Interkulturalität und Ethik: Der Umgang mit Fremdheit in Medizin und Pflege 3846901625, 9783846901625, 9783846901632, 3846901628

In Krankenhäusern und Pflegeheimen treffen immer häufiger Ärztinnen, Ärzte, Pflegende und Patientinnen und Patienten aus

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Interkulturalität und Ethik: Der Umgang mit Fremdheit in Medizin und Pflege
 3846901625, 9783846901625, 9783846901632, 3846901628

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Die Ethik und das Fremde: Einleitende Beobachtungen zum (kulturell) Fremden als Thema der Medizinethik
Interkulturalität als Thema der Medizinethik
Interkulturalität als Thema der Pflegeethik
Vorsicht Kultur! Ethnologische Perspektiven auf Medizin, Migration und ethnisch-kulturelle Vielfalt
Die ethnische Verlagerung von ethischen Problemund Konfliktfällen
Interkulturalität im Gesundheitswesen: Organisationsethische Aspekte
Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen
Interkulturalität in der Ethikberatung
Strukturen und Modelle kultursensibler Ethikberatung
Sprache als Wertevermittler
Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus: Eine Führungsaufgabe
Danksagungen
Autorenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register

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Edition Ethik Herausgegeben von Reiner Anselm und Ulrich H. J. Körtner

Band 13

Michael Coors/Tatjana Grützmann/Tim Peters (Hrsg.) Interkulturalität und Ethik Der Umgang mit Fremdheit in Medizin und Pflege

Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.

Für die Umschlagabbildung wurde Grafik 61245347 von www.fotolia.com © Oleksiy Mark verwendet.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Eine eBook-Ausgabe ist erhältlich unter DOI 10.2364/3846901625. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 17 16, 37007 Göttingen – 2014 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Michael Coors Layout: mm interaktiv, Dortmund Umschlaggestaltung: klartext GmbH, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach ISBN: 978-3-8469-0162-5 (Print), 978-3-8469-0163-2 (eBook)

Inhaltsverzeichnis Die Ethik und das Fremde: Einleitende Beobachtungen zum (kulturell) Fremden als Thema der Medizinethik ......................................................... 7 Michael Coors

Teil I Ethische und ethnologische Reflexionen ................................................... 21 Interkulturalität als Thema der Medizinethik ............................................. 23 Walter Bruchhausen Interkulturalität als Thema der Pflegeethik ............................................... 37 Sylvia Agbih Vorsicht Kultur! Ethnologische Perspektiven auf Medizin, Migration und ethnisch-kulturelle Vielfalt ................................................. 52 Michael Knipper Die ethnische Verlagerung von ethischen Problem- und Konfliktfällen ......... 70 Christiane Imhof, Frank Kressing Interkulturalität im Gesundheitswesen: Organisationsethische Aspekte ...... 81 Karl-Heinz Wehkamp

Teil II Interkulturalität in der Praxis ................................................................... 89 Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen ............ 91 Magdalena Stülb Interkulturalität in der Ethikberatung ...................................................... 101 Ilhan Ilkilic Strukturen und Modelle kultursensibler Ethikberatung ............................. 112 Tatjana Grützmann

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Inhaltsverzeichnis

Sprache als Wertevermittler ................................................................... 125 Tim Peters Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus: Eine Führungsaufgabe ........................................................................... 139 Peter Saladin

Danksagungen ....................................................................................... 147 Autorenverzeichnis ................................................................................ 148 Literaturverzeichnis ............................................................................... 150 Register………………. ............................................................................... 161

Die Ethik und das Fremde: Einleitende Beobachtungen zum (kulturell) Fremden als Thema der Medizinethik Michael Coors

1.

Interkulturelle Konflikte als Paradigma

Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind das Ergebnis der Tagung „Das Fremde verstehen. Interkulturalität und ethische Konflikte in Medizin und Plege“, die vom 6.–7. Juni 2012 in Hannover am Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers stattfand. Sie wurde in Kooperation mit der Arbeitsgruppe „Interkulturalität in der medizinischen Praxis“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) durchgeführt.1 Der rege Besuch der Tagung, die intensiven Diskussionen im Vorfeld, während und nach der Tagung, machen deutlich, dass Fragen nach dem Umgang mit kultureller Diversität in Medizin und Pflege aktueller sind denn je. Die vielfältigen Migrationsprozesse und der damit verbundene gesellschaftliche Wandel hin zu einem gesellschaftlichen und moralischen Pluralismus bringen das Thema auch in Medizin und Pflege zunehmend auf die Tagesordnung.2 Ein flüchtiger Blick auf die Zahlen untermauert diese Beobachtung: Laut Zensus 2011 belief sich die Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland im Jahre 2011 auf rund 15 Millionen. Das entspricht 18,9 % der Gesamtbevölkerung.3 Dass man es in Medizin und Pflege also sowohl auf Seiten der Ärzte und Pflegenden, als auch auf Seiten der Patienten4 mit Begegnungen zwischen den Kulturen5 zu tun bekommt, wird in zunehmendem Maße wahrscheinlich. 1 2

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Der Robert-Bosch-Stiftung danken wir für die großzügige Förderung der Tagung und des Tagungsbandes. Vgl. z.B. Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Migration und Gesundheit. Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für die medizinische Versorgung, Berlin 2010; Michael Peintinger (Hrsg.), Interkulturell kompetent. Ein Handbuch für Ärztinnen und Ärzte, Wien 2011; Eva van Keuk u.a. (Hrsg.), Diversity. Transkulturelle Kompetenz in klinischen und sozialen Arbeitsfeldern, Stuttgart 2011. Die Zahlen des Zensus 2011 finden sich auf https://ergebnisse.zensus2011.de. Zu den hier genannten Zahlen vgl. https://ergebnisse.zensus2011.de/#StaticContent:00,BEV_2_4_1_8,m,table und https://ergebnisse.zensus2011.de/#StaticContent:00,BEV_2_4_2_8,m,table (Zugriff am 5.6.2013). Um der besseren Lesbarkeit willen beschränken wir uns im gesamten Buch auf die Verwendung des grammatikalisch männlichen Geschlechts. Mit gemeint sind immer auch die weiblichen Personen, also Ärztinnen, Pflegerinnen, Patientinnen usw., außer es ergibt sich aus dem Kontext etwas eindeutig anderes. Der Begriff „Kulturen“ wird hier zunächst unspezifisch verwendet. Wie der Begriff näher zu fassen ist, wird in mehreren Beiträgen des Bandes thematisiert.

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Die Ethik und das Fremde

So werden Fragen der Interkulturalität sowohl in der Pflegewissenschaft6 als auch im Kontext der Wirtschaft (diversity management) schon länger diskutiert. Was aber hat die Frage der Interkulturalität mit (medizinischer) Ethik zu tun? Darauf zu verweisen, dass moralische Überzeugungen in der Regel tief mit der kulturellen Identität einer Person verwoben sind, mag zunächst ein Allgemeinplatz sein. Dennoch macht es deutlich, warum gerade kulturelle Diversität in moralischen Konfliktsituationen vor besondere Herausforderungen stellt7 und warum interkulturelle Konflikte in der Fachdiskussion und in der Praxis klinischer Ethikberatung in zunehmendem Maße eine Rolle spielen.8 Fragt man allerdings weitergehend, in welcher Art und Weise interkulturelle Konflikte eigentlich als moralische und ethische Konflikte zu begreifen sind, so fällt diese Antwort bereits schwerer. Denn allein der Verweis darauf, dass hier – bedingt durch unterschiedliche kulturelle Prägungen – unterschiedliche moralische Überzeugungen aufeinander treffen und es darum geht, einen Ausgleich zwischen diesen unterschiedlichen moralischen Überzeugungen zu schaffen, beschreibt kein neues Phänomen. Vielmehr erscheinen interkulturell bedingte ethische Konflikte als das paradigmatische Problem, auf das moderne Ethiken im Kontext pluralistischer und 9 liberaler Gesellschaften antworten. Angesichts der Vielzahl an moralischen Vorstellungen des guten Lebens, die in einer pluralistischen Gesellschaft aufeinander treffen, geht es in der Ethik darum, Normen so zu begründen, dass sie für alle Menschen einer Gesellschaft mit ihren jeweils verschiedenen Überzeugungen bezüglich dessen, was „gutes Leben“ ist, nachvollziehbar und akzeptabel sind. Dementsprechend bemüht sich auch die Medizinethik darum, allgemeine, normative Kriterien zu begründen, die für alle an einem Konflikt beteiligte Personen Geltung beanspruchen. Begreift man Medizinethik in diesem Sinne v.a. als normative Aufgabe und fragt dementsprechend nach Prinzipien, die universal und unabhängig von unterschied10 lichen kulturellen Prägungen zur Anwendung kommen können, so handelt es sich bei interkulturellen Konflikten nicht um Konflikte neuer Art, sondern um moralische Konflikte, die sich lediglich graduell von anderen Konflikten unterscheiden, weil die Diversität der moralischen Überzeugungen in der konkreten Situation aufgrund der kulturellen Differenz in besonderem Maße deutlich wird.11 Gerade

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Vgl. z.B. Iris Steinbach, Interkulturelle Pflege, Hamburg 2011. Vgl. z.B. Ilhan Ilkilic, Medizinethische Aspekte des interkulturellen Arzt-Patienten-Verhältnisses, in: Deutscher Ethikrat (Hrsg.), Migration und Gesundheit, 29–40. Vgl. z.B. die Falldarstellung „Palliativmedizin im interkulturellen Kontext“, in: Ethik in der Medizin 22 (2010), 49–50. Vgl. John Rawls, Political Liberalism. Extended edition, New York 1995, insb. 173f. Vgl. auch ders., A Theory of Justice. Revised Edition, Harvard/Cambridge 1999; Jürgen Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a.M. 1991, 100–118. Das klassische und einflussreichste Beispiel dafür: Tom L. Beauchamp/James F. Childress, Prin6 ciples of Biomedical Ethics, Oxford 2009. So z.B. Ilkilic, Medizinethische Aspekte.

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darum aber taugen sie als paradigmatische Fälle, in denen sich die normativen Prinzipien der Medizinethik bewähren können.

2.

Universaler Anspruch und Diversität der Kulturen

Die Erfahrungen der Praxis aber scheinen dem zunächst deutlich zu widersprechen: Menschen „fremder Kulturen“ scheinen die grundlegenden ethischen Prinzipien, die in unserem Kontext gelten, in Frage zu stellen. Damit steht auch die Frage im Raum, ob die normativen Prinzipien, die in unserem kulturellen Kontext allgemeine Geltung durchaus beanspruchen können, nicht letztlich Ergebnis eines kulturellen Homogenisierungsprozesses der westlichen, liberalen Zivilgesellschaften sind, in denen den Freiheitsrechten des Einzelnen nun einmal ein hoher Stellenwert zukommt.12 Damit ist eine fundamentale Frage der Ethik aufgeworfen, nämlich die Frage danach, wie sich der universale Anspruch ethischer Normen zu ihrer faktisch immer nur regionalen Geltung verhält. Insofern bedeutet die Begegnung mit dem kulturell Fremden immer wieder einen Stachel, der den sonst häufig schon selbstverständlich vorausgesetzten Geltungsanspruch der in unserem Kontext geltenden Prinzipien in Frage stellt und zu neuem ethischen Nachdenken anregt. In der klinischen und pflegerischen Praxis allerdings ist genau dies keine der wählbaren Optionen: Hier ist nicht Zeit für ein grundsätzliches Nachdenken und Debattieren über den Geltungsanspruch von ethischen Prinzipien wie Menschenwürde, Selbstbestimmung und Fürsorge, sondern es muss gehandelt werden. Dabei wird gerade in interkulturellen Begegnungen, die mitunter die grundlegenden Handlungsprinzipien fraglich werden lassen, deutlich, dass dieses Handeln ethisch immer auch ein Wagnis ist – ein Wagnis im Vertrauen darauf, dass die etablierten und verinnerlichten ethischen Prinzipien zu Recht ihre Geltung für alle beanspruchen. Der Anspruch auf universale Geltung der etablierten Prinzipien in der Medizinethik beruht eben auch darauf, dass sie von konkreten Gegebenheiten abstrahie13 ren und darum in vielerlei Hinsicht bloß formal und inhaltsleer sind. Darum macht die Anwendung dieser Prinzipien auf konkrete Situationen eine situationsbezogene Interpretation – Beauchamp und Childress sprechen von einer Spezifikation der Prinzipien14 – erforderlich, in deren Zuge dann auch der universale Anspruch auf Geltung durch die konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingegrenzt

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Vgl. Claudia Wiesemann, Autonomie als Bezugspunkt einer universalen Medizinethik, in: Ethik in der Medizin 24 (2012), 287–295, 289. Diese Problematik ist in grundsätzlicher Perspektive vielfach von Jürgen Habermas erörtert worden. Vgl. z.B. Jürgen Habermas, Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M. 1983, 104, 113; ders., Erläuterungen, 135f. Vgl. Beauchamp/Childress, Principles, 16–19.

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wird.15 Bezogen auf ihren universalen Anspruch bleiben die normativen Prinzipien also notwendig abstrakt. In der konkreten Anwendung unterliegen sie immer den Bedingungen des soziokulturellen Kontextes, in dem sie angewendet werden. Darum stellen sich gerade in der Praxis von Medizin und Pflege und in der Begegnung zwischen den Kulturen handfeste ethische Fragen – auch wenn man den Anspruch auf universale Geltung medizinethischer Prinzipien unberührt lässt.

3.

Moralische Fremdheit respektieren und verstehen

Will man der ethischen Relevanz der kulturellen Differenzen im konkreten Konfliktfall auf die Spur kommen, so wird man im Blick auf die konkreten Anwendungsfälle anders ansetzen müssen, als auf der Ebene abstrakter Prinzipien. In dieser Hinsicht hat bereits Daniel Callahan der medizinethischen Diskussion über das Selbstbestimmungsprinzip ein Defizit attestiert, dessen Bearbeitung in mancherlei Hinsicht noch aussteht: „All too often, moral discussion of competent patients begins and ends with a declaration that they have a right to do with their lives as they please and to terminate their treatment when they choose to do so. That is legally true and long a part of our moral tradition. But why should that be thought, as it often is the case, to be the end of moral analysis? What should the individual with that right think about?“16

Der Hinweis darauf, dass der betroffene Patient in einer konkreten Situation das Recht hat, selber zu entscheiden, was für ihn gut oder schlecht ist, und ob er darum z.B. eine medizinisch indizierte Therapie fortgesetzt wissen will oder nicht, sollte nicht das Ende der Diskussion markieren. Denn für den Betroffenen beginnt hier nicht weniger als das eigentliche ethische Problem: Er muss nämlich jetzt diese Situation ethisch beurteilen und zu einer aus seiner Sicht ethisch verantwortbaren Entscheidung gelangen – einer Entscheidung, von der in vielen Fällen sein eigenes Leben abhängt, die aber in den meisten Fällen auch das Weiterleben anderer betrifft, die von seiner Entscheidung mit betroffen sind: Angehörige, Freunde, Ärzte, Pflegende usw. Der Verweis darauf, dass der Patient das Recht hat, hier selbst zu entscheiden, ist wichtig im Blick darauf, wie sich die anderen Personen – seien es Angehörige oder professionell im Gesundheitswesen tätige Personen – gegenüber dem Patienten verhalten: Für sie ist der Respekt vor der Selbstbestimmung des Anderen eine kritische moralische Forderung an das eigene Verhalten, die verlangt, die moralische Fremdheit des Anderen zu respektieren. Dieser Respekt vor der Fremdheit des Anderen aber hat auch Schwierigkeiten: Denn es scheint so zu sein, dass uns das Akzeptieren der ethischen Entscheidung eines betroffenen Patienten leichter fällt, wenn wir diese Entscheidung zumindest 15 16

Vgl. in ähnlichem Sinne Wiesemann, Autonomie, 293f. Ähnlich argumentiert auch Walter Bruchhausen in seinem Beitrag in diesem Band. Vgl. unten S. 23ff. Daniel Callahan, Setting Limits. Medical Goals in an Aging Society, Washington D.C. 2007, 176.

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verstehen können – auch wenn wir selber anders entschieden hätten. Eine solche Entscheidung erscheint dann immerhin noch als rational, wenn auch nicht allgemein teilbar. Mit solchen Situationen umzugehen haben wir in unserer pluralistischen Gesellschaft (im besten Fall) gelernt: Wir unterscheiden zwischen einer Pluralität des Vorstellungen des Guten und der Eindeutigkeit des für alle Richtigen. Darum können wir akzeptieren, wenn andere etwas anderes für ihre Situation für gut befinden als wir selber. Das aber wird schwierig, wo das Gute, für das sich jemand entscheidet, für die Anderen nicht einmal mehr nachvollziehbar ist. Hier zeigt sich, dass Überzeugungen des Guten durchaus auch eine sozialperformative Wirkung haben: Was ich für gut halte, z.B. im Blick darauf, wie ich sterben will, ist immer auch Ergebnis von komplexen Prozessen der Prägung durch einen sozialen Kontext, in dem es sozial geteilte Vorstellungen des Guten gibt. Es ist, um es auf das Thema dieses Bandes hin zuzuspitzen, auch Ergebnis eines Prozesses von kulturellen Selbst- und Fremdzuschreibungen, aus denen sich auch meine moralische Identität bildet. So will im deutschen Kontext die Mehrzahl der 17 Menschen zu Hause sterben und viele haben Angst vor Schmerzen im Sterben. Darin drücken sich weit verbreitete Wertungen aus, die von vielen geteilt werden – aber es sind Wertungen, von der man abweichen kann. Wenn nun Menschen mit anderen kulturellen Prägungen hier anders entscheiden und urteilen als wir es gewohnt sind, wird unsere Fähigkeit zur liberalen Akzeptanz der Fremdheit der moralischen Identität des Anderen zumindest deutlich auf die Probe gestellt: Können wir wirklich damit umgehen, wenn jemand Sedierung ablehnt, weil er, z.B. vor dem Hintergrund eines kulturell anders geprägten Verständnisses von Sterben und Tod, dem bewussten Erleben des Todes einen höheren Stellenwert beimisst als wir es gewohnt sind? Wie gehen wir mit den Schmerzensschreien in solchen Situationen um, die nicht nur die Mitarbeitenden einer Pflegestation, sondern auch die anderen Patienten zutiefst verstören können? Die Fremdheit, die hier zwischen Patienten und Arzt oder Pflegenden steht, kann so im Blick auf den Prozess einer gemeinsamen Urteilsbildung über die Situation, ihre ethische Bewertung und den Umgang mit ihr (shared decision18 making) , zu einem oft unüberwindbaren Hindernis werden. Die Frage „Herr Doktor, was würden Sie denn machen?“ wird einem Patienten aus demselben kulturellen Kontext leichter über die Lippen kommen – auch weil hier viele geteilte Wer17

18

So zeigt z.B. die repräsentative Erhebung „Sterben in Deutschland“ des DHPV, dass 66 % der Befragten zu Hause sterben wollen, und die Angst vor Schmerzen für 36 % die größte Sorge im Blick auf ihr eigenes Sterben ist (http://www.dhpv.de/tl_files/public/Ueber%20Uns/Forschungs projekte/2012-08_Bevoelkerungsumfrage_DHPV_Grafiken.pdf, Zugriff am 5.6.2013). Vgl. Ezekiel J. Emanuel/Linda L. Emanuel, Four models of the physician-patient relationship, in: JAMA. The Journal of the American Medical Association 267/16 (1992), 2221–2226; Fülöp Scheibler/Holger Pfaff (Hrsg.), Shared Decision-Making. Der Patient als Partner in medizinischen Entscheidungsprozessen, München 2003; Fülöp Scheibler/Ulrich Schwantes/Margareta Kampmann/Holger Pfaff, Shared decision-making, in: Wissenschaftsforum in Gesundheit und Gesellschaft 5/1 (2005), 23-31.

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Die Ethik und das Fremde

tüberzeugungen unreflektiert im Hintergrund stehen, die z.B. auch die Rolle des Arztes betreffen – und sie wird in manchen Fällen die Tür zu einem offenen Gespräch über Vor- und Nachteile bestimmter Therapieoptionen eröffnen, an dessen Ende dann immer noch der Patient entscheidet, was er für gut hält. Er entscheidet selbstbestimmt, aber informiert und im besten Falle reflektiert auf der Grundlage eines dialogischen Prozesses der Urteilsbildung.19 Wenn aber gemeinsame Wertgrundlagen grundsätzlich in Frage stehen (völlig unabhängig davon, ob es sie nicht vielleicht doch gibt), wird das beratende Gespräch zwischen Arzt und Patient darüber, welche Entscheidung denn welche Vorzüge hätte, schwierig bis unmöglich. Das aber bedeutet, dass Interkulturalität insbesondere dort zu ethischen Problemen führt, wo sich Ärzte oder Pflegende nicht mit der Auskunft begnügen, dass der Patient selbstbestimmt entscheidet, sondern wo sie ihn in seiner Entscheidungsfindung unterstützen und verstehen wollen. Insofern betreffen interkulturelle Konflikte weniger das Prinzip des Rechts auf Selbstbestimmung, sondern vielmehr die Ermöglichung der Selbstbestimmung durch das Gegenüber eines moralischen Subjekts (Arzt, Pfegekraft etc.), mit dem der Patient sich über seine Werte und ethische Beurteilung austauschen kann.

4.

Das Fremde als (produktive) Störung

Diese Überlegungen legen nahe, das Ziel einer gelungenen Kommunikation im ethischen Konfliktfalle darin zu sehen, dass das Fremde als Fremdes eliminiert wird. Ziel ist dann, das Fremde zumindest soweit in Vertrautes zu übersetzen, dass es verstanden wird (das heißt noch nicht, dass man es teilt). Das Ziel wäre dann also, von der Interkulturalität aus überzugehen zum Standpunkt einer Transkulturalität – also einem Standpunkt, auf dem die kulturellen Bindungen zumindest soweit zurückgelassen werden, dass wir uns auf gemeinsamer Basis miteinander über unsere unterschiedlichen Wertvorstellungen verständigen können.20 Gegen diese Tendenz der Überwindung kultureller Differenz formuliert der Philosoph Bernhard Waldenfels in seiner Phänomenologie des Fremden allerdings eine scharfe Kritik: „Es gibt keinen Ort jenseits der Kulturen, der uns einen unbefangenen und unbeschränkten Überblick gestatten würde.“21 Im Hintergrund stehen Waldenfels’ Beobachtungen zum Phänomen des Fremden, das nur dann angemes19

20

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Vgl. zum kommunikativen Charakter ethischer Urteilsbildung aus theologischer Perspektive Michael Coors, „Was würdest Du wollen?“ Patientenverfügung und vermuteter Patientenwille – zum praktisch-hermeneutischen Problem von Patientenverfügungen, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 56 (2012), 103–115. Es soll nicht verschwiegen werden, dass z.B. die Beiträge von Sylvia Agbih und Peter Saladin in diesem Band in diesem Sinne für den Begriff des Transkulturellen argumentieren, auch wenn dies hier kritisch betrachtet wird. Darin gibt der Band die Bandbreite der gegenwärtigen Diskussionslage wieder. Bernhard Waldenfels, Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Frankfurt a.M. 42012, 109.

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sen erfasst werden kann, wenn es „als Beunruhigung, als Störung, als Getroffensein von etwas“22 verstanden wird und in diesem Sinne als etwas radikal Fremdes: „Radikalität des Fremden besagt nicht, daß Fremdes ganz anders ist als das Eigene und Vertraute, es besagt aber sehr wohl, daß es weder aus Eigenem hergeleitet noch ins Allgemeine aufgehoben werden kann.“23 Die Tendenz, das Fremde ins Allgemeine aufzuheben, ist in der Tat eine Gefahr ethischer Reflexionen auf interkulturelle Begegnungen: Der Wunsch nach normativer Klarheit und nach Verständigung über unterschiedliche evaluative, in der kulturellen Identität verankerten Auffassungen über das Gute verführt dazu, als Lösung eine gemeinsame transkulturelle Grundlage anzustreben, auf deren Grundlage zumindest eine Verständigung möglich wird. Geht man demgegenüber mit Waldenfels von der Radikalität des Fremden aus, so gibt es diese vermeintlich neutrale transkulturelle Grundlage nicht, sondern wir bewegen uns in der Interkulturalität, in „einer Zwischensphäre, deren intermedialer Charakter weder auf Eigenes zurückgeführt noch in Ganzes integriert, noch 24 universalen Gesetzen unterworfen werden kann.“ So wenig es eine universale Sprache gibt, mit der wir uns verständigen können, sondern immer nur partikulare Sprachen, die in andere übersetzt werden können, so wenig gibt es eine gemeinsame transkulturelle Sphäre, von der aus sich die unterschiedlichen kulturellen Identitäten erschließen lassen. Die Kommunikation über ethische Werthaltungen bewegt sich also in interkulturellen Begegnungen immer in einem Bereich zwischen (inter) den Kulturen, nie jenseits (trans) derselben. Im Blick auf normative ethische Standards kommt man damit dennoch nicht um die Frage herum, was für alle gelten soll. Es darf aber nicht die Illusion entstehen, dass diese pragmatische Frage nach den für alle akzeptierbaren Normen einer Handlung eine objektive Beantwortung erfährt, die kulturunabhängig wäre. Damit muss eine diskurspragmatische Begründung solcher Normen, die auf die impliziten performativen Voraussetzungen der Diskursteilnahme ab25 hebt, nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Aber gerade vor dem Hintergrund der pragmatischen Notwendigkeit der Frage nach allgemein zu rechtfertigenden Handlungsnormen, muss man auch fragen, „wie Fremdes als Fremdes auftreten kann und wie es sich der Zudringlichkeit diverser Aneignungsversuche zu erwehren vermag.“26 Wie viel Verständigung über die Grenzen kultureller Differenzen hinweg ist notwendig, wie viel möglich oder gar wünschenswert, um in einem konkreten ethischen Konfliktfall zu einer verantwortbaren Lösung zu kommen?

22 23 24 25 26

Waldenfels, Grundmotive, 54. Waldenfels, Grundmotive, 57, vgl. auch a.a.O., 116. Waldenfels, Grundmotive, 110. So der Anspruch der Diskursethik, die gerade nicht beansprucht von einem metaphysisch-objektiven Standpunkt aus zu argumentieren. Vgl. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, 194f. Bernhard Waldenfels, Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden 1, Frankfurt a.M. 1997, 50. Vgl. auch a.a.O., 95, 108.

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Die Ethik und das Fremde

Die Beiträge dieses Bandes geben darauf durchaus unterschiedliche Antworten, auch weil sie aus unterschiedlichen Perspektiven auf solche Situationen blicken. Die Ausführungen von Waldenfels machen aber deutlich, dass eine Aufhebung kultureller Differenz nicht das Ziel der Kommunikation sein kann und sollte – auch nicht im ethischen Konfliktfall. Die Begegnung mit dem radikal Fremden ist für Waldenfels’ Phänomenologie deshalb von so großer Bedeutung, weil er davon ausgeht, dass sie konstitutiv ist für die Ausbildung von Identität: „Die Eigenheit, ohne die niemand er oder sie selbst 27 wäre, verdankt sich dem Eingehen auf Fremdes, das sich uns entzieht.“ Das gilt für personale Identität von Personen ebenso wie für die kulturelle Identität von Gruppen und es macht deutlich, dass sich beides nicht trennen lässt, sondern sich immer überschneidet: Personale Identität ist immer mitbestimmt von kulturellen Fremd- und Selbstzuschreibungen und die vorgenommenen Selbstzuschreibungen haben stets auch mit der Abgrenzung vom Fremden zu tun. Daraus folgt zweierlei: Zum einen bedeutet es auf einer systemischen Ebene, dass jede „Ordnung […] ihren blinden Fleck in Gestalt eines Ungeordneten [hat], das kein bloßes Defizit darstellt. Das gilt für moralische wie für kognitive und ästhe28 tische Ordnungen.“ Jede moralische Ordnung hat also Lücken, die sich aus der Perspektive innerhalb dieser Ordnung nicht erschließen, und die auf ein Fremdes verweisen, dem sie sich verdanken. Solche Lücken können dann nur indirekt in der Begegnung und im Eingehen auf den Anspruch des Fremden überhaupt thematisch werden. Die Begegnung mit dem Fremden, z.B. in einem ethischen Konflikt mit interkulturellem Hintergrund, lässt also blinde Flecken unserer moralischen Ordnung sichtbar werden. Das erklärt, warum interkulturelle ethische Konflikte offensichtlich als besonders verunsichernd erlebt werden. Es bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass in der Begegnung mit dem Fremden, in der Störung, die das Fremde in unserer moralischen Orientierung verursacht, auch eine Chance liegt, 29 eigene ethische Urteile neu zu überdenken und neu zu verstehen. Darüber hinaus folgt daraus, dass unserer personalen Identität immer schon Fremdheit mit eingeschrieben ist: Wer ich bin, bin ich auch aus der Konfrontation mit einem Fremden und darum ist Eigenes immer schon mit Fremdem verflochten: „Ist Eigenes mit Fremdem verflochten, so besagt dies zugleich, daß das Fremde in uns selbst beginnt und nicht außer uns, oder anders gesagt: es besagt, daß wir niemals völlig bei uns sind.“30 Das zeichnet Waldenfels exemplarisch anhand verschiedener Aspekte nach, wie z.B. an der Fremdheit unseres Eigennamens, durch den wir uns als Individuen identifizieren und identifiziert werden, der aber eine Fremd27 28 29

30

Waldenfels, Grundmotive, 45. A.a.O., 23. Vgl. Waldenfels, Topographie, 44: „Bedrohlich ist sie [die Erfahrung des Fremden, M.C.], da das Fremde dem Eigenen Konkurrenz macht, es zu überwältigen droht; verlockend ist sie, da das Fremde Möglichkeiten wachruft, die durch die Ordnungen des eigenen Lebens mehr oder weniger ausgeschlossen sind.“ Waldenfels, Grundmotive, 118.

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zuschreibung ist, die in der Regel unsere Eltern vorgenommen haben.31 Aber auch unsere Leiblichkeit steht in einem komplexen Verhältnis von Eigen- und Fremdleib,32 die Waldenfels anhand unterschiedlicher Phänomenen verdeutlicht: sei es, indem er darauf verweist, dass unser eigener Leib als etwas wahrgenommen wird, das uns bestimmt, und der darin zu etwas Fremdem wird, z.B. als müder33 oder als kranker Leib34, oder sei es, indem er die Rolle der geschlechtlichen Differenz leiblicher Identität in ihrer konstitutiven Funktion für die Identität des Eigenleibes thematisiert.35 Das alles kann und soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Entscheidend ist aber, dass für Waldenfels in dieser Einsicht zugleich eine Chance zu einer Verständigung im Zeichen der Fremdheit liegt, weil die „Fremdheit inmitten meiner selbst […] Wege zur Fremdheit des Anderen“36 eröffnet. Die Einsicht, dass das Fremde nicht einfach nur dem Anderen zuzuschreiben ist, sondern uns auch als Fremdes in uns selbst begegnet, macht deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Eigen und Fremd nicht identisch ist mit der Unterscheidung zwischen Selbst und Anderem, sondern diese überkreuzt:37 Eigenes und Fremdes begegnen sich in uns selbst und im Anderen. Damit aber wird eine eindeutige Gegenüberstellung zwischen dem Anderen als Fremden (z.B. „dem ausländischen Patienten“) und dem, was aus dem eigenen Kontext vertraut ist, in produktiver Weise problematisch. Denn die Einsicht, dass Fremdes eben nicht nur beim Anderen, sondern auch bei uns selbst zu suchen ist, fordert zu einem Perspektivenwechsel heraus: Nicht nur ist der Andere mir fremd, sondern auch ich bin dem Anderen fremd.38 Dieser Perspektivenwechsel aber erlaubt es dann auch, das Befremdliche und das Fremde in einem Selbst und in den eigenen kulturellen Prägungen zu entdecken.39 Damit aber motiviert die Akzeptanz des Fremden in uns Selbst und im Anderen dazu, überzugehen zu dem, was Hannah Arendt in Anlehnung an Kants Theorie des ästhetischen Urteilens als erweiterte Denkungsart bezeichnet hat: In Ermanglung der Möglichkeit eines objektiven Standpunktes bleibt nur die Annäherung an die31 32 33 34 35 36 37 38

39

Vgl. Waldenfels, Grundmotive, 88 und ders., Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, Frankfurt a.M. 2000, 308. Vgl. Waldenfels, Das leibliche Selbst, 265–364. Vgl. Waldenfels, Grundmotive, 77. Eindrücklich ist die literarische Inszenierung der Fremdheit des eigenen Leibes bei Jonathan Franzen, Die Korrekturen, übers. v. Bettina Abarbanell, Reinbeck bei Hamburg, 142011, 97f. Vgl. Waldenfels, Das leibliche Selbst, 329–364. Waldenfels, Grundmotive, 84. Vgl. Waldenfels, Grundmotive, 20. Vgl. Waldenfels, Topographie, 44: „In jedem Fall bringt die Erfahrung des Fremden die Grenzen zwischen Eigenem und Fremden in Bewegung, und dies um so mehr, je näher uns das Fremde rückt.“ Vgl. auch ders., Grundmotive, 118. Das machen ethnologische Studien, die das Vertraute als etwas Fremdes betrachten, mitunter eindrücklich deutlich. Vgl. z.B. Verena Dreißig, Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus. Eine Studie zur Interaktion zwischen Klinikpersonal und Patienten mit Migrationshintergrund, Bielefeld 2005. Zur Würdigung der Ethnologie als Wissenschaft vom Fremden im hier genannten Sinne vgl. Waldenfels, Topographie, 97–107.

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Die Ethik und das Fremde

sen Standpunkt durch die bewusste Einnahme des Standpunktes anderer.40 Das verlangt im ethischen Konfliktfall den Versuch, aus dem eigenen, vertrauten Blickwinkel herauszutreten und die eigenen moralischen Bewertungen vom Standpunkt des Anderen aus zu betrachten, um das Fremde im Eigenen zu entdecken. Waldenfels sucht die Antwort auf die Frage, wie wir auf das Fremde als Fremdes eingehen können, ohne es zu vereinnahmen, im Anspruch, den das Fremde an uns stellt.41 Es ist ein Anspruch, der uns immer nur in unseren Antwortversuchen auf eben diesen Anspruch begegnet. Auch unsere Moral ist Antwort auf einen vormoralischen Anspruch des Fremden.42 So zeigt sich dieser Anspruch des Fremden indirekt in unseren ethischen Urteilen und ist Anstoß zur Ausbildung von Moral wie auch zur – immer wieder neuen – ethischen Reflexion. Die Beiträge dieses Bandes sind in diesem Sinne als Antwortversuche auf den Anspruch der Begegnung mit dem kulturell Fremden zu verstehen. Sie lassen sich auf die Herausforderung eines Grenzgangs zwischen den Kulturen ein und setzen so das Eigene dem fremden Anspruch aus. Sie geben unterschiedliche, teils kontroverse, Antworten, die von der Komplexität der Ansprüche zeugen, die sich in der alltäglichen Praxis von Medizin und Pflege stellen.

5.

Zu den Beiträgen des Bandes

Der erste Teil des Bandes nimmt die theoretische Diskussion im Spannungsfeld von Ethik und Ethnologie in den Blick, während die Beiträge des zweiten Teils den Bogen von der Theorie in die Praxis oder doch zumindest in die Theorie der Praxis schlagen. Die theoretische Diskussion eröffnet Walter Bruchhausen indem er zunächst den Mangel an medizinethischen Reflexionen auf das Thema Interkulturalität kritisch diskutiert. Angesichts dessen schlägt er eine Systematik interkultureller Konflikte vor, die von pragmatischen Problemen der Verständigung, über Wertedifferenzen bis hin zur Missachtung anerkannter normativer Standards (insbesondere dem Verbot der Diskriminierung) und zu harten ethischen Wertekonflikten, die sich nicht ohne weiteres auflösen lassen, reicht. Derartige harte Wertekonflikte sieht Bruchhausen v.a. bezüglich unterschiedlichen kulturell bedingten Verhältnisbestimmungen von Individuum und Gemeinschaft sowie im Blick auf die Bewertung des biologischen Lebens im Verhältnis zum sozialen Leben eines Menschen. Bruchhausen schlägt vor, im konkreten Konfliktfall die verschiedenen Ebenen eines Konfliktes zu analysieren und nicht vorschnell von einem harten Wertkonflikt auszugehen. 40

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Vgl. Hannah Arendt, Das Urteilen. Texte zu Kants Politischer Philosophie, München 1998, 60f; dies., Vom Leben des Geistes. Das Denken, Das Wollen, München 42008, 99. Vgl. dazu Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Werkausgabe in 12 Bänden Bd. X, Frankfurt a.M. 131994, 159. Vgl. Waldenfels, Topographie, 50–53; ders., Grundmotive, 56–67. Vgl. Waldenfels, Grundmotive, 46f, 59f.

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Anders als in der Medizinethik gibt es in der Pflege bereits einen etablierten Diskurs über Interkulturalität, auf den sich der pflegeethische Beitrag von Sylvia Agbih stützen kann. Ausgehend davon, dass sie Kultur als das Sichtbarwerden des Geprägtseins versteht, geht sie den ethischen Implikationen von unterschiedlichen Modellen kultursensibler Pflege nach. Ihre ethischen Reflexionen gehen dabei von den um das Prinzip der Würde gruppierten Prinzipien der Autonomie, der Fürsorge, der Verantwortung, der Gerechtigkeit und des Dialogs aus. Diese Prinzipien haben für Agbih einen transkulturellen Charakter, sind aber als ethische Reflexionsbegriffe immer im Blick auf ihre Bedeutung für eine konkrete Situation neu zu erschließen. Der Beitrag von Michael Knipper behandelt das Thema aus der Perspektive der Ethnologie, also der „Wissenschaft vom kulturell Fremden“. Ausgehend von den Arbeiten insbesondere der „Medical Anthropology“ dekonstruiert Knipper zunächst einen essentialistischen Kulturbegriff, der Kultur als einen objektiv beschreibbaren Gegenstandsbereich fasst und bestimmten vermeintlich klar umrissenen Gruppen eine bestimmte Kultur zuschreibt. Gerade weil der Begriff „Kultur“ aber häufig in dieser Art verwendet und verstanden wird, empfiehlt der Ethnologe eine strikte Zurückhaltung in der Verwendung des Begriffs „Kultur“. Wenn denn aber von Kultur geredet werden muss, dann im Horizont einer ethnographischen Fragestellung, die auf die Genese, die Situationsbezogenheit und die soziale Einbettung kultureller Differenzen reflektiert. Ausgehend von einem Fallbeispiel aus der medizinsichen Praxis wird diese Frage nach der Kultur vertieft, insbesondere im Blick auf die individuellen, kollektiven und ethnischen Dimensionen. Das Ergebnis ist ein Verständnis von Kultur, das diese in der Metapher des Sediments begreift, in der sich sowohl der stetige Wandlungsprozess kultureller Einflüsse also auch die Beharrlichkeit kultureller Prägungen fassen lässt. Christiane Imhof und Frank Kressing zeigen in ihrem Artikel an konkreten Fallbeispielen die Problematik einer vorschnellen „Kulturalisierung“ ethischer Konflikte und bringen damit die theoretischen Reflexionen auf den Kulturbegriff von Michael Knipper in die Praxis. Sie machen deutlich, dass die Diskussion über Ethik und Interkulturalität auch die Gefahr birgt, dass ethische Konflikte in problematischer Weise ethnisch aufgeladen werden. Ein ethischer Konflikt wird dann zum Austragungsort von ethnischen und kulturellen Stereotypen, die häufig diskriminierend sind. Eine Patientin kann so ohne Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds schlicht als eine „schwierige Patientin“ erscheinen, während der Konflikt unter Einbeziehung der religiösen und kulturellen Hintergründe schnell zum kulturellen Konflikt stilisiert werden kann. Dabei zeigt der Blick in die Biographie der Patientin, dass es in beiden Fällen um problematische Stereotypisierungen geht, die das konkrete Problem verfehlen. Von daher kritisieren Imhof und Kressing die vielfach vorherrschenden pauschalen Zuschreibungen kultureller Identitäten, die häufig an den individuellen Biographien der Betroffenen vorbeigehen.

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Die Ethik und das Fremde

Abgeschlossen wird der theoretische Teil des Bandes durch organisationsethische Überlegungen von Karl-Heinz Wehkamp. Er gibt zu bedenken, dass nationale Gesundheitssysteme immer von unterschiedlichen kulturellen Traditionen geprägt sind, während das ärztliche wie auch das pflegerische Ethos ihrem Anspruch nach keine ethnischen Unterschiede kennen, sondern immer den des hilfebedürftigen Menschen unabhängig von seiner Kultur in den Mittelpunkt rücken. So wird deutlich, dass der Arzt oder die Pflegekraft in einem organisationsethischen Spannungsfeld handelt, geprägt von den ethischen Wertungen eines national geprägten Gesundheitssystems auf der einen Seite und den ethischen Bewertungen des ärztlichen bzw. pflegerischen Ethos auf der anderen Seite. Als zentrale organisationsethische Aufgabe formuliert Wehkamp daher, dass der Umgang mit kultureller Differenz in den Wertehorizont sowohl des Gesundheitssystems als auch der Medizin mit aufgenommen werden müsste. Die auf die Praxis bezogenen Ausführungen des zweiten Teils werden durch den Beitrag von Magdalena Stülb eröffnet, die ihre Erfahrungen als Trainerin und Referentin des Instituts für Migration, Kultur und Gesundheit (AMIKO) mit Ergebnissen einer empirisch-qualitativen Studie verbindet. Sie zeigt, dass aller Theoriebildung zum Trotz Zuschreibungen von Fremdheit in der Praxis von Pflegenden häufig den alltagssprachlichen Mustern der Komplexitätsreduktion folgen. Komplexität wird reduziert, indem der fremde Patient exemplarisch als „der Türke“ oder „der Russe“ behandelt wird – um den Preis der Ausblendung der jeweils individuellen Biographie und Wertvorstellungen. Andererseits zeigt Stülb, dass diese Generalisierungen und Komplexitätsreduktionen v.a. in der Kommunikation der professionell Pflegenden untereinander ihren Ort haben und nicht unmittelbar das Verhältnis zu den Einzelpersonen negativ beeinflussen. Dennoch sieht sie die Gefahr, dass sich Stereotypen verfestigen (gerade in Ausbildungssituationen), die dann auch das Handeln beeinflussen können. Darum ist es notwendig, solche pauschalisierenden Zuschreibungen kritisch in Fort- und Weiterbildungen zu reflektieren. Zunehmend wichtig wird in klinischen Kontexten die Praxis der Ethikberatung. Ilhan Ilkilic stellt in seinem Beitrag anhand konkreter Fallbeispiele unterschiedliche Ebenen interkultureller Konflikte dar, wie sie in der Ethikberatung zum Thema werden können. Als wesentlichen Kern interkultureller ethischer Konflikte macht Ilkilic die Möglichkeit unterschiedlicher Ausdeutungen des Konzepts der Patientenautonomie aus. Gegen die universalistische Deutung von Ruth Macklin verweist er auf die Arbeiten von Ruiping Fang, der das Autonomieprinzip in den Horizont eines ostasiatischen Prinzips der Familienbestimmung stellt. Ilkilic schlägt in seinem integrativ-reflektierenden partikularistischen Ansatz von Ethikberatung vor, nicht eine bestimmte Form des Autonomieprinzips prinzipiell anzuwenden, sondern zunächst in einem Prozess zu entscheiden, welche Ausformung des Autonomieprinzips in einem konkreten Fall für einen Patienten zutreffend ist. Das Spektrum möglicher Modelle einer kultursensiblen Ethikberatung wird durch den Beitrag von Tatjana Grützmann erweitert, die insbesondere US-

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amerikanische Modelle kultursensibler Ethikberatung im Blick auf ihre Anwendbarkeit in unterschiedlichen Settings diskutiert. Die drei von ihr diskutierten Modelle bauen dabei alle auf dem „cultural humility“-Ansatz auf, der in unterschiedlicher Weise modifiziert und weiterentwickelt wird. Alle Ansätze gehen dabei von einem konstruktivistischen Kulturverständnis aus, konzentrieren sich also nicht auf den Wissenserwerb über Kulturen, sondern auf den Erwerb von Schlüsselkompetenzen für den interkulturellen Diskurs. Grützmann diskutiert Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Modelle insbesondere im Blick auf die praktischen Kontexte, in denen sie zur Anwendung kommen können. Interkulturelle Konfliktsituationen sind häufig auch Probleme der sprachlichen Verständigung. Dass aber der Versuch, zwischen dem Verständigungsproblem auf der einen Seite und dem ethischen Konflikt auf der anderen Seite sauber zu unterscheiden, zu einfach ist, macht der Beitrag von Tim Peters deutlich. Aus der Perspektive von Kommunikationswissenschaft und Linguistik diskutiert er das Verhältnis von Sprache und Ethik und macht dabei deutlich, dass Sprache bzw. Kommunikation und ethische Wertüberzeugungen nicht als sauber zu trennende Bereiche zu behandeln sind, so dass für die Sprache der Dolmetscher und für den ethischen Konflikt der Ethikberater zuständig wäre. Stattdessen plädiert Peters dafür, dass in ethischen Konflikten mit interkulturellem Hintergrund ein Sprachund Kulturmittler eingesetzt wird, der in seiner Tätigkeit des Dolmetschens auch die unterschiedlichen kulturellen Werthorizonte einbezieht. Der den Band abschließende Beitrag von Peter Saladin stellt das praktische Pendant zu den organisationsethischen Ausführungen von Karl-Heinz Wehkamp dar. Saladin zeigt vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen des Aufbaus der Migrant Friendly Hospitals in der Schweiz, dass und in welcher Form der Umgang mit interkulturellen Konflikten und die Schulung von inter- bzw. transkultureller Kompetenz eine Führungsaufgabe ist. Es reicht nicht, dass einzelne Mitarbeiter eines Krankenhauses sich auf Prozesse des interkulturellen Verstehens einlassen, sondern das Krankenhaus als Organisation muss zu einem „verstehenden Krankenhaus“ werden. Saladin betont, dass es hier darum geht, ein grundlegendes Recht umzusetzen, nämlich den diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle. Insofern ist die Implementierung von Strukturen zum Umgang mit kultureller Diversität auch eine moralisch geforderte Aufgabe. Saladin zeichnet die komplexe Fülle notwendiger Maßnahmen der Krankenhausleitung nach, die auf dem Weg der Implementierung anfallen. Deutlich wird somit zum Schluss des Bandes, dass der Umgang mit interkulturellen ethischen Konflikten nicht allein eine Aufgabe für den Einzelnen, für Arzt oder Pflegekraft ist, sondern dass er auch eine Herausforderung für die Organisation Krankenhaus ist, der sich die Leitung dieser Einrichtung stellen muss.

Teil I Ethische und ethnologische Reflexionen

Interkulturalität als Thema der Medizinethik Walter Bruchhausen Angesichts der schieren Menge an interkulturellen Kontakten in der Medizin kann es schon erstaunen, wie selten dies bisher in der Medizinethik – im Gegensatz übrigens zur Pflege und Pflegeethik1 – zum Thema gemacht wurde. Während z.B. die Präimplantationsdiagnostik, die lange in Massenmedien und Fachdiskussionen präsent war und bleibt, nach Expertenangaben nur wenige Hundert deutscher Paare pro Jahr betreffen soll, sind Fragen interkultureller Differenz in der Krankenversorgung, die von Betroffenen als medizinethische wahrgenommen werden und auch in Deutschland weitaus größere Zahlen betreffen, vergleichsweise wenig diskutiert. Blickt man in die gängigen medizinethischen Lehrbücher2 und das einschlägige Curriculum,3 findet man im Unterschied zu denjenigen Lehrbüchern und Lernzielkatalogen, die sich durch die Verbindung mit Geschichte und Theorie der Medizin stärker soziokulturellen Fragen verbunden fühlen4 oder der klinischen Ethikberatung widmen,5 kaum Kapitel zu interkulturellen Fragen. Woran könnte das liegen? Man kann natürlich darauf verweisen, dass neuartige Probleme aus wissenschaftlich-technischem Fortschritt in ihren sozialen Auswirkungen immer mehr interessieren und beunruhigen als andere soziale Fragen wie etwa Migration. Aber dieser Antwortversuch hätte nur eine begrenzte Erklärungskraft, wie die große öffentliche Aufmerksamkeit für das Buch eines Bankers und Ex-

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Vgl. Susanna Alban/Madeleine M. Leininger/Cheryl L. Reynolds, Multikulturelle Pflege, München 2000; Dagmar Domenig, Transkulturelle Kompetenz: Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und So2 zialberufe, Bern 2007; Madeleine M. Leininger, Kulturelle Dimensionen menschlicher Pflege, Freiburg i. Br. 1998; Charlotte Uzarewicz/Gudrun Piechotta (Hrsg.), Transkulturellle Pflege, Berlin 1997; Ulrich Körtner, Grundkurs Pflegeethik, Wien 2004. Vgl. z.B. Claudia Wiesemann/Nikola Biller-Andorno, Medizinethik, Stuttgart 2005; Bettina Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, Stuttgart 2007; Giovanni Maio, Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin: Ein Lehrbuch, Stuttgart 2012. Vgl. Akademie für Ethik in der Medizin e. V., Lehrziele: Medizinethik im Medizinstudium, in: Ethik in der Medizin 15 (2002), 119–121. Vgl. Michael Knipper, Der fremde Patient, in: Torsten Noack/Heiner Fangerau/Jörg Vögele (Hrsg.), Querschnitt Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, München 2007, 37–46; Walter Bruchhausen/Heinz Schott, Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Göttingen 2008. Fachverband Medizingeschichte und Akademie für Ethik in der Medizin, Querschnittsbereich Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Gemeinsames Grundsatzpapier 2009 (http://www.aem-online.de/downloadfiles/s5nl9vo261qdaoih44080kfng3/Grundsatzpapier_ GTE_2009.pdf, Zugriff am 13.5.2013) nennt ausdrücklich: „Heiler und Kranke/Ärzte und Patienten im historischen und kulturellen Kontext, historische Entwicklung und soziokulturelle Prägungen der Arzt-Patient-Beziehung“. Vgl. Michael Gommel, Interkulturelle Konflikte, in: Christian Hick (Hrsg.), Klinische Ethik, Heidelberg 2007, 197–205.

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Politikers zur Zuwanderung6 beweist. Ein anderes, vielleicht näher liegendes Argument, für das die Sarrazin-Debatte Unterstützung liefern könnte, wäre, dass Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande nur eine geringe Lobby haben. Beim Blick auf gesellschaftliche Organisationen, Stiftungen oder politische Akteure kann man aber auch diesen an sich berechtigten Punkt als Haupterklärung für eine geringere medizinethische Thematisierung anzweifeln. Denn die Kreise, die sich offen für eine multikulturelle Gesellschaft einsetzen, dürften zahlenmäßig kaum geringer, eher größer sein als etwa die von Lebensschützern, die im Diskurs über den Embryonenschutz zu hören sind. In diesem Beitrag werden andere Erklärungsansätze verfolgt. Demnach lägen (nicht ganz unberechtigte) Hauptgründe für das einschlägige Desinteresse der institutionalisierten Medizinethik sowohl in zu hoher als auch zu niedriger intellektueller Komplexität der einschlägigen Fragen – zu hoch, weil die mühsam errungene Einigkeit über bestimmte Grundprinzipien als operationalisierbaren Maximen durch weiteren bzw. neuartigen Pluralismus gefährdet erscheint; zu niedrig, weil es sich zumindest hierzulande selten um eines der spektakulären Dilemmata handelt, von denen die Entwicklung der Bioethik so stark zehrte. Es geht hier nur in Ausnahmefällen um solche unmittelbar an die biologischen Grundlagen heranreichenden Fragen wie die, ob man z.B. Lebensrecht oder Heilungschancen opfern darf, um anderen Werten wie Verteilungsgerechtigkeit, individueller Selbstbestimmung oder Leidvermeidung zu folgen. Die meisten Fragen zu Interkulturalität in der Gesundheitsversorgung bewegen sich auf weitaus weniger theoretisch dramatischem Terrain – zum Glück, möchte man sagen, denn wenn einmal mehr Migration und kulturelle Vielfalt nur als weiteres Problem und nicht als selbstverständlich, ja auch als mögliche Chance und Bereicherung wahrgenommen würden, wäre das verheerend. Es erscheint immer wieder wichtig zu betonen, dass der größte Teil interkulturell auftretender Konflikte nicht mit grundlegender moralischer Differenz oder gar Unvereinbarkeit zu tun hat. Insofern kann die fehlende Aufmerksamkeit gängiger Medizinethik sogar ein gutes Zeichen von weitgehender Normalität, d.h. Freiheit von ungewöhnlichen Störungen, im Zusammenleben sein. In weltweiter Perspektive sehen das medizinethische Interesse an und die bioethische Diskussion von Interkulturalität deutlich anders aus. Denn hier geht es nicht nur um kulturelle Differenz innerhalb des gleichen gesetzlichen Rahmens, auf den ein großer Teil bioethischer Politikberatung abzielt, sondern darum, dass zusätzlich sehr unterschiedliche nationale Gesetzgebungen and Praktiken mit großen Differenzen im Schutz von Embryonen, weiblichen Föten, Minderjährigen, Alten, Behinderten, Kranken, Sterbenden und Armen aufeinander treffen. Hierzu hat es auch in Deutschland eine bundesweite Forschergruppe „Kulturübergreifende Bioethik“ gegeben, die bezeichnenderweise durch entfallende finanzielle Förderung vorzeitig beendet wurde. In diesem Sammelband soll es nun nicht um diese Ebene 6

Vgl. Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010.

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internationaler Biopolitik gehen, sondern um die Krankenversorgung in Pflege und Medizin hierzulande. Dabei ist die Transparenz der jeweils eigenen Perspektive entscheidend: Dieser Beitrag stützt sich neben sieben bereits länger zurückliegenden Jahren ärztlicher Tätigkeit in deutschen Krankenhäusern, afrikanischem Gesundheitswesen und deutschen Landarztpraxen sowie kolportierten und publizierten Fällen vor allem auf die Erfahrungen in der klinischen Ethikberatung sowie Berichte von Medizinstudierenden in Lehrveranstaltungen zu Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Klinischer Ethik und Global Health. Die Frage, warum so wenige – und wenn doch: welche – Themen von Interkulturalität in der Gesundheitsversorgung medizinethisch thematisiert werden, berührt teilweise grundlegende Streitpunkte der moralphilosophischen und kulturtheoretischen Diskussion, auf die hier nicht angemessen eingegangen werden kann. Vor der Behandlung einzelner medizinisch relevanter Bereiche sei jedoch zumindest eine der großen ethischen Debatten entmystifiziert, weil sie im Hintergrund aller interkulturellen Fragen auftaucht. Es geht um die Grundsatzfrage, ob es eine absolute Moral bzw. einen ethischen Universalismus geben kann oder ob Moral grundsätzlich an die jeweilige Kultur bzw. Sozialisation gebunden, also partikular und relativ ist. Hier hat es erbitterte Auseinandersetzungen gegeben, weil die einen darin Zynismus sahen, dass nicht alle Menschen als moralisch gleich angesehen werden sollen, und die anderen es genau umgekehrt zynisch fanden, wenn man die Andersartigkeit außereuropäischer Moralen nicht anerkennt und ihnen in kolonialistischer Manier europäische Sitten aufzwingen will. Letztlich ist hier dem prominenten USamerikanischen Medizinethiker Daniel Callahan zuzustimmen, dass die Debatte 7 zwangsläufig mit einem „Unentschieden“ endet. Je abstrakter oder grundsätzlicher man wird, desto mehr kann man Universalien nachweisen oder postulieren, je konkreter Entscheidungsfragen sind, desto stärker spielt die jeweilige gesellschaftliche und moralische Realisation anthropologischer Grunderfordernisse die entscheidende Rolle. Eine Weltgemeinschaft muss an einer immer stärkeren Weiterentwicklung universaler Standards wie der Menschenrechte interessiert sein. Diese können jedoch nicht einfach am grünen Tisch entworfen werden, schon gar nicht von Studierstuben westlicher Universitäten aus, sondern müssen wie alle Moral und alles Recht in sozialen Prozessen formuliert und verwirklicht werden. Nicht derjenige ist der moralisch kompetentere, der die höchsten Forderungen aufstellt, sondern wer sich an ihnen messen lässt und sie ihrer Verwirklichung – auch unter schwierigen Bedingungen – näher bringt. Das gelingt immer nur von innen, durch reform8 freudige Angehörige der jeweiligen soziokulturellen Gruppen, nicht aber durch bloßen Druck von außen – der selbstverständlich gelegentlich helfen kann. 7 8

Vgl. Daniel Callahan, Universalism & Particularism: Fighting to a Draw, in: Hastings Center Report 30/1 (2000) 37–44. Vgl. Michael Walzer, Kritik und Gemeinsinn. Drei Wege der Gesellschaftskritik. Berlin 1990; Michael Walzer, Zweifel und Einmischung. Gesellschaftskritik im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1991.

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Eine Einteilung interkultureller Konflikte in ethischer Hinsicht

Im Folgenden schlage ich vor, die Konflikte mit interkulturellem Hintergrund in Gruppen zu unterteilen: 1. Konflikte aus mangelndem Verstehen der fremden Sichtweise; dies ist das Oberthema von Tagung und Sammelband, nicht jedoch die Aufgabenstellung dieses Beitrags. 2. Konflikte, weil trotz weitgehendem Verständnis und an sich ausreichender gemeinsamer Wertegrundlage die Einschätzungen der Situation verschieden sind. 3. Konflikte aus Fehlverhalten, weil die allgemein bzw. für Landsleute akzeptierten oder offenkundigen Verpflichtungen gegenüber manchen „Fremden“ nicht gesehen und erfüllt werden. 4. „Echte“ ethische Konflikte, die aus zumindest primär unvereinbaren moralischen Positionen entstehen („harte Werte-Differenzen“). Etwas verkürzend könnte man diese vier Konfliktquellen als Missverständnisse, Bewertungsdifferenzen, Diskriminierung und Wertedifferenzen bezeichnen. Sie würden sich im Hinblick auf unterschiedliche Anteile von Differenzen im Deskriptiven (Wahrnehmung und Beschreibung der Situation), Evaluativen (Bewertung der Situation) und Normativen (Bindungskraft von Normen, Wertehierarchien) noch weiter typologisieren lassen, was hier nur ansatzweise und weniger formalisiert versucht werden soll. Missverständnisse In klassisch philosophischer Terminologie handelt es sich bei Konflikten aufgrund von Missverständnissen nicht schon um ein ethisches, sondern zunächst um ein hermeneutisches Problem. Es geht zuallererst um ein ungenügendes Verstehen, nicht unbedingt bereits auch um eine unzureichende gemeinsame Beurteilung oder gar Werte- und Normengrundlage. Auf jeden Fall verhindern solche Missverständnisse, dass den Beteiligten bewusst werden kann, wo gemeinsame oder unterschiedliche Bewertungen und Wertehierarchien liegen. Das Verstehen ist ohne Zweifel ein moralisch gefordertes Bemühen, aber nicht der eigentliche Gegenstand der Ethik, wie die übliche Unterscheidung von Ethik und Hermeneutik in der Philosophie belegt. Es darf auch bezweifelt werden, dass die üblichen Zugangswege zu medizinethischer Tätigkeit – auf philosophischer Seite ein eher eurozentrisches Philosophiestudium und in medizinischen Fakultäten häufig kürzere Aufbaukurse und -studien oder eigenes Einlesen in bioethische Klassiker – die in kulturwissenschaftlichen Fächern seit Langem erwartete und lange einzuübende Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit für das Andere mit sich bringen. Insofern bedürfte es entweder einer enormen Ausweitung des Ethik-Begriffs, was u.a. der betriebenen Professionalisierung und Institutionalisierung von Ethik als damit verbundenen Exklusionsstrategien entgegenlaufen würde, oder aber eines Verzichts auf den

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Rahmen „Ethik“ zugunsten von solchen allgemeineren Soft Skills oder Aufgabenstellungen wie Kommunikation, Gesprächsführung und Interaktion. Letzteres wird z.B. im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) bereits sichtbar. Zudem spielen andere länger etablierte medizinische Fachgebiete wie Medizinsoziologie, Allgemeinmedizin, medizinische Psychologie oder Medizingeschichte hier eine mindestens ebenso große Rolle in der Vermittlung interkultureller Kompetenzen. Aufgrund dieser Anforderungen ist es bei interkulturellen Konflikten noch wichtiger als bei medizinethischen Fragen ohne diesen Hintergrund, mit deskriptiver Ethik einzusteigen, d.h. einer zunächst möglichst wenig wertenden Rekonstruktion der beteiligten Perspektiven. Wenn dies in aller Tiefe geschehen sollte, wäre es ein Unterfangen, das höchste akademische Ansprüche stellt. Es würde Experten für die beteiligten kulturellen Traditionen verlangen, die sowohl die differenzierte historische Entwicklung als Teil der Begründung bestimmter Einstellungen als auch die derzeitige Breite ihrer Anwendungsweisen kennen. Davon gibt es nur sehr wenige, und noch weniger im Bereich der institutionalisierten Medizinethik. Zum Glück geht es in der praktischen Situation der Krankenversorgung auch wesentlich einfacher. Oft genügt schon die Offenheit dafür, ganz andere Sichtweisen verstehen zu wollen, und die gezielte Nachfrage, worum es der anderen Seite hauptsächlich geht. Verstehen ist ein Prozess, der – wie es der Philosoph Gadamer für die Überwindung 9 historischer Distanz des Lesers genannt hat – „Horizontverschmelzung“ verlangt, zumindest teilweise auf den jeweiligen Punkt bezogen. Man muss nicht nur eine Meinung in einem minimalen Sachgehalt verstehen, sondern auch, wie und warum sie für das Gegenüber wichtig ist. Es handelt sich also um ein dynamisches Geschehen, nicht ein unmittelbares Resultat. Beide Seiten müssen Schritt für Schritt verstehen, wo sich die Sichtweise des Gegenübers von der eigenen und der beim anderen nur vermuteten unterscheidet. Das erfordert zumeist Zeit, die im Klinikalltag bekanntlich zu den knappsten Gütern gehört. In der Ausbildung erfordert die Entwicklung entsprechender Fähigkeiten, dass man ein Bewusstsein für die Herkunft der eigenen Positionen entwickelt, nicht zuletzt der problematischen Traditionen und Positionen. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Medizin im Nationalsozialismus, aber auch bestimmten kolonialen Situationen, kann hier die Augen für mögliche inhumane Konsequenzen eines auf Biologie und vermeintliche biologische oder mentale Differenz reduzierten Menschenbildes moderner Medizin nachhaltig öffnen. Während es bisher vor allem darum ging, wie gängige Ethik von kulturwissenschaftlicher Reflexion profitieren sollte, ist auch ein Bereich hervorzuheben, in dem die interkulturelle Kommunikation von bestimmten ethischen Ansätzen zweifellos profitieren kann, nämlich der narrativen Ethik. Durch die analytische Philosophie bestimmte Ethik beschreibt den Menschen meist als Vertreter von bestimmten 9

Vgl. Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Herme7 neutik, Tübingen 2010.

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moralischen Prinzipien, deren jeweilige Anwendung dann die Entscheidungen bestimmt. Die narrative Ethik hält das für eine zu stark verkürzte Sichtweise. Der Mensch drückt sich nach ihr nicht im Bekenntnis zu abstrakten Grundsätzen aus, sondern in einer Lebenspraxis, in deren non-verbaler oder verbaler Erzählung er deutet, was er ist. Gerade dann, wenn uns fremde Begriffe alleine wenig weiterhelfen, ist es wichtig, die lebensgeschichtliche Orientierung des Anderen zu erfahren. Was nutzt es, fremde Normen einfach mit deutschen Wörtern annähernd zu übersetzen? Aus Erzählungen, wie jemand sich gesehen und verhalten hat, verstehen wir mehr über ihn und seine Werte als über simplifizierende Klassifikationen. Bewertungsdifferenzen Selbst wenn wesentliche Missverständnisse weitgehend vermieden werden können, bleiben die verschiedenen Möglichkeiten, Gegebenheiten und Handlungsoptionen zu sehen und zu bewerten, eine Quelle für Auseinandersetzungen. Zu den Konflikten aus unterschiedlicher Bewertung einer Situation zählen die Erfahrungen, die man auf einigen Intensivstationen bei der ärztlich indizierten Therapiebegrenzung mit den Angehörigen muslimischer Patienten gemacht hat. Muslimische Familien verstehen eine Therapiezielverlagerung gelegentlich als ein Aufgeben, ein Im-StichLassen des Familienangehörigen, dem man doch zu uneingeschränkter Hilfe verpflichtet ist. Arzt und Familie sind sich darin einig, dass man für den Kranken grundsätzlich alles, was man tun kann, auch tun soll. Insofern stimmen sie in der relevanten Wertegrundlage durchaus überein. Der Arzt ist jedoch in der Einschätzung und Bewertung der Situation nicht der Meinung, dass man durch Fortführung der Intensivbehandlung wirklich etwas für den Patienten tun könne. Insofern stellt für ihn ein Therapieverzicht keinen Verstoß gegen die geteilte Wertegrundlage dar. Die Angehörigen hingegen sehen vor allem, dass dann das Leben des Patienten nicht mehr erhalten wird und empfinden dies als Verletzung ihrer Pflicht. In diesem Übergangsbereich von Sachverhaltsbeschreibung (Deskription) und Bewertung (Evaluation) wird die Verwobenheit sachlicher und moralischer Aussagen besonders deutlich. Dass man alles Menschenmögliche tut, ist für die Angehörigen zumindest in diesem Augenblick wichtiger als das, was das Ergebnis dieses Tuns sein wird. Hier gerät die Rationalität der Sache mit der von Beziehungen in Konflikt. Das ist in harmloseren Situationen eine alltägliche Erfahrung. Menschen machen z.B. gelegentlich Geschenke oder Äußerungen, von denen sie nicht wirklich überzeugt sind, nur um etwas in der Hand oder zu sagen zu haben. Dies ist nicht notwendigerweise bloßer horror vacui, also Angst vor der Untätigkeit oder peinlichem Schweigen, sondern soll dem betreffenden Gegenüber, anderen und einem selbst zeigen, dass einem die Person wichtig ist. Hier können primär große Differenzen zwischen dem liegen, was in unterschiedlichen Gruppen üblich ist oder empfunden wird, ohne dass dadurch eine einvernehmliche Entscheidung ausgeschlossen wird, wenn gra-

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vierende Belastungen, z.B. durch Fortführung medizinisch unsinniger Maßnahmen, angesprochen werden. Diskriminierung Der dritte Konfliktbereich ist der theoretisch, wenngleich nicht unbedingt praktisch einfachste. Viele Klagen von Patienten und Angehörigen mit Migrationsgeschichte über die Behandlung im deutschen Krankenhaus betreffen Verhaltensweisen, die aus berufsethischer Sicht ohne jeden Zweifel inakzeptabel sind. Zu den häufigsten Klagen gehört, dass bei dunklerer Hautfarbe, Kopftuch oder bestimmten ausländischen Akzenten mit Patienten und Angehörigen in einer Weise gesprochen wird, als könnten sie ohnehin nicht verstehen, worum es medizinisch geht. Die simple Regel, erst nach einem einleitenden Gespräch zu entscheiden, auf welchem Komplexitäts- und Sprachniveau man Sachverhalte und Entscheidungsmöglichkeiten für einen bestimmten Patienten formulieren möchte, wird bei Physiognomie, Kleidung oder Sprachtönungen von außerhalb des globalen Nordens und Westens allzu leicht missachtet. Eine weitaus gravierendere Form des Fehlverhaltens liegt da vor, wo – bewusst oder unbewusst – die schwächere Position des Patienten mit Migrationsgeschichte dazu führt, dass weniger Mühe auf die Einhaltung berufsethischer Standards gelegt wird. Bei solchen Patienten ist es ja – zumindest nach verbreiteter Wahrnehmung – weniger wahrscheinlich, dass sie alle ihre Rechte wahrnehmen und sich erfolgreich über eventuelles Fehlverhalten beschweren können. Auch in den Gesundheitsberufen gibt es Menschen – und bis zu einem gewissen Grade sind das alle Menschen – die an manchen Punkten weniger aus innerer Einstellung als vielmehr zur Vermeidung von Sanktionen das gesollte Verhalten an den Tag legen. Werden Sanktionen in bestimmten Fällen weniger wahrscheinlich, sinkt so die Rate an regelgerechtem Verhalten. Frühere Ethnologen, im Gefolge von Ruth Benedict’s Fernstudie über 10 Japan und einmal mehr allzu pauschal, haben zwischen shame und guilt societies oder cultures unterschieden, zwischen solchen Gesellschaften, in denen man Normen folgt, weil man ansonsten öffentlich beschämt dasteht, und solchen, wo man dies tut, weil man sich andernfalls schuldig fühlt.11 Wenn man nicht ganze Gesellschaften und Menschen danach klassifiziert, welchem von beiden Motiven sie folgen, sondern beides als mögliche Motive in jedem Menschen berücksichtigt (wie es z.B. Freud mit dem Über-Ich tat), ist es eine hilfreiche Unterscheidung. Solche oft unwillkürlichen Verhaltensweisen sind ja keineswegs auf als ausländisch klassifizierte Patienten beschränkt. Wenn Patienten einer sozioökonomischen oder vermeintlich soziokulturellen Unterschicht zugeordnet werden, ist es auch bei Deut10

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Vgl. Ruth Benedict, The Chrysanthemum and the Sword, Boston 1946; Christopher Shannon, A World Made Safe for Differences: Ruth Benedict's The Chrysanthemum and the Sword, in: American Quarterly 47 (1995), 659–680. Vgl. Paul G. Hiebert, Anthropological Insights for Missionaries, Grand Rapids 1985, 213.

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schen ohne erkennbare Migrationsgeschichte nicht ungewöhnlich, dass bei manchen Ärzten in bestimmten Punkten, wohl kaum in unmittelbar lebenswichtigen, weniger Einsatz zu beobachten ist als z.B. bei Juristen oder Prominenten. Da sich Gruppenzugehörigkeiten nach sozio-ökonomischer Lage, formaler Bildung und ethnischer Herkunft (nicht nur) in Deutschland häufig überschneiden, ist hier nach mehr als nur möglichem Rassismus zu fragen.

2.

Unterschiedliche Wertehierarchien

Die eigentlichen interkulturellen ethischen Konflikte entstehen dort, wo bei Konkurrenzen zwischen Werten tatsächlich stark unterschiedliche Wertehierarchien zur Geltung kommen. Das gilt bei interkulturellen Begegnungen zwischen lebenslangen Angehörigen westlicher Industrienationen und jüngst aus anderen Weltregionen Immigrierten an manchen markanten Punkten, die sich v.a. drei Bereichen möglicher Differenz zuordnen lassen. Letztlich bewegt sich der größte Teil relevanter Differenzen um das unterschiedliche Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Eine weitere Differenz betrifft jeweils unterschiedliche Gewichtungen von biologischem Leben und Unversehrtsein gegenüber sozialer Lebensqualität. Zu Letzterem kann nicht nur die Ablehnung von Unannehmlichkeiten wie aufwändigen Therapien und Präventionsmaßnahmen, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung für eine bestimmte Form des eigenen Körpers gehören. Primär religiöse Normen, als dritter Bereich möglicher Differenz, spielen – nicht zuletzt angesichts der ausgeprägten Pluralität innerhalb großer Religionen – im Vergleich zu solchen primär gesellschaftlichen Faktoren offenbar eine geringere Rolle. Die drei genannten Bereiche sollen im Folgenden näher und an jeweils einem Beispiel betrachtet werden. A.

Individuum und Gemeinschaft

Das nordatlantische Modell des unabhängigen Individuums als einzigem oder letztem Entscheidungsträger ist in globaler und menschheitsgeschichtlicher Perspektive eher der Sonderfall als die empirische Norm. Was der interkulturell reflektierte kanadische Philosoph Charles Taylor ausführlich als das moderne Missverständnis 12 eines atomisierten Individuums beschrieben hat, wurde wirtschaftlich erst möglich, weil wir in unseren Entscheidungen durch individuelles Einkommen, Kleinsthaushalte und Krankenversicherung immer weniger von einer Großfamilie oder anderen Kleingemeinschaften abhängig sind. Der größte Teil der Menschheit lebt nicht so und bringt deshalb auch in der Migration andere Konzeptionen des Men12

Vgl. Charles Taylor, Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individuums, Frankfurt a. M. 1999; Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt a. M. 1996. 3

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schen mit. Diese Sichtweisen und die Situation dieser Menschen aber nur negativ als Abhängigkeit zu sehen wäre viel zu kurz gegriffen. Sie lässt sich ebenso positiv als in engen Beziehungen stehend und als von gegenseitiger Verantwortung füreinander geprägt beschreiben und verstehen.13 Diesem Aspekt wird ein bestimmter Teil der medizinethischen Ansätze stärker gerecht, nämlich die Care Ethics oder Fürsorgeethik. Als Carol Gilligan in der Zusammenarbeit mit dem renommierten Moralpsychologen Lawrence Kohlberg feststellte, dass in den psychologischen Tests die vermeintlich höchste Stufe der Moral von Schwarzen, Hispano-Amerikanern, Katholiken und Frauen weitaus seltener erreicht wird als vom WASP, dem White Anglo-Saxon Protestant, stellte sie – als Frau – nicht die Moral dieser Gruppen in Frage, sondern das den Tests zugrunde 14 gelegte Konzept von Moral. Es ist deshalb sicher kein Zufall, dass in der auf Fürsorge ausgerichteten Pflege sowohl die Care Ethics als auch die Aufmerksamkeit für Interkulturalität (im transcultural nursing) weitaus stärker als in der ärztlichen Ethik aufgegriffen wurde, auch wenn die simple Geschlechterzuschreibung der Moraltypen sich in der empirischen Moralforschung zu den Gesundheitsberufen nicht bestätigen ließ.15 Die unterschiedlichen Konzeptionen des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft können praktische Auswirkungen haben. So ist vorstellbar, dass z.B. eine muslimische Familie aus eher traditionellen Sozialstrukturen stärker davon ausgeht, dass man einen Familienangehörigen nicht einfach in sein vermeintliches Unglück rennen lassen darf, sondern mit allen verfügbaren Mitteln, eventuell einschließlich Druck, umzustimmen versucht, während ein im liberalen Paradigma sozialisierter Arzt oder medizinethischer Berater eher geneigt ist, die erklärte Absicht eines Patienten hinzunehmen, auch wenn man die Entscheidung für falsch hält. In der Praxis setzt hier letztlich einmal mehr das Recht den entscheidenden Rahmen. Ein Arzt kann nicht gezwungen sein, sich strafbar zu machen, indem er der Familie zuliebe den erklärten Willen des Patienten missachtet. Aber im Interesse aller Beteiligten käme es trotzdem darauf an, dass die jeweiligen Anliegen angemessen gewürdigt werden und nicht einfach als juristisch irrelevant von Vorneherein abgetan werden. Die offenkundigen Veränderungen im Autonomie-Konzept in den letzten Jahrzehnten könnten hier eine Anregung darstellen: Wurde von der Bioethik anfangs Selbstbestimmung einfach als normativ vorausgesetzt, wird – nicht zuletzt unter 13

14 15

Vgl. exemplarisch die Diskussion zu Familie und Individuum im (Neo-)Konfuzianismus bei Xiaoyang Chen/Ruiping Fan, The Family and Harmonious Medical Decision Making: Cherishing an Appropriate Confucian Moral Balance, in: Journal of Medicine and Philosophy 35 (2010), 573– 586. 5 Vgl. Carol Gilligan, Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau, München 1991. Vgl. Helga Kuhse/Peter Singer/Maurice Rickard/Leslie Cannold/Jessica van Dyk, Partial and impartial ethical reasoning in health care professionals, in: Journal of Medical Ethics 23 (1997) 226–232.

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Interkulturalität als Thema der Medizinethik

dem Einfluss der Care Ethics – inzwischen stärker gefragt, wie man Selbstbestimmtheit fördern kann. Der entwicklungspsychologische Allgemeinplatz, dass sich Selbstbestimmungsfähigkeit nur in Bindung und durch Zuwendung erlangen (und erhalten) lässt, ist damit auch in der Medizinethik angekommen. Heute dürften nicht wenige Zeitgenossen fragen, ob der von Gewinn- und Konsumsucht getriebene Zocker an der Wallstreet wirklich freier und selbstbestimmter ist als ein Dorfbewohner in vergleichsweise festen Sozialstrukturen. Auch eine solche Prüfung unserer verbreiteten Selbstbilder sollte eine Sache der Ethik sein. B.

Biologisches und soziales Leben

Die zweite mögliche interkulturelle Wertedifferenz betrifft die – übrigens auch zwischen ganz in Deutschland sozialisiertem Arzt und ebensolchem Patient anzutreffende – unterschiedliche Gewichtung von biologischem Leben, z.B. gemessen in Überlebenszeit oder Überlebenschancen, gegenüber Lebensqualität, wozu auch das Vermeiden von Operationen oder das Sterben im Familienkreis gehören können. In diesen Bereich fallen weit verbreitete, geradezu idealtypische Auseinandersetzungen zwischen Arzt und Patient. Wenn Patienten ärztlichen Empfehlungen nicht folgen wollen, nehmen Ärzte gerne an, die Patienten hätten die Tragweite einfach nicht verstanden, sehen also ein bloßes Missverständnis oder gar ein kognitives Defizit. Doch Patienten haben hier nicht selten ganz andere Wertpräferenzen. Sie nehmen sehenden Auges bestimmte Risiken in Kauf oder sind nicht bereit, auf die von ihnen empfundene Priorität mancher nicht-biologischer Werte zu verzichten. Auch das ist ein alltägliches, in keiner Weise kulturspezifisches Verhaltensmuster. Obwohl Ärzte z.B. nachdrücklich vor Piercing und anderen Körpermodifikationen, vor (übermäßigen) Genussgiften wie Alkohol, Rauchen, Süßigkeiten oder raffinierten Fetten warnen, erfreut sich all dies trotzdem einer gewissen Beliebtheit. Zu besonders heftigen Konflikten werden solche Differenzen zwischen medizinischer Warnung und gesellschaftlicher Praxis, wenn die ärztliche Ablehnung sich zusätzlich mit verbreiteter Kritik an Fremdbestimmung, Geschlechterdiskriminierung und repressiver Sexualität verbindet. Einer der deshalb immer wieder besonders heftig diskutierten interkulturellen Konfliktpunkte betrifft die so genannte weibliche Beschneidung oder Genitalverstümmelung im europäischen Gesund16 heitswesen. Hier wird die eben skizzierte doppelte Ausrichtung des medizinischen Ethos besonders deutlich, nämlich dass es um die moralisch-kulturelle Identität von beiden, Arzt und Patient, geht. Die europäischen medizinischen Fachgesellschaften und Standesvertretungen, einschließlich der Bundesärztekammer, sprechen sich in Übereinstimmung mit dem Strafrecht gegen das Argument aus, dass staatlich anerkanntes Gesundheitspersonal solche Maßnahmen durchführen sollte, damit sie 16

Vgl. MBoyo Likafu, Tabuthema Beschneidung. Exkurs, in: Eva van Keuk/Cinur Ghaderi/Ljiljana Joksimovic et al. (Hrsg.), Diversity. Transkulturelle Kompetenz in klinischen und sozialen Arbeitsfeldern, Stuttgart 2011, 188–190.

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zumindest hygienischer und fachgerechter, damit also weniger komplikationsträchtig erfolgen.17 Das berufsrechtliche Verbot in Europa gilt sogar für den häufig von der Frau selbst gewünschten Wiederverschluss einer Infibulation, die im Geburtsvorgang eröffnet werden musste (selbstverständlich mit Ausnahme einer anders nicht stillbaren Blutung). Gleichzeitig mit diesem strikten Verbot betonen viele der Stellungnahmen aber, dass der Genitalbereich dieser Frauen ihnen gegenüber nicht durch unbedachte Reaktionen als monströs oder verkrüppelt eingeordnet werden darf, wozu Unerfahrene beim ersten Anblick neigen. Selbst eine so kämpferische Organisation wie Terre des Femmes, die in ihren Publikationen und Kampagnen die Menschenrechtsverletzung durchgängig mit dem Begriff „Verstümmelung“ anprangert, empfiehlt, den betroffenen Frauen gegenüber neutraler von „Beschneidung“ zu spre18 chen. Die individuelle Patientin sollte soweit wie möglich nicht der Austragungsort interkultureller Moralkonflikte sein – was natürlich die detaillierte Aufklärung über die Schäden und möglichen Komplikationen sowohl für die eigene Zukunft als auch die eventuell bedrohter Töchter nicht ausschließen darf. C.

Religiöse Verbote

Nicht zuletzt durch die Verweigerung von Bluttransfusion durch die Zeugen Jehovas gelten religiös begründete Ablehnungen medizinischer Maßnahmen als Musterbeispiel grundsätzlicher medizinethischer Konflikte. Doch die Rolle von Religion ist keineswegs in den meisten Fällen derart eindeutig. Vieles, was öffentliche Meinung und die Betroffenen selbst geneigt sind, einer Religion zuzuschreiben, war auch ohne diese Religion in Europa unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen üblich. Kopftuch oder untergeordnete Stellung der Frau, die heute gerne vor allem mit dem Islam in Verbindung gebracht werden, hat es in Europa bis vor Kurzem auch gegeben. Von daher ist es oft schwierig bis unmöglich auszumachen, was primär religiösen Vorschriften entspringt und wo Religion dazu dienen soll, bestimmten Anliegen, z.B. Sicherung der Fortpflanzung, männlicher Dominanz oder politischer Herrschaft, ideologische Unterstützung zu leisten. In großen Bevölkerungen verbreitete Religionen können sehr unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen, nämlich bewahrenden wie reformerischen, ja sogar revolutionierenden Zielen dienen oder dienstbar gemacht werden. Für den medizinischen Bereich kann eine verfasste Religion gegenüber bloßen Bräuchen sogar den Vorteil haben, dass anerkannte religiöse Autoritäten im Be17

18

Vgl. Kerstin Krása, Weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern – ethische und rechtliche Aspekte, in: Andreas Frewer/Stephan Kolb/ Kerstin Krása (Hrsg.), Medizin, Ethik und Menschenrechte. Geschichte, Grundlagen, Praxis, Göttingen 2009, 277–300. Terre des femmes, Stellungnahme (http://frauenrechte.de/online/images/downloads/fgm/ PositionTerminologie.pdf, Zugriff am 22.2.2012).

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Interkulturalität als Thema der Medizinethik

darfsfall Bedenken gegen eine medizinische Maßnahme, die vage religiös motiviert und tief verankert sind, entkräften. Im Umgang mit dem Leichnam, z.B. bei Obduktion und Organspende, haben christliche Amtsträger das wiederholt getan, und muslimische Rechtsgelehrte räumen in ähnlicher Weise durch Fatwas bestimmte Vorbehalte aus. Insbesondere im Blick auf die Reproduktionsmedizin nehmen sie Grenzziehungen vor, in einem Bereich, in dem sich auch stark säkulare Gesellschaften bekanntlich immer weniger einigen können. Aufgrund dieser rationalisierenden Funktion großer Religionsgemeinschaften ist es verbreitete Praxis, z.B. bei solchen muslimischen Patienten, die gewisse Bedenken gegenüber der Aussetzung religiöser Vorschriften zugunsten medizinischer Maßnahmen haben, etwa beim Fasten oder vermeintlich unreinen Medikamenten, einen Geistlichen zur Beratung des Patienten hinzuzuziehen. Schlussfolgerungen Was ergibt sich aus all dem für die Praxis der ethischen Entscheidungsfindung in der Medizin? Aus der eingeführten, sicher stark vergröbernden Typologie von Problemkonstellationen und -ursachen folgt die Notwenigkeit, in jeder potentiell problematischen Situation entsprechend dieser möglichen Störfaktoren schrittweise vorzugehen. Grundsätzlich geht es dabei um dieselben Fragen wie auch in Situationen ohne Migrationshintergrund, um Fragen, die in Modellen der klinischen Ethikberatung schon lange in ähnlicher Weise etabliert sind: Zuerst muss geklärt werden, ob die Sichtweisen und Anliegen der Beteiligten bzw. beteiligten Gruppen von allen angemessen verstanden sind. Das bedeutet nicht nur, zu gewährleisten, dass die Patienten und/oder Angehörigen den klinischen Sachverhalt und die Optionen angemessen begriffen haben, sondern auch, dass Ärzte und Pflege ausreichend verstehen, worum es aus Sicht der Angehörigen und Patienten hier geht. Diese Frage nach dem „What’s the matter?“ – „Worum geht’s?“ hat einer der Gründungsväter der Medical Anthropology, Arthur Kleinman, in den letzten Jahren als die zentrale Frage im Hinblick auf (vermeintliche) 19 kulturelle Kompetenz hervorgehoben. Diese Frage wird auch von denjenigen, die sich interkulturell kompetent fühlen, gerne vernachlässigt, weil sie allzu leicht schon zu wissen glauben, was ‚der Fremde‘ denkt. Zu Recht kümmert sich der größte Teil der Bemühungen um das interkulturell sensible Krankenhaus und ebenso dieser Sammelband um genau diesen Punkt des gegenseitigen Verstehens – und nicht die klassischen medizinethischen Konflikte. Wenn dann sichergestellt ist, dass alle Seiten die anderen ausreichend verstehen, kann es um die Suche nach den Ursachen für divergierende Urteile gehen, die ja auf – mindestens – drei verschiedenen Ebenen liegen können:

19

Arthur Kleinman/Peter Benson, Anthropology in the Clinic: The Problem of Cultural Competency and How to Fix It, in: PLoS Medicine 3/10 (2006), e294. doi:10.1371/journal.pmed.0030294.

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– Auf der Ebene der klinischen Fragen – vielleicht werden die Einschätzungen der Ärzte bezweifelt, z.B. weil man andere Erfahrungen gemacht hat oder andere Therapieverfahren für besser hält. – Auf der Ebene des moralischen Urteils, weil man die unstrittig relevanten Werte hier nicht angemessen berücksichtigt sieht. – Auf der Ebene der moralischen Grundsätze, weil man unterschiedliche Wertehierarchien hat.

3.

Brauchen wir eine neue, interkulturelle Medizinethik?

Die Frage, ob man nun eine neue, andere oder erweiterte Medizinethik für interkulturelle Fragen braucht, kann von daher nicht einheitlich für alle Aspekte beantwortet werden. Die Antwort für den Bereich des pflegerischen und ärztlichen Ethos wäre ein deutliches „Nein“. Es gelten dieselben grundsätzlichen Verpflichtungen bezüglich des Wohlergehens des Patienten und der Respektierung, ja Förderung seiner Entwicklung und damit auch Selbstbestimmung als menschlicher Person. Hier einen Unterschied nach ethnischer Herkunft oder religiösem Bekenntnis zu machen wäre genauso falsch wie solche nach Geschlecht, Behinderung oder Lebensabschnitt. Wenn alle sich an das heute schon geltende Berufsethos halten würden, wäre schon viel, vielleicht das Meiste gewonnen. Ein ebenso klares „Ja“ wäre hingegen die Antwort, wenn es um die Akzeptanz der moralischen Anliegen von Patienten und Angehörigen geht. Hier muss Gesundheitspersonal weit mehr Wege moralischer Argumentation und Äußerung wahrnehmen und würdigen als sie in der gängigen, teilweise theorielastigen Medizinethik vorgesehen sind. Im Konfliktfall reicht es dann gelegentlich nicht, Entscheidungen von Patienten und Angehörigen einfach mit Verweis auf Autonomieprinzip, freien Willen und Rechtslage hinzunehmen. Man muss sich die Mühe machen zu erkunden, ob auf der Wertegrundlage der Betroffenen ihre Entscheidung wirklich nur so fallen kann oder ob es nicht noch Punkte des Entscheidungsweges gibt, an denen nicht zwangsläufige Konsequenzen, sondern unterschiedliche Einschätzungen, Missverständnisse oder verhandelbare Sichtweisen eine Rolle spielen. Zusammenfassend ließe sich also formulieren: Kontakte zwischen Arzt und Patient verschiedener Nationalität oder Religion sind allenfalls quantitativ bzw. graduell, nicht aber qualitativ oder prinzipiell schwieriger als jede andere Arzt-PatientBeziehung. Deshalb haben in gewisser Weise beide Seiten Recht: auf abstrakter Ebene diejenigen, die behaupten unsere bisherige Medizinethik reicht bereits auch für interkulturelle Fragen aus, und auf konkreter Ebene diejenigen, die hier großen Verbesserungsbedarf sehen. Umgekehrt bedeutet diese Beurteilung, dass die Medizinethik als solche in den konkreten Entscheidungen und Beratungen allzu oft zu

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Interkulturalität als Thema der Medizinethik

wenig Substanzielles zu bieten hat und die medizinethisch Beratenden hier ebenso wie das Gesundheitspersonal sehr viel lernen müssen, wenn sie interkulturell kompetent handeln wollen. Für die interkulturellen Fragen gilt also ähnlich wie für die Medizinethik allgemein – und hier gleicht die verbreitete Krankenhaus- und Ärztekritik, wie jüngst von Sonia Mikich prominent vorgetragen,20 den Klagen von Patienten mit Migrationshintergrund in erstaunlicher Weise – , dass die Hauptprobleme nicht so sehr zu wenig Formulierung und Kenntnis von Regeln darstellen, sondern dass sich zu viele nicht daran halten. Wie man das ändern kann, bleibt eine der der großen Herausforderungen auch der ärztlichen Ausbildung.

20

Vgl. Sonia Seymour Mikich, Wie die Klinik krank macht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.05.2012.

Interkulturalität als Thema der Pflegeethik Sylvia Agbih „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Karl Valentin1

1.

Einführung

Der zitierte Satz aus Karl Valentins Stück „Die Fremden“ zeigt auf schlichte Weise, dass Fremdheit relativ ist und überall sein kann – auch in uns selber. Ganz banal kann man sich fremd fühlen, wenn auf ein „Grüß Gott“ ein etwas irritiertes „Guten Tag“ folgt – oder umgekehrt. Unterschiede lokaler Traditionen zählen sozusagen zur „intrakulturellen Interkulturalität“. Meist allerdings assoziieren wir mit Interkulturalität zunächst das Überbrücken nationaler Grenzen, die kulturell sehr unterschiedliche Völker trennen. Aber sind Nationen in sich so homogen, dass ein ganzes Volk eine einheitliche Kultur hat? An diesen Wortspielereien zeigt sich bereits die Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit des Themas und der Begriffe, mit denen wir es „in den Griff“ kriegen möchten. Die Bedeutungsgehalte sind nicht so leicht einzugrenzen und nicht bei allen Autoren deckungsgleich. Deswegen soll zu Beginn dieses Beitrages eine Klärung des zugrunde liegenden Begriffsverständnisses stehen, so weit möglich. Im anschließenden Hauptteil wird zunächst auf die Auseinandersetzung mit Kultur und Kulturalität in der Pflege und der Pflegeethik (im deutschsprachigen Raum) eingegangen. Seit einigen Jahren gibt es eine zum Teil intensive Beschäftigung mit Fragen und Problemen kultursensibler Pflege. Allerdings mehr in der Pflegepraxis, Pflegewissenschaft und Pflegepädagogik als explizit in der Ethik. Im Weiteren werden Fragestellungen und Aufgaben, die sich für die Pflegeethik im Kontext von Interkulturalität stellen, ansatzweise skizziert. Zum Abschluss wird die Frage nach der Möglichkeit transkultureller ethischer Prinzipien beleuchtet. Ethik, Pflegeethik und Anthropologie Aufgabe der Ethik ist die systematische Reflexion von Moral. Unter Moral werden die in einer Gesellschaft praktizierten, vorfindbaren Werthaltungen, Einstellungen, sozialen Normen und akzeptierten oder erwünschten Verhaltensweisen verstanden – anders gesagt: die vorhandenen Sitten. Unsere alltäglich praktizierten moralischen Handlungsorientierungen sowie unsere Geltungs- und Begründungsansprü1

Michael Schulte (Hrsg.), Das Valentin-Buch. Von und über Karl Valentin in Texten und Bildern, 9 München 1991, 488–489.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

che zu überdenken und zu hinterfragen, wirkt auf die Alltagspraxis zurück. Somit ist Ethik zugleich Teil dieser Praxis. Sinnvolles Ziel der ethischen Reflexion als Praxis ist m.E. nicht, Moral an sich zu begründen, sondern zu gut begründeten Entscheidungen zu finden. Ethische Prinzipien bieten dafür Leitlinien oder Prüfsteine; sie entspringen menschlichen Erfahrungen, die durch Erzählen und Weitergeben verdichtet sind. Die konkrete Bedeutung dieser Prinzipien gilt es in der jeweiligen Situation auszuloten und abzuwägen. Im Prozess dieses Abwägens brauchen und schärfen wir zugleich unsere Urteilskraft2, vor allem in ethischen Fallbesprechungen, wie sie in der klinischen Ethik zunehmend praktiziert werden. Gerade bei diesen Fallbesprechungen wird selten ein einheitlicher theoretischer Ethik-Ansatz verfolgt; gute Theorie hat hier die Aufgabe unsere Vorannahmen, unsere „Anwendung“ von Prinzipien und deren Implikationen zu klären. Die „Fälle“, die besprochen werden, sind Situationen, eingebettet in Geschichten und Teil der Lebenserfahrung Anderer. Auch im Alltag erzählen wir alle uns von unseren Erlebnissen, wir erzählen unsere Geschichten – das ist etwas zutiefst menschliches. Das Besondere der ethischen Fallbesprechungen ist, dass die Teilnehmenden unter der Zielsetzung ethische Fragen zu bearbeiten, bewusst und methodisch strukturiert reflektieren, 3 diskutieren und verschiedene Perspektiven einnehmen. In pflegerischer und medizinischer Praxis sind es Krankengeschichten, die erzählt werden und in denen der Angesprochene tätig werden soll4. Wird die gleiche Krankengeschichte dem Nachbarn erzählt, geht es meist um Mitteilung und Anteilnahme und sie wird dementsprechend anders erzählt. Im pflegerischen und therapeutischen Kontext liegt in der Erzählung die Aufforderung tätig zu werden, also auf den weiteren Verlauf der aktuellen Geschehnisse heilend und lindernd einzuwirken und somit die Geschichte in eine bestimmte Richtung zu lenken – in der Hoffnung auf ein „Happy End“. Die Art und Weise, wie Pflegende tätig sind, ist durchaus verschieden von ärztlichen oder therapeutischen Tätigkeiten. Um ihre spezifisch pflegerischen Fragen und Probleme sowie ihre eigene Perspektive auf die Situation zu reflektieren, bedarf die Pflege einer eigenständigen Pflegeethik. Diese entwickelt sich in Deutschland zunehmend seit den 1990er Jahren. Gleichwohl ist m.E. Pflegeethik keine Sonderethik, die einer völlig anderen 2

3

4

Vgl. Kants Begriff der Urteilskraft. Im Bereich des Moralischen ist es Aufgabe der Urteilskraft, eine allgemeine, abstrakte Gesetzmäßigkeit der praktischen Vernunft auf Handlungen „in concreto“ anzuwenden, das heißt, es ist Aufgabe der Urteilskraft, zwischen allgemeinem Gesetz und konkreter Anwendung in der jeweiligen Situation zu vermitteln. Mit Johannes Fischer möchte ich so weit gehen zu sagen, dass unsere Fähigkeit ethische Prinzipien zu erkennen und ihre Bedeutung zu ermessen narrativ gegeben ist, also ohne Narration (als noch so kurze „Fallvignette“) nicht auskommt. Vgl. Johannes Fischer, Zum narrativen Fundament sittlicher Erkenntnis, Stuttgart 2010, 146–172. Wilhelm Schapp weist darauf hin, dass in bestimmten Kontexten Geschichten erzählt werden, damit jemand darin tätig wird, bspw. dem Rechtsanwalt oder dem Arzt wird eine gerade sich zutragende (Kranken)Geschichte erzählt, damit er ihren weiteren Verlauf in bestimmter Richtung beeinflussen kann. Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding, Frankfurt a.M. 1985, 107–116.

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theoretischen Basis bedürfe, abgesetzt von einer Ethik der Ergotherapie oder der Medizin.5 Im gemeinsamen Handlungsfeld der Heilberufe bearbeiten die jeweils spezialisierten Berufsgruppen eigene Aspekte und Bereiche und gewinnen dabei ihre spezifische Perspektive auf das gleiche Handlungsfeld und die gleichen Menschen, die sie gemeinsam betreuen. Insofern sollte die Zielrichtung der verschiedenen Bereichsethikansätze eine Ethik der Heilberufen sein, auf die von verschiedenen Seiten zugegangen wird, ohne sich auf einen moraltheoretischen Ansatz festlegen zu müssen. Gefordert ist ständig beides: die Eigenheiten der jeweiligen berufsspezifischen Tätigkeiten und Erfahrungen einerseits im Blick zu haben und andererseits die Gesamtsituation, die gemeinsamen Ziele, Fragen und Herausforderungen, die sich im Bearbeiten des gleichen Feldes stellen, nicht aus dem Blick zu verlieren. Sich um eine gemeinsame Sprache zu bemühen, ist für den konstruktiven Verlauf ethischer Fallbesprechungen und deren hilfreiche Auswirkungen auf die gemeinsame Praxis im Gesundheitswesen von ausschlaggebender Bedeutung. Voraussetzung jeder menschlichen Praxis sind wir selber als Menschen. Das scheint banal, ist aber nicht folgenlos, wenn wir es uns bewusst machen. Es ist unsere eigene menschliche Lebenspraxis mit der wir uns hier beschäftigen. Auch wenn dies auf wissenschaftliche Weise mit der gebotenen Distanz geschieht, geht es uns an als Mitbetroffene. Betroffen sind wir in verschiedenen Rollen, im Kontext von Pflege und Medizin als Patientin oder Patient, Therapeutin oder Therapeut, als Ärztin oder Arzt, als Seelsorgerin oder Seelsorger, als Pflegekraft. Rollenträger sind jeweils Menschen – kann ich selber sein. Wie verstehe ich mich als Mensch? Welches Menschenbild liegt meinen Urteilen und Entscheidungen zugrunde? In ethisch schwierigen Entscheidungen kommt mein Menschenbild zum Tragen – oft unbewusst. Ohne diese Voraussetzung, ohne unsere Selbstverständnisse und Vorannahmen mit zu reflektieren, läuft ethisches Denken Gefahr, in Prinzipienstreiterei abzugleiten oder an unserem Menschsein und unserer Bedürftigkeit vorbei zu gehen. Die Aufklärung unserer Vorannahmen und die Klärung unseres Selbstverständnisses sind Aufgaben philosophischer Anthropologie. Ethik braucht die Grundlage anthropologischer Reflexion. Damit ist allerdings kein Begründungszusammenhang gemeint, sondern das Mitdenken und Mitbedenken unserer mensch6 lichen Grundsituation, die, mit Rehbock gesagt, einen gemeinsamen Sinnhorizont für unser moralisches Handeln und ethisches Reflektieren bildet. Zu dieser Grundsituation gehören Bedingungen unseres Lebens, die unhintergehbar sind – wir können ihnen nicht entkommen, sie sind nicht erfunden oder behauptet, sondern gefunden: Leiblichkeit, Sprachlichkeit und Geschichtlichkeit, Begrenztheit und Sterblichkeit sind Rahmenbedingungen unseres Lebens, die wir uns nicht ausgesucht haben, sondern die wir vorfinden. Auch unsere Kulturalität ist eine solche Bedingung. Niemand lebt völlig ohne kulturellen Einfluss. Jede und jeder lebt eine 5 6

Hier stimme ich überein mit Theda Rehbock, Personsein in Grenzsituationen. Zur Kritik medizinischen Handelns, Paderborn 2005, 128–135. Vgl. a.a.O., 20–64.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

andere Geschichte und Kultur, gemeinsam ist uns, dass wir alle eine Geschichte haben und von unserer Herkunftskultur geprägt sind. Kultur Was ist nun diese „Kultur“, die uns prägt? Es wäre einfacher zu sagen: Kultur ist das, was uns prägt! Ein Zirkelschluss. Aber wenn wir der Frage nachgehen, was uns beeinflusst, erhalten wir wenigstens ein Stück weit Auskunft: Das Verhalten unserer Eltern und unserer Umgebung, die Werte, Erfahrungen, Interpretations- und Verhaltensmuster, die sie uns vorleben und in Geschichten weitergeben, wirken auf uns, also der Prozess der Sozialisation. Unsere Eltern sind ihrerseits in bestimmten Traditionen sozialisiert. All diese Faktoren, die Verhaltensweisen prägen, können nun als „Kultur“ zusammengefasst werden. Ein solcher Kulturbegriff ist aber sehr weit, so dass er fast nichts mehr aussagt und kaum von „sozialen Einflüssen“ unterscheidbar ist. Zugleich besteht die Gefahr, soziale, politische oder wirtschaftliche Phänomene zu kulturalisieren, also fälschlich auf Kultureinflüsse zurückzuführen. Unterschiede in Verhaltensweisen und Wertungsmustern können zwischen sozialen Schichten weitaus größer sein als zwischen verschiedenen ethnischen oder nationalen Gruppen. Tatsächlich ist die Diskussion um den Kulturbegriff bzw. um das Verständnis 7 von Kultur inzwischen unüberschaubar, und diese Vielfalt und Verwirrung zeigt sich auch in den unterschiedlichen Konzepten von Kultur, die Modellen zu kultursensibler, interkultureller oder transkultureller Pflege zugrunde liegen. Ob das Wort „Kultur“ überhaupt als Begriff dienen kann, wird zum Teil radikal hinterfragt, da die Bedeutungsvielfalt derart ausufernd ist, dass sich kaum mit solch einem unbestimmten Begriff arbeiten lässt.8 Auch die Verwendung der Worte interkulturell, multikulturell und transkulturell zeigt sich bei genauerer Betrachtung als nicht einheitlich. „Interkulturell“ bezeichnet von der wörtlichen Bedeutung her das „Zwischen“ den Kulturen und impliziert somit ebenso wie „multikulturell“ das Bestehen verschiedener kultureller Blöcke oder Einheiten, die in sich abgeschlossen sind, die aber als „viele“ (multi) nebeneinander gleichwertig sind und „zwischen“ denen es Austausch und Verständigung geben kann. Allerdings gibt es auch hier unterschiedliche Auffassungen und Interpretationen, ebenso wie bei der Verwendung von „transkulturell“, das teilweise eher die Durchlässigkeit von Kulturen

7

8

Vgl. z.B. Jürgen Straub/Arne Weidemann/Doris Weidemann (Hrsg.), Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Grundbegriffe–Theorien–Anwendungsfelder, Stuttgart 2007; Roland Brühe/Annette Lauber, Kultur im Spiegel empirischer Pflegeforschung. Eine vergleichende Analyse empirischer pflegewissenschaftlicher Studien zum Themenbereich Kultur und Pflege, München 2007. Sowie Dagmar Domenig, Transkulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pfle2 ge, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern 2007. Vgl. Rolf Elberfeld, Sprache und Sprachen, Eine philosophische Grundorientierung, Freiburg/ München 2012, 281–303.

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meint, zum Teil das bezeichnet, was über die Kultur hinausgeht und kulturunabhängig ist.

2.

Interkulturalität, Pflege und Pflegeethik

Für die Frage, was Interkulturalität in der Pflege und Pflegeethik bedeutet, erscheint es sinnvoll, Kulturalität zu bestimmen als unser Geprägt-Sein, das sich nach außen sichtbar (phänomenal) in unseren alltäglichen Gewohnheiten und Verhaltensmustern zeigt.9 Zugrunde liegt diesen Verhaltensweisen ein Geflecht von Bedeutungen und Deutungsmustern, die im Verlauf der Sozialisation erworben werden und die unsere Lebenspraxis und unsere Identität (mit) konstituieren. Deutungs-und Verhaltensmuster weisen zwar innerhalb bestimmter Gruppen Ähnlichkeiten auf,10 wodurch sich diese Gruppen identifizieren lassen, sind zugleich jedoch hochindividuell, denn wir identifizieren uns nicht mit allem, was uns in unserem Umfeld, in unserer „Kultur“ begegnet. Dass, womit wir uns wirklich identifizieren, hat entsprechende Wichtigkeit für uns. So ist bspw. die Einhaltung religiöser Praktiken wie Essensvorschriften nur für den wichtig, der sich stark damit identifiziert. Unsere Identität ist verletzlich und empfindlich. Deswegen können Missverständnisse und Missachtung kultureller Eigenheiten heftige Reaktionen auslösen. Mit Werten, Deutungs- und Handlungsmustern beschäftigen wir uns auch im Kontext (pflege)ethischer Fragen und Konflikte. Welche Konflikte kommen durch soziokulturell unterschiedlich geprägte Werte und Deutungen und den darauf beruhenden Handlungen zustande oder werden davon in verstärktem Maße beeinflusst? Wie sind diese zu beurteilen und zu lösen? Im Folgenden sollen Interkulturalität und Ethik bezogen auf das Handlungsfeld der Pflege betrachtet werden.

9

10

Marschelke skizziert den Kulturbegriff für den interkulturellen Diskurs um die Menschenwürde aus der interkulturellen Theorie. „Kultur“ wird hier deskriptiv verstanden und integriert den Alltagskontext, erfasst die intrakulturelle Vielfalt, versteht Kultur nicht als homogenes Gebilde, sondern als dynamisch und hybrid und beschreibt dabei dennoch gemeinsame Muster und Rahmenbedingungen. Siehe Jan-Christoph Marschelke, Grundbegriffe der interkulturellen Theorie und der Begriff der Menschenwürde, in: Jan C. Joerden/Eric Hilgendorf/Felix Thiele (Hrsg.), Menschenwürde und Medizin. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2013, 393–415. Innerhalb größerer Gruppen z.B. nationaler Gemeinschaften bestehen zudem mit mehr oder weniger Überschneidung verschiedene andere Gruppen, denen jedes Individuum in eigener „Mischung“ angehört oder nicht angehört: soziale, ethnische, religiöse, Alters-, Interessen- Berufsgruppen etc. Manche dieser Gruppen und ihre Lebenswelt werden als „Subkultur“ bezeichnet, was noch einmal mehr die Spannweite des Wortes „Kultur“ zeigt.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

Handlungsfeld Pflege Pflege ist eine dialogische Tätigkeit,11 eine dialogische und leibnahe Tätigkeit in Grenzsituationen des Lebens.12 Krankheit, Sterben und Tod, Alter, Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit, Angst, aber auch Geburt, gesund Werden, Heilung und Hoffnung sind universale Urerfahrungen des Menschseins,13 die einem im Handlungsfeld der Pflege ständig begegnen und mit denen zwar in jedem kulturellen Umfeld anders umgegangen wird, mit denen aber überall irgendwie umgegangen werden muss. Diese Grenzsituationen fordern von allen Menschen, sie zu bewältigen. Alltägliche und zugleich existentiell berührende Situationen liegen in der Interaktionsarbeit der Pflege dicht beisammen. Selbstverständliches, Alltägliches nicht mehr eigenständig verrichten zu können, wird von Betroffenen oft als Erschütterung und Krise erlebt. Diese alltäglichen und selbstverständlichen Tätigkeiten stellen das Urthema der Pflege dar: wachen und schlafen, sich bewegen, essen und trinken, ausscheiden, sich waschen und kleiden, kommunizieren, Sinn finden, für Sicherheit sorgen etc. und bilden in jeweils etwas abgewandelten Formen als Aktivi14 täten des täglichen Lebens die zentrale Grundlage von Pflegekonzepten. Diese Aktivitäten des täglichen Lebens beziehen sich auf unsere menschlichen Grundbedürfnisse,15 die insofern universal sind, als sie mit unserem leiblichen Menschsein und unserer menschlichen Grundsituation verbunden sind. Nicht universal ist die Weise, in der wir es gewohnt sind, diese Aktivitäten zu vollziehen. In ihrer konkreten Ausführung unterliegen diese Lebensvollzüge soziokultureller Prägung – wie wir essen, uns kleiden oder pflegen, lernen wir in unserer Umgebung von Kindheit an. Die Geformtheit unserer Verhaltensweisen und Handlungsmuster ist uns meist nicht bewusst und in unseren alltäglichen Vollzügen umso mehr „verborgen“ als sie uns so selbstverständlich sind. Einige Modelle kultursensibler Pflege orientieren sich an diesen ATLs, denn hier liegen Kernaufgaben der Pflege und hier begegnen Pflegekräften wohl die meisten Konflikte im interkulturellen Kontext. Hinsichtlich kultureller Gewohnheiten bei der Körperpflege kann es beispielsweise wichtig sein, nur fließendes Wasser zu

11 12 13 14

15

Vgl. Björn Giesenbauer/Jürgen Glaser, Emotionsarbeit und Gefühlsarbeit in der Pflege – Beeinflussung fremder und eigener Gefühle, Wiesbaden 2006. Zu Grenzsituationen siehe Karl Jaspers, Philolosophie II. Existenzerhellung, Berlin/Göttingen/ Heidelberg 1956, 201f, sowie Rehbock, Personsein in Grenzsituationen, 17–69. Vgl. Manfred Negele (Hrsg.), Liebe, Tod, Unsterblichkeit. Urerfahrungen der Menschheit im Gilgamesch-Epos,Würzburg 2011, 9–12. ATL = Aktivitäten des täglichen Lebens (Juchli); AEDL = Aktivitäten und existentielle Erfahrungen des Lebens (Krohwinkel); ABEDL = Aktivitäten, Beziehungen und existentielle Erfahrungen des Lebens. Vgl. Uta Oelke, In guten Händen, Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheitsund Kinderkrankenpflege, Berlin 2008, 386–410. Dabei handelt es sich (auch bei leiblichen) Bedürfnissen keineswegs rein um physiologische Bedürfnisse, sondern, wie bspw. an den ATLs „kommunizieren“ oder „Sinn finden“ zu sehen ist, auch um psychische, soziale oder spirituelle Bedürfnisse.

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benutzen, Schamgrenzen gegenüber andersgeschlechtlichen Pflegekräften können ausgeprägter sein oder Zeitpunkt und Häufigkeit des Waschens können variieren. Interkulturalität in Pflege und Pflegeethik Das Thema Interkulturalität wird insbesondere seit Ende der 1990er Jahre in der deutschsprachigen Pflege-Literatur sehr intensiv bearbeitet, aus pflegewissenschaftlicher und pflegepädagogischer Perspektive und im Hinblick auf soziologische, sozialpsychologische und ethnologische Aspekte. Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zu interkultureller Altenpflege, transkultureller Sterbebegleitung, seelischer Gesundheit von Migranten und kultursensibler Pflege allgemein.16 Das Thema Migration und Gesundheit findet sich in Pflegelehrbüchern, Zeitschriften und Monographien. Thematische Schwerpunkte sind dabei sowohl Informationen über Migration, Forschungen zu Migration und Gesundheit, kulturell und religiös geprägte Verhaltensweisen, die im Pflegealltag relevant sind (und das sind die meisten) sowie die Beschäftigung mit sozialpsychologischen Themen wie Stereotype, Vorurteile, Fremdheitserfahrung etc. Implizit wird dabei eine große Bandbreite ethischer Probleme und Fragestellungen mit erwähnt und bearbeitet; im Grunde ist die Beschreibung von bspw. religiösen Werthaltungen durchaus eine deskriptive (beschreibende) Ethik. Explizit wird das Thema Ethik in diesen Arbeiten aber fast nicht erwähnt. Umgekehrt wird in explizit pflegeethischen Arbeiten das Thema Kultur und Kulturalität bisher nur selten eigenständig behandelt. Bevor im Folgenden darauf näher eingegangen wird, sollen zwei Konzepte kultursensibler Pflege kurz vorgestellt werden. Zum einen das Sunrise Modell von Madleine Leininger, da es das Pionierstück kultursensibler Pflege ist, zum anderen das Konzept der transkulturellen Kompetenz von Dagmar Domenig, da es ein aktuelles, differenziertes und ausgereiftes Modell aus dem deutschsprachigen Raum ist, das zunehmend in Aus- und Fortbildung Eingang findet. Kultursensible Pflege – Leiningers Sunrise Modell Madeleine Leininger, Pflegefachkraft und Ethnologin (cultural anthropologist), begründete bereits in den 1950er Jahren in den USA die transkulturelle Pflege als

16

Vgl. bspw. Charlotte Uzarewicz (Hrsg.), Transkulturelle Pflege. Curare-Sonderband 10, Berlin 1997. Andrea Zielke-Nadkarni/Wilfried Schnepp (Hrsg.), Pflege im kulturellen Kontext. Positionen, Forschungsergebnisse, Praxiserfahrungen, Bern 2003. Dagmar Domenig (Hrsg.), Transkul2 turelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern 2007; Thomas Hax-Schoppenhorst/Stefan Jünger, Seelische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund. Wegweiser für Pflegende, Stuttgart 2010. Elke Urban, Transkulturelle Pflege am Lebensende. Umgang mit Sterbenden und Verstorbenen unterschiedlicher Religionen und Kulturen, Stuttgart 2012. Monika Paillon, Kultursensible Altenpflege. Ideensammlung mit Fokus Demenz, München 2012.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

eigenes Gebiet der Pflegewissenschaft, in dem sie fortwährend weiter forschte.17 In den 1980ern stellt sie die Dimensionen der transkulturellen Pflege im so genannten „Sunrise Modell“ dar: Pflegehandeln, -wissen und -praxis werden im Rahmen eines kulturellen Weltverständnisses gesehen, das sich ausdifferenziert in kulturelle und soziale Strukturen von Familie, Erziehung, wirtschaftliche, rechtliche und politische Aspekte, religiöse Einflüsse etc. Diese Einflussfaktoren stehen in gegenseitiger Wechselwirkung. Ziel der Pflege ist ganzheitliche Gesundheit. Dafür sollen kulturspezifische Pflegepraktiken erkannt und so weit möglich genutzt werden. Der zentrale Gedanke Leiningers dabei ist, dass es „human care“ in allen Gesellschaften gibt, aber die konkrete Ausgestaltung in jeder Kultur anders ist. Mit ihrem Forschungsmodell wurden über fünzig „Kulturen“ auf ihre Pflegepraktiken hin beforscht. Grundlage dieser Methode ist das inzwischen in der Ethnologie längst überholte klassische Bild von Kultur als komplexer Einheit. Ergebnis ihrer Forschungen sind dementsprechend Listen mit Eigenschaften bestimmter Gruppen, die dann auf die jeweilige Person angewendet werden (z.B. „die“ mexikoamerikanische Mutter). Diese Starrheit, die der Stereotypisierung von kulturellen Eigenheiten Vorschub leistet, ist der größte Kritikpunkt an Leiningers Modell. Unbenommen ist jedoch ihre Pionierleistung auf diesem Gebiet. Beachtlich scheint mir zudem, dass es vom Modell her möglich ist, die kulturelle Prägung eigener Pflegepraktiken mit zu reflektieren. Traditionelle sowie professionelle Vorstellungen und Systeme von Pflege stehen sich gegenüber und so kann ihr Einfluss auf das eigene Handeln in der Pflege wahrgenommen werden. In der praktischen Umsetzung des Modells besteht aber die Gefahr, eher bei der Etikettierung Anderer zu bleiben. Transkulturelle Kompetenz nach Dagmar Domenig In diesem Sinne kritisiert auch Dagmar Domenig das Konzept von Leininger und entwickelt ihren dynamischen Begriff von Transkulturalität u.a. im Rückgriff auf Dornheim, die einen selbstreflexiven Kulturbegriff vertritt. Diesen versteht sie als heuristisch, also als Werkzeug des Erkenntnisgewinns konstruiert. Selbstreflexiv ist ihr Kulturbegriff insofern als eigene Auffassungen, Einstellungen und Positionen immer mit durchleuchtet und geklärt werden sollen. Insbesondere die Elemente Selbstreflexivität und Narrativität macht Domenig in ihrem Konzept der transkulturellen Kompetenz fruchtbar. „Kultur“ versteht sie als dynamische, fortwährende, individuelle und kollektive Konstruktion eigener Lebenswelten. Erst vor dem Hintergrund dieser eigenen Deutungsmuster und Konstruktionen erscheint das Frem-

17

Vgl. für diesen Abschnitt: Madeleine Leininger, Culture Care Diversity and Universality. A Theory of Nursing. in: National League for Nursing Press, New York 1991. Domenig, Transkulturelle 2 Kompetenz, 2007, 165–189; Oelke, In guten Händen, 127–132.

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de als fremd. Domenig präferiert in Anlehnung an Welsch den Ausdruck Transkulturalität.18 Transkulturalität nach Domenig fordert auf „nicht nur Unterschiede sondern auch Gemeinsamkeiten zu entdecken und durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen und Verstehen Abgrenzung und Ausgrenzung zu verhindern. Denn Transkulturalität entsteht zwischen Menschen.“19

Interaktion steht folglich im Mittelpunkt von Domenigs Konzept. Dieser Mittelpunkt ist zugleich Schnittmenge der drei Säulen der transkulturellen Kompetenz. Diese sind: − Hintergrundwissen, Erfahrung − Selbstreflexion − narrative Empathie Das Zusammenspiel dieser drei Säulen in der Interaktion ermöglicht sensible Beziehungsgestaltung in individuellen Lebenswelten ohne den Anderen als „Türkin“, „Asiate“ oder „typisch…“ zu etikettieren. Für den pflegerisch-medizinischtherapeutischen Kontext ermöglicht transkulturelle Kompetenz die Verständigung über Krankheits- (Illness-/Disease) Erklärungsmodelle. Domenig definiert: „Transkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, individuelle Lebenswelten in der besonderen Situation und in unterschiedlichen Kontexten zu erfassen, zu verstehen und entsprechende, angepasste Handlungsweisen daraus abzuleiten.“20

Sicherlich kann gefragt werden, inwieweit das „Verstehen“ möglich und überhaupt angemessen ist. Wie andere „ganzheitliche“ Konzepte auch, birgt Domenigs Pflegeanamnese in ihrer Vollständigkeit die Gefahr, übergriffig zu werden – der Andere wird von Kopf bis Fuß durchleuchet und erfasst. Hier ist ethische Reflexion nötig, die die Autonomie des Menschen in den Fokus rückt, den wir als Patienten betreuen, um ihn gegen Vereinnahmung zu schützen und der Grenzen unserer professionellen Erfassung gewahr zu werden. Ethische Reflexion ist diesbezüglich bei vielen Konzepten im Gesundheitswesen geboten. Große Stärken des Konzeptes von Domenig sind der zentrale Fokus auf Interaktion, die Achtsamkeit für kulturelle Gewohnheiten und Deutungsmuster bei gleichzeitiger Wachsamkeit gegenüber Stereotypen, sowie die Betonung des Individuellen – jede Person lebt „ihre“ Kultur anders und es geht darum, gemeinsam herauszufinden, wie ethnische Identität den Umgang mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit beeinflusst.

18

19 20

Wobei ihr Verständnis von Transkulturalität nicht mit dem von Welsch deckungsgleich ist. Vgl. Wolfgang Welsch, Transkulturalität. Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen, in: Kurt Luger/Rudi Renger (Hrsg.), Dialog der Kulturen. Die multikulturelle Gesellschaft und die Medien, Wien 1994, 147–169. Domening, Transkulturelle Kompetenz, 173. A.a.O., 174.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

Interkulturalität als Thema der Pflegeethik Der sehr intensiven Beschäftigung mit Kulturalität aus pflegewissenschaftlicher Perspektive, die aber kaum explizit ethische Probleme benennt, steht die bisher nur wenig explizite Auseinandersetzung auf pflegeethischer Ebene mit Fragen und Problemen im interkulturellen Kontext gegenüber. Vermuten könnte man, dass dies an der Selbstverständlichkeit der Prämisse liegt, die Menschenwürde zu achten. Alle Patienten gleich zu behandeln entspricht dem beruflichen Ethos der Pflege. Im Ethikkodex des International Council of Nurses, der bereits 1953 erstellt und mehrfach überarbeitet wurde, hieß und heißt es: „Pflegende haben vier grundlegende Aufgaben: Gesundheit zu fördern, Krankheit zu verhüten, Gesundheit wiederherzustellen, Leiden zu lindern. Es besteht ein universeller Bedarf an Pflege. Untrennbar von Pflege ist die Achtung der Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben, auf Würde und auf respektvolle Behandlung. Pflege wird mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur, einer Behinderung oder Krankheit, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Nationalität, der politischen Einstellung, der ethnischen Zugehörigkeit oder des sozialen Status ausgeübt.“21

Kultursensibler Pflege kann wohl hohe moralische Motivation und Kompetenz zugeschrieben werden. Das Anliegen hat in sich einen hohen moralischen Anspruch. Betont wird bspw. immer wieder, dass „fremde“ Bedürfnisse zu respektieren sind. Darin drückt sich der Anspruch aus, die Würde und Autonomie des Anderen zu achten. Theorien und Modelle kultursensibler Pflege können so vielleicht auch als Ausdruck und Ausarbeitung des Prinzips der Menschenwürde22 gesehen werden – Moral ist hier inhärent, wie dem Pflegehandeln überhaupt. Dennoch bzw. gerade weil moralisch so viel gefordert ist, bedarf es der ethischen Reflexion.23 Die Pflegeethik ist, insbesondere in Deutschland, eine noch sehr junge Disziplin und ihre Pioniere wie Marianne Arndt (Ethik denken 1996), Ruth Schwerdt, Moni21 22

23

11

Susanne Schewior-Popp et al., Thiemes Pflege, Stuttgart/New York 2009, 162. Im neu erschienenen Band Jan C. Joerden/Eric Hilgendorf/Felix Thiele (Hrsg.), Menschenwürde und Medizin. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2013 wird das Konzept der Menschenwürde auch aus pflegerischer Sicht bzw. mit Blick auf Pflegehandlen untersucht (Heike Baranzke, Menschenwürde und Pflege: Sozial-, handlungs- und haltungsethische Dimensionen, in: a.a.O., 635–650; Monika Bobbert, Menschenwürde und Pflege: Schutz der Handlungsfähigkeit, in: a.a.O., 651–666). Bobbert erwähnt, dass das mit der Menschenwürde zusammenhängende Autonomierecht nur gewahrt werden kann, wenn die individuelle Lebensführung berücksichtigt wird. Das heißt soziokulturelle Hintergründe müssen berücksichtigt werden, was möglicherweise bestimmten Pflegestandards widersprechen kann. Als positives Beispiel nennt Bobbert an dieser Stelle die Pflegestandards von Germeten-Ortmann, die die Berücksichtigung kultureller und religiöser Gewohnheiten mit einbeziehen. Rabe schreibt hierzu: „Denn die Pflege ist als Grundform menschlicher Hilfe und Solidarität mit den Schwachen grundsätzlich moralisch motiviert, aber durch die Konfrontation mit Grenzsituationen und eigener Fehlbarkeit ebenso grundsätzlich auf ethische Reflexion verwiesen.“ (Vgl. Marianne Rabe, Ethik in der Pflegeausbildung. Beiträge zur Theorie und Didaktik, Bern 2009, 104– 105)

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ka Bobbert oder Chris Gastmanns waren damit beschäftigt, die Grundlagen zu klären: die Berechtigung und Begründung einer eigenständigen Pflegeethik, ihr Verhältnis zu Medizinethik, sowie die Frage nach genuin pflegeethischen Werten und Prinzipien. Einen großen Raum nahmen auch Anwendungsfragen, ethische Falldiskussionen und die Vermittlung von (pflege)ethischem Fachwissen ein. Das Thema Pflegeethik ist aber immer noch nicht selbstverständlich Teil von Aus- und Fortbildung. Ehtik wurde und wird häufig als allgemeine Ethik oder Medizinethik unterrichtet, oft wird Ethik mit Religionsunterricht und dem Thema Tod und Sterben assoziiert. Der eigenständige Diskurs der Pflegeethik ist – in der Praxis und auch in wissenschaftlichen Diskussionen – noch nicht überall angekommen. In den letzten Jahren zeigt sich eine deutliche Erweiterung und Vertiefung der Themen pflegeethischer Publikationen und Beiträge im deutschsprachigen Raum, wie bspw. pflegeethische Reflexion zu Pflegemanagement, Rationierung, Global 24 Ethics und Public Health. Allerdings fallen explizite Diskussionen zu Fragestellungen von Interkulturalität immer noch gering aus. Aufgaben der Pflegeethik im Kontext von Interkulturalität Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, möchte ich auf einige Aspekte hinweisen, die zu bearbeiten mir als wichtige Aufgaben der Pflegeethik hinsichtlich kutlureller Differenz erscheinen. Viele dieser Aspekte werden in den Ansätzen und Modellen kultursensibler Pflege beachtet bzw. stellen gerade die Aufgabe kultursensibler Pflege dar. Jedoch, wie bereits dargestellt, ist der ethische Blickwinkel eher implizit dabei und es ist m.E. wichtig, ethische Fragen explizit zu benennen und zu diskutieren. Eine solche Auseinandersetzung erbringt für die Pflegepraxis und die klinische Ethikberatung eine wichtige Orientierungshilfe, da es zunehmend Konflikte im Kontext kultureller Differenz zu bewältigen gilt. Einige anstehende Aufgaben für pflegeethische Reflexion im Feld kultursensibler Pflege möchte ich anhand der von Rabe vorgeschlagenen Prinzipien für die Ethik in der Pflege nennen. Diese 25 sechs formalen Prinzipien wurden als „kritische Grundorientierung“ für die Pflegepraxis gewählt, das heißt sie sind nicht inhaltlich festgelegt, sondern sollen helfen, die Praxis zu reflektieren. Im Mittelpunkt steht die Würde als übergeordnetes und unbestimmtestes Prinzip, auf das sich Autonomie, Fürsorge, Verantwortung, Gerechtigkeit und Dialog beziehen. Sie stellen gewissermaßen eine beginnende

24

25

Beispielsweise: Settimio Monteverde (Hrsg.), Handbuch Pflegeethik. Ethisches denken und handeln in Praxisfeldern der Pflege, Stuttgart 2012; Mareike Tolsdorf, Die Rolle der Pflege in der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, in: Wiebke Bornschlegel/Andreas Frewer/Maren Mylius (Hrsg.): Medizin für „Menschen ohne Papiere“. Menschenrechte und Ethik in der Praxis des Gesundheitssystems, Göttingen 2011; Andrea ZielkeNadkarni, Interkulturelle Herausforderungen durch Patienten mit Migrationshintergrund für die Intensivpflege, in: Fred Salomon (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin, Berlin 2009. Rabe, Ethik in der Pflegeausbildung, 125.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

Konkretisierung und Ausdifferenzierung des Würdebegriffs dar und stehen auch miteinander in engem Zusammenhang. Die Balance zwischen Fürsorge und Autonomie ist ein immer wiederkehrendes Thema im Pflegealltag. Fürsorglichkeit tappt leicht in die maternalistische Falle; Achtung der Autonomie ohne Fürsorge kann schnell zu Gleichgültigkeit oder Vernachlässigung führen.26 Im Hinblick auf kulturelle Differenzen zeigt sich der innere Zusammenhang der beiden Prinzipien sehr deutlich: Eine Fürsorge, die dazu dient, soziokulturell geprägte Gewohnheiten und Weisen der Bedürfniserfüllung so weit möglich zu erhalten, stärkt zugleich die Autonomie der zu betreuenden Menschen. Im Kontext Pflegeheim oder Krankenhaus stellt sich die Herausforderung, die Bedürfnisse der Mitbewohner und Nachbarpatienten gegenseitig zu berücksichtigen (was auf Fragen der Gerechtigkeit verweist). Besonders konfliktträchtig ist hier die Einstellung zu Familie und zu Geschlechterrollen. Was bedeutet Fürsorge, wenn jemand körpernahe Unterstützung nicht von Fremden durchführen lassen möchte? Oder wenn es die Familie als ihre Pflicht kennt, ihren Angehörigen im Krankenhaus zu verköstigen? Was heißt Autonomie für einen Patienten, der es gewohnt ist, Entscheidungen nicht ohne Einverständnis der Familienältesten zu fällen oder für eine Frau, zu deren Selbstverständnis es gehört, sich nicht öffentlich zu äußern? Und wie sollen wir damit umgehen?! Hier braucht es von ethischer Seite zunächst immer wieder ein achtsames bewusst Machen eigener Einstellungen und Urteile – und die vertiefte, diskursive Auseinandersetzung. Fragen der Gerechtigkeit beziehen sich, wie oben angedeutet, auf Möglichkeiten und Grenzen individuelle Bedürfnisse unter institutionellen Rahmenbedingungen mit endlichen Ressourcen zu erfüllen. Das betrifft im Grunde alle Patientinnen und Patienten. Es ist tatsächlich eine wichtige Frage, ob die Versorgung „kulturfremder“ Patienten qualitativ anders ist oder sein soll als für „einheimische“. Individuell große Unterschiede und Fremdheitserfahrung gibt es auch „intrakulturell“ bzw. innerhalb nationaler Gruppen. Für die Pflege ist letztlich eine Orientierung an individuellen Bedürfnissen und Lebenswelten immer erforderlich. Unterschiede oder Aspekte, die unsere besondere Aufmerksamkeit erfordern, gibt es m.E. zum Beispiel hinsichtlich belastender Migrationserfahrungen (Flucht, Trauma), sprachlicher Barrieren und bezüglich der Anpassung an „Selbstverständlichkeiten“ im Alltag. Unsere Institutionen sind an einem gewissen gemeinsamen Maß ausgerichtet, das uns vertraut ist, was bspw. den Speiseplan, Zahl der Betten im Zimmer, Zeitstruktur etc. betrifft. Für „Fremde“ ist dieses „Normalmaß“ eben fremd und die Anpassung an die Krankenhauskultur kann ungleich schwerer sein. Die Herausforderung durch die Konfrontation mit anderen Werthaltungen und Lebensweisen ist sicher für beide Seiten, die Fachpersonen wie die zu Betreuenden, hoch – eigene Werte und Gewohnheiten werden möglicherweise drastischer in Frage gestellt als in „intrakulturellen“ Begegnungen. Eine Konfrontation mit möglicherweise schwer26

Vgl. Rehbock, Personsein, 312–335.

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wiegenden Folgen betrifft unterschiedliche Konzepte von Gesundheit und Krankheit. Die Wertfragen, die damit verbunden sind, bleiben leicht verdeckt und bedürfen dringend ethischer Reflexion, denn sie spielen eine zentrale Rolle für sämtliche Entscheidungen. Die Frage nach der Gerechtigkeit stellt sich allerdings schon bevor jemand ins Krankenhaus kommt: Zugang zu pflegerischer und medizinischer Versorgung (bzw. sich zuzutrauen Institutionen aufzusuchen und zu wissen, wohin man sich wenden kann) ist nicht selbstverständlich. Hieran knüpft sich die Beachtung des Prinzips Verantwortung: Versorgung von Migrantinnen und Migranten braucht Verantwortungsübernahme auf individuell professioneller, auf institutioneller und gesellschaftlicher Ebene. Hier müssen organisations- und sozialethische Aspekte in die Diskussion einbezogen werden. Verantwortung übernehmen heißt auch das nötige Wissen haben. Aus ethischer Sicht ergibt sich damit dringend die Forderung nach Ausbildung transkultureller Kompetenz auf allen Ebenen und für alle beteiligten Berufsgruppen. Hervorzuheben ist für den interkulturellen Kontext die zentrale Bedeutung des Dialoges. Rabe sieht im Dialog sowohl ein Mittel der Kommunikation als auch die grundlegende Weise der Anerkennung der Würde des Anderen. Kulturelle und sprachliche Differenz können den Dialog erheblich erschweren. Es zeigt sich immer wieder, dass Patienten, die sich verbalsprachlich nicht oder nur eingeschränkt äußern können, sei es aufgrund gesundheitlich bedingter Störungen oder wegen 27 Fremdsprachigkeit, häufig weniger ernst genommen werden. Werden Sprachbarrieren nicht überbrückt, behindern sie Kommunikation auf zweifache Weise: der Austausch wichtiger Informationen wird erschwert oder unterbleibt gar und der Zugang zu anderen Deutungshorizonten über Erzählungen des Patienten bleibt verschlossen. Einen Informed Consent zu verwirklichen, der auch für Pflegehandlungen anzustreben ist, ist hier selbst im Falle relativ unproblematischer, alltäglicher Tätigkeiten und Entscheidungen extrem schwierig. Die Bedeutung und Tragweite nonverbaler und leiblicher Kommunikation muss im Kontext der (Pflege-) Ethik wahrgenommen und überdacht werden. Begründet man die Notwendigkeit, professionelles Dolmetschen in Institutionen zu gewährleisten aus ethischer Perspektive, zeigen sich alle genannten Prinzipien in ihrem Zusammenhang: Dolmetschen ermöglicht den Dialog, was Ausdruck der Würdigung des Anderen ist und Kommunikation im Sinne von Informationsaustausch und Verständigung sicherstellt. Information und Aufklärung ist für den Patienten unerlässlich um einen Informed Consent zu erreichen und (somit) Autonomie verwirklichen zu können. Um für seine Bedürfnisse sorgen zu können, brauchen wir Verständigung. Den Dialog aufgrund sprachlicher Barrieren nicht aufzubauen, wäre eine Vernachlässigung unserer Fürsorgepflicht und Verletzung der Gerechtigkeit, denn dem Patienten kann so nicht die Betreuung zukommen, die ihm zusteht. Um eine würdevolle und qualitativ gute Pflege und Behandlung zu 27

Vgl. Verena Dreißig, Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus. Eine Studie zur Interaktion zwischen Klinikpersonal und Patienten mit Migrationshintergrund, Bielefeld 2005.

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Interkulturalität als Thema der Pflegeethik

gewährleisten liegt es also in unserer Verantwortung bei sprachlichen Schwierigkeiten den Weg über professionelle Dolmetscher zumindest zu versuchen. Im Verantwortungsbereich der Institution liegt das Bereitstellen, in der Verantwortung der Mitarbeiter das angemessene Anfordern dieser Möglichkeit.

3.

Transkulturelle pflegeethische Prinzipien?

Brauchen wir für interkulturelle Situationen nicht allgemein gültige Prinzipien? Woran sollen wir uns in der Pluralität von Werten und Deutungen orientieren? Ob und wie es universale ethische Prinzipien geben kann, ist eine große Frage, die hier nicht angemessen beantwortet werden kann. Einen Ansatz zu transkulturellen (im Sinne von Domenig) pflegeethischen Prinzipien, möchte ich dennoch wagen und hier skizzieren. Hierfür beziehe ich mich wieder auf das Konzept von Rabe, da es sowohl in seiner philosophischen Begründung als auch in der praktischen Umsetzbarkeit zentrale Anknüpfungspunkte bietet. Ausschlaggebend ist an Rabes Konzept, dass die Prinzipien nicht Prinzipien mittlerer Reichweite sind (wie bspw. die in der Medizinethik vorherrschenden vier 28 Prinzipien von Beauchamp und Childress ), sondern Reflexionsbegriffe im kantischen Sinn. Als solche „dienen die Prinzipien der Rückbesinnung auf den anthropologischen und moralischen Sinnhorizont unserer Existenz. Kant verwendet den Ausdruck «Reflexionsbegriffe» für solche Begriffe, die sich nicht direkt auf Gegenstände der Erfahrung beziehen, sondern auf die Bedingungen möglicher Erfahrung. «Grundbegriffe wie Menschenwürde, Autonomie, Gerechtigkeit oder der Kategorische Imperativ beruhen auf nachträglichen Abstraktionen gegenüber der moralischen Praxis» schreibt Rehbock (Rehbock 2005b:114). Sie haben keine eigene Realität, sondern helfen, die moralische Praxis zu reflektieren.“29

Als ethische Reflexionsbegriffe müssen diese Prinzipien auf die jeweilige Situation bezogen und in ihrer Bedeutung für diese konkrete Situation erschlossen werden. Situationsbezug und Universalität schließen sich also gerade nicht aus, sondern sind verbunden und ergänzen sich gegenseitig: Als übergeordnete Orientierungen müssen Prinzipien eher allgemein und formal sein, also inhaltlich nicht völlig ausgefüllt und festgelegt, sonst werden sie zu rigiden Handlungsanweisungen, die ohnehin nicht für jede Situation zutreffend sein können. Sollen sie aber für die jeweilige Situation nicht sinnleer bleiben, müssen sie in Bezug zum konkreten Kontext gedeutet werden. Was bedeutet Fürsorge in dieser Situation für diesen Menschen? 28

29

6

Siehe Tom L. Beauchamp/James F. Childress, Principles of Biomedical Ethics, Oxford 2009. Gleichwohl bieten diese vier eine gute Basis für eine gemeinsame Sprache in einer Ethik der Heilberufe. Rabe, Ethik in der Pflegeausbildung, 124.

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Durch die Explikation der Situation (in Erzählungen) und durch kritische Reflexion zeigt sich die jeweilige, praktische Bedeutung der zunächst nur vage bestimmten Prinzipien – sie werden gleichsam lebendig. Für das Erfassen der Bedeutung universaler Prinzipien im Einzelfall sieht auch Rabe die Urteilskraft im kantischen Sinn als zentrale Fähigkeit an. Die universale Geltung der Prinzipien als Reflexionsbegriffe beruht nicht auf Deduktion oder tradierter inhaltlicher Festlegung. Sie besteht aufgrund der gegenseitigen Anerkennung des Anderen als Person und aufgrund der Achtung der Würde des Anderen vor dem Hintergrund unserer conditio humana. Dieses Geltungsverständnis sowie die Kontextualität der konkreten Bedeutung der Prinzipien, machen dieses Konzept m.E. „transkulturell kompetent“. Es geht in diesem Verständnis von Prinzipien nämlich nicht um die moralische Beurteilung des Handelns des Anderen aufgrund eigener, inhaltlich festgelegter Werte, ebenso wenig um die Rechtfertigung meiner Handlungen aufgrund eigener kultureller oder sozialer Normen. Vielmehr werden eigene und fremde Werte und Normen im größeren Rahmen anthropologischer Grundbedingungen reflektiert und ihre Bedeutsamkeit in der jeweiligen Situation erschlossen. Das mag im interkulturellen Kontext eine größere Herausforderung darstellen, wenn unsere Interpretationsmuster und unser gesamter Deutungsrahmen in Frage gestellt werden. Dennoch kann ich die Würde und Autonomie des Anderen, der mir fremd erscheinen mag, wahren, auch wenn seine Wertvorstellungen andere sein mögen, indem ich ihn als Person wahrnehme, achte und anerkenne – als Mensch, der ebenso wie ich bedürftig und begrenzt ist, Fähigkeiten und Unfähigkeiten hat, der wie ich geprägt und manchmal gefangen ist, in seinen Konventionen. Ich kann versuchen zu verstehen was für ihn, in seiner Situation Würde, Autonomie, Gerechtigkeit, Fürsorge und Verantwortung bedeuten, was nicht heißt, dass ich jegliches Verhalten verstehen oder für akzeptabel befinden kann oder sollte. Ich kann mit ihm in Dialog treten, sei es im leiblichen Ausdruckswahrnehmen, sei es sprachlich, und somit Verständnis gewinnen. Dafür gilt es, den Blick respektvoll auf Unterschiede und auf Gemeinsamkeiten zu richten, auf die menschlichen Urerfahrungen, die wir als leibliche Wesen durchmachen, auf Gemeinsamkeiten unserer menschlichen Grundsituation, die – in meinem Verständnis – kulturelle Unterschiede übersteigen, indem sie diesen voraus liegen.

Vorsicht Kultur! Ethnologische Perspektiven auf Medizin, Migration und 1 ethnisch-kulturelle Vielfalt Michael Knipper

1.

Einleitung

Kultur ist ein ebenso alltäglicher wie komplizierter Begriff. Auf der einen Seite gehören Vorstellungen und Gespräche über Kultur, zum Beispiel im Zusammenhang mit unterschiedlichen Arten des Umgangs mit Krankheit, Sterben und/oder kranken Angehörigen, inzwischen zum Alltag. Themen wie „kulturelle Kompetenz“, „Interkulturalität“ oder „kultursensible Pflege“ finden breite Beachtung auf medizinischen Fortbildungen, Fachtagungen und in vielfältigen Publikationen. Auf der anderen Seite sind das Sprechen und Schreiben über Kultur oft von Unsicherheit, Vorbehalten und Widersprüchen gekennzeichnet. Was bedeutet „Kultur“? Welche Vorstellungen und Werturteile sind mit Aussagen über „fremde Kulturen“ verbunden? Und wie kann es gelingen, über „Kultur“ und kulturelle Diversität zu sprechen, ohne in Schubladendenken zu verfallen und kulturelle Stereotypen über bestimmte Bevölkerungsgruppen (z.B. „die Türken“, „die Russen“, „die Ostdeutschen“ oder „die Lateinamerikaner“) zu vermeiden? Ferner stellt sich die Frage, wie es mit der Akzeptanz von kulturellen Werten steht, die aus der eigenen Perspektive nicht nur fremd, sondern auch ethisch inakzeptabel erscheinen. Dies kann im Gesundheitsbereich zum Beispiel auf die Aufklärung von Patienten über schwerwiegende, lebensbedrohliche Diagnosen bezo2 gen werden: Muss es toleriert werden, wenn Angehörige unter explizitem Verweis auf kulturelle Gründe die volle Aufklärung eines schwer kranken, mündigen Patienten zu verhindern suchen? Kann Kultur auch hinterfragt werden, ohne damit sogleich die schiefe Bahn von mangelndem Respekt, Intoleranz und Diskriminierung zu betreten? Deutlich schwerer als eine negative Aussage, wie der Kulturbegriff nicht verwendet werden sollte, ist eine positive und praxistaugliche Bestimmung dieses schillernden Begriffs. Kulturelle Unterschiede sind einerseits offensichtlich, scheinen andererseits aber ohne klare Zuschreibungen zur „Kultur“ einer bestimmten 1

2

Der Autor dankt den Herausgebern und Frank Kressing sehr herzlich für wichtige Kommentare zu früheren Versionen und entscheidende Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts, sowie Volker Roelcke für wichtige Anregungen und Denkanstöße. Vgl. Christian Hick, Klinische Ethik, Berlin 2007, 200.

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„ethnischen Gruppe“ oder einem (angenommenen) Herkunftsland bei Migranten nur sehr schwer fassbar zu sein. Im vorliegenden Beitrag werden dieses scheinbare Dilemma und die damit verbundenen Herausforderungen aus der Perspektive der Ethnologie beleuchtet, die sich als „Wissenschaft vom kulturell Fremden“3 explizit mit der Frage nach dem Gegenstand, den vielfältigen Bedeutungen, dem Erkenntnispotential aber auch den Grenzen und Schwächen des Kulturbegriffs befasst.4 Besondere Berücksichtigung finden dabei Beiträge aus der „Medizinethnologie“, im englischsprachigen Raum „Medical Anthropology“ genannt, die sich inzwischen international als eine der wichtigsten Subdisziplinen der Ethnologie etablieren konnte.5 Das Hauptanliegen dieses Textes ist dabei, eine sinnvolle Konzeption eines ethnologisch fundierten Kulturbegriffs für den medizinischen Alltag zu formulieren, der auch für medizinethische Reflexionen und Entscheidungsprozesse hilfreich ist. Dieser Kulturbegriff soll zum einen den unvermeidlichen theoretischen Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen.6 Zum zweiten soll auch das komplexe Phänomen „Migration“ adäquat Berücksichtigung finden, welches im deutschsprachigen Kontext mit den derzeitigen Diskussionen um Interkulturalität und kulturelle Diversität untrennbar verbunden ist. Denn auf vielfältige Weise bringen Migration und die damit verbundenen sozialen Prozesse und gesellschaftlichen Debatten einfache Gewissheiten und gewohnte Denk- und Handlungsweisen über Kultur, Identität, das Eigene und das Fremde heftig in Bewegung – bei „Migranten“ wie auch bei „Nicht-Migranten“. Diesen Dynamiken muss ein zeitgemäßes Verständnis von Kultur gewachsen sein, muss sie erfassen und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen helfen, um den Menschen und ihrer realen Lebenswelt und -wirklichkeit gerecht werden zu können.

2.

Kultur: Annäherung an einen komplexen Begriff

Kultur ist vor allem deshalb ein schwieriger und vielschichtiger Begriff, weil der Gegenstandsbereich, der von diesem Terminus beschrieben wird, sehr umfassend 3 4 5

6

Vgl. Karl-Heinz Kohl, Ethnologie – Die Wissenschaft vom kulturell Fremden, München 1993. Vgl. auch Bettina Beer/Hans Fischer, Ethnologie. Einführung und Überblick, Berlin 2012. Vgl. Bernhard Hadolt/Hansjörg Dilger (Hrsg.), Medizin im Kontext: Krankheit und Gesundheit in einer vernetzten Welt, Frankfurt 2010; dies., Medizinethnologie, in: Bettina Beer/Hans Fischer (Hrsg.), Ethnologie: Einführung und Überblick, Berlin 2012; Byron J. Good/Michael M. J. Fischer/Sarah S. Willen/Mary-Jo DelVecchio Good (Hrsg.), A Reader in Medical Anthropology: Theoretical Trajectories, Emergent Realities, Hoboken 2010. Vgl. Michi Knecht, Jenseits von Kultur: Sozialanthropologische Perspektiven auf Diversität, Handlungsfähigkeit und Ethik im Umgang mit Patientenverfügungen, in: Ethik in der Medizin 20/3 (2008), 169–180; Arthur Kleinman/Peter Benson, Anthropology in the clinic: The problem of cultural competency and how to fix it, in: PLoS Med 3/10 (2006); Michael Knipper/Yaşar Bilgin, Medizin und ethnisch-kulturelle Vielfalt: Migration und andere Hintergründe, in: Deutsches Ärzteblatt 107/3 (2010), A76–A79.

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Vorsicht Kultur!

und komplex ist. Als deskriptiver Terminus beschreibt „Kultur“ schließlich nichts weniger als das „tradierte Wissen und Verhalten eines sozialen Kollektivs“7, welches von Menschen im Laufe ihrer Sozialisation erworben wird. So zumindest eine erste „Arbeitsdefinition“ aus einer jüngst erschienenen Einführung in die Ethnologie.8 Mit dem „Wissen und Verhalten“ aufs engste verbunden sind dabei moralische Werte und Vorstellungen von „Normalität“, zum Beispiel in Bezug auf soziale Beziehungen, sozial akzeptables Verhalten oder den „richtigen“ Umgang mit Krankheit, Leiden und Tod. Kultur beinhaltet die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die den Dingen des Lebens Sinn und Bedeutung, sowie dem Individuum seine kulturelle Identität verleihen. Sichtbar wird Kultur in der Regel jedoch erst in der Begegnung mit anderen, bei Fremden, wenn die eigenen, für „normal“ gehaltenen Denkund Verhaltensweisen plötzlich an ihre Grenzen stoßen, wenn erwartete Reaktionen eines Gegenübers ausbleiben oder unerwartete, evtl. sogar als „unpassend“ empfundene Äußerungen oder Handlungsweisen an ihre Stelle treten: Erst in diesen Momenten wird Kultur für die Beteiligten präsent. Die Wahrnehmung und Interpretation kultureller Eigenheiten und Unterschiede ist dabei stets abhängig von den Vorannahmen, Vorerfahrungen und – selbstverständlich – dem kulturellen Hintergrund der beteiligten Akteure. Für jede Aussage über Kultur kommt als Schwierigkeit hinzu, dass der „Gegenstand“ kein Gegenstand ist: „Kultur“ kann nicht objektiv beschrieben werden wie beispielsweise ein Stein, ein Baum, ein Haus, oder ein Molekül. Kultur ist nicht materiell, aber dennoch real. Die kulturelle Bedeutung materieller Objekte ist zwar immens und alltäglich, aber keine „objektive“ und vom Betrachter unabhängige Eigenschaft der einzelnen Dinge. Die kulturelle Symbolik von Gegenständen, aber auch von Gesten und Verhaltensweisen, liegt stets im Auge des Betrachtenden und ist selbst dort weder immer eindeutig noch stabil. Für das soziale Leben und Handeln gilt schließlich die Prämisse, dass kulturelle Faktoren „gleichzeitig wichtig und 9 unwichtig“ sind, wie die Schweizer Ethnologin Martine Verwey es ausdrückt: Die individuelle Wahrnehmung zum Beispiel des eigenen Körpers, die Deutung und Beurteilung körperlicher und/oder seelischer Zustände, von medizinischen Begriffen, Verfahren und Institutionen geschieht immer vor dem Hintergrund der eigenen Kultur. Auch soziales Verhalten, Verhaltensnormen und Handlungsprioritäten sind kulturell beeinflusst, jedoch eben nicht „geprägt“ wie eine Münze aus gestanztem Metall. Die verbreitete Metapher von der „kulturellen Prägung“ suggeriert eine eindeutige und dauerhafte Formung menschlicher Denk- und Verhaltensweisen durch eine übermächtige und historisch konstante Instanz namens „Kultur“. Kul7 8 9

Bettina Beer, Kultur und Ethnizität, in: Bettina Beer/Hans Fischer, Ethnologie. Einführung und Überblick, Berlin 2012, 55. Ebd. Martine Verwey, Hat die Odyssee Odysseus krank gemacht? Migration, Integration und Gesundheit, in: Thomas Lux (Hrsg.), Kulturelle Dimensionen der Medizin. Ethnomedizin - Medizinethnologie - Medical Anthropology, Berlin 2003, 277–307.

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turelles Lernen erfolgt jedoch kontinuierlich, Individuen besitzen Handlungsspielräume und die Menschen sind nicht nur der „Ton, aus dem sich die Kultur ihre Geschöpfe formt“.10 Ferner sind immer dann, wenn Kultur bedeutsam zu sein scheint, auch andere Aspekte von Belang, z.B. konkrete Vorerfahrungen in vergleichbaren Situationen, persönliche Hoffnungen, Sorgen und Interessen der Beteiligten, aber auch soziale Beziehungen, formal erlernte Wissensinhalte und ökonomische Fragen. Oft erscheint Kultur nur auf den ersten Blick wichtig, ausgelöst durch die subjektive Wahrnehmung von kultureller „Fremdheit“.11 Ein exotisch klingender Nachname, ein sprachlicher Akzent, fremd anmutende Verhaltensweisen, Kleidung oder auch biologische Faktoren wie Hautfarbe und Physiognomie können als Indikatoren für kulturelle Fremdheit und Differenz gedeutet werden – je nach den Vorannahmen und Wahrnehmungsmustern der beteiligten Akteure. Um Kultur jedoch beschreiben und von anderen Aspekten analytisch differenzieren zu können, muss dennoch, trotz aller Vorbehalte, ein Gegenstandsbereich bestimmt werden. Von ethnologischer Seite wird dazu ein Kunstgriff vorgeschlagen; eine zweigleisige Strategie, bei der ganz bewusst zwei sich gegenseitig relativierende Sichtweisen miteinander kombiniert werden: Kultur soll zum einen „betrachtet werden, als ob sie ein vergleichsweise geschlossenes System von Standards und 12 Regeln darstellte, und zum anderen, als ob sie ständig im Fluss wäre“.

3.

Drei Thesen zum Kulturbegriff

Ausgehend von dieser Einführung werden im Folgenden drei Thesen formuliert, welche die Anforderungen an eine sinnvolle, das heißt erkenntnisfördernde Verwendung des Kulturbegriffs in medizinischen und anderen Zusammenhängen pointiert deutlich machen sollen: 3.1 Zurückhaltung bei der Verwendung des Begriffs „Kultur“ Ethnologinnen und Ethnologen üben in der Regel große Zurückhaltung mit Aussagen über „Kultur“ – gerade auch im Hinblick auf „Kultur“ als Erklärungsansatz zum Beispiel für krankheitsbezogene Verhaltensweisen und/oder Wertepräferenzen von Menschen verschiedener Herkunft im Gesundheitswesen.13 Besonders im Kontext 10 11 12

13

Andreas Wimmer, Kultur. Zur Reformulierung eines ethnologischen Grundbegriffs, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48/3 (1996), 401–425, 404. Vgl. Michael Knipper, Der fremde Patient, in: Thorsten Noack/Heiner Fangerau/Jörg Vögele (Hrsg.), Querschnitt Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, München 2007, 37–46. Werner Schiffauer, Kulturalismus vs. Universalismus. Ethnologische Anmerkungen zu einer Debatte, in ders., Fremde in der Stadt. Zehn Essays über Kultur und Differenz, Frankfurt a. M. 1997, 144–156 (Zitat: S. 149), zitiert nach Beer, Kultur und Ethnizität, 57 (Kursive im Original). Vgl. Kleinman/Benson, Anthropology in the Clinic; Knecht, Jenseits von Kultur; Verwey, Hat die Odyssee Odysseus krank gemacht?.

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von Migration erweist es sich aus ethnologischer Sicht als hoch problematisch, Kultur oder gar „kulturspezifische“ Wert- oder Krankheitsvorstellungen ohne genaue und individuelle Prüfung als Begründung für unterschiedliche Umgangsformen mit Schmerz, Krankheit, kranken Menschen oder Sterbenden anzunehmen.14 Die erste Voraussetzung für eine sinnvolle Verwendung des Kulturbegriffs in medizinischen und anderen Kontexten ist daher Behutsamkeit: ein kulturwissenschaftlich kompetenter und reflektierter Umgang mit „Kultur“ zeigt sich also vor allem darin, diesen Begriff nur mit Bedacht und damit in der Praxis eher selten zu verwenden. Nicht überall dort, wo Kultur relevant zu sein scheint oder von handelnden Akteuren ins Spiel gebracht wird, ist dies auch tatsächlich der Fall - oft sind ganz andere Punkte von Bedeutung. 3.2 Sinnvolle Aussagen über „Kultur“ bedürfen einer ethnographischen Perspektive Die Ethnographie ist der zentrale Forschungsansatz der Ethnologie.15 Im Hinblick auf Aussagen über die kulturellen Dimensionen im Denken, Handeln und Verhalten konkreter Menschen und/oder sozialer Gruppen markiert die Ethnographie den Unterschied zwischen Mutmaßungen, Phantasien und Vorurteilen auf der einen Seite und einem zumindest teilweisen Verstehen, bedeutungsvollen Einsichten und hilfreichen Erkenntnissen auf der anderen Seite. Ethnographisches Verstehen basiert auf einer schrittweisen Annäherung an eine fremde Lebenswirklichkeit im Hier und Jetzt und überführt die zunächst stets oberflächliche Wahrnehmung von „Kultur“ – zum Beispiel von als fremd identifizierten Patientinnen und Patienten – in produktive Fragen. Aus ethnologischer Perspektive ist der Gedanke an Kultur damit erst der Anfang weiterer Überlegungen, und vor allem des Bemühens um eine bessere Kenntnis der realen Lebenssituation, Problemwahrnehmung und Handlungsoptionen aller Beteiligten. Kultur ist eine Frage, keine aus Buchwissen über „Kulturen“, dem Internet, Anekdoten oder dem „gesundem Menschenverstand“ gespeiste Antwort.

14

15

Vgl. Andreas Wimmer, Ethnische Grenzziehungen in der Immigrationsgesellschaft. Jenseits des Herder'schen Commonsense, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 48 (2008), 57–88 Vgl. Kohl, Ethnologie; Kleinman/Benson, Anthropology in the Clinic; Michael Knipper/Angelika Wolf, Methoden und Methodologie medizin-ethnologischer Forschung, in: Curare. Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie, 27/1,2 (2004), 61–72; Elisa Janine Sobo, Culture and meaning in health services research. A practical field guide, Walnut Creek 2009; Michael Knipper, Joining Ethnography and History in Cultural Competence Training, in: Culture, Medicine, and Psychiatry 37/2 (2013), 373–384.

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3.3 Reflexion der historischen und sozialen Hintergründe der zur Markierung von kultureller Differenz verwendeten Annahmen und Begriffe Die Wahrnehmung und Bestimmung kultureller Differenz – Fremdheit – entsteht in der Begegnung zwischen Menschen. Und genau wie für die Ethnologie als Wissenschaft gilt auch für alltägliche Situationen, dass die Beschreibung einer fremden Kultur stets den Vergleich mit der eigenen Kultur impliziert. Die Beschreibung einer fremden Kultur kann eben stets „nur in der Sprache der eigenen Kultur erfolgen“ und hat immer die eigenen kulturellen Erfahrungswelten zur Voraussetzung.16 Was folgt daraus? Kulturell identifizierte Grenzen und Kategorien sind nicht naturgegeben, sondern das stets zeit- und situationsgebundene (Zwischen-)Ergebnis sozialer Beziehungen. Ob etwa ein Individuum in Deutschland als „deutsch“, „nicht-deutsch“ oder „Migrant“ wahrgenommen wird, ob sie oder er mit einem bestimmten Land jenseits von Deutschland, einem Kontinent („Afrikaner“) oder einem „Kulturkreis“ identifiziert wird, hängt nicht so sehr von realen Tatsachen und biographischen Fakten ab, sondern von den Vorannahmen und dem individuellen Erfahrungshintergrund des Einzelnen sowie den auf gesellschaftlicher Ebene zu diesem Zeitpunkt präsenten begrifflichen Kategorien. Ob zum Beispiel Schattierungen der Hautfarbe, Namen, Sprachkenntnisse, Dialekte oder sprachliche Akzente, die (angenommene) Herkunft oder Verhaltensweisen Anlass zur Wahrnehmung kultureller Fremdheit geben, und welche Wertungen damit verbunden sind, ist keineswegs „selbstverständlich“, sondern ganz im Gegenteil erklärungsbedürftig. Kulturelle Grenzen sind und waren niemals statisch oder gar objektiv, und jeder Versuch einer biologischen Determinierung „ethnischer“ Unterschiede rekurriert zumindest implizit auf wissenschaftlich haltlose Vorstellungen in direkter Tradition des Rassebegriffs.17 Die dritte Voraussetzung für eine sinnvolle, stereotypes Denken vermeidende Verwendung des Kulturbegriffs ist somit, die sozialen und historischen Hintergründe und die Vorannahmen all jener Kategorien zu reflektieren, die zur Bestimmung von kultureller Differenz in einer konkreten Situation zur Anwendung kommen bzw. plausibel erscheinen. Die Zeit- und Kontextgebundenheit und damit Veränderlichkeit ethnisch-kultureller Kategorien ist immer mit zu bedenken. Außerdem die 16 17

Vgl. Kohl, Ethnologie, 99. Vgl. Nature Genetics, Editorial: Census, Race and Science, in: Nature Genetics 24/2 (2000), 97– 98; Luigi Lucca Cavalli-Sforza/Marcus W. Feldman, The Application of Molecular Genetic Approaches to the Study of Human Evolution, in: Nature Genetics [suppl.] 33 (2003), 266–275; Frank Kressing, Screening Indigenous Peoples’ Genes – The End of Racism or Postmodern BioImperialism?, in: Susanne Berthier/Sandrine Tolazzi/Sheila Whittick (Hrsg.), Biomapping Indigenous Peoples. Towards an Understanding of the Issues. Cross Cultures 151 – Readings in Post/Colonial Literatures and Cultures in English, Amsterdam/New York 2012, 117–136; Frank Kressing/Heiner Fangerau/Matthis Krischel, The “Global Phylogeny” and its Historical Legacy – A Critical Review of a Unified Theory of Human Biological and Linguistic Co-Evolution, in: Medicine Studies 1–13 (2013); Michael Knipper/Yaşar Bilgin, Migration und Gesundheit, Sankt Augustin/ Berlin 2009, 31.

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Tatsache, dass die Fremdwahrnehmung der Selbstidentifikation des oder der Einzelnen oft nicht entspricht. Gerade in Migrationsgesellschaften sind die Wahrnehmung und Bedeutung von Identität und Zugehörigkeit vielschichtig und in der Regel nicht eindeutig.18

4.

Kasuistik

Die konkrete Bedeutung dieser drei Thesen soll im Folgenden anhand einer auf einem realen Fall basierenden Kasuistik dargestellt werden. M. war ein 16 Jahre alter Jugendlicher aus einer türkisch-muslimischen Familie. Aufgrund einer Tumorerkrankung mit infauster Prognose hatte er nach ärztlichem Ermessen nur noch wenige Monate Lebenszeit vor sich. Seine Eltern verweigerten den behandelnden Ärzten jedoch das Recht, den Jungen über seine Erkrankung und die schlechte Prognose aufzuklären. Zur Begründung verwiesen sie auf den Islam und ihre Traditionen, wonach ein Patient nicht direkt aufgeklärt werden dürfe. Für die behandelnden Ärzte und das Pflegepersonal war diese Situation kaum zu ertragen. Mit sehr viel Mühe, Zeit und Geduld, in langen Gesprächen mit Eltern und weiteren Angehörigen versuchten sie, die Familie dazu zu bringen, den Jungen – der ihrer Ansicht nach bereits ahnte, wie es um ihn stand – ehrlich aufklären zu dürfen. Die Eltern ließen sich jedoch nicht überzeugen. Die Situation stellte sich wie ein klassischer Fall eines interkulturellen Konflikts dar, wie er in der medizinethischen Literatur immer wieder beschrieben wird, oft unter dem Verweis auf Patienten aus dem islamischen Kulturraum oder „Russland19 deutsche“ („Spät-Aussiedler“): Der Fall erscheint als eine Konfliktsituation, die durch unterschiedliche kulturelle Werthaltungen bei den Ärzten und der Familie geprägt ist. Im Mittelpunkt steht die kulturell und religiös begründete Ablehnung einer direkten Aufklärung des jungen Patienten durch die Familie, was aus Sicht des medizinischen Personals den medizinethischen Grundsätzen von „Wahrhaftigkeit“ und der „Selbstbestimmung“ des (fast erwachsenen, mündigen) Patienten widerspricht. Beide Seiten empfanden offenbar einen enormen Druck, ihren Werthaltungen gerecht zu werden: Auf der einen Seite war ein großes Bemühungen des ärztlichen und Pflegepersonals festzustellen, die Familie unter hohem Zeit- und personellen Aufwand von der Notwendigkeit einer Aufklärung zu überzeugen. Gleichzeitig empfanden sie es als enorme Belastung, im persönlichen Kontakt mit dem Patienten schweigen bzw. aus ihrer Sicht lügen zu müssen, die Wahrheit nicht aussprechen zu dürfen. „Der Junge weiß es doch eh“, hieß es unter dem Personal, „er spürt es doch, und wir dürfen nichts sagen.“ Auf der anderen Seite war bei der Familie eine wachsende Abwehr 18 19

Vgl. Wimmer, Ethnische Grenzziehungen, 57–88; Naika Foroutan/Isabel Schäfer, Hybride Identitäten muslimischer Migranten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2009), 11–18. Vgl. Hick, Klinische Ethik.

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feststellbar. Der Patient wurde rund um die Uhr von Angehörigen betreut – („bewacht“, in der Perspektive des Personals). Es wurde energisch dafür Sorge getragen, dass er nie ohne Anwesenheit der Familie Kontakt zu Ärzten und Pflegepersonal haben konnte. Das Verhältnis zwischen medizinischem Personal und Familie war schließlich geprägt von großer Spannung und gegenseitigem Misstrauen, mit hoher psychischer Belastung für alle Beteiligten – und das trotz sehr engagierter Bemühung-en vonseiten der Klinik um Kommunikation mit der Familie. Mit einem expliziten Verweis auf ihre Kultur blockierten die Eltern das Anliegen von Ärzten und Pflegenden um eine Aufklärung des Jungen jedoch hartnäckig.

5.

Wertekonflikt zwischen Kulturen? Zwei Lesarten derselben Geschichte

An dieser Stelle lohnt es sich, einige kurze, an den oben aufgestellten Thesen orientierte Überlegungen zu einer sinnvollen Verwendung des Kulturbegriffs einzuflechten und dabei idealtypisch zwei Lesarten des Falls einander gegenüber zu stellen: 1. Die Interpretation der geschilderten Situation als „Wertekonflikt zwischen den Kulturen“20: Die Ursache für die Spannungen und das Nicht-MiteinanderAuskommen sind die unterschiedlichen Wertepräferenzen der Ärzte, für die die ehrliche und wahrhaftige Patientenaufklärung Priorität hat, und der Familie, die genau das mit dem ausdrücklichen Verweis auf ihre Kultur und Religion ablehnt. Die Ursache des Problems wird also auf der Ebene der „Kultur“ verortet, bei den für diese konkrete Situation relevanten Unterschieden hinsichtlich des Umgangs mit schwer kranken bzw. sterbenden Menschen in den „Kulturen“ des medizinischen Personals auf der einen Seite und der Familie des Patienten auf der anderen. 2. Eine ethnographisch orientierte Betrachtung: Der von der Familie angeführte und für das medizinische Personal offenbar sehr plausible Verweis auf die „türkisch-muslimische Kultur“ wird zwar zur Kenntnis genommen, aber nur als Ausgangpunkt für weitere Überlegungen und eine differenzierte Betrachtung der Gesamtsituation und ihrer sozialen Dynamik. Ausgehend von der Prämisse, dass nicht überall dort, wo „Kultur“ wichtig zu sein scheint bzw. von den beteiligten Akteuren ins Spiel gebracht wird, diese auch tatsächlich der Grund für die Probleme sein muss, wird eine umfassendere Betrachtung des Konflikts und seiner Genese angestellt. Ganz im Sinne der zweiten der oben genannten The21 sen wird dabei vor allem nach Erklärungsansätzen „jenseits von Kultur“ gesucht: Gibt es andere Faktoren die relevant sind? Gibt es zum Beispiel bisher 20 21

Hick, Klinische Ethik, 200. Vgl. Knecht, Jenseits von Kultur.

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Vorsicht Kultur!

nicht entdeckte Missverständnisse, Ängste oder Sorgen unter den Beteiligten, jenseits der sehr eng gefassten Problemstellung „Aufklären ja oder nein“? Besondere Relevanz hat dabei die Frage, wie der am Ende so bedeutsame kulturelle Graben zwischen dem medizinischen Personal und der Familie überhaupt entstanden ist bzw. in der sozialen Interaktion konstruiert wurde. Wie kam es zum Gedanken an „Kultur“ und zur Wahrnehmung kultureller Distanz? An welchen „Indikatoren“ wurde diese festgemacht und weshalb? Nicht jede Behandlungssituation in der Kinderonkologie mit Patienten und Angehörigen vergleichbarer demographischer und soziokultureller Charakteristika führt zu derartigen Konstellationen. Aus einer ethnographischen Perspektive ist es eine erst noch zu überprüfende Frage, ob und wenn ja in welcher Weise unterschiedliche kulturelle Wertsetzungen hier wichtig sind, und ob es sich tatsächlich um einen Konflikt auf dieser Ebene handelt. Die mögliche Bedeutung von „Kultur“ muss erst durch eine genaue, möglichst differenzierte Betrachtung der konkreten Situation und ihrer Genese geklärt werden. Der Blick richtet sich also nicht auf die abstrakte „Kultur“, mit der zumindest eine der beteiligten sozialen Gruppen hier identifiziert wird bzw. sich selbst identifiziert. Im Mittelpunkt des Interesses stehen, ganz im Gegenteil, die realen Sorgen und Nöte aller hier beteiligten Akteure, die Wertvorstellungen, Handlungsgewohnheiten und -präferenzen von Familienangehörigen und medizinischem Personal, sowie die soziale Dynamik, in die sie im spezifischen Kontext zum Beispiel einer kinderonkologischen Abteilung einer deutschen Universitätsklinik eingebunden sind und die sie gleichzeitig aktiv gestalten.

6.

Ethnographie

Was sind in diesem Zusammenhang die besonderen Charakteristika der Ethnographie?22 Was unterscheidet diese von anderen Perspektiven, und wie kann sie im medizinischen Alltag und für medizinethische Reflexionen und Entscheidungsprozesse genutzt werden? Bevor die Kasuistik fortgeführt wird, sollen an dieser Stelle zunächst einige grundlegende Aspekte der Ethnographie dargestellt werden. Vom Wort her bedeutet Ethnographie so viel wie die „Beschreibung fremder menschlicher Gruppen“ im Rahmen von „Feldforschung“, die vor allem auf „teilnehmender Beobachtung“ beruht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich diese Methode in der Ethnologie durchzusetzen begann, ging es dabei vor allem um die Erforschung der „Kultur“ und der Lebensweise fremder kultureller Gruppen zum Beispiel in Afrika, Ozeanien oder Nord- und Südamerika: Wie leben diese Men22

Vgl. Kohl, Ethnologie; Sobo, Culture and meaning in health services research; Kleinman/Benson, Anthropology in the clinic; Knipper/Wolf, Methoden und Methodologie medizin-ethnologischer Forschung, 61–72.

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schen, wie verstehen sie die Welt, was ist das Unterscheidende und was sind die verbindenden Elemente unter den „Kulturen“ der Welt?23 Kulturelle Gruppen wurden dabei lange als geschlossene und klar abgrenzbare soziale Einheiten mit gemeinsamer Herkunft, Sprache, Weltbild und Identität verstanden. Verbunden war damit oft auch die Annahme, dass es sich auch im biologischen Sinne um klar abgrenzbare und nach körperlichen Kriterien eindeutig identifizierbare Gruppen bzw. „Rassen“ handeln würde24 Derartige Vorstellungen über kulturelle oder ethnische Gruppen haben sich inzwischen zwar als obsolet heraus gestellt. Denn die Realität ist deutlich komplexer und ethnische Identität ist stets eine sozial bestimmte Kategorie ohne biologische oder genetische Grundlage.25 Entsprechende Ideen schwingen aber bei Debatten um Kultur und kulturelle Diversität vor allem außerhalb ethnologischer Fachkreise häufig mehr oder weniger deutlich mit. Ethnologinnen und Ethnologen nutzen ethnographische Forschungsansätze heute jedoch nicht mehr, um „fremde Kulturen“ zu erforschen. Der Fokus ist heute ein anderer, ist zum einen nicht mehr geographisch festgelegt auf exotische Länder und Bevölkerungsgruppen, und liegt zum zweiten nicht mehr auf primär „kulturell“ definierte Gruppen: „Letztlich sind es Individuen mit ihren spezifischen lebensgeschichtlich geformten Verhaltensmustern und Denkweisen, die Ethnologen empi26 risch untersuchen“, so die Ethnologin Bettina Beer. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Menschen im Laufe ihres Lebens vielfältige kulturelle Einflüsse aufnehmen, teilweise verinnerlichen und für sich selbst sowie ihr soziales Umfeld kreativ weiterentwickeln und gestalten. Das Phänomen der „Fremdheit“ wird zum „methodischen Prinzip“27, insbesondere wenn es um die Untersuchung von sozialen Prozessen oder Situationen in der eigenen Gesellschaft geht: Der „ethnologisch geschulte Blick wirkt verfremdend.“ 28 Damit bietet die Ethnologie eine Perspektive an, „die es erlaubt, die eigenen sozialen Institutionen, Normen und Werte, Gewohnheiten und kulturellen Selbstverständlichkeiten aus der distanzier-

23 24

25

26 27 28

Vgl. Kohl, Ethnologie. Vgl. Kressing/Fangerau/Krischel, The “Global Phylogeny”; Kressing, Screening Indigenous Peoples’ Genes, 117–136; Frank Kressing/Matthis Krischel/Heiner Fangerau, Netzwerke statt Stammbäume in der Wissenschaft? Die Entwicklung der evolutionären Theorie als wechselseitiger Transfer zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, in: Matthis Krischel/Hans-Klaus Keul (Hrsg.), Deszendenztheorie und Darwinismus in den Wissenschaften vom Menschen, Stuttgart 2011, 107–121. Cavalli-Sforza/Feldman, The Application of Molecular Genetic Approaches; Luigi Lucca CavalliSforza/Mark Seielstad, Genes, Peoples, and Languages, Berkeley 2001; Luigi Lucca CavalliSforza/Marcus W. Feldman, Cultural Transmission and Evolution: A Quantitative Approach, Princeton 1981; Luigi Lucca Cavalli-Sforza/Alberto Piazza/Paolo Menozzi/Joanna Mountain, Reconstruction of Human Evolution: Bringing together Genetic, Archaeological, and Linguistic Data, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 85 (1988), 6002–6006. Beer, Kultur und Ethnizität, 56. Kohl, Ethnologie, 95 Ebd.

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ten Sicht eines von außen kommenden Beobachters zu betrachten.“29 Somit kommen zum Beispiel auch Krankenhäuser als Orte für ethnologische Forschung in Betracht (hospital ethnography).30 So hat Verena Dreissig beispielsweise in zwei deutschen Kliniken die Praxis der interkulturellen Kommunikation im realen Klinikalltag untersucht.31 Auf der Basis von teilnehmender Beobachtung und vielfältigen Gesprächen und Interviews mit allen beteiligten Akteuren zeichnete sie ein ebenso differenziertes wie aussagekräftiges Bild, welches vor allem die Auffassung wiederlegt, dass Missverständnisse in der Arzt-Patient-Kommunikation vor allem auf begrenzten Sprachkenntnissen und der „Kultur“ von „Migranten“ beruhen würden. Wichtiger sind institutionelle Faktoren (Rahmenbedingungen), soziale Aspekte, kommunikative Fähigkeiten und habitualisierte Verhaltensmuster aufseiten des Personals: Die Kommunikations-„Kultur“ einer Abteilung, die Wertschätzung, die der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen nicht nur theoretisch sondern im alltäglichen Handeln beigemessen wird, sind 32 wichtiger als die „Kultur“ der Patienten . Darüber hinaus lenkt diese die Praxis unter Alltagsbedingungen untersuchende Perspektive den Blick auf die individuellen Handlungsspielräume der professionell im Gesundheitsbereich Tätigen: Unter identischen Rahmenbedingungen sind mache mehr als andere bereit und in der Lage, eine adäquate Kommunikation zu realisieren, oder aber unter dem Verweis auf die „Kultur“ des Patienten entsprechende Bemühungen erst gar nicht oder nur halbherzig zu unternehmen. Eine andere zeitgemäße Forschungsperspektive, die ethnographisch ein medizinisch relevantes Thema untersucht, hat kürzlich die Berliner Ethnologin Susann 33 Huschke demonstriert: Über mehrere Jahre arbeitete sie mit „papierlosen“ Migranten aus Lateinamerika in Berlin und untersuchte, wie Menschen ohne soziale Absicherung und ohne regulären Zugang zu medizinischer Versorgung in Deutschland leben, und unter diesen Umständen gesundheitliche Probleme zu meistern versuchen. Dabei legte die Autorin unter anderem großen Wert auf eine differenzierte Darstellung der für Außenstehende kaum vorstellbaren Lebenswirklichkeit dieser Menschen, die von ihr aufwändig rekonstruierten und eindrucksvoll beschriebenen „Innensichten“ der Betroffenen. Huschke dokumentiert die aktuell bestehenden und auf humanitärem Engagement gründenden Versorgungsangebote für diese Menschen, sowie deren Erfahrungen in Kliniken und mit medizinischem Personal. Sehr ähnlich zu Verena Dreissig zeigt auch diese Arbeit, dass die Kategorie „Kultur“ auch bei papierlosen Menschen aus Lateinamerika nicht ohne weitere 29 30 31 32 33

Ebd. Vgl. Sjaak van der Geest/Katja Finkler (Eds.), Hospital ethnography. Special half issue, in: Social Science & Medicine 59/10 (2004). Verena Dreißig, Interkulturelle Kommunikation im Krankenhaus. Eine Studie zur Interaktion zwischen Klinikpersonal und Patienten mit Migrationshintergrund, Bielefeld 2005. Vgl. Saladin in diesem Band. Susann Huschke, Kranksein in der Illegalität. Undokumentierte Lateinamerikaner/-innen in Berlin. Eine medizinethnologische Studie, Bielefeld 2013.

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Erläuterungen sinnvoll verwendet werden kann, sondern nur im besonderen Kontext der spezifischen, durch den ungeregelten Aufenthaltsstatus gekennzeichneten Lebenssituation. Und wie Verena Dreissig dokumentiert auch Susann Huschke die großen individuellen Handlungsspielräume aufseiten des medizinischen (und administrativen) Personals in Kliniken und Gesundheitseinrichtungen, die trotz des für alle gleich eng gesetzten rechtlichen und ökonomischen Rahmens Möglichkeiten suchen und finden, diesen Menschen zu helfen – oder eben nicht. Beide Arbeiten zeigen exemplarisch, dass eine ethnographische Perspektive die zunächst stets oberflächliche und subjektive Wahrnehmung von „Kultur“ und „Fremdheit“ in produktive Fragen zum Beispiel über die realen Lebenswelten, Handlungsorientierungen und Handlungsspielräume konkreter Menschen u. a. im Gesundheitswesen überführt. Welche Charakteristika der Ethnographie sind nun aber bedeutsam für den hier geforderten sinnvollen Umgang mit Kultur in alltäglichen bzw. medizinischen Zusammenhängen? Was bedeutet Ethnographie in Situationen wie dem Konflikt zwischen medizinischem Personal und Familie des sterbenskranken Jungen aus der oben geschilderten Fallgeschichte? Die US-Amerikanischen Medizinethnologen Arthur Kleinman und Peter Benson haben das interessante Konzept einer „MiniEthnographie“ entworfen, welches aus einer Reihe eigentlich unspektakulär erscheinender Fragen besteht, die jedem Verweis auf die „Kultur“ zuvorzukommen 34 haben: Anstelle abstrakt auf die „Kultur“ zu schauen fokussierten Kleinman und Benson die individuelle Situation der Betroffenen: Was ist ihr wichtigstes Problem? Was sind die wichtigsten Sorgen und Nöte der Beteiligten in diesem Konflikt und in der Zeit davor? Was bewegt und unter Umständen ängstigt zum Beispiel die oben vorgestellte Familie im Hinblick auf ihren sterbenskranken Sohn? Die Sorgen und Nöte von Patienten und Angehörigen stimmen dabei – ganz unabhängig von kulturellen oder migrationsbezogenen Konstellationen – in aller Regel nicht mit denen von Ärzten überein oder mit jenen, von denen die Ärzte meinen, dass sie für Patienten und Angehörige die wichtigsten seien. Das ausdrückliche Interesse an der Perspektive, der Lebenswelt und den daraus resultierenden Denk- und Handlungsweisen des Gegenübers ist mithin das zentrale Charakteristikum der Ethnographie. Der Perspektivenwechsel hin zu einer durch behutsames und respektvolles Befragen und sinnvolles Hintergrundwissen (z.B. aus ethnologischen Studien wie den oben genannten) ist der zur Realisierung einer ethnographischen Sichtweise notwendige Kunstgriff. Hinzu kommt das Bewusstsein um die Bedeutung des spezifischen Kontextes (z.B. Krankenhaus), in dem die soziale Begegnung oder der auf den ersten Blick durch Kultur begründete Konflikt stattfinden. Das spezifische Interesse an der Perspektive des Gegenübers schließt auch die Frage nach der kulturellen Identität der beteiligten Akteure und die mögliche Bedeu34

Vgl. Kleinman/Benson, Anthropology in the Clinic.

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tung derselben für die konkrete Situation ein. In medizinischen Zusammenhängen kommt ferner ein besonderes Augenmerk für die möglicherweise unterschiedlichen Perspektiven auf Krankheit, die individuellen Erklärungsmuster („explanatory model“)35 zu Krankheit und Krankheitsursachen, sowie die verschiedenen und oft vielfältigen Interessen, Werteorientierungen und Handlungsprioritäten von Patienten, Angehörigen und Personal. Ganz im Sinne ethnographischer Forschungsansätze interessieren dabei auch hier weniger die von den Akteuren zum Beispiel im direkten Gespräch – bzw. einem Interview oder einem Fragebogen – geäußerten Vorstellungen, etwa über ethische Werte oder das Thema „Kultur“ von größerem Interesse sind als diejenigen Werte und Überzeugungen, die aus dem konkreten Handeln, aus informellen Gesprächen und differenziert dokumentierten Fallanalysen rekonstruiert werden können. Aus dem für die Ethnographie konstitutiven Interesse an der Alltagswelt, an einer empirischen Untersuchung der „lebensgeschichtlich geformten 36 Denk- und Handlungsmuster“ der Individuen in konkreten Alltagssituationen, folgt außerdem, dass auch Widersprüche, Ambivalenzen und Wertekonflikte sowie situationsgebundene Veränderungen im Denken und Handeln der Einzelnen ernst genommen und berücksichtigt werden. Ethnographische Ansätze sind in der Praxis eng verwandt mit Arbeitsweisen der narrativen Ethik und erfordern eine aufmerksame, emphatische und für die Sichtweise des Gegenübers offene Kommunikation mit den beteiligten Akteuren.

7.

Wertekonflikt zwischen den Kulturen?

Im Fall des eskalierten Konflikts um die vollständige Aufklärung des sterbenden Jungen in der Kinderonkologie ergab die an diesen Prinzipien, und vor allem an der Frage nach den Sorgen und Nöten der Familie orientierte Betrachtung das folgende Ergebnis: Die Familie hatte vor allem Angst vor einer direkten, den Jungen möglicherweise schwer belastenden Form der Übermittlung der medizinischen Fakten. Aufgrund von eigenen und aus dem Umfeld kolportierten Vorerfahrungen mit der ärztlichen Aufklärung von schwerkranken Menschen bestand Angst und Misstrauen gegenüber den Kinderonkologen, was im konkreten Fall wahrscheinlich unbegründet war. Die gut gemeinten, mit großem Aufwand betriebenen Versuche des medizinischen Personals, die Eltern von der Notwendigkeit einer Aufklärung zu überzeugen, wirkten dabei jedoch eher kontraproduktiv. Ihre Wirkung war völlig anders als beabsichtigt: Das intensive Bemühen, die Eltern von der Notwendigkeit einer Aufklärung zu überzeugen, verstärkte die Ängste der Familie und damit ihr Misstrauen und ihre Abwehrhaltung. Eine grundsätzliche Ablehnung der Informationsübermittlung an den Jungen bestand hingegen nicht. Die Aufklärung sollte aber nicht auf die „für deutsche Ärzte typische“, sehr direkte Art erfolgen, mit einer 35 36

Vgl. ebd. Beer, Kultur und Ethnizität, 56.

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klaren Ansage zur beschränkten Lebenserwartung, von der befürchtet wurde, dass sie den Jungen nur unnötig belasten würde. Es lag also kein per se kultureller oder religiös begründeter Konflikt vor, kein „Wertekonflikt zwischen den Kulturen“ hinsichtlich der Frage „aufklären“ oder „nicht aufklären“. Eine derartige, das Kulturelle betonende und die konkrete soziokulturelle Dynamik zwischen den Akteuren weitgehend ausblendende Sichtweise konstruiert erst das Vorliegen eines „kulturellen Konflikts“. Das Problem wird „kulturalisiert“37, der Ursprung allein in der „fremden Kultur“ lokalisiert. Der Verweis der Familie auf die eigene Kultur ist Anlass genug, diesen Ball aufzunehmen und es entwickelt sich eine soziale Dynamik, die der Wahrnehmung eines kulturellen Konflikts auch zunehmend entspricht. Es kommt zu einer Art kulturalistischem „Einverständnis im Missverständnis“38, da der Verweis auf „Kultur“ beiden Seiten plausibel erscheint und sich in der Interaktion zunehmend verfestigt. Die vermeintlich diametral verschiedenen Auffassungen bezüglich der Aufklärung des Jungen wurden zu einem für die soziale Interaktion zwischen Personal und Familie konstitutiven, kulturellen Differenzkriterium. Direkte Aufklärung, „ja“ oder „nein“, wurde zu einer Frage der Identität, wie auch das Gespräch mit einem türkischmuslimischen Facharzt zeigte, der konsultierend zu diesem Fall hinzugezogen worden war: Nach mehr als 20 Jahren ärztlicher Praxis in Deutschland antwortete er auf die Frage nach der individuellen Aufklärung von sterbenskranken Patienten: „Wir machen das nicht so wie ihr“. Bei einem – nach üblichen Kriterien – erfolgreich und vollständig in Deutschland „integrierten“ Arzt war die kulturelle Distanz plötzlich wieder da, und zwar ausgelöst durch und identifiziert mit vermeintlich prinzipiell unterschiedliche Umgangsweisen „deutscher“ und „türkischer“ Ärzte mit sterbenskranken Menschen. Anders ausgedrückt: die als unterschiedlich wahrgenommenen Auffassungen zu einem medizinethischen Thema wurden zum Kriterium für kulturelle Differenz, zu einem Symbol für kulturelle Identität und Abgrenzung. Allerdings nicht im Hinblick auf das „ob“ der Aufklärung, also nicht als substantieller Unterschied bezüglich konkreter ethischer Vorstellungen und Über39 zeugungen mit zwei miteinander unvereinbaren Standpunkten , sondern im Hinblick auf die Frage nach dem „wie“. Für den Jungen und seine Familie fand der Konflikt schließlich jedoch ein versöhnliches Ende, sodass er die letzten Wochen seines Lebens zumindest von dieser Spannung befreit verleben konnte: Durch das Einschalten türkischsprachiger Kinderärzte aus dem Umfeld der Klinik konnte eine sanftere, an die Erwartungen und Ängste der Familie angepasste Übermittlung der Prognose an den Jungen erfolgen. 37 38

39

Verwey, Hat die Odyssee Odysseus krank gemacht?; Wimmer, Kultur. Dieser vielsagende Ausdruck wurde bereits 1987 für Kommunikationsprobleme mit „ausländischen Patienten“ in der ärztlichen Sprechstunde geprägt, vgl. Ursula Brucks/Erdmann von Salisch/Wulf-Bodo Wahl, Soziale Lage und ärztliche Sprechstunde - Deutsche und ausländische Patienten in der ambulanten Versorgung. Beiträge zur sozialen Entwicklung des Gesundheitswesens, Hamburg 1987. Vgl. Bruchhausen in diesem Band.

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Dabei wurde auch die Religion als wichtige persönliche Ressource des Kindes und der Familie genutzt.

8.

Kultur: eine Konzeption

Wie kann nun, systematisch zusammengefasst, eine hilfreiche Konzeption des Kulturbegriffs aussehen? Da vermeintlich objektive Beschreibungen von Kultur bzw. „Kulturen“ und kulturellen Charakteristika bestimmter „Volksgruppen“ problematisch sind und fast notwendigerweise zu Stereotypen und Schubladendenken verleiten, wird Kultur in den einschlägigen Fachdisziplinen heute vor allem als analytischer Begriff benutzt, der je nach Fragestellung unterschiedliche Bedeutungen erhalten kann.40 In der Regel basieren aktuelle ethnologische/kulturanthropologische Definitionen des Kulturbegriffs dabei indirekt auf der von Ernst Cassirer (1874–1945) formulierten philosophisch-anthropologischen Prämisse, dass die Sinneswahrnehmung des Menschen über „symbolische Formen“ vermittelt wird41: Jede sinnliche Erfahrung und ihre kognitive Verarbeitung wird durch einen individuellen „Wahrnehmungsfilter“ geformt, welcher auf den gesammelten Vorerfahrungen des einzelnen Menschen basiert. Die in der eigenen sozialen Gruppe oder Gesellschaft alltäglichen, und als „normal“ und möglicherweise „richtig“ bzw. moralisch „gut“ angesehenen Denk- und Verhaltensweisen, Normen und Werte fließen maßgeblich in das Repertoire von für den Einzelnen relevanten, symbolischen Wahrnehmungsmustern ein. Gleichzeitig werden auch individuelle biographische Erlebnisse (z.B. im Kontext von Migration) aufgenommen, sowie aktuelle Lebensumstände und Erfahrungen innerhalb spezifischer sozialer Gruppen (z.B. als Angehöriger einer ethnischen Minderheit oder einer spezifischen Berufsgruppe mit ausgeprägter Gruppenidentität). Anknüpfend an Cassirer formulierte der amerikanische Ethnologe Clifford Geertz (1926–2006) schließlich seine sehr einflussreiche Definition von Kultur als „ineinander greifende Systeme auslegbarer Zeichen“. In expliziter Ablehnung essentialistischer Vorstellungen stellt Geertz fest, dass Kultur keine „Instanz“ sei, „der gesellschaftliche Ereignisse, Verhaltenswei42 sen, Institutionen oder Prozesse kausal zugeordnet werden könnten.“ Für die Ebene des Individuums kann Kultur somit am ehesten als das verinnerlichte Repertoire an Denk- und Handlungsmodellen, Wahrnehmungsmustern und moralischen Werten verstanden werden, die im Laufe des Lebens erworben und weiterentwickelt werden. Die religiöse Orientierung gehört da ebenso hinein wie moralisch bedeutsame Vorstellungen bezüglich Krankheit, dem „richtigen“ Umgang mit 40 41

42

Die hier folgenden Ausführungen basieren teilweise auf: Knipper/Bilgin, Migration und Gesundheit, 21–27. Vgl. Ernst Cassirer, Versuch über den Menschen, Hamburg 2007; Volker Roelcke, Die Bedeutung der Kulturwissenschaften für die Medizin, in: Universitas. Zeitschrift für Interdisziplinäre Wissenschaft 53 (1998), 881-983. Clifford Geertz, Interpretation of Culture. Selected Essays, New York 1973, 21.

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Kranken, Sterbenden und Verstorbenen, gegenüber medizinischem Personal oder auch im Hinblick auf Nahrungsmittel und Ernährung in bestimmten Lebenssituationen, insbesondere bei Krankheit, Rekonvaleszenz oder Schwangerschaft. Neben der individuellen Ebene ist jedoch wichtig zu bedenken, dass dieses Repertoire auch eine kollektive Dimension hat, dass soziale Kollektive gemeinsame Werte und Symbolsysteme teilen, allerdings ohne dem Individuum jeden Spielraum für Variation, Entwicklung und Kreativität zu rauben. Auch kulturell identifizierte Kollektive sind nicht homogen, selbst wenn das von außen leicht so aussehen und von interessierten Repräsentanten auch gerne so dargestellt werden mag. Der Ethnologe Andreas Wimmer weist dazu neben der individuellen auf zwei weitere Ebe43 nen des Kulturellen hin: 1.) „Kultur“ auf der Ebene des sozialen Kollektivs: Hier bezieht sich dieser Begriff auf die in einer sozialen Gruppe verfügbaren und gemeinsam akzeptierten Normen, sozialen Klassifikationen, Weltdeutungsmuster und Identität stiftenden Symbole, die von ihren Mitgliedern als gültig anerkannt und in sozialen Aushandlungsprozessen fortlaufend neu definiert werden. 2.) „Kultur“ als sozialer Abschließungsprozess. Diese Ebene des Kulturellen umfasst schließlich das soziokulturelle Phänomen der Ethnizität: Die Identifikation mit einer „kulturell“ definierten Gruppe impliziert gleichzeitig auch die Abgrenzung von anderen Gruppen. Oft werden ethnisch definierte Gruppen dabei als „historische Abstammungsgemeinschaften“ verstanden, obgleich die Ausbildung ethnischer Grenzen und Identität primär auf sozialen und politischen Faktoren und nicht auf kulturellen Unterschieden oder gar biologischen Faktoren beruhen. Ethnische Identität (sowohl das Selbstbild als auch die Identifikation eines Gegenübers als „ethnisch“ fremd) entsteht immer innerhalb sozialer Prozesse und ist daher stark kontextgebunden und stets veränderlich, was insbesondere bei „Migranten“ relevant ist: So berichten etwa viele türkischstämmige Jugendliche aller sozialer Schichten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, dass sie in Deutschland in der Regel als „Türken“ wahrgenommen werden, während sie in der Heimat der Eltern oder Großeltern die „Deutschen“ sind.

9.

Kultur als „Sediment“

Das Phänomen Migration, bzw. die unüberschaubare Vielfalt von Prozessen, individuellen Geschichten und sozialen Konstellationen, die mit Migration verbunden sein können, stellen jede Konzeption von „Kultur“ auf eine besondere Probe. Und es erscheint nachgerade paradox, dass gerade in Migrationsgesellschaften oft sehr schlichte Sichtweisen auf Migration und kulturelle Diversität populär sind, die eine differenzierte Beachtung der Thematik erschweren bzw. ihr ausweichen.44 Schließlich führen die mit Migrationsprozessen verbundenen Dynamiken und das reale 43 44

Vgl. Wimmer, Kultur, 401-425. Vgl. ebd.

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Vorsicht Kultur!

Leben als „Migrant“ eindimensionale Zuordnungen zwischen Herkunft, Identität und Kultur vollständig ad absurdum. Denn welche Bedeutung kann die zum Beispiel an der Nationalität festgemachte Kultur des „Herkunftslandes“ noch haben, wenn sich dahinter ein bis zwei in Deutschland geborene Generationen von „Gastarbeiterkindern“ und „-enkeln“ verbergen? Oder eine dreijährige, von Verfolgung, Angst, dem Tod nahestehender Personen und für Außenstehende unvorstellbares Leid geprägte Odyssee auf dem Land- und Seeweg von Ostafrika nach Mitteleuropa? Oder eine ganze Kindheit und Jugend mit ungesichertem Aufenthaltsstatus und der ständigen Bedrohung einer „Ausreisepflicht“ in ein unbekanntes „Heimatland“, dessen bloßer Name bei den Eltern Panik und Entsetzen auslöst? Welchen Sinn macht es, in Deutschland als Deutsche geborene und aufgewachsene Menschen mit der „Kultur“ des Heimatlandes ihrer Eltern oder Großeltern zu identifizieren, und welches Verständnis von Kultur verbirgt sich hinter entsprechen Auffassungen - wer immer diese auch vertreten mag? Ausgehend von dem oben gezeichneten Kulturverständnis erscheint es produktiver, die Dynamik – also die fortlaufende Entwicklung und Veränderung – des kulturellen Repertoires des Einzelnen als „Sediment“ zu bezeichnen: Diese Metapher bringt zum einen die stetige Bereicherung mit neuen kulturellen Einflüssen, Erfahrungen und Lernprozessen zum Ausdruck, die gerade, aber nicht nur, im Kontext von Migration zu einem vielschichtigen, bunten und reichhaltigen Sediment anwachsen. Jüngste Erfahrungen und dabei erworbene Denk- und Handlungsweisen, Wertorientierungen und Strategien setzen sich auf ältere, aber diese sind weiterhin relevant und können aktiviert werden. Gleichzeitig wird aber auch eine zweite Dimension nicht verschwiegen: Erschütterungen oder auch eine gezielte Suche (zum Beispiel nach den eigenen „kulturellen Wurzeln“) können Elemente aus frühen, verborgenen Schichten an die Oberfläche bringen. Das Sediment ist nicht versteinert, nicht fest, nicht unveränderbar. Plötzlich – zum Beispiel im Krankheitsfall oder bei wichtigen Lebensereignissen – erhalten längst vergessen geglaubte Orientierungen wieder Bedeutung. Die Frage nach dem Selbst, nach den für die eigene Existenz grundlegenden Werten, wird dann unter Umständen neu gestellt. An welchem Punkt aber ein Mensch, zum Beispiel das Gegenüber in einem Patientengespräch, gerade steht, welche Schichten und Elemente des individuellen „kulturellen Sediments“ für einen Menschen gerade besondere Relevanz besitzen, ist nicht an der Hautfarbe, dem möglicherweise fremd klingenden Nachnamen, dem Pass (wenn vorhanden), oder der Herkunft ablesbar. Welche der im Laufe seines oder ihres Lebens erworbenen Erfahrungen und Orientierungen die Wahrnehmung zum Beispiel von Krankheit oder körperlichen Symptomen, das Denken, Fühlen und Handeln, sowie das Selbstbild und die Identität eines Individuums gerade strukturieren, kann nicht anhand von Äußerlichkeiten bestimmt werden. Insbesondere die „Herkunft“ ist dafür ein sehr unsicheres Kriterium, da diese bei vielen Menschen auch im Plural stehen kann, Herkunftsländer und -regionen außerdem

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sehr heterogen sein können. Vor allem aber darf der Blick auf die ferne Vergangenheit bzw. die früheren Phasen einer Biographie, so wichtig diese auch sind, nicht den Blick auf die Lebenssituation in der Gegenwart und die jüngere Vergangenheit verstellen. Denn gerade infolge von Migration kann es zu Lebenssituationen kommen, die jenseits der Vorstellungswelt sowohl der Betroffenen liegen als auch all jener, die dieses Leben – zum Beispiel als „Papierloser“, als Angehöriger einer stigmatisierten Minderheit oder als über Jahre in Duldung lebende Familie – nicht kennen.

10. Fazit Kultur ist ein ebenso alltäglicher wir komplizierter Begriff, der behutsam und mit Bedacht angewendet jedoch große Möglichkeiten auch für die medizinische Praxis und die medizinische Ethik bietet. Denn gerade wenn es kompliziert wird, wird der Kulturbegriff interessant und zeigt sein enormes Potenzial. Gerade dann, wenn Fremdheit, fremde Lebenswelten und Konfliktlinien zwischen eigenen und fremden Wertvorstellungen und Verhaltensweisen augenscheinlich werden, kann ein ethnographisch orientiertes Verständnis von „Kultur“ – formuliert als Frage und kombiniert mit einer Reflexion über die kulturellen Voraussetzungen des eigenen Denkens, Handelns und Fühlens – einen wichtigen Beitrag für ein besseres Verstehen und Verständnis in der inter-kulturellen Beziehung leisten, zum Beispiel zwischen medizinischem Personal und Patienten. In der Forschung wiederum können ethnographische Forschungsansätze privilegierte Einblicke in und Erkenntnisse zu Gesundheit und medizinischer Versorgung vor dem Hintergrund sozialer und kultureller Diversität vermitteln, auf die eine zeitgemäße Medizin und Medizinethik nicht verzichten sollte.

Die ethnische Verlagerung von ethischen Problem- und Konfliktfällen Christiane Imhof, Frank Kressing Seit den 1990er Jahren lässt sich in der Bundesrepublik Deutschland in den Heilund Pflegeberufen eine zunehmende Sensibilisierung für interkulturelle Problemund Konfliktfelder verzeichnen, die nicht zuletzt in der Gründung der Arbeitsgruppe Interkulturalität und Medizin der Akademie für Ethik in der Medizin ihren Niederschlag fand. Gründe dafür sind die seit den 1970er Jahren einsetzende Arbeitsmigration nach Deutschland, der Zustrom von Asylsuchenden und die Ausweitung des Medizintourismus für eine Klientel aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese Sensibilisierung findet ihren Niederschlag auch in der reichhaltigen 1 Literatur zu diesem Thema, die inzwischen verfügbar ist. Angesichts dieser Grundsituation ist es sicherlich begrüßenswert, dass Fragen kulturgebundener Krankheitsätiologie, kulturell unterschiedlicher Auffassungen von medizinischer Versorgung und Pflege bis hin zu kulturgebundenen Formen der Trauerbewältigung zunehmend mehr Aufmerksamkeit im Krankenhausalltag entgegengebracht wird. Gleichzeitig stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Ethnisierung von medizinischen Behandlungs- und Versorgungskonflikten nicht auch eine Vermeidungsstrategie darstellt, um sich nicht eingehender mit Wünschen und Ansprüchen von Patienten auseinandersetzen zu müssen, die vielleicht gar nicht in dem Maße fremdkulturell bedingt sind, wie angenommen wird. Eine weitere Frage, die sich anschließt: Trägt das Labeling von Problemen des Krankenhausalltags als ethnisch nicht auch dazu bei, sich mit (legitimen) Bedürfnissen von Patienten nicht weiter auseinandersetzen zu müssen und ethischen Erfordernissen von Behandlung und Pflege aus dem Weg zu gehen? Im Versuch einer möglichen Antwort auf diese Frage möchten wir im Folgenden zunächst einige Fallbeispiele aus der klinischen Praxis vorstellen, anhand derer vermeintliche oder tatsächliche ethnische, religiöse oder kulturelle Missverständnisse und Wahrnehmungsprobleme herausgearbeitet werden sollen, bevor wir zu einer Diskussion und Bewertung der gerade aufgestellten These gelangen. 1

Vgl. Theda Borde (Hrsg.), Frauengesundheit, Migration und Kultur in einer globalisierten Welt, Frankfurt a. M. 2008; Ilhan Ilkilic, Der muslimische Patient. Medizinethische Aspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft, Münster/Hamburg/ London 2002; Ilhan Ilkilic, Kulturelle Aspekte bei ethischen Entscheidungen am Lebensende und interkulturelle Kompetenz, in: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 8 (2008), 857–864; Michael Knipper/Secil Akinci/Nedim Soydan, Culture and Health Care in Medical Education: Migrants' Health and Beyond, in: Zeitschrift für Medizinische Ausbildung 27/3 (2010), Doc41; Michael Knipper/Yaşar Bilgin, Migration und Gesundheit, Sankt Augustin/Berlin 2009; Marlene Herrmann, Kultursensible Altenpflege. Eine (neue) Herausforderung für die Altenpflege?, in: Augsburger Volkskundliche Nachrichten 33 (2011), 70–93.

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Fall 1: Kind in palliativer Behandlungssituation Im ersten Fall (aus der Kinder- und Jugendmedizin) geht es um einen Jungen aus einer Familie mit türkisch-muslimischem Hintergrund. Der kleine Patient litt an einer Immunreaktion gegen körpereigenes Gewebe nach Knochenmarktransplantation (eine Graft-versus-Host-Reaktion) mit Darmmassenblutung, die immunologisch nicht mehr in den Griff zu bekommen war. Die behandelnden Ärzte waren sich darin einig, dass ein kuratives Therapieziel nicht mehr zu erreichen war. Weitere therapeutische Maßnahmen würden dem Kind nur unnötiges Leid zufügen. Sie sprachen sich gegenüber den Eltern dafür aus, die Therapie zu begrenzen. Die Reaktionen der beiden Elternteile waren unterschiedlich: Die aus dem Ruhrgebiet stammende Mutter, eine türkisch-stämmige Migrantin der zweiten Generation, zeigte Verständnis für diese Entscheidung. Der erst vor kurzem nach Deutschland gekommene Vater mit sehr begrenzten deutschen Sprachkenntnissen war nicht bereit, die ärztliche Empfehlung des Therapieverzichts zu akzeptieren. Trotz der infausten Prognose verlangten die Eltern letztlich die Fortsetzung aller lebensverlängernden Maßnahmen bis zum unausweichlichen Tod des Patienten, obwohl diese als medizinisch unbegründet und schwer zu rechtfertigen angesehen wurden. Dementsprechend wurde die Behandlung bis zum baldigen Tod des Jungen fortgesetzt. Auch wenn der Vater seine Einstellung nicht weiter erläuterte, so ließe sich dahinter doch die als „typisch“ islamisch angesehene Auffassung vermuten, dass der Mensch seinen Körper nur von Gott (Allah) geliehen habe, also gar nicht Herr seines eigenen Körpers sei, und nur Allah allein über Tod und Leben entscheiden könne. Im Rahmen der Wertschätzung der Medizin im islamischen Kulturraum sollen dementsprechend alle möglichen lebensverlängernden Maßnahmen fortgeführt werden. Wenn die Eltern oder Angehörigen eines Patienten sich weigern, diese Maßnahmen in die Wege zu leiten oder zu unterstützen, müssen sie – gemäß dieser Auffassung – mit Sanktionen im Jenseits rechnen. Das Verlangen vieler muslimischer Eltern nach Maximaltherapie bei infauster Prognose ist also nicht unbedingt nur altruistisch zu verstehen, sondern entspringt auch der Furcht vor dem antizipierten Jüngsten Gericht nach dem eigenen Tode. Für das Klinikpersonal steht dagegen eher das Patientenwohl im Zentrum des Entschlusses zur Fortset2 zung oder zum Abbruch der Therapie. Im geschilderten Fall scheint es sich tatsächlich um eine interkulturell (mit-) bedingte Konfliktsituation zu handeln, bei der auch unterschiedliche Vorstellungen der Ehepartner eine Rolle spielen. Dennoch stellt sich die Frage, ob dieser Konflikt spezifisch ethnisch/religiös, d.h. durch das muslimische Glaubensbekenntnis der Eltern bedingt ist. Oder sind ähnliche Konfliktfälle nicht auch mit christlichen oder nicht-gläubigen Eltern vorstellbar?

2

Vgl. Ilkilic, Kulturelle Aspekte, 857f.

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Dass die vermeintliche oder tatsächliche fremdkulturelle religiöse Orientierung dem Verlangen der Eltern nach maximaler Nutzung aller Therapiemöglichkeiten zugrunde liegt, kann hier bei näherem Hinsehen durchaus in Frage gestellt werden. Die allmähliche Entschleierung eines Geflechts aus religiöser Motivation (vermeintlich oder tatsächlich), Behandlungsunwilligkeit und fremden Familienstrukturen lässt sich beim zweiten Fall, den wir im Folgenden vorstellen, unseres Erachtens noch deutlicher vollziehen. Die Konflikte werden gemäß den unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen der jeweiligen Behandlungsteams jeweils in einer interkulturellen und einer nicht-interkulturellen Sichtweise dargestellt werden, um die Konsequenzen des entsprechenden Perspektivenwechsels besser veranschaulichen zu können.

Fall 2, Version 1: Die schwierige Patientin? Eine etwa 65-jährige Patientin wird in der internistischen Abteilung wegen eines massiven Dekubitus in der Steißbeinregion verbunden mit septischem Krankheitsbild behandelt. Wegen drohender Lebensgefahr wurde bereits zwei Wochen zuvor in der chirurgischen Abteilung eine operative Entfernung von infiziertem und abgestorbenem Gewebe gestellt. Die Patientin lehnte den Eingriff jedoch ab und entließ sich selbst. Die Verschlechterung ihres Zustandes ist Anlass zur (Wieder-) Aufnahme in die Innere Medizin. An Vorerkrankungen bestehen ein Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas sowie schwere Durchblutungsstörungen der Beine (PAVK Stadium IV). Anderthalb Jahre zuvor wurde ihr der rechte Unterschenkel amputiert. Die Patientin stammt aus der Türkei. Sie ist verwitwet. Aus ihrer Ehe mit einem Deutschen hat sie einen erwachsenen Sohn, der mit ihr zusammenlebt. Sie lehnt die dringend indizierte Operation nach wie vor ab und äußert, dass sie jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht behandelt werden wolle, sondern zunächst wieder in die Türkei zu Verwandten reisen möchte. Ein psychiatrisches Konsil bestätigt die volle Einwilligungsfähigkeit der Patientin. Dennoch bezweifeln die behandelnden Ärzte, dass die Patientin die Lebensbedrohlichkeit ihrer Lage überblickt. Die Stationsärztin empfindet Unbehagen darüber, dass man der Patientin, mit der es sprachlich keine Verständigungsprobleme gebe, die Tragweite des Verzichts auf die Operation nicht habe verständlich machen können. Dennoch sieht das Behandlungsteam derzeit keine weitere therapeutische Option außer der Gabe von Antibiotika, um den Zustand kurzfristig zu stabilisieren. Die Aufnahme ins Pflegeheim ist mit Einverständnis der Patientin für die darauf folgende Woche geplant. Eine erneute massive Verschlechterung ihres Zustandes und die Wiederaufnahme in die Klinik seien jedoch abzusehen. Alle Mitglieder des Behandlungsteams beschreiben die Patientin als äußerst fordernd. Medizinische und pflegerische Maßnahmen lasse sie kaum zu – z.B. sei es den zuständigen Schwestern und Pflegern kaum möglich sie fachgerecht zu lagern, was jedoch unbedingte Voraussetzung für die Heilung des Ge-

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schwürs wäre. Die Sozialarbeiterin berichtet, sie habe vergleichbare Schwierigkeiten im Umgang mit Patienten in ihrer langjährigen Berufstätigkeit noch nicht erlebt. Die Verhaltensweisen der Patientin erzeugen bei den behandelnden Mitarbeitern Aggressionen, welche das Verhältnis zur Patientin zusätzlich belasten. Auch der Sohn trete sehr fordernd und aggressiv auf und habe bereits Mitarbeiter der Klinik bedroht. Sein Verhältnis zur Mutter, von der er möglicherweise finanziell abhänge, sei gespannt – teilweise komme es zu Handgreiflichkeiten. Gemeinsame Gespräche mit der Patientin und ihrem Sohn seien aufgrund der innerfamiliären Auseinandersetzungen nicht möglich. Aus einer Fallbesprechung aller in die Behandlung eingebundenen Mitarbeiter geht hervor, dass die Patientin an einem massiven Vertrauensverlust gegenüber den Institutionen des Gesundheitswesens zu leiden scheint. Dies führte bereits zu mehreren Therapieabbrüchen und Entlassungen aus Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen. Das Behandlungsteam sieht keine Möglichkeit, einen Konsens mit der Patientin herzustellen, und ist der Meinung, die ablehnende Haltung der Patientin akzeptieren zu müssen. Unter diesen Umständen halten es die Gesprächsteilnehmer für konsequent, im Falle einer Wiedereinweisung von intensivmedizinischen Maßnahmen abzusehen und den Verzicht auf Wiederbelebungsmaßnahmen zu bedenken. Nach dieser Schilderung scheint es sich hier um eine behandlungsunwillige, vielleicht auch psychisch auffällige, Patientin zu handeln, die sich – aus nicht unmittelbar nachvollziehbaren Gründen – gegen lebensrettende Maßnahmen sträubt.

Fall 2, Version 1: Ethische Aspekte Die meisten Mitglieder des Behandlungsteams sehen sich mit dem Fall einer besonders schwer zugänglichen schwierigen Patientin konfrontiert. Der so genannte schwierige Patient ist ein bekanntes Phänomen in der Klinik und ruft bei den Mitarbeitern häufig Unmut und Rückzugstendenzen hervor, da man mit dem Patienten nicht arbeiten könne – ein Problem, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts vermehrt in der Fachliteratur behandelt wird.3 Unterschiedlichen Angaben zufolge sollen zwischen 15 bis 60% (!) der Patientinnen und Patienten unter dieser Kategorie zu fassen sein, wobei in den letzten fünfzehn Jahren der schwierige Patient wie der muslimische Patient als eine ebenso pauschale und stereotype Konstruktion des ärztlichen Behandlungs- und Pflegepersonals in Frage gestellt wird.4 Das Augen-

3 4

Vgl. Gert Kowarowsky, Der schwierige Patient. Kommunikation und Patienteninteraktion im Praxisalltag, Stuttgart 2005. Vgl. Jean Abbot, Difficult Patients, Difficult Doctors: Can Consultants Interrupt the “Blame Game“?, in: The American Journal of Bioethics 12/5 (2012), 18–20; Autumn Fiester, The “Difficult” Patient Reconceived: An Expanded Moral Mandate for Clinical Ethics, in: The American Journal of Bioethics 12/5 (2012), 2–7; Kayhan Parsi, Shifting from the Difficult Patient to the Dif-

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merk wird demgegenüber mehr auf den professionellen Umgang mit Emotionen von und gegenüber ängstlichen, fordernden, distanzlosen Patienten gelenkt – im Sinne der Aussage: „Der schwierige Patient ist im Wesentlichen ein Interaktionsphänomen, das Achtsamkeit erfordert.“5 Aus ethischer Perspektive ergibt sich folgender Konflikt: Der Fürsorgepflicht der Behandelnden steht der Respekt vor der Autonomie des Patienten gegenüber. Dem Prinzip des Respekts vor der Patientenautonomie gemäß besteht die Aufgabe der Behandelnden darin, den womöglich ungewöhnlich anmutenden Lebensentwurf des Patienten prinzipiell erst einmal anzuerkennen und zu versuchen, ihn zu verstehen. Interesse an der (Lebens-) Geschichte des Patienten wird als Voraussetzung für ein gelingendes Arzt-Patient-Verhältnis gesehen und kann helfen, mögliche 6 Schlüsselerlebnisse für die negativen Gefühle des Patienten aufzudecken. Für eine erfolgreiche Behandlung ist jedoch auch ein Mindestmaß an Mitarbeit des Patienten nötig. Denn wenn Patienten die medizinisch notwendigen Maßnahmen durch ihr Verhalten „abblocken“, ist es fraglich, ob eine weitere Behandlung sinnvoll ist. Mit Augenmerk auf die sorgfältige Anwendung des Autonomieprinzips ist jedoch weiter zu fragen, ob der Patient vielleicht deshalb nicht mitarbeitet, weil ihm der Sinn der Maßnahmen nicht ersichtlich ist. Folglich müssten die Aufklärungsbemühungen verstärkt werden, bis dieses Ziel erreicht und sichergestellt ist, dass der Patient die Konsequenzen seines Verhaltens überblickt. Möglicherweise kann der Patient jedoch aufgrund kognitiver Einschränkungen oder psychischer Beeinträchtigungen den Sinn der Therapie und seiner Mitarbeit dabei nicht nachvollziehen. In diesen Fällen müsste sich das Behandlungsteam im Sinne der Fürsorgepflicht um eine anderweitige Unterstützung des Patienten bemühen. Wenn auch das Behandlungsteam im hier geschilderten Fall nicht an der kognitiven Einsichtsfähigkeit der Patientin zweifelte, so zog es doch in Betracht, dass die Patientin psychisch überlastet sein könnte, so dass man schließlich einen psychosomatischen Behandlungsansatz versuchte. Allerdings beließ es der hinzugezogene Fachkollege bei einem einmaligen Gespräch, da auf Seiten der Patientin keinerlei Gesprächsbereitschaft zu erkennen war.

Fall 2, Version 2: Der mehrfache interkulturelle Konflikt Eine andere Episode in der Vorgeschichte desselben Falles mag demgegenüber noch eine ganz andere Perspektive auf die Problematik enthüllen: Die Patientin muslimischen Glaubens verweigerte zu einem früheren Zeitpunkt (ca. anderthalb Jahre vor der oben geschilderten Situation) in einem lebensbedroh-

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ficult Relationship: Can Ethics Consultants Really Help?, in: The American Journal of Bioethics 5 (2012), 1. Vgl. Kowarowsky, Der schwierige Patient. Vgl. Susana-Maria Steinhauser, Der schwierige Patient aus Sicht des Mediziners, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 158/23–24 (2008), 650–653.

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lichen Zustand vehement den zu der Zeit geplanten Eingriff. Sie litt unter einem langjährig unbehandelten Diabetischen Fußsyndrom, und die Lebensbedrohung konnte nur durch eine unmittelbare Amputation des rechten Beines abgewendet werden. Doch die Begründung der Patientin gegen den Eingriff lautete: Sie dürfe nur als vollständiger Leib beerdigt werden, um ihr Seelenheil zu erlangen – die Abtrennung eines Körperteils komme deshalb nicht in Frage. Die behandelnden Ärzte sehen hierin keine ausreichende Begründung und bezweifeln die Einwilligungsfähigkeit der Patientin. Ein Amtsrichter ordnet die Zwangsbehandlung der Patientin an. Um diese zu verhindern, stürmt während der Operation ihr Sohn in den Operationssaal und schlägt einen OP-Pfleger, der ihn am Zutritt hindern will. Nach der – zwangsweise vorgenommenen – Amputation befindet sich die Patientin in einem relativ guten Allgemeinzustand. Sie erfährt, dass eine ordnungsgemäße Beerdigung ihres Beines veranlasst wurde. Die Patientin zeigt sich im Nachhinein froh darüber, noch am Leben zu sein. Schon im Krankenbett plant sie ihren künftigen Alltag im elektrischen Rollstuhl. Ein studentischer Beobachter empfindet die Situation hingegen als ethisch bedenklich: Es musste in einem akuten Fall schnell gehandelt werden und der Wille der Patientin wurde von Ärzten und vom Richter hinter die Rettung des Lebens zurückgestellt – die Glaubensäußerungen der Patientin überzeugten sie nicht. Diese Vorgeschichte mag die Unzugänglichkeit der Patientin in der zuerst geschilderten, aktuellen Situation bis zu einem gewissen Grad erklären. Eventuell hat sie schon zuvor Erfahrungen einer kulturellen bzw. religiösen Marginalisierung gemacht, was zu ihrer durch Misstrauen geprägten Abwehrhaltung beitragen könnte – den Versuch einer türkisch-sprachigen Pflegekraft, mit ihr in ihrer Muttersprache zu reden, weist sie brüsk zurück. Als Roma in der Türkei ist sie möglicherweise einer tiefgreifenden Diskriminierung ausgesetzt gewesen und will nicht auf Türkisch angesprochen werden – allerdings ist dies eine Vermutung. Die tatsächlichen Beweggründe lassen sich nicht mehr erschließen. Auch die bis zur Gewalttätigkeit reichenden Reaktionen ihres Sohns lassen sich aus vermeintlich kulturgebundenen Vorstellungen von Ehre, Verteidigung der Familie und Durchsetzung seiner Rolle als Sohn und Familienoberhaupt erklären. Statt um eine schwierige, behandlungsunwillige Patientin mag es sich bei der Dame also eher um ein Opfer interkultureller Missverständnisse und Diskriminierung handeln. Eine kultursensible Pflege und ärztliche Behandlung wären die angemessenen Maßnahmen – oder? In der aktuellen Behandlungssituation auf der internistischen Abteilung kommt die Abstammung der Patientin, die in der Fallschilderung zunächst keine Rolle gespielt hat, im Rahmen einer interdisziplinären Fallbesprechung zur Sprache. Man kommt schließlich zu dem Schluss, dass die Patientin ein von den Vorstellungen der Mitarbeiter gänzlich verschiedenes Lebenskonzept zu haben scheint, das zu akzeptieren sei. An dieser Stelle sei mit einigen kritischen Überlegungen ausgelotet, inwieweit einerseits tatsächlich fremdkulturelle Vorstellungen und deren Missachtung die

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jetzige für alle Beteiligten belastende Situation mit bedingt haben könnten, inwieweit aber andererseits durch die Annahme, dass hier ein ethnisch fremdartiges Lebenskonzept zu akzeptieren sei, andere Bedürfnisse der Patientin vernachlässigt werden.

Fall 2, Version 2: Ethische Aspekte In der Konfliktsituation um die Amputation stoßen die Glaubensvorstellungen der Patientin mit dem Berufsethos der behandelnden Orthopäden zusammen. Diese sehen sich in einer akuten, notfallähnlichen Situation dem Prinzip, das Leben der Patientin zu erhalten, verpflichtet. Sie können die Gründe der Patientin, die sie für die Ablehnung der Operation anbringt, nicht nachvollziehen und zweifeln an der Fähigkeit der Patientin, eine autonome Entscheidung zu treffen. Gründe für diese Zweifel mögen der kritische Zustand der Patientin sein, aber auch die fremdartig anmutende Vorstellung der Patientin, dass ihr eigentliches Heil im Jenseits dieser Welt liegt. Aus Sicht der behandelnden Ärzte ist dagegen ein Leben ohne Bein dem Verlust des Lebens vorzuziehen. Da unter Zeitdruck eine extrem weitreichende Entscheidung getroffen werden muss, orientieren sich die Ärzte offenbar an dem Grundsatz in dubio pro vita, denn der Behandlungsverzicht würde höchstwahrscheinlich zum Tode der Patientin führen. Andererseits ist auch die Amputation des Beines eine unumkehrbare Entscheidung und bringt für die Betroffenen gravierende Beeinträchtigungen mit sich, die sowohl Auswirkungen auf das körperliche 7 Empfinden als auch auf die Selbstwahrnehmung und Identität haben. Denkbar ist, dass der Verlust ihres Beines für die Patientin eine so große Einschränkung der Lebensqualität darstellt, dass sie den dadurch entstehenden Schaden als größer empfindet als den Verlust des Lebens. Ob darüber hinaus die ordnungsgemäße Beerdigung des Beines tatsächlich den Ansprüchen der von der Patientin angeführten muslimischen Glaubensvorstellungen entspricht, kann in Frage gestellt werden. Ein Leben in dem Wissen, dass das seelische Heil für die Ewigkeit zerstört ist, mag für die Patientin nicht mehr lebenswert sein und sie in heftige Gefühle der Verzweiflung, Trauer oder Wut stürzen, auch wenn es den Anschein hat, dass sie zunächst froh über den Ausgang der Geschichte ist. Dieser Behandlungskonflikt kann also auch so interpretiert werden, dass hier aus einer paternalistischen Haltung heraus ein eindeutiger Fall religiöser Diskriminierung vorliegt und die Grundlagen kultursensibler Krankenpflege missachtet werden. Die medizinische Logik sticht das Lebenskonzept der Patientin aus, sie wird nicht ernst genommen und ihre Autonomie wird untergraben - so die Lesart 7

Einen Überblick über die bisherige Forschung verbunden mit neuen Ansätzen, die die Veränderungen des Selbstbildes und verschiedene Coping-Strategien von Patienten nach Amputationen bieten: Hugo Senra/Rui Aragão Oliveira/Lea Isabel Vieira, Beyond the Body Image: A Qualitative Study on How Adults Experience Lower Limb Amputation, in: Clinical Rehabilitation 26/2 (2011), 180–191.

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nach etablierten westlichen medizinethischen Grundsätzen. Auf der Prinzipienebene besteht ein typischer medizinethischer Konflikt zwischen dem Respekt vor der Patientenautonomie und dem medizinisch verstandenen Prinzip des Wohltuns. Konflikte zwischen Ärzten und Patienten oder Angehörigen bezüglich Behandlungsentscheidungen sind im klinischen Alltag beinahe an der Tagesordnung. Es ist heutzutage eine allgemein akzeptierte Regelung,8 dass Patienten, basierend auf dem Prinzip der Autonomie, das Recht zugestanden wird, Behandlungen auch aus von Ärzten nicht nachvollziehbaren Gründen abzulehnen, sofern ihre Einsichtsund Einwilligungsfähigkeit gegeben ist. Die schematische Anwendung des Prinzips Autonomie, verstanden als Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit, greift jedoch aus Sicht vieler Autoren zu kurz.9 Ausgehend von der Beobachtung, dass Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit aus komplexen situativen Interaktionen entsteht, legt beispielsweise Michi Knecht dar, dass „Vorstellungen von Autonomie in Abstufungen und Mischungsverhältnissen existieren“ und „alle Formen von Autonomie sozial verhandelt und anerkannt“ werden müssen.10 Bei dem Konflikt um die Amputation wäre somit genauer zu explorieren, welche Rolle der ethnisch-religiöse Hintergrund der Patientin tatsächlich spielt. Wie unterscheidet sich die Patientin von einem Zeugen Jehovas, der die lebensrettende Bluttransfusion verweigert? Hätte man eine Ablehnung der Amputation mit der weltanschaulich neutralen Begründung, ein Leben ohne Bein sei für die Patientin schlicht nicht lebenswert, eher akzeptiert? Wie fest verwurzelt ist die Patientin in ihrem Glauben? Wie buchstabiert sie ihre Glaubensregeln aus? Welche weiteren Gründe mag sie für ihre Ablehnung der Operation gehabt haben? Wie sieht ihre soziale Situation bzw. ihr Verhältnis zum Sohn aus? Als roma-stämmige Frau, die in der Türkei geboren ist und mit einem Deutschen verheiratet war, ist ihre Identität vielfältig beschreibbar, und es wäre wichtig zu wissen, wie ihre Glaubensvorstellungen darin eingebettet sind. Es ist denkbar, dass die zwangsweise vorgenommene Amputation, die mit der Missachtung ihrer ethnisch-religiösen Wertvorstellungen einherging, den massiven Vertrauensverlust der Patientin bedingt hat, der in der aktuellen Situation (drohende Sepsis bei Dekubitus) zu beobachten ist. Auch hat man möglicherweise die Traumatisierung der Patientin als Folge der Amputation unterschätzt, sodass eine nachhaltigere psychische Unterstützung, als die, die tatsächlich gegeben wurde, aus 8

9

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In der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 10. Dezember 2012 heißt es dazu in § 7: „(1) Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen.“ (http://www.aerztekammerbw.de/10aerzte/40merkblaetter/20recht/05kammerrecht/bo.pdf, Zugriff am 28.01.2013.) Vgl. beispielsweise Theda Rehbock, Autonomie – Fürsorge – Paternalismus, in: Ethik in der Medizin 14 (2002), 131–150. Im interkulturellen Kontext auch: Andrew Fagan, Challenging the Bioethical Application of the Autonomy Principle within Multicultural Societies, in: Journal of Applied Philosophy 21(2004), 15–31. Michi Knecht, Jenseits von Kultur: Sozialanthropologische Perspektiven auf Diversität, Handlungsfähigkeit und Ethik im Umgang mit Patientenverfügungen, in: Ethik in der Medizin 20 (2008), 169–180, 179.

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Gründen der Fürsorge angezeigt gewesen wäre. Eventuell lassen sich zudem in der Anamnese ihrer chronischen Erkrankung – sie leidet an Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und arteriellen Durchblutungsstörungen – weitere Aspekte/Situationen einer ungenügenden medizinischen Versorgung finden, die mit ihrem Migrationshintergrund erklärbar wären. Die angemessene Würdigung solcher Versäumnisse könnte möglicherweise Ansatzpunkte für eine Verständigung mit der Patientin in der aktuellen Konfliktlage eröffnen. Denkbar ist allerdings auch, dass die Patientin unabhängig von ihren religiösen und persönlichen Wertvorstellungen und ihren Erfahrungen mit dem deutschen Gesundheitssystem eine Persönlichkeitsstruktur mitbringt, die es von Anfang an schwer gemacht hat, eine gelingende therapeutische Beziehung herzustellen. Die vorgestellten Fallbeispiele zeigen, dass ethnisch bedingte Konflikte gar nicht einmal so unmittelbar auf der Hand liegen, wie das – gerade bei Menschen mit Migrationsbiographie – der Fall zu sein scheint. Oft entsteht die ethnische Dimension des Therapiekonfliktes erst im Auge des Betrachters. Diese kann unter Umständen zur besseren Nachvollziehbarkeit der Konfliktkonstellation beitragen. Die ethische Dimension des Konfliktes um unterschiedliche Weltanschauungen und Lebenskonzepte erfordert dagegen die sorgfältige Ausbalancierung der Prinzipien von Autonomie und Fürsorge im Hinblick auf einen individuellen Patienten und findet sich in vielen, auch nicht-ethnischen therapeutischen Beziehungen. Die Bezeichnung eines Konfliktes als ethnisch entspricht vielfach eher einer unspezifischen Zuschreibung, einem Labeling des Patienten oder der Patientin, das durch die aktuellen Debatten um kultursensible Migranten-Medizin und die noch aktuelleren Debatten um Allokation und Teilhabe im Gesundheitswesen zusätzlichen Auftrieb erhält. Im Rahmen dieser Allokationsdebatte wird zum Teil eine besondere Berücksichtigung und Förderung der Gesundheitsbedürfnisse von Migranten gefordert, ein Medical Diversity Management.

Brauchen wir eine Migranten-Medizin? Bei aller Notwendigkeit einer Einstellung auf spezifische Bedürfnisse von Migranten im Sinne eines integrativ-partikularistischen Ansatzes, der Verpflichtung zur interkulturellen Öffnung und der Notwendigkeit des kultursensiblen Umgangs mit Patienten; bei aller Notwendigkeit der Förderung der interkulturellen Kompetenz aller Mitarbeiter im Gesundheitswesen besteht gerade in der verstärkten Wahrnehmung von Konflikten im klinischen Pflege- und Versorgungsbereich als „ethnischen Konflikten“ die Gefahr der ethnischen Segregation und Stigmatisierung. Im bundesdeutschen Kontext beziehen sich Kategorisierungen kultureller Diversität – ganz anders als etwa in den USA – in der Regel auf Migranten, das heißt, gemäß den durchaus unklaren Definitionen von Migrationshintergrund, auf bis zu 15 Millionen Menschen. Das Label interkulturell trägt dabei in der Regel die Konnotation „eth-

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nisch“ oder „religiös“ in verschiedenen Abstufungen in sich. Mit dem Verweis auf den Migrationshintergrund wird auch gleich „fremde Herkunft“, „fremde Religion“, eventuell auch „fremde Sprache“ mitgedacht. Dabei wird die Individualität des Patienten/der Patientin häufig auf dieses Herkunftskriterium reduziert und übersehen, dass die Migrationsgeschichte eines Patienten „nur einen Aspekt der persönlichen Gesundheitssituation“ darstellt.11 So kann die Forderung nach Medical Diversity Management auch als Ausdruck übersteigerter interkultureller Sensibilität verstanden werden. Es lässt sich mit Fug und Recht fragen, ob spezifische Bedürfnisse von Migranten überhaupt kulturell bedingt sind, oder ob sie nicht viel eher einer schichtspezifischen Situation entspringen. Auch die Gültigkeit und Berechtigung ethnisch definierter Werte und Normen kann im Einzelfall durchaus in Frage gestellt werden, genau so, wie eine interkulturell begründete Schutzzone nicht in jedem Falle zu rechtfertigen ist und sowohl die Gefahr der Stigmatisierung als auch der vermeintlichen Überprivilegierung in sich trägt – dies gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Allokationsdebatten, Stichwort: Teilhabe. Die aktuellen Debatten um Interkulturalität im Gesundheitswesen sind nach wie vor nur allzu oft von pauschalen Zuschreibungen geprägt – etwa der Art, dass den Migrantinnen und Migranten türkischer, arabischer und iranischer Herkunft ein Grad der Verwurzelung im Islam unterstellt wird, der in dieser Form nicht unbedingt in jedem Fall gegeben ist. In Bezug auf die Etikettierung als Muslimin oder Muslim wird häufig in sehr undifferenzierter Weise nicht zwischen dogmatischer Buchreligion, durch volksreligiöse Vorstellungen geprägter Performanz und säkularer Performanz im Gesundheitswesen unterschieden. Manche vermeintlich im Islam gründenden Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit entpuppen sich bei näherem Hinsehen eher als kulturgebundene Krankheitsvorstellungen (so genannte Culture Bound Syndroms), z.B. die Vorstellungen vom Bösen Blick, oder als Resultat unterschiedlicher Krankheitsätiologien und Symptombeschreibungen. Nicht zuletzt führt uns das zu der Frage: Was ist überhaupt Kultur? Deshalb soll zum Schluss der Blick auf unterschiedliche kulturgebundene Gemengelagen innerhalb des medizinischen Personals in bundesdeutschen Krankenhäusern und Arztpraxen gerichtet werden. Natürlich gibt es auch in der Klinik unterschiedliche Kulturen, repräsentiert durch verschiedene ethnische Zugehörigkeiten von Behandlungsteams. Aber der Begriff Kultur soll hier keinesfalls nur ethnisch verstanden, sondern durchaus auch auf verschiedene berufs- und fachspezifische Kulturen in der Klinik bezogen werden – z.B. haben Ärzte und Pflegepersonal oft verschiedene Sichtweisen auf dieselben medizinischen Probleme, und diese Differenzen mögen sich im Einzelfall stärker als ethnische Unterschiede auswirken. Determinanten von Kultur stellen unter anderem Flexibilität, Temporalität, Selbstund Fremdzuschreibung dar. Kultur – als ethnisch verstandenes Differenzierungs11

Vgl. Ulrike Kostka, Ethisch entscheiden im Team. Leitfaden für soziale Einrichtungen, Freiburg/ Basel 2009.

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Die ethnische Verlagerung von ethischen Problemfällen

kriterium – zeichnet sich durch zum Teil willkürliche Abgrenzung verschiedener kultureller Gruppen über Sprache, Religion (oder andere Überzeugungssysteme) und ein Wir-Bewusstsein aus. Auch verschiedene medizinische Fachdisziplinen, beispielsweise die der Anästhesisten, Orthopäden, Psychiater oder Internisten, zeichnen sich durch ihre eigenen Subkulturen aus. Mancher als interethnisch wahrgenommene oder deklarierte Behandlungskonflikt mag tatsächlich vielleicht eher auf interne medizinische Kulturkonflikte zurückzuführen sein. In unserem Fallbeispiel 2, Version 2, wäre beispielsweise zu überlegen gewesen, ob nicht die internistischen Fachkollegen noch einen Therapieversuch mit einer alternativen, beinerhaltenden Technik hätten vornehmen können. Diese Option mag den orthopädischen Kollegen in der akuten Situation nicht gegenwärtig gewesen sein. Auch deshalb sei hier abschließend die These aufgestellt, dass das Label ethnisch in vielerlei Zusammenhängen als Entschuldigungsstrategie und Rationalisierung im Klinikalltag zu verstehen ist, vielleicht auch der westlichen Gesellschaft überhaupt, indem die Kategorie ethnisch als bequemer Gummibegriff dazu dient, ganz anders gelagerte Konflikte zu kaschieren.

Interkulturalität im Gesundheitswesen: Organisationsethische Aspekte Karl-Heinz Wehkamp

Vorbemerkung Interkulturalität im Gesundheitswesen aus ethischer Sicht zu betrachten bedeutet, die an den Berührungsstellen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen entstehenden Phänomene von Wertschätzung, von Anerkennung und Missachtung, kritisch zu betrachten. Eine spezielle organisationsethische Perspektive fragt dabei nach der Verantwortlichkeit von Institutionen und Organisationen, die soziologisch der Mesoebene zuzuordnen sind. Personell sind Repräsentanten von Management und Verwaltung angesprochen. Wenn Interkulturalität hier moralisch relevant ist, dann könnte eine ethische Reflexion zu einer Unternehmenskultur der 1 sozialen Verantwortung beitragen.

1.

Interkulturalität als Faktum und Anspruch

Der Begriff Interkulturalität kann in vielerlei Facetten benutzt werden: beschreibend (deskriptiv), analytisch und normativ. Beschreibend bezeichnet er die Tatsache, dass Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und Prägung gemeinsame Lebenswelten teilen – verbunden mit mehr oder weniger starken Austausch- und Abgrenzungsprozessen. Bezogen auf die Gesundheitssysteme der heutigen Welt bezeichnet er die Tatsache, dass dort Menschen aus unterschiedlichen Herkunftskulturen Dienste oder Leistungen in Anspruch nehmen (oder von ihnen ausgeschlossen werden), die dem Schutz oder der Wiederherstellung ihrer Gesundheit oder einem möglichst guten Leben bei nicht heilbaren chronischen Krankheiten dienen sollen. Auch auf der Seite der Gesundheitsberufe ist Interkulturalität inzwischen ein allgemeines Phänomen. In Kliniken und anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems und der Gesundheitswirtschaft arbeiten, lernen und studieren Menschen aus vielen Ländern. Es wird keine Seltenheit sein, dass in Zeiten der Globalisierung ein beliebiges Gesundheitssystem der Multikulturalität seiner Bevölkerung nicht hinreichend gerecht wird, weil es die Kultur seiner Heimatumgebung bevorzugt und andere 1

Die Formulierung wurde angeregt durch einen Buchtitel von Heinz Naegler, Management der sozialen Verantwortung im Krankenhaus, Berlin 2011.

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Interkulturalität im Gesundheitswesen

Kulturen – je nach Verwandtschaftsgrad – mehr oder weniger integriert oder ausschließt. Dann steht Interkulturalität als Anspruch und Norm im Hintergrund und zeigt kritisch eben dieses Faktum an. Die Suche nach Konzepten für die Überwindung dieses Zustands hat in den Einrichtungen des Gesundheitssystems erst begonnen. Die vorliegende Publikation setzt hier an: Deutschland ist, wie seine europäischen Partner und wie die meisten Länder der heutigen Welt, ein Land, in dem Menschen aus nahezu allen Kulturkreisen miteinander leben. Die Kulturen sind längst nicht mehr mit Nationalitäten identisch, wenn sie es denn jemals waren. Damit ist Multikulturalität ein Faktum. Da dieses jedoch eher eine Herausforderung darstellt, die faktische Multikulturalität in eine gelungene Interkulturalität zu verwandeln, bekommt sie hier einen normativen Charakter. Interkulturalität soll stattfinden, soll gelingen. Pragmatische politische und ökonomische Ziele sprechen ebenso dafür wie moralische Gründe. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sitten soll friedlich und würdevoll sein. Die historisch gewachsenen Einrichtungen und Strukturen sollen und müssen allen hier lebenden Menschen zur Verfügung stehen. Bezogen auf Gesundheitswesen und Medizin sollen kulturelle Unterschiede weder Vorteile noch Nachteile der Versorgung zur Folge haben. Das Gleichheitsprinzip ist zu wahren, aber auch die moralische Forderung gegenseitiger Wertschätzung. Diskriminierung und die Minderung von Lebenschancen sind hingegen strikt zu vermeiden. Bemühungen zur Herstellung so verstandener gelingender Interkulturalität sind nicht allein von den einzelnen Menschen zu erwarten. Sie brauchen programmatische, strukturelle und finanzielle Unterstützung durch die Einrichtungen des Gesundheitswesens auf der Ebene der direkten Versorgung, der Wirtschaft und der Politik. Anzusprechen sind demnach auch Verwaltungen, Management und Politik.

2.

Worin liegt die ethische Relevanz der Interkulturalität im Gesundheitswesen?

Gesundheitssysteme und auch die Medizin unterscheiden sich von Land zu Land, wobei Medizin und Pflege stärkere Gemeinsamkeiten haben, insbesondere hinsichtlich ihrer ethischen Normen. Die Gesundheitssysteme und die Heilberufe sind von nationalen Kulturen mitgeprägt. Dies gilt besonders für die jeweilig herrschende oder bevorzugte Sprache, aber auch für Rollenverständnisse als Patient, Familienangehöriger oder auch als Angehöriger der Gesundheitsberufe. Die Art und Weise, Beschwerden auszudrücken, die damit einhergehende emotionale Ausdrucksform, aber in gewissen Grenzen auch die Erkrankungen selbst,

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ihre subjektive kognitive und emotionale Bewertung sowie ihre diagnostische Bezeichnung unterscheiden sich kulturell.2 Sprache und Kommunikation spielen nun in der Gesundheitsversorgung eine entscheidende Rolle. Patienten müssen ihre Krankengeschichte erzählen – von Ärzten als Anamnese aufgenommen und interpretiert. Sie müssen ihre Symptome und ihr Krankheitserleben schildern sowie die Wirkung von Behandlungsmaßnahmen mitteilen. Patienten müssen die Einrichtungen des Gesundheitswesens und deren Regeln kennen, um an die richtige Adresse zu gelangen. Sie müssen viel lesen, um sich zurechtzufinden. Inzwischen hilft es zudem sehr, sich im Internet orientieren zu können. Ohne sprachliche Verständigung kann eine Aufklärung nicht erfolgen. Der rechtlich geforderte informed consent oder gar eine Patientenverfügung setzen Sprachverständigung voraus, sowohl beim Patienten und seinen Angehörigen als auch bei Ärzten, Pflegenden und anderen therapeutischen Berufen, die die jeweils vorherrschende Sprache auch sprechen und verstehen müssen. Stammt in einem deutschen Krankenhaus die Ärztin aus Russland und der Patient aus Lateinamerika, so kann die Verständigung extrem schwierig sein. Ohne sprachliche und kommunikative Verständigung gelingt weder die therapeutische Führung noch die Compliance. Dies gilt für alle medizinischen Sparten, ganz besonders aber für die Bereiche Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Religiöse Aspekte sind immer auch kulturelle Aspekte. Sie spielen im Zusammenhang von Gesundheit und Krankheit, Sexualität, Geburt, Sterben und Tod eine sehr große Rolle. Mit Unterschieden in den Geschlechtsrollen und den Familienstrukturen unterscheiden sich auch die Entscheidungssubjekte interkulturell. Das ethische Konzept der Autonomie, eines der wichtigsten principles der mo3 dernen westlichen Medizin- und Bioethik, kann nicht einfach als universal vorausgesetzt werden. In vielen Kulturen entscheidet nicht das jeweilige Individuum über seine medizinischen Geschicke, sondern die Familie oder eine andere soziale Einheit. Auch ist das Sprechen über Sterben und Tod nicht in allen Kulturen gleich bewertet und erlaubt. So gilt beispielsweise beim Volk der Hopi in den Südweststaaten der USA das Sprechen über den Tod als gefährlich, wenn nicht gar den Tod bringend.4 Eine gesetzliche Verallgemeinerung des Informed Consent Grundsatzes, wie in den USA geschehen, musste hier modifiziert werden.

2

3 4

Vgl. Heribert Kentenich/Peter Reeg/Karl-H.Wehkamp (Hrsg.), Krank in der Fremde, Berlin 1984. Vgl. auch Christiane Falge/Gudrun Zimmermann (Hrsg.), Interkulturelle Öffnung des Gesundheitssystems, Baden Baden 2009. 6 Vgl. Tom Beauchamp/James Childress, Principles of Biomedical Ethics, Oxford/New York 2009, 99–148. Mündlicher Vortrag von John Careese, MD, John-Hopkins-School of Medicine, an der Evangelischen Akademie Loccum 1996.

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Interkulturalität im Gesundheitswesen

Auch die rechtlichen Ansprüche an Versorgungsleistungen müssen bekannt sein und verstanden werden. Aus all dem können Beeinträchtigungen der Versorgungsqualität erfolgen. Schließlich sind Studium und Ausbildung in den verschiedenen Gesundheitsberufen in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Das erzeugt Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen und Zertifikaten. All diese Aspekte zusammen genommen entscheiden mit darüber, ob, wie und mit welchen Auswirkungen und Ergebnissen ein Gesundheitssystem von Menschen „anderer Kulturen“ in Anspruch genommen werden kann. Sie entscheiden damit auch über die Versorgungsqualität und über Lebenschancen. Gesundheit oder der gelungene Umgang mit chronischer Krankheit sind letztendlich Lebensaspekte und Lebensvoraussetzungen. Der Grad faktischer, praktizierter Interkulturalität entscheidet folglich mit über Leben, sowohl Lebenszeit als auch Lebensqualität. Hierin liegt ihre ethische Bedeutung. Gestörte Interkulturalität bringt abgestufte Wertschätzung gegenüber Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft zum Ausdruck. Die einen leben länger und besser als die anderen.

3.

Interkulturelles Ethos der Medizin – nationaler Zuschnitt der Gesundheitssysteme

Die Medizin und ebenso die Pflege kennen von ihrem ethischen Anspruch her keine Nationen und Kulturen. Die „großen“ ethischen Kodizes vom Hippokratischen Eid über das „Genfer Ärztegelöbnis“ und die Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes sind ebenso universell in ihrem Anspruch wie die Ethik des Internationalen Pflegerates (International Council of Nurses) und des Roten Kreuzes. Für die Praxis der medizinischen Versorgung muss jedoch bedacht werden, dass sie sich in der Regel im Rahmen politisch gestalteter Gesundheitssysteme bewegt, die nicht selten andere Maßstäbe setzen. Politik und staatliche Gesetzgebung haben nicht nur im Nationalsozialismus medizinethische Grundsätze flagrant verletzt. Die historischen Beispiele reichen bis in die Gegenwart und finden sich in vielen Ländern der Welt. Ihrem ethischen Anspruch nach kennt die Medizin nur Menschen, deren Gesundheit sie sich widmet und die sie noch im Sterben hilfreich betreut. Gleiches gilt für die Pflegeberufe. Im Genfer Ärztegelöbnis des Weltärztebundes verpflichten sich Ärztinnen und 5 Ärzte,„mein Leben dem Dienst der Menschheit zu weihen“ . Das mag etwas pathetisch klingen und für manchen befremdliche Züge tragen, aber es charakterisiert den Geist (spirit) der Medizin. Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) wie „Ärzte ohne Grenzen“, das Internationale Rote Kreuz, die Weltgesundheitsorganisation 5

Genfer Ärztegelöbnis, in: Hans Martin Sass (Hrsg.), Medizin und Ethik, Stuttgart 1989, 355.

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(WHO) oder die legendären Arbeiten Albert Schweizers repräsentieren dieses Ethos. Das kodifizierte medizinische Ethos (das nicht mit dem faktisch praktizierten gleichgesetzt werden darf) ächtet ausdrücklich die Diskriminierung von Menschen in jeder Hinsicht. Im Genfer Ärztegelöbnis heißt es: „Ich werde nicht zulassen, dass sich religiöse, nationale, rassische Partei- oder Klassen-Gesichtspunkte zwischen meine Pflicht und meine Patienten drängen.“6 Ähnlich lautet der Text der Verpflichtungsformel für deutsche Ärzte, den der 82. Deutsche Ärztetag 1979 verabschiedet hat: „Ich werde (…) bei er Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen, weder nach Religion, Nationalität, Rasse, noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung.“7 Anders als die Medizin sind die politisch verfassten Gesundheitssysteme national ausgerichtet und damit auf die Gegebenheiten und Kultur des jeweiligen Landes zugeschnitten. Ihre Aufgabe ist die Organisation und Finanzierung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Die ethischen Werte eines modernen Gesundheitssystems sind vielfach gar nicht bewusst bzw. bekannt. Anders als die auf den Patienten bezogene Medizinethik ist ein Gesundheitssystem auf das Kollektiv der Bevölkerung bezogen. Es muss die Werte der Gerechtigkeit und Gleichheit schützen, Solidarität verkörpern, die Autonomie und Würde der Menschen im Sinne des Grundgesetztes schützen. Gesundheitssysteme haben einen „Public Health Status“. Dieser kann in Konflikt geraten mit der Individualmedizin, weil die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung einer Bevölkerung Einschränkungen für einen einzelnen Patienten bedeuten kann. Dies zeigt sich besonders dann, wenn die Finanzierung der Medizin einbezogen wird. Wo die Rationierung und die Priorisierung von Gesundheitsleistungen politisch als Aufgabe angegangen wird können in der Versorgung des einzelnen Patienten prinzipiell vorhandene Möglichkeiten vorenthalten werden. Ähnlich verhält es sich mit der Einführung begrenzter Budgets. Gesundheitssysteme verwenden Finanzmittel, die eine Bevölkerung per Versicherungsbeitrag oder durch Steuern aufbringt. Probleme können auftauchen, wenn Menschen aus fremden Ländern Leistungen in Anspruch nehmen wollen, zu deren Finanzierung sie nicht beitragen. Dann erfährt die Medizin Einschränkungen durch „das System“. So dürfen beispielsweise in Deutschland nicht alle Patienten gleich aufwändig behandelt werden, denn das Gesetz unterscheidet zwischen Bundesbürgern, EU- Bürgern und Nicht-EU-Bürgern. Medizin und Gesundheitssystem können also in Konflikte geraten, ganz besonders durch die Finanzierungsregeln. Dann haben vor allem Ärzte ein ethisches Problem. Menschen ohne anerkannten Versicherungsschutz, Nicht-EU-Bürger, Migranten und so genannte Illegale dürfen nicht nach den gleichen Standards 6 7

Ebd. Verpflichtungsformel für deutsche Ärzte, verabschiedet von 82. Deutscher Ärztetag, zitiert nach: Deutsches Ärzteblatt 38 (1979), 2442, in: Sass (Hrsg.), Medizin und Ethik, 356.

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Interkulturalität im Gesundheitswesen

behandelt werden wie die Einheimischen und die Menschen aus den Ländern der Europäischen Union. Innerhalb dieser werden jedoch die Kosten einer Auslandsbehandlung nur in der Höhe der vergleichbaren Kosten des Heimatlandes übernommen. Mag das Ethos der Medizin international und interkulturell sein, die Regeln der Gesundheitssysteme und damit letztendlich auch die faktisch praktizierte Medizin sind es nicht. Deshalb sind Konflikte unvermeidlich. Diese Tatsache macht wiederum Maßnahmen erforderlich, die nicht grundsätzlich aufhebbaren Gegensätze zwischen Patient und System immer wieder vermittelnd zu regulieren. Dies ist der Ansatzpunkt der Organisationsethik.

4.

Organisationsethik

Eine organisationsethische Betrachtung des Phänomens Interkulturalität im Gesundheitswesen ist erklärungsbedürftig. Aufgrund von auch im internationalen Vergleich sehr breiten Bildungsdefiziten sind Bedeutung und Nutzen ethischer Kompetenzen bei Gesundheitsberufen, Management, Verwaltung und Politik in Deutschland zu wenig bekannt. Organisationsethik ist darüber hinaus ein noch weitgehend unbekannter Begriff. Ethik, seit Aristoteles die praktische Philosophie8, fragt kritisch nach moralischen Phänomenen, prüft Begründungen, Normen, ist selbst normativ, spricht von Tugenden und Lastern, denkt über gut und böse, richtig und falsch nach. Was getan werden soll, was als richtig oder wertvoll gelten soll steht im Zentrum. Die Medizinethik befasst sich mit der Frage, wie Ärzte entscheiden und handeln sollen und was sie auf keinen Fall tun dürfen. Gleiches gilt für die Ethik der Pflegeund nichtärztlichen Gesundheitsberufe. Bioethik kreist um Fragen moralischer Akzeptanz der revolutionären Biowissenschaften, der Biomedizin und der Medizintechnologie. Organisationsethik fragt nach ethischen Maßstäben und Begründungen in Organisationen und Institutionen. Sie ist der Unternehmensethik verwandt. Sie denkt eher systemisch, bezieht die Rahmenbedingungen medizinischen Handelns mit ein und fragt nach der Verantwortlichkeit von Kliniken, Unternehmen, der Gesundheitspolitik und der so genannten Gesundheitsbranche. Organisationsethik thematisiert sowohl die moralische Qualität von Organisationen als auch die Organisation von Ethik-Strukturen, die der diskursiven Unterstützung medizinischer und unternehmensbezogener Entscheidungen dienen. Krobath und Heller betonen die „Organisation ethischer Reflexion und Ent9 scheidung“ und sehen in einer „radikalen Betroffenenorientierung“ die „Kernfrage 8 9

Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Franfurt a.M. 1986. Thomas Krobath/Andreas Heller (Hrsg.) Ethik organisieren, Handbuch der Organisationsethik, Freiburg i.Br. 2010, 43.

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der Organisationsethik“.10 Für Heintel ist die Organisationsethik eine „Form organisationaler ethischer Selbstreflexion ‚in kollektiver Autonomie’“.11 Für George Khushf, einen der US-amerikanischen Vorreiter der organizational ethics ergeben sich Notwendigkeit und Auftrag der Organisationsethik aus dem Aufstieg des Management-Prinzips („rise of managerialism“12). Medizinische Entscheidungen werden zunehmend durch Vorgaben der so genannten Rahmenbedingungen beeinflusst und damit auch von Repräsentanten der Mesoebene. Nach Khushf beinhaltet organisationsethische Kompetenz die Chance, die technische Rationalität herkömmlichen Managements zu überwinden durch Denk- und Handlungkulturen, die einer individuellen und kollektiven (öffentlichen) Verantwortlichkeit der Gesundheitsversorgung gerecht wird.13 Was könnte also eine organisationsethische Perspektive beitragen zu einer gelingenden Interkulturalität im (deutschen) Gesundheitswesen?

5.

Interkulturalität als Ziel und Wert in Einrichtungen des Gesundheitswesens – Was ist damit gemeint?

Aus organisationsethischer Sicht sprechen gute Gründe für die Aufnahme einer expliziten, durchdachten Vorstellung von Interkulturalität in den Werte- und Zielkatalog von Medizin, Pflege, Krankenhausmanagement und letztlich auch der Gesundheitspolitik. Mit zu berücksichtigen sind neben den Einrichtungen zur Versorgung von Patienten und Betreuung von Angehörigen auch die Einrichtungen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen. Dies umfasst die Universitäten und Medizinischen Hochschulen ebenso wie die Gesundheitsakademien an Kliniken oder andere Einrichtungen für Pflege- und Therapieberufe. Die Zertifizierungsstrukturen sind hierbei strategisch von großer Bedeutung. Schon die Gegenwart, mehr aber noch die Zukunft fordern eine neue Professionalität der Gesundheitsberufe, zu denen eben nicht nur Ärzte, Therapeuten und Pflegende gehören, sondern ausdrücklich auch jene Berufe, die für Management und Verwaltungsaufgaben zuständig sind. Der Report der Lancet Commission, eines mit internationalen Experten besetzen Gremiums unter Schirmherrschaft 10 11 12 13

A.a.O., 59f. Peter Heintel, Supervision und Prozessethik, in: supervision 4 (2007), 35–47. Geoge Khushf, The Value of Comparative Analysis in Framing the Problems of Organizational Ethics, in: HEC forum 13/2 (2001), 125–131, 126. Vgl. a.a.O., 131: „By cultivating an organizational culture which is responsive tot he individual and communal character of healthcare, administrators can move beyond the technical rationality that characterizes managerialism, and facilitate a form of collaborative professionalism among clinicians that is responsive tot he need of patients. Of course, to do this rightly, the managers must themselves be a new kind of professional, with the skill sets and judgement needed for a new paradigm of healthcare.“

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Interkulturalität im Gesundheitswesen

des weltweit führenden Fachjournals für Medizin, fordert eine globale soziale Neuausrichtung der Ausbildung und Bildungspolitik. Die neuen Gesundheitsberufe sollen nach ethischen Gesichtspunkten handeln, lokal verantwortlich und global vernetzt, in sozialer Verantwortung.14 Interkulturalität sollte in die Leitbilder der Einrichtungen aufgenommen werden und in ihrer Umsetzung durch das Qualitätsmanagement und die möglichst eng damit verbundenen Einrichtungen klinischer Ethikberatung kontrolliert werden. Entscheidend ist jedoch die Entwicklung und Förderung einer Unternehmenskultur, die der Herausforderung Interkulturalität mit Sensibilität, ethischer Bewusstheit und Professionalität begegnet. Management, Verwaltungsfachkräfte und Lehrpersonal sind hier im Sinne unternehmensethischer Verantwortung gefordert. Die Vorstellung, dass Ethik in Medizin und Gesundheitswesen nur ein Thema der Ärzte und Pflegenden sei, wäre damit entschieden zu überwinden.

14

Careum Stiftung (Hrsg.), Education of Health Professionals for the 21st Century. Eine neue globale Initiative zur Reform der Ausbildung von Gesundheitsfachleuten, Zürich 2011 (deutschsprachige Ausgabe des Lancet Reports).

Teil II Interkulturalität in der Praxis

Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen Magdalena Stülb „Wer ist Wir?“, fragt der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani schon im Titel seines 2009 erschienenen Buches mit dem Untertitel „Deutschland und seine Muslime“1. Elisabeth Beck-Gernsheim betitelt ihre Analyse öffentlicher Diskurse über Migranten mit „Wir und die Anderen“2. Wir könnten diesen Duktus nun aufgreifen und fragen: Wer sind die Anderen? Doch die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt, dass Fragen nach Gruppen und sozialen Abgrenzungen nicht einfach zu beantworten sind. In den vielen Subdisziplinen des Faches werden, je nach Ausrichtung, soziale Prozesse der Konstruktion von Identitäten, die Entstehung von Gruppenzugehörigkeit, des Wir-Gefühls und daraus folgende Aus- und Abgrenzungen diskutiert. Sozial- und kulturwissenschaftliche Theorien beschäftigten sich mit kosmopolitischen, transnationalen und transkulturellen Biografien und untersuchen weltweite Verflechtungen und Beziehungsnetzwerke. In Zeiten wachsender Mobilität und sich rasant weiterentwickelnder Kommunikationstechnologien, so wird konstatiert, ist der Ort, an dem man lebt, nur noch eine unter vielen Bezugsebenen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Diese Tendenzen der Dekonstruktion starrer Gruppen rücken das Individuum zunehmend mit seinen multiplen, fluiden und prozesshaften Gruppenidentitäten in den Fokus der Forschung und geben lebensweltlichen Ansätzen eine neue Bedeutung. Doch haben diese wissenschaftlichen Erkenntnisse auch ihren Weg in die Alltagswelt gefunden? Wie werden Gruppen und Zugehörigkeiten im Arbeitsleben konstruiert, welches Verständnis von transnationalen Identitäten findet sich im Alltag und wie wird Fremdheit verstanden? Wer sind die Fremden? Der Bedeutung dieser Fragen im Gesundheitswesen widmet sich die nachfolgende Betrachtung und geht den Einflüssen verschiedener Klassifikationen und Kategorien von Fremdheit auf die Interaktion zwischen Fachkräften und Patientinnen und Patienten nach. Dabei wird sowohl auf erfahrungs- als auch auf forschungsbasierte Daten zurückgegriffen. Als Trainerin und Referentin des Instituts für Migration, Kultur und Gesundheit (AMIKO) beziehe ich mich auf die Erfahrungen unseres Teams in der Durchführung von Schulungen, Trainings und Lehreinheiten zu Transkultureller Kompetenz im Gesundheitswesen. Seit dem Jahr 2000 sind unsere Lehrmodule an verschiedenen Schulen in die Ausbildungsgänge Gesundheits- und Krankenpflege sowie Hebammenwesen integriert. Wir sind in Weiterbildungslehrgängen zur Pra1 2

Navid Kermani, Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, München 2009. Elisabeth Beck-Gernsheim, Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten, Frankfurt a. M. 2004.

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Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen

xisanleitung und Stationsleitungen tätig und führen innerbetriebliche Fortbildungen im Gesundheitswesen durch.3 Für diesen Artikel habe ich sieben verschiedene Veranstaltungen im Hinblick auf die Erwartungen der Schulungsteilnehmenden ausgewertet.4 Durch diese methodische Herangehensweise beschränkt sich die Analyse hierbei auf Fremdheitskategorien des Personals im Hinblick auf die Patienten und nicht auf die zwischen den Mitarbeitenden.5 Zu Beginn der Schulungen fragen wir die Teilnehmenden zunächst nach ihren Anliegen und Erfahrungen. Dadurch ergibt sich eine noch relativ offene Problemdarstellung aus der Perspektive der Praxis.6 Diesen erfahrungsbasierten Teil ergänze ich im Folgenden um Ergebnisse aus Interviews mit Hebammen, die ich im Rahmen meiner Dissertationsforschung zu Schwangerschaft, Migration und Gesundheit durchgeführt habe.7 Ich werde zunächst einige Kategorien vorstellen, die in der Kommunikation über die Anderen im Krankenhausalltag genutzt werden. An die Zuordnung der Patienten zu diesen Kategorien sind in der Regel bestimmte Verhaltensweisen, Bedürfnisse und Besonderheiten bei der Pflege und Behandlung geknüpft. Daran anschließend möchte ich der Frage nachgehen, wie sich die Diskurse über Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund auf das berufliche Handeln auswirken. Im letzten Kapitel werde ich Vorschläge zur interkulturellen Personalentwicklung vorstellen und Impulse zur Ergänzung von Unterrichtsmodulen in der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung geben.

1.

Die Perspektive der Pflegenden: Wahrnehmung und Kommunikation über Fremdheit

„Das größte Problem für die MigrantInnen im Pflegekontext ist aber, dass sie nicht als Individuum wahrgenommen werden. Sie treten nicht als Frau X in das Spital ein, sondern als Stellvertreter einer Ethnie, einer Religionsgemeinschaft oder eines 3

4

5

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AMIKO ist schwerpunktmäßig im süddeutschen Raum tätig: an sechs verschiedenen Krankenpflegeschulen, vier Hebammenschulen sowie verschiedenen an Kliniken angegliederten Akademien sowie Fort- und Weiterbildungsinstituten. Da es sich hierbei nicht um Forschungsdaten handelt, sondern um eine retrospektive Analyse von Teilnehmerbeiträgen im Rahmen von Schulungen und Trainings, bleiben die Veranstaltungen und die zugehörigen Einrichtungen ungenannt. Den Einfluss von Fremdheitskategorien auf die berufsgruppeninterne und -überschreitende Zusammenarbeit greifen wir in einem eigenen Modul zu interkultureller Teamarbeit auf. Erst in jüngster Zeit stellen wir fest, dass Pflegekräfte gleich zu Beginn einer Schulung die Arbeit mit ausländischen Ärztinnen und Ärzten problematisieren. Natürlich ist diese bereits beeinflusst durch unsere Vorstellung des Themas, Sprachwahl und Positionierung (denn es geht ja in der Regel um die Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund), dennoch hat an dieser Stelle noch keine Sprachregelung innerhalb des Seminars stattgefunden, wurden noch keine Leitmeinungen gebildet. Magdalena Stülb, Transkulturelle Akteurinnen. Eine medizinethnologische Studie zu Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft von Migrantinnen in Deutschland, Berlin 2010.

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Landes. Vorurteile und Halbwissen seitens der Pflegenden führen daher oft dazu, dass die Wahrnehmung der Patienten mit Migrationshintergrund von unzutreffenden Vorstellungen bzw. Vorurteilen geprägt ist.“8 Diese Einschätzung der Pflegeexpertinnen aus der Schweiz lässt vermuten, dass ein Transfer von sozialwissenschaftlicher Theoriebildung, wie eingangs kurz skizziert, im Gesundheitswesen noch nicht stattgefunden hat. Daher ist es interessant einen Blick darauf zu werfen, wie sich die Arbeit mit Fremden aus der Sicht von Pflegekräften darstellt. In unseren Schulungen ist durch den Titel und die Seminarbeschreibung in der Regel bereits eine Kategorie von Fremdheit vorgegeben: Wir sprechen über die Pflege von zugewanderten Menschen, von Migrantinnen und Migranten. Die Teilnehmenden werden zu Beginn gebeten, kurz zu erläutern, warum sie an dieser Fortbildung teilnehmen und welche Erfahrungen sie mitbringen. Diese Vorstellungsrunde wird jeweils von einer Trainerin moderiert, während eine 9 andere protokolliert , sodass uns Protokolle der letzten Jahre vorliegen. Zunächst ist nun die Frage interessant, über welche Fremden gesprochen wird, wenn wir nach den Erfahrungen mit Migrantinnen und Migranten fragen. Dies sind zum einen die Menschen, die kein oder nur schlecht Deutsch sprechen. Aussagen wie „Es ist schwierig, wenn man die Sprache nicht versteht. Und wenn jemand aus der Familie dolmetscht, bleibt die Unsicherheit, ob das alles richtig war“10 stehen beispielhaft für das sehr häufig genannte Thema „Sprache“. Ebenso: „Wenn die Patienten kein Deutsch sprechen, braucht man mehr Zeit, um Erklärungen zu geben.“ Zu Menschen, mit denen man sich nicht verständigen kann, ist es schwer, eine Beziehung aufzubauen. Die Pflegearbeit wird aufwendiger, wenn man erst Dolmetscher organisieren muss, oder es bleiben Zweifel an der Qualität der Übersetzung bzw. an gefilterten Inhalten, wenn Angehörigen der Patienten abweichende Interessen unterstellt werden. Ebenso häufig wird aber auch gleich zu Beginn einer Schulung auf ganz bestimmte Gruppen von Patientinnen und Patienten Bezug genommen. Generell gelten oft „die Ausländer“ als schwierige Patienten, ebenso Türken, Südländer, Russen oder auch Muslime. Auf Nachfrage geben viele an, gar nicht die wirkliche Nationalität oder Herkunft der Patientinnen und Patienten zu kennen. Das bedeutet, dass diejenigen mit südländischem Aussehen und muslimischem Glauben sehr häufig pauschal unter Türken subsummiert werden. Ebenso werden Menschen mit osteuropäischem Akzent häufig der Einfachheit halber als Russen klassifiziert. Jedoch werden diesen generalisierenden Kategorien oft auch sehr reflektierte und differenzierende Aussagen gegenübergestellt, die betonen, dass die Migranten genauso unterschiedlich sind wie auch die Deutschen: „Es gibt immer solche und solche.“ 8 9 10

Renate Bühlmann/Yvonne Stauffer, Die Bedeutung der Kommunikation in der Pflege, in: Dagmar Domenig (Hrsg.), Professionelle Transkulturelle Pflege, Bern 2001, 204. Die Seminare werden in der Regel im Team Teaching durchgeführt. Kursiv gesetzte Zitate beziehen sich im Folgenden auf oben erwähnte Seminarprotokolle (2009– 2011)

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Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen

Es lässt sich also an dieser Stelle zusammenfassen, dass auch die Kommunikation über Patientinnen und Patienten zwischen Pflegekräften durch die alltagssprachliche Tendenz zur Vereinfachung und zur Reduktion von Komplexität gekennzeichnet ist.

2.

Besonderheiten im Umgang mit Fremden

Wie in der Literatur beschrieben, so bestätigt sich auch in unseren Schulungen, dass bestimmte Aspekte bereits seit Jahren und auch aktuell und anhaltend von Pflegekräften thematisiert werden. „Die haben immer so furchtbar viel Besuch.“ Dabei wird das Thema Besuch keinesfalls nur mit einer bestimmten Fremdgruppe in Verbindung gebracht. Viele Besucherinnen und Besucher werden assoziiert mit ausländischen Patientinnen und Patienten, mit einer anderen Kultur: „Da kommt oft viel Besuch, auch abends.“ Zwar wird dies häufig als Störung der Pflegeabläufe dargestellt, nicht selten aber auch durchaus wohlwollend reflektiert. „Es stört uns zwar, oder die Mitpatienten, aber die Familie ist bei denen halt so wichtig.“ Was manchmal auch zu einer kritischen Betrachtung des eigenen Umfeldes veranlasst: „Bei uns hat ja heute keiner mehr Zeit.“ Andere Verhaltensweisen, auch wenn sie nicht explizit als störend eingestuft werden, können dennoch mit Unmut oder Missbilligung beschrieben werden. „Die lassen sich oft von den Angehörigen das Essen bringen und essen nicht das, was hier angeboten wird.“ Der reguläre Ablauf im Krankenhaus scheint ein Wert an sich zu sein. „Die ausländischen Patienten halten die Regeln nicht ein und machen hier, was sie wollen.“ Nicht selten wird dies an eine als unangemessen wahrgenommene Anspruchshaltung gekoppelt: „Es gibt bei Migranten oft viele und überzogene Erwartungen und insgesamt eine hohe Anspruchshaltung.“ Oder: „Manchmal ist man zu gutmütig und wird ausgenutzt.“ Oft werden ganz spezifische Themen genannt: „In der Unfallchirurgie ist es manchmal im Nachtdienst schwierig. Bei muslimischen Frauen muss man besonders die Schamgefühle berücksichtigen.“ Aber neben der Nennung von Problemen finden sich stets auch Teilnehmende, die die kulturelle Vielfalt ihrer Patientenklientel explizit als Bereicherung beschreiben: „In der Kinderklinik machen wir viele positive Erfahrungen mit Eltern von Kindern aus Migrantenfamilien. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Durch die lange Liegedauer kann man sich besser kennenlernen und verstehen. Das ist sehr hilfreich.“ Oder: „Neue Kulturen kennenzulernen ist spannend. Man kann mit jeder Kultur zurechtkommen. Ich habe schon viel Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft, Dankbarkeit kennengelernt.“ Es finden sich also bestimmte inhaltliche Assoziationen zu den Bezeichnungen „Migranten“ oder „ausländische Patientinnen und Patienten“ – positive und negative Erwartungshaltungen.

Magdalena Stülb

3.

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Professionelles Handeln zwischen kulturellen Zuschreibungen und Orientierung an individuellen Bedürfnissen

Es ist nicht weiter erstaunlich, festzustellen, dass im Gesundheitswesen alltagssprachliche Kategorien genutzt werden, und auch dass diese Kategorien dazu dienen, Erfahrungen zu sortieren und zu strukturieren. Dennoch ist hier die Frage von besonderer Bedeutung, welche Auswirkungen diese Kategorien auf das Handeln haben. Oder anders gefragt: Kann man individuell pflegen, wenn man Menschen Gruppen zuteilt und diesen Gruppen bestimmte Bedürfnisse und Verhaltensweisen zuschreibt? Aus den mir vorliegenden Hebammeninterviews und den Darstellungen unserer Schulungsteilnehmenden lassen sich unterschiedliche Handlungsorientierungen ableiten: a) Die Generalisierungen dienen der Vereinfachung der Kommunikation untereinander und äußern sich nicht in der Interaktion mit Patientinnen und Patienten. Ob sich die Ebene der Kommunikation, also der sprachlichen Vereinfachung, Reduktion und Verallgemeinerung, immer auch im Handeln widerspiegelt, war auch Gegenstand von Expertinneninterviews mit Hebammen, die ich im Rahmen meiner Forschung zu Migration, Schwangerschaft und Geburt geführt habe. Auch war die Verwendung von generalisierenden Kategorien zu erkennen, das Sprechen über die „Südländerinnen“, die „Osteuropäerinnen“ etc. Und auch hier wurden diesen Gruppen spezielle Eigenschaften zugesprochen: „Arabische Frauen können sich sehr gut gehen lassen bei der Geburt.“ Oder: „Frauen aus der ehemaligen 11 Sowjetunion sind härter im Nehmen und auch nicht so anspruchsvoll.“ Aber diese Kategorien, so betonten viele Interviewpartnerinnen explizit, würden sich nicht auf die Arbeit mit den gebärenden Frauen auswirken: „Wir unterstützen jede Frau ganz individuell nach ihren Bedürfnissen.“12 Die Auswirkung der Kategorien auf die Interaktion wurde negiert mit einem Hinweis auf die Professionalität und das Arbeitsethos des Hebammenberufs insbesondere im Hinblick auf eine individuelle und bedürfnisorientierte Versorgung. Auch Pflegekräfte verweisen zum Thema Umgang mit kulturspezifischen Bedürfnissen nicht selten auf den Ansatz der Individualität, der auch ihrem Handeln zugrunde liegt: „Wir versuchen immer, individuell auf die Menschen einzugehen.“ Und auch Auszubildende fassen häufig ihren Konflikt zwischen dem Wunsch, mehr über andere Kulturen zu erfahren, und der großen Vielfalt der Patientenklientel mit der Feststellung zusammen: „Wir fragen ja sowieso immer jeden Einzelnen, was er braucht und wie er gepflegt werden möchte. Da erfahren wir dann ja alles Nötige, ohne Vorwissen über die Kultur zu haben.“ Das bedeutet, dass auf der einen Seite zwar kulturspezifisches Wissen als hilfreich erachtet wird, diesem 11 12

Stülb, Transkulturelle Akteurinnen, 191. Ebd.

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Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen

aber die Individualität der Patientinnen und Patienten gegenübergestellt wird. Dies ist ein interessanter Aspekt, der von verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen unter Verweis auf die jeweils berufsgruppenspezifische Ethik genannt wird: Wird den Alltagsdiskursen über Fremde ein ausgeprägtes professionelles Verständnis der bedürfnis- und individuumzentrierten Pflege und Versorgung gegenübergestellt, so wird zwischen diskursiver und Handlungsebene unterschieden. Man benötigt einen sprachlichen Code, um komplexe soziale Situationen und Bedingungen ausdrücken und vereinfachen zu können. Die Individualität wird zwar nicht versprachlicht, dennoch aber stets mitgedacht und ist auf der Ebene der Interaktion selbstverständlich. Dies entspricht auch den Fachdiskursen, wie sie etwa in den Hebammenzeit13 schriften geführt werden. Hier dominiert eine lebensweltliche, migrations- und biografieorientierte Perspektive. Daher kann vermutet werden, dass die verallgemeinernden und kulturalisierenden Aussagen über die Klientinnen die Hauptfunktion haben, Erfahrungen rückblickend zu strukturieren; sie müssen dabei aber nicht generell auch handlungsleitend sein. b) Die sprachlichen Generalisierungen verfestigen sich zu Stereotypen, die dann als Vorurteile handlungsleitend werden können. Insbesondere bei jungen Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege beobachten meine Kollegen und ich die Tendenz, Stereotype und Vorurteile zu reproduzieren, die sie während ihrer praktischen Einsätze kennengelernt und nicht weiter hinterfragt haben. Viele dieser Aussagen basieren nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern geben die Diskurse des Personals aus den Praxiseinsätzen wieder: „Wenn die türkische Frau nach 30 Jahren noch kein Deutsch kann, warum muss ich mich dann damit abmühen, mich ihr verständlich zu machen? Dann ist das ihr Problem.“, „Warum passen die sich nicht an uns an?“, „Wenn du in einem anderen Land bist und dort krank wirst, fragt dich auch keiner.“ Unserer Einschätzung nach liegt hier eine große Verantwortung insbesondere für Praxisanleiterinnen und -anleiter, aber auch für Pflege- bzw. interdisziplinäre Behandlungsteams. Denn durch die Sprache wird gleichsam eine Haltung vermittelt, aus der Auszubildende Erwartungen an ihr eigenes Handeln ableiten. Sie passen sich dem Jargon an. Diese Einschätzung wurde auch in einer von AMIKO durchgeführten Fortbildungsveranstaltung für Lehrkräfte für Pflegeberufe bestätigt. Nach ihrer Auffassung sind die Auszubildenden zunächst meist relativ offen und lernen im Krankenhaus dann erst die Vorbehalte kennen. In ihrem beruflichen Sozialisationsprozess lernen sie Begriffe wie Südländersyndrom kennen. Findet keine kritische Auseinandersetzung dazu statt und mangelt es an Korrektiven, verfestigen sich diese sprachlichen Bilder zu Vorannahmen, hier bspw. über das Schmerzverhalten von Menschen aus Südeuropa. Problematisch wird dieses Denken über ande13

Beispielhaft seien hier die Deutsche Hebammenzeitschrift und das Hebammenforum genannt, die regelmäßig migrationsspezifische Themen aufgreifen.

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re, wenn es zur Grundlage des Handelns wird. Stereotype und Vorurteile können zu Abwertung und Diskriminierung von anderen Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen führen.14 Eine selektive Wahrnehmung führt zu einer immer wiederkehrenden Bestätigung des Stereotyps im Alltag. Was nicht in dieses Bild passt, wird schneller vergessen oder gar nicht erst bewusst wahrgenommen. Die Sozialpsychologie spricht hier auch von einer illusorischen Korrelation, einem falschen, aber zutreffend empfundenen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Gruppe und bestimmten Eigenschaften.15 Inwieweit diese persistierenden Annahmen dann handlungsleitend werden, lässt sich in unserer Schulungsarbeit nicht beurteilen. Generell gehen wir aber davon aus, dass Haltung und Einstellung das Handeln prägen. Dies ist nicht nur eine Gefahr für Auszubildende, auch erfahrene Berufstätige reflektieren nicht immer die Auswirkungen ihrer sprachlichen Kategorien. „In der Chirurgie sprechen wir von dem ,Mitternachtstürken‘. Das sind dann die Türken, die nachts in die Notaufnahme kommen, obwohl sie auch in der regulären Ambulanzzeit hätten kommen können. Unsere Ärzte gehen in der Regel nicht ins Bett, bevor nicht der ,Mitternachtstürke‘ aufgenommen wurde.“ Diese zunächst amüsant klingende Beschreibung macht deutlich, wie diese Generalisierungen konkrete Erwartungshaltungen evozieren können. Mit Türken sind hier eben nicht nur Patientinnen und Patienten mit türkischem Migrationshintergrund gemeint, der Begriff steht hier für eine Fremdheitskategorie bzw. eine Zusammenfassung ver16 schiedener Problemkonstellationen. Unhinterfragt kann der Begriff Mitternachtstürke bewirken, dass fremde Patienten generell als störend oder als unnötigerweise das medizinische Angebot der Notaufnahme in Anspruch nehmend wahrgenommen werden – und dann auch dementsprechend behandelt werden. Auch weitere Aussagen lassen vermuten, dass negative Zuschreibungen entsprechende Erwartungshaltungen hervorbringen und die Interaktion bereits im Erstkontakt konflikthaft beeinflussen können: „Die Heiltouristen aus den arabischen Ländern vermüllen unsere Station und haben hohe Ansprüche.“ Oder: „Die Patienten aus Dubai bringen die ganze Station durcheinander.“ c) Die Generalisierungen werden bewusst reflektiert und in Teams kritisch diskutiert. Das Spektrum der Wahrnehmung und Rezeption von Fremdheit im Gesundheitswesen spiegelt, wie dargestellt, die gesellschaftlichen Diskurse. Das bedeutet, dass auch viele Pflegekräfte sehr bewusst die Problematik der Stereotypenrepro14 15

16

Daniel Geschke, Vorurteile, Differenzierung und Diskriminierung – Sozialpsychologische Erklärungsansätze, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 62/16–17 (2012), 33–37, 35. Susanne Lin, Sozialpsychologische Vorurteilsforschung. Die kognitiven Theorien, 2002 (http://www.friedenspaedagogik.de/themen/stereotypen_vorurteile_feindbilder/sozialpsycholog ische_vorurteilsforschung/die_kognitiven_theorien, Zugriff am 28.08.12). Die Bezeichnung kann beispielsweise für Aspekte stehen wie: „Probleme mit der Sprache“, „auf spezielles Essen achten“, „es kommt viel Besuch“.

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Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen

duktion reflektieren. Nicht alle Patienten aus einem bestimmten Herkunftsland sind gleich. Und wir wissen nicht, ob die Kultur des Herkunftslandes für zugewanderte Menschen im Immigrationsland noch einen großen Stellenwert hat. Zu dieser Reflexion gehört auch der Versuch, zwischen individuellen und kulturellen Besonderheiten zu unterscheiden: „In der Psychosomatik wissen wir oft nicht, was ist Krankheit und was ist Kultur. Wie denken die Menschen? Was ist Persönlichkeitsstörung und was hat mit der Kultur zu tun?“ Und auch der Umgang mit Unterschieden kann als persönliche wie auch professionelle Herausforderung gesehen werden: „Ein Spannungsfeld ist immer da: Man muss eigene Grenzen finden und auch andere lassen können.“ Einzelne Teammitglieder, insbesondere aber Stations- oder Gruppenleitungen können hier Impulse zur kritischen Reflexion geben oder auch gezielt Teamsitzungen nutzen, um die Mitarbeitenden in der Auseinandersetzung mit kulturspezifischen Besonderheiten zu unterstützen.

4.

Was ist zu tun?

„Nur wer bereit ist, einen bewusst transnationalen Blick zu entwickeln, kann die Lebenswelt jener Gruppen verstehen, die sich außerhalb der Mehrheitsgesellschaft befinden“, so Elisabeth Beck-Gernsheim.17 Doch wie lässt sich ein solcher transnationaler Blick schulen? In der Pflege hat sich seit einigen Jahren18der Ansatz der transkulturellen Kompetenz etabliert. Diesem liegt das Ziel zugrunde, sowohl Hintergrundwissen über migrationsspezifische Lebenswelten zu vermitteln als auch die Selbstreflexion über eigene Werte, Kontexte und Bedingungen anzuregen. „Die Betonung der Individualität jedes Migranten und jeder Migrantin auf der einen Seite sowie der Dynamik und des Wandels von Lebenswelten prägenden Konzepten und Handlungsstrategien auf der anderen Seite soll verhindern, dass MigrantInnen kulturalisiert und stereotypisiert werden.“19 Hier geht es also ganz explizit um das Bewusstmachen bzw. die Verhinderung von Stereotypisierungen. Indem die – oft transnationalen – Lebenswelten der Patientinnen und Patienten ins Blickfeld gerückt werden, kann nur der einzelne Mensch Auskunft über seine Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen geben und nicht seine ethnische, nationale oder religiöse Gruppenzugehörigkeit. Interessant an Domenigs Konzept der transkulturellen Kompetenz ist der Grundgedanke, dass diese über die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten hinausgeht und in jeder Pflegebeziehung wirksam sein sollte. Erst wenn wir nicht mit Vorerwartungen auf andere zugehen und davon ausgehen, zu wissen, wer sie sind 17 18 19

Beck-Gernsheim, Wir und die Anderen, 17. Den Beginn der Entwicklung markiert das vor allem das Erscheinen des Buches Professionelle transkulturelle Pflege von Domenig 2001. Domenig, Transkulturelle Kompetenz, 13.

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und was sie brauchen, haben wir die nötige Offenheit, sie zu verstehen. Grundlage der AMIKO-Trainings ist die Auffassung, dass für einen gelingenden und professionellen Umgang mit kulturell, sozial und individuell heterogenen Patientengruppen eine theoretische und didaktische Hinführung unumgänglich ist. Zwar zeigt auch die Erfahrung aus jahrelanger Schulungstätigkeit, dass es viele Menschen in sozialen und medizinischen Berufen gibt, die mit einer positiven und offenen Haltung auf unterschiedlichste Menschen zugehen und dabei eine gute pflegerische oder therapeutische Beziehung aufbauen, ohne sich jemals mit theoretischen Überlegungen zu interkulturellen Kontakten auseinandergesetzt zu haben. Den meisten sind Schulungen aber eine große Hilfe: Sie erkennen eigene Kategorien, sehen, dass Heterogenität für alle Beteiligten besondere Herausforderungen birgt, sie reflektieren eigene Erfahrungen und realisieren, dass nicht nur sie selbst immer wieder an persönliche Grenzen kommen. Und so können sie viele Anregungen mitnehmen, wie transkulturelle Pflege und Behandlung im Klinikalltag umgesetzt werden kann. Vorgesetzte sollten daher ihre Mitarbeitenden mit dieser Thematik nicht alleine lassen. Sie sind in der Pflicht, Strukturen zu fördern, die eine offene Kommunikation ermöglichen und die Mitarbeitenden motivieren, entsprechende Schulungsangebote zu nutzen. Neben Angeboten zu transkultureller Kompetenz kann auch gezieltes Antirassismus-Training angezeigt sein, um ein Bewusstsein auch für verdeckte Formen von Diskriminierung zu schaffen. Denn viele haben große Befürchtungen, von anderen als Rassist bezeichnet zu werden. Kilcher beschreibt im Rahmen ihrer Ausführungen zu Rassismus und Diskriminierung in Institutionen der Gesundheitsversorgung Maßnahmen, die man gegen Rassismus in Betrieben ergreifen kann. Dazu gehören neben einer formellen Erklärung des Unternehmens, der Festsetzung von Verhaltensrichtlinien und Betriebsvereinbarungen auch Maßnahmen zur Sanktionierung von fehlerhaftem Verhalten, die Einrichtung einer Anlaufstelle für Diskriminierungsopfer oder auch die systematische Schulung und Sensibilisierung von Mitar20 beitenden. Eine zentrale Rolle aber sollte die schulische Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege spielen.21 Hier kann eine Sensibilität für kulturelle Vielfalt geschaffen werden und der Konstruktion bzw. der Aneignung von Stereotypen und Vorurteilen präventiv begegnet werden. Das Angebot eines oder zweier gesonderter Seminartage zur kultursensiblen Pflege im Rahmen einer dreijährigen Ausbildung ist allerdings nicht ausreichend. Lehrkräfte an Krankenpflegeschulen sollten in die Lage versetzt werden, Lernfelder um kultur- und migrationsspezifische Aspekte zu 20

21

Anne Kilcher, Rassismus und rassistische Diskriminierung, in: Dagmar Domenig (Hrsg.), Trans2 kulturelle Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, Bern 2007, 105– 120, 117f. Da sich dieser Artikel schwerpunktmäßig auf die Berufsgruppe der Pflegekräfte bezieht, ist hier beispielhaft die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege genannt. Wünschenswert wäre natürlich eine stärkere Berücksichtigung von kultur- und migrationsspezifischen Themen in allen gesundheitsbezogenen Studien- und Ausbildungsgängen.

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Die Wahrnehmung von Fremdheit im deutschen Gesundheitswesen

ergänzen. Erst dann kann sich Wissen bei den Auszubildenden dauerhaft verfestigen und eine transkulturelle Kompetenz entwickeln. Im Gesundheitswesen, so lässt sich zusammenfassen, spiegeln sich nicht nur die Fremdheitskategorien, sondern auch die Herausforderungen einer heterogenen Einwanderergesellschaft wider. Viele Entwicklungen der vergangenen Jahre zeugen von dem Versuch, sich diesen Aufgaben zu stellen. So finden sich Konzepte zur interkulturellen Öffnung, Projekte wie das Migrant-friendly Hospital oder Ansätze zum Diversity Management in Kliniken. Bei all diesen strukturellen Maßnahmen sollte stets die Interaktion zwischen Menschen im Mittelpunkt stehen: Denn auch im Gesundheitswesen treffen keine Kulturen aufeinander, sondern Menschen mit ihren unterschiedlichen Hintergründen, Überzeugungen, Werten und Bedürfnissen. Einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander zu pflegen, muss Grundlage aller Maßnahmen sein. Denn, um es mit den Worten des Bundespräsidenten Joachim Gauck zu sagen, „wo Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammenleben, bringt das Herausforderungen und nicht selten auch Konflikte. Es hat keinen Sinn, das zu verschweigen oder gar zu leugnen. Auch dann nicht, wenn dies im besten Willen und in bester menschfreundlicher Absicht geschieht. Konflikte sind jedoch in gegenseitigem Respekt zu debattieren und zu 22 lösen.“

22

Bundespräsident Joachim Gauck bei der Gedenkfeier „Lichtenhagen bewegt sich“ am 20. Jahrestag der fremdenfeindlichen Angriffe auf das „Sonnenblumenhaus“ am 26.08.2012 in Rostock.

Interkulturalität in der Ethikberatung Ilhan Ilkilic Sowohl in deutschen Krankenhäusern als auch in niedergelassenen Praxen sind divergierende Wertauffassungen in interkulturellen Behandlungssituationen Auslöser für Entscheidungs- und Interessenkonflikte. Deswegen entstehen während der medizinischen Entscheidung und Handlung nicht selten ethische Fragen hinsichtlich der Interkulturalität und der kulturellen Differenz. Diese Herausforderung wird täglich im Rahmen der medizinischen Versorgung – vom Erstkontakt zwischen Arzt und Patient bis hin zur Krankenhausorganisation und zur Gesundheitspolitik – sichtbar.1 Solche auf unterschiedliche Wertauffassungen zurückzuführende Probleme haben ein breiteres Spektrum und beinhalten, abhängig vom Kontext und Themenfeld unterschiedliche Fragen. Falls solche Konflikte Gegenstand einer ethischen Beratung werden, stellen sie für klinische Ethikberater oft eine Herausforderung dar. Hinsichtlich dieser Sachlage werden in diesem Beitrag die Interkulturalität im Arzt-Patienten-Verhältnis diskutiert und grundsätzliche Barrieren sowie ihre Bedeutung für eine interkulturelle klinische Ethikberatung problematisiert.

1.

Interkulturalität im Arzt-Patienten-Verhältnis

Die unterschiedlichen Zugangsformen des Arztes und des Patienten zur Krankheit und zum Kranksein sind ontologisch bedingt und gehören zu den konstitutiven Eigenschaften jedes Arzt-Patienten-Verhältnisses.2 Über diese Unterschiede hinaus verleiht die Interkulturalität dieser Beziehung eine zusätzliche Komplexität. In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Normativität der Interkulturalität und ihrer ethischen Bedeutung für den Umgang mit ethischen Problemen im Rahmen einer klinischen Ethikberatung berechtigt. Sollte jeder Konflikt in einem interkulturellen Arzt-Patient-Verhältnis grundsätzlich anders behandelt werden? Oder sollte nur die vorhandenen Kommunikationsbarrieren überwunden werden? Eine angemessene Antwort auf diese Fragen erfordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Interkulturalität im Arzt-Patienten-Verhältnis.

1

2

Vgl. Günter E. Braun, Ausländische Patienten für deutsche Krankenhäuser gewinnen: Strategien, Maßnahmen, Erfahrungen, München 2004; Michael Knipper/Yaşar Bilgin, Migration und Gesundheit, Köln 2009; Ilhan Ilkilic, Muslimische Patienten und medizinethische Konfliktfelder in der allgemeinen Krankenversorgung, in: Michael Peintinger (Hrsg.), Interkulturell kompetent, Wien 2011, 355–369. Vgl. Fritz Hartmann, Patient, Arzt und Medizin. Beiträge zur ärztlichen Anthropologie, Göttingen 1984.

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Interkulturalität in der Ethikberatung

Ein interkulturelles Arzt-Patienten-Verhältnis umfasst eine Begegnung, in der die Handelnden und ein von diesem Handeln betroffenes Subjekt als Angehörige unterschiedlicher Kulturkreise involviert sind. Dabei kommen Menschen mit ihren kulturell geprägten Werthaltungen im Rahmen einer medizinischen Versorgung zusammen. Von einem interkulturellen Arzt-Patienten-Verhältnis kann jedoch erst die Rede sein, wenn der handelnde Arzt und der behandelte Patient sich als Angehörige unterschiedlicher Kulturkreise verstehen. Das bedeutet, dass die Interkulturalität in einem Arzt-Patienten-Verhältnis nicht allein von außen oder durch Aussehen der Beteiligten bzw. ihre ethnische Herkunft bestimmt werden darf, sondern sie soll eher aus dem Kontext heraus entstehen. Deswegen soll eine klinische Ethikberatung zunächst versuchen festzustellen, ob es sich wirklich um einen ethischen Konflikt handelt, der maßgeblich durch kulturelle Phänomene entstanden ist. Es ist sicherlich nicht berechtigt, ein interkulturelles Arzt-Patienten-Verhältnis allein aufgrund seiner Interkulturalität von vornherein als eine konfliktträchtige Beziehung zu bezeichnen. Solange es einen Konsens über die Ziele der medizinischen Interventionen und über die anzuwendenden medizinischen Maßnahmen zwischen Arzt und Patient gibt, kann in der Regel ein ethisch konfliktfreies Verhältnis erwartet werden. Ein konfliktloses und einvernehmliches Arzt-PatientenVerhältnis in einem interkulturellen Kontext darf jedoch nicht zur Annahme führen, dass die gesetzten Ziele und dazugehörigen medizinischen Interventionen für die Beteiligten dieselben Sinndeutungen haben. Die unterschiedlichen Wissensund Denksysteme sowie der asymmetrische Charakter des Arzt-PatientenVerhältnisses führen zu einem differenzierten Erleben eines Krankheitszustandes und zu unterschiedlichen Sinndeutungen. Subjektive Interpretationssysteme über Ursachen und Entstehung von Krankheiten und deren Verlauf, Behandlungsmöglichkeiten und Erfolgsaussichten verursachen unterschiedliche Wahrnehmungen 3 und Bewertungen des Krankseins. Diese Phänomene gehören zu den konstitutiven Eigenschaften eines jeden ArztPatienten-Verhältnisses und sind nicht exzeptionell für eine interkulturelle ArztPatienten-Beziehung.4 Kulturelle Prägungen verändern diese Phänomene viel mehr in seiner Intensität und weniger in seinem Wesen. Allein durch Interkulturalität können die konstitutionellen Eigenschaften eines Arzt-Patienten-Verhältnisses nicht grundsätzlich verändert werden. Deswegen können kulturelle Prägungen Charaktereigenschaften eines asymmetrischen Verhältnisses oder der unterschiedlichen Zugangsformen zum Kranksein nicht grundsätzlich, sondern vielmehr in ihrem Ausmaß verändern. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Durch kulturelle Phänomene beeinflusste subjektive Interpretationssysteme und Deutungsmuster können die schon vorhandene Asymmetrie und Bewertungsdifferenz im ArztPatienten-Verhältnis verstärken, unter Umständen aber auch abschwächen. Zudem können die sprachlichen Barrieren zusätzliche Missverständnisse und Fehlinterpre3 4

Vgl. Karl E. Rothschuh, Was ist Krankheit?, Darmstadt 1975, 411ff. Vgl. Hartmann, Patient.

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tationen entstehen lassen, die in dieser Form in intrakulturellen Arzt-PatientenBeziehungen nicht oder selten vorkommen.5 Deswegen sollten bei einer klinischen Ethikberatung nicht nur sprachliche Barrieren, sondern auch die kulturelle Praxis und moralische Diversität berücksichtigt werden. Diese sollen nun näher beleuchtet.

2.

Sprachliche Barrieren

Eine gelungene Kommunikation ist nicht nur für die Vermittlung der Patientenbeschwerden, sondern auch für den Zugang zu Wertvorstellungen und Präferenzen eines Patienten unverzichtbar. In einem interkulturellen Kontext kann eine erforderliche Verständigung zwischen Arzt und Patient aus unterschiedlichen Gründen beeinträchtigt werden.6 Oft sind die Patienten aus anderen Kulturkreisen der deutschen Sprache nicht mächtig, und ein professioneller Dolmetscherdienst, der diese Problematik beheben könnte, steht nur in seltenen Fällen zur Verfügung.7 Häufig werden zusätzliche Untersuchungen durchgeführt, um die Kommunikationslücken auszugleichen, und diese führen zu einer „Überdiagnostik“. Die unzureichende Kommunikation führt außerdem nicht selten dazu, dass es durch den Wunsch des Patienten oder durch ärztliche Überweisungen zu einer relativ hohen Anzahl von Arztwechseln (doctor-shopping) kommt.8 Aufgrund dieser Sachlage wird oft versucht, sprachliche Barrieren mit Hilfe von Familienangehörigen, Besuchern, medizinischem Personal oder sogar Reinigungspersonal zu überwinden. Diese Notlösungen beinhalten jedoch zahlreiche Schwierigkeiten. Fehlende Sprachkompetenz und mangelnde Neutralität während der Dolmetschertätigkeit können zu Fehlübersetzungen oder Auslassungen führen. Ein Autoritätsverhältnis zwischen dem Patienten und den Dolmetschern gefährdet in vielen Fällen eine authentische Kommunikation. Nicht selten werden eine ungünstige Diagnose und Prognose dem Patienten von dolmetschenden Familienangehöri9 gen vorenthalten, um das Wohlbefinden des Patienten nicht zu beeinträchtigen. Da Übersetzungsschwierigkeiten nicht vom Arzt bemerkt und kontrolliert werden können, kann auch eine erforderliche Patientenaufklärung und die damit verbun5

6

7 8 9

Vgl. Theda Borde et al., Erwartungen und Zufriedenheit deutscher und türkischsprachiger Patientinnen im Krankenhaus – eine vergleichende Befragung in einer Berliner Frauenklinik, in: Gesundheitswesen, 64 (2012), 476–485. Vgl. Wolfgang Wegner, Interkulturelle Problematik des Arzt-Patienten-Gesprächs: Die beste Lösung ist die Schulung der eigenen Kommunikationsfähigkeiten, in: Klinikarzt, 37/1 (2008), 34–37. Vgl. Marja Barkowski, Mein Blut tut weh. Interkulturelle Implikationen beim Dolmetschen im Krankenhaus, in: MDÜ Fachzeitschrift für Dolmetscher und Übersetzer 2 (2008), 41–43. Vgl. Ilhan Ilkilic, Begegnung und Umgang mit muslimischen Patienten. Eine Handreichung für 6 die Gesundheitsberufe, Bochum 2005. Alan Jotkowitz et al., Truth-telling in a culturally diverse world, in: Cancer Investigation 24/8 (2006), 786–789.

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Interkulturalität in der Ethikberatung

dene selbstbestimmte Einwilligung des Patienten nicht angemessen gewährleistet werden. In einem Verhältnis, in dem die Beteiligten nicht in ihrer Muttersprache kommunizieren können und die sprachliche Kommunikation aus unterschiedlichen Gründen filtriert, zensiert oder interpretiert wird, entstehen auch zahlreiche ethische Fragen. Da die sprachlichen Barrieren ein elementarer Gestaltungsfaktor der Interkulturalität sind, sollen sie bei der Lösung und Bewertung der ethischen Konflikte im Rahmen einer klinischen Ethikberatung immer mitberücksichtigt werden. Die zentrale Bedeutung der sprachlichen Verständigung wird nochmals im folgenden Fallbeispiel deutlich. Fallbeispiel 1

10

Bei einer damals 23-jährigen türkischen Frau wird während ihrer zweiten Entbindung im Rahmen eines Kaiserschnitts eine Sterilisation durchgeführt. Vor der Entbindung sagte die Frau dem Arzt gegenüber „Nix Baby mehr“, was vom Arzt als Wunsch nach Sterilisation aufgefasst wurde. Der Arzt hat sie über die Bedeutung und Folgen sowie Operationstechniken einer Sterilisation informiert. Nach der Aufklärung nickte die Patientin, die rudimentäre deutsche Sprachkenntnisse besaß, auf die Frage, ob sie alles verstanden habe. Einen Tag später wurde der Eingriff durchgeführt. Später verklagte die türkische Frau den Arzt auf Schmerzensgeld, da er sie ohne ihr Wissen sterilisiert habe.

3.

Kulturelle Praxis als Barriere

Die kulturelle Praxis (des Patienten/der Patientenangehörigen) in einem interkulturellen Kontext umfasst die Entscheidungs- und Handlungsformen, die maßgeblich von kulturellen Phänomenen – mit ihrem identitätsstiftenden Charakter – geprägt oder bestimmt sind und für den Interaktionspartner häufig einen Fremdheitscharakter haben. Erscheinungsformen der kulturellen Praxis haben im medizinischen Alltag ein breites Spektrum. Diese Praxisformen können völlig fremde Entscheidungen und Handlungen beinhalten, aber auch ungewöhnliche Haltungen umfassen. Beispielsweise wird das Schamgefühl als ein kulturübergreifendes menschliches Gefühl vor allem bei Angehörigen der muslimischen Kulturkreise anders als in den üblichen Formen einer westlichen Gesellschaft erlebt. Die Korrelation zwischen dem Leiblichkeitsverständnis und der daraus resultierenden Haltung lässt sich auch durch empirische Untersuchungen bestätigen. Dazu liefert eine in New York durchgeführte Studie interessante Ergebnisse. Im Rahmen dieser Studie wurden 500 10

Ilhan Ilkilic, Medizinethische Aspekte im Umgang mit muslimischen Patienten, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 132 (2007), 1587–1590.

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Frauen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zum Thema der Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit des Arztes im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe befragt. 56% der befragten Protestantinnen und 58% der befragten Katholikinnen und Jüdinnen befürworteten eine weibliche Frauenärztin. Signifikant höher war dieser Anteil bei Hindus (74%). An der Spitze jedoch liegen muslimische Patientinnen, die sich zu 89% eine Frauenärztin wünschten.11 Aufgrund dieses Intimitätsverständnisses entsteht der Wunsch, von gleichgeschlechtlichem Personal untersucht und behandelt zu werden. Die Praxisrealität im medizinischen Alltag lässt jedoch wenig Raum für die Berücksichtigung solcher Wünsche. Auch durch religiöse Grundpflichten und Speisevorschriften können während der medizinischen Behandlung Interessenkonflikte entstehen. Fasten und eine damit nicht vereinbare medizinische Medikation oder die Anwendung medizinischer Mittel, die von religiösen Speisevorschriften her untersagt sind, wie aus dem Schwein gewonnene Präparate, Herzklappen, oder Arzneibestandteile wie 12 Gelatine, sind einige Beispiele dafür. An dieser Stelle soll hervorgehoben werden, dass beispielsweise im Islam für solche Situationen der ethische Grundsatz „Notlage hebt die Verbote auf“ gilt. Für einen Krankheitszustand bedeutet dies, dass die im Alltagsleben gültigen religiösen Regelungen ihre Gültigkeit verlieren oder durch eine Erleichterung teilweise und vorübergehend außer Kraft gesetzt werden können.13 Es existieren jedoch in der Praxis unterschiedliche Verständnisse und individuelle Interpretationen solcher Prinzipien. Deswegen sollte ein ethischer Konfliktfall im interkulturellen Kontext immer situativ bewertet werden. Folgende Fallbeispiele konkretisieren einige durch religiöse Grundpflichten und Speisevorschriften bedingte Konflikte in der medizinischen Praxis. Fallbeispiel 214 Eine muslimische Patientin auf der psychiatrischen Station lehnte die Medikation ab, weil sie im Monat Ramadan nicht auf das Fasten verzichten wollte. Der behandelnde Arzt schlägt ein Gespräch mit einem Imam vor. Nachdem die Patientin mit einem Imam über dieses Thema gesprochen und sich über die theologisch moralischen Angelegenheiten informiert hat, hat sie sich mit der medikamentösen Therapie einverstanden erklärt.

11 12 13 14

Vgl. Michael Zuckerman et al., Determinants of women's choice of obstetrician/gynecologist, in: Journal of women's health & gender-based medicine 11 (2) 2002, 175–180. Vgl. Ilhan Ilkilic, Der muslimische Patient. Medizinethische Aspekte des muslimischen Krankheitsverständnisses in einer wertpluralen Gesellschaft, Münster/London 2002, 82ff. Vgl. Dariusch Athighetchi, Islamic Bioethics: Problems and Perspectives, Dordrecht 2007. Ilkilic, Begegnung und Umgang.

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Interkulturalität in der Ethikberatung

Fallbeispiel 315 Einem unfreiwillig kinderlosen muslimischen Mann wird zu Therapiezwecken von einem deutschen Urologen ein Präparat verabreicht. Als er feststellt, dass dieses aus der Schweinepankreas gewonnen wird, bricht er die Therapie ab. „Was kann man von einem Menschen erwarten, der mit Hilfe eines Präparats, das Schweineanteile enthält, gezeugt wurde?“ sagt er später. Da sein Vertrauen verletzt wurde, geht er nicht mehr zu diesem Urologen.

4.

Moralische Diversität

Divergierende moralische Wertvorstellungen und der damit verbundene Wertepluralismus gelten mittlerweile als konstitutive Eigenschaft der modernen Gesellschaften. Hinsichtlich der ethischen Konflikte im interkulturellen Kontext kommt ihnen sogar noch größere normative Bedeutung zu als den sprachlichen Barrieren und der kulturellen Praxis. Deswegen sollte sie bei einer klinischen Ethikberatung im interkulturellen Kontext eine besondere Berücksichtigung erfahren. Nach dem US-amerikanischen Bioethiker Tristram Engelhardt begegnen sich die Menschen in wertpluralen Gesellschaften entweder als moralische Freunde 16 (moralfriend) oder Fremde (moralstranger). Moralische Fremdheit in einem Arzt-Patient-Verhältnis bedeutet zunächst, dass die Parteien Mitglieder unterschiedlicher moralischer Gemeinschaften sind und in ihren Entscheidungsfindungen auf verschiedene moralische Wertvorstellungen zurückgreifen. Diese Realität kann in der Praxis in mannigfachen Formen in Erscheinung treten. Beispielsweise können medizinische Maßnahmen unterschiedlich moralisch beurteilt und daraus divergierende Entscheidungen abgeleitet werden. Mögliche Konsequenz einer solchen Differenz sind moralisch bedingte Interessen- und Entscheidungskonflikte in der Alltagspraxis, die nicht selten eine klinische Ethikberatung erfordern. An dieser Stelle soll hervorgehoben werden, dass eine moralische Diversität nicht zwangsläufig in einen Konflikt münden muss. Trotz unterschiedlicher moralischer Normquellen ist somit am Ende eines Entscheidungsprozesses eine ähnliche moralische Beurteilung möglich. Diese Sachlage soll jedoch nicht dazu führen, dass die Differenzen unter den Moralsystemen verharmlost oder diese sogar miteinander kongruent sind. Denn ein Entscheidungskonsens in einer bestimmten Angelegenheit bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine ähnliche moralische Einstellung zwischen den beiden Parteien auch in allen anderen medizinethischen Fragen vorherrscht. Die moralische Diversität in interkulturellen Behandlungssituationen verursacht nicht nur bei der ethischen Bewertung medizinischer Maßnahmen Schwierig15 16

Ilkilic, Begegnung und Umgang. Vgl. H. Tristram Engelhardt, The Foundations of Bioethics, New York 1996, 7.

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keiten, sondern ist für die bei der Konfliktlösung angewendete ethische Güterabwägung mit diversen Herausforderungen verbunden. Eine elementare und wichtige Fragestellung ist dabei, wie auf der ethischen Ebene mit dieser moralischen Diversität umzugehen ist. Dabei handelt es sich vor allem um die Frage nach Kulturbedingtheit und Kulturinvarianz der angewendeten ethischen Prinzipien.17 Die folgenden Fallbeispiele machen die Bedeutung solcher Fragen für eine klinische Ethikberatung im interkulturellen Kontext nochmals deutlich. Fallbeispiel 418 Bei einem 23-jährigen türkisch-muslimischen jungen Mann wurde ein bösartiger Krebs festgestellt. Der Gesundheitszustand des Patienten verschlechterte sich ständig, so dass der Tod immer wahrscheinlicher wurde. Deswegen wurde der Patient auf eine Palliativstation verlegt. Sowohl der Patient als auch seine Eltern haben nur geringe Deutschkenntnisse. Die Eltern informieren sich bei dem behandelnden Arzt mit Hilfe eines Dolmetschers aus ihrem Verwandtenkreis. Eine Krankenschwester türkischer Herkunft hört zufällig mit und informiert später die Ärzte, dass der Dolmetscher dem Patienten – wahrscheinlich auf Verlangen der Eltern – die Information über den zu erwartenden baldigen Tod nicht weitergegeben hat. Die Ärzte holen einen professionellen Übersetzer, der dem jungen Mann mitteilt, dass er möglicherweise in Kürze sterben werde. Nach zwei Tagen erleidet der Patient den Tod. Das Behandlungsteam wird später von den Eltern beschuldigt, am Tod ihres Kindes verantwortlich zu sein. Sie hätten durch ihre Aufklärung zur Verschlechterung des Krankheitszustandes beigetragen und somit den schnellen Tod ihres Kindes hervorgerufen. Fallbeispiel 5

19

Das sechs Tage alte Kind türkisch-muslimischer Eltern leidet an einem Oto-palatodigitalen Syndrom (OPD) Typ II, einer sehr seltenen, genetisch bedingten Erkrankung mit schweren Organanomalien. Das Kind ist ohne intensive maschinelle Unterstützung nicht lebensfähig. Auch mit dem Einsatz von Geräten wäre das Kind voraussichtlich nur sehr kurze Zeit am Leben erhalten worden. Das medizinische Team schlägt Verzicht auf maximale Therapie und eine Therapiebegrenzung vor. Die Eltern wünschen sich jedoch eine maximale Therapie. Sie betonen, dass diese

17

18 19

Vgl. Edmund D. Pellegrino et al. (Hrsg.), Transcultural Dimensions in Medical Ethics, Frederick 1992; Thomas Lux (Hrsg.), Kulturelle Dimensionen der Medizin, Berlin 2003; Nikola BillerAndorno et al. (Hrsg.), Gibt es eine universale Bioethik?, Paderborn 2008. Ilhan Ilkilic, Medizinethische Entscheidungen am Lebensende in einer wertpluralen Gesellschaft am Beispiel muslimischer Patienten, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 52 (2008), 33–49. Ilhan Ilkilic/Susanne Schmidtke, Medizinethische Aspekte der Kultur in der Neonatologie, in: Pädiatrische Praxis 70/4 (2007), 569–676.

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Interkulturalität in der Ethikberatung

Entscheidung aus ihrem islamischen Glauben stammt. Eine andere Entscheidung würden die Eltern im Jenseits vor Gott nicht verantworten.

5.

Ethische Orientierung bei einer interkulturellen klinischen Ethikberatung

Eine ethische Orientierung bei einer interkulturellen klinischen Ethikberatung erfordert eine angemessene Anwendung der prima facie Prinzipien wie Patientenautonomie, Fürsorge und Nicht-Schaden u.a.. Dabei denke ich nicht nur an die Prinzipienethik von Beauchamp und Childress20, sondern auch an andere Ansätze in der klinischen Ethik, die sich – in welcher Form auch immer – an diesen oder ähnlichen Prinzipien arbeiten.21 Zur Frage, welche Patientenautonomie sich für eine wertplurale Gesellschaft eignet, gibt es bereits in der Fachwelt eine etablierte Diskussion. Diese soll anhand von zwei Protagonisten dieses Diskurses kurz skizziert werden. Die US-amerikanische Medizinethikerin Ruth Macklin vertritt einen breiten Patientenautonomie-Ansatz, dem ein anthropozentrisches und individualistisches Menschenbild zugrunde liegt.22 Macklin vertritt die Meinung, dass die fundamentalen ethischen Prinzipien wie „Respekt vor der Person“ und „Respekt vor der Autonomie“ in der Lage sind, kulturelle Phänomene in der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen und in ethisch angemessener Weise in den Entscheidungsprozess zu integrieren.23 In diesem Ansatz ist das Selbstbestimmungsrecht der Person sehr zentral, und er beinhaltet zugleich einen universalen und kulturinvarianten Anspruch.24Macklin ist davon überzeugt, dass alle kulturbedingten Entscheidungen durch einen solchen Ansatz in der medizinischen Praxis berücksichtigt werden können. Der Ansatz basiert zwar auf bestimmten ethischen Grundgütern, wie der Menschenwürde, die in der Weltgemeinschaft allgemein anerkannt sind. Dennoch korrelieren die konkreten Implikationen nach Macklins Ansatz unmittelbar mit einem bestimmten Menschenbild, das wiederum in einer bestimmten Kulturtradition entstanden ist. Ist dieses Menschenbild ein anderes, so können auch der Stellenwert und die Implikationen der Patientenautonomie unterschiedlich sein. Ein Hauptanliegen des von Macklin und anderen vertretenen universalistischen Ansatzes ist die Verhinderung von Schaden, insbesondere im Hinblick auf eine potentiel20

Vgl. Tom L. Beauchamp/James F. Childress, Principles of Biomedical Ethics, Oxford/New York 2009. Vgl. Albert R. Jonsen et al. Klinische Ethik, Köln 2002. Vgl. Ruth Macklin, Against relativism. Cultural diversity and the search for ethical universals in medicine, New York 1999. Vgl. Ruth Macklin, A defense of fundamental principles and human rights: a reply to Robert Baker, in: Kennedy Institute of Ethics Journal 8/4 (1998), 403–422. Vgl. Ruth Macklin, Ethical relativism in a multicultural society, in: Kennedy Institute of Ethics Journal 8/1 (1998), 1–22. 6

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le Verletzung der Menschenrechte.25 Deswegen soll bei jeder medizinischen Handlung zunächst überprüft werden, ob die Gefahr einer Menschenrechtsverletzung besteht. Dieser Ansatz setzt zugleich eine gewisse Hierarchie der ethischen Prinzipien voraus, wonach der Patientenautonomie der höchste Rang zukommt. Der universale Einsatz dieses Ansatzes verlangt nicht nur eine kulturinvariante Anwendung der bereits dargestellten Überprüfungen, sondern auch die Gültigkeit der genannten Hierarchie unter den ethischen Prinzipien. An dieser Stelle darf jedoch kritisch gefragt werden, ob es realistisch ist, diese Hierarchie in allen Kulturkreisen vorauszusetzen. Im Gegensatz zu Macklin bestreitet der chinesische Medizinethiker Ruiping Fan den universell verbindlichen Charakter der „Western bioethical principles“ und zweifelt an ihrem „abstract content“, der in allen Kulturen eine moralische Bewer26 tungsgrundlage für die Handlungen in der medizinischen Versorgung bieten soll. Für die Begründung seiner Position nimmt er das Autonomieprinzip als Beispiel und setzt sich mit zwei aus diesem Prinzip ableitbaren Bestimmungsformen, nämlich der Selbstbestimmung und der Familienbestimmung, auseinander. Aus dem westlichen Autonomieprinzip resultiert demnach die Selbstbestimmung, die von der Freiheit des Individuums ausgeht. Dagegen lässt sich aus dem „ost-asiatischen Autonomieprinzip“ eine Familienbestimmung ableiten.27 Dieser Ansatz hebt den Wert der harmonischen Abhängigkeit innerhalb der Familie hervor. Diese beiden Autonomiebegriffe aus unterschiedlichen Kulturtraditionen lassen sich nach Fan keineswegs gleichsetzen und implizieren unterschiedliche moralische Handlungen. Dieser Ansatz verspricht eine bessere Berücksichtigung der kulturellen Phänomene in einer ethischen Urteilsfindung als ein universalistischer Ansatz. Demnach erlangt kulturelle Praxis einen moralischen Wert, der intrinsisch ist. Dieses Verständnis lässt jedoch die Grenze zwischen einem kulturspezifischen „Ist-Zustand“ und moralischem „Soll-Zustand“ schmelzen. Beispielsweise ist das Vorenthalten einer infausten Prognose eine moralisch richtige Handlung, wenn diese Praxis 28 innerhalb eines Kulturkreises als moralisch akzeptiert gilt. Diese Position kann jedoch aus der ethischen Perspektive mit dem Vorwurf des kulturalistischen Fehlschlusses29 kritisiert werden. Die Anwendung dieses Ansatzes bei einer interkulturellen klinischen Ethikberatung würde dann bedeuten, dass für jeden Patienten aus einer chinesisch-konfuzianischer Tradition die Familienautonomie einen zentralen 25 26 27 28 29

Vgl. Macklin, Ethical relativism. Ruiping Fan, Self-determination vs. family-determination: two incommensurable principles of autonomy: a report from East Asia, in: Bioethics 11/3–4, (1997), 309–22. Vgl. Ruiping Fan/Julia Tao: Consent to Medical Treatment: The Complex Interplay of Patients, Families, and Physicians, in: Journal of Medicine and Philosophy 29/2 (2004), 139–148. Vgl. Fallbeispiel 4. Der gängigen und gültigen kulturellen Praxis eines Kulturkreises einen normativen Wert zuzuschreiben, wird als kulturalistischer Fehlschluss verstanden. Danach ist der moralische Wert dieser Praxis intrinsisch und bedarf keiner zusätzlichen Begründung und Reflektion.

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Interkulturalität in der Ethikberatung

Stellenwert hat und im Entscheidungsprozess, ohne die Betroffenen zu befragen, akzeptiert und integriert werden soll. Somit impliziert er einen ethischen Paternalismus, der aus guten Gründen in einer wertpluralen Gesellschaft unakzeptabel ist. Außerdem setzt eine ethisch einwandfreie Anwendung dieses Ansatzes zusätzlich eine gewisse moralische Homogenität einer Bevölkerungsgruppe voraus. In der Zeit der Globalisierung findet auch in den als geschlossen geltenden Gesellschaften ein kontinuierlicher Wertewandel statt, wodurch innerhalb eines Kulturkreises übliche Wertvorstellungen sich verändern oder neue entstehen. Leben die Mitglieder eines bestimmten Kulturkreises in einem anderen Land – wie in den oben dargestellten Fallbeispielen –, so ist die Einflussnahme der herrschenden Wertvorstellungen dieses Landes umso intensiver, und somit auch die Heterogenität an Wertvorstellungen innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe.

6.

Der integrativ-reflektierende partikularistische Ansatz

Der integrativ-reflektierende partikularistische Ansatz strebt nach einer besseren Berücksichtigung kultureller Wertvorstellungen und Werthaltungen und deren Integration in die klinische Ethikberatung. Dieser Ansatz steht vor dem Hintergrund der oben diskutierten Gründe einer unreflektierenden Anwendung des konventionellen Patientenautonomiekonzepts kritisch gegenüber. Ebenso kritisch verhält er sich zueiner unmittelbaren Anwendung einer Entscheidungspraxis, die im Kulturkreis des Patienten als gewöhnliche kulturelle Praxis gilt. Es geht hier nicht darum zu entscheiden, welcher der beiden Ansätze im aktuellen Kontext anzuwenden ist. Vielmehr ist das Ziel, herauszufinden, welches Patientenautonomie-Konzept für den jeweiligen Patienten zutreffend ist. Insofern sollte die Anwendung des vorgeschlagenen Ansatzes als ergebnisoffen betrachtet werden. Erst nach einem kultursensiblen Kommunikationsprozess kann der Stellenwert und die Implikationen der Patientenautonomie situativ konkretisiert werden. Aufgrund dessen sieht sich dieser Ansatz auch nicht in Konflikt mit den ethischen Grundgütern wie der Menschenwürde oder der menschlichen Freiheit, auch wenn er der davon abgeleiteten routinierten Praxis der Patientenautonomie kritisch gegenübersteht. An dieser Stelle ist die Frage berechtigt, ob die Praxis solch eines Ansatzes gegen die Bestimmungen der Berufsordnungen oder das geltende Gesetz verstößt und somit auch seine Anwendung unrealistisch ist. Dieser Ansatz steht der konventionellen Patientenautonomie-Praxis kritisch gegenüber und hält einige praktische Ableitungen aus diesem Konzept für problematisch. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser Ansatz eine ähnliche kritische Einstellung zum Wohlbefinden des Patienten im weiteren Sinne und zu der damit verbundenen Selbstbestimmungspraxis hat. Im Gegenteil: Ziel ist es, eine bessere Berücksichtigung der kulturellen Wertvorstellungen und Werthaltungen in der medizinischen Praxis zu gewährleisten. Der Ausgangspunkt ist dabei nicht ein möglichst breites Patientenautonomie-

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Konzept als Handlungsgrundlage, durch das die kulturell geprägten Entscheidungsformen eine Anwendungsmöglichkeit finden können, vielmehr sollten die kulturell geprägten Wertvorstellungen und Werthaltungen des Patienten als Ausgangspunkt dienen und daraus ein entsprechendes Patientenautonomie-Konzept abgeleitet werden. Mittels der von diesem Ansatz vorgeschlagenen Vorgehensweise würde eine unkritische Übernahme der kulturellen Praxis aus dem Kulturkreis des Patienten abgewendet. Desgleichen würde die Gefahr eines kulturalistischen Fehlschlusses verhindert werden. Bisher ist dieses Konzept allerdings noch nicht in der Routine des Praxisalltags verankert.

7.

Fazit

Aufgrund der demographischen Lage gehören in Deutschland interkulturelle Begegnungen zum medizinischen Alltag. Kommunikationsbarrieren, kulturelle Praxis und moralische Diversität verursachen in diesen Begegnungen ethische Entscheidungs- und Interessenkonflikte. Deswegen sind ein angemessener Umgang mit diesen Konflikten und ihre Lösung im Rahmen einer klinischen Ethikberatung mit zusätzlichen Fragen, Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden. Interkulturelle Kompetenz und die darin enthaltenen Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Kulturwissen, kultursensible Kommunikation, Vermeidung von Stereotypisierung, Selbstreflexion und kritische Toleranz können bei der Überwindung der kulturellen Barrieren sowie bei der Lösung der kulturell geprägten ethischen Probleme einen wichtigen Beitrag leisten. An dieser Stelle soll hervorgehoben werden, dass interkulturelle Kompetenz nicht die Aufgabe und Funktion eines ethischen Ansatzes haben kann. Ebenso darf sie bei Gesundheitsberufen und Mitgliedern eines klinischen Ethikkomitees nicht von vornherein vorausgesetzt werden. Sie sollte vielmehr während der medizinischen und pflegerischen Aus-, Fort- und Weiterbildung vermittelt und gefördert werden. Neben diesen elementaren Merkmalen interkultureller Kompetenz hat die Frage nach Kulturbedingtheit und Kulturinvarianz der angewendeten ethischen Prinzipien, die oft bei der Lösung dieser Konflikte berücksichtigt werden sollten, in diesen Ethikberatungen einen zentralen Stellenwert. In diesem Zusammenhang sollte eine unreflektierte Anwendung der ethischen Prinzipien mit ihren konventionellen Implikationen bei einer klinischen Ethikberatung kritisch gesehen werden. Denn eine solche Vorgehensweise ist oft nicht in der Lage, die ethischen Konflikte im interkulturellen Kontext in angemessener Form zu analysieren und zu lösen. Für einen reflektierenden ethischen Umgang mit diesen Konflikten im Rahmen einer interkulturellen klinischen Ethikberatung bietet sich der integrativ-reflektierende partikularistische Ansatz an.

Strukturen und Modelle kultursensibler Ethikberatung Tatjana Grützmann

1.

Einleitung

In der Gesundheitsversorgung sind individuelle Bedürfnisse von Patienten in den letzten Jahrzehnten stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Das Prinzip der Patientenautonomie und die Beachtung dieses Prinzips haben sich (zumindest in westlich-geprägten Ländern) fest in der Patientenbetreuung verankert. Aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen tritt das Individuum stärker in den Vordergrund. Die Gestaltungsräume und Lebenskonzepte sind vielfältiger geworden, und mit ihnen, individuelle Glaubensmodelle und Bedeutungszuschreibungen hinsichtlich Gesundheit, Krankheit und Tod. Hier sind Miss- und Unverständnisse gewissermaßen vorprogrammiert, auch ohne dass der Patient eine Migrationsgeschichte aufweist. 1 2 Im Rahmen meiner Dissertation habe ich Experten zum Thema „kultursensi-ble Ethikberatung“ befragt. Als Begründung, warum es zu interkulturellen Missverständnissen oder Konflikten komme, nannten die Befragten als einen Grund den Mangel an Zeit, sich eingehender mit den Patienten zu befassen. Dies führe u. a. dazu, dass trotz Sprachbarrieren oft keine Dolmetscher hinzugeholt werden. Anstatt den informed consent angemessen sicherzustellen, heiße es dann: „Der Patient hat ja quasi zugestimmt.“ Oder es würden Therapieentscheidungen eines Familienmitglieds akzeptiert ohne dass der Patient gefragt werde.3 In solchen (unprofessionell gehandhabten) Situationen werden offensichtlich ethische Prinzipien verletzt. Wird ein Ethikberater hinzugezogen, kann es vorkommen, dass dieser sich (frei- oder unfreiwillig) auch in der Rolle eines Kulturmittlers wiederfindet. Im Umgang mit interkulturellen Situationen lassen sich zwei Dilemmata unterscheiden: Das eine besteht darin, dass kulturelle Aspekte in der Patientenversorgung oftmals nicht berücksichtigt werden (z.B. der Wunsch religiösen Praktiken nachgehen zu können), sei es aus Zeitmangel, Unkenntnis oder Unverständnis. Das 1

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Ich beschäftige mich mit dem Thema „Kultursensible Ethikberatung“ im Rahmen meines Dissertationsprojektes. Bei den folgenden Kapiteln handelt es sich ausschnittweise um in der Dissertation näher ausgearbeitete Aspekte. Die zehn befragten Experten sind entweder Vorsitzende/Geschäftsführer eines KEK (Auswahlkriterium I) oder/und haben einen Arbeitsschwerpunkt im Schnittbereich „Ethikberatung und Interkulturalität“ (Auswahlkriterium II). Laut Aussage einiger Interviewpartner käme erschwerend hinzu, dass manche Ärzte und Pflegenden unsicher im Umgang mit bestimmten Patienten(gruppen) seien, Desinteresse gegenüber fremden Wertvorstellungen hätten oder „falschen Vorbildern“ auf Station folgen würden.

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andere Dilemma besteht darin, dass Konflikte teilweise kulturalisiert werden. Im Beitrag von Frank Kressing und Christiane Imhof4 wird auf Situationen eingegangen, in denen (vermeintlich) kulturelle Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, auch wenn diese vielleicht keine oder nur eine geringe Rolle im aktuellen Konflikt spielen. Eine kultursensible Beratung könnte beiden Dilemmata vorbeugen: Die Beachtung kultureller Differenzen trägt u. a. dazu bei, Unzufriedenheit auf Patientenseite, interpersonelle Konflikte, Fehldiagnosen sowie mangelnder Adherence zu verhindern.5 Gleichzeitig sollte ein professionell geschulter Ethikberater Fallgruben wie Stereotypisieren, Kulturalisieren oder Ethnozentrismus zu vermeiden wissen und zum eigentlichen Kern des Konflikts vordringen können. Seit den 1990er Jahren findet sich insbesondere im angloamerikanischen Raum eine starke Zunahme an Modellen und Empfehlungen zu interkultureller Kommunikation6 im medizinischen und pflegerischen Kontext, zu essentiellen Prinzipien7 sowie zu Fall-Vignetten für die Aus- Fort- und Weiterbildung.8 Einige dieser Beiträge verweisen auch auf ethische Aspekte und gehen auf die Rolle der Klinischen Ethikberatung (KEB) ein.9 Da die KEB jedoch noch auf eine relativ junge Entwicklung zurückblickt, sind auch Beiträge, die sich speziell einer kultursensiblen Ethikberatung widmen, vergleichsweise spärlich gesät und datieren eher auf ein jüngeres Datum. Auffallend ist jedoch, dass diese Beiträge überwiegend aus dem USamerikanischen Raum stammen. Es lassen sich in etwa drei Vorgehensweisen für den Umgang mit interkulturellen Situationen in KEB unterschieden: (1.) Die Formulierung von Prinzipien oder Schlüsselelementen als Leitlinie in der KEB;10 (2.) die Erweiterung eines bereits bestehenden Ansatzes für die Ethikberatung, so dass er auch für eine kultursensible

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Siehe S. 70ff. in diesem Band. Vgl. Joseph A. Carrese/Henry S. Perkins, Ethics consultation in a culturally diverse society, in: Public Affairs Quarterly 17/2 (2003), 97–120, 97. Vgl. z.B. Eva van Keuk/Cinur Ghaderi/L. Joksimovic/D. David, Diversity. Transkulturelle Kompetenz in klinischen und sozialen Arbeitsfeldern, Stuttgart 2011. Vgl. u. a. die drei Prinzipien kultureller Kompetenz nach Paasche-Orlow und die drei Commitments nach Hyun (Michael Paasche-Orlow, The ethics of cultural competence, in: Academic Medicine 79; 4 (2004), 347–50; Insoo Hyun, Clinical cultural competence and the threat of ethical relativism, in: Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 17/2 (2008), 154–163). Der Ansatz der „kulturellen Bewusstheit“ nach Galanti bspw. erläutert anhand von Fall-Vignetten einen kultursensiblen Umgang (vgl. Gerri A. Galanti, Caring for patients from different cultures. Case studies from American hospitals, Philadelphia 1991). Vgl. hierzu u. a. das LEARN Model (Elois A. Berlin/William C. Fowkes, A Teaching Framework for Cross-Cultural Health Care: Application in Family Practice in cross-cultural medicine, in: Western Journal of Medicine 139 (1983), 934–938) und das 3-Stufen-Modell (Nancy S. Jecken/Joseph A. Carrese/Robert A. Pearlman, Caring for patients in cross-cultural settings, in: Hastings Center Report 25 (1995), 6–14). Vgl. hierzu bspw. Robert D. Orr/Patricia A. Marshall/Jamie Osborne, Cross-cultural considerations in clinical ethics consultations, in: Archives of Family Medicine 4 (1995), 159–164.

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Modelle der interkulturellen Ethikberatung

Beratung praktikabel ist;11 (3.) die Erweiterung eines Modells für den Umgang mit kultureller Diversität, so dass es auch in der KEB Anwendung findet.12 Im Folgenden (Kapitel 2) werden drei Ansätze für den Umgang mit interkulturellen Situationen in der KEB vorgestellt, die – in unterschiedlicher Annäherung – ein konstruktivistisches Kulturverständnis zugrunde liegen haben: das Cultural Awareness-Modell nach Orr et al.13, das Cultural Engagement-Modell nach Carter und Klugman14 und der 5-Stufen-Ansatz nach Carrese und Perkins15. „Konstruktivistisch“ heißt in diesem Sinne, dass "Kultur" als etwas Konstruiertes verstanden wird. Der Fokus der Ansätze liegt daher nicht primär auf dem Erlernen eines vermeintlichen "Kulturwissens", sondern auf Schlüsselkompetenzen im Sinne wissensübergreifender Fähigkeiten. Die Modelle bereichern daher jede Beratungssituation.16 Zusammenfassend lässt sich mit den Worten von Knipper und Bilgin sagen, dass „…die kulturspezifische Perspektive inzwischen zum Teil explizit im Sinne eines allgemein personenbezogenen Ansatzes definiert [wird]. Damit wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kultur kein ethnisch spezifisches, sondern ein Phänomen von allgemeiner Relevanz darstellt, und eine explizite Berücksichtigung von ‚Kultur‘ in der medizinischen Versorgung Möglichkeiten zu einer stärker am Individuum orientierten Gesundheitsversorgung eröffnet – einschließlich des möglicherweise vor17 handenen Migrationshintergrundes eines Patienten“.

Im Folgenden soll gezeigt werden, wie die Ansätze aufgebaut und für welche Beratungsszenarien sie hilfreich sind. Im dritten Kapitel wird auf die Rolle des Ethikberaters als Kulturmittler eingegangen sowie auf die Möglichkeit der Schulung von Ethikberatern in Interkultureller Kompetenz. Das zweite Kapitel einleitend wird zunächst der Cultural Humility-Ansatz von Tervalon und Murray-Garcia18 vorgestellt, da dieser spätere Modelle beeinflusst hat und einen kritischen Blick auf den Terminus „(Inter)kulturelle Kompetenz“ ermöglicht.

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Zu diesen zählt der 5-Stufen-Ansatz nach Carrese/Perkins, Ethics consultation, 97–120. Das Cultural Engagement-Modell nach Carter/Klugman fußt bspw. auf dem Explanatory ModelsAnsatz nach Arthur Kleinman. Vgl. hierzu Michele A. Carter/Craig M. Klugman, Cultural engagement in clinical ethics. A model for ethics consultation, in: Cambridge quarterly of healthcare ethics 10/1 (2001), 16–33. Vgl. Orr et al., Cross-cultural considerations, 159–164. Vgl. Carter/Klugman, Cultural engagement, 16–33. Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 97–120. Vgl. hierzu auch Tatjana Grützmann/Christina Rose/Tim Peters, Interkulturelle Kompetenz in der medizinischen Praxis, in: Ethik in der Medizin 24/4 (2012), 323–334, 327 und 329. Michael Kipper/Yaşar Bilgin, Migration und Gesundheit, Köln 2009, 77. Vgl. Melanie Tervalon/Jann Murray-García, Cultural Humility versus Cultural Competence: A critical distinction in defining physician training outcomes in multicultural education, in: Journal of Health Care for the Poor and Undeserved 9/2 (1998), 117–125.

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2.

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Modelle kultursensibler Ethikberatung

Der Ansatz der Cultural Humility In der Einleitung wurde der Terminus „Interkulturelle Kompetenz“ verwendet, der – so könnte man meinen – sich mittlerweile fast schon zu einem Trendlabel entwickelt hat. Tervalon und Murray-García lehnen in ihrem Ansatz diese Bezeichnung ab, da sie ihrer Meinung nach suggeriere, es gäbe einen definierten Wissensbereich (also ein anwendbares „Kulturwissen“), welchen man auswendig lernen könne. Dies mag sicherlich attraktiv erscheinen; für Dozierende in Medizin und Pflege und Studierende gleichermaßen. Doch läuft man hierbei Gefahr, in Anlehnung an eine deskriptive Medizinethnologie „das Fremde“ zu betonen und Unterschiede zwischen kulturellen (im Sinne von „ethnischen“) Gruppen herauszuarbei19 ten. Um zu verdeutlichen, dass dies nicht das Ziel des Cultural Humility-Ansatzes ist, geben die Autoren ein Praxisbeispiel20, das auf die Gefahren eines Kompetenzbasierten Modells aufmerksam macht und schlussfolgern: „The equating of cultural competence with simply having completed a past series of training sessions is an inadequate and potentially harmful model of professional development (…).”21 Dies verdeutlicht, dass beim Erlernen von „Kompetenzen” im Umgang mit interkulturellen Situationen das Erlernbare nicht unbedingt durch einen Zielpunkt definiert werden sollte, sondern als „commitment and active engagement in a lifelong process that individuals enter into on an ongoing basis with patients, communities, colleagues, and with themselves“22. Diese Sichtweise wird gestützt durch Studien23 zu interkulturell kompetentem Verhalten in der klinischen Praxis, die zeigen, dass es nicht an „Kulturwissen“ mangelt, sondern dass der Bedarf sich eher in der Einstellung im Umgang mit kulturell inhomogenen Patientengruppen und in der Selbst- und Fremdwahrnehmung zeigt.24

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Vgl. Tervalon/Murray-García, Cultural Humility, 118. In dem beschriebenen Fall geht es um eine Pflegerin, die die vehementen Schmerzäußerungen einer Patientin falsch deutet, indem sie diese als „typisch“ für ihre Kultur und als völlig überzogen auslegt (Die Pflegekraft hatte im Vorfeld eine Schulung zu Kultureller Kompetenz absolviert.). Als Konsequenz erhält die Patientin nicht die Medikamente, die sie braucht. Vgl. Tervalon/MurrayGarcía, Cultural Humility, 119. Tervalon/Murray-García, Cultural Humility, 119. A.a.O., 118. Vgl. u. a. Knox H. Todd/Tony Lee/Jerome R. Hoffmann, The effect of ethnicity on physician estimates of pain severity in patients with isolated extremity trauma, in: Journal of the American Medical Association 271/12 (1994), 925–928; Jonathan C. Javitt/A. McBean/Geraldine A. Nicholson et al., Undertreatment of glaucoma among Black Americans, in: New England Journal of Medicine 825/20 (1991), 1418–1422. Vgl. Tervalon/Murray-García, Cultural Humility, 119.

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Modelle der interkulturellen Ethikberatung

Tervalon und Murray-Garcia setzen daher bei der humility25 an. Dies beinhaltet, dass auch dem Patienten die Rolle eines Experten bzw. die eines gleichberechtigten Partners in der therapeutischen Beziehung zugewiesen wird, zumindest hinsichtlich seiner eigenen Befindlichkeit und der Rolle, die für ihn seine Herkunft/Ethnizität, Religion oder sein sozialer Status spielen. Das Eingestehen des eigenen Nichtwissens spielt hierbei eine herausragende Rolle.26 Diese Haltung beinhaltet weiterhin, dass der Berater bzw. Arzt oder Pflegende darum bemüht ist, Selbstreflexion und Selbstkritik zu üben, respektvoll mit Patienten umzugehen, die andere Werthaltungen äußern und einen nicht-paternalistischen Umgang mit Patienten zu pflegen. Für das Lösen eines Konflikts sollen möglichst auch andere Berufsgruppen und Parteien mit eingebunden werden wie Ethikberater und Seelsorger.27 Der Terminus „(Inter)kulturelle Kompetenz“ scheint sich dennoch in der Fachliteratur durchgesetzt zu haben. Dies mag daran liegen, dass er Innovation und Fortschrittlichkeit suggeriert. Die im Weiteren vorgestellten Ansätze mögen zeigen, wie man diesen Begriff auch anders „füllen“ kann. Das Cultural Awareness-Modell Das Cultural Awareness-Modell nach Orr, Marshall und Osborn28 stellt eine Methode dar, um im Rahmen der KEB mit interkulturellen Wertekonflikten umzugehen. Die beiden zentralen Strategien im Entscheidungsfindungsprozess sind Kompromiss und Verhandlung. Ferner identifizieren die Autoren anhand von vier Fallbeispielen29 aus der KEB Schlüsselelemente für eine erfolgreiche Konfliktlösung und formulieren hieraus eine Leitlinie. Die Schlüsselelemente lauten: (1) Effektive Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen, (2) Sensibilität und ein hinreichendes Verständnis des kulturellen Hintergrundes des Patienten, (3) Identifizieren von kulturrelevanten Wertekonflikten und Lösungsstrategien und (4) die Bereitschaft zur Diskussion, bis ein Kompromiss (oder für alle Beteiligten befriedigende Lösung) erreicht ist.30

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In Ermangelung einer präzisen Übersetzung belasse ich es bei dem englischen Begriff. Annäherungsweise ließe sich „humility“ jedoch mit „Demut“ übersetzen. Vgl. Tervalon/Murray-García, Cultural Humility, 117–121. Vgl. ebd. Vgl. Orr et al., Cross-cultural considerations, 159–164. Es ist jedoch auffällig, dass die Autoren ausschließlich solche Beispiele wählen, in denen von Seiten der Ärzte eine sehr westlich-geprägte, biomedizinische Sichtweise vertreten wird. Die Patienten dagegen werden dargestellt als Repräsentanten nicht-westlicher, traditioneller Werte (vgl. Orr et al., Cross-cultural considerations, 159f). Vgl. Orr et al., Cross-cultural considerations, 162f; vgl. hierzu auch Carrese/Perkins, Ethics consultation, 104.

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Das Ziel dieses Ansatzes ist jedoch nicht einfach nur die Lösung des Konflikts, sondern der Ethikberater hat auch die Rolle eines „cultural interpreter or ‚translator‘“31 inne. Allerdings wirken die Fallbeispiele teilweise sehr stereotypisierend und auch die Interpretationen der Situationen erscheinen oft von einem essentialistischen32 Kulturverständnis geprägt zu sein wie z.B.: „ The consultant learned that in Korean culture, women do not make medical decisions for their husbands“.33 Allerdings erläutern die Autoren im Weiteren, es sei „vitally important not to rely on ethnic stereotypes“ oder: „One Latino culture does not exist.“34 Zudem gehen Orr et al. auch auf das Berücksichtigen soziokultureller Aspekte ein und verweisen darauf, wie wichtig es sei, das individuelle Krankheitsverständnis des Patienten und seine Sichtweise auf die angesetzte Therapie zu erfragen sowie zu ermitteln, was seiner Ansicht nach bei der Lösung der Situation helfen könne.35 Dies berücksichtigend liegt dem Ansatz daher eher ein konstruktivistisches Kulturverständnis zugrunde. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Kompromisslösung der richtige Ansatz für eine ethische Fallberatung darstellt. Immerhin kann dies dazu führen, dass eine Partei oder auch beide Parteien bedeutsame (persönliche) Werte aufgeben.36 Die Methode erscheint daher hilfreich in Situationen, wo die beteiligten Personen/Parteien auch bereit sind, Kompromisse bezüglich ihrer Werte bzw. Glaubensvorstellungen einzugehen. Dies muss jedoch im Einzelfall (in der jeweiligen Fallberatung) geprüft werden. Das Cultural Engagement-Modell Carter und Klugman fußen in ihrem Ansatz auf den Arbeiten von Arthur Kleinman37 und orientieren sich an einer ethnographischen Interviewmethode, die sie für die Situation der Ethikberatung anpassen. Hierbei betonen sie das engagement (Verbindlichkeit), einen „reciprocal process of communication and dialogue whereby one individual’s values, expectations, and moral and health beliefs are made explicit to the other individual, thus promoting common understanding and trust”.38 Den zitierten Aspekt des Vertrauens bewerten die Autoren sogar höher als das Prinzip der Benefizienz. Das Engagement-Modell basiert auf einer „Ethik des Vertrauens“. 31 32 33 34 35 36 37 38

Orr et al., Cross-cultural considerations, 159. Vgl. hierzu den Beitrag von Michael Knipper in diesem Band. Orr et al., Cross-cultural considerations, 160. A. a. O., 162. In diesem Ansatz gibt es einige Überschneidungen einzelner Elemente zum Explanatory Models Approach nach Arthur Kleinman. Allerdings wird dieser nicht explizit von den Autoren erwähnt. Vgl. zu diesem Punkt auch Carter/Klugman, Cultural engagement, 20. Vgl. Arthur Kleinman, Patients and healers in the context of culture, Berkeley 1980 und Arthur Kleinman, The illness narratives: Suffering, healing, and the human condition, New York 1988. Carter/Klugman, Cultural engagement, 17.

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Modelle der interkulturellen Ethikberatung

Drei weitere Aspekte bzw. Voraussetzungen sind für das Modell handlungsanleitend und stehen in wechselseitiger Beziehung miteinander: gegenseitiger Respekt, Vulnerabilität und kulturelle Relevanz. Die erste Voraussetzung soll einer ethnozentrischen Sichtweise vorbeugen und beinhaltet, dass auch solchen kulturellen Praktiken, die vielleicht ungewöhnlich erscheinen mögen, Achtung entgegen zu bringen ist.39 Der Aspekt der Vulnerabilität verweist darauf, dass Patienten aufgrund ihrer Erkrankung in besonderem Maße schutz- und hilfebedürftig sind und oft ein Gefühl von Abhängigkeit erleben. Zuwendung und das Eingehen auf die genannten Bedürfnisse kann aber nur in angemessener Weise erfolgen, wenn auch kulturell-bedingte Wünsche bzw. Werte berücksichtig werden.40 Die dritte Voraussetzung „kulturelle Relevanz“ lenkt zunächst einmal die Aufmerksamkeit auf kulturelle Diversität und hält dazu an, diese mehr in der klinisch-ethischen Praxis zu berücksichtigen. Es sollen demnach keine Normen der dominanten Medizinkultur unreflektiert übernommen werden, sondern die Wahrnehmung des Patienten, seine persönliche Interpretation einer Situation und sein Erklärungsmodell41 in Bezug auf Gesundheit und Krankheit sind zu berücksichtigen. Der Ethikberater fungiert immer auch als Vermittler von interkulturellem Verständnis (mediator of intercultural understanding). Diese Vermittlerrolle erfüllt er, indem zunächst separate Interviews mit den beteiligten Personen bzw. Parteien durchgeführt werden. Hierzu bedient er sich eines speziellen Fragebogens42 als Leitlinie, der in Anlehnung an den Explanatory Modells Approach nach Kleinman entwickelt wurde und mit dessen Hilfe die Ursachen des ethischen Konflikts im Rahmen des engagement-Prozesses ergründet werden können. In einem zweiten Schritt werden die jeweiligen Erklärungsmodelle bzw. die Wertesysteme den anderen Beteiligten nahegebracht. Dies schließt auch die Erwartungen, die jemand an eine Therapie oder Person stellt, mit ein. Dieser Schritt erfolgt, um auf beiden Seiten Verständnis zu fördern und eine geeignete Basis für Lösungsmöglichkeiten zu erschaffen. Es geht demnach nicht um einen reinen Wissenstransfer zwischen den Parteien (oder gar ein Anwenden von „Kulturwissen“), sondern um Austausch, Förderung von Vertrauen und Perspektivenwechsel mittels bewusster Kommunikation und 39 40 41

42

Vgl. a.a.O., 21. Vgl. a.a.O., 21f. Hiermit ist ein Modell gemeint, welches dem Wertesystem zugrunde liegt. In Bezug auf den Patienten umfasst es u. a. die Wahrnehmung der Erkrankung und den Umgang mit ihr, die eigene Einschätzung der Diagnose und Prognose sowie die Haltung gegenüber der angestrebten Behandlung. Der Fragebogen für das Patientengespräch beinhaltet u. a. Fragen wie: „Wer hilft Ihnen, Gesundheitsentscheidungen zu treffen?“, „Mit wem soll der Arzt Ihre medizinische Situation besprechen?“. Diese Fragen sind insofern wichtig, als dass der Patient nicht notwendigerweise Therapieentscheidungen (allein) treffen möchte. Mit diesen Fragen wird die Autonomie des Patienten gestärkt, gleichzeitig lässt man ihm Raum für das Einbinden anderer Personen. Es werden auch solche Fragen gestellt, deren Beantwortung Aufschluss darüber geben, wie der Patient die Erkrankung wahrnimmt und wie er die Diagnose/Prognose einschätzt. (Vgl. Carter/Klugman, Cultural engagement, 23f, 26f.)

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prozesshaftem Verstehen. Die Interviewpartner sind in der Regel der Patient selbst (bzw. seine Angehörigen) und der Arzt (bzw. das Pflegeteam). Es werden sowohl die Autonomie der am Prozess Beteiligten respektiert als auch die für sie geltenden Werte berücksichtigt, z.B. mithilfe der Frage an den Patienten, wer ihm dabei hilft, Gesundheitsentscheidungen zu treffen. Mit anderen Fragen wird ermittelt, wie die Situation individuell wahrgenommen wird, z.B.: „Wie beeinflussen die Gesundheitsprobleme Sie/Ihr Leben? Oder: „Was brauchen Sie/wie kann der Arzt Ihnen helfen?“ Durch Abgleichfragen kann überprüft werden, ob Arzt oder Pflegekraft und Patient von denselben Informationen ausgehen: „Was berichtet der Patient über seine Gesundheitsprobleme?“ oder (an beide Parteien gerichtet) die Frage, was Ihres Wissens/Glaubens nach die Krankheitsursache bzw. die Ursache für das vorliegende Problem sei. Dass dem Ansatz ein konstruktivistisches Kulturverständnis zugrunde liegt, wird an Äußerungen deutlich wie „culture is not contiguous with either race or 43 ethnicity“. Die Autoren grenzen sich zudem stark von Modellen mit einem eng gefassten Kulturverständnis ab.44 Kulturelle Diversität wird bei Carter/Klugman als wertvolles Gut erachtet, welches es zu erhalten und zu respektieren gilt.45 Das Modell ist daher nicht – wie bei Orr et al. – auf Kompromisslösungen ausgerichtet, sondern die Praktikabilität des Ansatzes für die KEB liegt gerade darin, dass auf beiden Seiten kulturelles Verständnis befördert wird. Das Cultural Engagement Modell eignet sich besonders für Gesundheitseinrichtungen, in denen eine Einzelperson als Ethikbeauftragter tätig ist, da der Kern des Ansatzes das Führen von Einzelinterviews beinhaltet. Es wäre aber auch denkbar, dass das Modell in einem Klinischen Ethik Komitee (KEK) zum Einsatz kommt. In einigen KEKs werden ohnehin im Vorfeld der Beratung Einzelgespräche geführt. Für andere KEKs würden diese Interviews vermutlich einen zusätzlichen Zeitaufwand bedeuten. Andererseits könnte die anschließende Beratung mit allen Beteiligten wesentlich effektiver und eventuell kürzer gestaltet werden. Der 5-Stufen-Ansatz Der 5-Stufen-Ansatz nach Carrese und Perkins stellt eine Erweiterung eines bereits 46 bestehenden Modells für die KEB (dem 3-Stufen-Modell nach Lo ) dar. Die Autoren 47 verorten ihren Ansatz in einem restriktiven Pluralismus bzw. einem qualifizierter

43 44 45 46 47

Carter/Klugman, Cultural engagement, 17. Vgl. a.a.O., 17. Vgl. a.a.O., 20. Vgl. hierzu Bernard Lo, Resolving ethics dilemmas: A Guide for Clinicians, Baltimore 1995. „Restriktiver Pluralismus“ meint, dass die Autoren kulturelle Diversität als ein wertvolles Gut schätzen (ähnlich wie bei Carter/Klugman). Sie erachten es sogar als „Privileg“, erkennen aber dennoch an, dass es Grenzen der Toleranz gibt was kulturelle Praktiken betrifft (wie das Zwangs-

120

Modelle der interkulturellen Ethikberatung

Relativismus. Es gibt ihrer Ansicht nach universell gültige ethische Normen (Universalien), auf die sie allerdings nicht in erster Linie fokussieren, sondern es geht Carrese und Perkins vielmehr um den praktischen Umgang mit kultureller Diversität. Hierfür formulieren sie vier Fehlschlüsse, die in einer Beratungssituation beachtet werden sollten.48 Insbesondere der vierte Fehlschluss verdeutlicht noch einmal die eingangs erwähnte und bei Kressing und Imhof49 behandelte fälschliche Annahme, von der in interkulturellen Situationen häufig ausgegangen wird: „Alle Differenzen zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft sind kulturelle Differenzen.“ Dies veranschaulicht noch einmal, wie wichtig es für die Lösung der Situation ist, zu hinterfragen, worin der eigentliche Konflikt besteht. Für eine ethische Fallberatung beschreiben die Autoren fünf Schritte: (1.) Identifizierung des ethischen Konflikts, (2.) Sammeln der notwendigen Informationen, (3.) Entscheiden des weiteren Vorgehens, (4.) Umsetzung der Strategie/Entscheidung und (5.) kritische Revision/Reflexion. Im ersten Schritt sei es notwendig, auch ethische Aspekte zu anzusprechen, die eine kulturelle Dimension aufweisen und eventuell nicht so leicht zu identifizieren sind. Diesbezüglich verweisen die Autoren auf den Leitfaden des Cultural Engagement Modells (s. o.), insbesondere 50 auf Aktionsfragen. Im zweiten Schritt geht es dann auch nicht nur um medizinische Aspekte des Falles, sondern ebenso um Informationen über den kulturellen Hintergrund (z.B. religiöse Praktiken) der Beteiligten.51 Der dritte Schritt beinhaltet zusätzlich das Einbinden anderer Abteilungen/Ansprechpartner wie Seelsorger und Dolmetscherdienste.52 Was den 5-Stufen-Ansatz besonders auszeichnet ist die Methodenvielfalt. Die Autoren integrieren u. a. Elemente aus dem Cultural Engagement Modell, dem Ecological Model53 und dem LEARN Model54. Das Modell eignet sich sowohl für

48

49 50

51

52 53 54

verheiraten junger Mädchen oder die weibliche Beschneidung). (Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 102f, 115.) 1. „Jeder denkt wie ich/wir.“, 2. „Andere Kulturen sind homogen.“, 3. „Kulturen verändern sich nicht.“, 4. Alle Differenzen zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft sind kulturelle Differenzen.“ (Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 99f.) Zum Teil überschneiden sich diese Beobachtungen mit den Fehlschlüssen, die Gommel formuliert; vgl. hierzu Michael Gommel, Interkulturelle Konflikte, in: Christian Hick (Hrsg.) Klinische Ethik, Heidelberg 2007, 197–205, 203. Vgl. S. XX in diesem Band. Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 105f. Mit „Aktionsfragen“ werden Fragen bezeichnet, die darauf abzielen, dass sich das Beratungsteam– bei mehreren Lösungsmöglichkeiten – für eine Option entscheidet. Die Autoren verweisen z.B. auf das Ecological Model (Sim S. Galazka/J. Kevin Eckert, Clinical Applied Anthropology: Concepts for the Family Physician, in: Journal of Family Practice 22 (1986), 159–165), auf das Cultural Engagement-Modell (Carter/Klugman, Cultural engagement, 16-33) und das LEARN Model (Berlin/Powkes, A Teaching Framework, 934–938). Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 107. Vgl. Carrese/Perkins, Ethics consultation, 107. Vgl. Galazka/Eckert, Clinical Applied Anthropology, 159–165. Vgl. Berlin/Fowkes, A Teaching Framework, 934–938.

Tatjana Grützmann

121

Beratungen, die von einem einzelnen Ethikbeauftragten mit den einzelnen Parteien durchgeführt werden als auch für Beratungen, die von einem Ethikkomitee angeleitet und in gemeinsamer Runde mit den Betroffenen gehalten werden. Ein möglicher Kritikpunkt wäre der, dass das Verfahren mitunter sehr zeitaufwendig ist (Carrese und Perkins erläutern die fünf Schritte anhand eines Falles, dessen Behandlung sich in Form einer prozesshaften Beratung über mehrere Tage erstreckte).

3.

Strukturelle Ansätze: Einbinden von Kulturmittlern und Schulung von Beratern

Nachdem nun ein Exkurs in einige neuere Modelle zu kultursensibler Beratung gemacht wurde, stellt sich im Weiteren die Frage, welche anderen Entwicklungen und Maßnahmen in der KEB denkbar sind. Kulturmittler Ein Kulturmittler kann in interkulturellen Situationen beraten und als internes oder externes Mitglied ins KEK eingebunden werden. Hierbei ist auch eine Kooperation mit Migrationsdiensten oder anderen Institutionen denkbar. In zwei (von zehn) Interviews, die ich im Rahmen meines Dissertationsprojektes geführt habe, wurde zurückgemeldet, dass in das KEK, in dem der Interviewpartner tätig war, auch ein Kulturmittler eingebunden sei, der in entsprechenden Fällen zu Rate gezogen werde. In einem Fall war dies ein internes KEK-Mitglied (also eines, das selbst auch am Klinikum arbeitet), im anderen Fall handelte es sich um ein externes KEK-Mitglied, welches an einem Institut arbeitet, an dem Migranten betreut werden: „Wenn wir im Vorfeld herausfinden, dass diese interkulturellen Fragen im Vordergrund stehen, versuchen wir immer, dieses Mitglied dazu [zu den Fallberatungen] zu bekommen. Das gelingt auch… eigentlich ganz gut.“ Des Weiteren erwähnte der hier zitierte Experte, dass diese Einbindung für alle Mitglieder eine Bereicherung sei: „…also er [der Kulturmittler] erfährt IMMER55 davon, und kann auch DANN noch… ein Feedback zu dem Fall geben“. […] …daraus lernen wir [das KEK] natürlich ALLE, das heißt, wir wollen natürlich möglichst ALLE versuchen, diese Interkulturelle Kompetenz zu ERLANGEN. Und ich glaube schon, dass wir da eine ganze Menge schon erfahren haben.“

Allerdings würde in manchen Fällen erst in der Beratungssituation ersichtlich, dass eine interkulturelle Thematik zum Konflikt beiträgt. Aber selbst wenn der Kulturmittler nicht an so einer Beratung teilnehme, so könne später in einer internen Sitzung des KEK auf die interkulturellen Aspekte eingegangen und die Einschätzung des Kulturmittlers eingeholt werden. 55

Betonungen beim Sprechen wurden durch Großbuchstaben markiert.

122

Modelle der interkulturellen Ethikberatung

Es stellt sich jedoch die generelle Frage, ob KEKs sich in der Verantwortung und Pflicht sehen, diese Aufgabe des Vermittelns in interkulturellen Situationen, zu übernehmen. Diejenigen die der Rolle des Ethikers als Kulturmittler kritisch begegnen, könnten zudem behaupten, ein interkultureller Konflikt sei im Grunde nur ein „besonderer“ ethischer Konflikt, der lediglich eine weitere Dimension aufweise. Allerdings gibt es auch konflikthafte Situationen, die offensichtlich aufgrund von Missverständnissen oder auch Missverstehen (im Falle eines fehlenden Dolmetschers) entstehen. Wenn KEKs einen Kulturmittler ins Team holen, bestünde eine große Wahrscheinlichkeit, dass auch Beratungsanfragen an die Mitglieder herangetragen werden, die nicht unbedingt einen ethischen Konflikt zugrunde liegen haben. Hierauf sollte ein KEK dann vorbereitet sein, sich vernetzen und gegebenenfalls andere Institutionen (wie den klinikumsinternen Dolmetscherdienst) mit „an Bord holen“, an die entsprechende Anfragen weiter geleitet werden können. Schulung von Ethikberatern Eine andere Möglichkeit, in der KEB kultursensibel zu arbeiten, ist die Schulung von KEK-Mitgliedern in Interkultureller Kompetenz. Im Rahmen meines Dissertationsprojektes wurden die Experten auch gefragt, ob sie Bedarf an solchen Schulungen für Klinische Ethikberater sehen. Alle zehn Befragten bejahten dies. Allerdings wäre es nicht unbedingt damit getan, solche Kompetenzen in Ethikgremien auszulagern. Ein wünschenswertes Ziel wäre es, wenn alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen in diesem Bereich kompetent wären und das KEK nur eine Instanz wäre, die kultursensibel arbeitet. Daher fragte ich die Interviewpartner auch nach ihrer Einschätzung zum Bedarf an entsprechenden Kursen zu Interkultureller Kompetenz für Medizinstudierende. In den Ausführungen merkte ein Interviewpartner mit sehr deutlichen Worten an: „Ich finde, dass… die TRANSkulturelle Kompetenz - ebenso wie die ETHIK - zu den KERNkompetenzen mit gehört. Und dass man die Leute damit BELÄSTIGEN sollte, ob’s ihnen gefällt oder NICHT.“ Solange solche Kursangebote im Medizinstudium jedoch fakultativ bleiben und lediglich als Wahlfachangebot in Erscheinung treten, werden KEKs wahrscheinlich weiterhin (und zunehmend) in interkulturellen Situationen um Rat gebeten werden. Diese „Kompetenzzuweisung“ seitens des Klinikums war auch einer der Gründe, den drei von zehn Interviewpartnern nannten, als sie sich für Schulungsmöglichkeiten für Ethikberater aussprachen. Ein weiterer Grund (zwei Nennungen) war der, dass Klinikumsmitarbeiter aktuell mit interkulturellen Situationen überfordert seien, und dass interkulturell geschulte KEK-Mitglieder ihnen eine Hilfestellung geben und sie entlasten könnten. Zwei weitere Gründe (ebenfalls je zwei Nennun-

Tatjana Grützmann

123

gen) waren: (1) Gewährleistung von Kommunikation in der KEB56 und (2) Sensibilisierung/Handlungskompetenz der KEK-Mitglieder. Es sollte jedoch kritisch hinterfragt werden, was jeweils mit „Inter-(oder Trans-) kultureller Kompetenz“ gemeint ist und wie entsprechende Schulungen sinnvoll gestaltet werden können. Kritische Stimmen würden den Bedarf sicherlich auch in Abhängigkeit zum Standort und Einzugsgebiet des jeweiligen Klinikums sehen. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass Interkulturelle Kompetenz, die auf einem weitgefassten Kulturverständnis basiert (Kapitel 2), nicht nur auf Patienten mit Migrationshintergrund gerichtet ist, sondern letztlich allen Patienten zugutekommt (s. Einleitung zu diesem Text). Auch der Fokus in den oben diskutierten Modellen von Tervalon/Murray-Garcia, Orr/Marshall/Osborn, Carter/Klugman und Carrese/Perkins liegt nicht in erster Linie auf „Kulturwissen“, sondern im Erlernen kommunikativer und personaler Kompetenzen sowie in der Berücksichtigung soziokultureller Aspekte.

4.

Résumé

Es gibt auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Gestaltung kultursensibler Ethikberatung: die Verwendung von speziellen Beratungsmodellen sowie Maßnahmen auf personeller Ebene, wie die Einbindung eines Kulturmittlers oder -beauftragten und die Schulung von KEK-Mitgliedern. Diese Angebote können seitens der Leitungsebene initiiert und unterstützt werden (top-down) oder von KEKMitgliedern ins Leben gerufen werden (bottom-up). Jedes KEK ist anders strukturiert und hat eine individuelle Arbeitsweise, Positionierung im klinischen Alltag und unterschiedliche Möglichkeiten der Vernetzung. In kleineren Häusern gibt es oftmals kein mehrköpfiges Ethikgremium, sondern nur einen Ethikbeauftragten. Daher kann es keine Patentlösung für kultursensible Beratung geben. Allerdings erscheint es hilfreich, wenn einzelne Initiativen von der Leitungsebene gestützt werden, z.B. indem finanzielle Mittel für einen Kulturmittler oder für Fort- bzw. Weiterbildungen (und sei es nur die Einladung eines Experten zu diesem Thema) bereitgestellt werden. In der Regel sind es lediglich einzelne KEK-Mitglieder, die eine Ausbildung zum Berater für Ethik im Gesundheitswesen absolvieren. Aber auch hier könnte man das Thema „kultursensible Ethikberatung“ bewusst ins Curriculum einbinden. All diese Überlegungen stehen und fallen aber mit dem Selbstanspruch bzw. mit dem Selbstverständnis des jeweiligen KEK. Die oben erwähnte „Kompetenzzuschreibung“, der offensichtlich einige KEKs begegnen, mag bei einigen Komitees, die bereits für das Thema sensibilisiert sind, offene Türen einrennen. Andere Ethikberater sehen hier vielleicht nicht unbedingt Anknüpfungspunkte für die Ethikbera56

Die Befragten gaben an, dass kulturell bedingte Entscheidungshintergründe bekannt sein müssen, damit ein vernünftiger Austausch in der Beratungssituation stattfinden kann.

124

Modelle der interkulturellen Ethikberatung

tung bzw. sehen das KEK nicht primär als zuständig für das Vermitteln bei kulturellen Missverständnissen. Dies ist sicherlich auch abhängig davon, mit welchen Beratungsfällen die Mitglieder in der Vergangenheit zu tun hatten. Allerdings ermöglicht oft erst ein erweiterter Handlungsspielraum eine Erweiterung des Selbstverständnisses bzw. Arbeitsfeldes. Und, wie bereits oben erwähnt, mehren sich vielleicht auch entsprechende Beratungsanfragen mit interkulturellen Themen, wenn Klinikumsmitarbeiter das KEK als Ansprechpartner hierfür wahrnehmen. Carter und Klugman sehen in dem erweiterten Aufgabenbereich jedenfalls keine „Verwässerung“ der eigentlichen Zielsetzung der Ethikberatung, sondern verstehen die Analyse interkultureller Wertekonflikte als Chance und Möglichkeit für interkulturellen Austausch und ein gegenseitiges Verständnis divergierender Wert57 vorstellungen. Welche Maßnahmen für kultursensible Ethikberatung auch immer ergriffen werden, – seien es Strukturen, die etabliert werden, Beauftragte, die andere sensibilisieren oder Schulungen, die Kompetenzen vermitteln – es sollte hierbei immer berücksichtigt werden: „Finding out what matters most to another person is not a technical skill. It is an elective affinity to the patient”.58

57 58

Vgl. Carter/Klugman, Cultural Engagement, 30. Arthur Kleinman/Peter Benson, Anthropology in the Clinic: The Problem of Cultural Competency and How to Fix It, in: PLoS Medicine 3/10 (2006), 1673–1676.

Sprache als Wertevermittler Tim Peters Bei der Auseinandersetzung mit Migration in medizinischen oder pflegerischen Settings fällt neben dem häufigen Hang zur Problematisierung des Fremden1 insbesondere auf, dass zwei Bereiche stets getrennt voneinander thematisiert und betrachtet werden: ethische Konfliktfälle auf der einen und die kommunikative Verständigung auf der anderen Seite. Interkulturelle Konfliktpotentiale basieren demnach entweder auf unterschiedlichen Werthaltungen der beteiligten Personen oder sind bedingt durch eine fehlerhafte oder auch gänzlich fehlende Kommunikation, da unterschiedliche Muttersprachen und Kommunikationsmuster verwendet werden. Diese Dichotomie zeigt sich auch im Umgang mit Fremdheit in der klinischen Praxis. Für sprachliche Verständigungsprobleme werden Übersetzer herangezogen. 2 In der Regel und trotz aller publizierten Nebenwirkungen sind dies häufig adhocDolmetscher wie Mitarbeiter des Krankenhauses, Familienmitglieder oder Freunde 3 des Patienten. Seltener sind dies professionelle Dolmetscher, die entweder fest im Krankenhaus arbeiten oder über einen Vertrag bei Bedarf herbeordert werden können. Bei (wahrgenommenen) ethischen Konflikten im interkulturellen Umfeld wird zunehmend das Ethikkomitee hinzugezogen,4 das sich mit der gegebene Situation beschäftigen und nach Möglichkeit Handlungsempfehlungen geben soll. Auf diese Weise wird die Trennung von Sprache und Ethik bei interkulturellen Kontakten im Gesundheitssystem nicht nur institutionell manifest, sondern auch aus der herkömmlichen Arzt-Patienten- bzw. Pflege-Patienten-Beziehung „ausgelagert“. Neben diesen praktisch-organisatorischen Umsetzungen bedient sich im Übrigen oftmals auch ein Großteil der wachsenden Literatur zu diesem Thema in Fallbeschreibungen und in der theoretischen Auseinandersetzung der genannten Dichotomie. Der folgende Beitrag ist eine Auseinandersetzung mit dieser zweigeteilten Wahrnehmung von Fremdheit in der Medizin und ihren Konsequenzen, will Kritik daran üben und schließlich eine Alternative zur besagten Dichotomie vorstellen. 1

2

3 4

Dass es wesentlich differenzierter um interkulturelle Kontakte in der Medizin bestellt ist und inwiefern kulturelle Verschiedenheit überhaupt zu (neuen) ethischen Diskursen bzw. Konflikten führt, hat Walter Bruchhausen zu Beginn dieses Bandes ausführlich dargestellt. Z.B. Florian Menz, Ärztliche Gespräche mit PatientInnen mit geringen Deutschkenntnissen, in: Michael Peintinger (Hrsg.), Interkulturell kompetent. Ein Handbuch für Ärztinnen und Ärzte, Wien 2011, 230. Franz Pöchhacker, Dolmetschen: Konzeptuelle Grundlagen und deskriptive Untersuchungen, Tübingen 2000. Tatjana Grützmann et al., Interkulturelle Kompetenz in der medizinischen Praxis, in: Ethik in der Medizin 24 (2012), 323–334.

126

Sprache als Wertevermittler

Die oben genannte Verantwortungs- und Aufgabenteilung verhindert nach meiner Einschätzung die ganzheitliche Wahrnehmung des Patienten, die gerade in einem interkulturellen Kontakt für den Patienten in einem ihm unbekannten System von großer Bedeutung ist. Sprache und Ethik, letztere in Form von wirkmächtigen Normen und Wertvorstellungen, sind nicht zu trennen, sondern nur gemeinsam von Relevanz. Wertvorstellungen prägen unsere Sprache, ja unser gesamtes Kommunikationsverhalten, und gleichsam können die eigenen Präferenzen nur durch Sprache bzw. Kommunikation an einen Gegenüber vermittelt werden. Dies trifft generell auf jedwede Kommunikation zu, erhält aber in professionellen Situationen im Gesundheitssystem eine weitaus wirkmächtigere Brisanz. Im Folgenden werde ich zunächst auf zwei unterschiedliche wissenschaftliche Diskurse verweisen, die sich – jeder für sich – mit Fragen von Sprache und Ethik beschäftigt haben, um die oben genannten Thesen zu untermauern. Anschließend werden die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für Medizin und Pflege diskutiert sowie einige praktische Handlungsmöglichkeiten für den Umgang mit Interkulturalität im Gesundheitswesen exemplarisch vorgestellt.

1.

Die linguistische Perspektive

Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Zusammenhang von Kommunikation und Moral bzw. Werten. So weist insbesondere Susanne Günthner darauf hin, dass kommunikatives Handeln in starkem Maße von moralischen Elementen durchsetzt ist: „Beispielsweise zeigen wir im Verlauf einer Klatschgeschichte unsere moralische Entrüstung über das Verhalten des Klatschobjekts,5 oder wir verweisen implizit auf bestimmte moralische Normen, wenn wir jemandem einen Vorwurf machen[…].“6 In der Alltagskommunikation zeigt sich dies auch am persönlichen Auftreten (z.B. gepflegt, modisch, sportlich) oder an Entschuldigungen („Verzeihen Sie mir, dass ich zu spät gekommen bin.“). Im ersten Fall weist derjenige mit seinem Auftreten implizit daraufhin, dass er einem entsprechenden Auftreten Bedeutung beimisst und er diesen Stil in der jeweiligen Situation für angebracht hält. Im zweiten Beispiel lässt besagte Entschuldigung vermuten, dass der Sprecher dieses Satzes Verspätungen für unangemessen hält und falls es dennoch geschieht eine Entschuldigung im gewählten Rahmen für notwendig erachtet. Zahlreiche Beispiele finden sich auch in der medizinischen Kommunikation: „Jetzt haben Sie endlich mal etwas Ruhe vor Ihrer Familie.“ Mit diesem Satz könnte beispielsweise eine Pflegekraft einen Patienten aufmuntern wollen, der nach vielen Besuchen von Freunden und der Familie nun alleine in 5 6

Jörg Bergmann, Klatsch: Zur Sozialform der diskreten Indiskretion, Berlin 1987. Susanne Günthner, Thematisierung moralischer Normen in der interkulturellen Kommunikation, in: Jörg Bergmann/Thomas Luckmann (Hrsg.), Kommunikative Konstruktion von Moral, Opladen 1999, 325–351.

Tim Peters

127

seinem Zimmer liegt. Die Pflegekraft weist mit dieser Aussage implizit auf ihre Haltung hin, dass Ruhe und Einsamkeit etwas Gutes oder Angemessenes in dieser Situation sein kann. Ob der Patient dies genauso sieht, bleibt dahingestellt. Die Beispiele zeigen, dass durch unsere Kommunikation individuelle Werthaltungen vermittelt werden oder wie Günthner dies nennt, „[…] dass moralische Werte im Alltag kommunikativ konstruiert, also hervorgebracht und bestätigt werden […].“7 Diese unterliegen dann immer noch einer Interpretation und einer entsprechenden Reaktion durch den Wahrnehmenden, aber generell verweist ein Sprecher in der Kommunikation permanent auf seine Werthaltungen. Die professionelle Interaktion zwischen Patienten und Ärzten bzw. Pflegekräften ist aufgrund der lebens- oder zumindest gesundheitsbedrohenden Umstände davon besonders stark geprägt, wobei besagte Verweise hierbei sowohl implizit als auch explizit erfolgen können.8 Ein Arzt in dominanter Körperhaltung, der den Patienten häufig unterbricht, demonstriert mit seinem Verhalten implizit seine Werthaltung zur Arzt-PatientenBeziehung, nämlich vermutlich einen eher paternalistischen Stil. Eine Patientin hingegen, die sich bei einem längeren Krankenhausaufenthaltes ständig schminkt und die Haare anspruchsvoll frisiert, mag damit Hinweise zu ihrer Haltung zum äußerlichen Auftreten generell sowie im Krankenhaus speziell liefern. Welche Gründe dafür ursächlich sind und ob dies aus medizinischer oder psychologischer Perspektive als positiv oder negativ zu beurteilen ist, kann und soll an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Auch sind differenzierende Wahrnehmungen oder Missverständnisse in der Interpretation durchaus möglich und generieren viele unserer 9 alltäglichen Konflikte im Alltag und Beruf. Essentiell ist, dass wir neben unserer Sprache selbst über unsere Kleidungswahl, unser Auftreten und unser nonverbales Verhalten implizit Hinweise auf unsere Werthaltungen liefern können. Einen Schritt weiter gehen explizite Äußerungen. Ein Patient, der in Fragen der Therapie zum behandelnden Arzt sagt „Sie sind doch der Fachmann“, vermittelt damit einen Eindruck wie er seine Rolle im Entscheidungsprozess sieht. Seiner Werthaltung nach muss der Patient anscheinend nicht immer an diesem Entscheidungsfindungsprozess beteiligt sein und kann demnach auch passiv in einer paternalistischen Weise behandelt werden. Eine Aussage wie „Ich kenne meinen Körper am besten“ würde vermutlich die entgegengesetzte Botschaft übermitteln: Ein Patient muss bei der Therapieentscheidung mitreden. Ein anderes Beispiel wäre „Die Therapieentscheidung können Sie ganz alleine und in Ruhe treffen.“ – als ein 7 8

9

Günthner, Thematisierung moralischer Normen, 326. Tim Peters, Doctor vs. Patient, Performing Medical Decision Making Via Communicative Negotiations, in: Eva-Maria Graf/Marlene Sator/Thomas Spranz-Fogasy (Hrsg.), Interaction types across helping professions – Differences, similarities and interferences of communicative tasks, Amsterdam 2014 (in Vorbereitung). Kommunikationspsychologisch beschrieben von Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Reinbek 48 2010.

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Sprache als Wertevermittler

möglicher Hinweis eines Arztes nach einer folgenschweren Diagnose. Hierbei vermittelt der Arzt seine eigene Haltung, in der das individuelle Entscheiden ohne äußere Hilfe oder Störung als etwas Positives bzw. etwas Besonderes angesehen wird. Der Patient allerdings kann ob dieser Aussage schnell etwas Gegenteiliges verspüren, z.B. weil ihn die Perspektive einer alleinigen Entscheidung ängstigt oder weilerfamiliären Zwängen ausgesetzt ist. Diese Beispiele verdeutlichen, was der folgende bekannte Ausspruch kurz und präzise zum Ausdruck bringt: „Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul“. Dieses in Feedbackschulungen oft strapazierte Wortspiel vermittelt noch einmal knapp und deutlich, was Kommunikation eigentlich (auch noch) zusätzlich bewirkt. In Rückbezug auf die Sach- und Beziehungsebene von Gesprä10 chen und in der Loslösung vom eigentlichen Feedbackbeispiel gibt jeder kommunikative Beitrag viel vom jeweiligen Sprecher preis: seinen Fokus sowie seinen blinden Fleck, seine Haltung sowie die Art und Weise, wie er die Kommunikation in der spezifischen Situation realisiert. Nicht alles, aber vieles davon verweist auf die eigene Werthaltung, die wir auf diesen Kommunikationsebenen (zumindest in Teilen) anderen Menschen vermitteln.

2.

Die philosophische Perspektive

Die Philosophie hat eine lange Tradition in der Analyse des Zusammenhangs zwischen Sprache und Werthaltungen. Zwei davon sollen hier zur Argumentation ausschnittweise herangezogen werden: die Sprachphilosophie und die narrative Ethik. Während Erstere sich eher mit theoretisch-grundsätzlichen Überlegungen beschäftigt, hat die narrative Ethik in Genese und Anwendung einen ganz direkten Bezug zu Medizin und Pflege. 2.1 Sprachphilosophie In der Philosophie sind die eingangs geäußerten Überlegungen zum Verhältnis von geäußerter Sprache und verinnerlichter Werthaltung – wenn auch nicht immer explizit – sehr ausführlich diskutiert worden. Seit den ersten philosophischen Betrachtungen von Sprache in der Antike wird darüber gestritten, ob Sprache und 11 Wörter eigentlich etwas abbilden und wenn ja, was genau dies sein könnte. Im klassischen Konflikt zwischen Nominalismus und Realismus (und unter Auslassung sprachpragmatischer Ansätze wie den Überlegungen des späten Wittgenstein) wird insbesondere das Verhältnis von Sprache zur Welt kontrovers diskutiert. Ohne 10 11

Paul Watzlawick/Janet H. Beavin/Don D. Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, Bern/Stuttgart/Toronto 1969. Willi Oelmüller/Ruth Dölle-Oelmüller/Volker Steenblock, Philosophische Arbeitsbücher VIII. – Diskurs: Sprache, Stuttgart 1991.

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darauf im Detail einzugehen, lassen sich die verschiedenen, historisch gewachsenen Ansätze dieses Disputs zum Verhältnis Sprache-Gedanken-Welt wie folgt zusammenfassen:12 3. 4. 5. 6.

Sprache repräsentiert die Welt. Sprache repräsentiert nicht die Welt, sondern unsere Gedanken über die Welt. Sprache repräsentiert unsere Gedanken (über die Welt) schlecht. Sprache repräsentiert nicht nur schlecht; sie repräsentiert nichts.

Auch wenn die Debatte darüber zwischen Nominalisten (wie z.B. Rudolf Carnap) und Realisten (wie z.B. Charles Sanders Peirce und David Armstrong) nicht entschieden ist, so lassen sich meiner Einschätzung nach aus den vorliegenden Arbeiten einige generelle Aussagen dazu treffen, die auch das oben benannte Spannungsfeld von Werten und Sprache im medizinischen Kontext direkt betreffen. Der erste Ansatz, dass Sprache die Welt repräsentiere, wird heute in seiner starken Ausprä13 gung kaum noch vertreten und gilt nach konstruktivistischer Kritik als überholt. Auch die Vertreter des radikalen Nominalismus, die den 4. Ansatz vertraten und damit die Abwertung der Sprache im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Höhepunkt führten, wurden zumindest in den letzten Jahren in der Diskussion spürbar zurückgedrängt.14 Lässt man sich jedoch auf die Ansätze zwei oder drei ein, so folgt daraus für die konkrete Situation einer Kommunikation zwischen Patient und Arzt/Pflegekraft, dass keine Aussage eines Patienten objektive Aspekte der Welt beschreibt, sondern dass diese stets durch eigene Gedanken gefiltert und vorstrukturiert werden und eventuell sogar noch in schlechter Qualität übermittelt werden. Dies gilt beispielsweise für die Beschreibungen von Schmerz (Lokalisation und Intensität), Krankheitszeiträumen oder Symptomenwahrnehmungen generell. Diese Einordnungen und Interpretationen der Welt, die in den Gedanken des Patienten vorgenommen werden, und schließlich mehr oder minder ausreichend kommunikativ vermittelt werden, basieren auf den Werten und Normvorstellungen des Patienten. Ob ein Schmerz beispielsweise als nicht belastend, stark oder als nicht aushaltbar charakterisiert wird, hängt neben den bisher gemachten Erfahrungen auch davon ab, welche Haltung der Patient zu Schmerzen generell hat, wie seine Vorstellung ist, wie 15 viel Schmerzen jemand in seinem Zustand aushalten „sollte“. Demnach ist eine Trennung von Sprache und Werthaltungen, die sich in der sprachphilosophischen Tradition in den Begriffen „Gedanken“ oder „Vernunft“ verstecken, gar nicht mög12 13 14 15

Vgl. Elisabeth Leiss, Sprachphilosophie, Berlin/New York 2009, 3–4. Vgl. a.a.O., 19f. Vgl. a.a.O., 198. Konkrete Anwendungen dieser Überlegungen finden sich bereits in der Praxis, wo Patienten ihre Empfindungen selber auf Schmerzskalen angeben können, dies aber mitnichten eine vollständige Vergleichbarkeit oder Kongruenz von Gefühlen oder Schmerzen mit sich bringt.

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Sprache als Wertevermittler

lich. Die Aussagen eines Patienten sind ohne dessen Wertehorizont gar nicht vollständig verstehbar, eine angemessene Einordnung ist nicht möglich. Folgt man weiterhin den Anhängern der dritten These (die man auch als Referenzpessimisten bezeichnen könnten) und unterstellt, dass auch unsere Gedanken über die Welt nicht vollständig mit unseren sprachlichen Äußerungen kongruent sind, so hieße dies, dass eine Verständigung zwischen Menschen ohne Missverständnisse gar nicht möglich wäre. Die jeweiligen Gedanken eines Menschen sind demnach für den Gegenüber nie vollständig zugänglich, da die Sprache diese nicht adäquat abbilden und übermitteln kann. Hier wäre nur eine Annäherung an die Gedankenwelt des anderen möglich, nie mehr. Unabhängig davon, wie weit man diesen Weg gehen möchte und ohne in diesem Beitrag auf den radikalen Nomina16 lismus einzugehen, wird sichtbar, dass eine Trennung von ethischen Aspekten (Werthaltungen und Normen), die Einfluss auf unsere Gedanken haben, und der Sprache nicht vorgenommen werden kann. Wahrgenommene Sprache bzw. eine direkte Kommunikation bietet uns die Möglichkeit über die Gedankenwelt des Gegenübers seine Werthaltungen zumindest (teilweise) zu erfassen und ist daher für eine gelingende Arzt-Patienten-Beziehung unerlässlich. 2.2 Narrative Ethik Indirekt aufgegriffen wird die oben verkürzt dargestellte lange Tradition der sprachphilosophischen Diskurse in den Ansätzen der narrativen Ethik. Grundlage ist dabei das Verständnis, „[…] dass die Ethik eine narrative Dimension beinhaltet, da diese Dimension die primäre Zugangsweise zum handelnden Menschen dar17 stellt.“ Weist man dem Handeln und Erleben eines Menschen eine narrative Struktur zu, so kann man über genau diese Narrativität einen Zugang und eine Deutungsperspektive finden. Dabei ist es zunächst irrelevant, ob man dabei den Vertretern folgt, die das Leben selber als nicht-narrativ strukturiert und erst nach18 träglich narrativ geformt beschreiben oder den Anhängern der These, dass Han19 deln und Leben selbst die Struktur einer Narration haben. Beiden Ansätzen ist dabei gemein, dass Sie davon ausgehen, dass wir Ereignisse unseres Lebens in Form von Erzählungen und Geschichten verarbeiten und weiterreichen. Dabei verknüpfen wir automatisch die Geschehnisse mit einer individuellen Perspektive und der eigenen Werthaltung. Über das Erzählen kann daher ein Zugang zum Le-

16 17 18 19

Sprache repräsentiert nicht, sondern ist für soziale Bindungen und Kontexte zuständig. Vgl. 3 Richard Rorty, Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt a. M. 1985. Karen Joisten (Hrsg.), Narrative Ethik. Das Gute und das Böse erzählen, Berlin 2007, 11. Vgl. Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt a. M. 1991. Vgl. Alasdair MacIntyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1995, 283f. Karen Joisten wählt für diese Unterscheidung der beiden Grundpositionen die Begriffe der „Handlungs- und Lebensperspektive“ (Joisten, Narrative Ethik, 12).

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ben und Handeln eines Gegenübers und damit auch zum Wertehorizont der jeweiligen Person geschaffen werden. Bezogen auf die Medizin- bzw. Bioethik im speziellen betont Hille Haker: „Nicht nur in der Bioethik, in diesem Bereich der Ethik aber besonders, spielen eigene Erfahrungen mit Krankheit, mit der Institution Medizin, mit der Forschung […] eine prominente Rolle; dennoch werden sie von den Akteuren […] kaum expliziert, stattdessen verstecken wir uns lieber hinter der Rolle der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, deren Aufgabe erst dann beginnt, wenn die biographischen 20 Bezüge getilgt sind.“ Was hier etwas provokant formuliert wird, ist jedoch Akt fast jeder standardmäßigen Anamnese; das Trennen bzw. die Fragmentierung der Informationen, das Aufteilen in Bedeutsames zur Diagnoseerstellung und in Unwichtiges.21 Das durchaus wichtige und in Teilen notwendige Vorgehen findet seine Grenzen im klinischen Alltag jedoch in vielerlei Situationen, die diesem Schema nicht entsprechen und in denen dann zur Bearbeitung Psychologen, Seelsorger oder das Ethikkomitee hinzugezogen werden. Hier greift die in der Einleitung angerissene klinische Arbeitsteilung und verteilt die verschiedenen Aspekte des Patienten auf die zuständigen Fachbereiche bzw. Abteilungen. Mit den Ansätzen der narrativen Ethik soll der Patient über seine Narrationen ganzheitlich wahrgenommen werden, also neben den Symptomen und psychosozialen Faktoren auch seine Werthaltungen und Wahrnehmungen identifiziert werden. „Als Artikulationen besonderer Erfahrungen fördern authentische Erzählungen das Wissen um bestimmte Erfahrungskomplexe und unter Umständen die Einsicht in die Unterschiede der Wahrnehmung von Wirklichkeit und in die Unterschiede der 22 jeweiligen Perspektiven.“ Praktische Umsetzungen dieses Prinzips und damit Gegenbewegungen zur fragmentierten Patientenwahrnehmung sind insbesondere im angloamerikanischen Raum zu beobachten, die dem Erzählen im Kontakt mit dem Patienten einen deutlich höheren Stellenwert zuschreiben.23

3.

Zwei Schlussfolgerungen

Die oben genannten Perspektiven zeigen auf, dass die These einer Trennung zwischen Sprache bzw. Kommunikation auf der einen Seite und dem Wertehorizont bzw. der individuellen ethischen Ausrichtung auf der anderen Seite nicht haltbar ist. Dabei gelten diese Beobachtungen und wissenschaftlichen Erklärungsansätze zu Sprache und Ethik zunächst für die Kommunikation von Menschen allgemein, 20 21 22 23

Hille Haker, Narrative Bioethik – Ethik des biomedizinischen Erzählens, in: Joisten (Hrsg.), Narrative Ethik, 254. Johanna Lalouschek, Ärztliche Gesprächsausbildung. Eine diskursanalytische Studie zu Formen des ärztlichen Gesprächs, Radolfzell 2002, 31–32. Haker, Narrative Bioethik, 264. Trisha Greenhalgh/Brian Hurwitz (Hrsg.), Narrative Based Medicine, BMJ Books, 1998; Rita Charon, Narrative Medicine: Honoring the Stories of Illness, Oxford 2008.

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Sprache als Wertevermittler

erhalten aber im professionellen Kontakt im Rahmen des Gesundheitswesens eine weitaus stärkere Bedeutung. Dies ist weiterhin nicht spezifisch für interkulturelle Kontakte, sondern betrifft die Kontakte jedes Patienten mit Medizin und Pflege. Hier zeigt sich wieder einmal die von Walter Bruchhausen schon skizzierte Tatsache, dass Interkulturalität keine prinzipiell neue Dimension in das Arzt-PatientenVerhältnis bringt und dass eine patientenzentrierte, verstehende Perspektive kulturunabhängig von Nöten ist. In interkulturellen Kontakten ist dies aufgrund faktischer Differenzen wie der unterschiedlichen Muttersprache und auch durch die graduell stärker ausgeprägte Wahrnehmung vorhandener Unterschiede jedoch von besonderer Bedeutung. Konkret bedeuten die obigen Argumentationen für die klinische Praxis, dass interkulturelle Kontakte nicht auf die zwei Bereiche Ethik und Sprache reduziert, aufgeteilt und entsprechenden Fachpersonen übertragen werden sollten. Im Folgenden möchte ich auf zwei wesentliche Schlussfolgerungen dessen eingehen. 3.1 Es braucht Sprach- und Kulturmittler Wenn Sprache und ethische Werthaltungen so stark miteinander verwoben sind, dann reicht es nicht, wenn ein Dolmetscher die Sprache beherrscht und den (vermeintlichen) Inhalt der Patientenaussage wortgemäß wiedergibt. Die Implikationen, die eine Aussage beinhalten kann und die insbesondere unter 2.1 dargestellt wurden, kann eine Übersetzung nicht immer voll oder im schlechtesten Falle auch kaum berücksichtigen. Es braucht also im Gegensatz zum reinen Übersetzer einen Mittler, der nicht nur die sprachliche Ebene verstehen, sondern diese auch im kulturellen Kontext interpretieren kann, um daraus Rückschlüsse auf die patientenseitigen Werte und Normen ziehen zu können. Diese können versteckt sein in Sprichwörtern, in bestimmten Wendungen, die ihn erkennbar politisch, religiös oder kulturell verorten und die in einer reinen Übersetzung dem deutschen Vertreter des Gesundheitswesens nichts sagen würden. Selbstverständlich kann es nicht nur beim Interpretieren des Mittlers bleiben, sondern dieser muss auch in der Lage sein können, Nachfragen zu stellen oder Präzisierungen zu verlangen, wenn ihm ein bestimmter Kontext nicht klar ist. Auch ist die Transparenz seines Analyseprozesses wichtig und seine möglichen Interpretationen müssen dem Arzt bzw. der Pflege gegenüber metakommunikativ erkennbar gemacht werden. Auf diese Weise liefert der Sprach- und Kulturmittler dem Vertreter des Gesundheitssystems eine „Übersetzung mit Fußnoten“, die hilfreich im Verstehen des patientenseitigen Wertehorizontes sind und gleichzeitig eine Beeinflussung des Patientenwillens durch eine falsche oder missver24 ständliche Auslegung auf ein Minimum reduzieren.

24

Hinweise zur Umsetzung finden sich bei Eva van Keuk/Cinur Ghaderi, Leitfaden zum Einsatz von Dolmetschern bzw. Sprach- und Kulturmittlern, in: Eva van Keuk/Cinur Ghaderi/Ljiljana

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Kritikern, die hierin eine unzulässige Stärkung des Mittlers sehen und womöglich eine Schwächung des Patienten oder der Entscheidungsfähigkeit des Arztes oder der Pflege befürchten, soll an dieser Stelle entgegengehalten werden, dass der Prozess des Übersetzens nie nur eine reine sprachliche Übertragung ist. Dolmetscher sind nie nur „Briefträger“, um eine gebräuchliche Wendung zu gebrauchen, sondern Mitverfasser des Schreibens, welches der Arzt oder die Pflege am Ende erhalten. Sprachen sind nie vollständig kongruent und der Akt des Übersetzens beinhaltet per se eine Orientierung am übergeordneten Handlungszusammen25 hang. Dadurch zeigen sich in den interaktiven Handlungen der Dolmetscher automatisch Interpretationen und Gewichtungen der patientenseitigen Aussagen, die zwar im Widerspruch zur Idee des neutralen Übersetzers stehen, aber in der medizinischen Praxis vielfach belegt sind.26 Das mag man störend finden, ist aber konstitutiv für den Prozess des Übersetzens. Dies jedoch selbstreflexiv mit zu beachten, Alternativen aufzuzeigen, kritisch nachzufragen oder die möglichen Auslegungen transparent zu machen, unterscheidet in der Regel einen qualifizierten Übersetzer von adhoc-Dolmetschern, die oftmals immer noch die Regel in deutschen Krankenhäusern sind. Die Kenntnis der patientenseitigen kulturellen Hintergründe ist in diesem Prozess eine wichtige Stütze und hilft Aussagen und darüber geäußerte Werte und Haltungen angemessen zu berücksichtigen. Der mit der Aufwertung der Rolle der Sprach- und Kulturmittler gleichzeitig vergrößerte Verantwortungsbereich ist ein weiteres Argument gegen adhocDolmetscher, die oftmals nicht darin geübt sind mit dieser Verantwortung umzuge27 hen und insbesondere in der Betreuung von Familienmitgliedern überfordert sind. Daher braucht es für diese Aufgabe qualifizierte, trainierte Personen, die Sprache und Kultur(-praktiken) des Herkunftslandes des Patienten verstehen und bei der Übersetzung in Einklang bringen können. Ein Übersetzer aus Jordanien teilt mit dem Patienten aus Marokko womöglich die gleiche, nämlich die arabische Sprache, jedoch sind die kulturellen Hintergründe (auch noch beeinflusst durch soziale und ökonomische Aspekte) mitunter völlig unterschiedlich, so dass es beim Übersetzungs- und Interpretationsprozess zu Missverständnissen kommen kann. Der Bezug auf das Herkunftsland soll an dieser Stelle allerdings keine essentialistischen Nationalismen befördern, sondern darauf verweisen, dass dem Überset-

25

26

27

Joksimovic/Dagmar David (Hrsg.), Diversity. Transkulturelle Kompetenz in klinischen und sozialen Arbeitsfeldern, Stuttgart 2011, 266–267; Menz, Ärztliche Gespräche, 237–251. Bernd Meyer, Dolmetschertraining aus diskursanalytischer Sicht: Überlegungen zu einer Fortbildung für zweisprachige Pflegekräfte, in: Gesprächsforschung – Online Zeitschrift zur verbalen Interaktion 4 (2003), 166. Claudia V. Angelli, Medical interpreting and cross-cultural communication, Cambridge 2004; Bernd Meyer, Dolmetschen im medizinischen Aufklärungsgespräch. Eine diskursanalytische Untersuchung zur Wissensvermittlung im mehrsprachigen Krankenhaus, Münster 2004. Banu Wimmer, Brücken bauen statt Barrieren – Community Interpreting als Beitrag zur Integration von MigrantInnen in das regionale Gesundheitswesen, in: Michael Peintinger (Hrsg.), Interkulturell kompetent. Ein Handbuch für Ärztinnen und Ärzte, Wien 2011, 237–251, 244f.

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Sprache als Wertevermittler

zer nicht nur der Sprachraum, sondern auch kulturelle Praktiken und Wissensbestände aus dem Herkunftsland des Patienten (zumindest in groben Umrissen) bekannt sein sollten. Die Wahrscheinlichkeit für diesbezügliche Kenntnisse sind, will man ein realistisch umsetzbares Kriterium haben, bei einem gemeinsamen Herkunftsland zumindest tendenziell höher. Eine wichtige Einschränkung hierbei ist allerdings die mögliche Zugehörigkeit des Sprach- und Kulturmittlers zu einer unterschiedlichen (Bevölkerungs-)Gruppe innerhalb des betreffenden Landes. Dies kann dazu führen, dass trotz der gemeinsamen geographischen Herkunft differierende Kulturpraktiken und Werthaltungen vorherrschen. Auch historische Zusammenhänge und eine Verortung in verschiedenen sozioökonomischen Kontexten können eine gewichtige Rolle spielen. Diese Einschränkungen können schließlich zu einem generellen Hindernis im sprachlichen und kulturellen Übersetzungsprozess werden, da hierüber Missverständnisse erzeugt werden, die ja gerade verhindert werden sollen, oder eine ablehnenden Haltung des Mittlers gegenüber dem Patienten die Folge sein kann. Im Hinblick auf eine realistische Umsetzbarkeit im deutschen Gesundheitswesen, die Finanzierbarkeit und unter Berücksichtigung von Aspekten wie Datenschutz (bei kleinen lokalen Communities einer Bevölkerungsgruppe in einer Stadt), wäre das Kriterium des gemeinsamen Herkunftslandes aber zumindest ein erster Schritt zu einer individuelleren und angemesseneren Wahrnehmung von Patienten mit Migrationsgeschichte im Übersetzungsprozess. Wenn es hier zunächst so scheint, als würde die oben angesprochene und kritisierte Dichotomie scheinbar gestützt (da ein Sprach- und Kulturmittler hinzugezogen wird, der sich – so könnte man sagen – zwischen den Arzt und den Patienten stellt und ihm die kommunikative Arbeit abnimmt), so ist dies nur auf Ebene der Positionen bzw. Rollen der Fall. Ärzte und Mitarbeiter der Pflege sind nicht in der Lage, jede Fremdsprache zu verstehen, so dass die Hinzuziehung eines Dolmetschers für einen gleichberechtigt verstandenen Zugang zum Gesundheitswesen und für einen gelingenden informed consent von Nöten ist. Die starre Zweiteilung, die hier – zumindest ein Stück weit – aufgehoben werden soll, ist die zwischen Werthaltungen und Sprache. Bei einem erweiterten Übersetzungsprozess durch Sprach- und Kulturmittler wird eben diese Trennung berücksichtigt und in Teilen aufgehoben. 3.2 Kulturelle Sensibilisierung der Mitarbeiter im Gesundheitswesen Die stärkere Einbeziehung der Sprach- und Kulturmittler bedeutet jedoch keineswegs, dass Ärzte oder Pflegende sich aus der Kommunikation mit Patienten oder Angehörigen sowie einer kultursensiblen Haltung und der damit verbundenen Verantwortung zurückziehen sollen oder können. Einerseits gibt es genug interkulturelle Kontakte im Gesundheitswesen ohne die Notwendigkeit oder ohne die Möglichkeit einer professionellen Übersetzung und andererseits sind Ärzte und Pflegende auch bei der Anwesenheit eines Übersetzers kommunikativ gefordert. Eine

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gelingende Beziehung zwischen Patient und Arzt bzw. Pflegekraft ist essentiell für viele medizinisch relevante Aspekte wie die Informationsübermittlung im Rahmen der Diagnose, die therapeutische Entscheidungsfindung oder die Empathie. Diesen Teil kann auch ein Sprach- und Kulturmittler dem Behandlungsteam nicht abnehmen, Ärzte und Pflegende bleiben aufgrund des Fachwissens, ihrer Erfahrung und der Verantwortung Hauptansprechpartner. Und auch wenn sich Klinikleitung, Ärzte, Pflegende und Patienten inzwischen weitestgehend an die kleinteilige Arbeitsteilung gewöhnt haben, die sich wie einleitend beschrieben auch zunehmend auf die Dichotomie ethischer und kommunikativer Belange ausdehnt, so heißt das nicht, dass es sich hierbei um eine „gute“ oder angemessene Situation handelt und dass es bei den Beteiligten zur Zufriedenheit führt. Interkulturelle Kontakte bzw. Kommunikationssituationen weisen an dieser Stelle wie so oft in gesellschaftlichen Systemen durch eine tendenziell stärkere Wahrnehmung der Beteiligten auf ganz allgemein bestehende Missstände hin. Eine grundsätzliche Sensibilisierung von Ärzten und Pflegenden für patientenseitige Werthaltungen und deren kommunikative Übermittlung ist daher generell für alle Patienten sinnvoll, auch wenn dies im Folgenden ausschließlich am Beispiel interkultureller Kontakte demonstriert wird. Eine praktische Möglichkeit bietet der Philosoph Holenstein mit zwölf von ihm 28 empfohlenen „Daumenregeln“. Um interkulturelle Missverständnisse, wie er sie nennt und im Übrigen nicht von intrakulturellen Missverständnissen (zwischen Berufsgruppen, Schichten etc.) unterscheidet, zu begegnen, braucht es seiner Ansicht nach eine interkulturelle (Gesprächs-)Kompetenz. Diese zeigt sich unter anderem darin, dass man differenzieren kann, zwischen dem, was vom Gegenüber gesagt wird, und der Art und Weise wie es vorgetragen wird. Diese Beobachtung von intentionalen Gesprächsanteilen wie Gestik, Mimik, Tonfall, Blickkontakt und anderen kommunikativen Merkmalen kann dabei helfen, beispielsweise unterschwellige Aspekte von Wunsch- und Angstäußerungen oder Höflichkeit zu identifizieren. Als eine Grundlage verweist er in diesem Zusammenhang auf den „kulturanthropologischen Grundsatz“, dass sich Menschen tendenziell unter gleichen Bedingungen gleich verhielten, da bspw. auch in den verschiedenen Religionen Ansätze einer universellen Ethik auszumachen seien. Daher seien Widersprüche und Inkongruenzen in den verschiedenen Ebenen der Kommunikation als Hinweise zur Werthaltung nutzbar. Weitere Möglichkeiten bestehen in der Anwendung allgemein bekannter Kommunikationstechniken, denen im interkulturellen Kontakt eine weitreichende Bedeutung zukommt. Ein Beispiel wäre die so genannte Werteanamnese, mit welcher man zu Beginn eines Gespräches oder während einer laufenden Anamnese die

28

Elmar Holenstein, Ein Dutzend Daumenregeln zur Vermeidung interkultureller Missverständnisse, in: Elmar Holenstein (Hrsg.), Kulturphilosophische Perspektiven. Schulbeispiel Schweiz. Europäische Identität auf dem Prüfstand. Globale Verständigungsmöglichkeiten, Frankfurt a. M. 1998, 288–312.

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Sprache als Wertevermittler

Werthaltungen des Gegenübers erfragen kann.29 Sätze wie „Was sagt Ihre Familie dazu?“ oder „Warum glauben Sie, haben Sie diese Krankheit?“ können vergleichsweise einfach in eine normale Kommunikation mit dem Patienten integriert werden und die gegebene Antworten können gute Hinweise darauf sein, ob – um bei den vorangegangenen Beispielen zu bleiben – die Familie eine große oder kleine Rolle im Krankheits- und Entscheidungsprozess spielt oder ob übernatürliche Ereignisse für Symptome verantwortlich gemacht werden. Dass die Werteanamnese gut integrierbar ist, zeigt auch der Satz: „Haben Sie bisher schon jemanden außer mir um Hilfe gebeten?“ Die Frage ermöglicht die Nennung von Priestern, Schamanen oder anderen nichtmedizinischen Institutionen ohne andere Patienten mit fehlendem Verständnis dafür vor den Kopf zu stoßen. Ähnliche Ansätze finden sich auch in anderen nicht-interkulturelle Kommunikationsmodellen wie beispielsweise dem bekannten SPIKES-Protokoll zum Überbringen schlechter Nachrichten in der On30 kologie. Der zweite Schritt in diesem Modell, der mit dem Stichwort „Perception“ überschrieben ist und vor dem Überbringen der eigentlichen Nachricht steht, dreht sich um das Erkennen der Patientenwahrnehmung der jeweiligen aktuellen Situation. Auf dieser Grundlage werden dann das weitere Gespräch und die einzelnen Schritte (Diagnosemitteilung, Therapieentscheidung etc.) aufgebaut. Eine weitere Technik, die weithin bekannt ist, nur leider selten bewusst angewendet wird und im Zusammenhang von Werten und Sprache eine große Rolle spielen kann, ist die Metakommunikation, also das Sprechen über die Kommunika31 tion selber. Sätze wie „Ich bin etwas überrascht, weil ich so etwas bisher nicht gefragt wurde.“ oder „Sie wirken auf mich, als ob sie das Gesagte anders sehen.“ thematisieren in höflicher Form die vielleicht unbefriedigende Kommunikationssituation. Unterschiedliche Haltungen können damit angesprochen und anschließend bearbeitet werden, ohne dass sie zu folgenschweren Missverständnissen führen. Als letztes Beispiel sei darauf verwiesen, dass eine Sensibilisierung ebenfalls dazu führt, sein eigenes Gesprächsverhalten in interkulturellen Kontakten besser einzuschätzen. Dazu zählt beispielsweise die Kenntnis des Xenolekts, der Gesprächsform, die häufig gewählt wird, wenn deutsche Muttersprachler mit Migran32 ten sprechen, von denen sie glauben, sie würden nur schlecht deutsch sprechen: Erhöhte Lautstärke, Umgangssprache, langsames Sprechen, einfache Sätze mit einer geringen inhaltlichen Komplexität und eine Tendenz zum Duzen sind charakteristische Merkmale dieser sprachlichen Varietät. So gut gemeint diese kommuni29 30

31 32

Peintinger, Interkulturell kompetent, 11. Walter F. Baile/Robert Buckmann/Renato Lenzi/Gary Glober/Estela A. Beale/Andrzej P. Kudelka, SPIKES – A six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer, in: Oncologist 5 (2000), 302–311. Axel Schweickhardt/Kurt Fritzsche, Kursbuch ärztliche Interaktion. Grundlagen und Fallbeispiele aus Klinik und Praxis, Köln 2007, 64f. Jörg Roche, Variation in Xenolects (Foreigner Talk), in: Ulrich Ammon (Hrsg.), Variationslinguistik, Linguistics of Variation, La linguistique variationelle, Sociolinguistica 12, Berlin/New York 1999, 117–139.

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kative Form ist und so hilfreich einzelne Aspekte wie das langsame Sprechen sein mögen, so beinhaltet der Xenolekt, der umgangssprachlich auch als „Babytalk“ bezeichnet wird, zwei wesentliche Gefahren. Neben der Möglichkeit einer mangelnden Aufklärung, da die inhaltliche Tiefe zu stark vereinfacht wird, ist das insbesondere die Gefahr einer Diskriminierung, da der vereinfachte Sprachstil vom Hörer mit vermeintlich schlechten Deutschkenntnissen erkannt wird und aus ihm eine besondere Haltung ihm gegenüber herausgelesen werden kann (z.B. ungebildet, niedrige soziale Schicht), die tatsächlich jedoch nicht vorhanden ist. Alleine dieses mögliche Missverständnis kann über das Gelingen oder Scheitern einer Patientenbeziehung entscheiden. Hilfreich ist an dieser Stelle ein patientenorientierter Kommunikationsstil, der beispielsweise über offen gestellte Rückfragen das Verständnis des Gegenübers überprüft (ohne ihn bloß zu stellen) und der mittels angemessener Pausen dem Gesprächspartner Gelegenheiten gibt die Informationen zu verstehen und mögliche Nachfragen zu formulieren. Dies sind nur einige wenige Beispiele, die zeigen, dass kulturell sensible Medizin und Pflege (weiter) gefördert werden müssen, um den Mitarbeitern im Gesundheitswesen die nötigen Kommunikations- und Reflexionstechniken an die Hand zu geben. Das Aufbrechen der Dichotomie von Sprache und Ethik kann hier zudem als ein Baustein verstanden werden, die vielen Forderungen nach einer ganzheitlichen Medizin mit zu verwirklichen.

4.

Fazit

Ziel dieses Beitrages war es, die im Alltag oft gelebte und in der Literatur beschriebene (oder zumindest selten hinterfragte) Teilung von Interkulturalität in ethische und sprachliche Aspekte zu kritisieren. Derzeit zeigt sich diese Aufteilung oftmals darin, dass ethische Aspekte interkultureller Kontakte an Ethikkomitees oder die Seelsorge weitergereicht werden, während für sprachliche Verständigungsschwierigkeiten (adhoc-)Dolmetscher eingesetzt werden. Darin zeigt sich die Gefahr, dass im Rahmen von klinischen Organisations- und Arbeitsteilungsprozessen Interkulturalität bzw. Kultur als Teilaspekt von Patienten und ihren Krankheitendem „intraklinischen Outsourcing“zum Opfer fallen könnte. Diese Aufteilung ist weder aus einer multidisziplinär wissenschaftstheoretischen Perspektive noch aus ethischen Gründen sinnvoll. Wenn die zahlreichen politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Verlautbarungen bezüglich einer ganzheitlichen, gleichberechtigten medizinischen Behandlung und die Ansprüche an die oft betonte Patientenautonomie Geltung haben sollen, müssen die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen werden. Mit einem Plädoyer für Sprachund Kulturmittler sowie der beispielhaften Vorstellung einiger Kommunikationstechniken und deren Implikationen konnte auf den letzten Seiten gezeigt werden,

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Sprache als Wertevermittler

dass entsprechende Umsetzungen in der Praxis generell nötig und möglich sind.33 Entsprechende Schulungen und eine Sensibilisierung des ärztlichen und pflegerischen Personals sind nötig und sollten in den zunehmend internationalen Behandlungsteams – ein Aspekt, auf den in diesem Beitrag leider nicht eingegangen werden konnte – keine Besonderheit mehr sein. In Zukunft wird darauf zu achten zu sein, dass in der auf Arbeitsteilung spezialisierten Medizin „Kultur“ nicht ein Grund zur weiteren Fragmentierung von Patienten wird und dass – im Gegenteil – die Dichotomie Ethik und Sprache ein Stück weit überwunden wird. Dies käme dann, wie bei vielen durch interkulturelle Kontakte angeregten Weiterentwicklungen, letztlich allen Patienten – unabhängig des kulturellen Hintergrundes – zu Gute.

33

In seinem Beitrag in diesem Band demonstriert Peter Saladin einige Umsetzungen der oben genannten Forderungen am Beispiel des Projektes„Migrant Friendly Hospitals – Spitalnetzwerk für die Migrationsbevölkerung (MFH)“ in der Schweiz. Siehe auch: Peter Saladin, Diversität und Chancengleichheit. Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen, Bern 2006.

Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus: Eine Führungsaufgabe Peter Saladin

1.

Transkulturelle Kompetenz1 – warum?

Drei grundsätzliche Überlegungen seien voran gestellt: Warum ist Verstehen im Krankenhaus so wichtig? Das Krankenhaus ist keine „Philosophie-Anstalt“ und kein Ethik-Seminar. Seine Aufgabe ist es, Menschen zu heilen, zu begleiten, vielleicht sogar bis in den Tod zu begleiten. Verstehen muss mit diesen Kernprozessen im Krankenhaus in Verbindung stehen. Diese Kernprozesse reichen, das lehrt uns die tägliche Erfahrung, weit über rein medizinische und pflegerische Techniken und über eine exzellente Infrastruktur hinaus; sie betreffen den ganzen Hilfe suchenden Menschen und oft nicht nur ihn, sondern auch seine ganze soziale Umwelt. Sie betreffen auch die soziale Interaktion zwischen ihm und jenen Menschen, die ihn im Krankenhaus umsorgen. Verstehen kann heilen. Diese Überzeugung bildet den Ausgangspunkt für alle organisatorischen Bemühungen, von denen im Folgenden die Rede sein wird. Die Beziehungen zwischen Verstehen und Heilen sind hier nicht in einem streng wissenschaftlichen Sinne zu verstehen. Es soll damit die Alltagserfahrung ausgedrückt werden, wonach das begrifflich-sprachliche und das menschlich-soziale Verstehen zwischen Menschen in aller Regel eine Grundvoraussetzung für einen befriedigenden Behandlungsprozess im Krankenhaus darstellen. Lässt sich transkulturell qualifizierte medizinische und pflegerische Betreuung „organisieren“? Wenn Verstehen für das Heilen so wichtig ist, lässt sich dann das „Verstehen“ auch erlernen, organisieren, ja erzwingen, so wie ein medizinisch-pflegerischer Prozess oder ein technischer Ablauf organisiert und standardisiert wird? Was bedeutet 1

Hier wird der Begriff „transkulturell“ gebraucht. Er soll andeuten, dass es beim „Verstehen“ nicht um einen Vergleich oder gar eine wertende Abwägung zwischen Kulturen – d.h. interkulturellen Prozess – geht, sondern um eine umfassende Wahrnehmung unterschiedlicher Menschenbilder, die den Alltag von Menschen, unabhängig von ihrem geographischen, sozialen, philosophischen oder religiösen Ort, prägen. In der Literatur und Praxis werden die beiden Begriffe, transkulturell und interkulturell, oft synonym verwendet.

140

Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus

dann in diesem Zusammenhang das Wort „Führungsaufgabe“, wie es im Titel dieses Beitrages gebraucht wird? Um es vorwegzunehmen: Die Führungsverantwortlichen im Krankenhaus können, ja müssen zahlreiche und wesentliche Voraussetzungen schaffen, damit eine „verstehende“ Institution entsteht und gelebt wird. Ihre gelebten Werte sind maßgebend für das transkulturelle „Setting“ eines Krankenhauses. Wie erreichen wir den „zufriedenen“ Patienten? Es ist wohl Ziel jedes Krankenhauses, nicht nur hohe medizinische Qualität zu erreichen, sondern auch zufriedene Patienten. Qualität, wirtschaftliche Effizienz und optimale Supportprozesse sind entscheidende Parameter für die Zielerreichung. Alle drei Elemente können nur optimal aufeinander abgestimmt sein, wenn sich die Mitarbeitenden des Krankenhauses und der Patient verstehen. Im Lichte dieser Überlegungen soll skizziert werden, was unter dem „verstehenden“ Krankenhaus verstanden werden kann (2.), welche Aufgaben der Unternehmensleitung für dessen Verwirklichung zukommen (3.), welche Maßnahmen zu treffen sind (4.) und welche Wege dabei beschritten werden können (5.) Schließlich sei auf Finanzierungsfragen hingewiesen (6.).

2.

Das „verstehende“ Krankenhaus

Eine patientenorientierte Krankenhausführung orientiert sich an den Prinzipien der Menschenwürde und der Chancengleichheit für Alle. Sie sorgt dafür, dass diese Prinzipien in allen Bereichen – strategische Ausrichtung der Institution, medizinische, pflegerische und infrastrukturelle Qualität, Personalpolitik, Ausbildung und Forschung – einen verbindlichen operativen Ausdruck erhalten und eine gelebte Alltagswirklichkeit werden. Dazu gehört wesentlich, dass die Diversität der Menschen im Krankenhaus im Sinne einer optimalen Patienten- und Kundenorientierung für Angehörige aller Bevölkerungsgruppen eine adäquate Berücksichtigung findet. Die Gründe für Diversität sind dabei vielfältig. Migration ist ein Teilaspekt. Auch das rein sprachliche Verstehen ist dabei nur Teil der Diversität. Unterschiedliche Wahrnehmungen von Körperlichkeit, Geburt und Tod, Schmerz und Leid, Machbarkeit und „Schicksal“, religiöse, philosophische, sexuelle, und kulturelle Präferenzen beeinflussen das Verstehen für das, was an und mit einem Menschen im Krankenhaus geschieht. Auch die im Krankenhaus arbeitenden Menschen tragen unterschiedliche Weltbilder in die Institution hinein und beeinflussen damit das Geschehen, gewollt oder ungewollt. Ein kleiner Exkurs: Dass unser semantisches Rüstzeug, dessen wir uns in der Diskussion über Krankheit und Gesundheit bedienen, mit Ungenauigkeiten, Vorur-

Peter Saladin

141

teilen und Zweideutigkeiten belastet ist, zeigt sich schon beim Wort „Krankenhaus“. Wer will denn heute schon in ein Krankenhaus? Es muss doch ein Gesundheitszentrum sein! Also nicht Kranke heilen, sondern Gesundheit „machen“. Diese Umdeutung ist nicht zufällig; sie widerspiegelt das Verständnis über das, was unser Gesundheitsversorgungssystem leisten soll (und letztlich nicht kann!). Transkulturelles Verstehen als Grundanliegen einer Unternehmenspolitik ist nicht freiwillig, nicht „nice-to-have“. Die Rechtsordnungen der meisten europäischen Staaten und auch das EU-Recht garantieren – explizit oder implizit-den diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsleistungen für Alle. Das heißt, dass die Krankenhäuser verpflichtet sind, eine Diversitätspolitik zu betreiben, die auch vor dem Recht standhält. Dass im Zeitalter eines wettbewerblich ausgerichteten Gesundheitswesens jedes Krankenhaus aus Gründen der „Kundenzufriedenheit“ sich diversitätspolitisch makellos verhalten sollte, entspricht purer Überlebensnotwendigkeit! Die Durchsetzung dieses „Rechts auf Verständigung“ ist allerdings eine komplexe Aufgabe. Es betrifft ja alle Menschen, die eine Gesundheitsdienstleistung in Anspruch nehmen, nicht nur solche, welche der einheimischen Sprache nicht oder nur ungenügend mächtig sind. Verständigungsfragen stellen sich zum Beispiel auch beim informed consent. Hat der Patient wirklich verstanden, was ihm medizinisch hoch gebildete Experten tatsächlich vorschlagen bzw. gedenken, an ihm vorzunehmen? Versteht er Vor- und Nachteile, Risiken und Chancen einer Maßnahme? Es handelt sich also um entscheidende Grundfragen des Behandlungsprozesses für alle Patienten. Dass sich Patient und Arzt oder Pflegefachperson im Behandlungsprozess sprachlich verstehen sollten, erscheint eine Binsenwahrheit zu sein und dass der informed consent vom Patienten verstanden werden sollte, ebenfalls. Die Realität sieht leider nicht immer so aus. Es ist wissenschaftlich dokumentiert, dass wegen mangelnder gegenseitiger Verständigung immer wieder Fehl-, Unter- oder Überver2 sorgung stattfindet. Dies ist nicht nur medizinisch und ethisch inakzeptabel, sondern ist, weil in der Regel sehr kostenträchtig, auch aus wirtschaftlichen Gründen zu vermeiden.

3.

Aufgaben der Unternehmensleitung

Was unternimmt das Krankenhaus, um dieses Recht auf Verständigung angemessen zu berücksichtigen? Dabei geht es nicht etwa nur um das Recht auf den Beizug eines Dolmetschers, sondern letztlich um die Frage, ob der Patient „Herr“ bzw.

2

Vgl. Glenn Flores, The impact of medical interpreter services on the quality of health care: a systematic review, in: Medical Care Research and Review 3/62 (2005), 255–99.

142

Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus

„Frau“ über die Informationen verfügt, die für den Behandlungsprozess notwendig sind. Ein hoher Anspruch! Spätestens hier ist für den Praktiker klar, dass Diversitätspolitik als Bestandteil von Qualität, wirtschaftlicher Effizienz und optimalen Supportprozessen verschiedensten, sich oft widersprechenden Ansprüchen gerecht werden muss. Die offensichtlichste Herausforderung besteht darin, einerseits den Diversitätsansprüchen jedes Patienten gerecht zu werden, anderseits den unabdingbaren Erfordernissen der Standardisierung von Behandlungs- und Betriebsabläufen optimal entgegenzukommen. Wie ist ihr zu begegnen? In erster Linie dadurch, dass das Erreichen von Zielen hinsichtlich der oben genannten Kriterien Qualität, Effizienz und optimaler Supportprozesse nicht von einer unbesonnenen Gleichschaltung von Prozessen ausgeht, sondern von der Berücksichtigung der Diversität. Wer alles „über einen Leisten schlägt“, kann sich im Wettbewerb der Krankenhäuser nicht erfolgreich schlagen. Diversitätsberücksichtigung lohnt sich, weil dem Patienten genau das zukommt, was er braucht – nicht mehr und nicht weniger. Die Entwicklung personalisierter, auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Medikamente, wie sie heute von der Pharmaindustrie gefördert wird, kann ein Hinweis darauf sein, was das Krankenhaus in Zukunft erwartet. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen und teils sich widersprechenden Anforderungen im Rahmen einer Diversitätspolitik erfordert innovatives unternehmerisches Denken und das Verlassen kulturalistischer Interpretationsmuster der heutigen komplexen, globalisierten und individualisierten Wirklichkeit. Eine professionelle Meisterung der Diversität beginnt also mit der Wahrnehmung der Führungsorgane, dass die Berücksichtigung von Diversität ein Erfolgspotential darstellt. Soll dieses ausgeschöpft werden, braucht es, kurz zusammengefasst, drei Voraussetzungen: Glaubwürdige Politik der Institution Leitbild und Unternehmensstrategien, welche die Grundwerte und Grundeinstellungen einer Institution prägen, enthalten glaubwürdige Aussagen zur Diversitätspolitik. Umsetzungspläne und Projekte zeigen konkrete Maßnahmen zu deren Verwirklichung auf. Es stehen adäquate personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Das Verhalten und die Ausdrucksweise der Unternehmensleitung sind glaubwürdig. Diversitätspolitik wird als Erfolgspotential und nicht als lästiges „Muss“ bewertet. Kommunikation Eine transparente und konsequente Kommunikation dieser diversitätspolitischen Ausrichtung des Krankenhauses nach Innen und Aussen, gegenüber allen An-

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143

sprechpartnern, schafft Vertrauen, Sicherheit und Good-will. Es geht nicht um eine „Eintagsfliege“ im PR-Wald, sondern um nachhaltige Politik. Transkulturelle Kompetenz des Personals Die systematische und dauernde Schulung des gesamten Personals in Sachen transkultureller Kompetenz ist fester Bestandteil der Personalpolitik, einschließlich des Lohnsystems. Bei der Personalevaluation, -anstellung und -qualifikation wird darauf Rücksicht genommen.

4.

Maßnahmen

Im Sinne von Beispielen und bewusst ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf einige Aktionsfelder im Rahmen der Unternehmenspolitik hingewiesen, die erfahrungsgemäß einer besonderen Aufmerksam bedürfen: – Organisation Klare Bezeichnung von Verantwortlichen und Verantwortlichkeiten für Diversitätspolitik auf den verschiedenen Unternehmensebenen. – Erhebung diversitätspolitisch relevanter Informationen von Patienten Zusätzlich zu den medizinischen Parametern sind Bedürfnisse hinsichtlich Kult, Besucherregelung, Essen usw. abzuklären. Dabei sind der Datenschutz und die Datensicherheit zu berücksichtigen! – Qualitätspolitik Verstehen fremdsprachige Patienten Fragebogen, mittels derer die Patientenzufriedenheit gemessen wird? Enthalten Messungen spezifische Fragen zur Diversitätspolitik? Werden Fremdsprachige überhaupt befragt, wenn ja, wie? – Dolmetschen und Übersetzen Stehen professionelle Dolmetscher jederzeit und rechtzeitig – face-to-face oder per Telefon – zur Verfügung? Werden Ärzte, Pflegefachpersonen und Mitarbeitende des Empfanges und der Telefondienste in der Zusammenarbeit mit Dolmetschern geschult? Sind die Modalitäten des Zugangs zur Sprachbegleitung definiert? Wie ist das Dolmetschen durch das Krankenhauspersonal im Notfall oder bei besonderen Ereignissen geregelt? Stehen allenfalls Krankenhausspezifische fremdsprachliche Wörterbücher oder Sprachhilfen zur Verfügung? Wie ist die Bezahlung der Dolmetscherdienste geregelt? Gibt es eine Qualitätskontrolle? Sind wichtige Dokumente des Krankenhausalltags und Dokumente betreffend den informed consent übersetzt? – Orientierung im Krankenhaus Sind Ortspläne und Beschriftungen allgemein verständlich? Entsprechen Piktogramme transkulturellen Anforderungen?

144

Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus

– Personalpolitik Fördern Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote transkulturelle Kompetenz? Werden transkulturelle Aspekte bei der Anstellung und Qualifikation von Personal berücksichtigt? Wird das Potential von Mitarbeitenden aus fremden Kulturkreisen genutzt? – Besucherregelung Sind der Umgang mit Besuchen großer Familien und die Beachtung der Intimsphäre geregelt? – Zentrale Dienste (Empfang, Info-Stellen, Küche, Telefondienste usw.) Sind die Mitarbeiter der Zentralen Dienste über die Anforderungen der geltenden Diversitätspolitik in ihren Bereichen orientiert und werden entsprechende Maßnahmen von den Leitungsgremien auch eingefordert? Wie ist die Frage von Sprachkenntnissen der Mitarbeitenden am Empfang, an Informationsstellen und am Telefon geregelt? Wie werden religiös und kulturell geprägte Essvorschriften berücksichtigt? – Religiöse Räume und Dienste Stehen konfessionsspezifische oder -neutrale Andachts- oder Besinnungsräume zur Verfügung? Wie sind religiöse Dienste organisiert? Wie wird bei Todesfällen vorgegangen? – Sozialdienste Bestehen Kontakte zu lokalen oder regionalen Stellen oder Nicht-RegierungsOrganisationen, die sich mit spezifischen Bevölkerungsgruppen beschäftigen? – Drucksachen und elektronische Medien Werden Qualitätskontrollen von übersetzten Dokumenten und regelmäßige Evaluationen von Dolmetscherdiensten durchgeführt?

5.

Wege zum Ziel: Erfahrungen aus der Schweiz

Im Sinne eines Erfahrungsberichtes sei hier übersichtsmäßig auf das Vorgehen hingewiesen, das in der Schweiz zur Sensibilisierung der Krankenhäuser für eine Diversitätspolitik und zu ihrer Unterstützung bei deren Verwirklichung verfolgt wurde. Das Bundesamt für Gesundheit erarbeitete eine Strategie „Migration und Gesundheit“ für die Jahre 2002–2007, ergänzt durch die Strategie 2008–2013.3Das Bundesamt beauftragte in diesem Rahmen den nationalen Spitalverband „H+ Die Spitäler der Schweiz“ das Projekt „Migrant Friendly Hospitals-Spitalnetzwerk für die Migrationsbevölkerung (MFH)“ zu verwirklichen. Der Autor wurde mit der Projektleitung beauftragt.

3

Vgl. dazu http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/07685/07688/index.html?lang =de (Zugriff am 24.4.2013).

Peter Saladin

145

Vorerst wurde in persönlichen Kontakten versucht, die Chefs möglichst vieler öffentlicher und privater Krankenhäuser auf freiwilliger Basis für die Mitarbeit am Projekt zu gewinnen, nicht zuletzt um deren diversitätspolitische Erfahrungen von Anfang an in das Projekt einzubeziehen. Mit Arbeitsgruppen, denen Mitarbeitende aus den beteiligten Krankenhäusern und externe Experten für transkulturelle Kommunikation angehörten, und einem wissenschaftlichen Fachbeirat wurde ein Netzwerk aufgebaut. Es entstand ferner eine Zusammenarbeit mit dem damals bereits bestehenden Netzwerk der Gesundheitsfördernden Krankenhäuser.4 Schließlich ging es darum, mit Gesundheitsdiensten anderer Länder Kontakt aufzunehmen und von deren Erfahrungen zu lernen. Die Projektarbeiten konzentrierten sich auf zwei Schwerpunkte: 1. Das Bundesamt für Gesundheit stellte als Impulsfinanzierung für innovative Projekte einen Finanzpool zur Verfügung, aus dem konkrete Vorhaben von Krankenhäusern mitfinanziert werden konnten. Der Entscheid für die Finanzierungsbeteiligung lag beim Projektleiter. 15 innovative Projekte mit einer großen thematischen Spannweite konnten durch den Projektpool mitfinanziert werden: − Betreuung von „sans papiers“ (Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung, die sich illegal in der Schweiz aufhalten) im Universitätsspital − Selbsthilfegruppen für Schmerzpatienten − Patientenprozess in der Rehabilitationsklinik − Bewegungstherapie für psychisch kranke Migrantinnen − Sport für psychisch kranke Migranten und Migrantinnen − Transkultureller Beratungsdienst im Krankenhaus für die Behandlungsteams − Entwicklung eines psychiatrischen Angebotes für die Migrationsbevölkerung − Biographiearbeit in der Langzeitpflege − Optimierung der peripartalen Gesundheitsversorgung in einer Frauenklinik − Maßnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung im Krankenhaus − Teamorientierte Entwicklung von transkultureller Pflege − Interkulturelles Übersetzen in einer Kinderklinik − Das interkulturelle Krankenhaus (Gesamtstrategie) − Kommunikation mit fremdsprachigen Patienten in einem Kantonsspital − Tuberkuloseimpfung von „sans papiers“. Mit einem Nachfolgeprojekt unterstützte das Bundesamt für Gesundheit die systematische Umsetzung einer Diversitätsstrategie in ausgewählten Krankenhäusern. 2. Der zweite Schwerpunkt des Projektes lag auf der Veröffentlichung eines Handbuches mit Empfehlungen an die Krankenhäuser zur Erarbeitung und Umset4

Vgl. dazu http://www.dngfk.de/fileadmin/user_upload/website/dngfk/Grundsatzdokumente/ 1997_Wiener-Empfehlungen.pdf; http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/07685/index.html?lang=de und http:// www.migesplus.ch (Zugriff jeweils am 6.5.2013).

146

Verankerung transkultureller Kompetenz im Krankenhaus

zung einer transkulturellen Diversitätspolitik. Dieses Handbuch mit dem Titel: „Diversität und Chancengleichheit; Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen“5 vermittelt einen Gesamtüberblick über das Thema.

6.

Finanzierung

Wie bereits erwähnt, erfordert eine glaubwürdige und wirksame Diversitätspolitik nicht nur organisatorische und personelle Festlegungen in der Krankenhausführung, sondern auch das Bereitstellen entsprechender finanzieller Mittel. Die meisten der erwähnten unternehmerischen Maßnahmen erfordern allerdings keine spezielle Finanzierung. Es geht ja um die Berücksichtigung diversitätspolitischer Gesichtspunkte im Rahmen der ordentlichen Geschäftspolitik. Personelle Ressourcen lassen sich in der Regel über das Personalbudget abwickeln. Offen bleibt zurzeit die Frage, wie sich spezifische Ausgaben für einzelne Patienten, wie z.B. der Beizug von professionellen Dolmetschern, im Rahmen des DRGSystems oder des ambulanten TARMED-Tarifes finanzieren lassen. Leider bietet das schweizerische Krankenversicherungsgesetz (KVG) keine Handhabe, um solche Leistungen gesondert zu verrechnen. Entsprechende Vorstöße im Parlament waren bisher leider nicht erfolgreich. In der Praxis haben viele Krankenhäuser eine Lösung gefunden, z.B. durch die Errichtung von Fonds oder durch Schenkungen.

7.

Schlussbemerkung

Wie jeder andere Bestandteil der Unternehmensführung erfordert auch die Diversitätspolitik die Durchsetzungskraft der obersten Führung. Sie geschieht nicht einfach von selbst. Sensibilität für die berechtigten transkulturellen Anliegen und Ansprüche von Patienten und Mitarbeitenden sowie kreatives unternehmerisches Handeln sind gefragt!

5

Peter Saladin (Hrsg.), Diversität und Chancengleichheit. Grundlagen für erfolgreiches Handeln im Mikrokosmos der Gesundheitsinstitutionen, Bern 2006. Das Buch erschien in mehreren Auflagen auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch. Online verfügbar unter: http://www.bag.admin.ch/shop/00038/00209/index.html (Zugriff am 24.4.2013).

Danksagungen Vielen Institutionen und Personen haben wir zu danken, weil ohne sie die Durchführung der Tagung und die Erstellung dieses Bandes nicht möglich gewesen wären: Wir danken den Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Interkulturalität in der medizinischen Praxis“ in der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM), insbesondere denen, die sich intensiv in die Vorbereitung der Tagung mit eingebracht haben. Dank gilt den Mitarbeiterinnen des Zentrums für Gesundheitsethik (ZfG), insbesondere der Direktorin Frau Dr. Andrea Dörries, für die Unterstützung des Projektes in inhaltlicher und finanzieller Hinsicht. Unser Dank gilt der Robert Bosch Stiftung, die sowohl zur Finanzierung der Tagung als auch dieses Bandes erheblich beigetragen hat. Prof. Dr. Reiner Anselm und Prof. Dr. Ulrich Körtner danken wir für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Edition Ethik“ und dem Verlag für die freundliche Unterstützung in der Vorbereitung des Bandes. Für die Untertstützung bei der editorischen Bearbeitung der Manuskripte gilt unser Dank Frau Elin Scheel und Herrn Martin Mielke. Insbesondere gilt unser Dank den Referentinnen und Referenten der Tagung respektive den Autorinnen und Autoren dieses Bandes, sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung „Das Fremde verstehen“.

Autorenverzeichnis Sylvia Agbih, M.A. Pädagogische Mitarbeiterin an der Montessori Oberschule Wertingen, Ethikberaterin und Dozentin in der Aus-, Fort- und Weiterbildung für Heil- und Pflegeberufe, sowie Lehrbeauftragte für Anthropologie und Ethik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg im Studiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung.

Walter Bruchhausen, PD Dr. med., Dipl. theol., M. Phil. Stellvertretender Leiter des Medizinhistorischen Instituts und des Klinischen Ethikkomitees am Universitätsklinikum Bonn, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, RWTH Aachen.

Michael Coors, Dr. theol. Theologischer Referent am Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) an der Evangelischen Akademie Loccum in Hannover, Pastor der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

Tatjana Grützmann, M.A. Koordinatorin im Modellstudiengang Medizin an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen. Doktorandin am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, RWTH Aachen.

Ilhan Ilkilic, Assoc. Prof. Dr. phil. Dr. (TR) Associate Professor am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik an der Medizinischen Fakultät der Universität Istanbul, Mitglied des Deutschen Ethikrats.

Christiane Imhof, Dr. med. Ärztin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE) der Universität Ulm.

Michael Knipper, PD Dr. med. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin der Justus-LiebigUniversität Gießen.

Frank Kressing, Dr. hum. biol. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE) der Universität Ulm.

Autorenverzeichnis

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Tim Peters Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Medizinische Lehre (ZML) der Medizinischen Fakultät und Koordinator des Simulationspersonenprogramms der Ruhr-Universität Bochum (RUB).

Peter Saladin, Dr. rer. publ. Ehemaliger Leiter des Projektes „Migrant Friendly Hospitals – Spitalnetzwerk für die Migrationsbevölkerung“, Projekt des Bundesamtes für Gesundheit Bern und von „H+ Die Spitäler der Schweiz“.

Magdalena Stülb, Prof. Dr. phil. Professorin für das Lehrgebiet Schlüsselqualifikationen und Interkulturelle Kompetenz am RheinAhrCampus Remagen der Hochschule Koblenz. Gründungsmitglied des Instituts für Migration, Kultur und Gesundheit (AMIKO), Freiburg i. Br.

Karl-H. Wehkamp, Prof. Dr. rer. pol. Dr. med. Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik und Medical School Hamburg, Schwerpunkt Gesundheitsethik und Ökonomie, Gesundheitswissenschaften.

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Register Akteur 24, 54f, 60, 63 Allah 71 Allokation 78 Ambivalenz 64 Anamnese 78, 83, 131, 135 Anerkennung 30, 49, 51, 81, 84 Angehörige 10, 25, 28–30, 34f, 48, 52, 58–60, 62–64, 71, 77, 83, 87, 93f, 102, 104, 116, 119, 134, 140 Ärzte 7, 10, 12, 23, 32, 34f, 58f, 63–65, 71f, 75f, 79, 84–88, 97, 107, 112, 116, 125, 133f, 143, 155f, 159 Arzt-Patient-Kommunikation 62 Arzt-Patient-Verhältnis 8, 74, 84f, 101f, 106, 132, 153 Aufklärung 33, 39, 49, 52, 58, 64f, 83, 104, 107, 137 Ausbildung 14, 16, 27, 36, 49, 67, 70, 84, 88, 99, 123, 140, 150, 154 Ausländer 93 Autonomie 9f, 17f, 31, 35, 45–51, 74, 76–78, 83, 85, 87, 108–110, 112, 118f, 137, 149, 156, 158 Barrieren 48f, 101–104, 106, 111, 133, 159 Beauchamp, Tom L. 8f, 50, 83, 108, 149 Bedingungen 10, 25, 39, 50, 96, 98, 135 Bedürfnis 42, 46, 48f, 76, 78f, 92, 95, 98, 118, 143 Bedürfnisse, individuelle 48, 112 Behandlung 25, 29, 46, 49, 70f, 73–75, 77, 92, 99, 101, 105f, 118, 121, 137 Behandlungsteam 72–74, 79, 96, 107, 135, 138, 145 Behutsamkeit 56 Beratung 34, 101, 113f, 119–121, 123, 145 Beschneidung 32f, 120, 155 Betroffenenorientierung 86 Bevölkerungsgruppen 52, 61, 140, 144 Bewertung 11, 16, 18, 26, 28, 70, 83, 102, 104, 106 Bioethik 24, 31, 83, 86, 107, 131, 149, 152

Biographiearbeit 145 Bluttransfusion 33, 77 Chancengleichheit 138, 140, 146, 157 Childress, James F. 8f, 50, 83, 108, 149 Compliance 83 conditio humana 51 Cultural Awareness 114, 116 Cultural Engagement 114, 117, 119f, 124 Cultural Humility 114–116, 158 Deutungsmuster 44f, 102 Dialekt 57 Dialog 17, 45, 47, 49, 51, 154, 158 Differenz 8, 10, 12–15, 17f, 23f, 26–28, 30, 32, 47–49, 55, 57, 65, 79, 101, 106, 113, 120, 132, 157 Dilemma 24, 53, 112f Diskriminierung 16, 26, 29, 52, 75, 76, 82, 85, 97, 99, 137, 145, 151, 154 Diskurs 17, 19, 24, 41, 47, 91f, 96f, 125f, 128, 130, 156 Distanz, kulturelle 60, 65 Diversität 7–9, 19, 52f, 61, 67, 69, 77f, 106f, 114, 118–120, 138, 140, 142, 146, 154, 157 Diversität, moralische 103, 106, 111 Diversity Management 8, 100 Dolmetschen 19, 49, 93, 103, 107, 112, 120, 122, 125, 132f, 137, 143, 149, 156 Einstellung 29, 46, 48, 71, 78, 97, 106, 110, 115 Engagement 114f, 117–120, 150 Entschuldigungsstrategie 80 Erklärungsmuster 64 Erzählung 28, 38, 49, 51, 130f Ethik, deskriptive 27 Ethik, narrative 27, 64, 128, 130f Ethikberatung 5, 8, 18f, 23, 25, 34, 47, 88, 101–104, 106–118, 122–124 Ethikberatung, klinische 113f, 116, 119, 121–123 Ethikberatung, kultursensible 123f Ethikkomitee 121, 125, 131 Ethnie 92

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Register

Ethnisierung 70 Ethnizität 54f, 61, 64, 67, 116, 149 Ethnographie 56, 60, 62–64 Ethnologie 15–17, 44, 53f, 56f, 60f, 149, 152, 154 Ethos 18, 32, 35, 46, 84–86 Fallbeispiel 17f, 70, 78, 80, 104–107, 109f, 116f, 136, 157 Fallbesprechung 73, 75 Fallbesprechung, ethische 38f Familie 28, 31, 44, 48, 58f, 63–65, 69, 71, 75, 83, 93f, 109, 126, 136, 144 Familienbestimmung 18, 109 Fan, Ruiping 31, 109, 150f Fasten 34, 105 Fehlschluss 109, 111, 120 Finanzierung 85, 146f Forschung 44, 56, 60f, 64, 69, 76, 91, 95, 131, 140, 154 Fremdheit 5, 7, 9–18, 26, 34, 37, 43, 45, 48, 51–57, 61, 63, 67–69, 83, 91– 94, 96f, 100, 106, 115, 125, 147, 152–154, 157f Führungsaufgabe 6, 19, 139, 140 Fürsorge 9, 17, 31, 47f, 50f, 77f, 108, 156 Fürsorgeethik 31 Geburt 42, 83, 92, 95, 140, 157 Geburtshilfe 105 Generalisierungen 18, 95–97 Genitalverstümmelung 32f, 154 Gerechtigkeit 17, 47–51, 85 Geschichten 38, 40, 67, 130, 157 Geschlecht 35, 48 Gesetz 24, 38, 84f, 110 Gestik 135 Gesundheit 7f, 11, 18, 43f, 46, 49, 53f, 57, 66, 69f, 79, 81, 83f, 86f, 91f, 101, 112, 114, 118, 140, 144f, 150, 152– 154, 157f Gesundheitsberufe 81f, 86f, 103, 153 Gesundheitseinrichtung 63, 119 Gesundheitsleistung 19, 85, 141 Gesundheitspolitik 86f, 101 Gesundheitssystem 18, 47, 78, 81–86, 125f, 132, 151, 158

Gesundheitsversorgung 24f, 83, 85, 87, 99, 112, 114, 145 Gesundheitswesen 5, 10, 25, 32, 39, 45, 55, 63, 78f, 81f, 86–88, 91, 93, 95– 97, 100, 103, 122f, 126, 133f, 137, 149, 159 Gesundheitswirtschaft 81 Glaubensvorstellung 76f, 117 Gleichheit 82, 85 Global Health 25 Globalisierung 81, 110 Gott 37, 71, 108 Grenze 13, 15, 37, 45, 48, 53f, 57, 67, 82, 84, 98f, 109, 119, 131 Grenzsituationen 39, 42, 46, 156 Grundgüter 108, 110 Gruppenidentität 66, 91 Gruppenzugehörigkeit 91, 98 Gynäkologie 105 Haltung 73, 76, 96, 99, 104, 116, 118, 127–129, 134, 137 Handeln 9, 18, 39, 44, 54, 56, 62, 64, 68, 92, 95f, 102, 126, 130, 138, 146, 149, 152, 157 Handlungspriorität 54, 64 Handlungsweise 45, 53, 54, 63, 68 Hautfarbe 29, 46, 55, 57, 68 Heilberufe 39, 50, 82 Heilen 139 Herkunft 27, 30, 35, 55, 57, 61, 68, 79, 81f, 84, 93, 102, 107, 116, 120, 134 Herkunftskultur 40, 81 Herkunftsland 53, 68, 98, 133 Hippokratischer Eid 84 hospital ethnography 62 Identität 8, 11, 13f, 17, 30, 41, 45, 53, 58, 61, 63, 65, 67f, 76f, 91, 135, 151f, 158 Identität, kulturelle 14, 32, 54, 65 Imam 105 Individuum 16, 30, 31, 41, 54, 57, 67, 83, 91f, 112, 114 infaust 58, 71, 109 Informed Consent 49, 83 Institution 48f, 54, 61, 66, 73, 81, 86, 99, 121f, 131, 136, 140, 142, 147

Register

Interaktion 15, 27, 45, 49, 60, 62, 65, 77, 91, 95–97, 100, 127, 133, 136, 139, 151f, 155, 157 Interkulturalität 5, 7–9, 12f, 15–17, 19, 23–25, 27, 30–32, 36f, 40–43, 46f, 49, 51–53, 58, 62, 70, 72, 77, 78f, 81–84, 86–89, 92, 99–109, 111– 116, 120–126, 132f, 135–137, 139, 147, 149, 151–153, 155–159 Interpretationsmuster 51, 142 Interpretationssysteme 102 Intimitätsverständnis 105 Intimsphäre 144 Islam 28, 31, 33f, 58f, 70f, 73, 79, 105, 107, 151, 153f Jenseits 53, 55f, 59, 71, 76f, 108, 154, 159 Kinderonkologie 60, 64 Klinik 27, 36, 59, 62, 65, 72f, 79–81, 86f, 92, 99f, 136, 156f klinisch 8, 47, 88, 101f, 106f, 110, 118, 131f Kodex 84 kognitiv 14, 32, 66, 74, 83, 97, 155 Kollektiv 17, 44, 54, 67, 85, 87 Kommunikation 12-15, 18f, 27, 40, 49, 59, 62, 64, 73, 83, 92–95, 99, 103f, 111, 113, 116, 118, 123, 125–131, 134–136, 142, 145, 150–152, 154, 157f Kommunikationsstil 137 Kommunikationstechnik 135, 137 Kommunikationsverhalten 126 Kommunikationswissenschaft 19 Kompetenz 6f, 19, 23, 32, 40, 43–46, 49, 70, 78, 87, 91, 98, 99f, 111, 113– 115, 122, 133, 135, 139, 143f, 150f, 153–155, 157 Kompetenz, interkulturelle 111, 114f, 121, 123, 125, 152 Kompetenz, kulturelle 34, 52, 113f, 116, 123 Kompromiss 116f Konflikt 7f, 12, 14, 16–19, 23f, 26–28, 30, 32–34, 41f, 47, 58–60, 63, 64f, 71f, 74, 77f, 80, 85f, 95, 100–102,

163

104–106, 110–113, 116–118, 120– 122, 125, 127f, 152 Konfliktfall, ethischer 12–14, 16, 105, 125 Konfliktquellen 26 Konfrontation 14, 46, 48 Kontext 7–9, 11, 15, 19, 23, 37–39, 41– 51, 53, 55, 60, 63, 66, 68, 77f, 98, 101–107, 110f, 113, 129f, 132, 152, 156, 159 Krankenhaus 6, 15, 19, 29, 34, 36, 48f, 62f, 81, 83, 94, 96, 101, 103, 125, 127, 133, 139–146, 149–151, 156 Krankenhausführung 140, 146 Krankheit 42, 45f, 49, 52–54, 56, 64, 66, 68, 79, 81, 83f, 98, 101f, 112, 117f, 131, 136, 140, 152, 157 Kultur 5, 7, 9f, 12f, 16–19, 25, 37, 40f, 43–46, 52–57, 59–67, 69f, 77, 79, 81–85, 91, 94f, 98, 100, 107, 109, 114f, 120, 133, 137–139, 149–151, 153f, 157–159 Kulturalisierung 17, 40 kulturalistisch 109, 111, 142 Kulturbegriff 17, 40f, 44, 52f, 55–57, 59, 66, 69 Kulturkreis 82, 100, 102–104, 109, 144 Kulturmittler 19, 112, 114, 121–123, 132, 133f, 137, 153 kultursensibel 5, 17, 19, 37, 40, 42f, 46f, 52, 75f, 78, 111–113, 115, 121–124 Kulturtraditionen 109 Kulturverständnis 19, 68, 114, 117, 119, 123 Kulturwissen 111, 115, 118, 123 Labeling 70, 78, 80 Lateinamerika 62, 83 Lebenskonzept 75f Lebensqualität 30, 32, 76, 84 Lebenswelt 41, 44f, 48, 53, 63, 69, 81, 98 Leib 15, 42, 51, 75, 104, 158 Leiden 46, 54 Lernfelder 99 Linguistik 19, 126 Macklin, Ruth 18, 108f, 155 Management 81f, 86–88, 156

164

Register

Marginalisierung 75 Maximaltherapie 71 Medical Anthropology 17, 34, 53f, 152, 158 Medical Diversity Management 78f Medizinethik 5, 7–9, 17, 23f, 26f, 31–33, 35f, 47, 50, 53, 60, 69, 77, 84–86, 101, 149, 153, 157f Medizinethnologie 53f, 115, 152, 158 Medizinstudium 23, 122, 149 Menschen 7–9, 11, 16, 18, 24f, 27–29, 31, 39, 42f, 45, 47f, 50, 53–57, 59, 61, 62, 64–66, 68, 78, 81f, 84f, 92f, 95f, 98–100, 102, 106, 120, 128, 130f, 135, 139–141, 145, 149, 150, 152, 155, 158 Menschenbild 27, 39, 108 Menschenrechte 25, 33, 46f, 109, 149, 154, 158 Menschenwürde 9, 41, 46, 50, 77, 108, 110, 140, 153, 155 Metakommunikation 136 Metapher 17, 54, 68 Migrant Friendly Hospitals 19, 138, 144 Migranten 19, 43, 49, 53, 57f, 62, 67f, 78f, 85, 91–94, 98, 100, 121, 136, 138, 144f, 149, 151, 157 Migranten-Medizin 78 Migration 5, 7f, 18, 23f, 30, 43, 52–54, 56f, 66–70, 91f, 95, 101, 114, 125, 140, 144, 149f, 153f, 158 Migrationsbevölkerung 138, 144f Migrationsgesellschaft 58, 67, 100 Migrationshintergrund 7, 15, 24, 29, 34, 36, 43, 47, 49, 62, 78, 92–94, 97, 112, 123, 134, 151f, 159 Missachtung 16, 41, 75, 77, 81 Missverständnisse 26, 28, 30, 32, 35, 60, 62, 65, 70, 75, 102, 112, 122, 124, 127, 130, 133–137, 152 Mitarbeitende 143, 145 Moral 16, 25, 31, 37, 46, 73, 126, 150– 152 Multikulturalität 81f Muttersprache 75, 104, 132 Narrativ 27, 38, 44f, 64, 117, 128, 130f, 150–154

Nationalismen 133 nonverbal 49, 127 normativ 8–10, 13, 16, 31, 81f, 86, 106, 109 Normen 8f, 13, 26, 28–30, 37, 51, 61, 66f, 79, 82, 86, 106, 118, 120, 126f, 129f, 132, 152 Obduktion 34 ökonomisch 55, 63, 133 Onkologie 136 Organisation 19, 33, 85f, 143 Organisationsethik 18f, 81, 86, 87, 155 Organspende 34 palliativ 8, 71, 156 Paradigma 7–9, 31 Paternalistisch 76, 116, 127 Patient 7, 10–12, 15, 17f, 23, 28f, 31–36, 39, 45–49, 52, 55f, 58–60, 62–65, 69–78, 82f, 85–87, 91–98, 101–105, 107, 109f, 112, 114–119, 123, 125– 127, 129–134, 136–138, 140–143, 145f, 149–154, 156–159 Patientenaufklärung 59, 103 Patientenautonomie 18, 74, 77, 108, 109f, 112, 137, 149 Patientengespräch 68, 118 Patientenverfügung 12, 53, 77, 83, 150, 154 Patientenwohl 71 Person 8, 28, 35, 44f, 51, 108, 118, 131 Persönlichkeitsstruktur 78 Perspektivenwechsel 15, 63, 72, 118 Pflege 7f, 10, 16–19, 23, 25, 31, 34, 37– 49, 70, 72, 75, 78, 82, 84, 86f, 92– 99, 115, 119, 125f, 128f, 132–135, 137, 139f, 143, 149–152, 154–159 Pflege, kultursensible 17, 37, 42f, 46, 47, 52, 75, 99 Pflege, transkulturelle 40, 43, 98f, 145 Pflegeberuf 84, 96 Pflegeethik 5, 23, 37f, 41, 43, 46f, 154, 156 Pflegemanagement 47 Pflege-Patienten-Beziehung 125 Pflegewissenschaft 8, 37, 44 Pluralismus 7, 24, 119 Präferenzen 103, 126, 140

Register

Praxis 5, 7–10, 16–18, 31–34, 38f, 47, 50, 56, 62, 64f, 69f, 84, 89, 92, 104– 110, 114f, 118, 125, 129, 132f, 136, 138f, 146f, 149, 152–154, 157f Praxis, kulturelle 103f,106, 109–111 Priester 136 Prinzipien 8–10, 12, 17f, 28, 38, 46–51, 61, 64, 74, 76–78, 105, 108f, 111– 113, 117, 131, 140 Prinzipienethik 9, 37f, 50, 107–109, 111f Prognose 58, 65, 71, 103, 109, 118 Psychiatrie 56, 83, 154 Psychosomatik 83, 98 Psychotherapie 83 Public Health 47, 85 Qualität 86, 88, 93, 129, 140, 142f Radikalität 13f, 40 Ramadan 105 Rassismus 30, 99, 145, 154 Rationierung 47, 85 Recht 9f, 12, 19, 25, 31, 34f, 46, 58, 77, 79, 141, 149 Reflexion, ethische 16f, 38f, 45f, 50, 81 Relativismus 120 Religion 30, 33, 35, 43, 59, 66, 79f, 85, 116, 135, 158 Religionsgemeinschaft 34, 92 Religiöse Grundpflichten 105 Reproduktionsmedizin 34 Respekt 10, 46, 52, 74, 77, 100, 108, 118 Ressourcen 48, 66, 142, 146 Schamane 136 Schamgefühl 104 Schmerz 11, 56, 129, 140 Schulung 19, 92f, 99, 103, 114f, 121– 123, 143, 158 Schwangerschaft 67, 92, 95, 157 Sediment 67f Seelsorge 39, 116, 120, 131, 137 Segregation 78 Selbstbestimmung 9f, 12, 24, 31, 35, 58, 108f Selbsthilfegruppen 145 Selbstreflexion 44f, 87, 98, 111, 116 shared decision-making 11 Solidarität 46, 85

165

Sozial 7, 11, 16, 23, 25, 30, 32, 37, 40, 46, 51, 53f, 56f, 59–61, 65–67, 69, 77, 81, 85, 88, 91, 97, 99, 113, 116, 133, 139, 150, 153, 155f Sozialisation 25, 40f, 54 Sozialpsychologie 55f, 97, 159 Sozialwissenschaft 91, 93 Speisevorschriften 105 Sprachbarrieren 49, 103, 112 Sprache 5, 13, 19, 39f, 48–50, 55, 57, 61, 75, 79f, 82f, 93, 96f, 103, 125– 138, 141, 151, 156 Sprachkenntnisse 57, 62, 71, 104, 144 Sprachphilosophie 128f, 155 Sprachwissenschaft 126 Standards 13, 16, 25, 29, 55, 85 Sterben 11, 32, 42, 47, 52, 83f, 107 stereotyp 57, 97, 117, 155 Stereotypen 17f, 45, 52, 66, 96, 99 Stereotypisierung 17, 44, 98, 111 Sterilisation 104 Stigmatisierung 78f Subkultur 41, 80 Symbol 65–67 Symptom 68, 83, 129, 131, 136 Technik 80, 136, 139 Telefondienste 143f Therapieentscheidung 112, 118, 127, 136 Thesen 55, 58f, 70, 80, 126, 130f Tod 11, 42, 47, 54, 68, 71, 83, 107, 112, 139, 140, 156 Toleranz 111, 119 Transkulturalität 6, 12, 19, 37, 40, 43– 45, 49, 51, 99, 139, 143, 145, 158 transkulturell 6, 13, 17, 19, 37, 40, 43– 45, 49f, 56, 91, 98–100, 139f, 143– 146, 154 Transnationalität 91, 98 Trauerbewältigung 70 Übersetzung 93, 116, 132–134 Überzeugungen 8, 11, 64f, 100 Universalismus 25, 55, 120, 157 Unternehmensethik 86 Unternehmenskultur 81, 88 Unternehmensleitung 140–142 Unternehmenspolitik 141, 143

166

Register

Verantwortung 17, 31, 47, 49–51, 81, 88, 96, 122, 133f, 156 verbal 133, 155 Verhalten 10, 29, 40, 51, 54, 56, 74, 99, 115, 126f, 142 Versorgungsleistungen 84 Versorgungsqualität 84 Verständnis 17, 26, 40, 45, 51, 53, 68f, 71, 91, 96, 109, 116, 118f, 124, 130, 136f, 141 Verstehen 26f, 45, 56, 69, 119, 132, 139, 140f, 143 Vertrauen 9, 106, 117f, 143 Vertrauensverlust 73, 77 Verwaltung 81, 86 Vielfalt 5, 7, 24, 40f, 52f, 67, 94f, 99, 150, 153f Vorurteile 43, 93, 96f, 151

Vulnerabilität 118 Wahrnehmung 5, 26, 29, 54, 56–58, 60, 63, 65, 68, 70, 78, 91–93, 97, 102, 118, 125, 127, 131f, 134f, 139f, 142 Welt 53, 61, 70, 76, 81f, 84, 128–130, 149, 152 Werte 12f, 18f, 26, 28, 32, 35, 37, 40f, 43, 48, 51, 54, 56, 58, 60–62, 64, 66f, 69, 77–79, 85, 87, 94, 98, 101– 103, 106, 109f, 112, 116–119, 124– 136, 140 Wertekonflikte 16, 59, 64f, 116, 124 Wertepluralismus 106 Wertepräferenzen 55, 59 Wertschätzung 62, 71, 81f, 84 Widerspruch 64, 133, 135 Würde 17, 46f, 49, 51, 85 Xenolekt 137