Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz: Eine grundrechtstheoretische Betrachtung des Verhältnisses von Arbeitslosigkeit und Kündigungsschutzrecht [1 ed.] 9783428499281, 9783428099283

Dem Kündigungsschutzrecht ist eine Spannungslage zwischen Freiheitsschutz und -gefährdung immanent. Es ist geboten, weil

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Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz: Eine grundrechtstheoretische Betrachtung des Verhältnisses von Arbeitslosigkeit und Kündigungsschutzrecht [1 ed.]
 9783428499281, 9783428099283

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FRANK RÜHEN

Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 178

Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz Eine grundrechtstheoretische Betrachtung des Verhältnisses von Arbeitslosigkeit und Kündigungsschutzrecht

Von

Frank Rütten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kütten, Frank: Institutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz : Eine grundrechtstheoretische Betrachtung des Verhältnisses von Arbeitslosigkeit und Kündigungsschutzrecht / Frank Rütten. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 • (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht ; Bd. 178) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09928-1

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09928-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13 1. Teil Institutionelle Arbeitslosigkeit

A. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik I. Die Prämissen des ökonomischen Modells 1. Das Knappheitsproblem

17

19 20 20

2. Das Rationalitätsprinzip

21

3. Das Eigennutzprinzip

21

II. Das Ziel: optimale Ressourcenallokation III. Der Markt als Steuerungsmechanismus

22 23

1. Funktionsweise des Marktprinzips

23

2. Funktionsbedingungen des Marktes

24

a) Wettbewerb

24

b) Geld

25

c) Recht

25

IV. Die Arbeitslosigkeit im neoklassischen Modell

26

1. Die Theorie marktwidrig überhöhter Reallöhne

27

2. Institutionelle Arbeitslosigkeit

29

a) Kündigungsschutz als Flexibilitätshindernis

29

b) Die Überprüfung der Flexibilitätsthese anhand der Arbeitsmarktstatistik

30

c) Das Beispiel der älteren Arbeitnehmer

33

d) Schlußfolgerung

35

B. Zur Kritik der neoklassischen Arbeitsmarktsicht I. Zur Normalität des Arbeitsmarktes

36 37

1. „Märkte"

37

2. Die Einflußfaktoren des Arbeitsmarktes

38

II. Realität und ökonomisches Modell

39

III. Individual- und Kollektivinteressen

40

6

Inhaltsverzeichnis IV. Das Bild des homo oeconomicus

41

V. Resümee der neoklassischen Arbeitsmarktmodelle

41

2. Teil Der Schutz der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

A. Das arbeitsrechtliche Schutzprinzip I. Arbeitsrecht als Schranke der Vertragsfreiheit 1. Strukturelle Funktionsdefizite der Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt

43

43 44 48

2. Institutionelle Funktionsdefizite der Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt II. Kündigungsschutzrecht als Schranke der Vertragsfreiheit 1. Das Bestandsschutzkonzept 2. Das Willkürschutzkonzept B. Die ökonomische Kritik aus der Sicht des Arbeitsrechts I. Flucht aus dem „Normalarbeitsverhältnis" II. Kündigungsschutzrecht und Ordnungspolitik

53 56 56 59 62 63 64

1. Flexibilisierung

66

2. Insbesondere Flexibilisierung des Kündigungsschutzrechts

68

a) Das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden als Interessenkollision

68

b) Die Forderung nach Effizienz im Kündigungsschutzrecht

68

C. Kündigungsschutzrecht und ökonomische Rechtstheorie I. Grundbegriffe der ökonomischen Rechtstheorie

70 71

1. Der Property-Rights-Ansatz

72

2. Der Transaktionskosten-Ansatz

72

II. Ökonomische Rechtstheorie und Vertragsrecht 1. Aufgaben des Vertragsrechts 2. Die Problematik der Langzeitverträge

74 75 76

Inhaltsverzeichnis III. Ökonomische Rechtstheorie und Kündigungsschutzrecht .

80

1. Kündigungsfreiheit

80

2. Einschränkungen der Kündigungsfreiheit

80

a) Kündigungsschutz

81

b) Bindung der Kündigung an Rechtfertigungsgründe

83

c) Objektivierung des Prüfrechts

84

IV. Freiheit durch Institutionen

85

V. Ökonomische Rechtstheorie und institutionelle Arbeitslosigkeit

86

VI. Arbeitsrecht und institutionelle Arbeitslosigkeit

90

3. Teil Das Verhältnis von Kundigungsschutzrecht, institutioneller Arbeitslosigkeit und Berufsfreiheit

A. Das Grundrecht der Berufsfreiheit I. Zum „angemessenen" Verständnis der Berufsfreiheit 1. Art. 12 I GG als Grundlage einer freiheitlichen Berufsordnung

93

96 97 99

2. Art. 12 I GG als Garantie einer staatsfreien Sphäre

100

3. Das Verhältnis des Staates zur Berufsfreiheit

101

4. Die Stufentheorie als Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl

103

II. Die Entfaltung des Berufsbegriffs und seine Bedeutung für unselbständig Tätige 1. Die Folgen des Arbeitsplatzverlustes

104 105

a) Die These von den „Wohlstandsarbeitslosen"

105

b) Die These vom „Leiden ohne Arbeit"

106

aa) Finanzielle Auswirkungen von Arbeitslosigkeit

107

bb) Psychosoziale Belastungen durch Arbeitslosigkeit

108

cc) Familiäre und physische Belastungen durch Arbeitslosigkeit

110

c) Die Bedeutung des Arbeitsplatzbesitzes

110

2. Der Berufsbegriff des Art. 12 I GG

112

3. Die Schutzobjekte des Art. 12 I GG

119

8

Inhaltsverzeichnis a) Die Freiheit der Berufswahl

120

b) Die Freiheit der Berufsausübung

122

c) Die Arbeitsplatzwahlfreiheit

123

4. Die Bedeutung der Berufsfreiheit für den Schutz der Arbeitnehmer B. Berufsfreiheit und Arbeitsplatzschutz I. Berufsfreiheit und Bestandsinteressen

131 133 134

1. Negative Bestandsinteressen der Arbeitgeber

135

2. Positive Bestandsinteressen der Arbeitnehmer

135

II. Grundrechtsschutz der Bestandsinteressen

136

1. Das Problem: Grundrechtsschutz in Privatrechtsbeziehungen

136

2. Zum verfassungsrechtlichen Ort des Kündigungsschutzrechts

138

III. Das Kündigungsschutzrecht im liberal-rechtsstaatlichen Modell 1. Grundrechte als Abwehrrechte 2. Die Berufsfreiheit als Abwehrrecht 3. Berufsfreiheit und Kündigungsschutzrecht: keine grundrechtliche Garantie realer Freiheit 4. Der Schutz realer Freiheit: Kündigungsschutz und Sozialstaatsprinzip

140 141 145 146 149

a) Das Sozialstaatsprinzip im Kontext liberal-rechtsstaatlicher Theorie

149

b) Zum Gegenstand des Sozialstaatsprinzips

150

c) Der Standort des Sozialstaatsprinzips im Verfassungsgefüge

154

aa) Rechts- und Sozialstaat

154

bb) Folgen unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Freiheiten

156

5. Die Rechtfertigung des Kündigungsschutzrechts als Eingriff in die Unternehmerfreiheit IV. Individuelle Freiheit und kooperative Grundrechtsausübung 1. Objektivrechtliche Funktionen von Grundrechten a) Objektivrechtliche Grundrechtsinterpretation durch das BVerfG

158 163 168 169

Inhaltsverzeichnis b) Zur Reichweite objektivrechtlicher Grundrechtsfunktionen 2. Objektivrechtliche Funktionen des Art. 12 I GG V Art. 12 I GG als Grundlage einer freiheitlichen Arbeitsmarktverfassung

171 172

176

1. Das Konzept einer freiheitlichen Arbeitsmarktverfassung

176

2. Das Kündigungsschutzrecht in der freiheitlichen Arbeitsmarktverfassung

179

VI. Personale Entfaltung in Beruf und Arbeit

183

1. Das Konzept personaler Entfaltung in Beruf und Arbeit

183

2. Zur Reichweite des objektivrechtlichen Schutzes personaler Entfaltung in Beruf und Arbeit

186

3. Personale Entfaltung in Beruf und Arbeit durch Kündigungsschutz

189

VII. Berufsfreiheit als Fähigkeitsschutz

190

1. Das Konzept des berufsgrundrechtlichen Fähigkeitsschutzes

190

2. Zur Dogmatik des chancengleichen Fähigkeitsgebrauchs

193

3. Die Reichweite des Schutzes beruflicher Fähigkeiten

196

4. Beruflicher Fähigkeitsschutz und Kündigungsschutzrecht VIII. Grundrechtliche Schutzpflichten des Staates

199 201

1. Die Anerkennung grundrechtlicher Schutzpflichten

203

a) Zur Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten

204

aa) Zum Geltungsgrund grundrechtlicher Schutzpflichten bb) Subjektivierung grundrechtlicher Schutzpflichten cc) Rechte auf Schutz als Abwehrrechte? b). Der inhaltliche Maßstab grundrechtlicher Schutzpflichten 2. Grundrechtliche Schutzpflichten und Kündigungsschutzrecht

206 208 210 212 215

a) Schutzpflichten und Berufsfreiheit

216

b) Schutzpflichten und Privatrecht

216

c) Schutzpflichten und Kündigungsschutz

221

10

Inhaltsverzeichnis aa) Zum Rang der arbeitnehmerseitigen Berufsfreiheit

222

bb) Zum Ausmaß der Bedrohung des Rechtsguts Arbeitsplatz

223

cc) Die Fähigkeit zum Selbstschutz

225

aaa) Die Möglichkeit der Arbeitnehmer zu effektivem Selbstschutz

226

bbb) Der Schutz der Arbeitnehmerinteressen durch Koalitionen

228

dd) Die Notwendigkeit von Differenzierung und Typisierung IX. Die grundrechtliche Absicherung der Bestandsinteressen C. Grundrechte und Abschluß des Arbeitsvertrages: Zugangsinteressen I. Negative Zugangsinteressen der Arbeitgeber II. Positive Zugangsinteressen der Arbeitsuchenden 1. Zur Eingrenzung des Begriffs Zugangsinteressen

233 234

237 240 241 241

a) Das „Recht auf Arbeit"

242

b) Die Zugangsinteressen als Chance zum Vertragsschluß

243

2. Zum grundrechtlichen Schutz von Arbeitsplatzchancen a) Zugangsinteressen als Zulassung zum Markt oder Chance zum Vertragsschluß? b) Der Schutz der Arbeitsplatzchancen als Schutz einer Verhandlungssituation c) Der Schutz der Arbeitsplatzchancen als Schutz der Möglichkeit eines Vertragsschlusses

247 248 250 253

III. Kündigungsschutz als Beeinträchtigung der positiven Zugangsinteressen

256

1. Der Kündigungsschutz als Eingriff in die Zugangsinteressen Arbeitsuchender

257

2. Der Kündigungsschutz als faktischer Eingriff in die Zugangsinteressen Arbeitsuchender

258

3. Die grundrechtliche Problematik der Konkurrentenklage und ihr Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht

259

a) Die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Konkurrentenklage

260

b) Besonderheiten des subventionsrechtlichen Konkurrentenschutzes durch Art. 12 I GG

261

Inhaltsverzeichnis c) Subventionsrechtliche Konkurrentenklage und institutionelle Behinderung des Zugangs zum Arbeitsverhältnis

262

4. Zur grundrechtlichen Relevanz fremdvermittelter Einwirkungen auf grundrechtliche Freiheiten

265

IV Der Schutz positiver Zugangsinteressen in den Modellen kooperativer Grundrechtsausübung

267

1. Der Zugang zum Arbeitsverhältnis in der Theorie der Arbeitsmarktverfassung

268

2. Personale Entfaltung in Beruf und Arbeit durch Zugang zum Arbeitsverhältnis

272

3. Die Berufsfreiheit im Interesse von Herstellung und Gebrauch beruflicher Fähigkeiten und der Zugang zum Arbeitsverhältnis

275

4. „Schutzpflichten" und Zugang zum Arbeitsverhältnis

277

V Die grundrechtliche Absicherung der Zugangsinteressen

286

D. Der Ausgleich der Arbeitsplatzinteressen 4. Teil Konsequenzen institutioneller Gefahrdung des chancengleichen Gebrauchs beruflicher Fähigkeiten

A. Kündigungsschutzrecht und berufliche Chancengleichheit I. Allgemeiner Kündigungsschutz und berufliche Chancengleichheit

288

296

299

300

1. Zur Beschäftigungswirksamkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes

300

2. Allgemeiner Kündigungsschutz und Beschäftigungschancen gering qualifizierter Arbeitsuchender

304

II. Sonderkündigungsschutz und berufliche Chancengleichheit 1. Der Schutz der Schwerbehinderten und berufliche Chancengleichheit

305 306

2. Der Schutz der Schwangeren und Mütter und berufliche Chancengleichheit

310

a) Zur Problematik des MuSchG

311

aa) Der besondere Kündigungsschutz nach § 9 MuSchG

311

12

Inhaltsverzeichnis bb) Die Entgeltsicherung nach dem MuSchG

315

b) Zur Problematik des BErzGG

317

c) Berufliche Chancengleichheit nach MuSchG und BErzGG

319

3. Der Schutz der älteren Arbeitnehmer und berufliche Chancengleichheit a) Auswirkungen des Rentenreformgesetzes 1992 (§ 41 IV SGB VI)

320 321

aa) Die Berücksichtigung des Alters im Zusammenhang mit Kündigungen

322

bb) Das Verbot der Altersbefristung

324

b) Der Erstattungsanspruch nach § 128 AFG

327

c) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses älterer Arbeitnehmer

330

B. Konsequenzen kündigungsschutzrechtlicher Belastungen des chancengleichen Gebrauchs beruflicher Fähigkeiten I. Strategien der Beschäftigungsförderung nicht- oder nur gering qualifizierter Arbeitsuchender

333

335

1. Maßnahmen der beruflichen Bildung

337

2. Absenkung von Arbeitsbedingungen

338

3. Insbesondere Flexibilisierung des Bestandsschutzes

340

II. Sonderkündigungsschutz und Strategien der Beschäftigungsförderung

342

III. Deregulierung und chancengleicher Gebrauch beruflicher Freiheit

349

C. Grundrechte und institutionelle Gefährdungen des chancengleichen Gebrauchs beruflicher Freiheit

350

Literaturverzeichnis Sachwortverzeichnis

354 374

Einleitung Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer Rechtsstaat (Art. 28 I 1, 20 I GG). Ihr politisches Ziel, ungebrochen über lange Jahre vorgetragen, lautete: mehr Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Als Instrument sozialstaatlicher Politik galt der Einsatz rechtlich kodifizierter staatlicher Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Auf diese Weise glaubte man nicht nur, soziale Risiken, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, weitestgehend abgesichert zu haben, man hielt sogar Vollbeschäftigung für machbar. Ausdruck dieser Steuerungseuphorie sind eine Vielzahl „wohlfahrtsstaatlicher" Regulierungen in den 60er und 70er Jahren. Eine Ernüchterung trat mit Beginn der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit ab Mitte der 70er Jahre ein. Erste Zweifel am Erfolg sozialstaatlicher Politik wurden geäußert. Die Kritik artikulierte sich quer durch alle wirtschafts- und gesellschaftsgerichteten Disziplinen, wobei die Akzente je nach Forschungsgegenstand unterschiedlich gesetzt sind. Die Sozialwissenschaften sehen eine Verrechtlichung vieler Lebensbereiche, hervorgerufen durch die Ausdehnung vom Sozial- zum Wohlfahrtsstaat, die deren Struktur nicht (mehr) angemessen sei und im günstigsten Fall wirkungslos bleibe, im ungünstigsten Fall indes Funktionsstörungen fordere. Vor allem sozialpolitische Intervention könne ihr ursprüngliches Anliegen, sozialen Schutz und damit Freiheitspielräume zu verbürgen, immer weniger erreichen, oft verkehre sich die gute Schutzabsicht ungewollt sogar in ihr Gegenteil1. Lösungen verspricht man sich vor allem von flexibleren Steuerungsmedien. Seitens der Ökonomie wird wohlfahrtsstaatlicher Regulierung mangelnde Effizienz und Nichtbeachtung externer Effekte vorgeworfen. Gefordert wird eine (Rück-)Besinnung auf die klassische Ordnungsgaufgabe des Staates in einer Marktgesellschaft 2. Und die Rechtswissenschaft kritisiert mit den Stichworten „Normenflut", „Bürokratisierung" und „Justizialisierung" die zunehmende Eigendynamik „sozial-"rechtlicher Regulierung sowie die kaum mehr nachvollziehbare Differenzierung des sozialstaatlichen Regelwerks. Die Folgen seien Vollzugsdefizite, Verweigerungs- und Umgehungstrategien der hierdurch Belasteten3. 1

Vgl. Mayntz (Regulative Politik), Teubner (Verrechtlichung), sowie die Sammelbände von Mayntz (Implementation) und Voigt (Abschied vom Recht). 2 Ζ. B. die Arbeiten von Engels, Soltwedel und dem Kronberger Kreis. 3 Hendler (Grundprobleme) sowie der Sammelband von Kubier (Verrechtlichung).

14

Einleitung

Im Zuge dieser Diskussion ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Kernanliegen des Sozialstaates unversehens in den Mittelpunkt der Kritik arbeitsrechtlicher Regulierung geraten. Seit den 80er Jahren wird vor allem von bestimmten ökonomischen Lehrmeinungen, aber auch der Rechtswissenschaft, immer heftigere Kritik an den historisch gewachsenen Strukturen des Arbeitsmarktes geäußert. Dem Arbeitsrecht wird vorgeworfen, es laufe dem Marktmechanismus zuwider. Seine Schutznormen seien überholt und verhinderten eine flexible Anpassung der Beschäftigung an Produktionsschwankungen und technische Neuerungen. Besonders gravierend sei, daß die Arbeitgeber diese Rigiditäten am Arbeitsmarkt im Rahmen ihrer Unternehmensplanung vorwegnähmen und sich mit Einstellungen zurückhielten. So verstanden sei die bestehende Arbeitslosigkeit nicht ausschließlich konjunkturell, strukturell oder saisonal, sondern zu einem beachtlichen Teil institutionell bedingt4. Gefordert wird eine erhebliche Entrümpelung des Arbeitsrechts im Wege seiner Flexibilisierung und sogar Deregulierung. Diese Forderungen sind weder neu5 noch unumstritten 6. Nach wie vor besteht keine Einigkeit, ob und inwieweit ein flexibleres Arbeitsrecht tatsächlich zur Lösung bestimmter Beschäftigungsprobleme beiträgt, wie eine gesamtwirtschaftlich optimale Flexibilität auszusehen hat, und inwieweit flexiblere Arbeitsbeziehungen nicht nur dem Interesse der Arbeitgeber, sondern auch demjenigen der Arbeitnehmer und Arbeitsuchenden entsprechen. Wenn hier noch ein beachtlicher Klärungsbedarf besteht, hat das in erster Linie mit dem unterschiedlichen Erkenntnisinteresse der beteiligten Disziplinen zu tun. Die traditionelle arbeitsrechtliche Lehrmeinung mag zwar die Berechtigung der geäußerten Kritik anerkennen, sieht, bisweilen allzu apologetisch, aber dennoch das Arbeitnehmerschutzrecht grundsätzlich positiv. Sie fragt vor allem, in welchem Umfang die Arbeitnehmer durch das bestehende Recht geschützt und wie dieser Schutz verbessert werden kann. Dem steht die ökonomische Auffassung gegenüber, die das Arbeitsrecht als Kostenfaktor würdigt und untersucht, ob und wie es die Effizienz des Produktionsfaktors Arbeitskraft beeinflußt. Und schließlich kann aus allgemein marktoptimistischer Sicht gefragt werden, inwieweit Recht eine Arbeitsmarktstruktur begünstigt, die durch eine Zweiteilung zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsuchenden gekennzeichnet ist. Gemeinsam ist diesen Sichtweisen, daß sie dem Arbeitsrecht eine tatsächliche Wirkkraft auf dem Arbeitsmarkt zubilligen, wenn auch nicht unbedingt entspre4 Statt vieler Kronberger Kreis (Fn. 2). Vgl.a. die Darstellung bei Simitis (Verrechtlichung). 5 Zu früheren Forderungen nach „Elastizität,, auf dem Arbeitsmarkt durch die Arbeitgeber: Brauweiler (Unternehmer), Capeller (Tagesfragen) und Nikisch (kritische Betrachtungen). 6 Vgl. ζ. B. den Streit um das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985.

Einleitung chend dem Steuerungsziel, und einen marktförmigen Interessenausgleich zwischen den Arbeitsmarktparteien grundsätzlich anerkennen. Im übrigen steht jede von ihnen fur einen eigenen Ansatz. Der erste fragt nach den Interessen der Arbeitnehmer, der zweite sieht die betriebswirtschaftliche Komponente und der dritte analysiert die Arbeitsmarktverfassung. Welchem Ansatz zu folgen ist, läßt sich somit für die einzelnen Lehrmeinungen letztlich nicht feststellen. Weil die Diskussion auf verschiedenen Ebenen stattfindet, liegt es nahe, sie durch Abstraktion zu vereinheitlichen. Als ein solcher Maßstab bietet sich das Verfassungsrecht an, dessen praktische Relevanz immer schon darin bestanden hat, divergierende Interessensphären umfassend zu würdigen und anzugleichen. Es würde im Rahmen dieser Arbeit indes zu weit führen, den skizzierten Problemstellungen des Arbeitsmarktes in allen Verästelungen zu folgen. Aus arbeitsökonomischen Gründen erfolgt daher eine Beschränkung auf die Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und Kündigungsschutzrecht. Die hiernach bestehende Spannungslage zwischen den widerstreitenden Anliegen von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitsuchenden ist erst relativ spät und ganz allmählich ins verfassungsrechtliche Blickfeld gelangt7. Seit der Debatte um das Beschäftigungsforderungsrecht gehört sie aber auch hier zum festen Themenbestand8, ohne daß bereits Lösungsvorschläge existieren. Wie nun kann es gelingen, die Problematik institutioneller Arbeitslosigkeit einerseits und möglicherweise berechtigte Schutzanliegen abhängig Beschäftigter andererseits auf einem derart abstrakten Niveau einander anzunähern, ohne sich in der Beliebigkeit unverbindlicher Konsensformeln zu verlieren? Diese Aufgabenstellung bedingt eine ganz bestimmte Vorgehens weise. Zunächst ist das einschlägige Tatsachenmaterial zu sammeln und auszuwerten. Es umfaßt die Bedeutung von Arbeitslosigkeit für die Betroffenen ebenso wie Konsequenzen institutioneller Arrangements, insbesondere des Kündigungsschutzrechts, auf dem Arbeitsmarkt. Auf diese Weise soll versucht werden, die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Anliegen zu erfahren. Hiervon ausgehend ist sodann ihr verfassungsrechtlicher Gehalt zu ermitteln. Das heißt, es muß ihr jeweiliger „Wert" festgestellt werden, ehe gefragt werden kann, wie dieser umzusetzen ist. Da die genannten Interessen um das Arbeitsverhältnis gruppiert sind, überrascht es nicht, daß es insoweit um die Bedeutung von Verfassungsrecht für Privatrechtsbeziehungen geht. Abweichend von der üblichen Vorgehensweise, die jeweils nur zwei Anliegen kontrastiert, soll die Abwägung allerdings um-

7

BVerfGE 59, 266ff.; Sondervotum Katzenstein BverfGE 62, 256 (289); Simitis

(52. DJT), S. 15; Zöllner (52. DJT), S. 112 ff. 8

Ζ. B. FriaufiAspekte); Kempen (Arbeitnehmerschutz); Mückenberger (Dauerarbeitsverhältnisses), S. 525 f.; Papier (Privatautonomie), S. 139; Schanze (Arbeitsverträge), S. 32; Schneider (VVDStRL 43), S. 42.

16

Einleitung

fassender, das heißt von den Zugangsinteressen bis hin zu den Bestandsinteressen am Arbeitsverhältnis reichend, dargestellt werden. Demgemäß liegt der analytische Schwerpunkt im verfassungsrechtlichen Teil auf dem Beitrag neuerer Grundrechtstheorien im Hinblick auf eine „gerechte" Arbeitsmarktordnung. Können von deren Fundament aus das Flexibilitätsanliegen der Arbeitgeber sowie die Arbeitsplatzanliegen der Arbeitnehmer und Arbeitsuchenden geordnet werden, ohne letztere im Interesse des ersteren gegeneinander auszuspielen9?

9 Der Literaturstand der Arbeit entspricht dem Jahr 1996. Auf die aktuelle Problematik eines „Kündigungsschutzes zweiter Klasse" wird daher nur hingewiesen (vgl. dazu Hanau, Kündigungsschutz, S. 201 ff., m. w.N.).

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit Das Phänomen Arbeitslosigkeit begegnet einem im alltäglichen Leben, sofern nicht man selbst oder jemand aus dem näheren Umfeld von ihr betroffen ist, zumeist nicht als statistische Maßzahl sowie als politisches Argument und Gradmesser für oder gegen den Erfolg einer bestimmten Wirtschaftspolitik 1 . In dieser Perspektive ist sie vor allem ein sozio-ökonomisches Problem; ihre Bedeutung mit Konsequenz für den einzelnen Betroffenen und seine Angehörigen tritt dahinter zurück. Auffallig ist eine solche Argumentationsstruktur auch im Kontext der Diskussion um die „Beschäftigungswirkungen" des Arbeitsrechts. Indem ein Zusammenhang zwischen der rechtlichen Struktur des Arbeitsmarktes 2 und der Verteilung der Arbeitslosigkeit nach bestimmten Merkmalen, wie zum Beispiel Dauer und Häufigkeit, behauptet wird, werden damit Forderungen nach Flexibilisierung oder Deregulierung verknüpft 3. Von anderer Seite wird, ohne daß das Bestehen solcher Zusammenhänge bestritten würde, daraufhingewiesen, daß die die Arbeitgeber repräsentierenden Interessengruppen Arbeitslosigkeit scheinbar möglicherweise billigend in Kauf nehmen, die Arbeitnehmer gegen die Arbeitsuchenden politisch auszuspielen versuchen, um so ihr ständiges Ziel, die Reduzierung arbeitsrechtlicher Standards, zu erreichen 4. Damit ist der Kern der aktuellen Debatte berührt, soweit sie sich auf das Arbeitsrecht bezieht. Lassen sich die behaupteten Zusammenhänge tatsächlich nachweisen, können allgemeingültige Aussagen aufgestellt werden oder sind erhebliche Differenzierungen nötig; im Bejahensfall: sind die politischen Forderungen berechtigt oder sind andere Formen des Ausgleichs der betroffenen Interessen möglich; welche Interessen sind überhaupt zu berücksichtigen? Zur Beantwortung dieser Fragen muß man sich zunächst mit der ökonomischen Sicht des Verhältnisses von Arbeitslosigkeit und Arbeitsrecht beschäftigen. Seit Arbeitslosigkeit bewußt wahrgenommen wird, ist es der Wirtschaftswissenschaft nicht gelungen, eine allseits überzeugende Theorie der Arbeitslosigkeit 1

Das läßt sich anhand der Tagespresse unschwer belegen. Ein anderer Begriff ist „Arbeitsmarktverfassung". Dazu Ramm (Arbeitsmarkt), S.U. 3 Darauf wird im 2. Teil noch zurückzukommen sein. Deregulierung wird im folgenden als undifferenzierter Normenabbau verstanden, Flexibilisierung als Vergrößerung von Handlungsmöglichkeiten für die Arbeitgeber. 4 Plander (Arbeitsvertrag), S. 2091ff.; Simitis (Verrechtlichung), S. 103ff.; vgl.a. Gast (Perspektiven) S. 1514. 2

2 Rütten

18

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

zu entwickeln 5 . Hinlänglich bekannt sind der Erklärungsnotstand der klassischen Ökonomie angesichts der Massenarbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise und das Unvermögen der auf Keynes zurückgehenden Erklärungsansätze, die sich seit Mitte der 70er Jahre herausbildende Arbeitslosigkeit zu bewältigen. Verantwortlich hierfür ist, daß eine Vielzahl von interdependenten Faktoren das Geschehen auf den Arbeitsmärkten beeinflußt, ohne daß letztlich geklärt ist, wie diese zusammenspielen6. Nicht nur im engeren Sinne ökonomische Variablen spielen hier eine Rolle, wichtig sind auch die mannigfachen Bestimmungsfaktoren politischen und - individuellen wie kollektiven - gesellschaftlichen Handelns. Angesichts dieser Komplexität des Arbeitsmarktes ist es nicht verwunderlich, daß es kein allgemein akzeptiertes Erklärungsmuster gibt, das unumstrittene Maßnahmen für den Abbau von Arbeitslosigkeit nahelegen würde. Unstrittig ist jedoch die Existenz von konjunkturell bedingter und struktureller Arbeitslosigkeit als den beiden Hauptkomponenten von Arbeitslosigkeit. Während erstere sich bei nachhaltigen Konjunkturaufschwüngen zurückbildet, bleibt letztere dauerhaft bestehen, weil das marktgerechte Zusammenspiel von Arbeitskräfteangebot und nachfrage gestört ist 7 . Bei der Analyse struktureller Arbeitslosigkeit hat in jüngster Zeit die traditionelle Wirtschaftswissenschaft neoklassischer Prägung 8 vor allem der Arbeitsmarktverfassung 9 eine erhebliche Mitverantwortung zugewiesen. Man behauptet, das Arbeitsrecht beeinträchtige die gebotene Flexibilität 10 des Arbeitsmarktes, ohne ihm freilich eine Alleinschuld zu unterstellen, und weist auf einen keinesfalls zu vernachlässigenden positiven Zusammenhang hin 1 1 . Man fordert „mehr Markt im Arbeitsrecht" 12 , um angebotsseitige Störungen, die den individuellen Ertrag des Wirtschaftens beeinträchtigen könnten, zu beseitigen13. Als ertragsmindernd gilt neben überhöhten Löhnen 14 und zu hohen Lohnneben5 Für eine Übersicht vgl. Jöhr (Arbeitslosigkeit). Zur Kontroverse zwischen angebotsund nachfrageorientierter Ökonomie vgl. A. Schmidt (Beschäftigung) und Willke (Optionen). 6 Instruktiv Jäger/Weber (Lohndynamik) und Zöllner (52. DJT), S. 2Iff. 7 Zur Empirie der Arbeitslosigkeit Franz (Flexibilisierung), S. 441, und Prinz (Arbeitskostenstruktur), S. 265. 8 Hierbei handelt es sich um einen etwas unpräzisen Sammelbegriff für die nicht an Keynes orientierten bzw. seiner Lehre skeptisch ggb. stehenden Vertreter eines antiinterventionistischen Marktwirtschaftskonzepts. 9 Die ökonomische Bedeutung von Recht hat insbesondere Coase (soziale Kosten) herausgearbeitet. Zum Begriff „Arbeitsmarktverfassung" vgl. Ramm (Arbeitsmarkt), S. 11. 10 Die diskutierten Varianten von Flexibilisierung skizziert Buttler (Regulierung), S. 67. 11 Moser (Arbeitslosigkeit), S. 29ff.; Soltwedel (Arbeitslosigkeit), S. 111; Fischer (Industriestandort), S. 278ff. 12 So der Titel einer Streitschrift des Kronberger Kreises (1986). 13 Sachverständigenrat (Jahresgutachten 1981/82), Zf. 296. 14 Ζ. B. Dichmann (Arbeitsmarktverfassung), S. 46; Engels (Arbeitslosigkeit), S. 6ff.,

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

19

kosten sowie Sozialabgaben15 auch die Verrechtlichung des Arbeitsmarktes, insbesondere überzogene arbeitsrechtliche Standards bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen 16. Diese Diagnose legt als Therapie die Deregulierung, zumindest aber die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nahe. Bei unreflektierter Übernahme solcher Thesen für die rechtswissenschaftliche Erörterung institutioneller Arbeitslosigkeit gerät man deshalb schnell in die Gefahr, diese Therapievorschläge ohne weiteres hinzunehmen und vielleicht sogar als im Interesse der Arbeitsuchenden verfassungsrechlich geboten hinzustellen. Gegen eine solche Vorgehensweise sprechen vor allem zwei Bedenken. Zum einen ist es angesichts des Eigenwerts rechtlicher Regulierungen nicht statthaft, ökonomische Erkenntnisse ohne weiteres den Prozeß der Normgestaltung dominieren zu lassen. Denn die juristische und die ökonomische Disziplin gehorchen unterschiedlichen Rationalitätskriterien. Im Gegensatz zu ersterer folgt letztere einem „objektiven Prinzip". Sie knüpft nicht an Personen oder Rechtssubjekte an und argumentiert auch nicht von deren mehr oder weniger starker oder schwacher Position aus, sondern betrachtet Geschäftstypen, Marktabläufe und andere typisierte Sachverhalte. Auch die Fragestellung ist im vorliegenden Zusammenhang eine andere: interessiert sich das Recht vornehmlich für die Lösung von Konflikten, für die Zuordnung von subjektiven Rechten oder für die Herstellung von Gerechtigkeit, fragt die Ökonomie, wie das Zustandekommen einer Transaktion gefördert werden kann. Zum anderen verbietet es sich aus wissenschaftskritischen Gründen, vorgefundene Thesen ohne weiteres zur Grundlage einer weiterführenden Analyse zu machen, zumal wenn diese Thesen so umstritten sind wie die neoklassische Erklärung institutioneller Arbeitslosigkeit. Die Frage, inwieweit diese als Grundlage für eine verfassungsrechtliche Untersuchung taugt, kann daher erst beantwortet werden, wenn man die theoretische Grundlage dieser Thesen kennt.

A. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik Die Ökonomie analysiert ganz allgemein die Bedeutungszusammenhänge innerhalb marktwirtschaftlicher Systeme. Dabei zeichnet sie sich durch eine spezifische Methode und ein spezifisches Erkenntnisinteresse aus. In erster Hinsicht

41; Giersch (Wirtschaftsfreiheit), S. 18; Pföhler (Markt und Staat), S. 64; Stützel (Ordnungspolitik), S. 349. 15

16

Diekmann, ebd., S. 37; Soltwedel (Reform), S. 391; Stützel, ebd., S. 350.

Diekmann, ebd., S. 47; Engels (Arbeitsmarkt), S. 33; Ders. (Fn. 14), S. 19, 54f.; Erdmann (Unternehmensführung), S. 41; Kath (Sozialpolitik), S. 378, 381; Kronberger Kreis (Fn. 12); Sachverständigenrat (Jahrsgutachten 1987/88), Zf. 368,377; Watrin (Arbeitsvertrag), S. 31, 35. Vgl. a. Gitter (Negativ beeinflußt), S. 65, und Franz (Fn. 7), S. 439ff.

20

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

ist bemerkenswert, daß die Ökonomie bestimmte quantifizierbare Größen aus dem wirtschaftlichen Gesamtgeschehen isoliert und in ihrer Wechselbeziehung mit Hilfe weitgehend mathematisierter logischer Modelle untersucht 17. Mit derartigen Modellen kann man aber nur arbeiten, wenn bestimmte Daten, wie etwa die Annahme vollkommener Konkurrenz, die Annahme eines idealen Gleichgewichts, aber auch das Recht, als feste Randbedingung in sie eingehen. In zweiter Hinsicht ist wesentlich, daß die neoklassisch geprägte, aber instrumenteil weiterentwickelte Ökonomie sich nicht mehr damit bescheidet, allgemeine Gesetze des Wirtschaftslebens aufzuzeigen. Ihr Hauptaugenmerk gilt vielmehr der Analyse des Handelns von als frei und unabhängig gedachten Individuen hinsichtlich der logisch möglichen Alternativen bei der Lösung des Problems der Ressourcenallokation. Dabei unterstellt man die Geltung des Rationalitätsprinzips, das heißt des Prinzips der Maximierung des individuellen Nutzens, als handlungsleitende Maxime. Im folgenden ist auf die Prämissen dieses Modells näher einzugehen18. Dabei versteht es sich von selbst, daß keine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung stattfinden kann, daß vielmehr der klarstellende Hinweis auf das jeweilige Prinzip genügen muß.

I. Die Prämissen des ökonomischen Modells Es ist bereits gesagt worden, daß die neoklassische Ökonomie das Handeln unabhängiger Individuen untersucht, die naturwüchsig ihrem eigenen Interesse folgen. Damit stellt sich aber die Frage, warum die Individuen überhaupt handeln und wovon sie sich dabei leiten lassen. Zentrale Bedeutung haben hier das Problem der Bewältigung knapper Ressourcen, das Rationalitätsprinzip und das Eigennutzprinzip.

1. Das Knappheitsproblem Die ökonomische Theorie nimmt an, daß das Handeln der einzelnen Wirtschaftssubjekte nur unter dem Aspekt der Bedürfnisbefriedigung verständlich ist. Die Frage nach dem Antrieb individuellen Handelns läßt sich dann am ehesten unter Hinweis auf das Knappheitsproblem beantworten.

17

Dazu Η. Κ Schneider (Methodenfragen), S. 10. Hier kann auf die gängigen Lehrbücher verwiesen werden. Die vorliegende Skizze folgt Behrens (Ökonomische Analyse des Rechts), S. 30-38, 89-198; Streissler/Streissler (Volkswirtschaftslehre), 1. Teil: S. 1-174; sowie Woll (Volkswirtschaftslehre); 1. Teil: S. 5-72 und Teil 2: S. 73-262. 18

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

21

Für die Ökonomie sind Bedürfnisse anders als die zu ihrer Befriedigung verfügbaren Mittel grundsätzlich unbegrenzt. Man folgert daraus, daß es unmöglich ist, den Zustand der Sättigung aller Bedürfnisse zu erreichen. Dieser Tatbestand bezeichnet das Phänomen knapper Ressourcen. Für die einzelnen Wirtschaftssubjekte folgt aus der Ressourcenknappheit, daß sie sich ständig entscheiden müssen, welche ihrer Bedürfnisse sie in welchem Maße und mit welchen Mitteln jeweils befriedigen sollen.

2. Das Rationalitätsprinzip Wie gesagt versteht die ökonomische Theorie individuelles Verhalten als Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten, knappe Ressourcen zur Beschaffung knapper Güter einzusetzen. Die dabei zu fallenden Entscheidungen sind aber nicht beliebig, sondern haben sich am Postulat der Nichtverschwendung zu orientieren, das sich aus dem Knappheitsphänomen zwanglos ergibt. Legt man das Ziel der Nutzenmaximierung zugrunde, muß individuelles Verhalten deshalb darauf ausgerichtet sein, entweder mit minimalem Mitteleinsatz das vorgegebene Ziel zu erreichen oder aus den gegebenen Mitteln maximalen Nutzen zu ziehen. Diese Maxime ist der Inhalt des Rationalitätsprinzips. Damit impliziert die ökonomische Theorie nicht nur, daß die Wirtschaftssubjekte ihre Mittel stets zu dem Zweck einsetzen, der ihnen den größten Nutzen verspricht, sondern auch, daß sie ihre Entscheidungen auf der Grundlage benennbarer Präferenzen treffen. Mit anderen Worten, man unterstellt, daß die Wirtschaftssubjekte vor einer Entscheidung zunächst deren Nutzen und Kosten gegeneinander abwägen. Die Kosten sind dadurch bestimmt, daß die für einen bestimmten Zweck eingesetzten Mittel für andere Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen und insoweit einen entgangenen Nutzen bezeichnen. Das sind die sogenannten Opportunitäts- oder Alternativkosten. Der Nutzen hingegen ist nur individuell bestimmbar und auch zwischen verschiedenen Wirtschaftssubjekten nicht vergleichbar oder verrechenbar.

3. Das Eigennutzprinzip Im ökonomischen Rationalitätsprinzip zeigt sich deutlich das Bild des „homo oeconomicus", des stets rechenhaft sein individuelles Wohlergehen maximierenden Rationalmenschen. Diese Prämisse des ökonomischen Modells findet ihren Grund darin, daß es wissenschaftlich nicht möglich ist, Nutzen anders als subjektiv und anders als in Relationen zu bestimmen. Jeder kann ausschließlich für sich selbst den Nutzen eigener wie fremder Handlungen bestimmen. Aus dem individuellen Nutzenkalkül als handlungsleitende Maxime folgt zunächst, daß nicht

22

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

etwa Solidarität, Fürsorge und gemeinschaftlich geplante Produktion und Verteilung das Fortkommen des einzelnen sichern, sondern seine Fähigkeit und Stärke, sich in der Konkurrenz seiner Mitmenschen zu behaupten19. Das bedeutet freilich nicht, daß solche kollektiven gesellschaftlichen Wertmaßstäbe für die ökonomische Theorie unerheblich sind. Gesellschaftliche Werte werden vielmehr als Ergebnis individueller Kooperation begriffen, wobei die Individuen nur zu ihrem eigenen Nutzen an der gesellschaftlichen Kooperation teilnehmen. Entscheidend ist insoweit, daß die ökonomische Theorie keine kollektiven Nutzenvorstellungen anerkennt, die nicht durch die Nutzenvorstellungen der Individuen gefiltert und aus ihnen abgeleitet worden sind.

II. Das Ziel: optimale Ressourcenallokation Die dargestellten drei Prinzipien gehen als Prämissen in die weiteren Überlegungen der ökonomischen Theorie ein und bilden die Basis für formale Ableitungen individueller und kollektiver Zielvorstellungen einerseits und vergleichender Analysen sozialer Entscheidungsmechanismen andererseits. So läßt sich etwa anhand der genannten Prämissen die Leistungsfähigkeit einer gegebenen Marktstruktur hinsichtlich ihrer Eignung, bestimmte Ziele zu erreichen, mit der Leistungsfähigkeit anderer Marktarrangements vergleichen. Ein solcher Vergleich setzt freilich Klarheit über die Zielvorstellungen voraus. Die Ökonomie definiert auch diese Zielvorstellungen anhand des Problems der Ressourcenknappheit. Eines der wichtigsten ökonomischen Ziele ist dabei die Herstellung einer optimalen Allokation der Ressourcen. Das Allokations- oder Effizienzziel bezeichnet das Problem, die knappen Ressourcen einer Gesellschaft als Produktionsmittel so einzusetzen, daß sie im Sinne kollektiver Wohlfahrt möglichst nutzbringend verwendet werden. Die Ausrichtung an einem kollektiven Wohlfahrtsziel ist dabei unter den Voraussetzungen des Eigennutzprinzips, das heißt so lange unbedenklich, wie die individualistische Nutzenperspektive beibehalten wird. Aus diesem Grund kann eine gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion nur eine solche individualistischen Charakters sein. Deshalb können Änderungen der gesellschaftlichen Wohlfahrt sich nur mittelbar über Änderungen der individuellen Nutzenperspektive durchsetzen. Daraus folgt aber, daß das Allokationsziel ausschließlich im Rahmen eines gesellschaftlichen Entscheidungsverfahrens definiert werden kann, das geeignet ist, der Vielzahl individueller Nutzenvorstellungen gerecht zu werden. Dabei greift man auch heute noch auf die bereits 1909 von Pareto entwickelte Formel zurück, nach der ein Zustand dann optimal ist, wenn kein Wirtschaftssubjekt besser gestellt werden kann, ohne daß nicht zumindest ein anderes schlechter ge19

Harms (Marktwirtschaft), S. 5, 6.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

23

stellt wird, oder, als Ziel formuliert: Optimal ist ein Zustand, in dem mindestens ein Individuum eine Nutzensteigerung erfährt, ohne daß ein anderes einen Nachteil erleidet 20 . Das Entscheidende an dieser Formel ist, daß gesellschaftlicher Wohlstand nicht unabhängig vom Nutzen der Individuen bestimmt werden kann. Wenn jedes Gut so lange getauscht wird, bis der Eigentümer keinen Nutzen mehr in einer weiteren Transaktion sieht, und wenn ein Gut seine höchste Verwendungsstufe erreicht hat, mithin kein wertvollerer Nutzen hieraus mehr gezogen werden kann, dann führt das individuelle Vorteilsstreben nach der Pareto-Formel letztlich zu einem Zustand, in dem alle besser stehen als vorher, also zu einer Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt.

I I I . Der Markt als Steuerungsmechanismus Der nutzbringende Einsatz knapper Güter ist zugleich eine individuell wie kollektiv zu lösende Aufgabe. Die Frage ist nun, auf welchem Wege die Koordination der individuellen Entscheidungen im Hinblick auf das Allokationsoptimum sichergestellt werden kann. Der für die Ökonomie hier maßgebliche Steuerungsmechanismus ist der Markt.

7. Funktionsweise des Marktprinzips Eine im Sinne des Effizienzkriteriums optimale Ressourcenallokation ist nach den eingangs dargestellten ökonomischen Prämissen nur zu erwarten, wenn der Nutzen und die Kosten einer bestimmten Tätigkeit dem Wirtschaftssubjekt zugerechnet werden, das diese Tätigkeit ausübt. Andernfalls bestünde die Gefahr, einer ineffizienten Nutzung der Ressourcen sowie einer ineffizienten Güterproduktion. Das heißt einzelne Ressourcen würden übermäßig, andere in zu geringem Maße genutzt; und einzelne Güter würden zu reichlich, andere zu wenig hergestellt. Problematisch ist nun, daß nach dem ökonomischen Nutzenkonzept der Nutzen sowie die Kosten einer bestimmten Ressourcenverwendung ausschließlich von den einzelnen Wirtschaftssubjekten selbst bewertet werden können. Es fragt sich somit, wie sich die jeweils höchste individuelle Präferenz für ein Gut durchsetzen kann 2 1 und wie sich die Wirtschaftssubjekte über ihre jeweiligen Präferenzen verständigen.

20 Neben dem Pareto-Modell am wichigsten ist das Kaldor-Hicks-Modell: es ist ökonomisch sinvoll, einer Gruppe etwas wegzunehmen und es anderen zu geben, wenn diese die Schlechtergestellten für den „Schaden" aus ihrem Gewinn kompensieren kann (instruktiv R. D. Graß, Marx oder Bourgeoisie, S. 28). Dazu Jaeger/Weber (Fn. 6). 21 In diesem Sinne kann „Markt" auch als Entdeckungsverfahren gesehen werden (vgl. Neumann, (De-)Regulierung, S. 106).

24

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

An dieser Stelle führt die ökonomische Theorie das Marktprinzip ein. Es löst das Koordinationsproblem der Allokationstheorie, indem es jeder Ressourcenverwendung einen Tauschprozeß vorschaltet, in welchen zwar sämtliche individuellen Präferenzen eingehen, sich aber nur die jeweils höchste Präferenz in einem tatsächlichen Tauschvorgang realisiert. Das Konstruktionsprinzip des Marktes ist dabei dergestalt, daß das Wirtschaftssubjekt, das durch eine bestimmte Mittelverwendung anderen dieselbe Mittelverwendung unmöglich macht, diese durch eine Gegenleistung entschädigt. Das Kommunikationsmedium des Marktes ist hiernach der in Geld ausgedrückte Preis. Das Marktprinzip reflektiert also den individuellen Nutzen eines bestimmten Gutes über die Höhe des hierfür verlangten oder gebotenen Preises. In diesem Sinne ist der Markt ein Verfahren, das die Wirtschaftssubjekte dazu bringt, ihre Nutzenvorstellungen zu offenbaren, indem sie ihre Bereitschaft zu bestimmten Gegenleistungen erklären oder bestimmte Gegenleistungen fordern. Die Eingangsfrage nach der Herstellung einer optimalen Ressourcenallokation ist somit unter Hinweis auf das Marktprinzip zu beantworten. Im Markt bewirkt jeder Tauschprozeß, daß die ausgetauschten Ressourcen einer nützlicheren Verwendung zugeführt werden als derjenigen, in der sie sich vorher befunden haben. Mit anderen Worten, im Markt tendieren die Ressourcen stets in die Richtung ihres größten Nutzens.

2. Funktionsbedingungen des Marktes Der Marktmechanismus funktioniert nicht aus sich selbst heraus, sondern ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.

a) Wettbewerb Die Forderung, daß sich am Markt stets die jeweils höchste individuelle Präferenz für ein Gut durchsetzen soll, impliziert, daß sich dessen potentielle Erwerber gegenseitig überbieten können, das heißt sie müssen in Wettbewerb zueinander treten. Dabei gilt, daß eine effiziente Ressourcenallokation dann garantiert ist, wenn vollkommene Konkurrenz herrscht und der Markt sich in diesem Sinne in einem allgemeinen Gleichgewicht befindet 22 . In diesem Fall ist niemand gezwungen, den Tausch gerade zu den Bedingungen des jeweiligen Partners durchzuführen, sondern kann die Verhandlungen abbrechen und mit anderen Anbietern oder Nachfragern dieser Ware zu annehmbareren Bedingungen abschließen. Die 22

Vgl.a. Woll (Marktordnung), S. 127ff., wonach Wettbewerb nicht identisch mit vollständiger Konkurrenz ist.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

25

bloße Existenz einer solchen Ausweichmöglichkeit wirkt disziplinierend auf die Vorstellungen eines jeden Tauschpartners. Niemandem wird verwehrt zu versuchen, für sich das günstigste Ergebnis auszuhandeln. Weil aber alle so handeln, sind die Wirtschaftssubjekte gezwungen, das Bestehen einer Ausweichmöglichkeit und damit die anderer Anbieter oder Nachfrager in ihrer Kalkulation zu berücksichtigen. Der Wettbewerb ermöglicht ihnen somit, sich als reine „Mengenanpasser" zu verhalten. Die Wirtschaftssubjekte bestimmen Art und Umfang der von ihnen am Markt eingesetzten Ressourcen ausschließlich nach deren Preis.

b) Geld Voraussetzung dafür, daß der Markt seine Ordnungsleistung erbringt, ist, daß die Wirtschaftssubjekte ihre Nutzenvorstellungen durch das Angebot einer bestimmten Gegenleistung für ein Gut äußern. Diese Wertschätzung wird in Preisen ausgedrückt. Dem Geld kommt insoweit die Funktion eines Tauschmittels, Wertmaßstabes und Wertaufbewahrungsmittels zu. Es ist das Medium, durch das die Wirtschaftssubjekte auf dem Markt miteinander kommunizieren. Durch das Geld als Abstraktion der in einer Gesellschaft vorhandenen Tauschchancen23 werden eben diese Chancen von den konkreten Bedürfnissen ebenso wie von der Zeit unabhängig, so daß sie sogar als Kapital akkumuliert werden können.

c) Recht Der Markt bedarf schließlich zu seiner Funktionsfahigkeit einer spezifische Zuordnung der verfügbaren Ressourcen zu den Wirtschaftssubjekten. Diese Aufgabe übernimmt das Recht. Die ökonomische Effizienz ist durch die Zahlungsbereitschaft eines Wirtschaftssubjekts definiert. Man muß deshalb Vorsorge treffen, daß der Zugriff auf die Ressourcen nicht beliebig ist, sondern daß die Wirtschaftssubjekte Güter nur im Austausch gegen andere Güter erwerben können, dabei ihre Nutzenvorstellungen offenbaren und gegenüber anderen Nutzenvorstellungen im Wettbewerb abwägen müssen. Das bedeutet nichts anderes, als daß das Tauschprinzip institutionalisiert werden muß, um das Verhalten der Wirtschaftssubjekte nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung zu sichern. Diese Aufgabe des Rechts hat eine statische und eine dynamische Komponente. Der einfachste Weg, freie Güter auszuschließen, ist, die verfügbaren Ressourcen den Individuen zur jeweils ausschließlichen Nutzung zuzuordnen, so

23

Luhmann (Grundrechte), S.U.

26

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

daß andere Interessenten gezwungen sind, den Inhabern die Nutzungsrechts abzukaufen. Diese Aufgabe übernimmt das Privatrecht durch die Zuordnung von Eigentumsrechten an Ressourcen. Dabei genügt es, bloße Ausschließlichkeitsrechte zu schaffen, weil sich nach der ökonomischen Theorie die optimale Ressourcenallokation über den Markt von selbst herstellt. Die Gestellung von Eigentumsrechten enthält nun eher ein statisches Moment und berücksichtigt die im Tauschprinzip angelegte Dynamik nicht hinreichend. Die Rechtsordnung muß daher auch klarstellen, unter welchen Voraussetzungen der Inhaber eines Eigentumsrechts ausgewechselt werden kann. Hier findet das Vertragsrecht seinen Platz, indem es gewährleistet, daß sich tatsächlich die jeweils höchsten individuellen Präferenzen für die Nutzung der Ressourcen durchsetzen. Im Vertrag offenbaren sich nämlich mit dem vereinbarten Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zugleich die entsprechenden subjektiven Nutzenvorstellungen. Das Beispiel der Privatrechtsordnung zeigt, daß die ökonomische Theorie auch soziale Institutionen ausschließlich funktional, das heißt bezogen auf die Gewährleistung marktformiger Austauschprozesse versteht. Gemäß dieser Aufgabenstellung kann auch die Rechtsordnung auf ihre Eignung überprüft werden, die Herbeiführung einer optimalen Ressourcenallokation sicherzustellen. Dieser Frage soll im folgenden für das Verhältnis von Arbeitslosigkeit und Arbeitsrecht nachgegangen werden.

IV. Die Arbeitslosigkeit im neoklassischen Modell Die neoklassische Ökonomie wendet das dargestellte Modell auch auf den Arbeitsmarkt an. Sie unterstellt, daß dieser sich nicht von anderen Märkten unterscheidet24. Unter den dargestellten Bedingungen kann somit ein längerfristiger Bestand von Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau nicht vorkommen. Geschieht das doch, muß der Grund darin liegen, daß die marktmäßigen Sanktionen auf dem Arbeitsmarkt nicht wirken. Konsequent wird die in der Realität seit geraumer Zeit zu beobachtende Arbeitslosigkeit hinsichtlich Niveau und Struktur vor allem auf zwei Faktoren zurückgeführt: Auf einen zu hohen „Preis" der Arbeitskraft 25 und auf eine Arbeitsmarktstruktur, die einem betriebsgerechten Anpassungsverhalten in personeller Hinsicht entgegensteht26. Insgesamt geht es dar-

24 Z.B. Engels (Fn. 14), S. 67; Soltwedel (Arbeitsmarktverfassung), S. 171ff.; Ders. (Beschäftigung), S. 238fF.; Watrin (Fn. 16), S. 260; ^//(Wirtschaftspolitik), S. 180. 25 Vgl. außer den Nachweisen in Fn. 15/16 noch Risch (Kartelle), S. 265; Siebert (Nachwort), S. 193. 26 Vgl. außer Fn. 16 Keuche! (Neuordnung), S. 51 ; Soltwedel (Fn. 24), S. 171 u. S. 243.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

27

um, daß damit die Fixkosten der Arbeit und damit ihr relativer Preis unangemessen hoch sind. Im folgenden ist zu prüfen, weshalb daraus Arbeitslosigkeit entsteht.

7. Die Theorie marktwidrig

überhöhter Reallöhne

Eine verbreitete Erklärung für die Struktur der seit Mitte der 70er Jahre zu beobachtenden Arbeitslosigkeit bietet die Theorie der „marktwidrig überhöhten Reallöhne" 27 . Für sie beruht Arbeitslosigkeit auf einer Störung im Preismechanismus. Nach dem beschriebenen System der Preisbildung tendiert ein wettbewerblich organisierter Markt auf längere Sicht immer zu einem über den Preis vermittelten Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, ohne dieses jemals zu erreichen 28 . Übertragen auf den Arbeitsmarkt bewirkt dieser Mechanismus, daß das Arbeitsangebot bei steigendem Lohnsatz zunimmt, die Nachfrage hingegegen sinkenden Lohnsätzen folgt. Auf der anderen Seite wird die Nachfrage bei einer Zunahme des Arbeitsangebots zurückgehen; und die Arbeitnehmer werden sich mit ihren Arbeitsangeboten zurückhalten, wenn die Lohnsätze geringer werden. Insofern ist das Marktverhalten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber - und damit der Preismechanismus - eine unmittelbare Folge ihres individuellen Nutzenkalküls. Die Mengenreaktionen der Anbieter und Nachfrager verhalten sich gegenläufig. Der Preismechanismus sorgt dafür, daß mit steigendem Preis der Ware Arbeitskraft das Angebot zunimmt, die Nachfrage jedoch sinkt. Auf diese Weise sorgt der Preismechanismus unter den Bedingungen eines Wettbewerbsmarktes für ein den Marktbedürfnissen angepaßtes Verhalten der Individuen, wenn diese ihre Interessen mit Aussicht auf Erfolg vertreten wollen. Mit anderen Worten, auf einem wettbewerblich organisierten Arbeitsmarkt führt das über den Preis gesteuerte Zusammenspiel von angebotener und nachgefragter Arbeitsmenge dazu, daß jeder, der Beschäftigung sucht, diese zum Markt- oder Gleichgewichtslohn findet 29 . Der Konkurrenzdruck, der hier infolge gegebener Ausweichmöglichkeiten auf den Arbeitnehmern lastet, zwingt sie dazu, ihre Lohnforderungen bis auf das Niveau des Gleichgewichtslohns abzusenken, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Im neoklassischen Modell ist deshalb längerfristig keine Arbeitslosigkeit denkbar, sieht man von einem gewissen Prozentsatz Arbeitsunwilliger ab, auf die die Theorie der Wohlstandsarbeitslosigkeit zielt 3 0 . Das darf nicht dahin mißverstan27

Diekmann (Fn. 14), S. 46; Engels (Fn. 14), S. 6ff., 41, 44; Jäger/Weber S. 479, 488; Pfdhler (Fn. 14), S. 64; Stützel (Marktpreis), S. 19f.

(Fn. 6),

28

Weitzmann (Beteiligungsmodell), S. 39.

29

Soltwedel (Fn. 24), S. 238; Woll (Fn. 24), S. 178ff.

30

Auf die Theorie der Wohlstandsarbeitslosen wird noch näher einzugehen sein. Letzt-

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

28

den werden, daß unter diesen Bedingungen kein Arbeitnehmer entlassen wird oder selbst den Arbeitsplatz aufgibt. Auch im neoklassischen Modell ist auf kurze Sicht Arbeitslosigkeit möglich. Das ist allerdings nur verständlich, wenn man sich vom Bild eines einheitlichen und homogenen Arbeitsmarktes löst und sich stattdessen eine Vielzahl von Teilarbeitsmärkten vorstellt, die jeweils den beschriebenen Gesetzmäßigkeiten gehorchen, aber gegeneinander nicht abgeschüttet, sondern durchlässig sind. Es ist deshalb durchaus möglich, daß Arbeitnehmer auf für sie ungünstige Entwicklungen eines Teilarbeitsmarktes so reagieren, daß sie auf einen anderen Markt mit günstigeren Preisen wechseln 31 . Insgesamt betrachtet kann danach Arbeitslosigkeit auf einem oder mehreren Teilarbeitsmärkten durchaus auftreten. Gesamtwirtschaftlich, das heißt bezogen auf alle Teilarbeitsmärkte, ist dennoch nicht mehr als kurzfristig Arbeitslosigkeit möglich, weil in einem Arbeitsmarkt freigesetzte Arbeitnehmer jederzeit auf einem anderen Arbeitsmarkt zum dort geltenden Gleichgewichtslohn eine andere Stelle finden werden. Das „Marktprinzip" besagt danach, daß auf dem Arbeitsmarkt nicht erfolgreich ist, wer mehr als den Marktpreis für seine Arbeitskraft verlangt. Denn „das marktwirtschaftliche System der Koordinierung von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage gestattet jedem, der Beschäftigung sucht, zum Marktlohn Beschäftigung zu finden" 32 . Wenn aber im neoklassischen Modell Arbeitslosigkeit keine Dauererscheinung sein kann, dann ist es konsequent, die in der Realität gegebene Arbeitslosigkeit auf außermarktliche Ursachen zurückzufuhren. Neben anderen Gründen 33 wird die Schuld vor allem einer Störung des Preismechanismus durch exogene Einflüsse zugewiesen. Der Hauptvorwurf richtet sich gegen die bestehende Arbeitsmarktverfassung. Diese billige mit der Tarifautonomie ein System der Preisbildung, das der Bildung eines Gleichgewichtslohns strikt zuwiderlaufe und dadurch eine zu rigide Lohnstruktur absichere. Gerade das System der tariflichen Festsetzung der Löhne und Gehälter widerspreche wegen der daraus resultierenden Starrheit des Entgelts dem Erfordernis einer nach oben und unten elastischen Struktur 34 . Korrekturen werden insbesondere bei den Angehörigen der unteren Entgeltgruppen lieh handelt es sich aber um nicht mehr als eine Anwendung des neoklassischen Modells. Wenn individuelles Verhalten Nützlichkeitserwägungen folgt, wird ein Arbeitsloser Arbeit ablehnen, wenn sie ihm kein höheres Einkommen bietet als sein Sozialeinkommen. Dazu Olschok-Tautenhahn (Arbeitsanreize), S. 533. 31 Zur Theorie der Sucharbeitslosigkeit Hagedorn (betriebliche Praxis), 56; Woll (Fn. 24), S. 178fF. Kritisch Rothschild (Arbeitslose), S. 2Iff. 32

Soltwedel (Fn. 24), S. 238.

33

Dazu Jäger/Weber

34

(Fn. 6), S. 490; Soltwedel (Fn. 11), S. 111.

Giersch (Fn. 14), S. 18; Stützel (Fn. 27), S. 19f. Aufschlußeich ist hier die Diskussion zwischen dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff und Jungblut, in DIE ZEIT Nr. 17 und 19 v. April/Mai 1985. Noch weiter geht Weitzman (Fn. 28), S. 24, der eine unendliche Preiselastizität fordert.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

29

gefordert. Deren Löhne und Gehälter seien im Vergleich zu den sonstigen Produktions- und Kapitalkosten zu hoch. Die tariflichen Mindestlöhne und Gehälter müßten dem tatsächlichen „Knappheitsgrad" der jeweiligen Qualität von Arbeitskraft entsprechen, damit die Arbeitgeber nicht gezwungen seien, Arbeit durch Kapital zu ersetzen oder in sogenannte „Billiglohnländer" auszulagern. Die Verantwortlichkeit für die bestehende Arbeitslosigkeit ist bei dieser Argumentationskette von vornherein festgelegt. In den meisten Fällen wird die Höhe der (Nominal-) Entgelte i m Rahmen von Tarifverhandlungen festgelegt. Ein echtes Aushandeln zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer findet zumeist nicht statt. Die Tarifpartner verfolgen entgegengesetzte Interessen. Während die Gewerkschaften um möglichst hohe Löhne bemüht sind, streben die Arbeitgeber einen geringeren Abschluß an. A m Ende steht der Kompromiß. Das hier gefundene Ergebnis wird nicht zuletzt dadurch bestimmt, wie hoch die Lohnforderungen der Gewerkschaften im Anfang der Verhandlungen waren. Je höher der Tarifkompromiß schließlich ausfallt, desto stärker steigen die Arbeitskosten. Wenn nun die Preise für bestimmte Arbeitnehmergruppen zu weit vom Gleichgewichtslohn entfernt sind und diese den Arbeitgeber mehr kosten, als sie ihm einbringen, dann muß dieser Arbeitskräfte reduzieren, das heißt - bei gleicher Produktivität - durch billigere oder - bei gleichen Kosten - durch produktivere Maschinen ersetzen 35.

2. Institutionelle Arbeitslosigkeit a) Kündigungsschutzrecht als Flexibilitätshindernis In der Diskussion um die Ursachen der Arbeitslosigkeit nimmt der arbeitsrechtliche Bestandsschutz eine wichtige Rolle ein 3 6 . Man verweist auf ein enges komplementäres Verhältnis der Theorie der marktwidrig überhöhten Reallöhne und der Absicherung des Arbeitsplatzes 37 . Entsprechend den Ausführungen im

35

Jöhr (Fn. 5), S. 65.

36

Diekmann (Fn. 14), S. 27, 31, 37; Ders. (Beschäftigungsprobleme), S. 231; Engels (Fn. 14), S. 46; Hemmer (Sozialplanpraxis), S. 13Iff.; Jäger/Weber (Fn. 6), S. 495; Keuchet (Fn. 26), S. 56f.; Meyer (Rent Seeking), S. 889ff.; Sachverständigenrat (Fn. 16), Zf. 368, 377; Ders. (Jahrsgutachten 1989/90), Zf. 365f.; Schellhaaß (Kündigungsschutz), S. 73ff.; Ders. (Kündigungserschwernisse), S. 150ff., 165; Siebert (Fn. 25), S. 193; Ders JG. Lafay, Freihandel, S. 17f.; Soltwedel (Fn. 24), S. 174; Ders. (Fn. 24), S. 243; Ders. (Fn. 15), S. 388; Woll (Fn. 24), S. 178ff. Vgl. darüber hinaus Diekmann (Regulierung), S. 800ff.; Ders. (Arbeitsgesetzgebung), S. 4ff.; Walwei (Flexibilisierung), S. 219ff.; Weis (Beschäftigungsprobleme). 37 Dazu (e.p.) Meyer, ebd., S. 886f., 889; s.a. Diekmann (Fn. 14), S. 230; Erdmann (Fn. 16), S. 41; Soltwedel, ebd., S. 243.

30

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

vorherigen Kapitel führen über das Gleichgewichtsniveau hinaus angehobene Entgelte zwingend zu Mengenanpassungen oder Kündigungen durch die Arbeitgeber. Den wegen marktwidriger Löhne gekündigten Arbeitnehmern kommt der von den Tarifpartnern ausgehandelte höhere Lohn - gerade wegen dessen Marktwidrigkeit - nicht zugute. Das Prinzip der tariflichen Mindestlöhne und die damit möglicherweise einhergehende Störung des Preismechanismus wendet sich nur dann nicht gegen die Begünstigten, wenn die Arbeitgeber daran gehindert werden, auf diese Störungen ökonomisch rational zu reagieren. Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß dem Lohn seine ihm nach der neoklassischen Theorie zukommende Lenkungsfunktion dadurch genommen wird, daß man den Arbeitgeber hindert, auf betriebliche Personalbedarfsschwankungen flexibel zu reagieren. Der Faktor Arbeitskraft entspricht nicht mehr den Elastizitätsanforderungen. Der über den Preismechanismus gesteuerte Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist gestört. In dieser Perspektive dient der Schutz des Arbeitsverhältnisses der Sicherung und Durchsetzung des Prinzips der tariflichen Mindestlöhne. Dieses Ziel erreicht der arbeitsrechtliche Bestandsschutz jedoch nur sehr bedingt. Er geht in die Preisvorstellungen des Arbeitgebers ein und stellt insofern eine weitere Störung der Funktionsbedingungen des Arbeitsmarktes dar. Die Rede ist insoweit von „institutioneller Arbeitslosigkeit". Die These, der arbeitsrechtliche Bestandsschutz widerspreche dem Flexibilitätserfordernis und errichte hierdurch institutionelle Sperren auf dem Markt, wodurch der vormals variable Produktionsfaktor Arbeit zu einem fixen Faktor gerate 38 , ist einsichtig. Die auf den Schutz des Arbeitsverhältnisses zielenden gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen schränken die Alleinentscheidungsbefugnis des Arbeitgebers in personeller Hinsicht erheblich ein. Er ist nicht nur an die Mitwirkung seines Betriebsrates und diverser Behörden gebunden, sondern muß seine Entscheidung unter Umständen auch noch gerichtlich auf Rechtfertigungsgründe überprüfen lassen. A u f den ersten Blick überraschend ist allerdings die Behauptung, der Schutz des Arbeitsverhältnisses trage zur Verfestigung einer bestimmten Struktur der Arbeitslosigkeit bei. Besonders betroffen seien gering qualifizierte, ältere, in ihrer Gesundheit beeinträchtigte und weibliche Arbeitnehmer.

b) Die Überprüfung der Flexibilitätsthese anhand der Arbeitsmarktstatistik Die neoklassische Kritik an der Arbeitsmarktverfassung behauptet, der Arbeitsmarktzutritt sei lediglich Kehrseite der Möglichkeiten des Arbeitsmarktaus38

Siebert (Fn. 25), S. 193.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

31

tritts. Im Zusammenhang mit der Debatte um die institutionelle Arbeitslosigkeit bedeutet das, daß für einen Arbeitsuchenden die Chancen, in ein Arbeitsverhältnis zu gelangen, in dem Maße sinken, in dem das Kündigungsschutzrecht zu seinen Gunsten einen Arbeitgeber an der Herstellung personalpolitischer Flexibilität hindert. Für eine solche Korrelation sprechen in der Tat die Daten der Arbeitsmarktstatistik 39. Auffällig ist ein eigentümlich strukturierter Sockelbestand an Arbeitslosen. Trotz voll ausgelasteter Produktionskapazitäten und spürbaren Arbeitskräftemangels ab Mitte der 80er Jahre waren immer einige Arbeitnehmergruppen besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen oder profitierten in geringem Maße von diesen an sich günstigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Erst recht gilt diese Beobachtung mit der im Gefolge der wirtschaftlichen Rezession einsetzenden Krise auf dem Arbeitsmarkt. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit lag im Juni 1996 mit 7,6 Monaten zwar geringfügig unter dem Wert aus 1995 (8,1 Monate), aber deutlich über dem von 1986 bis 1991 beobachteten Wert von 6,7 Monaten. Dabei zeigen sich für die einzelnen Strukturmerkmale erhebliche Unterschiede. So sind Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die ohnehin schon im Bestand gegenüber den einzelnen Gruppen mit abgeschlossener Berufsausbildung 40 an der Spitze liegen, mit 8,2 Monaten auch überdurchschnittlich länger arbeitslos. Besonders kraß wirkt sich ihr Anteil an den Langzeitarbeitslosen 41 aus. Ähnliches gilt für die Bewegungsanalyse nach Altersdaten. Je älter die Arbeitslosen sind, desto schwerer fallt ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Während die Verweildauer bei Arbeitslosen unter 20 Jahren nach einer kontinuierlichen Abwärtsbewegung von 4,2 Monaten (1986) auf 3 Monate (1991) mittlerweile bei 4,6 Monaten (1996) liegt 42 , bleibt ein 60- bis unter 65-jähriger durchschnittlich 26,4 Monate arbeitslos; 1986 waren es noch 19,7 Monate. Aus-

39

Die im Text genannten Bestands- und Bewegungsdaten sind entnommen: ANBA 41. Jg., Nr. 3/1993: Übersichten I, 68ff., 122ff.; „Sonderheft Strukturanalyse 1995. Bestände an Arbeitslosen und offene Stellen". Beilage zu ANBA 44. Jg., Nr. 5/1996: Übersichten 1-16; „Arbeitsmarkt in Zahlen: Erste Ergebnisse der Strukturanalyse von Bewegungsvorgängen bei Arbeitslosen", Juni 1996: Übersicht 6„. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse findet sich in ANBA, 42. Jg.v. 30.05.1994, Sondernummer: Arbeitsmarkt 1993, S. 113ff., und ANBA, 44. Jg.v. 14.06.1996, Sondernummer Arbeitsmarkt 1995. 40 Die Kategorie „abgeschlossene Berufsausildung" umfaßt so heteronome Begriffe wie „betriebliche Ausbildung", Berufsfach-/Fachschule, Fachhochschule, Universität/Hochschule. 41 Das sind diejenigen, die schon ein Jahr oder länger arbeitslos sind. Bei der Bestandsanalyse sind hier inzwischen Werte von über 30 % zu beobachten. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hof (Langzeitarbeitslosigkeit), S. 7, 18ff. 42 Die zunehmenden Schwierigkeiten dieser Altersgruppe resultieren daraus, daß mittlerweile auch der Ausbildungsmarkt vermehrt Ungleichgewichte aufweist.

32

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

gehend von der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit von 7,6 Monaten beginnen die Probleme bei der Altersgruppe der 40- bis 45-jährigen 43 . Sie waren in der Vergangenheit fast immer überdurchschnittlich lange arbeitslos, wenn sie auch derzeit exakt dem Durchschnittswert entsprechen. Insgesamt besteht ein deutlich erkennbarer positiver Zusammenhang von Alter der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosigkeit. Seit 1986 (19,9 %) liegt der Anteil der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen kontinuierlich über 26 %. Der aktuelle Wert liegt bei 26,3 %. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Bewegungsanalyse wider. Hier ergibt sich eine weit überdurchschnittliche Verweildauer von 11,8 Monaten. Noch größer sind die Probleme Schwerbehinderter. Ihr Anteil am Bestand der Arbeitslosen ist zwar seit 1986 (6,0 %) vergleichsweise mäßig gestiegen. Dennoch beträgt ihre durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit 13,7 Monate gegenüber 12,2 Monaten in 1986. Und schließlich sind auch noch geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Verweildauer der Arbeitslosigkeit festzustellen. Schaut man allein auf die Bestandsanalyse, fällt auf, daß die Frauen seit Jahren weniger an der Arbeitslosigkeit partizipieren als die Männer 44 . Um so überraschender mutet es an, wenn die Frauen mit inzwischen 8,3 Monaten überdurchschnittlich lange arbeitslos bleiben und auch ihr Anteil an den Dauerarbeitslosen geringfügig stärker ist als der der Männer 45 . Insgesamt ist an der Arbeitslosenstatistik nach den Daten der Bewegungs- und Bestandsanalyse abzulesen, daß Personen ohne berufliche Ausbildung, ältere Arbeitslose sowie solche mit gesundheitlichen Einschränkungen verstärkt Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Angesichts des vorliegenden Materials ist leicht vorherzusagen, daß die Arbeitsmarktprobleme dort besonders drastisch auftreten, wo ein Arbeitsloser nicht nur eines dieser Merkmale aufweist. Im Arbeitsrecht genießen die mit den genannten Merkmalen behafteten Arbeitnehmer einen im Vergleich zum „Normal-" Arbeitnehmer erhöhten Schutz gerade auch des Arbeitsverhältnisses bzw. rechtfertigen den ihnen gewährten allgemeinen Schutz nicht durch die ihnen zugeschriebene oder vielleicht sogar tat-

43 Seit 1989 wird die größte Altersgruppe des Arbeitslosenbestandes mit aktuell 19,3 % von den 55- bis unter 60jährigen gestellt. Die Entwicklung ist seit 1986 kontinuierlich vorwärts geschritten. 44 Eines Erklärungsversuchs muß man sich hier enthalten. Bekannt ist der Hinweis, daß Frauen seltener in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, weil sie sich bei Arbeitslosigkeit auf ihre „Doppelrolle" als Hausfrau beziehen. 45 Eine denkbare Erklärung ist es, daß Frauen vermehrt von den Arbeitgebern seltener angebotene Teilzeitstellen nachsuchen. Auch das entspräche i.ü. der These von der „Doppelrolle" der berufstätigen Frau.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

33

sächliche Leistungsfähigkeit. Das spricht bei unbefangener Sicht statt für eine Begünstigung der Arbeitslosigkeit eher dafür, daß diese besonders geschützten Arbeitnehmergruppen selten die Arbeit verlieren. Wie ist diese Diskrepanz zwischen Arbeitsmarktstatistik und Anspruch des Kündigungsschutzrechts zu erklären? Anknüpfungspunkt ist das Bild des nutzenmaximierenden Arbeitgebers. Er entscheidet, ob ein Arbeitnehmer eingestellt oder gekündigt wird, ob ein Arbeitsplatz erhalten, verlagert oder total wegrationalisiert wird. Diese konkrete personalpolitische Entscheidung trifft er ausschließlich unter Kosten-/Nutzengesichtspunkten. Auf der Kostenseite wird er neben anderen Faktoren auch die im konkreten Fall anzuwendenden kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen verbuchen. Aus ökonomischer Sicht stellt nämlich die dem Arbeitnehmer hierdurch gebotene Sicherheit eine knappe Ressource dar, die nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden kann 46 . Der Arbeitnehmer muß sie mithin durch eine vom Arbeitgeber als äquivalent bewertete Arbeitskräfterentabilität verdienen. Das gilt gerade für die Einstellungs- 47 und Kündigungsentscheidung. Die größten Einstellungschancen haben danach Arbeitnehmer mit der höchsten erwarteten Nettowertschöpfung, während es für das Kündigungsrisiko grundsätzlich auf die Kosten der Weiterbeschäftigung ankommt 48 . In beiderlei Hinsicht kommen die Problemgruppen am Arbeitsmarkt im Vergleich zu anderen Arbeitnehmergruppen wegen ihres besonderen Bestandsschutzes schlecht weg. Es wird unterstellt, daß sie durch ihre Leistungsfähigkeit die Kosten des knappen Gutes „Sicherheit" nicht aufbringen können. Verlangen sie dennoch diese Sicherheit, müssen sie damit rechnen, mit einer geringeren Einstellungsbereitschaft der Arbeitgeber zu bezahlen.

c) Das Beispiel der älteren Arbeitnehmer In der Literatur 49 ist das Zusammenspiel zwischen arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz des Arbeitsverhältnisses und den Personalentscheidungen der Arbeitgeber am Beispiel der älteren Arbeitnehmer näher dargelegt worden. Ausgehend vom neoklassischen Modell wird gefragt, wann ein Arbeitgeber die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Betracht zieht. Die Antwort folgt aus dem hier geltenden einzelwirtschaftlichen Rentabilitätskalkül. Eine Kündigung wird in Aussicht genommen, wenn im konkreten Arbeitsverhältnis ein Mißverhältnis zwischen den laufenden Beschäftigungskosten und der Wertschöpfung 46

Meyer (Fn. 36), S. 889f. Der Vertragsschluß gelingt, wenn er ggb. dem vertragslosen Zustand Vorteile bietet (Tietz, Vertrag, S. 25). 48 Weis (Besitzstandsregelungen), s. 261 ff. 49 Wegen der Nachweise vgl. den laufenden Text. 47

3 Rütten

34

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

des Arbeitnehmers besteht50. Die Kündigung dient mithin der Beendigung einer ineffizienten Situation. Daß die entsprechenden Überlegungen des Arbeitgebers tatsächlich in eine Kündigungsentscheidung münden, steht damit aber noch nicht fest. Das hängt nicht allein von dem „Preis-Leistungsverhältnis" ab. Ein hier zu Lasten des Arbeitnehmers ermittelter Saldo führt vielmehr nur dann zu einer Kündigung, wenn die Kosten der Weiterbeschäftigung alle mit der Beendigung des Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Kosten übersteigen. Dabei schlagen neben den Aufwendungen anläßlich eines Kündigungsschutzprozesses (Prozeßkosten, Kosten juristischen Beistands, Abfindungen etc.) auch die Auswirkungen auf das Betriebsklima und das Arbeitsmarktimage ebenso wie Einarbeitungsverluste bei Neueinstellungen sowie eventuelle Weiterbeschäftigungsund Opportunitätskosten 51 zu Buche 52 . Die zuletzt genannten Kosten werden für die älteren Arbeitnehmer gering veranschlagt. Da selbst bei einer normalen Entwicklung des Arbeitsverhältnisses ihre weitere Verweildauer im Betrieb naturgemäß geringer ist als bei vergleichbaren jüngeren Arbeitnehmern, kann das in sie investierte Humankapital auch nur entsprechend kürzer genutzt werden. Auf der anderen Seite wird zu Lasten der Älteren in die Rentabilitätsanalyse eingestellt, daß diese im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen generell weniger leistungsfähig sein sollen 53 . Für den allein an der Verfolgung seines individuellen Nutzens orientierten Arbeitgeber entsteht bei einer Zusammenschau der genannten Faktoren in der Person des jeweiligen älteren Arbeitnehmers gleichsam ein Leistungsbilanzdefizit. Man sollte deshalb erwarten, daß diese Arbeitnehmergruppe vermehrt von Kündigung betroffen ist. Überraschenderweise ist aber gerade das Gegenteil der Fall 54 . Hierin ist allerdings mitnichten eine inkonsequente Abweichung vom einzelwirtschaftlichen Rationalitätskalkül durch die Arbeitgeber zu sehen. Es wirken sich vielmehr der erhöhte Schutz des Arbeitsverhältnisses zugunsten dieser Arbeitnehmergruppe und die damit verbundenen höheren Entlassungskosten aus 55 . Auf die Wirksamkeit dieser besonderen Schutznormen kann daraus noch nicht geschlossen werden. Ein rational handelnder Arbeitgeber wird zum Beispiel im Falle eines Konjunkturabschwungs zunächst die Arbeitnehmer mit den gering-

50

Weis (Fn. 48), S. 263; vgl. a. Schellhaaß (Fn. 36), S. 74.

51

Die „Opportunitätskosten" beschreiben den Humankapitalverlust infolge einer Kündigung. Sie sind um so höher, je wertvollere i. S. v. für den Betrieb verwertbare Kenntnisse der Arbeitnehmer besitzt. 52

Weis (Fn. 48), S. 263.

53

Dagegen Steffen/Niestrath (Ausgliederung älterer Arbeitnehmer), S. 98. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Franz (Fn. 7), S. 445, zum Stichwort „Senioritätsentlohnung". 54

Steffen/Niestrath,

55

Ebd.

ebd., S. 264.

Α. Die neoklassische Arbeitsmarktkritik

35

sten Kündigungskosten entlassen56. Mit zunehmender Rezession fallen aber die altersspezifischen Unterschiede bei den Kündigungskosten immer weniger ins Gewicht; die besonderen Schutzvorschriften für ältere Arbeitnehmer stellen keine Entlassungssperren mehr dar 57 , sie haben nurmehr retardierende Wirkung 58 . Wenn auch die negative Kosten-Nutzen-Bilanz der älteren Arbeitnehmer regelmäßig nur unter den besonderen Bedingungen einer zunehmenden Rezession in eine Kündigung mündet, stellt sie dennoch im neoklassischen Modell eine kaum zu überwindende Einstellungsbarriere dar 59 . Der Arbeitgeber wird nicht warten, bis sich die Kündigungsfrage als konkretes Rechtsproblem stellt, sondern bereits bei der Neueinstellung eines Arbeitnehmers dessen voraussichtliche Kündigungskosten kalkulieren. Er wird nur denjenigen einstellen, dessen voraussichtliche Produktivität seine - durch die Kündigungskosten erhöhten - Lohnsätze übersteigt 60. Zu Lasten älterer Arbeitnehmer wirkt sich somit nicht nur das Vorurteil geringerer Leistungsfähigkeit auf die Einstellungschancen aus. Eine Barriere sind vor allem der erhöhte Bestandsschutz sowie die Opportunitätskosten einer Kündigung 61 . Die dem Schutz des Arbeitsverhältnisses älterer Arbeitnehmer dienenden Vorschriften erreichen somit ihr Ziel nicht bzw. auf bloß kurze Sicht. Sie schützen ferner nur diejenigen Arbeitnehmer, die sich - noch - im Arbeitsverhältnis befinden. Im übrigen führen sie auf mittlere Sicht dazu, daß die begünstigten Arbeitnehmer diesen Schutz gar nicht erst erlangen, weil sie wegen dieses Schutzes nur noch selten eingestellt werden 62 . d) Schlußfolgerung Die vorgestellte Analyse betrifft zwar ausdrücklich nur die besonderen Bestandsschutzregeln zugunsten älterer Arbeitnehmer und dann auch wohl nur den Fall der betriebsbedingten Kündigung 63 . Ähnliche Überlegungen werden jedoch 56

Also Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz. Auslaufende befristete Verträge werden nicht verlängert. Bei betriebsbedingten Kündigungen fallt die Sozialauswahl wegen hoher Wertigkeit der Kriterien Betriebszugehörigkeit und Lebensalter i. d. R. zu Ungunsten jüngerer Arbeitnehmer aus. Tendenziell wird die Kritik deshalb auch von der keynesianischen Ökonomie geteilt (nach A. Schmidt, Fn. 5, S. 39). 57

Weis (Fn. 48), ebd.

58

Dazu allgemein Simitis (Verrechtlichung), S. 83.

59

Weis (Fn. 48), ebd.

60

Schellhaaß (Fn. 36), S. 74, unter Betonung der Kosten des Weiterbeschäftigungsanspruchs. 61

62

Weis (Fn. 48), S. 263

So ebd., S. 279. 63 Für die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, vgl. Sachverständigenrat (Fn. 36), Zf. 366.

36

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

für sonstige besondere Bestandsschutzregeln 64 und das allgemeine Kündigungsschutzrecht 65 mit seinen besonderen individual- 66 und kollektivrechtlichen Ausprägungen 67 angestellt. Die Schlußfolgerung 68, die allgemein gezogen wird, ist für den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz enttäuschend. Gerade der (besondere) Schutz des Arbeitsverhältnisses erreicht sein Ziel, dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu erhalten, nur sehr eingeschränkt, nämlich bei den Arbeitsplatzbesitzern. Im übrigen trägt er wegen der geschilderten Auswirkungen eine Tendenz zur Stabilisierung der Arbeitslosigkeit in sich, und zwar insbesondere bei den besonders geschützten Arbeitnehmergruppen. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, ist das Rezept für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schnell bei der Hand: Wenn Arbeitslosigkeit nur entstehen kann, weil für die Ware Arbeitskraft der falsche, zu hohe, Preis verlangt wird, kann die Lösung nur darinliegen, auf dem Arbeitsmarkt „mehr Markt" durchzusetzen, so daß das System der Preisbildung wieder funktioniert und die Arbeitskraft „billiger" wird.

B. Zur Kritik der neoklassischen Arbeitsmarktsicht Gegen die Behauptungen der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie werden verschiedene Einwände erhoben. Bemerkenswerterweise beziehen diese sich kaum auf die vorgetragene Kritik am arbeitsrechtlichen Bestandsschutz. Im Gegenteil, selbst diejenigen, die das neoklassische Verständnis der Abläufe auf dem Arbeitsmarkt bereits im Ansatz für verfehlt halten, heben die negativen externen Effekte

64 Allgemein Engels (Fn. 14), S. 46; Soltwedel (Fn. 24), S. 174; für weibliche Arbeitnehmer, insbesondere mit Bezug zum Mutterschutz vgl. Soltwedel (Fn. 15), S. 388; Zimmer (Arbeitnehmerschutz), S. 49ff.; für Schwerbehinderte vgl. Soltwedel (Fn. 11), S. 121. 65

Diekmann (Fn. 14), S. 31, 37; Ders. (Fn. 36), S. 231; Jäger/Weber

(Fn. 6), S. 495;

Sachverständigenrat (Fn. 16); Ders. (Fn. 36), Zf. 365; Sehellhaaß (Fn. 36), S. 174, 243. 66 Zum Weiterbeschäftigungsanspruch: Sehellhaaß (Fn. 36); vgl. a. Ders. (Fn. 36), S. 148; sowie Ders. (Weiterbeschäftigung), S. 2189ff. 67 Zu den Regeln über Interessenausgleich und Sozialplan vgl. Hemmer (Fn. 36), S. 13ff.; Sachverständigenrat (Fn. 16), Zf. 392; Sehellhaaß (Fn. 36), S. 139ff.; Ders. (Sozialpläne), S. 167ff.; Soltwedel (Fn. 24), S. 174; Ders. (Fn. 15), S. 392. 68 Deutlich beim Sachverständigenrat (Fn. 36), Zf. 365. Die Unternehmen messen dem Kündigungsschutzrecht z.T. höheren prohibitiven Stellenwert bei als der Entgeltpolitik (geringer Einstiegstarife oder untertarifliche Vergütung für Problemarbeitslose). Dazu z.B. Stihl: Kein Recht auf Arbeit, in FAZ v. 12.07.1990, S. 11; FAZ v. 31.07.1989, S. 9 (Meldung). Ferner: Ν erb (Flexibilisierung), S. 5ff., zu einer Studie der EG-Kommission; Neifer-Diehmann (Arbeitsmarktordnung), S. 586ff., S. 668ff.; Rameil (Wirtschaftsstandort), S. 14ff., allerdings mit umgekehrter Gewichtung der Faktoren. Vgl.a. Falke u.a. (Kündigungspraxis), S. 156ff.

Β. Zur Kritik der neoklassischen Arbeitsmarktsicht

37

des Kündigungsschutzrechts als Einstellungsbarriere hervor 69 . Die Bedenken beziehen sich vielmehr auf die Gleichstellung des Arbeitsmarktes mit jedem anderen Markt und damit auf die Übertragung der theoretischen Grundannahmen des neoklassischen Modells auf die Arbeitsmarktabläufe. Die Kritik kann im folgenden nicht umfassend dargestellt werden 70 . Hinzuweisen ist lediglich auf die Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Thema Kündigungsschutz relevant sind.

I. Zur Normalität des Arbeitsmarktes Vehement angegriffen wird die Behauptung 71 , der Arbeitsmarkt sei ein ganz normaler Markt, dessen Funktionsvoraussetzungen, insbesondere der Preismechanismus, auch hier gelten würden 72 .

7. „Märkte " Der Kritik ist zuzugeben, daß sich die Abläufe auf dem Arbeitsmarkt in wesentlicher Hinsicht von denen anderer Märkte unterscheiden. Hinlänglich bekannt sind Rohstoff- oder Bestandsmärkte einerseits und Hersteiler- oder Produktionsmärkte andererseits 73. Auf ersteren werden gegebene Bestände gehandelt, zum Beispiel Rohstoffe, Immobilien oder Wertpapiere. Der Leistungsaustausch folgt der Höhe der Preise, diese folgen der Nachfrage 74. Auf letzteren werden Leistungsströme gehandelt, das sind typischerweise produzierbare Güter. Hier ist das Angebotsvolumen mengenmäßig steuerbar. Im Gegensatz zu den Bestandsmärkten ist zur Wiederherstellung des Gleichgewichts keine Preisänderung erforderlich. Die Anbieter können auf einen Nachfragerückgang auch mit einer Anpassung der Kapazität reagieren, ohne die Preise ändern zu müssen75. 69

Z.B. Matzner (Arbeit vermarkten wie Bananen?), S. 28, 29; A. Schmidt (Fn. 5), S. 152; Spahn/Vobruba (Beschäftigungsproblem), S. 18. Vgl. a. a. Büchtemannn (Beschäftigungshemmnis), S. 394ff., der sich aus Gründen empirischer Evidenz gegen die These von den beschäftigungspolitischen Nachteilen des Kündigungsschutzrechts ausspricht. Eine Gegenüberstellung der Argumente bietet Walwei (Fn. 36). 70 Dazu Buttler (Fn. 10) und Neumann (Fn. 21). 71 Nachweise in Fn. 24. 72

73

Matzner (Fn. 69), S. 28; Spahn/Vobruba (Fn. 89), S. 2, 3.

So schon Ricardo (Works), S. 12. Vgl.i.Ü. Robinson/Eatwell (Volkswirtschaftslehre), S. 211-226; Streissler/Streissler (Fn. 18), IV Rn. 2ff., 50ff., 103; Woll (Fn. 18), S. 73ff., 203ff., jew. e. p. 74 Robinson/Eatwell, ebd., S. 49f., 211, 213ff.; Spahn/Vobruba, ebd., S. 3, 4. 75 Robinson/Eatwell, ebd., S. 219ff.; Spahn/Vobruba (Fn. 69), S. 2, 3.

1. Teil: Institutionelle Arbeitslosigkeit

38

Für den Arbeitsmarkt treffen die beschriebenen Reaktionsmuster nicht zu. Das vorhandene Arbeitsangebot ist zunächst eine Bestandsgröße 76. Die Arbeit selbst wird aber in einer modernen Marktwirtschaft nicht in Beständen gehandelt, das entspräche einer Sklaven Wirtschaft 77 , sondern in Leistungsströmen. Das akzeptiert auch die neoklassische Theorie. Abgesehen davon, daß Arbeit nicht gelagert werden kann, ist sie ansonsten wie jedes andere Gut beliebig teilbar und soll deshalb als Stromgröße behandelt werden 78 . Es gilt aber auch nicht der einen Produktionsmarkt kennzeichnende Mengenmechanismus79, denn aus eigener Kraft können die Arbeitnehmer das Angebotsvolumen nicht verknappen 80 , solange sie existentiell 81 auf den Verkauf ihrer Arbeitsleistung angewiesen sind. Damit ist aber für den Arbeitsmarkt die Trennbarkeit von Menge und Preis als Dimensionen des Angebot-Nachfrage-Schemas in Frage gestellt 82 . Der Zurückweisung beider Steuerungsprinzipien für den Arbeitsmarkt entspricht die Beobachtung, daß die Arbeitnehmer bei sinkenden Preisen nicht weniger, sondern mehr Arbeitskraft anbieten 83 . Von der neoklassischen Ökonomie wird hiergegen eingewandt, daß der Preismechanismus sich nur dann Geltung verschaffen könne, wenn die Arbeitnehmer nicht durch finanzielle Anreize davon abgehalten würden, bei sinkenden Preisen auf einen anderen Teilarbeitsmarkt zu wechseln 84 . Dies überzeugt indes alleine dann, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeitsplatzwahl ausschließlich von finanziellen Überlegungen leiten läßt 85 . Das ist angesichts der Ergebnisse der Arbeitslosenforschung wenig wahrscheinlich.

2. Die Einflußfaktoren

des Arbeitsmarktes

Die Kritik fordert sodann, solange von einer Gleichsetzung des Arbeitsmarktes mit anderen Märkten abzusehen, wie das hier zu beobachtende Zusammen76

Offe (Arbeit und Wohlstand), S. 179; Oers JHinrichs (Sozialökonomie), S. 6ff., 15ff.; Schrüfer (Ökonomische Analyse), S. 44; Spahn/Vobruba, ebd., S. 3f. 77 Vgl. dazu etwa Watrin (Fn. 16), S. 25. 78 Nach Schrüfer (Fn. 76), S. 32. 79 Eingehend Rothschild (Marktmechanismus), S. 16,17; Spahn/Vobruba (Fn. 69), S. 4. 80

Offe (Fn. 76), S. 179; Spahn/Vobruba,

ebd., S. 3f.

81

Der Begriff „existentiell" bezieht sich nicht auf einen im Wohlfahrtsstaat nicht begründbaren Zusammenhang von Arbeitseinkommen und biologischer Existenz, sondern auf die Bedeutung der Arbeit für Bildung und Ausprägung der Persönlichkeit eines unselbständig Tätigen. 82

Streissler/Streissler

(Fn. 18), IV Rn. 71 f.

83

Kronke (Regulierungen), S. 438; D. Reuter (Die Rolle des Arbeitsrechts), S. 165ff., zumindest für die Frühphase des modernen Arbeitsrechts; Spahn/Vobruba, ebd., S. 4; Streissler/Streissler, 84 85

ebd., IV Rn. 140.

Woll{Fn. 24), S. 178