Familie 1993 nach Deutschland ausreiste: „Wir Deutschen waren doch immer verhasst. Aber dass die Deutschen doch alles schaffen und machen und auch bei der Sauberkeit – das können Sie mal bei einer anderen Nationalität suchen. Da hat man von weitem gesehen, oh, da wohnen Deutsche, da ist Ordnung. Bei uns ist der Mann nicht schlafen gegangen, bis wir da Ordnung hatten. Und die Kasachen, den ganzen Tag haben sie geschlafen, und die Arbeit, die konnte stehen bleiben.“295

Vergleich mit den Einheimischen und anderen „Fremden“ In den Aussagen der Russlanddeutschen spielte der Vergleich mit den Einheimischen wie auch mit anderen Gruppen von Fremden eine wichtige Rolle, egal ob retrospektiv oder im gegenwärtigen Alltagsleben. Sie sahen in den Einheimischen in erster Linie „Deutsche“ und nicht etwa Alteingesessene oder Einwohner von Sohren bzw. Büchenbeuren. Genauso wie die Einheimi292 293 294 295

Frau Ht (19 RA), TS 16f. Herr Fs (30 RA), TS 4. Frau Hh (73 RA), TS 18f. Frau Bn (60 RA), TS 13. 227

FREMDE VOR ORT

schen nahmen auch sie Unterschiede im Hinblick auf den Umgang mit Sprache, auf Aussehen und Verhalten sowie in Bezug auf materiellen Wohlstand wahr und bewerteten diese aufgrund eigener Werte und Normen. Zuweilen fühlten sich die Gesprächspartner dazu veranlasst, sich zu rechtfertigen, besonders was den Hausbau, den Gebrauch der russischen Sprache und ihre Lebensführung im Allgemeinen betrifft. „Hier sind die Leute so, je mehr du hast, desto mehr wollen sie. Auch die Aussiedler, die sind auch so. Wir haben z.B. das Haus gebaut, das heißt nicht, dass wir jetzt viel Geld haben oder so. […] Aber die Nachbarsleute, die denken dann, die haben das Geld. […] Viele Aussiedler zeigen das nach draußen. Die Einheimischen sind da anders, sie zeigen nicht so viel, würde ich sagen.“296

Einige ärgerte es, dass sie von den Einheimischen angeblich „über einen Kamm geschert“ würden, oder wenn sie untereinander Russisch sprachen, dies von den Einheimischen kritisch kommentiert würde. „,Ihr seid doch in Deutschland, wieso unterhaltet Ihr euch auf Russisch?‘ Mir hat das dann auch leid getan. Ich bin eine Deutsche, aber ich hab’ auch 23 Jahre da [in Russland] gelebt. Die Amerikaner, die sprechen ja auch Englisch. […] Wie gesagt, in unserem Dorf waren Kasachen, Deutsche, Aserbaidschaner und Tschetschenen, da waren viele Nationalitäten. Aber das wir uns jetzt so gegenseitig gehasst haben, das war nicht. Wenn wir uns mal gestritten haben, Faschisten oder sonst irgendwie genannt, aber dann war es schon wieder gut.“297

Ein anderer Gesprächspartner stellte hierzu fest, dass die Einheimischen im Vergleich von Russlanddeutschen und Amerikanern mit zweierlei Maß bewerten würden: „Wie die Amis gekommen sind, da haben viele auch nicht amerikanisch oder englisch geschwätzt, aber viele Deutsche haben sich schnell umgestellt. Liegt vielleicht auch daran, dass die Amerikaner gekommen sind und ein bisschen mehr Kohle und Wirtschaft hatten. […] Da haben sich die Deutschen besser eingestellt. Ich bin mir sicher, wenn jetzt der Russe so oft in der Gaststätte wäre oder in Restaurants, da hätten die Deutschen sich auch wieder umgestellt.“298

Weiterführend vergleicht er das Ausgehverhalten der Einheimischen mit dem der Russlanddeutschen:

296 Frau Schr (33 RA), TS 10. 297 Frau Schr (33 RA), TS 13. 298 Herr Fs (30 E), TS 7. 228

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

„Teilweise stimmt das natürlich auch, dass die [Russlanddeutschen] wenig in die Restaurants gehen, weil die meistens erst einmal ein Haus haben wollen. Und da wird das meiste Geld ins Haus investiert und ins Auto. Die Hauptsache erst mal sein Haus haben. Und das verstehen die Deutschen nicht so gut. […] Da drüben war das nicht so. Wie wir in dem Ort aufgewachsen sind, da gab’s so was nicht – das war ein kleiner Ort. Was für ein Restaurant soll es da geben? […] Da war es nicht so, dass man da groß feiert oder Essen geht. […] Die älteren Leute, die stellen sich doch gar nicht darauf ein, irgendwo Essen gehen – ach komm’, ich kann auch zuhause essen. Ist einfach Gewohnheitssache.“299

Ähnlich wie bei den Einheimischen kommt es auch zu einem Vergleich zwischen einer Vergangenheit, in der mehr ideelle Werte im Vordergrund gestanden hätten und einem Heute, das stärker vom Materiellen und Äußeren geprägt zu sein scheint. Gerade jüngere Russlanddeutsche, die Russland oder Kasachstan nur aus ihrer Kindheit oder von Erzählungen kennen, idealisieren häufig die Vergangenheit und ihre ehemalige Heimat.300 „In Kasachstan waren die Leute besser. Der Neid war nicht da. Und da hat jeder jedem geholfen. Ob es eine Hochzeit oder eine Beerdigung war, da haben alle Leute was gebracht und geholfen wo man nur konnte.301 Und jetzt ist das nicht mehr. […] Und der Stress war nicht. […] Wir hatten Zeit, uns noch abends vor die Häuser zu setzen und uns mit den Nachbarn zu unterhalten. Ich kann nicht sagen, wir hatten da schlecht gelebt. Wir sind so groß geworden. Wir wissen nichts Besseres und es war schön.“302

Auch Unterschiede beim Aussehen bzw. dem Umgang damit werden thematisiert. Diese beziehen sich jedoch weniger auf die Einheimischen vor Ort als auf Deutsche allgemein: „Die Deutschen, die legen schon ganz schön viel Wert aufs Aussehen, dass man auch gepflegt aussieht und so. Und bei den Russen – ja, klar, aber halt alles auf eine andere Art.“303

299 Herr Fs (30 E), TS 6. 300 Erinnerungen an die Kindheit bzw. die frühere „Heimat“ werden häufig generell verklärt. Siehe hierzu Hans-Werner Retterath: Heimatland – Wo liegt das Land der Heimat? Zum Heimat-Verständnis von Russlanddeutschen. In: Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg (Hrsg.): Heimat – Annäherungsversuche. Stuttgart 2007, S. 31-44, hier S. 34. 301 Möglicherweise handelt es sich hierbei auch um eine Internalisierung von Vorstellungen der Einheimischen von den Russlanddeutschen im Hinblick auf deren Gemeinschaftsbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl. 302 Frau Schr (33 RA), TS 9. 303 Herr Ni (15 RA), TS 6. 229

FREMDE VOR ORT

Veränderungen vor Ort, Beziehungen und Identitäten Wie bereits herausgearbeitet wurde (siehe hierzu 3.3.5) stellte der Wohnungsbau eine der markantesten Veränderungen vor Ort dar – nicht nur im Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild des Ortes, sondern auch aufgrund der damit verbundenen Bautätigkeit der Russlanddeutschen, die von den Einheimischen ausführlich kommentiert wurde. Auch für die Aussiedler kommt darin ein Unterschied zu den Einheimischen zum Tragen, etwas womit sie sich positiv gegenüber den Einheimischen abheben können. „Da machen wir viel selbst […]. Und die Deutschen, die holen sich da lieber mal ’ne Firma.“304 Für die Mehrzahl der Russlanddeutschen war mit dem Hausbau ein Verzicht verbunden, der direkt auf ihr Alltagsverhalten und damit auf das Leben vor Ort ausstrahlte: „Meine Kollegin [eine Einheimische] hat auch gesagt, ja wir möchten auch schon ein Haus haben, aber wir wollen noch nicht auf so vieles verzichten. Die fliegen jedes Jahr nach Amerika, jedes Jahr. Wenn es nicht im Sommer ist, dann im Herbst, und die ziehen sich auch anders an als wir und wir passen schon auf. Meine Kinder, die haben nicht fünf Paar Schuhe“,

erläutert eine 33-jährige Russlanddeutsche.305 Ein älterer Interviewpartner, der sich schon öfter als Vermittler zwischen Russlanddeutschen und Einheimischen engagiert hatte, beurteilte die Integration der russlanddeutschen Aussiedler als weit fortgeschritten, was gerade am Hausbau deutlich werden würde: „Viele Aussiedler, die jetzt drei oder vier Jahre hier sind, haben sich ein Haus gebaut oder gekauft. Und da kann man schon sehen, dass sie sich irgendwie integriert haben.“306 Darin äußert sich nicht nur sein Verständnis von Integration, sondern auch der Wunsch, sich möglichst schnell zu integrieren. Bei den Einheimischen gilt er aufgrund seines Engagements als „Berufsintegrierer“, der überall „auf die Füße fallen würde“307. Sie spielen darin auf seine Vergangenheit in der ehemaligen UdSSR an, in der er, was für Russlanddeutsche eher die Ausnahme war, eine gehobene Position inne hatte. Einige Russlanddeutsche thematisierten auch die Konflikte, insbesondere der männlichen Spätaussiedlerjugendlichen, die zeitweilig das Gespräch vor Ort und auch das Verhältnis zu den Einheimischen dominieren würden. Ein Jugendlicher aus Kasachstan beschrieb hierzu die Diskotheken in der Umge-

304 305 306 307 230

Herr Sl (16 RA), TS 14. Frau Schr (33 RA), TS 33. Herr Gn (62 RA), TS 8. Herr Lz (66 E), TS 10.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

bung. Seine Einschätzung der Diskothekenbesucher stimmt mit der der Einheimischen (siehe hierzu 3.3.2) überein: „Sohrener Disko: Russen-Disko, Simmerner Disko: Russen-Disko, Emmelshausen Disko: Russen-Disko. In Niederoberstein ist die einzige, die bei uns in der Nähe ist, wo wirklich nur Deutsche und Amerikaner sind. Da siehst du selten einen Russen […]. In der Sohrener Disko suchen die [die Russlanddeutschen] Streit. Die kiffen, die pumpen sich mit Drogen voll und alles Mögliche. Und dann, wenn ein Deutscher vorbei geht, bum, da hat sich der Fall auch schon.“308

Prägend für das Miteinander von Einheimischen und Russlanddeutschen wird vor allem die Sprache gesehen. So meinte eine Gesprächspartnerin, dass man wegen mangelnder Sprachkenntnisse abseits stehen würde. „Man kann nichts und man hat nichts.“309 So sahen viele Einheimische in den mangelnden Sprachkenntnissen die Hauptursache für die Probleme vieler Jugendlichen. Die fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit sich die notwendigen Sprachkenntnisse anzueignen, wurde wiederum mit den Strukturen russlanddeutscher Familien in Verbindung gebracht. „Die Mama ist der Führer. […] Sie hat ihre Aufgaben, der Mann ist der Pascha. Männer gehen auf die Arbeit, Frauen kümmern sich um die Kinder und der Mann hat es nicht gerne, wenn die Frau ohne ihn irgendwo hingeht.“310 Gerade weil diese Rollenverteilung zunehmend ins Wanken geraten sei, hätten die Jugendlichen keine Orientierung mehr, läge deswegen die Schuld bei der Familie bzw. bei der Frau. Andere russlanddeutsche Interviewpartner kritisierten die Stigmatisierung der russischen Sprache: „Ich rege mich auch nicht auf, wenn sie da irgendwo englisch sprechen. Wenn da zum Beispiel unsere Kinder Fußball spielen. Da spielen Jugoslawen mit, da spielt ein halber Mexikaner mit. Also da wird viel englisch und spanisch gesprochen. Nur wenn da russisch geschrien wird, dann gucken sie alle. Das ist auch so, wenn es Probleme gibt. Dann heißt es immer: ‚Das sind wieder die Aussiedler.‘“311

Neben der Sprache werden aber auch unterschiedliche Grade der Vertrautheit und individuelle Berührungsängste angeführt, welche die Beziehungen zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen beeinträchtigen würden. So erzählt etwa die 19-jährige Frau Ht:

308 309 310 311

Herr Ni (15 RA), TS 7. Frau Schd (23 RA), TS 20. Herr Gmn (64 Ex), TS 13. Frau Schr (33 RA), TS 14. 231

FREMDE VOR ORT

„Es sind ja auch meistens nur Einheimische, die ausgehen. Die Russlanddeutschen kennen da niemanden im Dorf und wenn man zu einem Fest geht, dann muss man ja immer den ersten Schritt machen und dann jemanden kennen lernen oder so. […] Da sind halt alles Einheimische und dann kommt hier keiner von den Russlanddeutschen. Und dann denkt sich derjenige, was soll ich da und ich kenne sowieso niemanden und wie soll ich dann mit dem reden oder was soll ich sagen? Und die fühlen sich dann auch nicht gut.“312

Deutlich wird, dass sie sich insofern ihrer Rolle als Fremde bewusst sind, als dass ihnen die damit zusammenhängenden Verhaltensanforderungen bekannt sind. Ihnen nicht entsprechen zu können wird als bedrückend erlebt, und somit anders, als dies von vielen Einheimischen gedeutet wird. Hinzu kommt, dass sich ebenso aus der Perspektive der Russlanddeutschen deutsche und „russische“ Gewohnheiten, Bräuche und Vorlieben voneinander unterscheiden würden: „Typisch deutsch ist ausgehen und Leute kennen lernen, einen Trinken gehen und sonst was. Russen bleiben daheim: Familie, Fernsehen – auch weil sie ja sparen müssen.“313 Die Wahrnehmung der Differenz schlug sich somit auch im Alltäglichen nieder und wurde gerade bei bestimmten Ritualen, etwa bei Beerdigungen, deutlich. „Hier bei deutschen Beerdigungen habe ich schon gehört und gesehen, dass nicht so viele kommen. Aber bei uns kommen alle. Jeder, der diesen Menschen kannte. Das war für jeden irgendwie Pflicht.“314 Jedoch wurde das von den Einheimischen als äußerst fremd empfundene Verhalten, am Grab Essen hinzustellen, nicht als russlanddeutsch identifiziert: „Das ist bei den Russen so. Bei uns gab es das nicht. Die Russen gehen zum Grab und trinken und essen da was an bestimmten Tagen im Jahr.“315 Hingegen wurde das Auflassen des Sarges als übliche Gepflogenheit dargestellt: „Bis zum letzten Tag wurde er nicht zugemacht. […] Ich kann nicht verstehen, wenn er gleich zugemacht wird. So können die uns nicht verstehen, dass wir ihn so lange auflassen. […] Meine Schwester ist mal auf der Arbeit gefragt worden, ob es bei uns üblich ist, dass die Leiche geküsst wird. Ich mein’, wenn ein Mensch stirbt, den man sehr mag, dann kann man ihn doch mal küssen.“316

Auffallend ist auch hier der Zwang sich zu erklären bzw. rechtfertigen zu müssen, was als ein weiteres Indiz dafür gelten könnte, dass Zuschreibungen der Einheimischen von den Russlanddeutschen zunehmend auch angenommen werden. 312 313 314 315 316 232

Frau Ht (19 RA), TS 21. Herr Ni (15 RA), TS 12. Frau Schd (23 RA), TS 18. Frau Schr (33 RA), TS 26. Frau Schr (33 RA), TS 27.

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Wie bei den Einheimischen kam es also auch bei den russlanddeutschen Aussiedlern zu Zuschreibungen im Hinblick auf Differenz und Fremd-Sein, die maßgeblich das Alltagsleben prägten. Es gab aber auch einige Interviewpartner, die bei den Aussiedlern die Notwendigkeit zur größeren Anpassung an die Bedingungen vor Ort betonten. Ein Beispiel hierfür ist Herr Fs, der aus Russland in den Hunsrück kam und mit seiner Frau in Sohren lebt: „Wir sind hier hergekommen und wir müssen uns anpassen – wie das Leben hier ist. Nicht die Leute, die hier leben, müssen sich umstellen, wir müssen uns umstellen. Wir müssen mit denen leben, die mit uns auch.“317 Die Analyse der Interviews mit den russlanddeutschen Aussiedlern zeigt, dass es aus Sicht der Zugewanderten vor allem Sprachbarrieren und damit verbundene Berührungsängste sowie materielle Zwänge (Zwang zum Sparen) sind, die einer engeren Beziehung mit den Einheimischen als entgegenstehend gesehen werden. Die gemeinsame Sprache, Situation und Herkunft sowie ähnliche Erfahrungshintergründe haben eine stark identitätsstiftende Wirkung. Selbst russlanddeutsche Aussiedler, die in jungen Jahren deutsch gelernt und sich in das Leben in Deutschland integriert fühlten, machten diese Erfahrung: „Als wir dann hierhin kamen, haben wir die erste Zeit russisch gesprochen – uns blieb ja nichts anderes übrig. Und dann halt erste, zweite Klasse und dann konnte man perfekt Deutsch. Wir hatten halt nur deutsche, also einheimische Freundinnen, und mit denen konnte man nicht Russisch sprechen. Die russlanddeutschen Aussiedler haben dann vor dir russisch gesprochen und dann kam es einfach so, dass du auch irgendwann wieder angefangen hast.“318

Gerade jüngere Russlanddeutsche fühlten sich von daher in einer Zwischenwelt gefangen, wie die Aussagen der 19-jährigen Frau Ht verdeutlichen: „Nicht als Deutsche, aber auch nicht Russin. So bist du Kartoffel. Die Jugendlichen nennen hier manche Deutschen Kartoffeln. Aus Spaß halt hat er mich gefragt: ‚Bist du Kartoffel? Ne. Bist du ’ne Russin? Ne. Wieso, was bist du denn? Aussiedler!‘ – Als Russin nicht und auch nicht als Deutsche, irgendwie halt da so mittendrin. […] Ich bin zufrieden damit, so wie ich ja halt bin. Ich meine, das hat man schon in Russland mitbekommen. In Russland waren halt die Russlanddeutschen nicht erwünscht und hier sind halt bei einigen die Aussiedler, ja die Russlanddeutschen, auch nicht so erwünscht.“319

317 Herr Fs (30 RA), TS 19. 318 Frau Ht (19 RA), TS 3. 319 Frau Ht (19 RA), TS 4. Dieses Gefühl der Andersheit verstärkte bei der jungen Frau den Eindruck, weder hier noch dort erwünscht zu sein. Dies könnte als Beispiel für ein internalisiertes Fremdbild interpretiert werden. Siehe hierzu Frantz Fanon in Kap. 2.1.3. 233

FREMDE VOR ORT

4.7 Fazit: Einheimische und Fremde In Kapitel 3 wurde anhand von Ortsveränderungen u.a. gezeigt, dass die Einheimischen die neu zugezogenen Russlanddeutschen zumeist im Kontext eines Vergleichs mit den Amerikanern wahrgenommen und bewertet hatten. Der Vergleich war oft impliziter oder indirekter Art, d.h. die Beschreibungen und Bewertungen der Russlanddeutschen erfolgten vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Amerikanern. Dabei kamen unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen der Einheimischen, die sich aus den verschiedenen Rahmenbedingungen beider Gruppen ergaben, zum Ausdruck. In Kapitel 4 wurden nun weiterführend zunächst die Amerikaner und Russlanddeutschen aus Sicht der Einheimischen beschrieben und im Hinblick auf die Zuschreibung von Fremdheit analysiert. Ferner wurde auch durch eine Analyse des direkten Vergleichs sowie der Typisierungen aus Sicht der Einheimischen herausgearbeitet, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen den Einheimischen und beiden Gruppen von Fremden gibt. Dabei wurde auch der Einfluss von Deutungs- und Wertungsmustern überregionaler Medien herangezogen. Abschließend wurden zudem die Wahrnehmungen und Deutungen von Amerikanern und Russlanddeutschen selber im Hinblick auf die von den Einheimischen thematisierten Unterscheidungsmerkmale und Gemeinsamkeiten dargestellt. Welche Ergebnisse ergeben sich daraus nun auf die eingangs gestellte Frage nach dem Einfluss der Fremden, vor allem der Russlanddeutschen, auf die Identitätskonstruktionen der Einheimischen? In der Analyse der Wahrnehmungen, Deutungen und Wertungen der Einheimischen wurde herausgearbeitet, dass die Russlanddeutschen von den Einheimischen durch die Feststellung von Differenz sowie deren Dramatisierung und negativer Bewertung im Vergleich mit den Amerikanern zu „Fremden gemacht“ wurden. Zwar wurde den Amerikanern – die als Gäste auf Zeit kamen – auch der Status des Fremden zugeschrieben; jedoch verlor gerade in der Retrospektive die pragmatische Relevanz der Nichtzugehörigkeit an Bedeutung, die Zuschreibung „Fremdheit“ wurde immer mehr zu der von „Andersheit“ (vgl. 2.1.3). Die Erinnerungen an die Amerikaner und damit einhergehende Stereotypisierungen wie „reich, modern und mobil“ waren überwiegend positiv konnotiert. Demgegenüber stellte der Zuzug der Russlanddeutschen die Zuschreibungskategorien von „einheimisch“ und „fremd“ zur Disposition. Viele Russlanddeutsche sahen sich von Anfang an als Deutsche und beanspruchten von daher den Status als Neu-Zugezogene und nicht als Fremde. Die Beschreibungen und Stereotypisierungen der Einheimischen im Hinblick auf die Russlanddeutschen waren eher negativ konnotiert und zielten darauf ab, diese abzuwerten und als kulturell rückständig darzustellen. Gerade diese negative 234

4. EINHEIMISCHE UND FREMDE

Bewertung der Russlanddeutschen unterstreicht jene konstatierte Nichtzugehörigkeit, die als Voraussetzung der Zuschreibung von Fremdheit gilt. Dies bedeutete für den Aushandlungsprozess vor Ort, dass die Russlanddeutschen nicht den Status von „Neu-Zugezogenen“, sondern den von „Fremden“ durch die Einheimischen zugewiesen bekommen haben. Daraus leiteten die Einheimischen konkrete Erwartungen an die Russlanddeutschen ab, was auch im direkten Vergleich zwischen Amerikanern und Russlanddeutschen zum Ausdruck kam: Demnach hätten viele Amerikaner, obwohl an sie als Gäste auf Zeit keine hohen Erwartungen geknüpft gewesen seien, der Rolle von Fremden entsprochen. Die Messlatte der Einheimischen in Bezug auf die Amerikaner lag um einiges niedriger als sie dies in Bezug auf die Russlanddeutschen tat. Die Amerikaner hätten sich um Kontakt und um einfache Sprachkenntnisse bemüht und auch versucht, von den Einheimischen anerkannt und akzeptiert zu werden. Dies korrespondierte mit der damaligen Bereitschaft vieler Einheimischer, von den statusüberlegeneren Amerikanern lernen zu wollen, was sie auch auf die Russlanddeutschen übertrugen. Die meisten Einheimischen waren der Ansicht, dass es die Aufgabe der Russlanddeutschen sei, sich als Fremde um Kontakte zu bemühen und auf die Einheimischen zuzugehen. Die Russlanddeutschen entsprachen jedoch nicht dieser Erwartung, wie sich auch ihr Selbstbild als „Deutsche“ von dem Bild als „Fremde“ aus Sicht der Einheimischen unterschied. Im direkten Vergleich der Einheimischen basierte das „typisch Russische“ auf Imaginationen von einer wie auch immer gearteten russischen Kultur, die vor allem als rückständig und als tendenziell unterlegen wahrgenommen wurde. Die Unterschiede wurden dabei im Vergleich zu den Amerikanern stärker verortet und kulturalisiert. Dadurch wurden sie weniger zu einem Merkmal sozialer Distinktion wie dies im „typisch amerikanischen“ zum Ausdruck kam, als vielmehr zum Gradmesser der Differenz. Hierzu beigetragen hat auch eine Berichterstattung in meist überregionalen Medien, die stark auf Negativerlebnisse im Zusammenleben von Einheimischen mit Russlanddeutschen abstellte und dadurch einer Polarisierung der Verhältnisses vor Ort Vorschub leistete. Hinzu kam, dass vergleichbare Verhaltensweisen, wie zum Beispiel die fehlende Beachtung örtlicher Konventionen, unterschiedlich gedeutet wurden, es also zu einer diametralen Bewertung von Normverstößen kam. Sie wiesen in Bezug auf die Amerikaner eher positive und in Bezug auf Russlanddeutsche vor allem negative Konnotationen auf. Das heißt, Fremdheit, bzw. die ihr zugrunde gelegten kulturellen Differenzen, wurde bei den Amerikanern mit einem eher unkonventionellen Lebensstil begründet und dadurch zu etwas, worüber sich die Einheimische höchstens wunderten oder amüsierten. Dem-

235

FREMDE VOR ORT

gegenüber wurde Fremdheit bei den Russlanddeutschen von den Einheimischen als Ethnisierungsstrategie zur Abgrenzung benutzt.320 In den direkten Vergleichen der Einheimischen zeigten sich aber auch Ansätze, bei denen Differenzen und Gemeinsamkeiten neu bewertet wurden. So wurde zwar im Vergleich mit den Russlanddeutschen auf Unterschiede im Hinblick auf Wohn- und Kleidungsgeschmack sowie auf Essensgewohnheiten hingewiesen; es wurden aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten herausgestellt, wie etwa die Bedeutung traditioneller Tugenden und Werte (z.B. Fleiß, Solidarität, echte Freundschaft, eigenes Haus). Derartige Eigenschaften spielten im Vergleich mit den Amerikanern nur eine untergeordnete Rolle. Erst die Gegenüberstellung mit den Russlanddeutschen führte zu einer Neubewertung von Normen und Werten der Einheimischen, was letztlich auch zu einer positiven (Auf- und) Bewertung von Unterschieden im Vergleich zu den Amerikanern führte, wie etwa die Bedeutung dauerhafter Freundschaften, geschmackvoller Kleidung oder traditioneller Tugenden wie Sparsamkeit. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich im Kontext der Zuschreibung von Fremdheit zeigte, was als Teil des Eigenen bzw. des Fremden gesehen werden muss. Es wurde deutlich, dass sich viele Einheimische mit den Werten und Normen der Amerikaner identifizierten; diese waren Teil des Eigenen der Einheimischen geworden. Zunehmend zeigte sich aber auch, dass in Konstruktionen des Fremden Anteile des Eigenen (Gemeinsamkeiten mit den Russlanddeutschen) sichtbar wurden. Eine Fokussierung auf dieses „Fremde im Eigenen“321 wird es langfristig vor Ort ermöglichen, polarisierende Alteritätsmodelle zu überwinden. Vor diesem Hintergrund bleibt zu konstatieren, dass die Identitätskonstruktionen der Einheimischen maßgeblich vom Zusammenleben mit den Fremden beeinflusst und bestimmt sind und eine Bezugnahme auf Region einen eher untergeordneten Stellenwert hat.

320 Vgl. Groenemeyer und Mansel: Ethnisierung (wie Anm. 161, S. 70), S. 26. 321 Vgl. Kapitel 2.1.3. 236

5. Faz it und Ausblick Die Veränderungen auf dem Hunsrück durch den Zuzug der Fremden seit den 1950er Jahren müssen in Abhängigkeit von äußeren Faktoren gesehen werden. Hierzu zählen politische Entwicklungen wie der Ost-West-Konflikt, der zum Bau des Flughafens Hahn führte, oder der Wegfall des „Eisernen Vorhangs“, der den Abzug der Amerikaner und den Zuzug der Russlanddeutschen zur Folge hatte. Aber auch der demographische Wandel, d.h. die Landflucht in den 1980er Jahren und eine drohende Verödung ganzer Landstriche, die durch den Zuzug der Russlanddeutschen und den Umbau des Flughafens Hahn in einen Zivilflughafen aufzuhalten versucht wurden, beeinflussten die Entwicklung. Sie sind Teil globaler Prozesse, deren Auswirkungen auf lokaler Ebene in dieser Arbeit beschrieben und näher untersucht wurden. Gerade Umbruchsituationen wie jene nach dem Kollaps der kommunistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa setzen Transformationsprozesse in Gang, bei denen bislang geltende Ordnungs- und Orientierungsmuster ihre Gültigkeit verlieren, Vorstellungen von Ost und West durcheinander geraten und die Grenzen, vor allem die eines sich neu formierenden Europas, neu festgelegt werden. Dabei spielen Unterscheidungen zwischen uns und den Anderen, d.h. die soziale und kulturelle Konstruktion des Fremden, eine entscheidende Rolle. Im Mittelpunkt der Arbeit standen die Folgen eines räumlichen Zusammentreffens von verschiedenen Gruppen und deren „Macht der Figuration“1. Zentral waren aber auch Fragen nach der Produktion von Lokalität, besonders im Hinblick auf Prozesse der Ent- und der Reterritorialisierung (Zerstörung und Produktion von Heimat) und des Ortsbezugs sowie Möglichkeiten regionaler Identifikation, die „nicht nur ein Produkt politisch-administrativen Identitätsmanagements oder Frucht und Überschuss einer Landschaft, sondern auch grundsätzliche Antwort auf gegebene und erzwungene Befindlichkeiten“ sein kann.2 Erneut stellt sich dabei auch die Frage nach dem Verhältnis von 1 2

Elias und Scotson: Etablierte (wie Anm. 164, S. 71). Bausinger: Kulturen (wie Anm. 91, S. 52), S. 21. 237

FREMDE VOR ORT

Identität und Raum, wie sie bereits Ende der 1970er Jahre im Fach diskutiert wurde3 und wie sie im Kontext eines bereits mehrfach konstatierten „spatial turns“4 in den Sozial- und Kulturwissenschaften wiederholt aufgeworfen wurde. In dieser Regionalstudie ging es nun um die Wechselwirkungen von „global“ und „lokal“ bzw. die Auswirkungen (kultureller) Globalisierung im Lokalen. Gegenstand der Analyse waren also Glokalisierungen, die an einem konkreten Ort untersucht wurden. Das Besondere an der Situation vor Ort lag u.a. darin begründet, dass es sich hier zwar primär um die Untersuchung des Zusammenlebens von Einheimischen mit Russlanddeutschen handelte, dieses aber von den Erinnerungen an die Amerikaner geprägt und beeinflusst war. Denn dadurch, dass es nach dem Abzug der Amerikaner gleich zu einem Zuzug der Russlanddeutschen gekommen ist, waren die Amerikaner vor Ort immer noch sehr „präsent“. Hinzu kam, dass sich beide Gruppen hinsichtlich ihres Status, ihrer (ethnischen) Herkunft und Geschichte, ihrer Stereotypisierungen und sogar im Grad ihrer wahrgenommen Fremdheit durch die Einheimischen deutlich voneinander unterschieden; d.h. die Analyse des Vergleichs, der das Reden der Einheimischen über die Fremden strukturierte, bezog sich nicht nur auf die Gruppe der Russlanddeutschen, sondern auch auf die Gruppe der Amerikaner, so wie sich diese in den Erinnerungen der Einheimischen spiegelten. Der Zuzug Fremder wurde als globaler Prozess gesehen, dessen Folgen an einem Ort, also im Lokalen, untersucht wurden. Die Arbeit fokussierte von daher auf das Zusammenleben der Einheimischen mit den Fremden. Am konkreten Beispiel Sohren/Büchenbeuren wurden bislang im Einzelnen untersucht: • der Zuzug der Russlanddeutschen vor Ort und die damit einhergehenden Ortsveränderungen sowie deren Bewertung durch die Einheimischen, • das Verhältnis von Einheimischen und Russlanddeutschen vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Amerikanern und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Zusammenleben mit den Fremden, • der Einfluss von Amerikanern und Russlanddeutschen auf Konstruktionen der Einheimischen von „eigen“ und „fremd“.

3 4

Siehe hierzu Köstlin und Bausinger (Hrsg.): Heimat und Identität (wie Anm. 3, S. 78). Siehe hierzu Jörg Döring und Tristan Thielmann (Hrsg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielfeld 2008. Mit „Spatial Turn“ wird eine seit Anfang der 1990er Jahre dezidierte Hinwendung zu Fragen über die Bedeutung des „Räumlichen“ für die Konstitution der Gesellschaft bezeichnet.

238

5. FAZIT UND AUSBLICK

Auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse soll nun das Verhältnis von Globalem und Lokalem abschließend näher betrachtet werden und dabei nach dem Stellenwert und den Auswirkungen des Globalen im Lokalen insbesondere im Hinblick auf die Identitätskonstruktionen der Einheimischen gefragt sowie Ausprägungen von Lokalität bzw. Regionalität vor Ort nachgegangen werden.

5.1 Glokalisierung und Fremdheit Wie in der Arbeit herausgearbeitet worden war, zeigte sich bei vielen Einheimischen in den Zuschreibungen von Fremdheit in Bezug auf die Russlanddeutschen, dass die Amerikaner Teil der Konstruktionen des Eigenen geworden waren. Viele Einheimische hatten sich im Laufe der Zeit mit den Amerikanern identifiziert. Die Amerikaner hatten zu einer Veränderung ihres Selbstbildes beigetragen: vom Bild des durch die raue Landschaft geprägten „Hunsrückers“ hin zum offenen und toleranten Xenophilen. Hier deutete sich bereits an, dass nicht nur regionale Bedingungen, sondern vielmehr Kontakte mit Fremden die Identitätskonstruktionen der Einheimischen zunehmend beeinflussten. Die positive Spiegelung der Region durch die Amerikaner, wie sie z.B. in der Hervorhebung typisch deutscher Bräuche und Traditionen und durch Assoziationen von „Gemütlichkeit“ zum Ausdruck gebracht wurde sowie die Inszenierung der Region im Film (als) „Heimat“ trugen dazu bei, dass viele Einheimische einen Grund fanden, stolz auf ihre Herkunft zu sein und damit begannen, sich mit ihr verstärkt zu identifizieren. Als es galt, die „Heimat zu verteidigen“ bzw. gegen die weitere Stationierung von Mittelstreckenraketen vor Ort zu protestieren, zeigte sich, dass bei vielen Einheimischen Überlegungen die Oberhand gewonnen hatten, die dazu führten, dass sich viele zurückhielten bzw. sich nicht beteiligten. Dies wurde einerseits mit der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bei den Amerikanern bzw. vor dem Verlust der Amerikaner als Arbeitgeber in der Region generell begründet und andererseits mit einer Weltsicht, die den Amerikanern den Status einer Schutzmacht (auch in Bezug auf die Region) zuwiesen. Das Verhältnis des Globalen zum Lokalen schien zur Zeit der Stationierung der Amerikaner von einem starken Aufgehen des Lokalen im Globalen gekennzeichnet gewesen zu sein. Der Zuzug der Russlanddeutschen Anfang der 1990er Jahre verbunden mit deren Wunsch, dauerhaft vor Ort leben zu wollen, rückten Vorstellungen und Überlegungen hinsichtlich vielfältiger Verknüpfungen des Globen mit dem Lokalen sowie kultureller Vermischungen in den Vordergrund. Für Integrationsmaßnahmen vor Ort wurden von Bund, Land und Kommunen nicht nur zahlreiche Mittel zur Verfügung gestellt, sondern auch immer wieder be239

FREMDE VOR ORT

tont, dass der Zuzug der Russlanddeutschen eine Bereicherung für die Region darstelle. Gerade vor dem Hintergrund der überwiegend positiven Erfahrungen mit den Amerikanern war es für viele Politiker wie aber auch für viele Einheimische nur schwer vorstellbar, dass es vor Ort zu Exklusions- und Inklusionsstrategien der Einheimischen im Hinblick auf die Russlanddeutschen kommen könnte und damit zu einer Abschottung vor den lokalen Auswirkungen der Globalisierung. Viele, nicht nur vor Ort, verbanden mit der Situation in Sohren und Büchenbeuren dahingehend Hoffnungen und Erwartungen – und diese korrelierten durchaus auch mit den erhofften Ergebnissen der Materialerhebung bzw. dieser Untersuchung generell – dass es beim Zusammenleben von Einheimischen und Russlanddeutschen zu, wie es Reinhard Johler genannt hat, „kreativ konzipierten Aneignungsformen des Globalen im Lokalen“ und zu „neuer Heterogenisierung im Zeichen kultureller Globalisierung“ kommen würde.5 Konkret bedeutete dies für die vorliegende Arbeit, dass sich hier im „Dazwischen“ Prozesse finden, abbilden und untersuchen lassen würden, die nicht nur im Kontext von Überlegungen zu Glokalisierung, sondern auch zu Transnationalisierung oder Hybridisierung stehen und an die auf theoretischer Ebene angeknüpft werden kann. Glokalisierung (vgl. Kapitel 2) meint hierbei, dass sich das Lokale und Globale gegenseitig bedingen, es handelt sich also um einen dialektischen Prozess der ständigen Neuerfindung des Lokalen unter globalen Vorzeichen. Betrachtet man die Analyse des Zusammenlebens von Einheimischen und Russlanddeutschen, wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Globalen und dem Lokalen zwar einige Gemeinsamkeiten zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen offenbarten, und dadurch auch Anteile des Fremden im Eigenen identifiziert werden konnten, diese aber im Untersuchungszeitraum überwiegend von den Exklusions- und Inklusionsstrategien der Einheimischen dominiert wurden. So führte das Heranziehen der „alten“ Fremden (Amerikaner) für den erweiterten Vergleich und die Ethnisierung der „neuen“ Fremden (Russlanddeutsche) als Gruppe zur Dramatisierung der Unterschiede der Russlanddeutschen und damit zur Zuschreibung von Fremdheit. Diese Zuschreibungen von Fremdheit und damit einhergehende Konstruktionen ethnischer Zugehörigkeit und Differenz sind jedoch weder nur ein Produkt der Imagination, noch wird ethnischen Unterschieden damit der Status von Realität abgesprochen. Ethnizität ist vielmehr zu einem bedeutsamen Ordnungsprinzip von Gesellschaften geworden und im Wesentlichen ein kognitives Phänomen, das die Wahrnehmung prägt. Von daher ging es bei der 5

Reinhard Johler: Glokalisierung. Ein Konzept für die Kulturwissenschaftliche Zukunft? In: Volkskunde in Rheinland-Pfalz 23 (2008), S. 124-138, hier S. 127.

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5. FAZIT UND AUSBLICK

Frage nach kulturellen Differenzen auch weniger um die spezifischen Inhalte, die diese Unterschiede ausmachen, als vielmehr „um die sozialen Prozesse, die Abgrenzungen zwischen Personen und Gruppen, die sich auf der Basis selbst- und fremdzugeschriebener Identitäten konstituieren, also um die soziale Organisation kultureller Unterschiede“6. Aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen und Erwartungen der Einheimischen beiden Gruppen gegenüber wurde das, was als jeweils anders von den Einheimischen wahrgenommen wurde (Aussehen, Sprache, Essen, Wohnen usw.), unterschiedlich bewertet. Auch wurden Normverstöße, wie z.B. die fehlende Beachtung örtlicher Konventionen, diametral bewertet; was bei den Amerikanern noch akzeptiert oder geduldet wurde, wurde bei den Russlanddeutschen entsprechend negativ konnotiert. Das heißt, die Einheimischen gingen nicht nur von unterschiedlichen Kulturen, nämlich von einer „amerikanischen bzw. russlanddeutschen/russischen Kultur“ aus, sondern bewerteten die daraus resultierenden kulturellen Differenzen im Hinblick auf die Amerikaner eher positiv und im Hinblick auf die Russlanddeutschen eher negativ. Kulturelle Differenz wurde dabei zu jener Ressource, „die unter bestimmten Bedingungen von den sozialen Akteuren für signifikant gehalten und für die Abgrenzung herangezogen werden kann“7. Die Zuschreibung kultureller Unterschiede seitens der Einheimischen diente damit sowohl gegenüber den Amerikanern wie auch gegenüber den Russlanddeutschen zur Herstellung von Ethnizität. „Die Konstruktionen ethnischer Zugehörigkeit und Differenz sind dabei keineswegs beliebig […], sie müssen an ein bereits vorhandenes Reservoir kultureller Deutungen in der Gesellschaft anknüpfen, um überhaupt verstanden zu werden und Akzeptanz zu finden. Aber ihre soziale Bedeutsamkeit gewinnen sie nur über die jeweils situative Herstellung aktueller Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen.“8

Von daher spielt die Bewertung kultureller Differenzen eine wichtige Rolle, denn vor allem die negativ bewerteten Unterschiede führen zur Ethnisierung Fremder. So wurde beispielsweise für die Einheimischen der Gebrauch der russischen Sprache zum Beweis mangelnder Assimilationsbereitschaft der Russlanddeutschen und fungierte als nationalistisch motivierte Ausgrenzungsstrategie. Generell wird dabei „,Kultur‘ als Potenzial zwischenmenschlicher

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Groenemeyer: Kulturelle Differenz (wie Anm. 162, S. 71), S. 27. Eckhard J. Dittrich und Astrid Lentz: Die Fabrikation von Ethnizität. In: Reinhart Kößler und Tilmann Schiel (Hrsg.): Nationalstaat und Ethnizität (= Umbrüche der Moderne, 5). Frankfurt am Main 1994, S. 23-43, hier S. 25. Groenemeyer: Kulturelle Differenz (wie Anm. 162, S. 71), S. 26. 241

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Auseinandersetzung vom Prinzip des ,Ethnos‘ in den Hintergrund gedrängt, überlagert und bis zur Unkenntlichkeit überformt“9. Auch aus diesem Grund wurden Konflikte mit den Aussiedlern vor allem als ethnische Konflikte seitens der Einheimischen erlebt und geriet das Anderssein der Aussiedler zum Kennzeichen ihrer Fremdheit. Dazu trugen auch Vorstellungen von den Russlanddeutschen als ethnischer Gruppe bei, die die Einheimischen aufgrund ihres solidarischen Verhaltens beim Hausbau und dem dadurch vermittelten Gemeinschaftssinn als eine überwiegend homogene und nach außen hin abgeschlossene Gruppe wahrnahmen. Demgegenüber wurden die Amerikaner u.a. wegen ihrer unterschiedlichen Hautfarbe und der Vermittlung eines Gefühls der „Offenheit“ im Umgang mit den Einheimischen als eher heterogene Gruppe wahrgenommen. Gerade die scheinbar geringe Abgrenzung der Amerikaner gegenüber den Einheimischen traf jedoch objektiv auf einen nicht unerheblichen Teil der Amerikaner nicht zu, insbesondere nicht auf jene, die allein oder mit ihren Familien in den Kasernen und eingezäunten Housings lebten. Dennoch erschienen sie weniger fremd als die Russlanddeutschen, die als die fremderen Fremden galten. Die Zuschreibungen von Fremdheit müssen im Hinblick auf die Russlanddeutschen als Teil einer Kulturalisierungs- bzw. Ethnisierungsstrategie der Einheimischen gesehen werden. Die Einheimischen fühlten sich durch das Zusammenleben mit den Russlanddeutschen stärker herausgefordert, sich ihrer selbst zu versichern und sich abzugrenzen. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass Neid, Missgunst, Geiz, Eifersucht und Aggression, die im Kontext der Russlanddeutschen immer wieder von den Einheimischen thematisiert wurden, weniger als ein mit Fremdheit verbundenes Phänomen gesehen werden müssen, sondern als Folge von Machtdifferentialen und Ausdruck sozialer Konkurrenz. Die Beschreibung der Russlanddeutschen als Gruppe mit einer gemeinsamen Geschichte, angeblich homogener Kultur sowie einem diffusen „WirGefühl“ bzw. Zusammenhalt, wodurch Zugewanderte generell als kulturell rückständig abgewertet werden um sie dauerhaft ausgrenzen zu können, muss somit als Exklusionsstrategie der Einheimischen interpretiert werden. Das Lokale, welches sich unter globalen Vorzeichen ständig neu erfinden muss, offenbarte sich vor allem in der Bezugnahme auf den Flugplatz Hahn und durch die damit einhergehende Neu-Konstituierung der Einheimischen als Gruppe. Darauf wird im Folgenden näher eingegangen.

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Römhild: Macht des Ethnischen (wie Anm. 91, S. 172), S. 325.

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5. FAZIT UND AUSBLICK

5.2 Ortsbezüge – der Flugplatz Hahn als Erinnerungsort Orte und Regionen sind nicht voraussetzungslos, sondern von Vergangenheit und Zukunft „bewohnt“10. Dies trifft sowohl auf die Region Hunsrück als auch auf die Dörfer Sohren und Büchenbeuren wie auch auf den Flugplatz Hahn zu. Viele Einheimische waren Alteingesessene, d.h. vor Ort geboren und aufgewachsen, woraus eine emotionale Besetzung dieser Orte resultierte, die in der Bezeichnung „Sohrener“ oder „Büchenbeurener“ zum Ausdruck kam. Voraussetzung für diese emotionale Besetzung ist, wie bereits erwähnt, die Interaktion mit Menschen in einem bestimmten Situationszusammenhang, der den Ort betrifft. Denn „nicht Raumteile, sondern Sozialzusammenhänge der Bewohner dieser Orte bzw. Regionen stellen das Bezugsobjekt“ dar. Im Ortsbezug bildet sich die Symbolisierung menschlicher Beziehungen ab.11 Aus diesem Grund kann sich die emotionale Besetzung von Orten auf verschiedene Sozialzusammenhänge beziehen, die durch unterschiedliche, räumlich gebundene Objekte symbolisiert werden. Treinen unterscheidet dabei zwischen emotionaler Ortsbezogenheit und „Heimatgefühl“. Das „Heimatgefühl“ ist laut Treinen „auf örtlich gebundene Intimgruppen – und auf die innerhalb dieser Intimgruppen gemachten Erfahrungen – gerichtet“. Sie sind durch räumlich gebundene Objekte innerhalb eines Ortes symbolisiert, wie Elternhaus oder landschaftliche Umgebung. Demgegenüber ist emotionale Ortsbezogenheit „die Folge der Zugehörigkeit zu einer größeren, örtlich beschränkten Bezugskategorie, die eng mit dem Sozialzusammenhang der Ortsgemeinde in Verbindung steht. Diese Ortsbezogenheit ist durch Ortsnamen symbolisiert“ und betrifft nicht die Herkunftsfamilie, Kindheits- und Jugenderlebnisse oder Freundschaftsbeziehungen.12 Somit kam im Gefühl des zunehmenden Fremdwerdens vor Ort und des Orts, ausgelöst durch den Zuzug der Russlanddeutschen, eine Änderung der emotionalen Ortsbezogenheit der Einheimischen zum Ausdruck. Neben dem emotionalen Bezug sind mit Orten auch Formen von Gedächtnis verbunden. Aleida Assmann unterscheidet hier zwei Formen von Gedächtnis: ein Gedächtnis an die Orte oder ein Gedächtnis, das in den Orten selbst lokalisiert ist. Orte sind für die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume von hervorragender Bedeutung, sie festigen und beglaubigen die Erinnerung, indem sie sie lokal im Boden verankern, und sie verkörpern eine Kontinuität der Dauer, die die vergleichsweise kurzphasige Erinnerung übersteigt.13 10 11 12 13

Vgl. Köstlin: Region (wie Anm. 66, S. 33), S. 121. Vgl. Treinen: Symbolische Ortsbezogenheit (wie Anm. 88, S. 52), S. 236f. Ebd., S. 356f. Vgl. Assmann: Erinnerungsräume (wie Anm. 51, S. 29), S. 298f. 243

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Sowohl vor dem Hintergrund der emotionalen Ortsbezogenheit als auch mit Blick auf den Erinnerungscharakter von Orten gewannen in den letzten Jahren die Erinnerungen der Einheimischen an den Flugplatz Hahn immer mehr an Bedeutung. Er wurde zum Bezugsobjekt mit hohem symbolischen und emotionalen Gehalt, was auch dadurch gestützt wurde, dass er als Konversionsstandort einem Funktionswandel unterworfen war, mit dem aus Sicht der Einheimischen auch ein Bedeutungswandel einherging. Frühere Bezeichnungen wie „Fliegerhorst“ oder „Flugplatz Hahn“ beziehen sich auf eine regionalspezifische Verortung der ehemaligen Hahn-Air-Base, die inzwischen als Flughafen Frankfurt/Hahn firmiert. Für viele Einheimische ist der Flugplatz, wie er sich zu Zeiten der Amerikaner darstellte, inzwischen ein imaginärer Ort, der nur noch in der Erinnerung existiert. Erinnerung als Vergangenheitsentlastung des Alltags geschieht über Differenzierung als „Besonderung“ von Orten und materiellen Gegenständen der Erinnerung.14 Die Erinnerung selber wird meistens durch ein äußeres Ereignis, aber vor allem durch Gegenstände (kulturelle Objektivationen) wachgerufen, die mit der Vergangenheit verbunden sind. In ihrer Ausdifferenzierung kann sie aber auch an besondere Örtlichkeiten gebunden werden.15 „Les lieux de mémoire“, wie sie Pierre Nora16 nannte – und mit „Erinnerungs-“ bzw. „Gedächtnisorte“ ins Deutsche übersetzt wurden – meinen Plätze und Symbole, an die sich Menschen erinnern. Für ihn handelt es sich bei Erinnerungsorten ebenfalls um kulturelle Objektivationen. Nach Nora können drei Dimensionen der Erinnerungsorte unterschieden werden: eine materielle, eine funktionale und eine symbolische. Besonders die letzten beiden Dimensionen – also Objektivationen, die in der Gesellschaft eine Funktion erfüllen, und Objektivationen, denen zudem eine symbolische Bedeutung zu eigen ist – treffen auch auf den Flugplatz Hahn zu. So konnten etwa an der Bezugnahme auf den Flugplatz Hahn in Form eines Austauschs von Erinnerungen nur diejenigen partizipieren, die während der Stationierung der Amerikaner auch vor Ort gelebt hatten. Sie schloss diejenigen aus, die erst nach dem Abzug der Amerikaner zugezogen waren, d.h. vor allem die Russlanddeutschen. Aus diesem Bewusstsein heraus entwickelte 14 Vergangenheitsentlastung meint die Auslagerung der Erinnerung auf bestimmte Orte und Zeiten. Vgl. Bernhard Giesen u.a.: Vergangenheitsentlastung durch Differenzierung. In: Moritz Csáky und Peter Stachel (Hrsg.): Die Verortung von Gedächtnis. Wien 2001, S. 15-40. 15 Ebd., S. 16. 16 In den von Pierre Nora herausgegebenen „Les lieux de mémoire“ handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen über Elemente der französischen Kultur, die zwar für Aspekte einer gemeinsamen Vergangenheit stehen, in ihrer Vielfalt aber kein verbindliches Gesamtbild der Erinnerung ergeben. Vgl. Erll: Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 267, S. 218), S. 23. Siehe hierzu Pierre Nora (Hrsg.): Les lieux de mémoire. 3 Bde. Paris 1984-1992. 244

5. FAZIT UND AUSBLICK

sich eine starke emotionale Ortsbezogenheit, welche diejenigen miteinander vereinte, die derselbe Erfahrungshorizont verband, und jene ausgrenzte, die diesen Erfahrungshorizont nicht besaßen. Insofern erhielt der Flugplatz Hahn als erinnerter Ort eine Funktion in der Gesellschaft – er diente der Selbstvergewisserung der Einheimischen, und half diesen, sich als Gruppe neu zu konstituieren. Diese ist gekennzeichnet durch die gemeinsame Geschichte mit den Amerikanern, symbolisiert und manifestiert durch den Flugplatz Hahn. Die Konstruktion des Flugplatzes Hahn als Erinnerungsort muss als Teil einer Inklusionsstrategie gesehen werden, mit deren Hilfe sich die Einheimischen als Gruppe definierten und die damit zur Abgrenzung der Gruppe der Einheimischen gegenüber jener der Russlanddeutschen diente. Seine symbolische Bedeutung leitete sich aus den Erinnerungen der Einheimischen ab, denn der Flugplatz symbolisierte für viele ihre Jugendzeit, die sie gegenüber der Gegenwart als eine „bessere Zeit“ empfanden. Darüber hinaus ist er aber auch mit den unterschiedlichsten, überwiegend positiven Assoziationen im Hinblick auf die Amerikaner verknüpft, die bereits in den Interviews ausführlich dargestellt wurden. Sie trugen dazu bei, dass er zu einem symbolischen Ort wurde, der mit einem hohen Erinnerungswert verbunden war. Hierbei spielte wiederum das narrative Kommunikationsmuster des Vergleichs eine bedeutende Rolle. Denn durch den Vergleich der Russlanddeutschen mit den Amerikanern wurden die emotional aufgeladenen Erinnerungen an den Flugplatz Hahn bei vielen Einheimischen ständig wach gehalten. „Die Authentizität einer Erinnerung wird nicht nur durch die affektive Kraft und Herausgehobenheit der Erfahrung verstärkt, sondern umgekehrt auch durch Routine und Wiederholung.“17 Somit kam es nicht zu dem in der Oral History-Forschung bekannten Phänomen, wonach die Unscheinbarkeit des Alltags Erinnerungen durch den Mangel an Thematisierung versiegelt. Der Flugplatz Hahn wurde für viele Einheimische zu einem Ort, an dem individuelle Erinnerungen in einer allgemeinen Erinnerung aufgingen. Erinnerungen trugen daher vor Ort weniger zu einer Vergangenheitsentlastung des Alltags bei, sondern halfen vielmehr, diesen zu strukturieren. Denn die Veränderungen vor Ort führten nicht nur zu einem Wandel des Selbstbildes der Einheimischen, sondern auch zu einem Ortsbezug, der sich auf Erinnerungsräume bezog, die je nach Bedarf umgebaut und angepasst, also neu konstruiert werden können. In den Erinnerungsräumen, wie sie zu Beginn der Arbeit beschrieben wurden, werden Zukunftserwartungen keineswegs von Bildern der Vergangenheit abgelöst, sondern von bestimmten Geschichtserinnerungen angestoßen und untermauert.18 Entsprechend formulier17 Assmann: Erinnerungsräume (wie Anm. 51, S. 29), S. 271. 18 Vgl. ebd., S. 408. 245

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ten die Einheimischen ihre Zukunftserwartungen an das Zusammenleben mit den Russlanddeutschen entscheidend auf der Grundlage ihrer Erinnerungen an die Amerikaner. Das Gedächtnis unterstützt diesen Akt der Konstruktion, indem es vorhergehende Konstruktionen verwischt, so dass ein Gefühl entsteht, welches suggeriert, es sei immer schon alles so und nicht anders gewesen.19 Diese Änderung der emotionalen Ortsbezogenheit betraf aber nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Russlanddeutschen. Auch ihre ehemals angestammte Heimat wurde im Zuge der Aussiedelung immer mehr zu einem Erinnerungsort mit exkludierender bzw. inkludierender Funktion in Raum und Zeit. Am Beispiel des Flugplatzes Hahn wurde deutlich, dass erinnerte Orte zumindest als Übergangsphänomen an Bedeutung gewinnen und auch zentral für den Ortsbezug werden können. Von daher ist die Bedeutung des Ortes mitnichten so gering, wie er in zahlreichen Beiträgen im Kontext der Globalisierungsdebatte erörtert worden ist. Von einem „Verschwinden des Ortes“ oder gar von „Ortlosigkeit“ kann – sogar an einem scheinbaren „Nicht-Ort“20 wie einem Flughafen – keine Rede sein. Das Lokale vor Ort ist gekennzeichnet vom Zuzug und vom Zusammenleben mit Fremden. Sie sind Teil des Eigenen und damit Bestandteil der Identität der Einheimischen. Die Erinnerungen an die Amerikaner, wie sie exemplarisch in einem kommentierten Bildband über die Zeit ihrer Stationierung zum Ausdruck kommen und der Umgang damit können als ein Ausdruck von Lokalität bzw. Baustein regionaler Identität interpretiert werden. Dieser Band „Im Hunsrück zuhause“, der 2002 von den Altbürgermeistern Michel (Sohren) und Koppke (Kirchberg) herausgegeben wurde, dient der Selbstvergewisserung und soll zeigen „wie die Amerikaner auf dem Flugplatz und in unseren Dörfern gelebt haben“21. Darin offenbart sich jedoch vor allem die Perspektive der Einheimischen, die zum Ausdruck bringt, an was erinnert werden soll und wodurch sich das Erinnerte strukturiert. Es zeigt sich, dass die Erinnerung vor allem dominiert wird von der militärischen Präsenz der Amerikaner, weswegen in dem Band der Beschreibung der US-Luftwaffe in Europa, dem Organisationsschema der 17. Luftflotte, den Einheiten und ihren Kommandeuren sowie den auf dem Hahn stationierten Flugzeugtypen breiter Raum eingeräumt wird. Die Einheimischen kommen dagegen eher am Rande 19 Nach Erll gibt es zwei zentrale Merkmale des Erinnerns: Sein Gegenwartsbezug und sein konstruktiver Charakter. Erinnerungen sind „subjektive, hochgradig selektive und von der Abrufsituation abhängige Rekonstruktionen. Erinnern ist eine sich in der Gegenwart vollziehende Operation des Zusammenstellens verfügbarer Daten. Vergangenheitsversionen ändern sich mit jedem Abruf, gemäß den veränderten Gegenwarten.“ Erll: Kollektives Gedächtnis (wie Anm. 267, S. 218), S. 7. 20 Siehe Augé: Orte und Nicht-Orte (wie Anm. 111, S. 56). 21 Michel und Koppke: Im Hunsrück (wie Anm. 39, S. 93), S. 5. 246

5. FAZIT UND AUSBLICK

vor: als Arbeiter beim Flugplatzbau, als Zivilangestellte, als Besucher von Flugschauen oder als Vereinsmitglieder bei gemeinsamen Veranstaltungen mit den Amerikanern. Erinnert wird auch an die Volkswanderungen unter Beteiligung von zahlreichen Amerikanern (den „Hahn-Highlanders“) und an den „,Kulturschock‘ für manchen Amerikaner“ sowie an das „Unverständnis der Deutschen mit der zum Teil andersartigen Lebensweise der Amerikaner“, mit der man sich jedoch arrangiert hätte.22 Betont wird in diesem Zusammenhang auch, dass das Zusammenleben seit den 1960er Jahren „immer weniger Probleme“ bereitet hätte.23 Der Abschied – „das Ende einer Epoche“ – wird entsprechend dramatisch mit dem Photo einer startenden Militärmaschine inszeniert, dessen Bildunterschrift lautet: „Geschwaderkommodore George Norwood verlässt den Hahn. Er fliegt die letzte Maschine.“24 Die einschneidenden Veränderungen vor Ort durch die Amerikaner jedoch, wie sie etwa am Beispiel des „sündigen Dorfs“ Lautzenhausen mehrfach auch in den Medien thematisiert wurden, kommen weder als Bild noch im Text zur Sprache. Sie wurden innerhalb des „floating gaps“ vergessen und verdrängt,25 so dass allein die positiven Erinnerungen übrig bleiben und diese prägen. Diese wiederum sind integraler Bestandteil eines Umgangs mit Fremdheit vor Ort und zwar in Form eines Belegs, der den Einheimischen bestätigt, bereits mit anderen Fremden zurecht gekommen zu sein, weswegen sie heute – so die Vorstellung – keinen Anteil an den Eingliederungsproblemen der Russlanddeutschen haben können. Darüber hinaus reichende Ausbildungen von Lokalität, etwa im Hinblick auf eine zunehmende Regionalisierung bzw. die Herausbildung eines Regionalbewusstseins, ließen sich vor Ort nur ansatzweise feststellen. Hierzu zählen etwa Aktivitäten, um die Region weiter für den Tourismus zu erschließen26 oder um regionale Traditionen stärker zu etablieren und zu fördern (z.B. 22 23 24 25

Ebd., S. 142. Ebd. Ebd., S. 181. Der Begriff wurde von dem Historiker und Anthropologen Jan Vansina eingeführt und bezeichnet eine „fließende Lücke“ zwischen dem kommunikativen und kulturellen Gedächtnis, d.h. „eine(n) definitorisch nicht präzisierbaren Bruch zwischen den Erlebnisgemeinschaften der Mitlebenden und den kulturellen Symbolisierungen der Nachwelt“. Vgl. Lutz Niethammer: Diesseits des „Floating Gap“. Das kollektive Gedächtnis und die Konstruktion der Identität im wissenschaftlichen Diskurs. In: Kristin Platt und Mihran Dabag (Hrsg.): Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten. Opladen 1995, S. 25-50, hier S. 26. Siehe hierzu auch Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München (4. Aufl.) 2002. 26 Wie sie etwa der Verein „Regionalrat Wirtschaft Rhein-Hunsrück e.V.“, der „Regionalverein Eifel-Mosel-Hunsrück e.V.“ oder die „Hunsrück-Touristik GmbH“ betreiben. 247

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durch das vermehrte Angebot „typisch Hunsrücker Gerichte“ in Gaststätten). Dies jedoch in Zusammenhang bzw. als eine Reaktion auf den Zuzug der Fremden oder gar als eine Ausdrucksform des Umgangs mit Fremdheit zu interpretieren, ergab sich weder aus den Interviews noch konnte dies während der Aufenthalte vor Ort in dieser Weise verifiziert werden. Vielmehr handelt es sich hierbei eher um Ausprägungen eines Lokalismus, d.h. einer Inszenierung des Lokalen, wie ihn Rolf Lindner als Folge einer voranschreitenden Globalisierung beschrieben hat.27 Die Analyse der Glokalisierungsprozesse vor Ort machte zwar deutlich, dass zunehmend Gemeinsamkeiten zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen wahrgenommen werden, was im Hinblick auf eine langfristige Überwindung polarisierender Alteritätsmodelle als wünschenswert erscheint; darüber hinaus ergab die Auswertung der Interviews aber nur wenige Anzeichen, die auf Transnationalisierungs- oder Hybridisierungsprozesse vor Ort schließen lassen. Möglicherweise würden Perspektivverschiebungen vom Zentrum und Eigenen zu den Rändern, Überlappungszonen und Zwischenräumen, in denen sich gerade jüngere Russlanddeutsche gefangen fühlen (wie es etwa in der Aussage einer jungen Russlanddeutschen in Abschnitt 4.6 zum Ausdruck kam), zu weiterführenden Erkenntnissen führen, die auch bestätigen könnten, dass die beschriebenen Exklusions- und Inklusionsstrategien der Einheimischen als Übergangsphänomene zu werten sind. Es bleibt festzuhalten: (Kulturelle) Globalisierung findet in verschiedenen Regionen in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen statt. Die Auswirkungen im Lokalen differieren ebenso, sie sind wie der Umgang mit Fremdheit abhängig von unterschiedlichen Parametern im Spannungsfeld von Wissen und Macht. Glokalisierung findet also nicht voraussetzungslos statt. Einer dieser Parameter, nämlich der des (Vor)-Wissens (wie z.B. Erfahrung, Erinnerung, Gaststatus) wurde in der vorliegenden Arbeit näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Glokalisierungsprozesse an einem Ort nicht nur unterschiedlich verlaufen können, sondern von vergangenen Glokalisierungen maßgeblich beeinflusst werden. Dabei kommt es zur vergleichenden Bewertung von vergangenen mit gegenwärtigen Glokalisierungseffekten. Diese tragen u.U. entscheidend zu einer möglichen Neu-Erfindung des Lokalen bei, auch wenn sie, wie vor Ort, mit Zuschreibungen von Fremdheit und der Dy27 Vgl. Rolf Lindner: Region als Forschungsgegenstand (wie Anm. 3, S. 78), hier S. 94. Gottfried Korff und Utz Jeggle haben bereits 1974 in ihrer Arbeit über die Selbstfolklorisierung der Zillertaler auf die kompensatorische Funktion von Regionalismus hingewiesen; Utz Jeggle und Gottfried Korff: Zur Entwicklung (wie Anm. 123, S. 116). Mit Regionalismus/Lokalismus als Folge von Globalisierung hat sich Gisela Welz auseinandergesetzt; Gisela Welz: Der Tod des Lokalen als Ekstase des Lokalismus. In: Peter Noller, Walter Prigge und Klaus Ronneberger (Hrsg.): Stadt-Welt. Über die Globalisierung städtischer Milieus. Frankfurt am Main und New York 1994, S. 218-225. 248

5. FAZIT UND AUSBLICK

namik von Exklusions- und Inklusionsprozessen korrespondieren. Ergebnis der lokalen Bearbeitung globaler Einflüsse vor Ort ist: Glokalisierungseffekte der Vergangenheit (die „alten Fremden“) wurden zum neuen Kennzeichen des Lokalen und der Flugplatz Hahn als Erinnerungsort zum Bestandteil einer neu-erfundenen Heimat.

5 . 3 Au s b l i c k Den Zuzug der Fremden auf dem Hunsrück als Ausdruck von globalen Prozessen zu sehen und dessen Auswirkungen vor Ort in Form einer „glokalen Kulturforschung“ zu untersuchen, heißt, in theoretisch überarbeiteter und erweiterter Form an Regionalforschungen in der Volkskunde/Europäischen Ethnologie anzuknüpfen. Im Fach wurde dabei schon seit langem mit den dafür einschlägigen Begriffen Heimat und Region operiert und auch die Verbindung von Mikro- und Makroperspektive als zentral postuliert. Von daher ist auch die Volkskunde/Europäische Ethnologie dafür prädestiniert, Prozesse kultureller Globalisierung glokal zu erforschen, um, wie mit dieser Regionalstudie, einen originären Beitrag zum Verständnis (g)lokaler Welten zu leisten. Denn Globalisierung als einen bedeutenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Prozess glokal zu analysieren bedeutet, ihn besser verstehen zu können.28 Mit dem Aufzeigen der Glokalisierungsprozesse vor Ort und der Bedeutung der Wechselseitigkeit der Beziehungen zwischen Einheimischen und Fremden in der Mikroperspektive – gerade auch mit Blick auf die Situation der Einheimischen –will die Arbeit dazu beitragen, einer naiven Postulierung ethnischer Zugehörigkeiten und Unterschiede, die von Einheimischen, aber auch von Politikern und Experten nicht nur in den Kommunal- und Kreisverwaltungen oftmals zur Begründung sozialen Handelns herangezogen werden, entgegenzuwirken. Erst dadurch können Barrieren zwischen Fremden und Einheimischen abgebaut und gegenseitiges Verständnis und die Chancen für ein nachbarschaftliches Zusammenleben verbessert werden. Deswegen ist es für das konstruktive Miteinander von Einheimischen und Fremden an einem Ort erforderlich, die den Zuweisungen der Einheimischen zugrundeliegenden Faktoren entsprechend zu verstehen und zu beeinflussen. Diese Faktoren beziehen sich zum einen auf die materiellen Bedingungen vor Ort, wie die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und Wohnraum sowie die Qualität der öffentlichen Infrastruktur, zum anderen auf immaterielle Bedingungen wie den Zugang zu Informationen und das Angebot kultureller Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten. 28 Vgl. Johler: Glokalisierung (wie Anm. 5, S. 240), hier S. 134. 249

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Für den Raum um den Flugplatz Hahn haben sich die materiellen Bedingungen in den letzten Jahren insofern verbessert, als dass durch die erfolgreiche Konversion zu einem Zivilflughafen das Arbeitsplatzangebot in der Region nachhaltig erhöht werden konnte (Entschärfung der Konkurrenz um „Arbeit“). Zudem bietet die Region eine große Anzahl von Wohn- und Baumöglichkeiten zu „bezahlbaren“ Preisen (Entschärfung der Konkurrenz um „das Wohnen“); durch den Zufluss öffentlicher Mittel konnte die lokale Infrastruktur an die veränderten Bedürfnisse angepasst werden (Ausbau von Schulen, Jugendzentrum etc.). Hinsichtlich der immateriellen Bedingungen gab es einige Entwicklungen, die hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben sind (Begegnungen von Einheimischen und Aussiedlern im Jugendzentrum Sohren oder in Vereinen und auf Festen). Doch zeigen gerade positive Beispiele wie die bereits erwähnten Ausstellungen des Begegnungshausvereins über das frühere Leben im Hunsrück und das in der ehemaligen Sowjetunion, dass es gute, oft dezentral initiierte Ansätze gibt, um Begegnungen und damit gegenseitiges Verständnis zu fördern und Vorurteile abzubauen (Abbau von Exklusionsmechanismen).29 Von daher ist es wünschenswert, dass Initiativen zur Förderung des Zusammenlebens mit Fremden vor allem auf dezentraler Ebene gestärkt werden. Gerade dadurch werden Prozesse der Selbstreflexion angestoßen, die das Eigene und Fremde nicht nur in binären Kategorien erscheinen lassen, sondern als eine wechselseitige Durchdringung von Identität und Alterität. Das trägt dazu bei, polarisierendes und ausgrenzendes Denken im Hinblick auf „Andere“ abzubauen und die Einbeziehung des „Anderen“ als Teil der eigenen Identitätskonstruktion zu begreifen. Weitere Beispiele hierfür sind der Aufbau von Mentorenprogrammen für Fremde durch Einheimische sowie Ausstellungen und Veranstaltungen, die von den Einheimischen maßgeblich gestaltet und getragen werden. Darin sollte ihre Sicht auf die Veränderungen vor Ort dargestellt werden und die Fremden sollten so die Gelegenheit bekommen, auch über die Sorgen, Ängste und Erwartungen der Einheimischen zu reflektieren.

29 Auch einige neuere TV-Berichte wie der 2008 vom SWR gesendete Beitrag: „Der Hahn lebt. Von der Airbase zum Zivilflughafen“ unterstreichen den Stellenwert der Fremden für das Alltagsleben vor Ort. Die Darstellung kommt dabei ohne die üblichen polarisierenden Dichotomien aus, die zur Illustration von Fremdheit häufig herangezogen werden. Als „Schichtwechsel in der Bevölkerung“ wird darin der Zuzug der Russlanddeutschen bezeichnet, bei dem Vorurteile aufeinander prallen würden: „Die Zugezogenen fühlen sich ausgegrenzt, die Alteingesessenen vermissen den Willen der Russlanddeutschen zur Integration.“ Am Beispiel des Flugplatzes Hahn zeichnet der Beitrag den Strukturwandel vor Ort nach und wird mit entsprechend aufbereiteten Arbeitsblättern für den Einsatz im Erdkundeunterreicht der 9./10. Klasse in Rheinland-Pfalz empfohlen. Hintergrundinformationen unter www.planet-schule.de/wissenspool/bg0090/ der_hahn_lebt ([Letzter Zugriff 10.3.2009.] 250

5. FAZIT UND AUSBLICK

Ein derartiger Austausch setzt eine aktive Mitarbeit der Menschen vor Ort voraus – und nicht nur das Engagement professioneller Integrationsbeauftragter. Die Mobilisierung dieser dezentralen Potenziale zur gegenseitigen Information und zum gegenseitigen Austausch kann einen bedeutenden Beitrag zu einer besseren Integration der Fremden und zu einem Gefühl des „Ernstgenommenwerdens“ bei den Einheimischen leisten. Die Analyse hat auch gezeigt, dass nach einer Anfangseuphorie eine Phase der Ernüchterung einsetzte, in der negative Einstellungen schnell die Oberhand gewannen. Umso wichtiger ist es, nachhaltig an der dezentralen Mobilisierung von Einheimischen und Fremden zu arbeiten und auch während einer negativen Phase wieder die Initiative zu ergreifen. Hierfür sind finanzielle Mittel und personelle Kapazitäten erforderlich, um Einheimische und Fremde nicht mit ihren Sorgen und Problemen allein zu lassen. In der Region um den Flughafen Hahn ist es vor allem auch dem Engagement einzelner Personen (Verein Begegnungshaus), aber auch günstigen Umständen für die Kommunikation (z.B. Solidarisierung zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen, um sich gegen hohe Straßenbaukosten zu wehren) zu verdanken, dass derartige Initiativen nicht erlahmten. Die Analyse der Interviews hat ergeben, dass das Bild der Einheimischen von den Russlanddeutschen bereits im Untersuchungszeitraum dieser Arbeit zunehmend differenzierter wurde und stereotype Bilder und einseitige Zuschreibungen an Bedeutung verloren haben. Hierzu beigetragen hat sowohl die positive wirtschaftliche Entwicklung in der Region um den Flughafen Hahn als auch die zunehmende Zahl von Kontakten zwischen Einheimischen und Russlanddeutschen, verbunden mit einem größeren wechselseitigen Verständnis für die Situation der jeweils anderen Seite. Parallel dazu hat das Medieninteresse an der Region und den neuen Fremden merklich abgenommen – scheinbar auch bedingt durch die abnehmende Zahl „berichtenswerter“ Vorfälle. Dies alles kann als ein Indiz dafür gesehen werden, dass das Zusammenleben zwischen Einheimischen und russlanddeutschen Aussiedlern zunehmend alltäglicher wird und den Charakter der Irritation und Störung verliert – Kriterien, die nach Rudolf Stichweh als konstitutiv für Fremdheit anzusehen sind und diese von der Andersheit unterscheidet.30 Ein Verschwinden des Fremden bzw. eine Universalisierung der Fremdheitserfahrungen, wie sie Stichweh für die Weltgesellschaft31 der Gegenwart 30 Vgl. Rudolf Stichweh: Fremdheit in der Weltgesellschaft. Indifferenz und Minimalsympathie. In: Andrea Gestrich und Lutz Raphael (Hrsg.): Inklusion/Exklusion. Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis in die Gegenwart. Frankfurt am Main 2004, S. 35-47, hier S. 35. 31 Stichweh versteht unter Weltgesellschaft „den Sachverhalt, dass Kommunikationen heute füreinander im Prinzip weltweit erreichbar sind und es deshalb nur 251

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proklamiert hat, bei der die Fremdheit immer mehr von einem Moment der Indifferenz32 abgelöst werden würde, lässt sich in dem konkreten Beispiel vor Ort nicht nachvollziehen. Zwar dominiert hier inzwischen bei den Einheimischen im Umgang mit den Russlanddeutschen durchaus eine zunehmende Gleichgültigkeit, diese unterscheidet sich jedoch gerade aufgrund ihrer pejorativen Konnotation von der Indifferenz Stichwehs. Sie kennzeichnet vielmehr ein Zusammenleben, welches sich im Übergang befindet, und bei dem sich nicht mehr Fremde aber auch (noch) keine „Freunde“ (wie die Amerikaner von vielen Einheimischen retrospektiv bezeichnet wurden) gegenüberstehen.

noch ein Gesellschaftssystem auf der Erde gibt.“ Ebd., S. 38. Siehe hierzu auch Rudolf Stichweh: Die Weltgesellschaft. Soziologische Analysen. Frankfurt am Main 2000. 32 Nach Stichweh besagt Indifferenz bzw. das deutsche Äquivalent Gleichgültigkeit lediglich, „dass bestimmte Unterschiede, die der Sache nach im Prinzip gegeben sind, in der jetzigen Situation nicht weiter beachtet werden.“ Stichweh: Fremdheit (wie Anm. 30, S. 251), S. 40. 252

6 . Anha ng 6 . 1 L i t e r a t u r ve r z e i c h n i s 6.1.1 Monographien, Sammelbände, Aufsätze Adler, Harry u.a. (Hrsg.): Zwischen Räumen. Studien zur sozialen Taxonomie des Fremden (= Berliner Blätter, 19). Berlin 1999. Albrecht, Corinna: Der Begriff der, die, das Fremde. Zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Fremde. Ein Beitrag zur Klärung einer Kategorie. In: Bizeul, Yves u.a. (Hrsg.): Vom Umgang mit dem Fremden. Hintergrund – Definitionen – Vorschläge. Weinheim und Basel 1997. S. 8093. Anhäuser, Uwe u.a.: Militär-Heimat Hunsrück. Fichten, Fachwerk, Flugzeugträger. Beiträge zu einer regionalen Militäranalyse. Neckarsulm 1986. Appadurai, Arjun: The Production of Locality. In: Ders.: Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization. Minneapolis und London 1996. S. 178-199. Arensberg, Conrad M.: Die Gemeinde als Objekt und als Paradigma. In: König, René (Hrsg.): Handbuch der empirischen Sozialforschung. Bd. 4. Stuttgart 1974. S. 82-116. Assion, Peter: Russlanddeutsche in Freiburg im Breisgau. Ein Forschungsprojekt des Freiburger Instituts für Volkskunde zur Integrationsproblematik der Spätaussiedler. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 36 (1993), S. 318-337. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Assmann, Aleida: Geschichte findet Stadt. In: Csáky, Moritz und Leitgeb, Christoph (Hrsg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem „Spatial Turn“. Bielefeld 2009. S. 13-28. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München (4. Aufl.) 2002.

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FREMDE VOR ORT

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6. ANHANG

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FREMDE VOR ORT

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6. ANHANG

Bhabha, Homi K.: Verortungen der Kultur. In: Elisabeth Bronfen u.a. (Hrsg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen 1997. S. 123-148. Bielefeld, Uli (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt? Hamburg 1991. Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (Hrsg.): Berufliche und soziale Integration von Aussiedlern und Aussiedlerinnen. Frankfurt am Main 1991. Binder, Beate u.a. (Hrsg.): Ort. Arbeit. Körper. Ethnografie Europäischer Modernen. 34. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Berlin 05.10.-08.10.2003. Münster 2005. Bingemer, Karl u.a. (Hrsg.): Leben als Gastarbeiter. Geglückte und missglückte Integration. Köln und Opladen 1970. Birk, Hanne und Neumann, Birgit: Postkoloniale Erzähltheorie. In: Nünning, Ansgar und Nünning, Vera (Hrsg.): Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Trier 2002. S. 115-152. Bischoff, Detlef und Teubner, Werner: Zwischen Einbürgerung und Rückkehr. Ausländerpolitik und Ausländerrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. Berlin 1990. Bizeul, Yves u.a. (Hrsg.): Vom Umgang mit dem Fremden. Hintergrund – Definitionen – Vorschläge. Weinheim und Basel 1997. Blauth, Rudolf (Hrsg.): Was Deutsche über Türken und Türken über Deutsche schon immer wissen wollten. München 1992. Böhm, Andrea (Hrsg.): Die Deutschen und die Fremden. Aus dem Alltag eines Einwanderungslandes. Frankfurt am Main 1992. Boissevain, Jeremy F.: Hal-Farrug. A Village in Malta. New York u.a. 1969. Boll, Klaus: Kulturwandel der Deutschen aus der Sowjetunion. Eine empirische Studie zur Lebenswelt russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik (= Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., 63). Marburg 1993. Boll, Klaus: Akkulturation russlanddeutscher Aussiedler. In: Dröge, Kurt (Hrsg.): Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte. Beiträge zur Volkskunde der Deutschen im und aus dem östlichen Europa. Oldenburg 1995. S. 199-150. Bollnow, Otto F.: Das kritische Verstehen. In: Ders.: Studien zur Hermeneutik. Band I: Zur Philosophie der Geisteswissenschaften. Freiburg im Breisgau und München 1982. S. 73-102 (Erstdruck 1924). Bönisch-Brednich, Brigitte; Brednich, Rolf Wilhelm; Gerndt, Helge (Hrsg.): Erinnern und Vergessen. Vorträge des 27. Deutschen Volkskundekongresses in Göttingen 1989. Göttingen 1991. Bönisch-Brednich, Brigitte: Überlegungen zur Kunstform des ethnographischen Erzählens. Die Faszination des Dorfes Átány. In: Zeitschrift für Volkskunde 102 (2006), S. 1-15. 257

FREMDE VOR ORT

Born, Joachim: Deutschsprachige Minderheiten. Ein Überblick über den Stand der Forschung für 27 Länder. Mannheim 1989. Bornewasser, Manfred: Motivationale Hintergründe von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. In: Müller, Siegfried; Otto, Hans-Uwe; Otto, Ulrich (Hrsg.): Fremde und Andere in Deutschland. Nachdenken über das Einverleiben, Einebnen, Ausgrenzen. Opladen 1995. S. 87-102. Bourdieu, Pierre: Physischer, sozialer und angeeigneter Raum. In: Wentz, Martin (Hrsg.): Stadt-Räume. Frankfurt am Main und New York 1992. S. 25-34. Brake, Klaus: Lebenserinnerungen russlanddeutscher Einwanderer. Zeitgeschichte und Narrativik. Berlin 1998. Brandes, Detlef; Busch, Margarethe; Pavlović, Kristina: Bibliographie zur Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen. Band 1: Von der Einwanderung bis 1917. München 1994. Brandt, Susanne: Holocaust – redaktionell bearbeitet. Wie die Erstausstrahlung der Holocaust-Serie 1979 das deutsche Nachkriegserinnern beeinflusste. Über den Zusammenhang von Fernsehen und kollektivem Gedächtnis. In: Zeitschrift für Kultur-Austausch 49/4 (1999), S. 89-91. Brauerhoch, Annette: Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte. Frankfurt am Main und Basel 2006. Braun, Rudolf: Sozio-kulturelle Probleme der Eingliederung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz. Erlenbach-Zürich 1970. Brednich, Rolf Wilhelm: Die Maus im Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute. München 1991. Brednich, Rolf Wilhelm: Die Spinne in der Yucca-Palme. Sagenhafte Geschichten von heute. München 1990. Bronfen Elisabeth u.a. (Hrsg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur angloamerikanischen Multikulturalismusdebatte. Tübingen 1997. Briegel, Manfred und Frühwald, Wolfgang (Hrsg.): Die Erfahrung der Fremde. Kolloquium des Schwerpunktprogramms „Exilforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Weinheim 1988. Brockmann, Anna Dorothea (Hrsg.): Landleben. Ein Lesebuch von Land und Leuten. Argumente und Reportagen. Reinbek 1977. Brückner, Wolfgang (Hrsg.): Falkensteiner Protokolle. Frankfurt am Main 1971. Brüderle, Rainer: Die wirtschaftliche Bedeutung des militärischen Sektors für die Städte und Kreise in Rheinland-Pfalz. Ein Vergleich mit militärischen Standorten in anderen Bundesländern. Mainz 1990. Brüggemann, Beate und Riehle, Rainer: Das Dorf. Über die Modernisierung einer Idylle. Frankfurt am Main und New York 1986.

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6. ANHANG

Brunn, Gerhard (Hrsg.): Region und Regionsbildung in Europa. Konzeptionen der Forschung und empirische Befunde (= Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen, 1). Baden-Baden 1996. Brüß, Joachim: Soziale Nähe und Distanz zwischen deutschen, türkischen und Aussiedler-Jugendlichen. In: Groenemeyer, Axel und Mansel, Jürgen (Hrsg.): Die Ethnisierung von Alltagskonflikten. Opladen 2003. S. 109134. Buchenauer, Renate: Dorferneuerung in Hessen. In: Frahm, Eckart und Hoops, Wiklef (Hrsg.): Dorfentwicklung. Aktuelle Probleme und Weiterbildungsbedarf. Referate einer Arbeitstagung des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen. Tübingen 1987. S. 79-85. Bude, Heinz und Greiner, Bernd (Hrsg.): Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik. Hamburg 1999. Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Hrsg.): Zuwanderung und Asyl in Zahlen. Nürnberg (7. Aufl.) 2000. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aussiedler (= Informationen zur politischen Bildung, 222). München 1991. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Das Ende der Gemütlichkeit. Theoretische und praktische Ansätze zum Umgang mit Fremdheit, Vorurteilen und Feindbildern (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, 316). Bonn 1993. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Bonn 1990. Burmeister, Helmut und Scharfe, Martin (Hrsg.): Stolz und Scham der Moderne. Die hessischen Dörfer 1950-1970. Erträge einer Tagung der Hessischen Vereinigung für Volkskunde e.V. in Hofgeismar 1993. Hofgeismar 1996. Cammann, Alfred: Heimat Wolhynien. Bd 1 (= Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., 33). Marburg 1985. Cammann, Alfred: Heimat Wolhynien. Bd 2 (= Schriftenreihe der Kommission für ostdeutsche Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., 41). Marburg 1988. Claus, Wolfgang und Hubo, Christiane: Integration von Aussiedlern in SüdNiedersachsen. Münster und Hamburg 1996. Clifford, James: Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century. Harvard 1997. Clifford, James und Marcus, George (Hrsg.): Writing Cultures. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley 1986. Cox, H. L. (Hrsg.): Gemeinde – Region (= Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 22/2). Bonn 1978.

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Daheim in Europa. Formen von Europäisierung in der Region. Begleitband zur Ausstellung im Haspelturm des Schlosses Hohentübingen vom 6. Mai bis 4. Juli 2004. Tübingen 2004. Demandt, Alexander (Hrsg.): Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. München 1995. Dettmer, Frauke: Konflikte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen nach Ende des Zweiten Weltkriegs. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 26 (1983), S. 311-324. Dickhardt, Michael und Hauser-Schäublin, Brigitta (Hrsg.): Kulturelle Räume – räumliche Kultur. Zur Neubestimmung des Verhältnisses zweier fundamentaler Kategorien menschlicher Praxis. Münster, Hamburg und London 2003. Dickhardt, Michael und Hauser-Schäublin, Brigitta: Eine Theorie kultureller Räumlichkeit als Deutungsrahmen. In: Dies. (Hrsg.): Kulturelle Räume – räumliche Kultur. Zur Neubestimmung des Verhältnisses zweier fundamentaler Kategorien menschlicher Praxis. Münster, Hamburg und London 2003. S. 13-42. Diener, Walter G. und Born, Willy: Hunsrücker Volkskunde. Würzburg (3. überarbeitete Aufl.) 1984 (Erstauflage unter alleiniger Autorschaft von G. Walter Diener von 1925). Dietz, Barbara: Erwartungen an die neue Heimat. Deutsche Aussiedler aus der Sowjetunion vor dem beruflichen und sozialen Neubeginn in der Bundesrepublik Deutschland (= Arbeitsbericht/Osteuropa-Institut München, Forschungsprojekt „Deutsche in der Sowjetunion und Aussiedler aus der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland“, 5). München 1991. Dietz, Barbara: Jugendliche Aussiedler. Ausreise, Aufnahme, Integration. Berlin 1997. Dietz, Barbara: Zwischen Anpassung und Autonomie. Russlanddeutsche in der vormaligen Sowjetunion und in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1995. Dietz, Barbara und Hilkes, Peter: Integriert oder isoliert? Zur Situation russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. München 1994. Dietz, Babara und Roll, Heike: Jugendliche Aussiedler – Porträt einer Zuwanderergeneration. Frankfurt am Main und New York 1998. Dietz, Barbara: Rückwanderung in eine fremde Gesellschaft. Zur sozialen Integration russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik. In: Graudenz, Ines und Römhild, Regina (Hrsg.): Forschungsfeld Aussiedler. Ansichten aus Deutschland. Frankfurt am Main u.a. 1996. S. 123-138. Dittrich, Eckhard J. und Radtke, Frank-Olaf (Hrsg.): Ethnizität. Wissenschaft und Minderheiten. Opladen 1990.

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6. ANHANG

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Fél, Edit und Hofer, Tamás: Bäuerliche Denkweise in Wirtschaft und Haushalt. Eine ethnographische Untersuchung über das ungarische Dorf Átány. Göttingen 1972. Fél, Edit und Hofer, Tamás: Proper Peasants. Traditional Life in a Hungarian Village. Chicago 1969. Fendl, Elisabeth: Rezension zu Christel Köhle-Hezinger (Hrsg.): Neue Siedlungen – Neue Fragen. Eine Folgestudie in Baden-Württemberg. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1999, S. 178-180. Fischer, Martina (Hrsg.): Fluchtpunkt Europa. Migration und Multikultur. Frankfurt am Main 1998. Fleischhauer, Ingeborg: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft. Stuttgart 1986. Flohr, Anne Katrin: Fremdenfeindlichkeit. Biosoziale Grundlagen von Ethnozentrismus. Opladen 1994. Fluck, Winfried: California Blue. Amerikanisierung als Selbstamerikanisierung. In: Bechdolf, Ute; Johler, Reinhard; Tonn, Horst: Amerikanisierung – Globalisierung. Transnationale Prozesse im europäischen Alltag. Trier 2002. S. 9-29. Fludernik, Monika und Gehrke, Hans-Joachim (Hrsg.): Grenzgänger zwi schen Kulturen. Würzburg 1999. Frahm, Eckart und Hoops, Wiklef (Hrsg.): Dorfentwicklung. Aktuelle Probleme und Weiterbildungsbedarf. Tübingen 1987. Fränkel, Heinrich (Hrsg.): Deutschland im Urteil des Auslandes früher und jetzt. München 1916. Franzke, Daniele und Schönhuth, Michael (Hrsg.): Der Einfluss soziokultureller Faktoren auf den Integrationsprozess von Spätaussiedlern. Saarbrücken 2003. Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck (Hrsg.): Fremd im Dorf. Grenzerfahrungen im ländlichen Alltag. Begleitheft zur Ausstellung vom 24. April bis 30. Oktober 1994 (= Kleine Schriften des Freilichtmuseums Neuhausen ob Eck, 11). Tuttlingen 1994. Friedl, Ernestine: Vasilika. A Village in Modern Greece. New York 1962. Friedl, John: Kippel: A Changing Village in the Alps. New York 1974. Friesenhahn, Günter J.: Über die Schwierigkeit mit Fremden. In: ibw-Journal 10 (1986), S. 3-10. Frieß-Reimann, Hildegard und Schellack, Fritz (Hrsg.): Kulturen, Räume, Grenzen. Interdisziplinäres Kolloquium zum 60. Geburtstag von Herbert Schwedt (= Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz, 19). Mainz 1996. Frieß-Reimann, Hildegard: Tschugujewka II am Rhein – Die Pfingstgemeinde in Guntersblum. Anmerkungen zu einen Projekt. In: Volkskunde in Rheinland-Pfalz 6/2 (1991), S. 2-4.

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6. ANHANG

Frieß-Reimann, Hildegard; Niem, Christina; Schneider, Thomas: Probleme kleiner Gemeinden in Rheinland-Pfalz – Ein Projektbericht. In: Kuntz, Andreas (Hrsg.): Lokale und biographische Erfahrungen. Studien zur Volkskunde. Münster und New York 1995. S. 127-142. Fuchs, Martin und Berg, Eberhard: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. In: Dies. (Hrsg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am Main 1999. S. 11-108. Fuchs, Martin und Berg, Eberhard (Hrsg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am Main 1999. Fürst, Dietrich: Region in der Regionalpolitik – eine wirtschaftspolitische Sicht. In: Brunn, Gerhard (Hrsg.): Region und Regionsbildung in Europa. Konzeptionen der Forschung und empirische Befunde (= Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen, 1). Baden-Baden 1996. S. 69-83. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Tübingen (5. Aufl.) 1975. Gebhardt, Hans; Reuber, Paul; Wolkersdorfer, Günter (Hrsg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg und Berlin 2003. Gebhardt, Hans; Reuber, Paul; Wolkersdorfer, Günter: Kulturgeographie – Leitlinien und Perspektiven. In: Dies. (Hrsg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg und Berlin 2003. S. 1-30. Gebhardt, Winfried und Kamphausen, Georg: Zwei Dörfer in Deutschland. Mentalitätsunterschiede nach der Wiedervereinigung. Opladen 1994. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt am Main 1987. Gehrmann, Karl Heinz: Das Bild vom anderen. In: Deutsche Studien 16 (1978), S. 313-316. Geisthövel, Alexa und Knoch, Habbó (Hrsg.): Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main und New York 2005. S. 9-14. Gehrke, Hans-Joachim: Einleitung: Grenzgänger im Spannungsfeld zwischen Identität und Alterität. In: Fludernik, Monika und Gehrke, Hans-Joachim (Hrsg.): Grenzgänger zwischen Kulturen. Würzburg 1999. S. 15-27. Gerndt, Helge (Hrsg.): Stereotypenvorstellungen im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis Fremdbilder, Selbstbilder, Identität. Festschrift für Georg R. Schroubek zum 65. Geburtstag. München 1988. Gerndt, Helge und Schroubek, Georg R. (Hrsg.): Regionale Kulturanalyse. Protokollmanuskript einer wissenschaftlichen Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde vom 8.-11. Oktober 1978 in München. München 1979.

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286

6. ANHANG

Wicker, Hans-Rudolf u.a. (Hrsg.): Das Fremde in der Gesellschaft. Migration, Ethnizität und Staat. Zürich 1996. Wiegelmann, Günter (Hrsg.): Gemeinde im Wandel. Volkskundliche Gemeindestudien in Europa. Beiträge des 21. Deutschen Volkskundekongresses in Braunschweig 1977 (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 13). Münster 1979. Wienker-Piepho, Sabine und Roth, Klaus (Hrsg.): Erzählen zwischen den Kulturen. Münster 2004. Wierlacher, Alois (Hrsg.): Kulturthema Fremdheit: Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. München 1993. Wiese, Leopold von (Hrsg.): Das Dorf als soziales Gebilde (= Beiträge zur Beziehungslehre, 1). München und Leipzig 1928. Wlecklik, Petra: Multikultur statt Deutschtum? Antirassismus zwischen Folklore und ethnischem Mythos. Bonn (2. Aufl.) 1996. Wood, Margaret: The Stranger. A Study in Social Relationships. New York und London 1934. Wunder, Edgar: Religion in der postkonfessionellen Gesellschaft. Ein Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung in der Religionsgeographie. Stuttgart 2005. Wytzes, Holger: Zur Situation russlanddeutscher Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Inhaltsanalyse von Eingliederungskonzepten im Rhein-Hunsrück-Kreis und pädagogische Konsequenzen (unveröffentlichte Diplomarbeit Düsseldorf 1996). Zentrum für Türkeistudien (Hrsg.): Das Bild der Ausländer in der Öffentlichkeit. Eine theoretische und empirische Analyse zur Fremdenfeindlichkeit (= Studien und Arbeiten des Zentrums für Türkeistudien, 17). Opladen 1995. Zepf, Walter: Spraitbach aus der Sicht der Kommunalpolitik. In: Frahm, Eckart und Hoops, Wiklef (Hrsg.): Dorfentwicklung. Aktuelle Probleme und Weiterbildungsbedarf. Tübingen 1987. S. 265-274. Ziegler, Petra: Amerikaner in Bamberg (unveröffentlichte Magisterarbeit Universität Münster 1993). Zinn-Thomas, Sabine: „Freund oder Feind?“ Zur Imagination des Fremden in den Medien. In: Simon, Michael u.a. (Hrsg.): Bilder, Bücher, Bytes. Zur Medialität des Alltags. 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Mainz 2007. Münster 2009. S. 319-326. Zinn-Thomas, Sabine: Herausforderung Fremdheit. Zwischen Abweisung und Aneignung. In: Göttsch, Silke und Köhle-Hezinger, Christel (Hrsg.): Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als Orientierung. 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Jena 2001. Münster u.a. 2003. S. 159-166.

287

FREMDE VOR ORT

Zinn-Thomas, Sabine: Kriminelle, jugendliche Spätaussiedler – Opfer oder Täter? Zur Ethnisierung des Sozialen. In: Ipsen-Peitzmeier, Sabine und Kaiser, Markus (Hrsg.): Zuhause fremd. Russlanddeutsche zwischen Russland und Deutschland. Bielefeld 2006. S. 307-320. Zinn-Thomas, Sabine: Kulturelle Differenzen? Wahrnehmungs- und Identitätsstrategien im Zusammenleben mit Russlanddeutschen Aussiedlern am Beispiel einer Hunsrücker Gemeinde. In: Franzke, Daniela und Schönhuth, Michael (Hrsg.): Der Einfluss soziokultureller Faktoren auf den Integrationsprozess von Spätaussiedlern. Saarbrücken 2003. S. 45-58.

288

6. ANHANG

6.1.2 Zeitungs- und Magazinartikel Allgemeine Zeitung: „Der Dollar rollt in Lautzenhausen. Mit den Raketen kamen die Vergnügungs-Manager in das Dorf. 1200 Mark Miete für Kuhstall.“ 29.4.1959. Badische Zeitung: „Heimat kann man nie alleine haben.“ BZ-Interview mit Edgar Reitz über die Arbeit am dritten Teil seines Fernsehfilmzyklus „Heimat.“ 15.12.2004. Berliner Zeitung: Wolfgang Kohrt: Out of Kasachstan. „Wir hätten sie nicht gebraucht.“ In einem Hunsrückdorf leben zwölfhundert Spätaussiedler und die Einheimischen nebeneinander her – im besten Fall. 17.4.2002. S. 3. Der Spiegel: „Für jeden Ami ein Russe“. 4/1994. S. 45. Der Spiegel: Heimliches Zubrot. 18/1983. S. 52. Der Stern: „Die Bar auf der Tenne.“ Nr. 16, April 1959. Die Zeit: Katja Nicodemus: Westdeutsche Provinzler, mit sich selbst beschäftigt. 38/2004. S. 53. Die Zeit: Volker Ullrich: Keine Landsleute, sondern Fremde. 23/2008. S. 59. Hahn Hawk. Nr. 20/26. Mai 1967. S. 2. Hahn Hawk. Nr. 13/4. April 1969. S. 2. Hamburger Abendblatt: Jutta Witte: Eine Region steht Kopf. Der Zuzug von Aussiedlern hat das Leben im Hunsrück verändert. 7.1.1999. S. 3. Hunsrücker Zeitung: „Auf dem Flugplatz Hahn entstehen jetzt die Hochbauten. Für die Übergangszeit Barackendorf errichtet. Wälder wichen den Betonbahnen.“ 22.10.1952, Jg. 115, Nr. 247. Hunsrücker Zeitung: „Der Bau eines Flugplatzes bei Hahn. Sechs Gemeinden verlieren 630 ha – Tausende Festmeter Holz werden eingeschlagen.“ 16.4.1951, Jg. 114, Nr. 88. Landlust: Die schönsten Seiten des Landlebens. Juli/August 2006. Rhein-Hunsrück Kalender: Rudolf Rabs: Der NATO-Flugplatz Hahn im Hunsrück. 1970. S. 33. Rhein-Hunsrück-Zeitung: „Russische Bräuche im Hunsrück“. 4.2.1997. Rhein-Hunsrück-Zeitung: „Saufgelage erwies sich als guter Brauch. Totenritual russischer Aussiedler auf dem Friedhof in Büchenbeuren verunsichert zahlreiche Dorfbewohner.“ 4.2.1997. Rhein-Hunsrück-Zeitung: „Urhunsrücker besuchen die Heimat.“ 21.5.2002. Rheinischer Merkur: Christian Schnitzler: Die Amis sind weg, die Russen kommen. Auf dem Land gibt es bei der Integration der Aussiedler kaum Probleme. Nr. 26, 1994. Rhein-Zeitung: Peter Faller: „American Bars“ in Hunsrückwäldern. Kasernen und Wohnviertel wie in Baumholder. Im Mittelpunkt die Luftbasis. Was sagen die Hunsrücker?“ 4./5.10.1951. 289

FREMDE VOR ORT

Rhein-Zeitung: Werner Stratenschulte: Ist Lautzenhausen im Hunsrück wirklich ein „sündiges Dorf“? 16.12.1960. Rhein-Zeitung: „Besuch in Neu-Büchenbeuren. Hunsrückstadt wächst aus dem Boden.“ 5.5.1953. Rhein-Zeitung: „Dollarschwemme in den Eifeldörfern.“ 26.3.1960.

290

6. ANHANG

6.1.3 Filme und Fernsehbeiträge ARD „Monitor“: Gabriele Krone-Schmalz und Udo Frank: Staatsanwalt will Hunsrück-Forum mundtot machen. Sendung vom 6.8.1985. WDR 1985. ARD „Report Mainz“: Kriminell und nicht integrierbar? – Russlanddeutsche in der Provinz. Sendung vom 17.11.2003. SWR 2 2003. ARD „Report Mainz“: Schabbach wehrt sich gegen Raketen. Sendung vom 6.11.1984. SWF 1984. „Die Goldene Pest.“ Drama von 1954, Regie: Hans Brahm, Bundesrepublik Deutschland. „Heimat: eine Chronik in 11 Teilen.“ Fernsehfilm 1984. Regie: Edgar Reitz. Bundesrepublik Deutschland. „Heimat: Chronik einer Jugend.“ Fernsehfilm 1992. Regie: Edgar Reitz. Bundesrepublik Deutschland. „Heimat: Chronik einer Zeitenwende.“ Spielfilm 2002/03. Regie: Edgar Reitz. Bundesrepublik Deutschland. „Schwarzer Kies.“ Kriminalfilm von 1960/61, Regie: Helmut Käutner. Bundesrepublik Deutschland. WDR: Klaus Möllering und Gerhard Müller-Werthmann: Mit Kreuzen gegen Raketen – Die Protestanten von Bell im Hunsrück. WDR 1986.

291

FREMDE VOR ORT

6.1.4 Internetseiten Humboldt-Universität Berlin: „Ortsmonographie als Wissensformat. Am Beispiel der Gemeindeforschung im 20. Jahrhundert“ bearbeitet. www2.huberlin.de/ethno/seiten/forschung/forschungsprojekte/volkskunde/index. htm [Stand: 23.2.2008]. Spiegel Online: Jochen Bölsche: „Deutsche Provinz – Verlassenes Land, verlorenes Land.“ 14.3.2006. (http://www.Spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,druck-404888,00html [Stand: 21.3.2006]). Spiegel Online: Jochen Bölsche: „Sterbendes Land – Keine Zukunft für die Kuhzunft.“ 15.3.2006. (http://www.Spiegel.de/politik/deutschland/0,1518, druck-404888,00html [Stand: 21.3.2006]). Spiegel Online: Jochen Bölsche: „Verlassenes Land – Lockruf der Leere“ vom 20.3.2006. (http://www.Spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck404888,00html [Stand: 21.3.2006]). SWR: Report Mainz: Kriminell und nicht integrierbar? – Russlanddeutsche in der Provinz, Manuskript der Sendung vom 17.11.2003: http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/031117/02/frames.html [Stand: 19.11.2003]. http://groups.msn.com/HahnAirBase/hahnreuinion2002.msnw [Stand: 28.6.2002]. http://www.net-art.de/netbar/hab/Default.htm [Stand: 28.6.2002]. http://www.net-art.net/fellenzer/index.htm [Stand: 28.6.2002]. http://www.1-2-3-gaestebuch.de/buch.gb?benutzer=Fellenzer&sn=7 [Stand: 20.3.2003]. http://www.geocities.com/CapeCanaveral/Lab/4596/hrbios.html [Stand: 28.6.2002]. http://community-2.webtv.net/Hahn-50thAP-K9/HahnAirForceBase/index. html [Stand: 28.6.2002]. http://www.hsalums.com/schools/hahn [Stand: 28.6.2002]. http://www.planet-schule.de/wissenspool/bg0090/der_hahn_lebt [Stand: 10.3.2009].

292

6. ANHANG

6.1.5 Sonstige Quellen Ausbau der Hunsrück-Bahn dient der Militarisierung. In: Friedensinitiativen Rhein-Hunsrück und Nahe–Mosel. Friedensinformationen Nr. 29, November 1987. S. 8. Bevölkerungsentwicklung und Wahlergebnisse in Sohren: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2006. Fluglärmterror im Hunsrück. In: Friedensinitiativen Rhein – Hunsrück und Nahe – Mosel. Friedensinformationen Nr. 22, Februar/März 1987. S. 1819. Flyer zur Aufführung von „Heimat: Chronik einer Zeitenwende.“ 4.-10. November 2004. Kandelhof Kino in Freiburg. Friedensbewegung rekultiviert Militärflächen. In: Friedensinitiativen RheinHunsrück und Nahe–Mosel. Friedensinformationen Nr. 29, November 1987. S. 13. Hunsrückmuseum Simmern (Fritz Schellack); Repro/Scan: Sticker: „Eich sinn en Hunsricker“. Hunsrück Tourismus GmbH (Hrsg.): Prospekt: Wege in die Heimat: Filmreise vom Hunsrück zum Rhein. o.J. S. 12-13. Postkarte Sohren. Zeichnung Michael Jonas. ©dmc. Druck- und Maschinencenter Hunsrück. Sohren. SWR 2 Radio: „Der Samstagabend aus dem Land Rheinland Pfalz“: Tatjana Wagner: Wo die Weltpolitik Dorfgeschichte schrieb. Beobachtungen rund um den ehemaligen NATO-Flugplatz „Hahn“ im Hunsrück. Sendung vom 17.11.2001.

293

FREMDE VOR ORT

6.2 Die Interviewpartner Einheimische Frau Br

Herr Ci

Frau Fl

Herr Fl

Frau Ft

Herr Ft

Herr Gln

Frau Gn

Herr Gn

Frau Gr Herr IT

Frau Ky

294

ist 54 Jahre alt, verheiratet und hat 2 Kinder. Sie besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und wohnt in Sohren. Das Interview fand am 23.5.2002 statt. ist 50 Jahre alt, verheiratet und im pädagogischen Bereich tätig. Der Vater von 2 Kindern gehört der evangelischen Konfession an und lebt in Sohren. Das Interview fand am 29.6.2001 statt. ist 57 Jahre alt und arbeitete für eine amerikanische Familie. Die verheiratete Mutter von 4 Kindern ist katholischer Konfessionszugehörigkeit und lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 1.3.2002 statt. ist 60 Jahre alt, verheiratet und hat 4 Kinder. Der Kraftfahrer besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 1.3.2002 statt. ist 33 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und 2 Kindern in Sohren. Sie ist evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 9.11.2001 statt. ist 37 Jahre alt und evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Der Handwerker ist verheiratet, Vater von 2 Kindern und wohnt in Sohren. Das Interview fand am 9.11.2001 statt. ist 62 Jahre alt und verheiratet und hat mehrere Kinder. Der Pädagoge besitzt die katholische Konfession und lebt in Sohren. Das Interview fand im 26.6.2001 statt. ist 60 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Büchenbeuren. Sie hat 3 Kinder und ist katholischer Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 64 Jahre alt und arbeitete lange Zeit für die amerikanischen Streitkräfte „auf dem Hahn“. Er ist Katholik, verheiratet und hat 3 Kinder. Er lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 39 Jahre alt, besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Sohren. Das Interview fand am 26.7.2002 statt. ist 40 Jahre alt und verheiratet. Der kaufmännische Angestellte lebt in Sohren und besitzt keine Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 27.5.2003 statt. ist 48 Jahre alt und war mit einem amerikanischen Armeeangehörigen verheiratet. Die medizinische Angestellte lebt in Sohren und besitzt keine Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 3.11.2001 statt.

6. ANHANG

Frau Kz

Herr Lz

Frau Mr

Frau Re

Frau Rn

Herr Sh

Frau Sy

Herr Sy

Herr Te

Frau Th

Herr Th

Herr Ts

Frau Wh

ist 48 Jahre alt und war in erster Ehe mit einem US-Amerikaner verheiratet. Sie war als Sekretärin für die amerikanischen Streitkräfte tätig und arbeitet heute für den Flughafen Hahn. Frau Kz besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Sohren. Das Interview fand am 20.5.2002 statt. ist 66 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in Büchenbeuren. Der Landwirt besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 27.2.2002 statt. ist 77 Jahre alt und verwitwet. Die Rentnerin ist evangelischer Konfessionsangehörigkeit und lebt in Sohren. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 39 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und 3 Kindern in Sohren. Sie ist evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.6.2002 statt. ist 47 Jahre alt und verheiratet. Sie gehört der katholischen Konfession an und lebt in Sohren. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 81 Jahre alt. Er ist katholischer Konfessionszugehörigkeit und lebt als Rentner in Sohren. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 34 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und 2 Kindern in Sohren. Sie ist evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 38 Jahre alt, Vater von 2 Kindern und lebt mit seiner Familie in Sohren. Er ist verheiratet und besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 21 Jahre alt, ledig und übt einen kaufmännischen Beruf aus. Er ist aus der Kirche ausgetreten und lebt in Sohren. Das Interview fand am 1.3.2002 statt. ist 53 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihrem Kind in Büchenbeuren. Sie ist Verwaltungsfachangestellte und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 8.11.2001 statt. ist 55 Jahre alt, ist verheiratet und hat ein Kind. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 8.11.2001 statt. ist 35 Jahre alt und ledig. Der Handwerker lebt in Sohren und besitzt keine Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 10.7.2002 statt. ist 28 Jahre alt, lebt in Sohren und arbeitet als Pädagogin. Sie ist verheiratet und besitzt die evangelische Konfession. Das Interview fand am 1.11.2001 statt. 295

FREMDE VOR ORT

Herr Wh

Frau Wn

Frau Ze

Herr Ze

ist 35 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in Sohren. Der Pädagoge ist evangelischer Konfession. Das Interview fand am 1.11.2001 statt. ist 44 Jahre alt und Witwe eines amerikanischen Soldaten. Sie lebt in Sohren und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 29.6.2001 statt. ist 63 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Sohren. Sie arbeitete als Sekretärin für die amerikanischen Streitkräfte auf dem Flugplatz Hahn und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 1.3.2002 statt. ist 66 Jahre alt, verheiratet und lebt seit 1953 in Sohren. Er hat lange Zeit als Feinmechaniker auf dem Flugplatz Hahn gearbeitet und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 1.3.2002 statt.

Einheimische Geschäftsleute Herr Bg

Herr Gr

Frau Hn

Herr Hn

Frau Kr

Herr Mr

Herr Schr

296

ist 50 Jahre alt, verheiratet und selbständiger Unternehmer in Sohren. Er besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 19.8.2000 statt. ist 34 Jahre alt und selbständiger Unternehmer und Handwerker in Sohren. Er ist verheiratet, hat ein Kind und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.7.2002 statt. ist 58 Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann in Sohren. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder. Das Interview fand am 21.10.2001 statt. ist 60 Jahre alt und ist als selbständiger Handwerker in Sohren tätig. Er ist verheiratet und Vater von 2 Kindern. Das Ehepaar Hn vermietete lange Zeit eine Wohnung an amerikanische Armeeangehörige. Das Interview fand am 21.10.2001 statt. ist 48 Jahre alt, ledig und selbständige Kauffrau in Sohren. Sie besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 38 Jahre alt und als Mediziner in Büchenbeuren tätig. Er ist verheiratet, hat ein Kind und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 19.8.2000 statt. ist 40 Jahre alt, verheiratet und als Gastronom in Büchenbeuren tätig. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 27.2.2002 statt.

6. ANHANG

Frau Sr

Herr Sr

Frau Wr

ist 46 Jahre alt und in der Gastronomie in Sohren tätig. Sie ist verheiratet und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand im Juni 2001 statt. ist 44 Jahre alt und besitzt seit 1992 ein Geschäft in Sohren. Zuvor war er als Flugzeugmechaniker bei den amerikanischen Streitkräften auf dem Flughafen Hahn angestellt. Der verheiratete Vater von 3 Kindern ist evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.7.2002 statt. ist 60 Jahre alt und besitzt ein kleines Geschäft in Sohren. Sie ist verheiratet, hat 2 Kinder und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Die Interviews fanden am 1.11.2001 und am 27.8.2002 statt.

Experten Herr Bh

Herr Bm Herr Bt

Frau Dt

Frau Fh

Herr Fy

Herr Gmn

Herr Gr

ist 62 Jahre alt und engagiert sich ehrenamtlich für die Integration in Büchenbeuren. Der pensionierte Pädagoge ist verheiratet und Vater von mehreren Kindern. Er besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Die Interviews fanden am 28.6.2001 und am 8.11.2001 statt. ist 60 Jahre alt und bekleidet ein offizielles Amt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 11.7.2002 statt. ist 45 Jahre alt, verheiratet und als Handwerker in der sozialen Arbeit in Sohren tätig. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.10.2002 statt. ist 48 Jahre alt, ledig und übt eine kirchliche Tätigkeit in Sohren aus. Sie besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 17.8.2000 statt. ist 36 Jahre alt, verheiratet und in einer kommunalen Einrichtung in Sohren/Büchenbeuren tätig. Sie ist konfessionslos. Das Interview fand am 8.11.2001 statt. ist 59 Jahre alt und für einen kirchlichen Arbeitgeber in Sohren tätig. Der verheiratete Vater besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand im März 2004 statt. ist 64 Jahre alt. Der Agraringenieur und verheiratete Vater von 2 Kindern ist 1993 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und für die Sozialarbeit mit (Spät-)Aussiedlern in Sohren tätig. Das Interview fand im März 2004 statt. ist 43 Jahre alt und in der Politik engagiert. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Sohren. Die Interviews fanden am 26.7.2002 und am 27.7.2002 statt.

297

FREMDE VOR ORT

Frau Gt

Herr Ht

Herr Kk

Herr Kr Herr Kt

Herr Mg

Herr Ml

Herr Nk

Herr Re

Herr Rk Herr Rn Herr Sk

Frau Sn Herr Sn

298

ist 40 Jahre alt, ledig und ist im Bereich der Jugendhilfe in Sohren tätig. Sie kam aus Kirgisien nach Deutschland und besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand im März 2004 statt. ist 55 Jahre alt und arbeitet als Rektor an einer weiterführenden Schule in Simmern mit dem Einzugsgebiet Sohren. Er ist verheiratet, hat 3 Kinder und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.6.2002 statt. ist 54 Jahre alt, bekleidet ein kirchliches Amt und ist in der Arbeit mit Aussiedlern in Büchenbeuren tätig. Er ist verheiratet und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 24.7.2002 statt. ist 57 Jahre alt und ist für die Verbandsgemeinde Kirchberg tätig. Das Interview fand am 29.6.2001 statt. ist 35 Jahre alt, ledig und engagiert sich beruflich für Jugendliche in Sohren. Der Sozialpädagoge kam 1993 aus Kasachstan nach Deutschland. Das Interview fand am 22.5.2002 statt. ist 65 Jahre alt, ledig und ist für einen kirchlichen Arbeitgeber in Sohren tätig. Er besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 25.7.2002 statt. ist 70 Jahre alt und engagierte sich lange Zeit beruflich für die Gemeinde Sohren. Der verheiratete Vater besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Die Interviews fanden am 17.8.2000 und am 20.7.2002 statt. ist 57 Jahre alt und arbeitet als Pädagoge mit russlanddeutschen Jugendlichen. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 2.11.2001 statt. ist 39 Jahre alt, verheiratet und hat 2 Kinder. Er ist für die Kommune in Sohren tätig und besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 26.6.2002 statt. ist 52 Jahre alt und ist als Pädagoge in Sohren tätig. Das Interview fand am 29.6.2001 statt. ist 51 Jahre alt und ist für die Gemeinde Sohren tätig. Das Interview fand am 17.8.2000 statt. ist 70 Jahre alt und engagiert sich für die Heimatpflege in Sohren. Der pensionierte Pädagoge besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 21.5.2002 statt. ist 47 Jahre alt und beruflich in der Politik tätig. Das Interview fand am 22.5.2002 statt. ist 51 Jahre alt, verheiratet und Vater mehrerer Kinder. Er ist für den Landkreis Rhein-Hunsrück in der Sozialarbeit mit russland-

6. ANHANG

Frau Sr

Herr Sr

Herr Str

deutschen Aussiedlern tätig. Das Interview fand am 29.9.2000 statt. ist 45 Jahre alt und beruflich in der Integrationsarbeit in Büchenbeuren tätig. Die verheiratete Mutter von 2 Kindern kam 1994 aus Kasachstan nach Deutschland. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 53 Jahre alt, ledig und bekleidet ein kirchliches Amt in Sohren. Er besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 29.9.2000 statt. ist 36 Jahre alt, ledig und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Der Pädagoge ist in der Jugendarbeit tätig und lebt in Büchenbeuren. Das Interview fand am 9.11.2001 statt.

Russlanddeutsche Migranten Frau Bn

Herr Bn

Frau Bs

Frau Fs

Herr Fs

Frau Gx

Frau Hh

Herr Hr

ist 60 Jahre alt und evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Die Mutter mehrerer Kinder lebt seit 1993 in Deutschland. Herr und Frau Bn sind die Eltern von Frau Oz. Sie wohnen in Sohren. Das Interview fand am 26.6.2002 statt. ist 67 Jahre alt und evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Der verheiratete Rentner und Vater kam 1993 aus Kasachstan nach Deutschland. Das Interview fand am 26.6.2002 statt. ist 78 Jahre alt, verwitwet und lebt seit 1997 in Deutschland. Die Rentnerin besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 24.5.2002 statt. ist 25 Jahre alt, verheiratet und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Sie lebt in Sohren. Die Interviews fanden am 28.3.2002 und am 22.5.2002 statt. ist 30 Jahre alt, verheiratet und evangelischer Konfessionszugehörigkeit. Er kam aus Russland in den Hunsrück. Das Interview fand am 28.3.2002 statt. ist 60 Jahre alt, verheiratet und Mutter von 2 Kindern. Sie kam aus Kasachstan nach Deutschland und lebt in Sohren. Sie besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 73 Jahre alt, verwitwet und besitzt die evangelische Konfession. Die Rentnerin ist in Saratow an der Wolga geboren und lebte vor ihrer Ausreise nach Deutschland wieder an der Wolga. Nach Deutschland ist sie im Jahr 1994 gekommen. Das Interview fand am 25.7.2002 statt. ist 35 Jahre alt, mit einer Russin verheiratet und hat 2 Kinder. Der medizinische Angestellte lebte in einem deutschen Rayon in 299

FREMDE VOR ORT

Frau Ht

Herr Ks

Herr Ni

Frau Oz

Herr Sb

Frau Schd

Frau Schr

Herr Sj Herr Sl

Sibirien, bevor er 1995 nach Deutschland kam. Er besitzt die evangelische Konfession. Das Interview fand am 1.3.2002 statt. ist 19 Jahre alt, ledig und 1990 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Sie befindet sich in der Ausbildung, besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit und lebt in Sohren. Das Interview fand im März 2004 statt. ist 38 Jahre alt und lebt seit 1992 in Sohren. Er besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 15 Jahre alt und kam mit seiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland. Der Schüler besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 28.3.2002 statt. ist 49 Jahre alt, verheiratet und hat 3 Kinder. Ihre Tochter ist mit einem Einheimischen verheiratet. Sie lebt seit 1993 in Deutschland und ist im sozialen Bereich tätig. Das Interview fand am 27.3.2002 statt. ist 49 Jahre alt und kam aus Kasachstan nach Deutschland. Er ist verheiratet und besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 28.6.2001 statt. ist 23 Jahre alt, verheiratet und lebt mit ihrem russlanddeutschen Mann, den sie in Sohren kennen gelernt hat sowie 2 Kindern in Sohren. Sie ist 1990 aus Kirgisien nach Deutschland gekommen und katholischer Konfessionszugehörigkeit. Die Interviews fanden am 27.6.2002 und am 26.10.2002 statt. ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat 2 Kinder. Sie ist 1991 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 29.3.2002 statt. ist 53 Jahre alt und engagiert sich beruflich für jugendliche Migranten in Sohren. Das Interview fand am 22.5.2002 statt. ist 16 Jahre alt und ledig. Der Schüler besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Er kam vor 6 Jahren aus Kasachstan nach Deutschland. Das Interview fand am 28.3.2002 statt.

Es wurden zusätzlich 2 Gruppeninterviews mit 5 russlanddeutschen Frauen geführt, die am 23.2.2002 und am 25.6.2002 im Begegnungshaus in Büchenbeuren stattfanden.

300

6. ANHANG

Amerikaner Herr APs

Frau Bn Herr Bn Frau Fr

Herr Mr

Frau Ps

Herr Ps

ist 17 Jahre alt und lebt mit seinen Eltern in Sohren. Der Auszubildende besitzt die katholische Konfession. Er besuchte 3 Jahre lang die Elementary School der Airbase Hahn, wo amerikanische und deutsche Kinder gemeinsam unterrichtet wurden. Das Interview fand am 28.3.2002 statt. ist 48 Jahre alt und lebt in Sohren. Das Interview fand am 24.5.2002 statt. ist 53 Jahre alt und lebt in Sohren. Das Interview fand am 24.5.2002 statt. ist 36 Jahre alt und mit einem Einheimischen verheiratet. Sie besitzt die evangelische Konfession und war Pädagogin in der amerikanischen Schule Hahn. Sie lebt seit 1972 in Sohren und engagiert sich für die Ehemaligen der Hahn Airbase. Das Interview fand am 10.7.2002 statt. ist 53 Jahre alt und arbeitete als Pädagoge in der amerikanischen Schule Hahn. Er lebt in Sohren und besitzt die evangelische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 23.5.2002 statt. ist 47 Jahre alt und lebt mit ihrem amerikanischen Ehemann und ihrem Sohn in Sohren. Sie war lange Zeit als Sekretärin für die amerikanischen Streitkräfte auf dem Flughafen Hahn tätig. Sie besitzt die katholische Konfessionszugehörigkeit. Das Interview fand am 24.5.2002 statt. ist 60 Jahre alt und kam als Armeeangehöriger nach Deutschland. Er ist mit einer Einheimischen verheiratet, hat 2 Kinder und lebt seit 1972 im Hunsrück. Die Interviews fanden am 28.3.2002 und am 24.5.2002 statt.

Andere Ausländer Herr Ds

Herr Kb

Herr Oa

ist 65 Jahre alt und kam 1965 aus Italien nach Sohren. Der Katholik ist verheiratet und hat 2 Kinder. Das Interview fand am 2.9.2002 statt. ist 37 Jahre alt und besitzt ein kleines Geschäft in Sohren. Er kam aus der Türkei nach Deutschland und ist muslimischen Glaubens. Das Interview fand im März 2004 statt. ist 47 Jahre alt und kam 1970 aus Italien nach Sohren. Er besitzt die katholische Konfession und ist verheiratet. Das Interview fand am 25.7.2002 statt.

301

FREMDE VOR ORT

Frau Pn

302

ist 33 Jahre alt und Mutter von 3 Kindern. Die selbständige Gastronomin ist 1987 aus Griechenland nach Deutschland gekommen, lebt seit 1997 in Sohren und ist griechisch-orthodoxen Glaubens. Das Interview fand am 25.7.2002 statt.

6. ANHANG

6.3 Sohren auf Kartendarstellungen 1967 – 2000

Sohren auf Kartendarstellungen von 1967 (Karte 1), 1989 (Karte 2) und 2000 (Karte 3); Quelle: Landschaft im Wandel. TK25. Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation Rheinland-Pfalz, Koblenz 2006.

303

FREMDE VOR ORT

Auf den Karten markieren A und B die Neubaugebiete „Vogelring“ und „Auf der Schlicht“, die ab Ende der 1960er Jahren von den Einheimischen in Sohren bebaut wurden. Viele der Häuser und Wohnungen wurden auch an Amerikaner vermietet. Ende der 1980er Jahre wurde das Baugebiet „Im Grund“ (C) als neue Wohnsiedlung für die Amerikaner erschlossen. Nach Abzug der Amerikaner wurden die gerade erst fertiggestellten Häuser an Einheimische und zunehmend auch an Russlanddeutsche verkauft und von diesen bezogen. In den 1990er Jahren siedelten sich auch im Neubaugebiet „Im Berg“ (D) immer mehr Russlanddeutsche an, deren Wohnhäuser oft für viele Familienangehörige ausgelegt waren, so dass sich deren Bauweise hinsichtlich Größe, aber auch hinsichtlich der Fassade deutlich von denen der Einheimischen unterschied (siehe auch Abbildung 20).

304

Kultur und soziale Praxis Gabriele Cappai, Shingo Shimada, Jürgen Straub (Hg.) Interpretative Sozialforschung und Kulturanalyse Hermeneutik und die komparative Analyse kulturellen Handelns Mai 2010, ca. 280 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-89942-793-6

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