Historische Bildkunde: Probleme - Wege - Beispiele [1 ed.] 9783428471874, 9783428071876

Die Historische Bildkunde beansprucht den Rang einer historischen Grundwissenschaft; sie will nicht in Konkurrenz zur Ku

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Historische Bildkunde: Probleme - Wege - Beispiele [1 ed.]
 9783428471874, 9783428071876

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Historische Bildkunde

ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE FORSCHUNG Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters u. der frühen Neuzeit Herausgegeben von Johannes Kunisch, Klaus Luig, Peter Moraw Volker Press

Beiheft 12

Historische Bildkunde Probleme - Wege - Beispiele

Herausgegeben von

Brigitte Tolkemitt und Rainer Wohlfeil

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Historische Bildkunde: Probleme - Wege - Beispiele / hrsg. von Brigitte Tolkemitt und Rainer Wohlfeil. — Berlin: Duncker und Humblot, 1991. (Zeitschrift für Historische Forschung: Beiheft; 12) ISBN 3-428-07187-5 NE: Tolkemitt, Brigitte [Hrsg.]; Zeitschrift für Historische Forschung / Beiheft

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0931-5268 ISBN 3-428-07187-5

Inhaltsverzeichnis Brigitte

Tolkemitt

Einleitung

7

Probleme und Wege einer Historischen Bildkunde Rainer

Wohlfeil

Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde Martin

17

Knauer

„Dokumentsinn" - „historischer Dokumentensinn". Überlegungen zu einer historischen Ikonologie Frank-Dietrich

37

Jacob

Zur Historischen Bildkunde in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

49

Beispiele historischer Bildanalysen Bildpublizistik: Siegfried

Illustration

- Propaganda

-

Belehrung

Hoyer

Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen aus der Zeit von Reformation und Bauernkrieg

65

Robert W. Scribner

Reformatorische Bildpropaganda Michael

83

Schilling

Illustrierte Flugblätter der frühen Neuzeit als historische Bildquellen. Beispiele, Chancen und Probleme 107

Glaube: Alexander

N.

Überlieferung

- Bekenntnis

-

Streit

Nemilov

Gedanken zur geschichtswissenschaftlichen Befragung von Bildern am Beispiel der sog. Gregorsmesse in der Ermitage 123

Inhaltsverzeichnis

6 Jan

Harasimowicz

Lutherische Bildepitaphien als Ausdruck des „Allgemeinen Priestertums der Gläubigen" am Beispiel Schlesiens 135 Katarzyna

Cieslak

Die „Zweite Reformation" in Danzig und die Kirchenkunst

Friede: Trudl

Idee - Ausdruck

-

Hoffnung

Wohlfeil

Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters Hans-Martin

177

Kaulbach

Friedenspersonifikationen in der frühen Neuzeit Rainer

165

191

Wohlfeil

Pax antwerpiensis. Eine Fallstudie zu Verbildlichungen der Friedensidee im 16. Jahrhundert am Beispiel der Allegorie ,Kuß von Gerechtigkeit und Friede' 211 Bildernachweis

259

Verzeichnis der Mitarbeiter

261

Einleitung Von Brigitte Tolkemitt, Hamburg Die Historische Bildkunde ist noch immer ein ,Stiefkind 4 der Geschichtswissenschaft, das spiegeln z.B. neuere Einführungen in das Fach: Borowsky/Vogel/Wunder 1 zählen zwar seit 1975 die „historische Ikonographie" zu den historischen Grundwissenschaften, weisen auf die Schwierigkeit hin, Bilder zu „lesen" und betonen den Wert bildlicher Darstellungen von Realien für den Historiker, sie führen jedoch für die Historische Bildkunde im Gegensatz zu anderen Hilfswissenschaften keine Literatur zum Einstieg an. Winfried Schulzes Einführung von 19872 geht überhaupt nicht auf die historische Arbeit mit Bildern ein, sie enthält lediglich den Hinweis, daß auch Denkmäler zu den geschichtlichen Quellen zu zählen sind. Dieser Befund ist erstaunlich angesichts der Tatsache, daß sich bereits der Internationale Historikerkongreß in Oslo von 1928 mit der Nutzung bildlicher Quellen für die Geschichtswissenschaft beschäftigt hatte. Im Anschluß an den Kongreß wurde die Forschung zur Historischen Bildkunde durch die Bildung entsprechender Kommissionen und die Gründung der Veröffentlichungsreihe „Historische Bildkunde" 1934 institutionell abgesichert. Der Zweite Weltkrieg führte jedoch zum Abbruch der Forschungskontinuität 3 . Erst in den 80er Jahren starteten Rainer und Trudl Wohlfeil den Versuch, die Diskussion neu zu beleben. In Auseinandersetzung mit dem ikonologischen Modell des Kunsthistorikers Erwin Panofsky 4 entwickelte Rainer Wohlfeil seine für den Gebrauch des Historikers modifizierte Methodik der 1 Peter Borowsky/Barbara Vogel/Heide Wunder, E i n f ü h r u n g i n die Geschichtswissenschaft, 2 Bde. ( S t u d i e n b ü c h e r M o d e r n e Geschichte, 1 u n d 2), 1. A u f l . , O p l a d e n 1975, h i e r Bd. 1, 126, 137, 148f.; - 5., überarbeitete u n d a k t u a l i s i e r t e A u f l . , O p l a d e n 1989, h i e r Bd. 1, 126, 138, 148f. 2 Winfried Schulze, E i n f ü h r u n g i n die Neuere Geschichte ( U T B 1422), S t u t t g a r t 1987, h i e r 33. 3 Den jüngsten Forschungsbericht zur Historischen B i l d k u n d e gibt Frank-Dietrich Jacob, A s p e k t e z u E n t w i c k l u n g u n d A u f g a b e n der H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Festschrift für Ernst-Heinz Lemper, Beiheft z u m Görlitzer Magazin, 3 ( 1 9 8 9 ) , 1 4 - 2 4 . 4 A l s E i n s t i e g zu Panofsky vgl. die l e i c h t z u g ä n g l i c h e n Aufsätze Erwin Panofsky, Z u m P r o b l e m der B e s c h r e i b u n g u n d I n h a l t s d e u t u n g v o n W e r k e n der b i l d e n d e n K u n s t , i n : E k k e h a r d K a e m m e r l i n g (Hrsg.), I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e . T h e o r i e n E n t w i c k l u n g - Probleme. (Bildende K u n s t als Zeichensystem, 1), K ö l n 1979, 185 206; ders., I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e , i n : ebd., 207 - 225. W e i t e r f ü h r e n d e L i t e r a t u r b e i Talkenberger ( A n m . 11), vgl. a u c h ebd., 30, A n m . 4.

8

Brigitte Tolkemitt

Historischen Bildkunde 5 . Mehrere Fallstudien bewiesen ihre praktische Anwendbarkeit 6 , eine breite Diskussion zur Arbeit des Historikers mit Bildern fehlt jedoch bislang, Wohlfeils Anregungen wurden nur vereinzelt reflektiert 7 . Immerhin scheint das Interesse an Bildern seitens der Geschichtswissenschaft zuzunehmen und auch öffentliches Interesse wachzurufen; so druckte die Frankfurter Rundschau unter dem Titel „Bilder gegen den Strich lesen" jüngst ein Gespräch zwischen Alf Lüdtke und Volker Reinhardt über Propaganda in Kunstwerken und Photographien 8 . Die Historische Bildkunde beansprucht den Rang einer historischen Grundwissenschaft; sie w i l l nicht in Konkurrenz zur Kunstwissenschaft treten, auf deren Forschungsergebnisse sie mit angewiesen bleibt, sondern interdisziplinäre Vermittlungsarbeit leisten. Um Bilder als Quellen für historische Fragestellungen zu erschließen, braucht der Historiker neben seinem üblichen ,Handwerkszeug' Spezialkenntnisse: einerseits kunsthistorische Informationen z.B. über die Stil- und Typengeschichte oder über Zeichensystem und Bildtheorie und andererseits eine Arbeitsmethodik. Beides zu vermitteln und auf eine systematische Erschließung bildlichen Quellenmaterials für die historische Forschung hinzuwirken ist Aufgabe der Historischen Bildkunde. Ihre spezifische Leistung ist die Orientierung an der Perspektive des Historikers, der in den Bildern nach Antworten auf heutige Fragen an die Geschichte sucht. Den Beitrag eines Bildes zur Beantwortung einer historischen Fragestellung nennt Wohlfeil den „historischen Dokumentensinn" 9 , im Unterschied zu Panofskys „Dokumentsinn" 1 0 . Hinter dieser Begrifflichkeit steht die Abgrenzung der Historischen Bildkunde von der Ikonologie 11 . Entscheidend 5 Rainer Wohlfeil, Das Bild als Geschichtsquelle, in: HZ 249 (1986), 91 - 100. Erweiterte Überlegungen in diesem Band unter dem Titel „Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde", 17-35. 6 Vgl. die bibliographischen Verweise in Wohlfeil, Methodische Reflexionen (Anm. 5), Anm. 17 und 61; vgl. außerdem die Beiträge in diesem Band: Trudl Wohlfeil, Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters, 177 - 190; Rainer Wohlfeil, Pax antwerpiensis. Eine Fallstudie zu Verbildlichungen der Friedensidee im 16. Jahrhundert am Beispiel der Allegorie ,Kuß von Gerechtigkeit und Friede', 211 - 258. 7 So Jacob (Anm. 3); Ingrid Otto, Bürgerliche Töchtererziehung im Spiegel illustrierter Zeitschriften von 1865 bis 1915: eine historisch-systematische Untersuchung anhand einer exemplarischen Auswertung des Bildbestandes der illustrierten Zeitschriften „Die Gartenlaube", „Über Land und Meer", „Daheim" und „Illustrierte Zeitung" (Beiträge zur historischen Bildungsforschung, 8), Hildesheim 1990. 8 Bilder gegen den Strich lesen. Alf Lüdtke und Volker Reinhardt im Gespräch über Herrschaftspropaganda durch Photographien und Kunstwerke, in: Frankfurter Rundschau vom 27.10.1990, Feuilleton, Zeit und Bild, ZB 2. 9 Vgl. Wohlfeil, Bild (Anm. 5); ders., Methodische Reflexionen (Anm. 5). 10 Vgl. Panofsky, Beschreibung und Inhaltsdeutung (Anm. 4); ders., Ikonographie und Ikonologie (Anm. 4). 11 Eine grundlegende Auseinandersetzung mit den vorhandenen Ansätzen zur historischen Bildinterpretation führt Heike Talkenberger, Das Bild als Quelle des Historikers, in: Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten

Einleitung

9

ist, daß die Ikonologie nach dem Ansatz Panofskys bestrebt ist, dem Kunstwerk in seiner Gesamtheit gerecht zu werden und es als Ganzes, in allen Facetten zu interpretieren - ein Anspruch, den Panofsky nach Ansicht seiner Kritiker allerdings selbst nicht einlösen kann. Dabei bezieht die Ikonologie das historische Umfeld des Kunstwerkes zwar in die Analyse ein und bietet sich deshalb zur Diskussion mit der Geschichtswissenschaft an - , sucht aber letztlich nach dem „Gehalt", nach einer vom historischen Prozeß gelösten, zeitlosen Bedeutung des Bildes und dokumentiert damit die geisteswissenschaftliche Herkunft des ikonologischen Ansatzes. Dagegen gibt die Historische Bildkunde den Anspruch auf, das Kunstwerk in seiner Gesamtheit zu erfassen. Sie richtet eine spezifische historische Fragestellung an das Bild und bemüht sich, diese zu beantworten nicht mehr und nicht weniger. Wohlfeil lehnt sich in seinen methodischen Reflexionen zwar an die Begrifflichkeit des Panofskyschen Modells an, mit dem er sich auseinandersetzt und das er für den Historiker wesentlich modifiziert. Sein Ansatz für die Arbeit mit Bildern kommt jedoch - wie für seine historische Forschung allgemein - aus der Sozial- und Mentalitätengeschichte. Bilder können jenseits Von real- oder personenkundlichen Zwecken als historische Quelle genutzt werden. Gerade als nonverbales Medium mit primär affektiver Wirkung erscheinen sie geeignet als Ergänzung und Korrektiv zu schriftlichen Quellen. Statuen, Bilder und Bauten können propagandistische und ideologische Botschaften verkünden. Sie sind - nicht nur in der Frühen Neuzeit - „Arsenalstücke in den Rüstkammern von Herrschern und in den Ausstattungsfundi von sozialen Aufsteigern" 12 und haben eine Funktion bei der Legitimation von Herrschaft und der Sozialdisziplinierung von Untertanen 13 - nicht ohne Grund kommt es bei sozial-politischen Protesten immer wieder zum Bildersturm 14 . Auf der anderen Seite spielen Bilder, z.B. in Flugschriften der Reformationszeit, auch eine Rolle bei der Erhebung und Begründung sozialer, politischer, ökonomischer oder religiöser Forderungen 15 . Kunstwerke können zur Erforschung von Machtstrukturen und astrologischer Flugschriften 1488 - 1528 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 26), Tübingen 1990, 29- 54. Zur engeren Abgrenzung zwischen Panofsky und Wohlfeil vgl. den Beitrag in diesem Band: Martin Knauer, „Dokumentsinn" „historischer Dokumentensinn". Überlegungen zu einer historischen Ikonologie, 37 - 47. 12 Bilder gegen den Strich lesen (Anm. 8), Sp. 1. 13 Hier sei an die Forschungen von Norbert Elias zu Prestigeaufbau, Sozialdisziplinierung und Repräsentationsbedürfnis in der höfischen Gesellschaft erinnert, vgl. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums u n d der höfischen A r i s t o k r a t i e , N e u w i e d / B e r l i n 1969; vgl. auch Hubert

Ehalt,

Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18. Jahrhundert (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien, 14), Wien 1980. 14 Vgl. zuletzt Bob Scribner/Martin Warnke (Hrsg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen, 46), Wiesbaden 1990.

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Brigitte Tolkemitt

sozialen Beziehungen herangezogen werden, sie erlauben einen Einblick in „visuelle Vorstellungen, Welt-,Bilder', bildliche Orientierungsweisen" 16 und die Gefühlswelt vergangener Tage und bereichern damit auch die Mentalitätengeschichte um interessante Aspekte. Möglicherweise wurde das vieldeutige Medium Bild - z.B. auf dem Gebiet politischer Ideen und Vorstellungen oder im Bereich von Kirche und Glauben - für Aussagen genutzt, deren deutliche schriftliche Formulierung ein persönliches oder politisches Risiko für ihren Urheber dargestellt hätte. Bildliche Quellen können auch auf Tendenzen hin untersucht werden, die in der Entstehungszeit der Bilder verbal noch nicht oder nicht mehr thematisiert wurden oder überhaupt bewußt faßbar waren, die der spätere Wissenschaftler jedoch aufgrund seiner Kenntnisse über die historische Entwicklung und seiner Methodik möglicherweise erschließen und in Worte fassen kann. Im vorliegenden Band sind die Beiträge eines Kolloquiums mit internationaler Beteiligung zum Thema „Historische Bildkunde. Probleme - Wege Beispiele" zusammengefaßt, welches das Historische Seminar der Universität Hamburg am 6. und 7. April 1990 aus Anlaß der Emeritierung Rainer Wohlfeils veranstaltete. Der erste Teil des Bandes beschäftigt sich mit der Methodik der Historischen Bildkunde und ihrer jungen Wissenschaftsgeschichte. Hier wie in den Diskussionen des Kolloquiums wird deutlich, daß nicht nur das konkrete Arbeiten mit Bildmaterial, sondern auch das Verhältnis zwischen Kunstund Geschichtswissenschaft noch Probleme bereitet. Rainer Wohlfeil stellt „Methodische Überlegungen zur Historischen Bildkunde" vor, mit denen er seine Ausführungen von 1986 17 erheblich erweitert und präzisiert. Er verweist auf die Aussagekraft bildlicher Quellen, die ebenso wie schriftliche Quellen die eigene Zeit nicht nur spiegeln, sondern auch mitbestimmende Faktoren im historischen Prozeß sind. Seine ausführlich beschriebenen drei Arbeitsstufen - 1. vor-ikonographische Beschreibung, 2. ikonographisch-historische Analyse, 3. Ermittlung des historischen Dokumentensinns - weisen den Weg zur konkreten Arbeit mit Bildern. Martin Knauer setzt sich, ausgehend von dem begrifflichen Gegensatz „Dokumentsinn" - „historischer Dokumentensinn", mit der Abgrenzung zwischen den Ansätzen Wohlfeils und Panofskys auseinander. Er fordert wie auch Hans-Martin Kaulbach 1 8 - eine „historische Ikonologie" mit verstärkter interdisziplinärer Zusammenarbeit. 15 Vgl. d e n B e i t r a g i n diesem B a n d : Robert W. Scribner, Reformatorische B i l d p r o paganda, 83 - 106. 16 B i l d e r gegen d e n S t r i c h lesen ( A n m . 8), Sp. 1. 17 Wohlfeil, B i l d ( A n m . 5). 18 Vgl. den B e i t r a g i n diesem B a n d : Hans-Martin Kaulbach, Friedenspersonifikat i o n e n i n der f r ü h e n Neuzeit, 191 - 209.

Einleitung

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Frank-Dietrich Jacob erörtert quellenkundliche Probleme bei der Nutzung von Bildmaterial durch die Geschichtswissenschaft und untersucht den Beitrag der (ehemaligen) DDR-Wissenschaft zur Historischen Bildkunde; er fragt einerseits nach theoretischen Überlegungen zu bildkundlichen Problemen und andererseits nach dem Stand der Erschließung von Bildquellen im östlichen Teil Deutschlands. Der zweite Teil des Bandes enthält Beispiele historischer Bildanalysen. Eine erste Gruppe von Arbeiten setzt sich mit der Bildpublizistik auseinander, d. h. mit Textillustrationen, illustrierten Flugblättern und anderen Bildern, die eine breite Wirkung erzielen sollten, z.B. Andachtsbilder. Im Zusammenhang mit der Bildpublizistik tauchten während des Kolloquiums v. a. Fragen nach dem Verhältnis zwischen Bild und Text auf. Bilder erscheinen vieldeutiger als Texte, ihre Wirkung ist primär affektiv - hier liegen die Schwierigkeiten und Chancen dieses Mediums. Dasselbe - formelhafte, typisierte - Bild kann verschiedene Texte illustrieren, Illustrationen können aber auch Textauslegungen enthalten, und Bilder können umgekehrt durch hinzugefügte Texte eindeutig gemacht werden, wie es vielfach in Anwendung der lutherischen Bildtheologie 19 geschah. Ein Vergleich der beiden Medien Bild und Text muß auch Fragen nach den jeweiligen Adressaten und Wirkungsmöglichkeiten berücksichtigen. Siegfried Hoyer betrachtet „Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen aus der Zeit von Reformation und Bauernkrieg". Dieses Motiv, das in seiner klassischen Form eine Allegorie vom Wandel des irdischen Lebens ist, läßt sich vielversprechend nach Aussagen über zeitgenössische Lebensverhältnisse und Gedankengänge sowie nach neuen, möglicherweise politisierten Inhalten im Zusammenhang mit dem Renaissance-Humanismus und der Reformation befragen. Robert W. Scribner beschäftigt sich mit „reformatorischer Bildpropaganda". Er fragt weniger nach dem zugrundeliegenden Verständnis von Frömmigkeit oder religiöser Betroffenheit als nach der zeitgenössischen Funktion und Wirkung dieses nicht-schriftlichen Kommunikationsmittels. Ausgehend von vier Aufgaben reformatorischer Propaganda - Offenbarung, Demaskierung, Angsterregung und Aufforderung zu Aktion - untersucht Scribner die spezifische Leistung von Bildern in diesem Zusammenhang. Er betrachtet die verschiedenen Traditionen, Bilder als religiöses Mittel zu nutzen, das Verhältnis zwischen Bild und Bild-„Leser" und die Reaktionen auf Bilder und kommt zu dem Ergebnis, daß reformatorische Bildpropaganda primär affektiv-rhetorisch und weniger belehrend-pädagogisch wirkte. Vom kommunikationswissenschaftlichen Ansatz her ordnet sie sich damit in 19 Vgl. Rainer Wohlfeil, L u t h e r i s c h e B i l d t h e o l o g i e , i n : V o l k e r P r e s s / D i e t e r S t i e v e r m a n n (Hrsg.), M a r t i n L u t h e r . Probleme seiner Z e i t ( S p ä t m i t t e l a l t e r u n d F r ü h e N e u zeit. T ü b i n g e r Beiträge z u r Geschichtsforschung, 16), S t u t t g a r t 1986, 282 - 293.

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Brigitte Tolkemitt

den traditionellen religiösen Umgang mit Bildern ein; eine Konzentration auf diesen Ansatz wird der historischen Spezifik des Phänomens jedoch nicht gerecht. Michael Schilling hebt den Wert der illustrierten Flugblätter für die historische Bildkunde hervor. Sie enthalten nicht nur realkundlich nutzbare Darstellungen, sondern ermöglichen als Medium zur öffentlichen Information und Propaganda v.a. Einblicke in die Mentalitätengeschichte des Gemeinen Mannes. Trotz der Schwierigkeit, die unterschiedlichen Einflüsse auf die Entstehung der Flugblätter zu gewichten, erlauben sie auch Aufschlüsse über das historische Umfeld ihrer Produzenten und deren Absichten. Eine zweite Gruppe von Arbeiten hat bildliche Ausdrucksformen des Glaubens, der Frömmigkeit und der einsetzenden Konfessionalisierung zum Thema. Dabei werden unterschiedliche Arten von Kunstwerken untersucht. Alexander Nemilov weist auf die sog. Gregorsmesse in der Leningrader Ermitage hin als Beispiel für ein Kunstwerk, welches im Dienst der Gegenreformation instrumentalisiert wurde. Dem aus dem 15. Jahrhundert stammenden Bild wurde Mitte des 16. Jahrhunderts eine Inschrift hinzugefügt, die für eine Anzahl von Gebeten Sündenablaß verspricht und dem Bild damit eine eindeutige Aussage im Sinne der alten Kirche zuschreibt. Ein solcher Akt zeugt von den beginnenden konfessionellen Auseinandersetzungen. Jan Harasimowicz untersucht schlesische Bildepitaphien und zeigt in seiner Studie eindrucksvoll den Quellenwert dieser Kunstwerke, die bislang von Historikern kaum berücksichtigt wurden 20 . Er kommt zu dem Ergebnis, 20 Bildepitaphien wurden bisher vornehmlich unter kunsthistorischen Aspekten untersucht, vgl. z.B. Alfred Weckwerth, Der Ursprung des Bildepitaphs, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 20 (1957), 147 - 185; Paul Schoenen, Epitaph, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, 5, Stuttgart 1967, Sp.872-921; Werner Schade, Die Malerfamilie Cranach, Dresden 1974, 4. Aufl., Rheda 1983; -Anne-Dore Ketelsen-Volkhardt, Schleswig-Holsteinische Epitaphien des 16. und 17. Jahrhunderts (Studien zur schleswig-holsteinischen Kunstgeschichte, 15), Neumünster 1989; Susanne Bäumler, Der Mensch in seiner Frömmigkeit. Epitaph - Wandgrabmal Stifterbild, in: Reichsstädte in Franken. Aufsätze, 2: Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, hrsg. von Rainer A. Müller, München 1987, 231- 243. Das Lexikon des Mittelalters kennt dagegen kein Stichwort „Bildepitaph" (Lexikon des Mittelalters 3 und 4, München/Zürich 1986 und 1989), und die historischen Studien von Rainer und Trudl Wohlfeil stehen in der deutschen Geschichtswissenschaft vereinzelt da, vgl. Wohlfeil, Methodische Reflexionen (Anm. 5) und Trudl Wohlfeil, Methodische Erfassung eines Bildes als historische Quelle. Das Ehenheim-Epitaph in St. Lorenz zu Nürnberg, in: Journal für Geschichte 1987, H. 4, 28 - 34. Um so mehr zu begrüßen sind polnische Stu-

d i e n w i e die v o n Jan Harasimowicz (vgl. 135 - 164) u n d Katarzyna Cieslak (vgl. 165 173) in diesem Band; vgl. auch dies., Epitaphien in Danzig (15. - 20. Jahrhundert). Pro-

bleme ihrer Ikonographie und Funktion, in: Nordost-Archiv, 22 (1989), H. 97, 257 - 266. Bildepitaphien bieten sich jedoch zur historischen Analyse an. Sie sind keine Grabmäler, sondern ursprünglich gestiftete Andachtsbilder mit Stifterdarstellung zum Gedächtnis an und zur Fürbitte für Verstorbene. Drei Grundbestandteile prägten ihren

Einleitung

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daß die lutherischen Schlesier Bildepitaphien verbreitet zur Darstellung des eigenen Glaubens nutzten. Die Bildgestaltung weist auch hier auf die einsetzende Konfessionalisierung hin und spiegelt zudem deutlich, wie tief die neue Glaubenslehre in der persönlichen Gedankenwelt der Gläubigen verankert war. Katarzyna Cieslak entschlüsselt fünf Retabeln und fünf weitere Kirchenkunstwerke aus der Zeit des Danziger Abendmahlsstreits und zeigt, daß deren Bildprogramme deutlich für die lutherische Abendmahlslehre bzw. gegen Reformierte und Katholiken Stellung bezogen. Sie stellt die These auf, daß in der politisch schwierigen Danziger Situation gern auf die bildende Kunst - als weniger brisantes Medium der Auseinandersetzung als das geschriebene Wort - zurückgegriffen wurde. Eine letzte Gruppe von Arbeiten betrachtet bildliche Aussagen zum Thema Frieden, jener vielschichtigen Kategorie für den Soll-Zustand einer Gesellschaft oder der inneren Verfassung der Menschen, die sowohl eine politische, als auch eine religiöse, weltanschauliche und soziale Komponente enthält. Friedensvorstellungen und -konzeptionen lassen einerseits sensible Reaktionen auf gesellschaftliche Veränderungen erwarten, prägen diese andererseits aber auch mit. Trudl Wohlfeil erörtert vier Illustrationen des Petrarca-Meisters in Petrarcas „Von der Artzney bayder Glück". Sie ermittelt einen moralischethischen Friedensbegriff, der untrennbar mit der Tugend als einziger Chance auf einen dauerhaften irdischen Frieden verbunden ist. Dieser Friedensbegriff deckt sich in vielen Bereichen weder mit der zeitgenössischen humanistischen oder christlichen Friedensidee noch mit der politischen Friedenskonzeption des Gleichgewichts der Kräfte. Hans-Martin Kaulbach beschäftigt sich mit „Friedenspersonifikationen in der Frühen Neuzeit". Er stellt zwei „ikonographische Reihen" auf: eine in der Tradition des Herrschaftskonzepts der pax romana und eine in der Tradition mittelalterlicher Tugendallegorien. Am Ende seines Beitrags stehen Überlegungen zu den Leistungen der Typengeschichte für die Historische Bildkunde und Fragen zu ihrer Abgrenzung von der Ikonologie. A u f b a u : e i n A n d a c h t s b i l d , eine b i l d l i c h e E r i n n e r u n g a n den Verstorbenen u n d meist auch seine F a m i l i e sowie e i n i n s c h r i f t l i c h e r B e z u g a u f d e n Toten. L u t h e r v e r w a r f i h r e m e d i t a t i v e F ü r b i t t e - F u n k t i o n z u r E r l a n g u n g e w i g e n H e i l s wegen der V e r b i n d u n g z u m Verdienstgedanken. D i e B i l d e p i t a p h i e n w u r d e n d e n n o c h beibehalten, ä n d e r t e n aber I n h a l t u n d F u n k t i o n . D e r F ü r b i t t e g e d a n k e t r a t z u r ü c k , das Totengedächtnis u n d d a r ü b e r h i n a u s das B e k e n n t n i s z u r r e i n e n L e h r e w u r d e n z u r z e n t r a l e n B i l d f u n k t i o n . B i l d e p i t a p h i e n k ö n n e n j e d o c h n i c h t n u r u n t e r theologie-, f r ö m m i g k e i t s - oder m e n t a l i t ä t e n g e s c h i c h t l i c h e r F r a g e s t e l l u n g u n t e r s u c h t w e r d e n ; sie s i n d ebenso Quellen z u m T o t e n k u l t w i e Zeugnisse sozialer S t a n d o r t b e s t i m m u n g oder geschlechterbezogener S e l b s t d a r s t e l l u n g v o n G r u p p e n , K o r p o r a t i o n e n , F a m i l i e n oder Einzelpersonen u n d sollten i n verstärktem Maße nach i h r e m historischen D o k u m e n t e n s i n n befragt werden.

14

Brigitte Tolkemitt

Rainer Wohlfeil beschließt den Band mit seinem Beitrag „Pax antwerpiensis. Eine Fallstudie zu Verbildlichungen der Friedensidee im 16. Jahrhundert am Beispiel der Allegorie ,Kuß von Gerechtigkeit und Friede'". Diese exemplarische Untersuchung belegt Stufe für Stufe die praktische Anwendbarkeit seiner Methodik, reflektiert aber auch ihre Probleme und materialbedingten Grenzen. Das untersuchte Bildmaterial weist die Spannweite von einem profanen bis zu einem religiös orientierten Verständnis der Allegorie auf. Wohlfeil ermittelt ein unter den krisenhaften Bedingungen im Antwerpen des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts retheologisiertes Verständnis von Iustitia und Pax: Die untersuchten flämischen Kunstwerke mit dem genannten Bildprogramm lassen die Verunsicherung, Angst und Friedenssehnsucht der Zeitgenossen erkennen, die auf der Suche nach Halt in einer bedrohlichen Welt auf die Religion zurückgriffen. In der Antwerpener Situation hatten diese Bilder spezifische gesellschaftliche Funktionen im privaten und öffentlichen Bereich. Die Teilnehmer des Kolloquiums zur Historischen Bildkunde möchten noch einmal nachdrücklich zur historischen Analyse und Interpretation bildlichen Quellenmaterials auffordern - zumal keineswegs alle Studien dieses Bandes die methodischen Überlegungen Wohlfeils rezipieren. Historiker und Kunstwissenschaftler sollten sich der interdisziplinären Arbeit öffnen, ihre Begrifflichkeit stärker aufeinander abstimmen und sich ihres gemeinsamen Rahmens einer übergreifenden Kulturwissenschaft besinnen. In beiden Fächern ist es sinnvoll, unterschiedliche Quellenarten zu nutzen: Texte, Kunstwerke, Realien und anderes mehr. Dabei sollten weder die immanente Quellenanalyse, noch die Berücksichtigung von Hintergründen, Entstehungsbedingungen, Umfeld und Funktion, noch theoretische Überlegungen vernachlässigt werden. Die Herausgeber dieses Bandes bedanken sich bei der Fritz Thyssen Stiftung für die großzügige Förderung des Kolloquiums und bei den Herausgebern der Zeitschrift für Historische Forschung, speziell bei Johannes Kunisch, für die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge als Beiheft der ZHF.

Probleme u n d Wege einer Historischen B i l d k u n d e

Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde 1 Von Rainer Wohlfeil, Hamburg Bilder sind historische Dokumente 2 . Die geschichtswissenschaftliche Bedeutung dieser Zeugnisse vergangener Wirklichkeit ist vor allem an ihren Inhalt im weiteren Verständnis des Begriffs gebunden. Daraus folgert, daß in Abhängigkeit von der leitenden Fragestellung einem qualitativ schlechten Stich eine ebenso hohe Wichtigkeit und historische Aussagekraft eignen kann wie einem Gemälde von allgemein anerkannter herausragender künstlerischer Qualität. Quellenkundlich systematisiert lassen sich Kunstwerke entweder als ,Überreste 4 einstufen oder sind der ,Tradition' zuzuordnen 3 . Auch diese Zuweisung hängt von der Fragestellung ab. Bilder sind auf einen Kommunikationsprozeß hin angelegt. Sie enthalten auch dann eine ,Kundmachung', wenn ihr Schöpfer 4 ein Bild nur für sich geschaffen haben sollte, also ohne die Absicht, es jemandem zu zeigen. Begriffen als „eine komplexe künstlerische Mitteilung an einen Betrachter oder eine Gruppe von Betrachtern unter bestimmten geschichts- und gegenstandsabhängigen Bedingungen" 5 lassen sich Bilder nicht nur unter real1 F ü r h i l f r e i c h e D i s k u s s i o n e n u n d m a n c h e r l e i Rat habe i c h v i e l e n zu danken, u. a. meiner F r a u , R a i n e r B r ü n i n g , Ilse Deike, W o l f g a n g H a r m s , K o n r a d H o f f m a n n , M a r i e Wohlfeil-Pérez, H e i d e W u n d e r u n d besonders B r i g i t t e T o l k e m i t t . 2 So schon Johann Gustav Droysen, H i s t o r i k , Bd. 1: R e k o n s t r u k t i o n der ersten v o l l ständigen Fassung der Vorlesungen (1857). G r u n d r i ß der H i s t o r i k i n der ersten h a n d s c h r i f t l i c h e n (1857/1858) u n d i n der l e t z t e n g e d r u c k t e n Fassung (1882). Textausgabe v o n Peter L e y h ( H i s t o r i s c h - k r i t i s c h e Ausgabe), S t u t t g a r t / B a d C a n n s t a t t 1977, 71, 81 ff., 426. Vgl. d a z u Frank-Dietrich Jacob, A s p e k t e z u E n t w i c k l u n g u n d A u f g a b e n der H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Festschrift f ü r E r n s t - H e i n z L e m p e r (Beiheft z u m G ö r l i t z e r M a g a z i n , 3, 1989), 14 - 24, h i e r 14. D r o y s e n grenzte zurecht den B e g r i f f B i l der' n i c h t auf Gemälde u n d G r a f i k ein, sondern ordnete i h m auch P l a s t i k , A r c h i t e k t u r usw. zu. 3 Ahasver von Brandt, W e r k z e u g des H i s t o r i k e r s , 10. A u f l . , S t u t t g a r t 1983, 52f.: Droysens B e g r i f f der »Denkmäler' als M i t t e l g r u p p e z w i s c h e n Uberresten u n d T r a d i t i o n bedarf es k a u m . - s. aber a u c h Rudolf Kuhn, Peter P a u l Rubens: Das große „ J ü n g ste G e r i c h t " f ü r die J e s u i t e n k i r c h e i n N e u b u r g a . D . E i n K u n s t w e r k als Geschichtsd e n k m a l u n d als p o l i t i s c h e T a t , i n : L a n d u n d Reich, S t a m m u n d N a t i o n . Probleme u n d P e r s p e k t i v e n bayerischer Geschichte. Festgabe f ü r M a x S p i n d l e r z u m 90. Geburtstag, hrsg. v o n Andreas K r a u s , Bd. 2, M ü n c h e n 1984, 91 - 105, h i e r 9 1 - 9 4 . 4 I m folgenden v e r w e n d e i c h z u r T e x t v e r e i n f a c h u n g f ü r Begriffe w i e Schöpfer, K ü n s t l e r , A u f t r a g g e b e r , S t i f t e r , H i s t o r i k e r usw. jeweils das m a s k u l i n e S u b s t a n t i v i m Verständnis einer S a m m e l b e z e i c h n u n g f ü r F r a u e n u n d M ä n n e r . 5 Ekkehard Kaemmerling (Hrsg.), I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e . T h e o r i e n - E n t w i c k l u n g - Probleme. B i l d e n d e K u n s t als Zeichensystem 1 ( D u M o n t - T a s c h e n b ü c h e r ,

2 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

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kundlichen, personenbezogenen oder familiengeschichtlichen Aspekten als Quelle heranziehen 6, sondern darüber hinaus nach Aussagen über gesellschaftliche Beziehungen und ihren Wandel befragen. Als „Erfahrung der Vergangenheit ..., wie sie in deren gegenwärtiger, sinnfälliger Bekundung da ist" 7 , eignet - so lautet meine These - auch bildnerischen Werken ein historischer Dokumentensinn. Ein Bild läßt auf der Grundlage seiner historischen Entstehungsbedingungen und -zusammenhänge geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse erschließen über den denkenden und fühlenden, handelnden und leidenden Menschen - Mensch begriffen sowohl als Individuum wie als kollektives Wesen. Durch Fragen an das Bild erhält der Fragende Kunde über die geistige und soziale Befähigung des Menschen, sich mit den Strukturen seines Umfeldes in der Bandbreite von Mitmensch und Natur bis zu Gott und Weltordnung auseinanderzusetzen. Über die Formen menschlicher Fähigkeit, sich in Raum und Zeit den gesellschaftlichen und existentiellen Aufgaben zu stellen, können Normen und Werthaltungen, Erwartungen und Hoffnungen, Befürchtungen und Ängste enthüllt, d.h. analysiert, historisch erklärt und interpretiert werden. Ein Bild reflektiert demnach bei Berücksichtigung bildimmanenter und bildexterner Elemente die Bedingungen, Probleme und Widersprüche, also die sozialen Beziehungen und Strukturen sowie ihre Veränderungen in seiner Entstehungszeit als einer vergangenen Wirklichkeit. Als historische Quelle ,ergänzt' ein Bild nicht nur den anderweitig erarbeiteten geschichtswissenschaftlichen Kenntnisstand, sondern kann über seinen historischen Dokumentensinn 8 auch Erkenntnisse vermitteln, die aus anderen Quellen nicht zu erschließen sind.

83), 4. A u f l . , K ö l n 1987, hier: ders., D i e G r u n d l a g e n p r o b l e m e b e i der i k o n o l o g i s c h e n Bedeutungsanalyse b i l d e n d e r K u n s t , 487 f. Vgl. auch die D e f i n i t i o n b e i Günter Bandmann, Das K u n s t w e r k als Gegenstand der Universalgeschichte, i n : J a h r b u c h f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 7 (1962), 146f. 6 Vgl. v o r a l l e m die V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des I n s t i t u t s f ü r m i t t e l a l t e r l i c h e Realienk u n d e Österreichs, m i t w e i t e r e r L i t e r a t u r sowie Beispielen angeführt i n Harry Kühnel (Hrsg.), A l l t a g i m S p ä t m i t t e l a l t e r , 2. A u f l . , G r a z / W i e n / K ö l n 1985, die L i t e r a t u r h i n w e i s e b e i Gerhard Jaritz, B i l d q u e l l e n z u r m i t t e l a l t e r l i c h e n V o l k s f r ö m m i g k e i t , i n : V o l k s r e l i g i o n i m h o h e n u n d späten M i t t e l a l t e r , hrsg. v. Peter D i n z e l b a c h e r / D i e t e r R. B a u e r (Quellen u n d Forschungen aus d e m Gebiet der Geschichte, N. F. 13), P a d e r b o r n 1990, 195 - 242, i n seinen Fußnoten, u n d Hartmut Boockmann, D i e S t a d t i m späten M i t t e l a l t e r , 2. A u f l . , M ü n c h e n 1987, aber auch S t u d i e n w i e Ursula Stiff, Porträts des 16. J a h r h u n d e r t s als historische Quellen. E i n e m u s e u m s d i d a k t i s c h e U n t e r r i c h t s e i n h e i t zu W a n d e l u n d K o n t i n u i t ä t a m B e g i n n der N e u z e i t ( U n t e r r i c h t i n westfälischen Museen, 8), M ü n s t e r i. W. 1982. 7 Jörn Rüsen, H i s t o r i s c h e Methode, i n : H i s t o r i s c h e Methode, hrsg. v. C h r i s t i a n M e i e r / J ö r n Rüsen (Theorie der Geschichte, Beiträge z u r H i s t o r i k , 5 = d t v 4390), M ü n chen 1988, 71. 8 s. u. 31 ff. W e n n Knauer ( i n diesem B a n d , 43 ff.) d e n I n h a l t meines Begriffs »Historischer Dokumentensinn' i n der Weise interpretiert, daß B i l d e r analog zu archivalischen M a t e r i a l i e n einen T e i l b e r e i c h einer vergangenen h i s t o r i s c h e n W i r k l i c h k e i t n u r widerspiegeln, i h n e n also l e d i g l i c h e i n Z e u g n i s w e r t eigne, w i r d m e i n Begriffsverständnis

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Als ein wesentlicher Faktor liegt der These vom Dokumentensinn die Prämisse zugrunde, daß ein Kunstwerk hinsichtlich seines ,Sinn'-Gehalts mehrschichtig ist. Mehrschichtigkeit bedeutet jedoch nicht, daß es bei seiner Deutung radikaler Willkür preisgegeben wäre. Diese Mehrschichtigkeit beruht auf verschiedenen Sachverhalten, auf die hier weder in aller Ausführlichkeit noch systematisch eingegangen werden kann. - Wichtig erscheint zunächst, daß ein Bild jenseits der Intention seines Schöpfers und dessen eigener Beziehung zu seinem Werk den Betrachter zu einem persönlichen Sinn-Bezug in Reaktion und Stellungnahme herausfordert, der von Identifikation bis zu Unverständnis reichen und bei jeder einzelnen Person sowie zu jeder Zeit unterschiedlich sein kann. Die Intention des Künstlers braucht sich außerdem bei einem Auftragswerk nicht mit der Vorstellung des Auftraggebers/Stifters/Mäzens oder Adressaten gedeckt zu haben, so daß sich zur Erfüllung der gestellten Aufgabe und der geforderten Wertvermittlung Vorstellungen des Künstlers gesellen können, die über die Aufnahme weiterer Gegenstände und Leitgedanken bis zu offener oder versteckter K r i t i k an der aufgetragenen Bildaussage reichen. Die Möglichkeit, hinter der vordergründigen eine zweite Thematik oder neben der erwarteten ,offiziellen' Wertung ein - oft auch - verschlüsseltes eigenes Urteil in ein Kunstwerk einzubringen, bestand besonders dann, wenn es auftragsfrei geschaffen wurde. Mehrfach gestufte Sinnfindungen und -formulierungen können analog zum mehrfachen Schriftsinn auch einem Kunstwerk eignen und sogar argumentativ bewußt eingebracht worden sein. Vor allem aber ist im Zusammenhang mit der These vom Dokumentensinn wichtig, daß ein Bild unbeabsichtigte Aussagen zu Fragen enthalten kann, die erst heute an das Werk gestellt werden - beispielsweise im Rahmen einer mentalitätsgeschichtlichen Problematisierung individueller und kollektiver Ängste. Wenn der Historiker Bilder im weitesten Verständnis des Begriffs als geschichtswissenschaftliche Quellen heranzieht, muß er grundsätzlich davon ausgehen, daß Bilder keine Wirklichkeitswiedergabe, d.h. objektive Abbilder einer historischen Realität sind - weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Diese Prämisse gilt nicht nur hinsichtlich bildnerischer Werke in überlieferten Techniken, gesehen und wiedergegeben als Wirklichkeits-Darstellungen durch einen Künstler, beispielsweise in der Graphik oder in der Malerei, sondern auch für jene modernen Medien, die den Anschein erwecken oder sogar beanspruchen, ,objektive' Abbildungen zu bieten - etwa Foto, Film, Fernsehen oder Video. In allen Techniken wirkt der Bild-Schöpfer als Persönlichkeit mit; auch konnte und kann ein Bild bewußt manipuliert oder verfälscht werden. mißverstanden. H i s t o r i s c h e r D o k u m e n t e n s i n n schließt auch d e n F u n k t i o n s a s p e k t v o n K u n s t w e r k e n ein, w e n d e t sich also gegen den Topos reiner W i d e r s p i e g l u n g , b e r ü c k sichtigt F u n k t i o n und Wirkung. 2'

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Wichtig sind außerdem einige knappe Vorüberlegungen zum Verhältnis und der Wechselwirkung zwischen Text und Bild. Sie lassen sich erfassen in drei Verbindungen, die eng zusammenhängen bzw. aufeinander bezogen sind: Text und Bild - Bild als Text - Text als Bild 9 , letztere nicht nur im Verständnis einer sprachlichen Metapher, sondern auch von unmittelbarer Bildgestaltung. a) ,Text und Bild' können in verschiedener Form verknüpft sein, beispielsweise über Schriftbänder oder über einfach in das Bild eingefügte Worte, durch Über- oder Unterschriften, mit ausführlichen Legenden oder längeren Texten in Prosa bzw. als Gedicht 10 oder in der Verbindung von Texten mit Bildern als Titelblätter und Illustrationen zu Druckwerken aller Art. Dabei liegt der Gehalt des bildnerischen Teiles keineswegs stets in einer Bebilderung der Textaussage. Auch in derartiger Kombination kann Bildern eine mehr oder minder eigenständige historische Bedeutung eignen. Ihre Funktion weist eine Bandbreite auf, die von reiner Lesehilfe über komplexe Kommentare einschließlich selbständiger Interpretation von Texten bis hin zur Thematisierung oder gar Infragestellung von Zeitgeschehen reicht. b) Im Zusammenhang mit der Frage nach dem bildnerischen Werk als historischer Quelle erscheint nicht zuletzt wichtig, daß Bildern auch der Status eines Textes zugesprochen wird, d.h. einem Bild wird „grundsätzlich die gleiche Autonomie als primärer Erzeuger von Bedeutung [zugestanden] wie für den Sprachtext" 11 . Die Selbständigkeit ist allerdings relativ zu begreifen und „schließt die Existenz von bedeutungstragenden Bezügen zu anderen Texten, bildlicher oder sprachlicher Natur, nicht aus" 1 2 . Diese These erscheint bisher unzureichend diskutiert 1 3 . c) Nicht weiter eingegangen zu werden braucht hier auf die sprachliche Metapher vom ,Text als Bild'; für die graphische Gestaltung eines Bildes 9 Wolfgang Kemp (Hrsg.), D e r T e x t des Bildes. M ö g l i c h k e i t e n u n d M i t t e l eigenständiger B i l d e r z ä h l u n g ( L i t e r a t u r u n d andere K ü n s t e , 4), M ü n c h e n 1989, 7 f. 10 So z.B. Christel Meier/Uwe Ruberg (Hrsg.), T e x t u n d B i l d . A s p e k t e des Z u s a m m e n w i r k e n s z w e i e r K ü n s t e i n M i t t e l a l t e r u n d f r ü h e r N e u z e i t , Wiesbaden 1980. - Carsten-Peter Warncke, Sprechende B i l d e r - sichtbare W o r t e . Das B i l d v e r s t ä n d n i s i n der f r ü h e n N e u z e i t ( W o l f e n b ü t t e l e r Forschungen, 33), Wiesbaden 1987. - Stephan Füssel/ Joachim Knape (Hrsg.), Poesis et P i c t u r a . S t u d i e n z u m V e r h ä l t n i s v o n T e x t u n d B i l d i n H a n d s c h r i f t e n u n d a l t e n D r u c k e n . Festschrift f ü r D i e t e r W u t t k e z u m 60. G e b u r t s t a g (Saecula s p i r i t a l i a , Sonderband), B a d e n - B a d e n 1989. - Z u l e t z t Wolf gang Harms (Hrsg.), T e x t u n d B i l d , B i l d u n d Text. (Germanistische Symposien, Berichtsbände, 11), S t u t t g a r t 1990, m i t , B i b l i o g r a p h i e z u r Geschichte u n d Theorie v o n T e x t - B i l d - B e z i e hungen' v o n Georg J ä g e r / I r a D i a n a M a z z o n i , 475 - 508. 11 Felix Thürlemann, G e s c h i c h t s d a r s t e l l u n g als Geschichtsdeutung. E i n e A n a l y s e der K r e u z t r a g u n g (fol. 19) aus d e m Pariser Z e i c h n u n g s b a n d des Jacopo B e l l i n i , i n : K e m p ( A n m . 9), 89 - 115, h i e r 90. 12 Ebd. 13 Vgl. Rudolf Schenda, B i l d e r v o m Lesen - Lesen v o n B i l d e r n , i n : I n t e r n a t i o n a l e s A r c h i v f ü r Sozialgeschichte der deutschen L i t e r a t u r , 12 (1987), 82 - 106, h i e r 94 m i t A n m . 48.

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durch einen Text als Figur, beispielsweise in der Form ,Visueller Poesie', sei auf die Materialien einer Wolfenbütteler Ausstellung verwiesen 14 . Um den historischen Dokumentensinn eines Kunstwerkes im Verständnis einer empirisch begründeten Wissenschaftskategorie zu ermitteln und darzustellen, benötigt historische Forschung mit bildlichen Quellen eine stoffgerechte Arbeitsweise, die von allen geschichtswissenschaftlichen Disziplinen zur Bildanalyse und -interpretation genutzt werden kann - eine Methode der Historischen Bildkunde. Der allgemeine methodische Zugriff bedarf dann einer spezifischen Verfeinerung und Anpassung an die ,Bildlage4 des jeweils untersuchten Zeitalters. Dieser Methode sind in Weiterführung eigener Überlegungen von 198615 die heutigen Ausführungen gewidmet. Ich muß zunächst feststellen, daß meiner Kenntnis nach nur Rainer Brüning, Heike Talkenberger und FrankDietrich Jacob 16 meine seinerzeitige Diskussionsanregung direkt aufgegriffen haben. Jacob befaßt sich erneut 17 mit der Wissenschaftsgeschichte der Historischen Bildkunde im Verständnis einer historischen Grundwissenschaft und zeigt überlieferte sowie gegenwärtige Probleme auf. Dazu möchte ich an dieser Stelle nur zwei Bemerkungen einbringen. Erstens: Seit Erich Keyser 18 1935 von sog.,Geschichtsbildern' gesprochen und diese systematisierend in vier Gruppen eingeordnet hat - in bildliche Darstellungen von Personen, Orten, Ereignissen und Sachen - könnte gefol14 Jeremy Adler / Ulrich Ernst, T e x t als F i g u r . Visuelle Poesie v o n der A n t i k e bis z u r M o d e r n e (Ausstellungskataloge der H e r z o g A u g u s t B i b l i o t h e k , 56), 3. A u f l . , W o l f e n b ü t t e l / W e i n h e i m 1990. 15 Rainer Wohlfeil, Das B i l d als Geschichtsquelle, i n : H Z 243 (1986), 91 - 100, m i t Verweisen auf ältere L i t e r a t u r . 16 Rainer Brüning, „ K r i e g s - B i l d e r " . F l u g s c h r i f t e n ü b e r die S c h l a c h t b e i P a v i a (1525), d e n Sacco d i R o m a (1527) u n d die B e l a g e r u n g Wiens (1529), Wissenschaftliche H a u s a r b e i t M a g i s t e r p r ü f u n g , M S H a m b u r g 1988. -Heike Talkenberger, Sintflut. Prop h é t i e u n d Zeitgeschehen i n T e x t e n u n d H o l z s c h n i t t e n astrologischer F l u g s c h r i f t e n 1488 - 1528 ( S t u d i e n u n d T e x t e z u r Sozialgeschichte der L i t e r a t u r , 26), T ü b i n g e n 1990, 29 - 54. - Jacob ( A n m . 2) m i t neuerer L i t e r a t u r ; ders., Q u e l l e n k u n d l i c h e M e t h o den u n d H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e - Ergebnisse u n d Schlußfolgerungen a m B e i s p i e l historischer S t a d t d a r s t e l l u n g e n , i n : J a h r b u c h f ü r Regionalgeschichte ( i m D r u c k ) u n d ders., Z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e i n der ehemaligen D e u t s c h e n D e m o k r a t i s c h e n R e p u b l i k , i n diesem B a n d 4 9 - 6 1 . 17 Rainer und Trudl Wohlfeil, Das L a n d s k n e c h t s - B i l d als geschichtliche Quelle. Ü b e r l e g u n g e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : M i l i t ä r g e s c h i c h t e . Probleme - Thesen - Wege, hrsg. v o n M a n f r e d Messerschmidt u. a. (Beiträge z u r M i l i t ä r - u n d Kriegsgeschichte, 25), S t u t t g a r t 1982, 81 - 99, u n d z u v o r dies., L a n d s k n e c h t e i m B i l d . Ü b e r l e gungen z u r ,Historischen B i l d k u n d e ' , i n : Bauer, Reich u n d R e f o r m a t i o n . Festschrift f ü r G ü n t h e r F r a n z z u m 80. G e b u r t s t a g a m 23. M a i 1982, hrsg. v o n Peter B l i c k l e , S t u t t g a r t 1982, 104 - 119. Beide Beiträge n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t v o n John R. Haie, T h e S o l d i e r i n G e r m a n G r a p h i c A r t of the Renaissance, i n : A r t a n d H i s t o r y . Images a n d T h e i r M e a n i n g , hrsg. ν. Robert I. R o t b e r g / T h e o d o r e K . Rabb, C a m b r i d g e 1988, 85 114. 18 Erich Keyser, Das B i l d als Geschichtsquelle, in: W a l t e r Goetz (Hrsg.), Historische B i l d k u n d e 2, H a m b u r g 1935, 2 - 32, h i e r bes. 16.

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gert werden, daß nur die Bilder geschichtswissenschaftliche Quellen darstellen, die sich diesen Gruppen subsumieren lassen. Das trifft nicht zu. Grundsätzlich kann jedes Bild zu einer historischen Quelle werden. Zweitens: Historische Bildkunde beansprucht nicht, Funktionen der Kunstgeschichte zu übernehmen oder gar mit ihr zu konkurrieren 19 , sondern sieht sich stattdessen auf deren Hilfestellung angewiesen, erweist sich aufgeschlossen für ihre Erkenntnisse und rezipiert kunstgeschichtliche Forschungsweisen, -befunde und -ergebnisse als wesentliche Voraussetzungen und Grundlagen für die Bearbeitung geschichtswissenschaftlicher Forschungsprobleme, deren Erkenntnisziel von spezifisch historischen Fragestellungen bestimmt ist. Unbeschadet dessen bleibt interdisziplinäres Arbeiten generell erstrebenswert, wenn nicht gar notwendig. Eine derartige Interdisziplinarität ist beispielsweise im Graduiertenkolleg zur politischen Ikonographie' am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg vorgesehen. Im folgenden möchte ich mich nicht ausführlicher mit der Historischen Bildkunde als historischer Grundwissenschaft befassen, sondern werde noch einmal und zugleich mit neuen Überlegungen ihre Methode erläutern. Ihre Anwendung wird anhand einer Fallstudie exemplifiziert werden, und zwar an einem Beispiel, das auch die Schwierigkeiten aufzeigt, die sich ergeben, wenn einschlägige Daten zu den Entstehungsbedingungen eines Bildes und/ oder sein historisches Umfeld nur unzureichend ermittelt werden können 20 . Als Methode geht die Historische Bildkunde von der Prämisse aus, daß auch die geschichtswissenschaftliche Nutzung von Bildern einer leitenden Fragestellung bedarf, die zugleich den Raster vermittelt, nach dem Bilder als Quellen ausgewählt und in Wechselwirkung von kunstgeschichtlicher und historischer Arbeitsweise quellenkritisch untersucht und sachbezogen befragt,d.h. analysiert, bestimmt, historisch erklärt und verstehend gedeutet werden. In diesem Zusammenhang wird ein Bild als ein vielschichtiges ,Kunst-Werk' begriffen, das als Quelle von Vergangenem für die Gegenwart in Gestaltung und Gehalt nicht nur geprägt ist durch seinen Schöpfer, sondern wesentlich auch bestimmt durch dessen Einbindung sowohl in Traditionen und Konventionen als auch in sein soziales Umfeld. Jede Befragung von Kunst wird außerdem ihre unterschiedlichen Aussagebereiche reflektieren, also beispielsweise berücksichtigen, ob von vornherein öffentliche 19 G r u n d l e g e n d f ü r m e i n Verständnis v o n k u n s t h i s t o r i s c h e r M e t h o d i k z u l e t z t Hans Belting u.a. (Hrsg.), Kunstgeschichte. E i n e E i n f ü h r u n g , 2. durchges. A u f l . , B e r l i n 1988. - Interessante Beispiele, aber m e t h o d i s c h w e n i g e r t r a g r e i c h Rotberg/Rabb ( A n m . 17). 20 Rainer Wohlfeil, P a x antwerpiensis. E i n e F a l l s t u d i e z u V e r b i l d l i c h u n g e n der Friedensidee i m 16. J a h r h u n d e r t a m B e i s p i e l der A l l e g o r i e ,Kuß v o n G e r e c h t i g k e i t u n d Friede', i n diesem B a n d 211 - 258.

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Zugänglichkeit vorgesehen war oder ein Thema ursprünglich für private' Interessen bearbeitet worden ist, ob es eine Funktion im historischen Prozeß eingenommen hat oder diesen nur widerspiegelt. Die methodische Arbeitsweise der Historischen Bildkunde baut auf dem ikonologischen, sich durch grundlegende Öffnung zur Geschichte von der damaligen Ikonographie der Kunstwissenschaft wesentlich unterscheidenden kunst- und kulturgeschichtlichen Ansatz von Aby M. Warburg (1866 1929)21 und dem methodischen Entwurf von Erwin Panofsky (1892 - 1968) auf 2 2 , modifiziert jedoch dessenikonographisch-ikonologisches Untersuchungssystem zur Beschreibung und Inhaltsdeutung von Bildern gegenständlicher Kunst entsprechend dem eigenen Ansatz, Bilder als historische Quelle auszuwerten. Eine solche Abwandlung reflektiert auch die kunstwissenschaftlichen Einwände gegen das Forschungsverfahren von Panofsky, berücksichtigt diese jedoch nur, insofern sie die Aufgabe und Zielsetzung der geschichtswissenschaftlichen Befragung von Bildern betreffen 23 . Panofsky hat ein theoretisch dreistufiges Verfahren vorgeschlagen, in dem auf zwei erste, vornehmlich analytische Schritte zum Verstehen von Zeichen und Erklären der Bilder ein dritter, nach seinem Verständnis interpretativer Akt folgt. Dieser Entwurf, den Panofsky mehrfach überarbeitet und dabei leicht verändert hat und dessen letzte Fassung von 1955 hier herangezogen wird 2 4 , ist nach Oskar Bätschmann keine Methode, sondern ein Modell. Unter Modell versteht er eine „Konstruktion, in der Gegenstände, Tätigkeiten und Ziele miteinander verknüpft sind und die als leitende Vorstellung für die Entwicklung von Methoden einerseits und von Theorien andererseits 21 s. Wohlfeil ( A n m . 15), 94, A n m . 11, m i t Verweis auf ältere V e r ö f f e n t l i c h u n g e n , v o r a l l e m Dieter Wuttke, A b y M . W a r b u r g s M e t h o d e als A n r e g u n g u n d Aufgabe. M i t einem B r i e f w e c h s e l z u m K u n s t v e r s t ä n d n i s (Gratia, 2), 4. nochmals erweiterte A u f l . , B a m b e r g 1989. - Seither bes. Peter Schmidt, A b y M . W a r b u r g u n d die I k o n o l o g i e . M i t einem A n h a n g u n b e k a n n t e r Q u e l l e n z u r Geschichte der I n t e r n a t i o n a l e n Gesellschaft f ü r I k o n o g r a p h i s c h e S t u d i e n v o n D i e t e r W u t t k e (Gratia, 20), B a m b e r g 1989. - Konrad Hoffmann, V o m L e b e n i m späten M i t t e l a l t e r . A b y W a r b u r g u n d N o r b e r t Elias z u m ,Hausbuchmeister', i n : S t ä d e l - J a h r b u c h N . F . , 12 (1989), 47 - 58. Vgl. a u c h Edgar Wind, W a r b u r g s B e g r i f f der K u l t u r w i s s e n s c h a f t u n d seine B e d e u t u n g f ü r die Ä s t h e t i k , i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 5), 165 - 184, u n d Talkenberger ( A n m . 16), 29 - 54. 22 s. Wohlfeil ( A n m . 15), 94f., A n m . 12, u n d u n t e n A n m . 24. 23 So z u l e t z t Oskar Bätschmann, Logos i n der Geschichte. E r w i n Panofskys I k o n o logie, i n : L o r e n z D i t t m a n n (Hrsg.), K a t e g o r i e n u n d M e t h o d e n der deutschen K u n s t g e schichte 1900 - 1930, S t u t t g a r t 1985, 89 - 112, m i t ä h n l i c h e n F o r m u l i e r u n g e n , aber i n anderem Verständnis. D a z u k r i t i s c h die Rezension v o n Konrad Ho ff mann, i n : K u n s t c h r o n i k , 41 (1988), 602 - 610. 24 Erwin Panofsky, Z u m P r o b l e m der B e s c h r e i b u n g u n d I n h a l t s d e u t u n g v o n W e r k e n der b i l d e n d e n K u n s t ( = Panofsky I), u n d ders., I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e ( = Panofsky II), i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 5), 185 - 206 u. 207 - 225 m i t Verweisen auf ältere V e r ö f f e n t l i c h u n g e n i n A n m . * (207). M e i n e T e r m i n o l o g i e schließt sich n a c h f o l gend a n Panofsky I I an, v o m m e t h o d o l o g i s c h e n A n s a t z her lassen sich jedoch beide A r b e i t e n als w e i t g e h e n d analog bewerten. D a z u Renate Heidt, E r w i n Panofsky. K u n s t t h e o r i e u n d E i n z e l w e r k (Dissertationen z u r Kunstgeschichte, 2), K ö l n / W i e n 1977.

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dient" 2 5 . Methodisch biete Panofskys Modell nur eine Forschungsweise zum Verstehen von Zeichen, jedoch kein Verfahren zur Interpretation: Aufgabe einer Interpretation wäre es nämlich, „nach dem zu fragen, was ein Werk als es selbst hervorbringt und in dieser Fragestellung das Verstehen der Zeichen aufzuheben (im mehrfachen Sinn)" 2 6 . Über solche immanenten Fragen der Kunstgeschichte zu reflektieren, fällt dem Kunsthistoriker zu, und er hat auch zu erwägen, ob und welche Möglichkeiten die Ikonologie im Verständnis von Panofsky für eine Geschichte der Kunst enthält 27 . Doch auch der Historiker sollte sich mit dem Untersuchungsverfahren von Panofsky grundsätzlich beschäftigen; es vermittelt ihm vor allem für das Verstehen von Zeichen Hinweise, über welche Voraussetzungen an Kenntnissen und Fähigkeiten (,Ausrüstung') er generell verfügen muß, um die ersten kunsthistorischen Arbeitsstufen beschreiten zu können, und welche intersubjektiven Kontrollinstanzen, - Panofsky spricht von Korrektivprinzipien der Interpretation - herangezogen werden können. Daß sich bei der praktischen Arbeit die einzelnen Analyse-, Bestimmungs- und Erklärungsakte nicht so sauber scheiden lassen, wie es das Verfahren vor allem für die Trennung zwischen erster und zweiter Stufe theoretisch vorsieht, stellt keinen derartig schwerwiegenden Einwand gegen Panofskys Vorschlag einer ,Hilfskonstruktion' zu reflektiertem methodischen Vorgehen dar, daß seine beiden ersten Schritte grundsätzlich zu einem Arbeitsgang zusammengelegt werden sollten. Die nachfolgend beschriebene spezifische Vorgehensweise für die geschichtswissenschaftliche Untersuchung von Bildern ist also teilweise Panofsky verpflichtet und bezieht zusätzlich Anregungen und Überlegungen anderer Kunsthistoriker 28 mit ein. In Anlehnung an Panofsky wird das Bild auf einer ersten Stufe des historischen Arbeitsverfahrens, der, Vor-ikonographischen Beschreibungbefragt, was es zeigt und welchen Aus- bzw. Eindruck es vermittelt. - Panofsky verlangt eine korrekte Inhaltsangabe des bildnerischen Werkes nach seinem „primären oder natürlichen Sujet - (A) tatsachenhaft, (B) ausdruckhaft - , das die Welt künstlerischer Motive bildet" 2 9 . Sie soll frei sein von Interpretation und Werturteilen. Um diesen ersten Arbeitsschritt fehlerfrei durchzuführen, bedürfe es vor allem einer Vertrautheit mit den wahrgenommenen 25

Bätschmann ( A n m . 23), 95. Ebd., 94. 27 Ebd., 100. 28 Vgl. Wohlfeil ( A n m . 15), 95, A n m . 14. - Bätschmann ( A n m . 23). - Johann Konrad Eberlein, I n h a l t u n d G e h a l t : D i e i k o n o g r a p h i s c h - i k o n o l o g i s c h e Methode, i n : Belting ( A n m . 19), 164 - 185 m i t einer , S a c h - B i b l i o g r a p h i e ' , u n d Roelof van Straten, E i n f ü h r u n g i n die I k o n o g r a p h i e , B e r l i n 1989. 29 Panofsky I I ( A n m . 24), 210 m i t 223 (Schema). 26

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,Gegenständen'; ob die Erkenntnisse zutreffen, werde mit Hilfe der Stilgeschichte überprüft. In der Bildbeschreibung, die normalerweise in Anpassung an überlieferte Auffassungsformen von links nach rechts führt und im Vordergrund einsetzt, werden einerseits die Zeichen für die gegenstände' aufgezählt und benannt, über ihr Aussehen, ihre Beschaffenheit, ihre Eigenart und ihren Ausdruck referiert, andererseits muß stärker, als bei Panofsky vorgegeben, auf die Form, d.h. auf Struktur und formale Gestaltung des Kunstwerkes eingegangen werden. Folgende Aspekte sind u.a. zu berücksichtigen: Ordnung des Bildaufbaus nach Form und sichtbarem Gefüge sowie innerer Gliederung des Bildganzen; Zahl und Art, Darstellung, Anordnung und Zusammenhang von Gestalten, Sachen, Texteinfügungen; Handlungen, Beziehungen und Verhältnis der Figuren zueinander, zu einzelnen Szenen und Bildteilen, ihre Mimik und Gestik, ihre Attribute; Landschaft und anderweitige Bildteile; Farbengebung, Lichtführung, Schattensetzung, Hell-Dunkel-Ordnung 30 . Unter Umständen muß außerdem die physikalische Beschaffenheit einbezogen und im Verständnis historischer ,Textkritik' bereits hier nach der Echtheit, der Urheberschaft und der Überlieferung (Original usw.) gefragt werden. Noch stärker weicht die zweite Stufe des historischen Arbeitsverfahrens, die ,Ikonogr aphis ch-historis che Analysevon dem Schema Panofskys ab. Er spricht ,nur' von einer ikonographischen Analyse und bezeichnet damit einen Akt, in dem auf der Grundlage „eines literarisch übermittelten Wissens" jenes „sekundäre oder konventionelle Sujet" herausgearbeitet wird, „das die Welt von Bildern, Anekdoten und Allegorien bildet" 3 1 . Um die Verknüpfung der künstlerischen Motive mit den Leitgedanken oder der Konzeption des Bildes im Bedeutungssinne zu ermitteln, bedürfe es der „Kenntnis literarischer Quellen" sowie einer „Vertrautheit mit bestimmten Themen und Vorstellungen"; um die Ergebnisse zu kontrollieren, verweist Panofsky auf die Typengeschichte 32 . Um ein Bild zu entschlüsseln und damit ,lesen' zu können, bedarf es zunächst einer Kenntnis des Zeichensystems, dessen sich der Künstler bediente 33 . Die Zeichen für die Begriffe aufzudecken, zu erklären und zu verstehen, derartige Bestandteile zu einer gedanklichen Einheit zusammenzufassen und damit den zentralen Gegenstand, das Thema und den Inhalt 30 Z u r geschichtswissenschaftlichen Relevanz des B i l d a u f b a u s s. L e x i k o n der K u n s t : A r c h i t e k t u r , b i l d e n d e K u n s t , angewandte K u n s t , I n d u s t r i e f o r m g e s t a l t u n g , K u n s t t h e o r i e . B d . 1, N e u b e a r b e i t u n g , hrsg. v o n Harald Olbrich u.a., L e i p z i g 1987, 540. - Z u r m i t t e l a l t e r l i c h e n F a r b g e b u n g vgl. demnächst Christel Meier/Rudolf Suntrup, L e x i k o n der F a r b b e d e u t u n g e n i m M i t t e l a l t e r . 31 Panofsky I I ( A n m . 24), 210ff. m i t 223 (Schema). 32 Ebd., 219 m i t 223 (Schema), auch Panofsky I ( A n m . 24) 188. 33 Vgl. Schenda ( A n m . 13), bes. 90ff. - Panofsky I I ( A n m . 24), 223 (Schema).

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eines bildnerischen Werkes zu bestimmen sowie auch das Denken und die Gedankenwelt des Werkschöpfers und/oder der Zeit, in der das Bild entstand, und jenen tieferen Sinn zu erschließen, den sein Urheber bewußt - im Verständnis von vorsätzlich, zunächst vielleicht aber verborgen - eingebracht hat: das alles reicht nicht aus, wenn ein Bild als historisches Dokument begriffen wird. Es muß im Verlauf des Arbeitsvorganges auch in seinen geschichtlichen Kontext eingeordnet und aus diesem heraus historisch erklärt werden. Ich erweitere deshalb die zweite Stufe des Modells von Panofsky, seine ikonographische Analyse, zu einer ikonographisch-historischen Analyse. Diese - ein schwieriger Arbeitsteil, der viel Zeit beanspruchen kann, ohne die erhofften Ergebnisse zu erzielen - läßt sich in drei Schritten vollziehen, die nicht in strenger Reihung nacheinander folgen müssen, sondern im Zusammenhang mit der Fragestellung unternommen werden können. Kunstwerke, die aus einer „Welt von Bildern, Anekdoten und Allegorien" 3 4 ihren Stoff und die Leitgedanken empfangen haben, werden in der ikonogr aphischen Analyse nach Panofsky als dem ersten Schritt der zweiten Arbeitsstufe aus den möglicherweise vorhandenen literarischen Quellen oder historisch vermittelten Motiven unter Berücksichtigung von Traditionen und Bildprogrammen abgeleitet und erklärt. Unter Rezeption der K r i t i k an Panofskys Modell der Inhaltsdeutung muß darauf hingewiesen werden, daß erstens der von Panofsky gegenüber Warburg offenbar verengte Begriff von literarischen Quellen' gemäß dem literaturwissenschaftlichen Ansatz eines funktionalen Verständnisses von Texten im damit erweiterten Sinne begriffen zu nutzen ist. Zweitens ist festzustellen, daß Bilder nicht nur Illustrationen von literarischen Texten oder „Assemblage von konventionellen Motiven (Bildzeichen)" zu sein brauchen, „deren Bedeutung ebenfalls durch den Rekurs auf sprachliche Dokumente bestimmt w i r d " 3 5 , sondern unabhängig von derartigen Vorlagen auch aus anderen kulturellen Bereichen ohne weitgehend schriftliche Fixierung, beispielsweise Volksfrömmigkeit und -religiosität 36 , angeregt oder gar aus einer spontan-subjektiven Eingebung des Künstlers heraus geschaffen worden sein können. Solche bildnerischen Werke können sich, falls entsprechende Materialien vorhanden sind (schriftliche Überlieferung, Entwürfe, Skizzen usw.), aus der Bildungs- und Gedankenwelt sowie dem Erfahrungshorizont ihres Schöpfers durch Ver34

Panofsky I I ( A n m . 24), 223 (Schema). Thürlemann ( A n m . 11), 89 u n t e r Bezugnahme auf Bätschmann ( A n m . 23). 36 s. z u l e t z t Dinzelbacher/Bauer ( A n m . 6), bes. Gerhard Jaritz ( A n m . 6), sowie Wolf gang Schieder (Hrsg.), V o l k s r e l i g i o s i t ä t i n der m o d e r n e n Sozialgeschichte (Geschichte u n d Gesellschaft, Sonderheft 11), G ö t t i n g e n 1986. - Hartmut Boockmann, W o r t u n d B i l d i n der F r ö m m i g k e i t des späteren M i t t e l a l t e r s , i n : P i r c k h e i m e r J a h r b u c h 1985, Bd. 1: B i l d u n d W o r t . M i t t e l a l t e r - H u m a n i s m u s - R e f o r m a t i o n , 9 40. - Eva-Maria Bangert er- Schmid, E r b a u l i c h e F l u g b l ä t t e r aus den J a h r e n 1570 1670 ( M i k r o k o s m o s , 20), F r a n k f u r t a . M . / B e r n / N e w Y o r k 1986. 35

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gleich mit seinen weiteren Werken oder durch Gestaltungen von Stoff, Thema und Motiven seitens anderer Künstler sowie besonders auch durch Auswertung der formalen Gestaltung des Bildes in ihrer Aussage erfassen lassen. Es handelt sich demnach bei dem ersten Schritt der ikonographischhistorischen Analyse keineswegs nur um ein „Verstehen von Zeichen", das „bei der Identifikation bereits konstituierter Inhalte" ansetze und „nicht fähig" sei, den Prozeß eigener Deutungssetzung durch den Künstler selber zu erfassen 37. - Zum ermittelten Bildinhalt treten die Erkenntnisse hinzu, die mittels der Formanalyse gewonnen werden. In einem zweiten Schritt, einer Interpretation im engeren Sinne', durchgeführt einerseits als ,ideologiekritisches', andererseits bis in den Bereich von Deutung vorstoßendes Verfahren, ist der sekundäre Sinn des Bildes als Ganzheit zu ermitteln, besonders jene tiefere Aussage, die der Schöpfer seinem Werk bewußt mitgegeben haben kann. Zu berücksichtigen ist dabei, daß der intendierte Sinn ein anderer gewesen sein mag als der, den die Zeitgenossen des Künstlers und/oder die Nachwelt seinem Werk durch ihre Deutung zugesprochen haben. Die Einbindung des Künstlers in das soziale Gefüge seiner Zeit wirkt sich aus in Bezugnahmen auf soziales Handeln, kann auch zur Distanzierung von der Gesellschaft führen. Dann vermag er, im Bild kritische Gedanken auszudrücken und Werturteile einzubringen, die im Medium der Sprache über schriftliche Zeugnisse zu äußern unter Umständen aus vielerlei Gründen unmöglich scheinen. Darüber hinaus schlossen und schließen Sozialisation und Umfeld nicht die Möglichkeit aus, daß auch ein Bildschöpfer in seinem Denken zu Einsichten vorstößt, die sich der zeitbedingten Vorstellungswelt noch entziehen. Derartige Befähigung ergibt sich aus seiner spezifischen Sensibilität und dem ,ureigenen' schöpferischen Wesen des Künstlers. Der dritte Schritt der ikonographisch-historischen Analyse, die Ermittlung der historisch-gesellschaftlichen Einbindung des Bildes, geht von dem Sachverhalt aus, daß ein Kunstwerk eingebettet ist in ein soziales Umfeld. Daher sind mit dem Instrumentarium der Geschichtswissenschaft die gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse, die Entstehungsumstände und Zweckbestimmungen zu analysieren, unter denen es entstand und primär rezipiert werden konnte bzw. sollte sowie historisch zu erklären ist. Auszugehen ist - ohne nachfolgend den Anspruch zu erheben, einen vollständigen Katalog anzubieten, oder die Erwartung wecken zu wollen, daß sich alle Fragen beantworten lassen - von einer Untersuchung des sozialen Kontextes des Bildes: Zu fragen ist nach seinem Urheber, normalerweise dem Künstler; nach dem Auftraggeber, Stifter, Mäzen oder Adressaten einschließlich ihres eventuellen geistigen Anteils an der Urheberschaft unter 37

So Thürlemann

( A n m . 11), 89.

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Einschluß der Frage, ob zu differenzieren ist zwischen den Intentionen von Auftraggeber und Schöpfer eines Werkes; nach Werkstattanteil und anderen beteiligten Herstellern; nach dem Ort und der Zeit der Entstehung; nach den Gründen für die angewandte Technik; nach Original, Replik, Kopie, veränderten Fassungen und anderweitigen Vervielfältigungsformen usw. Zu fragen ist ferner nach den gesellschaftlichen Strukturen und dem zeitgenössischen Geschehen - dem ,Platz' im übergreifenden historischen Prozeß - als Faktoren, durch die Künstler und Auftraggeber, Stifter oder Mäzen in ihrer Mentalität - begriffen als Grundeinstellung von Menschen zu ihrer Zeit, also in Denk-, Anschauungs- und Auffassungsweisen ebenso wie z.B. in Standes- oder Familienbewußtsein oder in Selbsteinschätzung - , in ihrem Verhalten und Handeln geprägt wurden. Ihr soziales Beziehungsgefüge und ihr politisches Umfeld, in das sie hineingewachsen waren, müssen ebenso zu ermitteln versucht werden wie ihre Bildung, ihr Bewußtsein, die Einflüsse von neuen Ideen und generell ihre Lebensumstände. Wichtig sind Erkenntnisse über den Anlaß zur Schaffung des Bildes, warum sein Thema gerade zu der Datierungszeit an einem bestimmten Ort in der vorliegenden Form und Weise durch den ermittelten Hersteller in Übereinstimmung mit oder in unterschiedlicher Absicht zum Auftraggeber/Stifter/Mäzen verbildlicht wurde; wichtig sind Erkenntnisse über den Erwartungshorizont bzw. die Bedeutung, die Auftraggeber/Stifter/Mäzen und/oder Künstler mit dem Werk verbanden und über ihre Mitteilungsabsicht: In welcher Kommunikationsgemeinschaft, für wen oder zu welchem Zweck wurde das Bild gestiftet, in Auftrag gegeben oder vom Künstler eigenständig geschaffen; war es für eine bestimmte Bezugsgruppe vorgesehen - und wenn ja, für welche; wozu ,diente' es dem Auftraggeber/Stifter bzw. dem zeitgenössischen Bildbetrachter; welche Funktionen oder Bedürfnisse hatte es abzudecken: liturgische, didaktische, soziale, rechtliche; welchen Rezeptionsmustern war es zugeordnet, z.B. Teil eines Bildprogrammes; diente es zur Information, Erinnerung, als Lehrmittel, zur Propaganda, als Werbung; war es ein Instrument zur sozialen Anpassung, ein Medium zur Stabilisierung oder zur Veränderung sozialer Verhaltensformen einer Gruppe oder Gesellschaft usw.; sollte das Bild in eine Situation ,eingreifen' oder wurde es hingebracht', welche Einstellungen und Interessen nahm es wahr bzw. suchte es zu beeinflussen, war es überhaupt und gegebenenfalls inwieweit repräsentativ für die Gesellschaft seiner Zeit? Gefragt werden muß nach dem wirkungsgeschichtlichen Kontext - wo das Werk aufbewahrt wurde bzw. wie und für wen es ,erreichbar' oder seine Kenntnisnahme möglich war; wie wurde es gegebenenfalls verbreitet? Welche Erwartungen wurden vom zeitgenössischen Bildbetrachter an das Werk herangetragen, welche Voraussetzungen zu seinem ,Lesen' brachte er mit und über welchen Kenntnisstand zum Thema verfügte er? Wie wurde dem-

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entsprechend ein Kunstwerk in seiner Zeit begriffen und rezipiert bzw. konnte es verstanden werden? Dabei ist zu bedenken, daß Bilder unter Umständen andere Rezipienten fanden als Texte, und daß bei den Bildrezipienten zu unterscheiden ist zwischen intendierten, tatsächlichen und möglichen Rezipienten; außerdem ist zu berücksichtigen, daß Bilder nicht nur als ein Medium der Kommunikation dienten, sondern im Rahmen eines Kommunikationsprozesses auch als ein Mittel zur Ausgrenzung eingesetzt werden konnten. Es interessiert, ob sich das Bild oder ein Bildprogramm in seiner Entstehungszeit durchgesetzt und was es bewirkt hat, welche Gedanken aus ihm übernommen, weiterentwickelt oder vernachlässigt wurden, oder ob es - und gegebenenfalls aus welchen Gründen - nicht aufgenommen, abgelehnt, verworfen, zu unterdrücken versucht wurde. Mit anderen Worten: Der jeweilige ,Gebrauch' von Bildern, die sog. Bildpraxis, ist zu reflektieren, weil beispielsweise der Vorwurf ihrer mißbräuchlichen Nutzung im historischen Geschehen - etwa durch Bildverehrung - zur kritischen Auseinandersetzung mit bildnerischen Werken bis hin zum Bildersturm geführt hat 3 8 . Aber nicht nur der Rolle des bildnerischen Werkes als eines Mediums im zeitgenössischen Kommunikationssystem gilt es nachzuspüren, sondern auch zu ermitteln, in welcher Weise es nachgewirkt hat, später interpretiert, kopiert, verändert, verfälscht oder gar gefälscht worden ist, wodurch solche Eingriffe verursacht wurden und wozu solche Manipulationen dienten. Diese erweiterte ikonographisch-historische Analyse ermöglicht außerdem auch, vor allem über ihren dritten Schritt und unter Heranziehung der komparatistischen Methode 39 die historische Verortung von bildnerischen Werken, für die Panofsky s zweite Stufe - die Ermittlung von Bildinhalten über literarische Quellen aus dem biblischen, mythologischen, historischen oder einem anderweitigen Bezugsfeld - kaum herangezogen werden kann, also für Genremalerei, Landschaftsdarstellungen, Stilleben und Porträts. Zu betonen ist, daß auch auf dieser zweiten Stufe des Untersuchungssystems, also bei der ikonographisch-historischen Analyse, mit Sorgfalt und 38 Martin Warnke (Hrsg.), D i e Z e r s t ö r u n g des K u n s t w e r k s , F r a n k f u r t a . M . 1977. Sergiusz Michalski, Protestanci a sztuka. S p ó r ο obrazy w europie n o w o z y t n e j (Idee i sztuka), W a r s z a w a 1989. Vgl. auch Horst Bredekamp, K u n s t als M e d i u m sozialer K o n f l i k t e . B i l d e r k ä m p f e v o n der S p ä t a n t i k e bis z u r H u s s i t e n r e v o l u t i o n ( e d i t i o n s u h r k a m p , 763), F r a n k f u r t a. M . 1975 u n d Rainer Postel, „ D a t h w y n y c h t m o g h e n n b y l d e n stormer s y n n . " B e m e r k u n g e n z u r B i l d e r f r a g e i n der n o r d d e u t s c h e n Reformationsgeschichte, i n : L u t h e r u n d die F o l g e n f ü r die K u n s t , hrsg. v o n Werner H o f m a n n ( K a t a log der Ausstellung i n der H a m b u r g e r K u n s t h a l l e 1983/84), M ü n c h e n 1983, 267 - 270. Z u l e t z t Bob Scribner / [Martin Warnke] (Hrsg.), B i l d e r u n d B i l d e r s t u r m i m S p ä t m i t t e l alter u n d i n der f r ü h e n N e u z e i t ( W o l f e n b ü t t e l e r Forschungen, 46), Wiesbaden 1990. 39 D a z u Elisabeth Vavra, K u n s t g e s c h i c h t e u n d Realienkunde, i n : D i e E r f o r s c h u n g v o n A l l t a g u n d S a c h k u l t u r des M i t t e l a l t e r s . M e t h o d e - Z i e l - V e r w i r k l i c h u n g (Veröff e n t l i c h u n g e n des I n s t i t u t s f ü r m i t t e l a l t e r l i c h e R e a l i e n k u n d e Österreichs, 6), W i e n 1980, 177.

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Vorsicht gearbeitet werden muß. Welche Folgerungen eine unsaubere Arbeitsweise zeitigte, hat jüngst Konrad Hoffmann analysiert 40 : In seinem berühmten Werk ,über den Prozeß der Zivilisation' hat Norbert Elias 4 1 seine zentrale These der „Verwandlung von Fremdzwängen der feudalen Kriegergesellschaft zum Selbstzwang in der absolutistischen Hofgesellschaft und Stadtkultur" mit Zeichnungen des Hausbuchmeisters aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts belegt, indem er den Bildern im sog. Hausbuch „quellenmäßige Authentizität" zum gesellschaftlichen Umfeld des Rittertums zusprach. Diese Annahme resultierte aus einer Vernachlässigung der gebotenen quellenkritischen Überprüfung auf dem Wege der ikonographisch-historischen Analyse und erweist sich als unzutreffend 42 . Damit erscheint eine Grundlage der These von Elias zum Zivilisationsprozeß zumindest fragwürdig geworden. Die dritte und letzte Stufe seines Modells hat Panofsky als ,Ikonologische Interpretation' bezeichnet - seiner Auffassung gemäß eine „Interpretationsmethode, die aus der Synthese, nicht aus der Analyse hervorgeht" 43 . Was er unter Ikonologie versteht, sei mit seinen Worten wiedergegeben: „Die Entdeckung und die Interpretation dieser symbolischen' Werte (die dem Künstler selber häufig unbekannt sind und die sogar entschieden von dem abweichen können, was er bewußt auszudrücken suchte) sind der Gegenstand dessen, was wir - im Gegensatz zur ,Ikonographie' - ,Ikonologie' nennen können." 4 4 Zentrale Kategorie an „Ausrüstung" zur Interpretation ist für Panofsky die „synthetische Intuition" 4 5 . Was der Begriff beinhaltet und wie dessen Korrektivprinzip aussieht, hat er allerdings wenig genau definiert, und ebenso hätte sein Begriff des „Gehalts" einer schärferen Präzisierung bedurft. Außerdem ist festzustellen, „daß Panofskys Versuch, das Kunstwerk im Dokumentsinn als ,Symptom von etwas anderem' zu sehen, zwar eine konkrete historische Bedeutung des einzelnen Kunstwerkes nicht ausschließt, zu einem Teildokument der , allgemeinen und wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes' idealisiert, wird das Kunstwerk jedoch dabei aus seinerzeitlichen und räumlichen Bedingtheit herausgelöst, zwangsläufig funktionalisiert und somit zum abstrakten Bedeutungsträ40

Hoffmann ( A n m . 21). Norbert Elias, Ü b e r den Prozeß der Z i v i l i s a t i o n . Soziogenetische u n d psychogenetische U n t e r s u c h u n g e n , 2 Bde., 2. v e r m e h r t e A u f l . , B e r n / M ü n c h e n 1969, h i e r Bd. 1: W a n d l u n g e n des Verhaltens i n den w e l t l i c h e n Oberschichten des Abendlandes. 42 Hoffmann ( A n m . 21), 53 f. 43 Erwin Panofsky, S i n n u n d D e u t u n g i n der b i l d e n d e n K u n s t ( M e a n i n g i n the V i s u a l A r t s ) ( D u M o n t K u n s t - T a s c h e n b ü c h e r , 33), K ö l n 1975, 42; s. a u c h Panofsky I I ( A n m . 24), 212. 44 Ebd., 41; d a z u Bätschmann ( A n m . 23), 89. Vgl. auch Wohlfeil ( A n m . 15), A n m . 16 - 18. 45 Panofsky I I ( A n m . 24), 220 ff. m i t 223 (Schema). 41

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ger" 4 6 . Zudem ist seine Ikonologie im Rahmen des geisteswissenschaftlich orientierten Modells einer Erkenntnistheorie und einem Symbolverständnis verhaftet, die keine allgemeine Anerkennung gefunden haben. Dieser dritten Stufe des Schemas wird sogar - wie bereits angeführt - die Funktion einer Methode der Interpretation bestritten 47 . Für die geschichtswissenschaftliche Deutung eines bildnerischen Werkes ist es daher angebracht, von Panofsky abweichend die bildliche Quelle einer historischen K r i t i k zu unterziehen, sie in ihrem umfassenden gesellschaftlichen Kontext auszuwerten und sie auf ihren historischen Dokumentensinn zu befragen. Hierbei müssen die Sehgewohnheiten, Darstellungsweisen und Rezeptionsvorgaben zur Bildentstehungszeit 48 und die jeweilige Bild- und Wahrnehmungstheorie 49 berücksichtigt werden - Bildtheorie zu verstehen als die zeitgenössische Auffassung vom Wesen und der Rechtfertigung eines Bildes sowie seiner zulässigen Nutzung. Dem Forschungsprozeß liegt die historische Methode zugrunde 50 . Die These, daß sich aus einem Kunstwerk als einem ,Überbleibsel' einer vergangenen historischen Wirklichkeit ein historischer Dokumentensinn erschließen läßt, geht von der Annahme aus, daß ebenso wenig wie die komplexe Ganzheit eines Textes ein bildnerisches Werk ausschließlich aus Vorhaben und intendiertem Sinn seines Urhebers historisch zu erklären und zu interpretieren ist 5 1 , sondern vielmehr „einen diese Absicht transzendierenden text-immanenten Sinn haben könnte oder daß der Sinn des Werkes sich erst aus seiner - von der Absicht des Autors losgelösten - Funktion und Wirkung in der zeitgenössischen Welt verstehen ließe" 52 . Für die Deutung ist 46 Martin Knauer, M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen einer h i s t o r i s c h e n I k o n o l o g i e , u n t e r sucht a m B e i s p i e l v o n Callots „ L e s Misères et les M a l h e u r s de l a G u e r r e " , Wissenschaftliche H a u s a r b e i t M a g i s t e r p r ü f u n g , M S H a m b u r g 1990, 14; vgl. u. 43. 47 s.o. 23f. 48 Michael Baxandall, D i e W i r k l i c h k e i t der B i l d e r . M a l e r e i u n d E r f a h r u n g i m I t a l i e n des 15. J a h r h u n d e r t s , F r a n k f u r t a . M . 1984. - Ernst H. Gombrich, B i l d u n d Auge. S t u t t g a r t 1986, sowie seine w e i t e r e n V e r ö f f e n t l i c h u n g e n . - Rudolf W. Keck, Das B i l d als Quelle p ä d a g o g i s c h - h i s t o r i o g r a p h i s c h e r Forschung, i n : I n f o r m a t i o n e n z u r erzieh u n g s - u n d b i l d u n g s g e s c h i c h t l i c h e n Forschung, 32 (1988), 13 - 53. - Generell vgl. e i n f ü h r e n d u n d m i t L i t e r a t u r z u l e t z t Josef Engemann/Klaus Niehr/ Christian Tümpel, A r t . ,Künste, B i l d e n d e ' , i n : Theologische Realenzyklopädie, B d . 20, B e r l i n / N e w Y o r k 1990, 131 - 163. 49 A r t . ,Bilderfrage' i n : R e a l l e x i k o n z u r deutschen Kunstgeschichte, B d . 2, S t u t t gart 1947, N D M ü n c h e n 1983, 561 - 572. - L e x i k o n der K u n s t ( A n m . 30), 545 - 550. Theologische Realenzyklopädie, Bd. 6, B e r l i n / N e w Y o r k 1980, 515 - 568. - Vgl. a u c h Schenda ( A n m . 13), 84 m i t A n m . 10, u n d Boockmann ( A n m . 36), 36f. z u m Lesen v o n B i l d e r n , sowie Scribner, Das Visuelle i n der V o l k s f r ö m m i g k e i t , i n : ders. ( A n m . 38), 9 - 20, bes. 10ff., u n d ders., Reformatorische B i l d p r o p a g a n d a , i n diesem B a n d 83 - 106, h i e r 88ff. z u r m i t t e l a l t e r l i c h e n B i l d - u n d Sehenslehre. 50

Meier/Rüsen ( A n m . 7). D e r E i n w a n d v o n Kurt Badt, M o d e l l u n d M a l e r v o n J a n Vermeer. Probleme der I n t e r p r e t a t i o n . E i n e S t r e i t s c h r i f t gegen H a n s S e d l m a y r , K ö l n 1961, 1 2 - 1 7 , gegen „ d i e L e h r e v o n d e m u n b e w u ß t e n Schaffen" k a n n n i c h t überzeugen. 51

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demnach der Sachzusammenhang wichtig, in dem ein Kunstwerk entstand und wirkt. Der Künstler kann seinem Werk durch Einreihung in Traditionen oder durch unreflektierte Konzessionen gegenüber Wertvorstellungen des Auftraggebers/Stifters oder intendierten Rezipientens unbeabsichtigt Strukturen vermittelt haben, die sich einer späteren Deutung in ihrer geschichtlichen Bedingtheit als historischer Sinn erschließen. Es mag sich auch um Gehalte handeln, die unbewußt von Seiten des Künstlers in sein Werk eingeflossen sind, da dieses als Kommunikationsmedium unwillkürlich gesellschaftliche Strukturen und Mentalitäten spiegelt. Ein Bild kann unter Umständen außerdem Aussagen in einer Weise verdichtet enthalten, die über andere Quellen nur mühsam oder gar nicht zu erschließen sind, kann Ängste, Freuden, Stimmungen oder Zeitgefühl aufzeigen, bevor sie sprachlich fixiert worden sind - beispielsweise Anfang und Entwicklungsstadien eines historischen Prozesses, der in der Gegenwart mit dem Begriff ,Umdenken' qualifiziert wird, als vergangener gesellschaftlicher Vorgang in einer schriftlichen Überlieferung aber erst faßbar ist, wenn er über seine Ergebnisse festgehalten wurde. Und ebenso können sich in einem Bild Tendenzen dann noch niederschlagen, wenn sie sprachlich - in der Literatur bereits nicht mehr thematisiert werden. Hier eignet einem bildnerischen Werk die Bedeutung eines unmittelbaren Zeugnisses vergangener Wirklichkeit. Historische Erkenntnisse, die mittels des Entstehungszusammenhangs eines Kunstwerkes gewonnen werden, lassen sich einordnen als zunächst verborgene Mitteilungen unmittelbar „uns nicht mehr verfügbare[r] Ausdrucksformen gesellschaftlich gebundener Individuen" 5 3 , die sich erst gezielten Fragestellungen offenbaren - beispielsweise dem Historiker in der Gegenwart. Daß grundsätzlich ein Spannungsverhältnis zwischen jenem gesetzten Sinn besteht, den der Schöpfer mit seinem Werk zu vermitteln anstrebte, und dem, den vor allem spätere Interpreten in ihm erkennen, resultiert aus dem Wesen eines Kunstwerkes. Ihm ist immanent, neue Sinnverbindungen über seine Rezipienten zu stiften. Daß es demzufolge unterschiedlich gedeutet werden kann, weil jede Interpretation zeit-, standortund subjektgebunden ist, bedarf keiner weiteren Erklärung 5 4 . Wird unbeschadet dieses Sachverhalts der Kunst die Funktion eines sozialen Gedächtnisses zuerkannt und das Bild als Teil des gesellschaftlichen Prozesses und damit als „ein Ergebnis vorgängiger geschichtlicher Auseinandersetzungen" 55 begriffen, stellt sich als letzter methodischer Akt 52 Thomas Nipperdey, D i e U t o p i a des T h o m a s M o r u s u n d der B e g i n n der Neuzeit, i n : ders., R e f o r m a t i o n , R e v o l u t i o n , U t o p i e . S t u d i e n z u m 16. J a h r h u n d e r t ( K l e i n e V a n denhoeck-Reihe, 1408), G ö t t i n g e n 1975, 113 - 146, h i e r 114. 53 Axel von Criegern, B i l d e r i n t e r p r e t i e r e n , Düsseldorf 1981, 45. 54 Vgl. Uwe BaumannI Hans Peter Heinrich, Thomas Morus. H u m a n i s t i s c h e S c h r i f t e n (Erträge der Forschung, 243), D a r m s t a d t 1986, 168f. m i t A n m . 127.

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die Aufgabe, den Befund der beiden ersten Stufen vornehmlich kunsthistorischer Analysen und historischen Erklärens zu konfrontieren mit dem geschichtswissenschaftlichen Kenntnisstand der Gegenwart über jene vergangene historische Wirklichkeit, in der das Bild als eine „Artikulation der Gesellschaft" entstand, für die es als ein historisches Dokument dienen kann 5 6 . Die geschichtswissenschaftlich interpretierende dritte Stufe, das Erschließen des historischen Dokumentensinns, grenzt sich im allgemeinen als ein reflektierter, auf die spekulative Erfassung der Ganzheit des Werkes betont verzichtender 57 , sich also auf ein geschichtswissenschaftliches Erkenntnisinteresse am Bild beschränkender Akt von den vorangegangenen Arbeitsschritten durch einen instrumentellen ,Zeitsprung' im Denken ab: Auf den Stufen der vor-ikonographischen Beschreibung und der ikonographischhistorischen Analyse begegnet der Historiker dem Kunstwerk im allgemeinen mit Fragestellungen, die schon in der Vergangenheit - vor allem zur Entstehungszeit des Werkes - hätten aufgeworfen werden können. In einem letzten methodischen Arbeitsvorgang nutzt der Historiker die historische Distanz zum Untersuchungsgegenstand und strebt nunmehr an, durch einen Wechsel der Perspektive geschichtswissenschaftliche Probleme über Fragen an das Bild zu lösen, die sich auf der Grundlage des heutigen historischen Wissens aus seinem leitenden Erkenntnisinteresse ergeben. Bei diesem Arbeitsverfahren 58 strukturiert er seine Aussagen dadurch, daß er auf der Basis seiner mittels der Bildanalyse erarbeiteten Kenntnisse an die historische Bildinterpretation mit Aufgabensetzungen herangeht, die eine Lösung erwarten lassen. Zur Ermittlung des historischen Dokumentensinnes eines Kunstwerkes spielt also die auf dem Wege des heuristischen Prinzips an das Bild im Kontext eines integralen Syntheseansatzes herangetragene sinnvolle perspektivische Fragestellung eine zentrale Rolle, weil sie die Bahnen eingrenzt, innerhalb derer deutend zu erklären angestrebt wird, was dem Bild an zeit- und raumspezifischen Aussagen zu menschlichem Leben und gesellschaftlichen Prozessen zu entnehmen ist. Die Spannweite der Fragestellung wird eingeschränkt durch die historische K r i t i k der Materialien mit Reflexion über die generell möglichen Quellenaussagen, ist orientiert an theoriebezogenen Thesen zur historischen 55 W a r b u r g n a c h Martin Warnke, V i e r S t i c h w o r t e : I k o n o l o g i e - P a t h o s f o r m e l P o l a r i t ä t u n d A u s g l e i c h - S c h l a g b i l d e r u n d Bilderfahrzeuge, i n : D i e Menschenrechte des Auges. Ü b e r A b y W a r b u r g , F r a n k f u r t a . M . 1980, 74. 56 So i m Verständnis v o n A b y M . W a r b u r g , dagegen Oskar Bätschmann, Einführ u n g i n die k u n s t g e s c h i c h t l i c h e H e r m e n e u t i k . D i e A u s l e g u n g v o n B i l d e r n (Die K u n s t wissenschaft), 3. A u f l . , D a r m s t a d t 1988, 70. 57 Z u r These, f ü r k u n s t h i s t o r i s c h e Befassung m i t einem B i l d sei „ T o t a l i t ä t als wesentliches K r i t e r i u m echter I n t e r p r e t a t i o n ... v o n entscheidender B e d e u t u n g " - so Badt ( A n m . 50), 23, vgl. Hoffmann ( A n m . 23). 58 Rüsen ( A n m . 7), 62 - 80, bes. 75f.

3 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

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Erklärung der bearbeiteten vergangenen Wirklichkeit und ausgerichtet auf die Möglichkeit, daß dem Bild ,Nachrichten' zu entnehmen sind, die sein Schöpfer nicht reflektiert hat oder gar nicht in Betracht ziehen konnte bzw. zu übermitteln sich nicht als Aufgabe gesetzt hatte. Durch seine Deutung als der „methodischen Operation des interpretierenden Rückbezuges ... auf die Sinn und Bedeutung verleihenden historischen Theorien" 59 strebt der Historiker an auszusagen, was das bildnerische Werk über das Thema und den ihm seitens des Künstlers mitgegebenen intendierten tieferen Sinn hinaus an Erkenntnissen vermittelt. Ihr Korrektivprinzip findet die Befragung nach dem historischen Dokumentensinn in anderen, vornehmlich schriftlich überlieferten Materialien. Korrektivprinzip bedeutet in diesem Falle jedoch nicht, daß eine Bildaussage deshalb falsch sein muß, weil sich ihr Gehalt nicht aus anderen Quellen belegen läßt. Hierin kann vielmehr ihr spezifischer, den historischen Kenntnisstand erweiternder Wert beruhen. Auch für die geschichtswissenschaftliche Arbeit mit Bildern gilt als Prämisse: „Forschung ist der methodisch geregelte und daher intersubjektiv überprüfbare Schritt von möglichen zu wirklichen Antworten. Sie erschließt die Quelleninformation im Licht der durch Standpunktreflexion gewonnenen und theoretisch vorentworfenen Perspektiven und arbeitet die Informationen aus den Quellen in diese Perspektiven ein .. ." 6 0 . Daraus folgert, daß mittels des jeweiligen Erkenntnisinteresses durch gezieltes Befragen auf der Grundlage von historischer Distanz, eingebrachtem Wissen und theorieförmigem Entwurf das Ergebnis einer Bild-Untersuchung zwar gelenkt wird, zugleich aber auch über Bilder als Faktor im Geschehen oder in dessen Widerspiegelung ein Teil der vergangenen historischen Wirklichkeit interpretativ zu ermitteln ist und geschichtswissenschaftlich relevante Aussagen über gesellschaftliche Beziehungen, ihren Wandel und ihre Bewältigung zu erhalten sind 61 , durch den 59

Ebd., 76. Ebd., 72. 61 Vgl. H a m b u r g e r S t u d i e n , w i e Rainer Brüning, „ K r i e g s - B i l d e r " . W i e die F l u g s c h r i f t e n ü b e r die S c h l a c h t b e i P a v i a (1525), d e n Sacco d i R o m a (1527) u n d die B e l a gerung Wiens (1529) b e r i c h t e n , i n : M i l i t ä r g e s c h i c h t l i c h e M i t t e i l u n g e n 45 (1989), 1 3 - 4 3 m i t Verweis i n A n m . * auf seine ausführlichere M a g i s t e r a r b e i t . - Ilse Deike/ Annette Reichel, P a x veneta, i n : F o r s c h u n g e n u n d B e r i c h t e 31, 1 6 9 - 1 8 1 . - Ruth Kastner, G e i s t l i c h e r Rauffhandel. F o r m u n d F u n k t i o n der i l l u s t r i e r t e n F l u g b l ä t t e r z u m R e f o r m a t i o n s j u b i l ä u m 1617 i n i h r e m h i s t o r i s c h e n u n d p u b l i z i s t i s c h e n K o n t e x t ( M i k r o k o s m o s , 11), F r a n k f u r t a . M . / B e r n 1982. - Talkenberger ( A n m . 16). - Christian Torner, U n t e r s u c h u n g e n z u einem H i s t o r i e n b i l d des 19. J a h r h u n d e r t s . H a n s M a k a r t : D e r E i n z u g K a r l s V. i n A n t w e r p e n (1878), Wissenschaftliche H a u s a r b e i t M a g i s t e r p r ü fung, M S H a m b u r g 1990. - Rainer und Trudl Wohlfeil, N ü r n b e r g e r B i l d e p i t a p h i e n . Versuch einer F a l l s t u d i e z u r h i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Z H F 12 (1985), 129 - 180 u n t e r M i t w i r k u n g v o n V i k t o r i a S t r o h b a c h ; dies., J a n d . Ä . B r u e g h e l u n d H e n d r i c k v a n B a i e n d . Ä . : D i e Weissagungen des P r o p h e t e n Jesaias, i n : Friedensgedanke u n d F r i e d e n s b e w a h r u n g a m B e g i n n der Neuzeit. B e i t r ä g e einer wissenschaftlichen Konferenz v o m 6. u n d 7. M a i 1986, hrsg. v o n Siegfried H o y er u n d W i e l a n d H e l d (Wissenschaftliche Beiträge der K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t L e i p z i g , Reihe Gesellschaftswissenschaften), 60

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historischen Dokumentensinn eines Kunstwerkes authentisches historisches Geschehen vermittelt werden kann.

L e i p z i g 1987, 60 - 83; dies., ,Frieden i n der K u n s t 4 , i n : O r i e n t i e r u n g . B e r i c h t e u n d A n a l y s e n aus der A r b e i t der Evangelischen A k a d e m i e N o r d e l b i e n , H . 2 (1987), 21 - 33; dies., V e r b i l d l i c h u n g e n ständischer Gesellschaft. B a r t h o l o m ä u s B r u y n d. Ä . - P e t r a r cameister ( m i t E x k u r s e n v o n M a r l i e s M i n u t h u n d H e i k e Talkenberger), i n : Ständische Gesellschaft u n d soziale M o b i l i t ä t , hrsg. v o n W i n f r i e d Schulze ( S c h r i f t e n des H i s t o r i schen Kollegs, K o l l o q u i e n 12), 269 - 331; dies., Stände u n d Konfessionen. L u c a s C r a n a c h d. J.: „ D i e P r e d i g t Johannes des Täufers". B a r t h o l o m ä u s B r u y n d . Ä . : „ D i e D r e i Stände der C h r i s t e n h e i t " i m Vergleich, i n : D i e B i l d u n g des f r ü h m o d e r n e n Staates Stände u n d Konfessionen, hrsg. v o n H e i n e r T i m m e r m a n n ( F o r u m : P o l i t i k , 6 - D o k u mente u n d S c h r i f t e n der E u r o p ä i s c h e n A k a d e m i e Otzenhausen, 62), S a a r b r ü c k e n Scheidt 1989, 263 - 292. - Verwiesen sei abschließend a u f die S t u d i e n , die i m Z u s a m m e n h a n g m i t der E d i t i o n »Deutsche i l l u s t r i e r t e F l u g b l ä t t e r des 16. u n d 17. J a h r h u n derts', hrsg. v o n Wolfgang Harms u.a., bisher Bde. 1 - 4 , M ü n c h e n 1980 - T ü b i n g e n 1989, entstanden sind; d a z u s.u. 254f. m i t A n m . 157, sowie f ü r Rolle u n d B e d e u t u n g v o n A u f t r a g g e b e r u n d S t i f t e r z u l e t z t Wolf gang Schmid, S t i f t e r u n d A u f t r a g g e b e r i m s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e n K ö l n , P h i l . Diss, masch. T r i e r 1990, z u m D r u c k vorgesehen i n den V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des K ö l n i s c h e n Stadtmuseums, K ö l n 1991. 3:

.Dokumentsinn" - „historischer Dokumentensinn" Überlegungen zu einer historischen Ikonologie

Von Martin Knauer, Hamburg Aby Warburg verband seine 1912 vor dem X. Internationalen Kongreß für Kunstgeschichte vorgestellte Deutung des Freskenzyklus im Palazzo Schifano] a in Ferrara mit der Forderung nach einer „methodischen Grenzerweiterung" der Kunstwissenschaft. In einem als „ikonologische Analyse" und „ikonologische Quellenuntersuchung" bezeichneten Verfahren gelang es hier, durch eine Gegenüberstellung der Fresken mit bildlichen und literarischen Quellen unterschiedlichster Kulturen und Epochen, die rätselhaften astrologischen Figuren in ihrer geschichtlich gewandelten Bedeutung zu klären 1 . Diese aus kunstwissenschaftlicher Sicht grenzerweiternde Verfahrensweise entwickelte sich nicht zufällig an einem Kunstwerk der Renaissance. Warburgs damaliges Hauptanliegen, der Nachweis eines Weiterlebens der Antike in der Kunst der Frührenaissance, gründete sich auf einer in erster Linie historischen Fragestellung. Ikonologische Methodik richtet sich in zweifacher Hinsicht an die Geschichtswissenschaft: Das Kunstwerk, als unauflöslicher Bestandteil der Gesamtkultur, kann nur auf interdisziplinärem Wege sowie unter Zuhilfenahme der historischen Forschung gedeutet werden. Zweitens setzt dabei die Einbeziehung aller Arten bildlicher und schriftlicher Quellen ein historisch-kritisches Verfahren voraus 2 . Aufgrund dieser Kriterien, verstanden als Öffnung der Kunstwissenschaft zur Geschichte, wird ersichtlich, daß 1 Aby Warburg, Italienische K u n s t u n d i n t e r n a t i o n a l e A s t r o l o g i e i m Palazzo S c h i f anoja z u F e r r a r a (1912), i n : ders., Gesammelte S c h r i f t e n (d. B i b l i o t h e k W a r b u r g ) , hrsg. v. G e r t r u d B i n g u n t e r M i t a r b . v. F r i t z Rougemont, Bd. 2, ders., D i e E r n e u e r u n g der heidnischen A n t i k e - K u l t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e Beiträge z u r Geschichte der europäischen Renaissance, L e i p z i g / B e r l i n 1932, 459 - 481, 459, 478. Z u r Geschichte des Begriffes „ I k o n o l o g i e " b e i W a r b u r g vgl. Dieter Wuttke, N a c h w o r t , i n : ders. (Hrsg.) i n Verb, m i t C a r l Georg Heise, A b y W a r b u r g . A u s g e w ä h l t e S c h r i f t e n u n d W ü r d i g u n g e n (Saecula s p i r i t a l i a , 1), B a d e n - B a d e n 1979, 601 - 638, insbes. 625 - 638. 2 Vgl. Edgar Wind, W a r b u r g s B e g r i f f der K u l t u r w i s s e n s c h a f t u n d seine B e d e u t u n g f ü r die Ä s t h e t i k , i n : E k k e h a r d K a e m m e r l i n g (Hrsg.), I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e . T h e o r i e n - E n t w i c k l u n g - Probleme. B i l d e n d e K u n s t als Zeichensystem, Bd. 1, 4. A u f l . , K ö l n 1987, 165 - 184, 171 (unter demselben T i t e l erstmals i n : Z e i t s c h r i f t f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 25 (1931), B e i h e f t 4: K o n g r e ß f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 7. - 9. O k t o b e r 1930, 163 - 179); Martin Warnke, I k o n o l o g i e , i n : W e r n e r H o f m a n n / G e o r g S y a m k e n / M a r t i n W a r n k e , D i e M e n schenrechte des Auges. Ü b e r A b y W a r b u r g , F r a n k f u r t a . M . 1980, 55 - 61, 58.

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Warburg nicht nur als „Vater der Ikonologie", sondern vor allem als Historiker gesehen werden muß 3 . Die anschließenden Betrachtungen lassen sich von der Einsicht leiten, daß die ikonologische Frage nach der Bedeutung von Kunst zugleich eine historische ist. Da jedes Kunstwerk unter bestimmten, ihm eigenen und zugleich einzigartigen geschichtlichen Umständen entsteht, beruht ikonologische Deutung notwendigerweise auf der vom Gegenstand abhängigen jeweils Richtigen' Einordnung in dessen historische Entstehungsbedingungen. Vor dem Hintergrund wechselseitiger Beeinflussung zwischen Kunstwissenschaft und Geschichte, geht es im folgenden anhand von Wohlfeils ,historischem Dokumentensinn' um die begriffsgeschichtliche Herausarbeitung der Grundlagen Panofskyscher Terminologie im Sinne einer theoretischen Überlegung zur methodischen Reichweite historischer Ikonologie. Hierbei gilt es zunächst, Panofskys Ikonologie als historische Methode (I) sowie wichtige Grundzüge des ikonologischen Verfahrens (II) kurz vorzustellen, Ausgangslage für Panofskys Begriff ,Dokumentsinn' (III) und Wohlfeils ,historischen Dokumentensinn' (IV). Mit der Frage nach der geschichtlichen und daher auch geschichtswissenschaftlichen Einordnung des Kunstwerkes folgen abschließend einige Grundgedanken über die Anforderungen und Bedingungen historischer Ikonologie bezüglich der Deutungspraxis (V). I. Panofsky 4 sah sein System zur ikonologischen Deutung von Werken der Bildenden Kunst 5 als ein Modell für andere geisteswissenschaftliche Disziplinen. So wie die Kunstwissenschaft, im Bestreben, die „eigentliche Bedeutung" im Kunstwerk herauszufinden, sich anderer Formen geschichtlicher Überlieferungen bediene, könne auch umgekehrt der politische Historiker vom Kunstwerk analogen Gebrauch machen 6 . 3 William S. Heckscher, D i e Genesis der I k o n o l o g i e , i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 2), 112 - 164, 113 (unter d e m T i t e l „ T h e Genesis of I c o n o l o g y " , i n : S t i l u n d Ü b e r l i e f e r u n g i n der K u n s t des Abendlandes. A k t e n des 21. I n t e r n a t i o n a l e n Kongresses f ü r K u n s t g e schichte i n B o n n 1964 [Theorien u n d Probleme, 3] 239 - 262); ebenso G. J. Hoogewerff, D i e I k o n o l o g i e u n d i h r e w i c h t i g e R o l l e b e i der systematischen Auseinandersetz u n g m i t c h r i s t l i c h e r K u n s t , i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 2), 81 - 111, 88 (unter d e m T i t e l „ L ' I c o n o l o g i e et son i m p o r t a n c e p o u r l ' é t u d e systématique de l ' a r t c h r é t i e n " [Vortrag, gehalten v o r d e m I n t e r n a t i o n a l e n H i s t o r i k e r - K o n g r e ß Oslo 1928 v o r der S e k t i o n f ü r I k o n o g r a p h i e ] , i n : R i v i s t a d i A r c h e o l o g i a C h r i s t i a n a , 8 [1931], 53 - 82). 4 D i e b e i d e n z e n t r a l e n Aufsätze Panofskys z u r I k o n o l o g i e sowie die A r b e i t e n anderer A u t o r e n z u m selben T h e m a s i n d d e m S a m m e l b a n d K a e m m e r l i n g s e n t n o m m e n . O b w o h l die Entstehungszeit der einzelnen S c h r i f t e n gerade b e z ü g l i c h der begriffsges c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g e n v o n B e d e u t u n g ist, w i r d a u f g r u n d der g u t e n Ü b e r s i c h t u n d des bequemen Zugangs n a c h K a e m m e r l i n g z i t i e r t . N a c h d e m gleichen G r u n d s a t z w i r d m i t den A u f s ä t z e n Panofskys über das „ K u n s t w o l l e n " sowie „ K u n s t g e s c h i c h t e als geisteswissenschaftliche D i s z i p l i n " verfahren, die an besser e r r e i c h b a r e m O r t erneut herausgegeben w u r d e n . 5 O b w o h l Panofsky W a r b u r g s V o r s t e l l u n g e n z u r I k o n o l o g i e k a n n t e (er w a r 1912 i n R o m e i n H ö r e r dessen Vortrages), bezieht er sich n a m e n t l i c h n i c h t auf W a r b u r g (vgl. d a z u Wuttke [ A n m . 1], 625f.). 6 Erwin Panofsky, I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e , i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 2), 207 225, 221 f.

,Dokumentsinn" - „historischer Dokumentensinn"

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Dieses ,Angebot' wurde seitens der Geschichtswissenschaft erst spät aufgegriffen. 1982 stellte Wohlfeil Panofskys Verfahren vor als eine Methode „zur umfassenden geschichtswissenschaftlichen Erschließung von Bildern" mit dem Ziel, „den historischen ,Dokumentensinn' jeder bildlichen Darstellung zu erfassen" 7. Wohlfeil ging es vor allem darum, die für eine weiterführende Nutzung von Bildern bislang unzulänglichen geschichtswissenschaftlichen Forschungsansätze mit Hilfe Panofskys ikonologischen Deutungssystems auf eine breitere Grundlage zu stellen und zugleich auf diesem Gebiet eine geschichtswissenschaftliche Methodenreflexion anzuregen 8. Das Bestreben, den wissenschaftlichen Gebrauch von Bildern unter eine leitende Frage zu stellen, führt bei Wohlfeil mit der Forderung nach einer sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise 9 zur ausdrücklichen Erweiterung der Methode Panofskys. Das Kunstwerk hinsichtlich der „inneren Strukt u r " 1 0 , nach seiner „eigentlichen Bedeutung" im ,Dokumentsinn' untersucht - Panofskys zentralem Begriff ikonologischer Deutung - wird bei Wohlfeil in sein „historisches Umfeld" eingeordnet und im ,historischen Dokumentensinn' interpretiert 11 . Diese Umformung vom ,Dokumentsinn' zum ,historischen Dokumentensinn', verstanden als der Versuch, Bilder vornehmlich nach ihren historischen Entstehungzusammenhängen zu untersuchen, bildet die Ausgangslage für die Frage nach der Ikonologie als historischer Methode. Die von Wohlfeil vorgestellte Fortentwicklung des kunstwissenschaftlichen Ansatzes von Panofsky zu einer geschichtswissenschaftlichen Methode steht dabei in einem zu überprüfenden Verhältnis zu Panofskys Auffassung von einem zur Geschichtswissenschaft hin offenen Modell. Dies macht es notwendig, das ikonologische Deutungssystem in Bezug auf geschichtswissenschaftliche Fragestellungen zu untersuchen. Erst die im folgenden zu leistende Herausstellung des Panofskyschen Geschichtsverständnisses als der Grundlage 7 Rainer und Trudl Wohlfeil, Das L a n d s k n e c h t s - B i l d als geschichtliche Quelle. Ü b e r l e g u n g e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : M i l i t ä r g e s c h i c h t e . Probleme - Thesen - Wege. I m A u f t r a g des M i l i t ä r g e s c h i c h t l i c h e n Forschungsamtes aus A n l a ß seines 2 5 j ä h r i g e n Bestehens ausgew. u. zusgst. v. M a n f r e d Messerschmidt u.a. (Beiträge z u r M i l i t ä r - u n d Kriegsgeschichte, 25) S t u t t g a r t 1982, 81 - 99, 88; dies., L a n d s k n e c h t e i m B i l d . Ü b e r l e g u n g e n z u r »Historischen B i l d k u n d e ' , i n : Peter B l i c k l e (Hrsg.), Bauer, Reich u n d R e f o r m a t i o n . Festschrift f ü r G ü n t h e r F r a n z z u m 80. Geburtstag, S t u t t g a r t 1982, 104 - 119, 107 ( i m folgenden z i t i e r t : L a n d s k n e c h t e I, L a n d s k n e c h t e II). 8 Siehe insbes. Rainer Wohlfeil, Das B i l d als Geschichtsquelle, i n : H Z 243 (1986), 91 - 100. 9 Rainer Wohlfeil, L u t h e r d e u t u n g e n 1983 u n t e r sozialgeschichtlicher B e t r a c h tungsweise, i n : G ü n t h e r Klages (Hrsg.), L u t h e r - D e k a d e 1983. R e f o r m a t i o n i n H i l d e s heim, H i l d e s h e i m 1984, 49 - 71, insbes. 50. 10 Erwin Panofsky, Z u m P r o b l e m der B e s c h r e i b u n g u n d I n h a l t s d e u t u n g v o n W e r k e n der b i l d e n d e n K u n s t , i n : K a e m m e r l i n g ( A n m . 2), 185 - 206, 200. 11 Z u m B e g r i f f „historisches U m f e l d " oder auch „geschichtliches U m f e l d " siehe Rainer und Trudl Wohlfeil u n t e r M i t w . v. Viktoria Strohbach, N ü r n b e r g e r B i l d e p i t a phien. Versuch einer F a l l s t u d i e z u r h i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Z H F 12 (1985), 129 180, 168, 172, 174.

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des erweiterten Ikonologiebegriffes Wohlfeils 12 bietet die Voraussetzung, um nach den im ,historischen Dokumentensinn' enthaltenen methodischen Möglichkeiten einer historischen Ikonologie zu fragen. II. Die bisher verkürzt als ikonologische Methode bezeichnete Bedeutungsanalyse Panofskys erkennt am Kunstwerk drei Sinnschichten, deren Deutung auf unterschiedlichen Ebenen verläuft. Die hier im Vordergrund stehende ikonologische Interpretation, die als höchste Stufe das Kunstwerk hinsichtlich eines „letzten wesensmäßigen Gehaltes" im ,Dokumentsinn' deutet 13 , setzt die „vorikonographische Beschreibung" und „ikonographische Analyse" als ersten und zweiten Deutungsakt voraus. Die vorikonographische Beschreibung bezieht sich auf die „primäre" Sinnschicht des Kunstwerkes, die „Region des Phänomensinns", welche dem Ikonologen aufgrund seiner „vitalen Daseinserfahrung" unmittelbar zugänglich sei 14 . Hierbei wird das Kunstwerk in seinen tatsachen- und ausdruckshaften Aussagen untersucht, um die künstlerischen Motive zu erfassen 15. Auf der Ebene der ikonographischen Analyse, die sich erst durch ein literarisch übermitteltes Wissen erschließt, gilt es, die Verknüpfung der künstlerischen Motive mit Themen oder Konzepten im Bedeutungssinn zu untersuchen 16 . Diese Grundzüge der ikonologischen Methode finden sich in zwei unterschiedlichen Aufsätzen, in denen Panofsky nach 1930 seine Bedeutungsanalyse entwickelte 17 . Obgleich die zweite Version von 1939 durch die Anlehnung an den Symbolbegriff Cassirers vor allem auf der Stufe der ikonologischen Interpretation zu einer neuen Terminologie führte 18 , erscheint es berechtigt, beide Schriften hinsichtlich ihrer Methodologie als analog anzusehen19. Zugleich zeigen sie jedoch eine sich ändernde Einstellung Panofskys zum Verhältnis zwischen Kunstwerk und Geschichte. So entspricht in der Fassung von 1932 die Suche nach dem „letzten wesensmäßigen Gehalt", als 12 W o h l f e i l v e r w e n d e t s t a t t der Begriffe ,Ikonologie' oder ,historische I k o n o l o g i e ' die B e z e i c h n u n g »Historische B i l d k u n d e ' . 13 Panofsky ( A n m . 10), 200. 14 Ebd., 188. 15 Panofsky ( A n m . 6), 210. 16 Panofsky ( A n m . 10), 188. Z u r d r i t t e n Stufe Panofskys siehe auch i n diesem B a n d Rainer Wohlfeil, M e t h o d i s c h e R e f l e x i o n e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , 1 7 - 3 5 . 17 Panofsky ( A n m . 10) u n t e r demselben T i t e l erstmals erschienen, i n : Logos 21 (1932), 103 - 119; Panofsky ( A n m . 6) ist eine ins Deutsche übertragene, stellenweise veränderte Fassung des g l e i c h n a m i g e n Aufsatzes aus: Erwin Panofsky, Studies i n Iconology, N e w Y o r k 1939. 18 „ V o r i k o n o g r a p h i s c h e B e s c h r e i b u n g " , „ i k o n o g r a p h i s c h e A n a l y s e " sowie „ i k o n o logische I n t e r p r e t a t i o n " w e r d e n als die formellen Bezeichnungen des j e w e i l i g e n I n t e r pretationsaktes erst zu diesem Z e i t p u n k t eingeführt. 19 Vgl. Renate Heidt, E r w i n Panofsky. K u n s t t h e o r i e u n d E i n z e l w e r k ( D i s s e r t a t i o nen z u r Kunstgeschichte, 2) K ö l n / W i e n 1977, 255 f.

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einem „absoluten Sinn" 2 0 des Kunstwerkes, der Vorstellung von einer,absoluten Geschichte': Die „subjektive Gewaltanwendung" im Vorgang der Kunstinterpretation fände ihre Grenzen in der „objektiven Geschichtlichkeit", in einer „Sphäre historischer Faktizität" 2 1 . Demgegenüber liegt 1939 Panofskys Schwerpunkt auf der Frage nach der Auswirkung der wechselnden historischen Bedingungen auf das Kunstwerk 2 2 ; dieses hier gesehen in seiner vom geschichtlichen Wandel bewirkten Bedeutung. Der Begriff des Dokumentsinns verdeutlicht auf diese Weise nicht nur den Zusammenhang von Kunstwerk und Geschichte aus Sicht der Ikonologie, er ist zugleich ein entscheidendes Bindeglied in Panofskys erkenntnistheoretischer Entwicklung vom ,überhistorisch' transzendenten Kunstbegriff 23 zu jener Kunstanschauung, die an erster Stelle die historische Bedingtheit der Kunst herauszustellen bestrebt ist 2 4 . III. Panofsky berief sich mit der Einführung des ,Dokumentsinns', als höchster Stufe ikonologischer Interpretation, auf einen Ausdruck Mannheims 25 . Diesem ging es bei einer methodischen Bestimmung des Weltanschauungsbegriffes um das Auffinden jener „Weltanschauungstotalität', die sich „hinter sämtliche(n) Kulturobjektivationen" befände 26 . Das Erkennen 20 Hans Fiebig, D i e G e s c h i c h t l i c h k e i t der K u n s t u n d i h r e Z e i t l o s i g k e i t . E i n e h i s t o rische R e v i s i o n v o n Panofskys P h i l o s o p h i e der Kunstgeschichte, i n : R o l a n d S i m o n S c h ä f e r / W a l t e r Chr. Z i m m e r l i (Hrsg.), Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften. K o n z e p t i o n e n - Vorschläge - E n t w ü r f e , H a m b u r g 1975, 141 - 161, 141. 21 Panofsky ( A n m . 10), 202 f. Panofsky unterscheidet b e i m D e u t u n g s v o r g a n g z w i schen der s u b j e k t i v e n Quelle der I n t e r p r e t a t i o n , f ü r die der I k o n o l o g e auf der Stufe des D o k u m e n t s i n n s sein „ w e l t a n s c h a u l i c h e s U r v e r h a l t e n " u n d d a m i t eine „ a b s o l u t persönliche E r k e n n t n i s q u e l l e " a n w e n d e n w ü r d e u n d einer deshalb b e n ö t i g t e n „ K o r r e k t u r i n s t a n z " , welche der Geschichte als einer A r t „ O b e r i n s t a n z " z u k o m m e (ebd., 194, 201). Z u diesem e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n P r o b l e m siehe auch Fiebig ( A n m . 20), 155 ff. 22 Panofsky ( A n m . 6), 219 ff. 23 Vgl. D i t t m a n n s V o r w u r f , Panofsky suche „ d e n a r c h i m e d i s c h e n P u n k t außerhalb der Geschichte" (Lorenz Dittmann, Z u r K r i t i k der k u n s t w i s s e n s c h a f t l i c h e n S y m b o l theorie, i n : K a e m m e r l i n g [ A n m . 2], 329 - 352, 338; zugl. auszughafter u n d ü b e r a r b e i teter W i e d e r a b d r u c k der Seiten 125 - 139 v. Lorenz Dittmann, Stil - Symbol - Strukt u r . S t u d i e n z u K a t e g o r i e n der Kunstgeschichte, M ü n c h e n 1967). 24 Erwin Panofsky, K u n s t g e s c h i c h t e als geisteswissenschaftliche D i s z i p l i n . E i n f ü h r u n g , i n : ders., S i n n u n d D e u t u n g i n der b i l d e n d e n K u n s t ( M e a n i n g i n the V i s u a l A r t ) , N e u a u f 1., K ö l n 1978, 7 - 35. ( U n t e r d e m T i t e l „ T h e H i s t o r y of A r t as a H u m a n i s t i c D i s c i p l i n e " erschienen i n : The M e a n i n g of the H u m a n i t i e s , hrsg. v. T. M . Greene, P r i n c e t o n [N. J.] 1940, 89 - 118). Panofsky sieht h i e r i m Geisteswissenschaftler den H i s t o r i ker, der sich jenen m e n s c h l i c h e n Zeugnissen w i d m e , die „aus dem S t r o m der Z e i t a u f t a u c h e n " (ebd., 11, 27). 25 Karl Mannheim, Beiträge z u r Theorie der W e l t a n s c h a u u n g s i n t e r p r e t a t i o n , i n : J a h r b u c h f ü r Kunstgeschichte, 1 (15) 1921/1922, W i e n 1923, 236 - 274. T a t s ä c h l i c h läßt sich Panofskys A n s a t z sogar w e s e n t l i c h auf M a n n h e i m z u r ü c k f ü h r e n . Vgl. die geistesgeschichtliche Ausgangslage; die dreistufige methodologische Vorgehens weise (bei M a n n h e i m , „ o b j e k t i v e r S i n n " , „ i n t e n d i e r t e r A u s d r u c k s s i n n " sowie „ D o k u m e n t s i n n " b z w . „ W e l t a n s c h a u u n g s s i n n " ) ; die „ K o n t r o l l f ä h i g k e i t " der einzelnen I n t e r p r e tationsschritte. 26 Mannheim ( A n m . 25), 236.

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der Weltanschauung einer Epoche verlange es, deren einzelne Kulturobjektivationen oder Sinngebilde in einem „geistigen A k t " jeweils „als ein ,Es selbst' (zu) transzendieren", um sie „über sich hinausweisend" in den „objektivationsjenseitigen Zusammenhang" der Totalität der Epoche einzufügen 27 . Damit wird die Nähe Mannheims zu Panofskys Auffassung über das ,Kunstwollen' deutlich, in der jener von einem „immanenten Sinn" der „ausschließlich in ihrem eigenen Sein" verstandenen Kunst ausgeht 28 . Panofsky wendet sich hier gegen eine „rein historische Betrachtung" von Kunst, die „das Phänomen Kunstwerk stets nur aus irgendwelchen anderen Phänomenen, nicht aus einer Erkenntnisquelle höherer Ordnung" erklären könne; der Kunstwissenschaftler habe von einem „archimedischen Punkte aus ihre (der Kunst) absolute Lage und Bedeutsamkeit" zu bestimmen 29 . In der Festlegung des Kunstwollens „als das, was ,nicht für uns, sondern objektiv 4 als endgültiger letzter Sinn im künstlerischen Phänomene ,liegt'," 30 wird Panofskys Bestreben offensichtlich, ein „geschichtsloses Substrat" 3 1 am Boden der doch geschichtlich bedingten Kunst zu erkennen 32 . Auch bei Mannheim wird im Bereich des ,Dokumentsinns' die Geschichtlichkeit des Kunstwerkes zu einer unbestimmbaren Größe: Der Dokumentsinn frage als Weltanschauungssinn nach etwas Geistigem, nach jenen „Elementein), aus denen die Weltanschauungstotalität eines individuellen Schöpfers oder eines Zeitalters aufgebaut werden muß" 3 3 . So fordert er zwar eine Kontrolle des Dokumentsinns „durch das empirische Sichbewähren des Prinzips am historischen Material" 3 4 . Die Vorstellung eines jeweils aus Einzeldokumenten erfaßbaren „epochalen Geistes", der durch den Künstler „,triebartig', d.h. in keiner Weise ,gemeint'" 35 in das Kunstwerk einfließen würde, scheint sich indes einer wissenschaftlich-empirischen Fragestellung weithin zu entziehen. Panofsky schließlich versteht den Dokumentsinn als denjenigen Inhalt des Kunstwerkes, der durch den Künstler modifiziert, als „ungewollte und 27

Ebd., 242. Erwin Panofsky, D e r B e g r i f f des K u n s t w o l l e n s , i n : H a r i o l f O b e r e r / E g o n V e r heyen (Hrsg.), E r w i n Panofsky. Aufsätze z u G r u n d f r a g e n der K u n s t w i s s e n s c h a f t , 3. A u f l . , B e r l i n 1980, 29 - 43, 36. (Erstmals v e r ö f f e n t l i c h t u n t e r dem gleichen T i t e l i n : Z e i t s c h r i f t f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 14 [1920], 321 - 339). 29 Ebd., 29. Siehe auch Dittmann ( A n m . 23). 30 Panofsky, K u n s t w o l l e n ( A n m . 28), 35. 31 Fiebig ( A n m . 20), 141. 32 D i e A n n a h m e eines a b s o l u t e n u n d s o m i t zeitlosen Sinnes i m K u n s t w e r k ist v o r a l l e m deshalb p r o b l e m a t i s c h , da S i n n erst d u r c h den D e u t u n g s a k t selbst entstehen k a n n . E r ist also a b h ä n g i g v o n der sich h i s t o r i s c h w a n d e l n d e n Ausgangslage, die E i n o r d n u n g des z u deutenden K u n s t w e r k e s betreffend. 33 Mannheim ( A n m . 25), 247. M a n n h e i m v e r w e n d e t als B e z e i c h n u n g f ü r dieses »Geistige' die Begriffe ,Zeitgeist', »geistiger G e h a l t ' , , G e i s t i g k e i t des Z e i t a l t e r s ' sowie ,Geist der Epoche'. 34 Ebd., 269. 3 * Ebd., 252. 28

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ungewußte Selbstoffenbarung eines grundsätzlichen Verhaltens zur Welt" die Einstellung einer Nation, einer Epoche, einer Klasse und einer religiösen oder philosophischen Überzeugung enthülle 36 . Diese Definition enthält sowohl Panofskys ältere Vorstellung eines ,objektiv' endgültigen und damit geschichtslosen Sinnes der Kunst, formuliert im , Kunst wollen', als auch Mannheims Auffassung vom Kunstwerk als einem Teil der vom Geist bestimmten Weltanschauungstotalität 37 . Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Panofskys Versuch, das Kunstwerk im Dokumentsinn als „Symptom von etwas anderem" 38 zu sehen, zwar eine konkrete historische Bedeutung des einzelnen Kunstwerkes nicht ausschließt, zu einem Teildokument der „allgemeinen und wesentlichen Tendenzen des menschlichen Geistes" 39 idealisiert, wird das Kunstwerk jedoch dabei aus seiner zeitlichen und räumlichen Bedingtheit herausgelöst, zwangsläufig funktionalisiert und somit zum abstrakten Bedeutungsträger. IV. Die Zielrichtung des ,Dokumentsinns' Panofskyscher Prägung ist für Wohlfeil „nicht ausreichend, um als ,bezeichnend' für eine Epoche begriffen zu werden" 4 0 . Der ,historische Dokumentensinn' als ein „weitergefaßtes, sozialgeschichtlich orientiertes Begriffsverhältnis" 41 versuche das Bild in sein „historisches Umfeld" 4 2 einzuordnen. Dabei bezieht sich Wohlfeil nicht nur auf die politischen Bedingungen sowie die soziale Einbindung von Auftraggeber und Maler, sondern fragt generell „nach Erkenntnissen über den Menschen bzw. über soziale Gruppen jener vergangenen gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit nach der ,historischen Aussage' des Bildes" 4 3 . Wird der Begriff ,historischer Dokumentensinn' gemäß dem Anspruch einer Methode zur „umfassenden geschichtswissenschaftlichen Erschließung von Bildern" kritisch auf seine Leistungsfähigkeit überprüft, zeigt sich als Problem die Abhängigkeit der Deutung vom wissenschaftlichen Erfassen des konkreten, das Kunstwerk bedingenden „historischen Umfeldes". Die 36

Panofsky ( A n m . 10), 200. - Panofsky ( A n m . 6), 211. Panofsky s p r i c h t gegenüber „ W e l t a n s c h a u u n g s t o t a l i t ä t " v o n „ W e l t a n s c h a u u n g s - E n e r g i e " (Panofsky [ A n m . 10], 200). 38 Panofsky ( A n m . 6), 212. Dieses ,Andere' k a n n d a b e i e n t w e d e r als geistige E i n h e i t aufgefaßt werden, die das E i n z e l n e ü b e r g r e i f t (vgl. Heidt [ A n m . 19], 278f.), oder als „ s y m p t o m a t i s c h f ü r die h i n t e r i h m stehende Geschichts- u n d Geis tes w e i t " gelten (Martin Gosebruch, M e t h o d i k der K u n s t w i s s e n s c h a f t , i n : E n z y k l o p ä d i e der geisteswissenschaftlichen A r b e i t s m e t h o d e n , 6. L i e f e r u n g , M e t h o d e n der K u n s t - u n d M u s i k wissenschaft, M ü n c h e n 1970, 3 - 68, 21). 39 Panofsky ( A n m . 6), 223. 40 Wohlfeil, B i l d als Quelle ( A n m . 8), 98f. 41 Ebd., 99. 42 Siehe A n m . 11. 43 Rainer Wohlfeil/ Trudl Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n ständischer Gesellschaft. B a r t h o l o m ä u s B r u y n d. Ä. - Petracameister ( m i t E x k u r s e n v o n M a r l i e s M i n u t h u n d H e i k e Talkenberger), i n : W i n f r i e d Schulze (Hrsg.), Ständische Gesellschaft u n d soziale M o b i l i t ä t ( S c h r i f t e n des H i s t o r i s c h e n Kollegs, K o l l o q u i e n , 12) M ü n c h e n 1988, 269 331, 271. 37

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Herausarbeitung dieses Umfeldes mit dem Ziel, die programmatische Intention des Bildes ikonologisch zu interpretieren, setzt unter der Annahme, daß das Kunstwerk im ,historischen Dokumentensinn' gedeutet, „dazu beitragen kann, eine vergangene Wirklichkeit historisch zu erklären" 4 4 , grundsätzlich ein hohes Maß an historischer Zeitkenntnis voraus 45 . Der Versuch, ein Bild geschichtlich zu befragen, d.h. es, ausgehend von der Festlegung von Künstler und Auftraggeber, von Entstehungszeit und Entstehungsort, als Spiegel bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse zu sehen46, kann im günstigen Falle Aussagen ermöglichen, die anderen Quellen nicht zu entnehmen sind 4 7 und damit Vergangenheit historisch erklären; die so gewonnene ,historische Aussage' des Bildes führt dann beim Historiker zu einer Bestätigung oder auch Erweiterung der sozialgeschichtlichen Kenntnisse. Sind jedoch die Entstehungsbedingungen des Kunstwerkes strittig, teilweise oder weitgehend unbekannt, scheint das „historische Umfeld" unerschließbar; obgleich allen Bildern „ein historischer Dokumentensinn eignet" 48 , kann in diesem Falle die im Bild enthaltene vergangene Wirklichkeit historisch nicht zu ,fassen' sein. Die aus methodischen Gründen notwendige Annahme eines breit angelegten Verständnisses vom „historischen Umfeld" 4 9 hat dort seine Berechtigung, wo es der Erkenntnisstand erlaubt, unter einer speziellen Fragestellung eine ,historische' Deutung zu leisten 50 . Ob aber selbst bei umfassendem Wissen vom Künstler und des in diesem Sinne verstandenen „historischen Umfeldes" eine ausreichende Materialbasis vorhanden ist, um über den ,historischen Dokumentensinn' auch „Normen und Werthaltungen dieses Menschen, seine Ideen, Hoffnungen und Ängste, aber auch soziale Bedingungen sowie gesellschaftliche Probleme und Widersprüche seines Lebens" 51 deutend herauszuarbeiten, erscheint fraglich. Überdies ist Wohlfeil zwar zuzustimmen, daß durch das Hinzuziehen vornehmlich schriftli44

Ebd., 308; vgl. auch Wohlfeil, B i l d e p i t a p h i e n ( A n m . 11), 168. Wohlfeil, B i l d e p i t a p h i e n ( A n m . 11), 172. W o h l f e i l v e r w e i s t dabei auf die Z u h i l f e n a h m e einschlägiger s c h r i f t l i c h e r Quellen. 46 Vgl. ebd., 135. 47 Ebd., 174. 48 Ders., B i l d als Quelle ( A n m . 8), 92. 49 Z w a r f ö r d e r t die Offenheit des Begriffes i n h a l t l i c h w i e m e t h o d i s c h die E i n a r b e i t u n g neuer E r k e n n t n i s s e ; angesichts der U n g e w i ß h e i t darüber, w i e u n d m i t w e l c h e r I n t e n s i t ä t u n t e r wechselnden h i s t o r i s c h e n B e d i n g u n g e n die E i n f l u ß n a h m e des „ h i s t o rischen U m f e l d e s " auf ein K u n s t w e r k z u veranschlagen ist, k a n n aber gerade die relat i v e U n b e s t i m m t h e i t dessen i n h a l t l i c h e r Grenzen zu Ü b e r i n t e r p r e t a t i o n e n v e r l e i t e n (vgl. David Mannings, Panofsky u n d die I n t e r p r e t a t i o n v o n B i l d e r n , i n : K a e m m e r l i n g [ A n m . 2], 434 - 459, 454ff.; u n t e r d e m T i t e l „ P a n o f s k y a n d the I n t e r p r e t a t i o n of P i c t u res" i n : The B r i t i s h J o u r n a l of Aesthetics, 13 [1973], 146 - 162). 50 So das „ E h e n h e i m - E p i t a p h " als „ E i n z e l d e u t u n g " einer angestrebten F a l l s t u d i e z u N ü r n b e r g e r B i l d e p i t a p h i e n . (Vgl. Wohlfeil, B i l d e p i t a p h i e n [ A n m . 11], 139f., 166 ff.). Wohlfeil, B i l d als Quelle ( A n m . 8), 99. 45

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eher Quellen als Korrekturinstanz der über den ,historischen Dokumentensinn' gewonnenen Erkenntnisse eine Bildaussage nicht deshalb falsch wird, weil diese deren Gehalt nicht zu belegen vermögen, sondern gerade hier „ihr (der Bildaussage) spezifischer, den historischen Kenntnisstand erweiternder Wert" 5 2 liegen kann. Es bleibt aber zu bedenken, daß hinsichtlich des geschichtswissenschaftlichen Instrumentariums das zum Erkenntnisgegenstand gewordene Kunstwerk als eine ,weiche Quelle' letztlich unter dem Vorbehalt schriftlicher Überlieferung steht 53 . Für die Frage nach einer historischen Ikonologie ist hingegen die methodische Erweiterung geschichtswissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten zugleich eine Verengung der Bedeutung des Kunstwerkes auf den Aspekt seiner quellenkundlichen Nutzbarkeit. Wohlfeil wählt in der Ausgangslage vom ,historischen Dokumentensinn', also der Annahme, daß jedes Kunstwerk bestimmbare Ereignisse vergangener Wirklichkeit in sich trage, welche unter einer konkreten geschichtswissenschaftlichen Fragestellung ,historisch' ermittelt werden könnten, ein von Panofskys ,Dokumentsinn' grundsätzlich abweichendes Begriffsverständnis. Befragt Wohlfeil Bilder nach ihren bestimmten historischen Entstehungszusammenhängen, so betont jener einen überhistorischen „wesenseigenen" Gehalt der Kunst, der absolut und daher auch ,unbestimmt' gültig ist 5 4 . Vor diesem Hintergrund erscheint der ,Dokumentsinn' im Verständnis Panofskys als begriffliche Basis für den ,historischen Dokumentensinn' zweifelhaft. Obwohl Wohlfeil das Verdienst zukommt, den abstrakten ,Dokumentsinn' auf der Grundlage des ,historischen Dokumentensinnes' als empirisch einlösbare Wissenschaftskategorie zu begründen, bleibt dennoch fraglich, inwieweit eine als ,historisch' verstandene Ikonologie dem sich geschichtlich dokumentierenden inneren Wesen des Kunstwerkes auch dann gerecht wird, wenn der Historiker nicht über eine ausreichende Wissensbasis verfügt, um ,künstlerisch vermittelte' Geschichte einordnen zu können. V. Bilder, begriffen als „Entscheidungen, Mitteilungen und Sinngebungen des Künstlers oder einer auftraggebenden Gesellschaft im Rahmen der geschichtlichen Bedingungen", haben „als geschichtliche Gebilde ... einen ganz bestimmten, so nicht wiederkehrenden geschichtlichen Ort" 5 5 . Diese ,Geschichtlichkeit' der Kunst 5 6 erfordert nicht nur, daß der Ikonologe erst nach der Festlegung von Entstehungsort und Entstehungszeit sich seiner 52

Ders., M e t h o d i s c h e R e f l e x i o n e n ( A n m . 16), 34. Siehe A n m . 45. 54 Siehe oben Panofskys B e g r i f f , D o k u m e n t s i n n ' . 55 Günter Bandmann, Das K u n s t w e r k als Gegenstand der Universalgeschichte, i n : J a h r b u c h f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 7 (1962), 146 - 166, 146f. 56 Vgl. Helmut Kuhn, D i e G e s c h i c h t l i c h k e i t der K u n s t , i n : Z e i t s c h r i f t f ü r Ä s t h e t i k u n d allgemeine K u n s t w i s s e n s c h a f t , 25 (1931), 209 - 225. 53

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Martin Knauer

eigentlichen Hauptaufgabe, der Frage nach der Bedeutung des Kunstwerkes, stellen kann; vielmehr legt ein solches Kunstverständnis es nahe, Ikonologie auch unabhängig von Panofskys differenziertem Deutungssystem festzulegen: als eine Methode zur umfassenden Untersuchung der Bedeutung des Kunstwerkes, sowohl im unmittelbaren historischen Zusammenhang, wie innerhalb der künstlerischen Tradition 5 7 . Obwohl die Frage nach den historischen Entstehungsbedingungen des Kunstwerkes nicht gänzlich von derjenigen nach dessen künstlerischen Tradition zu trennen ist, wird dennoch deutlich, daß eine so verstandene Ikonologie vor allem eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft darstellt. Die kunstwissenschaftliche' Untersuchung des Kunstwerkes hinsichtlich seiner rein künstlerischen Entwicklung und Tradition, kann durch ein sich zuerst an die Geschichtswissenschaft richtendes „Bemühen um die Wiederherstellung der historischen Gesamtsituation" 58 arbeitsteilig ergänzt werden. Der damit gestellten Aufgabe einer historischen Ikonologie wird der Historiker allerdings nicht gerecht, wenn er die in der Gesamtheit der historischen Bedingungen jeweils konkrete Einzelsituation des Kunstwerkes nur bezüglich allgemeiner Kategorien wie „epochale Tendenzen, Landschaft, Nation, Stamm, Glaubensmeinung, politische und soziale Umstände, Verwendungszweck und vieles andere" untersucht und sich mit der Erkenntnis zufrieden gibt, daß diese Faktoren „mehr oder weniger ... im Kunstwerk niedergeschlagen und integriert (sind)" 59 . Da im ikonologischen Deutungsakt das zu interpretierende Kunstwerk aus einer Vielzahl möglicher historischer Bedingungen in einen bestimmten historischen Zusammenhang eingeordnet wird, sollte es dem Historiker vielmehr darum gehen, diesen Vorgang in seinen erkenntnismäßigen Voraussetzungen durchsichtig zu machen. Auf dem Wege, das Kunstwerk in seiner ,Geschichtlichkeit' zu erfassen, um es in seinem historisch ,passenden' Zusammenhang zu deuten, bedient sich die Ikonologie Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft. Die historische Einordnung eines Kunstwerkes basiert also auf Mithilfe wissenschaftlicher Kategorien begründeter historischer Fakten in ihrem entsprechenden 57 Leopold D. Ettlinger, K u n s t g e s c h i c h t e als Geschichte, i n : J a h r b u c h der H a m b u r ger K u n s t h a l l e n , 16 (1971), 7 - 19, 16. ( E t t l i n g e r s p r i c h t s t a t t v o n der „ B e d e u t u n g " des K u n s t w e r k e s v o n dessen „ F u n k t i o n " ) . 58 Klaus Schwager, Kunstgeschichte?, i n : A t t e m p t o 59/60 (1977), 64 - 69, 66. 59 Bandmann ( A n m . 55), 147; vgl. auch Panofskys K a t e g o r i e n des D o k u m e n t s i n n s : „ E p o c h e , N a t i o n a l i t ä t , Klasse, i n t e l l e k t u e l l e T r a d i t i o n u n d so f o r t " (Panofsky [ A n m . 6], 209). F o r m u l i e r u n g e n w i e , u n d vieles andere' b z w . , u n d so f o r t ' lassen erkennen, daß f ü r die Frage n a c h der h i s t o r i s c h e n W i r k l i c h k e i t des K u n s t w e r k e s k e i n die j e w e i l i g e Epoche kennzeichnender h i s t o r i s c h e r T a t b e s t a n d ausgeschlossen w e r den k a n n . E i n e nahezu beliebige A u f z ä h l u n g m ö g l i c h e r historischer F a k t o r e n sagt n i c h t s d a r ü b e r aus, auf w e l c h e Weise u n d m i t w e l c h e r Konsequenz sich diese i m K u n s t w e r k a u s z u d r ü c k e n vermögen.

Dokumentsinn" - „historischer Dokumentensinn"

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begrifflichen Kontext. Eine daraus resultierende Abhängigkeit der Ergebnisse ikonologischer Deutung vom jeweiligen historischen Forschungsstand ist nicht zuletzt darin erkennbar, daß durch die Erweiterung der erkenntnismäßigen Grundlagen manche ikonologischen Probleme überhaupt erst lösbar werden. Die Veränderung geschichtswissenschaftlichen Forschungsinteresses, eine Neubewertung historischer Fakten und die damit einhergehende Modifizierung begrifflicher Inhalte schlagen sich notwendig in der historischen Einordnung des Kunstwerkes nieder. Herkömmliche Ikonologie bedient sich in der historischen Einordnung des Kunstwerkes weitgehend unreflektiert geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse, Konzeptionen und Begriffe, ohne diese hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Eignung für die Kunstdeutung zu hinterfragen 60 . Eine historische Ikonologie verlangt daher zunächst die Offenlegung und Überprüfbarmachung des übernommenen Wissensstandes; sie erfordert aber vor allem die für die Entstehung des Kunstwerkes als ausschlaggebend angesehenen historischen Fakten in begrifflich klare, auf das Kunstwerk auch anwendbare Kategorien umzusetzen, so daß, ausgehend von einer bestimmten Erkenntnislage, die Möglichkeiten und Grenzen des einzelnen Deutungsvorganges nachvollziehbar werden. Da im Gegensatz zu anderen historischen Überlieferungen das Kunstwerk in erster Linie sinnliche Affektion ist (Warnke), bewegt sich seine begriffliche Erfassung in der Polarität zwischen Anschaulichkeit und Abstraktion. Wie in der historischen Darstellung vergangene Wirklichkeit trotz begrifflich-abstrakter Analyse „nur anschaulich detailliert und deskriptiv" 6 1 verstanden werden kann, so setzt eine erfolgreiche Deutung von Kunstwerken die Einführung von Begriffen voraus, die sowohl den Erfordernissen der Analyse und Abstraktion zu genügen haben, um den künstlerischen Gegenstand in die geschichtswissenschaftliche Erkenntnislage einzubinden, die zugleich aber anschaulich und detailliert sein müssen, um die Sinnlichkeit künstlerischer Darstellung im ganzen erfaß- und übertragbar zu machen. Eine historische Ikonologie, die diesen Zielen gerecht werden will, benötigt die wirkliche Zusammenarbeit von Kunst- und Geschichtswissenschaft.

60 Siehe d a z u Martin Knauer, M ö g l i c h k e i t e n u n d Grenzen einer h i s t o r i s c h e n I k o n o logie, u n t e r s u c h t a m B e i s p i e l v o n Callots „ L e s Misères et les M a l h e u r s de l a G u e r r e " , Wissenschaftliche H a u s a r b e i t M a g i s t e r p r ü f u n g , M S H a m b u r g 1990. Das C a l l o t S c h r i f t t u m zeigt b e i s p i e l h a f t i m W a n d e l v o n der ereignisgeschichtlichen z u r s t r u k t u r g e s c h i c h t l i c h e n F r a g e s t e l l u n g - ausgedrückt d u r c h s t r u k t u r e l l e D e u t u n g s b e g r i f f e w i e , S o z i a l d i s z i p l i n i e r u n g ' u n d , A f f e k t k o n t r o l l e ' - eine i n h a l t l i c h w i e m e t h o d i s c h u n z u l ä n g l i c h begründete Ü b e r n a h m e aus neueren geschichtswissenschaftlichen F o r schungsansätzen hervorgehender K o n z e p t i o n e n i n die i k o n o l o g i s c h e D e u t u n g . 61 Thomas Nipperdey, D i e anthropologische D i m e n s i o n der Geschichtswissenschaft, i n : G e r h a r d Schulz (Hrsg.), Geschichte heute. Positionen, Tendenzen u n d P r o bleme, G ö t t i n g e n 1973, 225 - 255, 231.

Zur Historischen Bildkunde in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Von Frank-Dietrich Jacob, Leipzig Nachdem 1928 auf dem Internationalen Historikerkongreß zu Oslo auch die bildliche Überlieferung angesprochen und auf deren Wert für den Historiker hingewiesen wurde, ging man im internationalen, nationalen und selbst im regionalen Rahmen initiativreich an die Arbeit. In Deutschland wurde im April 1930 der „Deutsche Ikonographische Ausschuß" gegründet. Wie S. H. Steinberg feststellte, hatte dieser die Aufgabe der „Bereitstellung und Auswertung der bildlichen Überreste, nicht als Gegenstände der Kunstgeschichte, sondern als Dokumente der Geschichtewobei E. Keyser etwas später eine Einteilung in vier Gruppen für zweckmäßig hielt, die bildliche Darstellung von Personen, Orten, Ereignissen und Sachen1. Zahlreiche Publikationen folgten 2 . Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brachen diese verdienstvollen Bemühungen jäh ab. Leider hat sich erst in jüngerer Zeit die Diskussion um die Historische Bildkunde wieder belebt. E. Boshof, K. Düwell und H. Kloft gehen in ihrem Handbuch „Grundlagen des Studiums der Geschichte" auf die „bildlichen Überreste" und ihre Bedeutung für die Forschung ein, führen aber unter den Grundwissenschaften die 1 Sigfrid H. Steinberg, D i e i n t e r n a t i o n a l e i k o n o g r a p h i s c h e A r b e i t , i n : M i n e r v a - Z s . 7 (1931), 140; vgl. Erich Keyser, Das B i l d als Geschichtsquelle, i n : H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e , hrsg. v. W a l t e r Goetz, 2, H a m b u r g 1935, 5 - 32, h i e r 16. 2 Vgl. Steinberg ( A n m . 1); ders., D i e i n t e r n a t i o n a l e u n d die deutsche i k o n o g r a p h i sche K o m m i s s i o n , i n : H Z 144 (1931), 287 - 296; ders., I n t e r n a t i o n a l e i k o n o g r a p h i s c h e A r b e i t e n , i n : M i n e r v a - Z s . 9 (1933), 7f.; ders.,Das P o r t r ä t i m deutschen M i t t e l a l t e r , i n : Zs. f ü r deutsche B i l d u n g , 8 (1932), 376 - 380; Hans Meyer, Grenzen, A u s s i c h t e n u n d M e t h o d e n der A u s w e r t u n g des Städtebildes f ü r die Geschichtsforschung, i n : H Z 150 (1934), 306 - 311. - Sigfrid H. Steinberg, B i b l i o g r a p h i e z u r Geschichte des deutschen Porträts, i n : Historische B i l d k u n d e , hrsg. v o n W a l t e r Goetz, 1, H a m b u r g 1934. - Keyser ( A n m . 1). - Rudolf Kötzschke, B i l d k u n d e u n d Landesgeschichte, i n : ebd., 2, 33 38; - 1 . Schnack, Beiträge z u r Geschichte des G e l e h r t e n p o r t r ä t s , i n : H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e , hrsg. v o n W a l t e r Goetz, 3, H a m b u r g 1935; - Heinz Ladendorf, Zur Historischen B i l d k u n d e , i n : F o r s c h u n g e n z u r B r a n d e n b u r g i s c h e n u n d Preußischen Geschichte, 47 (1935), 378 - 385; ders., H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e , i n : Jahresberichte f ü r Deutsche Geschichte, 11 (1935), 148 - 151, 13 (1937), 171 - 174, 14 (1938), 177 - 183; W. Schultze, F o r d e r u n g e n a n eine B i l d k u n d e z u r sächsischen Geschichte, in: V o n L a n d u n d K u l t u r . Beiträge z u r Geschichte des m i t t e l d e u t s c h e n Ostens. Z u m 70. G e b u r t s t a g R u d o l f Kötzschkes hrsg. v o n W . E m m e r i c h , L e i p z i g 1937, 245 - 254; ders., B i l d k u n d e u n d Landesgeschichte, i n : Forschungen u n d F o r t s c h r i t t e . N a c h r i c h t e n b l a t t der deutschen Wissenschaft u n d T e c h n i k , 13 (1937), 386f.; ders., H e i m a t m u s e u m u n d B i l d k u n d e , i n : M u s e u m s k u n d e , 9 (1937), 129 - 133.

4 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

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Frank-Dietrich Jacob

Historische Bildkunde nicht auf 3 . P. Borowsky, Β. Vogel und H. Wunder verweisen auf die Problematik der Auswertung bildlicher Quellen und auf deren Bedeutung für die Forschung, nennen aber die „historische Bildbetrachtung" (Ikonographie) in einem anderen Zusammenhang; unter den Grundwissenschaften wird sie ebenfalls nicht genannt 4 . W. Zöllner macht im in der DDR erschienenen Handbuch „Einführung in das Studium der Geschichte" knappe Ausführungen zur Historischen Bildkunde und ihrer Geschichte, eingeordnet in das Kapitel „Forschungsmethoden des Historikers - Die Arbeit mit den Historischen Quellen". Wenn er aber noch 1986 beklagt, daß „das Bilddokument der Vergangenheit ... für die Geschichtswissenschaft eine große, noch zu wenig beachtete Bedeutung" habe 5 , wird im Grunde genommen erneut sichtbar, daß die Geschichtswissenschaft in Erschließung und Bearbeitung bildlicher Quellen ein Defizit aufzuweisen hat 6 . Dem gegenüber steht die Einsicht, daß „ohne Einbeziehung neuer Geschichtsquellen in die Forschungen und ohne ihre vertiefte kritische Analyse, ohne wesentliche Erweiterung des Kreises von zur Auswertung gelangenden konkreten geschichtlichen Angaben sowie ohne Weiterentwicklung ihrer Bearbeitungsverfahren ... eine Erhöhung der Qualität und Effektivität der Geschichtsforschungen, die Durchführung von Grundlagenforschungen, ... unmöglich ... ist" 7 . R. Wohlfeil kommt das Verdienst zu, auf die Bedeutung des Bildes als Geschichtsquelle erneut hingewiesen und einen Versuch eines Neuansatzes ihrer Erforschung zur Diskussion gestellt zu haben 8 . Er geht von der seit Keyser unbestrittenen Tatsache aus, daß „grundsätzlich jedes Bild zur Erkenntnis einer vergangenen Wirklichkeit beitragen kann" 9 . Deshalb kann zum Beispiel „ i n Abhängigkeit von der leitenden Fragestellung einem qualitativ schlechten Stich eine ebenso hohe Wichtigkeit und historische Aussagekraft eignen ... wie einem Gemälde von allgemein anerkannter herausragender künstlerischer Qualität" 1 0 . 3 Vgl. Egon Boshof/ Kurt Düwell/ Hans Kloft, G r u n d l a g e n des S t u d i u m s der Geschichte. E i n e E i n f ü h r u n g , K ö l n / W i e n 1973, 259 - 263. 4 Vgl. Peter Borowsky/Barbara Vogel/Heide Wunder, E i n f ü h r u n g i n die Geschichtswissenschaft I: G r u n d p r o b l e m e , A r b e i t s o r g a n i s a t i o n , H i l f s m i t t e l ( S t u d i e n b ü c h e r M o d e r n e Geschichte, 1) 4. verbess. A u f l . , O p l a d e n 1980, 137ff. 5 Walter Zöllner, H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e , i n : E i n f ü h r u n g i n das S t u d i u m der Geschichte, 4. durchges. u. erg. A u f l . , B e r l i n (Ost) 1986, 431. 6 Vgl. Erna Patzelt, Das B i l d als u r k u n d l i c h e Quelle der Wirtschaftsgeschichte, i n : A r c h i v a l i s c h e Z e i t s c h r i f t , 5 0 / 5 1 (1955), 245 - 254; - Hans Pauer, B i l d k u n d e u n d Geschichtswissenschaft, i n : M i Ö G 71 (1963), 194 - 210; - H. Kunze, Z u r h i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : M a r g i n a l i e n . Zs. f. B u c h k u n s t u. B i b l i o p h i l i e , 78 (1980), 11 - 17; - Rainer und Trudl Wohlfeil, L a n d s k n e c h t e i m B i l d : Ü b e r l e g u n g e n z u r „ H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e " , i n : Bauer, Reich u n d R e f o r m a t i o n : Festschrift f ü r G ü n t h e r F r a n z z u m 80. G e b u r t s t a g a m 23. M a i 1982, hrsg. v. Peter B l i c k l e , S t u t t g a r t 1982, 104 - 119. 7 I. Kowaltschenko, Geschichtsquellen i m L i c h t e der I n f o r m a t i o n s l e h r e , i n : Gesellschaftswissenschaften, hrsg. v o n d. A k a d . d. Wiss. d. U d S S R , 4 (1983), 117. 8 Rainer Wohlfeil, Das B i l d als Geschichtsquelle, i n : H Z 243 (1986), 91 - 100; vgl. auch A n m . 6. 9 Wohlfeil ( A n m . 6) 108.

Zur Historischen Bildkunde in der ehemaligen DDR

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Wenn im folgenden kurz der Beitrag der DDR-Geschichtswissenschaft auf bildkundlichem Gebiet umrissen werden soll, ist von den oben zitierten Aufgabenstellungen der Begründer der Historischen Bildkunde in den dreißiger Jahren auszugehen. Das heißt, es wäre einmal nach den Ergebnissen der theoretischen Beschäftigung mit bildkundlichen Problemen zu fragen und andererseits der erreichte Stand der Erschließung von Bildquellen bzw. ihrer Dokumentation zu untersuchen. Die weitergehende allgemeine Nutzung bildlicher Quellen durch die Geschichtswissenschaft, etwa die Bebilderung historischer Sachbücher und die damit verbundenen Probleme, stehen außerhalb der Betrachtung 11 . Auch ist eine weitere Einschränkung zu machen. Unter bildlichen Quellen werden hier ausschließlich Werke der Malerei und Grafik verstanden, die ihre Entstehung künstlerischer Hand verdanken. Betrachtet werden also lediglich „vorfotografische" Medien in der bildlichen Information und Kommunikation. Insofern können nur Sachverhalte eines bildkundlichen Teilbereiches vorgestellt werden. Arbeiten im Sinne der Historischen Bildkunde sind keineswegs allein der Geschichtswissenschaft erwachsen, sondern in nicht wenigen Fällen der Kunstwissenschaft und daneben auch anderen Disziplinen, die damit u.a. einen Beitrag zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Erhellung historischer Tatsachen und Sachverhalte leisteten. Als Beispiele seien Beiträge in Sammelbänden im Gefolge wissenschaftlicher Tagungen oder die 10 Vgl. Rainer Wohlfeil, M e t h o d i s c h e R e f l e x i o n e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n diesem B a n d 1 7 - 3 5 , h i e r 17. 11 Das P r o b l e m der B e b i l d e r u n g historischer Sachbücher h a t i n der deutschen Geschichtswissenschaft i n der D i s k u s s i o n stets eine große Rolle gespielt. Das ist insofern w i c h t i g , als m a n gerade v o n einer bloßen I l l u s t r i e r u n g a b k o m m e n u n d d e m B i l d durchaus Q u e l l e n w e r t zusprechen w o l l t e . W i e verschiedene V e r ö f f e n t l i c h u n g e n zeigen, ist diese D i s k u s s i o n bis z u m h e u t i g e n T a g n i c h t abgerissen. Vgl. d a z u Percy Ernst Schramm, Ü b e r I l l u s t r a t i o n e n z u r m i t t e l a l t e r l i c h e n K u l t u r g e s c h i c h t e , i n : H Z 137 (1928), 425 - 441; - Sigfrid H. Steinberg, D i e I l l u s t r i e r u n g historischer Bücher, i n : Vergangenheit u n d G e g e n w a r t , 22 (1932), 662 - 672; - Hartmut Boockmann, Ü b e r den Aussagewert v o n B i l d q u e l l e n z u r Geschichte des M i t t e l a l t e r s , i n : Wissenschaft, W i r t schaft u n d T e c h n i k . S t u d i e n z u r Geschichte. W i l h e l m Treue z u m 60. Geburtstag, M ü n c h e n 1969, 29 - 37; - Wohlfeil, ( A n m . 8); - Hartmut Boockmann, Dreimal Kulturgeschichte, Alltagsgeschichte, Geschichte der m a t e r i e l l e n K u l t u r , i n : Z H F 13 (1986) 201 - 215; - Kunze ( A n m . 6). E l i s a b e t h V a v r a h a t j ü n g s t z u Recht hervorgehoben, daß b i l d l i c h e Q u e l l e n d a z u d i e nen k ö n n e n , aus s c h r i f t l i c h e n Quellen gewonnene E r k e n n t n i s s e z u v e r i f i z i e r e n oder gefundene Gegenstände i m u r s p r ü n g l i c h e n Z u s t a n d z u rekonstruieren. Sie haben also die Aufgabe, Erkenntnisse, die aus anderen Q u e l l e n k a t e g o r i e n g e w o n n e n w u r d e n , zu überprüfen. Vgl. Elisabeth Vavra, K u n s t w e r k e als Q u e l l e n m a t e r i a l der S a c h k u l t u r forschung, i n : Europäische S a c h k u l t u r des M i t t e l a l t e r s ( V e r ö f f e n t l i c h u n g e n des I n s t i t u t s f ü r m i t t e l a l t e r l i c h e R e a l i e n k u n d e Österreichs, 4), W i e n 1980, 195 - 232. H. Popp äußerte j ü n g s t , daß das B i l d ein w i c h t i g e s M i t t e l bleibe, Aussagen über historische Sachverhalte z u g e w i n n e n , „ i m Gegensatz oder i n E r g ä n z u n g z u r s c h r i f t l i chen Q u e l l e " . D a m i t w i r d gesagt, daß b i l d l i c h e Quellen das vorhandene Wissen über die Geschichte u . U . w i r k u n g s v o l l ergänzen können. Vgl. H. Popp, Das B i l d als Quelle, i n : B e r i c h t über die 35. V e r s a m m l u n g deutscher H i s t o r i k e r i n B e r l i n , 3 . - 7 . 1 0 . 1 9 84, S t u t t g a r t 1985, 221.

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Kataloge von Ausstellungen genannt 12 . Bereits hier kann auf den nicht unwesentlichen Beitrag der DDR-Museen durch die Herausgabe von Bildkatalogen verwiesen werden. Die quellenkundlichen Forschungen innerhalb der Geschichtswissenschaft gingen hauptsächlich von Archivaren oder von den Archiven nahestehenden Historikern aus 13 . Überhaupt wird man sagen müssen, daß die Historische Quellenkunde im Gefüge der DDR-Geschichtswissenschaft lange Zeit an der schriftlichen Quelle orientiert war. Nach B. Rüdiger besteht die Fachmethodik der Geschichtswissenschaft „ i m wesentlichen in den quellenkundlichen Methoden und den historischen Hilfswissenschaften" 14 . Es stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit an schriftlichen Quellen erprobte quellenkundliche Methoden auf bildliche Quellen anwendbar sind bzw. welche Erkenntnisse aus der quellenkundlichen Arbeit bei der Bearbeitung bildlicher Quellen genutzt werden können. Rüdiger formulierte bereits 1973, daß der Kern der quellenkundlichen Arbeit die Quellenkritik, die aus der historischen und der logischen Analyse der Quelle bestehe und nicht „ohne die nach Quellengattungen erfolgende Aufbereitung des Materials durch die einzelnen historischen Hilfswissenschaften durchführbar" sei 15 . Die schriftlichen Quellen zeichneten sich im Vergleich mit anderen Quellenkategorien dadurch aus, daß sie „bereits eine Struktur der Information besitzen, die der wissenschaftlichen Darstellung sehr nahe kommt und jene deshalb für die Forschungsarbeit als besonders geeignet erscheinen lassen" 16 . Bilder dagegen besitzen diesen Vorzug nicht. Die Quellenkritik im Rahmen der Geschichtswissenschaft muß der Tatsache 12 Vgl. z.B. L u c a s Cranach. K ü n s t l e r u n d Gesellschaft, W i t t e n b e r g 1972; V o n der M a c h t der B i l d e r . Beiträge des C . I . H . A . - K o l l o q u i u m s „ K u n s t u n d R e f o r m a t i o n " , hrsg. i m A u f t r a g des Rektors der K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t L e i p z i g v o n Ernst Ullmann, L e i p z i g 1983; - K u n s t der Reformationszeit. A u s s t e l l u n g s k a t a l o g , B e r l i n (Ost) 1983. 13 Vgl. Helmut Lötzke, A r c h i v w i s s e n s c h a f t , Q u e l l e n k u n d e u n d historische H i l f s wissenschaften, i n : H i s t o r i s c h e Forschungen i n der D D R 1960 - 1970. A n a l y s e n u n d Berichte ( Z f G 18, Sonderband) B e r l i n (Ost) 1970, 815 - 828; ders., H i s t o r i s c h e Q u e l l e n k u n d e u n d Hilfswissenschaften, A r c h i v w i s s e n s c h a f t , i n : Historische Forschungen i n der D D R 1970 - 1980. A n a l y s e n u n d B e r i c h t e ( Z f G Sonderband); B e r l i n (Ost) 1980 833 - 840; B. Rüdiger, Ü b e r P l a t z u n d A u f g a b e n der Q u e l l e n k u n d e i n der m a r x i s t i s c h l e n i n i s t i s c h e n Geschichtswissenschaft, i n : Z f G 21 (1973), 679 - 683; ders., Z u r E f f e k t i v i e r u n g musealer Arbeitsprozesse d u r c h die A n w e n d u n g q u e l l e n k u n d l i c h e r F o r schungsmethoden u n d Forschungsergebnisse, i n : Konferenz der M u s e u m s d i r e k t o r e n der D D R 17. u. 18.11.1976, P r o t o k o l l b d . , T. 1 (Schriftenreihe des I n s t i t u t s f ü r Museumswesen, 9/1), B e r l i n (Ost) 1977, 9 5 - 120; ders., Q u e l l e n k u n d l i c h e M e t h o d e n i m L i c h t e der m a r x i s t i s c h - l e n i n i s t i s c h e n Theorie, Diss. Β , K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t L e i p z i g 1978; ders., Z u m S t a n d der q u e l l e n k u n d l i c h e n Forschungen i n der D D R u n d z u den M ö g l i c h k e i t e n einer Z u s a m m e n a r b e i t z w i s c h e n Museologie u n d Q u e l l e n k u n d e , i n : Neue M u s e u m s k u n d e , 22 (1979) 278 - 281; ders., Q u e l l e n k u n d l i c h e r L e i t f a d e n f ü r die A r b e i t m i t h i s t o r i s c h e n Sachzeugen (Schriftenreihe des I n s t i t u t s f ü r M u s e u m s w e sen, 18), B e r l i n (Ost) 1983. 14 15 16

Rüdiger, Rüdiger, Rüdiger,

E f f e k t i e r u n g ( A n m . 13), 97. P l a t z u n d A u f g a b e n ( A n m . 13) 683. L e i t f a d e n ( A n m . 13) 4.

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Rechnung tragen, daß Bilder ihrem Wesen nach Kunstwerke sind. Wie u. a. O. Bätschmann festgestellt hat, sind Bilder keine Aussagen, das heißt, sie können nicht analog zu sprachlichen Wiedergaben eines Sachverhaltes betrachtet werden. Die Sprache kann deshalb Bilder nicht fassen 17. Unter Bezugnahme auf die Ikonographie sagt er zum Beispiel, daß es unmöglich ist, „aus einem Bild den Text zu rekonstruieren, auf den es sich bezieht. Wir können nichts anderes tun, als einer bildlichen Darstellung einen Text zuordnen" 1*. Die Anwendung der „historischen Analyse" und der „logischen Analyse" auf bildliche Quellen ist möglich, wenn sie durch kunstwissenschaftliche Methoden hintersetzt wird, das heißt, wenn die Spezifika der künstlerischen Produktion Beachtung finden 19 . Die Forschung hat immer wieder nachweisen können, daß mit einer großen Breite des Spektrums zwischen wirklichkeitsgetreuer Abbildung und Phantasiedarstellung in einer bildlichen Quelle zu rechnen ist und zwar im einzelnen Bild wie auch in zusammengehörenden Folgen 20 . Absolute Wirklichkeitstreue wird nicht erreicht und kann auch nicht erwartet werden, da es sich um Kunstwerke handelt, die eine gestaltete Wirklichkeit wiedergeben. Der Grad der Gestaltung, das heißt letztlich einer Verzerrung im quellenkundlichen Sinn, ist unterschiedlich. Ein enger Zusammenhang der historischen mit der logischen Analyse besteht gerade bei bildlichen Quellen. Der Historiker sollte sich also nicht allein dafür interessieren, was auf einer bildlichen Quelle dargestellt wurde, sondern er muß auch berücksichtigen, wie sie entstanden ist. Das heißt, bildliche Quellen sind letztlich nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit zu entschlüsseln. Ausgehend vom Defizit, welches die Geschichtswissenschaft bei der Auswertung bildlicher Quellen hat, regte nun Wohlfeil an, stärker auf Erkennt17 Vgl. Oskar Bätschmann, E i n f ü h r u n g i n die k u n s t g e s c h i c h t l i c h e H e r m e n e u t i k . D i e A u s l e g u n g v o n B i l d e r n , D a r m s t a d t 1984, 50. 18 Ders., A n l e i t u n g z u r I n t e r p r e t a t i o n : k u n s t g e s c h i c h t l i c h e H e r m e n e u t i k , i n : Kunstgeschichte. E i n e E i n f ü h r u n g , hrsg. v o n Hans B e l t i n g u.a., 3. durchges. u. erw. A u f l . , B e r l i n 1988, 200. 19 E i n e w i c h t i g e R o l l e spielt dabei das P r o b l e m der z e i t b e d i n g t e n Seh- u n d D a r s t e l lungsweisen. G r u n d l e g e n d d a z u Michael Schmitt/ Jochen Luckhardt, Realität u n d A b b i l d i n S t a d t d a r s t e l l u n g e n des 16. bis 19. J a h r h u n d e r t s . U n t e r s u c h u n g a m Beispiel L i p p s t a d t , M ü n s t e r 1982; - Michael Schmitt, M e h r K u n s t als getreues A b b i l d . S t a d t ansichten als Geschichtsquelle, i n : Forschung. M i t t . d. D F G , 1983, 19 - 21; ders., Quellen z u r Baugeschichte. H i s t o r i s c h e Stadtansichten, i n : arcus 1 (1983), 171 - 177. - Vgl. a u c h Frank-Dietrich Jacob, H i s t o r i s c h e S t a d t a n s i c h t e n als Quelle f ü r K u n s t wissenschaft u n d Geschichtswissenschaft, Diss. Β , K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t L e i p z i g 1990; ders., Q u e l l e n k u n d l i c h e M e t h o d e n u n d H i s t o r i s c h e B i l d k u n d e - Ergebnisse u n d Schlußfolgerungen a m B e i s p i e l historischer S t a d t d a r s t e l l u n g e n , i n : Jb. f. Regionalgeschichte, 19 (1991) ( i m D r u c k ) . 20 Siehe verschiedene Beispiele i n Frank-Dietrich Jacob, H i s t o r i s c h e S t a d t a n s i c h ten. E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e u n d q u e l l e n k u n d l i c h e M o m e n t e , L e i p z i g 1982; ders., S t a d t a n s i c h t e n als Quelle ( A n m . 19) 133 ff.

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nisse und Methoden der Kunstwissenschaft zurückzugreifen 21 . Insbesondere bezog er sich auf E. Panofskys ikonologische Methode, die er „ i m Sinne sozialgeschichtlicher Betrachtungsweise" diskutiert und in „modifizierter Form als geschichtswissenschaftliches Arbeitsverfahren" vorstellt. Auszugehen sei „von der Frage nach der sozialen Struktur, durch die Künstler und gegebenenfalls Auftraggeber/Stifter in ihrer Mentalität, in ihrem Verhalten und in ihrem Handeln geprägt wurden, nach dem gesellschaftlichen Beziehungsgefüge und nach ihrem politischen Umfeld sowie nach den Formen ihres Bewußtseins. Das Bewußtsein zu analysieren verlangt, sowohl die gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse zu reflektieren als auch dem Einfluß von Ideen und Meinungen nachzuspüren. An das Bild sind nicht nur Quellen und Erkenntnisse geschichtswissenschaftlicher Wissenszweige heranzutragen, es kann sich vielmehr als unumgänglich erweisen, andere Disziplinen einzubeziehen. Zu fragen ist weiterhin, welche Bedeutungs- oder Mitteilungsabsicht Auftraggeber und/oder nur der Künstler mit dem Werk verbanden, für welche Bezugsgruppe es bestimmt war, ,wozu' es dem Stifter/Auftraggeber bzw. dem zeitgenössischen Betrachter ,diente', welche Bedürfnisse es abdeckte, in welche Situation es ,eingriff' und welche Einstellungen und Interessen es wahrnahm bzw. sie beeinflussen sollte. Abschließend wäre zu erörtern, wie das Bild zeitgebunden rezipiert worden ist und in welcher Weise es nachgewirkt hat. Von zentraler Wichtigkeit innerhalb dieses Kataloges erscheint es, das Problem zu behandeln, welche Wirkungen mit einem Kunstwerk in seinem Verständnis als Kommunikationsmedium angestrebt wurden. Dabei ist zu bedenken, daß die Intention eines Künstlers eine andere gewesen sein kann als das, was seine Zeit und/ oder die Nachwelt in seinem Werk ersehen. Es gilt daher stets auch, dem ureigenen Wesen des Künstlers gerecht zu werden" 2 2 . Dieser Beitrag von Wohlfeil zu einer grundsätzlichen Methodenreflexion zur Historischen Bildkunde kann nur begrüßt werden und sollte nicht ungehört verhallen, zumal erste wertvolle Ergebnisse der Nutzung von Panofskys ikonologischer Methode 23 vorliegen. Indessen ist zu bedenken, daß zwar prinzipiell jedes Kunstwerk einer ikonographischen Analyse unterzogen werden kann, daß jedoch die ikonologische Methode nur auf einen begrenzten Kreis von Kunstwerken anwendbar ist und daß sie damit keinen universellen Charakter besitzt. Die Ikonologie ist eine Interpretationsmethode. Die Interpretation im kunstwissenschaftlichen Sinne ist die „aus einer intensiven Beschreibung und Analyse resultierende Ausdeutung" von Kunstwerken, deren Ziel „eine 21

Vgl. Wohlfeil ( A n m . 6), 104 - 119; Wohlfeil ( A n m . 8). Wohlfeil ( A n m . 8), 97. W o h l f e i l h a t seine Ü b e r l e g u n g e n 1990 w e i t e r g e f ü h r t . Vgl. seine „ M e t h o d i s c h e n R e f l e x i o n e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e " ( A n m . 10). 23 Vgl. z.B. Rainer u. Trudl Wohlfeil, N ü r n b e r g e r B i l d e p i t a p h i e n . Versuch einer F a l l s t u d i e z u r h i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Z H F 12 (1985) 129 - 180. 22

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vertiefte Erfassung und Mitteilung des künstlerischen Tatbestandes als gestalterische Konzeption samt den darin widergespiegelten allgemeinen und individuellen Inhalten" ist 2 4 . Das heißt, die Interpretation erschließt die Bedeutung des Kunstwerkes, die allerdings nicht der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist 2 5 . M. Liebmann ist der Auffassung, daß der Kreis von Kunstwerken, auf den die ikonologische Methode anwendbar sei, begrenzt ist. „Die Ikonologie ist machtlos, wo sie es mit der Landschaftsmalerei zu tun hat..., mit dem Stilleben, der Genremalerei und, ... dem Porträt". Einschränkend sagt er allerdings, daß „manche Stilleben, Porträts und Genrebilder allegorisch interpretiert werden ... können, wie z.B. Porträts, auf denen Menschen als antike Götter oder Heroen gegeben sind, sog. ,Vanitas'Bilder, Genredarstellungen, die bestimmte Gefühle allegorisieren" 26 . Es ist P. Betthausen recht zu geben, der für eine strikte Trennung der Begriffe „Interpretation" und „Erklärung" plädiert. Interpretation sei von „jenen Erkenntnisverfahren streng zu unterscheiden, die von der allgemeinen Wissenschaftstheorie als Erklärungen im eigentlichen Sinne betrachtet werden. Ihr Erklärungsbegriff bezieht sich nicht auf Bedeutungen von sprachlichen oder ikonischen Zeichen, sondern auf das Verhältnis von Sachverhalten zu anderen Sachverhalten der Wirklichkeit, d.h. bei der Erklärungsprozedur wird ein zu erklärender Sachverhalt mit anderen Sachverhalten in Verbindung gebracht". Betthausen versteht deshalb unter „Erklärung" „diejenigen wissenschaftlichen Verfahren ..., die zur Anwendung kommen, wenn nach den determinierenden Faktoren des Kunstwerkes gefragt w i r d " 2 7 . Das sind Größen, die außerhalb des Kunstwerkes liegen. Als Kunstwissenschaftler verweist er zu Recht auf die Möglichkeiten und Grenzen der verschiedenen kunstgeschichtlichen Erkenntnisverfahren. Grundsätzlich geht es ihm um die Beachtung der Komplexität der Gewinnung von Erkenntnissen: „ U m einen künstlerischen Sachverhalt zu erhellen, sind interpretierende, beschreibende und erklärende Verfahren erforderlich. Erst die Anwendung aller dieser Verfahren ermöglicht ein optimales Ergebnis. Oder anders ausgedrückt: Ein künstlerischer Sachverhalt kann erst dann als gegriffen' angesehen werden, wenn sein Sinn gedeutet, sein Platz im Geschichtsprozeß bzw. seine Systemfunktion beschrieben und die ihn determinierenden Bedingungen erkannt, d.h. er erklärt ist". Aber aus dem Wesen eines Kunstwerkes ergibt sich auch, daß, sobald es „als individuelles, ganzheitliches 24

L e x i k o n der K u n s t , B d . 2, L e i p z i g 1971, 409. Vgl. Peter Betthausen, H y p o t h e s e n z u einer k u n s t w i s s e n s c h a f t l i c h e n S t i l t h e o r i e , Diss. A , H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t z u B e r l i n 1971, 56. 26 Michael Liebman, Ikonologie, in: B i l d e n d e K u n s t als Zeichensystem, Bd. 1: I k o n o g r a p h i e u n d I k o n o l o g i e . T h e o r i e n - E n t w i c k l u n g - Probleme, hrsg. v o n E k k e h a r d K a e m m e r l i n g ( D u M o n t - T a s c h e n b ü c h e r , 83), 3. Überarb. A u f l . , K ö l n 1984, 307 u n d 327, A n m . 18. 27 Peter Betthausen, Z u r kunsthistorischen Erklärung, in: Kunstwissenschaftliche Beiträge. Beilage z u r Z e i t s c h r i f t „ B i l d e n d e K u n s t " , 28 (1981) 8 - 16, h i e r 9. 25

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Gebilde aufgefaßt wird, ... es nur beschrieben und interpretiert werden ... kann". „Sobald der Kunsthistoriker erklärt, geht ihm das Kunstwerk als Ganzheit verloren, er hat es auf dieser Ebene der Wissensbildung nur mit einzelnen Elementen von Kunstwerken zu t u n " 2 8 . Dennoch kann er auf eine Erklärung nicht verzichten, wenn er nicht auf eine Erkenntnismöglichkeit verzichten will. Da für den Historiker die Rücksichtnahme auf die Ganzheit eines Kunstwerkes auf der Grundlage seiner speziellen Fragestellung zwar wünschenswert, aber nicht zwingend erscheint, gewinnen für ihn die erklärenden Verfahren eine besondere Bedeutung. Wird von der traditionellen Einteilung der bildlichen Darstellungen in Darstellungen von Personen, Orten, Ereignissen und Sachen ausgegangen, wie sie seit Keyser Geltung besitzt, so lassen sich für alle Möglichkeiten Publikationen in der DDR nachweisen, jedoch in unterschiedlicher Anzahl. An dieser Stelle können mit Ausnahme der Publikationen über Ortsbilder nur wenige Beispiele angeführt werden. Neben der Bearbeitung von Gelehrtenporträts 29 wurde vor allem in Museumskatalogen zu Ausstellungen wertvolles Porträtmaterial erschlossen 30 oder wurden Porträtkataloge 31 herausgegeben. Dem weltlichen Ereignisbild in Berlin und Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert waren eine Ausstellung und ein Katalog der Staatlichen Museen zu Berlin gewidmet 32 . Der Frage, was Schiffsdarstellungen auf alten Karten über Herkunft, Datierung und Funktionsweise von Wasserfahrzeugen auszusagen vermögen, also ihrem dokumentarischen Wert für die Geschichtswissenschaft ging H. Ewe nach 33 . Weitere Beiträge zu einer maritimen Quellenkunde liegen vor 3 4 . Zahlreiche Bildquellen zum bäuerlichen Leben im Mittelalter stellte S. Epperlein zusammen 35 . 2

8 Ebd., 15 f. Vgl. D. Kusch, D i e R e k t o r e n - u n d Professorenbildnisse des 16. J a h r h u n d e r t s i n der F r i e d r i c h - S c h i l l e r - U n i v e r s i t ä t Jena, i n : W Z der F r i e d r i c h - S c h i l l e r - U n i v e r s i t ä t , gesellschaftswiss. Reihe 1957/58, H . 1; - D. Grumbt, D i e Jenaer Professorenbildnisse als Spiegel geistesgeschichtlicher E n t w i c k l u n g der U n i v e r s i t ä t , D i p l o m - A r b e i t F r i e d r i c h - S c h i l l e r - U n i v e r s i t ä t Jena 1958; - A. Janda-Bux, D i e E n t s t e h u n g der B i l d n i s s a m m l u n g a n der U n i v e r s i t ä t L e i p z i g u n d i h r e B e d e u t u n g f ü r die Geschichte der G e l e h r t e n p o r t r ä t s , i n : W Z der K a r l - M a r x - U n i v e r s i t ä t L e i p z i g , gesellschafts- u n d sprachwiss. Reihe 1954/55, H. 1/2; - Bildnisse b e r ü h m t e r M i t g l i e d e r der D e u t s c h e n A k a d . d. Wiss. z u B e r l i n (1700 - 1950), hrsg. aus A n l a ß der 250. Jahresfeier v o n der Deutschen A k a d e m i e der Wissenschaften z u B e r l i n , B e r l i n (Ost) 1950; - B. Oehme, Jenaer Professoren i m B i l d n i s . Gemälde aus 425 Jahren Universitätsgeschichte (1548/ 58 - 1983), Jena 1983. 29

30 Vgl. z.B. A n t o i n e Pesne 1633 - 1757. A u s s t e l l u n g z u m 300. Geburtstag, P o t s d a m Sanssouci 1983. 31 Vgl. P o r t r ä t k a t a l o g e I - I I I , hrsg. v o m Z e n t r a l a n t i q u a r i a t der D D R , L e i p z i g 1962 - 1970. 32 Vgl. Das w e l t l i c h e E r e i g n i s b i l d i n B e r l i n u n d B r a n d e n b u r g - P r e u ß e n i m 18. J a h r h u n d e r t . A u s s t e l l u n g s k a t a l o g , B e r l i n 1987. 33 Vgl. Herbert Ewe, A b b i l d oder Phantasie: Schiffe auf historischen K a r t e n , Rostock 1978. 34 Vgl. z.B. W. Timm, K a p i t ä n s b i l d e r : S c h i f f s p o r t r ä t s seit 1782, 2. A u f l . , Rostock 1978; ders., Schiffe u n d i h r e Schicksale: M a r i t i m e E r l e b n i s b i l d e r , Rostock 1976; - L .

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Im folgenden soll auf Publikationen zu Ortsdarstellungen eingegangen werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Beschäftigung mit historischen Stadtdarstellungen erfreulich zugenommen. Die mustergültige Dokumentation der Ansichten ganzer historischer Territorien und auch einzelner Städte schlug sich in zum Teil mehrbändigen Kompendien nieder 36 . Auch die bibliographische Verzeichnung der entsprechenden Literatur machte Fortschritte 37 . Zunehmend werden theoretische Fragen diskutiert und der quellenkundliche Aspekt stärker hervorgehoben 38 . Im Zeitraum 1945 - 1988 Eich/ J. Wend, Schiffe auf d r u c k g r a p h i s c h e n B l ä t t e r n : ausgewählte M e i s t e r w e r k e des 15. bis 17. J a h r h u n d e r t s , Rostock 1980. 35 Vgl. Siegfried Epperlein, D e r B a u e r i m B i l d des M i t t e l a l t e r s , L e i p z i g / J e n a / B e r l i n 1975. 36 Vgl. z.B. die wegweisenden A r b e i t e n v o n M. Schefold, A l t e A n s i c h t e n aus W ü r t temberg, S t u t t g a r t 1956; ders., A l t e A n s i c h t e n v o n Baden, 2 Bde., W e i ß e n h o r n 1971; ders., A l t e A n s i c h t e n aus Bayerisch Schwaben, W e i ß e n h o r n 1986; ders., U l m : das B i l d der S t a d t i n a l t e n A n s i c h t e n , S t a d t t o p o g r a p h i s c h e r T e i l v o n H e l l m u t Pflüger, W e i ßenhorn 1967. Ferner O. Klose/h. Martius, Ortsansichten u n d S t a d t p l ä n e der H e r z o g t ü m e r Schleswig, H o l s t e i n u n d L a u e n b u r g , N e u m ü n s t e r 1962; - P. Weninger, Österreich i n a l t e n A n s i c h t e n , S a l z b u r g 1977. Weitere A n g a b e n siehe b e i Jacob, H i s t o rische S t a d t a n s i c h t e n ( A n m . 20) 157ff. 37 Vgl. M. Schefold, B i b l i o g r a p h i e der Vedute, B e r l i n 1976; - A. Fauser, Repertor i u m älterer T o p o g r a p h i e , D r u c k g r a p h i k v o n 1486 bis 1750, 2 Bde., Wiesbaden 1978. 38 Vgl. z.B. Schefold ( A n m . 36); - H. Menz, D i e S t a d t als B i l d m o t i v : ein B e i t r a g z u r I k o n o g r a p h i e der neueren K u n s t , p h i l . Diss. U n i v e r s i t ä t L e i p z i g 1957; - J. Mertens, Methodische u n d historische Probleme b e i der A u s w e r t u n g graphischer Quellen z u r Stadtgeschichte, i n : D i e Geschichte der S t a d t B r a u n s c h w e i g i n K a r t e n , P l ä n e n u n d A n s i c h t e n , B r a u n s c h w e i g 1981, 20 f. - Frank-Dietrich Jacob, Prolegomena z u einer q u e l l e n k u n d l i c h e n B e t r a c h t u n g historischer S t a d t a n s i c h t e n , i n : Jb. f ü r Regionalgeschichte, 6, (1978), 129 - 166; - Herbert Ewe, Stralsunder Bilderhandschrift. Historische A n s i c h t e n v o r p o m m e r s c h e r Städte, Rostock 1979; - W. Achilles, Das B i l d der S t a d t H i l d e s h e i m 1492 - 1850 (Schriftenreihe des S t a d t a r c h i v s u n d der S t a d t b i b l i o t h e k H i l desheim, 9), H i l d e s h e i m 1981; - E. Schenk zu Schweinsberg, Die gedruckten Ansicht e n u n d Pläne der S t a d t M a r b u r g v o n den A n f ä n g e n bis z u m Jahre 1803, i n : M a r b u r ger Geschichte, M a r b u r g 1982, 969 - 1042; - G. Wacha, S t a d t a n s i c h t e n als historische Quelle, i n : Städtische K u l t u r i n der B a r o c k z e i t , hrsg. v o n W i l h e l m Rausch, L i n z 1982, 35 - 52; - Schmitt/Luckhardt ( A n m . 19); - Schmitt ( A n m . 19); - J. Luckhardt, Zum W a n d e l der Realitätsauffassung i n t o p o g r a p h i s c h e n D a r s t e l l u n g e n Westfalens v o r 1900, i n : L ü n e b u r g e r Beiträge z u r Vedutenforschung, hrsg. v o n E c k h a r d Jäger, L ü n e b u r g 1983; Eckhard Jäger, Sozialgeschichtliche A s p e k t e der A r b e i t v o n Vedutenstechern. A u s g e w ä h l t e Beispiele aus d e m 16., 17. u. 18. J a h r h u n d e r t , i n : L ü n e b u r g e r B e i träge z u r Vedutenforschung, ebd., 9 - 18; - O. Fraydenegg-Monzello, Rechtliches i n T o p o g r a p h i e n , i n : F o r s c h u n g e n z u r Rechtsarchäologie u n d R e c h t l i c h e n V o l k s k u n d e , 5, hrsg. v o n L . Carlen, Z ü r i c h 1983, 3 - 45; - Michael Schmitt, V o r b i l d , A b b i l d , K o p i e . Z u r E n t w i c k l u n g der Sehweisen u n d D a r s t e l l u n g s a r t e n i n d r u c k g r a p h i s c h e n S t a d t a b b i l d u n g e n des 15. bis 18. J a h r h u n d e r t s a m Beispiel Aachen, i n : C i v i t a t u m C o m m u nitas. S t u d i e n z u m europäischen Städtewesen. Festschrift H e i n z Stoob z u m 65. Geburtstag, T. 1, (Städteforschung, Reihe A , 21/1) K ö l n / W i e n 1984, 322 - 354; - K . Stopp, D i e H a n d w e r k s k u n d s c h a f t e n m i t Ortsansichten. Beschreibender K a t a l o g der A r b e i t s a t t e s t a t e w a n d e r n d e r H a n d w e r k s g e s e l l e n (1731 - 1830), S t u t t g a r t Bd. I f f . 1982ff.; - P. Stevens, Z u r A u s w e r t b a r k e i t topographischer D a r s t e l l u n g e n f ü r die D e n k m a l p f l e g e : A n m e r k u n g e n z u A n s i c h t e n aus d e m K r e i s L i p p e , i n : L i p p i s c h e M i t t e i l u n g e n aus Geschichte u n d L a n d e s k u n d e , 55 (1986), 79 - 96; - H. Reyer, D i e ältesten A b b i l d u n g e n der S t a d t Witzenhausen, ( S c h r i f t e n des W e r r a t a l v e r e i n s W i t z e n hausen, 15), W i t z e n h a u s e n 1986, 5 - 19; - Wilfried Krings, T e x t u n d B i l d als I n f o r m a t i o n s t r ä g e r b e i g e d r u c k t e n S t a d t d a r s t e l l u n g e n der F r ü h e n Neuzeit, i n : Poesis et P i c -

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Frank-Dietrich Jacob

wurden auf dem Gebiet der DDR ca. 50 Arbeiten zu historischen Stadtdarstellungen vorgelegt 39 . Ein Großteil davon sind Museumspublikationen. Dem Zentralantiquariat der DDR in Leipzig ist die Herausgabe etlicher Reprints von Ansichtenwerken des 19. Jahrhunders zu danken 40 . Von Gewinn für die Forschung ist die Tatsache, daß in Dokumentenbänden des Archivwesens der DDR bildliche Quellen einen gebührenden Platz einnehmen. Zum Teil wurden Quellen, zum Beispiel Darstellungen von Dörfern, erstmalig publiziert 4 1 . Nicht gelungen in der DDR ist es, den Bestand eines historischen Territoriums, etwa Sachsens oder Thüringens, flächendeckend zu bearbeiten, wie das beispielhaft die Arbeiten von M. Schefold zeigen oder wie das die bisher erschienenen Bände der „Westfalia Picta" eindrucksvoll demonstrieren 42 . Also wäre die örtliche Forschung in Museen und Archiven zu intensivieren, um Voraussetzungen zu schaffen, die bildliche Überlieferung eines Territoriums zu erschließen und zu dokumentieren. Beachtliche Beiträge leisteten Hochschulen und die Fachschule für Museologen Leipzig durch die Vergabe von Examensarbeiten 43 . Die bisherigen Ergebnisse von „Westfalia Picta" tura. Studien z u m Verhältnis von Text u n d B i l d i n Handschriften und alten Drucken. Festschrift f ü r D i e t e r W u t t k e z u m 60. Geburtstag, hrsg. v o n S t e p h a n F ü s s e l / J o a c h i m K n a p e , (Saecula s p i r i t a l i a , Sonderband) B a d e n - B a d e n 1989, 295 - 335; - Herbert Ewe, H i s t o r i s c h e S t a d t a n s i c h t e n u n d i h r e B e d e u t u n g f ü r die E r f o r s c h u n g der Häfen, i n : Hansische Stadtgeschichte - B r a n d e n b u r g i s c h e Landesgeschichte (Hansische S t u dien, V I I I ) , W e i m a r 1989, 250 - 256. 39 Vgl. U. Kalmbach, S c h r i f t e n z u h i s t o r i s c h e n S t a d t d a r s t e l l u n g e n auf d e m Gebiet der D D R i m E r s c h e i n u n g s z e i t r a u m v o n 1945 - 1988: A n a l y s e u n d Schlußfolgerungen, Fachschule f ü r Museologen L e i p z i g , A b s c h l u ß a r b e i t 1989. 40 Vgl. z.B. D e r E l b s t r o m v o n seinem U r s p r ü n g e bis z u seiner M ü n d u n g i n die Nordsee, malerisch, t o p o g r a p h i s c h u n d h i s t o r i s c h dargestellt, Dresden 1845, R e p r i n t L e i p z i g 1984; - Brandenburisches A l b u m , hrsg. u n d verlegt v o n B. S. Berendson, H a m b u r g 1860, R e p r i n t L e i p z i g 1985; - Ludwig Rohbock/Karl Christian Koehler, Das K ö n i g r e i c h Sachsen, T h ü r i n g e n u n d A n h a l t , dargestellt i n malerischen O r i g i n a l A n s i c h t e n . Erste A b t e i l u n g : Das K ö n i g r e i c h Sachsen, 1. u. 2. Bd., D a r m s t a d t 1862, R e p r i n t L e i p z i g 1987. 41 Vgl. F. Beck/M. Unger, ... m i t B r i e f u n d Siegel. D o k u m e n t e aus A r c h i v e n der D D R , hrsg. v o n der S t a a t l i c h e n A r c h i v v e r w a l t u n g der D D R , L e i p z i g 1979; - F. Beck/ R. Groß/M. Unger, A u s tausend Jahren deutscher Geschichte. D o k u m e n t e aus A r c h i v e n der D D R , hrsg. v o n der S t a a t l i c h e n A r c h i v v e r w a l t u n g der D D R , B e r l i n (Ost) 1989. 42 Vgl. W e s t f a l i a Picta: Erfassung westfälischer Ortsansichten v o r 1900, hrsg. v o n Jochen Luckhardt, Bd. I f f . , B i e l e f e l d 1987ff. 43 Vgl. z.B. P. Loesch, B i l d l i c h e Quellen z u r E n t w i c k l u n g des S t r a l s u n d e r S t a d t b i l des v o m ausgehenden M i t t e l a l t e r bis z u m E n d e des 19. J a h r h h u n d e r t s , M a r t i n L u t h e r - U n i v e r s i t ä t H a l l e - W i t t e n b e r g , S e k t i o n G e r m a n i s t i k u n d Kunstwissenschaften, Wissenschaftsbereich Kunstgeschichte, D i p l o m - A r b e i t 1987; - A. Bürger! Κ Vetisch, B u r g u n d Schloß i n M a l e r e i u n d G r a p h i k . E i n B e i t r a g z u r k u n s t g e s c h i c h t l i c h e n M o t i v k u n d e , Pädagogische H o c h s c h u l e Dresden, S e k t i o n F r e u n d s c h a f t s p i o n i e r l e i t e r Geschichte, D i p l o m - A r b e i t 1977. Vgl. Frank-Dietrich Jacob, Aspekte z u E n t w i c k l u n g u n d A u f g a b e n der H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Festschrift f ü r E r n s t - H e i n z L e m per, Beiheft z u m G ö r l i t z e r M a g a z i n 1989, G ö r l i t z 1989, 1 4 - 2 4 . I n z w i s c h e n liegen w e i t e r e A b s c h l u ß a r b e i t e n aus d e m b i l d k u n d l i c h e n Oberseminar der Fachschule f ü r Museologen vor: S. Jessel, H i s t o r i s c h e S t a d t d a r s t e l l u n g e n v o n D ö m i t z v o n den A n f ä n gen bis z u m A u f k o m m e n der Photographie. D o k u m e n t a t i o n u n d q u e l l e n k u n d l i c h e

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sind wegweisend. Dieses Projekt hatte „das Ziel, die topographischen Ansichten Westfalens systematisch aufzuarbeiten und als Dokumentation der Forschung zur Verfügung zu stellen" 44 . Bisher erschienen fünf von zehn geplanten Bänden. Ein „weiter" Begriff der „Ortsansicht" ließ es zu, „neben den Gesamtdarstellungen der Orte auch bildliche Zeugnisse von Einzelgebäuden (Schlössern, Wohn- und Industriebauten etc.) einzubeziehen". Das bewährte Aufnahmeschema sieht die Erfassung von Grunddaten (Größe, Technik, Bezeichnungen) vor, dem dann die Bearbeitung des Bildinhaltes (Künstler, Datierung, Baugeschichte, Problematik wirklichkeitsgetreuer Abbildungsweise) folgt. J. Luckhardt wies ausdrücklich darauf hin, daß die Veröffentlichungen als „Grundlage für weitere Forschungen" dienen sollen. „Das Ziel von Westfalia Picta ist die Aufnahme und erste Aufbereitung der Bildquellen". Im Bearbeitungszeitraum 1976 - Anfang 1986 wurden insgesamt 7642 Ansichten verzeichnet und bearbeitet. Neben diesem Unternehmen gewinnen zunehmend die seit 1981 vom Institut Nordostdeutsches Kulturwerk Lüneburg veranstalteten VedutenColloquia an Bedeutung, die von entsprechenden Protokollbänden begleitet werden 45 . Nicht vergessen werden darf, daß bis zum 17. Jahrhundert Ortsbild und kartographische Darstellung oft nicht zu trennen sind. Deshalb bestehen enge Berührungspunkte mit der Geschichte der Kartographie, deren Ergebnisse von eminenter Wichtigkeit für die Historische Bildkunde sein können. Verschiedene Forschungsergebnisse belegen das 46 . B e t r a c h t u n g e n , 1989; - K. Kornow, H i s t o r i s c h e D a r s t e l l u n g e n der S t a d t G r e i f s w a l d v o n den A n f ä n g e n bis z u m A u f k o m m e n der P h o t o g r a p h i e ( K a t a l o g u n d q u e l l e n k u n d liche Betrachtungen), 1989; - Ch. Doleschal, H i s t o r i s c h e S t a d t d a r s t e l l u n g e n der S t a d t Eisleben v o m 14. J a h r h u n d e r t bis z u m 19. J a h r h u n d e r t . D o k u m e n t a t i o n u n d Versuch einer q u e l l e n k u n d l i c h e n A u s w e r t u n g , 1990; - D. Martinowa, Z u r P r o b l e m a t i k der Staffage i n den M e r i a n i s c h e n T o p o g r a p h i e n Obersachsens, Niedersachsens u n d B r a n denburg/Pommerns, 1990; - C. Nestler, Historische Darstellungen der Städte Zeitz u n d Weißenfels v o n den A n f ä n g e n bis z u m A u f k o m m e n der Photographie. K a t a l o g u n d q u e l l e n k u n d l i c h e B e t r a c h t u n g , 1990; - K. Roth, H i s t o r i s c h e D a r s t e l l u n g e n der S t a d t N a u m b u r g v o n den A n f ä n g e n bis z u m A u f k o m m e n der P h o t o g r a p h i e ( K a t a l o g u n d q u e l l e n k u n d l i c h e B e t r a c h t u n g ) , 1990. 44 Jochen Luckhardt, Westfalia Picta. D i e Erfassung westfälischer Ortsansichten v o r 1900, i n : Westfälische Forschungen, 38 (1988), 268ff. 45 I. V e d u t e n - C o l l o q u i u m 23. - 2 5 . 1 0 . 1 9 8 1 L ü n e b u r g ; I I . V e d u t e n - C o l l o q u i u m 7. 9.10.1983 L ü n e b u r g ; I I I . V e d u t e n - C o l l o q u i u m 3. - 6.10.1985 Regensburg; I V . V e d u t e n - C o l l o q u i u m 26. - 29.3.1987 M ü n s t e r / W e s t f . ; V. V e d u t e n - C o l l o q u i u m 11. 14.10.1990 E t t a l . Erschienen ist bisher der erste B a n d der L ü n e b u r g e r Beiträge z u r Vedutenforschung, hrsg. v o n Eckhard Jäger, L ü n e b u r g 1983. D e r z w e i t e B a n d ist i m Druck. 46 Vgl. z.B. B. Weber, E n t w i c k l u n g s f o r m e n des t o p o g r a p h i s c h e n u n d k a r t o g r a p h i schen L a n d s c h a f t s p o r t r ä t s v o m M a n i e r i s m u s z u m B a r o c k , i n : S c h w e i z e r i s c h - d e u t sche Beziehungen i m konfessionellen Z e i t a l t e r , hrsg. v. M . B i r c h e r u. a. ( W o l f e n b ü t t e ler A r b e i t e n z u r B a r o c k f o r s c h u n g , 12), Wiesbaden 1984, 261 - 298; - Wilfried Krings, D i e S t a d t als A b b i l d . V a r i a t i o n e n der zeichnerischen D a r s t e l l u n g v o n S t ä d t e n i m 16., 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t , i n : D i e Reichsstadt N ü r n b e r g u n d i h r L a n d g e b i e t i m Spiegel

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Gegenständliche und bildliche Quellen lassen sich - Ausnahmen in Rechnung gestellt - auf den Begriff der „Musealie" bringen 47 . Eine Konsequenz für die praktische Arbeit wäre demnach, daß der forschende Historiker neben Archiv und Bibliothek stärker als bisher das Museum als Stätte der Sammlung, Bewahrung und Erschließung von Musealien, welches der fachwissenschaftlichen Forschung als auch der Bildung dient 4 8 , aufsuchen müßte. Natürlich setzt das ein Angebot der Museen voraus, das heißt einen hohen Grad der fachwissenschaftlichen Erschließung der Bestände, ein hohes Niveau in der Dokumentation der betreffenden musealen Objekte. Und gerade hier besteht aus der Sicht der Historischen Bildkunde Nachholbedarf, ist die oben zitierte Aufgabe der Forschung aus den dreißiger Jahren nach wie vor aktuell, gewinnt sie neue Bedeutung. Immer stärker zeichnet es sich ab, daß zur Effektivierung der Forschungsarbeit die elektronische Datenverarbeitung einzusetzen und vorhandene internationale Erfahrungen zu nutzen wären 49 . Die Möglichkeiten der rechentechnischen Erschließung können erst mit der Einrichtung einer Datenbank voll genutzt werden. „Diese Datenbank muß so aufgebaut sein, daß je nach Fragestellungen das Bildmaterial unter bestimmten Gesichtspunkten neu geordnet werden kann. Das heißt, nach einzelnen Künstlern, nach Zeitabschnitten, nach ganz speziellen Bildinhalten und anderen Kriterien kann recherchiert werden" 5 0 . Der Sinn solcher Bemühungen besteht in der „Verknüpfung einzelner Abfrageelemente miteinander" 5 1 . E. Vavra macht auf vier Ausgangspunkte für die Erstellung eines EDV-Programms aufmerksam, die prinzipiell auch für Stadtdarstellungen gelten. Erstens müsse das verwendete Beschreibsystem allen Gattungen der bildlichen Quelle gerecht werden. Es solle zweitens möglichst variabel und ausbaufähig sein; es solle in der Wahl der Termini dem Beschreiber keinerlei Beschränkung auferlegen. Drittens müsse es eine möglichst komplexe Beschreibung zulassen. alter K a r t e n u n d A n s i c h t e n . A u s s t e l l u n g s k a t a l o g , N ü r n b e r g 1986, 33 - 46; vgl. auch die Beiträge des S y m p o s i u m s „Sächsische K a r t o g r a p h i e bis z u m 3 0 j ä h r i g e n K r i e g " , 21. - 25.10.1986 i n Dresden, v e r ö f f e n t l i c h t i n : Sächsische H e i m a t b l ä t t e r 34 (1988), S. 1 - 49, sowie Fritz Bönisch / Hans Brichzin / Klaus Schillinger / Werner Stams, Kursächsische K a r t o g r a p h i e bis z u m D r e i ß i g j ä h r i g e n K r i e g . I. D i e A n f ä n g e des K a r tenwesens, B e r l i n 1990. 47 Vgl. Volker Schimpff, M u s e a l i e n als Geschichtsquelle. V o r t r a g i m A r m e e m u s e u m der D D R Dresden a m 22.04.1985, u n v e r ö f f e n t l i c h t e s M a n u s k r i p t ; ders., M u s e a l i e n als Geschichtsquellen, i n : 30 Jahre A u s b i l d u n g a n der Fachschule f ü r Museologen, ( I n f o r m a t i o n e n f ü r die Museen der D D R 1986/5), 37 - 44. 48 Vgl. K. Schreiner, Museologische T e r m i n i . A u s w a h l , N e u b r a n d e n b u r g 1982, 55. 49 Vgl. Elisabeth Vavra, M ö g l i c h k e i t e n einer E D V - u n t e r s t ü t z t e n A u s w e r t u n g m i t t e l a l t e r l i c h e r B i l d q u e l l e n , i n : Beiträge z u r Ü b e r l i e f e r u n g u n d Beschreibung deutscher T e x t e des M i t t e l a l t e r s . Referate der 8. A r b e i t s t a g u n g österreichischer H a n d s c h r i f t e n - Bearbeiter v o m 2 5 . - 2 8 . 1 1 . 1 9 8 1 i n Rief b e i Salzburg, hrsg. v o n I. Reiff enstein, W i e n 1983, 195 - 211. 50 Kalmbach ( A n m . 39) 39. 51 Vavra ( A n m . 49) 197.

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Viertens müsse die Beschreibung bestehende Beziehungen zwischen den einzelnen Objekten erkennen lassen und deren Abfrage ermöglichen 52 . Mit diesem Hinweis auf die moderne Technik, die auch dem Historiker dienend zur Verfügung steht, seien die Ausführungen über eine Quellenkategorie beschlossen, die auf unverwechselbare und spezifische Weise Erkenntnisse „über den denkenden und fühlenden, handelnden und leidenden Menschen" sowie „über die geistige und soziale Befähigung des Menschen, sich mit den Strukturen seines Umfeldes in der Bandbreite von Mitmensch und Natur bis zu Gott und Weltordnung auseinanderzusetzen" (Wohlfeil) ermöglichen.

52

Ebd., 198.

Beispiele historischer Bildanalysen Bildpublizistik: Illustration - Propaganda - Belehrung

Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen aus der Zeit von Reformation und Bauernkrieg Von Siegfried Hoyer, Leipzig Die zahlreichen Bildnisse aus dem Zeitraum von Renaissance, Reformation und sozialer Revolution regen den Historiker immer wieder an, ihre Motive nach Aussagen über zeitgenössische Lebensverhältnisse und Gedankengänge zu befragen. In jüngster Vergangenheit demonstrieren das Rainer und Trudl Wohlfeil an mehreren eindrucksvollen Beispielen 1 . Die Verwendung von Holzschnitten und Kleinbildnissen als „visuelle Propaganda", die neben der Predigt ein Eigengewicht gewann, sieht Robert W. Scribner als ein Mittel an, über Flugschriften und Flugblätter auch jene Kreise der Bevölkerung anzusprechen, die des Lesens nicht mächtig waren 2 . Zu den tradierten, durch Humanismus und Reformation mit neuen Inhalten versehenen Symbolen gehört das Glücksrad, bewegt von der bereits in der Antike verehrten Fortuna, in dem sich die Veränderlichkeit von Glück und Leben veranschaulicht. Boëthius hatte die Rolle der antiken Göttin für das Mittelalter auf die Formel gebracht, daß der Mensch sich ihr anvertrauen müsse, tatsächlich aber Gott sich ihrer nur bedient, um den Men1 Rainer u n d Trudl Wohlfeil, L a n d s k n e c h t e i m B i l d . Ü b e r l e g u n g e n z u r h i s t o r i schen B i l d k u n d e ' , i n : Bauer, Reich u n d Reformation. Festschrift f ü r G ü n t h e r Franz, hrsg. v o n Peter B l i c k l e , S t u t t g a r t 1982, 104 - 119; dies., Das L a n d s k n e c h t s - B i l d als geschichtliche Quelle. Ü b e r l e g u n g e n z u r H i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : M i l i t ä r g e schichte. Probleme - Thesen - Wege, hrsg. v o n M a n f r e d Messerschmidt u. a. (Beiträge z u r M i l i t ä r - u n d Kriegsgeschichte, 25), S t u t t g a r t 1982, 81 - 99; Rainer Wohlfeil, L u t h e r i s c h e B i l d t h e o l o g i e , i n : M a r t i n L u t h e r . L e i s t u n g u n d Erbe, hrsg. v o n H o r s t B a r t e l ( + ) u.a., B e r l i n (Ost) 1986, 268 - 276; Rainer u n d Trudl Wohlfeil u n t e r M i t w i r k u n g v o n Viktoria Strohbach, N ü r n b e r g e r B i l d e p i t a p h i e n . Versuch einer F a l l s t u d i e z u r h i s t o r i s c h e n B i l d k u n d e , i n : Z H F 12 (1985), 129 - 180; Rainer Wohlfeil/Trudl Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n ständischer Gesellschaft. B a r t h o l o m ä u s B r u y n d . Ä . Petrarcameister, i n : Ständische Gesellschaft u n d soziale M o b i l i t ä t , hrsg. v o n W i n f r i e d Schulze ( S c h r i f t e n des H i s t o r i s c h e n Kollegs, K o l l o q u i e n 11), M ü n c h e n 1988, 269 319; dies., Jan d . Ä . B r u e g h e l u n d H e n d r i c k v a n B a i e n d . Ä . : D i e Weissagungen des P r o p h e t e n Jesaias, in: Friedensgedanke u n d F r i e d e n s b e w a h r u n g a m B e g i n n der N e u zeit. Beiträge einer wissenschaftlichen Konferenz v o m 6. u n d 7. M a i 1986, hrsg. v o n Siegfried H o y e r u n d W i e l a n d H e l d , L e i p z i g 1987, 60 - 83; dies., Stände u n d Konfessionen. Lucas C r a n a c h d. J.: „ D i e P r e d i g t Johannes des Täufers". B a r t h o l o m ä u s B r u y n d . Ä . : „ D i e D r e i Stände der C h r i s t e n h e i t " i m Vergleich, i n : D i e B i l d u n g des f r ü h m o dernen Staates - Stände u n d Konfessionen, hrsg. v o n H e i n e r T i m m e r m a n n ( F o r u m : P o l i t i k , 6), S a a r b r ü c k e n 1989, 263 - 292. 2 Robert W. Scribner, F o r the sake of s i m p l e f o l k . P o p u l a r Propaganda for the G e r m a n R e f o r m a t i o n ( C a m b r i d g e Studies i n O r a l a n d L i t e r a t e C u l t u r e , 2), C a m b r i d g e 1981; ders., P o p u l a r C u l t u r e a n d P o p u l a r M o v e m e n t s i n R e f o r m a t i o n G e r m a n y , L o n d o n 1987.

5 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

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sehen von der Nichtigkeit und Wertlosigkeit irdischer Glücksgüter zu überzeugen und seinen Blick auf das bessere Jenseits zu richten 3 . Fortuna dreht auf vielen Bildern zwar das Glücksrad, ist aber mit dem in den Wolken schwebenden Gott verbunden. An das Rad klammern sich meist vier Personen: nach oben steigend, auf dem Scheitel sitzend, nach unten fallend und schließlich unter dem Rad liegend. Die Darstellung eines solchen Kreislaufes entbehrt nicht des Fatalismus und warnt damit indirekt vor Stolz und Hochmut, denn der Einzelne ist dem drehenden Rad völlig ausgeliefert 4. Eine „klassische Form" dieses Wandels von Macht und Niedergang entstand Ende des 12. Jahrhunderts. Fortuna als Königin bewegt scheinbar mühelos das große Rad (Abb. I) 5 , auf dem sich oben ein König mit Zepter und Krone befindet (regno), rechts ein fallender (regnavi), unter dem Rad zerschmettert ein König ohne Krone liegt (sum sine regno) und links, aufsteigend, eine nach der Krone greifende männliche Figur (regnabi). Als Variation des Glücksrades erschien, den Lebenslauf symbolisierend, ein Lebensrad, das den gleichen Bewegungsrhythmus zeigte: Aufstieg, Höhepunkt, Abstieg. Am Rad standen an der Stelle der Fortuna entweder Chronos (die Zeit) oder der Tod. Bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts bedienten sich zahlreiche Künstler dieser Allegorie vom Wandel des irdischen Lebens und von der Herrschaft Gottes, auch mit Varianten, die aber die Grundaussage nicht veränderten 6 . In vielen Dichtungen erschien das gleiche Thema in Worte gefaßt 7. Im Jahr3 Z i t . n a c h Alfred Dören, F o r t u n a i m M i t t e l a l t e r u n d i n der Renaissance, i n : V o r träge 1922 - 1923, hrsg. v o n F r i t z S a x l (Vorträge der B i b l i o t h e k W a r b u r g , 2,1), L e i p z i g / B e r l i n 1924, 71 - 144, h i e r 77ff. 4 Scribner, F o r the Sake ( A n m . 2), 117. 5 H o l k h a m B i b l e P i c t u r e B o o k , ( B r i t i s h M u s e u m , Ms. A d d . 47680, B l . l v ) b y p e r m i s sion of the B r i t i s h L i b r a r y . - A b b . auch i n Frederick P. Pickering, L i t e r a t u r u n d d a r stellende K u n s t i m M i t t e l a l t e r ( G r u n d l a g e n der G e r m a n i s t i k , 4), B e r l i n 1966, v o r 113, Taf. 2. 6 Dören ( A n m . 3), 71 ff. - Pickering ( A n m . 5), 112 ff. - K. Weinhold, G l ü c k s r a d u n d Lebensrad, i n : A b h a n d l u n g e n der k ö n i g l i c h e n A k a d e m i e z u B e r l i n , Phil.Klasse 1892, I f f . - W. Wackernagel, Das G l ü c k s r a d u n d die K u g e l des Glücks, i n : ders., K l e i n e Das W e l t b i l d des m i t S c h r i f t e n , N D O s n a b r ü c k 1966, 241 ff. - Aaron J. Gurjewitsch, t e l a l t e r l i c h e n Menschen, Dresden 1978, 70. - Anderson, A r t . ,Glücksrad', i n : H a n d w ö r t e r b u c h des Aberglaubens 3, 1930/31, 895ff. - Michael Schilling, Rota fortunae. Beziehungen zwischen B i l d u n d T e x t i n s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e n H a n d s c h r i f t e n , i n : H a m b u r g e r C o l l o q u i u m , hrsg. v o n W o l f g a n g H a r m s u. L . P. Johnson, B e r l i n 1975, 293 - 3 1 3 . - Wolf gang Harms, B e m e r k u n g e n z u m V e r h ä l t n i s v o n B i l d l i c h k e i t u n d historischer S i t u a t i o n . E i n G l ü c k s r a d - F l u g b l a t t zur P o l i t i k K a i s e r M a x i m i l i a n s I. i m Jahre 1513, i n : Geistliche D e n k f o r m e n i n der L i t e r a t u r des M i t t e l a l t e r s , hrsg. v o n K l a u s G r u b m ü l l e r u.a. (Münstersche M i t t e l a l t e r - S c h r i f t e n , 51), M ü n c h e n 1984, 336 353 m i t H i n w e i s e n auf w e i t e r e A r b e i t e n 339, A n m . 10. - Ü b e r G l ü c k s r ä d e r speziell an K i r c h e n f e n s t e r n H. J. Dow, T h e R o s e - W i n d o w , i n : J o u r n a l of the W a r b u r g a n d C o u r t a u l d I n s t i t u t e s 20 (1957), 268ff. 7 E i n e k n a p p e Z u s a m m e n s t e l l u n g der T e x t s t e l l e n i m A r t . ,Glücksrad', i n : G r i m m s Deutsches W ö r t e r b u c h 4, I, 5, L e i p z i g 1958, 386ff.; ferner v o n Konrad Burdach, in: A c k e r m a n n aus Böhmen, hrsg. v o n A . B e r n d t / K . B u r d a c h (Vom M i t t e l a l t e r z u r R e f o r m a t i o n , 3,1), B e r l i n 1917, 250ff.

A b b . 1: R a d der F o r t u n a (Miniatur, Ende 12. Jahrhundert, Holkham Bible Picture Book)

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h u n d e r t v o r der R e f o r m a t i o n wies das G l ü c k s r a d m o t i v stärker als zuvor auf die U n g e r e c h t i g k e i t e n i n der W e l t u n d den V e r f a l l des K l e r u s h i n 8 . D a i m Renaissance-Humanismus ethisch-moralische Fragen stärker betont w u r den u n d das W e l t b i l d neue D i m e n s i o n e n erhielt, k a m e n auch zu F o r t u n a u n d G l ü c k s r a d neue Bezüge. D a z u z ä h l t e n eine engere V e r b i n d u n g m i t dem Schicksal oder den Gestirnen u n d eine Z u r ü c k d r ä n g u n g der sakralen B i n dungen. D i e F o r t u n a g e w a n n n i c h t n u r differenzierte Züge, sondern n a h m auch an B e l i e b t h e i t f ü r Einzelpersonen (Staatsmänner, K a u f l e u t e usw.) zu, die A u s k u n f t über i h r Schicksal e r w a r t e t e n 9 . Sebastian Brants Narrenschiff, zu dessen Ausgabe v o n 1494 mehrere K ü n s t l e r , u. a. A l b r e c h t D ü r e r , H o l z s c h n i t t e beisteuerten, behandelt i n den n i c h t n u m e r i e r t e n K a p i t e l n z w e i m a l die Rolle der F o r t u n a , das Glücksrad. Es handelt sich u m die Themen „ V o m G l ü c k s r a d " u n d „ V o m Ende der G e w a l t " 1 0 . D i e H o l z s c h n i t t e zu beiden K a p i t e l n s i n d identisch (Abb. 2) u n d stammen v o n A l b r e c h t D ü r e r 1 1 . A u f dem G l ü c k s r a d befinden sich drei Figuren, h a l b tierischer, h a l b menschlicher Gestalt. A u f der Höhe des Rades sitzt ein Esel, m i t den Schellen des N a r r e n behangen, i n den Vorderbeinen eine K u g e l als weiteres S y m b o l der W e l t (praktisch der M a c h t über die Welt) haltend. Es steigt eine Gestalt m i t einem Eselskopf u n d einem menschlichen U n t e r l e i b ; es f ä l l t ein Zentaur, eine Tier-Menschen-Gestalt, die i m h i n t e r e n T e i l Esel ist, i m v o r deren T e i l aber Mensch, der eine N a r r e n k a p p e auf dem K o p f hat, k o p f ü b e r i n eine offene Grube. Aus der A n o r d n u n g ergibt sich, daß sich seine Gestalt zu einem E s e l 1 2 w a n d e l t , je näher der Mensch dem H ö h e p u n k t der M a c h t k o m m t . D e r ehemals Erfolgreiche n i m m t erst b e i m Sturz v o n den H ö h e n w i e d e r ein menschliches A n t l i t z an.

8 E i n herausragendes Beispiel h a t Wolf gang Harms, R e i n h a r t Fuchs als Papst u n d A n t i c h r i s t auf d e m R a d der F o r t u n a , i n : F r ü h m i t t e l a l t e r l i c h e S t u d i e n 6 (1972), 418 440. 9 Paul Oskar Kristeller, Das moralische D e n k e n des Renaissance-Humanismus, i n : ders., H u m a n i s m u s u n d Renaissance ( H u m a n i s t i s c h e B i b l i o t h e k , A b h a n d l u n g e n u n d Texte, R. 1, 21) 2 Bde., M ü n c h e n 1974/1976, h i e r 2, 72ff. - Dören ( A n m . 3), lOOff. Pickering ( A n m . 5), 141. - Peter Burke, D i e Renaissance i n I t a l i e n . Sozialgeschichte einer K u l t u r z w i s c h e n T r a d i t i o n u n d E r f i n d u n g (dtv 10972), M ü n c h e n 1988, 216. 10 Sebastian Brant, Das N a r r e n s c h i f f . N a c h der Erstausgabe m i t den Zusätzen der Ausgaben v o n 1495 u n d 1499 sowie den H o l z s c h n i t t e n der deutschen O r i g i n a l a u s g a b e n ( N e u d r u c k e deutscher L i t e r a t u r w e r k e des 16. u n d 17. J a h r h u n d e r t s , N . F . 5), 2. erw. A u f l . T ü b i n g e n 1968, 91 ff. - D i e H o l z s c h n i t t e zu Sebastian B r a n t s N a r r e n s c h i f f , hrsg. v o n Manfred Lemmer (Insel-Bücherei, 593), L e i p z i g 1964, 37 u. 56. - D i e H o l z s c h n i t t e auch i n A l b r e c h t D ü r e r , S ä m t l i c h e H o l z s c h n i t t e , eingel. v o n A . Deguer, R a m m e r d i n g 1981, 182, A b b . 19. 11 Brant ( A n m . 10), X I X . 12 D e r Esel g i l t seit d e m S p ä t m i t t e l a l t e r i n A n l e h n u n g an den a n t i k e n Topos als träge u n d als S y m b o l der . L u x u r i a ' ( L e x i k o n der c h r i s t l i c h e n I k o n o g r a p h i e , hrsg. v o n E n g e l b e r t K i r s c h b a u m u.a., Bd. 1, R o m / F r e i b u r g / B a s e l / W i e n 1968, 681 f.).

Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen

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A b b . 2: A l b r e c h t D ü r e r , G l ü c k s r a d (Holzschnitt, 1494, zu Sebastian Brant, Narrenschiff)

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Siegfried Hoyer B r a n t kommentiert das m i t den W o r t e n 1 3 : „ D e r ist eyn narr der stiget hoch /

D o m i t t m a n sâch syn schand u n d schmach / U n d suchet stäts eyn höhern grad / V n d gdenckt n i t an glückes r a d . . . " D i e Bewegung des Rades erfolgt v o n l i n k s oben d u r c h eine H a n d . D e m Brantschen T e x t zufolge ist Clotho, eine der drei Nornen, die den Lebensfaden spinnt, die Bewegerin, doch W a l t e r S c h e i d i g 1 4 weist m i t Recht darauf h i n , daß D ü r e r w o h l die H a n d Gottes zeichnete, v o n der aus eine Schnur zur K u r b e l des Rades f ü h r t . F o r t u n a fehlt zwar, aber a m t r a d i e r t e n Schema hat sich w e n i g geändert. I m Ersatz der F o r t u n a d u r c h die Clotho „eine W a n d l u n g der philosophischen A n s c h a u u n g " 1 5 zu sehen, ist n i c h t überzeugend, da der H o l z s c h n i t t j a w i e d e r z u m alten S y m b o l z u r ü c k f ü h r t . Schwerwiegender ist der verkehrte L a u f des Rades, der n o c h bei einer anderen D a r s t e l l u n g des Glücksrades i n dieser Z e i t erscheint. D u r c h den Gang w i d e r die normale D r e h u n g w i r d das Streben n a c h Ruhm, das aus dem Menschen einen Esel m a c h t , zu einer w i d e r s i n n i g e n , ja närrischen Angelegenheit, u n d es w i r d d u r c h den i m S p ä t m i t t e l a l t e r h ä u f i g verwendeten Topos „ v e r k e h r t e W e l t " dargestellt. Es ist die „ a l t e r n a t i v e W e l t , w i e sie i m K a r n e v a l zur Schau gestellt w i r d " 1 6 . D i e beiden Glücksräder i m N a r r e n schiff stellen moralisches F e h l v e r h a l t e n bloß. Gesellschaftliche M ä n g e l oder die Verfehlungen einzelner sozialer G r u p p e n w e r d e n i n der Satire n i c h t angesprochen. V o m Narrenschiff zu einer erneuten deutschen Übersetzung v o n Petrarcas „ D e remediis u t r i u s q u e f o r t u n a " f ü h r t eine Brücke, denn Sebastian B r a n t w u r d e als Redakteur dieser Ausgabe gewonnen, starb allerdings, ehe sie u n t e r dem T i t e l „ V o n der A r t z n e y bayder G l ü c k " 1532 z u m D r u c k k a m 1 7 . U n t e r den H o l z s c h n i t t e n des u n b e k a n n t e n Petrarca-Meisters ist das G l ü c k s r a d mehrfach vertreten. A m nächsten steht der H o l z s c h n i t t z u m K a p i t e l 90 „ V o n g e r û w i g e m stand" den Dürerschen i m Narrenschiff (Abb. 3) 1 8 . Scheid i g k n ü p f t e d a r a n die A n n a h m e , daß Sebastian B r a n t dem Petrarca-Meister „fast w o r t w ö r t l i c h die gleichen A n g a b e n z u k o m m e n ließ, w i e er sie r u n d 25 13

Brant ( A n m . 10), 91 f. Walter Scheidig, D i e H o l z s c h n i t t e des Petrarca-Meisters z u Petrarcas W e r k V o n der A r t z n e y b a y d e r G l ü c k des g u t e n u n d w i d e r w ä r t i g e n - A u g s b u r g 1532 - , B e r l i n (Ost) 1955, 149. « Ebd. 16 Scribner, P o p u l a r C u l t u r e ( A n m . 2), 97. 17 Scheidig ( A n m . 14), 8ff. - Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n ( A n m . 1), 314 u. A n m . 172. - Dieter Wuttke, A r t . ,Sebastian B r a n t ' , i n : L e x i k o n des M i t t e l a l t e r s , Bd. 2, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1983, 574ff. - Franciscus Petrarcha, V o n der A r t z n e y b a y d e r G l ü c k / des g u t e n v n d w i d e r w e r t i g e n . V n n d weß sich a i n yeder i n n G e l ü c k v n d v n g l ü c k h a l t e n sol. A u ß d e m L a t e i n i s c h e n i n das T e u t s c h gezogen. M i t k ü n s t l i c h e n f y g u r e n d u r c h a u ß / gantz l u s t i g v n d schon gezyeret, A u g s b u r g , H e i n r i c h Steiner 1532, N D hrsg. u n d k o m m e n t i e r t v o n M a n f r e d L e m m e r , L e i p z i g / H a m b u r g 1984. is Petrarcha ( A n m . 17), C V f . 14

D a s S y m b o l des G l ü c k s r a d e s a u f I l l u s t r a t i o n e n

A b b . 3: P e t r a r c a - M e i s t e r ,

Glücksrad

(Holzschnitt, um 1520, zu Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück, Buch 1, Kapitel 90)

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Jahre früher dem j u n g e n D ü r e r gemacht hatte, als er z u m K a p i t e l ,Von Glücks F a l l ' die I l l u s t r a t i o n e n schaffen w o l l t e " 1 9 . Sein einziger Beleg dafür ist die Ä h n l i c h k e i t der M o t i v e . W a h r s c h e i n l i c h k a n n t e der u n b e k a n n t e K ü n s t l e r , der die H o l z s c h n i t t e zur Petrarca-Übersetzung

anfertigte, die Dürerschen I l l u s t r a t i o n e n zu dem

n a c h 1494 mehrfach n a c h g e d r u c k t e n Narrenschiff u n d ließ sich v o n i h n e n inspirieren. A l l e r d i n g s ist das T e x t - B i l d - V e r h ä l t n i s i m Narrenschiff

viel

schlüssiger. V e r b a l w i r d i n der deutschen Übersetzung des Petrarca n i c h t v o n Machtstreben u n d R u h m s u c h t gesprochen, sondern v o n einem ausgeglichenen, r u h i g e n Leben: „ F r e u d . N a c h Verordnung meyner h a n d l u n g leb i c h i m frid. V e r n u n f f t . " D a n n folgen i m T e x t die W a r n u n g e n vor dem Gegenteil u n d eine A n s p i e l u n g auf das S y m b o l : „ D u w a y s t n i t das menschliche h a n d l u n g n i t bestehen / w o l l i c h e r auff dem l e u f f l i c h e n rade am höchsten sitzt / ist der nechst z u m abfall. F r e u d . " 2 0 Der H o l z s c h n i t t zeigt das i n U h r z e i g e r r i c h t u n g v o n der F o r t u n a m i t A u g e n b i n d e bewegte R a d 2 1 . Schon i n der m i t t e l a l t e r l i c h e n S y m b o l i k w a r die G l ü c k s g ö t t i n gelegentlich b l i n d anzutreffen gewesen 2 2 . W i e d e r u m befinden sich, w i e auf Dürers B i l d , drei Gestalten auf dem Rad. A u f dessen Scheitel sitzt ein Wesen, h a l b Mensch, h a l b Esel (menschlicher U n t e r l e i b u n d Eselskopf), angetan m i t den I n s i g n i e n der kaiserlichen M a c h t , S c h w e r t u n d Reichsapfel, u n d m i t H e r m e l i n bekleidet. D i e k r i t i s c h e Aussage gegenüber der M a c h t ist f o l g l i c h b e i m Petrarca-Meister stärker akzentuiert. Sollte das m i t dem veränderten Ansehen des römisch-deutschen Herrschers i m Vergleich zur M i t t e der neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts zusammenhängen? Damals setzte die Ö f f e n t l i c h k e i t auf M a x i m i l i a n I. große H o f f n u n g e n ; a m Ende des z w e i t e n Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts, als die B i l d e r zur Petrarca-Übersetzung entstanden, k a n n t e das Reich n u r einen Kaiser, der sich w e n i g u m dessen innere Angelegenheiten k ü m m e r t e . A u f der rechten Seite stürzt m i t dem sich n a c h u n t e n bewegenden Rad eine M e n s c h - T i e r - G e s t a l t k o p f ü b e r i n die Tiefe, auf ein L o c h zu. D e r n a c h oben zu dem t h r o n e n d e n Esel gekehrte T e i l ist Tier, das tierische H i n t e r t e i l ist m i t einem menschlichen Oberkörper verbunden, der w i e d e r u m einen T i e r k o p f hat. A n der l i n k e n Seite k l a m m e r t sich ein ähnliches Z w i t t e r w e s e n an das Rad, u m m i t i h m n a c h oben getragen zu werden. Sein menschlicher Oberkörper m i t einem Menschenkopf ist m i t dem H i n t e r t e i l eines Vierhufers verbunden. 19

Scheidig ( A n m . 14), 149. Petrarcha ( A n m . 17), CV. 21 Scheidig ( A n m . 14), 249, m e i n t , es sei C l o t h o , w i e es i m T e x t des Narrenschiffes steht. I m gleichen Sinne a u c h Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n ( A n m . 1), 316, A n m . 184. D a f ü r g i b t es j e d o c h keine Beweise. D e r P e t r a r c a - M e i s t e r h i e l t sich w o h l a n die ü b e r lieferten M u s t e r der G l ü c k s r a d b i l d e r . 22 Pickering ( A n m . 5), 141. 20

Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen

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Vergleicht m a n die beiden Wesen, die zur M a c h t w o l l e n bzw. v o n i h r abstürzen, m i t den F i g u r e n i n Dürers H o l z s c h n i t t z u m Narrenschiff, die sich an der gleichen Stelle des Rades befinden, so w i r d b e i m Petrarca-Meister der Grundsatz, je näher der Mensch der M a c h t , desto t i e r ä h n l i c h e r ist er, n i c h t durchgehalten. Das G l ü c k s r a d „ z u m r u h i g e n L e b e n " ist weniger systematisch u n d logisch gestaltet. D i e Gleichung: M a c h t = U n m o r a l , d.h. je näher der Mensch dem H ö h e p u n k t der M a c h t k o m m t oder i h n erreicht hat, desto m e h r w i r d er Tier u n d N a r r , erst der Sturz v o n der M a c h t g i b t i h m menschliche Züge wieder, fehlt i n diesem H o l z s c h n i t t . Das d ü r f t e w a h r scheinlich keine tieferen philosophischen G r ü n d e haben, sondern ist der Freiheit des Künstlers i n der Gestaltung seines G r u n d m o t i v s zuzuschreiben. A u f dem T i t e l b l a t t des ersten (Abb. 4) u n d auf dem des z w e i t e n (anderen) Buches der Petrarca-Übersetzung befinden sich ebenfalls H o l z s c h n i t t e m i t dem Glücksrad. I n beiden A b b i l d u n g e n steht das Rad n i c h t auf einem S t ä n der, sondern schwebt frei i n den W o l k e n , v o n W i n d d ä m o n e n aus den vier Ecken bewegt. A u f den beiden H o l z s c h n i t t e n w e r d e n vier Personen m i t dem Rad abgebildet. Es sind w i e d e r u m „ f ü r s t l i c h e M a c h t t r ä g e r " . E i n e r liegt zerschmettert a m Boden u n t e r dem Rad, die K r o n e ist i h m v o m K o p f gerollt. Sein Gegenpart auf der Höhe des Rades t r i u m p h i e r t demgegenüber m i t den I n s i g n i e n der kaiserlichen Würde, gekleidet i n einen H e r m e l i n m a n t e l . T i e r i sche K ö r p e r t e i l e fehlen bei den Gestalten auf beiden Holzschnitten. D e r auf dem Scheitel des Rades sitzende Kaiser schaut angespannt dem Aufsteigenden entgegen, der d u r c h einen T u r b a n als T ü r k e ausgewiesen ist. Scheidig sah d a r i n eine zeitgeschichtliche A n s p i e l u n g auf das V o r d r i n g e n der T ü r k e n 2 3 . Das ist denkbar; andererseits spielt das T ü r k e n m o t i v als W i d e r p a r t z u m Christen oder als n i c h t - c h r i s t l i c h e Herrscher i n F l u g s c h r i f t e n u n d auf A b b i l d u n g e n verschiedenster A r t schon seit dem 15. J a h r h u n d e r t eine Rolle. Es w ä r e n deshalb auch andere E r k l ä r u n g e n möglich. Der

Titelholzschnitt

zum

zweiten

Buch

der

Petrarca-Übersetzung

(Abb. 5) zeigt ein l i n k s h e r u m bewegtes Rad. K e i n e der a m Rad b e f i n d l i c h e n Gestalten t r ä g t einen T u r b a n . V i e l m e h r h a n d e l t es sich b e i m Aufsteigenden w i e b e i m Fallenden u m gekrönte H ä u p t e r , die sich beide an das R a d k l a m mern. D i e wesentlichste A l t e r n a t i v e zu dem N o r m a l b i l d des Glücksrades ist die Bewegung i m entgegengesetzten V e r l a u f des Uhrzeigers. D i e drei H o l z s c h n i t t e des Petrarca-Meisters zu unserem Thema üben w i e die Dürerschen H o l z s c h n i t t e zu den Themen „ V o m G l ü c k s r a d " u n d „ V o m Ende der G e w a l t " i m Narrenschiff moralische K r i t i k a m M a c h t s t r e b e n u n d den sich daraus ergebenden Verhaltensweisen. Das geschieht v o m S t a n d p u n k t des Renaissance-Humanismus aus, u n d die K r i t i k u n v e r n ü n f t i g e n Handelns v e r b i n d e t sich m i t p o l i t i s c h e n Anspielungen, die allgemein d e u t 23

Scheidig

( A n m . 14), 36.

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A b b . 4: Petrarca-Meister, G l ü c k s r a d (Holzschnitt, um 1520, zu Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück, Titelblatt)

D a s S y m b o l des G l ü c k s r a d e s a u f I l l u s t r a t i o n e n

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A b b . 5: P e t r a r c a - M e i s t e r ,

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Glücksrad

(Holzschnitt, um 1520, zu Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück, Buch 2, Titelblatt)

75

76

Siegfried Hoyer

b a r sind. E i n e sonst i n der Übersetzung des Petrarca-Textes u n d i n den H o l z s c h n i t t e n des Petrarca-Meisters i n Erscheinung tretende S t ä n d e k r i t i k 2 4 k o m m t i n der M e t a p h e r v o m G l ü c k s r a d k a u m z u m Tragen. Bestenfalls geschieht dies i n der sehr allgemeinen Schlußfolgerung, die der Betrachter dieser H o l z s c h n i t t e ziehen kann, daß m i t dem B i l d der Gier n a c h M a c h t die „ O b e r e n " , „ d i e Reichen" aufs K o r n genommen w e r d e n u n d dies keine Züge des armen Mannes sind. I n ein v ö l l i g anderes Bezugsfeld f ü h r t das G l ü c k s r a d auf dem T i t e l b l a t t der F l u g s c h r i f t v o n 1525 „ A n die V e r s a m m l u n g gemeiner Bauernschaft". A l s A n f a n g der siebziger Jahre d u r c h mehrfache N e u e d i t i o n eine Erschließung dieser S c h r i f t b e g a n n 2 5 u n d auch I n t e r p r e t a tionsversuche

unternommen wurden 26,

f a n d der T i t e l h o l z s c h n i t t

keine

Beachtung. Ebenso w i e der Verfasser der F l u g s c h r i f t ist nach w i e v o r auch der K ü n s t l e r dieser Version des Glücksrades u n b e k a n n t . Neuerdings w u r d e der Versuch u n t e r n o m m e n , Andreas Bodenstein aus K a r l s t a d t als Verfasser der F l u g s c h r i f t zu benennen u n d i h r e n Charakter weniger r e v o l u t i o n ä r , sondern als eine S c h r i f t der V e r m i t t l u n g zu deuten. W a r es eine r a d i k a l e Parteinahme zugunsten des bewaffneten Kampfes der aufständischen B a u e r n 2 7 oder schlug der Verfasser einen Ausgleich zwischen den Aufständischen u n d dem A d e l v o r 2 8 ? Sicher läßt sich eine A n t w o r t n i c h t a l l e i n v o n der I n t e r p r e t a t i o n des Holzschnittes her finden, aber er spielt bei den A r g u m e n t e n insofern eine Rolle, als zugunsten der Ausgleichsversion geltend gemacht w u r d e , die Person an der K u r b e l treibe „ d i e einzige Gestalt auf dem Rad - offenbar

24 Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n (Anm. 1), 308ff. (hier auch 310, A n m . 148) ältere L i t e r a t u r ) , i n t e r p r e t i e r t den G l ü c k s r a d h o l z s c h n i t t z u m K a p i t e l „ V o m r u h i g e n L e b e n " insofern sozial, als der stürzende Esel „ b ä u e r l i c h g e k l e i d e t " sei (ebd., 316, A n m . 184). D a n n müßte aber ein B a u e r z u v o r auf d e m H ö h e p u n k t des Rades, d . h . a n der M a c h t gewesen sein. M i r scheint, daß dies n i c h t i n den G r u n d g e d a n k e n des A b s c h n i t t e s paßt! 25 Zuerst d u r c h Horst Buszello, D e r deutsche B a u e r n k r i e g v o n 1525 als p o l i t i s c h e B e w e g u n g m i t besonderer B e r ü c k s i c h t i g u n g der a n o n y m e n F l u g s c h r i f t A n die v e r s a m l u n g gemayner Pawerschafft ( S t u d i e n z u r europäischen Geschichte, 8), B e r l i n 1969, 1 5 0 - 1 9 2 . - F l u g s c h r i f t e n des Bauernkrieges, hrsg. v o n Klaus Kaczerowsky (Klassiker rororo, 526/527), R e i n b e k 1970, 143 - 168, N r . 17. - A n die V e r s a m m l u n g gemeiner Bauernschaft. E i n e r e v o l u t i o n ä r e F l u g s c h r i f t aus d e m D e u t s c h e n B a u e r n k r i e g (1525). E i n g e l e i t e t , k o m m e n t i e r t u n d hrsg. v o n Siegfried Hoyer u. Bernd Rüdiger m i t einer sprachgeschichtlichen E i n l e i t u n g v o n M . M . G u c h m a n n , L e i p z i g 1975. F l u g s c h r i f t e n der Bauernkriegszeit, hrsg. v o n Adolf Laube u. Hans Werner Seiffert, B e r l i n (Ost) 1975, 112 - 134. 26 Buszello ( A n m . 25), 92 ff. - Hoyer/Rüdiger ( A n m . 25), 28ff. - Siegfried Hoyer, W i d e r s t a n d s r e c h t u n d W i d e r s t a n d s p f l i c h t i n der F l u g s c h r i f t „ A n die v e r s a m l u n g gemayner p a w e r s c h a f f t " (1525), i n : D e r Bauer i m K l a s s e n k a m p f . S t u d i e n z u r Geschichte des deutschen Bauernkrieges u n d der b ä u e r l i c h e n K l a s s e n k ä m p f e i m Spätfeudalismus, hrsg. v o n G e r h a r d H e i t z u.a., B e r l i n (Ost) 1975, 129 - 155. 27 So Siegfried Hoyer, K a r l s t a d t : Verfasser der F l u g s c h r i f t , A n die V e r s a m m l u n g gemeiner Bauernschaft'?, i n : Z f G 35 (1987), 128 - 137. 28 Christian Peters, A n die V e r s a m m l u n g gemeiner Bauernschaft (1525). E i n V o r schlag z u r Verfasserfrage, i n : Z e i t s c h r i f t f ü r bayerische K i r c h e n g e s c h i c h t e 54 (1985), 1 5 - 2 8 ; ders., A n die V e r s a m m l u n g gemeiner Bauernschaft (1525). N o c h e i n m a l z u r Verfasserfrage, i n : ebd., 57 (1988), I f f .

Das Symbol des Glücksrades auf Illustrationen

77

den Papst - n i c h t m i t dem Pathos eines Kämpfers f ü r die gerechte Sache der Bauern, sondern m i t der zutiefst b e t r ü b t e n Miene eines Mannes, der sich der tiefen T r a g i k des geplanten Kampfes bewußt i s t " 2 9 , i n die Spieße der B a u ern. D i e ganze Anlage dieses Glücksrades (Abb. 6 ) 3 0 w e i c h t stark v o n den älteren M o d e l l e n u n d den I l l u s t r a t i o n e n

z u m Narrenschiff

b z w . der des

Petrarca-Meisters ab. Das Rad t r e n n t z w e i sich bewaffnet gegenüberstehende Parteien. A u f der rechten Seite, d u r c h eine A n z a h l Berittene ausgewiesen, ein Adelsaufgebot, auf der l i n k e n bewaffnete Bauern. Eine an das Rad gefesselte Gestalt m i t der p ä p s t l i c h e n T i a r a auf dem K o p f w i r d i n die Spieße der B a u e r n gedreht. N o c h ist sie allerdings auf der Seite des Adels, hat n o c h n i c h t die Höhe des Rades (ihrer Macht? S. H.) überschritten. D i e beiden sich gegenüberstehenden Parteien w e r d e n v e r b a l d u r c h Z w e i z e i l e r ausgewiesen: „ H i e Romanisten v n d Sophisten." / „ H i e P a w r ß m a n / g u t Christen." Bei der I n t e r p r e t a t i o n des Textes w u r d e darauf verwiesen, daß der B e g r i f f Romanisten i n der F l u g s c h r i f t i n V e r b i n d u n g m i t „große H e r r e n " gebraucht w i r d , w ä h r e n d Sophisten m i t Theologen, die die B i b e l falsch auslegen, gleichzusetzen s i n d 3 1 . Das Rad w i r d i n entgegengesetztem L a u f des Uhrzeigers bewegt - also auch hier „ v e r k e h r t e W e l t " . Sehr w i c h t i g f ü r eine I n t e r p r e t a t i o n des Bildes ist, w e r das G l ü c k s r a d bewegt (Abb. 7). Es ist w o h l keine Frauengestalt, also n i c h t die F o r t u n a 3 2 , sondern ein M a n n ! K a r l Schottenloher, der der F l u g s c h r i f t u n t e r dem Aspekt

der

frühen

Kommunikationsentwicklung

Beachtung

schenkte,

meinte, „ . . . L u t h e r ... dreht das Glücksrad, das den Papst a b w ä r t s t r e i b t " 3 3 . I n der T a t t r ä g t die m ä n n l i c h e Gestalt an der K u r b e l m i t einem langen Rock (einer Kutte? S. H.) die Gesichtszüge Luthers. Der Verfasser der F l u g s c h r i f t

„ A n die v e r s a m l u n g gemayner p a w e r -

schafft" b i l l i g t z w a r generell das Gebot des W i t t e n b e r g e r Reformators i n der Frage des Widerstandes, „es ist k a y n gewalt, d a n n v o n g o t t " (Rom. 1 3 , l ) 3 4 , ein G r u n d m o t i v auch i n L u t h e r s S c h r i f t „ V o n w e l t l i c h e r Oberkeit, w i e w e i t m a n i h r gehorsam s c h u l d i g s e i " 3 5 . W ä h r e n d aber L u t h e r eine absol u t e U n t e r o r d n u n g i n w e l t l i c h e n D i n g e n fordert, a r g u m e n t i e r t der A u t o r : 29

Peters, N o c h e i n m a l ( A n m . 28), 3. I n der neueren F o r s c h u n g g i n g n u r Scribner, F o r the Sake ( A n m . 2), 121, näher auf diesen H o l z s c h n i t t ein. 31 Hoyer/Rüdiger ( A n m . 25), 120. 32 So Scribner, F o r the Sake ( A n m . 2), 121. 33 Karl Schottenloher, F l u g b l a t t u n d Z e i t u n g . E i n Wegweiser d u r c h das g e d r u c k t e T a g e s s c h r i f t t u m ( B i b l i o t h e k f ü r K u n s t - u n d A n t i q u i t ä t e n s a m m l e r , 21), B e r l i n 1922, llOf. 34 Hoyer/Rüdiger ( A n m . 25), 88. 35 Martin Luther, V o n w e l t l i c h e r O b e r k e i t , w i e w e i t m a n i h r Gehorsam s c h u l d i g sei, i n : ders., Studienausgabe, Bd. 3, hrsg. v o n H a n s - U l r i c h Delius, B e r l i n (Ost) 1983, 31 - 71. 30

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Siegfried Hoyer

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Zmen.

Abb. 9: Anonymer Meister, Das siebenhäuptige Papsttier Flugblatt um 1530, Berlin (Das anonyme Flugblatt parodiert die Messe des hl. Gregor, eine sehr beliebte Darstellung der Realpräsenz Christi in der Eucharistie)

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Reformatorische Bildpropaganda

, A u f f o r d e r u n g zur A k t i o n ' ist eine konsequente Folge der Angsterregung. W e n n m a n n i c h t sofort einschritte, u m die gefährlichen Zustände z u beseitigen, sei n i c h t n u r das H e i l des Einzelnen bedroht, sondern auch das S c h i c k sal der ganzen Welt. Das heißt, A k t i o n e n gegen die K i r c h e des A n t i c h r i s t s w u r d e kosmische B e d e u t u n g zugemessen. A b e r was w a r m i t

,Aktion'

gemeint? Sie bedeutete zunächst, das E v a n g e l i u m (oder besser gesagt, die A n w ä l t e des Evangeliums) gegen die Gegner zu verteidigen. D e n c h a r a k t e r i stischen Ton enthielt zuerst die Intimatio

Erphurdiana

pro Martino

Luthero,

eine anonyme Schmähschrift zugunsten Luthers, die i m A u g u s t 1520 i n E r f u r t an der T ü r des C o l l e g i u m maius ö f f e n t l i c h b e k a n n t gemacht w u r d e . Sie w a r ein A u f r u f zu A k t i o n an alle, die Christus u n d seine Lehre l i e b t e n u n d u m i h r Seelenheil fürchteten: „ W i r e r m a h n e n i m N a m e n des H e r r e n Jesu C h r i s t i , I h r sollt E u c h erheben u n d n a c h dem W o r t e C h r i s t i tapfer handeln. I h r s o l l t dem U n t i e r W i d e r s t a n d leisten, j a sogar m i t H ä n d e n u n d Füßen gegen die t o l l w ü t i g e n V e r l e u m d e r des v o r g e n a n n t e n M a r t i n protestieren. U m z u v e r h i n d e r n , daß seine Ideen, die er aus d e m S t a u b ans Tagesl i c h t so o f f e n k u n d i g erhoben hat, u n t e r d r ü c k t werden, s o l l t I h r z u r ü c k s c h l a g e n 9 . "

D a n a c h w u r d e die S t i m m u n g i n E r f u r t t u r b u l e n t e r , u n d die A u f r e g u n g gipfelte i m Pfaffensturm

v o m 11. J u n i 1521, dem ersten gewaltsamen

A n g r i f f der R e f o r m a t i o n gegen die A l t g l ä u b i g e n 1 0 . , A k t i o n ' bedeutete aber auch, das System des Lehrgebäudes der p ä p s t l i c h e n R e l i g i o n anzugreifen, zu demontieren u n d schließlich sogar zu zerstören. Wer v o n der evangelischen Propaganda überzeugt w u r d e , katholische Zeremonien seien a n t i christlich, die Messe sei ein Greuel, u n d die k a t h o l i s c h e n Geistlichen seien Teufelsanhänger, w u r d e d u r c h seinen neuerweckten Eifer dazu angefeuert, diese D i n g e sofort zu beseitigen. Das hieß, die Messe u n d andere l i t u r g i s c h e Zeremonien zu stören, Priester zu p r ü g e l n u n d zu jagen, K l ö s t e r zu stürmen, B i l d e r zu zerschlagen, u.a.m. Dieser Prozeß ist sehr treffend als R e f o r m a t i o n d u r c h P r o v o k a t i o n ' beschrieben w o r d e n 1 1 . 2. Bilder Welche Rolle haben B i l d e r i n diesem propagandistischen Prozeß gespielt? Meine charakterisierende D a r l e g u n g betont emotionell-psychologische u n d epistemologische Elemente der reformatorischen Propaganda. D i e W i r k u n g 8 Z u r These der religiösen A n g s t zusammenfassend Steven E. Ozment, The R e f o r m a t i o n i n the Cities. The A p p e a l of P r o t e s t a n t i s m i n S i x t e e n t h - c e n t u r y G e r m a n y a n d S w i t z e r l a n d , Yale 1975, 8, 20 - 32. 9 Robert W. Scribner, The Erasmians a n d the B e g i n n i n g of the R e f o r m a t i o n i n E r f u r t , i n : J o u r n a l of Religious H i s t o r y , 12 (1976), 23; Ulman Weiss , D i e f r o m m e n B ü r ger v o n E r f u r t , W e i m a r 1988, 120. Weiss ( A n m . 9), 124 ff. 11 Heinold Fast, R e f o r m a t i o n d u r c h P r o v o k a t i o n . P r e d i g t s t ö r u n g e n i n den ersten Jahren der R e f o r m a t i o n i n der Schweiz, i n : H a n s - J ü r g e n Goertz (Hrsg.), U m s t r i t t e n e s T ä u f e r t u m 1525 - 1975, G ö t t i n g e n 1975, 79 - 110.

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Robert W. Scribner

v o n B i l d e r n als propagandistisches M i t t e l w a r sehr stark v o n diesen Elementen a b h ä n g i g u n d ist v o r a l l e m aus b e s t i m m t e n M e r k m a l e n s p ä t m i t t e l alterlicher B i l d k e n n t n i s u n d V o l k s f r ö m m i g k e i t zu verstehen. D i e Rolle v o n B i l d e r n f ü r die V o l k s f r ö m m i g k e i t ist k ü r z l i c h v o n mehreren Seiten erhellt worden. Das ganze M i t t e l a l t e r h i n d u r c h w a r die religiöse F u n k t i o n v o n B i l dern h e f t i g u m s t r i t t e n 1 2 . D a b e i g i n g es n i c h t n u r u m das biblische B i l d e r v e r bot, sondern auch u m eine ausgesprochene A n g s t v o r B i l d e r n bzw. vor dem Zauber des B i l d e s 1 3 . Diese Angst hatte w e n i g m i t der P r o d u k t i o n u n d mehr m i t der Rezeption des Bildes d u r c h den B i l d b e t r a c h t e r zu t u n 1 4 u n d ist n u r i m Rahmen m i t t e l a l t e r l i c h e r Theorien des Sehens zu verstehen, die eine physische V e r b i n d u n g zwischen dem Betrachter u n d dem Betrachteten, d.h. einen zwischen beiden fließenden ,Stoff' oder eine Energie, voraussetzten. Solche Theorien verstanden das Sehen als eine besonders sinnliche H a n d lung, als ob Betrachter u n d Betrachtetes sich gegenseitig b e r ü h r t e n u n d f ü h l t e n 1 5 . Es entstand sogar eine A n g s t v o r visueller ,Ansteckung 4 , so daß schwangeren Frauen davon abgeraten w u r d e , häßliche B i l d e r oder eklige Tiere anzuschauen, denn sie w ü r d e n d a d u r c h Gefahr laufen, K i n d e r m i t den gleichen häßlichen Gesichtszügen zu gebären 1 6 . Das theologische Verständnis des Sehens i m Sinne v o n visio w a r etwas k o m p l i z i e r t e r u n d auf neuplatonischen epistemologischen G r u n d l a g e n aufgebaut, die d u r c h die W o r t e invisibilia

per visibilio,

ausgedrückt w u r d e n 1 7 .

D a b e i w u r d e vorausgesetzt, daß die Menschen d u r c h das Sehen (visio)

zur

W a h r n e h m u n g des H e i l i g e n gelangen k ö n n t e n , denn die sichtbare W e l t w u r d e als Zeichen der u n s i c h t b a r e n verstanden, u n d die Menschen k ö n n t e n zur E r k e n n t n i s des Ü b e r n a t ü r l i c h e n d u r c h das signifizierende Wesen des N a t ü r l i c h e n gelangen. D i e w a h r n e h m b a r e W e l t w u r d e d a d u r c h ein k o m p l e xes, d u r c h menschliche S i n n l i c h k e i t erschließbares semiotisches System. D e r Gedankengang w u r d e i n der Zeichenlehre des hl. A u g u s t i n u s aufgenommen, der zwischen drei A r t e n des Sehens - k ö r p e r l i c h , geistig u n d i n t e l l e k t u e l l - unterschied. D i e neuplatonische Steigerung v o m S i c h t b a r e n u n d K ö r p e r l i c h e n z u m U n s i c h t b a r e n u n d G ö t t l i c h e n spielte gewiß eine Rolle, als dieses Verständnis des Sehens als k o g n i t i v e M ö g l i c h k e i t i n die Lehre der

12 Vgl. die D i s k u s s i o n b e i Michael Camille, The G o t h i c I d o l . Ideology a n d I m a g e M a k i n g i n M e d i e v a l A r t , C a m b r i d g e 1989. 13 Vgl. die a u s f ü h r l i c h e D i s k u s s i o n z u r ganzen P r o b l e m a t i k , v o r a l l e m i n v e r g l e i chender u n d d i a c h r o n i s c h e r H i n s i c h t , b e i David Freedberg, The P o w e r of Images. Studies i n the H i s t o r y a n d Theory of Response, Chicago 1989. 14 Camille ( A n m . 12), 47. 15 Vgl. David C. Lindberg, The Science of Optics, i n : ders. (Hrsg.), Science i n the M i d d l e Ages, Chicago 1978, 3 3 8 - 3 6 8 , der die verschiedenen T h e o r i e n betont, die allerdings eine s i n n l i c h e Begegnung z w i s c h e n B e t r a c h t e r u n d B e t r a c h t e t e m als G r u n d l a g e des Sehens gemeinsam haben. 16 Camille ( A n m . 12), 24. 17 Vgl. Freedberg ( A n m . 13), 161 - 191.

Reformatorische Bildpropaganda

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M y s t i k e r w i e J u l i a n v o n N o r w i c h , Tauler u n d Suso aufgenommen u n d auf mystische F r ö m m i g k e i t angewandt w u r d e . Bei der f r o m m e n A n d a c h t sollte der Christ v o m r e i n b i l d l i c h e n Schauen, v i e l l e i c h t m i t t e l s eines Bildes, über ein bildhaftes geistiges Schauen zu einer bildlosen A n d a c h t gelangen 1 8 . Solche Ideen haben mehrere A n d a c h t s b i l d e r i m S p ä t m i t t e l a l t e r fast

pro-

grammatisch beeinflußt 19. Neben dieser ,mystischen B i l d t r a d i t i o n ' f i n d e n w i r eine zweite B i l d t r a d i tion, die die psychologisch-pädagogische F u n k t i o n des Bildes betonte. Sie stammte v o n Gregor d. Gr., w u r d e aber d u r c h Thomas v o n A q u i n treffend f o r m u l i e r t : B i l d e r seien die Bücher der Ungelehrten, die aus B i l d e r n K e n n t nisse gewännen w i e die Gelehrten aus Büchern; sie prägten auch die Myster i e n des Glaubens besser ein, denn v i s u e l l erfahrene blieben leichter i m Gedächtnis haften; ebenso erregten sie das G e m ü t z u r F r ö m m i g k e i t , denn die Menschen w ü r d e n m e h r d u r c h Gesehenes als d u r c h Gehörtes b e w e g t 2 0 . Diese ,biblia

pauperum-Tradition'

hatte m i t der mystischen B i l d t r a d i t i o n

gemeinsam, daß beide aus der Perspektive der H o c h k u l t u r

theoretisch

f o r m u l i e r t w u r d e n 2 1 . Es gab aber eine d r i t t e , v o l k s t ü m l i c h e T r a d i t i o n , die eher aus der f r o m m e n Praxis der L i t u r g i e , der H e i l i g e n v e r e h r u n g u n d dem v o l k s t ü m l i c h e n B i l d e r k u l t entstand. Diese nenne i c h die T r a d i t i o n der sakramentalen Schau'22.

18 Z u r Zeichenlehre u n d E p i s t e m o l o g i e Hennig Brinkmann, Mittelalterliche Herm e n e u t i k , D a r m s t a d t 1980, 74, 85; Albert Zimmermann/Gudrun Vuillemin-Diem (Hrsg.), D e r B e g r i f f der Representatio i m M i t t e l a l t e r , B e r l i n 1971; z u r A u f f a s s u n g der M y s t i k e r insbes. Alois Haas, Meister E c k h a r t s mystische B i l d l e h r e , i n : ebd., 113 62; vgl. auch Sixten Ringboum, D e v o t i o n a l Images a n d I m a g i n a t i v e Devotions. Notes o n the Place of A r t i n L a t e M e d i e v a l P r i v a t e Piety, i n : Gazette des B e a u x - A r t s , 6. Reihe, 73 (1969), 159 - 170, insbes. 162 f. u n d neuerdings Kristin Zapalac, „ I n H i s Image a n d L i k e n e s s " . P o l i t i c a l I c o n o g r a p h y a n d Religious Change i n Regensburg, 1500 - 1600, I t h a c a - L o n d o n 1990, 1 - 25; , L u t h e r ' s Revision of the A u g u s t i n i a n E p i stemology'. 19 Vgl. Karl Haupt, M y s t i k u n d K u n s t i n A u g s b u r g u n d i m ö s t l i c h e n S c h w a b e n w ä h r e n d des S p ä t m i t t e l a l t e r s , i n : Z e i t s c h r i f t des h i s t o r i s c h e n Vereins f ü r S c h w a b e n 59/60 (1969), 1 - 100. 20 Freedberg ( A n m . 13), 162, h a t erst auf diese Stelle bei A q u i n , C o m m e n t a r i u s super l i b r o s s e n t e n t i a r u m , L i b r u m I I I , dist. 9, art. 2, qu. 2 a u f m e r k s a m gemacht; die G e d a n k e n w u r d e n i m S p ä t m i t t e l a l t e r fast z u m G e m e i n p l a t z ; vgl. Michael Baxandall, The L i m e w o o d S c u l p t o r s of Renaissance G e r m a n y , Yale 1980, 53, der die gleiche Stelle aus einem ,Praeceptorium deutsch' aus der M i t t e des 15. J a h r h u n d e r t s z i t i e r t ; dieses ,Praeceptorium' erschien auch n a c h 1497 i n einer g e d r u c k t e n Ausgabe. 21 Daß die sog. biblia pauperum aus einer gelehrten, b z w . k l e r i k a l e n T r a d i t i o n entstand, beweist Avril Henry, B i b l i a p a u p e r u m . A F a c s i m i l e a n d E d i t i o n , I t h a c a 1987. 22 M e i n e A u f f a s s u n g v o n der ,sakramentalen Schau', die i c h hier n u r zusammenfassend darlege, habe i c h etwas a u s f ü h r l i c h e r dargestellt: Bob Scribner, P o p u l a r Piety a n d modes of V i s u a l Perception i n L a t e - m e d i e v a l a n d R e f o r m a t i o n G e r m a n y , i n : J o u r n a l of Religious H i s t o r y , 15 (1989), 448 - 469; ders., Z u r W a h r n e h m u n g des H e i l i gen i n D e u t s c h l a n d a m E n d e des M i t t e l a l t e r s , i n : Peter D i n z e l b a c h e r / H a r a l d K l e i n s c h m i d t (Hrsg.), Das M i t t e l a l t e r - unsere fremde Vergangenheit, S t u t t g a r t 1990, 241 - 267.

90

Robert W. Scribner Der L i t u r g i e - H i s t o r i k e r A n t o n Meyer sprach schon 1938 v o n der ,heil-

bringenden

Schau'

i n der V o l k s f r ö m m i g k e i t

des S p ä t m i t t e l a l t e r s

und

meinte d a m i t eine entartete F o r m der visuellen W a h r n e h m u n g des Heiligen. N a c h Meyer gab es drei F o r m e n des Schauens i m M i t t e l a l t e r : die mystische Schau, die Mysterienschau u n d die r e i n physische Schau. Letztere sei eine primitive

Art

des Schauens, die i n i h r e r s i n n l i c h e n V e r b i n d u n g

zum

beschauten O b j e k t fast zu einer F o r m der Magie w ü r d e 2 3 . D i e ganze F o r m u l i e r u n g ist sehr stark v o n neuplatonischen u n d augustinischen V o r s t e l l u n gen beeinflußt, so daß eine B e w e r t u n g der Rolle der S i n n l i c h k e i t b e i m v o l k s t ü m l i c h e n B i l d g e b r a u c h vorweggenommen ist. W i r k ö n n e n die , h e i l b r i n gende Schau' besser bewerten, w e n n w i r die Rolle des Schauens i n der L i t u r g i e verstehen. I n den p a r a l i t u r g i s c h e n functiones

sacrae u n d i n der

Messe selbst, v o r a l l e m bei der Elevation, w a r das Sehen ein w i c h t i g e s Element des p a r t i z i p i e r e n d e n Erlebnisses der l i t u r g i s c h e n A k t i o n . D i e Elevat i o n w a r vor a l l e m der M o m e n t , i n dem die L a i e n die Messe als Opfer w a h r nahmen, denn die E l e v a t i o n vergegenwärtigte den Opfertod Christi. Der partizipierende L a i e sollte die l e i b l i c h e Anwesenheit C h r i s t i w a h r n e h m e n , was ein A u f n e h m e n der sakralen A k t i o n d u r c h ein körperliches Sehen v o r aussetzte. Das w a r keine mystische Steigerung, auch keine ,Mysterienschau', sondern ein Hindurchsehen, fast eine sakramentale A k t i o n seitens der L a i e n 2 4 . Das andächtige Schauen dieser A r t , sei es i n der L i t u r g i e oder i n der B i l d andacht, sollte h e i l b r i n g e n d w i r k e n , i n d e m es eine d i r e k t e persönliche Verb i n d u n g m i t dem H e i l i g e n schuf. M a n k ö n n t e diese A r t des Schauens als eine ,magische H a n d l u n g ' bezeichnen, w e i l der Verehrer eine besondere Gnade oder gesichertes H e i l allein d u r c h das Schauen erwartete. Besser aber finde i c h die Bezeichnung s a k r a m e n t a l e H a n d l u n g ' , deren W i r k u n g w i e bei den S a k r a m e n t a l i e n v o n der f r o m m e n Gesinnung des G l ä u b i g e n abhing. H i e r w ä r e es verfehlt, v o n einer ,rein k ö r p e r l i c h e n Schau' zu sprechen, denn die S i n n l i c h k e i t sollte n u r dazu dienen, eine fromme Gesinnung i m Herzen zu wecken. I n Z u s a m m e n h a n g m i t dem zeitgenössischen Verständnis der physischen A k t i o n des Sehens bedeutete also diese A r t des Schauens eine persönliche Begegnung m i t dem H e i l i g e n m i t t e l s b i l d h a f t e r Formen. D i e W a h r n e h m u n g des Sakralen w u r d e bei dieser s a k r a m e n t a l e n Schau' d u r c h eine verlängerte, andächtige Begegnung m i t den schauenden A u g e n 23 Anton L. Meyer, D i e h e i l b r i n g e n d e Schau i n S i t t e u n d K u l t , i n : H e i l i g e Ü b e r l i e ferungen. Festschrift f ü r Ildefons Herwegen, M ü n s t e r 1938, 234 - 262. 24 E i n e etwas ausführlichere D i s k u s s i o n dieser Fragen i n Scribner, Z u r W a h r n e h m u n g des H e i l i g e n ( A n m . 22); z u S a k r a m e n t a l i e n vgl. die D i s k u s s i o n i n Scribner, R i t u a l a n d P o p u l a r Belief i n C a t h o l i c G e r m a n y at the T i m e of the R e f o r m a t i o n , i n : ders., P o p u l a r C u l t u r e ( A n m . 1). I n die gleiche R i c h t u n g a r g u m e n t i e r t Hubert Dobiosch, C h r i s t o p h o r u s s c h a u - die Geistige K o m m u n i k a t i o n i m M i t t e l a l t e r , i n : J a h r b u c h des Vereins f ü r A u g s b u r g e r Bistumsgeschichte 21 (1987), 125 - 133.

Reformatorische Bildpropaganda

91

des abgebildeten H e i l i g e n b e w i r k t , exemplarisch dargestellt i n einem sehr beliebten v o l k s f r o m m e n A n d a c h t s b i l d des 15. Jahrhunderts, der imago tatis

pie-

i m V e r o n i k a t u c h (Abb. 10). D i e Begegnung w u r d e auch d u r c h eine

K o m b i n a t i o n v o n A u g e n k o n t a k t u n d appelativen Gesten e m o t i o n a l gesteigert, w i e bei den ecce

foorao-Darstellungen

(Abb. I I ) 2 5 . Diese A r t

der

andächtigen Schau schuf eine persönliche Begegnung zwischen B i l d u n d Betrachter, die ein besonderes M e r k m a l des s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e n S a k r a l b i l des w a r . Sie w a r eine wesentliche Voraussetzung f ü r die d r e i c h a r a k t e r i s t i schen Züge des Sakralbildes, w o b e i es sich u m ein m i t sakraler K r a f t g e l a denes' O b j e k t handelte, das eine innewohnende P e r s ö n l i c h k e i t ' auf wies u n d ein partizipierendes V e r h ä l t n i s m i t dem andächtigen Beschauer eingehen konnte. Das S a k r a l b i l d als apotropäischer Gegenstand, als Z a u b e r b i l d , w a r v o n der sakramentalen Schau abhängig, was die Auffassung des Bildes selbst als heiliges B i l d , als Sakramentale, e r m ö g l i c h t e 2 6 . A m Ende des 15. Jahrhunderts t r a t eine Veränderung dieser Sichtweise ein. Deutsche K u n s t m a l e r fingen an, einen geschickten N a t u r a l i s m u s anzuwenden. D a z u - allerdings etwas verspätet i m Vergleich zu den I t a l i e n e r n oder den F l a m e n - k a m die Rezeption neuer wissenschaftlicher Theorien der O p t i k u n d der Perspektive. Das perspektivische P r i n z i p v o n ,Albertis Fenster' schuf die M ö g l i c h k e i t , die W e l t als O b j e k t zu betrachten, also das A n d a c h t s b i l d zu entsakralisieren, sogar zu entzaubern. O b w o h l die Perspektive i n D e u t s c h l a n d erst i m Laufe der 1520er Jahre selbstbewußt u n d geschickt angewendet w u r d e , tendierte der h o c h e n t w i c k e l t e N a t u r a l i s m u s deutscher K ü n s t l e r i n die gleiche R i c h t u n g 2 7 . D i e ,sakrale Schau' k o n n t e zur w e l t l i c h e n Schau werden, w i e bei ,S. Margarete'

v o n 1513 des älteren Cra-

nach (Abb. 12), w o die dargestellte Heilige k a u m v o n einem w e l t l i c h e n S u b j e k t zu unterscheiden ist. F r e i l i c h w a r das keine totale V e r w e l t l i c h u n g , sondern eine gewisse N a t u r a l i s i e r u n g des Sakralen', das i n n e r w e l t l i c h fast h ä u s l i c h gemacht w u r d e , w i e b e i der ,Heiligen

Sippe'

v o n 1510 Cranachs

d . Ä . (Abb. 13). Vielleicht, w e i l diese Darstellungsweise v o m N a t u r a l i s m u s abhing, b l i e b die F u n k t i o n der d u r c h das Schauen v e r m i t t e l t e n persönlichen Begegnung (mindestens f ü r den Betrachter) erhalten, w i e 1510 - 1512 bei Cranachs,Madonna und Christkind

mit S. Katarina

und Barbara'

(Abb. 14).

25 Z u m V e r o n i k a t u c h Hans Belting, Das B i l d u n d sein P u b l i k u m i m M i t t e l a l t e r . F o r m u n d F u n k t i o n f r ü h e r B i l d t a f e l n der Passion, B e r l i n 1981, 17, 35f.; zu a p p e l l a t i ven Gesten ebd., 105 - 126. 26 V o r a l l e m das K r u z i f i x ; vgl. Johann Geiler von Keysersberg, Das B u c h v o m g u t e n Tod, i n : A u s g e w ä h l t e S c h r i f t e n , hrsg. v o n P h i l i p p de L o r e n z i , Bd. 1, T r i e r 1881, 340f., 346f. 27 Z u „ A l b e r t i s Fenster" John White, T h e B i r t h a n d R e b i r t h of P i c t o r i a l Space, 3. Auflage, L o n d o n 1987, 121 - 126; z u r o b j e k t i v i s t i s c h e n Tendenz i n der K u n s t der Renaissance Samuel Y. Edgerton, The Renaissance A r t i s t as Q u a n t i f i e r , i n : M a r g a r e t Hagen (Hrsg.), The P e r c e p t i o n of Pictures, vol. 1: A l b e r t i ' s W i n d o w : T h e Projective M o d e l of P i c t o r i a l I n f o r m a t i o n , N e w Y o r k 1980, 179 - 211 u n d Ernst Ullmann, B i l d e r s t u r m u n d b i l d e n d e K u n s t i m 16. J a h r h u n d e r t , i n : H a f n i a (1976), 55.

A b b . 10: Hans B u r g k m a i r d . Ä . , V e r o n i k a - T u c h (Holzschnitt 1509, Gotha)

A b b . 11: Hans W e i d i t z , Ecce h o m o (Holzschnitt 1522, Wien)

A b b . 12: L u k a s C r a n a c h d . Ä . , S. M a r g a r e t e (Gemälde 1513, Minneapolis)

A b b . 13: L u k a s C r a n a c h d . Ä . , D i e heilige Sippe (Gemälde 1510, Wien)

A b b . 14: L u k a s Cranach d . Ä . , M a d o n n a u n d C h r i s t k i n d m i t S. K a t h e r i n a u n d B a r b a r a (Tafelbild 1510 - 1512, Dessau)

Reformatorische Bildpropaganda

97

Die neue Technik brachte neue künstlerische Möglichkeiten mit sich, sogar neue Formen des Andachtsbildes; was aber die Volksandacht betrifft, bedeutete sie keine einschneidende epistemologische Änderung. Ganz im Gegenteil, der neue Naturalismus schuf die Möglichkeit, die intensiven und emotionalen Elemente bei der sakralen Schau zu steigern. Man kann von einer ,gefräßigen Schau', von einer Schaulust, sogar einer Schaulüsternheit sprechen. In Verbindung mit einer sinnlichen Hingerissenheit bei der Andacht konnte sich diese Schaulüsternheit zur Ekstase steigern. Wir finden sie exemplarisch dargestellt bei den Anbetenden in Ostendorfers ,Die schöne Maria von Regensburg' (1520), einer Darstellung der letzten großen Wallfahrt zu einem wundertätigen Andachtsbild vor dem Umbruch der Reformation (Abb. 15). Darauf schauen die Gläubigen zum heiligen Bild hinauf, um durch das Schauen Heilung und Heil zu empfangen. Schaulüsternheit der Betrachter und sinnlicher Appell an das gefräßige Schauen seitens der Abgebildeten ermöglichten die Entartung des Sakralbildes, wie Bucer und Zwingli es wahrnahmen und beklagten. Das Andachtsbild wurde nicht nur ein mit sakraler Kraft beladenes, sondern auch ein die menschliche Begierde erregendes Objekt. Für Bilderfeinde wie Zwingli und Bucer stellte es sogar nur eine Erregung menschlicher Begierde dar. Wie Zwingli ausdrücklich erwähnt, entspringt seine K r i t i k an den Kirchenbildern nicht nur dem biblischen Götzenverbot, sondern auch einer Ablehnung alles Sinnlichen in der damaligen Andacht. Bucer betont gleichfalls neben seiner Bemerkung zu sinnlichen Bildern „ . . . f u r w a r , do i c h ein j ü n g l i n g was, w a n n m a n i n k i r c h e n u f f den orgelen p f i f f , gelüstet m i c h z ü dantzen. U n d w e n n i c h h ö r t singen, w a r d i c h i m fleisch aber n i t i m geist b e w e g t " 2 8 .

Das dabei entstandene Verhältnis Bild - Betrachter ist als epistemologische Voraussetzung reformatorischer Bildpropaganda zu verstehen. 3. Das Verhältnis Bild - Leser

Die Verwendung von Bildern zu propagandistischen Zwecken können wir als Sonderfall der mittelalterlichen Bildlehre verstehen. Die bekannte Aussage Papst Gregor I. über die pädagogische Funktion der Bilder läßt sich unverändert auf Bildpropaganda anwenden: „ W a s e i n B u c h ist f ü r jene, die lesen k ö n n e n , ist ein B i l d f ü r die U n w i s s e n d e n , die es betrachten. D e n n i n einem B i l d k ö n n e n selbst die U n g e b i l d e t e n sehen, w e l c h e m 28 Martin Bucer, Deutsche S c h r i f t e n , Bd. 1, G ü t e r s l o h 1954, 428. Z u diesen T h e m e n Carlos Ν. M. Eire, W a r against the Idols. The R e f o r m a t i o n of W o r s h i p f r o m Erasmus to C a l v i n , C a m b r i d g e 1986, K a p . 3; ders., T h e R e f o r m a t i o n C r i t i q u e of the Image, i n : Bob S c r i b n e r / M a r t i n W a r n k e (Hrsg.), B i l d e r u n d B i l d e r s t u r m i m S p ä t m i t t e l a l t e r u n d i n der f r ü h e n Neuzeit, ( W o l f e n b ü t t e l e r Forschungen, 46), Wiesbaden 1990, 51 - 68.

7 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

A b b . 15: M i c h a e l Ostendorfer, D i e schöne M a r i a v o n Regensburg (Ausschnitt) (Holzschnitt 1520, Coburg)

Reformatorische Bildpropaganda

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Beispiel sie folgen sollen; i n einem B i l d k ö n n e n sie, die keine B u c h s t a b e n kennen, dennoch l e s e n 2 9 . "

Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das Verhältnis zwischen Bild und Leser, das sicher nicht leicht zu erschließen ist, denn diese Beziehung war im Spätmittelalter kompliziert und vom habitus des Bildes abhängig. Ein ,Bild' war nicht immer die gleiche Erscheinung, sondern seine Wirkung war von dem Ort abhängig, wo ihm begegnet wurde, sei es in sakralem Raum wie einer Kirche, sei es an öffentlichem Ort wie auf dem Markt oder dem Rathaus, sei es im privaten Bereich, wie in einem Wohn- oder sogar im Schlafzimmer. Es entstand jeweils ein völlig anderes Verhältnis zwischen Bild und Betrachter 30 . Auch im sakralen Raum gab es wesentliche Unterschiede. Einem Bild (meist Bilder!) am Hochalter wurde als partizipierendem Bestandteil der Liturgie begegnet. Hier tritt eine belehrende Funktion hinter seine hieratische zurück. Das Verhältnis Bild - Betrachter wurde zum Verhältnis Bild Teilnehmer, wobei dem Bild auch eine aktive Teilnahme an der Liturgie zugestanden wurde. Hier denke ich an Kruzifixe mit schwenkbaren Armen, menschlichem Haar und einem mit Blut gefüllten Hohlraum hinter der Seitenwunde, woraus Blut fließen konnte 31 . Solche Kruzifixe stellen die Passio Christi in der Karfreitags-Liturgie dramatisch und realistisch dar. Der Schweizer Kunsthistoriker Peter Jezler nennt solche Bilder ,handelnde Bilder 4, die selbst aktiv die liturgische Aktion gestalteten 32 . Drei davon wurden durch Lucas Cranach in seiner ,Passio Christi und Antichristi ( benutzt, um den Gegensatz zwischen Christus und dem Papst effektiv zu demonstrieren. Der Einzug Christi in Jerusalem als Gegensatz zum reitenden Papst erinnerte den damaligen Betrachter an den beliebten Palmesel (Abb. 16). Cranachs Gegenüberstellung des in den Himmel auffahrenden Christus und des herabstürzenden Papst-Antichrists bezog sich auf das Hinaufziehen einer Christusfigur am Himmelfahrtstag und den Sturz einer Teufels-Puppe durch ein Loch im Kirchendach (Abb. 17).

29 Z i t i e r t n a c h der Ü b e r s e t z u n g v o n Gerhard Jaritz, Z w i s c h e n A u g e n b l i c k u n d E w i g k e i t . E i n f ü h r u n g i n die Alltagsgeschichte des M i t t e l a l t e r s , W i e n / K ö l n 1989, 73. 30 V g l . d a z u die D i s k u s s i o n b e i Camille ( A n m . 12), Freedberg ( A n m . 13), Jaritz ( A n m . 29) u n d Virginia Reinburg, P r a y i n g the B o o k of Hours. T r a d i t i o n a l Religious Practices a n d the R e f o r m a t i o n i n France, erscheint demnächst. 31 Vgl. z u K r u z i f i x e n m i t einem H o h l r a u m b z w . m i t s c h w e n k b a r e n A r m e n Gesine und Johannes Taubert, M i t t e l a l t e r l i c h e K r u z i f i x e m i t s c h w e n k b a r e n A r m e n , i n : Z e i t s c h r i f t des deutschen Vereins f ü r K u n s t w i s s e n s c h a f t , 22 (1969), 7 9 - 1 2 1 ; Ulla Haastrup, M e d i e v a l Props i n the L i t u r g i c a l D r a m a , i n : H a f n i a , 11 (1987), 133 - 171; Elisabeth Vavra, L i t u r g i e als Inszenierung, i n : H a r r y K ü h n e l (Hrsg.), A l l t a g i m S p ä t m i t telalter, D a r m s t a d t 1984, 320f.; als B e i s p i e l eines K r u z i f i x e s m i t m e n s c h l i c h e m H a a r vgl. das K r u z i f i x aus d e m 15. J a h r h u n d e r t n o c h i n der P f a r r k i r c h e z u W i m p f e n . 32 Peter Jezler, B i l d w e r k e i m Dienste der d r a m a t i s c h e n A u s g e s t a l t u n g der O s t e r l i turgie, i n : E r n s t U l l m a n n (Hrsg.), V o n der M a c h t der B i l d e r , L e i p z i g 1983, 237.

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100

Robert W . S c r i b n e r

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A b b . 33: B i l d h a u e r Caspar Berger, C h r i s t u s als K i n d e r f r e u n d / A u f e r s t e h u n g C h r i s t i ( E p i t a p h f ü r f ü n f K i n d e r d e r F a m i l i e v o n S t o s c h , 1586)

Lutherische Bildepitaphien am Beispiel Schlesiens

159

17. Jahrhunderts w u r d e n die l a n g a t m i g e n G e d e n k i n s c h r i f t e n zunehmend häufiger d u r c h moralisierende Belehrungen u n d W a r n u n g e n erweitert, entweder ausschließlich d u r c h W o r t e oder auch u n t e r Z u h i l f e n a h m e Emblemen88. Die inschriftlich-emblematischen

von

E p i t a p h i e n des N i k o l a u s

L u d w i g (nach 1617) i n der P e t e r - P a u l s - K i r c h e zu Legnica (Liegnitz), des W o l f g a n g v o n R o t h k i r c h (nach 1619) i n der D o r f k i r c h e

zu Makowice

(Schwengfeld) u n d der F a m i l i e Schramme (nach 1632) i n der P f a r r k i r c h e St. H e d w i g zu G r y f ó w S l ^ s k i (Greiffenberg i.Schl.; A b b . 34) b r a c h t e n die Idee des T r i u m p h e s der Tugend über die W i d e r w ä r t i g k e i t e n des Schicksals, das L o b des t u g e n d h a f t e n Lebens als Bürgschaft f ü r die ewige G l ü c k s e l i g k e i t i n einer schon dem B a r o c k sehr nahen R h e t o r i k z u m A u s d r u c k . D i e G r a b m a l s k u n s t w a r das vollständigste ,Glaubensbekenntnis'

der

Schlesier i n der Reformationszeit u n d stellte die reiche W e l t i h r e r religiösen G r u n d h a l t u n g e n u n d Erlebnisse u n t e r Beweis. D u r c h B i l d e r u n d B i l d e r z y k len, Z i t a t e u n d Z i t a t s a m m l u n g e n versuchte man, die fundamentalen, sich m i t Leben u n d Tod, E r l ö s u n g u n d V e r d a m m u n g , , G n a d e ' u n d ,Gesetz' befassenden b i b l i s c h e n W a h r h e i t e n darzustellen u n d zu b e s t ä t i g e n ' . H i e r b e i handelte es sich u m die i n der protestantischen ,ars m o r i e n d i ' u n d dem B e s t a t t u n g s r i t u a l v i e l f a c h genutzten Bibelstellen H i . 19,25 - 27; Ps. 33,18 19; J. 11,25 - 26; Rom. 3,20 - 28; Rom. 1 4 , 7 - 9 ; 1. K o r . 1 5 , 5 1 - 5 8 ; Phil. 1,21 - 23; 2. T i m . 4 , 6 - 8 ; 1. J. 1,7, die m a n n a c h d a m a l i g e n E m p f e h l u n g e n den Sterbenden vorlesen, bei den Trauerzügen u n d Bestattungen rezitieren u n d absingen sowie als Thema der A b d a n k u n g e n u n d Leichenpredigten verwenden sollte89. D i e Grabdenkmalsdarstellungen u n d - i n s c h r i f t e n suchte m a n h ä u f i g m i t dem Z i e l aus, i n den ,Kern' vorzudringen, den tiefsten S i n n solcher bedeutenden Stellen der H e i l i g e n S c h r i f t , w i e J. 3, 14 - 18 u n d 1. K o r . 15,11 - 34, wiederzugeben. M a n versuchte sogar, die gefühlsträchtigsten, ,aus dem H e r zensgrund' quellenden Bekenntnisse des Paulus, die Verse Rom. 8,35 - 39, zu v e r b i l d l i c h e n . D u r c h die Sprache der b i b l i s c h e n B i l d e r u n d W ö r t e r gab m a n der unerschütterlichen ,Heilsgewißheit' A u s d r u c k , i n d e m m a n die Verheißungen der Psalmen (3,6; 4,9; 17,15; 31,6; 34,8), der Prophezeiungen Jesajas (26,19; 53,4 - 5; 66,14), Hesekiels (37,17) u n d Oseas (6,2), der E v a n schriftenvorschlägen i n L e i c h e n c a r m i n a des 17. u n d 18. J a h r h u n d e r t s , i n : Deutsche V i e r t e l j a h r e s s c h r i f t f ü r L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t u n d Geistesgeschichte, 52 (1978), 430 468. 88 Vgl. Harasimowicz, Tresci ( A n m . 35), 46 - 50. 89 s. u. a. J. Spangenberg, F u n f f z e h n L e i c h p r e d i g t / So m a n bey d e m Begrebnis der verstorbenen / i n C h r i s t l i c h e r gemein t h u n mag. D a r n e b e n m e h r d e n n 60. T h e m a t a oder Sprueche / aus d e m a l t e n Testament / auff welche m a n diese L e i c h p r e d i g t a p p l i ciren moecht / D u r c h ..., [ W i t t e m b e r g ] 1563, fol. 63 verso - 72 recto; - Moller, M a n u a l e ( A n m . 23), fol. 103 verso - 113 recto, 132 recto - 133 recto; F. Bidembach, P r o m p t u a r i i E x e q u i a l i s Pars ..., Continens Centurias ... D i s p o s i t i o n u m , Q u i b u s T h e m a t a F u n e b r i a Sive S c r i p t u r a e D i e t a V a r i a , Que D e M o r t e , sepultura, resurrectione, fine seculi, et v i t a aeterna, etc. t r a c t a n t . . . , Lubecae 1611, Pars I - I I .

Jan H a r a s i m o w i c z

S ' 'j* ' > y

A b b . 34: U n b e k a n n t e r Meister, I n s c h r i f t l i c h - e m b l e m a t i s c h e s E p i t a p h ( E p i t a p h G e o r g u n d U r s u l a S c h r a m m e n a c h 1632)

Lutherische Bildepitaphien am Beispiel Schlesiens

161

gelien des M a t t h ä u s (11,28; 24,31), M a r k u s (7,25 - 30; 10,14), L u k a s (2,29) u n d Johannes (1,17; 4,14), der Paulus-Briefe (Rom. 8,18 - 19; 1. K o r . 6,14; 2. T i m . 1,12) u n d der Johannesapokalypse (14,13) wiederholte. M a n erklärte seine Treue zu G l a u b e n u n d Kreuz, i n d e m m a n sich auf die b e r ü h m t e n Sprüche v o n Rom. 1,16 - 17, Gal. 6,14 u n d 1. T i m . 1,15 berief. I n d e m m a n sich m i t t e l s der G r a b m ä l e r z u seinem G l a u b e n bekannte, intensivierte u n d verbreitete m a n i h n gleichzeitig, w o r i n das Z i e l der l u t h e rischen ,ars m o r i e n d i ' bestand. A l l e ihre Elemente, das Wachen a m Sterbebett, der Tod, der Besuch bei den l e i b l i c h e n Überresten, der Trauerzug, die Leichenpredigt, die B e s t a t t u n g u n d das Totengedächtnis sollten der G l a u bensverbreitung d i e n e n 9 0 . Diese ständige Glaubensfestigung f ü h r t e

oft,

zusammen m i t dem uneingeschränkten Vertrauen auf die W i r k l i c h k e i t des Wortes „ W e r an m i c h g l a u b t , w i r d leben, ob er gleich stürbe", zu V o r g r i f f u n d Vorwegnahme eines günstigen g ö t t l i c h e n U r t e i l s , z u m A u s r u f e n der f r o m m e n Menschen zu ,Erlösten' oder ,Auserwählten'. Diese G r u n d h a l t u n g findet m a n i n den schlesischen G r a b m a l s - u n d E p i t a p h i e n i n s c h r i f t e n h ä u fig, j a sogar - w e n n auch entschieden seltener - i n den B i l d e r n der Sepulk r a l d e n k m ä l e r wieder. Die ,Heilsgewißheit', nach M a x Weber „der Gefühlshabitus des Sichgeborgenwissens i n Gottes Güte u n d G n a d e " 9 1 , w u r d e i m 16. J a h r h u n d e r t i n Predigten verbreitet, i n den K i r c h e n o r d n u n g e n u n d K a t e c h i s m e n erläutert, i n der p o p u l ä r e n E r b a u u n g s l i t e r a t u r p r o p a g i e r t 9 2 . A u c h die theologisch-moralischen Programme der E p i t a p h i e n u n d G r a b d e n k m ä l e r dienten i h r e r Bestätigung. H ä u f i g w a r e n diese ein sehr persönliches Bekenntnis auf der Basis eigener Überlegungen u n d Ansichten. Als Beispiel solcher Glaubensbekenntnisse k ö n n e n v o r a l l e m die E p i t a p h i e n der geistigen F ü h r e r der schlesischen Reformation, Johann Hess (Abb. 28), Georg v o n Z e d l i t z , Hans M o h renberg u n d Peter W i t z e (Vincentius) dienen. Zahlreiche originelle, i n d i v i d u e l l zusammengestellte Programme befinden sich auf den G r a b d e n k m ä l e r n der führenden schlesischen Adelsgeschlechter, derer v o n Bock, B r a u n , Burghaus (Abb. 29), Czirn, Nostitz, Rechenberg, Schaffgotsch, S c h w e i n i t z (Abb. 25) u n d Stosch (Abb. 33). D u r c h die Tiefe i h r e r ideellen Ü b e r m i t t l u n g zeichnen sich auch mehrere E p i t a p h i e n bürgerlicher F a m i l i e n aus - u n d das n i c h t n u r i n W r o c l a w (Breslau), Brzeg (Brieg), Legnica (Liegnitz) oder S w i d nica

(Schweidnitz),

sondern

auch

90

in

Bolesîawiec

(Bunzlau),

Cieszyn

Vgl. Harasimowicz, „Ars moriendi" (Anm. 24), passim. 91 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Anm. 16), 1. Halbband, 326. 92 Vgl. J. Gottschick, Die Heilsgewißheit des evangelischen Christen im Anschluß an Luther, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 13 (1903), 349 - 435; A. Kurz, Die Heilsgewißheit bei Luther. Eine entwicklungsgeschichtliche und systematische Darstellung, Gütersloh 1933; - A. A. Meyer, Heilsgewißheit und Endzeiterwartung im deutschen Drama des 16. Jh. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen geistlichem Spiel, bildender Kunst und den Wandlungen des Zeitgeistes im lutherischen Raum, Phil. Diss. Heidelberg 1976; - Harasimowicz, „Heilsgewißheit" (Anm. 1). 11 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

162

Jan Harasimowicz

(Teschen), J a w o r (Jauer), K o z u c h ó w (Freystadt), Nysa (Neisse), Z ^ b k o w i c e (Frankenstein) u n d Z i ç b i c e (Münsterberg). D i e meisten dieser Programme entstanden zweifellos u n t e r B e t e i l i g u n g der ,städtischen Proselytenschicht' der evangelischen I n t e l l i g e n z - der Pastoren, Lehrer, Poeten, K a n t o r e , Ä r z t e u n d M a g i s t r a t s b e a m t e n 9 3 . Andererseits d a r f der persönliche A n t e i l der a d l i gen oder b ü r g e r l i c h e n S t i f t e r der E p i t a p h i e n u n d G r a b m ä l e r n i c h t u n t e r schätzt werden. Das B i l d u n g s n i v e a u w a r schon gegen Ende des 16. J a h r h u n derts relativ h o c h 9 4 , was die den tiefen Glauben der Verstorbenen, ihre moralische H a l t u n g , konfessionellen Entscheidungen u n d Lieblingslektüre erwähnenden G r a b d e n k m a l s i n s c h r i f t e n i n d i r e k t bestätigen 9 5 . Diese I n s c h r i f t e n u n d die G r a b m a l s k u n s t als ganzes zeigen das B i l d einer konfessionell aufgek l ä r t e n , sich f ü r die V e r b r e i t u n g des Evangeliums einsetzenden Gesellschaft, die versuchte, das d u r c h die R e f o r m a t i o n f o r m u l i e r t e P r o g r a m m des ,allgemeinen Priestertums der Gläubigen' i n die T a t umzusetzen. „Es f ä l l t uns heute sogar schwer, uns vorzustellen, daß selbst n u r der k o m p l i z i e r t e I n h a l t etwa des Römerbriefs v o n einer (vorwiegenden) K l e i n b ü r gergemeinde w i r k l i c h i n t e l l e k t u e l l v o l l angeeignet w o r d e n sei, w i e es doch anscheinend der F a l l gewesen sein m u ß " - schreibt M a x W e b e r 9 6 . D i e Ü b e r w i n d u n g des theologischen Monopols der G e i s t l i c h k e i t , die Bereitstellung der H e i l i g e n S c h r i f t f ü r den ,gemeinen M a n n ' , die E i n f ü h r u n g der N a t i o n a l sprache i n der L i t u r g i e , das alles f ü h r t e zu einer I n t e n s i v i e r u n g des A n t e i l s der G l ä u b i g e n a m Gottesdienst, z u einem neuen N i v e a u der k i r c h l i c h e n B i n dung. D i e ,sichtbaren W o r t e ' der protestantischen

Sepulkralprogramme

erreichten das breite P u b l i k u m , w u r d e n z u m auf D u t z e n d e n v o n i n d i v i duellen Konfessionsdeklarationen

ausgeschriebenem ,Gruppencredo'

der

Gemeinde. D e r K o l l e k t i v e ' , v o n den F a m i l i e n b e s t i m m t e Charakter der m e i sten E p i t a p h i e n verstärkte die lokale G r u p p e n integrierende F u n k t i o n der 93 Vgl. G. Franz, Das evangelische Pfarrhaus, in: Führungsschicht und Eliteproblem. Konferenz der Ranke-Gesellschaft, Vereinigung für Geschichte im öffentlichen Leben, Frankfurt a.M./Berlin/Bonn 1957, 35ff.; L. Fertig, Die Hofmeister. Ein Beitrag zur Geschichte des Lehrstandes und der bürgerlichen Intelligenz, Stuttgart 1979. 94 Vgl. G. Ritter, Die geschichtliche Bedeutung des deutschen Humanismus, in: HZ 127 (1923), 393 - 453; E. Trunz, Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur, in: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts, 21 (1931), 17 - 53; -A. Lubos, Der Späthumanismus in Schlesien, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau, 2 (1957), 107 - 147; - M. P. Fleischer, Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze, München 1984. 95 Als Beispiele der schlesischen Grabdenkmalsinschriften von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung wären folgende drei zu nennen: diejenige auf dem Grabmal des „Philippisten" Georg von Braun (1591 - 1594) in der Pfarrkirche zu Bytom Odrzaùski (Beuthen a.d. Oder), diejenige auf der Grabplatte des Pfarrers Zacharias Textor (nach 1614) in der Pfarrkirche zu Kurów Wielki (Gross Kauer) und diejenige auf dem Epitaph von Martin Opitz' Lehrer Caspar Kirchner (nach 1627) in der Pfarrkirche zu Bolesîawiec (Bunzlau); s. H. Hoffmann, Die katholischen Kirchen des Landkreises Glogau, Breslau 1937, 11 - 14, 66 - 68; ders., Die katholischen Kirchen der Pfarrei Bunzlau, Breslau 1937,15. 96 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Anm. 16), 1. Halbband, 323.

Lutherische Bildepitaphien am Beispiel Schlesiens

163

lutherischen G r a b m a l s k u n s t . D i e u n t e r h a l b der , b i l d l i c h e n Glaubensbekenntnisse' knienden, v o n einer K i n d e r s c h a r beiderlei Geschlechts umgebenen

Eheleute

waren

eine eindrucksvolle

Bestätigung

des v o n

der

R e f o r m a t i o n eingeführten K u l t e s der F a m i l i e , des Familienlebens u n d des Kinderreichtums 97. D i e bescheidenen u n d f r o m m e n lutherischen F a m i l i e n f ü l l t e n m i t der Z e i t die Wände der K i r c h e n der w i c h t i g s t e n schlesischen Städte m i t Reihen v o n gemalten oder i n Stein gehauenen Glaubensbekenntnissen'. I n n e r h a l b u n d außerhalb der S a n k t u a r i e n sammelte sich das i n G r a b d e n k m ä l e r n ausged r ü c k t e P o t e n t i a l der E r f a h r u n g e n u n d Reflexionen der aufeinander folgenden Generationen, die Verstorbenen vereinten sich m i t den Lebenden i m gemeinsamen W e r k der V e r b r e i t u n g des Wortes Gottes, der ,Verewigung' des Evangeliums. D i e E p i t a p h i e n w u r d e n gegen Ende des 16. Jahrhunderts f ü r die gesellschaftliche M e n t a l i t ä t ein so u n a b k ö m m l i c h e r ,Glaubensbew e i s ' 9 8 , daß es v ö l l i g n o r m a l w u r d e , schon längst verstorbenen F a m i l i e n m i t gliedern B i l d - u n d Reliefepitaphien zu stiften, die d u r c h den , Z a h n der Z e i t ' beschädigten D e n k m ä l e r zu erneuern oder m i t t e l a l t e r l i c h e n

Epitaphien

neue, manieristische Rahmen zu geben 9 9 . D i e B e d e u t u n g der G r a b d e n k m ä ler, der i n Stein u n d H o l z ausgeführten ,Chronik' des religiösen Lebens, f ü r die ideelle Geschlossenheit der Gemeinden u n d i h r T r a d i t i o n s g e f ü h l w a r sicher auch der G r u n d , weshalb i n einigen r e k a t h o l i s i e r t e n schlesischen S t a d t k i r c h e n die meisten ,häretischen' G r a b m ä l e r u n d E p i t a p h i e n v o n den W ä n d e n entfernt w u r d e n 1 0 0 . Die von K a r l M a r x

genannten Haupteigenschaften der

lutherischen

R e f o r m a t i o n - ,die Restaurierung der A u t o r i t ä t des Glaubens', ,die V e r w a n d l u n g der L a i e n i n Pfaffen' u n d ,das T u n der Religiosität z u m i n n e r n M e n s c h e n ' 1 0 1 - m a c h t e n die Religion zu einem b r a u c h b a r e n u n d w i r k s a m e n Herrschaftsinstrument.

D i e großen G r a b d e n k m ä l e r der Fürsten u n d des

Adels sollten n i c h t n u r d u r c h ihre Ausmaße, die „ T r i u m p h a r c h i t e k t u r " der Rahmen u n d die „ M a c h t der F i g u r a t i o n " , sondern auch d u r c h den I n h a l t der b i b l i s c h e n W o r t - B i l d - V e r k ü n d i g u n g d a r a n erinnern, daß der lutherische 97 Vgl. u. a. I. Ludolphy, Die Frau in der Sicht Martin Luthers, in: Vierhundertfünfzig Jahre lutherische Reformation 1517 - 1967. Festschrift für Franz Lau zum 60. Geburtstag, Berlin 1967, bes. 205f., 211 f. 98 Vgl. Mai, Kirchliche Bildkunst (Anm. 7), 249 f. 99 Z.B. das älteste erhaltene schlesische Bildepitaph der Barbara Polani (um 1409) in der Barbarakirche zu Wroclaw (Breslau), heute Warschau, Muzeum Narodowe, wurde 1613 auf Veranlassung des Breslauer Ratsherrn Christoph Poley in reiche manieristische Umrahmung eingesetzt; s. dazu L. Burgemeister/ G. Grundmann, Die Kunstdenkmäler der Stadt Breslau, Bd. 2, Breslau 1933, 166, Abb. 77. Vgl. auch Keisch, Zum sozialen Gehalt (Anm. 11), 302 - 310. 100 s. H. Lutsch, Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien, Bd. 2: Die Landkreise des Reg.-Bezirks Breslau, Breslau 1889, 204. 101 K. Marx, Zur K r i t i k der Hegel'schen Rechts-Philosophie. Einleitung, in: K. Marx, F. Engels, Gesamtausgabe (MEGA), Erste Abteilung, Bd. 2, Berlin 1982, 177.

11*

164

Jan Harasimowicz

Feudalherr f ü r seine U n t e r t a n e n auch die höchste religiöse O b r i g k e i t , der „episcopus s u m m u s " , sein sollte u n d darstellte. D i e I n s c h r i f t auf dem Fries des Grabmals f ü r K a r l C h r i s t o p h v o n Münsterberg-Ols (1579) i n der Schloßk i r c h e z u Olesnica ( Ö l s ) 1 0 2 - E I N S T E R N Ü B E R T R I F F T D E N A N D E R N N A C H DER KLARHEIT: ALSO A U C H DIE AUFERSTEHUNG DER TODT E N (1. K o r . 15,41 - 42) - h a t m i t dem plebeischen E g a l i t a r i s m u s der ,Totentänze' n i c h t sehr v i e l gemeinsam. Sie befestigt u n d ü b e r t r ä g t die soziale S c h i c h t u n g der evangelischen Gesellschaft Schlesiens i n die E w i g k e i t u n d erinnert daran, daß die A n e r k e n n u n g des gesellschaftlichen u n d p o l i t i s c h e n status quo die religiöse Pflicht eines jeden rechtgläubigen Lutheraners sei 1 0 3 .

102 103

Vgl. Katalog Zabytków Sztuki w Polsce, N.F. 4 (Anm. 46), 57, Fig. 300 - 302. s. auch Harasimowicz, Tresci (Anm. 35), 171 - 173.

Die ,Zweite Reformation' in Danzig und die Kirchenkunst V o n K a t a r z y n a Cieslak, Gdaùsk (Danzig) I m Jahre 1557 gewährte S i g i s m u n d August, K ö n i g v o n Polen, den D a n z i ger L u t h e r a n e r n die Religionsfreiheit 1 . Z w a n z i g Jahre später w u r d e die Gleichberechtigung v o n K a t h o l i k e n u n d L u t h e r a n e r n d u r c h ein P r i v i l e g des Königs Stephan B â t h o r y bestätigt. D e r Sieg der R e f o r m a t i o n i n D a n z i g w u r d e also a n e r k a n n t ; gleichzeitig aber w u r d e n weitere Ä n d e r u n g e n i m K i r c h e n z e r e m o n i e l l verboten. A l l e r d i n g s sollte der schon A n f a n g der 60er Jahre entbrennende A b e n d mahlsstreit beweisen, daß feste theologische G r u n d l a g e n f ü r die junge evangelische K i r c h e Danzigs gewonnen w e r d e n mußten. Seit 1562 w u r d e n h i e r alle evangelischen Geistlichen v e r p f l i c h t e t , die sog. N o t e l zu unterschreiben, i n der s o w o h l die schweizerische als auch die katholische A b e n d m a h l s l e h r e v e r w o r f e n w u r d e n . Schon 1575 indessen n a h m m a n Melanchthons „Corpus D o c t r i n a e Christianae" als theologische Basis an. Infolge dieser Entscheid u n g standen die Tore der S t a d t w e i t offen für Leute, die v o m K r y p t o c a l v i nismus z u m reformierten Bekenntnis übergingen. A u c h i n D a n z i g w a r i n der Z e i t der „ Z w e i t e n R e f o r m a t i o n " der w a c h sende E i n f l u ß des Calvinismus z u beobachten. I m m e r m e h r Bürger aus den vornehmsten, reichsten u n d gebildetsten Kreisen näherten sich der reform i e r t e n Lehre. Sie brachen jedoch niemals m i t der evangelisch-lutherischen K i r c h e . I m Gegenteil, o f f i z i e l l b e k a n n t e n sie sich i m m e r z u r Augsburger Konfession u n d behaupteten, daß der V o r w u r f des Calvinismus v o n i h r e n Gegnern i n b ö s w i l l i g e r A b s i c h t gegen sie erhoben werde. Dies geschah m i t Rücksicht auf die e r w ä h n t e n Religionsprivilegien, die n u r L u t h e r a n e r u n d K a t h o l i k e n einschlossen. Trotz i h r e r ungünstigen Ausgangslage vermochten die Reformierten i n D a n z i g schnell die O b e r h a n d zu gewinnen. I m Jahre 1605 stellten sie die M e h r h e i t der Ratsherren u n d Schöffen, aber auch der Stadtsekretäre, der Professoren a m G y m n a s i u m sowie der Pfarrschullehrer, Richter u n d Geist1

Zur Kirchengeschichte Danzigs Th. Hirsch, Die Ober-Pfarrkirche von St. Marien in Danzig ..., Bd. 2, Danzig 1847, 175 - 280; E. Schnaase, Geschichte der evangelischen Kirche Danzigs, Danzig 1863, bes. 543 - 597; P. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2, Aalen 1967, (ND der Ausgabe Danzig 1918 - 1924), 194 - 205, 362 - 370, 404 - 407, 428 - 434; J. Baszanowski, Statistics of Religious Denominations and Ethnic Problems in Gdaùsk in XVII. - XVIII. Centuries, in: Studia Maritima, 7 (1988) 49 - 72.

166

Katarzyna Cieslak

liehen. I n d r e i K i r c h e n (St. T r i n i t a t i s , St. P e t r i - u n d - P a u l i , St. Elisabeth) w u r d e der Gottesdienst ausschließlich n a c h schweizerischem B r a u c h zeleb r i e r t . I n w e i t e r e n v i e r K i r c h e n (darunter die O b e r p f a r r k i r c h e St. Marien) w a r e n s o w o h l L u t h e r a n e r als auch Reformierte als Prediger tätig. N u r z w e i protestantische K i r c h e n der Stadt (St. Johann u n d St. K a t h a r i n e n ) b l i e b e n uneingeschränkt lutherisch. D i e m i t t l e r e n b ü r g e r l i c h e n Schichten w a r e n der - unveränderten - Augsburger Konfession t r e u u n d protestierten h e f t i g gegen den A u f s t i e g des Calvinismus, dessen A u s b r e i t u n g d u r c h die P o l i t i k der sozialen Oberschichten begünstigt w u r d e . A b e r erst 1612 reagierte der K ö n i g v o n Polen auf die K l a gen der lutherischen M e h r h e i t der Danziger m i t einem E d i k t , das hier die endgültige D u r c h s e t z u n g der reformierten

Konfession verhinderte:

die

A n h ä n g e r Calvins d u r f t e n auf i h r e n Stellen bleiben, aber i n Z u k u n f t sollten n u r L u t h e r a n e r u n d K a t h o l i k e n i n städtische Ä m t e r g e w ä h l t werden. Erst 1652 w u r d e n i n D a n z i g die Reformierten m i t den beiden anderen Konfessionen gleichgestellt; dies f ü h r t e indes n i c h t zu einem erneuten A u f s t i e g dieser Glaubensgruppe. W ä h r e n d der Auseinandersetzungen zwischen L u t h e r a n e r n u n d Reformierten ist i n Danzig, ebenso w i e i n anderen Orten, w o es zu derartigen K o n fessionsstreitigkeiten gekommen w a r , die Frage der A d i a p h o r a - v o r a l l e m bezogen auf die B i l d e r - zu einem der zentralen S t r e i t p u n k t e geworden. I n einer der Danziger S t r e i t s c h r i f t e n w u r d e n die L u t h e r a n e r „ h a l b e Papisten, Fleischfresser, Blutsäufer, U b i q u i t i s t e n , Götzenknechte u n d P e l a g i a n e r " 2 genannt. Was gab den hiesigen C a l v i n i s t e n den Anlaß, ihre M i t b ü r g e r a i s „ G ö t z e n k n e c h t e " z u beschimpfen? O b w o h l D a n z i g i n den 20er Jahren, als hier ein Schüler v o n Andreas K a r l s t a d t g e w i r k t hatte, z w e i m a l einen z i e m l i c h begrenzten B i l d e r s t u r m erlebte 3 , k o n n t e n die S t a d t k i r c h e n ihre katholische A u s s t a t t u n g ohne größere Verluste bewahren. D i e O b e r p f a r r k i r c h e

St.

M a r i e n stand u n t e r dem Patronat des K ö n i g s v o n Polen, was sicher dazu beigetragen hat, daß alle i h r e Seitenaltäre (fast 50) bis z u m Ende der Zugeh ö r i g k e i t der S t a d t zu Polen (1793) unversehrt blieben. A u c h die alte A u s s t a t t u n g der anderen K i r c h e n w u r d e b e i der E i n f ü h r u n g der L u t h e r i s c h e n R e f o r m a t i o n 1557 geschont. Sie w u r d e auch w e i t e r b e n u t z t - u. a. gebrauchten die A n h ä n g e r L u t h e r s i n St. M a r i e n , w o bis 1572 Simultangottesdienste f ü r K a t h o l i k e n u n d Evangelische gehalten w o r d e n waren, den Seitenaltar, der dem hl. N i k o l a u s geweiht w o r d e n w a r , n u r wegen seiner günstigen Lage gegenüber der Kanzel. Z i e m l i c h selten w u r d e n neue Ausstattungselemente gestiftet: f ü r St. M a r i e n , St. K a t h a r i n e n u n d St. T r i n i t a t i s w u r d e n Kanzel, 2 3

Zitat nach Schnaase (Anm. 1), 563. Ebd., 11, 15 - 17.

D i e Z w e i t e Reformation' in Danzig und die Kirchenkunst

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Taufbecken u n d Orgel bestellt. D a z u k a m e n i m m e r zahlreichere B i l d e p i t a phien4. D e n Danziger Reformierten w a r die D u l d u n g der „ p a p i s t i s c h e n " u n d die S t i f t u n g der lutherischen K u n s t w e r k e offenbar ein D o r n i m Auge. Schon 1589 begannen ihre Prediger bei St. T r i n i t a t i s , St. P e t r i - u n d - P a u l i u n d St. E l i s a b e t h u n t e r B e r u f u n g auf das B i l d e r v e r b o t i m A l t e n Testament (das nach L u t h e r f r e i l i c h n u r f ü r die Juden gegolten hatte 5 ) gegen die B i l d e r z u predigen. Z e h n Jahre später w u r d e n i n St. M a r i e n die Z e h n Gebote v o n den reformierten D i a k o n e n aus dem A l t e n Testament u n d v o n den lutherischen Pastoren aus dem Katechismus L u t h e r s gelesen. D i e reformierten

Geistlichen versuchten aber auch sehr schnell, ihre

Anschauungen i n T a t e n umzusetzen. I m W i n t e r 1589/90 w u r d e n aus beiden K i r c h e n der Vorstadt - d.h. aus der T r i n i t a t i s - u n d aus der P e t r i - u n d - P a u l i K i r c h e - Seitenaltäre u n d B i l d e r entfernt; d a n n w u r d e der H o c h a l t a r der ersten K i r c h e ( m i t der D a r s t e l l u n g des Gnadenstuhls) geschlossen u n d der H o c h a l t a r der z w e i t e n K i r c h e ( m i t der F i g u r der J u n g f r a u M a r i a ) d u r c h eine I n s c h r i f t t a f e l ersetzt, auf der die Einsetzungsworte der K o m m u n i o n u n d der D e k a l o g geschrieben standen. D i e empörten lutherischen Bewohner der Vorstadt erzwangen die Wiederherstellung des früheren Zustands der K i r chen - die M a r i e n f i g u r kehrte jedoch n i c h t an i h r e n Platz zurück. E i n i g e Wochen später d r o h t e n neue U n r u h e n , w e i l der reformierte Prediger i n der B a r t h o l o m ä i k i r c h e erneut die B i l d e r angegriffen hatte. I n beiden F ä l l e n w u r d e die B i l d f e i n d l i c h k e i t d u r c h den Rat gerügt. D i e O b r i g k e i t handelte i n v o l l e m Bewußtsein der p o l i t i s c h e n Gefahr, die solche U n r u h e n m i t sich brachte. D i e A n h ä n g e r des L u t h e r t u m s n a h m e n b e i der V e r t e i d i g u n g der B i l d e r Positionen ein, die an die katholische B i l d e r v e r e h r u n g erinnerten: i n St. M a r i e n ließ der lutherische T e i l der G e i s t l i c h k e i t an allen Festtagen den aus der alten Z e i t stammenden H o c h a l t a r

( m i t der H a u p t d a r s t e l l u n g

der

M a r i e n k r ö n u n g ) öffnen u n d feierlich m i t zahlreichen Kerzen beleuchten. D i e S t i f t u n g v o n neuen, v o r a l l e m der l i t u r g i s c h u n e n t b e h r l i c h e n Elemente der Kirchenausstattung, w a r u m 1600 p r a k t i s c h n u r i n z w e i Danziger K i r c h e n möglich. I n St. Johann u n d St. K a t h a r i n e n , w o keine Reformierten u n t e r der G e i s t l i c h k e i t t ä t i g waren, w u r d e diese M ö g l i c h k e i t genutzt. Bis 1617 b e k a m die Johanniskirche einen neuen H o c h a l t a r u n d eine neue K a n zel 6 ; f ü r St. K a t h a r i n e n w u r d e n bis 1612 ein H o c h a l t a r , ein Taufbecken, eine 4 K. Cieslak, Vom Bildepitaph zum bürgerlichen Ruhmesdenkmal in Danzig, in: Zeitschrift für Ostforschung, 34 (1985), 165 - 175. 5 M. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, Gütersloh 1977,47-51. 6 E. Praetorius, Das evangelische Danzig ..., Bd. 1 (Biblioteka Gdaùska Polskiej Akademii Nauk - ehemalige Stadtbibliothek Danzig - , ms. 428), 240 - 242, 251 - 252; W. Drost, Kunstdenkmäler der Stadt Danzig, Bd. 1; St. Johann, Stuttgart 1957, 34 40, Abb. 21 - 24;40 - 47, Abb. 25 - 28.

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Katarzyna Cieslak

neue Orgel u n d eine bebilderte E m p o r e gestiftet 7 . A l s nach 1612 ähnliche Bestellungen auch f ü r die anderen, v o n reformierten Einflüssen befreiten K i r c h e n m ö g l i c h waren, w o l l t e n die d o r t i g e n Gemeinden Versäumtes nachholen. A l l e i n i n den Jahren 1 6 1 3 - 1 9 w u r d e die B a r b a r a k i r c h e m i t A l t a r , Taufbecken, Orgel u n d E m p o r e n ausgestattet 8 . F ü r die anderen K i r c h e n w u r d e n v o r a l l e m neue A l t ä r e i n A u f t r a g gegeben. D a die m e i s t d i s k u t i e r t e Frage i n den Danziger Auseinandersetzungen die Abendmahlslehre u n d infolgedessen das Problem der F u n k t i o n u n d F o r m des A l t a r s w a r , w i r d hier das P r o g r a m m der f ü n f lutherischen Retabeln untersucht, die w ä h r e n d des Streits oder k u r z n a c h seinem Ende entstanden. Der m o n u m e n t a l e steinerne A l t a r i n der J o h a n n i s k i r c h e 9 (heute stark beschädigt) w u r d e dem N a m e n s p a t r o n der K i r c h e gewidmet. Sein i n h a l t s reiches ikonographisches Programm, eine A r t theologisch-moralische A u s legung der B i b e l i n W o r t u n d B i l d , ist einer genaueren B e t r a c h t u n g w e r t : Der Glaube erscheint auf den Gottesgaben begründet: auf dem G o t t e s w o r t (durch die F i g u r e n Johannes des Täufers u n d des Apostels Paulus versinnb i l d l i c h t ) u n d auf dem Sakrament der K o m m u n i o n (zwei Reliefs: Passahu n d A b e n d m a h l ) ; dazu k o m m e n als K o m m e n t a r die W o r t e aus Deut. 12,32, aus denen eine A n s p i e l u n g auf die S i t u a t i o n i n D a n z i g herauszulesen ist: „Alles, was i c h euch gebiete, das solt i h r halten, das i h r darnach t h u t , i h r solt n i c h t dazu t h u n , n o c h davon t h u n " . Das H a u p t r e l i e f m i t einer D a r s t e l l u n g der Taufe i m J o r d a n (ein Bezug auf das zweite Sakrament der l u t h e r i schen Kirche) u n d das Relief der Auferstehung C h r i s t i sowie die F i g u r e n der Propheten E l i a u n d H e n o c h k n ü p f e n an die W o r t e des Evangelisten Marcus an: „ W e r da gleubet u n d getauf ft w i r d , der w i r d selig w e r d e n " ( M k . 16,16), welche die H o f f n u n g auf das ewige L e b e n begründeten. D i e Heiden, welche die Gnade Gottes ablehnen, sind i n der Szene der E n t h a u p t u n g Johannes des Täufers dargestellt; die danebenstehende F i g u r des Evangelisten Johannes erinnert an die Strafe, die sie nach der Weissagung der A p o k a lypse e r w a r t e t (darauf bezieht sich auch das Z i t a t Deut. 2 8 , 1 5 - 1 9 ) . D i e Gerechten dagegen hören der W a l d p r e d i g t des Johannes zu u n d t u n Buße (eine A n s p i e l u n g darauf w i r d i n der F i g u r des Apostels Petrus m i t B u c h u n d Schlüssel gemacht). Das Z i t a t Deut. 2 8 , 1 - 6 stellt die Gerechten als solche dar, die n a c h den Geboten Gottes handeln. D i e Tafeln m i t den Z e h n Geboten h ä l t die Mosesfigur i n der B e k r ö n u n g des Retabels - es sind aber n u r die Gebote, die „ s u b g r a t i a " gelten: das B i l d e r v e r b o t fehlt. Eine P e l i k a n f i g u r 7 Praetorius (Anm. 6), 365 - 366, 370 - 371; Drost (Anm. 6), Bd. 2; St. Katharinen, Stuttgart 1958, 39 - 44, Abb. 31 - 34; 72 - 77, Abb. 65 - 69; 77 - 83, Abb. 70 - 78; 90 95, Abb. 92 - 97. 8 Praetorius (Anm. 6), 619 - 622. 9 A. Muttray, Der Hochaltar in der Sankt Johanniskirche in Danzig, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins, 62 (1922) 57 - 82; Drost (Anm. 6), Bd. 1, 34 40, Abb. 21 - 24.

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erinnert daran, daß Christus m i t seinem T o d die Sünden aller Menschen getilgt hat, auch solcher, die n a c h dem Gesetz v e r d a m m t s i n d (dieses Prob l e m w u r d e i n jener Z e i t i n D a n z i g d i s k u t i e r t ) . I m ikonogr aphischen Prog r a m m des A l t a r s w u r d e die D a r s t e l l u n g des Begriffs „fides ex a u d i t u " u n d der Sakramente m i t der V e r b i l d l i c h u n g des Lebens u n d W i r k e n s des K i r c h e n p a t r o n s geschickt v e r b u n d e n - Johannes der Täufer w u r d e hier als erster A p o s t e l des c h r i s t l i c h e n Glaubens u n d dessen erster M ä r t y r e r dargestellt. Das umfangreiche P r o g r a m m des A l t a r s i n St. J o h a n n e r w e c k t den E i n d r u c k , als w o l l t e n seine S t i f t e r zu jeder damals i n D a n z i g d i s k u t i e r t e n Frage S t e l l u n g nehmen. Ebenso i n h a l t s r e i c h w a r das Retabel, das z u r gleichen Z e i t f ü r die K a t h a r i n e n k i r c h e 1 0 i n A u f t r a g gegeben w u r d e (heute s i n d n u r einige B i l d e r erhalten). Sein P r o g r a m m ist auf dem z w e i t e n A r t i k e l des apostolischen Glaubensbekenntnisses aufgebaut (mit der K r e u z i g u n g C h r i s t i als H a u p t d a r s t e l l u n g ) , was f ü r die lutherischen A l t ä r e dieser Z e i t t y p i s c h ist. Jedoch ist dieses große „ E p i t a p h C h r i s t i " 1 1 d u r c h B i l d e r auf der Rückseite des Retabels bereichert: über dem Gemälde des Jüngsten Gerichts befand sich d o r t die D a r s t e l l u n g der ,Fides' als Siegerin über den T o d u n d die ,Frau Welt'. A u f diese Weise d i e n t das Retabel, das die entscheidende B e d e u t u n g des Glaubens als einziger B e d i n g u n g der Sündenvergebung betonen soll, auch als A r g u m e n t der L u t h e r a n e r gegen die reformierte Lehre der Gnadenw a h l . I n bescheidener F o r m w u r d e derselbe Gedanke i m A l t a r der B a r t h o l o m ä i k i r c h e 1 2 w i e d e r h o l t (1616, n u r B i l d e r erhalten): drei D a r s t e l l u n g e n

-

Christus i n Gethsemane, Jüngstes G e r i c h t u n d Salvator M u n d i - schienen dort die W o r t e des Johannes-Evangeliums z u veranschaulichen: „ A l s o h a t G o t t die W e l t geliebet, das er seinen eingebornen Son gab, auff das alle die an j n gleuben, n i c h t verloren werden, sondern das ewige Leben haben. D e n n G o t t h a t seinen Son n i c h t gesand i n die W e l t , das er die W e l t richte, Sondern das die W e l t d u r c h j n selig w e r d e " (Joh. 3 , 1 6 - 17). I n beiden A l t ä r e n soll die D a r s t e l l u n g des A b e n d m a h l s i n der Predella den G l ä u b i g e n d a r a n erinnern, daß das Sakrament der K o m m u n i o n den G l a u b e n an die E r l ö s u n g festigt. D i e B e d e u t u n g dieses Sakraments w i r d i m P r o g r a m m v o n z w e i w e i t e r e n Retabeln besonders betont: i n der B a r b a r a k i r c h e 1 3 (nur das H a u p t b i l d des A b e n d m a h l s h a t sich bis i n unsere Z e i t erhalten) u n d i n der T r i n i t a t i s k i r c h e 1 4 (Kriegsverlust). Das letzte w u r d e erst 1632 gestiftet, ein Jahr nach der W i e d e r e i n f ü h r u n g der K o m m u n i o n n a c h l u t h e r i s c h e m Gebrauch. I n der Sockelzone befanden sich d o r t die D a r s t e l l u n g e n der vier Evangelisten u n d 10 Drost (Anm. 6), Bd. 2, 39 - 44, Abb. 31 - 34. 11 H. C. von Haebler, Das Bild in der evangelischen Kirche, Berlin 1957, 32. 12 Praetorius (Anm. 6), 462; Drost (Anm. 6), Bd. 5: St. Trinitatis ..., Stuttgart 1972, 104- 105, Abb. 90-91. 13 Praetorius (Anm. 6), 619; Drost (Anm. 6), Bd. 5, 137 - 138, Abb. 116. 14 Praetorius (Anm. 6), 517; Drost (Anm. 6), Bd. 5, 13 - 14, Abb. 8 - 10.

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die Einsetzungsworte des Abendmahls. „Gehörtes G o t t e s w o r t " w u r d e m i t dem B i l d des A b e n d m a h l s ( „ s i g n u m v i s i b i l e " ) verbunden, das v o n den F i g u ren des Propheten Jesaia u n d des Apostels Paulus f l a n k i e r t w u r d e . I n der B e k r ö n u n g des Retabels t a u c h t e n die Symbole des Gesetzes u n d des E v a n geliums, Auferstehungsszene u n d P e l i k a n f i g u r auf, die m i t entsprechenden B i b e l z i t a t e n (Ps. 26,6 - 7; 2. Chron. 30,19) k o m m e n t i e r t w u r d e n . D i e Programme der Danziger Retabeln unterscheiden sich w e s e n t l i c h v o n dem typischen I n h a l t der zeitgenössischen lutherischen A l t ä r e aus dem ersten D r i t t e l des 17. J a h r h u n d e r t s 1 5 . I n dieser Z e i t w u r d e die D a r s t e l l u n g des A b e n d m a h l s f ü r die Predella b e s t i m m e n d u n d k a m n u r ausnahmsweise als H a u p t d a r s t e l l u n g vor, ebenso w i e die Szene der Taufe Christi. Das ü b r i gens oft gewählte Thema des Gebets C h r i s t i i n Gethsemane bildete n u r einen T e i l der sich e r w e i t e r n d e n Passionszyklen u n d tauchte n i c h t , w i e i n Danzig, als isolierte D a r s t e l l u n g auf. Selbst ein typisches Programm, das den z w e i t e n A r t i k e l des apostolischen Glaubensbekenntnisses als G r u n d lage hatte, erhielt i n D a n z i g eine d i d a k t i s c h - m o r a l i s c h e Auslegung m i t a k t u e l l e n Anspielungen. D i e Programme der Danziger A l t ä r e , die der B e d e u t u n g des Sakraments u n d des Glaubens als einzigen H e i l s b e d i n g u n gen besonderen N a c h d r u c k verliehen, k ö n n e n als theologische Aussagen gelten zu allen Fragen, die damals Gegenstand der

Lehrstreitigkeiten

waren. D i e i n D a n z i g herrschenden Verhältnisse t r u g e n dazu bei, daß jedes dieser Retabeln n i c h t n u r wegen seines I n h a l t s , sondern schon wegen seiner E x i stenz an sich ein - n i c h t i m m e r w o h l w o l l e n d e s - Interesse erweckte. I n jener Zeit, als die Geistlichen gegen die B i l d e r p r e d i g t e n u n d die v o n den Reform i e r t e n i n s p i r i e r t e n M a l e r die Geschichte des a l t t e s t a m e n t l i c h e n K ö n i g s Josias u n d seiner V e r f o l g u n g des Götzendienstes d a r s t e l l t e n 1 6 , w u r d e eine jede solche A l t a r s t i f t u n g z u einer Parteinahme f ü r das L u t h e r t u m , das an der T r a d i t i o n der K i r c h e n k u n s t festhielt. A u f der Rückseite des A l t a r s i n der Johanniskirche w a r ein Gedicht geschrieben, das den S t a n d p u n k t Danziger L u t h e r a n e r i n bezug auf die K i r c h e n k u n s t präzisierte: „Mein Christ, dies Altar nicht ist gemacht, auch nicht die Bilder, nimms in acht, sie anzubeten und zu ehren, denn das gehört allein Gott dem Herren. Wer anderswo die Hülffe sucht, der ist verdammet und verflucht. Merck, wie Cherubim worden gemacht, die Schlang, Ochsen, Löwen betracht, zum Gedächtnis und Erinnerung, 15 H. Eggerth, „Altarretabel (protestantisch)" in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1937, 574 - 575. 16 E. Iwanoyko, Gdahski okres Hansa Vredemana de Vries, Poznaù 1963, 68 - 69.

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also auch all diese Bildung. Drumb ruff Gott an in Christi Nahmen durch Kr äfft des heyigen Geistes. Amen." 1 7 Als Verfasser dieses Gedichtes läßt sich m i t einiger W a h r s c h e i n l i c h k e i t der damalige D i a k o n der Johanniskirche Johann W a l t h e r vermuten. E r h a t den B a u des A l t a r s zu Ende geführt, v o r a l l e m aber verteidigte er die l u t h e rische K i r c h e n k u n s t i n seiner polemischen S c h r i f t 1 8 , die gegen die A n g r i f f e des reformierten Predigers der Elisabethkirche, Jakob A d a m , gerichtet w a r . W a l t h e r schöpfte seine A r g u m e n t e aus den S c h r i f t e n L u t h e r s u n d M e l a n c h thons. N i c h t seine Anschauungen, sondern seine Verteidigungsmethode ist für uns interessant: er g r i f f n ä m l i c h die katholische B i l d e r v e r e h r u n g an, u m den abweichenden S t a n d p u n k t der L u t h e r a n e r i n dieser Frage zu d o k u m e n tieren. Dieselbe T a k t i k w u r d e i n dem z i t i e r t e n Gedicht verfolgt. A u c h i n einem Gemälde, das u m 1600 f ü r die Johanniskirche gemalt w u r d e u n d das Festmahl Belsazars d a r s t e l l t e 1 9 , w i r d der - diesmal h e i d n i sche - Götzendienst v e r d a m m t . E i n weiteres K u n s t w e r k gesellt sich n o c h dazu, das v i e l l e i c h t als Bahnbrecher f ü r eine ganze R i c h t u n g angesehen w e r d e n sollte. 1584 entstand ein B i l d f ü r das zehn Jahre später aufgehängte E p i t a p h des Pastors der Johanniskirche, Johann H u t z i n g 2 0 . Dieses B i l d e p i t a p h h a t H u t z i n g n o c h z u seinen Lebzeiten gestiftet; das B i l d sollte eine Ermahnung für seine Gemeinde sein, w i e er selbst i n der lateinischen E p i t a p h i n s c h r i f t sagt. Das Gemälde stellt i n d r e i Zonen dar: erstens die Ö f f n u n g des sechsten Siegels (Ap. 6, 12 - 17), d u r c h andere biblische Episoden erweitert u n d m i t antikatholischen Anspielungen bereichert, zweitens die Vision Hesekiels (Hes. 37, 1 - 14) u n d drittens das Jüngste Gericht. Das i k o n o g r a phische P r o g r a m m des E p i t a p h s sowie auch die A n g r i f f e auf die „ p a p i s t i sche" K i r c h e stammen sicher von H u t z i n g selbst u n d sind durch eine Adventsp r e d i g t L u t h e r s aus d e m Jahre 1525 beeinflußt. A u f dem B i l d des E p i t a p h s für H u t z i n g t r i f f t der Z o r n Gottes die Andersgläubigen, der L o h n ist n u r f ü r die w a h r e n Christen - d. h. f ü r L u t h e r a n e r - b e s t i m m t . Diese k ö n n e n ohne F u r c h t das K o m m e n des Jüngsten Tages (auf das Jahr 1588 prophezeit) erwarten. Es entsteht die Frage, ob die kleine G r u p p e der n u r theoretisch gleichberechtigten D a n z i g e r K a t h o l i k e n eine so große Gefahr f ü r die d o r t i gen L u t h e r a n e r darstellte, daß sie so h e f t i g angegriffen w e r d e n mußte. D i e 17

Zitat nach Praetorius (Anm. 6), 241 - 242. Rettung der rechten, wahren, Göttlichen Lehre JEsu CHristi und alten christlichen in den Evangelischen Kirchen gebreuchlichen Ceremonien etc. wider /.../ Antwort Jacobi Adami /.../ auf die /.../ Warnungs- und Vermahnungs-Schrifft /.../ Michaelis Coleti /.../ durch M. Johannem Waltherum ..., Rostock 1613. 19 Drost (Anm. 6), Bd. 1, 133 - 134, Abb. 133. Vgl. auch E. Iwanoyko, Uczta Baltazara - uwagi na temat obrazu w galerii Muzeum Narodowego w Gdaùsku, in: Gdaùskie Studia Muzealne, 4 (1985), 37 - 44. 20 Drost (Anm. 6), Bd. 1, 153 - 155, Abb. 134 (irrtümlich als Epitaph Fabricius bezeichnet); Cieslak (Anm. 4), 167 - 168. 18

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Katarzyna Cieslak

Gegenreformation, v o r a l l e m die Jesuiten, versuchten t a t s ä c h l i c h i n dieser Z e i t festen Fuß i n der S t a d t z u fassen; aber die innere S p a l t u n g i n L u t h e r a ner u n d Reformierte w a r offenbar n o c h gefährlicher, da sie zur v o l l s t ä n d i gen Niederlage der Protestanten i n D a n z i g f ü h r e n konnte. Es m a g sein, daß die a n t i k a t h o l i s c h e Aussage des E p i t a p h s f ü r H u t z i n g i n der Z e i t der L e h r s t r e i t i g k e i t e n als eine V e r t e i d i g u n g gegen den Versuch verstanden w u r d e , die L u t h e r a n e r m i t den K a t h o l i k e n zu identifizieren. Das gleiche Z i e l w u r d e m i t einem Gemälde verfolgt, das neben dem H o c h a l t a r i n der K a t h a r i n e n k i r c h e h i n g (Kriegsverlust) u n d eine A l l e g o r i e des guten u n d des schlechten Weges z u m Thema h a t t e 2 1 . E i n junger Danziger, der d o r t abgebildet w a r , sollte zwischen z w e i Lebenswegen w ä h l e n , die i h m z w e i Personifikationen wiesen. D e r v o n der T u g e n d empfohlene Weg der „ i m i t a t i o C h r i s t i " f ü h r t e z u m h i m m l i s c h e n Jerusalem. D e r andere Weg, der u n t e r der O b h u t v o n ,Frau W e l t ' stand u n d i n der H ö l l e endete, l o c k t e m i t lasterhaften Vergnügungen u n d der falschen Religion, welche die u. a. v o m Papst angebetete Babylonische H u r e personifizierte. Das B i l d w u r d e v o n jenen K i r c h e n v o r s t e h e r n gestiftet, die den B a u des neuen A l t a r s leiteten. V i e l l e i c h t w o l l t e n sie sich auf diese naive Weise gegen den V o r w u r f wehren, „ G ö t z e n k n e c h t e " zu sein. N o c h ein J a h r h u n d e r t später w u r d e zu diesem K u n s t w e r k gesagt: „ U n d zeuget das B i l d sattsam, daß sie [d.h. die K i r c h e n vorsteher] gar n i c h t Freunde des Bapsthums gewesen" 2 2 . D i e Allegorie des g u t e n u n d des schlechten Weges stellt den Menschen als eine zur freien W a h l zwischen E r l ö s u n g u n d V e r d a m m n i s fähige K r e a t u r dar u n d beinhaltete d a m i t eine K r i t i k der Lehre v o n der G n a d e n w a h l . N u r der Glaube u n d die guten Werke, die eine Folge des Glaubens sind, verheißen das H e i l - dieser Gedanke w i e d e r h o l t sich u m 1600 i n vielen K u n s t w e r k e n i n Danzig. A m unmißverständlichsten w u r d e er i n der sog. A l m o s e n t a f e l i n der M a r i e n k i r c h e 2 3

ausgedrückt.

Oberhalb

eines Opferstocks

h i n g ein

Gemälde, das Glaube, Liebe, die sieben Werke der B a r m h e r z i g k e i t u n d das Jüngste G e r i c h t i n einem Kausalzusammenhang darstellte. N i c h t ohne G r u n d w u r d e eine K o p i e der Almosentafel f ü r St. T r i n i t a t i s b e s t e l l t 2 4 , als diese K i r c h e f ü r den l u t h e r i s c h e n Gottesdienst schon z u r ü c k g e w o n n e n w a r . D i e ethisch-moralischen Aspekte der p a u l i n i s c h e n Soteriologie

wurden

auch i m B i l d des Jüngsten Gerichts i m A r t u s h o f 2 5 (Kriegsverlust) betont: die 21

Praetorius (Anm. 6), 370 - 371; Drost (Anm. 6), Bd. 2, 133 - 134, Abb. 136. Zitat nach Praetorius (Anm. 6), 371. 23 Drost (Anm. 6), Bd. 4: Die Marienkirche und ihre Kunstschätze, Stuttgart 1963, 162 (irrtümlich als Epitaph bezeichnet), Abb. 180 - 181; T. Labuda, „Tablica Jafrnuznicza" Antoniego Mollerà ζ kosciola Mariackiego w Gdahsku. Problemy ikonograficzne, in: Gdaùskie Studia Muzealne, 3 (1981), 141 - 153. 24 Drost (Anm. 6), Bd. 5, 53. 25 T. Labuda, „S§d Ostateczny" Antoniego Mollerà ζ Dworu Artusa w Gdaùsku. Problemy ikonografii, in: Gdahskie Studia Muzealne, 4 (1985), 69 - 78. 22

Die »Zweite Reformation' in Danzig und die Kirchenkunst

173

Personifikationen des Glaubens u n d der L i e b e w u r d e n dem Richter als Assistenzfiguren beigegeben, u n d der Erzengel M i c h a e l - als „ I u s t i t i a " bezeichnet - bedrohte m i t dem Schwert die P e r s o n i f i k a t i o n e n der Laster. D i e I k o nographie beider K u n s t w e r k e w u r d e w a h r s c h e i n l i c h d u r c h die K o n k o r d i e n formel beeinflußt, i n der sich u. a. der Gedanke findet, daß der d a n k C h r i s t i Opfer wiedergeborene Mensch v e r p f l i c h t e t ist, Gutes zu t u n . D i e K o n k o r dienformel w u r d e i n D a n z i g o f f i z i e l l nie angenommen - i m Jahre 1586 v e r b o t der Rat selbst, sich auf diese S c h r i f t i n den L e h r s t r e i t i g k e i t e n zu b e r u f e n 2 6 - es ist aber b e k a n n t , daß sie i n D a n z i g als Quelle v o n A r g u m e n t e n gegen die Reformierten gern gelesen w u r d e 2 7 . I n i h r e m K a m p f gegen die wachsenden calvinistischen Einflüsse i n der S t a d t w a r e n die Danziger lange Z e i t a l l e i n gelassen, w e i l der k ö n i g l i c h e H o f - wegen der p o l i t i s c h e n U m s t ä n d e - n u r zögernd auf ihre K l a g e n reagierte. D i e Angelegenheit w a r auch deshalb äußerst d e l i k a t , w e i l die Danziger gegen die eigene O b r i g k e i t handelten, die ihre zweideutige P o l i t i k u n t e r dem D e c k m a n t e l der Rechtmäßigkeit verfolgte. E b e n deshalb w u r d e die Sprache der K u n s t v i e l l e i c h t so oft verwendet, w e i l sie weniger e i n d e u t i g als die Wortaussage ist.

26 27

Hirsch (Anm. 1), 213 - 214. Simson (Anm. 1), 367 - 368.

Beispiele historischer B i l d a n a l y s e n Friede: Idee - Ausdruck - Hoffnung

Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters Von T r u d l Wohlfeil, Hamburg D i e Jahre v o r 1520 w e r d e n i n der europäischen Geschichte v o r n e h m l i c h u n t e r dem p o l i t i s c h e n A s p e k t der Auseinandersetzungen u m die Nachfolge M a x i m i l i a n s I. i m K a i s e r t u m gesehen. I n D e u t s c h l a n d sind sie geprägt d u r c h die Anfänge der Reformation. E u r o p a w e i t befaßten sich jedoch Theologen u n d H u m a n i s t e n i n seltener E i n d r i n g l i c h k e i t m i t dem P r o b l e m v o n K r i e g u n d Friede. Europäische Fürsten scheiterten m i t dem Versuch eines Interessenausgleichs, w i e er i n einer A l l e g o r i e z u m V e r t r a g v o n N o y o n 1516 b i l d l i c h w i e dergegeben w o r d e n ist 1 . M i t der I n s c h r i f t „Juste pois v e r i t a b l e b a l a n c e " 2 also G l e i c h g e w i c h t 3 - zeigt das Gemälde auf, welches G e w i c h t H u m a n i s t e n i n diese M a c h t p o s i t i o n s k ä m p f e einzubringen versuchten. F ü r die d i p l o m a t i schen B e m ü h u n g e n des b u r g u n d i s c h e n Hofes v o n 1516/17 verfaßte Erasmus v o n R o t t e r d a m - zur V o r b e r e i t u n g eines i n t e r n a t i o n a l e n Friedenskongresses beauftragt - die ,Klage des Friedens' 4 . Schon 1515 h a t t e er i n der S a m m l u n g ,Proverbiorum E r a s m i R o t e r o d a m i Chiliades' 5 einen langen K o m m e n t a r zu 1 Tafel-Gemälde (173 x 97 cm) der Bruderschaft du Puy Notre-Dame, 1518. Werk eines Meisters der Schule von Amiens, jetzt Amiens, Musée de Picardie, abgebildet in: Charles Terlinden, CAROLVS QVINTVS. Kaiser Karl V. Vorläufer der europäischen Idee, Zürich 1978, 12, Abb. 3, 275: „Dieses Gemälde ist vom ikonographischen Standpunkt sehr interessant..." Dazu s. eine knappe Bildbeschreibung in Anm. 2. 2 Ebd., 275, Nr. 3: „ M i t rechtem Gewicht ein wirkliches Gleichgewicht ... Man erkennt links Kaiser Maximilian, eine Tiara auf dem Haupt, eine Anspielung auf seine Absichten auf den päpstlichen Thron; hinter ihm Karl mit der spanischen Königskrone; im Vordergrund knieend den zukünftigen Papst Hadrian VI. als Kardinal; im Hintergrund verschiedene Persönlichkeiten des niederländischen Hofes. Rechts sieht man Franz I zwischen zwei Pagen, hinter ihm stehend sein Hofnarr Triboulet." 3 Vgl. Wolfgang-Uwe Friedrich, Gleichgewichtsdenken und Gleichgewichtspolitik zur Zeit des Teutschen Krieges, in: Gleichgewicht in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. Wolf D. Gruner (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, 1), Hamburg 1989, 19 - 59, hier 19 ff. 4 Querela pacis undique gentium eiectae profligataeque. Autore Erasmo Roterodamo, Basel 1517. Kritische Ausgabe hrsg. v. Otto Herding, in: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami, Bd. 4, 2, Amsterdam 1977; dt. Übersetzung in: Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance (Orbis academicus), Freiburg i. Br. 1953, 211 - 248, u. durch Brigitte Hannemann (Serie Piper 380), München/Zürich 1985. Vgl. generell Erasmus von Rotterdam. Vorkämpfer für Frieden und Toleranz (Katalog Ausstellung zum 450. Todestag,Historisches Museum Basel), Basel 1986, 165f., Nr. D 1, und Heinz Holeczek, Friedensrufer Erasmus, ebd., 36ff. 5 Proverbiorum Erasmi Roterodami Chiliades, Basel 1515; kritische Ausgabe in: Opera omnia (Anm. 4), Bd. 2/5 u. 2/6, Amsterdam/Oxford 1981; s. auch Silvana Seidel

12 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

178

Trudl Wohlfeil

dem a n t i k e n S p r i c h w o r t ,Dulce b e l l u m inexpertis' veröffentlicht.

Diese

A n t i k r i e g s s c h r i f t - ein Essay z u m Thema ,Süß scheint der K r i e g den U n e r fahrenen 4 oder ,Verlockend erscheint der K r i e g n u r dem, der i h n n o c h n i c h t a m eigenen L e i b erfahren hat 4 - w u r d e d a n n 1517 als gesonderte Ausgabe g e d r u c k t 6 u n d n o c h 1519 d u r c h U l r i c h V a r n b ü h l e r ins Deutsche übersetzt 7 . Schon 1516 hatte Erasmus als Rat des j u n g e n K a r l - des z u k ü n f t i g e n K a r l V. - i n der S c h r i f t , U n t e r r i c h t f ü r den c h r i s t l i c h e n F ü r s t e n ' 8 eine H y m n e auf den Frieden gesungen. U m die Jahreswende 1517/18 folgte die ,Klage des i n allen L ä n d e r n verfolgten Friedens'. 1521 k a m e n z w e i verschiedene deutschsprachige Ausgaben heraus, eine i n Z ü r i c h 9 , die andere i n A u g s b u r g 1 0 . Z ü r i c h w a r zu dieser Z e i t ein Z e n t r u m humanistischer Friedensdiskussion. H i e r verfocht der angehende Reformator H u l d r y c h Z w i n g l i i m K a m p f gegen das Pensionenwesen u n d Reislaufen seiner Landsleute n o c h p a z i f i s t i sche' Gedanken 1 , 1 , verfaßte sein F r e u n d u n d reformatorischer

Mitstreiter

O s w a l d M y c o n i u s das M a n u s k r i p t , P h i l i r e n u s ' 1 2 . D e r T e x t w u r d e n u r h a n d s c h r i f t l i c h weitergegeben, da er f ü r den A u t o r eine Gefahr bedeuten konnte. D e n n o c h spiegeln viele Quellen diese w e i t v e r b r e i t e t e Gesinnung w i d e r . A u c h M a r t i n L u t h e r bezeichnete i n seiner Römerbrief Vorlesung v o n 1515/16 die w e l t l i c h e n u n d geistlichen Großen als Urheber ungerechter Kriege u n d daher vielfache M ö r d e r 1 3 . D i e Augsburger Übersetzung der ,Klage des Friedens' v o n Erasmus hatte Georg S p a l a t i n besorgt. Schon 1520 veröffentlichte sie die Verlegergemeinschaft G r i m m u n d Wirsung. Sie b e m ü h t e sich zur gleichen Z e i t u m die H e r ausgabe einer deutschsprachigen Übersetzung des Werkes ,De remediis u t r i u s q u e fortunae' v o n Francesco Petrarca u n t e r dem T i t e l ,Von der A r t z ney bayder G l ü c k / des guten v n d w i d e r w e r t i g e n ' . Peter Stahel h a t t e den Menchi (Hrsg.), Adagia. Sei saggi politici in forma proverbi (Nuova Universale Einaudi, 172), Torino 1980, 196 - 285; dazu Katalog (Anm. 4), 147f., Nr. C 1.3. 6 Érasme. Dulce bellum inexpertis. Texte édité et traduit par Yvonne Remy/René Dunil-Marquebreucq (Collection Latomus, 8), Berchem/Bruxelles 1953; dt. Übersetzung mit Kommentar von Brigitte Hannemann, „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen" (Kaiser-Traktate N. F., 4), München 1987; dazu Katalog (Anm. 4), 148 Nr. C 1.4. 7 Dulce bellum inexperto. Eyn gemeyn sprüchwort Der krieg ist lustig dem unerfarnen, Basel 1519; dazu Katalog (Anm. 4), 148, Nr. C 1.5, u. 168, Nr. D 4. 8 Holeczek (Anm. 4), 36. 9 Klag des Frydens, übersetzt durch Leo Jud, Zürich 1521; dazu Katalog (Anm. 4), 166, Nr. D 2.1. 10 Clage des Frids, übersetzt durch Georg Spalatin, Augsburg 1521; dazu Katalog (Anm. 4), 167, Nr. D 2.2. 11 Ulrich Gabler, Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, München 1983, 35. 12 Raumer (Anm. 4), 54. 13 Vorlesung über den Römerbrief (Auswahl), in: Martin Luther, Studienausgabe, hrsg. v. Hans-Ulrich Delius, Bd. 1, Berlin/Ost 1979, 107, Scholie zu 2,1; Raumer (Anm. 4), 54.

Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters

179

ersten T e i l dieses sog. ,Trost'- oder ,Glücks'-Buches übersetzt, n a c h seinem Tode ü b e r t r u g m a n die Aufgabe f ü r den z w e i t e n T e i l Spalatin. E r w u r d e 1521 d a m i t f e r t i g 1 4 . D i e H o l z s c h n i t t e z u m W e r k lagen schon vor. E i n K ü n s t ler, dem die Wissenschaft den N o t n a m e n ,Petrarca-Meister' gab, h a t t e sie i n den Jahren v o r 1520 geschaffen. Dieser hochgeschätzte K ü n s t l e r w u r d e v o n Sebastian B r a n t m i t „ v i s i e r l i c h e r angebung" b e r a t e n 1 5 . B r a n t , der schon 1494 sein ,Narrenschiff' i n Basel herausgegeben hatte, g a l t als bedeutender H u m a n i s t . I h m gebührt das Verdienst, einen der Väter des H u m a n i s m u s , Francesco Petrarca, d u r c h eine lateinische Gesamtausgabe seines Werkes, d a r u n t e r auch das ,Glücksbuch' b e k a n n t gemacht zu h a b e n 1 6 . I n K o n k u r r e n z zu den F r ü h h u m a n i s t e n w a r Erasmus v o n R o t t e r d a m 1500 m i t der e r w ä h n t e n S p r i c h w ö r t e r s a m m l u n g u n d 1508 m i t seinem ,Lob der T o r h e i t ' getreten. W e n n m a n sein ,Lob der T o r h e i t ' als A n t w o r t auf Petrarcas stoische Lebensphilosophie i m ,Trostbuch' w e r t e n darf, so w i r d deutlich, daß Erasmus später zur E r k e n n t n i s k a m , daß H o h n u n d S p o t t n i c h t ausreichten, u m k ü n f t i g e Regenten m i t philosophischem Geist zu erfüllen. U n d dieses hatte er sich z u m Z i e l gesetzt. - A u c h B r a n t ersehnte eine E r n e u e r u n g i n allen Lebensbereichen u n d d a m i t ein ,Goldenes Z e i t a l ter'. Das ,Glücksbuch' Francesco Petrarcas w i r d das G r u n d b u c h der w e r d e n den Renaissance g e n a n n t 1 7 . Sein zweiter Teil, „das A n d e r B u c h ... v o n der A r t z n e y des bösen G l ü c k s " , b e g i n n t m i t der Auseinandersetzung Petrarcas über H e r a k l i t s v o n Ephesos These, „ A l l e s geschieht gemäß dem S t r e i t " ( „ O m n i a secundum l i t e m f i e r i " ) 1 8 . Z u dieser Vorrede - i n der Petrarcas pessimistische W e l t s i c h t e i n z i g a r t i g faßbar w i r d - hat der Petrarca-Meister z w e i hervorragende H o l z s c h n i t t e geschaffen (Abb. 35, 36) 1 9 . I n t e r p r e t i e r t w u r d e n sie v o n W a l t h e r S c h e i d i g 2 0 u n d H a n s - J o a c h i m R a u p p 2 1 - allerdings kontrovers. 14 Erschienen erst 1532 bei Heinrich Steiner, Augsburg, unter dem Titel Franciscus Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück / des guten vnd widerwertigen. Vnnd weß sich ain yeder inn Ge=lück vnd vnglück halten sol. Auß dem Lateinischen in das Teutsch gezogen. Mit künstlichen fyguren durch=auß / gantz lustig vnd schon gezyeret. Jetzt auch ND, hrsg. u. kommentiert v. Manfred Lemmer, Leipzig/Hamburg 1984. 15 Petrarcha (Anm. 14), iij (Vorrede Heynrich Steyner). 16 Lemmer (Anm. 14), 194. 17 So Konrad Burdach, hier nach Lemmer (Anm. 14), 188. 18 Vgl. Francesco Petrarcha, De remediis utriusque fortunae. Zweisprachige Ausgabe in Auswahl, übersetzt u. kommentiert v. Rudolf Schottlaender (Humanistische Bibliothek, R. 2, 18), München 1976, 172f. 19 Petrarcha (Anm. 14), Buch 2 nach Titelblatt: Abb. 35, Holzschnitt 215 x 155 mm; Abb. 36, Holzschnitt 217 x 160 mm. 20 Walther Scheidig, Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters zu Petrarcas Werk Von der Artzney bayder Glück des guten und widerwärtigen - Augsburg 1532 - (Veröffentlichung der Deutschen Akademie der Künste), Berlin//Ost 1955, 190f. 21 Hans-Joachim Raupp, Bauernsatiren. Entstehung und Entwicklung des bäuerlichen Genres in der deutschen und niederländischen Kunst ca. 1470- 1570, Niederzier

12*

180

Trudl Wohlfeil

Abb. 35: Petrarca-Meister (Vorrede zum Buch ,Von der Arznei des bösen Glücks', Holzschnitt, um 1520)

Abb. 36: Petrarca-Meister (Vorrede zum Buch ,Von der Arznei des bösen Glücks', Holzschnitt, um 1520)

182

Trudl Wohlfeil

Scheidig, ein K u n s t h i s t o r i k e r der D D R , sah i n der I l l u s t r a t i o n über den W i d e r s t r e i t aller D i n g e der Schöpfung als Ursache allen U n g l ü c k s den ,Klassenkampf'

zwischen

dem

bäuerlichen

und

dem

herrschaftlichen

B e r e i c h 2 2 . D a v o n ist i m T e x t Petrarcas n i c h t die Rede. D o r t erfahren w i r n u r , w e r alles m i t - u n d gegeneinander i m Streit liegt. Insgesamt w a r e n die H o l z s c h n i t t e des ,Glücksbuches' jahrzehntelang Gegenstand eines D e u tungsstreites zwischen Wissenschaftlern beider deutscher Staaten u n d w e r den w e i t e r gute Quellen zur I n t e r p r e t a t i o n der r e v o l u t i o n ä r e n Jahre des 16. w i e w o h l auch des 20. Jahrhunderts b l e i b e n 2 3 . Streit u n d K r i e g u n d d a m i t verbundenes L e i d u n d E l e n d schildert der Petrarca-Meister

überaus lebhaft. Besonderes Interesse verdienen

aber

seine Aussagen z u m Thema ,Frieden'. Was sagen seine B i l d e r über den F r i e den aus? Ist bei i h m der Friede etwas Faßbares, Außerordentliches, etwas Dauerhaftes, Wünschenswertes, oder b l e i b t er ohne Aussicht auf Erfolg? Wenden w i r uns V e r b i l d l i c h u n g e n v o n Friedensthemen zu, die er f ü r Petrarcas , G l ü c k s b u c h ' - T e x t e geschaffen hat. V o n Petrarcas 254 Streitgesprächen, die ,Vernunft' u n d ,Freude' bzw. ,Hoffnung' i m ersten Buch, ,Vernunft' u n d ,Schmerz' i m z w e i t e n m i t e i n a n der führen, befassen sich n u r drei d i r e k t m i t dem Thema ,Friede'. D e r ,Krieg' steht z w a r u n t e r anderen Überschriften, w i e Sieg, Ü b e r w i n d u n g , Rachsal, B e w a f f n u n g des Heeres usw., mehrfach zur Diskussion,

doch

u n m i t t e l b a r sind i h m i m ersten B u c h n u r z w e i eigene K a p i t e l gewidmet. I m zweiten B u c h findet sich der Begriff ,Krieg' n u r i n z w e i Dialogen, w i r d aber i n den folgenden T e x t e n über Belagerung u n d Zerstörung, Schlacht etc. behandelt. D e n F r i e d e n s b i l d e r n u n d solchen, die zu dieser T h e m a t i k Aussagen treffen, soll n u n die weitere B e t r a c h t u n g g e w i d m e t sein. I m 105. K a p i t e l des ersten Buches f i n d e t sich u n t e r der Ü b e r s c h r i f t „ V o n der H o f f n u n g des Frids"

ein querformatiger

Holzschnitt

i n den Maßen 98

x

155

mm

(Abb. 37) 2 4 . Seine M i t t e n i m m t ein gut gewachsener starker P a l m e n s t a m m ein, u n t e r dessen w e i t ragenden Ä s t e n auf der rechten Seite ein gewappnetes Pferd steht. I n der anderen B i l d h ä l f t e b r i c h t ein s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h gerüsteter R i t t e r m i t a u f g e k l a p p t e m Visier u n d überlangem H e l m b u s c h einen 1986, 31 f.; vgl. auch ders., D i e I l l u s t r a t i o n e n z u Francesco Petrarca, „ V o n der A r t z n e y bay der G l u e c k des g u t e n v n d w i d e r w e r t i g e n " ( A u g s b u r g 1532), i n : W a l l r a f - R i c h a r t z J a h r b u c h , 45 (1984), 59 - 112. 22 Raupp, B a u e r n s a t i r e n ( A n m . 21), 33. 23 D i e ältere L i t e r a t u r b e i Rainer Wohlfeil / Trudl Wohlfeil, V e r b i l d l i c h u n g e n ständischer Gesellschaft. B a r t h o l o m ä u s B r u y n d . Ä . - Petrarcameister, i n : Ständische Gesellschaft u n d soziale M o b i l i t ä t , hrsg. v. W i n f r i e d Schulze ( S c h r i f t e n des H i s t o r i schen Kollegs, K o l l o q u i e n , 12), M ü n c h e n 1988, 269 - 319, h i e r 309ff. ( B e i t r a g T r u d l Wohlfeil). 24 Petrarcha ( A n m . 14), B u c h 1, C X X V r .

Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters

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A b b . 38: Petrarca-Meister, V o n Friede u n d Friedensanlaß (Holzschnitt, um 1520)

Friedensvorstellungen im Werk des Petrarca-Meisters

187

I m klassischen R u n d b a u n a c h A r t des Janustempels i n Rom, der i n K r i e g s zeiten geöffnet w a r , symbolisiert der Petrarca-Meister m i t den geschlossenen T ü r e n Friedenswunsch u n d Friedenssehnsucht. Friede u n d Ruhe verm i t t e l t jedoch n u r der erste B l i c k auf den H o l z s c h n i t t . Bei genauerem Hinsehen w i r d k l a r : Der Gegensatz zwischen beiden Gestalten, der lanzenstarrende W a l d i m H i n t e r g r u n d u n d die heraufziehenden d u n k l e n W o l k e n a m t r ü b e n H i m m e l , deuten die lauernden Gefahren an. Der Petrarca-Meister u n d m i t i h m v i e l l e i c h t sein ,Angeber' B r a n t haben sich f ü r das H o c h f o r m a t entschieden, w e i l es den Betrachter z w i n g t , auf den w i c h t i g e n I n h a l t des Textes zu a c h t e n 3 2 . Der K ü n s t l e r , der i n v i e l e n H o l z s c h n i t t e n meisterhaft die Z e i t u n d ihre Gesellschaft schildert, j a sich oft über den T e x t des Petrarca hinwegsetzt, u m seine Sicht b e w e i s k r ä f t i g einzubringen, v e r b i l d l i c h t e hier die Sehnsucht der Menschen n a c h Frieden ebenso w i e die v o n Petrarcas

,Vernunft'

beklagte U n f ä h i g k e i t des Menschen, Friede z u halten. Petrarca hatte w i e d e r die D o p p e l w e r t i g k e i t des Friedens, auch des F r i e densbegriffs, aufgezeigt. Daraus ist zu folgern, Friede k a n n n u r d o r t h e r r schen, w o keine Laster sind. U n d w o keine Laster sind, herrscht Tugend. E i n Beispiel ist die D a r s t e l l u n g der ,Tugend' i m H o l z s c h n i t t z u m 10. K a p i t e l „ V o n der t u g e n t " (Abb. 39) 3 3 . Sie gehört zu den schönsten u n d i n h a l t s reichsten Aussagen, die der Petrarca-Meister zu zeit- u n d raumübergreifenden Themen schafft. A l s alte F r a u steht die T u g e n d auf einem Steinsockel a l l e i n i n der sie umgebenden N a t u r . Sie k ü m m e r t sich n i c h t u m Gestirne, Jahreszeiten, B l i t z u n d Hagel, der die schönsten B l u m e n zerschlägt, w ä h rend D i s t e l u n d D o r n e n verschont bleiben. U n b e i r r t u n d „ u n b e r ü h r t v o n den Elementen, i m E i n k l a n g m i t der großen O r d n u n g des Firmaments, das auf i h r e m k r u m m e n R ü c k e n zu lasten scheint, v e r r i c h t e t sie i h r nützliches W e r k a m S p i n n r o c k e n " 3 4 . N a c h Petrarca ist die D e m u t die Grundfeste der ,Tugend'. Seine T u g e n d weiß, daß dieses Leben eine Z e i t des Streites u n d n i c h t des Siegens ist. Petrarca sagt, „ d i e T u g e n d ist niemals f a u l " 3 5 . M i t einem Gegenbeispiel zur ,Tugend' belegt das B i l d z u m 121. K a p i t e l des ersten Buches z u m Thema „ V o n v e r h o f f t e m F r i d / des gemüts", daß Trägheit eine U n t u g e n d ist (Abb. 40) 3 6 . Ebenfalls allein, umgeben v o n D i s t e l n u n d d o r n i g e m Gestrüpp, sitzt der M a n n , w i e d e r u m das Gegenteil eines Kriegshelden, dem die B l u m e H a r m o n i e aus der B r u s t sprießt. Sein 32 Vgl. die H o l z s c h n i t t e z u m T i t e l b l a t t u n d z u den K a p i t e l n B u c h 1, X V I (Von A d e l i c h e m vrsprung), X C I (Von der m a c h t v n d gewalt); B u c h 2, X X X V i l l i (Von e i n e m vngerechten Herrn). 33 Petrarcha ( A n m . 14), B u c h 1, X : H o l z s c h n i t t 98 x 155 m m . 34 Scheidig ( A n m . 20), 54. 35 Petrarcha ( A n m . 14), X r . 36 Petrarcha ( A n m . 14), B u c h 1, C X L I I I r : H o l z s c h n i t t 100 x 155 m m .

F r i e d e n s v o r s t e l l u n g e n i m W e r k des Petrarca-Meisters

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Trudl Wohlfeil

untätiges W a r t e n auf Frieden der Seele w i r d gestört d u r c h i h n u m s c h w i r rendes Geschmeiß. E r besitzt keine Aussicht auf E r f ü l l u n g seiner Wünsche, denn der ersehnte Friede b e r u h t s o w o h l bei Petrarca als auch i n seinen Verb i l d l i c h u n g e n durch den Petrarca-Meister auf täglichem Fleiß, u n d vor allem i m Ringen u m die Tugend. Aus dem ,Glücksbuch' sollte der Leser e i n h u n d e r t u n d f ü n f z i g Jahre n a c h seiner E n t s t e h u n g herausfiltern, was Petrarca als L e i t i d e a l u n d H e i l - oder T r o s t m i t t e l anbot: D i e Tugend. Sie ist der G a r a n t des Friedens. Ohne T u g e n d ist der Mensch n i c h t z u m Frieden fähig. Versteht der Petrarca-Meister den Frieden w i e der, dessen Lebenswerk er i l l u s t r i e r t - Francesco Petrarca? Wissenschaftliche Analyse u n d D e u t u n g w e r d e n dem Petrarca-Meister zweifelsfrei n u r gerecht, w e n n seine B i l d e r g r u n d s ä t z l i c h i m Z u a m m e n h a n g m i t den T e x t e n behandelt werden, zu denen sie geschaffen w u r d e n . D e n n o c h hat er auch z u m Thema Friede aus a k t u e l l e m A n l a ß seinen B e i t r a g geleistet. D i e ,Bildregie' eines Sebastian B r a n t u n d die eigenwillige, w i r k l i c h k e i t s nahe I l l u s t r a t i o n zeitgenössischer Geschehnisse d u r c h den Petrarca-Meister geben den H o l z s c h n i t t e n große A k t u a l i t ä t , w e n n n i c h t sogar Brisanz. A u c h w e n n mehrere historische Ereignisse i m Sinne der B i l d d i d a k t i k verarbeitet werden, b l e i b t der Petrarca-Meister ein k r i t i s c h e r Zeitgenosse. S t a n d der Petrarca-Meister den Friedensträumen der H u m a n i s t e n fern? Sein Friedensbegriff ist nicht identisch m i t dem der europäischen Regierungen, die i h n m i t der Idee des Gleichgewichts z u erringen hofften. E r deckt sich auch n i c h t m i t jenem christlichen, w i e i h n die überlieferte katholische K i r c h e , aber ebenso L u t h e r v e r s t a n d e n 3 7 , oder m i t den vagen Vorstellungen humanistischer

Friedenstraktate 38.

Daß den Friedensvorstellungen

der

H u m a n i s t e n , insbesondere des Erasmus v o n Rotterdam, ein hoher m o r a l i scher W e r t eignet, steht hier n i c h t z u r Diskussion. B e i m Petrarca-Meister läßt sich Friede i n erster L i n i e als moralisch-ethischer Begriff i m Sinne Petrarcas fassen. D i e T u g e n d a l l e i n k a n n der rechte u n d einzige Weg z u m Frieden sein.

37 Wolfgang Huber, A r t . f r i e d e n ' V, i n : Theologische Realenzyklopädie, Bd. 11, B e r l i n / N e w Y o r k 1983, 618 - 628; Ronald G. Musto, The C a t h o l i c peace t r a d i t i o n , M a r y k n o l l / N Y 1986. 38 Heinrich Lutz, Friedensideen u n d F r i e d e n s p r o b l e m e i n der f r ü h e n N e u z e i t , i n : Friedensbewegungen. B e d i n g u n g e n u n d W i r k u n g e n , hrsg. v. G e r n o t Heiss u. H e i n r i c h L u t z (Wiener Beiträge z u r Geschichte der Neuzeit, 11), M ü n c h e n 1984, 28 - 54; D e u t sche Forschungsgemeinschaft, K r i e g u n d F r i e d e n i m H o r i z o n t des Renaissanceh u m a n i s m u s , hrsg. v. Franz Josef Worstbrock ( M i t t e i l u n g X I I I der K o m m i s s i o n f ü r H u m a n i s m u s f o r s c h u n g ) , W e i n h e i m 1986; Philip C. Dust, Three renaissance pacifists: essays i n the theories of Erasmus, More, a n d Vives ( A m e r i c a n U n i v e r s i t y Studies, Ser. 9, 23), N e w Y o r k 1987.

Friedenspersonifikationen in der frühen Neuzeit Von Hans-Martin Kaulbach, Stuttgart Thema dieses Beitrages ist n i c h t der ,historische D o k u m e n t e n s i n n ' eines einzelnen K u n s t w e r k s , sondern die P e r s o n i f i k a t i o n des Friedens, die w e i b l i che F i g u r 1 , die seit der griechischen A n t i k e i n der K u n s t den B e g r i f f „ F r i e den" verkörpert. Figurentypen, A t t r i b u t k o m b i n a t i o n e n u n d Bedeutungss p e k t r u m der Friedenspersonifikation differenzieren sich i m V e r l a u f des 16. Jahrhunderts entsprechend i h r e r v i e l f ä l t i g e n V e r w e n d u n g u n d Z u s a m m e n stellung m i t anderen Personifikationen u n d S y m b o l e n zu Herrscher-, Regierungs- u n d Friedensallegorien. Dementsprechend ist die F i g u r der P A X ü b e r w i e g e n d als ,Repertoirefigur' i n Fresken- u n d S k u l p t u r e n p r o g r a m m e n u n d i n der politisch-allegorischen D r u c k g r a p h i k zu finden; als isolierter Gegenstand eines Tafelbildes erscheint sie selten. Diesem Differenzierungsprozeß liegen allerdings z w e i B e d e u t u n g s t r a d i t i o n e n zugrunde, aus denen sich die neuzeitliche Friedenspersonifikation entwickelt. E i n knapper Ü b e r b l i c k darüber, w i e diese Figur aussieht, welche Vorstellungen v o n Frieden sie v e r m i t t e l t , u n d w i e sie i n der f r ü h e n Neuzeit verwendet w u r d e , soll auch zu der Frage leiten, was die Typengeschichte einer solchen Personifikation - als der gewissermaßen grundlegenden i k o n o graphischen E i n h e i t f ü r die D a r s t e l l u n g abstrakter Konzepte - i n n e r h a l b der Theorie der historischen B i l d k u n d e leisten könnte.

I. Anlaß f ü r die b i l d l i c h e D a r s t e l l u n g des Friedens w a r meist der B e g i n n eines Friedenszustandes, etwa d u r c h einen Friedensschluß. N e h m e n w i r als erstes Beispiel den Friedensschluß zwischen H e i n r i c h V I I I . v o n E n g l a n d u n d Franz I. v o n F r a n k r e i c h aus dem Jahr 1527, einer v o n mehreren englischfranzösischen der Z e i t u n d , gemessen an der historischen B e k a n n t h e i t , k e i ner der bedeutenden Friedensschlüsse des 16. Jahrhunderts.

1 Z u r neueren D i s k u s s i o n ü b e r die w e i b l i c h e P e r s o n i f i k a t i o n u n d i h r e F u n k t i o n der V e r k ö r p e r u n g v o n I d e a l e n f ü r den »männlichen B l i c k ' vgl. Cillie Rentmeister, Berufsverbot f ü r die Musen, i n : Ä s t h e t i k u n d K o m m u n i k a t i o n , 25 (1976); - Silke Wenk, W a r u m ist die ( K r i e g s - ) K u n s t w e i b l i c h ? F r a u e n b i l d e r i n der P l a s t i k auf ö f f e n t l i c h e n Plätzen i n B e r l i n , i n : K u n s t + U n t e r r i c h t , 101 (1986), 7 - 14; Marina Warner, M o n u ments & Maidens. The A l l e g o r y of the Female F o r m , L o n d o n 1985.

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Hans-Martin Kaulbach

Z w e i R a t i f i k a t i o n s u r k u n d e n dieses Friedens sind erhalten 2 , die i n F o r m e n s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e r B u c h m a l e r e i i l l u m i n i e r t sind. Das Beispiel (Abb. 41) zeigt i n den Randspalten Pflanzenranken, B l ü t e n u n d Tiere, v o n denen sich e t w a die Taube, das Vogelpaar u n d der Pfau auch als H i n w e i s e auf Frieden u n d eheliche Liebe verstehen lassen 3 . Oben i n der M i t t e ist P A X dargestellt, die V e r k ö r p e r u n g des Friedens, eine freundliche, hübsche junge D a m e i n einem v e r m u t l i c h weißen K l e i d 4 , m i t D i a d e m u n d einem Z w e i g , w o h l Ö l oder Palmenzweig, als i h r e m m y t h o l o g i s c h u n d b i b l i s c h überlieferten A t t r i b u t . Das S c h r i f t b a n d i n i h r e r l i n k e n H a n d v e r k ü n d e t P A X E T E R N A , ewigen Frieden. Sie steht genau zwischen den W a p p e n u n d K r o n e n der beiden friedenschließenden Herrscher u n d scheint - w e n n sich ihre H a l t u n g ü b e r h a u p t als H a n d l u n g s m o t i v lesen läßt - m i t l e i c h t gesenktem H a u p t ihre A u f m e r k s a m k e i t v o m l i n k e n auf das rechte W a p p e n zu lenken, quasi v o n dem i m U r k u n d e n t e x t erstgenannten K ö n i g Franz I. auf den englischen Herrscher als den Adressaten. D a r i n erschöpft sich ihre T ä t i g k e i t ; sie v e r k ö r p e r t den Frieden zwischen den Herrschern, doch g i b t es keinerlei sichtbaren H i n w e i s darauf, daß sie i h n e t w a zustandegebracht hätte. Sie ist somit eher personifiziertes Resultat einer V e r m i t t l u n g als selbst eine a k t i v v e r m i t t e l n d e K r a f t . D i e B e d e u t u n g der F i g u r geht allerdings über die einer V e r k ö r p e r u n g dieses speziellen Friedensvertrages hinaus. Bemerkenswert ist h i e r b e i einm a l die Tatsache, daß ü b e r h a u p t eine P A X erscheint, denn als B i l d m u s t e r f ü r den Friedensschluß w a r e n die Gesten der v e r t r a g l i c h e n E i n i g u n g u n d Versöhnung geläufig, e t w a H ä n d e d r u c k , U m a r m u n g oder Beeidigung. F ü r die Frage, w e l c h e n F r i e d e n sie verkörpert, ist z u m anderen das S c h r i f t b a n d heranzuziehen, also die i n der A l l e g o r i e auf abstrakte Begriffe u n d K o n zepte fast i m m e r unverzichtbare zweite Informationsebene, der Text. P A X E T E R N A , ewiger Friede, ist ein Begriff, der über die rechtliche u n d p o l i t i sche Terminologie des Friedens hinausweist, die stets m i t Vorstellungen v o n Begrenzung v e r b u n d e n w a r . Seit dem M i t t e l a l t e r w a r ,Friede' so eigentlich Sonderfrieden'

m i t jeweils zeitlich, r ä u m l i c h , personell oder

sachlich

begrenzter Geltung, w i e sie etwa i n den B e s t i m m u n g e n v o n L a n d f r i e d e n oder Königsfrieden geregelt w u r d e 5 . D a z u w a r jeweils ein zweiter B e g r i f f 2 A n o n y m , P A X E T E R N A . I l l u s t r a t i o n auf einer R a t i f i k a t i o n s u r k u n d e des Friedensvertrages z w i s c h e n H e n r y V I I I . u n d François I., 1527, L o n d o n , M u s e u m of the P u b l i c Record Office (Inv. N r . P. R. Ο. E 30/1110). A b b . 41 e n t n o m m e n aus Frances A. Yates , The A l l e g o r i a l P o r t r a i t s of S i r J o h n L u t t r e l l , i n : Essays i n the H i s t o r y of A r t Presented to R u d o l f W i t t k o w e r , L o n d o n 1967, 154ff., h i e r A b b . 6a; vgl. A b b . 6b. 3 Yates ( A n m . 2), 154. 4 Z u m Weiß als der F a r b e des Friedens vgl. Erasmus von Rotterdam, Querela Pacis/ K l a g e n des Friedens, 1517: „Weiße G e w ä n d e r strahlten, i n m e i n e r Farbe also . . . " ( A u s g e w ä h l t e S c h r i f t e n , hrsg. v. W e r n e r Welzig, Bd. 5, D a r m s t a d t 1968, 374f.). - Ripa ( A n m . 23), B d . I I , 551 z i t i e r t als a n t i k e Quelle C a l f u r n i u s ; vgl. auch Tibull, Elegien, 1.10, 45 f.

Friedenspersonifikationen in der frühen Neuzeit

A b b . 41: P A X E T E R N A (Illuminierte Ratifikationsurkunde eines französisch-englischen Friedensvertrages, 1527)

13 Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 12

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n o t w e n d i g : f ü r den Geltungsbereich der ,pax civilis', des innergesellschaftl i c h e n Friedens, bezeichnete e t w a ,pax generalis' den allgemeinen, f ü r alle geltenden L a n d f r i e d e n ; ,pax universalis' w a r der B e g r i f f f ü r den so oft theoretisch entworfenen, aber nie realisierten allgemeinen Frieden der c h r i s t l i chen Welt. I m Bereich der ,äußeren' Verträge bezeichnete der Terminus ,pax perpetua', w i e auch hier i m T e x t der U r k u n d e ( „ t r a c t a t u s q u i d a m perpetue pacis"), n i c h t mehr als einen Friedensschluß auf Dauer, ohne v o n v o r n h e r e i n vereinbarte Befristung. P A X E T E R N A m e i n t demgegenüber eine w e s e n t l i c h umfassendere F r i e densvorstellung. Dieser Begriff w a r seit dem H l . Augustinus, dessen S c h r i f t ,Vom Gottesstaat' die Theorie des Friedens bis über das M i t t e l a l t e r hinaus prägte, m i t der V o r s t e l l u n g des v o l l k o m m e n e n Friedens i n der jenseitigen E r l ö s u n g verbunden, v o n dem der w e l t l i c h e Friede n u r u n v o l l k o m m e n e A b b i l d e r geben k o n n t e 6 . D i e irdische Realität w a r i n dieser B e g r i f f s t r a d i t i o n v o n der V o r s t e l l u n g einer Realisierbarkeit des umfassenden ewigen Friedens entlastet, den n u n jedoch die F i g u r der P A X gerade i m W i r k u n g s b e r e i c h w e l t l i c h e r P o l i t i k verspricht. Wie er vorzustellen wäre, darauf k a n n die F i g u r selbst keine w e i t e r e n H i n w e i s e geben. K o n k r e t e M o t i v e bieten die Figuren, am unteren Rand, Schäfer m i t i h r e r Herde, die vor einer L a n d s c h a f t m i t f r u c h t t r a g e n d e n B ä u m e n zur M u s i k eines Dudelsackpfeifers tanzen. Was P A X hier b r i n g t , ist zunächst e i n m a l Sicherheit, auch auf freiem Felde, auf dem die Menschen n i c h t m e h r v o n G e w a l t u n d P l ü n d e r u n g bedroht s i n d 7 , u n d d i e M ö g l i c h k e i t , Lebensfreude zu äußern. So e x i s t e n t i e l l diese Friedenserfahrung i n der Real i t ä t w a r - u n d ist, die tanzenden L a n d l e u t e , die j a keinesfalls Adressaten des Bildes waren, sind n u r soweit als A b b i l d damaliger Realität zu verstehen, als sie einen der t r a d i t i o n e l l e n T o p o i f ü r die ,Segnungen des Friedens' i m zeitgenössischen G e w a n d a k t u a l i s i e r t v o r f ü h r e n 8 . D o c h Vermutungen, 5 Wilhelm Janssen, Friede, i n : Geschichtliche G r u n d b e g r i f f e , Bd. 2, S t u t t g a r t 1975, 543 - 591, h i e r 546, 549, 554 - 556, auch z u m folgenden. - Vgl. auch L e x i k o n des M i t telalters, Bd. 4, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1989, 919f. 6 Aurelius Augustinus, V o m Gottesstaat (De C i v i t a t e Dei), übersetzt v o n W i l h e l m T h i m m e , 2. A u f l . , Z ü r i c h 1978, Bd. I I : X V , 4 (217f.); X I X , 10 (545ff.), 13 (552), 14 (555), 17 (561 ff.). - Vgl. Janssen ( A n m . 5); z u d e n A u s w i r k u n g e n i n der K u n s t Stephan „ Q u i a n i h i l Deo sine pace p l a c e t " . Friedensdarstellungen i m M i t t e l a l t e r , Kubisch, Diss. H a m b u r g 1989, K a p . I - I I . Es b e d a r f n o c h w e i t e r e r K l ä r u n g , i n w i e f e r n der B e g r i f f des ,ewigen Friedens' i n der r e c h t l i c h - p o l i t i s c h e n T e r m i n o l o g i e g e b r ä u c h l i c h w a r . Vgl. a u c h Kurt von Raumer, E w i g e r Friede, F r e i b u r g / M ü n c h e n 1953, S. 15. 7 Dies ist ein häufiges M o t i v i n den l i t e r a r i s c h e n ,Friedensklagen' ebenso w i e i n I l l u s t r a t i o n e n des Gegensatzes »Krieg - F r i e d e n ' ; vgl. e t w a Anton Woensam von Worms, T i t e l h o l z s c h n i t t z u „ l a n d t f r i d / d u r c h K a y s e r carol den f u n f f t e n : u f f dem Reichs t a g z u W o r m s . / A n n o M v . x x j . a u f f g e r i c h t . " M a i n z : J o h a n n Schöffer, 1521; A n o n y m , „ F r i e d e n s - F r e u d e . K r i e g e s - L e i d . " F l u g b l a t t 1648, i n : Ausst, Schrecken und Hoffnung, H a m b u r g e r K u n s t h a l l e , 1987, N r . 14, 107f. 8 E i n i g e grundlegende B e m e r k u n g e n h i e r z u b e i Aby Warburg, A r b e i t e n d e B a u e r n auf b u r g u n d i s c h e n T e p p i c h e n (1907), i n : A b y M . W a r b u r g , A u s g e w ä h l t e S c h r i f t e n u n d W ü r d i g u n g e n , hrsg. v. D i e t e r W u t t k e , B a d e n - B a d e n 1979, 165 - 171. - Z u r

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ob die bekränzte junge Frau, die beide M ä n n e r an den H ä n d e n h ä l t u n d den rechten z u m M i t t a n z e n aufzufordern scheint, als irdische Parallele zur Idea l f i g u r oben i n t e n d i e r t ist, sich die H a u p t - u n d S t a a t s a k t i o n i m b u k o l i s c h e n M o t i v w i e d e r h o l t , sollen hier n i c h t w e i t e r angestellt w e r d e n 9 . Festgehalten sei zunächst, daß i n der f r ü h e n Neuzeit P A X n i c h t i l l u s t r a t i v f ü r ein Ereignis a l l e i n eingesetzt w i r d , sondern als V e r k ö r p e r u n g umfassender Vorstellungen erscheint. F ü r diese w i e d e r u m sind, analog zur begriffl i c h e n Bestimmung, zusätzliche M o t i v e oder Symbole erforderlich.

II. Es sind i m wesentlichen z w e i Vorstellungsbereiche, i n denen sich die F r i e denspersonifikation i n der frühen Neuzeit ausprägte. Der eine ist ein H e r r schaftskonzept, das sich auf die ,pax romana' als eines d u r c h Sieg oder U n t e r w e r f u n g begründeten Rechts- u n d Ordnungszustandes beruft. F o r m u l i e r t w u r d e dieses K o n z e p t i m R ü c k g r i f f auf Quellen der f r ü h e n römischen Kaiserzeit, besonders auf Geschichte, M y t h o l o g i e u n d I k o n o g r a p h i e des m i t der Herrschaft des Augustus gebildeten universellen ,Friedensreiches' u n d des d a m i t erneuerten ,Goldenen Z e i t a l t e r s ' 1 0 . D e r f ü r dieses K o n z e p t k e n n zeichnende Typus der Friedenspersonifikation w u r d e nach dem V o r b i l d v o n Rückseiten römischer Kaisermünzen seit Vespasian gestaltet: P A X als eine w e i b l i c h e F i g u r , die m i t einer Fackel einen H a u f e n v o n Waffen entzündet u n d Ö l z w e i g oder F ü l l h o r n als weiteres A t t r i b u t h ä l t 1 1 . allegorischen B e d e u t u n g des T a n z m o t i v s vgl. auch Michael Baxandall, K u n s t , Gesellschaft u n d das B o u g u e r - P r i n z i p , i n : Freibeuter, 33 (1987), 21 - 30, h i e r 22, Hans Belting, Das B i l d als T e x t , i n : H . B e l t i n g / D . B l u m e (Hrsg.), M a l e r e i u n d S t a d t k u l t u r i n der D a n t e z e i t , M ü n c h e n 1989, S. 37. - Z u d e n l i t e r a r i s c h e n T o p o i des Friedens vgl. James Hutton, Themes of Peace i n Renaissance Poetry, I t h a c a / L o n d o n 1984. 9 K o n r a d H o f f m a n n , T ü b i n g e n , stellte w ä h r e n d der D i s k u s s i o n die Frage, ob die K o m b i n a t i o n v o n F r i e d e n s p e r s o n i f i k a t i o n u n d H i r t e n auf diesem B l a t t , „ n e b e n d e m manifesten h u m a n i s t i s c h e n V o k a b u l a r " , m e h r s c h i c h t i g z u sehen sei: P A X i n einer P o s i t i o n analog dem V e r k ü n d i g u n g s e n g e l i n der Szene der V e r k ü n d i g u n g a n die H i r t e n ( L u k . 2,14). Dies w ä r e e t w a i m V e r g l e i c h m i t Sandro B o t t i c e l l i s G e m ä l d e „ M y s t i sche G e b u r t " z u untersuchen, i n d e m der B i b e l t e x t auf den S c h r i f t b ä n d e r n der E n g e l erscheint, die ü b e r der Geburtsszene i m Reigen tanzen u n d a m u n t e r e n B i l d r a n d j u n g e H i r t e n i m ,Friedenskuß' u m a r m e n . ( U m 1500. K a t a l o g : The E a r l i e r I t a l i a n Schools, bearb. v o n Martin Davis, The N a t i o n a l G a l l e r y , L o n d o n 1951, 79 - 83; - Horst Bredekamp, B o t t i c e l l i s P r i m a v e r a , F r a n k f u r t a . M . 1988, 82 f.). A u f der U r k u n d e ( A n m . 2) v e r w e i s t allenfalls die S t r u k t u r des B i l d a u f b a u s auf die T y p o l o g i e der V e r k ü n d i g u n g , k a u m jedoch e i n ikonographisches Z i t a t . D o c h b e s t ä t i g t a u c h dies die These, daß die F r i e d e n s p e r s o n i f i k a t i o n z u B e g i n n des 16. J a h r h u n d e r t s quasi i n F o r m e n der ,Erscheinung' a u f t r i t t u n d einem Ereignis schon d a d u r c h eine höhere B e d e u t u n g zuweisen soll. 10 Vgl. Klaus Herding, M y t h o s der Z e i t e n w e n d e : Augusteische K u n s t i m L i c h t des Jahres 2000, i n : Hephaistos, 9 (1988), 165 - 186. - Z u r n e u z e i t l i c h e n W i e d e r b e l e b u n g ' vgl. Frances A. Yates, Astraea. The I m p e r i a l Theme i n the S i x t e e n t h Century, L o n d o n 1975. 11 G r u n d l e g e n d z u den B i l d - u n d T e x t q u e l l e n f ü r diese F i g u r Reinhold Baumstark, I k o n o g r a p h i s c h e S t u d i e n z u Rubens K r i e g s - u n d Friedensallegorien, i n : Aachener

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Eine der ersten Darstellungen, die dieses V o r b i l d aufnehmen, ist der u m 1507 w o h l i n R o m entstandene K u p f e r s t i c h des N i c o l e t t o da Modena (Abb. 42) 1 2 . E r b i l d e t den Schluß einer Folge, die geradezu p a r a d i g m a t i s c h den Frieden als Ergebnis eines Prozesses i m Sinne dieses Herrschaftskonzeptes präsentiert. A l l e vier B l ä t t e r zeigen eine d u r c h den d u n k e l schraffierten H i n t e r g r u n d etwas irreale Szenerie, i n der eine P e r s o n i f i k a t i o n i n m i t t e n gegenständlicher Versatzstücke agiert. Das erste B l a t t zeigt den Krieg, das zweite eine V I C T O R I A , Personifizierung des Sieges, das d r i t t e eine F A M A , den Ruhm, der w i e eine ,Roma' auf Waffen sitzt. D e n Frieden schließlich v e r k ö r p e r t eine junge Frau, die i n einer k u l t i s c h e n O p f e r h a n d l u n g an einen A l t a r h e r a n t r i t t u n d m i t der Fackel R ü s t u n g u n d Waffen, die auf dem A l t a r aufgeschichtet sind, entzündet. D e r Bewegungsablauf, dessen D y n a m i k n o c h aus S c h r i t t s t e l l u n g u n d f l a t t e r n d e m G e w a n d erschließbar ist, endet d u r c h den gesenkten B l i c k , der offenbar der A k t i o n des rechten Armes folgt, i n einem A u g e n b l i c k der K o n z e n t r a t i o n u n d des Innehaltens. D i e E r n s t h a f t i g k e i t dieses Moments bezeichnet den S c h l u ß p u n k t der ganzen Folge u n d zugleich den A n f a n g des Friedenszustandes. D i e M ü n z e n der römischen Kaiser, denen die F i g u r entlehnt w u r d e , t r u g e n die I n s c h r i f t P A X A V G V S T I ( , Ρ Α Χ A V G . S C ' ) ; diese F o r m e l bezeichnete den Frieden als Resultat des kaiserlichen Sieges, den die V e r b r e n n u n g der erbeuteten W a f f e n besiegelt 1 3 . I n Nicolettos S t i c h l a u t e t die I n s c h r i f t auf der über einer Trophäe an die Siegespalme gebundenen Tafel jedoch P A X E T E R N A (,ΡΑΧ.E'). D i e Folge v o n K r i e g , Sieg u n d etablierter Herrschaft wäre d a m i t das endgültige Ende jeden Krieges u n d die B e g r ü n d u n g einer epochalen Wende zu einem dauerhaften Z u s t a n d des waffenlosen Friedens. Dieser Typus der Friedenspersonifikation w u r d e i m 16. J a h r h u n d e r t v i e l fach verwendet; neben dem K u p f e r s t i c h , also dem M e d i u m der V e r v i e l f ä l t i g u n g v o n B i l d m u s t e r n 1 4 , s i n d dabei v o r a l l e m M e d a i l l e n auf Herrscher u n d Päpste, Gemälde- u n d S k u l p t u r e n d e k o r a t i o n e n v o n Schlössern u n d Regierungspalästen u n d G r a b m a l s k u l p t u r e n zu nennen. A b etwa 1560 ist der Typus auch außerhalb Italiens b e k a n n t 1 5 . K u n s t b l ä t t e r , 45 (1974), 125 - 234, h i e r 131 - 135. - Vgl. auch Erika Simon, Eirene u n d Pax. F r i e d e n s g ö t t i n n e n i n der A n t i k e , S t u t t g a r t 1988, 77ff. 12 N i c o l e t t o da Modena, „ P A X . E " . u m 1507. K u p f e r s t i c h . ( H i n d N r . 18), A b b . e n t n o m m e n aus I l l u s t r . Bartsch, B d . 25, 109, N r . 36 (275). Z u r ganzen Folge s. K a t a l o g : E a r l y I t a l i e n E n g r a v i n g s f r o m the N a t i o n a l G a l l e r y of A r t , bearb. v. Jay A. Levenson / Konrad Oberhuber / Jacquelin C. Sheehan, W a s h i n g t o n 1973, N r . 168f. 13 Baumstark ( A n m . 11), 134ff. - Simon ( A n m . 11), 77. - Z u m B e g r i f f vgl. Rudolf Wittkower, A l l e g o r i e u n d der W a n d e l der S y m b o l e i n A n t i k e u n d Renaissance, K ö l n 1983, 247 u n d 399, A n m . 6; - R e a l l e x i k o n für A n t i k e u n d Christentum, Bd. 8, S t u t t g a r t 1972, 440f. - Z u den r ö m i s c h e n M ü n z e n m i t diesem P A X - T y p u s , allerdings m i t C o r n u c o p i a als z w e i t e m A t t r i b u t , u n d der U m s c h r i f t P A X A E T E R N A (seit M a r c A u r e l ) vgl. Baumstark ( A n m . 11), 132 u n d A n m . 41 - 44. 14 Grundlegend hierzu Ausst. Bilder nach Bildern. Druckgrafik und die Vermittlung von Kunst. Westfälisches L a n d e s m u s e u m f ü r K u n s t u n d K u l t u r g e s c h i c h t e , M ü n s t e r 1976.

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A b b . 42: N i c o l e t t o da Modena, P A X E T E R N A (Kupferstich, um 1507)

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E i n frühes Beispiel f ü r die V e r w e n d u n g i n einem D e k o r a t i o n s p r o g r a m m sind die v o n Polidoro da Caravaggio 1523 - 1527 gemalten Fresken i n der f ü r den K a r d i n a l der Datarie, Baidassare T u r r i n i , errichteten V i l l a L a n t e i n R o m 1 6 . Das P r o g r a m m bezieht sich auf den O r t der V i l l a , den ,gianicolo' (Janushügel), u n d besteht aus Szenen der römischen Geschichte u n d M y t h o logie, die an diesem O r t handelten. P A X ist auf einem i n G r i s a i l l e gehaltenen B i l d zu sehen, das u n t e r der ,Begegnung v o n Janus u n d Saturn', also dem ,Goldenen Z e i t a l t e r ' der mythologischen F r ü h z e i t Italiens, u n d neben dem ,Bau des Janustempels d u r c h N u m a ' angeordnet w a r . N u m a P o m p i l i u s w a r der legendäre zweite K ö n i g u n d Gesetzgeber Roms, „er l e h r t e " - n a c h einer F o r m u l i e r u n g aus Ovids ,Metamorphosen' (XV, 481 - 482) „Opfergebräuche u n d leitete jenes an rauhe Fehde gewöhnte Geschlecht auf n ü t z l i c h e K ü n s t e des Friedens". U n t e r seiner Herrschaft b l i e b der Janustempel u n unterbrochen geschlossen. Die Pforten dieses Tempels standen offen, solange R o m i r g e n d w o K r i e g führte, also p r a k t i s c h i m m e r ; erst Kaiser Augustus r ü h m t e sich, daß der Senat u n t e r seiner Herrschaft den Janustempel d r e i m a l schließen konnte. P A X steht schräg neben dem doppelgesichtigen G o t t Janus v o r dem geschlossenen T e m p e l 1 7 . A u c h sie ist i n A n l e h n u n g an das a n t i k e V o r b i l d dargestellt, doch h ä l t sie keinen Ölzweig, sondern scheint m i t der Geste i h r e r erhobenen l i n k e n H a n d aus der H a n d l u n g heraus auf sich selbst zu verweisen. D i e H a l t u n g des Janus ist nahezu parallel: i h r e m A r m m i t der Fackel entspricht seine gesenkte Rechte, deren Zeigefinger auf die Waffenv e r b r e n n u n g deutet, i h r e r l i n k e n H a n d die l i n k e des Janus, die den Schlüssel z u m P o r t a l des Tempels hochhält, i n dem nach mythologischer Überliefer u n g i n Friedenszeiten der K r i e g s d ä m o n gefesselt u n d eingeschlossen w a r 1 8 . Sein junges, A n f a n g u n d Z u k u n f t bezeichnendes Gesicht h ä l t Janus P A X zugewandt, sein altes dem v e r g i t t e r t e n Fenster. Angeregt w u r d e diese D a r stellung des Janus v e r m u t l i c h d u r c h eine Passage aus Ovids ,Festkalender', 15 Vgl. die A u f l i s t u n g b e i Baumstark ( A n m . 11), 133; Ausst. Bilder und Szenen des Friedens zwischen Antike und Gegenwart, U n n a 1988, 21 ff., N r . 28, 44, 199, 202. 16 Polidoro da Caravaggio u n d M i t a r b e i t e r , P a x u n d Janus, 1521 - 1527. Fresko. Ehem. Rom, V i l l a L a n t e (jetzt Rom, Palazzo Z u c c a r i / B i b l i o t h e c a Hertziana). Z u m P r o g r a m m a u s f ü h r l i c h Alessandro Marabottini, P o l i d o r o da Caravaggio, R o m 1969, Bd. 1, 63 ff., Bd. 2, T. X X V I , 3. - Vgl. Isa Belli Barsali, V i l l e die Roma. L a z i o I, M a i l a n d 1970,154 - 156; David R. Coffin, The V i l l a i n the L i f e of Renaissance Rome, P r i n c e t o n / Ν . J. 1979,257 - 265. A m B e i s p i e l dieser Fresken zeigt sich auch, daß ein B i l d p r o g r a m m m i t einer Schlüsselstellung f ü r die i k o n o g r a p h i s c h e E n t w i c k l u n g einem k u n s t h i s t o r i s c h e n V e r d i k t u n t e r l i e g e n k a n n : „ D i e acht begleitenden k l e i n e r e n Szenen sollen wegen i h r e r g e r i n gen k ü n s t l e r i s c h e n B e d e u t u n g n i c h t aufgezählt w e r d e n . " So Fritz Baumgart, Beiträge z u Raffael u n d seiner W e r k s t a t t , i n : M ü n c h e n e r J a h r b u c h der B i l d e n d e n K u n s t , N. F., 8 (1931), 56. 17 Z u den a n t i k e n M ü n z e n m i t d e m M o t i v des geschlossenen Janustempels vgl. Ausst. U n n a 1988 ( A n m . 15), N r . 7, 8. 18 V e r g i l , Aeneis, I. 293 - 296; O v i d , Fasti, I, 703.

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i n der der G o t t dem D i c h t e r die H e r k u n f t u n d Bedeutung der m i t seinem N a m e n u n d M o n a t verbundenen Bräuche beschreibt: „ , D a m a l s w a r i c h K ö n i g , als die E r d e n o c h G ö t t e r t r u g u n d G ö t t e r m i t den M e n schen v e r k e h r t e n (...) a n s t a t t der F u r c h t regierte das G e f ü h l f ü r Recht u n d S i t t e selbst das V o l k , ohne G e w a l t a n w e n d u n g . M a n h a t t e keine M ü h e , u n t e r Gerechten Recht z u sprechen; m i t d e m K r i e g h a t t e i c h n i c h t s z u t u n . I c h schützte n u r den F r i e den u n d die Türpfosten', u n d seinen Schlüssel zeigend, sprach er:,diese Waffe trage ich'."19

D i e I n t e r a k t i o n der beiden F i g u r e n läßt sich e t w a beschreiben als ein i n n e r h a l b der p a r a l l e l u n d aufeinander

bezogen ausgeführten

Bewegungen

innehaltender M o m e n t der V e r s t ä n d i g u n g über die B e d e u t u n g ihres H a n delns. A u c h v o r der B e r ü c k s i c h t i g u n g weiterer Quellen f ü r die I n t e n t i o n e n des Auftraggebers läßt sich a u f g r u n d der Darstellungsweise der P A X - F i g u r u n d i h r e r E i n b i n d u n g i n das gesamte P r o g r a m m feststellen, daß der Typus hier z u m Rückverweis auf eine noch friedliche Epoche u n d ihre z i v i l i s a t o r i schen L e i s t u n g e n eingesetzt w u r d e u n d nicht z u r B e r u f u n g auf die Erneuerung

v o n Frieden u n d ,Goldendem Z e i t a l t e r 4 i m Sinne einer imperialen,

d u r c h Siege k o n s o l i d i e r t e n Herrschaft. Z u m Vergleich ein Beispiel für dieses Herrschaftskonzept aus dem Prozeß der U m w a n d l u n g einer S t a d t r e p u b l i k i n einen absolut regierten Staat: die gegen den auch m i l i t ä r i s c h e n W i d e r s t a n d der S t a d t Florenz errichtete H e r r schaft der M e d i c i als Herzöge der Toskana. Der 1537 v o n Kaiser K a r l V. z u m erblichen Herzog ernannte Cosimo I. M e d i c i ließ i n großem Maßstab die ehemals r e p u b l i k a n i s c h e n I n s t i t u t i o n e n umgestalten i n Repräsentationsformen des neuen Herrschaftssystems. E i n e r der ersten Räume i m Palazzo Vecchio, dem alten Regierungsgebäude der R e p u b l i k , die m i t einem auf seine Person h i n ausgerichteten B i l d p r o g r a m m von Francesco S a l v i a t i ausgemalt wurden, w a r die Sala dell'Udienza. I m Z e n t r u m des k o m p l e x e n Freskenprogramms aus Bildnissen, H i s t o r i e n u n d A l l e g o r i e n stehen die T a t e n des Marcus F u r i u s Camillus, eines römischen D i k t a t o r s der a n t i k e n Geschichte. P A X ist i n der M i t t e der H a u p t w a n d dargestellt (Abb. 4 3 ) 2 0 : sie sitzt, umgeben v o n Waffen, auf die sie die Fackel herabsenkt, über z w e i Gefangenen. A n dieser H a l t u n g zeigt sich, daß die Friedenspersonifikation hier dem F i g u r e n t y p u s der V i c t o r i a eingepaßt ist, deren A t t r i b u t , den Palmzweig, P A X i n der l i n k e n H a n d hält. U n t e r i h r e n Füßen ist eine F r u c h t g i r l a n d e aufgehängt als H i n w e i s auf den i m Frieden b l ü h e n d e n Wohlstand. Angeordnet ist das B i l d zwischen dem m i l i t ä r i s c h e n Sieg des C a m i l l u s u n d seinem t r i u m p h a l e n E i n z u g i n 19

O v i d , Fasti, I, 247 - 254. Francesco Salviati, Pax. 1543 - 1545, Fresko, F l o r e n z , Palazzo V e c c h i o , S a l a d e l l ' U d i e n z a , A b b . F o t o B r o g i 17318. - V a s a r i - M i l a n e s i V I I , 22 - 27; - Iris Hofmeister Cheney, Francesco S a l v i a t i (1510 - 1563), Ph. Diss. N e w Y o r k U n i v e r s i t y , 1963, A b b . 174 - 176; 161 - 164, 176 - 178, 185f., 359, 369 - 371, 374 (auch z u m gesamten P r o g r a m m ) ; - V g l . Catherine Dumont, Francesco S a l v i a t i , Genf 1973, 107 f. 20

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Friedenspersonifikationen in der frühen Neuzeit

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Rom. D e r Friede erscheint somit e i n d e u t i g als Folge des Sieges, als Resultat u n d letztliches Z i e l einer a n h a n d der historischen Parallele gerechtfertigten Geschichte, die sich i n der M a c h t p o s i t i o n des neuen Herrschers vollendet. Genau u n t e r P A X befindet sich eine S k u l p t u r der t h r o n e n d e n Justitia, h i n t e r der i m T ü r g i e b e l die I n s c h r i f t D I L I G I T E I V S T I T I A M Q V I I V D I C A T I S T E R R A M steht. „ L i e b t die Gerechtigkeit, die i h r auf E r d e n r i c h t e t " die F o r m e l v o m A n f a n g des ,Buches der Weisheit', das K ö n i g Salomo zugeschrieben w u r d e , r a h m t auch i n Lorenzettis b e r ü h m t e m Fresko der ,Guten Regierung' i m Stadtpalast v o n S i e n a 2 1 die P e r s o n i f i k a t i o n der Gerechtigkeit, der t r a d i t i o n e l l w i c h t i g s t e n Herrschertugend. Z w a r verspricht diese Zusammenstellung auch hier als Resultat des Friedens eine gerechte H e r r schaft, doch scheint - dies sei i m B l i c k auf die Forschungen W o h l f e i l s 2 2 betont - die D a r s t e l l u n g des Kusses v o n P A X u n d I U S T I T I A , also des schon seit dem M i t t e l a l t e r geläufigsten Versöhnungsmotivs, geradezu bewußt zugunsten einer statuarischen O r d n u n g vermieden zu sein. W e n n h u n d e r t Jahre n a c h den ersten neuzeitlichen V e r w e n d u n g e n dieses P A X - T y p u s Cesare R i p a i n seiner i c o n o l o g i a ' , dem meistbenutzten H a n d b u c h über die I k o n o g r a p h i e der Personifikationen, schreibt: „ D e r Friede verbrennt m i t der entzündeten Fackel einen Waffenhaufen, b ä n d i g t den Krieg, die Feindschaft u n d den Haß u n d h ä l t sie i n S c h r a n k e n " 2 3 , u n d die Fackel sei dabei „ Z e i c h e n universeller u n d wechselseitiger L i e b e zwischen den V ö l k e r n " 2 4 , so ist dies als Ergebnis einer langen U m d e u t u n g s a r b e i t zu verstehen, darf aber n i c h t als quasi feststehender Bedeutungsgehalt auf jede solche P A X - F i g u r des 16. Jahrhunderts r ü c k p r o j i z i e r t werden.

III. Der zweite große Verwendungszusammenhang der Friedenspersonifikat i o n gehört z u m Bereich der ephemeren K u n s t , der f ü r Umzüge, Einzugszeremonien u n d Festaufführungen angefertigten Dekorationen. Eine beson21 Vgl. August B. Rave , F r o n l e i c h n a m i n Siena. D i e Maestà v o n S i m o n e M a r t i n i i n der Sala dee M a p p a m o n d o , W o r m s 1986, 7. - Vgl. a u c h Wolfgang Pleister/ Wolfgang Schild (Hrsg.), Recht u n d G e r e c h t i g k e i t i m Spiegel der europäischen K u n s t , K ö l n 1988, 45. - G r u n d l e g e n d z u den L o r e n z e t t i - F r e s k e n i n Siena Quentin Skinner , A m b r o g i o L o r e n z e t t i : The A r t i s t as P o l i t i c a l Philosopher, i n : Proceedings of the B r i t i s h A c a d e m y , B d . 72 (1986), O x f o r d 1987, 1 - 56; vgl. Chiara Frugoni , T h e B o o k of W i s d o m a n d L o r e n z e t t i ' s fresco i n the Palazzo P u b b l i c o at Siena, i n : J o u r n a l of the W a r b u r g a n d C o u r t a u l d I n s t i t u t e s , Bd. 43 (1980), 239 - 241; z u l e t z t : Kubisch ( A n m . 6), K a p . V. 22 Vgl. i n diesem B a n d 211 - 258. 23 Cesare Ripa, Iconologia, R o m 1593; verwendete Ausgaben: R o m 1603 ( N a c h d r u c k , hrsg. v. E r n a M a n d o w s k y , H i l d e s h e i m / N e w Y o r k 1970), P a d u a 1630. H i e r Padua 1630, B a n d 2, 550: vgl. Baumstark ( A n m . 11), 134. - Z u R i p a vgl. Elizabeth McGrath, ,Personifying Ideals', i n : A r t H i s t o r y , 6 (1983), 363 - 368. 24 Ripa ( A n m . 23), 1603, 375.

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dere politische u n d rechtliche F u n k t i o n h a t t e n die ,Intreden', die H e r r schern oder S t a t t h a l t e r n aus A n l a ß der K r ö n u n g , des Regierungsantritts, aber auch zu Friedensschlüssen u n d z u Hochzeiten v o n den Städten ausger i c h t e t w u r d e n : D i e Städte ehrten u n d akzeptierten den Herrscher, der w i e d e r u m Rechte u n d F r e i h e i t e n der S t a d t u n d i h r e r K o r p o r a t i o n e n bestätigte. Diese ,Intreden' k ö n n e n als das zentrale M e d i u m f ü r die b i l d l i c h e F o r m u l i e r u n g des p o l i t i s c h e n Verhältnisses u n d Interessenausgleichs v o n F ü r s t u n d U n t e r t a n e n i m 16. J a h r h u n d e r t gelten; ihre B e d e u t u n g läßt sich auch daraus ermessen, daß vielfach ausführliche Beschreibungen der Abfolge v o n E h r e n pforten, lebenden B i l d e r n u n d Zeremonien i n F o r m gedruckter i l l u s t r i e r t e r Bücher verbreitet w u r d e n 2 5 . E i n durchgängiges M o t i v der ,Intreden' ist die F o r m u l i e r u n g v o n E r w a r t u n g e n auf eine E r n e u e r u n g v o n Frieden, Gerecht i g k e i t u n d Wohlstand. Anlaß f ü r den E i n z u g v o n M a r y T u d o r , der Schwester H e i n r i c h s V I I I . v o n England, 1514 i n Paris w a r ein englisch-französischer Friedensschluß, der d u r c h ihre H e i r a t m i t dem französischen K ö n i g L u d w i g X I I . besiegelt w u r d e 2 6 , u n d ihre anschließende K r ö n u n g . M i t dem P r o g r a m m der „ M y s t e r i e n " f ü r den E i n z u g w u r d e der D i c h t e r Pierre Gringore beauftragt; sein als M a n u s k r i p t erhaltener B e r i c h t darüber e n t h ä l t auch frühe A b b i l d u n g e n solcher D e k o r a t i o n e n 2 7 . I n diesem Verwendungszusammenhang erschließt sich auch der zweite Vorstellungsbereich, aus dem sich die neuzeitliche Friedenspersonifikation e n t w i c k e l t e : die T r a d i t i o n der m i t t e l a l t e r l i c h e n Tugendallegorien, die v o n 25 Vgl. Lawrence M. Bryant , The K i n g a n d the C i t y i n the P a r i s i a n R o y a l E n t r y Ceremony: Politics, R i t u a l , a n d A r t i n the Renaissance, Genf 1986. - Vgl. a l l g e m e i n Roy Strong , A r t a n d Power. Renaissance Festivals 1450 - 1650, S u f f o l k 1984. 26 D i e V e r b i n d u n g v o n Friedensschluß u n d H e i r a t gab v i e l f a c h den A n l a ß z u großen , I n t r e d e n ' - D e k o r a t i o n e n ; vgl. Bryant ( A n m . 25) u n d Karl Möseneder, Zeremoniell u n d m o n u m e n t a l e Poesie, B e r l i n 1983. Erasmus wies k r i t i s c h auf die D i f f e r e n z z w i s c h e n der H o f f n u n g auf ,ewigen F r i e den' u n d der erwiesenermaßen geringe T r a g f ä h i g k e i t solcher dynastischen Bündnisse h i n : „ E s geschieht m a n c h m a l , daß n a c h l a n g d a u e r n d e n K r i e g s w i r r e n , n a c h u n z ä h l i gen N i e d e r l a g e n der S t r e i t d u r c h eine H e i r a t geschlichtet w u r d e , aber d a n n w a r e n beide Parteien d u r c h das U n h e i l schon g ä n z l i c h erschöpft. D i e Herrscher müssen d a r auf h i n a r b e i t e n , daß z w i s c h e n a l l e n e i n d a u e r n d e r Friede [aeterna p a x ] zustande k o m m t , u n d auf dieses Z i e l i h r e P l a n u n g e n ausrichten. D e r d u r c h V e r s c h w ä g e r u n g erworbene F r i e d e n k a n n n i c h t v o n D a u e r sein. W e n n einer s t i r b t , ist das B a n d der E i n t r a c h t gelöst. W e n n aber der Friede aus echten V e r n u n f t g r ü n d e n zustande käme, w ä r e er fest u n d d a u e r n d . " (...) „ K u r z : D u r c h Verschwägerungen dieser A r t w i r d v i e l l e i c h t die M a c h t dieser H e r r scher vergrößert, aber das W o h l b e f i n d e n des Volkes zerstört u n d v e r n i c h t e t . " Erasmus von Rotterdam, I n s t i t u t i o P r i n c i p i s C h r i s t i a n i / E r z i e h u n g des c h r i s t l i c h e n Fürsten, 1515, K a p . 9, i n : A u s g e w ä h l t e S c h r i f t e n ( A n m . 4), Bd. 5, 324 - 327. 27 „ D e l a r e c e p t i o n et entrée de la i l l u s t r i s s i m e dame et princesse M a r i e d ' A n g l e terre (fille de H e n VII.) de l a v i l l e de Paris, le 6. N o v r e 1514. Avec belles p e i n t u r e s . " L o n d o n , B r i t i s h L i b r a r y , C o t t o n i a n Ms. Vespasian Β . 11, a b g e d r u c k t i n Charles Read Baskervill, Pierre Gringore's Pageants for the E n t r y of M a r y T u d o r i n t o Paris. A n U n p u b l i s h e d M a n u s c r i p t , Chicago 111. 1934 (hier I X f . ) .

Friedenspersonifikationen in der frühen Neuzeit

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der B u c h m a l e r e i bis z u m Mysterienspiel verbreitet w a r e n 2 8 . D i e Wiedergabe des Schaubildes v o r der K i r c h e S a i n t - I n n o c e n t s 2 9 e t w a schildert das A u f wachsen der K ö n i g i n als eine Rose, gepflegt v o n Papst u n d K ö n i g , i n einem umfriedeten Garten, einem ,Hortus Conclusus', den die V e r k ö r p e r u n g des Friedens v o r der G e w a l t der , Z w i e t r a c h t ' beschützt. E i n solches M o t i v des Kampfes v o n T u g e n d u n d Laster, oder auch der ,Disput v o n M i s e r i c o r d i a u n d Veritas' i n der oberen Szene, folgen den B i l d t r a d i t i o n e n v o n K o n f l i k t u n d Versöhnung der Tugenden, doch beziehen sie sich n i c h t m e h r auf die Erlösung der Seele, sondern nehmen die F u n k t i o n einer p o l i t i s c h e n A l l e g o rie an. Der Bogen an der Porte-aux-Peintres (Abb. 44) 3 0 , an der auch bei früheren u n d späteren ,Intreden' Herrscher u n d K ö n i g i n n e n als Friedensbringer d a r gestellt w u r d e n 3 1 , belegt v i e l l e i c h t n o c h deutlicher, w i e i n dieser Ü b e r gangsphase sich die politische D e u t u n g der Personifikationen i n n e r h a l b der religiös vorgeprägten B i l d s t r u k t u r entwickelte. I m dreistufigen S c h a u b i l d führen „ f ü n f auf die feinste A r t herausgeputzte D a m e n " - so die Beschreib u n g 3 2 - die v o n ,Freundschaft' u n d ,Frieden' zustandegebrachte K o n f ö d e r a t i o n ' v o n ,Frankreich' u n d ,England' vor. D a r ü b e r t h r o n t das Königspaar, auf das G o t t v a t e r aus den W o l k e n herabschaut; der T e x t erläutert: „ D a s Herz des Königs, das G o t t i n seiner H a n d h ä l t , neigt sich der Erlösung, E r n ä h r u n g u n d Ruhe des Menschengeschlechtes z u . " 3 3 Z u diesem z w e i t e n Vorstellungsbereich, i n dem die Friedenspersonifikat i o n eine staatspolitische B e d e u t u n g a n n i m m t , gehören insbesondere die A l l e g o r i e n der ,Guten Regierung' 3 4 . Entsprechend diesem Herrschaftskon28 Baskervill ( A n m . 27), X I I ; - Zusammenfassend Adolf Katzenellenbogen, Allegories of the V i r t u e s a n d Vices i n M e d i e v a l A r t , L o n d o n 1939 (New Y o r k 1964); vgl. Eduard Johann Mäder, D e r S t r e i t der „ T ö c h t e r G o t t e s " . Z u r Geschichte eines a l l e g o r i schen M o t i v s , B e r n / F r a n k f u r t 1971; Stephan Kubisch, F r i e d e n s d a r s t e l l u n g e n i m M i t telalter, M a g i s t e r a r b e i t , H a m b u r g 1985, 43 - 52. 29 „ D e l a r e c e p t i o n . . . " ( A n m . 27), Fol. 10; Baskervill ( A n m . 27), X X V I I , 7 - 9 , A b b . V ; - Bryant ( A n m . 25), 171, A b b . 29; - Möseneder ( A n m . 26), A b b . 215. 30 Ebd., Fol. 8 verso; Baskervill ( A n m . 27), X X V I f f . , 6 - 7; - A b b i l d u n g e n t n o m m e n aus Bryant ( A n m . 25), 156f., A b b . 26. 31 Ebd., Fol. 7 verso; Baskervill ( A n m . 27), 7. 32 „(...) c i n q dames accoustrees de l a bonne sorte." (Ebd., Fol. 7 verso); Baskervill ( A n m . 27), 7. 33 „ L e cueur d u r o y que d i e u t i e n t en sa m a i n . / A i n c l i n é p o u r l a s a l u a t i o n / N o u r r i t u r e repos d u peuple h u m a i n . " (Ebd., Fol. 9); Baskervill ( A n m . 27), 7. 34 Z u den Fresken A m b r o g i o L o r e n z e t t i s , der m e i s t d i s k u t i e r t e n A l l e g o r i e dieses Themas vgl. L i t e r a t u r i n A n m . 21. E i n e zusammenfassende U n t e r s u c h u n g über die A l l e g o r i e n der ,Guten Regierung' i n der K u n s t der N e u z e i t steht n o c h aus. Es g i b t v i e l f ä l t i g e A n z e i c h e n d a f ü r , daß sich die B i l d m u s t e r dieses Themas aus der T r a d i t i o n s p ä t m i t t e l a l t e r l i c h e r T u g e n d a l l e g o r i e n e n t w i c k e l t h a b e n ( L i t e r a t u r u n t e r A n m . 28). D a b e i ü b e r l a g e r t e n sich gewissermaßen die ,Herrschertugenden' m i t den ,Vier T ö c h t e r n Gottes' n a c h P s a l m 85,11. Beispiele: D e r als A l l e g o r i e der , G u t e n Regierung' bezeichnete B i l d t e p p i c h ( T o u r nai, u m 1490. Wolle, 465 χ 1065 cm) i n der K a t h e d r a l e v o n Tarragona, i n dessen Z e n -

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A b b . 44: I l l u s t r a t i o n des Schaubildes z u m E i n z u g der K ö n i g i n M a r y T u d o r i n Paris 1514

F r i e d e n s p e r s o n i f i k a t i o n e n i n der f r ü h e n N e u z e i t

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zept, das F r i e d e n n i c h t i n d e n K o n t e x t v o n K r i e g u n d Sieg, s o n d e r n i n das Z u s a m m e n w i r k e n der T u g e n d e n i n t e g r i e r t , f i n d e t sich i n solchen seit der M i t t e d e s 16. J a h r h u n d e r t s v e r b r e i t e t e n A l l e g o r i e n a u c h k e i n e w a f f e n v e r brennende P A X 3 5 . E i n H o l z s c h n i t t Jost A m m a n s f ü h r t dieses K o n z e p t v o r ( A b b . 4 5 ) 3 6 : I V S T I T I A , s c h o n seit d e r A n t i k e stets als w i c h t i g s t e R e g i e r u n g s t u g e n d b e n a n n t 3 7 , t h r o n t i m Z e n t r u m des B i l d e s . D i e K e t t e , d i e s i e i m W o r t s i n n m i t d e n a n d e ren Tugenden ,verbindet' 38, w i r d v o n den Personifikationen der Nächstenliebe (links) u n d der K l u g h e i t (rechts) gehalten, w o b e i v o n C H A R I T A S u n d PRVDENTIA

Aufmerksamkeit

g e f o r d e r t ist, d a m i t sie d i e

beherrschende

F i g u r i n ihrer M a c h t a u s ü b u n g notfalls auch ,zügeln' können. M i t d e m H ä n d e d r u c k v o n P A X u n d R E S P V B ( L I C A ) , der s y m b o l i s c h e n Geste f ü r V e r t r a g u n d Einigkeit, schließt sich der Kreis. D i e g ö t t l i c h sanktionierte

Ordnung,

d i e das G e m e i n w e s e n i m F r i e d e n e r h ä l t , e r s c h e i n t s o m i t , ü b e r d i e Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r B e g r i f f s p e r s o n i f i k a t i o n e n h i n a u s , als e i n s o r g f ä l t i g k o m p o -

t r u m ein K ö n i g u n t e r G o t t v a t e r t h r o n t , zeigt u n t e r den T u g e n d p e r s o n i f i k a t i o n e n a u c h eine F r i e d e n s p e r s o n i f i k a t i o n . (Vgl. G. T. van Ysselsteyn, Tapestry. T h e most expensive i n d u s t r y of t h e X V t h a n d X V I t h centuries, D e n H a a g / B r ü s s e l 1969, 81 u n d A b b . 63). A u c h ein anonymes englisches T h e a t e r s t ü c k v o n 1553, „ R e s p u b l i c a " , v e r b i n d e t den Sieg der T u g e n d e n über die L a s t e r m i t d e m B i l d der , G u t e n Regierung' i n F o r m der u m die P e r s o n i f i k a t i o n der ,Respublica' v e r s a m m e l t e n ,Vier T ö c h t e r Gottes' n a c h Psalm 85,11. (Vgl. Donald Gordon, „ V e r i t a s F i l i a T e m p o r i s " , i n : J o u r n a l of the W a r b u r g a n d C o u r t a u l d I n s t i t u t e s , Bd. 3 (1939 - 1940), 228 - 230.) 35 A l s A u s n a h m e ist h i e r b e i die R e p u b l i k Venedig anzusehen, i n deren Repräsentat i o n das H e r r s c h a f t s k o n z e p t der ,pax r o m a n a ' n u r m o d i f i z i e r t v e r w e n d e t w u r d e : eine waffenverbrennende P A X w u r d e den a n t i k e n G ö t t e r n als den A l l e g o r i e n v e n e z i a n i scher ,Staatsmythologie' zugeordnet. Vgl. Deborah Howard, Jacopo Sansovino. A r c h i t e c t u r e a n d Patronage i n Renaissance Venice, N e w H ä v e n / L o n d o n 1975, 34; Wolfgang Wolters, D e r B i l d e r s c h m u c k des Dogenpalastes, Wiesbaden 1983, 245f.; ders., K r i e g u n d F r i e d e n i n den B i l d e r n des Dogenpalastes, i n : K r i e g u n d F r i e d e n i m H o r i z o n t des Renaissancehumanismus, hrsg. v. Franz Josef Worstbrock, Weinheim 1986, 153, 159 f. 36 Jost A m m a n , „ I V S T I C I A " . H o l z s c h n i t t , 22 x 17,2 c m (.Andreas Andresen, Der deutsche P e i n t r e - G r a v e u r , Bd. 1, L e i p z i g 1864 [ N D H i l d e s h e i m 1973], 219 N r . 56). A l s E i n z e l b l a t t : Staatsgalerie S t u t t g a r t , Graphische S a m m l u n g (Inv. N r . 939). V e r w e n d e t auch i n : C h u r = F ü r s t . Pfaltz L a n d t s O r d n u n g , Heidelberg: J o h a n n Spies, 1582 ( H a m b u r g , Staats- u n d U n i v e r s i t ä t s b i b l i o t h e k , Sign. B/3566). H i e r n a c h die A b b i l dung. A l s V o r b i l d f ü r A m m a n k o m m t eine R a d i e r u n g des M o n o g r a m m i s t e n L . D. n a c h L u c a P e n n i i n B e t r a c h t (vgl. Henri Zerner, D i e Schule v o n F o n t a i n e b l e a u . Das g r a p h i sche W e r k , 1969, N r . L . D. 85, 25, 46). E i n Gemälde v o n Ciaeissens g i b t dieses B i l d k a u m v e r ä n d e r t w i e d e r (vgl. Pleister/ Schild [ A n m . 21], A b b . 190). 37

Pleister/Schild ( A n m . 21), 130. I n den I k o n o l o g i e n w i r d diese K e t t e als S y m b o l der f r i e d l i c h e n V e r e i n i g u n g ' u n d B e r u h i g u n g der Gegensätze e r k l ä r t . - Ripa ( A n m . 23) 1630, Bd. I I , 550, e r l ä u t e r t dies a n h a n d desjenigen T y p u s ' der P A X - F i g u r , die L ö w e u n d L a m m m i t einer goldenen K e t t e f r i e d l i c h z u s a m m e n h ä l t ; er b i l d e t diese F i g u r als einzige seiner 13 V a r i a n t e n der F r i e d e n s p e r s o n i f i k a t i o n ab. W i e Valeriano, H i e r o g l y p h i c o r u m Collectanea, i n : Valeriano, H i e r o g l y p h i c a , F r a n k f u r t a . M . 1768, 162, u n d Johannes Solarzano, E m b l e m a t u m C e n t u m , M a d r i d 1653, 796, z i t i e r t R i p a z u r E r l ä u t e r u n g aus A u g u s t i n u s , D e Verbis D o m i n i : „ P a x est serenitas mentis, t r a n q u i l l i t a s a n i m i , s i m p l i c i t a s cordis, v i n c u l u m amoris, c o n s o r t i u m c h a r i t a t i s . Haec est, q u a (...) b e l l a compescit, iras c o m p r i m i t , superbos calcat, h u m i l e s amat, discordes sedat, i n i m i c o s c o n c o r d a t . " 38

Hans-Martin Kaulbach

Jßncc I V S T I T I A Ai,