Il Milione (Die Reisen des Marco Polo, nach der toskanischen Ottimo-Fassung 1309, unillustriert)

Der Venezianer Marco Polo (1254-1324) reiste 1271 mit Vater und Onkel wahrscheinlich auf der Route Türkei-Persien-Pamir-

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German Pages 182 Year 1984 (1971)

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Il Milione (Die Reisen des Marco Polo, nach der toskanischen Ottimo-Fassung 1309, unillustriert)

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Der Venezianer Marco Polo (1254-1324) reiste 1271 mit Vater und Onkel wahrscheinlich auf der Route Türkei-Persien-PamirLopnor nach Peking und lebte zwanzig Jahre im mongolischchinesischen Reich des Kublai Khan. Nach der Heimkehr in genuesische Gefangenschaft geraten, diktierte er 1298/99 seine berühmte Reisebeschreibung, die dem Abendland erste genauere Kunde vom Fernen Osten brachte. Die Taschenbuchausgabe des »Il Milione« (Originaltitel folgt der toskanischen OttimoFassung von 1309, die von Ulrich Koppen übersetzt wurde. Ein Vorwort von Giorgio Manganelli (»Amore«) stellt den geschichtlichen Zusammenhang her. Das Taschenbuch erschien zum Anlaufen der großen, in italienisch-chinesischer Gemeinschaftsproduktion an den Originalschauplatzen entstandenen Fernsehserie »Marco Polo«.

Marco Polo

Il Milione Die Reisen des Marco Polo Nach der toskanischen ›Ottimo‹-Fassung von 1309 ins Deutsche übertragen von Ulrich Koppen Vorwort von Giorgio Manganelli

ein Ullstein Buch Nr. 20371 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Der Übertragung des Textes ins Deutsche liegt der im Istituto Editorale Italiano 1960 erschienene »II Milione« zugrunde, den Fabio Caddeo herausgegeben hat. Ungekürzte Ausgabe Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann Umschlagfoto: Standfoto aus der RAI-Fernsehserie über Marco Polo Landkarte: Gerhard Wardin Alle Rechte vorbehalten © 1971 Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien (Propyläen Verlag) Vorwort © Copyright by Editori Riuniti Via Serchio, 9/11 – 00198 Roma Printed in Germany 1984 ISBN 3 548 20371 X

Vorwort Eine seltsame Konstellation von Rätseln, Ironien und vieldeutigen Hinweisen bestimmt die Entstehung von Marco Polos Milione, eines der großen Bücher der europäischen Kultur. Ist es nur eine Laune des Schicksals, dass dieses Buch, das einen bis dahin von keinem Menschen durchmessenen Weltenraum behandelt, in dem engen und immer gleichen Bereich eines Gefängnisses diktiert wurde? Sie waren ja zu dritt nach Asien gereist und wieder, zurückgekehrt: Marco, sein Vater und dessen Bruder. Doch nur Marco fiel die Aufgabe zu, Zeugnis abzulegen, nicht als eine Auszeichnung, sondern weil er im Krieg gefangen und in den Kerker geworfen wurde. Und nun tut sich hinter den grauen Wänden seines Genueser Kerkers ein unendlicher geistiger Raum auf, der nicht aus überprüfbaren Materialien und Dokumenten besteht, sondern einzig und allein aus Erinnerungen, genauer gesagt: aus Worten. Ganz Asien, von Sibirien bis China, Tibet, zur Insel Java, Indien, steckt in der menschlichen Nussschale eines arbeitenden Gehirns, ein unbeweglicher, in eintönige, leblose Stunden gebannter Körper. In dem Genueser Gefängnis wird Marco Polos Reiseweg zu dem, was er für uns ist, nicht Beschreibung, Dokument, sondern »Geschichte«; eine zwar wahrheitsgetreue, aber ganz und gar geistige Erfindung von etwas, das existiert, nicht weil es erfahrbar ist, sondern erzählbar und Stoff der Erinnerung. II Milione wurde nach sechsundzwanzig Reisejahren in einem Jahr der Klausur geschrieben. Diese Verwandlung eines Mannes, der als Botschafter des Großkhans die Gebiete Chinas durchzog, in eine unbewegliche Stimme, ist bestimmt eine Laune des Schicksals, ein raffinierter, grausamer Scherz: Doch wäre er nicht gefangen und eingekerkert worden, Marco Polo hätte nie entdeckt, dass sein gewaltiges Leben durch die Labyrinthe einer grenzenlosen Erinnerung vorgezeichnet war, und mehr noch, dass sich ihm die Erinnerung ohne die gerings-

te Spur von Emotionalität darbot: Die erinnerten Dinge »stehen still«, sind unerschöpfliche, aber starre Bilder, an einem Ort verwahrt, der seinem Abgeschlossen-, seinem Vollendetsein weder etwas hinzuzufügen, noch zu nehmen vermag. Bevor es erzählt werden konnte, wollte das Asien Polos erst getötet werden. Der Erzähler ist dermaßen in den vollendeten Raum der Erinnerung versenkt, dass er nicht weiß, nicht wissen kann, dass die Geschichte des Orients auch in seiner Abwesenheit weitergegangen ist. Er weiß daher nicht, dass Kublai-Khan, der Herrscher, den er bewunderte und liebte, inzwischen gestorben, im unermesslichen Raum eines Erdteils verschollen und unsterblich nur im Buch seiner Erinnerung ist. Dass er nicht um den Tod Kublai-Khans wusste, ja dass er diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht gezogen hatte, beweist, dass für Polo Asien ein Ort des Geistes war, etwas zugleich Erfahrenes und Erdachtes, etwas auch, das ohne den großen Fabulierer eben nicht mehr stattfand und daher aufgehört hatte, Ort von Schlachten, Machtgelüsten und mannigfaltigem Sterben zu sein. Er hat Asien »verlassen«, und nun ist es nur noch ein unendliches Bild, so unendlich, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob zweihundert Bücher oder zweihundert Kapitel darüber geschrieben werden. Die riesige Weite dieses Landes ist die geheimnisvolle Weite des Blickes, des Geistes, der Seele, die es ermessen und erkannt hat. Asien ist unauslotbar, weil Marco Polo unauslotbar ist. Um sechsundzwanzig Jahre seines Lebens und Reisen von Tausenden von Tagesstrecken festzuhalten, schreibt Marco ein ziemlich dünnes, lakonisches Buch, das nichts Hastiges hat, sich aber in keinem Fall der körperlichen Lust der Berührung, der Entdeckung, der Enthüllung jener unbekannten Länder hingibt. Selten scheint Erregung durch, öfter jedoch die Aufmerksamkeit, die Genauigkeit, die Geduld desjenigen, der damit befasst ist, die Regesten einer Welt zu erstellen. Das vorzügliche Gedächtnis und die Geduld des Reisenden machen diesen schmalen Band zu einem dichten, reichen Werk von beschauli-

chem Rhythmus, in dem der Leser zahllose Spuren, Hinweise und Anspielungen verfolgen kann. In seinem Gefängnis diktierte Polo II Milione einem Mitgefangenen, der schon seit vielen Jahren eingekerkert war: Rustico da Pisa, Sänger mittelalterlicher Sagen und Legenden. Von diesem Rustico, der ein weiteres Rätsel darstellt, will ich später sprechen. Das Buch erfährt so eine Reihe von Metamorphosen. Erstens: Es wird von Rustico in französischer Sprache niedergeschrieben, im entstellten Französisch der fahrenden Sänger. Aus einer rätselhaften Laune des Schicksals oder vielleicht des Buches selbst ist dieser ursprüngliche Text verlorengegangen – dieser Text, entstanden aus der Begegnung eines wortkargen Forschers mit einem geschwätzigen Bänkelsänger, der vielleicht nicht nur von der langen Qual der Gefangenschaft, sondern auch von den Fesseln, die dadurch seiner rastlosen Phantasie auferlegt wurden, zermürbt war. Als Polo wieder aus dem Gefängnis kam, überarbeitete er den Text noch einmal, fügte vielleicht Anmerkungen hinzu; doch wie dem auch sei – das Ganze ist verschollen. II Milione erscheint zwar, aber sämtliche Ausgaben beruhen nur auf Übersetzungen, weil dies unendlich viel gelesene, in alle erdenklichen Sprachen übersetzte Buch sich geweigert hat, in seiner ursprünglichen Fassungzu existieren. Ein Buch, das nur in Übersetzungen überlebt, und nicht selten in sehr voneinander abweichenden und stets unvollständigen Versionen, muss ein recht bizarres Buch sein. Warum wollte dieses Buch nicht existieren? War ihm etwa die zweideutige, sich zwischen Chronik und Märchen bewegende Sprache zuwider, in der Rustico es aufgezeichnet haben muss? Oder wollte es vielmehr »sterben«, damit II Milione sich in unzählige »fast« genaue Texte vervielfältigen konnte, in denen Asien mit all seiner Unruhe einer magischen und zugleich realen Welt wieder Gestalt annahm? Vielleicht konnte jenes Buch, das nicht direkt aus Polos Hand stammte, nicht überleben; es konnte nur zahllose II Milione zeugen, Bücher, die nur für den Leser, den Kopisten, den Übersetzer gemacht waren. Der zentrale Kern, das, was Polo gese-

hen und erlebt hatte, durfte nicht bleiben, um in seiner strengen, bedächtigen Prosa die Grenzen der Welt festzulegen. An seine Stelle mussten immer neue Texte treten, von denen keiner erschöpfend war und die Asien stets etwas hinzufügten oder etwas davon verschwiegen oder einfach mit Abweichungen, Ungenauigkeiten berichteten. So gewann das in der Erinnerung bereits fixierte Bild Asiens wieder falsches, neues Leben, wurde wieder zur »Welt«, zum Ort, an dem die Dinge nicht aufhören sich zu verändern, die Ereignisse nicht aufhören zu geschehen, bis zahllose Tode sie schließlich vernichten. Wir können uns vorstellen, dass der Urtext des Milione durch die Texte, die aus ihm geboren werden wollten, »getötet« wurde, durch all die ungeduldigen, ungenauen Texte der Übersetzer und Kopisten, denen wieder die Freiheit gegeben werden musste, sich in ihrer Phantasie ein neues Asien zu schaffen. Durch jenen Tod wurde II Milione, entstanden aus der exakten Erinnerung, zu etwas, das dem Märchen und der Phantasie freies Spiel ließ, zu etwas, das nur in seinen unzähligen Varianten existiert, sodass der Versuch, eine endgültige Ausgabe davon herzustellen, unrecht wäre. Das vollkommene, im Gefängnis gezeichnete Asien wird zu einem zersplitterten, unzählbaren, stets ungenauen Asien, zu den Texten, die alle etwas verzerrt aus jenem »großen toten Text« hervorgegangen sind. Und wegen dieser bizarren Geschichte scheint uns 11 Milione immer zu entgleiten, wenn wir das Buch in einer seiner möglichen Fassungen lesen; es ist ein unruhiges und unbeständiges Buch, ein Buch, das umherirrt, als wäre es ein Märchen und nicht die getreue Niederschrift eines unwahrscheinlichen und doch so realen Lebens. An diesem Punkt stehen wir vor einem fast unlösbaren Rätsel: Warum hat Marco Polo das Buch gerade dem Rustico diktiert? Wer ist dieser Rustico? Man weiß wenig von ihm, aber es mag genügen, um eine so zwiespältige und doch zugleich faszinierende Situation zu erhellen; Rustico ist der Verfasser – in Französisch – von Kompilationen aus dem Stoffkreis der Ritter der Tafelrunde; und eine dieser Kompilationen hatte sogar ei-

nen gewissen Erfolg bei den Höfen. Doch er ist kein Schriftsteller: Er fabriziert vergängliche Bücher, erzählt fremde Geschichten, Märchen und Sagen, er liebt die Liebe, ergötzt sich an schrecklichen und phantastischen Leidenschaften, genießt den stummen Lärm, den die winzigen Schlachten machen, die seine Hand behütet. Er ist kein Poet, aber er weiß mit rauer Anmut zu erzählen, was alle wissen; und seine allen bekannte, erfundene Welt, jener große, ein wenig monströse Körper, in dem Platz war für Verzauberungen und Entfremdungen, Morde, Rasereien und wilde Leidenschaften, dieses Labyrinth aus Fleisch und Halluzinationen, hat zu verfallen begonnen, verliert nunmehr seine vielfarbigen Glieder. Rustico ist der Kompilator wundersamer Geschichten, die durch die Ahnung ihres nahen Endes leicht verwässert und vergiftet sind. Wir können uns vorstellen, dass Rustico sich während der Gefängnisjahre noch tiefer in jene Gegenwelt geflüchtet hat, dass er in sanften Wahnsinn gefallen war, denn ein Sänger, ein Vagabund kann sich im Gefängnis nur verzehren, kann nur sterben. Was bedeutet für ihn die Begegnung mit Marco Polo? Es ist unmöglich, dass er nicht versucht hat, Marco Polo, den Mann, der ihm sagte, er habe das Einhorn gesehen, zu interpretieren. Und an diesen Geheimnisvollen, der aus dem Morgenland gekommen war, um im Kerker von Genua zu enden, klammerte er sich wohl, um der Monotonie seines Leidens, der leicht schwachsinnigen Trostlosigkeit der Einsamkeit zu entgehen. Marco Polo rettete ihn, doch er war nicht gekommen, um ihn zu retten; er war gekommen, um ihn zu vernichten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Rustico das begriffen hat, nicht ausgeschlossen, dass er in jener Wunderleistung der Erinnerung, der Erinnerung einer wahren, »anderswo« existierenden Welt, das Ende jener Welt erkannt hat, zu deren letzten Sängern er gehörte. Sicher musste es zwischen Marco Polo und Rustico zu einer Herausforderung kommen, und vielleicht suchte der arme, schlaue Rustico den Weltenfahrer in seine unbewegliche, extravagante Geschichte zu verstricken. Rustico versuchte zu

panschen, »das Märchen« in jenes geniale, aber zugleich naive, dem allgemeinen Publikumsgeschmack kaum Rechnung tragende Buch einzuschmuggeln; und deswegen wollte der Urtext nicht überleben und zog es vor, sich in zahllose, fast glaubhafte Fälschungen aufzulösen. Marco Polo war kein Mann der Märchen und Sagen, gewiss kümmerte ihn die Tafelrunde wenig. Sein Auge war scharf und genau, er hatte gesehen, mit Händen berührt, erkannt. Mann der heroischen Geduld, aber nicht des dekorativen Heldentums, hatte er seinem Buch kaum Spuren der Gefahren und Schrecken, die er gewiss hatte bestehen müssen, eingeschrieben. Er war kein Paladin: Er war Kaufmann, Beamter des Tatarenherrschers, dem vor allem daran gelegen war, Auskünfte über die Währungen, das Wild, die Religionen, die Haustiere, die Speisen, die Sprachen der Welt, die er bereist hatte, zu erteilen. Die Begegnung zwischen Rustico und Marco Polo war die Begegnung zweier unvereinbarer Welten, und doch entstand aus der unmöglichen Zusammenarbeit dieses wundersame Buch, dieses Märchen und Nicht-Märchen zugleich. Rustico erfuhr als erster, welche Wunder die bewohnbare Welt in sich schloss, unvorhersehbare Wunder im Unterschied zu den Märchen, die sich noch in den bretonischen Wäldern verbargen. Und wenn es ihm auch gelang, ein paar Sätze aus seinem Repertoire einzufügen, so musste er doch wohl wissen, dass mit jenem Buch, dem Buch, das er mit eigener Hand geschrieben hatte, die Zauberwelt, von der und mit der er gelebt, untergegangen war, unendlich gealtert und zu Tode verwundet. Es wird allgemein angenommen, dass, wenn Rustico überhaupt irgendwo etwas Eigenes hinzufügen konnte, dies bei den Beschreibungen der Schlachten geschehen sein muss: Polo war kein Stratege, Rustico dagegen war seit jeher mit fiktiven Schlachten vertraut. Nehmen wir an, dass die Vermutung ausreichend begründet ist, und lesen wir dazu eine Schlacht nach, das Treffen zwischen dem Großkhan und Najam, Kapitel 66: »Als beide Seiten endlich vorbereitet waren und die großen

Trommeln gerührt wurden, gingen sie aufeinander los und begannen, mit Speeren und Schwertern einander zu bekämpfen. Es war eine sehr grausame und tückische Schlacht, bei der so viele Pfeile durch die Luft flogen, dass es wie Regen wirkte. Pferde stürzten zu beiden Seiten, und der Lärm war so groß, dass man nicht einmal einen Donnerschlag gehört hätte. Und ihr müsst bedenken: Najam war getaufter Christ, der das Kreuz zum Feldzeichen hatte.« Diese Zeilen enthalten zwei Mitteilungen: dass die »Trommeln« gerührt wurden und dass Najam Christ war. Alles Übrige ist Geschwätz, das zu jeder beliebigen Schlacht passt, vor allem, wenn sie sich in einem Buch abspielt. Marco Polo verschwendet keine Zeilen, um uns zu sagen, dass die Schlacht »grausam und tückisch« war; das weiß man ja, es war schließlich eine Schlacht, wie sollte sie sonst sein? Wenn ich mich nicht täusche, sehen wir hier Rustico und Polo gegeneinander antreten: der eine mit seinen ständigen Empfindungen, die kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun hatten, der andere mit seinem unbeugsamen Interesse für das, was er gesehen hat, was er weiß – all dem, was wir eben einen Bericht nennen könnten. Und es ist wohl kein Zufall, wenn wir im letzten Kapitel des Milione wieder eine Schlacht finden, in der man »nichts als Pfeile sah«, in dem es heißt: »Groß war die Zahl der Toten und Verwundeten«. Dazu dann der Trost eines schönen Satzes: »Die ganze Welt schien blutverschmiert.« Doch das Blut, das »die ganze Welt« bedeckte, war das Blut Rusticos, des aus gemordeten Märchen bestehenden Mannes. Und doch hatte die Begegnung zwischen Marco Polo und Rustico noch eine andere Bedeutung: Zu jenem Zeitpunkt geriet Marco an den falschen Gesprächspartner, da er erst den dichten Wald der Märchen durchqueren musste, um zu der messbaren Sage von der Welt vorzustoßen, in die er vorgedrungen war. Rustico war nicht nur der Schreiber und vielleicht Manipulator, ja Fälscher; er war der Gefährte für Polo und dessen großes literarisches Unterfangen, gerade weil er ihn nicht

verstehen konnte, weil er ihm fremd war, willfährig und feindlich zugleich. Zwischen Rustico und Polo wurde innerlich eine entscheidende Schlacht geschlagen, stumm und vielleicht ohne dass beide darum wussten. Denn bevor Polo restlos verstanden werden konnte, musste er erst missverstanden werden. Von diesem Missverständnis zeugt deutlich der Titel: II Milione ist offensichtlich ein gefälschter Titel, doch er ist es zweifach, da er aus der Entstellung eines Namens – Emilione – hervorgeht, mit dem das Geschlecht der Polo bezeichnet wurde. Emilione wurde also zu Milione, und Milione wurde aus einem Namen zur Zahl und zur Sage. Dieser Name wies nämlich durch seinen ihm anhaftenden phantastischen Geschmack auf den Titel des verlorenen Originals zurück: Livre des Merveilles. So wurde also II Milione als neue Sage gelesen, was ja richtig war, da es sich um eine so neue Sage handelte, dass sie den alten den Atem ausgehen ließ. In unseren Augen erscheint II Milione heute als das Buch, das eine neue Sicht der Welt ankündigt und zugleich auch den endgültig verändert, der mit ihr in Berührung kommt. Es ist ein Buch unermesslicher Klarheit, wo wir der Explosion der Erfahrung als greifbarem und geistigem Moment des Abenteuers beiwohnen. Wenn die bezaubernden Märchen der Tafelrunde ein endloses Labyrinth ohne Ausgang bildeten, so schlug Marco Polos Buch einen Reiseweg vor, an dem sich alle Märchen aufreihen konnten, bis in die Unendlichkeit, weil ein Märchen aus dem anderen, eine Erfahrung aus der anderen entstand. Doch welche Rolle, welches Bild kommt diesem Mann zu, der sich in das Asien der Tataren vorwagte? Marco Polo ist weder der Held, noch der Umherirrende, noch das Genie. Der Ton seiner Erzählung weiß nichts von exemplarischer Personifizierung, er ist weder episch, noch magisch beschwörend. Und zugleich trägt dieser stilistische Verzicht dazu bei, dem Verfasser, dem Weltenfahrer, seine zufällig und endgültig großartigen Dimensionen wiederzugeben. Die leise Prosa dieses endlos übersetzten und doch unerreichbaren Buches wird uns nie mehr verlassen.

Aber die Schwierigkeit, den Menschen Polo, diese zugleich so geheimnisvolle und beeindruckende Gestalt zu deuten, verfolgt uns irgendwie. Auf welche Weise reiste Marco Polo? In einem Kapitel des »Prologs« scheint Marco Polo eine Definition seiner selbst zu versuchen: Vom Großkhan als Gesandter ausgeschickt, »kehrte Marco wohlbehalten zurück und berichtete von seinem Auftrag und anderen Neuigkeiten, nach denen man ihn fragte. Er hatte nämlich erlebt, dass andere Boten von ihren Missionen in andere Länder zurückgekommen waren und nichts zu berichten wussten als das, was man ihnen aufgetragen hatte. Das hielt der Großkhan für töricht, und er sagte, Leben und Bräuche der Länder interessierten ihn mehr als die Ergebnisse seiner Aufträge. Da Marco dies wusste, lernte er möglichst alles genau, um es dem Großkhan berichten zu können.« Marco Polo sieht sich selbst also als der, der beobachtet, notiert, aufnimmt; seine besondere Eigenschaft ist, auch das zu »sehen«, was außerhalb seiner Erkundungspflichten liegt. Das ist eine bestechende, aber vielleicht allzu vereinfachende Definition. Der Venezianer ist nicht nur ein gieriges, genaues Auge, das späht und aufnimmt, er ist in ein Abenteuer verwickelt, bei dem er nicht umhin kann, sich selbst ganz hinzugeben. An diesem so gewaltsam realen, greifbaren und fernen Buch fallen die nicht seltenen Andeutungen in Bezug auf »Zauberer«, Teufel und Wunder auf. War er also ein abergläubischer Europäer auf einem Streifzug durch wilde, phantastische Länder? Betrachten wir die »Zaubereien« genauer, sehen wir, dass sie oft mit zwei Voraussetzungen Zusammengehen: mit der Wüste und der Nacht. Die Gespenster der Wüste täuschen den einsamen Reisenden und locken ihn in die Irre, verfolgen ihn mit teuflischem Blendwerk. Marco Polo war Christ und somit Träger einer phantastischen Mythologie, in der sehr wohl Dämonen, Wüsteneien und teuflisches Blendwerk vorkamen. Doch auf dieser Reise führt ihn seine Auffassung vom Christentum nicht dazu, Andersgläubige zu verdammen, zu bekehren oder zu verteidigen. Sie führt ihn stattdessen zur Entdeckung von Bildern, Zeichen und Orten. Die Dämonen der christlichen Mythologie

schweifen »per arida loca« (durch öde Stätten); die Anachoreten gehen in die Wüste, um die Dämonen herauszufordern, nicht um ihnen zu entfliehen. Und die Nacht, genauer gesagt, Höllenzauber und teuflisches Blendwerk, sind eine weltliche Metapher des »Reiches der Finsternis«. Wenn Marco auf seinen Wanderungen durch öde Gegenden und durch allegorische Nächte Dämonen begegnet, so bedeutet das, dass der Reisende und die Völker, denen er begegnet, sich in derselben mythischen Dimension bewegen: Die nächtlichen Dämonen der Wüste verfolgen den Fremden wie den Eingeborenen; wie sollte Marco Polo ihnen daher nicht begegnen? Ich möchte zwei Begebenheiten näher betrachten, die vielleicht Marco Polos Weise, »Christ zu sein«, erhellen. In der Provinz Persien, die wenige Jahre zuvor von den Tataren »verwüstet« wurde, findet Marco die Gräber der Heiligen Drei Könige und erzählt deren Geschichte. Aber nicht die traditionelle christliche Geschichte, sondern eine andere, die er nur vor Ort gehört haben kann und in der unschwer zoroastrische Spuren zu erkennen sind und dazu die einer anderen alten Legende, in der die drei Könige für die drei Zeitalter des Menschen stehen nach einem Mythos, in dem sich eine alte persische Überlieferung mit einer christlich-armenischen Tradition vermischt hat. (Man lese dazu die hochinteressanten Anmerkungen zum Milione von Giorgio R. Cardona, Mailand, 1975.) Seine »Drei Könige« fallen also zugleich unter die ursprünglichen geistigen Voraussetzungen seines Christentums wie unter die geistigen Voraussetzungen des Ortes, den er bereist. Das andere Beispiel ist das Kapitel 153, das mit erlesener Anmut vom Tode des heiligen Thomas berichtet, dessen Grabstätte in Indien, »in der Provinz Maabar« liegt. »… er war beim Beten, als ein Götzendiener vom Stamme der Gavi sich auf der Pfauenjagd befand und den Heiligen Thomas mit einem Pfeil traf, weil er ihn nicht gesehen hatte. Der Getroffene betete weiter und starb dabei.« Das Besondere und Erhellende liegt hier in der scheinbar nebensächlichen Erwähnung der »Pfauen«. Das Grab des heili-

gen Thomas befindet sich nämlich am Stadtrand von Madras, an einem Ort, der heute den Namen Mailapur trägt, das heißt Stadt der Pfauen; und der pfauenförmige Tempel der Göttin Parvati ist nur ein paar hundert Meter von der Kirche entfernt, die den mythischen Leichnam des heiligen Thomas einschließt. Diese Übereinstimmung von genauest beobachtetem Detail und religiöser Tradition führt uns klar vor Augen, auf welch vernunftbestimmte und phantastische, blindgläubige und handfest realistische Art Marco auf seinen Reisen vorzugehen pflegte: Er war an zwei geistigen Orten zugleich, und es gelang ihm, sie mit außerordentlicher, nahezu pedantischer Präzision zu vereinen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese irdische, aber ebenso symbolische Gestalt in eine Tatarenromanze verwickelt wurde. Arcon der Dritte, Khan von Persien, ein Khan unter der Oberherrschaft des mächtigeren Kublai von Kamblau, wird 1286 Witwer; die sterbende Gattin bittet ihren Mann, wieder eine Frau aus ihrem Geschlecht, den Baya’ut, zu heiraten. Der Gatte gehorcht und schickt drei Gesandte zu Kublai, damit sie bei ihm um die Hand einer Frau aus jenem königlichen Geschlecht anhalten. Marco Polo, eben von einer Gesandtschaft in Indien zurückgekehrt, wird von den Botschaftern gebeten, sie zu begleiten; und der Großkhan gewährt ihm die Gnade, wenn auch zögernd und ungern, »so sehr liebte er ihn«. Es wird eine lange, unglückselige Reise: Vierzehn Schiffe stechen mit sechs- bis siebenhundert Personen in See. Sie haben Proviant für zwei J ahre, und als sie nach Aufenthalten in Java und Indien schließlich Persien erreichen, sind sie nur noch eine spärliche Schar. Inzwischen ist Arcon gestorben, und die Prinzessin aus dem edlen Stamm der Baya’ut wird die Gattin seines Nachfolgers Acatu. »Die drei Romanen entledigten sich aller Aufträge des Großkhans und setzten nach feierlicher Übergabe der Prinzessin ihre Reise fort.« An die vierhundert Ritter gaben den drei Venezianern das Geleit auf ihrer ruhmvollen Rückreise ins Nichts und in die Stille hinein.

So verließ Marco Polo das Asien der Tataren, den riesigen Ort, wo Götter und Dämonen, Barbarei und erlesene Gefühle beieinanderwohnten. Zu jenem Zeitpunkt drehte sich fast ganz Asien, von Java über Tibet bis nach Syrien, um Kamblau, das Peking der Tataren, wo Polo so lange gelebt hatte und von dem er uns eine so genaue Beschreibung hinterlassen hat, dass es noch heute wiederzuerkennen ist. Voll Ehrfurcht, aber ohne Staunen war Marco Polo auf die Spuren längst verschollener wie auch zeitloser Mythen gestoßen: Er sah das »Eiserne Tor« Alexanders des Großen, die Heiligen Drei Könige, die Kirchen der Nestorianer, Seen, die nur zur Fastenzeit Fische lieferten. Er hat die pathetischen, phantasievollen Beerdigungsriten der Chinesen beschrieben und die wilden, dramatischen Riten der Tataren; er hat die heimtückischen Rufe der Dämonen der Wüste und der Nacht vernommen, aber ihnen kein Gehör geschenkt, er hat den Schmerz und die Anmut Buddhas verstanden. Als Marco Polo 1271 seine Reise antritt, sind erst fünfzehn Jahre seit der Zerstörung von Bagdad, der Stadt der Abassidi-Kalifen, vergangen. Doch nur eine vage Erinnerung an diese Grausamkeit überlebt in Polos sanftem Gedächtnis. Er zieht fast als Pilger zum Hofe Kublai-Khans, jenes mächtigen, aber nicht grausamen Tataren, des Mannes, der ihm so eigenartig kongenial und zugetan war und immer begierig darauf, seine verlorenen Botschaften anzuhören. Groß ist das Tatarenreich, von tiefem Schrecken behütet; doch in Wirklichkeit enthält dieser große Leib schon den Keim seines Verfalls. Polo, der Friedliche, Unbewehrte, durchquert fast ganz Asien im Schutze einer dunklen, sanften, erbarmungslosen Macht, zugleich Vorsehung und Tao, die ihn von Kamblau aus, eskortiert von den Geistern der vierhundert Ritter, bis in das Gefängnis von Genua führt, wo er Rustico begegnet und ihm sein Buch diktieren wird, ein seit jeher verlorenes und uns doch seit jeher gegenwärtiges Buch. Giorgio Manganelli

Hier beginnt das Buch von MARCO POLO, Bürger von Venedig, das IL MILIONE heißt und viele Merkwürdigkeiten aus dem Tatarenreich, den drei Indischen Reichen und so manchen anderen Ländern berichtet

PROLOG Ihr Herren Kaiser, Könige, Herzöge und sonstige Leute, die ihr die Vielfalt der Völker und die Buntheit der verschiedenen Teile der Welt zu kennen begehrt, ihr solltet dieses Buch lesen. In ihm werdet ihr die wundersamsten und abwechslungsreichsten Beschreibungen der Völker Armeniens, Persiens, Indiens, des Tatarenreiches und vieler anderer Länder finden. Dieses Buch gibt nämlich genau wieder, was der weise und edle Bürger Venedigs, Marco Polo, mit eigenen Augen sah. Da er indessen auch Dinge mitteilt, die er nicht sah oder erlebte, von denen er aber aus glaubwürdiger Quelle weiß, wird er genau angeben, was aus zweiter Hand ihm zufloss und wofür er bürgen kann. Keine Lüge soll das Werk der Wahrheit trüben. Wissen müsst ihr, dass seit der Erschaffung Adams, unser aller Ahn, bisher unter den Christen, Heiden, Sarazenen, Tataren oder in einem anderen Menschengeschlecht kein Mensch so wunderbare Dinge erkundete und sah wie Marco Polo. Deshalb, so sagte er sich, wäre es das Beste, wenn er die außergewöhnlichen Dinge, die er sah und erlebte, schriftlich niederlegte, damit jeder sie aus diesem Buch erfahren könnte, der daran interessiert wäre. Was er in den sechsundzwanzig Jahren, die er in jenen fernen Ländern verbrachte, alles erlebt hat, ließ er aus diesem Grunde von Rustico da Pisa zu Papier bringen, als er im Jahre des Herrn 1298 gleichzeitig mit ihm in Genua im Gefängnis saß. Im Jahre 1250, damals war Balduin II. Kaiser von Konstantinopel, kamen Niccolò Polo, der Vater Marcos, und sein Bruder Matteo mit einer Warenladung von Venedig nach Konstantinopel. Dort berieten die ehrenwerten und klugen Männer und beschlossen, jenseits des Schwarzen Meeres weitere Geschäfte zu machen. Sie kauften deshalb viele Edelsteine, beluden ihr Schiff und setzten von Konstantinopel nach Soldania über. Nach einigen Tagen des Aufenthalts machten sie sich von Soldania auf dem Landweg mit Pferden auf die Reise, die sie zu Barca führte, dem Beherrscher eines Teils des Tatarenreiches, der zu jenem Zeitpunkt in Bolgara weilte. Barca AUFBRUCH VON KONSTANTINOPEL

war über die Ankunft der beiden Kaufleute sehr erfreut und ließ ihnen große Ehre zuteilwerden. Niccolò und Matteo gaben ihm von ihren Schätzen, die der Herrscher, dem sie gut gefielen, gerne nahm und für die er ihnen das Doppelte des Wertes zahlte. Als sie bereits ein Jahr in seinem Reich weilten, brach ein Krieg aus zwischen Barca und Alau, dem Fürsten des Ostteils des Tatarenreiches. Nach heftigen Kämpfen, in denen viele Menschen ein Ende fanden, siegte schließlich Alau. Wegen der Kriegswirren waren die Straßen vor allem in der Gegend, aus der die beiden Venezianer gekommen waren, so unsicher geworden, dass sich niemand frei darauf bewegen konnte. Das bewog diese, zunächst mit ihrer Ware weiter ostwärts zu ziehen, um auf anderem Wege nach Konstantinopel zurückzugelangen. So erreichten sie eine Stadt namens Outaca an der äußersten Grenze des westlichen Tatarenreiches, worauf sie den Fluss Tigri überquerten und eine Wüste von achtzehn Tagereisen Ausdehnung durchmaßen, in der sie auf keine feste Siedlung stießen. Nur Tataren hausten dort in ihren Zelten und lebten von ihren Herden. Nachdem sie die Wüste hinter sich gelassen hatten, kamen sie in eine Stadt mit Namen Boccara, die größte und vornehmste des Landes, über das ein Fürst namens Barak herrschte. Widrige Umstände hielten die beiden Brüder dort drei Jahre fest. In jener Zeit schickte aber der Fürst des Ostreiches Gesandte zum Großkhan, die in Boccara auf die beiden Brüder stießen. Da sie noch nie Romanen begegnet waren, wunderten sie sich sehr, feierten diese Überraschung und fragten die beiden Brüder, ob sie sie zum Großkhan begleiten wollten. Der Großkhan würde sie mit Ehren überhäufen, da auch er noch keinen Romanen gesehen habe. Die beiden Brüder erklärten daraufhin ihr Einverständnis. So machten sie sich mit der Gesandtschaft auf den Weg und ritten ein Jahr lang nach Nordnordost, bis sie endlich das Ziel WIE ES IHNEN NACH VERLASSEN DES FÜRSTEN BARCA ERGING

erreichten. Über die wunderbaren und seltsamen Dinge, die sie sahen, will ich hier jedoch schweigen, denn sie werden euch gleich von Marco Polo selbst erzählt, der als Sohn des Niccolò Polo alles miterlebte und es in diesem Buch ausführlich beschreibt. Es waren einmal zwei vornehme Bürger von Venedig, von denen der eine Matteo und der andere Niccolò hieß, die reisten zum Großkhan, dem Herrn aller Tataren. Was ihnen dabei Bemerkenswertes widerfuhr, soll hier berichtet werden. Als sie in das Land des Großkhans gekommen waren und er von ihrer Ankunft erfuhr, ließ er sie zu sich kommen, empfing sie freudig und mit großem Prunk, denn er hatte zuvor noch keinen Romanen gesehen. Deshalb fragte er auch nach dem Kaiser, seiner Herrschaft, seinem Leben und seiner Rechtspflege und nach vielen anderen Dingen. Er erkundigte sich nach dem Papst und der römischen Kirche, nach allen Geschehnissen und den christlichen Ländern. Auf alle seine Fragen antworteten die beiden Brüder klug und flüssig, weil sie die Sprache der Tataren beherrschten. I

Als nun Kublai-Khan, Herr aller Tataren und Herrscher über alle Länder und Reiche jenes Teiles der Welt, die Berichte der Brüder über das Abendland gehört hatte, dankte er ihnen sehr. Er erwog, Gesandte zum Papst zu schicken, ließ die beiden Brüder zu sich rufen und fragte sie, ob sie diese Gesandtschaft übernehmen wollten. Sie erklärten sich dazu bereit, worauf er einen seiner Fürsten, Cogatal, zu sich bestellte und ihm eröffnete, er solle mit den Brüdern Polo als Gesandter zum Papst gehen. Nach dessen Einverständnis ließ er Pässe ausstellen, mit denen die zwei Brüder und der Fürst diese Reise machen konnten, und teilte ihnen die Botschaft mit, die sie dem Papst überbringen sollten. Darin bat er den Papst, er solle ihm sechs gelehrte Männer schicken, die es verstünden, den Heiden und anderen Götzenanbetern jenes Teils der Welt zu zeigen, dass II

ihr Glaube ganz anders und ein Werk des Teufels sei. Sie sollten auch aufzeigen können, aus welchen Gründen die christliche Religion besser sei. Überdies bat der Großkhan die beiden Brüder, sie möchten ihm doch bei ihrer Rückkehr etwas Öl von der Lampe des heiligen Grabes in Jerusalem mitbringen. III WIE DER GROSSKHAN DEN BEIDEN BRÜDERN DIE GOLDENE TAFEL GAB

Als der Großkhan den beiden Brüdern und seinem Baron die Botschaft auseinandergesetzt hatte, gab er ihnen eine goldene Tafel, die besagte, dass den Gesandten auf ihrem Weg in allen Wünschen und Forderungen entsprochen werden sollte. Nachdem sie alle Reisevorbereitungen getroffen hatten, nahmen die Gesandten Abschied und machten sich auf den Weg. Sie waren einige Tage zu Pferde unterwegs, als der die Brüder begleitende Fürst krank wurde und nicht mehr reiten konnte. Er blieb in einer Stadt namens Alau zurück, während die Brüder ihren Weg fortsetzten. Wo immer sie hinkamen, wurde ihnen die größtmögliche Ehre zuteil, solches Ansehen verschaffte ihnen die Tafel. Endlich kamen die beiden Brüder nach Laias. Und ich versichere euch: Drei Jahre brauchten sie dazu, weil die Reise wegen des schlechten Wetters und der Hochwasser führenden Flüsse so beschwerlich war. Von Laias zogen sie weiter nach Acri, das sie im April 1272 erreichten. Dort erfuhren sie, dass der Papst gestorben war. Es war Papst Clemens IV. Die beiden Brüder suchten daraufhin den päpstlichen Legaten in Acri auf. Damals wurde die römische Kirche im ägyptischen Gebiet von einem sehr angesehenen und klugen Mann, Odaldo da Piacenza, vertreten, dem sie mitteilten, weshalb sie eigentlich den Papst sprechen wollten. Der Legat war darüber äußerst erstaunt und dachte, das sei für die Christenheit sehr bedeutend und ehrenvoll. Da der Papst verstorben war, riet er ihnen, so lange zu warten, bis in Kürze ein neuer Papst gewählt würde. Dann könnten sie ja ohne weiteres ihre Mission erfüllen. Die IV WIE DIE BEIDEN BRÜDER NACH ACRI KAMEN

beiden Brüder entschlossen sich nach diesem Gespräch, die Zwischenzeit zu einem Besuch bei ihren Familien zu nutzen. Von Acri gelangten sie über Negropont in ihre Heimatstadt Venedig. Niccolò Polo erfuhr dort, dass seine Frau gestorben war, die ihm einen fünfzehnjährigen Sohn hinterließ. Dieser hieß Marco, und von ihm ist in diesem Buch die Rede. Zwei Jahre verbrachten die Brüder in Venedig und harrten der Papstwahl. V WIE DIE ZWEI BRÜDER VENEDIG VERLIESSEN, UM ZUM GROSSKHAN

Als den Brüdern klar wurde, dass der Termin der Papstwahl nicht abzusehen war, beschlossen sie, zum Großkhan zurückzukehren und Marco, den Sohn Niccolòs, mitzunehmen. Sie verließen alle drei Venedig, kamen zu dem weisen Legaten nach Acri und unterrichteten ihn davon, dass sie, nachdem nun immer noch kein neuer Papst gewählt sei, zum Großkhan zurückzukehren gedächten, den sie vor allzu langer Zeit verlassen hatten. Zuvor aber erbäten sie seine Erlaubnis für eine Reise nach Jerusalem, damit sie dem Großkhan Öl von der Lampe am heiligen Grab bringen könnten. Und der Legat gab ihnen die Erlaubnis. Da reisten sie zum heiligen Grab und erhielten das Öl. Dann kehrten sie zu dem Legaten zurück. Als dieser nun merkte, dass sie endgültig aufbrechen wollten, gab er ihnen eine briefliche Bestätigung für den Khan mit, dass sie vergeblich so lange Zeit auf die Papstwahl gewartet hätten. ZURÜCKZUKEHREN

Mit dem Brief des Legaten gelangten sie bald von Acri nach Laias. Kaum waren sie dort angekommen, wurden sie von der Nachricht überrascht, dass der Legat, mit dem sie in Acri verhandelt hatten, nun selber zum Papst gewählt worden sei. Er nahm den Namen Gregor X. an. Aufgrund dieser Ereignisse hatte der ehemalige Legat den Brüdern einen Boten hinterhergeschickt, worauf sie hocherfreut ihre Reise unterbrachen; und auf einer Galeone, die ihnen der König von Armenien zur Verfügung stellte, traten sie die Rückreise an. VI WIE DIE ZWEI BRÜDER VON ACRI AUFBRACHEN

Wiederum in Acri eingetroffen, wurden die beiden Brüder mit allen Ehren gnädigst von dem zum Papst Gewählten empfangen, der ihnen zwei Karmelitermönche, Bruder Niccolò da Vinegia und Bruder Guglielmo da Tripoli, mitgab. Diese beiden äußerst gelehrten Männer sollten sie zum Großkhan begleiten. Alle fünfen, das heißt den beiden Mönchen, den beiden Brüdern und Marco, dem Sohn Niccolòs, gab er seinen Segen, bevor sie Acri verließen und nach Laias kamen. Gerade zu dieser Zeit fiel der Sultan von Babellonia, Bondocdaire, mit einer großen Streitmacht in das Land ein und überzog es mit einem verheerenden Krieg. Infolgedessen wagten sich die beiden Mönche nicht weiter vorwärts, händigten Briefe und Privilegien den Kaufleuten aus, um sich selber in den Schutz des Meisters der Tempelritter zu begeben. VII WIE DIE ZWEI KAUFLEUTE ZUM PAPST KAMEN

VIII WIE DIE BEIDEN BRÜDER NACH CLEMENFU KAMEN, WO DER GROSS-

Niccolò, Matteo und Marco setzten ihren Weg fort, bis sie schließlich zum Großkhan gelangten, der sich in einer sehr prachtvollen und großen Stadt namens Clemenfu aufhielt. Was ihnen auf der Reise alles begegnete, wird nicht hier, sondern im Folgenden ausführlich dargelegt. Insgesamt dauerte ihre Reise drei Jahre. Wegen des schlechten Wetters und der Sommer wie Winter reißenden Ströme konnten sie nämlich kaum reiten. Als der Großkhan davon erfuhr, dass die beiden Brüder auf dem Wege zu ihm waren, schickte er ihnen in seiner Freude eine Delegation vierzig Tagereisen weit entgegen, die ihnen jeden möglichen Dienst erwies und ihnen allerlei Ehren bereitete. KHAN WEILTE

Nach ihrer Ankunft in der Stadt, in der der Großkhan gerade residierte, begaben sie sich zu seinem Palast. Der Khan empfing sie inmitten seines gesamten Gefolges und befahl ihnen, sich zu erheben, nachdem sie sich ihm zu Füßen geworfen hatten. Er war sehr heiter und aufgeschlossen und fragte sie, wer der junge Mann in ihrer BegleiIX WIE SIE DEN GROSSKHAN ERREICHTEN

tung sei. Niccolò Polo sagte: »Er ist Euer Diener und mein Sohn.« Da sagte der Großkhan: »Ich heiße ihn willkommen. Er gefällt mir sehr.« Dann gaben sie ihm die Briefe und Geschenke vom Papst, worüber der Großkhan sehr erfreut war. Er erkundigte sich, wie es ihnen ergangen sei, worauf sie erwiderten: »Herr, es geht uns gut, seit wir Euch bei guter Gesundheit wissen.« Allgemein war man begeistert über ihre Rückkehr, und nachdem sie einige Zeit bei Hofe waren, genossen sie höheres Ansehen als alle anderen. X WIE DER GROSSKHAN MARCO, NICCOLÒS SOHN, ZU SEINEM GESAND-

Nach nur kurzer Zeit, die er am Hofe des Großkhans verbrachte, hatte Marco die Sitten der Tataren und ihre verschiedenen Sprachen in Wort und Schrift gelernt. So wurde er ein gelehrter und über die Maßen wertvoller Mann. Als der Großkhan seine bedeutenden Fähigkeiten erkannte, schickte er ihn als Gesandten zu einer Stadt, wohin man sechs Monate unterwegs war. Wohlbehalten kehrte Marco zurück und berichtete von seinem Auftrag und anderen Neuigkeiten, nach denen man ihn fragte. Er hatte nämlich erlebt, dass andere Boten von ihren Missionen in andere Länder zurückgekommen waren und nichts zu berichten wussten als das, was man ihnen aufgetragen hatte. Das hielt der Großkhan für töricht, und er sagte, Leben und Bräuche der Länder interessierten ihn mehr als die Ergebnisse seiner Aufträge. Da Marco dies wusste, lernte er möglichst alles genau, um es dem Großkhan berichten zu können. TEN MACHTE

Nach Vollendung seiner Mission kehrte Marco zum Großkhan zurück und verstand es hervorragend, darüber zu berichten, nicht nur weswegen er eigentlich die Reise unternommen hatte, sondern auch über die wundersamen und großartigen Dinge, die er gesehen hatte. Dem Großkhan und seiner Umgebung gefiel er so gut, dass sie ihm Klugheit und hervorragende Qualitäten bescheinigten und ihm eine große Zukunft voraussagten. Nach XI WIE MARCO POLO WIEDER BEIM GROSSKHAN EINTRAF

seiner Rückkehr stellte ihn der Großkhan an die Spitze aller Gesandtschaften. Ihr müsst aber wissen, dass Marco Polo siebenundzwanzig Jahre in den Diensten des Großkhans stand. Und während dieser ganzen Zeit leitete er Gesandtschaften für den Großkhan, weil er die erste so erfolgreich durchgeführt hatte. Und der Herr überschüttete ihn mit solchen Ehren, dass die anderen einflussreichen Leute bei Hofe ihn sehr beneideten. Aufgrund seiner privilegierten Stellung konnte er mehr Informationen und Erfahrungen sammeln als je ein Mensch zuvor. XII WIE NICCOLÒ, MATTEO UND MARCO POLO DEN GROSSKHAN VER-

Die drei Venezianer hatten viele Jahre an jenem Hofe verbracht, als es sie eines Tages zu ihren Verwandten zurückzog. Der Großkhan jedoch hatte solchen Gefallen an ihnen gefunden, dass er sie um nichts in der Welt ziehen lassen wollte. Etwa zu der Zeit geschah es, dass König Arcon seine Frau, Bolgara, verlor, die ihn durch ihr Testament bewog, eine Nachfolgerin für sie nur aus ihrer eigenen Familie zu wählen. Oulatai, Apusca und Coia hießen die drei Gesandten, die Arcon mit großem Gefolge zum Großkhan schickte. Sie baten, er möge Arcon eine Frau aus dem Geschlecht der Königin Bolgara schicken, denn diese sei gestorben und habe verfügt, Arcon solle sich eine Frau nur aus ihrem Geschlecht nehmen. Und der Großkhan schickte ihm eine Jungfrau aus diesem Geschlecht. Als die Gesandten mit Prunk und einem feierlichen Akt verabschiedet werden sollten, kam gerade Marco Polo von einer Mission aus Indien zurück. Er erstattete Bericht und teilte die neuesten Nachrichten mit, über die er verfügte. Die Gesandten des Arcon baten den Großkhan, er möge ihnen die drei Venezianer zur Begleitung bei ihrer Reise mit der jungen Braut geben. Nur sehr ungern und mit großem Widerstreben erfüllte ihnen der Herrscher diese Bitte, weil er sehr an den Romanen hing. So gestattete er den drei Venezianern, die drei Gesandten und die edle Dame zu begleiten. LASSEN WOLLTEN

XIII DIE ABREISE DER DREI VENEZIANER VOM HOFE DES GROSSKHANS

Als der Großkhan sah, dass Niccolò, Matteo und Marco bald abreisen würden, ließ er sie zu sich rufen und ihnen zwei goldene Tafeln aushändigen. Er sicherte ihnen freies Geleit in seinem ganzen Reich zu und ließ für ihre eigenen und ihres Anhangs Bedürfnisse sorgen. Vierzehn viermastige Schiffe mit bis zu zwölf Segeln ließ er ihnen ausrüsten. Nach Abschluss aller Vorbereitungen nahmen die Gesandten mit der Prinzessin und den Venezianern Abschied vom Großkhan und begaben sich an Bord der Schiffe, die gut bemannt waren und Vorräte für zwei Jahre bargen. Nach drei Monaten erreichten sie die Insel Java, von der in diesem Buch noch allerlei Außergewöhnliches zu berichten sein wird. Als sie schließlich ihr Ziel erreichten, war Arcon, für den die Prinzessin bestimmt war, gestorben, und von den siebenhundert Personen, die sich, ich versichere es euch, außer den Matrosen an Bord der Schiffe befunden hatten, lebten nur noch achtzehn. Jetzt nahm Acatu Arcons Stelle ein. Die drei Romanen entledigten sich aller Aufträge des Großkhans und setzten nach feierlicher Übergabe der Prinzessin ihre Reise fort. Ihr müsst aber wissen, dass Acatu ihnen als den Boten des Großkhans vier goldene Tafeln gab. Auf einer wurde angeordnet, man solle ihnen überall mit der erforderlichen Ehrerbietung und Dienstfertigkeit begegnen und im ganzen Land für ihr Wohlergehen sorgen. Und so geschah es auch, denn oft erhielten sie eine berittene Leibwache von vierhundert Mann, in manchen Gegenden auch mehr. Ich muss auch noch erwähnen, dass der Großkhan die drei Venezianer so hoch schätzte und ihnen so vertraute, dass er ihnen den Auftrag gab, gleichzeitig die Tochter des Königs von Mangi, die Königin Caciese, zu Arcon zu bringen, dem Herrn des gesamten Ostreiches. Und so geschah es denn auch. Die beiden Damen achteten die Venezianer wie ihre Väter und gehorchten ihnen wie solchen. Und als diese in ihre Heimat aufbrachen, weinten die Königinnen in großem Schmerz. Da sie den Venezianern auf einer so langen Reise anvertraut waren, hatten die fürstlichen Damen nämlich

ein Verhältnis besonders innigen Vertrauens zu ihnen. Die drei Romanen zogen dann weiter und erreichten nach Tripisond bald Konstantinopel, Negropont und schließlich ihre Heimatstadt Venedig, wo sie 1295 eintrafen. Was ich bisher berichtet habe, bildet den Vorspann zu dem Buch des Marco Polo, der jetzt von den Gegenden und Ländern erzählt, in denen er sich aufgehalten hat. Man unterscheidet Kleinarmenien und Großarmenien. In Kleinarmenien regiert in gerechter Herrschaft ein Fürst, der vom Großkhan abhängig ist. Er gebietet über viele Städte und befestigte Plätze in diesem Land, das keinen Mangel in irgendeiner Hinsicht kennt, denn Vogelfang und Jagdbeute sind reichlich. Früher wegen ihrer Tüchtigkeit bekannt, sind die Menschen heute sehr verweichlicht und kennen nur noch eine Tugend – den Trunk. Ihr müsst auch wissen, dass an der Küste eine Stadt liegt, die Laias heißt, ein bedeutender Handelshafen, wo sämtliche Spezereien des Landes umgeschlagen werden. Neben Kaufleuten aus aller Herren Länder kommen auch solche aus Venedig und Genua nach Laias. Sie machen ihre Geschäfte mit Stoffen und vielen anderen kostbaren Waren. Die Stadt erhält auch dadurch besondere Bedeutung, dass jeder, der ins Landesinnere zieht, den Weg über Laias wählt. Jetzt wollen wir von Turkomanien berichten. XIV VOM LAND KLEINARMENIEN

Die Bevölkerung Turkomaniens teilt sich in drei Gruppen. Die Turkomanen sind Mohammedaner mit sehr einfacher Lebensweise und äußerst roher Sprache. Sie leben in den Gebirgsgegenden und betreiben Viehzucht. Besonders geschätzt sind ihre Pferde und die hervorragenden Maultiere. Die anderen Gruppen, Armenier und Griechen, leben in Städten und festen Plätzen. Sie leben überwiegend von Handwerk und Handel. Außer den unübertroffenen und farbenprächtigsten Teppichen der Welt werden dort Seidenstoffe in allen Farben hergestellt. Dieses ganze Land, XV WAS ES VON TURKOMANIEN ZU BERICHTEN GIBT

über das es eigentlich noch mehr zu berichten gäbe, ist dem Khan des östlichen Tatarenreiches unterworfen. Aber wir wollen uns jetzt Großarmenien zu wenden. Großarmenien umfasst ein weites Gebiet. Wenn man es erreichen will, gelangt man zunächst in die Stadt Arzinga. Diese Stadt ist bemerkenswert wegen der Fabrikation von feinstem und bestem Baumwollstoff, denn hier wächst die schönste und beste Baumwolle von der Welt. Unter den vielen Städten und Befestigungen ist Arzinga, Sitz eines Erzbischofs, die bedeutendste. Die nächsten sind Arziron und Arzici. Das Land ist sehr groß. Die östlichen Tataren kommen im Sommer mit ihren Herden wegen der guten Weidemöglichkeiten in das Land, ziehen aber zum Winter wieder fort, weil ihr Vieh die große Kälte nicht überstehen würde. Auf einem hohen Berg in Großarmenien liegt die Arche Noah, und zwar im Südosten des Reiches, nahe an der Grenze zum Königtum Mosul, in dem Christen, Jakobiten und Nestorianer leben, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. In Richtung Norden liegt Giorgens, in dessen Grenzgebiet es eine Ölquelle gibt, aus der so viel Öl fließt, dass man damit hundert Schiffe auf einmal füllen könnte. Es ist kein Speiseöl, sondern man kann es zum Brennen, gegen die Krätze und für andere Zwecke gebrauchen. Von sehr weit her kommen die Leute, um sich von diesem Öl zu holen, neben dem kein anderes für Brennzwecke in dieser Gegend benutzt wird. Nach Großarmenien wollen wir jetzt von Giorgens berichten. XVI ÜBER GROSSARMENIEN

Der König wird in Giorgens stets David Melik genannt, was wir mit König David übersetzen würden. Das Land steht in der Botmäßigkeit der Tataren. Die Könige sollen in diesem Land früher mit einem Adlerzeichen in der rechten Achselhöhle geboren worden sein. Die Bewohner sind schöne Leute, tapfere Krieger und hervorragende Bogenschützen. Sie sind Christen, gehören aber der Ostkirche zu. An ihrem XVII VOM REICH GIORGENS

Äußeren fällt auf, dass sie das Haar kurz tragen wie bei uns die Mönche. Dieses Land bereitete Alexander dem Großen bei seinem Vordringen erhebliche Schwierigkeiten, weil der Weg auf der einen Seite durch das Meer und auf der anderen durch die Berge begrenzt wird. Der Weg ist so eng, dass man nicht reiten kann, und diese Beschwernis bietet er auf einer Strecke von vier Legien, also zwölf Meilen, sodass wenige Leute ihn gegen eine Übermacht halten können. Nach seinem Scheitern ließ Alexander dort einen großen Turm mit Befestigungsanlagen errichten, um sich so vor Überfällen von der anderen Seite zu schützen. Der Pass wird die Eiserne Pforte genannt, und dieser Ort ist gemeint, wenn es heißt, Alexander habe die Tataren in den Bergen eingeschlossen. Tataren dürfte man jedoch nicht sagen, denn es handelt sich um die Kumanen und etliche andere Stämme, aber Tataren waren es zu jener Zeit keinesfalls. Man kann in diesem Land städtische Siedlungsweise bemerken; die Bewohner stellen sehr viel Seiden- und Goldstoffe her, die ihresgleichen suchen. Nirgends findet man schönere und bessere Jagdfalken als in jenem Land, dessen Bewohner auch sonst nur im Überfluss leben. Die gebirgige Struktur ist mit ein Grund dafür, dass die Tataren, wie bereits erwähnt, es noch nicht völlig beherrschten. In einem Bergsee, an dem das Kloster St. Leonhard liegt, tragen sich wunderbare Dinge zu. Der See birgt das ganze Jahr keine Fische außer vom ersten Fastentag bis zum Osterabend, dann aber im Überfluss. Hernach muss man wieder bis zum nächsten Jahr warten. Das Meer aber, von dem ich euch erzählt habe, heißt Geluchelan. Es hat siebenhundert Meilen Umfang und ist zwölf Tagereisen von jedem anderen entfernt. Die Wasser vieler großer Flüsse ergießen sich darein. In jüngster Zeit ist dieses Meer von genuesischen Kaufleuten erschlossen worden, die von daher die Ghellie genannte Seide einführen. Nach den Gebieten, die an den nördlichen Grenzen Armeniens liegen, müssen wir noch die beschreiben, die das Land im Osten und im Süden begrenzen.

Mosul ist groß und beherbergt viele Völkerschaften, von denen wir gleich berichten wollen. Darunter gibt es solche, die sich Araber nennen und Mohammed anbeten. Andere sind Christen, jedoch unterwerfen sie sich in vielen Dingen nicht den Dogmen der Römischen Kirche. Es sind Nestorianer und Jakobiten, deren Patriarch Katholikos genannt wird. Wie der Papst in Rom ernennt er Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte und schickt sie nach allen Teilen Indiens, nach Acata und nach Baudac. Und alle Christen dort sind wiederum Nestorianer und Jakobiten. Hier in Mosul werden die Seidenstoffe und Goldwirkereien hergestellt, die wir als Musselin bezeichnen, und die großen Kaufleute dieses Namens sind ebenfalls ursprünglich hier beheimatet. In den Bergen dieses Reiches leben christliche Völker, die sich Nestorianer und Jakobiten nennen. Andere sind Sarazenen und beten zu Mohammed. Es sind räuberische Stämme, die nur allzu gern die Kaufleute überfallen und ausrauben. Jetzt wollen wir von der großen Stadt Baudac sprechen. XVIII VOM REICH MOSUL

In der großen Stadt Baudac residiert der Kalif als Oberhaupt aller Sarazenen, wie in Rom als Vater aller Christen der Papst residiert. Durch die Stadt fließt ein großer Strom, auf dem man bis zum Indischen Ozean gelangt. Hier herrscht ein großes Kommen und Gehen von Waren und Händlern. Auf dem Fluss dauert eine Reise bis zum Meer achtzehn Tage. Die Kaufleute, die bis nach Indien wollen, fahren auf dem Fluss bis zu einer Stadt mit Namen Chisi, wo sie dann den Indischen Ozean erreichen. Zwischen Baudac und Chisi macht man in einer Stadt namens Bastra Rast, wo es die besten Datteln der Welt gibt, die bei der Stadt in Hainen wachsen. In Baudacwird Seide hergestellt, daneben golddurchwirkter Stoff mit Tiermotiven. Es ist die angesehenste und größte Stadt des Landes. Ihrmüsst aber wissen, dass nirgends auf der Welt je ein Mann mehr Gold, Silber und Edelsteine besaß als der Kalif von Baudac. Im Jahre 1255 überfiel Alau, der Bruder des obersXIX WIE BAUDAC IN DIE HÄNDE DER TATAREN FIEL

ten Tatarenfürsten, mit einem großen Heer das Kalifenreich und nahm Baudac ein. Diese Eroberung war deshalb eine so große Leistung, weil in Baudac ein Heer von mehr als hunderttausend Rittern stand, die Fußsoldaten ausgenommen. Beim Schleifen der Stadt fiel den Tataren ein Turm voll Gold, Silber und anderen Schätzen in die Hände, mehr als man je auf einem Haufen gesehen hatte. Alau, darüber sehr erstaunt, ließ sich den gefangenen Kalifen vorführen und fragte ihn: »Kalif, warum hast du nur soviel Schätze aufgehäuft? Was wolltest du damit machen? Und warum hast du, als mein Kommen bekannt wurde, keine Ritter und andere Söldner angeworben, um dich, dein Land und deine Leute zu verteidigen?« Der Kalif konnte darauf nichts erwidern. Da sagte Alau: »Da du den Reichtumso sehr liebst, will ich dir davon zu essen geben.« Er ließ ihn in denselben Turm werfen, verbot, ihm jegliche Nahrung zu geben, und rief ihm zu: »Nun nähre dich von deinen Schätzen.« Nach vier Tagen war der Kalif tot. Es wäre besser gewesen, wenn dieser Kalif, der der letzte in Baudac war, seine Schätze zur Verteidigung der Stadt ausgegeben hätte. Über Baudac könnte man zwar noch vieles berichten, aber wir wollen uns Toris zuwenden. In der Provinz Arak gibt es trotz vieler Städte und befestigter Plätze keinen Ort, der es an Bedeutung mit Toris aufnehmen könnte. Auch an Schönheit und Reichtum ist es unübertroffen. Die Einwohner leben vom Handel und vom Handwerk, vor allem von Seiden- und Goldstoffen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt ist so groß, dass die Kaufleute aus Indien, Baudac, Mosul, Crema und vielen anderen Gegenden dort Zusammenkommen. Sogar aus romanischen Ländern treffen dort des Öfteren Händler ein, die mit den fremdländischen Waren hervorragende Gewinne erzielen. Vor allem kann man gute Geschäfte mit Edelsteinen machen. Die Einheimischen aber bleiben dabei arm. In einer bunten Mischung leben dort, neben Nestorianern und Jakobiten, Armenier, Georgier, Perser und Mohammedaner in Toris. XX VON DER EDLEN STADT TORIS

Herrliche Gärten mit köstlichem Obst umgeben die Stadt, in der man sich vor den ehrlosen und bösartigen Mohammedanern hüten muss. Jetzt will ich euch von einem Wunder erzählen, das sich zwischen Baudac und Mosul ereignete. Im Jahre 1225 lebte in Baudac ein Kalif, der durch den allen Mohammedanern eigenen Hass auf die Christen besonders geprägt war. Er erwog, aus den Christen entweder Mohammedaner zu machen oder sie alle umzubringen. Zu diesem Zweck beriet er sich mit seinen Vertrauten. Dann ließ er alle Christen zusammenrufen und erklärte ihnen, er habe im Evangelium eine Stelle gefunden, an der es heiße, dass, wer einen Glauben wie ein Senfkörnchen habe, durch sein Gebet zu Gott erreichen könne, dass er Berge versetze. Er zeigte ihnen die Stelle im Evangelium. Die Christen sagten, das sei wahr. »Also«, sprach der Kalif, »unter euch allen muss doch wenigstens einer soviel Glauben besitzen wie ein Senfkörnchen. So versetzt mir nun diesen Berg, oder ich töte euch alle, sofern ihr nicht Mohammedaner werdet, denn Ungläubige müssen sterben.« Als Frist setzte er zehn Tage fest. Als sie das hörten, wurden die Christen von großer Furcht ergriffen, weil sie nicht wussten, wie sie sich helfen sollten. Sie berieten alle miteinander, Bischof und Erzbischof, Männer und Frauen, groß und klein, und beteten ständig zu Gott. Acht Tage verbrachten sie mit Gebeten, in denen sie Gott um Hilfe und Rettung vor einem so grausamen Tod baten. In der neunten Nacht erschien dem Bischof, einem sehr weisen Mann, ein Engel und sagte ihm, er solle zu einem bestimmten Schuhmacher gehen, sobald der Morgen graue. Dieser würde den Berg bewegen. Es war ein guter Mann, der ein anständiges Leben geführt hatte. Das bewies er etwa eines Tages, als er eine Kundin von ausgesuchter Schönheit nur mit den Augen begehrte und sich deshalb mit der Ahle selber blendete. Ein so frommer und guter Mann war er. Als dem Bischof in dieser Vision kundgetan war, dass der XXI WIE SICH IN BAUDAC DAS WUNDER MIT DEM BERG ZUTRUG

Schuhmacher den Berg versetzen würde, rief er alle Christen zusammen und teilte es ihnen mit. Dann suchte er den Schuhmacher auf und bat ihn, er möge Gott anflehen, den Berg zu bewegen. Dieser behauptete, er sei ein zu unwürdiger Mensch, um eine solche Gnade zu erreichen. Die Christen baten ihn aber so inständig, dass er sich schließlich ins Gebet versenkte. Als die ihnen gesetzte Frist ablief, begaben sich des Morgens alle Christen zur Kirche, hielten die Messe ab und baten Gott um seine Hilfe. In einer Prozession trugen sie das Kreuz bis in die Ebene vor jenen Berg. Insgesamt waren sie etwa hunderttausend. Der Kailf kam mit vielen bewaffneten Sarazenen, die die Christen töten sollten, denn er glaubte nicht, dass der Berg sich bewegen würde. Im Gebet ließen die Christen sich vor dem Kreuz nieder, und noch während sie Gott anriefen, begann der Berg sich zu bewegen. Die Sarazenen wurden dadurch so beeindruckt, dass der Kalif und viele seiner Glaubensbrüder sich zum Christentum bekehrten. Als der Kalif starb, fand man nämlich ein Kreuz bei ihm. Daraufhin wurde er nicht mit den anderen, früheren Kalifen in ein Grabmal gelegt, sondern ruht an anderer Stelle. Wir wollen jetzt zum Bericht über Persien übergehen. Sicher ist Persien ein großes und mächtiges Reich gewesen, derzeit ist es aber von den Tataren verwüstet. In Persien liegt die bekannte Stadt Saba, von der aus die drei Könige aufbrachen, um Jesus bei seiner Geburt anzubeten. Sie liegen auch in Saba begraben, in einem schönen Grabmal. Ihre körperlichen Hüllen sind einschließlich der Haare gut erhalten. Sie hießen Balthasar, Melchior und Kaspar. Als Marco Polo sich in der Stadt nach ihnen erkundigte, konnte ihm niemand mehr sagen, als dass es sich um drei dort vor langer Zeit begrabene Könige handele. Drei Tagesreisen weiter aber stießen sie auf einen befestigten Ort, Galasaca, was soviel wie Schloss der Feueranbeter heißt. Die Menschen an jenem Ort beten wirklich das Feuer an, und ich XXII VOM PERSISCHEN REICH UND DEN HEILIGEN DREI KÖNIGEN

will euch sagen, warum. Es heißt nämlich, dass in vergangenen Zeiten drei Könige aus diesem Gebiet aufbrachen, um einen gerade geborenen Propheten anzubeten. Sie brachten ihm drei Gaben dar: Gold, Weihrauch und Myrrhen, um zu erfahren, ob er ein König, ein Gott oder ein Mensch sei. Als sie an der Geburtsstätte Christi ankamen, betrat zunächst der Jüngste den Raum. Ihm schien, als sei Jesus gerade von der Gestalt und von dem Alter wie er selbst. Die beiden anderen Könige hatten jeweils denselben Eindruck. Als sie anschließend darüber sprachen, wunderten sie sich sehr und beschlossen, zusammen hineinzugehen. Dabei erschien ihnen dann das Kind in seinem wahren Alter von dreizehn Tagen. Sie brachten ihm das Gold, Weihrauch und Myrrhen dar; das Kind nahm alle drei Dinge an und gab ihnen eine verschlossene Büchse. Die drei Könige reisten wieder in ihre Heimat zurück. Nach einigen Tagesritten wollten die drei Könige sehen, was sich in der Büchse befand, die das Kind ihnen gegeben hatte. Sie öffneten die Büchse und fanden darin einen Stein, den Christus ihnen gegeben hatte, damit sie in dem Glauben, in dem sie begonnen hatten, ebenso fest blieben wie Stein. Sie waren sehr verwundert, als sie den Stein sahen, und warfen ihn in einen Brunnen. Im selben Augenblick stürzte ein Feuer vom Himmel in den Brunnen, in den sie den Stein geworfen hatten. Als sie dieses Wunder sahen, bedauerten sie, den Stein fortgeworfen zu haben. Von dem Feuer nahmen sie etwas mit sich und hüteten es in einer Kirche ihrer Heimat. Die Flamme soll immer brennen und wird von den Menschen dort als Gott verehrt. Und all ihre Opfer entzünden sie an diesem Feuer. Wenn es einmal erlischt, holen sie es von jenem Brunnen, der immer noch brennt. Sie würden zu keiner anderen Feuerquelle greifen als zu dieser. Deshalb also beten die Menschen in jener Gegend das Feuer an, wie sie Marco Polo erzählten, und das ist wahr. Der eine König war aus diesem Land, die beiden anderen aus Java und XII WAS DEN DREI WEISEN AUF DER RÜCKREISE WIDERFUHR

Saba. Über Persien gibt es noch viel zu berichten, auch über die Bräuche der Einwohner. Ihr müsst wissen, dass Persien in acht Reiche unterteilt ist: Causor, Stam, Laor, Celstan, Isfain, Zerazi, Suncara und, nahe beim einsamen Baum, Turnocain. Das letztgenannte Land ist wegen seiner bedeutenden Pferdezucht erwähnenswert. Die Pferde werden wegen ihres Wertes bis hin nach Indien verkauft, wo die Mehrzahl einen Preis von zweihundert livres tournois erzielen. Die schnellen und ungemein schönen Esel dieses Landes sind sicher ihre dreißig Silbermark wert. Die Bewohner des Landes bringen die Tiere bis nach Chisi und Cormos am Meer, wo sie von den Kaufleuten übernommen werden, die sie nach Indien bringen. Diese Händler sind üble Leute, die sich gegenseitig umbringen; wahrscheinlich würden sie alle Kaufleute töten, wenn nicht die Angst vor dem obersten Herrscher des östlichen Tatarenreiches bestünde. In den Städten werden Gold- und Seidenstoffe hergestellt, Baumwolle gewonnen, und auf dem Lande wachsen die verschiedensten Getreidearten wie Weizen, Hirse, Gerste. Trauben und andere Früchte gibt es in überreicher Fülle. Dem Bericht über Jasdi, den dortigen Bräuchen und den Lebensumständen seiner Bewohner wenden wir uns jetzt zu. Einer der großen Handelsplätze Persiens heißt Jasdi. In dieser großen und schönen Stadt werden Seidenstoffe und golddurchwirkte Stoffe hergestellt, die man Jassi nennt und die von dort in alle Länder vertrieben werden. Wenn man diese mohammedanische Stadt verlässt, erreicht man die nächste große Stadt erst nach sieben vollen Tagen, wobei man unterwegs nur an drei Orten in einer Herberge übernachten kann. In dem schattigen und flachen Gelände kommt man gut voran. Rebhühner und Wachteln gibt es reichlich, sodass die Reise eine wahre Freude ist. Es gibt auch sehr schöne Wildesel in der Gegend. Nach diesen sieben Tagen gelangt man in ein Reich mit Namen Crema. XXIV VON DER STADT JASDI

XXV VOM REICH CREMA Eines

der Reiche Persiens heißt Crema, wo das Königtum einst erblich war. Seit der Unterjochung durch die Tataren ernannten diese jedoch einen Herrn nach ihrem Belieben. In den Minen der dortigen Gebirge werden die Steine gefunden, die wir Türkise nennen. In ebenfalls großen Mengen werden Eisenerze abgebaut. Die Bevölkerung stellt mit großer Fertigkeit die gesamte Reiterausrüstung her, Zaumzeug und Sättel, aber auch Waffen und Werkzeuge aller Art. Die Frauen des Landes stellen sehr schöne Seiden- und Goldstoffe mit Tiermotiven her, auch kostbare Vorhänge und vieles mehr, sowie Decken und Kissen und so fort. Nirgends auf der Welt finden sich Falken, die jenen gleichkommen, die man in den dortigen Bergen findet. Sie sind kleiner als Wanderfalken, aber keine Beute entgeht ihnen. Wenn man Crema verlässt, hat man sieben Tagereisen durch ein dichtbesiedeltes Gebiet unter guten Reisebedingungen vor sich, wozu auch günstiger Vogelfang gehört. Danach gilt es ein Gebirge in zweitägigem Abstieg zu überwinden, aber man kann sich von reichlichem und gutem Obst ernähren. Bewohner gibt es in dieser Region fast gar nicht, wohl aber Nomaden mit ihrem Vieh. Zwischen Crema und jenem Abhang ist es im Winter so kalt, dass man nur mit warmen Kleidern weitergelangt. Beim Abstieg aus dem Gebirge sieht man eine schöne Ebene vor sich und stößt zuerst auf eine Stadt mit Namen Camadi, die früher sehr bedeutend war, inzwischen aber von den Überfällen der Tataren mehrmals heimgesucht worden ist. Das heiße Klima in dieser Ebene mit Namen Reobales lässt Datteln, Pistazien, Bananen und andere Früchte gedeihen, die wir nicht kennen. Die Rinder sind hier groß, schneeweiß, mit kurzem Fell wegen der Hitze; sie haben kurze, dicke und stumpfe Hörner und zwischen den Schultern einen zwei Handbreit hervorstehenden Höcker. Es sind schöne, sehenswerte Tiere. Wenn sie beladen werden sollen, legen sie sich hin wie Kamele, und anschließend erheben sie sich wieder, denn XXVI DIE STADT CAMADI

sie sind über die Maßen kräftig. Auch Schafe, so groß wie Esel, findet man dort. Sie haben dicke Schwänze, die bis zu dreißig Pfund wiegen. Diese weißen Schafe werden sehr fett und sind sehr schmackhaft. In diesem Land sind alle Städte, Burgen und sonstigen Wohnsiedlungen befestigt – letztere mit Lehmmauern –, damit sie sich gegen die Karaunas schützen können. Diese durchstreifen bei ihren Raubzügen das Land und lassen durch Zauberei sieben Tage und Nächte Dunkelheit herrschen, wodurch sie den Blicken entzogen bleiben. Sobald die Dunkelheit hereingebrochen ist, durchziehen sie das ihnen wohlbekannte Land; den mitunter zehntausend Mann entgeht in dem ungeschützten Gebiet weder Mensch noch Tier. Alte Leute bringen sie um, junge verkaufen sie als Sklaven. Der Herrscher dieser bösartigen, schurkischen und grausamen Menschen heißt Nogodar. Marco Polo hat selber die beschriebene Finsternis erlebt, konnte sich aber nach Canosalmi retten, während etliche seiner Begleiter gefangen und entweder umgebracht oder verkauft wurden. Die erwähnte Ebene erstreckt sich fünf Tagereisen nach Süden. Dann steht man vor einem weiteren Abhang. Es sind zwanzig Meilen äußerst schlechten Weges, auf dem man außerdem noch Überfällen von Räubern ausgesetzt ist. Danach durchmisst man eine sehr schöne Ebene, die die Ebene von Cormos genannt wird. Sie erstreckt sich zwei Tagereisen weit und wird von einem schönen Fluss durchflossen. Außer Birkhühnern und Papageien gibt es dort viele Vogelarten, die mit unseren nicht zu vergleichen sind. Nach zwei Tagen stößt man an der Küste des Ozeans auf die Hafenstadt Cormos. Hier werden die Waren umgeschlagen, die per Schiff aus Indien kommen, darunter allerlei Spezereien, Goldstoffe, Elfenbein und vieles andere, was von hier durch Kaufleute in alle Teile der Welt weitertransportiert wird. Durch die besondere Bedeutung als Handelshafen ist Cormos den anderen Städten und Festungen übergeordnet und gilt als Hauptstadt des Landes, das von XXVII VOM GROSSEN ABHANG

Rucmedan Acomat beherrscht wird. Das Klima ist durch die große Hitze ungesund; wenn ein fremder Kaufmann dort stirbt, wird seine ganze Habe dem Schatz des Herrschers einverleibt. Im Lande wird ein bestimmter Wein aus Datteln mit allerlei Zutaten hergestellt, der, wenn man nicht an ihn gewöhnt ist, zunächst Durchfälle auslöst. Wenn man sich aber erst daran gewöhnt hat, ist er sehr bekömmlich. Auch die sonstige Ernährung entspricht nicht der unsrigen, denn die Leute dort würden unverzüglich erkranken, wenn sie sich von Weizen und Fleisch ernähren sollten. Sie leben von Datteln und gesalzenen Fischen, die ihrer Gesundheit sehr zuträglich sind. Ihre Schiffe sind äußerst schlecht und gefährlich, weil sie nicht mit Eisennieten, sondern mit Stricken zusammengehalten werden, die aus der Schale der in Indien wachsenden Nüsse hergestellt werden. Diese weicht man in Wasser auf, wo sie Fasern abgeben wie Borsten. Und damit fertigen sie ihre Schiffe, ohne dass das Salzwasser ihnen etwas anhaben kann. Die Schiffe haben einen Mast, ein Segel, ein Steuer und ein Deck. Wenn sie aber beladen sind, spannt man Häute darüber, auf denen dann die Pferde stehen, die nach Indien verkauft werden. Nägel gibt es nicht, weil das zu ihrer Herstellung notwendige Eisen fehlt. Infolgedessen sind die Schiffe nicht sehr seetüchtig. Die Einwohner sind Mohammedaner. Es ist dort so heiß, dass man nicht leben könnte, wenn es nicht die außerhalb der Stadt gelegenen Gärten am Wasser gäbe. Es weht nämlich im Sommer mitunter ein Wind aus der Wüste, der so heiß ist, dass die Leute nicht überleben würden, wenn sie nicht ans Wasser flüchteten. Ihr Getreide säen sie im November und ernten dann im März. So geschieht es auch mit den übrigen Früchten. Von März an ist es so heiß, dass in dem ganzen Gebiet nichts grünt und nichts gedeiht, außer den Datteln, die bis Mitte Mai geerntet werden. Ihre Schiffe werden nicht mit Pech, sondern mit einer Art Fischfett abgedichtet. Wenn dort einer stirbt, wird er sehr betrauert. Vier Jahre lang beklagen die Witwen mindestens einmal täglich mit anderen Leuten oder ihren Verwandten den Tod ihres Gatten.

Wir wollen uns jetzt nach Norden wenden und von den dortigen Gebieten reden. Wir gelangen dann auf anderen Wegen nach Crema zurück, von dem bereits die Rede war. Von jener Gegend, von der ich berichten will, kommt man nämlich nur nach Crema. Und dieser König Acomat, den wir gerade verlassen haben, ist jetzt König von Crema. Wenn man von Cormos nach Crema zurückkehrt, durchquert man eine schöne, wildreiche Ebene mit warmen Quellen und recht vielen Früchten und Vögeln. Das Brot aus dem dort wachsenden Getreide ist für denjenigen, der daran nicht gewöhnt ist, entsetzlich bitter, und das kommt vom Meerwasser. Wir beschreiben jetzt den Weg nordwärts. Nach dem Aufbruch von Crema ist man sieben Tage auf den unterschiedlichsten Wegen unterwegs. Ich will euch erzählen, wie man drei Tage reitet, ohne Wasser zu finden, außer solchem das grün ist wie Gras, dazu salzig und bitter. Wer davon auch nur einen Schluck trinkt, muss mindestens zehnmal aus dem Sattel, und wer ein Körnchen von dem Salz isst, das man daraus gewinnt, dem ergeht es genauso. Man muss also für die ganze Strecke Trinkwasser bei sich führen. Die Tiere trinken wegen ihres großen Durstes notgedrungen von jenem Wasser, was zu Koliken bei ihnen führt. Während der drei Tage findet man keine Behausung, nur Wüste und Dürre. Tiere gibt es dort nicht, denn sie fänden nichts zu fressen. Die Reise während der darauffolgenden vier Tage ähnelt der Wüstenstrecke, nur findet man hin und wieder Wildesel. Nach diesen vier Tagen endet das Reich von Crema, und die Stadt Gobiam ist erreicht. XXVIII DER RITT DURCH DIE WÜSTE

Die Einwohner der großen Stadt Gobiam sind Mohammedaner. Sie verarbeiten Eisenerze, gewinnen Antimon und Zink, stellen Tutie und Spodium her. Ich will euch auch sagen, wie. Sie haben eine besonders geeignete Erde, die legen sie in einen brennenden Ofen und darauf einen XXIX VON DER STADT GOBIAM

Eisenrost. Der Rauch von dieser Erde steigt hoch zum Rost, und was daran hängenbleibt, ist Tutie, was im Ofen bleibt, ist Spodium. Nun wollen wir weiterziehen. Acht Tage durch die Wüste hat man vor sich, wenn man Gobiam verlässt. Diese Wüste ist von extremer Trockenheit, und die darin wachsenden Früchte und das Wasser sind ebenso bitter wie in der Wüste, von der wir weiter oben sprachen. Reisende müssen sich also mit Trinkwasser und Lebensmitteln versehen, wenn sie den Landstrich durchqueren, denn die Tiere würden jenes Wasser nur sehr ungern trinken. Nach diesen acht Tagen erreicht man ein Gebiet namens Turnocain, das mit seinen vielen Städten und befestigten Orten im Norden an der persischen Grenze liegt. Es ist eine ganz flache Gegend, wo der Einsame Baum steht, den die Christen aber Dürrer Baum nennen. Ich will euch sagen, wie er aussieht. Es ist ein dickstämmiger großer Baum mit Blättern, die auf der einen Seite weiß, auf der anderen grün sind. Seine stachligen Früchte gleichen Kastanien, nur sind sie hohl. Das Holz des Baumes ist fest und gelblich wie das vom Buchsbaum. Im Umkreis von hundert Meilen steht kein anderer Baum, ausgenommen in einer Richtung, in der man innerhalb von zehn Meilen auf Bäume stößt. Von den Einwohnern kann man hören, dass dort die Schlacht zwischen Darius und Alexander stattgefunden habe. Alles, was man zum Leben benötigt, findet man in den Städten, deren Bewohner Mohammed verehren. In dem gemäßigten Klima leben schöne Menschen, besonders die Frauen sind sehr hübsch. Von hier wollen wir aufbrechen, denn ich habe euch von einer Gegend zu berichten, die Milice heißt und wo der Alte vom Berge lebte. XXX DURCH DIE WÜSTE

XXXI VOM ALTEN VOM BERGE, DEM PARADIES UND DEN MEUCHELMÖR-

Milice ist ein Gebiet, in dem früher der Alte vom Berge lebte. Marco Polo berichtet dessen Geschichte so, wie er sie von mehreren Leuten gehört hat. In der dortigen Sprache heißt DERN

der Alte vom Berge Alaodin. Zwischen zwei Bergen hatte er in einem Tal den größten und schönsten Garten der Welt anlegen lassen. Die besten Früchte wuchsen darin, während die Paläste mit goldenen Vogel- und Raubtiermotiven ausgemalt waren. In den Brunnen floss Wasser, Honig und Wein. Die schönsten Jungfrauen und Edelknaben sangen, musizierten und tanzten dort. Der Alte vom Berg ließ sie glauben, dies sei das Paradies. Mohammed hatte das Paradies ja so beschrieben, dass man darin Bäche von Honig, Milch und Wein fände und sich mit den schönsten Frauen vergnügen könnte. Deshalb versuchte er, das Paradies nachzubilden. Die Bewohner dieser Gegend glaubten wahrhaftig, dass dies das Paradies sei. Nur mit Erlaubnis des Besitzers gelangte man hinein, jedoch nur diejenigen, die er zu Mördern machen wollte. Den Zugang zum Garten versperrte ein festes, uneinnehmbares Schloss. An seinem Hofe zog der Alte alle Jünglinge von zwölf Jahren zusammen, die kräftige Männer zu werden versprachen. Wenn er die Absicht hatte, ihnen den Garten zu zeigen, ließ er sie zu viert, zehnt oder zwanzig durch Opium einschläfern, was drei Tage vorhielt. Dann ließ er sie in den Garten bringen und zu bestimmter Zeit wecken. Wenn die Jünglinge wach wurden, fanden sie sich zwischen all jenen Dingen wieder, von denen ihnen erzählt worden war, und glaubten, im Paradies zu sein. Die Umgebung mit den für sie spielenden und singenden Mädchen und allem Überfluss war so angenehm für sie, dass wohl keiner freiwillig den Ort verlassen hätte. Der Alte mit seinem aufwendigen und mächtigen Hof lässt die Bewohner glauben, dass sich alles so abspielt, wie es beschrieben worden ist, und bedient sich dazu auch folgenden Mittels. Wenn der Alte einen der Jünglinge mit einem bestimmten Auftrag versehen will, lässt er ihn unter dem Einfluss eines Schlafmittels aus dem Garten in seinen Palast bringen. Wenn die so Behandelten dort erwachen, wundern sie sich sehr und stellen traurig fest, dass sie nicht mehr im Paradies sind. Dann wenden sie sich sogleich in dem Glauben an den Al-

ten, dass dieser ein großer Prophet sei, und knien nieder. Er fragt dann: »Woher kommt ihr?« – »Aus dem Paradies«, antworten sie und erzählen ihm alles, was sie erlebt haben, und wünschen, dorthin zurückzukehren. So kann er, wenn er einen Menschen ermorden lassen will, den stärksten Jüngling aus dem Garten holen lassen, der willig seinen Befehl ausführt, um wieder in den Garten zurückkehren zu dürfen. Wenn sie den Befehl erfolgreich ausgeführt haben, kehren sie zu ihrem Herrn zurück; wenn sie gefasst werden, wollen sie sterben, weil sie so in das Paradies zu kommen glauben. Wenn der Alte ihnen ihren Mordauftrag gibt, nimmt er sie beiseite und sagt: »Geh hin und tu es, damit du ins Paradies zurückkehren kannst!« Und die Mörder gehen hin und führen alles bereitwillig aus. Deshalb bleibt in der Umgebung des Alten vom Berge niemand am Leben, wenn er es nicht will. Ja, ich sage euch, auch viele Könige sind ihm aus Angst vor seinen Meuchelmördern tributpflichtig. Da Alau, der Herrscher über die östlichen Tataren, davon wusste, fasste er im Jahre 1277 den Plan, ihn zu vernichten. Drei Jahre brauchte sein Heer für die Belagerung der Burg, deren Besatzung schließlich durch Hunger zur Aufgabe gezwungen wurde. Alle wurden gefangen und umgebracht, und es gab nie wieder einen Alten vom Berge, weil mit ihm das Haus ausstarb. Von hier wollen wir nun unseren Weg fortsetzen. Verlässt man diese Gegend, durchquert man eine schöne Ebene mit leichten Hügeln, guten Weideflächen und herrlichen Früchten. Die Reise dauert sieben Tage, und man stößt auf viele Städte und feste Plätze. Deren Bewohner sind Mohammedaner. Dann kommt eine Wüstenstrecke von fünfzig bis sechzig Meilen ohne jegliches Wasser. Man muss es für sich und die Tiere mitnehmen, bis man durch dieses Gebiet hindurch ist. Nach sieben Tagen erreicht man eine Stadt mit Namen Supunga. In der baumreichen Gegend wachsen in reichlicher Menge die schönsten Melonen der Welt. Man trocknet sie dort, nachdem man sie in Streifen geschnitten XXXII VON DER STADT SUPUNGA

hat. Sie werden süßer als Honig, und der Handel damit blüht in dem ganzen Gebiet. Auch viel Wild, namentlich Vögel, gibt es dort. Nun soll die Rede von Balac sein. Balac war einst eine große Stadt, prächtiger als heute, wo es die Tataren verwüstet und geplündert haben. Alexander nahm hier eine Tochter des Darius zur Frau, wie die Bewohner dieses Gebiets berichten, die Mohammedaner sind. Ihr müsst auch wissen, dass bis zu diesem Gebiet der Machtkreis des Fürsten der östlichen Tataren reicht. Die Grenzen des Persischen Reiches erstrecken sich in nordöstlicher und östlicher Richtung bis zu dieser Stadt. Zwölf Tage muss man reiten, wenn man in der genannten Richtung aufbricht, ehe man eine menschliche Behausung findet, denn die Menschen haben sich aus Furcht vor den Heeren und Räubern in die Bergbefestigungen zurückgezogen. Auf der Reise findet man Wasser und Wild in ausreichender Menge. Auch Löwen begegnen einem dort. Während der gesamten zwölf Tage muss man sich von mitgeführten Lebensmitteln ernähren. XXXIII VON BALAC

Nach diesen zwölf Tagen kommt man zu einer Burg namens Taican, wo ein großer Getreidemarkt gehalten wird. Es ist eine schöne Gegend. Die Hügel in Richtung Süden der Stadt sind sehr hoch und ganz aus Salz. Um dieses Salz zu erhalten, kommen die Leute aus einer Entfernung von bis zu dreißig Tagereisen. Es ist unvergleichlich gut und so hart, dass man es mit großen Spitzhacken aus Eisen brechen muss. Die ganze Welt könnte man bis ans Ende aller Zeiten damit versorgen, so reich sind die Vorkommen. Wenn man die Gegend verlässt und nach Nordnordost reitet, kommt man durch eine schöne Region mit ansehnlichen Siedlungen. Das Land ist reich an Früchten, Getreide und Wein. Die mohammedanischen Bewohner sind blutdürstige Mordgesellen. Immer haben sie ein Glas am Munde, denn sie trinken gern viel und haben einen guten Wein. Sie tragen als Kopfbedeckung ein XXXIII VON DEN SALZHÜGELN

zehn Spannen langes Band, das sie sich um das Haupt winden. Sie sind ausgezeichnete Jäger und kleiden sich in die Felle der erlegten Tiere, aus denen sie auch ihre Schuhe verfertigen. Jeder Mann ist in der Lage, die Felle zu bearbeiten, wenn sie die Beute abhäuten. Von dort sind es noch drei Tage durch ein gut besiedeltes Gebiet, bevor man zu einer Stadt namens Ish Scasem gelangt; durch diese Stadt fließt ein großer Fluss. In der Gegend gibt es viele Stachelschweine. Dann reitet man drei Tage, während deren man auf kein Haus trifft und weder zu essen noch zu trinken findet. Nach diesen drei Tagen kommt man in das Land Badascian; und jetzt will ich euch erzählen, wie es beschaffen ist. Die Bewohner dieses Landes sind Mohammedaner und bedienen sich einer eigenen Sprache. Es ist ein großes Reich mit erblichem Königstitel. Das Königshaus stammt von Alexander und der Tochter des Darius ab, des großen persischen Herrschers. In ihrer Sprache nennen sich die dortigen Herrscher Zulkarney, was in unserer Alexander heißt und in Erinnerung an den großen Alexander eingeführt worden ist. Dort findet man die Edelsteine, die Balass-Rubine genannt werden. Sie sind sehr wertvoll und werden in Bergminen abgebaut. Außerhalb des Königreiches darf niemand bei Todesstrafe danach graben, weil die Vorkommen so groß sind, dass die Steine sonst wertlos würden. In einem anderen Gebirge dieses Landes wird der Lapislazuli gefunden, der an Qualität seinesgleichen sucht. Aus dem Erdgestein macht man die Azurfarbe. Auch Silberminen gibt es in dem äußerst kalten Land. Die Bewohner züchten ziemlich viele Pferde, darunter schnelle Renner. Da sie meist über Gestein laufen, tragen die Pferde keine Eisen. Tüchtige Falken und Lanerfalken ziehen die Bewohner, denn für Jagd und Vogelfang ist stets Gelegenheit. Ihr Öl gewinnen die Menschen dort aus Nüssen. Vor Kriegen sind sie aufgrund der geographischen Lage recht sicher. Die guten Bogenschützen kleiden sich in Felle, Tücher sind dort sehr teuer. Die hochstehenden adliXXXV VON BADASCIAN

gen Damen tragen Beinkleider aus bis zu vierzig, neunzig, ja hundert Ellen Leinen oder Baumwolle feinster Qualität. Dadurch wollen sie dickere Hüften Vortäuschen, weil ihre Männer an fetten Frauen Gefallen finden. Wir wollen dieses Reich jetzt verlassen und von einem anderen Volk erzählen, das zehn Tagereisen von diesem Land entfernt lebt. Tatsächlich liegt zehn Tage von Badascian entfernt ein Land mit Namen Pasciai, dessen Bewohner wiederum eine andere Sprache sprechen. Sie sind Götzenanbeter und haben eine dunkle Hautfarbe. Diese bösartigen Menschen sind verschiedenen Teufelskünsten ergeben. Sie tragen Ohrringe aus Gold und Silber mit Perlen und Edelsteinen. Das Kljma des Landes ist sehr heiß. Die Nahrung der Einheimischen besteht aus Fleisch und Reis. Wenn man sich von dort fortbewegt, kommt man nach einer siebentägigen Reise in südöstlicher Richtung nach Chesimur. XXXVI VON DEN LEUTEN IN PASCIAI

Auch in Chesimur werden Götzen verehrt und sprechen die Einwohner wieder eine andere Sprache. In verschiedenen Zauberkünsten erfahren, können die Einwohner ihre Götzen zum Sprechen bringen und die Zeit verändern, sodass es dunkelt, und allerlei Unglaubliches mehr. Ihr Land ist das Zentrum der Götzendienerei, und von hier gehen alle Götzenverehrungen der anderen Länder aus. Von Chesimur aus gibt es eine Verbindung zum Indischen Ozean. Die Bewohner sind dunkelhäutig und mager; sie ernähren sich von Fleisch und Reis. Das Klima nimmt eine Mittelstellung ein zwischen heiß und kalt. Neben befestigten Plätzen gibt es Wüstenstriche und Pässe, die sich fast von selbst halten. Die Rechtsprechung des Königs ist unabhängig. Es gibt in diesem Land eine besondere Art von Eremiten, die sehr enthaltsam leben. Aus Verehrung gegenüber ihren Götzen verstoßen sie in nichts gegen die Gesetze ihres Glaubens. Sie haben Abteien und Klöster, in denen sie zusammen leben. XXXVI VON DER PROVINZ CHESIMUR

Nun wollen wir von hier aufbrechen und weiterziehen. Hier käme man jetzt nämlich nach Indien, was wir aber nicht wollen, da wir auf unserem Rückweg alles der Reihe nach über Indien erzählen werden. Deshalb wollen wir in unser Land Badascian zurückkehren, denn ein anderer Weg ist nicht gangbar. Verlässt man Badascian in Richtung Ostnordost immer am Fluss entlang, so reist man zwölf Tage durch ein Gebiet, dessen Städte und Behausungen dem Bruder des Königs von Badascian untertan sind. Dort wohnen tapfere Mohammedaner. Nach zwölf Tagen kommt man in eine kleine Provinz von drei Tagereisen Ausdehnung mit Namen Vocan. Ihre Bewohner sind ebenfalls Mohammedaner, haben eine eigene Sprache und sind recht tüchtig. Sie gehorchen dem Herrn von Badascian. Sie erlegen wilde Tiere und betreiben Vogelfang. Die nächsten drei Tage reist man nur durch Gebirge. Es heißt, es sei das höchste der Welt. Und wenn man oben ist, befindet man sich auf einer Ebene zwischen zwei Gebirgen, die gute Weidemöglichkeiten bietet, weil ein sehr schöner und großer Fluss für so üppiges Futter sorgt, dass mageres Vieh in zehn Tagen fett wird. In der Ebene gibt es eine Menge wilder Tiere, besonders Schafe, von ungewöhnlicher Größe, deren Hörner sechs Spannen lang werden, mindestens aber drei oder vier. Aus diesen Hörnern essen die Schäfer, denn sie stellen daraus große Näpfe her. Zwölf Tage führt der Weg über diese Ebene, und da man während dieser ganzen Zeit auf keine Wohnung trifft, muss man sich mit Vorräten versehen. Wegen der großen Höhe und Kälte findet man nicht einmal Vögel. Feuer erreicht nicht die Temperaturen wie in geringerer Höhe und hat auch nicht die gleiche Kochkraft. Wenn man drei Tage weiter in nordöstlicher Richtung reist, muss man noch gut zehn Tage durch Gebirge, Hügel und Täler reiten, viele verlassene Gebiete und viele Flüsse durchqueren. Keine Herberge, kein Haus nehmen einen auf, und Proviant muss man wiederum mitführen. Dieses Land heißt Belor. Die Leute wohnen hoch XXXVII VOM GROSSEN FLUSS IN BADASCIAN

oben in den Bergen. Sie sind wild, verehren Götzen und kleiden sich in die Felle der wilden Tiere, die sie auf der Jagd erlegen. Danach wollen wir von dem Land Casciar erzählen. In alten Zeiten war Casciar ein Königreich, heute ist es dem Großkhan unterworfen. Seine Bewohner sind Mohammedaner. Von den vielen Städten und Burgen ist Casciar die größte. Es liegt zwischen Nordost und Ost. Die Bewohner leben von Handel und Handwerk, haben schöne Gärten, Weinberge, Äcker und Baumwollpflanzungen. Kaufleute aus diesem Land ziehen in alle Welt. Es ist aber ein armes, elendes Volk mit schlechten Speisen und Getränken. Unter den Mohammedanern leben auch etliche Christen, Nestorianer mit eigenen Gesetzen, Kirchen und eigener Sprache. Dieses Land erstreckt sich fünf Tagereisen weit. Jetzt wollen wir es verlassen und uns Samarca zuwenden. XXXIX VON DEM REICH CASCIAR

Samarca ist eine edle Stadt im Nordwesten, deren Einwohner, teils Christen, teils Mohammedaner, dem Großkhan unterworfen sind. Ich will euch von einem Wunder berichten, das sich hier zugetragen hat. Es ist wirklich wahr. Vor noch nicht allzu langer Zeit bekehrte sich Gigatta, der Bruder des Großkhans, zum Christentum. Er herrschte über dieses Gebiet, und als die Christen der Stadt sahen, dass ihr Herrscher sich bekehrt hatte, waren sie sehr erfreut. Sie errichteten eine Kirche zu Ehren Johannes’ des Täufers, nach dem sie auch benannt ist. Dabei benutzten sie einen sehr schönen Stein der Mohammedaner; sie legten ihn in der Mitte jener Kirche unter eine Säule, die das ganze Gebäude stützte. Nun geschah es aber, dass Gigatta starb, und als die Sarazenen sahen, dass ihr Herr tot war, wollten sie in ihrem Groll über den Diebstahl den Stein mit Gewalt zurückgewinnen, und das hätten sie auch erreichen können, da sie an Zahl den Christen wohl zehnmal überlegen waren. Da machten sich einige Sarazenen auf, gingen zu den Christen und sagten ihnen, sie wollten jenen Stein. Die XL VON SAMARCA

Christen wollten ihnen gern eine Entschädigung in Form von Geld zahlen, die Mohammedaner wollten aber nur den Stein haben. Der Großkhan befahl den Christen, innerhalb von zwei Tagen den Stein zurückzugeben, was sie in große Traurigkeit und Ausweglosigkeit stürzte. Am Tag, als der Stein ausgegraben werden sollte, hatte sich die Säule gut vier Spannen über den Stein erhoben, und durch den Willen unseres Herrn lag er frei da. Das hielt man für ein großes Wunder. Und immer noch liegt er so da, der Stein. Wir wollen dieses Land nun verlassen, denn ich will euch von einem anderen sprechen, das da heißt Carcam. Sechs Tagereisen weit dehnt sich die Provinz Carcam aus. Ihre Einwohner sind teils Mohammedaner, teils Nestorianer. Sie haben großen Überfluss an allen Dingen. Mehr ist von ihnen nicht erwähnenswert, deshalb wenden wir uns Cotam zu. XLI VON CARCAM

Weiter nach Nordosten gelangt man nach Cotam, das sich acht Tagereisen weit ausdehnt. Es steht in der Botmäßigkeit des Großkhans, und seine Bewohner sind alle Mohammedaner, ein edles Volk. Von den vielen Städten und befestigten Plätzen ist die Stadt Cotam die vornehmste und bedeutendste, weshalb auch nach ihr die ganze Provinz benannt ist. Baumwolle, Wein, Gärten und alle anderen Dinge gibt es im Überfluss. Die Bewohner leben von Handel und Gewerbe. Sie sind jedoch keine guten Soldaten. Von dort aus wollen wir uns in das Land Peym begeben. XLII VON COTAM

Es ist eine kleine Provinz mit einer Ausdehnung von fünf Tagen in Richtung Ostnordost. Auch sie ist dem Großkhan unterworfen. Die mohammedanische Bevölkerung lebt zum großen Teil in Städten und Burgen. Peym ist die bedeutendste Stadt der Provinz. Auch hier gibt es an allen Dingen Überfluss für die Bewohner, die meist Händler oder Handwerker sind. Dort gibt es den Brauch, dass eine Frau, wenn ihr XLIII ÜBER PEYM

Mann zwanzig Tage von zu Hause fort ist, sich einen anderen Mann nehmen kann. Der Mann aber kann dort, wohin er kommt, sich eine andere Frau suchen. Ihr sollt auch erfahren, dass alle Gebiete von Casciar an zu Turkistan gehören. Ich will euch jetzt von einem Land mit Namen Ciarcia erzählen. Ciarcia ist ebenfalls eine Provinz von Turkistan und erstreckt sich in nordöstlicher Richtung. Die Provinzhauptstadt trägt den gleichen Namen. Die mohammedanische Bevölkerung lebt teilweise in den vielen Städten und Burgen. In dem dortigen Fluss findet man Chalzedone und Jaspise, und zwar viele von guter Qualität, die man in Katai verkauft. Wie die Provinzen Cotam und Peym ist dieses Gebiet sandig, sein Wasser bitter und schlecht im Geschmack. Aber es gibt auch süßes und gutes Wasser. Sandig ist die Gegend auch noch fünf Tagereisen weiter, während deren man auch schlechtes, bitteres Wasser findet, nur selten genießbares. Dann endlich kommt man nach dieser Wüstenei an eine Stadt, in der sich die Reisenden mit Lebensmitteln für die Reise durch die Wüste zu versorgen pflegen. Wir wollen euch nun von den folgenden Gebieten erzählen. XLIV VON CIARCIA

Lop ist eine große Stadt, genau am Anfang der großen Wüste, die den gleichen Namen trägt. Sie liegt nach Ostnordost zu. Auch hier herrscht noch der Großkhan über die mohammedanische Bevölkerung. Wer die Wüste durchqueren will, ruht sich in Lop eine Woche aus, um sich und die Tiere richtig zu Kräften kommen zu lassen. Dann versorgt man sich und die Tiere mit Vorräten für einen Monat und bricht von dieser Stadt in die Wüste auf. Sie ist so groß, dass man ein Jahr Anstrengungen auf sich nehmen müsste, wollte man sie in voller Weite durchqueren. An ihrer schmälsten Stelle aber braucht man nur einen Monat. Ununterbrochen geht es über Berge, Täler und Sand, wobei man nichts zu essen findet. Wenn man aber einen Tag und eine Nacht unterwegs war, XLV VON DER STADT LOP

kommt man an eine Wasserstelle, die jedoch nur für fünfzig bis hundert Leute mit ihren Tieren ausreicht. Sämtliche Wasserstellen sind jeweils einen Tag und eine Nacht auseinander gelegen. An drei oder vier Stellen ist das Wasser salzig und bitter, an allen anderen aber gut. Davon gibt es ungefähr achtundzwanzig. In der Wüste gibt es kein tierisches Leben, weil es nichts zu fressen gibt. Und doch muss ich euch sagen, dass sich hier so manches Wunderbare begibt. Wenn man nämlich nachts durch die Wüste reitet und einer zurückbleibt, um zu schlafen oder zu einem anderen Zweck, hört er, wenn er die Gefährten wieder einholen will, Stimmen in der Luft, die denen seiner Begleiter ähneln. Er wird mit seinem Namen gerufen und manchmal so vom Wege abgebracht, dass er sich nicht mehr zurechtfindet. So sind bereits viele Reisende umgekommen. Oft hört man auch Musikinstrumente, insbesondere Trommeln. Unter solchen Gefahren durchquert man die Wüste. Wir wollen nun diese Wüste verlassen und von dem Lande sprechen, das am Ausgang der Wüste liegt. Nach der Wüste kommt man in eine Stadt mit Namen Sacion, über die der Großkhan gebietet. Die Provinz heißt Tangut; dort leben Götzenanbeter, allerdings auch Christen, nämlich Nestorianer, und Mohammedaner. Wir bewegen uns immer noch in nordöstlicher Richtung. Die götzengläubigen Einwohner haben eine eigene Sprache. Sie treiben keinen Handel, sondern leben vom Ackerbau. Viele Klöster und Abteien sind mit Götzenbildern vollgepfropft, denen sie große Opfer und Ehren darbringen. Ihr müsst wissen, dass jeder, der Kinder hat, einen Widder zu Ehren des Götzen aufziehen lässt. Nach einem Jahr, wenn das Fest des Götzen stattfindet, führen Vater und Sohn den Widder vor das Götzenbild und erweisen ihm in Begleitung der ganzen Kinderschar ihre Verehrung. Dann lassen sie den Widder kochen. Danach lassen sie ihn vor dem Götzen stehen und bleiben so lange, bis ihr Opfergebet gesprochen ist. Darin erbitten sie Gesundheit für XLVI VON DEM GROSSEN LANDE TANGUT

ihre Kinder. Dann geben sie dem Götzen seinen Teil des Fleisches, zerschneiden das übrige, bringen es nach Hause oder wohin sie wollen, lassen die Anverwandten kommen und verspeisen das Fleisch in einem festlichen Gelage. Die Knochen entnehmen sie und bewahren sie in Truhen und Urnen auf. Ihr müsst auch wissen, dass, wenn einer von diesen Götzenanbetern stirbt, die anderen den Leichnam nehmen und verbrennen. Auf dem Weg zur Verbrennungsstätte haben die Verwandten an mehreren Stellen Häuser aus Stangen und Rohr errichtet, die sie mit Seide und Goldstoffen behängen. Wenn die Prozession mit dem Leichnam daran vorbeikommt, stellen sie ihn hinein und bieten ihm Speisen und Getränke. Und das tun sie, auf dass er mit denselben Ehren in der anderen Welt empfangen werde. An der Verbrennungsstätte befinden sich aus Papier gefertigte Menschenfiguren, ebensolche Pferde und Kamele und dicke Goldstücke. Das alles verbrennen sie mit dem Körper zusammen und glauben, dass er in der anderen Welt ebenso viele Pferde, Widder, Geldstücke usw. besitzen wird, wie sie hier aus Liebe zu ihm mit seinem Körper verbrannt haben. Sobald die Verbrennung beginnt, werden alle Musikinstrumente zum Spielen eingesetzt. Ich muss euch auch erzählen, dass die Verwandten nach dem Tode einer Person Astrologen herbeiholen, denen sie den Geburtstag des Verstorbenen nennen. So können die Sterndeuter durch ihren teuflischen Zauber den Verwandten die günstigste Zeit für die Verbrennung nennen. Manchmal halten sie den Leichnam eine, zwei oder auch vier Wochen zurück, um den besten Zeitpunkt zu erwarten, den ihnen diese Wahrsager nennen, nach denen sie sich in jedem Fall richten. In diesen Fällen bewahren sie den Leichnam in einem gut verschlossenen Sarg aus handbreiten Brettern, der gut mit Tüchern abgedichtet, auch mit Safran und allerlei Spezereien versehen ist, sodass die Bewohner des Hauses gegen den Geruch geschützt sind. Ihr müsst auch wissen, dass sie vor den Sarg mit dem Toten einen Tisch mit Gebäck und Wein und anderen Nahrungsmitteln stellen, so als lebte der Tote noch. Das wird jeden Tag bis zur Ver-

brennung getan. Wenn die Wahrsager den Verwandten bedeuten, dass es nicht gut sei, den Leichnam durch die Tür zu tragen, weil die Sterne einen dafür ungünstigen Stand hätten, tragen die Angehörigen den Sarg anderswo hinaus, manchmal zerbrechen sie sogar die Wand des Hauses auf der anderen Seite. So verhalten sich alle Götzenanbeter der Welt. Jetzt wollen wir von Gebieten berichten, die nach Nordwesten liegen und die man bald nach dieser Wüste erreicht. LANDSCHAFT KAMUL Die Provinz Kamul war schon in alter Zeit ein Königreich. Viele Städte und Kastelle gibt es hier. Die Hauptstadt heißt Kamul. Die Provinz liegt inmitten zweier Wüstenstriche. Auf der einen Seite liegt die große Wüste, auf der anderen Seite eine kleine Wüste, die man in drei Tagen durchmessen kann. Die Einwohner sind Götzenanbeter und haben ihre besondere Sprache. Sie leben von den Früchten der Erde, haben genug zu essen und zu trinken und verkaufen noch davon. Diese Leute sind dem Vergnügen ergeben und beschäftigen sich nur mit Musizieren, Singen und Tanzen. Wenn ein Fremder bei ihnen Herberge begehrt, so macht ihnen das die größte Freude. Sie tragen ihren Frauen auf, ihnen in allen Dingen zu Gefallen zu sein, verlassen selbst für zwei, drei Tage das Haus, während deren der Fremde mit der Frau zurückbleibt und mit ihr macht, was er will, als wäre es seine eigene. Es bereitet ihnen ein großes Vergnügen. In diesem Lande sind alle Ehemänner gehörnt, halten es aber nicht für eine Schande. Ihre Frauen sind sehr hübsch und lustig und den Bräuchen durchaus nicht abgeneigt. Nun geschah es aber in der Zeit des MoguKhan, des Herrn der Tataren, dass dieser, als er davon hörte, dass sie ihre Frauen immer den fremden Reisenden zur Verfügung stellten, unverzüglich befahl, dass niemand mehr Fremde beherbergen dürfe und dass die Frauen nicht mehr für solche Zwecke zur Verfügung gestellt werden dürften. Die Einwohner von Kamul waren über den Befehl nicht erfreut, berieten sich und schickten dem Fürsten ein großes Präsent, damit er sie XLVII VON DER

ihren altüberkommenen Brauch wiederaufnehmen lasse. Ihren Götzen habe er gut gefallen, weshalb sich ihr Besitz denn auch vermehrt habe. Als Mogu-Khan diese Worte hörte, erwiderte er: »Wenn ihr in eurer Schmach und Schande verharren wollt, so sei euch dies gewährt.« So haben sie ihren Brauch wiederaufgenommen und behalten ihn noch heute gegenüber Fremden bei. Wir wollen Kamul nun verlassen und von anderen Ländern berichten, die in nordwestlicher bis nördlicher Richtung liegen. Chingitalas ist ein Land, das noch in Wüstennähe liegt, und zwar nach Nordnordost. Die Größe dieser Provinz beträgt sechs Tagereisen. Das stadtreiche Gebiet und seine Befestigungen sind dem Großkhan untertan. Es gibt hier drei Arten von Bewohnern, Götzenanbeter, Mohammedaner und nestorianische Christen. In einem Berg gibt es verschiedene Erzgruben. Außerdem gibt es in dem dortigen Gebirge eine Ader, aus der Salamander gewonnen wird. Der Salamander ist kein Tier, das, wie ja gesagt wird, im Feuer lebt; kein Tier kann nämlich im Feuer leben. Ich werde kurz berichten, wie Salamander gewonnen wird. Einer meiner Begleiter, der Turkomane Zuficar, war im Auftrag des Großkhans drei Jahre in jenem Gebiet. Er beaufsichtigte die Gewinnung des Salamanders und erklärte sie mir, denn er hatte oft genug zugesehen. Und auch ich habe es gesehen. Die Substanz wird aus der Erde gebracht, zusammengepresst und bildet Fäden, die an Wolle erinnern. Sie wird in der Sonne getrocknet und in ledernen Mörsern zerstoßen. Dann wird sie gewaschen, wobei die daran haftende Erde sich löst. Zurück bleiben die Fäden, die gesponnen werden. Dann werden Tücher daraus gewoben. Diese sind zunächst dunkel, aber wenn man sie ins Feuer legt, werden sie weiß. Jedes Mal werden sie wieder weiß wie Schnee, wenn man sie schmutzig ins Feuer legt. Das ist Salamander, und alles andere sind Märchen. Auch in Rom befindet sich ein solches Tuch, das der Großkhan als Geschenk gesandt hat, daXLV IN VON DER STADT CHINGITALAS

mit man das Schweißtuch des Herrn darin aufbewahre. Wir wollen dieses Land nun verlassen und uns anderen Gebieten im Nordosten zuwenden. Verlässt man diese Provinz in nordöstlicher Richtung, findet man zehn Tage lang nur wenige Behausungen und wenig Bemerkenswertes. Nach den zehn Tagen erreicht man ein Land namens Succiur mit vielen Städten und Orten. Die christlichen und götzenanbeterischen Einwohner sind dem Großkhan untertan. Dieses und die vorher beschriebenen Gebiete gehören zur Provinz Tangut. In deren Bergen findet man überall Rhabarber in solcher Fülle, dass ihn Händler von hier in aller Herren Länder bringen. Die Bevölkerung lebt vom Ackerbau, nicht vom Handel. Wir brechen nun von hier auf und berichten euch von Campicin: XLIX VON SUCCIUR

Die Provinzhauptstadt von Tangut ist die große und prächtige Stadt Campicin. Es gibt dort Götzenanbeter, einige Mohammedaner, außerdem Christen, die über drei große und schöne Kirchen verfügen. Die Götzendiener haben viele Klöster und Abteien in der Bauart des Landes. Sie haben viele Götzen, darunter solche, die zehn Schritt hoch sind; bald sind sie aus Holz, bald aus Lehm, bald aus Stein, alle aber sind mit Gold überzogen und sehr schön. Ihr müsst auch wissen, dass die Priester dieses Glaubens nach strengeren Grundsätzen als die anderen Gläubigen leben. Sie enthalten sich fleischlicher Genüsse, betrachten sie aber nicht als große Sünde. Finden sie aber einen Mann bei einer Frau, wenn es die Natur nicht erlaubt, wird er zum Tode verurteilt. In ihrem Kalender richten sie sich nach dem Mond so wie wir nach der Sonne. Es gibt einen Monat, an dem während fünf Tagen kein Tier geschlachtet werden darf, sie würden auch kein so gewonnenes Fleisch essen. An diesen fünf Tagen leben sie strenger als in der übrigen Zeit. Wer nicht Priester ist, kann je nach seinem Reichtum bis zu dreißig Frauen nehmen. Die erste Frau hat aber immer den L VON CAMPICIN

höchsten Rang. Falls dem Mann eine Frau nicht mehr gefällt, kann er sie wohl verjagen und seine Base oder Tante zur Frau nehmen, was bei ihnen nicht verboten ist. In dieser Hinsicht leben sie wie die Tiere. Bevor wir den Bericht fortsetzen und uns insgesamt sechzig Tagereisen weiter nach Norden begeben, muss erwähnt werden, dass sich Niccolò und Matteo Polo wegen ihrer Geschäfte ein Jahr in dieser Region aufhielten. Von Campicin nach Eezima sind es zwölf Tagereisen. Die Stadt liegt am Rand der großen Sandwüste, noch in der Provinz Tangut. Die Einwohner beten Götzen an. Sie haben Kamele und viel Vieh. Man findet hier Lanerfalken von hervorragender Güte. Sie kommen mit den Ergebnissen des Ackerbaus aus, sodass kein Handel getrieben zu werden braucht. Wenn man durch die anschließende Wüste reisen will, versorgt man sich in dieser Stadt mit Proviant für vierzig Tage, weil man unterwegs auf keine Behausung und nur sehr selten auf eine Menschenseele trifft. In der Gebirgsgegend gibt es Wildesel und andere wilde Tiere, auch kleinwüchsige Fichten. Nach vierzig Tagen Wüstenritt kommt man im Norden in eine andere Provinz. Ihr sollt gleich erfahren, in welche. LI VON DER STADT EEZIMA

Caracom misst ungefähr drei Meilen im Umfang und ist der Platz, an dem die Tataren zuerst ihre Residenz aufschlugen. Ich will euch hier von allen Taten der Tataren erzählen und davon, wie sie sich einen Herrn gaben und wie sie sich über verschiedene Teile der Welt ausbreiteten. Ursprünglich kommen die Tataren aus nördlichen Gebieten, aus der Mandschurei, wo es weite, unbewohnte Flächen ohne jegliche Städte und Befestigungen, dafür aber gute Weideflächen und riesige Ströme gibt. Sie hatten keinen Oberherrn und waren nur einem Fürsten tributpflichtig, der einen Namen trug, der in unserer Sprache Priester Johann heißen würde. Von dessen Bedeutung spricht die ganze Welt. Die Bewohner gaben ihm von ihrem Vieh den zehnten. Die Tataren vermehrten sich LII VON DER STADT CARACOM

so stark, dass Priester Johann annahm, ihre Zahl könne ihm gefährlich werden. So entschloss er sich, sie in verschiedenen Gegenden anzusiedeln. Diesen Plan sollten seine Offiziere ausführen. Als die Tataren das bemerkten, waren sie sehr traurig und verließen alle gemeinsam das Land in nördlicher Richtung durch eine große Wüste, bis sie sich von ihrem ehemaligen Herrn nicht mehr bedroht fühlten. In der folgenden Zeit zahlten sie keinen Tribut mehr. Und so lebten sie eine ganze Zeit. Im Jahre 1187 wählten die Tataren einen Mann von großer Tüchtigkeit, Tapferkeit und Klugheit zu ihrem König, der Dschingis-Khan hieß. Und ich sage euch, als er zum König ernannt war, kamen alle Tataren, die in jenem Teil der Welt lebten, und huldigten ihm als ihrem Herrn. Und dieser Dschingis-Khan regierte gut und gerecht. Da strömten so viele Tataren zusammen, dass es schier unglaublich war. Als Dschingis-Khan die Zahl seiner Untertanen erkannte, bereitete er die Eroberung anderer Länder vor. Und ich sage euch, in sehr kurzer Zeit eroberte er acht Provinzen. Und denen, die er unterwarf, geschah nichts Böses, sondern er nahm sie mit auf weitere Eroberungszüge. So unterwarf er viele Völker, und alle folgten diesem Herrn bereitwilligst, da sie seine Güte erkannten. So fasste er den Plan, die ganze Welt zu erobern. Er sandte seine Boten zu Priester Johann, als man das Jahr 1200 schrieb, und verlangte dessen Tochter zur Frau. Als Priester Johann vernahm, dass Dschingis-Khan seine Tochter zur Frau haben wollte, empörte er sich und sagte zu den Boten: »Schämt er sich denn nicht, meine Tochter zu begehren? Weiß er etwa nicht, dass er mein Knecht ist? Kehrt nur um, und sagt ihm, dass ich meine Tochter eher verbrennen will als ihm zur Frau geben. Richtet ihm aus, dass ich ihn als Verräter vernichten werde.« Und dann sagte er noch zu den Boten: »Reist schleunigst ab und lasst euch nicht wieder blicken!« Die Boten verließen daraufhin Priester Johann und berichteten nach ihrer Rückkehr genauestens dem Dschingis-Khan. LIII VON DSCHINGIS-KHAN, DEM ERSTEN FÜRSTEN DER TATAREN

Als Dschingis-Khan den schmachvollen Bericht hörte, wurde er so zornig, dass ihm beinahe das Herz im Leibe zersprungen wäre. Da er sehr stolz war, sagte er, er werde es Priester Johann teuer entgelten lassen und ihm zeigen, wer der Knecht sei. Er stellte das bis dahin größte Heer auf und forderte Priester Johann zum Kampf. Dieser war sehr zuversichtlich, stellte ein Heer auf und kündigte an, er werde Dschingis-Khan schlagen und töten, ja er spottete gar, weil er den Gegner für ganz so kühn nicht hielt. Als Dschingis-Khan seine Vorbereitungen getroffen hatte, zog er in eine schöne Ebene namens Tenduk, nahe den Gebieten von Priester Johann. Hier schlug er sein Lager auf. Als Priester Johann das hörte, zog er ihm mit seinem Heer entgegen. Dschingis-Khan aber freute sich. Wir wollen jetzt von Priester Johann und seinen Leuten berichten. LIV WIE DSCHINGIS-KHAN GEGEN PRIESTER JOHANN VORGING

LV WIE PRIESTER JOHANN MIT SEINEM HEER DSCHINGIS-KHAN ENTGEGENZOG Sobald

die Ankunft des Dschingis-Khan bekannt wurde, zog Priester Johann ihm mit seinem Heer bis auf zehn Meilen in der Ebene entgegen, wo sich dann beide Heere erholten, um für die Schlacht frisch zu sein. Beide standen in der Ebene von Tenduk. Eines Tages ließ Dschingis-Khan seine christlichen und mohammedanischen Astrologen kommen, damit sie ihm sagten, wer die Schlacht gewinnen werde. Die christlichen Astrologen ließen sich ein Rohr kommen, spalteten es, trennten die beiden Hälften voneinander, legten die eine auf die Seite des Dschingis-Khan, die andere auf die von Priester Johann. Dann schrieben sie auf den einen Teil den Namen des DschingisKhan, auf den anderen den des Priesters Johann und erklärten: »Wessen Rohr auf das des anderen steigt, der siegt.« DschingisKhan wollte dabei Zusehen und verlangte, sie sollten möglichst rasch anfangen. Die christlichen Astrologen lasen mehrere Verse und Sprüche und Formeln aus ihrem Psalter. Im Folgenden Kampf zwischen den beiden Rohrstücken stieg das Rohr, auf dem sich der Name des Dschingis-Khan befand, auf das andere.

Jeder der Umstehenden konnte das sehen und freute sich sehr darüber, ebenso Dschingis-Khan, denn er glaubte den Christen. Die mohammedanischen Astrologen konnten dazu jedoch nichts sagen. SCHLACHT Daraufhin wurde auf beiden Seiten zur Schlacht gerüstet, die die größte und schlimmste war, die man je erlebt hat. Beide Seiten erlitten große Verluste. Sieger wurde schließlich Dschingis-Khan, während Priester Johann den Tod fand. Sein Reich fiel in die Hände des Dschingis-Khan, der noch sechs Jahre lang viele andere Länder eroberte. Dann fand er selbst den Tod, als er bei der Belagerung einer Burg namens Caagu von einem Pfeil ins Knie getroffen wurde. Das bedeutete einen großen Verlust, weil er ein kluger und tapferer Mann war. Nach diesem Bericht über den ersten Herrscher der Tataren und ihre Auseinandersetzungen mit Priester Johann wollen wir euch nun von ihren Bräuchen und Sitten erzählen. LVI ÜBER DIE

LVII VON DEN FOLGENDEN HERRSCHERN DER TATAREN, UND WIE VIELE

Auf Dschingis-Khan folgte Cuy-Khan, dann BathuyKhan, Alcon-Khan, Mogu-Khan und Kublai-Khan schließlich als sechster, von allen auch der Bedeutendste. Alle anderen zusammengerechnet hatten nicht soviel Macht wie er, der auch der Großkhan genannt wird. Ja ich sage noch mehr: Alle christlichen und mohammedanischen Herrscher der Welt zusammen sind nicht so mächtig wie er. Ihr müsst auch wissen, dass alle Großkhane, die von Dschingis-Khan abstammen, in einem hohen Berg begraben werden, der Alcay heißt. Selbst wenn die großen Herren der Tataren weit entfernt, sogar hundert Tagereisen weit entfernt sterben, so werden sie doch immer zur Bestattung in dieses Gebirge gebracht. Ich muss euch noch etwas anderes berichten: Es ist üblich, dass diejenigen, die den Leichnam auf dem Wege begleiten, alle Leute, die sie treffen, umbringen. Und während sie sie töten, sagen sie: »Gehet hin und dienet eurem Herrn in der anderen Welt«, denn sie glauben, ES WAREN

wer zusammen mit dem Großkhan sterbe, werde ihm im Jenseits dienen. Wie sie die Menschen töten, so verfahren sie auch mit den Pferden, und nur mit den besten, damit er sich ihrer in der anderen Welt bedienen kann. Ich versichere euch: Als Mogu-Khan starb, wurden mehr als zwanzigtausend Menschen getötet, die dem Leichnam auf dem Weg zur Begräbnisstätte begegneten. Da ich nun einmal von den Tataren angefangen habe, will ich euch noch mehr von ihnen erzählen. Sie haben keine festen Wohnplätze, sondern leben im Winter in flachen Gebieten mit viel Gras und guten Weideflächen für ihr Vieh, im Sommer dagegen in den kühlen Bergen und Tälern, wo es außer frischem Gras auch reichlich Trinkwasser gibt. Ihre Häuser sind aus Holz, mit Filz gedeckt und rund. Sie nehmen sie immer mit sich, wohin sie auch ziehen, denn sie haben die Holzstangen, aus denen sie diese Häuser machen, so kunstvoll angeordnet, dass sie sie mit Leichtigkeit überallhin transportieren können. Diese Häuser stellen sie stets so auf, dass die Tür zur Südseite zeigt. Ihre Wagen sind mit schwarzem Filz bedeckt, den kein Regen durchdringen kann. Ochsen und Pferde ziehen ihre Wagen, auf die sie ihre Frauen und Kinder setzen. Ihre Frauen besorgen alle Handelsgeschäfte und versorgen auch sonst ihre Männer, das könnt ihr mir glauben. Die Männer nämlich verstehen sich nur auf die Jagd, auf Vogelfang und Waffenhandwerk. Sie leben von Fleisch, Milch und ihrer Jagdbeute. Außerdem essen sie Pharaosäpfel, die es dort in großer Zahl gibt. Doch essen sie auch Fleisch jeder Art, ob nun vom Pferd, vom Hund oder von der Stute. Rinderfleisch mögen sie gern und Stutenmilch. Keiner würde die Frau eines anderen berühren, was sie für ein ehrloses, niederträchtiges Laster halten. Die Frauen besitzen edle Tugenden und achten auf die Ehre ihrer Männer und der ganzen Familie. Jeder Mann kann bis zu hundert Frauen nehmen, wenn er sie ernähren kann. Die Mutter der Frau erhält ein Heiratsgut, während die Tochter keinerlei Mitgift erhält. Am meisten geehrt und angese-

hen ist die erste Frau, die ein Mann genommen hat. Wegen der vielen Frauen ist die Zahl ihrer Kinder größer als bei anderen Völkern. Sie können jede Frau aus ihrer Verwandtschaft wählen, außer ihre eigenen Mütter. Wenn ihr Bruder stirbt, so nehmen sie dessen Frau zu sich. Jede Heirat wird mit großer Festlichkeit gefeiert. Ihr sollt nun auch etwas über ihren Glauben erfahren: Sie verehren einen Gott namens Natigay, von dem sie meinen, er kümmere sich um die irdischen Angelegenheiten, schütze ihre Kinder, ihr Vieh und Getreide. Ihm lassen sie große Verehrung zuteilwerden, und ein jeder bewahrt eine solche aus Tuch oder Filz gefertigte Gottheit in seinem Hause auf. Außerdem gesellen sie der Gottheit eine Frau und Kinder zu, und zwar ebenfalls aus Stoff. Dabei stellen sie die Frau auf seine linke Seite und die Kinder davor. Bei ihren Mahlzeiten verehren sie den Gott dadurch, dass sie vom fetten Fleisch ein Stück abschneiden und dem Gott, seiner Frau und seinen Kindern damit den Mund einreiben. Dann gießen sie etwas von der Brühe aus der Tür, in deren Nähe der verehrte Gott steht. So glauben sie, dass der Gott mit seiner Familie ihren Anteil erhalten haben, und essen und trinken beruhigt. Sie trinken Stutenmilch, müsst ihr wissen. Sie bereiten sie so zu, dass sie als wohlschmeckender Weißwein erscheint, den sie Kumyß nennen. Die Reichen kleiden sich bei ihnen in Gold- und Seidenstoffe mit Zobel, Hermelin, Eichhörnchenfellen und Füchsen. Sie haben sehr gutes Werkzeug und benutzen als Waffen Bögen, Schwerter und Schlagkeulen; überwiegend jedoch Bögen, weil sie hervorragende Schützen sind. Ihre Rüstungen sind aus Büffelfell gefertigt, mitunter auch aus anderem Leder. Im Kampf zeigen sie unvorstellbare Tapferkeit. Ich will euch beweisen, dass sie mehr ertragen können als andere Leute. Wenn es nötig ist, halten sie nämlich einen Monat ohne Nahrung außer Stutenmilch und ihrer geringen Jagdbeute aus. Ihre Pferde begnügen sich mit dem Gras, das sie finden, brauchen also weder LVIII VON DER RELIGION DER TATAREN

Getreide noch Stroh. Die Pferde sind dem Reiter völlig ergeben, bewegen sich, wenn nötig, Tag und Nacht weidend vorwärts, ohne dass der Reiter absteigt. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Strapazen zu ertragen und ohne großen Aufwand zu leben, sind sie zu Herren über Länder und Reiche geworden. Bei ihren Heereszügen steht der Tatarenfürst persönlich an der Spitze eines Heeres von hunderttausend Mann. Dieser hält Kriegsrat mit seinen Offizieren, die jeweils über zehntausend Mann Befehl haben. Diese zehn Offiziere instruieren wiederum die Hauptleute über jeweils tausend Mann. Wenn das Heer auf dem Marsch ist, wird es auf allen Seiten von Spähtrupps in einer Stärke von zweihundert Mann begleitet, damit es nicht unterwegs angegriffen wird, ohne dass man vorher gewarnt ist. Wenn das Heer einen langen Marsch unternimmt, tragen sie Milch in Lederbehältern mit sich, ebenso einen Kochtopf, in dem sie ihr Fleisch bereiten, und ein kleines Zelt, in das sie vor dem Regen flüchten. Ich versichere euch: Zehn Tage ohne warme Nahrung ertragen sie, leben dabei nur von dem Blut ihrer Pferde, indem sie den Mund an die angestochene Vene ihres Pferdes drücken. Sie haben auch Milch, die dick wird wie Teig und von ihnen, in Wasser gelöst, genossen wird. Ihre Kampfesweise sieht so aus, dass sie mal fliehen, mal angreifen, wobei sie jedoch auch bei der Flucht mit dem Bogen schießen und die Pferde wie Hunde hin und her hetzen. Wenn ihre Feinde gerade glauben, sie in die Flucht zu schlagen, werden sie selbst verjagt und geschlagen, denn all ihre Pferde brechen, von Pfeilen getroffen, zusammen. Sobald die Tataren sehen, dass die Pferde derer, die sie in die Flucht schlagen sollten, tot sind, kehren sie um und holen zum Vernichtungsschlag gegen ihre Gegner aus. So haben sie schon viele Schlachten gewonnen. Alles, was ich euch erzählt habe, trifft aber nur auf die echten Tataren zu, denn heute gibt es viele Mischlinge, und die, die in Katai wohnen, haben ihre eigenen Gesetze aufgegeben und die der dortigen Bewohner angenommen, sodass sie heute Götzen verehren. Die, welche die östlichen Provinzen bewohnen, haben die Sitten der Sara-

zenen angenommen. Wie man bei ihnen Recht spricht, will ich euch auch erzählen. Hat jemand eine geringfügige Sache gestohlen, ist nicht die Todesstrafe ausgesetzt, sondern er erhält sieben, zwölf oder vierundzwanzig Stockschläge. Je nach der Tat kann die Prügelstrafe bis zu hundertsieben Schlägen gehen. Die Zahl wird immer um zehn erhöht. Wenn einer eine Tat begeht, auf die die Todesstrafe steht, also etwa Pferdediebstahl oder einen größeren Raub, dann schlägt man dem Täter mit einem Schwert mitten durch den Leib. Wenn er aber neunmal mehr bezahlen will, als das wert war, was er gestohlen hat, lässt man ihm das Leben. Ihr Vieh hüten sie, wenn man das Kleinvieh ausnimmt, nicht, sondern es ist gebrannt. Wer ein Stück verlaufenes Vieh findet, erkennt das Mal und schickt das Tier zurück. Sie haben großes, schönes und wohlgenährtes Vieh. Von einem anderen Brauch muss ich euch auch noch erzählen. Sie lassen ihre verstorbenen Kinder heiraten. Wenn einer einen verstorbenen Sohn hat und die Zeit herangekommen ist, wo dieser so alt gewesen wäre, dass er geheiratet hätte, suchen sie jemand, dessen verstorbene Tochter im passenden Alter gewesen wäre, und verheiraten beide miteinander, indem sie Bilder von ihnen hersteilen, die sie dann verbrennen. Wenn der Rauch in die Luft aufsteigt, erklären sie, das Bild reise in die andere Welt, wo ihre Kinder sind und sich jetzt als Eheleute betrachten. Sie feiern eine große Hochzeit, opfern den Toten sehr viel, weil sie glauben, dass diese davon in der anderen Welt leben. Sie malen Vögel, Pferde, Werkzeuge, Geld und anderes, verbrennen die Bilder und sagen, dass dies Notwendige ihren Kindern im Jenseits zugutekommen werde. Sie betrachten sich als Verwandte und Freunde, so als lebten ihre Kinder. Bisher haben wir von den Bräuchen der Tataren, aber noch nicht von den Taten des Großkhans und von seinem Hof gesprochen. Ich will euch davon aber an passender Stelle erzählen. Wir kehren jetzt zurück zu jener großen Ebene, die wir durchschritten, als wir von den Tataren zu berichten begannen.

Wenn man Caracom und den Berg Alcay, den Begräbnisplatz der Tatarenfürsten, verlässt, kommt man in nördlicher Richtung durch ein Land, das die Ebene Bargu genannt wird. Die Einwohner dieser vierzig Tagereisen weiten Gegend nennen sich Merkiten und sind ein wildes Volks. Sie leben von Tieren, vor allem Hirschen, und sind Untertanen des Großkhans. Sie haben kein Getreide und keinen Wein. Im Sommer jagen sie Wild und Vögel, im Winter gibt es wegen der großen Kälte keine Tiere, die man jagen könnte. Und wenn man diese vierzig Tagereisen hinter sich hat, kommt man an den Ozean, in dessen Nähe ein Gebirge liegt, in dem Wanderfalken nisten. In dem ganzen Gebiet gibt es nur eine Art Vögel, von denen sich die Falken ernähren. Sie heißen Bugerlak. Sie sind groß wie Rebhühner, haben Füße wie Papageien, Schwänze wie Schwalben und sind schnell im Flug. Wenn der Großkhan nach solchen Falken verlangt, schickt er Leute in dieses Gebirge. Auf den der Küste vorgelagerten Inseln gibt es Geierfalken. Ich sage euch, diese Inselgruppe liegt so hoch im Norden, dass das Polargestirn südlich davon steht. Der Großkhan kann jede beliebige Menge von Geierfalken erhalten, denn sie sind sehr zahlreich. Die Tataren bringen ihm und dem Herrscher der Levante, also Arcon, diese Vögel. Da wir nun von den Gegenden bis hoch zum Ozean gesprochen haben, wollen wir zum Großkhan zurückkehren, in ein Land, von dem vor einigen Kapiteln die Rede war, nämlich nach Campicin. LIX VON DER EBENE BARGU

Wenn man Campicin verlässt, kommt man durch eine geisterreiche Gegend und hört nachts viele Stimmen. Nach fünf Tagen erreicht man ein Königreich namens Erginul, das dem Großkhan untertan ist und zur Provinz Tangut gehört, die mehrere Reiche umfasst. Die Einwohner, einige Christen und Mohammedaner ausgenommen, beten Götzen an. Von den vielen Städten ist die Hauptstadt Erginul, von der man, wenn man sie in Richtung auf das Kataigebirge verlässt, in eine Stadt mit Namen Singiu gelangt, die in einer ortsreichen Gegend gleichen Namens liegt, die dem Großkhan untertan ist. Auch die dortigen Bewohner LX VOM REICH ERGINUE

sind Götzenanbeter, Mohammedaner und Christen. Wilde Rinder findet man dort, die die Größe von Elefanten erreichen und sehr schön anzuschauen sind. Sie sind nämlich ganz behaart, außer auf dem Rücken, weiß und schwarz, mit langem Fell, das drei Spannen lang sein kann. Sie sind so schön, dass es an ein Wunder grenzt. Von diesen Rindern haben sie welche gezähmt, nachdem sie sie gefangen haben. Sie dienen als Last- und Arbeitstiere und können doppelt soviel leisten wie die uns bekannten. Hier wird auch der schönste und beste Moschus der Welt erzeugt. Ihr sollt auch erfahren, wie man Moschus gewinnt. Das Tier, das ihn liefert, ist klein, ähnelt der Gazelle und hat so grobes Fell wie Hirsche. Die Füße ähneln denen der Gazelle; das Tier besitzt vier vorstehende Zähne, zwei oben, zwei unten, die drei Finger lang und sehr dünn sind. Es ist ein sehr hübsches Tier, bei dem man nach dem Fang in der Gegend des Nabels zwischen Fell und Fleisch eine Hauttasche findet, die man mit dem ganzen Fell abschneidet. Und das ist der Moschus, von dem ein so starker Geruch ausgeht. In der ganzen Gegend herrscht ein Überfluss daran, und er ist überall so gut, wie ich es beschrieben habe. Handel und Gewerbe machen die Hauptbeschäftigung der Einwohner aus. Sie haben Getreide in großen Mengen in ihrer fünfzehn Tage weit ausgedehnten Ebene. Man findet bei ihnen Fasanen, die doppelt so groß sind wie die unsrigen. Sie sind fast so groß wie Pfauen, haben einen zehn Spannen, wenigstens aber sieben Spannen langen Schwanz. Aber es gibt auch Fasanen, die denen bei uns genau gleichen. Die Einwohner beten zu Götzen, sind fett und haben kleine Nasen, schwarze Haare und höchstens einen Kinnbart. Die Frauen haben keine Haare außer auf dem Kopf, dazu sehr schöne weiße Haut, schöne Gesichtszüge und sind Männern sehr zugetan. Man kann dort eine beliebige Zahl Frauen nehmen, wenn man sie unterhalten kann. Schöne, wenn auch arme Mädchen werden von den Männern gewählt, die sich mit der Mutter über den Preis einigen, den sie ihr zahlen. Wir wollen jetzt von einem Lande reden, das weiter ostwärts liegt.

Acht Tagereisen weiter östlich, wenn man von Erginul aufbricht, kommt man nach Egrigaia, einem Land mit zahlreichen Städten und Orten. Es gehört gleichfalls noch zur Provinz Tangut. Die Hauptstadt heißt Kalacia. Die Einwohner sind meist Götzendiener, aber es gibt auch drei Kirchen der nestorianischen Christen. Alle sind dem Großkhan untertan. In dieser Stadt werden schöne Kamelottücher aus Kamelhaar und aus weißer Wolle gewirkt, die die feinsten der Welt sind. Die Produktion ist so umfangreich, dass sie in viele Länder versandt werden. Zieht man von hier aus weiter, so kommt man nach Tenduk, in das Reich des Priesters Johann. LXI VON DEM LAND EGRIGALA

Tenduk liegt weiter im Osten und hat viele Städte und Befestigungen. Die Einwohner sind dem Großkhan tributpflichtig, und das ganze Land steht in dessen Botmäßigkeit, seit einst Priester Johann unterworfen wurde. Noch heute herrscht dort ein König, der direkt von Priester Johann abstammt. Er heißt Georg. Er hat sein Land als Lehen vom Großkhan, hat aber etwas weniger, als einst Priester Johann besaß. Der Großkhan hat immer seine Töchter und weiblichen Verwandten dem König zur Frau gegeben, der von Priester Johann abstammte. In diesem Gebiet wird der Lapislazuli gefunden, und die Bewohner stellen Stoffe aus Kamelhaar her. Als Nahrung haben sie insbesondere Früchte, die sie im Ackerbau gewinnen. Außerdem treiben sie Handel und Gewerbe. Die herrschende Schicht stellen die Christen dar, neben denen es noch Götzenanbeter und Mohammedaner gibt. Sie sind die weißesten Bewohner, zugleich die klügsten und erfolgreichsten Händler. Ihr müsst wissen, dass dieses Gebiet der Hauptsitz des Priesters Johann gewesen ist, als dieser Herr über die Tataren war. Überall dort findet man noch seine Nachfahren; der König, wie schon erwähnt, stammt auch von ihm ab. Wir nennen des Gebiet Gog und Magog, sie selbst aber Nug und Mugoli. In jeder der Provinzen gibt es verschiedene Rassen, in Mogul wohnen die Tataren. Reitet man sieben Tage durch das Land in LXII VON DEM LAND TENDUK

Richtung Osten, findet man eine Vielzahl von Städten und Burgen, deren Bewohner Mohammedaner, Götzenanbeter und nestorianische Christen sind. Sie leben von Handwerk und Handel. Sie stellen die verschiedenartigsten Tücher mit Goldeinlagen und Seidenstoffe her. Der Großkhan ist ihr Herr. In einer Stadt, Sindaciu, blüht das Handwerk ganz besonders. Alles Kriegszubehör wird hier hergestellt. Silber gewinnen sie aus den Gruben im gebirgigen Teil des Landes. Auch für die Jagd ist das Land hervorragend geeignet. Von hier brechen wir auf und reiten drei Tage, dann treffen wir auf eine Stadt mit Namen Gavor, wo der Großkhan einen riesigen Palast hat errichten lassen. Ihr müsst nämlich wissen, dass der Großkhan gern in dieser Stadt und in diesem Palast weilt, denn in der Nähe liegen ein See und ein Fluss mit vielen Kranichen, auch eine sehr schöne Ebene, wo es ebenfalls Fasane, Kraniche und Rebhühner in Hülle und Fülle gibt. Der Großkhan ist ein begeisterter Jäger, der an der reichen Beute seiner Falken und Geierfalken Gefallen findet. Von den fünf Arten Kranichen ist die eine schwarz wie Wachteln, aber sehr groß; die zweite ist weiß, hat schöne, wie die der Pfauen gefärbte Flügel, einen gescheckten Hals, einen rotschwarzen, sehr hübschen Kopf. Diese Art ist auch größer als die anderen. Die dritte Art sieht aus wie die Kraniche bei uns. Die vierte Art ist klein und hat schwarze und weiße Federn an den Kopfseiten. Die übrigen sind grau, sehr groß und haben einen weißen und schwarzen Kopf. In einem Tal nahe bei der Stadt hat der Großkhan Gehege errichten lassen, wo für ihn Wachteln gezüchtet werden. Zu ihrer Pflege stehen viele Männer zur Verfügung. Wenn er einmal zur Jagd in diese Gegend kommt, findet er unendlich viele Wachteln vor. Wir wollen jetzt aber von einem Gebiet weiter im Nordosten berichten. Nach einer dreitägigen Reise in der genannten Richtung kommt man in eine Stadt, die Giandu heißt und die von dem jetzt regierenden Großkhan, Kublai, gebaut wurde. Er hat in der Stadt einen Palast aus Marmor und andeLXIII VON DER STADT GIANDU

rem kostbaren Gestein errichten lassen, dessen Säle und Zimmer alle vergoldet sind und der insgesamt ein prächtiges Bauwerk ist. Eine fünfzehn Meilen lange Mauer umgibt das Gebiet um den Palast und bildet so einen Park mit Flüssen, Teichen und Springbrunnen. In diesem Gebiet hält der Großkhan Hirsche, Damwild und Rehe, von deren Fleisch er seine Falken, die er zur Jagd braucht, füttern lässt. Er hält dort in Käfigen etwa zweihundert Geierfalken. Einmal in der Woche begibt sich der Khan persönlich dorthin; dabei führt er meistens einen Leoparden zu Pferde mit sich. Wenn er ein Tier reißen lassen will, lässt er den Leoparden los und wirft den Falken das vom Leoparden erbeutete Wild vor. Auf diese Weise amüsiert er sich. In diesem Park hat er sich ein Lustschloss aus Rohr bauen lassen, das innen völlig vergoldet ist und dessen Wände und Decken mit Tiermotiven ausgestattet sind. Das Dach besteht aus gefirnißtem Rohr, sodass kein Wasser eindringen kann. Ihr müsst euch vorstellen, dass das dazu benutzte Rohr zehn Fuß lang ist und drei Spannen Umfang hat. Teilweise können die Maße darüber hinausgehen. Man zerschneidet das Rohr an den Knoten und in der Länge, sodass praktisch Ziegel entstehen, mit denen man das Haus decken kann. Das Gebäude hat er so errichten lassen, dass er es jederzeit zerlegen lassen kann, denn es wird von zweihundert seidenen Seilen gehalten. Drei Monate im Jahr verbringt der Großkhan dort, Juni, Juli, August, weil es dann warm ist. In dieser Zeit ist das Schloss aufgebaut, während es in der übrigen Zeit des Jahres zerlegt und woanders aufgebaut werden kann. Am achtundzwanzigsten August verlässt der Großkhan diesen Palast. Ich will euch auch den Grund nennen: Er besitzt eine Herde von etwa zehntausend weißen Hengsten und Stuten, deren Farbe wirklich der von reinem Schnee ähnelt. Die Milch der Stuten darf niemand trinken, der nicht aus der kaiserlichen Linie stammt. Nur eine Familie names Oriat darf noch davon trinken. Sie verdankt dieses Privileg Dschingis-Khan wegen ihrer Tapferkeit in einer bestimmten Schlacht, zu deren Sieg sie entscheidend beigetragen hat. Den Pferden wird solche

Ehrerbietung entgegengebracht, dass selbst die höchstgestellten Persönlichkeiten des Reiches ihnen ausweichen, wenn sie ihnen beim Fressen begegnen, um sie nicht beim Weiden zu stören. Die Astrologen und Götzendiener haben dem Großkhan gesagt, es müsse jedes Jahr am achtundzwanzigsten August von dieser Milch in der Luft und auf der Erde versprengt werden, damit die Geister und die Götzen ihren Teil trinken können, die so die Bevölkerung, deren Geflügel und allen Besitz schützen. Danach begibt sich der Großkhan an einen anderen Ort. Ich will euch noch von einem sonderbaren Vorgang berichten, den ich vergessen hatte. Wenn der Großkhan in diesem Palast weilt und schlechtes Wetter heraufzieht, halten die Astrologen und Zauberer das schlechte Wetter vom Palast fern. Diese weisen Männer heißen Tebot und sind in den Teufelskünsten erfahrener als alle anderen Leute. Sie erklären, dies komme durch die Heiligkeit ihres Lebens. Sie haben den Brauch, Leute, die durch die Justiz den Tod gefunden haben, zu kochen und zu verspeisen, nicht aber die, die natürlichen Todes gestorben sind. Sie sind so große Zauberer, dass, wenn der Großkhan in seinem Hauptsaal sitzt und tafelt und die Becher mit Wein, Milch und anderen Getränken sich am anderen Ende des Saales befinden, sie sie ohne Berührung bis zum Großkhan gelangen lassen. Dabei sind Tausende von Zuschauern anwesend, sodass es absolut glaubhaft ist, dass sie das durch die Schwarze Kunst bewirken. Wenn der Festtag eines ihrer Götzen herannaht, gehen sie zum Großkhan, lassen sich einen Widder, Aloeholz und andere Dinge geben, um sie dem Götzen zu opfern, damit er den Khan beschütze. Danach verrichten sie ihr Opfer in großer Feierlichkeit mit Spezereien und vielen Gesängen. Sie bringen dem Götzen das gekochte Fleisch des Widders dar, legen es vor die Statue, vergießen hier und da Brühe und glauben, die Götzen würden sich bedienen. So ehren sie ihre Götzen an den entsprechenden Tagen, denn jeder hat sein eigenes Fest, so wie bei uns die Heiligen. Sie haben Abteien und Klöster. Ja ich muss euch von einer kleinen Stadt berichten, in deren Kloster mehr als zwei-

hundert Mönche leben, die sich besser kleiden als alle anderen Leute. Sie haben die aufwendigsten Feste zu Ehren ihrer Götzen und tragen dabei die lautesten Gesänge im Fackelschein vor. Es gibt noch eine andere Art von Mönchen, die das kärglichste Leben führen, das überhaupt vorstellbar ist. Sie essen Kleie, die sie in warmem Wasser aufweichen, umrühren und dann verzehren. Sie fasten beinahe das ganze Jahr, haben viele Götzen, zu denen sie nahezu ununterbrochen beten, und manchmal verehren sie das Feuer. Die anderen Orden sagen von ihnen, sie seien Häretiker. Eine weitere Art von Mönchen darf bei ihnen heiraten und Kinder zeugen. Sie kleiden sich auch anders als die bisher genannten Orden, sodass es große Unterschiede in Kleidung und Lebensführung zu erwähnen gibt. Man trifft auch auf Leute, deren Götzen alle weibliche Namen tragen. Wir wollen diese Gegend nun verlassen, denn ich will euch von den großen und wundervollen Taten des obersten Herrn aller Tataren, von Kublai-Khan berichten. Der Name des jetzigen Herrschers der Tataren heißt in unserer Sprache Herr aller Herren. Und wirklich, der Name ist sehr zutreffend, weil der Großkhan über die meisten Leute, Länder und Reichtümer gebietet, die man überhaupt kennt. Nie zuvor ist jemand mächtiger gewesen. Und dass es wahr ist, will ich in diesem Buch beweisen, und der Leser wird es zufrieden sein. LXIV VON ALLEN TATEN KUBLAI-KHANS, DER JETZT HERRSCHER IST

Man muss wissen, dass Kublai-Khan in direkter Linie von Dschingis-Khan abstammt. Kublai ist der Herr über alle Tataren und der sechste Khan bisher. Er übernahm die Herrschaft im Jahre 1256 dank seiner außergewöhnlichen Eigenschaften und seiner Tapferkeit und seines Mutes, mit deren Hilfe er den Thron gegen seine Brüder und Verwandten verteidigte. Jetzt, im Jahre 1298, herrscht er schon seit zweiundvierzig Jahren LXV VON DER SCHLACHT DES GROSSKHANS MIT NAJAM

und mag etwa fünfundachtzig Jahre alt sein. Bevor er Herrscher wurde, nahm er an verschiedenen Feldzügen teil, wo er sich so bewährte, dass er als tapfer und kühn galt. Als er den Thron bestieg, beteiligte er sich nur noch einmal persönlich an einem Kriegszug, und das war im Jahre 1286. Ich will euch erzählen, wie es dazu kam. Najam, ein junger Mann von zwanzig Jahren, dessen Vorfahren immer Lehnsleute des Großkhans waren und der selber ebenfalls viele Länder und Provinzen vom Großkhan erhalten hatte, sodass er etwa ein Heer von vierhunderttausend Reitern aufstellen konnte, erklärte, er wolle sich vom Großkhan lösen und ihm alles Land rauben. Najam verabredete mit Kaidu, einem anderen Vasallen des Großkhans und dessen Neffen, ein jeder solle mit seinem Heer von einer Seite kommen, damit sie gemeinsam dem Großkhan Land und Herrschaft nähmen. Kaidu gefiel der Plan ebenfalls gut, und er versprach, mit seinem Heer von etwa hunderttausend Reitern zur vereinbarten Zeit bereit zu sein. Sie zogen Reiter und Fußvolk zusammen, um den Großkhan zu überfallen, was diesem aber nicht entging. Er war nicht verängstigt, sondern als kluger Mann sagte er, dass er nie wieder die Krone tragen wolle, wenn er die beiden Verräter nicht zu Tode brächte. In zweiundzwanzig Tagen traf er eilends alle Vorbereitungen, und zwar so, dass nur seine Vertrauten davon erfuhren. Er verfügte über dreihundertsechzigtausend Reiter und hunderttausend Fußsoldaten. Das waren die Leute, die er meistens in seiner Umgebung hatte. Wenn er das ganze Volk mobilisiert hätte, wäre die Zahl nicht zu überschauen gewesen. Das wäre aber sehr mühsam gewesen und hätte sich nicht verheimlichen lassen. Die Dreihundertsechzigtausend aber waren seine Falkner und Hofbediensteten. Nach allen Vorbereitungen befragte er seine Astrologen, die ihm den Sieg in der Schlacht und den Tod seiner Feinde voraussagten. Der Großkhan brach mit seinem Heer auf und erreichte in zwanzig Tagen eine große Ebene, in der Najam mit seinen Leuten lagerte, die wohl dreihunderttausend an der Zahl waren. Kublai kam mit seinen Truppen eines Morgens überraschend an, denn er hatte sämtli-

che Späher fangen lassen, sodass Najam nicht vorbereitet war. Als sie das Lager erreichten, lag Najam gerade mit seiner Frau im Bett und vergnügte sich. Als der Morgen anbrach, zeigten sich die Truppen des Großkhans am Rande der Ebene, während Najam noch schlief, denn er glaubte nicht, dass der Khan hierherkommen würde, weshalb auch das Lager kaum bewacht wurde. Kublai-Khan kam mit einem hölzernen Turmbau, der von vier Elefanten getragen wurde und von weitem gut zu sehen war. Darauf wehte sein Feldzeichen. Seine Armee war in Gruppen von dreißigtausend geteilt, die allmählich das ganze Lager umzingelten. Viele Reiter hatten einen Fußsoldaten mit auf dem Pferd, der seinen Bogen in der Hand hielt. Als Najam den Großkhan und seine Truppen erblickte, war er ebenso erschrocken wie seine Leute. Sie eilten zu den Waffen, ordneten sich und stellten sich in Schlachtordnung auf, sodass man nur noch zu kämpfen brauchte. Da begannen sie einen ungeheuren Lärm mit vielen Instrumenten und ihren lauten Schreien zu machen. Sie haben nämlich den Brauch, den Kampf nicht zu beginnen, bevor eine Trommel gerührt wird, die in den Händen des Heerführers ist. Bis dieser anfängt zu trommeln, machen die Soldaten einen großen Lärm mit Instrumenten und Gesang. Bei dieser Schlacht entbrannte so großer Gesang und Lärm von allen Seiten, dass es wirklich wie ein Wunder war. Als beide Seiten endlich vorbereitet waren und die großen Trommeln gerührt wurden, gingen sie aufeinander los und begannen, mit Speeren und Schwertern einander zu bekämpfen. Es war eine sehr grausame und tückische Schlacht, bei der so viele Pfeile durch die Luft flogen, dass es wie Regen wirkte. Pferde stürzten auf beiden Seiten, und der Lärm war so groß, dass man nicht einmal einen Donnerschlag gehört hätte. Und ihr müsst bedenken: Najam war getaufter Christ, der das Kreuz zum Feldzeichen hatte. Es war die grausamste und schrecklichste Schlacht, die man sich vorstellen kann, das muss nochmals betont werden; nie sind so viele LXVI BEGINN DER SCHLACHT

Menschen auf einmal gestorben, wie dort beide Seiten verloren. Es ist kaum zu glauben. Die ungeheure Schlacht dauerte vom Morgen bis in den Nachmittag hinein, schließlich aber blieb der Großkhan Sieger. Als Najam und seine Leute bemerkten, dass sie nicht länger Widerstand leisten konnten, ergriffen sie die Flucht. Aber es nutzte nichts. Najam wurde doch gefangen, und seine Offiziere ergaben sich dem Großkhan. Sobald der Großkhan von der Gefangennahme Najams erfuhr, gebot er, man solle ihn folgendermaßen töten. Man sollte ihn auf einen Teppich legen und solange hin und her werfen, bis er tot wäre. Und das tat er, weil er das Blut eines Angehörigen der kaiserlichen Familie nicht der Luft aussetzen wollte. Najam war ja mit ihm verwandt. Nach der Niederlage unterwarfen sich alle Untertanen Najams dem Großkhan und gelobten ihm Treue. Als Provinzen fielen ihm wieder in die Hände: Ciorcia, Cauly, Baiskol und Singhitigni. Als nach geschlagener Schlacht die Sarazenen und andere Nichtchristen sahen, dass Najam vergeblich das Kreuz auf seinem Banner getragen hatte, verhöhnten sie die Christen: »Seht ihr, wie das Kreuz eures Gottes Najam und seinem Heer geholfen hat?« Und sie wiederholten es so oft, dass der Großkhan davon hörte und sich darüber ärgerte. Er ließ die Christen zu sich kommen, um ihnen zu sagen: »Wenn euer Gott nicht dem Najam geholfen hat, tat er etwas Richtiges. Gott ist nämlich gut und will nur Richtiges tun. Najam war ungetreu und ein Verräter, der seinen Herrn angegriffen hat. Deshalb hat Gott gut daran getan, ihn nicht zu unterstützen.« Die Christen gaben ihm recht und sagten, das Kreuz wolle immer nur das Richtige. »Najam hat erhalten, was er verdiente.« Das war der Inhalt des Gesprächs zwischen Christen und Großkhan. LXVII WIE NAJAM HINGERICHTET WURDE

Nach dem Sieg in dieser Schlacht, von der ihr gehört habt, kehrte der Großkhan in einem großen Festzug in die Stadt Kamblau zuLXVIII WIE DER GROSSKHAN NACH KAMBLAU ZURÜCKKEHRTE

rück. Als der andere Verschwörer, Kaidu, hörte, dass Najam geschlagen worden war, entschloss er sich, nichts gegen den Großkhan zu unternehmen, doch er hatte gewaltige Angst. Nun habt ihr gehört, wie es kam, dass der Großkhan zu Felde zog. Alle übrigen Kriegszüge überließ Kublai-Khan seinen Söhnen und Offizieren, aber dieser Fall war ihm zu wichtig erschienen, sodass er sich in eigener Person hatte darum kümmern wollen. Es soll jetzt weiter von seinen Taten berichtet werden. Wir haben schon erwähnt, von welcher Linie er abstammte. Wir müssen noch berichten, wie er diejenigen seiner Obersten behandelt, die in der Schlacht sehr tapfer waren, beziehungsweise die, die elende Feigheit zeigten. Den Tapferen gibt er, wenn sie vorher über hundert Mann Befehl hatten, das Kommando über tausend und überreicht ihnen viel Silbergeschirr sowie die Tafeln des Befehls und des Adels. Die Tafeln, die denen verliehen werden, die über hundert Mann gesetzt sind, bestehen aus Silber, die Tafeln derer, die über tausend gesetzt sind, aus Gold oder vergoldetem Silber, und die, die über zehntausend Mann den Befehl führen, erhalten goldene Tafeln, auf denen das Haupt eines Löwen abgebildet ist. Die Tafeln derjenigen, die über hundert oder tausend Mann gebieten, wiegen hundertzwanzig Pfund, die der anderen wiegen zweimal soviel. Auf allen Tafeln ist folgender Text zu lesen: »Durch die Macht des großen Gottes und durch die Gnade, die er unserem Kaiser gewährt hat, sei der Name des Khans gesegnet, und alle, die den Befehlen nicht gehorchen, sollen Tod und Verderben erleiden.« Mit den Tafeln erhalten die Hauptleute Privilegien, und in der Inschrift ist auseinandergesetzt, was für Pflichten und Rechte sie haben. Der Befehlshaber über hunderttausend Mann oder Anführer einer großen Armee hat eine Tafel von einem Gewicht von dreihundert Pfund, auf der der oben erwähnte Spruch steht, unten auf der Tafel ist ein Löwe eingegraben, auf der anderen Seite die Sonne und der Mond. Auch die Inhaber solcher Tafeln besitzen Privilegien, und es ist ihnen aufgetragen, stets unter einem Sonnendach zu reiten, das ihre hohe Stellung an-

zeigt. Immer wenn sie sich setzen, nehmen sie einen silbernen Sessel. Wenige Leute haben vom Großkhan eine Tafel erhalten, auf der oben ein Löwe und ein Geierfalke eingegraben sind. Diese Tafel erhalten die drei höchstgestellten Fürsten, weil sie Befehlsgewalt haben wie der Großkhan selbst. Sie können jederzeit Pferde aus dem Stall des Khans nehmen, was allen anderen untersagt ist. Jetzt will ich euch vom Aussehen des Großkhans und von seinem Benehmen erzählen. Der Herr aller Herren, wie Kublai-Khan genannt wird, ist von schöner Gestalt, weder klein noch groß, sondern von mittlerem Ebenmaß. Sein Körper ist muskulös, und seine Glieder sind wohlgestaltet. Er hat ein rosiges, helles Gesicht, schöne dunkle Augen, eine gut geformte Nase, und das steht ihm gut. Vier Frauen betrachtet er als seine direkten Eheweiber. Der älteste Sohn, den er von diesen vier Frauen hat, soll der rechtmäßige Erbe des Thrones nach seinem Tode sein. Die Frauen werden Kaiserinnen genannt, jede trägt dabei ihren Namen. Sie halten vier getrennte Höfe, wobei jeder dreihundert Jungfrauen, viele Diener und Eunuchen, außerdem andere Frauen und Männer gehorchen, sodass jede wohl an die tausend Personen um sich hat. Wenn der Großkhan mit einer dieser Frauen schlafen will, lässt er sie zu sich rufen oder geht selber zu ihr. Außerdem hat er noch viele Beischläferinnen. Ich muss euch nämlich erzählen, dass es ein Tatarengeschlecht gibt, das Ungrat heißt. Das sind besonders schöne, einnehmende Menschen, unter denen die hundert schönsten Mädchen ausgesucht und dem Großkhan zugeführt werden. Wenn die Mädchen im Palast eingetroffen sind, lässt er sie von Frauen bewachen, die eine Nacht mit den Mädchen in einem Bett schlafen und untersuchen sollen, ob sie frei von schlechtem Geruch, noch Jungfrau und ohne Krankheiten sind. Diejenigen, die diese Prüfung bestehen, werden zurückbehalten und müssem dem Großkhan folgendermaßen dienen. Jeweils drei Tage und drei Nächte lang stehen sechs von ihnen dem Großkhan in LXIX VON DER GESTALT DES GROSSKHANS

seinem Bett und Gemach zu allen Diensten zur Verfügung, wobei er tun und lassen kann, wie ihm beliebt. Danach werden sie von sechs anderen Mädchen abgelöst, was durch das ganze Jahr so fortgesetzt wird. Die vier Frauen, von denen ich vorher sprach, haben dem Großkhan zweiundzwanzig Söhne geschenkt. Der älteste hieß Dschingis-Khan und sollte die Nachfolge des jetzigen Herrschers antreten. Als dieser Sohn starb, hinterließ er einen Sohn Namens Temur, der als Sohn des ältesten Sohnes später die Herrschaft übernehmen wird. Und ich sage euch, er hat seine Klugheit und Tapferkeit bereits in mehreren Schlachten erwiesen. Ihr müsst auch wissen, dass der Großkhan fünfundzwanzig Söhne von seinen Geliebten hat, die er alle zu hohen Fürsten macht. Von den zweiundzwanzig Söhnen, die er von seinen vier Ehefrauen hat, sind sieben Könige von großen Reichen, die sie sehr gut führen, da sie sehr klug, tapfer und mit Vernunft begabt sind, worin sie ihrem Vater ähneln, der sich ebenfalls durch Klugheit und Tüchtigkeit auszeichnet und der beste Gebieter von allen Herrschern ist, die die Tataren je hatten. Nach dem Bericht über seine Frauen und Söhne soll jetzt von seiner Hofhaltung und Lebensweise die Rede sein. LXX VON DEN SÖHNEN DES GROSSKHANS

Drei Monate im Jahr verbringt der Großkhan in der Hauptstadt namens Kamblau, nämlich die Zeit von Dezember bis Februar. In dieser Stadt steht sein großer Palast. Ich will euch beschreiben, wie er aussieht. Er ist viereckig, und seine Mauern sind auf jeder Seite eine Meile lang. An jeder Ecke des großen Palastes steht ein sehr schönes Gebäude, in dem die gesamte Ausrüstung für die Heere und Kriege aufbewahrt wird, also Bögen, Köcher, Sättel, Zaumzeug, Seile und Zelte. Zwischen den vier Gebäuden stehen nochmals vier, die ebenfalls mit solchem Rüstwerk gefüllt sind, sodass es insgesamt acht solcher Waffenkammern gibt, deren jede aber nur eine Art von Waffen beherbergt. Nach Süden liegen fünf ToLXXI VOM PALAST DES GROSSKHANS

re, in der Mitte ein großes, das nur geöffnet wird, wenn der Großkhan hinaus- oder hineinreitet. Neben diesem Tor steht auf jeder Seite ein kleines Tor für die anderen Leute. Neben diesen Toren steht wiederum jeweils ein großes Tor, das gewöhnlich von jedermann benutzt wird. Innerhalb des großen Außenringes befindet sich ein kleinerer, in den wie bei dem ersten acht Gebäude zur Aufbewahrung der Waffen eingebaut sind. Auch in dieser Mauer weist die Südseite fünf Tore auf, die entgegengesetzte nur eines. Im Zentrum des ganzen liegt dann der Palast, den ich euch jetzt beschreiben will. Es ist der größte, den man je gesehen hat. Es gibt kein eigentliches Fundament, sondern der Fußboden ist zehn Spannen über die Erde erhoben. Das Dach ist sehr hoch, und die Mauern der Zimmer und Säle sind vergoldet und versilbert. Darauf finden sich schöne Darstellungen von Frauen und Männern, Vögeln, wilden Tieren und vielen anderen Dingen. Auch am Dach kann man nur Gold und Silber feststellen. Der Saal ist so lang und so breit, dass bis zu sechstausend Personen darin speisen können. Die Zahl der außerdem vorhandenen Zimmer ist kaum zu glauben. Außen ist das Dach rot, blau, grün und zeigt auch alle anderen Farben; es ist so gelackt, dass es wie Gold und Kristall glitzert und der Palast schon von weitem leuchtet. Das Dach ist sehr fest. Zwischen den beiden Umfassungsmauern, von denen ich euch schon erzählt habe, befinden sich schöne Wiesen und Bäume und allerlei wilde Tiere, darunter weiße Hirsche, Rehe, Damwild, die Tiere, die Moschus liefern, Eichhörnchen, Hermeline und andere schöne Tiere. Das ganze Innere des Gartens wimmelt von solchen Tieren, ausgenommen der Weg, auf dem die Menschen den Garten betreten. In einem großen Teich im Nordwesten werden die verschiedensten Fischsorten gezüchtet. Der Teich wird von einem Fluss gespeist, der auf der anderen Seite wieder abfließt, ohne dass ein Fisch mit hinausgelangt. Durch Eisengitter vor dem Zu- und Abfluss wird verhindert, dass Fische entschlüpfen. Nach Norden zu, einen Bogenschuss vom Palast entfernt, befindet sich ein künstlicher Hügel aus Er-

de, dessen Höhe hundert Schritt und dessen Umfang an der Basis etwa eine Meile betragen. Dieser ist vollständig mit Bäumen bewachsen, die niemals ihre Blätter verlieren, sondern immer grün sind. Ich will euch noch folgendes erzählen: Sobald der Großkhan erfährt, dass irgendwo ein schöner Baum wächst, lässt er ihn mit Wurzeln und Erde ausgraben und dort einpflanzen; der Baum mag noch so groß sein, er lässt ihn dann eben mit Elefanten holen. Und ob ihr es glaubt oder nicht, er hat den Berg mit Lapislazulierde bedecken lassen, die grün ist, sodass auf dem ganzen Berg alles grün ist. Deshalb heißt er auch der Grüne Berg. Auf dem Hügel steht ein ziemlich großer Palast, der jedem Beschauer einen herrlichen Anblick bietet. Niemand kann ihn betrachten, ohne sich daran zu erfreuen. Um diese schöne Aussicht zu genießen, hat der Großkhan ihn zu seiner Freude und Bequemlichkeit anlegen lassen. In der Nähe dieses Palastes gibt es einen weiteren, der ganz ähnlich ist und dem Enkel des Großkhans als Heim dient, der als Thronfolger gilt. Wie erwähnt, handelt es sich um Temur, den Sohn des Dschingis, des verstorbenen ältesten Sohns des Großkhans; dieser Thronfolger kommt ganz nach seinem Großvater und hat bereits die Herrschaftsinsignien, übt aber sein Amt erst nach dem Tode des Großkhans aus. Nachdem ich euch über die Paläste berichtet habe, will ich jetzt von der großen Stadt Kamblau erzählen, wo diese Paläste liegen, und warum sie errichtet worden ist. Neben dieser Stadt gab es eine andere, groß und schön, namens Kamblau, was in unserer Sprache Stadt des Herrn heißt. Durch Sterndeuter erfuhr der Großkhan, dass diese Stadt in Rebellion gegen ihren Herrn aufstehen werde, worauf er beschloss, eine zweite Hauptstadt in der Nähe zu errichten. Die beiden Städte sind nur durch einen Fluss voneinander getrennt. Die Bewohner der alten Stadt ließ er umsiedeln. Die neue Stadt heißt ebenfalls Kamblau, hat einen Umfang von vierundzwanzig Meilen, auf jeder Seite also sechs Meilen, ist LXXII VON DER GROSSEN STADT KAMBLAU

viereckig, mit auf jeder Seite gleich langen Erdwällen versehen, die zehn Schritt breit, zwanzig Schritt hoch, oben aber dünner sind als unten. Sie verjüngen sich so, dass sie oben nur noch drei Schritt breit sind. Sie sind völlig weiß und mit Zinnen versehen. In der Mauer sind insgesamt zwölf Tore, nach jedem Tor kommt ein Gebäude, sodass auf jeder Seite drei Tore und fünf Gebäude zu sehen sind. Auf jeder Seite der Stadtmauer gibt es nämlich noch ein großes Gebäude, in dem die Wachen sich aufhalten. Stellt euch vor: Die Straßen der Stadt sind so gerade, dass man von einem Tor aus die Straße entlang bis zum Tor auf der anderen Seite der Stadt sehen kann. Das gilt für alle Tore. Von den vielen Gebäuden der Stadt hat besondere Bedeutung eines in der Mitte, in dessen hohem Turm eine Glocke abends dreimal schlägt, wonach niemand mehr gesehen werden darf, außer in Fällen von Geburtshilfe oder Krankenbeistand. Jedes Stadttor wird von tausend Mann bewacht, nicht etwa aus Angst vor Feinden, wie ihr vielleicht denkt, sondern es handelt sich um die Ehrenwache des Großkhans. Räuber gibt es nämlich dort nicht. Von der Stadt haben wir nun berichtet und wollen uns seiner Hofhaltung, seiner Staatsführung und seinen Taten zuwenden. Der Großkhan lässt sich von zwölftausend Berittenen bewachen, den »Tan«, was »treue Ritter des Herrschers« heißt. Das geschieht jedoch nicht aus Angst. Vier Hauptleuten dieser Truppe unterstehen je dreitausend Reiter. Immer dreitausend haben drei Tage und drei Nächte Dienst im Palast, wo sie auch essen und schlafen. Nach den drei Tagen werden sie von der nächsten Abteilung abgelöst. Wenn der Großkhan ein Gelage gibt, werden die Tische in folgender Weise aufgestellt. Der Tisch, an dem der Herrscher sitzt, steht höher als die anderen, er sitzt auf der nördlichen Seite, mit dem Blick nach Süden. Seine Hauptfrau sitzt zu seiner Linken, rechts, ein wenig tiefer seine Söhne, Enkel und Verwandten aus der kaiserlichen Linie, sodass ihr Kopf gerade in Höhe der Füße des Großkhans reicht. Danach folgen etwas tiefer die anderen Gefolgsleute. Für die

Frauen gibt es folgende Regelung: Die Töchter, Enkelinnen und weiblichen Verwandten des Herrschers sitzen auf der linken Seite, gleichfalls etwas tiefer. Darunter dann folgen die Frauen aller anderen Fürsten. Jeder kennt den Platz, an dem er nach Anordnung durch den Großkhan zu sitzen hat. Die Tische stehen so, dass der Großkhan jedermann sehen kann, und ihrer sind viele. Allein außerhalb des Saales essen vierzigtausend, denn viele Menschen kommen mit Geschenken aus fremden Ländern. Einige von ihnen sind Lehnsleute, die stets an den bestimmten Tagen öffentlicher Feste oder bei königlichen Hochzeiten erscheinen. Im Saal steht ein großes, fassartiges Gefäß aus feinem Gold, in dem sich Wein befindet und neben dem auf jeder Seite noch zwei kleine Gefäße stehen. Aus dem Großen schöpft man Wein, aus dem Kleinen andere Getränke. Auf der Tafel stehen goldene Schalen, deren eine so viel Wein fasst, dass es für mehr als acht Leute reicht. Für jeweils zwei Personen steht ein solches Gefäß da. Außerdem hat jeder Gast einen Becher aus Gold mit einem Griff als Trinkgefäß. Die ganze Ausstattung der Tafel des Großkhans ist sehr kostbar. Nun hat der Großkhan aber so viel Gold- und Silbergeschirr, dass man es schon gesehen haben muss, um es zu glauben. Hofherren von Rang sind angestellt, den Großkhan zu bedienen. Dabei haben sie Mund und Nase mit seidenen Tüchern bedeckt, damit ihr Atem nicht die Speisen des Herrschers berührt. Wenn der Großkhan trinken will, erhebt sich Musik, sobald er den Becher in der Hand hält. Alle Anwesenden, Fürsten wie Gefolgsleute, knien nieder und zeigen ihm ihre Verehrung. Das geschieht bei jedem Schluck, den er nimmt. Von den Speisen will ich gar nicht berichten, da sich jeder denken kann, dass sie in großer Fülle vorhanden sind. Kein Ritter oder Fürst versäumt es, seine Frau mitzubringen, damit sie mit den anderen Damen speist. Nach dem Gelage werden die Tische entfernt, und viele Zauberkünstler und Komödianten erfreuen den Großkhan. Sind diese Spiele beendet, begibt sich jeder nach Hause.

Alle Tataren feiern ihren Geburtstag. Der Großkhan ist an einem Montag, dem achtundzwanzigsten September geboren. Dieser Tag wird wie kein anderer gefeiert, ausgenommen der Neujahrstag, wovon noch die Rede sein wird. An seinem Geburtstag kleidet der Großkhan sich in überaus kostbare, goldgewirkte Gewänder, und zwölftausend Fürsten und Ritter kleiden sich nach Schnitt und Farbe gleich, nur sind ihre Kleider nicht ganz so kostbar. Sie tragen goldene Gürtel, die ihnen der Großkhan schenkt. Und ich sage euch, es gibt darunter Kleidungsstücke, an denen allein die Perlen und Edelsteine mehr als zehntausend Goldstücke wert sind. Und solcher Gewänder sind viele. Der Großkhan beschenkt bei dreizehn Gelegenheiten im Jahr diese zwölftausend Edlen mit Gewändern. Und er kleidet sie alle in dieselbe Farbe, die auch er trägt. Kein anderer Herrscher der Welt könnte sich das erlauben oder es durchhalten. LXXIII VOM FEST ANLÄSSLICH DES GEBURTSTAGS DES GROSSKHANS

An seinem Geburtstag machen alle Tataren der Welt und alle von ihm abhängigen Provinzen dem Großkhan in einem genau festgelegten Zeremoniell Geschenke und veranstalten ein großes Fest. Auch diejenigen, die von ihm ein Lehen haben wollen, bringen ihm an diesem Tage Geschenke dar. Diese Geschäfte werden von einem Zwölferrat erledigt, der den Bittstellern je nach den Umständen Ländereien zuweist. Alle Stämme beten an diesem Tag zu ihren Göttern, sie möchten den Großkhan bewahren, ihm ein langes, frohes und gesundes Leben geben. So feiern sie diesen Tag. Jetzt soll noch von einem anderen Fest die Rede sein, das zu Neujahr gefeiert wird und das Weiße Fest heißt. LXXIV VON DEM FEST

Dieses Fest wird im Monat Februar veranstaltet, wenn das Jahr beginnt. Bei dieser Gelegenheit ist es Brauch, dass der Großkhan samt seinen Untertanen weiße Gewänder anlegt, weil Männer und Frauen glauben, dass ihnen LXXV VOM WEISSEN FEST

diese Farbe Glück bringt. Zu Jahresanfang tragen sie diese Kleidung, weil sie hoffen, dass sie dann während des ganzen Jahres nur Erfolg und Freude haben. An diesem Tag bringen die Lehnsleute dem Großkhan viele bedeutende Geschenke, je nach ihren materiellen Möglichkeiten Gold, Silber, Perlen und andere Dinge. Jedem Geschenk sind reichlich weiße Tücher beigegeben, und das tun sie, damit dem Großkhan das ganze Jahr über viel Freude und viele Schätze zuteilwerden. An diesem Tag werden dem Großkhan auch mehr als zehntausend weiße, schöne Pferde geschenkt, außerdem mehr als fünftausend Elefanten, die mit Gold- und Seidenstoffen bedeckt sind und auf ihrem Rücken einen Schrein mit Geschirr aus Gold und Silber oder anderen Dingen tragen, die zum Fest gebraucht werden. Alle ziehen an dem Großkhan vorüber. Etwas Schöneres hat man noch nicht gesehen. Am Morgen jenes Festes, bevor noch die Tafeln aufgestellt sind, ziehen alle Fürsten, der ganze Adel in seinen verschiedenen Rängen, die Astronomen, Falkner und viele andere, die öffentliche Ämter bekleiden, Hauptleute der Armee, Landpfleger und Amtleute am Großkhan vorüber. Wer in der großen Halle keinen Platz mehr findet, bleibt vor dem Palast stehen, damit der Herrscher alle sehen kann. Die Versammlung wird in folgender Weise geordnet. Die ersten Plätze werden von den Söhnen und Enkeln und anderen männlichen Verwandten aus kaiserlicher Linie eingenommen; danach kommen die Könige und Großen des Reiches, danach in einer bestimmten Reihenfolge alle übrigen. Wenn jeder seinen Platz eingenommen hat, erhebt sich ein hoher Würdenträger und spricht mit lauter Stimme: »Verbeugt euch und betet!« Sogleich neigen alle die Stirn bis zur Erde und sprechen ihre Gebete zum Herrscher. Dabei beten sie wie zu einem Gott zu ihm. Dies geschieht viermal, dann schreiten sie zu einem Altar, auf dem eine rote Tafel mit dem Namen des Großkhans sich befindet, daneben ein Rauchfass, worin Spezereien angezündet sind. Damit beräuchern sie die Tafel und den Altar in tiefer Verehrung. Danach nehmen sie wieder ihren Platz ein. Erst dann werden die

Geschenke überreicht, die ich bereits erwähnt habe und die sehr wertvoll sind. Wenn der Großkhan alles angeschaut hat, werden die Tafeln aufgestellt, und sie beginnen in der oben angeführten Platzordnung zu speisen. Nun habe ich euch also vom Weißen Fest zu Neujahr erzählt. Jetzt will ich euch aber von etwas ganz Besonderem berichten: Der Großkhan hat nämlich bestimmten Edelleuten, die zu diesem Fest erscheinen, eine bestimmte Kleidung vorgeschrieben. LXXVI VON DEN ZWÖLF EDLEN AUS DEM RAT DES GROSSKHANS, DIE

Ihr müsst wissen, dass der Großkhan über zwölf Fürsten verfügt, die die nächsten Getreuen des Herrn genannt werden. Jedem von ihnen schenkt er dreizehn Kleider, die sich untereinander in der Farbe unterscheiden. Sie sind von großem Wert, weil sie mit Edelsteinen, Perlen und anderen Kostbarkeiten besetzt sind. Außerdem schenkt er jedem einen schönen goldenen Gürtel und Schuhe aus Kamelfell, die aufs feinste mit einem Silberfaden verarbeitet sind, sodass sie sehr schön und kostbar aussehen. Die Vertrauten sind so ausgestattet, dass jeder wie ein König wirkt. Für jedes der Feste ist ein bestimmtes Kleid vorgesehen. Der Großkhan verfügt ebenfalls über dreizehn gleichfarbige Kleider, sie sind jedoch noch kostbarer und edler. Nun habe ich euch von den Gewändern erzählt, die er seinen Vertrauten schenkt. Sie sind von unbeschreibbarem Wert. Auf diese Weise versucht der Großkhan, seinem Fest den schönsten Anstrich zu geben. Ich muss euch noch etwas ganz Wunderbares erzählen: Es wird auch ein gewaltiger Löwe vor den Großkhan geführt, und sobald das Tier den Herrscher erblickt, legt es sich vor ihm nieder und macht Zeichen der Ergebenheit, wobei es so tut, als erkenne es den Großkhan als Herrn an. Es trägt keine Kette, nicht einmal ein Band, was von allen bestaunt wird. Im Folgenden soll von der großen Jagd berichtet werden, die der Großkhan veranstaltet. ZUM FEST KOMMEN UND VOM GROSSKHAN GEKLEIDET WERDEN

LXXVII VON DER GROSSEN JAGD, DIE DER GROSSKHAN UNTERNIMMT

Wenn der Großkhan in der Zeit von Dezember bis Februar in der Stadt Katai residiert, wird auf seinen Befehl in einem Umkreis von vierzig Tagereisen eine große Treibjagd veranstaltet. Die Herren über die Gebiete in diesem Umkreis müssen die größeren Tiere wie Wildschweine, Hirsche, Rehe, Damwild und anderes Großwild einkreisen und zusammentreiben lassen. Daran ist eine große Zahl Jäger beteiligt, von denen die Tiere, die in einer Entfernung von bis zu dreißig Tagen erlegt werden, dem Großkhan geschickt werden, nachdem sie ausgenommen worden sind. Aus größerer Entfernung werden nur die Felle geschickt, weil der Großkhan sie für Kriegsmaterial braucht. Nun habe ich euch von der Jagd berichtet und will jetzt von den wilden Tieren erzählen, die der Großkhan hält. LXXVIII VON DEN LÖWEN UND ANDEREN ZUR JAGD ABGERICHTETEN TIE-

Ihr müsst nämlich wissen, dass der Großkhan über eine große Anzahl von Leoparden verfügt, die zur Jagd abgerichtet sind. Außerdem gibt es viele Löwen, die daran gewöhnt sind, Tiere zu fangen. Er hat stärkere und größere Löwen als die von Babellonia. Ihr Fell hat eine schöne Farbe und ist der Länge nach gestreift, mit weißen, schwarzen, roten Strichen. Mit ihrer Hilfe kann man Wildschweine, wilde Rinder, Hirsche, Rehe, Bären, Wildesel und andere Tiere erlegen. Es ist ein herrlicher Anblick, wenn die wilden Tiere von Löwen erlegt werden. Die Löwen werden auf Wagen in Käfigen transportiert; bei ihnen ist ein kleiner Hund. Außerdem verfügt der Herrscher über eine große Anzahl Adler, mit denen er Füchse, Hasen, Damwild, Rehe, Wölfe fangen kann; die auf Wölfe abgerichteten sind die größten und stärksten. Kein noch so großer Wolf entgeht diesen Adlern. Jetzt will ich euch von den vielen Hunden erzählen, die der Großkhan besitzt. Zwei Männer im Dienst des Großkhans, beide Söhne desselben Vaters, heißen Bayan und Manga. Sie werden nach ihrer Funktion als die bezeichnet, »die die Hunde halten«. Jedem von REN

ihnen unterstehen zehntausend Jäger, die gleichfarbig gekleidet sind, die einen rot, die anderen blau. Bei jedem Jagdzug mit dem Großkhan tragen sie diese Uniformen. Zweitausend von diesen zehntausend haben jeweils einen oder mehrere Jagdhunde bei sich, sodass den Großkhan bei jeder Jagd etwa zehntausend Jäger und fünftausend Hunde auf der einen Seite und ebenso viele auf der anderen Seite begleiten. Sie entfernen sich mindestens eine Tagereise weit voneinander, wobei ihnen kein Beutetier entgeht. Diese Jagden bieten ein herrliches Schauspiel, denn ich sage euch, wenn der Großkhan mit seinen Jägern ausreitet, sieht man seine Hunde von allen Seiten Bären, Schweine, Rehe, Hirsche und andere wilde Tiere zusammentreiben, dass es nur so eine Art ist. Nun habe ich euch von der Treibjagd erzählt und will jetzt berichten, was der Großkhan in den drei folgenden Monaten macht. Wenn der Großkhan die drei Monate von Dezember bis Februar in der erwähnten Stadt verbracht hat, verlegt er im März seinen Sitz nach Süden zu einen zwei Tagereisen vom Meer entfernten Ort. Dabei nimmt er zehntausend Falkner und fünftausend Geierfalken, Wanderfalken und Saker mit. Außerdem hat er Sperber bei sich, um an den Flüssen zu jagen. Die Jäger sind in Gruppen von ungefähr hundert bis zweihundert Mann geteilt. Ihre Jagdbeute geben sie zum großen Teil dem Großkhan. Wenn er mit den Falken und anderen Vögeln jagt, sind die zehntausend Mann paarweise aufgeteilt. Sie tragen die Bezeichnung »Hüter«. Da sie nur immer zu zweit jagen, nehmen alle zusammen einen beträchtlichen Strich Landes während der Jagd ein. Diese Hüter haben einen Riemen und eine Kappe, außerdem eine Pfeife bei sich, mit der sie die Falken rufen, um sie zu verwahren. Wenn der Großkhan befiehlt, die Vögel loszulassen, so brauchen die, die sie fliegen lassen, sie nicht zu verfolgen, weil es Aufgabe der anderen, die immer zu zweit gehen, ist, auf sie zu achten, sodass die Vögel überall leicht wieder eingefangen werden könLXXIX VON DES GROSSKHANS JAGDZUG

nen. Wenn der Vogel Hilfe braucht, eilen die aufgestellten Männer nämlich sofort hinzu. Alle Vögel des Großkhans und die der anderen hohen Herren tragen eine kleine Silbertafel an den Füßen, auf der der Name des Besitzers steht. Deshalb kann das Tier, wenn es gefangen wird, immer wieder dem Besitzer zurückgegeben werden. Wenn der Finder aber nicht weiß, wem der Vogel gehört, bringt er ihn zu einem Freiherrn, der als »Verwahrer der gefundenen Sachen« gilt. Wer die gefundenen Tiere nicht bei ihm abgibt, gilt als Dieb. Das gilt übrigens auch für Pferde und alle anderen Fundsachen. Der »Verwahrer« hebt alles so lange auf, bis der Besitzer ermittelt ist. Wer etwas verloren hat, muss sofort bei ihm vorstellig werden. Sein Platz befindet sich immer auf dem erhabensten Punkt des Feldes und ist durch ein besonderes Fähnlein ausgezeichnet, damit er sogleich von denen gesehen wird, die sich an ihn wenden wollen. So kann also nichts verlorengehen. Wenn der Großkhan so in Richtung Ozean zieht, kommen bei den Jagdvergnügen zahlreiche interessante Zwischenfälle vor, und man kann sagen, dass kein anderes Vergnügen auf der Welt sich damit vergleichen lässt. Der Großkhan bewegt sich dabei auf vier Elefanten, die einen hölzernen Pavillon tragen, der innen mit Goldstoffen und außen mit Löwenleder belegt ist. Darin führt der Großkhan immer zwölf Geierfalken mit, die zu den besten gehören. Zu seiner Unterhaltung begleiten ihn auch mehrere Fürsten. Begleiter zu Pferde machen ihn darauf aufmerksam, wenn Kraniche vorbeiziehen, und er lässt sofort seine Falken los, denen nur wenige entgehen. Der Großkhan beobachtet dabei die Jagd von seiner Sänfte aus. Seine Begeisterung wird von den Rittern, die ihn umgeben, geteilt. Wahrlich, es gibt keinen Herrscher auf dieser Welt, noch gab es einen solchen, noch wird es ihn je geben, der ein so großes Vergnügen genießt oder sich auch nur verschaffen kann. Jedenfalls glaube ich das. Schließlich gelangen sie an einen Ort namens Tarcamodu, wo der Khan die Pavillons und Zelte (für seine Söhne, Edlen und Gespielinnen, insgesamt an die zehntausend) sehr prunkvoll errichten lässt. Ich

will euch beschreiben, wie das Zelt aussieht, in dem er Hof hält. Es ist so groß, dass darin tausend Leute Platz haben. Die Tür ist nach Süden gerichtet. Während sich darin die hohen Persönlichkeiten aufhalten, weilt der Großkhan in einem anderen Zelt, dessen Tür nach Westen weist, das aber eine Verbindung zu dem erstgenannten hat. Wenn er mit jemand sprechen will, lässt er ihn einfach kommen. Hinter dem großen Zelt befindet sich ein kleiner Raum, wo der Großkhan schläft. Es gibt noch andere Zelte, die jedoch keine Verbindung zu dem großen Zelt haben. Die Ausstattung der herrschaftlichen Zelte will ich euch auch beschreiben. Jeder Raum hat vier sehr erlesene Holzsäulen, Bespannung aus Löwenfell, damit das Wasser nicht durchdringt, während innen Hermelin- und Zobelfelle die Wände bilden. Das sind die schönsten und teuersten Felle, die man dazu verwenden kann. Wenn ein Zobelfell so groß ist, dass es als Kleid für einen Menschen ausreicht, muss man zweitausend byzantinische Goldstücke dafür zahlen. Selbst ein gewöhnliches ist noch tausend Goldstücke wert. Sie nennen es »König der Felle«. Das Tier, das diese Felle liefert, ist so groß wie ein Iltis. Mit diesen zwei Fellarten ist der Raum des Großkhans so kunstvoll ausgeschmückt, dass es eine Freude ist. Ebenso ist das Schlafgemach des Großkhans ausgestattet. Der Wert dieser drei Zelte ist so groß, dass ein kleiner König sie nicht bezahlen könnte. Neben diesen Hauptzelten stehen in vorbildlicher Ordnung andere, von denen die der Frauen des Großkhans ebenso aufwendig sind. Auch die Vögel, speziell die Falken, haben ihre Zelte, davon die besten die Geierfalken. Für die übrigen Tiere ist auch gesorgt. Das Lager ist so groß, dass man es für eine riesige Stadt halten könnte. Viele Leute sind dort zusammengekommen, und außer den Falknern hat der Großkhan dort auch die anderen Beamten bei sich, sodass man in der Regierungsstadt zu sein glaubt. An diesem Ort bleibt der Großkhan bis Ostern, und während dieser ganzen Zeit wird er nicht müde, nach Kranichen und Schwänen und anderen Vögeln zu jagen. Auch seine Be-

gleiter sorgen durch Jagdzüge in die Umgebung für allerlei Beute. Diese Beschäftigungen bereiten dem Großkhan ein unglaubliches Vergnügen. Es ist nämlich ein Privileg des Großkhans, denn kein Handelsmann, Handwerker oder Bürger darf sich Falken oder Jagdhunde in einem Umkreis von dreißig Tagereisen halten. Außerhalb dieser Grenzen darf jeder nach seinem Belieben verfahren. Von März bis Oktober darf auch kein Vornehmer oder König im Gebiet des Großkhans Hasen, Damwild, Rehe, Hirsche oder andere Tiere fangen oder erlegen. Wer dagegen verstößt, wird bestraft. Ich sage euch aber: Den Anordnungen wird so gut entsprochen, dass die Hasen, das Damwild, die Rehe und die anderen Tiere, die ich aufgezählt habe, nahe an die Menschen herankommen, ohne dass sie berührt werden oder man ihnen etwas tut. Zum angegebenen Zeitpunkt begibt sich der Großkhan auf demselben Wege wieder nach Kamblau, wobei er während der ganzen Reise der Jagd nachgeht. HOFHALTUNG DES GROSSKHANS Nach seinem Eintreffen in Kamblau verbringt der Großkhan drei Tage in seinem Palast, und nicht mehr. Dort wird Hof gehalten und ein großes Fest gegeben, wobei er sich mit seinen Frauen sehr ausgelassen gibt. Die Feierlichkeiten während dieser drei Tage sind wirklich ungewöhnlich. Die Menge der Einwohner und die Zahl der Häuser in der Stadt sowie in den Vorstädten ringsum (von denen es im ganzen zwölf gibt, entsprechend der Zahl der Tore) ist unbegreiflich groß. Die Vorstädte sind sogar noch bevölkerter als die eigentliche Stadt, und dort nehmen die Kaufleute und andere, deren Geschäfte sie in der Stadt führen, ihre Wohnung. In den Vorstädten gibt es ebenso herrliche Gebäude wie in der eigentlichen Stadt. Ihr müsst aber wissen, dass man in der Stadt und in den Vorstädten niemanden begräbt; ebenso werden die Leichname der Heiden, bei denen Feuerbestattung üblich ist, vor der Stadt verbrannt. Es verhält sich auch so, dass keine Frau, die ihren Leib für Geld hergibt, in der Stadt zu bleiben LXXX VON DER

wagt. Sie wohnen alle in den Vorstädten. Und solcher Frauen gibt es ungefähr zwanzigtausend. Die große Zahl ist bei der Menge von in die Stadt kommenden Kaufleuten und Fremden notwendig. An der Zahl der schlechten Frauen kann man ersehen, wie groß die Zahl der Leute in der Stadt ist. Nach Kamblau kommen die seltensten und kostbarsten Dinge aus aller Welt, sei es aus Indien, woher Edelsteine, Perlen und solcherlei kommen, oder aus dem Kataia-Gebiet, woher auch sehr wertvolle und schöne Dinge die Stadt erreichen. Und das kommt daher, weil hier der Großkhan mit so vielen edlen Damen und Fürsten Hof hält und weil hier überhaupt so viele Menschen wohnen. Nirgends wird so viel verkauft und gekauft wie hier. Man muss wissen, dass jeden Tag mehr als tausend Karren Seide in die Stadt kommen, denn es werden hier insbesondere Gold- und Seidenstoffe hergestellt. Dass der Handel solchen Umfang annimmt, verwundert nicht, denn auch aus der Umgebung kommen etwa zweihunderttausend Menschen, um sich mit Waren zu versorgen. Wir müssen noch etwas über das Geld sagen, das in Kamblau gebräuchlich ist. Ich will euch erklären, warum der Großkhan so großen Aufwand treiben kann. In der Stadt Kamblau befindet sich die Münze des Großkhans, und man kann sagen, dass er sich auf Alchimie versteht. Das will ich euch gleich beweisen und erklären, wie er Geld herstellen lässt. Er lässt die Borke von Maulbeerbäumen schälen, deren Blätter die Seidenraupen fressen. Die dünne innere Rinde, die sich zwischen der rauen Borke und dem Holz des Baumes befindet, lässt er zu Papier verarbeiten, das ganz schwarz ist. Es wird in Stücke zerschnitten, von denen das kleinste einen Pfennig, das nächste einen venezianischen Silbergroschen, die nächsten zwei, fünf, zehn, die größeren dann bis zu zehn byzantinische Goldstücke wert sind. Alle diese Scheine haben das Siegel des Großkhans, der davon so viele hat herstellen lassen, dass sie genau dem Wert LXXXI VOM GELD DES GROSSKHANS

seines Schatzes entsprechen. Diese Papiere sind in dem gesamten Gebiet als Zahlungsmittel gültig, in dem der Großkhan herrscht. Und niemand wagt sich dagegen aufzulehnen. Sonst würde er mit dem Tode bestraft. Überall werden damit Gold, Perlen, Silber und jede andere Ware bezahlt. Dabei wiegt der Schein im Wert von zehn byzantinischen Goldstücken nicht einmal soviel wie eines. Die Händler nehmen diese Scheine durchaus für Gold, Silber, Perlen und andere Wertgegenstände entgegen. Manchmal beträgt der Wert eines Handelsgeschäfts mit dem Großkhan bis zu vierhunderttausend byzantinischen Goldstücken, und der Großkhan bezahlt alles in Papiergeld. Das ist den Kaufleuten willkommen, denn sie können die Scheine überall im Reich benutzen. Öfter wird ein Erlass vom Großkhan herausgegeben, dem zufolge die Besitzer von Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen diese in der Münze des Herrschers gegen Scheine eintauschen sollen. Die Menge, die dabei zusammenkommt, ist unglaublich. Wenn das Papiergeld entzweigeht, kann man es bei der Münze Umtauschen und gegen drei Prozent Gebühren neue Scheine erhalten. Wenn jemand Gürtel oder Geschirr aus Silber herstellen will, so erhält er das notwendige Metall gegen Bezahlung mit Scheinen bei der Münze. Deshalb muss der Großkhan über mehr Gold und Silber verfügen als andere Herrscher. Ich sage euch aber: Die anderen Herrscher haben insgesamt nicht so viele Reichtümer wie der Großkhan allein. Ich habe euch nun über das Papiergeld berichtet; jetzt will ich über die Regierung der Stadt Kamblau sprechen. LXXXII VON DEN ZWÖLF OBERBEAMTEN, DIE DAS GANZE REICH DES

Zwölf hohe Beamte bilden den Rat des Großkhans. Sie stehen an oberster Stelle über den vierunddreißig Provinzen. Ich will euch erzählen, wie sie ihr Amt ausüben. Ihr Amtssitz ist ein Palast in Kamblau von ausnehmender Größe und Schönheit mit vielen Räumen und Sälen. In jeder Provinz gibt es einen Prokurator, der für seine vielen Schreiber und sich GROSSKHANS VERWALTEN

selbst über einen eigenen Palast verfügt. Sie erledigen alle Verwaltungsaufgaben in der Provinz nach Maßgabe der zwölf obersten Beamten. Diese ernennen die Provinzialbeamten und stellen sie, nachdem sie die ausgewählt haben, die ihnen als die Besten erscheinen, dem Großkhan vor, der sie bestätigt und ihnen eine Goldtafel mit ihren genauen Aufgaben aushändigt. Die zwölf rüsten auch das Heer mit allem Notwendigen aus, wobei sie den Vorstellungen des Großkhans entsprechen. Und so verhält es sich mit allem, was die Provinzen betrifft. Dieser Rat heißt Oberster Hof, weil sie die gesamte Entscheidungsgewalt haben und demjenigen etwas Gutes tun können, für den sie sich entscheiden. Die einzelnen Provinzen sollen nicht mit Namen aufgezählt werden, weil sie in diesem Buch nacheinander behandelt werden. Jetzt noch einiges von den Postillions und den Pferdestationen. LXXXIII VON DEN PFERDEBOTEN, DIE VON KAMBLAU IN ALLE RICHTUN-

Es gibt von Kamblau aus Botenverbindungen in alle Richtungen. Allen ist genau vorgeschrieben, wohin sie ihren Weg nehmen müssen. Wenn diese Männer von Kamblau aufbrechen, finden sie jeweils nach fünfundzwanzig Meilen eine Poststation mit einem großen Gebäude, in dem die Boten des Großkhans übernachten, und zwar auf einem seidenen Bett, wo der Bote alles für ihn Notwendige vorfindet. Wenn ein König darin übernachten wollte, so wäre er auch zufrieden. Auf Geheiß des Großkhans befinden sich immer vierhundert Pferde in den Stationen, die den Boten zur Verfügung stehen, wenn sie dort Rast machen. Solche Poststationen gibt es an den Hauptstraßen, die in die Provinzen führen. In jeder verfügen die Boten, wie gesagt, über dreihundert bis vierhundert Pferde zum Auswechseln, dann über eine solche Herberge, wie ich sie euch beschrieben habe. Wenn die Boten einmal in eine unbewohnte Gegend des Reiches müssen, sind die vom Großkhan dort eingerichteten Poststationen fündunddreißig bis vierzig Meilen auseinander gelegen. GEN AUFBRECHEN

Auf jeden Fall finden die Boten so jeden Tag im ganzen Reich eine Station. Es ist das großartigste Verbindungsnetz, über das ein Herrscher je verfügt hat. Ihr müsst nämlich wissen, dass allein für diese Boten in den Poststationen insgesamt zweihunderttausend Pferde bereitstehen. Auch die Zahl der Stationen geht in die Tausende, die sämtlich so kostbar ausgestattet sind, wie ich es beschrieben habe. Der Wert des Ganzen aber ist so groß, dass es ans Wunderbare grenzt und gar nicht wiederzugeben ist. Ich will euch noch mehr erzählen: Zwischen den beiden Meeren findet man alle drei Meilen ein Dorf, in dem etwa vierzig Häuser stehen, die von besonderen Boten bewohnt werden. Diese tragen Gürtel, an denen Schellen hängen, sodass sie schon von weitem zu hören sind. Diese Boten sind Eilboten, die sich nur im Lauf bewegen und nie weiter als drei Meilen rennen. Durch die Schellen hören diejenigen, die in der nächsten Station wohnen, sie bereits von Ferne. Sie machen sich bereit, laufen den anderen entgegen, übernehmen die Botschaft, die auf einem kleinen Zettel steht, rennen drei Meilen weiter, wo sie ebenfalls bereits erwartet werden. Ich kann euch versichern, dass dem Großkhan von diesen Läufern innerhalb von vierundzwanzig Stunden Nachrichten aus einer Entfernung von zehn Tagereisen übermittelt werden. Nach zwei Tagen treffen die Meldungen ein, die sonst nur in zwanzig Tagen übermittelt werden könnten. Hundert Tagereisen würde ein Bote brauchen, um eine Nachricht zu überbringen, für die die Schnelläufer insgesamt zehn Tage und Nächte benötigen. So trifft Obst nach einem Tag beim Großkhan ein, das normalerweise zehn Tage transportiert wird. Diese Läufer leben steuerfrei und erhalten obendrein vom Großkhan Pferde und Dinge, die in den Pferde- und Botenstationen vorhanden sind. Den Großkhan kostet dies nichts, weil die umliegenden Städte für die Pferde und Ausrüstung der Stationen aufkommen, woran sich auch die Einwohner der Gegend beteiligen. Und der Großkhan rüstet höchstens die erste Station aus. Es kommt vor, dass ein Bote, der dem Großkhan von einer rebellierenden Region Nachrichten bringen oder etwas anderes

für den Großkhan erledigen soll, bis zu zweihundert, ja zweihundertfünfzig Meilen am Tag zurücklegt. Ich will euch erzählen, wie das möglich ist. Wenn die Boten so viele Meilen so schnell zurücklegen wollen, tragen sie eine Tafel mit dem Zeichen des Geierfalken bei sich, die darauf hinweist. Wenn sie zu zweit sind, reiten sie auf zwei schnellen und frischen Pferden los, nachdem sie sich Haare und Kleidung eng an den Körper geschnürt haben. Wenn sie die nächste Poststation nach fünfundzwanzig Meilen erreicht haben, erhalten sie frische und schnelle Pferde und jagen bis zur nächsten Station weiter. So geht es die ganzen zweihundertfünfzig, wenn nötig auch dreihundert Meilen an einem Tag, damit der Großkhan seine Nachrichten erhält. Nun wollen wir uns einem Ereignis zuwenden, bei dem der Großkhan seinem Volk zweimal im Jahr Gutes tut. LXXXIV WIE DER GROSSKHAN SEINEM VOLK BEI GETREIDEMANGEL HILFT

Durch Boten erfährt der Großkhan auch davon, ob in der einen oder der anderen Provinz die Bevölkerung etwa nicht ausreichend Getreide hat, weil es durch Wettereinflüsse, Heuschrecken oder andere Plagen vernichtet wurde. In diesem Fall brauchen sie keinen Tribut zu zahlen, sondern er gibt ihnen Getreide aus seiner Kornkammer, damit sie Saatgut und Nahrung haben. Und das istfür einen Herrscher eine große Tat. Darum sorgt er sich im Sommer, während im Winter die Hauptfrage ist, ob das Vieh überlebt, andernfalls tut er nämlich Entsprechendes. So unterstützt der Großkhan die Bevölkerung. Wir wollen auch noch etwas anderes berichten. Eine weitere Regelung hat er nämlich für alle Hauptstraßen in seinem Reich getroffen. An ihren Rändern sollen in einer Entfernung von zwei Schritten Bäume gepflanzt werden. So können die Händler, Boten und anderen Reisenden den Weg nicht verfehlen, wenn die Straße durch wüstenartige Gegenden führt. Die Bäume sind so hochwüchsig, dass sie auch von weitem zu sehen sind. Nun will ich euch noch von anderem berichten.

Der größte Teil der Einwohner der Provinz Katai trinkt eine Art Wein, welcher aus Reis mit verschiedenen Gewürzen und Spezereien zubereitet ist. Dieses Getränk ist vortrefflich. Es ist hell und klar und berauscht schneller als jedes andere Getränk, denn es wird warm getrunken. Ich will euch nun von den Steinen erzählen, die besser brennen als Holz. LXXXV VOM WEIN

, die brennen Überall in Katai findet man eine Art von schwarzen Steinen, die in den Bergen abgebaut werden und wie Scheite brennen, aber die Hitze besser halten als Holz. Wenn man sie abends ins Feuer wirft, brennen sie die ganze Nacht. Deshalb bedient man sich ihrer im gesamten Gebiet. Es gibt dort auch Holz, aber diese Steine sind billiger und helfen, Holz zu sparen. Nun will ich berichten, wie der Großkhan die Getreidepreise niedrig hält. LXXXVI VON DEN STEINEN

LXXXVII WIE DER GROSSKHAN GETREIDE LAGERN LÄSST, UM IM NOTFALL

Wenn die Getreideernten sehr reichlich sind, lässt er viele Vorräte von allen Getreidesorten und von Reis anlegen und so behandeln, dass die Vorräte nicht verderben. Wenn dann eine große Teuerung kommt, lässt er sie verteilen. Manchmal häuft er drei bis vier Jahre lang Vorräte auf, bis sie verteilt werden. Er gibt sie dann für ein Drittel oder ein Viertel ihres gewöhnlichen Wertes ab. So kann kaum eine Teuerung entstehen. Solche Vorratshäuser hat er in allen Provinzen, die von ihm abhängig sind, anlegen lassen. Nun soll von der Wohltätigkeit des Großkhans die Rede sein. HELFEN ZU KÖNNEN

MILDTÄTIGKEIT DES GROSSKHANS Ich will euch erzählen, wie er sich den Armen in der Stadt Kamblau gegenüber verhält. Allen Familien gibt er, wenn sie sechs und mehr Mitglieder haben und Hunger leiden, Getreide für ihre Ernährung. So wird einer großen Zahl von Familien geholfen. Diese Hilfe wird jedem zuteil, der darum nachsucht. Ihr müsst wissen, dass täglich mehr als dreißigtausend Personen kommen. Und das LXXXVIII VON DER

geht das ganze Jahr so. Das ist schon eine große Güte bei einem so hohen Herrn. Aus diesem Grund wird er von der Bevölkerung wie ein Gott verehrt. Wir wollen jetzt die Stadt Kamblau verlassen und nach Kataiziehen, um von den dortigen Sehenswürdigkeiten zu berichten. PROVINZ KATAI Ihr müsst wissen, dass Marco Polo vom Großkhan als Botschafter gen Westen geschickt wurde, und deshalb will ich euch von all seinen Erlebnissen auf der Hin- und Rückreise berichten. Zehn Meilen von der Hauptstadt entfernt stößt man auf einen Fluss mit Namen Pulinzanchiz, der sich ins Meer ergießt. Infolgedessen wird er von vielen Händlern zum Transport ihrer großen Warenladungen benutzt. Der Fluss wird von einer schönen Steinbrücke überwölbt. Ich sage euch, sie hat auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen, denn sie ist dreihundert Schritt lang und acht breit, sodass zehn Reiter sie nebeneinander überschreiten können. Sie ruht auf vierunddreißig Säulen im Wasser, hat vierunddreißig Bögen und besteht völlig aus Marmor. Ich will euch auch beschreiben, wie die Säulen aussehen. Am Anfang der Brücke steht eine Marmorsäule auf einem löwenförmigen Sockel, und auf der Säule ruht wiederum die Gestalt eines Löwen, der wie der erste prächtig und groß gearbeitet ist. Etwas weiter steht nochmals eine solche Säule mit zwei Löwen, der Zwischenraum ist aber mit Marmorplatten gefüllt, damit niemand ins Wasser fällt. So ist die ganze Brücke bestückt, sodass sich einem ein herrlicher Anblick bietet. Nun habe ich euch von der Brücke erzählt und will etwas Neues berichten. LXXXIX VON DER

Dreißig Meilen von dieser Brücke entfernt in Richtung Westen erreicht man eine Stadt namens Giogiu. Der Weg dorthin führt durch ein Land, das reich ist an schönen Häusern und Herbergen, Bäumen und Weinreben. Die Stadt ist sehr groß und schön und enthält viele Klöster von Götzenanbetern. Die Bewohner leben von Handwerk und Handel. XC VON DER STADT GIOGIU

Sie stellen Seiden-, Gold- und Schleiergewebe her. Die Herbergen zur Aufnahme von Fremden sind sehr zahlreich. Hinter der Stadt teilt sich der Weg in einen, der weiter nach Westen, und einen, der gen Südosten führt. Der erste Weg führt durch Katai, der zweite durch die Provinz Mangi bis ans Meer. Die Reise in den Westen, nach Katai, dauert gut zehn Tage, das könnt ihr mir glauben. Unterwegs kommt man an vielen Städten, Burgen und Handelsplätzen vorbei, auch an schönen Weinbergen und vielen Bäumen. Hier gibt es nun nichts weiter zu berichten. Deshalb reisen wir weiter und gelangen in ein Reich mit Namen Taianfu. KÖNIGREICH TAIANFU Zehn Tagereisen von Giogiu entfernt liegt Taianfu mit einer gleichnamigen Stadt, wo allerlei Gewerbe und Handel getrieben wird. Hier wird viel Zubehör für die Heere des Großkhans hergestellt. Diese Stadt versorgt das ganze Innere von Katai mit Wein. Durch die vielen Maulbeerbäume und Seidenraupen wird die Seidenindustrie sichergestellt. Auf dem Weg westwärts, noch sieben Tagereisen weiter, vorbei an vielen Orten, wo Handwerk und Handel in Blüte stehen, gelangt man in eine Stadt mit Namen Pianfu, wo viele Seidenweber und Handwerker leben. Nun will ich euch aber von einer Festung namens Caicin erzählen. XCI VOM

Zwei Tage von Pianfu in westlicher Richtung entfernt liegt eine schöne Festung mit Namen Caicin, die von einem König Namens Dor in alten Zeiten errichtet worden ist. In der Festung gibt es einen sehr schönen Palast, in dem in einem großen Saal die Gemälde aller Fürsten, die hier regiert haben, zu sehen sind. Das ist für den Betrachter ein wahrer Genuss. Über den König Dor kann ich euch eine sehr interessante Geschichte erzählen, die sich zwischen ihm und Priester Johann zugetragen haben soll. Nach den Berichten der Leute dieser Gegend gab es einen Krieg mit Priester Johann, der wegen der Befestigung den Platz nicht einnehmen konnte und XCII VON DER FESTUNG CAICIN

darüber sehr erzürnt war. Da erboten sich sieben Diener des Priesters Johann, wenn er wolle, ihm den König Dor lebendig zu bringen. Nach dem Einverständnis des Priesters Johann begaben sie sich an den Hof des Königs Dor, wo sie sich als Fremdlinge aus fernen Ländern ausgaben und ihm ihre Dienste anboten. Er hieß sie willkommen und erlaubte ihnen, ihm zu dienen. Da begannen die sieben Diener des Priesters Johann dem König Dor zu dienen. Nach zwei Jahren schätzte König Dor sie wegen ihrer hervorragenden Dienste besonders und behandelte sie so, als seien sie alle sieben seine Söhne. Nun höret, was diese Übeltäter ersannen, denn niemand kann sich vor Verrätern schützen. Als König Dor sich eines Tages mit wenigen Begleitern, darunter die sieben, vergnügte, sahen sie nach Überquerung eines Flusses, dass der König allein war und niemand ihn verteidigen konnte, da zwangen sie ihn mit gezückten Schwertern, ihnen zu folgen, andernfalls wollten sie ihn umbringen. König Dor fragte überrascht: »Aber meine Söhne, was soll das? Was wollt ihr? Wohin soll ich euch begleiten?« Sie antworteten: »Zu Priester Johann, unserem Herrn.« Als König Dor ihre Worte hörte, starb er glücklicherweise nicht vor Schmerz, sondern sagte: »Weh, meine Söhne, habe ich euch nicht Ehren genug verschafft, warum wollt ihr mich in die Hände meines Feindes bringen?« Sie erklärten ihm die Vereinbarung und brachten ihn zu Priester Johann, der sehr erfreut war, ihn als seinen Gefangenen zu sehen, und ihn mit Verwünschungen bedachte. König Dor aber fehlten die Worte. Ihm wurde befohlen, Vieh zu hüten. Und so geschah es auch. Priester Johann wollte ihm nämlich seine Verachtung zeigen. König Dor wurde stets gut bewacht und hatte bereits zwei Jahre Vieh gehütet, als er von Priester Johann zu sich gerufen wurde. Dieser gab ihm reiche Kleidung und Ehren und sagte dann: »Herr König, ihr müsset nun wohl einsehen, dass ihr nicht dazu geschaffen seid, mit mir Krieg zu führen.« König Dor erwiderte: XCIII WIE KÖNIG DOR GEFANGENER DES PRIESTERS JOHANN WAR

»Ich habe immer gewusst, dass ich dazu nicht mächtig genug bin.« Priester Johann sagte darauf: »Ich will dir nun keinen Schaden mehr zufügen, sondern dir Freuden und Ehren schenken.« Da ließ er ihm viele schöne Kleider, Pferde und Begleiter geben, mit denen er nach Hause ziehen durfte; seitdem war König Dor ein getreuer Gefolgsmann des Priesters Johann. Nun will ich euch noch etwas anderes erzählen. Zwanzig Meilen von dieser Festung entfernt in westlicher Richtung fließt ein gewaltiger Fluss namens Caramera. Er fließt in den Ozean und ist so breit und tief, dass keine Brücke über ihn führt. An dem Fluss gibt es viele Städte und Burgen, die von Händlern und Handwerkern bewohnt werden. In dieser Gegend wächst viel Ingwer, und es gibt so viele Vögel, dass es ans Wunderbare grenzt, denn man kann für ein Geldstück, das einem venezianischen Groschen entspricht, drei Fasanen erstehen. Hat man diesen Fluss überschritten, kommt man nach zwei Tagen in eine edle Stadt namens Cacianfu, deren Bewohner Götzen anbeten, was in der Provinz Katai allgemein üblich ist. Außerdem ist unter den Händlern und Handwerkern besonders das Gewerbe der Gold- und Seidentuchhersteller zu erwähnen. Da damit alles Wesentliche gesagt ist, wollen wir jetzt von Quengianfu, einer edlen Stadt im gleichnamigen Reich, reden. XCIV VON DEM GROSSEN STROM CARAMERA

Wenn man von der Stadt Cacianfu aufbricht, reitet man acht Tage nach Westen, immer noch vorbei an vielen Städten und Burgen, schönen Häusern und Gärten. Auch hier wird viel Handwerk und Handel getrieben. Die Einwohner verehren Götzen. Außer Seidenraupenzucht wird Jagd und Vogelfang betrieben. Endlich erreicht man Quengianfu, die berühmte und große Hauptstadt des Königreiches. Es war früher ein bedeutendes und mächtiges Reich, das heute von dem Sohn des Großkhans, Mangala, regiert wird, der eine Krone trägt. Viel Handel und Herstellung von Seidenstoffen bestimmen die Wirtschaft des XCV ÜBER QUENGIANFU

Landes. Die Bewohner fabrizieren außer Gold- und Seidenstoffen auch Kriegsgerät. Für ihren Lebensunterhalt haben sie alles Notwendige in reichlichem Maße und zu billigen Preisen. Die Stadt liegt im Westen. Die Bevölkerung betet Götzen an. Außerhalb der Stadt liegt in einer schönen Ebene der Palast von König Mangala. Ich will euch erzählen, wie schön er ist. In der großen Ebene gibt es einen großen Fluss, Sümpfe und Springbrunnen. Um den Palast ist eine fünf Meilen lange Mauer gezogen, die Zinnen zieren. Der Palast liegt in der Mitte der Einfriedung und ist so groß und schön, dass er in der Welt seinesgleichen sucht. Er enthält eine Menge Säle und sehr schöne Zimmer mit prächtigen Goldmalereien. Mangala, der sein Reich fest, aber gerecht regiert, ist beim Volk sehr beliebt. Er findet viel Vergnügen an der Jagd und Falkenbeize. Wir wenden uns jetzt einer völlig im Gebirge gelegenen Provinz zu, die Cuncum heißt. Wenn man von der Residenz Mangalas drei Tage nach Westen zieht, findet man in dem ebenen Gebiet wieder viele Städte und Burgen, in denen Handel und Handwerk blühen. Auch hier ist im Überfluss Seide vorhanden. Nach den drei Tagereisen aber erreicht man bergiges Gebiet, nämlich Cuncum, wo auf dem Berg und im Tal viele Städte und Orte liegen, (Jeren Bewohner Götzenanbeter sind, die von der Landwirtschaft und der Jagd leben. In dem waldreichen Gebiet gibt es viele wilde Tiere wie Löwen, Bären, Rehe, Luchse, Damhirsche, Hirsche und viele andere Tiere, aus denen man großen Nutzen zieht. Diese gebirgige Gegend erstreckt sich mit dem Buschbewuchs zwanzig Tagereisen weit, wobei man immer wieder auf Orte und Burgen stößt und gute Herbergen findet. Von hier wollen wir nun weiterziehen. Ich berichte euch jetzt von einem anderen Land. XCVI VON DER PROVINZ CUNCUM

PROVINZ AMBALET Nach den zwanzig Tagen durch die Berge von Cuncum kommt man nach Ambalet Mangi, einer Provinz im Westen mit vielen Städten und befestigten Plätzen, XCVII VON DER

deren Bewohner Götzenanbeter sind und von Handel und Handwerk leben. Hier wird so viel Ingwer gewonnen, dass damit die ganze Provinz Katai versorgt wird und die Kaufleute daran sehr gut verdienen; man isst Reis und Getreide, das dort sehr billig ist. Auch alle anderen Dinge sind überreichlich vorhanden. Die Hauptstadt heißt Ambalet Mangi, in unserer Sprache: an den Grenzen der Provinz Mangi gelegen. Nach zwei Tagen kommt man wieder in Täler, Berge und buschreiches Land, woran sich eine Strecke von zwanzig Tagereisen anschließt. Man reitet immer nach Westen und trifft auf viele Städte und Orte. Dieses Gebiet wird von Ackerbau treibenden und jagenden Götzendienern bewohnt. Sie erlegen Löwen, Bären, Luchse, Damwild und Rehe. Auch Tiere, die den Moschus liefern, gibt es dort reichlich. Im Folgenden will ich euch ausführlich und der Reihe nach von anderen Provinzen berichten. PROVINZ SINDAFA Ist man, wie ich schon sagte, zwanzig Tage nach Westen geritten, gelangt man in eine Provinz, die man auch noch zu den Grenzgebieten von Mangi rechnet und die Sindafa heißt. Die Hauptstadt heißt ebenfalls Sindafa und war früher eine große, edle Stadt und Sitz eines mächtigen, überaus reichen Königs. Der Umfang der Stadt betrug zwanzig Meilen, aber heute ist sie aus folgenden Gründen geteilt. Als der König starb, hinterließ er drei Söhne, die die Stadt in drei Teile trennten, wobei jeder seinen Teil innerhalb der allgemeinen Einfriedung nochmals mit einer Mauer umkleidete und sich König nannte. Trotzdem waren sie noch stark genug, denn ihr Vater hatte ein mächtiges Reich hinterlassen. Der Großkhan hat die drei Könige aber abgesetzt und das Land in seinen Staat einverleibt. Durch die Stadt fließt ein Süßwasserfluss, der gut eine halbe Meile breit ist. Er ist sehr fischreich. Bis zum Meer misst er achtzig oder hundert Tagereisen in seiner Länge; sein Name ist Quian. An seinen Ufern liegen viele Orte und Städte, außerdem ist er sehr befahren. Eine unglaubliche Menge von Kaufleuten schafft auf dem Fluss die Waren hinauf XCVIII VON DER

und hinab. Er ist so breit, dass man ihn für ein Meer halten könnte. Über den Fluss führt innerhalb der Stadt eine Steinbrücke von einer halben Meile Länge und acht Schritt Breite. Auf der Brücke stehen Marmorsäulen, die das Dach der Brücke stützen. Das Dach ist mit schönen Geschichten bemalt. Darunter stehen kleine Holzbuden, die morgens auf- und abends abgebaut und in denen viele Waren verkauft werden. Die Zollbeamten des Großkhans nehmen dort an Ort und Stelle für alle Waren, die auf dieser Brücke gehandelt werden, die Gebühren ein. Und ich kann euch versichern: Tausend goldene byzantinische Münzen bringt die Brücke im Jahr ein. Die Bevölkerung ist dort völlig den Götzen ergeben. Verlässt man dann die Stadt, so reitet man fünf Tage durch Täler und Ebenen, wobei man auf viele Siedlungen stößt. Daselbst lebt man von Ackerbau und Jagd auf Löwen, Bären und andere wilde Tiere. Die Menschen stellen dort Schleier und goldene Stoffe her. Sie gehören noch zu Sindafa. Hat man diese fünf Tage, von denen ich sprach, hinter sich gebracht, so kommt man in ein wüstes Gebiet mit Namen Tebet, von dem ich sogleich berichten werde. Nach den fünf genannten Tagereisen erreicht man eine Provinz, die Mogu-Khan durch Kriege verwüstet hat. Noch immer sind die Ruinen der Schlösser und Städte zu sehen. Dort wächst Bambusrohr, das im Umfang vier Spannen, in der Länge fünfzehn Schritt und in der Entfernung von einem Knoten zum anderen drei Handbreit misst. Die Kaufleute und anderen Reisenden verbrennen nachts von diesem Holz so große Haufen, dass die Löwen, Bären und anderen Tiere Angst haben und fliehen, denn um nichts in der Welt würden sie sich dem Feuer nähern. Die Kaufleute aber tun das, weil sie Angst vor diesen Tieren haben, die gerade dort sehr zahlreich sind. Das Holz birst, verdreht sich, spaltet sich und macht dabei solchen Lärm, dass die Tiere das auf vier bis fünf Meilen Entfernung in der Dunkelheit hören. Das Holz wird nämlich grün in die Flammen geworfen. Die Geräusche sind furchtbar anzuhöXCIX VON TEBET

ren, sodass auch jemand, der daran gewöhnt ist, große Angst bekommen kann. Pferde muss man ebenfalls an die Geräusche gewöhnen, sonst reißen sie sich los und stürmen davon, wie es öfter vorkommt. Um das zu verhindern, fesseln die Leute die Pferde an allen vier Beinen, verdecken ihnen die Augen und verstopfen ihnen die Ohren. So können die Tiere nicht mehr fliehen. Das ist der einzige Schutz, den man des Nachts gegen die wilden Tiere hat. Man muss in jenen Gebieten die Verpflegung mitnehmen, weil man während der ganzen zwanzig Tage keine Herberge, keine Lebensmittel findet, weshalb man sogar Vorräte für die Tiere mitnehmen muss. Außerdem muss man sich ununterbrochen vor den wilden Tieren, die sehr gefährlich sind, schützen. Nach Verlauf der zwanzig Tage beginnt man, Schlösser und Häuser zu entdecken, deren Bewohner folgende Sitten bei der Heirat haben. Die Männer sind nicht bereit, Jungfrauen zu heiraten, sondern schätzen sie gering, wenn sie nicht Verkehr mit vielen Männern gehabt haben. Wenn daher die Händler durch diese Gegend kommen, bieten ihnen die älteren Frauen die jungen Mädchen an, die zu zehnt, zu zwanzig und sogar zu dreißig auf den Straßen stehen, in der Nähe der Herbergen und Zelte. Erst wenn sie mit einem dieser Männer Verkehr hatten, werden sie von den älteren Frauen verheiratet. Nach vollzogenem Verkehr muss der Kaufmann dem Mädchen etwas schenken, damit es beweisen kann, dass es mit ihm zu tun hatte. Das Mädchen, das die meisten Edelsteine vorweisen kann als Beweis für die hohe Zahl seiner Liebhaber, wird am ehesten geheiratet. Bevor sie heiraten dürfen, müssen die Mädchen mehr als zwanzig Zeichen um den Hals tragen, um zu zeigen, mit wie vielen sie zu tun hatten. Die am meisten vorweisen kann, gilt als die schönste und begehrteste. Die Einheimischen sind Götzenanbeter und hinterhältige Leute, zu jedem Verbrechen und jeder Schandtat bereit. Sie sind die besten Mörder der Welt. Sie leben von Vieh und Ackerbau, außerdem von der Jagd. Auch in diesem Gebiet wird viel Moschus gewonnen.

Sie haben für die Jagd auf die entsprechenden Tiere sehr gute Hunde. Bei ihnen ist kein Geld wie im Gebiet des Großkhans im Umlauf, sondern sie haben ihr eigenes. Sie kleiden sich ziemlich ärmlich in grobe Tücher, Felle und Leinenstoffe. Tebet heißt die eigenständige Sprache, über die sie verfügen. Dieses Tebet ist ein riesiges Gebiet, von dem ich euch noch kurz berichten will. Wie erwähnt, verfügen die Götzen anbetenden Einwohner über eine eigene Sprache. Sie grenzen an die Provinz Mangi und an viele andere. Es ist ein räuberisches Volk. Die Provinz ist so groß, dass sie sich in acht wiederum sehr große Reiche und eine Vielzahl von Städten und Burgen aufteilt. Überall gibt es dort Flüsse, Seen, Gebirge, in denen viel Gold gefunden wird. Als Geld ist bei ihnen die Koralle im Umlauf, die sich die Frauen außerdem um den Hals hängen. Da sie sie für sehr wertvoll halten, schmücken sie außerdem damit ihre Götzenbilder. Manufakturen von Kamelot und golddurchwirkten Tüchern sind dort vorhanden. Viele Spezereien, die wir gar nicht kennen, wachsen dort. Man verfügt auch über geschickte Zauberer und Astrologen. Mit ihrer Schwarzen Kunst üben sie solche Dinge aus, dass man in diesem Werk gar nicht davon sprechen kann, sonst verschreckt man die Leser mit Details ihrer schlimmen Bräuche. Ihre Hunde, die sie zur Jagd abrichten, sind so groß und so stark wie Esel und erlegen die wilden Tiere. Außer Hunden vieler Art benutzen sie hervorragende Falken zur Jagd. Nach Tebet wollen wir uns einer anderen Region zuwenden, in der der Großkhan Oberherr ist. Die meisten der in diesem Buch beschriebenen Gebiete gehören dem Großkhan, bis auf die am Anfang von mir beschriebenen. Und wenn ich es nicht immer erwähnt habe, so müsst ihr es doch so verstehen, dass all diese Gebiete dem Großkhan gehören. Tebet zunächst liegt die Provinz Gaindu, von der ich jetzt erzählen will. C WEITERE MITTEILUNGEN ÜBER DIE PROVINZ TEBET

Gaindu liegt weiter nach Westen und verfügt über einen König. Die Bevölkerung verehrt Götzen und ist dem Großkhan untertan. In dem dicht besiedelten Land gibt es einen See, in dem man viele Perlen findet, doch der Großkhan hat untersagt, die Vorkommen auszubeuten, damit die Perlen durch die sonst auf den Markt kommende Menge nicht wertlos werden. Nur wenn er Bedarf hat, werden Perlen gesucht. Allen anderen ist das bei Todesstrafe verboten. In den dortigen Gebirgen findet man sehr schöne Türkissteine, die ebenfalls nur auf Befehl des Großkhans geschürft werden dürfen. Ich muss euch von einer dort anzutreffenden Sitte erzählen. Wenn Fremde sich in ihrem Hause mit ihren Frauen, Töchtern oder einer anderen Frau einlassen, halten sie das keineswegs für eine Schande, sondern für gut, weil nach ihrer Ansicht ihre Götzen Gefallen daran finden und sie mit vielen weltlichen Gütern belohnen. Deshalb sind sie auch so großzügig, dass sie, wenn ein Fremder in ihrem Hause Unterkunft begehrt, sofort ausziehen und der Familie auftragen, den Fremden so zu behandeln, als seien sie es selbst. Sie halten sich unterdes drei Tage woanders auf. Der Fremde aber lässt seinen Hut oder etwas anderes am Fenster befestigen und gibt damit zu verstehen, dass er noch im Hause weilt. Solange dieses Zeichen zu sehen ist, kehrt der Hausherr nicht nach Hause zurück. Dieser Brauch herrscht in dem ganzen Gebiet. Ihr Geld sieht so aus, dass sie Salz kochen, es in eine Form gießen, deren Inhalt ein halbes Pfund wiegt. Achtzig Stück von diesen Salzstücken sind einen Saggio wert. Das ist das von ihnen benutzte Kleingeld. Sie verfügen über viel Moschus und sehr viele Fische, die sie in dem See fangen, wo sich auch die Perlen finden. Neben Löwen, Luchsen, Bären, Damwild, Rehen und Hirschen jagen sie auch Vögel. Sie verfügen über keinen Wein, sondern stellen sich ihre Getränke aus Korn, Reis und Spezereien her, was gute Getränke ergibt. Die vielen Gewürznelken wachsen auf kleinen Bäumen mit Blättern so groß wie die des Lorbeers; jedoch sind diese Blätter länger und schmäler. Die Blüten sind weiß und klein, CI VON DER PROVINZ GAINDU

wie die Nelken selbst es sind. Ingwer und Zimt wachsen dort genau wie vieles andere, was nie bis zu uns gelangt. Zehn Tagereisen durch sehr bewohnte Gegenden, deren Bevölkerung absolut in jeder Hinsicht der schon Beschriebenen gleicht, führen endlich zum Fluss Brunis, an dessen Ufern viel Zimt wächst und in dem man den Goldsand findet. Hier ist die Provinz Gaindu zu Ende. Der Fluss ergießt sich in den Ozean, viel mehr gibt es über ihn nicht zu berichten. Wir wollen von einer anderen Provinz sprechen, die den Namen Caragia trägt, wie ihr gleich hören werdet. Passiert man diesen genannten Fluss, so gelangt man in das Gebiet Caragia, das so groß ist, dass es insgesamt sieben Reiche umfasst. Es liegt in westlicher Richtung, und seine Einwohner, die dem Großkhan unterstehen, sind alle Götzenanbeter. Der mächtige und reiche König ist ein Sohn des Großkhans und hält als tapferer Mann das Land unter einer gerechten Herrschaft in Ordnung. Sechs Tage vom Fluss entfernt gibt es Städte und etliche Burgen. Die Einwohner leben von Landwirtschaft und züchten gute Pferde. Die ihnen eigene Sprache ist sehr schwer zu verstehen. Man erreicht ihre Hauptstadt Jaci, die sehr reich und groß ist. In ihr findet man viele Handwerker und Kaufleute. Neben Mohammedanern gibt es Götzenanbeter und nestorianische Christen. Das Land bringt Getreide und Reis hervor, man isst aber überwiegend Reis, aus dem sie zusammen mit Spezereien auch einen sehr guten, klaren und berauschenden Wein hersteilen. Als Geld bedienen sie sich der weißen Porzellanmuscheln, die im Meer gefunden werden und aus denen sie auch Geschirr hersteilen. Achtzig solcher Muscheln haben den Wert eines Silbersaggio oder zweier venezianischer Groschen, acht Saggi Feinsilber sind dabei einen Saggio Feingold wert. Die vielen Salzquellen dieses Gebiets dienen zur Versorgung des ganzen Landes, wobei der König einen sehr großen Gewinn einstreicht. Auch hier gilt es als gewöhnlich, dass man, mit Einverständnis der entsprechenCIL VON DER PROVINZ CARAGIA

den Frau, eines anderen Frau berühren darf. In einem See von ungefähr hundert Meilen im Umfang fängt man die verschiedensten Sorten sehr großer Fische von köstlichem Geschmack. Die Einheimischen essen alle Arten Fleisch roh. Die arme Bevölkerung holt sich von den Metzgern die Eingeweide der Hammel oder Ochsen, taucht sie in eine Knoblauchbrühe, wonach sie sie verzehren. Und so machen sie es mit jeglichem Fleisch. Die reichen Leute lassen das rohe Fleisch sehr fein hacken, benutzen schmackhafte Soßen und Gewürze und essen es so wie wir Gekochtes. Nuh will ich euch noch weiter von der Provinz Caragia erzählen. Wenn man von der Stadt Jaci zehn Tage westwärts reist, kommt man in die Stadt Caragia in der gleichnamigen Provinz, deren Einwohner Götzen anbeten und dem Großkhan tributpflichtig sind. Der Herrscher ist ein Sohn des Großkhans. In dieser Provinz findet man im Flusssand Gold, in den Seen und im Gebirge sogar gröbere Körner. Sie berechnen einen Saggio Gold für sechs Saggi Silber. Das Muschelgeld, das auch hier üblich ist, kommt aus Indien, weil man diese Muscheln hier nicht findet. In dieser Provinz gibt es so große Riesenschlangen, dass man darüber in großes Erstaunen ausbricht. Sie sind schrecklich anzusehen, denn es gibt wahrhaftig welche, die zehn Schritt lang und zehn Spannen im Umfang sind. Diese Ausmaße erreichen aber nur die größten. Vorn in der Nähe des Kopfes haben sie zwei Beine, die Füße ähneln Löwenklauen. Sie haben einen sehr großen Kopf mit weit auseinanderstehenden Augen; der Mund ist so groß, dass sie einen Menschen verschlingen könnten. Auch die großen Zähne tragen dazu bei, dass alle Menschen und Tiere vor diesen Schlangen Angst haben. Manche kleinere Schlangenarten sind in dieser Gegend nur sechs bis acht Schritt lang. Man fängt sie folgendermaßen: Am Tage bleiben sie wegen der großen Hitze verborgen, während sie nachts auf Raub ausgehen, wobei sie vor keinem Tier zurückschrecken. Wenn sie sich nachts auf Fang CII MEHR VON DER PROVINZ CARAGIA

und zur Tränke bewegen, so hinterlassen sie wegen ihrer Größe und Schwere solche Eindrücke im Boden, als sei dort ein Fass entlanggerollt worden. Die Jäger, die ihnen nachstellen, beobachten die Wege, die die Tiere nehmen, und verbergen Pfähle aus starkem Holz mit eisernen Klingen im Sand und entwickeln auch andere Fallen. Wenn die Schlange dann darüberkriecht, zerschneidet sie sich an den Klingen völlig von Kopf bis Schwanz und stirbt einen elenden Tod. Sogleich entnehmen die Jäger dem toten Tier die Galle, die sie sehr teuer verkaufen, weil es die beste Medizin gegen den Biss tollwütiger Hunde ist. Wenn man eine ganz kleine Menge davon trinkt, reicht dies schon zur Heilung aus. Auch bei Geburtsschwierigkeiten setzt man das Mittel ein, sodass die Frau daraufhin gleich niederkommt. Auch Geschwüre werden damit in kurzer Zeit geheilt. Deshalb also ist das Mittel dort so kostbar. Außerdem wird das Fleisch der Tiere verkauft, es ist nämlich sehr gut genießbar. Ihr könnt es mir glauben, diese Schlangen holen sich, wenn möglich, sogar die Löwen- und Bärenjungen aus deren Höhlen, um sie zu fressen. Vor anderen Tieren machen sie ohnehin keinen Halt. Die Einwohner züchten große Pferde, die sie bis nach Indien verkaufen. Sie schneiden den Pferden den Schwanz an einem Gelenk durch, damit sie ihn beim Reiten nicht bewegen. Das erscheint ihnen nämlich hässlich. Sie reiten mit langen Steigbügeln wie bei uns die Franzosen, benutzen Armbrüste und Wurfgeschosse und tragen Rüstungen aus Büffelleder. Ihre Pfeile sind alle vergiftet. Diese Bräuche hatten sie bereits vor der Eroberung durch den Großkhan. Sie brachten auch Leute um, die bei ihnen Herberge nahmen, wenn sie klug und angenehm waren. Dazu benutzten sie entweder Gift oder ein anderes Mittel. Und das taten sie nicht um des Geldes willen, sondern weil sie glaubten, dass der ganze Verstand und seine anderen Gaben vom Ermordeten auf sie übergehen würden. Seit der Großkhan vor nunmehr fündunddreißig Jahren ihr Gebiet eroberte, unterlassen sie das aber aus Angst vor ihrem Herrn. Jetzt will ich euch von einer anderen Provinz erzählen.

Wenn man von Caragia fünf Tage weiter nach Westen reitet, erreicht man eine Provinz namens Ardanda. Die dortigen Bewohner sind Götzenanbeter. Der Großkhan gebietet auch über dieses Land, dessen Hauptstadt Vacian heißt. Die Bewohner bedecken ihre Zähne mit feinen Goldplättchen, sodass ihre Zähne oben und unten so aussehen, als seien sie aus Gold. Dieser Brauch ist aber den Männern vorbehalten. Die Männer haben als Hauptbeschäftigung das Reiten und Waffenspiele, während die Frauen mit den Sklaven die Hausarbeit verrichten. Wenn ein Kind geboren worden ist, legt sich der Mann vierzig Tage ins Bett, wäscht und pflegt das Kind. Das geschieht, weil die Frau, die das Kind bis zu seiner Geburt getragen hat, sich erholen soll. Alle Freunde kommen zum Mann ans Bett und feiern mit ihm gemeinsam. Die Frau erhebt sich und versorgt den Haushalt und den Mann im Bett. Sie essen alles Fleisch roh und auch gekocht, insbesondere Reis mit Fleisch. Mit Hilfe von Gewürzen stellen sie einen sehr guten Reiswein her. Sie benutzen Geld aus Gold und Muscheln; sie zahlen einen Saggio Gold für fünf Saggi Silber. Ihre nächste Silbermine ist nämlich fünf Monate entfernt, weshalb Händler, die ihnen Silber bringen, sehr gute Geschäfte machen. Man kennt dort keine Götzen oder Kirchen, sondern sie verehren den Familienältesten, dem sie nach ihrer Auffassung alles verdanken. Dieses Volk kennt keine Schrift, aber das ist auch kein Wunder, denn sie leben fern von aller Welt. Im Sommer kann man sich dort nicht aufhalten, weil Fremde in der verdorbenen Luft gar nicht leben könnten. Wenn sie Geschäfte machen, erhalten beide Partner ein Stück Holz. Wenn der eine dann seine Schuld bezahlt, erhält er vom anderen das dazu passende Stück. Ihre Kranken werden nicht von Ärzten, sondern von Zauberern behandelt. Der Kranke berichtet ihnen von seinem Leiden, und sie spielen dann auf ihren Instrumenten, tanzen und singen dazu. Bald stürzt einer der Teufelskünstler mit Schaum vor dem Mund zur Erde, wo er wie tot erscheint. Der Teufel ist in ihn gefahren. Und so bleibt er eine ganze Weile liegen. Die anderen CIV VON DER PROVINZ ARDANDA

Zauberer fragen ihn nach den Ursachen der Krankheiten, worauf der am Boden Liegende erklärt, welches Götzen Missfallen der Kranke erregt hat. Die Zauberer beten folgendermaßen zu dem Götzen: »Wir bitten dich, vergib ihm! Nimm von seinem Blute, sodass du dich an dem stärken kannst, was dir gefällt!« Wenn der Kranke sterben muss, sagt der Besessene: »Er hat so sehr dieses Geistes Missfallen erregt, dass dieser ihm um keinen Preis vergeben will.« Soll der Kranke genesen, sagt er ihnen, sie sollten eine bestimmte Zahl schwarzköpfige Schafe und kostbare Getränke einem bestimmten Götzen opfern. Wenn die Verwandten des Kranken dies hören, führen sie es sofort aus, schlachten die Schafe und opfern das Blut, wie es verlangt wird. Dann kochen sie ein oder mehrere Schafe in dem Haus des Kranken. Es sind so viele Zauberer und Frauen zugegen, wie der Geist verlangt hat. Sobald die Schafe gekocht, die Getränke zubereitet und die Leute zum Essen versammelt sind, singen sie, tanzen und spielen, vergießen hie und da Brühe im Haus, brennen Myrrhen und Weihrauch ab, beräuchern und beleuchten das ganze Haus. Dann fragt wiederum einer die Götzen, ob sie dem Kranken verzeihen, worauf der Geist antwortet, es genüge noch nicht, man solle noch dies oder jenes tun. Danach erklärt der Geist, der Kranke werde sogleich geheilt. Sie erklären dann, der Geist sei auf ihrer Seite, essen, trinken und kehren nach Hause zurück. Der Kranke jedoch wird sofort geheilt. Jetzt will ich euch von anderen Gegenden berichten. Bricht man von dort auf, so hat man zwei Tagereisen, ja etwas mehr vor sich, wo man nur abwärts reitet. Von diesem Reiseabschnitt ist nur zu berichten, dass man an einem Platz vorbeikommt, wo an bestimmten Tagen Markt gehalten wird. Hier werden Gold, Silber und andere Waren umgeschlagen. Diejenigen, die das Gold und das Silber hierher bringen, kommen aus so abgelegenen Gegenden, dass niemand bis zu ihnen Vordringen kann. Keiner weiß auch genau, wo sie wohnen. Im Süden stößt man dann CV VON DER GROSSEN ABFALLENDEN FLÄCHE

nach diesen zwei T agen auf einGebiet,das an Indien grenzt und Mien heißt. Dann kommt man zwei Wochen lang durch eine waldreiche und unbewohnte Gegend, wo Elefanten, Einhörner und andere wilde Tiere leben. Sie ist sehr menschenarm. Ich will euch jetzt aber eine andere Geschichte erzählen. Hat man eine vierzehntägige Reise hinter sich gebracht, erreicht man endlich die große und reiche Stadt Mien. Deren Bevölkerung betet zu Götzen und verfügt über eine besondere Sprache. Ihr Herr ist der Großkhan. Hier steht ein bedeutendes Bauwerk. Früher gab es dort nämlich einen König, der nach seinem Tode an beiden Enden seines Grabes einen Turm haben wollte, einen aus Silber und einen aus Gold. Diese Türme will ich euch beschreiben: Sie sind gut zehn Schritt hoch und von dieser Höhe entsprechender Dicke. Der Turm selbst ist aus Stein, außen aber völlig mit Gold bedeckt, das vielleicht fingerdick ist. Es wirkt so, als sei alles nur Gold. Oben ist der Turm rund und mit vergoldeten Glöckchen besetzt, die bei jedem Windstoß läuten. Der andere Turm aus Silber ähnelt dem goldenen aufs Haar. Der König ließ ihn wegen seiner Seele, deren Andenken er gewahrt wissen wollte, herstellen. Dieses Grabmal ist wunderbar anzusehen und von ungeheurem Wert. Der Großkhan hat dann eines Tages dieses Land erobert. Ich will euch erzählen, wie. Er sagte seinen Spielleuten, sie sollten die Provinz Mien erobern, wobei sie auch Unterstützung erhalten sollten. Die Spielleute waren damit sofort einverstanden. Sie zogen mit den Hilfstruppen in jenes Land und nahmen es ein. Als sie in die Stadt kamen und etwas so Schönes vorfanden, sandten sie dem Großkhan einen Bericht darüber. Sie meldeten ihm die Schönheit, Bauweise und Kostbarkeit dieser Türme, beschrieben, wo sie sich befänden, und wollten wissen, ob sie sie zerlegen sollten, um ihm das Gold und das Silber zu schicken. Als der Großkhan den Bericht hörte und erfuhr, dass dort ein König sich und seiner Seele ein Denkmal errichtet habe, befahl er, die Türme nicht zu zerstöCVI VON DER PROVINZ MIEN

ren; vielmehr sollten sie im Sinne dessen, der sie hatte bauen lassen, erhalten bleiben. Das ist dort selbstverständlich, denn kein Tatar rührt Dinge eines Verstorbenen an. Man findet in diesem Land viele Elefanten, große und schöne wilde Rinder, außerdem auch viele andere Tiere. Jetzt will ich euch von einer anderen Provinz erzählen, die Gangala heißt. Gangala liegt im Süden davon und war im Jahre des Herrn zwölfhundertneunzig noch nicht vom Großkhan eingenommen, als ich, Marco Polo, an seinem Hofe weilte. Sein Heer beschäftigte sich aber mit dieser Aufgabe. Die Leute in diesem Gebiet haben einen König und eine eigene Sprache. Sie sind die schlimmsten Götzenanbeter. In diesem Indien benachbarten Land gibt es viele Eunuchen. Die Rinder, die es in jenen Gebieten gibt, sind fast so groß wie Elefanten. Die Einwohner leben von Fleisch und Reis, treiben Handel, besitzen Narden, Ingwer, Zucker, Galgant und viele andere Gewürze, deretwegen die Kaufleute hierherkommen und wovon sie genügend einkaufen können. Was von den Händlern in diesem Land erworben wird, verkaufen sie in anderen Gebieten. Hier habe ich nun nichts weiter zu berichten. Deshalb brechen wir auf und sprechen von einer anderen Provinz im Osten, die Kangigu heißt. CVII VON DER PROVINZ GANGALA

Kangigu ist eine Landschaft, die nach Osten liegt und von einem König beherrscht wird. Die Bevölkerung verfügt über eine eigene Sprache und betet Götzen an. Dieses Land zahlt dem Großkhan jährlich Tribut. Der König war so lüstern, dass er zu seinen Frauen sogleich noch eine hinzufügte, wenn eine Schöne im Lande bekannt wurde, sodass er schließlich über dreihundert hatte. Gold und Gewürze machen die Reichtümer des Landes aus, das aber weit vom Meer entfernt liegt, sodass ihre Ware kaum etwas Wert ist. Sie verfügen über viele Elefanten und andere Tiere, leben von Fleisch und Reis, aus dem sie auch ihren Wein herstellen. Männer und CVIII VON DER PROVINZ KANGIGU

Frauen bemalen sich Gesicht, Hände und den ganzen Körper mit Vögeln und anderen Tieren, wobei sie Nadeln benutzen. Als die edelsten und schönsten Leute gelten die, die am meisten bemalt sind. Nun wollen wir zu einer anderen Provinz übergehen, die Amu heißt und im Osten liegt. Die Bewohner dieses nach Osten liegenden Landes sind Götzenanbeter, die dem Großkhan Tribut zahlen und von Fleisch und Ackerbau leben. Sie sprechen ihre eigene Sprache. Ihre Frauen tragen an Armen und Beinen goldene und silberne Reife von großem Wert. Die Männer tragen Reife von noch größerem Wert. Sogar aus Indien kommen Kaufleute, die ihre Pferde erwerben. Außerdem haben sie Rinder, Büffel und Kühe, denen sie gute Weidemöglichkeiten bieten können. Zwischen Kangigu und Amu liegen fünfzehn Tagereisen. Von dort nach Gangala sind es zwanzig Tagereisen. Wir wollen nun von der Provinz Toloma reden, die acht Tage von Amu entfernt in Richtung Osten liegt. CIX VON DER LANDSCHAFT AMU

Im Osten liegt eine Provinz, in der die Leute ihre eigene Sprache sprechen und vom Großkhan abhängig sind. Sie verehren Götzen, sind sehr schön, obwohl nicht weiß, sondern von brauner Hautfarbe. Sie sind gute Krieger. In diesem Land gibt es viele Städte und Burgen, viele Berge von beträchtlicher Höhe. Die Toten werden verbrannt, die zurückbleibenden Knochen in Urnen aufbewahrt, die man in Berghöhlen aufreiht. Dort kann kein Mensch oder Tier sie berühren. Da sie viel Goldvorkommen haben, ist daraus auch ihr Geld, nur das Kleingeld wird aus Muscheln gemacht. Die Länder Gangala, Kangigu und Amu sind darin gleich. Obwohl wenig Handel getrieben wird, ist es ein reiches Land. Fleisch und Milch bilden die Nahrung, außerdem Reis und viele Gewürze. Nun will ich euch von einer anderen Provinz erzählen, die nach Osten zu liegt und Kugiu genannt wird. CX VON TOLOMA

Von Toloma weiter nach Osten führt der Weg nach Kugiu, wo man nach einer zwölftägigen Reise einen Fluss entlang die Stadt Sinuglil erreicht. Unterwegs trifft man auf viele Städte und Orte, von denen es nichts Besonderes zu berichten gibt. Sinuglil ist sehr reich und groß, und die Einwohner, die dem Großkhan unterstehen, sind Götzenverehrer, treiben Handel und Handwerk, stellen Stoffe aus der Rinde von Bäumen her, was gute Sommerkleidung ergibt. Im Krieg verstehen sie auch ihr Handwerk. Als Geld benutzen sie die Billets des Großkhans. In diesem Land ist die Zahl der Löwen so groß, dass man nachts nicht im Freien schlafen kann, sonst wird man gefressen. Die Löwen schleichen sich sogar auf Flussschiffe, wenn diese nachts nicht weit genug vom Ufer entfernt sind. Auch diese Opfer wären gnadenlos verloren. Die Menschen verstehen es aber, sich vor ihnen zu hüten. Die Löwen sind von großer Kraft und ungeheurer Größe. Ich will euch aber etwas Wunderbares erzählen: Es gibt dort Hunde, die zu zweit einen Löwen erlegen, so wild sind sie. Ein Reiter führt nämlich zwei dieser Hunde bei sich, die den Löwen umkreisen, sobald sie ihn erblicken. Da der Löwe auch auf den Menschen achtet, trifft er mit seinen Schlägen die dressierten und schnellfüßigen Hunde nicht. Der Löwe sucht nun einen Baum, zu dem er sich mit dem Rücken stellen kann, den Kopf zu den Hunden gewandt, die ihn ständig in die Seiten beißen, damit er sich bald zu dem einen, bald zu dem anderen wendet. Der zu Pferde verfolgt ihn und durchbohrt ihn so lange mit seinen Pfeilen, bis der Löwe tot umfällt. Der Löwe kann sich also nicht gegen einen Reiter und zwei Hunde verteidigen. Es gibt in diesem Lande reichlich Seide, die wie andere Waren auf dem Fluss und seinen Nebenarmen transportiert wird. Wenn man dem Fluss folgt, kommt man zwölf Tage lang an vielen Städten und befestigten Plätzen vorbei, deren Bewohner Götzen anbeten und dem Großkhan unterworfen sind. Sie benutzen Papiergeld, sind zum Teil Soldaten, teilweise Händler und Handwerker. Nach diesen zwölf Tagen kommt man nach Sindafa, von welcher Stadt bereits die CXI VON DER PROVINZ KUGIU

Rede war. Dann führt die Reise siebzig Tage durch Länder und Gebiete verschiedener Art, von denen dieses Buch auch schon berichtet hat, bis man endlich Giogui erreicht, wo wir bereits gewesen sind. Nach weiteren vier Tagereisen vorbei an Städten und Burgen kommt man nach Cacianfu, das zu Katai gehört. Unterwegs trifft man auf eine handwerklich und gewerblich orientierte Bevölkerung, die Papiergeld vom Großkhan benutzt. Jetzt soll aber von den Bräuchen in Cacianfu die Rede sein. Cacianfu liegt nach Süden und ist groß und bedeutend. Die Bewohner beten zu Götzen, gehorchen dem Großkhan und pflegen die Feuerbestattung. Handwerk und Handel blühen bei ihnen, vor allem stellen sie Seide, feine Tücher, Goldbrokat und Schleier her. Cacianfu hat viele andere Städte unter sich. Drei Tage weiter erreicht man im Süden die Stadt Ciaglu. CXII VON CACIANFU

Das ist eine sehr große Stadt in Katai, über die der Großkhan gebietet. Die Bewohner beten zu Götzen, verbrennen ihreToten und benutzen Papiergeld. Hier wird Salz in großen Mengen gewonnen, indem man die salzige Erde aufhäuft, über die man so lange Wasser laufen lässt, bis alles durchweicht ist. Das Wasser wird anschließend gekocht, sodass am Ende in den Metallpfannen feines weißes Salz zurückbleibt. Das Salz wird in viele Gegenden verkauft. Mehr ist hier nicht zu berichten. Noch weiter im Süden kommt man zu der Stadt Ciagli. CXM VON DER STADT CIAGLU

Ciagli liegt in Katai. Auch hier beten die Bewohner zu Götzen. Sie benutzen das Papiergeld des Großkhans, dem sie untertan sind. Die Stadt liegt fünf Tagereisen von Ciaglu entfernt, wobei man durch ein stadt- und bevölkerungsreiches Gebiet kommt. Diese Region untersteht dem Großkhan. Durch dieses Land fließt ein Strom, der zum Transport von Waren, vor allem Seide und Gewürz, benutzt wird. Im CXIV VON DER STADT CIAGLI

Süden kommt man dann zu einer anderen Stadt, wenn man eine Entfernung von sechs Tagereisen hinter sich gebracht hat. Sie trägt den Namen Codifu. Ciagli verlässt man, reist sechs Tage weiter südwärts durch ein sehr vornehmes Gebiet. Hier betet man ebenfalls zu Götzen, ist vom Großkhan abhängig und verbrennt die Toten. Die Bewohner benutzen Papiergeld, leben von Handel und Gewerbe und haben Überfluss an allen lebensnotwendigen Dingen. Aber es gibt hier nicht viel Bemerkenswertes, sodass wir gleich von Codifu berichten wollen. Ihr müsst wissen, dass Codifu einst eine mächtige Stadt war, bevor der Großkhan mit Waffengewalt sie einnahm. Dennoch ist sie noch heute die bedeutendste Stadt in dem Gebiet. In ihr leben sehr reiche Kaufleute, die über so viel Seide verfügen, dass man in Erstaunen ausbricht. Auch schöne Gärten und viel Obst gibt es hier. Von dieser Stadt sind wiederum fünfzehn reiche und wichtige Städte abhängig. Im Jahre 1273 hat der Großkhan einem seiner Fürsten achtzigtausend Reiter gegeben und verfügt, er solle in diese Stadt ziehen, sie schützen und bewahren. Als er einige Zeit in dieser Funktion tätig war, vereinbarte er mit Leuten, die dort ansässig waren, einen Aufstand gegen den Großkhan. Als der Großkhan von diesem Verrat erfuhr, schickte er zwei Hauptleute mit hunderttausend Reitern, damit sie den Aufstand niederwürfen. Die Aufständischen traten ihnen mit fast hunderttausend Reitern und Fußsoldaten entgegen, sodass eine große Schlacht entbrannte. Die Verräter kamen in der Schlacht um, die übrigen Schuldigen wurden getötet, den anderen vergab der Großkhan. Nun wollen wir weiterziehen, und ich erzähle euch jetzt von einer anderen Stadt im Süden, die den Namen Signi trägt. CXV VON DER STADT CODIFU

Nach drei Tagen in südlicher Richtung durch ein reiches und fruchtbares Gebiet mit reichlicher Gelegenheit zur Jagd kommt man nach Signi, einer Stadt, die im Überfluss lebt und in der vor allem Handel und Handwerk beCXVI VON DER STADT SIGNI

stimmend sind. Sie haben Papiergeld, beten zu Götzen und stehen in der Botmäßigkeit des Großkhans. Sie ziehen großen Gewinn aus einem Fluss, der eigentlich nach Süden fließt, den sie aber in zwei Arme getrennt haben, von denen einer nach Osten, nach Mangi, und der andere in westlicher Richtung führt. Auf diesen Flüssen fahren sehr viele Schiffe, die aber nicht sehr groß sind, jedoch eine erstaunliche Menge an Waren bringen und abholen, sodass es fast unglaublich erscheint. Nun wollen wir weiterziehen und von einer anderen Stadt erzählen, die im Süden liegt und den Namen Ligni trägt. Acht Tage braucht man, um vorbei an Städten und Burgen in einem ziemlich reichen Gebiet zur Stadt Ligni zu kommen. Die Menschen in dieser Gegend unterscheiden sich in Religion, Totenkult, Geld und Abhängigkeit nicht von den zuvor erwähnten. Ligni ist die Hauptstadt dieser Region. Es ist eine sehr edle Stadt mit kriegerischer Bevölkerung. Sie treiben auch Handel, Handwerk und jagen Vögel und andere Tiere und haben genug zu essen und zu trinken. Die Stadt liegt an dem oben erwähnten Fluss, jedoch sind ihre Schiffe größer als die, von denen bereits die Rede war. Ich will euch jetzt von einer anderen Stadt erzählen, die auch sehr groß und reich ist. Sie hießt Pigni. CXVN VON DER STADT LIGNI

Von Ligni nach Pigni reist man drei Tage durch ein gut bewohntes Gebiet mit Schlössern und Städten. Man muss in südlicher Richtung reisen. Die Bewohner unterscheiden sich in ihren Gewohnheiten nicht von den Vorgenannten. Das ganze gehört zu Katai, und man findet dort die herrlichsten Jagdgründe. Alle Lebensmittel sind reichlich vorhanden. Wenn man in Pigni eintrifft, ist man beeindruckt von der regen Gewerbetätigkeit. Diese Stadt liegt am Anfang der Provinz Mangi und liefert dem Großkhan viel Gewinn. Noch weiter in südlicher Richtung gelangt man nach Cigni. CXVIII VON DER STADT PIGNI

Reich und schön ist das Gebiet, durch das man zwei Tage sich bewegen muss, bevor die Stadt Cigni erreicht ist, die groß, reich und voll geschäftigem Treiben ist. Die Leute beten zu Götzen und verbrennen ihre Toten. Ihr Geld ist aus Papier, das sie vom Großkhan haben. Sie verfügen über sehr viel Getreide in diesem Land. Mehr ist nicht zu berichten, weshalb wir gleich weiterziehen. Auch wenn man nochmals drei Tage reitet, durch fruchtbares und wildreiches Gebiet, findet man zahlreiche Städte und Burgen, die den oben erwähnten gleichen. Dann kommt man an den Fluss Caramera, der aus dem Gebiet des Priesters Johann kommt. Er ist eine Meile breit, sehr tief und deshalb auch für große Schiffe befahrbar. Auf dem Strom verkehren im Dienste des Großkhans fünfzehntausend Frachtschiffe, wenn er die der Küste vorgelagerten Inseln bekriegt. Das Meer ist einen Tag entfernt. Auf jedem Schiff ist eine Besatzung von fünfzehn Mann, dazu fünfzehn Reiter mit ihren Pferden, Rüstungen und Vorräten. Jenseits des Flusses beginnt die große Provinz Mangi. Ich will euch erzählen, wie der Großkhan sie erobert hat. CXIX VON DER STADT CIGNI

In der Provinz Mangi regierte Fafur, nach dem Großkhan der mächtigste Herrscher der Welt. Er war sehr reich und hatte viele Leute zu seiner Verfügung. Allerdings ist es keine kriegstüchtige Bevölkerung, sonst wäre das Reich nie verlorengegangen, das bereits durch die umliegenden tiefen Gewässer gut geschützt ist, über die keine Brücke führt. 1273 entsandte der Großkhan einen General namens Bayan Cincsan, was in unserer Sprache »der Hundertäugige« bedeutet, mit einem Heer. Der Herrscher der Mangi nahm aber an, dass sein Reich uneinnehmbar sei, es sei denn der Eroberer hätte hundert Augen, wie ihm seine Astrologen erklärten. Die Tataren kamen mit vielen Schiffen, und darauf Reiter und Fußsoldaten. Als Bayan zu der ersten Stadt kam, wollten die Mangi sich nicht ergeben. Da zog er vor die nächste und immer so weiter bis zur CXX WIE DER GROSSKHAN DIE PROVINZ MANGI EROBERTE

sechsten. Er musste aber von allen ablassen. Der Großkhan jedoch schickte Verstärkung. Es war der noch heute regierende Herrscher. So konnte dann eine Stadt nach der anderen gewaltsam genommen werden, bis es zwölf waren. Dann ging man zum Angriff auf die Hauptstadt Quinsai über, die zugleich Sitz des Herrscherpaares war. Der Herrscher flüchtete aus Angst noch rechtzeitig aus der Stadt und begab sich mit tausend Schiffen auf die Inseln vor der Küste. Die Königin war aber zurückgeblieben und kämpfte, so gut es ging. Als sie erfuhr, dass der feindliche Feldherr den Namen »der Hundertäugige« trug, erinnerte sie sich an die Prophezeiung und ergab sich, und das riesige Reich fiel in die Hände des Großkhans. In der ganzen Welt gab es kein so großes Reich wie dieses. Ich will euch ein Beispiel geben. In Mangi hatte der König jährlich zwanzigtausend Kinder ernähren lassen, denn die armen Leute setzen dort ihre eben geborenen Kinder aus, weil sie sie nicht ernähren können. Wenn reiche Leute keine Kinder haben, erhalten sie so viele, wie sie wollen. Der König ließ sie auch heiraten und stattete sie mit dem Notwendigen aus. Aber auch andere Taten zeichneten ihn aus. Wenn er zum Beispiel neben zwei reichen Häusern ein kleines entdeckte, erkundigte er sich nach der Ursache, und wenn es einem armen Mann gehörte, gab er ihm Geld aus seiner Kasse, damit er sich ein größeres Haus bauen konnte. Der König wurde von tausend Jünglingen und Mädchen umsorgt. Es war ein Land der Gerechtigkeit, wo nichts verschlossen zu werden brauchte, denn Diebstahl kannte man nicht. Nun will ich euch noch erzählen, wie es der Königin erging. Nach der Eroberung wurde die Königin zum Großkhan gebracht, der ihr große Ehren wie einer bedeutenden Königin zuteil werden ließ. Ihr Mann hielt sich bis zu seinem Lebensende auf den Inseln verborgen, die er nicht mehr verließ. Jetzt sollen noch Einzelheiten von der Provinz Mangi berichtet werden. Wir fangen an mit der Stadt Caigiagiu.

Caigiagiu ist eine große und edle Stadt, die zwischen Südost und Ost am Anfang der Provinz Mangi liegt. Ihre Bewohner sind Götzenverehrer, verbrennen ihre Toten und unterstehen dem Großkhan. Auf dem Fluss Caramera, an dem sie liegt, verkehren ihre Boote. Es ist eine Handelsstadt, in der viel Salz hergestellt wird, womit insgesamt vierzig Städte versorgt werden. Dem Großkhan fließt durch das Salz und die anderen Waren großer Gewinn zu. Die nächste Stadt, von der die Rede sein soll, heißt Pauchi. CXXI VON DER STADT CAIGIAGIU

Einen Tag braucht man, um auf einer gut gepflasterten Straße Pauchi zu erreichen. Diese Straße ist ein Steindamm inmitten sumpfigen Geländes, der den einzigen Weg dorthin bildet. Die Stadt selbst ist schön und groß, ihre Einwohner verehren Götzen. Auch hier kennt man Feuerbestattung und ist dem Großkhan untertan. Handwerk und Handel bilden die Lebensgrundlage der Leute. Vor allem Seide, Seiden- und Goldstoffe werden fabriziert. Zu essen haben sie genug. Mehr gibt es hier nicht zu berichten. Deshalb brechen wir auf und erzählen von einer anderen Stadt namens Caiu. CXXII VON DER STADT PAUCHI

Von Pauchi aus braucht man einen Tag, um die in südöstlicher Richtung gelegene Stadt Caiu zu erreichen. Für sie gilt in allen wesentlichen Punkten dasselbe wie für die bereits genannten Städte. Lediglich mehr Vögel kann man dort jagen. Deshalb bekommt man für einen venezianischen Silbergroschen drei Fasanen. Jetzt will ich euch von einer anderen Stadt berichten, die den Namen Tingiu trägt. CXXIII VON DER STADT CAIU

Tingiu ist eine sehr schöne und freundliche Stadt, nicht sehr groß und von der Stadt Caiu einen Tag entfernt. Auch hier herrscht der Großkhan, dessen Papiergeld im Umlauf ist. Die Bewohner verehren Götzen. Die Stadt liegt in südöstlicher Richtung, wird vor allem von Handwerkern und Händlern bewohnt, die sich zum Warentransport großer CXXIV VON DER STADT TINGIU

Schiffe bedienen. Hier kann man jederzeit auf die Jagd gehen, die reiche Beute bringt. Das Meer ist nur drei Tagereisen entfernt. Der Großkhan profitiert in erster Linie von der Salzproduktion in diesem Gebiet, aus der ihm unermesslicher Reichtum zufließt. Wenn man die Region verlässt und weiter nach Südosten vorstößt, gelangt man durch ein bewohntes Gebiet nach einem Tag zu einer großen und schönen Stadt, von der siebenundzwanzig andere abhängen, die alle durch ihren Handel Bedeutung haben. In ihr lebt einer der zwölf Reichsverwalter des Großkhans. Marco Polo war selbst drei Jahre lang Herr in dieser Stadt. Hier werden Waffen und Zubehör hergestellt. Jetzt soll von den zwei großen Provinzen in Mangi die Rede sein, die nach Osten liegen. Die eine heißt Nangi. PROVINZ NANGI Nangi ist eine sehr große und reiche Provinz, deren Bevölkerung Götzen verehrt und das Papiergeld des Großkhans benutzt. Handel und Handwerk garantieren der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt, vor allem die Seidenherstellung. Außerdem gehen sie häufig auf die Jagd, es gibt nämlich viele Löwen in dem Gebiet. Auch gibt es dort die sehr berühmte Stadt Sajanfu, der zwölf andere große Städte unterstehen. Man treibt dort Handel und Handwerk, wobei die Geschäfte mit Papiergeld abgewickelt werden. Sie beten zu Götzen und verbrennen ihre Toten. Außer Seide findet man in dieser Stadt alles, was einer edlen Stadt zukommt. Sie hielt sich, als das gesamte Mangigebiet erobert wurde, drei Jahre gegen die feindliche Belagerung. Diese konnte nur von der einen Seite, der nördlichen, stattfinden, denn auf der anderen liegt ein tiefer See. Die Einwohner ernährten sich von den Fischen im See, sodass die Stadt eigentlich von der Landseite her uneinnehmbar war. Als der Großkhan das Heer gerade zornig abziehen lassen wollte, erklärten ihm Matteo und Niccolò Polo, dass einer ihrer Begleiter in der Lage sei, gewaltige Schleudern zu bauen, sodass die Stadt mit Gewalt genommen werden könne. Der Großkhan war über ihren Vorschlag erfreut und ließ sofort CXXV VON DER

die Instrumente bauen. Die Brüder Polo beauftragten damit ihren Begleiter, einen nestorianischen Christen. Die drei gebauten Schleudern wurden auf die Stadt gerichtet und dann der Beschuss mit Steinen von dreihundert Pfund aufgenommen. Die Häuser wurden dadurch völlig zerstört, sodass man nach einer Beratung in der Stadt, wo man wie im ganzen Tatarenreich zum ersten Mal solche Wurfmaschinen sah, die Stadt übergab, so wie dem Großkhan schon die anderen Plätze in die Hände gefallen waren. Das alles verdankte der Großkhan aber nur den beiden Brüdern Polo. Es ist seitdem eine der größten Provinzen, die der Großkhan besitzt. Nun wollen wir diese Provinz verlassen und von einer anderen erzählen, die Singiu heißt. Nach fünfzehn Meilen in südöstlicher Richtung trifft man in der Stadt Singiu ein, die nicht sehr groß ist, aber ein bedeutender Handelsplatz mit vielen Schiffen, die hier verkehren. Hier ist ebenfalls Papiergeld üblich. Die Stadt liegt am Quian, dem größten Fluss der Welt, der an verschiedenen Stellen sechs bis zehn Meilen breit ist. In seiner Länge misst er hundert Tagereisen. Stadt, Hafen und Schiffe unterstehen dem Großkhan, der daran viel verdient. Von hier fahren die Schiffe in die verschiedenen Richtungen, aber dieser Hafen hat auch die Funktion des Ruhehafens. Durch die vielen an den Ufern des Flusses gelegenen Städte ist der Umfang und Wert des Handels, der über diesen Fluss abgewickelt wird, bedeutender als auf irgendeinem Weltmeer oder auf irgendeinem europäischen Fluss. Ich habe in dieser Stadt fünfzehntausend Handelsschiffe auf einmal gesehen. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, wieviel Schiffe wohl in den übrigen Häfen an diesem Fluss liegen, wenn man bedenkt, dass diese Stadt nicht sehr groß ist und insgesamt sechzehn Provinzen und zweihundert Hafenstädte an diesem Fluss gelegen sind, die alle noch viel mehr Schiffe aufzuweisen haben. Alle diese Schiffe haben ein Deck, einen Mast und können zwischen viertausend und zwölftausend Kantari oder veneCXXVI VON DER STADT SINGIU UND DEM GROSSEN FLUSS QUIAN

zianische Zentner tragen. Man benutzt hänfenes Tau werk zum Festzurren der Boote und zum Treideln. Die kleinen Boote sind aus dickem, langem Rohr von der Art, wie ich es bereits beschrieben habe. Sie binden die Schiffe aneinander, sodass der Zug dreihundert Schritt lang ist. Wir wollen uns jetzt Caigiu zuwenden. VON DER STADT CAIGIU Im Südwesten liegt die kleine Stadt Caigiu, deren Einwohner an Götzen glauben und dem Großkhan gehorchen, dessen Geld sie auch gebrauchen. Auch diese Stadt liegt an dem großen Fluss. Hier wird viel Reis und Getreide geerntet, womit sie bis nach Kamblau kommen, um den Hof des Großkhans zu versorgen. Dazu wählen sie den Weg über Binnengewässer. Der Großkhan hat zu diesem Zwecke die Verkehrsverbindungen durch künstliche Kanäle vereinfacht. Die Kanäle verbinden Flüsse und Seen und sind so tief, dass auch große Schiffe für die Transporte benutzt werden können. Der Weg über das Wasser ist genauso lang wie der Landweg. Mitten im Fluss gibt es eine Felsinsel mit einem Götzenkloster, in dem dreihundert Mönche leben. Hier stehen viele Götzenbilder. Es ist das Hauptkloster, außer dem es noch viele andere gibt. Jenseits des Flusses kommt man nach Cinghiafu. CXXVN

Cinghiafu liegt in der Provinz Mangi, und die hiesigen Bewohner ähneln in Lebensweise und Glauben den bisher beschriebenen. Die äußeren Bedingungen sind durch gute Jagdmöglichkeiten, reiche Getreide- und Seideproduktion und Herstellung von Seidenstoffen und Goldbrokat bestimmt. Es gibt dort zwei nestorianische Kirchen, denn im Jahre zwölfhundertachtundsiebzig war ein Nestorianer, etwa insgesamt drei Jahre lang, Statthalter in Namen des Großkhans. Dieser Mann hieß Marsarchim und hat die Kirchen bauen lassen, die noch immer erhalten sind. Jetzt werden wir von einer anderen Stadt, Cinghingiu, reden. CXXVM VON DER STADT CINGHIAFU

Wenn man Cinghiafu verlässt und drei Tage nach Südosten reitet, kommt man an vielen Städten und Festungsplätzen vorbei, deren Einwohner Götzen anbeten, von Handel und Gewerbe leben, dem Großkhan untertan sind und sein Papiergeld gebrauchen. Nach Verlauf dieser drei Tage trifft man in Cinghingiu ein, das sehr groß und schön ist und ansonsten den anderen Städten sehr ähnelt. Hier hat sich aber etwas zugetragen, was der Erwähnung wert ist. Als Bayan Cincsan »der Hundertäugige« diese Provinz einnahm, sollten seine Leute nach dem Fall der Hauptstadt auch diese Stadt nehmen. Die Einwohner ergaben sich. Die eindringenden Soldaten fanden so viel Wein, dass sie sich sinnlos betranken. Sie blieben wie tot liegen und schliefen. Als den Einwohnern dies bekannt wurde, brachten sie das ganze Heer im Schlaf um. In dieser Nacht entging keiner dem Tod. Als »der Hundertäugige« davon erfuhr, ließ er die Stadt mit Gewalt einnehmen und die gesamte Einwohnerschaft mit dem Schwert niedermetzeln. Nun will ich euch von einer anderen Stadt erzählen, die den Namen Signi trägt. CXXIX VON DER STADT CINGHINGIU

Signi ist eine große Stadt, in der Papiergeld kursiert, deren Einwohner Götzen verehren und dem Großkhan untertan sind. Sie haben viel Rohseide, handeln und üben Gewerbe aus, verarbeiten die Seide zu Stoffen. Die Stadt hat einen Umfang von sechzig Meilen, ihre Einwohnerzahl ist unüberschaubar. Wenn sie gute Soldaten wären, könnten sie die ganze Welt unterwerfen. Sie sind aber kriegsuntüchtig, dafür jedoch gute Ärzte und Kaufleute. Sechstausend Steinbrücken stehen in diesem Lande, die so hoch sind, dass eine Galeere darunter durchkommt. Das könnt ihr mir glauben. In den Bergen dieses Landes wachsen Rhabarber und Ingwer in großer Fülle, sodass man für einen venezianischen Groschen vierzig Pfund ausgezeichneten frischen Ingwer kaufen kann. Signi unterstehen sechzehn große Handelsstädte. Nun brechen wir von Signi auf und kommen zu einer großen edlen Stadt mit Namen CXXX VON DER STADT SIGNI

Ingiu, die eine Tagereise entfernt, aber so unbedeutend ist, dass ich gleich von der nächsten spreche, die Vughiu heißt. Sie ist groß und reich, und ihre Bevölkerung betet Götzen an. Auch hier ist das Papiergeld des Großkhans gültig. Gute Handwerker, viele Händler und auch Gelehrte leben in der Stadt, wo man keinen Mangel kennt. Danach kommt man nach Cianghi, wo Seidentücher hergestellt werden, sonst gibt es nichts zu bemerken. Endlich gelangt man nach Quinsai, der Hauptstadt der Provinz Mangi. Drei Tage an Städten und Dörfern vorbei geht der Weg durch ein reiches und reges Land nach Quinsai. Das Gebiet untersteht dem Großkhan, dessen Geld hier auch benutzt wird. Man findet hier alles, was man zum Leben braucht. Dann endlich, nach den drei Tagen, trifft man in Quinsai ein, was Stadt des Himmels heißt. Sie ist so schön und prächtig, dass deswegen der König dieser Provinz an Bayan schrieb, als dieser sich anschickte, diesen Teil von Mangi zu erobern. Er bat ihn, die Botschaft dem Großkhan zu übermitteln, denn dieser werde, wenn er von soviel Schönheit erfahre, die Stadt gewiss schonen. Ich will euch den Inhalt des Briefes wiedergeben. Es ist alles die lautere Wahrheit, denn ich, Marco Polo, habe mich mit eigenen Augen überzeugt. Quinsai hat hundert Meilen Umfang und zwölftausend Steinbrücken. Unter der Mehrzahl dieser Brücken kann ein großes Schiff hindurch, unter den übrigen ein mittleres. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die ganze Stadt ruht im Wasser, die Brücken aber ermöglichen den Verkehr. In der Stadt sind alle zwölf Handwerke vertreten. Ein jedes hat zwölftausend Werkstätten, das heißt einzelne Häuser. In jeder Werkstatt wirken etwa zehn Männer, manchmal fünfzehn, zwanzig, vierzig. Nicht alle sind Meister, sondern viele Lehrlinge. Von dieser Stadt her werden viele Regionen beliefert. Manche Kaufleute aus der Stadt sind unglaublich reich. Ihre Zahl ist ebenfalls sehr hoch. Die höherstehenden Schichten arbeiten nicht, sondern leben wie Könige, die CXXXI VON DER STADT QUINSAI

Frauen wie Engel. Jeder muss dem Vater im Handwerk nachfolgen. Auch wenn seine Werkstatt hunderttausend byzantinische Goldstücke wert ist, würde niemand wagen, ein anderes Handwerk zu ergreifen. Im Süden gibt es einen See von dreißig Meilen Umfang, an dessen Ufern schöne Paläste und wunderbare Häuser stehen, in denen die vornehmen Leute leben. Klöster und Abteien der Götzenanbeter gibt es auch in großer Zahl. In der Mitte des Sees gibt es zwei Inseln, auf denen jeweils ein schöner Palast steht, der eines Kaisers würdig wäre. Diese Gebäude stehen für Hochzeiten oder Gelage zur Verfügung. Geschirr und Bestecke und andere Gegenstände werden dabei gestellt. In der Stadt gibt es verschiedene Häuser und Türme aus Stein, wohin die Leute ihre Sachen bringen, wenn es brennt. Oft bricht nämlich ein Feuer aus, denn die Gebäude sind zumeist aus Holz. Sie essen dort alles Fleisch, sogar das vom Hund und anderem Getier, was für Christen unbegreiflich ist. Die Brücken werden Tag und Nacht von zehn Mann bewacht, damit kein Aufstand ausbricht. Im Stadtzentrum steht auf einem Berg ein Turm, auf dem ständig ein Mann wacht, der mit einem Stock auf eine Tafel schlagen kann, was weit zu hören ist. Das tut er, wenn Feuer ausbricht oder ein Streit oder Kampf im Gange ist. Der Großkhan lässt die Stadt besonders bewachen, weil sie die Hauptstadt der ganzen Provinz Mangi ist und ihm besondere Einnahmen bringt, die unvergleichlich hoch sind. Alle Straßen der Stadt sind mit Steinen oder Ziegeln gepflastert, ebenso die Hauptstraßen der ganzen Provinz. Infolgedessen kommt man zu Pferde und zu Fuß gut voran. Die Stadt verfügt über dreitausend Bäder, in denen sich Männer und Frauen erfreuen können. Die Bäder werden viel benutzt, denn es sind sehr reinliche Menschen. Die Baderäume sind sehr schön und groß, sodass bis zu hundert Personen gemeinsam baden können. Fünfzehn Meilen in nordöstlicher Richtung liegt am Ozean die Hafenstadt Ganfu, wohin die Warenschiffe aus Indien und anderen Ländern kommen. Von Quinsai zum Meer gibt es eine Flussverbindung, weshalb die Schiffe bis zur Stadt hinauffahren

können. Der Großkhan hat die Provinz Mangi in acht Teile unterteilt, die acht große Reiche bilden, aus denen der Großkhan jährlich Tribut zieht. In Quinsai residiert einer der Herrscher über ein solches Reich, zu dem hundertvierzig Reiche und große Städte gehören. Die Provinz insgesamt umfasst tausendzweihundert Städte, die alle mindestens tausend Wächter haben, wie es der Großkhan wünscht. Manche haben auch Truppenkontingente von zehn-, zwanzig-, dreißigtausend Mann, sodass die Gesamtzahl ins unermessliche steigt. Nun müsst ihr nicht glauben, dass alle Leute dort Tataren sind, sondern es sind auch Leute aus Katai darunter. Diese Truppen sind auch nicht alle beritten, sondern viele gehören zur Infanterie. Die Gewinne, die der Großkhan aus dieser Provinz zieht, sind unbeschreiblich hoch. Die Sitten in Mangi sind die folgenden. Wenn ein Kind geboren wird, notieren sie genau den Tag, die Stunde, den Augenblick, das Zeichen und den Planeten, unter dem es geboren ist, sodass jeder seine Daten kennt. Wenn einer eine Reise oder etwas anderes vorhat, befragen sie mit Hilfe dieser Daten ihre Astrologen. Zu diesen haben sie großes Vertrauen und richten sich nach ihren Voraussagen. Wenn sie jemand zur Verbrennung begleiten, kleiden sie sich sehr schlecht, um ihren Schmerz anzudeuten. Sie folgen dem Leichnam, spielen auf ihren Instrumenten und singen zu ihren Götzen. Wenn die Verbrennungsstätte erreicht ist, verbrennen sie gleichzeitig mit dem Leichnam Bilder von Männern und Frauen, Pferden, Kamelen, Geld und vielen anderen Dingen. Sie leben nämlich in dem Glauben, dass alles das dem Toten im Jenseits zur Verfügung stehen wird. Alle Ehren, die dem Verstorbenen in dieser Welt bei seiner Verbrennung zuteilwürden, werde man ihm auch beim Eintritt ins Jenseits bieten. In dieser Stadt steht auch der Palast des Königs, der die Flucht ergriff, als Mangi angegriffen wurde. Es ist der vornehmste und prächtigste Palast von der Welt. Er ist viereckig und mit hohen, dicken Mauern versehen. Das ganze Gelände hat einen Umfang von zehn Meilen. Außerhalb und innerhalb dieser Mauern sind sehr schöne Gärten mit

lieblichen Früchten. Dazu kommen viele Brunnen und noch mehr Seen, die Fische enthalten. In der Mitte liegt der Palast, dessen schöner Hauptsaal für Gelage vieler Personen Platz bietet. Er ist mit Gold und in Blau ausgemalt und herrlich anzuschauen. Es sind Geschichten dargestellt, und auch die Decke ist mit Gold verziert. Nichts vermag diese Pracht wiederzugeben. Der edle Palast enthält zwanzig Säle, die alle gleich groß sind und in denen zehntausend Leute behaglich speisen könnten. Außerdem birgt er tausend Zimmer. Die Einwohnerzahl der Stadt zählt man nach Toman. Es gibt hundertsechzig Toman, und ein Toman hat zehntausend Feuerstellen, also gibt es eine Million und sechshunderttausend Wohnhäuser, darunter etliche Palazzi. In der ganzen Stadt gibt es nur eine nestorianische Kirche. Stellt euch vor, dass in der Stadt und deren Vororten jeder Einwohner seinen Namen den seiner Frau und seiner Kinder auf die Tür geschrieben hat, außerdem die Zahl der Sklaven und Pferde, die er besitzt. Wenn Geburt oder Todesfall vorliegen, wird die Namenstafel entsprechend verändert. So kann man genau feststellen, wer alles in der Stadt lebt. Das ist in der ganzen Provinz Mangi und in Katai üblich. Auch in den Herbergen ist es Brauch, dass die Namen der Gäste auf die Eingangstür geschrieben werden, außerdem der Tag ihrer Ankunft. Sobald sie abreisen, wird ihr Name gelöscht. Dadurch hat der Herrscher einen Überblick über den Verkehr von Fremden in der Stadt. Das stellt eine sehr kluge Einrichtung dar. Jetzt soll von den Einnahmen des Großkhans die Rede sein, die er aus dieser Stadt und der gesamten Region zieht, die einer der acht Teile des Gebiets Mangi ist. Der Großkhan hat große Gewinne von dieser Stadt und dem Gebiet, dessen Hauptstadt sie ist, durch das Salz, das ihm jährlich achtzig Toman Gold an Einnahmen bringt. Jeder Toman macht achttausend Saggi Gold aus, und jeder Saggio Gold ist mehr als ein venezianischer Dukat. Insgesamt macht der Betrag mehr als CXXXII VON DEN EINNAHMEN DES GROSSKHANS DURCH DAS SALZ

sechs Millionen und vierhunderttausend Saggi Gold aus. Das grenzt schon ans Wunderbare. Es gibt aber noch mehr Erstaunliches: Auch die Zuckerernte ist in diesem Gebiet ergiebiger als überall sonst in der Welt. Auch dies liefert dem Großkhan ungeheure Einnahmen. Die Gewürze und alle anderen Waren sind insgesamt mit drei Prozent zu seinem Vorteil belastet; auch ihr Reiswein und die Kohlen und alle Handwerksbetriebe (zwölftausend insgesamt) bringen ihm viel ein, denn für alles muss eine Abgabe gezahlt werden. Seide ist sogar mit zehn Prozent besteuert. Ich, Marco Polo, der ich dort lange Zeit gewesen bin, kann bestätigen, dass die Einnahmen ohne die Salzsteuer jährlich zweihundertzehntausend Toman Gold betragen. Das ist eine einmalig hohe Summe an Geld, die umgerechnet fünfzehn Millionen und siebenhunderttausend ausmacht. Und das ist nur der Betrag, den einer der acht Teile der Provinz Mangi einbringt. Nun will ich euch von einer Stadt mit Namen Tapigni berichten. Von Quinsai aus reist man einen Tag in südöstlicher Richtung durch ein schönes, garten- und palastreiches Gebiet, wo man alles Lebensnotwendige findet. Bald erreicht man Tapigni, das Quinsai untersteht. Natürlich werden auch hier die Toten verbrannt, wird Papiergeld benutzt und zahlt man Steuern an den Großkhan. Hier gibt es nichts mehr zu berichten. Drei Tagereisen weiter kommt man nach Vugiu, das im Südosten liegt und im wesentlichen der vorgenannten Stadt ähnelt. Nochmals zwei Tagereisen weiter in gleicher Richtung, vorbei an Dörfern und Festungen, führt der Weg nach Chegni. Von dort aus hat man dann eine Strecke von vier Tagereisen vor sich. Unterwegs trifft man auf viel Geflügel und wilde Tiere, denn es gibt hierüberaus große wilde Löwen. Aber im ganzen Gebiet der Provinz Mangi gibt es keine Schafe und Hammel, aber dafür haben sie reichlich Rinder, Böcke, Ziegen und Schweine. Schließlich erreicht man Ciafia, das auf einem Berg inmitten des Flusses liegt. Es ist die vorletzte Stadt, die CXXXM VON DER STADT TAPIGNI

zum Verwaltungsbereich von Quinsai gehört. Sie und ihre Einwohner ähneln sehr den gerade genannten Städten. Die letzte Stadt in diesem Gebiet ist dann Cugiu, danach beginnt ein anderes Reich der Provinz Mangi, das den Namen Fugiu trägt. CXXXIV VOM REICH FUGIU Wenn

man die letzte Stadt des Reiches Quinsai verlässt, kommt man nach Fugiu. Sechs Tage lang zieht man südwärts, an vielen Städten vorbei, deren Bewohner Götzen anbeten, dem Großkhan gehorchen und Fugiu unterstehen. Sie treiben Handel und Handwerk, leben in großem Überfluss, haben viel Ingwer und Galgant, sodass man für einen venezianischen Silbergroschen achtzig Pfund frischen Ingwer kaufen kann. Es gibt dort eine Pflanze, die wie Safran aussieht. Es ist aber keines, erzielt jedoch dieselben Wirkungen. Die Einwohner essen jedes Fleisch roh, sogar Menschenfleisch, das ihnen sehr zusagt. Der Betreffende darf aber nicht eines natürlichen Todes gestorben sein. Wenn sie in den Krieg ziehen, lassen sie ihr Haar umherflattern und bemalen sich das Gesicht. Dazu benutzen sie Azurfarbe. Als Waffen verwenden sie Lanzen. Sie sind sehr grausam, ermorden alle Gegner, trinken deren Blut und verschlingen das Fleisch. Hat man die sechstägige Strecke zur Hälfte zurückgelegt, so befindet man sich in der großen Stadt Quenlinfu, in der besonders drei Steinbrücken von einer Meile Länge und acht Schritt Breite auffallen. Sie sind sehr aufwendig mit Marmorsäulen hergestellt und würden einen ganzen Schatz kosten, wollte man nur eine nachbauen. Handwerk und Handel mit Seide, Ingwer und Galgant sind hier bestimmend. Die Frauen des Landes sind sehr hübsch. Es soll dort eine Hühnerart geben, die keine Federn hat, sondern Fell wie Katzen von schwarzer Farbe. Die Eier, die sie genau wie unsere Hühner legen, sind sehr wohlschmeckend. Während des zweiten Abschnitts der sechstägigen Reise kommt man nach fünfzehn Meilen an eine Stadt, in der sehr viel Zucker hergestellt wird, sodass der ganze Hof des Großkhans damit versorgt wird. Die Stadt heißt Unquen

und liefert ihm große Reichtümer. Dann endlich gelangt man zur Hauptstadt des Reiches, von der ich euch alles erzählen will, was ich weiß. Nach fünfzehn weiteren Meilen trifft man in Fugiu ein, das die Hauptstadt des Reiches Conca ist, einem der Landesteile von Mangi. Es ist ein Handelszentrum mit bodenständigem Handwerk. Die Einwohner beten Götzen an. Der Großkhan unterhält zu ihrem Schutz dort eine große Armee, die außerdem sämtliche Aufstände in der Gegend sofort niederschlägt. Ein Fluss von etwa einer Meile Breite fließt durch die Stadt. In den Werften der Stadt werden zahlreiche Schiffe hergestellt, die den Handel zu Fluss bewerkstelligen. Zucker, Edelsteine, Perlen bilden die Haupthandelsgüter, wegen deren die Kaufleute sogar aus Indien kommen. Der Hafen Zaiton am Meer ist nicht weit von dieser Stadt entfernt. Die kostbarsten Dinge kommen dort aus Indien an. Zu essen gibt es hier genug, denn es gibt viele Gärten und Obstpflanzungen. Alles ist so gut geordnet, dass man nur staunen kann. Jetzt will ich euch aber etwas anderes erzählen. CXXXV VON DER STADT FUGIU

Wenn man Fugiu verlässt, den Fluss überquert und fünf Tage in südöstlicher Richtung vorwärtsstrebt, kommt man durch wohlbebautes Land, vorüber an vielen Städten und Burgen, durch Täler und Auen mit Büschen und Kampferpflanzungen, wobei einem auch Gelegenheit zur Jagd gegeben ist. Handel und Handwerk blühen auch hier, wo die Einwohner ebenfalls Götzen anbeten. Dann erreicht man Zaiton, die Hafenstadt, in der viele Schiffe aus Indien mit ihren Ladungen von kostbaren Perlen und Edelsteinen anlegen. Das ist gleichzeitig der Haupthafen der Provinz Mangi. Hier liegt eine unglaubliche Zahl von Schiffen, die von hier aus in die gesamte Provinz fahren. Einem Schiff, das mit Pfeffer beladen in Alexandria ankommt, um das Abendland zu versorgen, entsprechen hier vielleicht fünfzig Schiffe, denn es CXXXVI VON DER STADT UND DEM HAFEN ZAITON

ist einer der größten Häfen der Welt, wo die meisten Waren umgeschlagen werden. Der Großkhan verdient an diesem Hafen ungeheure Summen, denn von allen hier abgeschlossenen Geschäften erhält er zehn Prozent an Steuern. Die Frachtgebühr auf den Schiffen kostet bei feinen Waren dreißig Prozent, bei Pfeffer vierundvierzig, bei Aloe- und Sandelholz und anderen Artikeln dieser Art vierzig Prozent. Somit zahlen die Kaufleute dem Großkhan auf dem Umweg über die Schiffe Abgaben in Höhe der Hälfte des Wertes der Waren. Deshalb verdient der Großkhan so unglaubliche Summen an dieser Stadt. Es gibt in der Provinz eine Stadt namens Tenugnise, in der sehr schönes Porzellan zu Vasen und Geschirr verarbeitet wird. Seine Qualität wird sonst nirgends erreicht, weshalb es auch einen Exportartikel darstellt. Für einen venezianischen Groschen kann man bereits drei sehr schöne Stücke erhalten. Von den acht Reichen der Provinz Mangi sind nun Fugiu, Quinsai und Cigni beschrieben worden. Die Beschreibung der übrigen würde zu weit führen, aber von Indien müssen wir berichten, wo es viel Erwähnenswertes gibt. Ich, Marco Polo, bin lange genug dort gewesen, um euch ausführlich Bericht zu erstatten. CXXXVII HIER BEGINNT DER BERICHT ÜBER DIE MERKWÜRDIGKEITEN IN

Nach dem Bericht über schon so zahlreiche Provinzen der Erde folgt nun etwas über die bemerkenswerten Dinge, die man in Indien beobachten kann. Wir wollen mit einer Beschreibung der Handelsschiffe beginnen, auf denen stets ein reges Treiben herrscht. Diese Schiffe, müsst ihr wissen, sind aus Tannenholz gebaut, haben ein Deck mit meistens gut vierzig Kajüten, in denen je ein Kaufmann behaglich untergebracht ist. Ein Steuerruder bei vier Masten, manchmal sogar sechs Masten, von denen zwei eingezogen werden können, genügt ihnen. Die Planken sind gut miteinander vernagelt, wozu sie hervorragende Nägel zur Verfügung haben. Da man in jenen Gebieten kein Pech kennt, sind die Schiffe nicht mit Pech abgedichtet, sondern mit einem Material, das sie für noch besser als Pech halINDIEN

ten. Sie nehmen Kalk und zerstoßenen Hanf, beides mischen sie mit Öl von einem bestimmten Baum, woraus sie einen herrlichen Leim herstellen, der genauso gut hält wie Pech. Die größten Schiffe brauchen bis zu zweihundert Seeleute, tragen dafür aber auch gut fünftausend Sack Pfeffer und sechstausend Korb Datteln. Man bedient sich auch der Ruder, wobei an jedem Ruder vier Seeleute sitzen. Die großen Lastschiffe werden von kleinen Booten begleitet, die vierzig Ruderer haben und gut tausend Pfeffersäcke tragen können. Diese kleinen Boote haben die Aufgabe, die Großen beim Vorankommen zu unterstützen. Außerdem wird das Schiff von zehn kleinen Barken begleitet, die für den Fischfang sorgen. Die größeren Barken haben ihrerseits eine Anzahl kleinerer zur Seite. Die Beplankung der großen Schiffe wird jedes Jahr verstärkt, bis schließlich sechs Schichten erreicht sind. Soviel war von den Schiffen zu berichten, die in Indien benutzt werden. Nun soll zunächst von den Inseln im dortigen Ozean einiges ausgeführt werden. Es sind sehr viele, und deren eine trägt den Namen Zipagu. Zipagu liegt im östlichen Ozean etwa fünfzehnhundert Meilen von der Küste entfernt. Die Insel ist sehr groß, ihre Bevölkerung von heller Gesichtsfarbe und von guten Sitten. Sie beten zu Götzen und haben ihren eigenen Herrscher. In diesem Reich gibt es viel Gold, aber da keine Händler dort erscheinen, wird mit Gold auch nicht gehandelt. Der Palast ihres Herrschers ist trotz seiner Größe völlig mit Gold ausgestattet, so wie bei uns die Kirchen mit Blei gedeckt werden. Zwei Finger dick ist die Goldschicht in den einzelnen Zimmern. Die Decken, Wände, Fensterrahmen, kurz: alles ist mit Gold überzogen. Der Gesamtwert ist gar nicht zu beziffern. Außerdem gibt es auf dieser Insel Perlen, die von rötlicher Farbe, groß und sehr rund sind. Sie sind wertvoller als die uns bekannten weißen. Dann kommen noch die vielen Edelsteine hinzu, die die Schätze der Insel ins Unermessliche erhöhen. Als der heute regierende Großkhan von diesen Reichtümern erfuhr, CXXXVIII VON DER INSEL ZIPAGU

entsandte er viele Schiffe mit Reitern und Fußsoldaten, um das Land auszurauben. Die beiden von ihm zu diesem Zweck ernannten Heerführer hießen Abata und Sanici, zwei sehr kluge und tapfere Leute. Sie landeten auf der Insel und raubten auf dem flachen Land und in den Gehöften, aber sie haben keine Stadt oder Befestigung genommen. Nun stieß ihnen ein Unglück zu, von dem ich euch erzählen will. Sie waren nämlich aufeinander sehr eifersüchtig und unterstützten sich in ihren Unternehmungen nicht. Eines Tages brach ein starker Nordsturm los, der die Schiffe zu zerschlagen drohte, wenn man nicht mit ihnen die Küste verließ. Sie bestiegen die Schiffe und segelten vier Meilen weiter zu einer anderen Insel, die nicht sehr groß war. Wer auf ihr landen konnte, überlebte, die anderen Boote zerschellten, und die Leute ertranken. So hatten sich dreißigtausend Männer auf diese Insel retten können, die sich aber in einer verzweifelten Lage befanden. Sie sahen nämlich, wie andere Schiffe, die dem Sturm entkommen waren, sich auf den Heimweg machten. Diese kamen auch sicher bei den Tataren an. Wir wollen aber weiter sehen, wie es den auf der Insel zurückgebliebenen Seeleuten erging. Die auf der Insel Zurückgebliebenen mussten annehmen, dass sie dem Tode geweiht seien, weil sie trostlos und ohne Schiffe zurückgeblieben waren. Die Bewohner der Insel Zipagu aber waren hoch erfreut, als sie bemerkten, dass ihre Feinde so durch den Sturm geschädigt worden waren und dass ein Teil der Tataren schiffbrüchig auf der kleinen Insel saß. Sie warteten, bis sich das Meer beruhigt hatte, und setzten dann zur kleinen Insel über. Als den Tataren auffiel, dass die Feinde die Schiffe unbewacht am Strand zurückließen, flüchteten sie im Kreis vor den Feinden und kamen so zu den Schiffen, die sie sofort und ungehindert bestiegen. Sie hißten die Segel und Flaggen, die sie an Bord vorfanden, und zogen mit der Flotte vor die Hauptstadt, wo man angesichts der Flaggen glaubte, es handle sich um die Flotte mit der eigenen Besatzung, die die dreißigtausend Mann überwältigen sollte. Sie ließen die Schiffe unge-

hindert in den Hafen, und damit war die Stadt erobert, aus der die Tataren alle Bewohner vertrieben, ausgenommen die schönsten Frauen, die sie zu ihren Zwecken zurückhielten. Als sich die Einwohner so genarrt sahen, wären sie am liebsten vor Kummer gestorben. Sie begannen, mit einer anderen Flotte den Hafen und die ganze Stadt zu belagern, sodass jeder Zugang unmöglich wurde. Sechs Monate harrten die Tataren in der Stadt aus und bemühten sich redlich, Kunde zum Großkhan zu schicken, was ihnen aber nicht gelang. Dann gaben sie unter der Bedingung auf, dass man sie leben lasse und ihnen die Möglichkeit zur Rückkehr in das Reich des Großkhans garantiere. Das alles hat sich im Jahre 1279 abgespielt. Der Großkhan aber ließ dem einen seiner beiden Heerführer wegen seines verräterischen Verhaltens den Kopf abschlagen, den anderen brachte man in ein Verlies. Vergessen habe ich noch, dass die beiden Heerführer eine Stadt mit Gewalt genommen haben, deren Einwohner sich nicht ergeben wollten. Allen wurde der Kopf abgeschlagen, nur bei acht war dies nicht möglich, weil sie durch Steine, die sie zwischen Haut und Fleisch hatten, mit solcher übermenschlichen Kraft geschützt wurden, dass sie nicht einmal verwundet werden konnten. Deshalb wurden sie mit Keulen erschlagen, wonach die Heerführer ihnen die Steine aus den Armen schneiden ließen. Nun wollen wir aber weitererzählen. Die Götzen, die man auf der Insel verehrt, und die in Katai sind sich sehr ähnlich. Das gilt auch für die Inseln in der Nachbarschaft. Einige der Götzen haben Köpfe wie Ochsen, andere wie Schweine, Schafe und weitere Tiere. Manche Götzen haben einen Kopf mit vier Gesichtern, andere verfügen über vier Köpfe oder gar zehn. Je höher die Zahl der Köpfe, umso mehr Vertrauen genießen die Götzen. Die verschiedenen Zeremonien, die vor diesen Götzen vorgenommen werden, sind so grässlich und teuflisch, dass wir hier nicht davon berichten können. Aber einen Brauch dieser Insel muss ich euch mitteilen. Wenn sie einen Gefangenen haben, der sich nicht freikaufen kann, laden

sie alle Verwandten ein und schlachten den Gefangenen, wonach sie ihn verspeisen. Menschenfleisch gilt ihnen als ein köstliches Gericht. Wir wollen nun aber zu unserem Thema zurückkehren. Das Meer, in dem Zipagu liegt, wird das Meer Cin genannt, was soviel heißt wie: das Meer, das in Richtung Mangi liegt. Nach Informationen von sehr erfahrenen Seeleuten liegen in diesem Meer siebentausendvierhundertachtundvierzig Inseln, von denen die meisten bewohnt sind. Die auf den Inseln wachsenden Bäume duften alle wie Aloe oder besser. Dann kommen auch die seltensten Spezereien vor, Pfeffer so weiß wie Schnee und natürlich auch der schwarze in großen Mengen. Leider ist trotz des verlockenden Goldes der Weg bis in jene Gebiete sehr weit, sodass man kaum hingelangt. Die Schiffe aus Quinsai und Zaiton aber, die bis nach Zipagu fahren, machen außergewöhnlich ertragreiche Geschäfte. Sie brauchen allerdings auch ein Jahr, brechen im Winter auf und kommen erst im nächsten Sommer wieder. In der Gegend herrschen nur zwei Winde, die in entgegengesetzter Richtung wehen und mit der Jahreszeit wechseln. Diese Länder sind weit von Indien entfernt. Das Meer gehört zum Ozean, wenn es auch hier das Meer Cin genannt wird. Aber wir sagen ja auch Englisches Meer, obwohl es zum Atlantik gehört. Von den Inseln kann ich nicht mehr berichten, weil ich nicht dort gewesen bin, und der Großkhan hatte dort nichts zu tun. Wir gehen also wieder nach Zaiton zurück und setzen von dort aus unsere Beschreibungen fort. Bricht man vom Hafen Zaiton auf und segelt nach Westen, wobei man sich etwas nach Südwesten halten muss, so kommt man nach tausendfünfhundert Meilen in ein sehr großes und reiches Land, das Ciamba heißt. Hier herrscht ein König über die Götzen verehrende Bevölkerung. Das Land zahlt dem Großkhan jährlich zwanzig Elefanten als Tribut und sonst nichts. Es sind allerdings die schönsten Tiere, die man sich vorstellen kann. Das Land wurde vom Großkhan CXXXIX VON DEM GEBIET CIAMBA

im Jahre 1278 unterworfen. Nun will ich euch vom König und seinem Reich berichten. Bevor bei diesem Volk ein schönes Mädchen heiraten darf, muss es erst eine Nacht mit dem Herrscher verbringen. Gefällt es ihm, so behält er es für sich. Im anderen Fall überlässt er sie einem seiner Leute zur Ehe. Im Jahre 1285 hatte, wie Marco Polo selber sah, der Herrscher von Ciamba dreihundertsechsundzwanzig Kinder, von denen hundertfünfzig männliche schon waffenfähig waren. Neben der Vielzahl an Elefanten gibt es in diesem Reich auch Aloeholz und das Ebenholz, aus dem Tintenfässer gemacht werden. Sonst gibt es von dort nichts zu berichten, weshalb wir uns jetzt der Insel Java zuwenden wollen. In Richtung Südsüdost führt die Reise weiter und nach tausendfünfhundert Meilen zu einer großen Insel, die den Namen Java trägt. Die Seeleute nennen sie die größte Insel der Welt, denn sie hat gut dreitausend Meilen Umfang. Die Bevölkerung glaubt an Götzen und hat einen König, zahlt aber keinem fremden Herrscher Tribut. Es ist ein sehr reiches Land, das über Vorkommen von Pfeffer, Muskat, Narden, Galgant, Kubeben und neben Gewürznelken auch über viele andere Spezereien verfügt. Die Händler, die die Insel aufsuchen, machen mit den Waren, die sie kaufen und verkaufen, sehr gute Geschäfte. Die Schätze in den Händen der Bevölkerung sind unvorstellbar groß. Für den Großkhan war diese Insel, bedingt durch die Entfernungen und den gefährlichen Weg zur See, uneinnehmbar. Lediglich die Kaufleute aus Zaiton und Mangi kommen wegen der Profite hierher. Nun wollen wir weiterziehen. CXL VON DER INSEL JAVA

Steuert man weiter nach Süden und Südwesten, so erreicht man nach siebenhundert Meilen zwei Inseln, die von unterschiedlicher Größe sind und Sondur und Kondur heißen. Noch fünfhundert Meilen weiter erreicht man das Land Locac, das von ungewohnter Größe CXLI VON DEN INSELN SONDUR UND KONDUR

und besonderem Reichtum ist. Es ist ein unabhängiges Land mit eigenem König, eigenen Götzen und zahlt niemand Tribut. Es ist nämlich so abgelegen, dass es für Überfälle praktisch unerreichbar ist. Gold gibt es dort in Hülle und Fülle. Es ist schier unglaublich. Von der Tierwelt sind besonders die vielen Elefanten zu erwähnen und das Wild, das ebenso wie die Vögel dort gejagt wird. Von hier stammen die Porzellanmuscheln, die in dem weiten Gebiet als Geld benutzt werden. Die Nachrichten über das Land sind sehr gering, weil kaum jemand dort gewesen ist. Besonders der König ist sehr froh darüber, weil so nicht weiter bekannt wird, welche Schätze er besitzt. Wir ziehen nun weiter, und ich berichte euch von einer anderen Insel. Fünfhundert Meilen weiter südlich von Locac liegt die Insel Petam, ein sehr wildes und unbebautes Gebiet. Aber es gibt dort Wälder von wohlriechenden Bäumen. Unterwegs gibt es eine Strecke von sechzig Meilen, wo das Wasser sehr seicht ist und selbst kleine Schiffe ohne Ruder fahren müssen, damit sie nicht den Grund berühren. Danach legt man nochmals dreißig Meilen zurück und kommt nach Malavir, einer Insel mit gleichnamiger Hauptstadt. Die Stadt ist ein ziemlich reicher Handelshafen, wo vorwiegend Gewürze gehandelt werden. Es herrscht dort ein König. Sonst gibt es nichts zu berichten. Deshalb brechen wir auf. Ich will euch von Klein-Java erzählen. CXLII VON DER INSEL PETAM

Verlässt man die Insel Petam und reist zu Schiff hundert Meilen in südöstlicher Richtung weiter, so kommt man an die Insel Java minor, die immerhin zweitausend Meilen Umfang hat. Von dieser Insel will ich euch nun wahrheitsgemäß berichten. Sie wird von acht gekrönten Königen beherrscht, die jeder ein Reich mit eigener Sprache besitzen. Die Bevölkerung glaubt an Götzen. Es gibt Schätze im Überfluss und alle Arten von Gewürzen. Jetzt soll von den Reichen im einzelnen berichtet werden. Eines erscheint jedem BeCXLIII VON DER KLEINEN INSEL JAVA

trachter bemerkenswert: Die Insel liegt so weit im Süden, dass der Polarstern überhaupt nicht mehr zu sehen ist. Wir kommen nun auf die Lebensweise der Einwohner zurück. Das erste zu erwähnende Reich ist Ferbet, wohin sehr viele sarazenische Händler mit ihren Schiffen gekommen sind und die dortige Bevölkerung zum Islam bekehrt haben. Das gilt aber nur für die Stadtbevölkerung. Die Leute in den Bergen leben nämlich wie die Tiere, essen Menschenfleisch und sämtliche Arten Tierfleisch. Sie beten viele Dinge an, zum Beispiel, was sich morgens zuerst ihren Blicken bietet. Das zweite zu erwähnende Königreich heißt Basma und grenzt an das vorgenannte. Die einheimischen Leute sprechen eine eigene Sprache, leben aber wie Tiere. Sie erkennen die Oberherrschaft des Großkhans an, aber zahlen ihm keinen Tribut, weil die Entfernung zu groß ist. So kann aus dem Reiche der Tataren nie jemand zu ihnen gelangen. Ab und an senden sie ihm doch eine Kostbarkeit, etwa wilde Elefanten oder Einhörner, die den Elefanten an Größe nicht nachstehen und ein Fell wie Büffel haben. Ihre Beine ähneln wieder denen der Elefanten, und auf der Stirn haben sie ein dickes schwarzes Horn. Sie sind aber nicht wegen des Horns gefährlich, sondern wegen ihrer dornigen Zunge, die völlig mit Stacheln übersät ist. Ihr Kopf gleicht dem eines wilden Ebers, und sie tragen ihn immer zu Boden gesenkt. Sie halten sich gern unter Rindern auf. Diese Tiere sind sehr hässlich. Sie lassen sich nicht, wie man bei uns meint, durch eine Jungfrau fangen, sondern sind im Gegenteil wild und scheu. In diesem Landstrich gibt es viele Affenarten und schwarze Falken, die hervorragend im Flug sind. Man muss wissen, dass die Geschichten über die kleinen mumifizierten Menschen, die aus Indien zu uns gebracht werden, falsch sind. Sie werden nämlich auf dieser Insel folgendermaßen hergestellt. Es gibt dort eine kleine Affenart, die dem Menschen sehr ähnelt. Diese Affen enthaart man bis auf den Bart und die Schamteile, dann trocknet man sie und tut sie in Formen, wo sie mit Safran und anderen Dingen zubereitet werden, bis sie dem Menschen sehr ent-

sprechen. In Wirklichkeit gibt es aber so kleine Menschen nirgends. Das nächste Reich, von dem wir berichten müssen, heißt Samarra. Wenn man Basma verlässt, betritt man das Reich Samarra, wo ich, Marco Polo, wegen widrigen Wetters fünf Monate verbracht habe. Weder der Polarstern noch der große Wagen sind dort sichtbar. Diese Regionen werden von Götzenanbetern unter einem reichen und mächtigen König bewohnt. Ihr König erkennt den Großkhan an. Als wir dort zu leben gezwungen waren, haben wir an Land Gebäude aus Holz errichtet, die uns vor der wilden Bevölkerung und den menschenfressenden Tieren schützen sollten. Dort fängt man sehr schmackhaften Fisch. Korn gibt es nicht, wohl aber Reis. Da sie über keinen Wein verfügen, wie er uns bekannt ist, ziehen sie Saft aus Bäumen, indem sie einige Zweige anschneiden und einen Napf am Stamm befestigen. Dieser Napf füllt sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Dieses Getränk ist sehr gut. Die Baumart erinnert an Dattelbäume und hat vier Zweige. Wenn der Saft nicht mehr so stark tropft, bewässert man den Baum, damit die Saftproduktion wieder zunimmt. Man unterscheidet zwei Arten von Saft, weißen und rötlichen. In diesem Teil der Insel findet sich auch die indische Nuss, außerdem leben die Eingeborenen von allen Fleischsorten. Jetzt will ich euch von Dragouain erzählen. CXLIV VOM REICH SAMARRA

Dragouain ist ein Reich für sich auf dieser Insel, es hat eine eigene Sprache und kennt nur Götzenverehrung. Die Leute sind sehr wild und verfügen über folgenden abscheulichen Brauch. Wenn einer von ihnen krank ist, befragen sie ihre Zauberer und Astrologen, ob derjenige sterben werde oder überleben kann. Wenn erklärt wird, er werde sterben, so ruft man gewisse Leute und sagt zu ihnen: »Dieser Kranke ist dem Tode geweiht, tut, was zu tun ist.« Da würgen sie ihn so lange, bis er erstickt. Sobald er tot ist, wird der LeichCXLV VOM REICH DRAGOUAIN

nam gekocht, und alle Verwandten kommen zusammen, um ihn zu verspeisen. Sie essen alles einschließlich des Knochenmarks auf, weil sie der Auffassung sind, dass aus dem Knochenmark Würmer entstehen könnten, die, wenn alles verzehrt ist, vor Hunger sterben müssten, was wiederum der Seele des Verstorbenen sehr abträglich wäre. Deshalb essen sie alles auf. Nach dem Schmaus werden die Knochen in kleinen Kästchen in bestimmten Höhlen in den Bergen verborgen, wo sie für Menschen wie Tiere unerreichbar sind. Wenn ihnen Gefangene aus anderen Gebieten in die Hände fallen, die sich nicht loskaufen können, so werden sie verspeist. Nun will ich euch von einem anderen Land erzählen. Auch Lambri ist ein Reich mit eigenem König, der den Großkhan anerkennt. Die Eingeborenen beten Götzen an. Verzino und Kampfer nebst anderen Spezereien werden dort gewonnen. Ich habe Samen von der Verzinopflanze mit nach Venedig gebracht, er ist aber wegen der Kälte nicht aufgegangen. Fern von den dortigen Städten leben in den Wäldern und Bergen Menschen mit Schwänzen von einer Spanne Länge. Die Schwänze sind so dick wie die der Hunde. Auf Einhörner stößt man in diesem Land sehr oft. Ebenso kann man sehr gut jagen und Vögel fangen. Von Lambri habe ich euch nun erzählt. Jetzt will ich von Fransur berichten. CXLVI VOM REICH LAMBRI

Auf der gleichen Insel gibt es ein Reich namens Fransur, dessen Bewohner an Götzen glauben. Sie haben einen eigenen König und erkennen den Großkhan als ihren Oberherrn an. In keinem Land findet man besseren Kampfer als hier. Er wird mit Gold aufgewogen. Getreide ist dort unbekannt, deshalb ernährt man sich von Reis. Auf die gleiche Weise, wie wir es in einem vorangegangenen Kapitel beschrieben haben, wird hier Wein hergestellt. Etwas sehr Merkwürdiges gibt es hier: Ihr Mehl gewinnen sie nämlich aus Bäumen, deren Rinde außen zart und innen sehr mehlig ist. DaCXLVII VOM REICH FRANSUR

raus stellen sie dann Backwerk der verschiedensten Art her. Ich habe persönlich mehrmals davon gegessen. Nach diesen Bemerkungen folgt nun ein Bericht über andere Inseln, denn wir können nicht von allen Reichen auf dieser Insel etwas schreiben, weil Marco Polo sie nicht hat besuchen können. Ich berichte jetzt von einer ganz kleinen Insel, die Nenispola heißt. Von Java und Lambri aus hundertfünfzig Meilen in nördlicher Richtung führt die Reise zu zwei kleinen Inseln. Eine dieser beiden kleinen Inseln heißt Nenispola. Kein König herrscht hier, denn die Menschen sind völlig unzivilisiert und leben nach der Art der Tiere. Die Eingeborenen laufen völlig nackt herum. Als Religion haben sie die Götzenverehrung. Die Bewaldung dieser Insel besteht aus sehr kostbaren Holzarten. Man findet Sandelholz- und indische Nussbäume, Gewürznelken und andere schöne Bäume vor. Viel mehr gibt es nicht zu bemerken, deshalb wenden wir uns jetzt der anderen Insel zu, die Agama heißt. CXLVIII VON DER INSEL NENISPOLA

Die Nachbarinsel heißt Agama, deren Bewohner ohne Herrscher leben, Götzen verehren und sich kaum von Tieren unterscheiden, so primitiv leben sie. Sie haben alle Hundsköpfe, und auch die Zähne und die Nasen ähneln denen von Hunden. Die Insel ist reich an Gewürzen. Diese eigenartigen Leute sind sehr bösartig und fressen alle Menschen, die sie nur fangen können, sobald sie außerhalb ihres eigenen Gebietes sich aufhalten. Außerdem besteht ihre Nahrung hauptsächlich aus Reis und Milch, abgesehen von den Fleischsorten, die sie ohne Unterscheidung zu sich nehmen. Auf dieser Insel gibt es Früchte, die man in unseren Regionen gar nicht kennt. Wenn man von dieser Insel losfährt, kommt man zunächst zu einer sehr großen Insel, die den Namen Seilan trägt. cl von der insel seilan Wenn man von der Insel Agama losfährt und tausend Meilen in westlicher Richtung segelt, während man sich etwas nach Südwesten hält, kommt man zur Insel CXLIX VON DER INSEL AGAMA

Seilan, die durch ihre Größenverhältnisse die bedeutendste Insel der Welt ist. Ich sage euch, sie hat einen Umfang von zweitausendvierhundert Meilen, wenn man den Karten Glauben schenkt. Früher war sie jedoch größer und hatte einen Umfang von dreitausendsechshundert Meilen. Jedoch der Nordwind ist so stark, dass er einen Teil der ehemaligen Insel unter Wasser gesetzt hat. Diese Insel hat einen König namens Sendemain. Die unabhängigen Bewohner verehren Götzen und laufen mit Ausnahme der Geschlechtsteile nackt herum. Sie besitzen kein Getreide, sondern nur Reis, und haben Sesam, aus welchem sie Öl bereiten. Sie leben von Reis und Fleisch sowie von Milch. Wein stellen sie mit Hilfe der bereits erwähnten Bäume her. Auf dieser Insel findet man die schönsten und wertvollsten Rubine in einer Menge, die nirgends auf der Welt übertroffen wird. Auch Saphire und Topase, Amethyste und einige andere Edelsteine findet man hier. Der König dieser Insel besitzt den schönsten Rubin der Welt. Ich will ihn euch beschreiben. Er ist fast eine Spanne lang, fast ebenso breit, also etwa armdick. Er glänzt wie Feuer und ist völlig fleckenlos, von sehr intensivem Rot und dem Preis nach nicht bezahlbar. Der Großkhan hatte diesen Stein haben wollen und dafür den Wert einer guten Stadt geboten. Der Herr der Insel aber wollte ihn um keinen Preis hergeben, weil er bereits seinen Vorfahren gehört habe. Die Bevölkerung ist feig und furchtsam, sodass sie sich Söldner mieten müssen, insbesondere Sarazenen, wenn sie einmal einen Krieg führen wollen. Da von dieser Insel nicht mehr zu berichten ist, erzählen wir jetzt von Maabar. Wenn man von Seilan sechzig Meilen in westlicher Richtung zurückgelegt hat, kommt man zu der großen Provinz Maabar, die Großindien genannt wird. Es ist keine Insel, sondern gehört zum Festland. Diese Provinz hat sieben Könige, alles leibliche Brüder, von denen ich euch im einzelnen berichten will. Es ist die reichste und vornehmste Region der Welt. In einem Teil der Provinz regiert Sender Bandi CLI VON DER PROVINZ MAABAR

Devar. In diesem Gebiet findet man die schönen großen Perlen. Ich will euch erzählen, wie man sie gewinnt. In diesem Meer gibt es zwischen den Inseln und dem Festland einen Golf, wo das Wasser nicht mehr als zehn oder zwölf, an manchen Stellen nicht mehr als zwei Faden Tiefe hat. In diesen Golf fahren die Leute mit großen und kleinen Schiffen hinaus, und zwar in der Zeit von April bis Mitte Mai, bis hin zu einem Ort, der den Namen Battalas trägt. Sechzig Meilen vom Festland entfernt werfen sie ihre Anker. Dann begeben sie sich in kleine Boote und verfahren folgendermaßen: Zahlreiche Kaufleute vereinigen sich in mehreren Gesellschaften und mieten viele Leute für diese zwei Monate währende Fischerei. Die Kaufleute zahlen dem König den zehnten Teil ihrer Beute, geben außerdem denen etwas, die die Fische beschwören, damit sie den Perlenfischern nichts zuleide tun. Diese erhalten jedoch nur den zwanzigsten Teil. Das sind brahmanische Priester. Die Beschwörung gilt nur am Tag, sodass nachts nicht getaucht wird. Während der Zeremonie wird jedes Tier und jeder Vogel beschworen. Wenn die gemieteten Taucher zwei oder vier oder sechs Faden tief unter Wasser sind (manchmal kommen sie auch bis in eine Tiefe von zwölf Faden), bleiben sie so lange dort unten, wie sie können. Sie holen jene Fische herauf, die wir Heringe nennen. Denen entnehmen sie die großen und kleinen Perlen jeder Art. Die gefundenen Perlen werden in alle Welt verkauft, der König selbst hat einen großen Schatz davon. Nach der Mitte des Monats Mai findet man keine Perle mehr. Allerdings findet man dreihundert Meilen weiter in der Zeit von September bis Oktober welche. Die ganze Provinz Maabar hat keinen Bedarf an Schneidern, weil sie ständig nackt leben, denn das Klima erlaubt es wegen seiner permanenten Milde. Sie tragen nur einen Lendenschurz. Das gilt für den König wie für die anderen Einwohner mit dem Unterschied, dass er einen kostbareren Lendenschurz als die anderen trägt und am Hals ein Band voller Edelsteine hat, das dem Wert von zwei großen Schatzkammern entspricht. Außerdem hat er eine feine Seidenschnur um den Hals, die weit hin-

unter reicht und auf der einhundertundvier große Perlen und Rubine aufgereiht sind. Sie ist von ungeheurem Wert. Ich will euch erzählen, warum er sie trägt: Er muss jeden Tag einhundertundvier Gebete zu seinen Götzen sprechen. Dies verlangt sein Glaube, in dem er seinen Vorfahren folgt. Die Bewohner tragen auch an den Armen Reife, die voller teurer Steine und Perlen sind. Auch an den Beinen haben sie an drei Stellen diese so bestückten Reife. Der König trägt so viele Edelsteine auf dem Körper, dass man eine ganze Stadt kaufen könnte. Es ist kein Wunder, denn dort findet man so viele, wie ich ja bereits berichtet habe. Keine Person außerhalb seines Reiches kann Edelsteine oder Perlen finden, die insgesamt auch nur einen halben Saggio mehr ausmachten. Im ganzen Reich ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass die großen Steine und schönen Perlen dem König gebracht werden, der dafür zweimal soviel zahlt, wie sie kosten. Es ist der dort gebräuchliche Weg, zweimal soviel zu zahlen, wie sie kosten, deshalb bringen die Händler und einfachen Leute freiwillig ihre Schätze zum Herrscher, denn sie werden gut bezahlt. Er hat fünfhundert Frauen, mit denen er verheiratet ist. Sobald er eine schöne Frau oder ein Mädchen sieht, begehrt er sie für sich, nimmt sie den Angehörigen weg und verleibt sie der Zahl seiner Frauen ein. Der Bruder der Frau nimmt es hin und sucht keinen Streit mit dem Herrscher. Infolgedessen hat der König viele Söhne, die er zu Fürsten gemacht hat und die ihn stets bei seinen Ritten begleiten. Wenn der König stirbt, wird sein Körper verbrannt, und alle seine Söhne verbrennen sich mit ihm, ausgenommen der Älteste, der die Herrschaft übernehmen muss. Die übrigen wollen dem Verstorbenen im Jenseits dienen. Der Schatz, den der König dem Ältesten überlässt, wird von diesem nie angetastet, weil er ihn nicht verbrauchen, sondern vermehren will. Jeder der Thronfolger vermehrt so den Reichtum, wobei einer seinem Nachfolger überlässt, was er selbst geerbt hat. Infolgedessen hat sich ungeheurer Reichtum angesammelt. In diesem Gebiet hat man keine Pferde, die man selber züchtet, sondern sie wer-

den gekauft, was alle Einnahmen verschlingt. Die Händler von Quis, Dufar, Escer und Aden, wo es sehr viele Pferde gibt, bringen sie zu Schiff hierher und verkaufen den fünf verschwisterten Königen die Tiere zu einem Preis von fünfhundert Goldsaggi das Tier, was einem Preis von mehr als hundert Silbermark entspricht. Der König kauft jedes Jahr zweitausend oder mehr Pferde, seine vier Brüder ebenfalls. Nach einem Jahr sind alle Pferde tot, weil es keine geeigneten Leute gibt, die mit Pferden umgehen können. Die Händler sorgen für diesen Fall ebenso wenig, weil es ihnen lieber ist, dass die Pferde sterben, denn so können sie verdienen. Es gibt auch folgenden Brauch: Wenn ein Mann ein Übel tut, auf das die Todesstrafe steht, und der Mann sagt, dass er sich einem Götzen opfern will, so wird ihm dies gewährt. In diesem Fall kommen die Verwandten und Freunde des Übeltäters, nehmen ihn, heben ihn auf einen Wagen und geben ihm zwölf Messer, woraufhin sie ihn durch die ganze Stadt fahren und laut verkünden, dies sei ein braver Mann, der sich freiwillig zur Ehre eines Götzen opfern wolle. Wenn sie an der Gerichtsstätte angekommen sind, ruft der Delinquent mit lauter Stimme, wobei er ein Messer in der Hand hält, er sterbe zur Ehre dieses oder jenes Götzen. Danach sticht er sich mit dem Messer in den Arm, nimmt das zweite Messer und sticht sich in den anderen Arm und durchbohrt dann nach und nach seinen ganzen Körper, bis er stirbt. Sobald er tot ist, wird er von seinen Verwandten mit großer Zeremonie verbrannt. Ein anderer Brauch ist es, dass die Frau eines Toten sich ins Feuer stürzt und mit ihm verbrennt. Solche Frauen werden vom Volk sehr geachtet, sodass viele Frauen ihren Männern folgen. Die Leute verehren Götzen, besonders aber Kühe, weil sie die Kuh für etwas Gutes halten. Niemand isst dort Fleisch von einer Kuh, denn niemand würde das Tier schlachten. Es gibt eine besondere Klasse von Menschen, die Gavi genannt werden, Kühe essen, sie aber nicht töten. Wenn eine Kuh stirbt, dann essen sie sie jedoch. Sie reiben dann das ganze Haus mit Kuhfett ab. Eine weitere Sitte ist die, dass König und Fürsten und alle anderen

Leute nur auf der Erde sitzen. Das tun sie, weil sie aus Erde geworden sind und wieder zu Erde werden, sodass sie sie gar nicht genug ehren können. Die Gavi, die Kuhfleisch essen, sind jene, die früher den heiligen Apostel Thomas getötet haben. Diese Klasse Menschen können nicht den Ort betreten, wo der Körper des gesegneten Apostels ruht. Zwanzig Menschen wären nicht in der Lage, einen dorthin zu führen, so groß ist die Kraft des heiligen Körpers. Die Bevölkerung ernährt sich überwiegend von Reis; wenn man in dieser Gegend ein großes Schlachtross mit einer Stute kreuzt, ist das Ergebnis nur ein kleines Pferd mit verbogenen Beinen, auf dem man nicht einmal richtig reiten kann. Die Bewohner des Reiches gehen mit Schild und Lanze in die Schlacht, aber ohne Bekleidung, und sind ein verachtenswertes, unkriegerisches Volk. Sie töten kein Vieh, sondern lassen es von Sarazenen oder anderen, die nicht ihren Glauben haben, töten, wenn sie Fleisch essen wollen. Außerdem gibt es den Brauch, dass Frauen und Männer sich täglich zweimal vollends waschen, und zwar am Morgen und am Abend. Sie essen und trinken erst, wenn sie sich gewaschen haben. Wer sich nicht daran hält, wird so behandelt wie bei uns die Heiden. In dieser Provinz ist man sehr streng gegenüber Mördern, Räubern und anderen Verbrechern. Wer trinkt, wird nicht zur Zeugenaussage zugelassen. Ein gleiches Vorurteil gilt gegen die Leute, die zur See fahren. Fleischeslust wird von ihnen nicht als Laster angesehen. Das Klima ist so heiß, dass wir darüber erstaunt wären. Die Bewohner laufen alle nackt umher, und nur während dreier Monate im Jahr regnet es, nämlich in der Zeit von Juni bis August. Wenn dieses Wasser die Luft nicht abkühlen würde, wäre es so heiß, dass niemand es aushalten könnte. Viele Gelehrte verstehen sich auf Physiognomie, eine Wissenschaft, die den Menschen nach den Gesichtszügen beurteilt. Sie achten mehr auf Vorzeichen, als man es sonst gewohnt ist, weshalb sie auch mehr davon verstehen. Wenn sie reisen, kehren sie oft eines Niesers wegen um, oder weil sie einen bestimmten Vogel sehen. Von allen ihren Kindern

vermerken sie den Augenblick und den Planeten, der herrschte, als das Kind geboren wurde, weil viele Astrologen die Zukunft Voraussagen. In ganz Indien werden andere Vögel als bei uns beobachtet, ausgenommen die Wachtel und die Fledermäuse. Diese sind groß wie Geier, völlig schwarz wie Raben. Den Pferden geben sie Reisfleisch und vieles andere Gekochte. Ihren Götzen dienen sie in einer Vielzahl von Klöstern, in denen sehr viele junge Mädchen und Knaben leben, die von ihren Eltern aus irgendeinem Grunde den Götzen geschenkt worden sind. Der Herr über das Kloster verlangt öfter nach einem Geschenk für die Götzen, weshalb sie dorthin gehen, tanzen und ein großes Fest veranstalten müssen. Öfters bringen die jungen Mädchen den Götzen zu essen, denen sie geweiht sind. Sie stellen einen Tisch vor den Götzenbildern auf, breiten ihre Speise aus und lassen sie eine Weile stehen, während sie tanzen und singen. Nach dieser Zeremonie behaupten sie, der Geist des Götzen habe alle wertvollen Stoffe der Speisen verzehrt, und tragen sie wieder fort, das tun die Mädchen bis zu ihrer Heirat. Nun wollen wir dieses Land verlassen und von einem anderen sprechen, das Mutfili heißt. Mutfili ist ein Königreich, in das man gelangt, wenn man tausend Meilen von Maabar in nördlicher Richtung reist. Hier herrscht eine sehr kluge Königin, die seit vierzig Jahren verwitwet ist und ihren Mann so liebte, dass sie nie wieder geheiratet hat. Sie hat das Reich in gutem Zustand gehalten und war beliebter, als es je ein König oder eine Königin war. In diesem Land findet man Diamanten. Ich will euch auch sagen, wie. Es gibt hier hohe Gebirge, und wenn es regnet, stürzen die Wasser in so heftigen Strömen durch die Felsen und Höhlen, dass, wenn sich das Wasser verflüchtigt hat, die Menschen in den Betten der Flüsse und Bäche Diamanten sammeln gehen. Im Sommer, wenn es nicht regnet, findet man sie oben auf den Bergen. Aber es ist so heiß, dass man es kaum ertragen kann. In diesem Gebirge gibt es so viele große SchlanCLII VOM REICH MUTFILI

gen, dass die Menschen sehr vorsichtig sein müssen. Die Schlangen sind sehr giftig, weshalb man sich nicht nahe an ihre Höhlen heranwagen darf. Dann findet man die Diamanten auf eine andere Weise: In die Spalten und Täler, in die man wegen ihrer Enge nicht hinabsteigen kann, wirft man Fleischstückchen. In ihnen verfangen sich die Diamanten. Auf diesen Bergen leben aber neben den Schlangen weiße Adler. Sobald diese nun das Fleisch in den Felsspalten wahrnehmen, stürzen sie in die Tiefe und holen es herauf. Die Menschen aber vertreiben die Adler und klauben die Diamanten heraus. Hat ein Adler das Fleisch schon verschlungen, so sammeln die Menschen am Morgen die Diamanten aus dem Unrat der Vögel unter ihren Nestern. Auf so verschiedene Weise werden Diamanten auch nur in dieser Gegend gewonnen. Die guten Steine geraten aber nicht in die Hände der Christen, sondern werden zum Großkhan und anderen Fürsten jener fernen Länder gebracht, die einen großen Schatz haben. Die Fabrikation von feinen weißen Tüchern hat einen unvergleichlichen Grad an Vollkommenheit gerade in diesem Gebiet erlangt. Viele Tiere, darunter die größten Hammel der Welt, werden dort gezüchtet. Außerdem hat man Überfluss an allen Dingen. Jetzt sollt ihr vom heiligen Thomas hören, und wo sein Leichnam ruht. In dieser Provinz Maabar befindet sich der Leichnam des heiligen Thomas an einem kleinen Ort, der kaum bewohnt ist und zu dem wenig Händler kommen, weil er sehr abgelegen ist und kaum eine Gelegenheit zu Geschäften bietet. Viele Christen und Sarazenen pilgern jedoch hierher. Die Sarazenen aus jener Gegend vertrauen ihm nämlich sehr und behaupten, dass er einer der ihren gewesen sei, nennen ihn einen großen Propheten und heiligen Mann. Vernehmt nun, welche Wunder sich hier vollziehen. Die Christen, die hierherkommen, nehmen etwas von der Erde, auf der der heilige Thomas starb, und geben sie, in Wasser gelöst, Fieberkranken, die sofort geheilt werden. Die Erde ist von rötlicher CLIII VOM HEILIGEN APOSTEL THOMAS

Farbe. Im Jahre 1288 widerfuhr es einem Fürsten des Landes, der zur Erntezeit eine ungeheure Menge Reis hatte, dass er aus Raummangel einen Teil davon in der Kirche unterbringen ließ, woraufhin kein Pilger mehr Unterkunft fand. Die Christen, die sich um die Kirche kümmerten, waren darüber sehr zornig, aber sie baten sehr lange vergeblich um eine Räumung, denn der Fürst räumte die Kirche nicht. Eines Nachts erschien ihm der heilige Thomas mit einer Lanze in der Hand, die er auf seine Kehle richtete, und sagte ihm: »Wenn du nicht augenblicklich mein Haus räumst, werde ich dich elendiglich sterben lassen.« Er drückte ihm die Lanze auf die Kehle, sodass der Fürst zu ersticken drohte. Der heilige Thomas verschwand, und der König ließ am Morgen sogleich die Kirche räumen, wobei er berichtete, was ihm im Traum widerfahren war. Die Christen waren darüber sehr erfreut und dankten dem heiligen Thomas sehr. Der Heilige ist für die Genesung der Leprakranken zuständig. Nun will ich euch erzählen, wie er starb. Ich gebe das wieder, was ich in Erfahrung gebracht habe, obwohl seine Legende etwas anderes erzählt. Er lebte als Einsiedler im Walde und war gerade inmitten einer Schar Pfauen, von denen es in jenem Teil der Welt sehr viele gibt, beim Beten, als ein Götzendiener vom Stamme der Gavi sich auf der Pfauenjagd befand und den heiligen Thomas mit einem Pfeil traf, weil er ihn nicht gesehen hatte. Der Getroffene betete weiter und starb dabei. Bevor er sich an diesen Ort zurückzog, hat er in Indien viele Menschen zum christlichen Glauben bekehrt. Nun will ich weiter von diesem Land berichten. Die Kinder in diesem Land werden dunkelhäutig geboren, werden aber später noch dunkler. Sie ölen sich jede Woche mit Sesamöl, damit ihre Haut sich verdunkelt. Die schwarze Farbe wird für die Vollendung der Schönheit gehalten. Sie bemalen alle ihre Götzen schwarz und die Dämonen weiß wie Schnee, denn sie sagen, dass ihr Gott und ihre Heiligen schwarz seien. Ihre Verehrung von Rindern ist so groß, dass diejenigen, die in die Schlacht ziehen, einige Rinderhaare am Zaumzeug befestigen, die Fußsoldaten am Schild, und an-

dere winden sie sich ins Haar. Damit wollen sie sich vor jeder Gefahr schützen. Aus diesem Grund ist Rinderhaar sehr teuer, weil niemand sich sicher fühlt, der keines am Körper trägt. Wir wollen nun von hier aufbrechen und in eine andere Provinz reisen, deren Bewohner Bregomanen genannt werden. Jar liegt weiter im Westen, wenn man von dem Punkt ausgeht, wo der Leichnam des heiligen Thomas ruht. Von hier kommen ursprünglich die Bregomanen, die ehrenwertesten und besten Kaufleute, die man sich vorstellen kann. Sie würden nie die Unwahrheit sagen. Sie essen kein Fleisch, trinken keinen Wein und leben in großer Enthaltsamkeit und Ehrenhaftigkeit. Sie berühren die Frauen anderer Männer nicht, schlachten kein Tier und würden nichts tun, was sie für Sünde halten. Man erkennt die Bregomanen an einer dicken Baumwollschnur, die über einer Schulter und unter einem Arm hindurchläuft, dabei auf der rechten Schulter verknotet ist, sodass sich die Schnur schräg über die Brust und den Rücken zieht. Ihr Herrscher ist mächtig und reich, kauft mit Vorliebe Perlen und Edelsteine auf und hat in seinem Besitz alle Perlen, die die Kaufleute aus Maabar, der perlenreichsten Provinz Indiens, herbeischaffen. Sie beten Götzen an und achten mehr als alle anderen Leute auf Vorzeichen. Es herrscht folgender Brauch: Wenn ein Kaufmann einen Handel abschließt, so beobachtet er den Schatten, den sein Körper wirft, und tätigt den Kauf nur, wenn der Schatten groß ist; ist der Schatten aber nicht so, wie er sein müsste, dann kommt das Geschäft an diesem Tage nicht zustande. So geht es immer. Und sie tun noch etwas anderes. Wenn sie in einem Laden stehen und etwas kaufen wollen und eine Tarantel, von denen es dort sehr viele gibt, vorbeiläuft, so achten sie auf die Richtung, aus der sie kommt. Von dieser Richtung hängt es ab, ob sie mit dem Händler handelseins werden. Wenn sie ihr Haus verlassen und einer niest, kehren sie sofort ins Haus zurück und verlassen es nicht. Diese Bregomanen leben länger als andere Leute, weil sie wenig essen CLIV VON DER PROVINZ JAR

und sehr keusch sind. Sie haben vorzügliche Zähne durch eine Pflanze, die sie kauen. Die Anhänger einer bestimmten Sekte leben noch länger als die anderen. Sie erreichen ein Alter von einhundertfünfzig bis zweihundert Jahren und dienen ihren Götzen ergeben. Auch sie leben enthaltsam und nennen sich »die Vereinten«. Sie essen stets gesunde Speise, etwa Reis und Milch. Einmal im Monat bereiten sie sich folgendes Getränk: Sie mischen Quecksilber und Schwefel mit Wasser und trinken es dann. Sie behaupten, dass das gesund halte und die Jugend verlängere, was man bei ihrem hohen Alter auch glauben möchte. Ihre Hauptverehrung gilt den Rindern, die sie anbeten. Viele von ihnen tragen eine kleine Rinderfigur aus Leder oder vergoldetem Messing auf der Stirn. Einige laufen nackt herum, ohne sich die Schamteile zu bedecken. Sie halten das für einen Ausdruck der Buße. Die Knochen von Rindern verbrennen sie und reiben sich mit der Asche ihren Körper in großer Ehrfurcht ein, so wie es bei den Christen mit dem Weihwasser geschieht. Sie gebrauchen keine Schalen oder Teller, sondern essen von trockenen, nicht grünen Blättern bestimmter Bäume. Von den grünen Blättern glauben sie nämlich, sie hätten eine Seele. Und eher wollten sie sterben, als sich dagegen zu vergehen. Auf die Frage zu ihrer Nacktheit erwidern sie: »Von dieser Welt erwarten wir nichts und schämen uns unseres Geschlechtes nicht, weil wir damit ja nicht sündigen und uns kein Glied unseres Körpers schändlich dünkt. Ihr aber bedeckt es, weil ihr es zur Sünde gebraucht und euch deshalb eurer Glieder schämt.« Sie töten kein Tier, nicht einmal einen Floh, eine Fliege oder eine Laus, weil sie diesen eine Seele zuerkennen. Deshalb essen sie auch keine grünen Pflanzen oder Früchte, bevor diese trocken sind, denn nach ihrer Vorstellung besitzen auch diese eine Seele. Sie schlafen nackt auf der Erde, ohne Unterlagen oder Decke. Fastenzeit ist das ganze Jahr, wobei sie nur von Brot und Wasser leben. Sie haben bestimmte Mönche, die ihre Götzen versorgen. Wenn sie ihre Ehrenhaftigkeit beweisen wollen, schicken sie nach den Mädchen, die den Götzen geweiht sind,

und lassen sie in heiterem Beisammensein ihren Körper berühren. Wenn ihr Glied sich aufrichtet, schicken sie diese Leute weg und sagen, sie seien lüstern. Richtet sich das Glied jedoch nicht auf, so dürfen diese Männer den Götzen im Kloster dienen. Sie verbrennen die Toten, weil sie nicht möchten, dass die Würmer, die von den Leichnamen fressen, sterben, sobald sie nichts mehr zu fressen haben, denn dann wären sie am Tod der Würmer schuld. Die Würmer haben ja nach ihrer Vorstellung Seelen, und die Seele eines nichtverbrannten Menschen würde deshalb im Jenseits Pein erdulden. Ein verbrannter Körper zieht aber keine Würmer mehr an. Deshalb also verbrennen sie die Toten. Von den Sitten und Gebräuchen dieser Götzenanbeter ist nun berichtet worden. Jetzt will ich euch noch eine Geschichte über die Insel Seilan erzählen, die ich vorher vergessen habe. Von der Größe dieser Insel ist bereits gesprochen worden, nicht aber von dem großen Gebirge, das sich dort befindet und das so steil ist, dass man es nicht besteigen kann, es sei denn auf eine ganz bestimmte Weise. Auf der einen Seite hängen nämlich Eisenketten, mit deren Hilfe Menschen hinaufsteigen können. Es heißt, auf diesem Gebirge ruhe unser Urvater Adam. Das sagen die Sarazenen, während die Götzendiener behaupten, dass in diesem Grab Sergamo Borgani liege. Ihn halten sie für den ersten Menschen, zu dessen Gedenken ein Götzenbild errichtet wurde, denn nach ihrer Sage war er der beste Mensch, der je unter ihnen gelebt hat, und ihr erster Heiliger. Er war Sohn eines großen, reichen Königs und so gut, dass er nicht nach weltlichem Besitz strebte. Als der König sah, dass sein Sohn diesen Weg einschlug und nicht sein Nachfolger werden wollte, wurde er sehr zornig und ließ ihn zu sich kommen. Er versprach ihm vieles und bot ihm an, sofort zurückzutreten. Der Sohn lehnte ab. Der Vater starb fast vor Zorn, weil dies der einzige Sohn war, dem er das Reich hinterlassen konnte. Deshalb nahm er sich vor, seinen Sohn mit weltCLV VON DER INSEL SEILAN

lichen Genüssen zu verlocken, brachte ihn in einen schönen Palast, wo ihm etwa dreihundert hübsche Mädchen zur Verfügung standen. Sie bedienten ihn bei Tisch und in den Räumen, tanzten und sangen ununterbrochen, so wie der Königes ihnen aufgetragen hatte. Der junge Mann blieb fest, erlag den Verlockungen nicht und führte ein sehr anständiges Leben. Er hatte noch nie einen Kranken oder Toten gesehen, als sein Vater eines Tages mit ihm ausritt, wobei sie gerade hinzukamen, als viele Menschen einen Mann zu Grabe trugen. Auf die Frage des Sohnes erklärte ihm der Vater, dass dies eine Beerdigung sei und alle Menschen sterben müssten. Der Sohn blieb lange ruhig, bis sie auf ihrem Ritt zu einem alten Mann kamen, der nicht mehr gehen konnte und bereits sämtliche Zähne verloren hatte. Diese beiden Eindrücke bewogen den jungen Mann nach seiner Rückkehr zum Palast zu der Erklärung, dass er nicht mehr in dieser elenden Welt weilen wolle, wo man sterben müsse oder im Alter auf die Hilfe anderer angewiesen sei. Er sagte, man müsse nach einem Mittel suchen, um dem Alter und dem Tode zu entfliehen, und den Schöpfer finden, um ihm zu dienen. Er verließ den Palast und begab sich auf jenen hohen Berg fernab von allen anderen. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens in aller Tugendhaftigkeit, sodass, wäre er getauft worden, er vor Gott als ein Heiliger gelten würde. Als er starb, brachte man den Leichnam zu seinem Vater, den bei diesem Anblick tiefe Trauer befiel, sodass er eine Statue aus Gold von ihm herstellen ließ, die mit Edelsteinen besetzt war. Dann forderte er alle Leute des Landes und des Reiches auf, ihn zu verehren wie einen Gott. Er sagte, sein Sohn sei vierundachtzigmal gestorben. Das erste Mal sei er zu einem Rind geworden, danach zu einem Pferd. So, heißt es, sei er vierundachtzigmal gestorben, wobei er jedes Mal in ein anderes Tier verwandelt wurde, ein Pferd, einen Vogel oder irgendein anderes. Nach dem vierundachtzigsten Mal aber wurde er ein Gott. Deshalb verehren die Götzenanbeter ihn als ihren höchsten Gott. Er war der erste Götze, der bei ihnen bestand, und von ihm stammen

alle anderen Götzen ab. Und das alles begab sich auf der Insel Seilan in Indien. Götzenanbeter aus fernen Ländern kommen als Pilger hierher, so wie die Christen nach Santiago de Compostela pilgern. Die Sarazenen aber, die dorthin pilgern, sagen, dass es sich um das Grabmal Adams handele. Die Heilige Schrift berichtet aber, dass Adam woanders ruht. Als der Großkhan erfuhr, dass der Körper Adams auf diesem Berg zusammen mit seinen Zähnen und einem Essgefäß ruhte, verlangte es ihn danach, weshalb er Botschafter zum König der Insel Seilan schickte, um diesen darum zu bitten. Der König händigte ihnen das Gewünschte aus. Die Schale war aus weißrotem Porphyr. Mit ihr kehrten die Botschafter zum Großkhan zurück und überreichten sie ihm ebenso wie die beiden Backenzähne, die besonders groß waren. Als der Großkhan durch Boten erfuhr, dass seine Leute die Reliquien brachten, befahl er der gesamten Bevölkerung, ihnen entgegenzugehen und die Reliquien zu verehren; er glaubte nämlich, sie stammten tatsächlich von Adam. Man schrieb damals das Jahr 1284. Die Boten hielten feierlichen Einzug in Kamblau. Der Schale werden solche Kräfte zugeschrieben, dass, wenn man Speise für einen hineintut, fünf davon satt werden. Als der Großkhan dies ausprobierte, fand er die Sage bestätigt. Nun sollt ihr von der Stadt Cail hören. Cail ist eine große und reiche Stadt, die von Asciar, einem der fünf Brüder regiert wird. In diesem Hafen halten alle Schiffe, die von Westen kommen, zum Beispiel aus Cormos, Chisi, Aden und verschiedenen Teilen Arabiens, und die mit Warenballen und Pferden beladen sind. Es ist ein beliebter Hafen, und der Herrscher hat in seinem Schatz viele Edelsteine. Kaufleute werden hier gut aufgenommen, besonders, wenn sie von Ferne kommen, weshalb diese wiederum den Hafen mit Vorliebe aufsuchen. Wenn zwischen den fünf Brüdern Streit ausbricht und sie sich bekämpfen wollen, schlichtet die Mutter den Streit, die immer noch lebt. Wenn sie ihn nicht CLVI VON DER STADT CAIL

schlichten kann, nimmt sie ein Messer und droht, sich zu erstechen und die Brüste abzuschneiden, mit denen sie sie genährt hat. Dann fügen sich die Söhne, weil sie ihre Mutter sehr verehren. So ist es schon oft vorgekommen, aber sobald die Mutter gestorben ist, wird der offene Streit ausbrechen. Fünfhundert Meilen von Maabar in südwestlicher Richtung entfernt liegt Coilu. Die Bevölkerung besteht aus Götzenanbetern und Christen und Juden mit eigener Sprache. Sie verfügen über viel Myrabolanen und Pfeffer, denn das ganze Land und die Wälder sind voll davon. Erntezeit ist im Mai und Juni und Juli. Die Pfefferbäume wachsen nicht wild, sondern werden gepflanzt und bewässert. Die Hitze in diesem Gebiet ist so groß, dass man sie kaum ertragen kann. Und wenn man ein Ei in einen Fluss legte, könnte man es beinahe kochen. Viele Händler kommen aus Mangi, Arabien und der Levante hierher, bringen und holen mit ihren Schiffen Waren. Es gibt hier Tiere, die sich teilweise von den bekannten unterscheiden, so gibt es schwarze Löwen, verschiedene Papageienarten, etwa weiße mit rotem Schnabel und roten Füßen, die sehr hübsch anzuschauen sind. Es gibt Pfauen und sehr schöne Hühner, die größer sind als unsere. Überhaupt unterscheidet sich sehr vieles von dem, was wir kennen, insbesondere die Früchte. Sie stellen einen Süßwein her, der sehr gut schmeckt. Außer Getreide gibt es alles im Überfluss, insbesondere Reis. In diesem Lande leben sehr viele kluge Astrologen. Die Bevölkerung ist dunkelhäutig, Männer und Frauen gehen nackt, bedecken aber ihre Geschlechtsteile mit einem weißen Schurz. Fleischliche Genüsse gelten bei ihnen nicht als Sünde, ebenso wenig ist es verboten, dass sie ihre nächsten Verwandten heiraten, sogar die Stiefmutter, wenn der Vater tot ist. Das ist eben ihr Brauch. Nach diesen Mitteilungen soll jetzt von anderen Gebieten Indiens die Rede sein, vor allem von einem Lande, das Comari heißt. CLVII ÜBER DAS REICH COILU

Comari liegt in Indien, von wo aus man einen Teil des Polargestirns sehen kann. Es ist kein sehr zivilisiertes Gebiet, sondern man merkt ihm noch die Wildnis an. Viel wilde Tiere ganz verschiedener Art leben hier. Aber man muss, wenn man nach Eli will, durch dieses Gebiet hindurch. CLVIII VON COMARI

In Richtung Westen liegt dreihundert Meilen von Comari entfernt das Land Eli. Ein König gebietet über die götzenverehrende Bevölkerung, die sonst niemandem tributpflichtig ist. Es gibt keinen Hafen, wenn man einmal von einem Fluss absehen will, dessen Mündung einigen Schutz gewährt. Ingwer, Pfeffer und andere Gewürze wachsen hier. Der König verfügt über viele Schätze trotz der geringen Einwohnerzahl. Man kommt sehr schwer in dieses Reich hinein, weil die Schwierigkeit der Pässe einen Überfall nahezu unmöglich macht. Gelangt zufällig ein Schiff, das gar nicht diese Absicht hatte, in die Mündung des Flusses, so wird es ausgeraubt, weil die Einwohner der Auffassung sind, dass die Götter es so wollen. Sie halten das für keine Sünde. Dieser Brauch ist in ganz Indien üblich. Die Schiffe von Mangi und aus anderen Gegenden kommen im Sommer hierher und nehmen drei, vier oder acht Tage lang Waren auf, bevor sie so schnell wie möglich wieder auslaufen, weil der Hafen zu schlecht ist. Es gibt nämlich sehr viele Sandbänke und Gefahren der Strandung. Die Schiffe aus Mangi fürchten wegen der guten Holzanker, die sie auswerfen, den Wind nicht. Ihre Schiffe halten jedes Wetter aus. Das Land wird von Raubtieren heimgesucht, aber den Bewohnern ist Gelegenheit zur Jagd gegeben. Von hier wollen wir nach Melibar ziehen. CLIX VOM KÖNIGREICH ELI

Melibar ist ein großes Reich mit eigenem König und eigener Sprache, dessen Bewohner niemand tributpflichtig sind. Sie sind alle Götzenanbeter. Von hier aus kann man den Nordstern noch eher sehen, genau wie in dem Nachbarland Gozurat. Jeden Tag fahren mindestens hundert Schiffe mit Korsaren aus, die der Seeräuberei nachgehen. Frauen und CLX VOM REICH MELIBAR

Kinder der Seeräuber leben mit diesen an Bord. Den ganzen Sommer hindurch überfallen sie Kaufmannsschiffe. Damit ihnen kein Beuteschiff entgeht, kontrollieren sie einen Streifen von hundert Meilen auf dem Meer und verständigen sich mit Feuerzeichen, sodass jedes Schiff gekapert werden kann. Die Kaufleute, die davon wissen, haben sich zusammengeschlossen und sind bewaffnet, sodass sie keine Angst zu haben brauchen. Oft erleiden die Seeräuber Niederlagen, was sie von ihren Vorhaben aber nicht abhält. Die Seeräuber bringen aber niemand um, sondern nehmen ihm nur die Reichtümer weg und fordern ihn auf, seinerseits die anderen zu berauben. Außer Pfeffer, Ingwer und Zimt gibt es Kubeben und indische Nüsse sowie viele andere Spezereien und die schönsten Baumwollzeuge, die man auf der Welt finden kann. Die Kaufleute bringen Kupfer, Goldbrokat und Seidenzeug, Silber, Nelken und Narden, weil es so etwas dort nicht gibt. Die Händler aus Mangi kommen dorthin und bringen die Waren von hier in viele Länder. Wir können hier nicht auf alle Regionen jenes Landes eingehen, weshalb jetzt von Gozurat die Rede sein soll. Es ist ein großes Reich, über das ein König herrscht und dessen götzenverehrende Bevölkerung eine eigene Sprache spricht. Auch dieser König ist niemandem tributpflichtig. Das sind die übelsten Seeräuber, die man sich vorstellen kann, und die listigsten. Wenn sie einen Kaufmann überfallen, dann geben sie ihm Tamarindenfrüchte mit Seewasser zu trinken, um an seinem Stuhlgang zu sehen, ob er Perlen und Edelsteine verschluckt hat. Sie gehen nämlich davon aus, dass die Kaufleute die Perlen verschluckt haben, damit die Seeräuber sie nicht finden. Nun sagt selbst, ob das nicht listig ist! In diesem Land wächst Pfeffer, Ingwer und Baumwolle. Die Baumwollbäume sind sechs Fuß hoch und ungefähr zwanzig Jahre alt. Zwanzigjährige Bäume geben keine gute Wolle mehr. Sie kann nicht mehr zum Spinnen, sondern muss zu anderen Dingen verwandt werden. Als alt werden die Bäume ab ihrem CLXI VOM REICH GOZURAT

zwölften Jahr betrachtet. Man gerbt dort viele Felle, zum Beispiel von Rindern, Böcken, Einhörnern sowie von anderen Tieren, die dann verkauft werden und zum Handel mit anderen Gebieten dienen. Von hier wollen wir aufbrechen und uns in ein Land begeben, das Tana heißt. Tana ist ein großes Reich mit eigenem König, dessen Einwohner den der eben beschriebenen Gebiete ähneln. Man findet dort keine Gewürze, sondern nur Weihrauch, der jedoch nicht weiß, sondern von brauner Farbe ist und in großen Mengen gehandelt wird. Außerdem werden hier Stoffe und Baumwolltücher fabriziert. Die Kaufleute bringen Gold, Silber und Kupfer und alles, was man hier braucht, und nehmen ihrerseits Landeserzeugnisse mit. Auch hier leben viele Seeräuber, die den Handel zur See sehr stören. Aber hier ist es der Herrscher selber, der solche Seeräuberflotten ausstattet. Er erhält von ihnen dafür alle Pferde, die auf dem Transport nach Indien abgefangen werden. In Indien blüht nämlich der Pferdehandel, und kaum ein Schiff, das dorthin fährt, hat keine Pferde an Bord. Alle andere Beute gehört den Korsaren. Von hier wollen wir aufbrechen und uns in ein Land begeben, das Cambaet genannt wird. CLXII VOM KÖNIGREICH TANA

Cambaet ist ein weiteres großes Reich, ähnlich wie die bisher genannten, lediglich gibt es dort keine Seeräuber und Verbrecher. Sie leben von Handel und Handwerk und sind anständige Leute. Von ihrem Land aus, das westwärts liegt, kann man den Polarstern schon besser sehen. Weiter gibt es eigentlich nichts über sie zu berichten. Ich will euch nun von einem Lande mit Namen Chesmacora erzählen. CLxrv vom reich chesmacora Chesmacora ist ein Reich mit eigenem König, die Einwohner beten zu Götzen und haben eine eigene Sprache. Hier wird viel Handel getrieben. Man lebt vor allem von Reis, Fleisch und Milch. Das Reich gehört zu Indien, wobei man wissen muss, dass von Maabar bis hier Großindien CLXIII VOM REICH CAMBAET

reicht. Die Reiche, von denen wir berichtet haben, liegen alle am Meer, und es wäre zu umfangreich, wollte man auch die Gebiete des Landesinneren beschreiben. Jetzt wenden wir uns einigen indischen Inseln zu. Bricht man von Chesmacora auf und fährt ungefähr fünfhundert Meilen nach Süden, liegen im Ozean Inseln, von denen die eine die Insel der Männer heißt. Die Bewohner sind getaufte Christen und benutzen das Alte Testament. Sie würden nie einer schwangeren Frau beiwohnen, auch nicht vor Ablauf von vierzig Tagen nach der Geburt. Auf dieser Insel gibt es keine Frau, denn die Frauen halten sich auf der Insel der Frauen, dreißig Meilen entfernt, auf. Die Männer suchen die Insel der Frauen auf und bleiben drei Monate im Jahr bei ihnen. Danach kehren sie auf ihre Insel zurück. Auf dieser Insel wird sehr feine Ambra gewonnen. Die Bewohner leben von Reis, Fleisch und Milch. Sie sind gute Fischer und trocknen viele Fische, sodass sie im ganzen Jahr davon essen können. Es gibt keinen Herrscher, wenn man von einem Bischof absieht, der dem Erzbischof von Scotra untersteht. Wegen der Lebensbedingungen können sie nicht das ganze Jahr mit ihren Frauen Zusammensein. Ihre Kinder bleiben bis zum vierzehnten Lebensjahr bei ihren Müttern. Dann gehen die Knaben mit auf die Männerinsel, während die Mädchen Zurückbleiben. Mehr gibt es nicht zu berichten, weshalb wir jetzt von der Insel Scotra schreiben wollen. CLXV VON EINIGEN INDISCHEN INSELN

In einer Entfernung von gut fünfhundert Meilen in Richtung Süden findet man die Insel Scotra. Auch hier handelt es sich bei der Bevölkerung um getaufte Christen mit einem Erzbischof. An den Küsten wird viel Ambra gefunden. Sie stellen Baumwollstoffe her, mit denen sie auch handeln. Sie leben von gesalzenem Fisch, Fleisch, Reis und Milch und laufen nackt umher. Viele Handelsschiffe legen bei ihnen an. Der Erzbischof hat nichts mit dem Papst in Rom zu tun, sondern unterCLXVI VON DER INSEL SCOTRA

steht dem Erzbischof von Baudac. Der Erzbischof von Baudac schickt Bischöfe und Erzbischöfe in alle Länder, wie bei uns der Papst in Rom. Alle diese Bischöfe und Prälaten gehorchen dem Erzbischof von Baudac wie einem Papst. Auf dieser Insel verkaufen viele Seeräuber ihre Beute, die ihnen gern abgenommen wird, weil die Bewohner wissen, dass die Seeräuber nur Sarazenen und Götzenanbeter, jedoch keine Christen überfallen. Wenn der Erzbischof der Insel Scotra stirbt, kommt ein Nachfolger aus Baudac. Die Bewohner sind gute Zauberer, was der Erzbischof ihnen zu verbieten sucht, indem er ihnen erklärt, dass es eine Sünde sei. Die Bewohner verweisen jedoch auf ihre Vorfahren und wollen ihre alten Sitten beibehalten. Ich will euch von ihren Zaubereien berichten. Sie sind in der Lage, durch ihren Zauber zu bewirken, dass ein Schiff den Wind plötzlich in entgegengesetzter Richtung erhält und rückwärts fährt. Sie können Sturm auf dem Meer bewirken, wenn sie wollen, und jede Art von Wind herbeiführen. Sie tun auch noch andere Dinge, die man sich aber besser nicht merkt. Weiter führt uns die Reise nach Madegascar. Madegascar liegt im Süden von Scotra in einer Entfernung von tausend Meilen. Die Bewohner sind Mohammedaner. Sie haben vier Scheiche, das heißt alte Männer in unserer Sprache, die über die ganze Insel herrschen. Es ist die schönste und größte Insel der Welt, und es heißt, sie habe einen Umfang von viertausend Meilen. Man lebt dort von Handel und kleinem Gewerbe. Die Zahl der Elefanten auf der Insel ist unermesslich groß. Nirgends sonst ist der Handel mit Elfenbein so umfangreich wie auf dieser Insel und der Insel Zachibar. Die Bewohner essen ausschließlich Kamelfleisch, und zwar riesige Mengen. Sie glauben, dass dieses Fleisch am gesündesten für sie sei. Es gibt dort riesige Sandelholzbäume und viel Buschwerk. Auch Ambra wird gefunden, weil in diesem Meer Wale und Pottwale leben. Sie fangen die Wale extra zu diesem Zweck. Die Eingeborenen jagen Löwen CLXVII VON DER INSEL MADEGASCAR

und viele andere Tiere, darunter Vögel, die wir bei uns gar nicht kennen. Die Insel wird von vielen Schiffen besucht, vor allem wegen des Handels. Man kommt zu Schiff nicht weiter als bis zu dieser Insel und nach Zachibar in südlicher Richtung. Die Meeresströmung ist nämlich so stark, dass man kaum umkehren kann. Von Maabar kommt man zu Schiff in zwanzig Tagen zu dieser Insel. Wenn man aber zurückkehren will, braucht man drei Monate. Die Strömung treibt einen sehr stark nach Süden ab. Deshalb vermeiden es die Seeleute auch, noch weiter nach Süden zu fahren. Mir haben verschiedene Kaufleute gesagt, die weiter südwärts vorgestoßen sind, dass man da unten Greifen sehen kann, die in einer bestimmten Jahreszeit dort auftauchen. Sie sehen aber anders aus, als bei uns berichtet wird, also nicht halb Vogel, halb Löwe, sondern wie Adler und so stark, dass sie einen Elefanten von der Erde heben können, den sie dann aus der Luft hinabstürzen lassen, worauf sie ihn verzehren. Sie sollen eine Spannweite von zwanzig Schritt haben, die Federn sollen bis zu zwölf Schritt lang sein und von entsprechender Breite. Was ich von diesen Vögeln gesehen habe, will ich an anderer Stelle erzählen. Der Großkhan schickte Boten, um mehr über diese Insel zu erfahren, wobei einer seiner Diener gefangen wurde, sodass zu seiner Befreiung abermals Boten ausgeschickt werden mussten. Diese brachten dem Großkhan den Zahn eines Wildschweins, der vierzehn Pfund wog. Die Tierwelt auf dieser Insel ist sehr eigenartig. Die Eingeborenen nennen den großen Vogel Ruch, aber wegen der Größe glauben wir, dass es der Vogel Greif ist. Wir wollen diese Insel nun verlassen und nach Zachibar reisen. Die Insel Zachibar hat einen Umfang von gut zweitausend Meilen und ist von ausnehmender Schönheit. Die Eingeborenen sind Götzenverehrer und sprechen eine besondere Sprache. Bei ihnen herrscht ein König. Das Volk ist großwüchsig und dickleibig, aber bei ihrer Leibesfülle müssten sie eigentlich noch größer sein. Sie sind so grobCLXVIII VON DER INSEL ZACHIBAR

schlächtig, dass sie wie Riesen erscheinen. Sie sind so stark, dass einer so viel tragen kann wie bei uns vier, dafür isst er aber auch für fünf Personen. Sie sind schwarzhäutig, laufen nackt umher, abgesehen von den Schamteilen. Ihre Haare sind kraus, der Mund rot und die Nasen nach oben gebogen, Lippen und Nasenlöcher dick, sodass man sie, lebten sie bei uns, für Teufel halten könnte. Sie handeln vor allem mit Elfenbein. Außerdem gibt es Löwen, jedoch von anderer Gestalt, ebenso Leoparden und Luchse. Die Tierwelt ist von unserer verschieden, so haben sie zum Beispiel Hammel und Schafe von anderer Gestalt und Farbe, als wir sie kennen. Auf der ganzen Insel findet man nur weiße Schafe mit schwarzen Köpfen. Sehr schöne Giraffen gibt es auf der Insel. Ich will sie euch beschreiben: Sie haben einen kurzen Schwanz, ihr Körper ist hinten niedriger, weil die Hinterbeine kürzer sind, während die Vorderbeine und der Hals hoch hinaufstreben. Der Kopf ist sehr klein. Vom Boden bis zum Kopf sind sie drei Spannen hoch. Bösartig sind sie nicht. Die Farbe ihres Körpers ist hell mit rötlichen Flecken, was sehr schön aussieht. Der Elefant begattet die Elefantin, wie es Menschen miteinander tun, weil die Lage des weiblichen Organs bei der Elefantenkuh dies erforderlich macht. Die Eingeborenenfrauen sind wenig attraktiv, weil ihr Mund zu groß, die Nase zu dick und kurz, die Hände zu fett sind. Man lebt auf der Insel von Reis, Fleisch, Milch und Datteln. Wein wird nicht aus Trauben gewonnen, sondern aus Reis, Zucker und Gewürzen. Der Umfang des Handels ist beträchtlich, weil sie auch Ambra haben. Es sind im Krieg tüchtige und starke Kämpfer, die den Tod nicht fürchten. Sie verfügen über keine Pferde, sondern kämpfen auf Kamelen oder Elefanten, haben gepanzerte Sitze auf den Elefanten, sodass auf einem Elefanten sechzehn bis zwanzig Krieger hocken können. Sie kämpfen mit Lanzen und Schwertern, außerdem mit Steinen, und liefern sich grausame Gefechte. Wenn der Elefant in die Schlacht geführt werden soll, geben sie ihm sehr viel Wein, weil er dann bereitwilliger ist und eher in Zorn ausbricht. Von hier gibt es nichts mehr zu erzählen. In

dem Bericht über Indien sind aber nur die bedeutendsten und berühmtesten Inseln beschrieben worden, weil es zu weit geführt hätte, wenn man alle einzeln aufgezählt hätte. Insgesamt gibt es, so berichten die erfahrenen Seeleute, die oft nach Indien kommen, ungefähr zwölftausendsiebenhundert bewohnte und unbewohnte Inseln. Wenn wir Großindien, das von Maabar bis Chesmacora reicht, verlassen, haben wir dreizehn Reiche hinter uns gebracht, bevor wir nach Kleinindien kommen. Kleinindien fängt bei Ciamba an und reicht bis Mutfili, umfasst also acht Reiche, wenn man die der Inseln ausnimmt, auf denen auch noch sehr viele Reiche liegen. Wir wollen jetzt von Mittelindien reden, das Abasce genannt wird. Abasce ist eine große Provinz, deren Hauptkönig Christ ist. Die anderen Könige dieser Provinz unterstehen ihm. Es sind insgesamt sechs, drei christliche und drei heidnische. Die Christen dieser Provinz haben drei Zeichen auf das Gesicht gemalt, eins auf der Stirn, das bis zur Mitte der Nase reicht, und eines auf jeder Wange. Diese Zeichen werden mit einem heißen Eisen zunächst eingebrannt, was den hohen gesellschaftlichen Rang anzeigt und förmlich als Taufergänzung gilt. Die Sarazenen haben nur ein Zeichen, das von der Stirn bis zur Hälfte der Nase reicht. Der Hauptkönig lebt in der Mitte der Provinz. Die Sarazenen leben in Richtung Aden, wo der heilige Thomas viele Leute bekehrt hat. Später verließ er diese Gegend und zog nach Maabar, wo er dann gestorben ist. In der Provinz Abasce gibt es viele Reiter und Soldaten. Man braucht sie, weil der Sultan von Aden und die Nubier und andere Völker ständig Streit mit ihnen suchen. Hier soll eine Geschichte eingefügt werden, die dem König von Abasce zustieß, als er eine Pilgerfahrt unternahm. CLXIX VON MITTELINDIEN, ABASCE GENANNT

Um zum heiligen Grab zu pilgern, musste der König von Abasce durch das Gebiet von Aden, in dem seine Feinde lebten, weshalb beschlosCLXX WAS DEM KÖNIG VON ABASCE WIDERFUHR

sen wurde, einen Bischof an seiner Stelle zu schicken. Als der Bischof in Jerusalem eintraf, sprach er mit seiner Begleitung die Gebete und brachte die Opfer dar. Anschließend machte er sich auf den Rückweg. In der Gegend von Aden, wo inzwischen bekannt war, dass er dort vorbeikommen würde, ließ ihn der Sultan festnehmen und sagte ihm, er solle sich zu Mohammed bekehren. Als gläubiger Christ weigerte sich der Bischof selbstverständlich. Darauf befahl der Sultan, ihm gewaltsam das Zeichen der Sarazenen ins Gesicht zu brennen. Daraufhin ließ er ihn ziehen. Als der Bischof wieder bei Kräften war und reiten konnte, kehrte er zu seinem König zurück. Kaum hatte ihn dieser erblickt, erkundigte er sich nach dem heiligen Grab und nach dem Verlauf der Reise. Als er von der Untat des Sultans erfuhr, wollte er vor Schmerz sterben und gelobte für die Schandtat Rache. Er ließ ein großes Heer aufstellen und fiel in die Provinz Aden ein. Er fügte dem Sultan eine gewaltige Niederlage zu, bei der viele Sarazenen ihr Leben ließen. Nachdem er soviel Schaden wie möglich angerichtet hatte, kehrten, wegen der schlechten Wegverhältnisse aufgehalten, die Truppen in ihr Ausgangsland zurück. Die Christen erwiesen sich als bessere Krieger denn die Sarazenen. Das geschah im Jahre 1288. Nach dieser Anekdote soll von der Lebensweise der Bewohner von Abasce berichtet werden. Sie ernähren sich von Reis, Milch und Fleisch. Die Elefanten in ihrem Land kommen von auswärts, aber bei ihnen sind viele Giraffen und andere Tiere heimisch. Außerdem haben sie sehr schöne Hühner und Strauße von der Größe eines Esels. Noch mehr Einzelheiten zu berichten würde zu weit führen. Die guten Jagdgelegenheiten aber müssen erwähnt werden, ebenso die schönen, verschiedenen Papageienarten, Paviane und andere Affenarten. Die Provinz Aden untersteht einem Sultan. Es sind alles Mohammedaner, die den Christen sehr feindlich gesonnen sind. In dieser Provinz gibt es viele Städte und Festungswerke, einen Hafen, in dem alle Schiffe aus Indien CLXXI VON DER PROVINZ ADEN

mit ihren Waren landen. In diesem Hafen beladen die Kaufleute ihre Schiffe und laden die Waren aus. Sie schlagen sie in kleine Barken um und ziehen sieben Tage einen Fluss hinauf, wo sie dann auf Kamele umgeladen und dreißig Tage über Land transportiert werden. Dann haben sie das Niltal erreicht, von wo aus die Waren bis nach Alexandria gebracht werden. Das ist die Straße, auf der von Aden Pfeffer und andere Gewürze bis nach Alexandria gebracht werden können. Vom Hafen Aden segeln die Schiffe mit neuen Ladungen zu den Inseln Indiens zurück. Hier werden zum Beispiel die Pferde verladen, die in Indien so begehrt sind. In Indien zahlt man für ein solches Pferd hundert Silbermark. Der Sultan von Aden verdient an den Abgaben der Handelsschiffe sehr viel. Dadurch ist er ein so großer Herr, einer der größten der Welt. Als der Sultan von Babellonia mit einem Heer nach Acri zog, unterstützte ihn der Sultan von Aden mit dreißigtausend Pferden und vierzigtausend Kamelen. Diese Unterstützung ließ er ihm nicht etwa aus Freundlichkeit zuteilwerden, sondern nur weil er die Christen so sehr hasst. Den Sultan von Babellonia kann er nämlich auch nicht leiden. Es gilt jetzt, von der großen Stadt Escier zu berichten, in der ein kleiner König herrscht. Escier ist eine große Stadt in einer Entfernung von vierhundert Meilen von Aden. Der dortige Herrscher ist vom Sultan von Aden abhängig. Dieser hat viele befestigte Plätze unter sich und ist ein gerechter Herrscher. Die sarazenische Bevölkerung glaubt an Mohammed. In dem hervorragenden Hafen legen viele Schiffe an, die mit Waren aus Indien kommen und Pferde mitnehmen. Es gibt viele Datteln dort, aber wenig Reis, Getreide muss sogar besorgt werden. Dafür gibt es Fische im Überfluss, etwa Thunfisch kann man für einen venezianischen Groschen zwei Stück kaufen. Wein stellen sie aus Zucker, Reis und Datteln her. Man findet dort Hammel ohne Ohröffnungen, denn an dieser Stelle wachsen bei ihnen kleine Hörner. Es sind sehr kleine, aber schöne Tiere. Den OchCLXXII VON DER STADT ESCIER

sen und Kamelen, Schafen und kleinen Pferden geben sie Fisch zu fressen. Damit füttern sie ihr gesamtes Vieh. Es gibt dort nämlich kein Gras, weil es die trockenste Gegend der Welt ist. Die Fische, von denen die Tiere leben, werden im März, April und Mai gefangen. Das ist die ergiebigste Jahreszeit, und dann werden die Fische getrocknet und für das ganze Jahr gehortet. Das Vieh ist daran so gewöhnt, dass es die Fische so, wie sie aus dem Wasser kommen, frisst. Der Fisch dort ist vorzüglich, weshalb sie eine Dauerware daraus herstellen, die in kleine Stücke von etwa einem Pfund Gewicht zerteilt und dann in der Sonne auf Spießen getrocknet wird. Dieser Trockenfisch wird ebenfalls aufbewahrt und dient während des ganzen Jahres als Nahrung. Besonders Weihrauch kommt hier in großer Menge vor, womit der Handel blüht. Anderes gibt es hier nicht zu berichten. Wir wollen deshalb zur Stadt Dufar weiterziehen. Dufar ist eine große und schöne Stadt und liegt fünfhundert Meilen von Escier entfernt. Die Bewohner sind Sarazenen, die einem Statthalter des Sultans von Aden gehorchen. Diese nordöstlich gelegene Stadt hat einen Hafen, der dem bereits geschilderten ähnelt. Ich will euch erzählen, in welcher Weise dort Weihrauch gewonnen wird. Bestimmte Bäume werden angeschnitten, und aus den Kerben treten schnell hart werdende Tropfen. Das ist dann der Weihrauch. Wegen der großen Hitze wachsen auf diesen Bäumen auch gummiartige Äpfel, die ebenfalls zu Weihrauch verarbeitet werden. Mit diesem Weihrauch und mit Pferden, die aus Arabien kommen und nach Indien weiter verschifft werden, wird großer Handel getrieben. Nun will ich euch vom Golf von Calatu erzählen, wie es dort aussieht und was für eine Stadt dort liegt. CLXXIII VON DER STADT DUFAR

Calatu ist groß und liegt an dem gleichnamigen Golf, von Dufar fünfhundert Meilen in nordwestlicher Richtung entfernt. Hier leben nur Sarazenen mit ihrer mohammedanischen Religion. Getreide kennt man nicht. Doch CLXXIV VON DER STADT CALATU

wegen des guten Hafens kommen viele Schiffe hierher, die neben anderen Waren auch Getreide liefern. Die Stadt liegt am Eingang des Golfes, sodass ohne Genehmigung kein Schiff in den Hafen hineinkommt. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit jetzt der Stadt Cormos zuwenden, die von Calatu dreihundert Meilen entfernt ist. Sie liegt in nordnordwestlicher Richtung. Wenn man aber von Calatu aufbricht und in westnordwestlicher Richtung fünfhundert Meilen zurücklegte, käme man nach Quis. Ihr sollt nun etwas von der Stadt Cormos hören, zu der wir jetzt gelangen. Es ist eine große Stadt, die am Meer liegt und der eben geschilderten ähnelt. Hier ist es so heiß, dass man es kaum aushalten kann. Deshalb hat man spezielle Gebäude errichtet, die die Luft in Bewegung halten. Über diese Stadt soll nun nicht mehr gesprochen werden, sondern wir wollen, bevor das Werk abgeschlossen wird, von den nördlichen Gegenden reden, die wir bisher ausgelassen haben. CLXXV VON DER STADT CORMOS

Turkistan wird von einem Fürsten namens Kaidu regiert, der nahe mit dem Großkhan verwandt ist. Die Einwohner des Landes sind kriegerische Tataren, die ständig in Streit und Auseinandersetzungen leben. Das Land liegt im Nordwesten, und wenn man von Cormos aufbricht, den Fluss Geon überschreitet und sich ständig in nördlicher Richtung hält, kommt man zu Kaidu. Zwischen diesem Kaidu und dem Großkhan herrscht ein großer Krieg, weil Kaidu einen Teil der Ländereien von Katai und Mangi erobern möchte, der Großkhan aber verlangt, dass er ihm gehorcht wie alle anderen, die von ihm Lehen erhalten haben. Kaidu lehnt das ab, weil er ihm nicht vertraut, und deshalb hat es schon viele Schlachten zwischen ihnen gegeben. Kaidu verfügt über etwa hunderttausend Reiter und hat schon öfter die Armeen des Großkhans geschlagen, denn er und seine Soldaten sind hervorragende Kämpfer. Eine Tochter von Kaidu, die in der Sprache der Tataren Aigiarne CLXXVI ÜBER TURKISTAN

heißt, was in unserer Sprache etwa »leuchtender Mond« bedeutet, war so stark, dass sie im ganzen Reich keinen Gegner fand, der sie bezwingen konnte. Als der König seine Tochter verheiraten wollte, sagte sie, sie würde nur jemand heiraten, der sie durch Kraft oder eine andere Stärke erobern könnte. Der König hatte ihr das Versprechen gegeben, dass sie heiraten dürfe, wen sie wolle. Als sie dieses Versprechen hatte, war sie sehr froh. Der König erkundigte sich im ganzen Land, ob ein edler Mann sich mit seiner Tochter messen wolle. In diesem Fall sollte er sich bei Hofe melden, dann würde er, falls er gewinne, die Tochter zur Frau erhalten. Bei dieser Nachricht kamen aus dem ganzen Land viele Leute an den Hof des Königs. Der Kampf wurde folgendermaßen vorbereitet: Im Hauptsaal des Palastes saßen der König und die Königin mit vielen Rittern und Hofdamen. Dann kam die Tochter ganz allein in einem seidenen Gewand, worin sie sehr schön anzusehen war und sehr begehrenswert erschien. Vereinbart wurde, dass der Jüngling, der mit ihr kämpfen wolle, sie zur Erde werfen müsse. In diesem Falle würde die Königstochter ihn zum Mann nehmen. Wenn aber das junge Mädchen den Mann besiegte, sollte er ihr hundert Pferde geben. So hatte sie bereits zehntausend Pferde gewonnen, was kein Wunder war, denn sie war so wohlgebaut und so stark, dass sie Riesenkräfte zu haben schien. Dann kam ein junger Mann, der Sohn des Königs von Pumar, um sich mit dem Mädchen zu messen. Er hatte eine große Schar von Begleitern und brachte als Einsatz tausend Pferde mit. Er hatte nämlich den Glauben, er werde gewinnen, und dessen schien er sogar allzu gewiss. Das geschah im Jahre 1288. Als König Kaidu diesen jungen Mann sah, freute er sich sehr und wünschte, dass er seine Tochter besiegen möge, denn er war ein sehr schöner junger Mann und Sohn eines großen Königs. Deshalb bat er seine Tochter, sie möge ihn gewinnen lassen. Diese erwiderte ihm: »Nein, Vater. Um keinen Preis der Welt gehe ich von Recht und Gesetz ab.« Als das Mädchen zum Kampf antrat, beteten alle Leute im Saal, dass sie doch verlieren möge, weil

beide ein so schönes Paar bildeten. Der junge Mann war stark und tapfer, sodass ihn kein Mann besiegt hätte. Als sie handgemein wurden und sich an den Armen packten, gab es bald an der Niederlage des jungen Mannes nichts mehr zu zweifeln. Da herrschte im Saal große Trauer, da dieser junge Mann einer der Schönsten war, die man hier je gesehen. Die Königstochter gewann die tausend Pferde, der junge Mann reiste beschämt in sein Land zurück. König Kaidu führte seine Tochter in vielen Schlachten mit sich. Mitten im Kampf warf sie sich wütend zwischen die Feinde, dass keiner der Reiter ihr widerstehen konnte. So manchen ergriff sie und schleppte ihn zurück in die Reihen des eigenen Heeres. Wir wollen jetzt diese Geschichte verlassen und von einer Schlacht zwischen König Kaidu und Arcon, dem Sohn Abagas, der den Osten beherrschte, berichten. SCHLACHT König Abaga, der Gebieter des Ostens, besitzt viele Länder und Provinzen, die an das Gebiet des Königs Kaidu grenzen, und zwar dort, wo der einsame Baum steht, den wir den »Trockenen« nennen. König Abaga schickte seinen Sohn mit einem großen Fuß- und Reiterheer in diese Gegend bis zum Fluss Geon, damit er das Gebiet gegen Einfälle von König Kaidu schütze. Zufällig schickte König Kaidu einen seiner Brüder, einen sehr tüchtigen Mann mit Namen Barak los, damit er Arcons Länder überfalle. Als Arcon davon erfuhr, sammelte er seine Heerscharen und zog seinen Gegnern entgegen. Sie stellten ihre Reihen einander gegenüber auf und begannen die Instrumente zu spielen, bevor sie die grausamste Schlacht begannen, die man je erlebt hat. Barak und seine Soldaten unterlagen schließlich und wurden von Arcon über den Fluss gejagt. Da wir nun einmal bei Arcon sind, will ich euch erzählen, wie er nach dem Tode seines Vaters gefangen wurde und später zur Herrschaft gelangte. Nach diesem Sieg erfuhr Arcon nämlich, dass sein Vater gestorben sei. Er war sehr traurig und machte sich auf den Weg in die vierzig Tagereisen entCLXXVII ÜBER EINE

fernte Residenz, um die Herrschaft zu übernehmen. Nun hatte der Bruder Abagas, ein mohammedanischer Sultan, den Hof eher erreicht und die Herrschaft an sich gerissen. So kam ein ungeheurer Schatz in seine Hand, den er an Fürsten und Ritter verteilte, damit sie ihn als Herrscher anerkannten. Allen war er zu Gefallen und ließ ihnen große Ehren zuteilwerden. Als er erfuhr, dass Arcon mit einem großen Heer sich auf dem Marsch befand, bereitete er alles zur Verteidigung innerhalb nur einer Woche vor. Gern waren ihm die Leute gegen Arcon zu Diensten und gelobten, ihn zu schlagen und umzubringen. Als der Sultan alle Vorbereitungen getroffen hatte, zog das Heer langsam Arcon entgegen. Der Sultan hieß es in einem Tal Stellung beziehen und erklärte seinen Leuten, wie sie sich zu verhalten hätten. »Ihr Herren, jetzt kommt es darauf an, tapfer zu sein. Wir haben ja das Recht auf unserer Seite, denn dieses Reich gehörte einst meinem Vater. Mein Bruder Abaga hat es sein Leben lang für sich allein behalten, obwohl ich, der Sultan, die Hälfte hätte bekommen müssen. Ich habe es ihm aber aus Höflichkeit gelassen. Jetzt, nach seinem Tode, gehört es rechtmäßig mir. Ich will aber nur die Ehre der Herrschaft für mich, alles andere gehöre euch.« Er hatte gut vierzigtausend Reiter und eine große Menge Fußsoldaten. Alle gelobten ihm, dass sie ihm bis in den Tod folgen würden. Als Arcon von seinem Aufmarsch erfuhr, sprach auch er zu seinen Leuten: »Ihr Herren und Brüder, meine Freunde! Ihr wisset wohl, dass mein Vater euch alle als Söhne und Brüder behandelt hat. Ihr wisset auch, dass ihr und eure Väter in vielen Schlachten und bei vielen Eroberungen mit ihm zusammengegangen seid. Ihr wisset auch, dass ich als sein Sohn euch genauso wie mein Vater von ganzem Herzen liebe. Deshalb müsst ihr mich bei der Rückeroberung dessen unterstützen, was meinem Vater und euren Vorfahren gehörte. Wir müssen gemeinsam denjenigen schlagen, der gegen das Recht aufsteht, uns unseres Landes berauben und unsere Familien verjagen will. Ihr wisset auch, dass er einen anderen Glauben hat als wir und als

Sarazene zu Mohammed betet. Daran könnt ihr ermessen, wie geziemend es wäre, wenn die Sarazenen über die Christen herrschten. Wir haben also allen Anlass, mit Mut und Entschlossenheit unser Äußerstes zu tun. Deshalb helft mir wie gute Brüder, unseren Besitz zu verteidigen, und ich hoffe, dass wir mit Gottes Hilfe ihn zu Tode bringen werden, so wie er es verdient hat. Ich bitte euch nochmals, dass jeder sein möglichstes tut, damit wir die Schlacht gewinnen.« Die Barone und Ritter Arcons, die seinen Ausführungen zugehört hatten, erklärten dazu ihre volle Bereitschaft und bekräftigten, dass sie lieber mit ihm sterben wollten als ohne ihn leben. Einer von ihnen erhob sich und erklärte: »Herr, was ihr gesagt habt, ist richtig, jedoch schlage ich vor, einen Boten zum Sultan zu schicken, um zu erfahren, was er vorhat und aus welchen Gründen er es tut.« Dies fand allgemein Anklang, und folglich schickten sie zwei Boten, die dem Sultan die Sache so darlegen sollten, dass man vielleicht die Schlacht nicht zu führen brauche, wenn der Sultan auf das Land verzichten wolle und es Arcon wiedergebe. Der Sultan erwiderte darauf: »Gehet hin und sagt ihm, ich wolle ihn als Neffen und Sohn betrachten, wie es sich schickt.« Er wolle ihm ein Lehen geben, wenn er sich ihm unterwerfe. Der Sultan wollte aber nicht, dass Arcon Herrscher werde. Wenn er damit aber nicht einverstanden sei, so müsse man die Schlacht schlagen. Nach diesen Nachrichten war Arcon sehr erzürnt und sagte: »Hierauf gibt es nichts mehr zu sagen.« Er setzte sich mit seinem Heer in Bewegung und erreichte das Schlachtfeld. Als beide Seiten gerüstet waren, ertönten überall die Schlachtinstrumente, und dann begann ein sehr starkes und grausames Gefecht. Arcon zeigte besondere Tapferkeit, aber es nutzte ihm nichts. Er wurde gefangen und verlor die Schlacht gegen den Sultan. Da der Sultan ein sehr lüsterner Mann war, wollte er zurück an den Hof und sich mit seinen Frauen ergötzen. Er brach auf und befahl einem Melik, das Heer zu führen und Arcon gut zu bewachen.

Nun geschah es, dass ein Fürst der Tataren, der zu der Zeit dem Sultan diente, seinen rechtmäßigen Herrn, Arcon, gefesselt erblickte. Sein Herz rührte sich, und er erkannte, dass es nicht richtig war, dass sein Herr gefangen war. Er beschloss, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihn zu befreien. Er sprach mit anderen Führern des Heeres, die er alle zur Reue bekehren konnte. Als sie sich ihres Vergehens alle bewusst waren, begann ein Mann namens Boga die Führungsrolle zu übernehmen. Sie erhoben sich und gingen zum Gefängnis, in dem Arcon lag. Sie erklärten ihm, dass sie eingesehen hätten, falsch gehandelt zu haben, und dass sie ihre Fehler wiedergutmachen wollten und ihn als Herren anerkennen würden. Sie befreiten ihn, und Arcon vergab ihnen. Sie begaben sich alle zum Pavillon, in dem Melik, der Stellvertreter des Sultans, wohnte, und töteten ihn. Danach wurde Arcon vom ganzen Heer anerkannt. Diese Nachricht erreichte den Sultan, der auch erfuhr, was mit Melik geschehen war. Er fürchtete sich sehr und fasste den Entschluss, nach Babellonia zu fliehen. Sein Gefolge wollte er mitnehmen. Aber einer der Anhänger Arcons erkannte ihn und hielt ihn auf, um ihn Arcon auszuliefern, der schon bis auf drei Tage an die Stadt herangekommen war. Arcon freute sich sehr über den Fang und befahl, ihn zu töten. Er wurde behandelt wie ein Verräter. Arcon schickte nun einen seiner Söhne zur Sicherung der Grenzen im Gebiet des Einsamen Baumes. Der junge Mann verfügte über ein Heer von dreißigtausend Leuten. In jener Zeit übernahm Arcon auch formell die Macht und regierte von 1285 an sechs Jahre. Dann starb er, vermutlich durch Gift. Nach ihm übernahm einer seiner Onkel die Macht, weil der Sohn Arcons zu weit entfernt war, herrschte zwei Jahre, bis er ebenfalls vergiftet wurde. Hier wollen wir abbrechen und noch etwas über die Länder berichten, die weiter im Norden liegen. Man muss wissen, dass in den nördlichen Teilen der Welt viele Tataren wohnen, die einen König namens Conci haben. Es sind sehr wilde Menschen. CLXXVIII VON DEN NÖRDLICHEN LÄNDERN

Sie haben einen Gott aus Filz, den sie Natigai nennen und dem sie auch eine Frau geben. Sie sagen, dies seien irdische Götter, die ihr Hab und Gut bewachen. Sie geben ihnen zu essen und verfahren nach der gleichen Weise wie die anderen Tataren, von denen wir bereits berichtet haben. Der König Conci stammt von Dschingis-Khan ab und ist mit dem Großkhan verwandt. Sie kennen keine Städte oder Befestigungen, sondern leben immer in den Tälern oder Bergen und sind verhältnismäßig groß. Sie leben von Milch, von Vieh, kennen aber kein Getreide. Sie greifen kaum andere Leute an, sondern verhalten sich friedlich. Sie besitzen Herden und haben Bären, die ganz weiß sind und bis zu zwanzig Spannen groß werden. Es gibt in diesem Gebiet Füchse mit schwarzem Fell, viele Wildesel, Zobel, deren Felle sehr teuer sind, sodass die Menge für ein Kleidungsstück tausend byzantinische Goldstücke kostet. Auch Eichhörnchen gibt es in großer Menge. Der Beschaffenheit der Landschaft zufolge können Pferde dort gar nicht benutzt werden, weil es zu viele Seen und Quellen gibt, die zugefroren sind, sodass ein Pferd darauf nicht laufen kann. Dieses ungünstige Gebiet erstreckt sich dreizehn Tagereisen weit. Nach jedem Reiseabschnitt gibt es eine Poststation, wo die Boten übernachten können. In jeder dieser Stationen sind vierzig Hunde, die die Fuhrwerke der Boten von einer Station zur anderen befördern. Das Gebiet liegt nämlich zwischen zwei Gebirgen und ist so schlammig und vereist, dass Pferde von dem Boden nicht getragen werden. Man benutzt Schlitten, weil Räder sich im Schlamm verfangen und auf dem Eis zu schnell rollen würden. Auf diese Schlitten wird ein Bärenfell gespannt, auf dem die Boten sitzen. Sechs Hunde, die den Weg sehr gut kennen, ziehen den Schlitten bis zur nächsten Poststation. So kommt man von Station zu Station während der dreizehn Tage auf dem schlechten Wege vorwärts. Der Vorsteher einer solchen Poststation steigt auch auf einen Schlitten und zeigt den besten Weg. Die Menschen in jenen Bergen sind gute Jäger und machen hervorragende Beute, womit sie große Gewinne erzielen, da es Zobel,

Eichhörnchen, Hermelin und andere Pelztiere sind. Sie fangen auch schwarze Füchse und verkaufen alles für teures Geld. Die Tiere werden mit Netzen gefangen, sodass keines entkommt. Das Klima ist sehr kalt in jenen Regionen. Ihr sollt nun hören, was wir entdeckten, als es weiterging. Geht man noch weiter nach Norden, findet man ein dunkles Gebiet, das Finsternis heißt und diesen Namen verdient, weil es stets dunkel bleibt. Sonne, Mond und Sterne scheinen hier nicht, sondern es herrscht immer Nacht. Die Menschen leben dort wie Tiere und haben keinen Herrscher. Ich will euch erzählen, wie die Tataren manchmal dorthin gelangen. Sie nehmen eine Stute mit, deren Füllen sie in der Helligkeit zurücklassen. Sie erbeuten aber im Dunkeln, was sie können, und kehren dann mit der Stute zu dem Füllen zurück, wohin sich diese stets gezogen fühlt. Sie besitzen viele kostbare Felle, weil sie hervorragende Jäger sind und sehr viele Felle von der Sorte, wie wir sie bereits beschrieben haben, erbeuten. Die Leute sehen sehr blass aus und haben eine schlechte Gesichtsfarbe. Von hier wollen wir nun in das Gebiet von Rossia aufbrechen. CLXXIX VOM FINSTEREN TAL

Rossia liegt noch weiter nach Norden und ist sehr groß. Die Bewohner sind orthodoxe Christen. Bei ihnen gibt es viele Fürsten, außerdem sprechen sie eine eigene Sprache und zahlen nur einem Tatarenkönig Tribut. Der Tribut ist sehr gering. In diese Gegend gelangt man über schwer zugängliche Pässe. Die Einwohner sind auch keine Kaufleute, obwohl sie über viele der oben erwähnten Felle verfügen. Die Leute sind ganz ansehnlich, weißhäutig und blond und haben eine einfache Lebensweise. In dieser Gegend gibt es viele Silberminen, die sehr ertragreich sind. Mehr ist darüber nicht zu berichten, deshalb wollen wir jetzt zur Provinz Lacca übergehen, die an das Gebiet von Rossia grenzt. CLXXX VON DER PROVINZ ROSSIA

Wenn wir Rossia verlassen, erreichen wir Lacca, wo Sarazenen und Christen gemeinsam wohnen. Im Übrigen gleicht sie Rossia, bei deren Beschreibung jedoch eins vergessen worden ist. Es ist dort so kalt, dass man sich dort kaum aufhalten kann. Das ganze Gebiet reicht bis zum nördlichen Ozean. Auf bestimmten Inseln leben Geierfalken und Wanderfalken, die von hier in andere Teile der Welt gebracht werden. Von hier noch weiter nach Norden ist der Weg beschwerlich, weil es sehr kalt wird, deshalb wollen wir mit dem Bericht über jene Teile der Welt aufhören und noch etwas über die westlichen Tataren und ihren Herrscher sagen und darüber, wie viele Herrscher sie gehabt haben. Mit dem ersten Herrscher fängt es an. CLXXXI VON DER PROVINZ LACCA

Die westlichen Tataren hatten am Anfang einen Herrscher namens Sain. Dieser Sain war mächtig und eroberte viele Länder und Provinzen, etwa Rossia, Komanien und die Gebiete der Alanen, Lacca, Megia, Ziziri, Scozia und Gazarie. Sie wurden nacheinander eingenommen und bildeten ursprünglich kein zusammenhängendes Reich, in diesem Falle wären sie nämlich uneinnehmbar gewesen. Nach dem Tode von Frai herrschte dort Patu, dann König Berca, dann Mogutemur. Nach dem Tode von Frai herrschte dort Patu, dann König Berca, dann Mogutemur, darauf König Totamongu und zuletzt Toctai, der noch heute regiert. Das sind die Herrscher der westlichen Tataren gewesen. Jetzt soll von einer Schlacht die Rede sein, die zwischen Alau, dem Herrn der östlichen Tataren, und Berca, dem Herrn der westlichen Tataren, geführt wurde. CLXXXII VON DEN HERRSCHERN DER WESTLICHEN TATAREN

Im Jahre 1271 brach ein großer Streit zwischen den Tataren des Westens und den östlichen Tataren aus. Es ging um eine Provinz, die beide Herrscher für sich in Anspruch nahmen. Deshalb rüsteten beide innerhalb von sechs Monaten zum Kampf, worauf sie dann ins Feld zoCLXXXIII VON EINER GROSSEN SCHLACHT

gen. Jeder von ihnen verfügte über gut dreihunderttausend wohlgerüstete Reiter, die über alles bei ihnen gebräuchliche Schlachtmaterial verfügten. König Berca hatte gut dreihundertfünfzigtausend Reiter. Sie schlugen das Lager in einer Entfernung von zehn Meilen voneinander auf. Es waren die kostbarsten Lager, die man je gesehen hat. Herrliche Pavillons und Zelte, mit allen nur erdenklichen Gold- und Silberstoffen ausgestattet. In dieser Lage verharrten sie drei Tage. Am dritten Abend, dem Vorabend der Schlacht, feuerte jeder der Heerführer nochmals seine Leute an. Am frühen Morgen stellten sie ihre Truppen dann zum Kampf auf. König Berca richtete fünfunddreißig Abteilungen ein, König Alau nur dreißig, weil er weniger Leute hatte. Jede Abteilung bestand aus zehntausend Mann zu Pferde. Es war ein prächtiges Kriegsfeld, und nie hatte man so viele Leute in eine Schlacht ziehen sehen. Auf beiden Seiten war man kampfeslüstern und erregt. Beide Feldherrn stammten aus der Linie des Dschingis-Khan. Als die Truppen endlich ihre Stellung eingenommen hatten, ertönten auf beiden Seiten die Schlachtinstrumente, und die Bogenschützen eröffneten den Kampf. Die Pfeile flogen in so großer Zahl durch die Luft, dass man nichts mehr als Pfeile sah. Und sie schossen so lange mit Pfeilen, bis sie keine mehr hatten. Viele Leute fielen verwundet oder tot zu Boden. Dann griff man zu den Schwertern, mit denen Köpfe, Arme, Hände abgeschlagen wurden, sodass ein unvorstellbares Gemetzel angerichtet wurde. Eine riesige Zahl von Reitern lag getroffen auf der Erde, groß war die Zahl der Toten und Verwundeten, sodass man sich kaum noch über die Körper hinwegbewegen konnte. Die ganze Welt schien blutverschmiert, die Pferde stampften durch das Blut, das ihnen bis zum Knie reichte. Das Schreien und Klagen der Verwundeten war so groß, dass man ihren Schmerz kaum mitansehen konnte. König Alau leistete sehr viel, sodass man ihm Übermenschliches zutraute. Schließlich unterlag König Berca und musste das Feld verlassen. Er versuchte zu flüchten, während Alau ihn mit seinen Soldaten verfolgte. Wer unterwegs eingeholt wurde,

wurde niedergemacht. König Berca wurde völlig vernichtet, und Alau kehrte als Sieger zurück, ließ alle Toten verbrennen, seien sie ihm Feind oder Freund, denn dort kennt man nur die Feuerbestattung. Nach diesem Sieg kehrte Alau in sein Land zurück. Von den Tataren und Sarazenen und von ihren Sitten habt ihr nun alles gehört, und von den anderen Ländern, die es in der Welt gibt, alles, was man von ihnen erfahren und erkunden kann. Nur über das Schwarze Meer und die angrenzenden Provinzen haben wir nichts gesagt, obwohl wir alles sehr wohl kennen. Es wäre aber nutzlos und überflüssig, von Ländern zu sprechen, die jeden Tag besucht werden. In diese Gebiete kommen jeden Tag so viele Genuesen, Venezianer und Pisaner, dass jedermann darüber Bescheid weiß. Deshalb gehe ich darüber hinweg, ohne davon zu sprechen. Von unserem Aufbruch vom Hof des Großkhans habt ihr zu Beginn des Buches in einem Kapitel gehört, wo die Rede von den Mühen und Anstrengungen war, die es die Brüder Polo und Marco Polo kostete, als sie den Großkhan um die Erlaubnis baten, ihn verlassen zu dürfen. Und in diesem Kapitel ist auch der glückliche Umstand erwähnt, dem wir unsere Abreise verdankten. Ich glaube indes, dass es Gottes Wille war, damit man hier die Berichte über jene Teile der Welt erhalte. Denn es ist schon in der Einleitung am Anfang des Buches gesagt worden, dass es nie jemanden gab, sei er nun Christ, Sarazene, Tatar oder Heide gewesen, der so weite Gebiete der Welt besucht hätte, wie sie Marco Polo, der Sohn des Niccolò Polo, eines großen und berühmten Bürgers der Stadt Venedig, gesehen hat. Dank sei Gott! Amen! Amen!