Heteronomie und Relativität in Schuldverhältnissen: Zur Haftung des Herstellers im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht 9783161511950, 9783161491436

In zahlreichen Ländern Europas haften Hersteller den Verbrauchern unmittelbar für Sachmängel. Die Europäische Kommission

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Heteronomie und Relativität in Schuldverhältnissen: Zur Haftung des Herstellers im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht
 9783161511950, 9783161491436

Table of contents :
Cover
Widmung
Vorwort
Inhalt
Abkürzungen
Einleitung
A. Grundgedanken
B. Struktur
§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip
§ 2: Relativität und Selbstbestimmung
A. Normative Relativität
B. Der Grund des Relativitätsprinzips
C. Verträge zu Lasten Dritter
D. Verträge zugunsten Dritter
I. Entwicklung
II. England: Privity of Contracts und consideration
III. Drittbegünstigung und Selbstbestimmung
§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts
A. Heteronomes Schuldrecht und Relativitätsprinzip
B. Heteronomie
I. Heteronomie als Begriff
II. Elemente
III. Heteronomie und Materialisierung
C. Gesetzliche Schuldverhältnisse
D. Zum weiteren Fortgang: Außenwirkungen in vertraglichem Zusammenhang
E. Auslegung und Heteronomie
I. Normative Auslegung
II. Ergänzende Vertragsauslegung
F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang
I. Heteronome Pflichten
II. Adressierung: vertraglicher Zusammenhang
G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
I. Hintergrund
II. Konstruktion
III. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nach der Schuldrechtsreform
1. Die Alternativen
2. Leistungsnähe
3. Gläubigernähe
IV. Schutzwirkung, Relativität und Heteronomie
H. Berufshaftung (Gutachterhaftung)
I. Prospekthaftung
I. Die Rechtsfigur
II. Garantenstellungen im Bürgerlichen Recht
J. Drittschadensliquidation
K. Spezialgesetzliche Außenwirkungen von Schuldverhältnissen
I. Herausgabeansprüche gegen Untermieter
II. Gesetzliche Vertragsübergänge
L. Ein Fazit zu Heteronomie und Außenwirkungen
§ 4: Doppelte Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes
§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht
A. Einleitung
B. Zur Objektivierung des Mangelbegriffs
C. Öffentliche Äußerungen (Werbeangaben)
D. Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers
E. Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung
F. Zwang, Information, Binnenmarkt (Stützradtheorie)
I. Schutz
II. Sachliche Information
III. Rechtliche Informationsdefizite (Binnenmarkt)
G. Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts
§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht
A. Einleitung
B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie
I. Der Regress in der Richtlinie
II. Regressfallen
III. Kompensationstheorie
IV. Regressfallen in der vertraglichen Praxis
V. Zur Reichweite des Umsetzungsgebots
VI. Zur Disponibilität des Regressrechts
C. Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland
I. Unselbständiger und selbständiger Regress
II. Beweislastumkehr zugunsten des Regressgläubigers
III. Verjährung
IV. Neuwaren
V. Regresshaftende: Zulieferer?
VI. Verbrauchereigenschaft des Kunden
VII. Abweichende Vereinbarungen
1. Disposition
2. Gleichwertiger Ausgleich
D. Positiv zwingendes Recht in Vertragsketten (Raupentheorie)
E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten
I. Niederlande
II. Österreich
III. England, Irland
1. Keine Regressvorschriften
2. Specific performance und Fristsetzung
IV. Griechenland
V. Italien
F. Herstellerhaftung
I. Die Lager
II. Das Grünbuch der Europäischen Kommission von 1993
III. Frankreich
1. Die action directe
2. Non-cumul
3. Regressrecht
IV. Belgien
1. Action directe
2. Händlerregress
V. Luxemburg
VI. Spanien
VII. Portugal
VIII. Schweden und Finnland
G. Regress und Herstellerhaftung in Europa
§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts: für und wider die Herstellerhaftung
A. Sachliche Gründe
B. Warenvertrauen
C. Qualitäts- und Werbeverantwortung (Mangelverantwortung)
D. Zur Untauglichkeit der Regresslösungen
E. Regress und Internationales Privatrecht
F. Nachträgliche Werbeangaben
G. Lösung des Regressproblems durch die Herstellerhaftung?
H. Verbraucherschutz durch Herstellerhaftung?
I. Herstellerhaftung und Binnenmarkt
I. Wettbewerbsverzerrungen
II. Der aktive Verbraucher
J. Praktikabilität und Prozessökonomie
K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht
I. Fehlerhaftung zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht
II. Ökonomische Analyse
1. Methode
2. Der homo oeconomicus
3. Lex lata, lex ferenda
III. Anreize: Prävention und Qualität
IV. Versicherungsfunktion
V. Gewährleistung als Qualitätssignal
VI. Das Ergebnis des Vergleichs
L. Zusammenfassung
I. Schutz des Handels, Entlastung des Handelsrechts
II. Übermäßige Belastung der herstellenden Industrie?
§ 8: Konstruktion
A. Vier Möglichkeiten
B. Vertragliche Lösungsversuche
I. Kaufvertrag
II. Herstellergarantien
III. Faktisches Vertragsverhältnis (sozialtypisches Verhalten)
C. Teilnahme am fremdem Vertrag
I. Vertrag zugunsten Dritter
II. Action directe
D. Verzicht auf vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers
I. Vertraglich vereinbarte und gesetzlich vermuteteVerantwortlichkeit
II. Schuldner: Hersteller und Zwischenhändler
E. Gesetzlicher Schadensersatzanspruch: erweiterte Produkthaftung
F. Kaufvertrag des Verbrauchers: Akzessorietät
G. Beschränkung auf heteronome Elemente
H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht
I. Einleitung
II. Rechtsvergleichende Einwände
III. Netzkonzepte
IV. Leistungsverbünde
V. Dritte Spur: Sonderbeziehung („Marktbeziehung“)
VI. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
I. Rechtsfolgen
I. Äquivalenz und Integrität
II. Vertragslose Erfüllungshaftung: falsus procurator
III. Nacherfüllung
IV. Rücktritt und Rückabwicklungsverhältnis
V. Minderung
J. Subsidiarität
K. Gläubiger
L. Gemeinschaftskompetenz
M. Vorschläge
I. Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher
II. Rückgriffsansprüche
§ 9: Alte Prinzipien für neues Recht
Literatur
Register

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 118

Michael Hassemer

Heteronomie und Relativität in Schuldverhältnissen Zur Haftung des Herstellers im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Mohr Siebeck

Michael Hassemer, geboren 1966; Studium der Rechtswissenschaften in München; 1999 Promotion; 2006 Habilitation.

e-ISBN PDF 978-3-16-151195-0 ISBN 978-3-16-149143-6 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2007 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Für Ines und Daniel

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2006 von der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen. Die ihr zugrunde liegenden Überlegungen nahmen ihren Ausgang im Händlerregress des Verbrauchsgüterkaufrechts. Schnell wurde jedoch deutlich, dass der Regress des Letztverkäufers nur die Spitze eines Eisbergs bildet: Mit dem Regress kann nur noch versucht werden, rechtlich fehlgeleitete Verantwortung dort zu verorten, wo sie eigentlich ihren Platz haben müsste. Die Diagnose dieser Fehlleitung hat die vorliegende Arbeit auf die Spur gebracht, der sie letztlich gefolgt ist: Ein Gesetzgeber, der von außen – heteronom – in das Vertragsrecht eingreift, muss sich fragen lassen, wer der Adressat des von ihm geschaffenen Rechts sein sollte. Die sich hierdurch aufwerfenden Fragen der schuldrechtlichen Relativität waren darum unter dem Kriterium der Heteronomie zu beleuchten. Hilfreich war, wie so oft, der vergleichende Blick in andere Rechtsordnungen. Ich danke Josef Drexl für Inspiration und Freiheit: Er ist die teils verschlungenen Wege meiner Arbeit mitgegangen, er hat ihr beigestanden und mich mit Umund Rücksicht geleitet. Herzlicher Dank gebührt auch Frau Professor Dagmar Coester-Waltjen. München, im November 2006

Michael Hassemer

Inhalt Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A.

Grundgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

B.

Struktur

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip . .

5

§ 2: Relativität und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

A.

Normative Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

B.

Der Grund des Relativitätsprinzips

C.

Verträge zu Lasten Dritter

D.

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

Verträge zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

I. Entwicklung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. England: Privity of Contracts und consideration

19

. . . . . . . .

22

III. Drittbegünstigung und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . .

26

§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . .

28

A.

Heteronomes Schuldrecht und Relativitätsprinzip . . . . . . . . . .

28

B.

Heteronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I. Heteronomie als Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

III. Heteronomie und Materialisierung . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Elemente

34

C.

Gesetzliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

D.

Zum weiteren Fortgang: Außenwirkungen in vertraglichem Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

E.

Auslegung und Heteronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Normative Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

II. Ergänzende Vertragsauslegung

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

X F.

G.

Inhalt

Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang . . . . . . .

43

I. Heteronome Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

II. Adressierung: vertraglicher Zusammenhang . . . . . . . . . . .

46

Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

. . . . . . . . . . . . . .

52

I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

II. Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

III. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nach der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gläubigernähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

58 58 60 62

IV. Schutzwirkung, Relativität und Heteronomie . . . . . . . . . .

63

H.

Berufshaftung (Gutachterhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

I.

Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

I. Die Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

II. Garantenstellungen im Bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . .

73

J.

Drittschadensliquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

K.

Spezialgesetzliche Außenwirkungen von Schuldverhältnissen . . . .

76

I. Herausgabeansprüche gegen Untermieter II. Gesetzliche Vertragsübergänge L.

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . . . . . . . . . .

76

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Ein Fazit zu Heteronomie und Außenwirkungen

. . . . . . . . . .

79

§ 4: Doppelte Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes . . . . . . . . .

81

§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht . . . . . . .

84

A.

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

B.

Zur Objektivierung des Mangelbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . .

85

C.

Öffentliche Äußerungen (Werbeangaben) . . . . . . . . . . . . . . .

91

D.

Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers . . . . . . . . . . . .

94

E.

Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung . . . . . . . . . .

96

F.

Zwang, Information, Binnenmarkt (Stützradtheorie)

. . . . . . . .

100

I. Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

II. Sachliche Information

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

XI

Inhalt

III. Rechtliche Informationsdefizite (Binnenmarkt) . . . . . . . . .

107

Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts: Pauschalreise- und Urhebervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . .

109

§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

A.

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

B.

Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie . . . . . . . . . . . . .

114

G.

I. Der Regress in der Richtlinie II. Regressfallen

C.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

III. Kompensationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

IV. Regressfallen in der vertraglichen Praxis . . . . . . . . . . . . .

122

V. Zur Reichweite des Umsetzungsgebots . . . . . . . . . . . . . .

125

VI. Zur Disponibilität des Regressrechts . . . . . . . . . . . . . . .

126

Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland . . . .

129

I. Unselbständiger und selbständiger Regress . . . . . . . . . . . .

129

II. Beweislastumkehr zugunsten des Regressgläubigers . . . . . . .

132

III. Verjährung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

IV. Neuwaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

V. Regresshaftende: Zulieferer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

. . . . . . . . . . . . . . .

142

VII. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichwertiger Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI. Verbrauchereigenschaft des Kunden

144 144 147

D.

Positiv zwingendes Recht in Vertragsketten (Raupentheorie) . . . .

149

E.

Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . .

152

I. Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

III. England, Irland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Regressvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Specific performance und Fristsetzung . . . . . . . . . . . .

156 156 160

IV. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

V. Italien F.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Herstellerhaftung

163

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

I. Die Lager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

XII

Inhalt

II. Das Grünbuch der Europäischen Kommission von 1993 . . . . III. Frankreich . . . . . . 1. Die action directe 2. Non-cumul . . . 3. Regressrecht . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

169

. . . .

172 172 180 183

IV. Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Action directe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Händlerregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 184 185

V. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

VI. Spanien

. . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188

VII. Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

VIII. Schweden und Finnland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

Regress und Herstellerhaftung in Europa . . . . . . . . . . . . . . .

195

§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts: für und wider die Herstellerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

A.

Sachliche Gründe

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

B.

Warenvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

C.

Qualitäts- und Werbeverantwortung (Mangelverantwortung) . . . .

202

D.

Zur Untauglichkeit der Regresslösungen

. . . . . . . . . . . . . . .

205

E.

Regress und Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

208

F.

Nachträgliche Werbeangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

G.

Lösung des Regressproblems durch die Herstellerhaftung? . . . . .

213

H.

Verbraucherschutz durch Herstellerhaftung? . . . . . . . . . . . . .

215

I.

Herstellerhaftung und Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

I. Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

G.

II. Der aktive Verbraucher

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

J.

Praktikabilität und Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

K.

Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht . . . . . . . . . . . . .

222

I. Fehlerhaftung zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht II. Ökonomische Analyse . . . . . . 1. Methode . . . . . . . . . . . . 2. Der homo oeconomicus . . . 3. Lex lata, lex ferenda . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

222

. . . .

227 227 228 231

. . . .

. . . .

. . . .

XIII

Inhalt

L.

III. Anreize: Prävention und Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . .

232

IV. Versicherungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234

V. Gewährleistung als Qualitätssignal . . . . . . . . . . . . . . . .

235

VI. Das Ergebnis des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

I. Schutz des Handels, Entlastung des Handelsrechts

. . . . . . .

237

II. Übermäßige Belastung der herstellenden Industrie? . . . . . . .

239

§ 8: Konstruktion

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A.

Vier Möglichkeiten

B.

Vertragliche Lösungsversuche

C.

D.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241 241

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

I. Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

II. Herstellergarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

244

III. Faktisches Vertragsverhältnis (sozialtypisches Verhalten) . . . .

247

Teilnahme am fremdem Vertrag

249

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

II. Action directe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250

Verzicht auf vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers .

251

I. Vertraglich vereinbarte und gesetzlich vermutete Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251

II. Schuldner: Hersteller und Zwischenhändler . . . . . . . . . . .

253

E.

Gesetzlicher Schadensersatzanspruch: erweiterte Produkthaftung

.

254

F.

Kaufvertrag des Verbrauchers: Akzessorietät . . . . . . . . . . . . .

256

G.

Beschränkung auf heteronome Elemente

. . . . . . . . . . . . . . .

257

H.

Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht . . . . . . .

258

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258

II. Rechtsvergleichende Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259

III. Netzkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261

IV. Leistungsverbünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263

V. Dritte Spur: Sonderbeziehung („Marktbeziehung“) . . . . . . .

267

VI. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte I.

. . . . . . . . . . . . . .

269

Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

I. Äquivalenz und Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

II. Vertragslose Erfüllungshaftung: falsus procurator . . . . . . . .

274

XIV

Inhalt

III. Nacherfüllung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275

IV. Rücktritt und Rückabwicklungsverhältnis . . . . . . . . . . . .

275

V. Minderung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

J.

Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

K.

Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

L.

Gemeinschaftskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279

M. Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

I. Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher

. . . . . . . . .

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II. Rückgriffsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 9: Alte Prinzipien für neues Recht

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

Register

303

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Abkürzungen A.C. a.E. a.F. ABGB ABl. EG Abs. AcP AfP AGB Anm. d. Verf. AnwBl Art. Aufl. BB Bd. BGB BGH BGHZ BörsG bspw. bzw. ca. CISG DB ders. dgl. DNotZ DZWir Eds. EBLR ecolex EG

Appeal Cases (House Of Lords, England) am Ende alter Fassung Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Presserecht – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Allgemeine Geschäftsbedingungen Anmerkung des Verfassers Anwaltsblatt Artikel Auflage Betriebs-Berater – Zeitschrift für Recht und Wirtschaft Band Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland) Bundesgerichtshof (Deutschland) amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Börsengesetz beispielsweise beziehungsweise circa United Nations Convention on contracts for the international sale of goods Der Betrieb – Wochenschrift für Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht derselbe dergleichen Deutsche Notarzeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Editors (Herausgeber) European Business Law Review Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (Österreich) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; konsolidierte Fassung mit den Änderungen von Amsterdam vom 2. 10. 1997

XVI EGV Einl. endg. engl. EU EuR EUV EuZW EVÜ

EWS f. ff. Fn. GbR gem. ggf. GRUR Hrsg. i.e. i.S. i.S.v. i.V.m. IHR JBl JuS JZ KritV m. Anm. v. m. w. Nachw. MDR MünchKomm NJW NJW-RR Nr. OR PflVersG ProdHaftG RabelsZ RE RGZ

Abkürzungen

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; Maastrichter Fassung vom 1. 1. 1995 Einleitung endgültig (Kommissionsdokumente) englisch Europäische Union Europarecht (Zeitschrift, Deutschland) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Europäisches Schuldvertragsübereinkommen) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht – Betriebs-Berater für Europarecht folgende fortfolgende Fußnote Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (Deutschland) gemäß gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Herausgeber id est („dies ist“, „dies bedeutet“) im Sinne im Sinne von in Verbindung mit Internationales Handelsrecht – Zeitschrift für das Recht des internationalen Warenverkaufs und -vertriebs Juristische Blätter (Österreich) Juristische Schulung (Deutschland) Juristenzeitung (Deutschland) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Deutschland) mit Anmerkung von mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer Obligationenrecht (Schweiz) Pflichtversicherungsgesetz (Deutschland) Produkthaftungsgesetz vom 15. 12. 1989 (Deutschland) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Regierungsentwurf amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen

Abkürzungen

RIW Rs. S. Sec. Slg. sog. u.a. UCC UN UNIDROIT v v. VerbrGK-RL Verf. VersR vgl. Vorbem. z.B. ZEuP ZEuS ZGS ZHR ZIP ZPO

XVII

Recht der Internationalen Wirtschaft (Betriebs-Berater International) Rechtssache Seite Section (engl.) Sammlung so genannt und andere Uniform Commercial Code (USA) United Nations (Vereinte Nationen) Institut International pour l’Unification du Droit Privé, Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts versus (Justiz, England) vom Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf) Verfasser Versicherungsrecht vergleiche Vorbemerkung zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung (Deutschland)

Einleitung A. Grundgedanken Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Frage danach, ob eine unmittelbare Gewährleistungshaftung des Herstellers im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht ein angemessenes Modell darstellen würde. Wer hierzu eine Antwort sucht, sieht sich, noch bevor er sich den Argumenten für und gegen eine derartige Haftung nähern kann, zuallererst mit einem Grundsatz konfrontiert, der in sämtlichen Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten gilt und einer solchen Haftung von vornherein im Wege zu stehen scheint: der Relativität der Schuldverhältnisse. Eine Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht wäre gleichbedeutend mit unmittelbaren belastenden Wirkungen des Verbrauchsgüterkaufvertrags gegenüber einem Dritten, und dies widerspricht, prima facie, dem normativen Gehalt des Relativitätsprinzips, dem zufolge Verträge ihre Wirkung grundsätzlich nur inter partes entfalten können. Der Relativitätsgrundsatz ist jedoch in seinen Grenzen und hinsichtlich seiner Ausnahmen seit jeher nicht ganz gesichert, weswegen er auf seinen Geltungsgrund hin untersucht werden soll. Es wird gezeigt werden, dass das Relativitätsprinzip seinen Grund in der Selbstbestimmung des Einzelnen hat: Vertragsparteien können nicht autonom Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen, die, ebenso wie sie, selbstbestimmt sind. Die Relativität von Schuldverhältnissen verbietet in ihrem normativen Gehalt mit anderen Worten Eingriffe durch Selbstbestimmung in die Selbstbestimmung Anderer. Sie richtet sich damit gegen die Fremdbestimmung unter Gleichen und markiert zugleich die personalen Grenzen der zulässigen rechtsgeschäftlichen Ausübung des menschlichen Willens. Wenn der Relativitätsgrundsatz seine Wurzel im Autonomieprinzip hat, so muss dies allerdings im Umkehrschluss bedeuten, dass heteronomes Schuldrecht als nicht von den Parteien, sondern vom Gesetzgeber oder Richter hergestelltes Recht dem normativen Gehalt des Relativitätsprinzips nicht unterliegt. Denn eine „Fremdbestimmung unter Gleichen“ liegt im Falle heteronomen Schuldrechts nicht vor. Hieraus folgt beispielsweise schon im geltenden deutschen Recht, dass vertragliche Schuldverhältnisse grundsätzlich nur relativ wirken, weil sie auf autonomer Entscheidung beruhen, während gesetzliche Schuldverhältnisse vertragsunabhängig entstehen, darum potentiell für und gegen jedermann wirken können und

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Einleitung

sich bei ihnen die Frage einer „Drittwirkung“ gar nicht stellt. Sie bilden eine Erscheinungsform heteronomen Schuldrechts, und aus dessen Perspektive gibt es keine „Zweiten“ bzw. „Dritten“, sondern nur unmittelbar Rechtsunterworfene. Rechtstechnisch gesehen ist damit nicht die Drittwirkung, sondern die Adressierung die entscheidende Frage im Umkreis heteronomen Rechts. Heteronomes Schuldrecht kann jedoch – ebenfalls bereits nach geltendem Recht – auch im rechtsgeschäftlichen Bereich potentiell Drittwirkungen entfalten, ohne am Relativitätsgrundsatz gemessen zu werden. Dies lässt sich am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, aber auch – allgemeiner – an der Wirkung weiterer Verhaltenspflichten in vertraglichen Schuldverhältnissen erkennen. Diese Rechtsinstitute berühren auch Vertragsfremde, wobei es nicht darauf ankommt, ob man die jeweiligen Herleitungen auf ergänzende Vertragsauslegung, auf Treu und Glauben oder, in Deutschland seit der Schuldrechtsreform, auf das Gesetz stützen möchte – jede dieser Begründungen fußt auf heteronomem Recht. Der Gedanke, dass der Relativitätsgrundsatz sich aus der Selbstbestimmung des Einzelnen herleitet und durch sie beschränkt wird, müsste folglich auch im Vertragsrecht und dort insbesondere für Leistungspflichten und andere Elemente gelten: Wenn der Geltungsgrund der Relativität die Autonomie der Privatrechtssubjekte ist, dann hat dies zur Konsequenz, dass das Relativitätsprinzip dort nicht gilt, wo es um die Wirkung jedweder heteronomer Elemente in Schuldverhältnissen geht, also aller Elemente, die von außen in das Schuldverhältnis Eingang finden und in ihm fortwirken. Hieraus folgt eine doppelte Beschränkung des Relativitätsprinzips: Zum ersten sollte – anders als im deutschen Recht und eher wie im französischen bzw. englischen – von einer „Relativität der Schuldverhältnisse“ nicht gesprochen werden; passender wäre vielmehr der Terminus „Relativität von Vertragsverhältnissen“, denn wer in der Konzeption des deutschen Bürgerlichen Rechts den Vertrag vom Schuldverhältnis subtrahiert, erhält pure Heteronomie. Zum zweiten – und dies betrifft nun das Vertragsrecht insgesamt, insbesondere auch das europäische Vertragsrecht – ist die normative Wirkung des Relativitätsgrundsatzes auch innerhalb der Vertragsverhältnisse auf autonome Elemente zu begrenzen, also auf solche Elemente, deren Quelle die autonome Parteientscheidung ist. Von diesem Zwischenergebnis führt der Weg zur Frage der Herstellerhaftung: Das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht ist über weite Strecken heteronomer Natur; die Frage nach dem oder den Adressaten der Gewährleistungshaftung unterliegt darum nicht dem Relativitätsgrundsatz, sondern vielmehr dem Gebot einer sachlichen Begründung für und gegen „Dritt-Wirkungen“ (die im Falle des heteronom strukturierten Verbrauchsgüterkaufrechts tatsächlich keine Drittwirkungen, sondern unmittelbare Wirkungen sind). Da der Gesetzgeber mit heteronomem Schuldrecht ohnehin in irgendjemandes Selbstbestimmung eingreift, hat er zu rechtfertigen, wer von diesem Eingriff betroffen ist. Die Frage ist hinsicht-

B. Struktur

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lich der Herstellerhaftung im Verbrauchsgüterkaufrecht also nicht, ob die Vertragsparteien Drittwirkungen auslösen, sondern wen der Gesetzgeber adressiert, wenn er Privatautonomie beschränkt. Unter dieser argumentativen und methodischen Voraussetzung spricht vieles für die Angemessenheit einer Herstellerhaftung im europäischen Gewährleistungsrecht; unzulässig wäre es zumindest, eine solche mit der schlichten Berufung auf den Relativitätsgrundsatz abzulehnen. Die Argumente für die Herstellerhaftung überwiegen insbesondere unter zwei Aspekten: Zum einen lassen sich wesentliche Gesichtspunkte des Produkthaftungsrechts auf heteronom begründetes Gewährleistungsrecht übertragen, zum anderen wird die Regressproblematik in der Handelskette vermieden und mit ihr die Ausweitung zwingenden Rechts durch die Vertragsketten hindurch in das Privat- und Handelsrecht hinein (Raupentheorie). Möchte man diesen Gedanken folgen und die Herstellerhaftung in das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht einführen, stellt sich die Frage nach ihrer systematischen Verortung, was wiederum eine Bestimmung des Verhältnisses von gesetzlichem und vertraglichem Schuldrecht erfordert: Immerhin läge in der Herstellerhaftung eine gewährleistungsrechtliche Produkthaftung, was für die bestehende Privatrechtsdogmatik nach einem Widerspruch in sich klingt. Dieser Widerspruch wird aufzulösen sein. Wer Heteronomie als potentiell gegenüber jedermann geltenden Tatbestand anerkennt, kann dies schließlich auch hinsichtlich der Tatbestände und Rechtsfolgen tun: Es gibt kein a priori bestehendes Argument für eine Beschränkung der Wirkungen heteronomer Vertragselemente auf Integritätsverletzungen und Schadensersatz; insbesondere ist der Relativitätsgrundsatz in diesem Zusammenhang irrelevant.

B. Struktur Entlang den gerade dargestellten Grundgedanken wird in § 1 der Zusammenhang zwischen dem europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht und dem privatrechtlichen Relativitätsprinzip beleuchtet, um die Fragestellung dieser Arbeit zu eröffnen. Im Anschluss wird der normative Gehalt des Relativitätsgrundsatzes auf seine Wurzel, das Autonomieprinzip, zurückgeführt; hiermit verbindet sich ein Blick auf die Ausnahmen, insbesondere in Gestalt des Vertrags zugunsten Dritter (§ 2). Die Arbeit wendet sich dann dem Bereich des heteronomen Rechts zu (§ 3) und führt am geltenden deutschen Schuldrecht die Grundthese durch, dass Außenwirkungen von Verträgen, abseits der zuvor behandelten Ausnahmen, die Heteronomie der außenwirkenden Elemente voraussetzen. Dies führt zu einem kurzen Zwischenfazit hinsichtlich der Geltung des Relativitätsgrundsatzes und zu seiner doppelten Beschränkung (§ 4).

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Einleitung

Hieran schließt sich eine Untersuchung des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts, wie es die Richtlinie 1999/44/EG eingeführt hat, hinsichtlich seiner heteronomen Elemente an. Die Heteronomie des Verbrauchsgüterkaufrechts ist eine spezifische: Es handelt sich um „positiv zwingendes Recht“, das in Vertragsketten eine besondere Außenwirkungskraft entfaltet (§ 5). Die Konsequenz dieser Außenwirkungskraft, das Regressproblem, wird in § 6 behandelt; hierbei wird ein rechtsvergleichender Blick auf die Lösungsversuche in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geworfen, unter anderem auf diejenigen, in welchen eine gewährleistungsrechtliche Herstellerhaftung existiert. Die sich hieran anschließende Betrachtung des Für und Wider der unmittelbaren Herstellerhaftung (§ 7) wird zu dem Schluss führen, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Gründe dafür spricht, sie einzuführen. Hieraus ergibt sich die Frage, wie sich ein derartiger Anspruch so konstruieren ließe, dass er einerseits in die bestehende schuldrechtliche Systematik eingepasst werden könnte und andererseits streng auf heteronome Elemente des Gewährleistungsrechts beschränkt bliebe, um nicht gegen das Relativitätsprinzip zu verstoßen (§ 8). In einem abschließenden Ausblick (§ 9) werden die Auswirkungen des Zusammenspiels von Heteronomisierung und zunehmender Außenwirkung des Schuldrechts reflektiert.

§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip Auf den ersten Blick mag zwischen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie1, die eine Zweipersonenbeziehung regelt, und dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse, der sich mit deren Drittwirkung befasst, weder eine zwingende noch eine unmittelbare Beziehung bestehen. Tatsächlich jedoch berühren das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht und das Relativitätsprinzip einander in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist die Richtlinie bislang von einem reinen Vertragsmodell und, im weiteren Verlauf der Lieferkette, vom Regressmodell geprägt: Nur der Letztverkäufer eines Verbrauchsguts haftet dem Verbraucher gegenüber für dessen Mangelfreiheit2, und gesetzt den Fall, er ist selbst nicht für den Mangel verantwortlich, hat er seinerseits gegenüber seinem Lieferanten Regress zu nehmen; dieser wiederum tut das gleiche bei seinem Vertragspartner, bis die Gewährleistungshaftung durch die Vertragskette hindurch zum Verantwortlichen, also beispielsweise bis zum Hersteller, hindurchgereicht ist. Dies entspricht dem vom Relativitätsprinzip geprägten Vertragsrecht: Da der Kaufvertrag als Grundlage der Gewährleistungshaftung verstanden wird, hat jedes Glied innerhalb der Lieferkette nur seinen jeweiligen Vertragspartner als Schuldner. Eines ist in diesem Modell nicht enthalten: ein unmittelbarer Anspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller oder gegen einen anderen Mangelverantwortlichen innerhalb der Lieferkette. Derartige Ansprüche existieren jedoch in verschiedenen Mitgliedstaaten der Union, insbesondere als action directe in Frankreich, Belgien und Luxemburg, weiterhin in Skandinavien sowie seit neuem in Portugal und Spanien, und auch die Europäische Kommission hätte es noch im Jahre 1993 vorgezogen, dass „der Verkäufer und der Hersteller gemeinsam für die gesetzlich verankerte Garantie verantwortlich“, also gewährleistungsrechtlich haftbar sein sollten3. 1 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter; ABl. EG L 171 v. 7. 7. 1999, S. 12. 2 „Dieser klassische Grundsatz ist in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verankert.“, Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 3 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993; hierzu Grundmann, in: Grundmann/

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§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip

Auf Gemeinschaftsebene gab es seinerzeit also Bestrebungen, die Gewährleistungshaftung über die unmittelbare Vertragsbeziehung hinaus auszudehnen. Hierzu ist es später, wie gesagt, nicht gekommen, da man sich im Rahmen der Richtlinie für das reine Vertragsmodell und gegen die unmittelbare Herstellerhaftung entschieden hat. Aus der Welt ist diese Rechtsfigur damit jedoch noch nicht, wie aus zwei Umständen geschlossen werden kann: Zum einen nimmt die Zahl der Mitgliedstaaten zu, in welchen der Hersteller dem Verbraucher gegenüber unmittelbar gewährleistungsrechtlich verantwortlich ist, und zum anderen behält sich der europäische Normgeber in Artikel 12 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie die künftige Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung vor: „Die Kommission überprüft die Anwendung dieser Richtlinie spätestens zum 7. Juli 2006 und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht vor. In dem Bericht ist unter anderem zu prüfen, ob Veranlassung besteht, eine unmittelbare Haftung des Herstellers einzuführen; der Bericht ist gegebenenfalls mit Vorschlägen zu versehen.“4

„Produkthaftung für Sachmängel“ bleibt fürs erste also ein Thema des Europäischen Privatrechts. Die Entwicklung ist im Fluss; bislang sind nur Prognosen möglich. Eine dieser Prognosen könnte allerdings lauten: Die Herstellerhaftung wurde nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Einen Teil ihrer Nahrung bezieht diese Prognose daraus, dass die Entwicklung vor dem Hintergrund eines Meinungsbildes innerhalb der europäischen Rechtswissenschaft stattfindet, das der Herstellerhaftung nicht gänzlich abgeneigt zu sein scheint5.

Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 13; ferner Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 77. 4 Ergänzt wird diese Vorschrift durch Erwägungsgrund Nr. 23 der Richtlinie: „(...) Angesichts dieser Entwicklung und der zu erwartenden Erfahrung mit der Durchführung dieser Richtlinie kann es sich als notwendig erweisen, eine stärkere Harmonisierung in Erwägung zu ziehen, die insbesondere eine unmittelbare Haftung des Herstellers für ihm zuzuschreibende Mängel vorsieht.“ 5 Beispielsweise Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 43; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 16: „... starke Argumente für die Einführung eines Direktanspruchs des Verbrauchers (auch) gegen den Hersteller“; Grundmann, Internationalisierung und Reform des deutschen Kaufrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (311); M. Lehmann, Informationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280 (291); Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 62; Zaccaria, Umsetzungsüberlegungen zur KaufgewährleistungsRichtlinie in Italien, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 181 (194); Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136); Schnyder/Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (17); Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 649; Befürwortend auch die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5 (7), 2.5.

§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip

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Was war der Grund dafür, sich gegen die Herstellerhaftung im Gewährleistungsrecht zu entscheiden? Es mögen Fragen der Vertragsfreiheit eine Rolle gespielt haben, ebenso die Sorge um eine trennscharfe Unterscheidung von Vertrags- und Deliktsrecht (Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht). Diese Rolle war allerdings untergeordnet: Die Ablehnung der Herstellerhaftung auf Gemeinschaftsebene beruhte vor allem auf der Sorge vor einem Verstoß gegen das vertragsrechtliche Relativitätsprinzip6: Eine Rechtsordnung, die es gestattet, dass ein Hersteller, der nicht selbst Letztverkäufer ist, vom Verbraucher für die Mangelhaftigkeit eines Verbrauchsguts in Anspruch genommen wird, setzt diesen Hersteller einer Haftung für fremdvereinbarte Äquivalenzinteressen aus. Verbraucher und Letztverkäufer hätten dann einen Vertrag zu Lasten Dritter geschlossen, und dies wäre, prima facie, ein Verstoß gegen den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen und bereits im römischen Recht enthaltenen7 Grundsatz der Relativität der Vertragsverhältnisse. Dieser prinzipielle Einwand lässt die Einführung einer gewährleistungsrechtlichen Herstellerhaftung aus Sicht der Privatrechtsdogmatik als nahezu unmöglich erscheinen; dies ist allerdings nicht das letzte Wort zum Thema. Neben dieser ersten, eher aktuell motivierten Berührung von Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip gibt es eine zweite, die der ersten zugrunde liegt und damit auf einer prinzipielleren Ebene angesiedelt ist: Wann immer nämlich in vertraglichem Zusammenhang rechtliche Haftung und tatsächliche Verantwortung auseinander fallen, stellt sich die Frage von Drittwirkungen; dies liegt in der Natur der Sache. Wenn also davon ausgegangen werden kann, dass der Rechtsgrund für die Gewährleistung in vielen Fällen beim Hersteller eines Verbrauchsguts liegt, die unmittelbare Haftung jedoch in allen Fällen beim Letztverkäufer dieses Guts, treten Fragen der Drittwirkung und damit der Relativität von Schuldverhältnissen von ganz alleine, quasi automatisch auf; die Diskussion um die Herstellerhaftung ist erst die Folge hiervon. Deutlich wird dieser Mechanismus an der Problematik um den Regress des Letztverkäufers8: Das Rechtsverhältnis zwischen Verbraucher und Letztverkäufer muss, wenn Haftung und Verantwortung auseinander fallen, irgendeine Konsequenz für weitere Mitglieder der Lieferkette haben. Diese Konsequenz kann nur eine Form von Drittwirkung darstellen, weswegen sie dazu zwingt, über Relativität nachzudenken. Was bedeutet es beispielsweise, dass – nach geltendem deutschen Regressrecht9 – ein Einzelhändler, möglicherweise zufällig, darüber entscheidet, welche Vorschriften auf den zwischen seinem Lieferanten und dessen Lieferanten geschlos6 So auch die Einschätzung von Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 17. 7 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 266. 8 Art. 4, Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. Ausführlich hierzu ab S. 114. 9 § 478 BGB.

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§ 1: Europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht und Relativitätsprinzip

senen Kaufvertrag anwendbar sind, und zwar je danach, an wen er selbst verkauft10? Ist diese Einwirkung auf fremde Verträge eine Drittwirkung, und ist sie mit dem Relativitätsgrundsatz vereinbar? Und warum soll der Vertrag zwischen einem Hersteller und seinem ersten Abnehmer ausgerechnet im Falle nachträglicher Werbeangaben Schutzwirkung zugunsten des Letztverkäufers entwickeln11? Das Relativitätsprinzip ist, soviel lässt sich sagen, in seiner Reichweite und in seinen Grenzen alles andere als gesichert12: Drittwirkungen von Verträgen bzw. Schuldverhältnissen sind zwar inzwischen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft anerkannt, hauptsächlich in Gestalt des Vertrags zugunsten Dritter13. Unter welchen Voraussetzungen sie jedoch zulässig sind und wie weit sie äußerstenfalls reichen dürfen, ist schon im deutschen Recht nicht vollständig geklärt, geschweige denn auf Gemeinschaftsebene. Es soll darum nun ein Blick auf den Relativitätsgrundsatz geworfen werden. Was ist seine Wurzel, was erlaubt er den Vertragsparteien, und was erlaubt er dem Gesetzgeber? Möglicherweise lässt sich das Relativitätsprinzip ja auf eine Weise begründen bzw. begrenzen, die auch innerhalb des europäischen Rechtsraums konsensfähig wäre. Dies könnte wiederum Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage geben, ob eine Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht denkbar oder von vornherein als unzulässig, da mit wesentlichen privatrechtlichen Prinzipien unvereinbar, auszuschließen wäre.

10 Verkauft er an einen Verbraucher, gilt in der gesamten Handelskette besonderes Regressrecht, falls nicht, allgemeines Gewährleistungsrecht; hierzu unten S. 142f. 11 Vgl. Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 11; M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228); zur Problematik der nachträglichen Werbeangaben unten S. 209. 12 Für das deutsche Recht Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 54. 13 Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, RIW 2001, 409 (413).

§ 2: Relativität und Selbstbestimmung A. Normative Relativität Dass Verträge im Grundsatz nur relativ, inter partes, wirken und nur in Ausnahmefällen Drittwirkungen entfalten, ist ein hergebrachter privatrechtlicher Konsens1. Schon im römischen Recht gehörte die zwischen Gläubiger und Schuldner bestehende persönliche Beziehung, das vinculum iuris, zum Verständnis der obligatio, was für das römische Recht dazu führte, dass weder die direkte Stellvertretung noch gar ein Vertrag zugunsten Dritter möglich waren2. Das Fundament dieses Konsenses hat jedoch an Festigkeit eingebüßt. Die Geschichte fast aller Privatrechtsordnungen lässt sich als eine Geschichte der Vordringens von Drittwirkungen und Drittbeziehungen lesen3, und dieser Prozess setzt sich fort: „Die Tendenz zur Annahme von Drittbeziehungen im Schuldverhältnis nimmt zu“4. Schuldverhältnisse sind „in der Gegenwart in einem Ausmaß beweglich geworden, das früheren Zeiten geradezu unvorstellbar war“5. Diese Zunahme an Beweglichkeit, die Öffnung eines bipolar strukturierten Vertragsrechtssystems gegenüber Dritten ist zum einen ein Ergebnis sozialer Entwicklungen: So diente der Vertrag zugunsten Dritter, der gewissermaßen den historischen Ausgangspunkt aller Drittwirkungen darstellt, im Beginn seiner Entwicklung vor allem Versorgungszwecken6, und auch einer Rechtsfigur wie den in Deutschland anerkannten vertraglichen Schutzwirkungen für Dritte lässt sich, mit etwas gutem Willen, ein gewisser Versorgungscharakter zuschreiben, nämlich „gegenüber den Folgen von Schädigungen“7. 1 Vgl. für das deutsche Recht nur Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 15ff.; MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 15; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 30; Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 8; Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 54; Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 184. 2 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, S. 90; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 266. 3 Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, RIW 2001, 409 (413). 4 Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (622). 5 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 12. 6 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 219. 7 So zumindest Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (622).

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

Hierzu gesellen sich weitere, allgemeinere Gesichtspunkte: Rechtsbeziehungen sind heute oft Massengeschäft; der Vertrag ist, auch wenn er rechtstechnisch nur die Beziehung zwischen zwei Parteien regelt, häufig nur eines von zahlreichen Gliedern einer ihn an beiden Enden überragenden Kette, aus der er einen großen Teil seiner Funktion bezieht8. Dies ist eine Folge der wirtschaftlichen, zunehmend durch Arbeitsteilung gekennzeichneten Entwicklungen und damit der Moderne insgesamt9. Spiegelbildlich zu diesem Verlust an Individualität der Rechtsbeziehungen wächst ihre Komplexität, und damit ihre tatsächliche Wirkung gegenüber Dritten: „Zwar ist die Sachproblematik auch in einfacheren wirtschaftlichen Verhältnissen durchaus greifbar (Mietverträge, in deren Genuss auch Familienmitglieder des Mieters kommen, gab es schon vor Jahrtausenden), doch wird sie wirklich virulent erst, wenn in komplexen wirtschaftlichen Verhältnissen zunehmend deutlicher wird, dass Schuldverhältnisse Dritte gefährden können, weil sie Vorgänge auslösen, die nicht auf den Gläubiger und den Schuldner beschränkt bleiben, aber auch, dass Dritte für Schuldverhältnisse Rollen spielen können, deren Bedeutung den Rollen des Gläubigers und des Schuldners gleichkommen, ja diese noch übertreffen kann.“10

Die deutsche und andere Rechtsordnungen haben hierauf mit der zunehmenden Anerkennung von Drittwirkungen – mit einer Öffnung des Vertragsrechtssystems – geantwortet, die sich allerdings stets damit auseinandersetzen musste, gegen grundlegende Prinzipien des Privatrechts zu verstoßen, und aus diesem Grund unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck stand; dies lässt sich bis in die jüngste Zeit beobachten, beispielsweise an den Auseinandersetzungen um den Rights of Third Parties Act von 1999 in England11. Der Relativitätsgrundsatz selbst bleibt jedoch aufgrund „angeblich unüberwindbare(r) Widerstände des juristischen Denkens“12 unangetastet; gestritten wird in erster Linie um seine Durchbrechungen. Nicht die Regel, sondern ihre Ausnahmen stehen zur Diskussion, und dies lässt sich so auch für die anderen europäischen Rechtsordnungen sagen13. Anschaulich beschreiben Zweigert/Kötz das Hindernis, dem sich die Fortentwicklung des Relativitätsprinzips gegenüber sieht, als „jene bildliche ‚körper8 Grundmann, Internationalisierung und Reform des deutschen Kaufrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (311). 9 Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung (1893). 10 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 462. 11 Hierzu unten S. 22ff. 12 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 461. 13 Vgl. nur exemplarisch zum englischen Recht Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8 (14); Jewell, An Introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rdn. 140ff.; zum französischen Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 60; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 210; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 653.

A. Normative Relativität

11

weltliche‘ Betrachtungsweise, die den Vertrag als ein die Parteien verbindendes Band (...) auffasst und sich deshalb nur schwer dazu verstehen kann, dass auch vertragsfremde Dritte am Vertrage auf bestimmte Weise teilhaben könnten“. Diese Betrachtungsweise sei einerseits zwar nützlich, andererseits jedoch auch „nicht ungefährlich, weil sie zu Bildern gelangen kann, die zwar einprägsam sind, sich aber dennoch auf die Dauer als schief erweisen. Hierher gehört das Bild vom Vertrag als einem streng zweiseitigen ‚vinculum iuris‘ und mit ihm das daraus hergeleitete Dogma des Common Law von der ‚privity of contract‘.“14 Die Herausforderung für das Privatrecht scheint somit in einer nur schwer zu überwindenden Antinomie zu liegen, nämlich derjenigen zwischen Relativitätsprinzip einer- und Drittwirkungen andererseits: Das Prinzip wird nicht bezweifelt, seine Ausnahmen sind jedoch ebenfalls anerkannte Realität. Es scheint so, als gäbe es bis heute keine allgemeine Theorie, die Relativitätsprinzip und Drittwirkungen gleichermaßen in sich aufnehmen könnte. „Eine umfassende Lehre der schuldrechtlichen Außenwirkungen fehlt noch“, führt Fikentscher an15, und Gernhuber stellt, wesentlich weitergehend, das Prinzip als Prinzip in Frage: Der Sache nach gehe es bei der Relativität der Schuldverhältnisse um nichts anderes als um „zeitgebundene Wertung und zweckmäßige Regelung“. Weder die Rechtslogik noch die Privatautonomie schlössen, so Gernhuber, Drittwirkungen von vornherein zwingend aus16. Ob dies zutrifft, soll nun untersucht werden, und eine derartige Untersuchung hat die Aufgabe, den Gehalt des Relativitätsprinzips zu bestimmen. Dieser zu ermittelnde Gehalt des Relativitätsprinzips muss normativer Natur sein; dies ergibt sich aus der Natur der Fragestellung nach der Zulässigkeit von Drittwirkungen innerhalb des Relativitätsprinzips. (Nur wenn es normativen Gehalt hat, verdient es zudem die Bezeichnung „Prinzip“ oder „Grundsatz“.) Nicht ausreichen kann es darum, die Relativität der Schuldverhältnisse zu beschreiben (deskriptiver Aspekt der Relativität)17. Eine solche existiert ja zweifelsohne, und im deutschen Recht ist sie in § 241 Abs. 1 BGB normiert: „Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern.“ Das Schuldverhältnis18 bindet Schuldner und Gläubiger durch die Forderung (den schuldrechtlichen Anspruch19), und nur diese beiden Perso-

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Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 455. Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 54. 16 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 461. 17 Hierzu Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 4, 11; vgl. jedoch auch die diesbezügliche Rezension von Schmidt, AcP 190 (1990), 650 (651), der den Eindruck hat, „dass das Explikans ebenso leer ist wie das Explikandum“. 18 „Im engeren Sinne“; Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 199ff.; Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 26; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 3. 19 J. Schmidt, AcP 190 (1990), 650; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 6. 15

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

nen sind miteinander durch die Forderung verbunden. Beschrieben wird hiermit nichts anderes als das oben von Zweigert/Kötz genannte vinculum iuris20. Diese Beschreibung ist aufgrund ihres tautologischen Charakters für alle Forderungsbeziehungen ebenso unbestreitbar zutreffend wie für die hier aufgeworfenen Fragen nutzlos. Hier soll dem nachgegangen werden, was sich als Antinomie von Relativitätsgrundsatz und Drittwirkungen darzustellen scheint. Diese Untersuchung ist auf der Suche nach einem Verbot: Gibt es, in den Worten Gernhubers, einen zwingenden, von „zeitgemäßer Wertung“ unabhängigen Ausschlussgrund für bestimmte Drittwirkungen, und gibt es – im Verbrauchsgüterkaufrecht – einen ebenso zwingenden Grund, die unmittelbare Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher abzulehnen? Dies alles kann nur normativ beantwortet werden: Die Frage verlagert sich damit einerseits – über die reine Forderungsbeziehung hinaus – auf jedwede Form von Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit Schuldverhältnissen21, und andererseits auf den Rechtsgrund für deren Entstehung. Denn mit der Aussage, dass bereits entstandene Rechtsbeziehungen relativ wirken, ist noch nicht die Frage beantwortet, wer zulässigerweise von ihnen betroffen ist, und erst die Beantwortung dieser Frage gibt Auskunft über erlaubte oder verbotene Drittwirkungen. Damit ist der Relativitätsgrundsatz noch nicht bestimmt. Es ist lediglich festgestellt, welche Frage er in normativer Hinsicht zu beantworten hätte, worin sein Verbot läge: Normativer Gehalt des Relativitätsgrundsatzes wäre die personale Grenzziehung für von Privaten bewirkte Verpflichtungs- und Berechtigungswirkungen22.

20 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 15ff.; MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 15; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 30; Grüneberg, in: Bamberger/ Roth, 2003, § 241 Rdn. 8. 21 Im deutschen Schuldrecht würde man vom Schuldverhältnis im weiteren Sinne, dem „Bündel von Rechten und Pflichten“ sprechen (Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 9; Staudinger/J. Schmidt, 1995, Einl. zu § 241 Rdn. 199ff.; vgl. auch Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 26; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 3; Schapp, Empfiehlt sich die „Pflichtverletzung“ als Generaltatbestand des Leistungsstörungsrechts?, JZ 2001, 583, 584). Dieser Begriff soll im Folgenden aus drei Gründen jedoch nicht verwendet werden: Zum ersten ist er keinem Rechtsvergleich und keiner Untersuchung des europäischen Privatrechts zugänglich, zum zweiten vernebelt er die Pflichtenkonstellation eher als dass er sie verdeutlicht, denn er ist ohne eine Definition des Leistungsbegriffs nicht zu verstehen, weswegen man unmittelbar dazu gezwungen ist, auch über nicht-leistungsbezogene Pflichten (Bündel) nachzudenken. Drittens ist es eine klärungsbedürftige Frage, ob nicht auch ein gesetzliches Schutzverhältnis, das sich auf bloße „weitere Verhaltenspflichten“ beschränkt (§ 241 Abs. 2 BGB), diesbezüglich einen Gläubiger und einen Schuldner hat. Dann aber besteht zwischen dem Schuldverhältnis im engeren und im weiteren Sinne kein Unterschied mehr. 22 Jürgen Schmidt spricht, der Sache nach treffend, jedoch etwas allgemeiner als hier, von der Frage, „wen die Rechtsfolgen von Tatbeständen treffen, die durch Handlungen Privater verwirklicht werden“; Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 434.

B. Der Grund des Relativitätsprinzips

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B. Der Grund des Relativitätsprinzips Wenn der Relativitätsgrundsatz die personale Grenze für die Verpflichtung durch Private setzen soll, so ist eine Bestimmung seines Gehalts nur möglich, indem auf den Grund dieser Verpflichtungsmöglichkeit rekurriert wird. Dieser Grund ist die Vertragsfreiheit, und mit ihr das privatrechtliche Autonomieprinzip, mit dem die Rechtsordnung dem Einzelnen die Möglichkeit an die Hand gibt und anerkennt, die eigenen Rechtsverhältnisse in Selbstbestimmung zu regeln und damit die grundgesetzlich garantierte Handlungsfreiheit23 auch im Privatrechtsverkehr zu verwirklichen24. „Die Idee des Vertrages ist, dass das vertraglich Vereinbarte deshalb gilt, weil die Vertragsschließenden, ein jeder in Selbstbestimmung, vereinbart haben, dass es so Rechtens sein soll.“25

Für das Relativitätsgebot als Begrenzung dieser Möglichkeit bildet das Autonomieprinzip nun die theoretische Grundlage: Wenn die Unterworfenheit unter Rechtsgeschäfte aus der Selbstbestimmung der Beteiligten herrührt, darf dort, wo diese Selbstbestimmung nicht am Werke ist, auch keine rechtsgeschäftliche Unterworfenheit herrschen, was bedeutet, dass nur die privatautonome Entscheidung des einzelnen Rechtssubjekts seine rechtsgeschäftliche Verpflichtung begründen kann. Hieraus begründet sich die personale Grenze der Berechtigung und Verpflichtung von Privaten durch Private. Kraßer hat dies, allerdings in ganz anderem Zusammenhang26, schon im Jahre 1971 treffend formuliert: „Weiter hilft aber der Gedanke, dass hinter dem Relativitätsgrundsatz (...) letztlich die Rücksicht auf die allgemeine Handlungsfreiheit steht. Wenn die Vertragswirkungen auf die 23 Art. 2 Abs. 1 GG; hierzu Mahlmann, Gleichheitsschutz und Privatautonomie, ZEuS 2002, 407 (419); Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (384); Ritgen, Vertragsparität und Vertragsfreiheit, JZ 2002, 114 (116); Thüsing, Tarifvertragliche Chimären – verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Überlegungen zu den gemeinsamen Vergütungsregeln nach § 36 UrhG n.F., GRUR 2002, 203 (206). 24 Statt vieler: Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 1; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 12ff., 27; Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 (277/278); Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 374; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 208, 294; ders., Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (781); ders., Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (115ff.); ders., Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (121); Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 59; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 43. 25 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 7. 26 Anlass war ein Vergleich des französischen und deutschen Rechts hinsichtlich der Verabsolutierung relativer Rechte.

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

Parteien beschränkt bleiben, so deshalb, weil nur diese sich gebunden, ihre eigene Handlungsfreiheit begrenzt haben. Dritte sollen sich ebenfalls frei entscheiden können, ob sie ihre Handlungsfreiheit beschränken wollen; gehen sie keine Bindung ein, so behalten sie nicht nur weiterhin diese Entscheidungsfreiheit, sondern auch ihre Handlungsfreiheit in dem Bereich, auf den sich ein Vertragsschluss hätte beziehen müssen.“27

Vertragsparteien können somit nicht autonom Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen, die, ebenso wie sie, selbstbestimmt sind. Der Relativitätsgrundsatz verbietet mit anderen Worten Eingriffe durch Selbstbestimmung in die Selbstbestimmung Anderer28 und gewährleistet damit auf privatrechtlicher Ebene, neben der Verwirklichung von Selbstbestimmung, nichts anderes als das allgemeine, der Aufklärung und dem Idealismus entstammende Prinzip, „die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit“ in Einklang zu bringen29. Der Relativitätsgrundsatz ist, wie diese Rückführung auf das Autonomieprinzip ergibt, nicht um ein aus sich bestehendes, sondern ein abgeleitetes Prinzip: Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit können somit als Fixpunkte dienen, von denen aus sich das Relativitätsprinzip näher bestimmen lässt. Die menschliche Selbstbestimmung und die aus ihr folgende Maßgeblichkeit des Willens im Privatrecht ist damit Ratio wie Telos des Relativitätsgrundsatzes. Hiermit steht zugleich eine Methodik zur Verfügung, mit der Einzelfragen hinsichtlich der Drittwirkung von Schuldverhältnissen näher getreten werden kann. Diese Rückbindung des Relativitätsgrundsatzes an die Vertragsfreiheit lässt sich weiterhin in zweierlei Hinsicht konkretisieren: Er leitet sich, erstens, aus der negativen Vertragsfreiheit (und innerhalb ihrer der Kontrahentenwahlfreiheit) ab, und zweitens ist jedenfalls nur von formaler, nicht von materialer Vertragsfreiheit die Rede. Zum ersten ist der normative Gehalt des Relativitätsgrundsatzes, wie oben angedeutet, negativer Natur; es geht um eine Grenzbestimmung. Die interessierende Komponente der Privatautonomie ist damit die negative Vertragsfreiheit: Vertragswirkungen erreichen grundsätzlich niemanden, der einer vertraglichen Bindung nicht zugestimmt hat30: „(...) (D)urch private Wertungen (...) können nur die Rechtsverhältnisse der an den privaten Wertungen Beteiligten, nicht aber die Rechtsverhältnisse Dritter ausgestaltet werden; 27 Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 299; hierauf nimmt MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 15 Bezug. 28 Inhaltlich übereinstimmend Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 475; Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 184. 29 So oft zitiert Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA S. 230. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich an der Anerkennung zumindest dieses Prinzips allerdings wenig geändert, vgl. die rechtliche Freiheit als das „Recht auf das größtmögliche Maß gleicher subjektiver Handlungsfreiheiten“ bei Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 481; zum Einfluss des deutschen Idealismus auf die Vertragstheorie vgl. Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 7. 30 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 421.

B. Der Grund des Relativitätsprinzips

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der ‚positiven‘ Vertragsfreiheit der am Rechtsgeschäft Beteiligten steht so die ‚negative‘ Vertragsfreiheit der nicht am Rechtsgeschäft Beteiligten gegenüber.“31

Eigentliches Schutzgut des Relativitätsprinzips ist damit innerhalb der negativen Vertragsfreiheit die Kontrahentenwahlfreiheit32 als die selbstbestimmte Entscheidung darüber, mit wem Bindungen eingegangen werden und mit wem nicht. In Rede steht beim Relativitätsprinzip, mit anderen Worten, nicht die Möglichkeit, sich selbstbestimmt zu binden, sondern das hieraus folgende Recht, nicht fremdbestimmt gebunden zu werden33, und damit die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“34. Vertragsfreiheit und Privatautonomie lassen sich ferner in einem formalen (rein rechtlichen) oder in einem materialen (tatsächlichen) Sinne verstehen35. Der im Zusammenhang mit dem Relativitätsprinzip zugrundeliegende Aspekt der Vertragsfreiheit ist jedenfalls – übrigens gerade wegen seiner Negativität – formaler Natur: Völlig unabhängig davon, inwieweit tatsächliche Entscheidungsfreiheit bestimmter Privatrechtssubjekte in bestimmten Situationen besteht, bewahrt das Relativitätsprinzip den Einzelnen vor Eingriffen Anderer in seine Vertragsfreiheit, also auf einer formalen Ebene davor, dass Andere an seiner Stelle Privatautonomie ausüben, ohne dass es in irgendeiner Form auf Inhalte ankäme. Denn eine inhaltliche Ausübung der geschützten Autonomie findet ja im Rahmen des von der negativen Vertragsfreiheit geschützten Schutzbereichs gerade nicht statt. Der formale Aspekt der Privatautonomie betrifft einzig die „Zuweisung von Entscheidungszuständigkeiten“36, nicht die Entscheidungen selbst. Formale Privatautonomie gewährleistet die Eigenbestimmung als die „formale Befugnis, durch Einigung mit anderen Rechtswirkungen zu begründen“37, und diese ist es, welche das Relativitätsprinzip schützt. Verschiedentlich wird der Relativitätsgrundsatz auf andere Grundlagen gestellt oder mit anderen Akzentuierungen begründet. So sieht insbesondere Henke den Grund für die Relativität von Schuldverhältnissen nicht in der Privatautonomie (die er in diesem Zusammenhang nicht erwähnt), sondern im Gedanken „der Rechtssicherheit, das heißt der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der vertraglich übernommenen Rechte und Pflichten“38. Ähnlich hat übrigens auch der

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Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 434. Hierzu Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 185. 33 Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 59. 34 Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA S. 237. 35 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 (277/278); Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (116). 36 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 294. 37 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 295. 38 Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 11. Auf rechtsgeschäftlichen Willen, Privatautonomie und Handlungsfreiheit wird im genannten Werk weder zur Bestim32

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

BGH in der Entscheidung „Hühnerpest“ das Relativitätsprinzip (zu dem im Urteil selbstverständlich keine allgemeine Theorie zu entwickeln war) auf Fragen der Haftungskalkulation zurückgeführt: „Der Senat hat (...) erneut darauf hingewiesen, dass (...) die Haftung aus einem Vertrag grundsätzlich an das Band geknüpft ist, das den Schuldner mit seinem Partner verbindet. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Schuldner das Risiko, das er bei Abschluss des Vertrags eingeht, nicht mehr einkalkulieren kann.“39

Auch diese Akzentuierung in der Begründung des Relativitätsprinzips führt, so viel sei vorweggenommen, zu einem abgeleiteten Verständnis – nur ist der Punkt, von dem aus die Ableitung stattfindet, ein anderer: Nicht menschlicher Wille und Autonomie, sondern Rechtssicherheit und Kalkulierbarkeit von Risiken bilden hier den gemeinsamen Ausgangspunkt, aus dessen Perspektive sich das Relativitätsprinzip zu erklären versucht. Der Zusammenhang zwischen Relativitätsgrundsatz und der Kalkulierbarkeit ebenso der Haftung wie der Anzahl möglicher Gläubiger ist, sofern man die Ergebnisse in den Blick nimmt, unbestreitbar. Tatsächlich trägt die Relativität der Schuldverhältnisse in der Rechtspraxis dazu bei, Haftungskalkulationen zu erleichtern und eigene Verpflichtungen zu überschauen, indem sie das Rechtssubjekt davor bewahrt, fremdverpflichtet zu werden. Dennoch können die Kriterien der Rechtssicherheit und der Überschaubarkeit von Haftung den Grund des Relativitätsprinzips nicht bestimmen und damit auch keine normativen Anhaltspunkte für seine Grenzen geben. Denn auch die negative Vertragsfreiheit sorgt für Rechtssicherheit; mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit allein ist sie jedoch jedenfalls nicht zu begründen. Ebenso trägt ein Grundsatz wie pacta sunt servanda selbstverständlich zur Rechtssicherheit bei – nicht diese ist jedoch sein Grund, sondern das Prinzip der menschlichen Selbstbestimmung und deren Betätigung im Privatrecht durch den rechtsgeschäftlichen Willen. Genau so verhält es sich mit dem Relativitätsgrundsatz: Problematisch an seiner Rückführung allein auf den Gesichtspunkt der Risikokalkulation ist vor allem das vollständige Fehlen des Willens als des über die Verpflichtung entscheidenden Elements. Dies verdeutlicht ein Weiterdenken der vorgeschlagenen Kriterien: Käme es nämlich allein auf Kriterien wie Rechtssicherheit und Überschaubarkeit von Pflichten an, so spräche nichts dagegen, dass eine Rechtsordnung es jedenfalls auch zuließe, Dritte gegen deren Willen zu verpflichten, sofern diese Dritten nur ausreichend hierüber informiert bzw. auf anderem Wege vor unüberschaubarer Haftung geschützt würden. Eine wirksame Verpflichtung Dritter, die nur durch deren Information gerechtfertigt würde, ist jedoch nicht nur im deutmung des Relativitätsgrundsatzes noch zur Festlegung seiner Grenzen rekurriert. Vgl. hierzu auch die kritische Rezension von J. Schmidt, AcP 190 (1990), 650. 39 BGHZ 51, 91 (96) – Hühnerpest.

B. Der Grund des Relativitätsprinzips

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schen Recht völlig undenkbar. Hieran zeigt sich, dass eine Begründung des Relativitätsprinzips nicht auskommt, ohne auf den Willen und das in ihm verkörperte Autonomieprinzip zu rekurrieren. Nur so wird auch vermieden, dass die Relativität der Schuldverhältnisse zu nicht mehr als einer bloßen „Leitlinie“40 verkommt, und es wird ihre normative Anbindung an allgemeine Grundsätze des Privatrechts gewahrt, die ihrerseits auch mehr als bloßen Leitliniencharakter haben. (Diese Anbindung des Relativitätsgrundsatzes an das Autonomieprinzip nötigt, nebenbei, auch zum Widerspruch gegenüber der oben zitierten Äußerung von Gernhuber, Relativität sei nicht mehr als eine Frage „zeitgemäßer Wertung“.) Gegen den Gedanken der Rechtssicherheit als zentraler Grundlage des Relativitätsprinzips spricht, als Randaspekt, im Übrigen auch ein Blick auf den Vertrag zugunsten Dritter, wie er in sämtlichen europäischen Rechtsordnungen inzwischen enthalten ist: Sollte tatsächlich die „Überschaubarkeit der übernommenen Rechte und Pflichten“ das maßgebliche hinter dem Relativitätsgrundsatz stehende Interesse sein, wäre dringend darüber nachzudenken, ob man das Rechtsinstitut des Vertrags zugunsten Dritter mit einer Informationspflicht gegenüber dem Begünstigten belegt, ohne deren Erfüllung der Vertrag möglicherweise unwirksam wäre. So nämlich wäre der Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit des eigenen Rechtskreises am besten Genüge getan. Dies geschieht jedoch – mit Recht – nirgendwo. Der Dritte hat vielmehr, je nach Rechtsordnung41, entweder ein Mitwirkungs- oder ein Zurückweisungsrecht, in jedem Falle also die Möglichkeit einer Willenserklärung, um über die Verhältnisse innerhalb seines Rechtskreises selbst bestimmen zu können. Seine Information reicht zur Wirksamkeitsbegründung in keinem Falle aus, wodurch sich der Zusammenhang zwischen Relativität und Autonomie ein weiteres Mal verdeutlicht. Hinzuzufügen bleibt schließlich, dass das Kriterium der Überschaubarkeit von Haftung nur schwer operationalisierbar ist: Die Möglichkeit, geschäftliche Risiken zu überschauen, ist notwendigerweise beschränkt. Niemand, der am Rechtsverkehr teilnimmt, ist in der Lage, alle Haftungsrisiken mit absoluter Sicherheit bestimmen zu können. Es kommt hinzu, dass in die Beurteilung der Überschaubarkeit von Haftung eine große Anzahl von Faktoren Einzug halten muss, die notgedrungen mit dem jeweiligen Einzelfall zu tun haben werden. Die Ausrichtung des Relativitätsgrundsatzes an einem derart schwer zu bestimmenden Kriterium ist darum nicht angezeigt. Aus all diesen – theoretischen wie praktischen – Gründen dürfte es vorzugswürdig sein, das Relativitätsprinzip aus der menschlichen Selbstbestimmung und aus der negativen Vertragsfreiheit herzuleiten: Der Relativitätsgrundsatz lässt

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Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 15. Zum Vertrag zugunsten Dritter gleich, S. 19.

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

sich somit als das Rechtsinstitut verstehen, das die personalen Grenzen des menschlichen Willens aufzeigt. Zusammen mit der Handlungsfreiheit liegt dem Relativitätsgrundsatz übrigens auch einen Gleichheitsaspekt zugrunde; dieser ist dort von Bedeutung, wo nicht der Einzelne, sondern der (privatrechtliche) Gesetzgeber handelt. Denn die Verpflichtung einer Person durch eine andere ohne eigenes Zutun wäre gleichbedeutend mit der Unterworfenheit unter den Willen des Anderen, und damit würde dem Willen dieses Anderen ohne sachliche Rechtfertigung Vorrang gegenüber dem des Unterworfenen gegeben. Hieraus folgt unmittelbar, dass das Relativitätsprinzip nicht nur den Privaten, sondern, gewendet als Gleichbehandlungsgebot, die Rechtsordnung selbst bindet – zumindest dann, wenn sie die Privatautonomie anerkennt und sich nicht selbstwidersprüchlich verhalten will. Dieser Gleichheitsaspekt stellt jedoch keine auf das Relativitätsprinzip beschränkte theoretische Besonderheit dar. Er gilt für jede Rechtsposition, die dem Einzelnen in der Privatrechtsordnung zuerkannt wird: Diese haben in der bürgerlichen Gesellschaft eben grundsätzlich für alle gleichermaßen zu gelten. Es handelt sich also bei dem angesprochenen Gleichheitsgedanken ausschließlich um eine Art von „Gleichheit in der Freiheit“, um aus der Freiheit abgeleitete Gleichheit als „Unabhängigkeit, nicht (...) von anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann“42. Für die Privatautonomie gilt, wie für alle anderen Rechtsinstitute auch, nicht mehr als das allgemeine Gleichheitsrecht, als das „Recht auf Gleichbehandlung gemäß Normen, die Rechtsinhaltsgleichheit verbürgen“43. Um das Zusammenwirken von negativer Vertragsfreiheit und Gleichheit schließlich auf eine Formel zu bringen, die, da sie positiv-rechtlich wie gesetzgebungstheoretisch anwendbar ist, auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit Verwendung finden wird: Was das Relativitätsprinzip verhindern möchte, ist die Fremdbestimmung unter Gleichen.

C. Verträge zu Lasten Dritter Aus der Rückbindung des Relativitätsgrundsatzes an das Autonomieprinzip folgt als erste normative Konsequenz, dass Verträge zu Lasten Dritter unzulässig sind: „Es gibt eben keinen Vertrag zu Lasten Dritter“44. Dieser Grundsatz ist unbestritten; er gilt für alle europäischen Rechtstraditionen45. Nach dem oben Ge42

Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA S. 237. Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 484. 44 Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (614); Janoschek, in: Bamberger/Roth, 2003, § 328 Rdn. 5. 45 Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8 (12). 43

D. Verträge zugunsten Dritter

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sagten lässt er sich mühelos aus dem Relativitätsprinzip herleiten, und er bindet Parteien ebenso wie den Gesetzgeber. Diese Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten Dritter gilt, da sie auf das Autonomieprinzip zurückzuführen ist, außerdem nicht in wirtschaftlicher, sondern in rechtlicher Hinsicht46. Verträge, in denen die Parteien im eigenen Namen47 die Verpflichtung eines Dritten vereinbaren, sind unwirksam. Eine Rechtsordnung, die eine derartige Fremdverpflichtung anerkennen würde, verstieße gegen das Gleichheitsgebot48.

D. Verträge zugunsten Dritter I. Entwicklung Im Rahmen der oben beschriebenen Zunahme von Drittwirkungen bildet der Vertrag zugunsten Dritter eine Art von Modellfall. Heute stellt er das einzige über die Vertragsparteien hinaus wirkende Rechtsinstitut dar, das von allen europäischen Rechtsordnungen anerkannt ist49; diese Anerkennung ist dennoch eine, aufs Ganze gesehen, junge privatrechtliche Entwicklung50, die innerhalb der europäischen Rechtsordnungen allerdings zumindest teilweise parallel verlaufen ist51. Unabhängig von den Unterschieden im Detail zeichnet sich der berechtigende52 („echte“) Vertrag zugunsten Dritter jedenfalls dadurch aus, dass Vertragsparteien einem Dritten ein Recht verschaffen, ohne dass dieser unmittelbar an der Abrede beteiligt ist53. Er ist also dadurch gekennzeichnet, dass ein Unbeteiligter aus dem Vertrag unmittelbar ein eigenes Recht erwirbt54. Häufigster Anwendungsfall ist der Versicherungsvertrag, insbesondere in den Fällen der Lebensund Transportversicherung55, aber auch Frachtverträge bilden einen praktischen Anwendungsbereich56. 46

Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 475. Probleme der Stellvertretung gehören nicht hierher und werden in dieser Arbeit auch nicht behandelt. 48 Dieser Aspekt wird bei der Behandlung der unmittelbaren Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht von herausragender Bedeutung sein; unten S. 241ff. 49 Ein Überblick über die gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten findet sich bei Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8. 50 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 219. 51 Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487). 52 Der lediglich ermächtigende („unechte“) Vertrag zugunsten Dritter, der den Begünstigten nur zum Leistungsadressaten macht, ihm jedoch kein eigenes Forderungsrecht verleiht, stellt eine dogmatische Selbstverständlichkeit dar (vgl. Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 3; Brox/ Walker, Allgemeines Schuldrecht, 29. Aufl. 2003, S. 345) und soll hier nicht behandelt werden. 53 Für das deutsche Recht Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (658); Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 218. 54 Janoschek, in: Bamberger/Roth, 2003, § 328 Rdn. 1. 55 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 372. 56 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 467. 47

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

Noch für das römische Recht war das Vertragsband zwischen Gläubiger und Schuldner Voraussetzung der obligatio; ein echter Vertrag zugunsten Dritter war dem römischen Recht fremd57. Es galt der Grundsatz des „alteri stipulari nemo potest.“58 Seinerzeit war einzig die befreiende Leistung an einen Dritten möglich, wodurch der Dritte jedoch kein eigenes Forderungsrecht erwarb. Er nahm somit allenfalls die Position eines Einzugsermächtigten oder einer Zahlstelle ein59. Eine darüber hinausgehende rechtliche Position wäre mit der römischrechtlichen Vorstellung vom vinculum iuris als Voraussetzung jedweder Obligation unvereinbar gewesen60, was jedoch auch darauf beruhte, dass entsprechende Bedürfnisse, wie z.B. dasjenige nach der Möglichkeit eines Versorgungsvertrags zugunsten eines Familienangehörigen, noch nicht zutage getreten waren61. Mit einem ersten Schritt in Richtung auf begünstigende Drittwirkungen wurde die stipulatio alteri auf deutschem Gebiet im 17. Jahrhundert unter der Voraussetzung zugelassen, dass der Dritte seiner Begünstigung zustimmte. Diese so genannte Konsensuallösung wurde in Preußen, Bayern und Sachsen auch kodifiziert, stellte jedoch auf dem Weg der Anerkennung der privatautonomen Drittbegünstigung nur einen Zwischenschritt dar, da die Teilnahme des Dritten nach wie vor eine notwendige Bedingung für seine Begünstigung bildete62: Der Vertrag war noch kein Vertrag zugunsten eines Dritten, sondern letztlich mit ihm, weswegen der Begünstigte – vom Stand der heutigen Privatrechtsdogmatik aus betrachtet – auch noch kein echter Dritter war. Er unterschied sich von den Vertragsparteien des Deckungsverhältnisses63 lediglich dadurch, dass seine Erklärung als eigener Rechtsakt einzuholen war, und damit nur im Hinblick auf zeitliche und örtliche, also situative Besonderheiten, nicht hingegen hinsichtlich rechtlicher Umstände. So blieb die grundsätzliche Ansicht, dass das Relativitätsprinzip den Vertrag zugunsten Dritter unmöglich mache, bis in das 19. Jahrhundert hinein unbezweifelt64 – auch Hugo Grotius (1583–1645), der erste Schritte zur Lösung der 57

Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 265. Ulpian, Digesten 45, 1, 38, 17; vgl. hierzu Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 395; Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 219; Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (621); Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8 (13); Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487). 59 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 394. 60 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 395. 61 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 219. 62 Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487). 63 Mit „Deckungsverhältnis“ ist das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien, also zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger, gemeint. Der Ausdruck „Valutaverhältnis“ umschreibt die Beziehung zwischen dem begünstigten Dritten und dem Versprechensempfänger; hierzu MünchKomm/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rdn. 25ff.; MünchKomm/Lieb, 4. Aufl., § 812 Rdn. 131. 64 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 395. 58

D. Verträge zugunsten Dritter

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Rechtswissenschaft von der strengen römischrechtlichen Vorstellung hin zur Anerkennung von Drittwirkungen unternahm, beharrte für den berechtigenden Vertrag zugunsten Dritter noch auf dem Beitritt des Begünstigten65. Dieses Modell war auch im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 enthalten, das in § 74 Abs. 1 Satz 5 vorsah, dass das Forderungsrecht des Dritten an einen „Beitritt“ zum Vertrag gekoppelt sei66. Im 19. Jahrhundert allerdings begann das oben bereits beschriebene67 Bedürfnis nach einer Privatrechtsordnung, die auch die vertragliche Begünstigung Dritter zuließ, zu wachsen. Dieser Prozess wurde von der rechtsdogmatischen Erkenntnis begleitet, dass der Vertrag zugunsten Dritter zumindest dann nichts anderes als ein Ausdruck der Vertragsfreiheit sei, wenn dem Dritten irgendeine Möglichkeit zur Hand stünde, auf seine eigene Begünstigung, und sei es auch nachträglich, Einfluss zu nehmen68. Das deutsche BGB nahm in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle ein, indem es als erste europäische Kodifikation die unmittelbare Drittbegünstigung zuließ69, die nicht mehr an die Zustimmung des Begünstigten geknüpft war. Dieser erhielt in § 333 BGB stattdessen ein Zurückweisungsrecht, statt einer konstitutiven also eine negative Mitwirkungsbefugnis: „Weist der Dritte das aus dem Vertrag erworbene Recht dem Versprechenden gegenüber zurück, so gilt das Recht als nicht erworben.“

Heute ist der Vertrag zugunsten Dritter Bestandteil sämtlicher Privatrechtsordnungen. Ein Unterschied besteht lediglich hinsichtlich der Frage, ob der Dritte durch den Vertrag zu seinen Gunsten unmittelbar begünstigt wird („Anwachsungstheorie“70) oder ob es einer weiteren Annahmehandlung seinerseits bedarf („Acceptationstheorie“71). Während das deutsche und das österreichische Recht die Begünstigung unmittelbar erwachsen lassen72, geht das niederländische Recht einen anderen Weg, dem zufolge der Dritte erst mit seiner Annahme Rechtsinhaber wird. Die Mitwirkung des Begünstigten wirkt in diesem Fall also nicht im Sinne eines negativen Gestaltungsrechts, sondern konstitutiv. Gerade diese konstitutive Bedeutung der Mitwirkung des Begünstigten spricht dagegen, ihn als einen „Dritten“ im eigentlichen Sinne anzusehen, denn auch wenn er an dem Deckungsverhältnis nicht teilhat, so ist er doch an seiner eigenen Begünstigung beteiligt73. 65

Hierzu Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 219. Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 374. 67 Oben S. 9. 68 Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 541. 69 §§ 328ff. BGB; hierzu Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487). 70 Für das deutsche Recht Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 468. 71 Hierzu Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 469. 72 § 328 BGB, § 881 Abs. 2 ABGB. 73 Die praktische Relevanz dieses Unterschieds wird im Todesfall des Dritten vor seiner Er66

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

Daneben enthalten auch die Principles of European Contract Law74, die Principles of International Commercial Contracts (UNIDROIT)75 und der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler76 Vorschriften zum Vertrag zugunsten Dritter77. II. England: Privity of Contracts und consideration England nimmt im Hinblick auf den Vertrag zugunsten Dritter eine gewisse Sonderrolle ein, auf die darum im Folgenden kurz eingegangen werden soll78. Das klärung deutlich: Während sein Anspruch nach niederländischem Recht nicht zum Entstehen kommt und damit auch nicht Teil des Nachlasses wird, profitieren nach den unmittelbaren Modellen die Erben vom Vertrag zugunsten Dritter, sofern nicht zwischen den Vertragsparteien etwas anderes vereinbart wurde; Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8 (23). 74 Die Principles of European Contract Law wurden von der Commission on European Contract Law ausgearbeitet, einem unabhängigen Gremium von Rechtswissenschaftlern aus den EU-Staaten, das seine Arbeit im Jahr 1980 aufgenommen hat. Die Teile I und II der Principles wurden im Jahr 1999 veröffentlicht; vgl. hierzu Lando, Das neue Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die Grundregeln des europäischen Vertragsrechts, RabelsZ 2003, 231 (235); Kötz, Alte und neue Aufgaben der Rechtsvergleichung, JZ 2002, 257 (261); Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477; ders., Die „Principles of European Contract Law“; ZEuP 1995, 731 und ZEuP 2000, 391ff.; Bürge, Das Römische Recht als Grundlage für das Zivilrecht im künftigen Europa, in: Ranieri (Hrsg.), Die Europäisierung der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2002, S. 19 (37). 75 Im Jahr 1926 entstand als Hilfsorgan des Völkerbundes das „Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts“ mit Sitz in Rom. Heute handelt es sich um eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, welche mit den Vereinten Nationen durch ein Kooperationsabkommen verbunden ist. Im Jahr 1994 wurden erstmalig die Principles of International Commercial Contracts herausgegeben; diese wurden in der Folgezeit überarbeitet und im April des Jahres 2004 in erweiterter Fassung in Rom verabschiedet. Hierzu Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht – Struktur und Bestand, NJW 2000, 14 (19); Kronke, Ziele – Methoden – Kosten – Nutzen: Perspektiven der Privatrechtsharmonisierung nach 75 Jahren [VA]Unidroit[VAE], JZ 2001, 1149ff.; Brödermann, Die erweiterten UNIDROIT Principles 2004, RIW 2004, 721. 76 Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler; hierzu ausführlich Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, RIW 2001, 409ff.; Sturm, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs, JZ 2001, 1097ff.; Gandolfi, Der Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs, ZEuP 2002, 1. 77 Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts enthielten noch in ihrer Fassung von 1994 keine derartige Regelung. Der Vertrag zugunsten Dritter wurde erst mit der Überarbeitung aus dem Jahr 2004 aufgenommen; Zimmermann, Die „Principles of European Contract Law“, ZEuP 1995, 731 (733); Brödermann, Die erweiterten UNIDROIT Principles 2004, RIW 2004, 732. 78 Diese Arbeit unternimmt keinen umfassenden europäischen Rechtsvergleich – weder hinsichtlich des Relativitätsgrundsatzes noch für das Verbrauchsgüterkaufrecht. Dennoch soll im Rahmen bestimmter Thematiken dann ein Blick in andere Rechtsordnungen geworfen werden, wenn dieser dazu geeignet ist, einzelne Aspekte zu erhellen und zu verdeutlichen. Hinsichtlich des Relativitätsprinzips und des Vertrags zugunsten Dritter stellt das englische Recht eine solche Rechtsordnung dar, da es einerseits außerordentlich streng an der Relativität in Gestalt der privi-

D. Verträge zugunsten Dritter

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englische Recht wird vom Grundsatz der privity of contracts regiert79. Der diesbezüglich meistzitierte Satz lautet bündig: „Only a person who is party to a contract can sue on it“80. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die privity-Doktrin ihren Ursprung nicht im englischen Recht selbst hat; so ließen die englischen Gerichte bis weit in das 17. Jahrhundert hinein die Begünstigung Dritter ohne weiteres zu. Erst als man in England begann, die kontinentaleuropäische Willensdoktrin vorsichtig zu adaptieren, übernahm man mit ihr auch die strenge Relativität der Schuldverhältnisse81 und hielt an ihr dann im weiteren Verlauf wesentlich intensiver fest als dies auf dem Kontinent der Fall war82. Die privity ist dabei einerseits zwar nicht mehr als ein vertragsrechtliches Institut, andererseits jedoch auch Ausdruck einer allgemeinen Haltung der englischen Rechtsordnung. Diese Haltung findet ihre Entsprechung in der allgemeinen englischen Fahrlässigkeitshaftung (negligence), die, anders als beispielsweise das deutsche Deliktsrecht, ein vorbestehendes personales Element erfordert, die duty of care. Das englische Common Law verlangt für die Haftung des unvorsätzlich handelnden Schädigers den Verstoß gegen eine ihn gerade gegenüber dem Geschädigten treffende Sorgfaltspflicht: „A man is entitled to be as negligent as he pleases towards the whole world if he owes no duty to them.“83 Dies hat dazu geführt, dass jegliche vertragslose Produkthaftung in England bis weit in das 20. Jahrhundert hinein daran gescheitert ist, dass die Sorgfaltspflicht des Herstellers gegenüber einem vertragsfremden Dritten abgelehnt wurde. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Herstellung wurde als ausschließlich vertragliche Pflicht angesehen; eine Sorgfaltspflicht gegenüber vertragsfremden Personen wurde abgelehnt. Dies brachte es mit sich, dass Verbraucher, welche nicht vom Hersteller gekauft hatten, auch bei Integritätsverletzungen vollständig ohne Anspruch blieben84. Aus dem Grundsatz der privity folgt weiterhin, dass Verträge in England ty-Doktrin festhält und diese andererseits durch ein spezifisches Vertragsverständnis, die consideration, ergänzt. Beides hat zu einer ausgeprägten Skepsis gegenüber dem Vertrag zugunsten Dritter geführt, die das englische positive Recht, als letztes innerhalb Europas, erst 1999 überwunden hat, die jedoch in der englischen Rechtspraxis fortzubestehen scheint. 79 Hierzu Lyall, An Introduction to British Law, 2. Aufl. 2002, S. 245f. 80 Lord Haldane (Dunlop v Selfridge, House of Lords 1915; A.C. 847); hierzu Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 376; Stathopoulos, Europäisches Vertragsrecht und ratio scripta – Zuständigkeiten und Perspektiven, ZEuP 2003, 243 (263); Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 120. 81 Das Wort privity entstammt wohl dem französischen privauté: vgl. Palmer, Contracts in Favour of Third Persons in Europe: First Steps Towards Tomorrow’s Harmonization, European Review of Private Law 2003, 8 (12). Eine andere Erklärung gibt Jewell, An Introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rdn. 139: „Privity is an old word meaning ‚party to something which is not accessible to the rest of the world‘.“ 82 Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487). 83 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 613. 84 Hierzu Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 124; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 613.

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

keinerlei Schutzwirkungen für Nicht-Vertragsparteien entfalten können85. Ein Institut wie der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist dem englischen Juristen also fremd, was allerdings nichts Ungewöhnliches ist, stellt doch der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine deutsche und österreichische Besonderheit dar86. Die Skepsis des englischen Rechts gegenüber dem Vertrag zugunsten Dritter beruht nicht ausschließlich auf dem Grundsatz der privity, sondern wurde ursprünglich eher mit der consideration-Doktrin begründet87. Hiernach gilt für sämtliche vertraglichen Verpflichtungen, dass Leistungsversprechen an eine Gegenleistung im Sinne eines quid pro quo geknüpft zu sein haben, um durchsetzbar zu sein88. Grundsätzlich geht das englische Vertragsrecht also davon aus, dass es „nichts umsonst“ gibt. Das Common Law verlangt damit in technischer Hinsicht nicht nur eine Willenserklärung, wie sie im deutschen Recht genügen würde, sondern darüber hinausgehend (inhaltlich) einen „auf Vereinbarung beruhenden Nachteil“, welcher der Sache nach aus einem „bargain“ folgt und tatsächlich hingegeben werden muss: „Considerations must move from the promisee.“89 Mit anderen Worten: „An Englishman is liable, not because he has made a promise, but because he has made a bargain.“90 Es besteht zwar nicht die Notwendigkeit, dass der hingegebene Nachteil wirtschaftlicher Natur zu sein habe; er darf allerdings auch nicht ganz wertlos sein91, wobei jedoch keine Inhalts- oder Wertkontrolle vorgenommen wird: „A contract for the sale/purchase of a Van Gogh painting for UK£ 1 would be valid.“92. Hier wird die Orientierung des englischen Bürgerlichen Rechts am Recht der Kaufleute sichtbar. Denn das gegenleistungsfreie Versprechen ist in aller Regel im nicht-gewerblichen Bereich weit eher denkbar als im Handelsverkehr. 85 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 340. 86 Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 381. 87 Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487); Jewell, An Introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rdn. 142; Lyall, An Introduction to British Law, 2. Aufl. 2002, S. 237; Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 340; Stathopoulos, Europäisches Vertragsrecht und ratio scripta – Zuständigkeiten und Perspektiven, ZEuP 2003, 243 (262). 88 Hierzu Schön, Allgemeines Vertragsrecht und Kaufvertragsrecht – ein Rechtsvergleich Österreich, USA, Spanien und UN-Kaufrecht, 2003, S. 45; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 86. Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn ein einseitiges Versprechen in Form einer so genannten deed abgegeben wird, die allerdings als Urkunde „signed, sealed, and delivered“ sein muss; vgl. hierzu Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 338. 89 Zimmermann, Konturen eines Europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, 477 (487); Koch/ Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 338. 90 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 86. 91 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 338. 92 Lyall, An Introduction to British Law, 2. Aufl. 2002, S. 237; Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 338. Aus der consideration-Doktrin folgt im Übrigen auch, dass ein einseitiges Angebot (offer) im englischen Recht für sich noch keine Bindungswirkung entfaltet, sondern bis zu seiner Annahme frei widerrufen werden kann.

D. Verträge zugunsten Dritter

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„Vielleicht ist es deshalb kein Zufall, dass die consideration-Doktrin (...) gerade in England zu Hause ist, also in einem Lande, von dessen Vertragsrecht man behauptet hat, dass ihm ein ‚commercial flavour‘ anhafte und es eher für ein Volk von Händlern als für ein Volk von Bauern entwickelt worden sei.“93

Diese Kombination aus privity und consideration hat in England zu erheblichen Widerständen gegen den Vertrag zugunsten Dritter geführt. Während man auf dem Kontinent schon während des 19. Jahrhunderts zur Anerkennung vertraglicher Drittbegünstigungen kam94, hat man sich in Großbritannien hiermit innerhalb Europas am schwersten getan. Dort galt bis zum Jahre 1999 die aus der privity folgende „Third Party Rule“, der zufolge nur die unmittelbar am Vertrag beteiligten Personen von diesem betroffen sein konnten, und dieses Betroffensein schloss die Begünstigung ein95. Diese starre Haltung des englischen contract law hat sich mit dem Contracts (Rights of Third Parties) Act, erlassen am 11. November 1999, geändert96. Hiernach gilt nun für Verträge, die nach dem 10. Mai des Jahres 2000 geschlossen wurden, dass auch Dritte in Verträgen begünstigt werden und die sie berechtigenden Vertragsbestimmungen durchsetzen können, sofern dies von den Vertragsparteien intendiert wurde97. Für den englischen Gesetzgeber gab es verschiedene Motive, von der privity doctrine zumindest teilweise abzusehen. Zum einen war den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs Rechnung zu tragen, der zuvor immer wieder nach Möglichkeiten gesucht hatte, die privity zu umgehen und zu einer Drittbegünstigung zu gelangen98. Es kamen jedoch auch europäische Entwicklungen hinzu, wie insbesondere die Erarbeitung der Principles der Lando-Kommission, die den Vertrag zugunsten Dritter ausdrücklich vorsahen99.

93 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 87. Mit dem „Volk von Bauern“, das hier zum Vergleich herangezogen wird, ist im Übrigen das französische gemeint. 94 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 373; Stathopoulos, Europäisches Vertragsrecht und ratio scripta – Zuständigkeiten und Perspektiven, ZEuP 2003, 243 (262). 95 Sonnenberger, Der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler, RIW 2001, 409 (413); Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 542, spricht von einem „alten Perückenzopf des common law“. 96 UK Statute, Ch. 31.1.: Rights of Third Parties Act 1999. Hierzu Jewell, An Introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rdn. 140ff.; Majo, La protezione del terzo tra contratto e torto, Europa e diritto privato 1/2000, 1; Stathopoulos, Europäisches Vertragsrecht und ratio scripta – Zuständigkeiten und Perspektiven, ZEuP 2003, 243 (263); Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 42; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 414. 97 Hierzu Cooper/McClean, Continental Contractual Drift?, EuZW 2000, 321. 98 Vgl. Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 414. 99 Art. 6:110 der Principles of European Contract Law; hierzu Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 542; für den deutschen Text der Principles of European Contract Law vgl. v. Bar/Zimmermann (Hrsg.), Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II, 2002; außerdem ZEuP 1995, 864.

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§ 2: Relativität und Selbstbestimmung

Wie auch der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Schuldrechtsreform von 2002 erfahren durfte, legen Rechtspraxis wie Rechtswissenschaft gegenüber legislativen Reformen hin und wieder ein gewisses Beharrungsvermögen an den Tag, wenn es darum geht, Hergebrachtes zu bewahren. So scheint es auch in England, als würde die Abkehr von der privity-Doktrin nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Jewell beispielsweise betont das Risiko für den business lawyer, seinen Mandanten nun nicht mehr davor schützen zu können, dass „irgendeine dritte Partei“ („some unforseen third party“) gegen ihn mit der Begründung vorgehen könnte, sie werde als Dritte aus einem von ihm geschlossenen Vertrag begünstigt. Dies habe in der englischen Rechtspraxis sogar bereits zu der Übernahme einer Standardklausel geführt, mit welcher Verträge aus dem Anwendungsbereich des Third Parties Act ausgenommen würden: „A person who is not a party to this contract has no right under the Contracts (Rights of Third Parties) Act 1999 to enforce any term of this contract.“100

Mit der Doktrin der consideration ist die Hinwendung des englischen Rechts zum Right of Third Parties nur unter der Voraussetzung in Einklang zu bringen, dass man das bargain, das im Deckungsverhältnis, also zwischen Versprechendem und Versprechensempfänger, stattgefunden hat, als ausreichend erachtet, was allerdings ein wenig gekünstelt erscheint. Der Begünstigte jedenfalls hat an keiner Form eines Austauschverhältnisses teil, womit die consideration-Doktrin eine wesentliche Ausnahme erfahren hat. Die Aufweichung der consideration ist übrigens nicht nur auf die Rights of Third Parties beschränkt. Ein weiterer Seitenaspekt der consideration-Doktrin war die Behandlung von Verkäufergarantien im englischen Recht. Diese waren zumindest dann, wenn sie unentgeltlich gegeben wurden, nach hergebrachtem englischem Rechtsverständnis als unwirksam anzusehen, da es an einer käuferseitigen Gegenleistung fehlte. Mit der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf musste sich diese Behandlung jedoch ändern, da die Richtlinie die Wirksamkeit derartiger Garantien zweifelsfrei erfordert. So hat der englische Gesetzgeber notgedrungen mit der Tradition gebrochen und Verbrauchergarantien unabhängig davon für wirksam erklärt, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich gegeben werden101. Viel mehr noch als die privity steht also in England die consideration auf dem Prüfstand. III. Drittbegünstigung und Selbstbestimmung Was bedeuten nun die geschilderten Entwicklungen in dogmatischer Hinsicht für Relativität und Autonomie? Wenn dem Relativitätsgrundsatz das Prinzip der 100

Jewell, An Introduction to English Contract Law, 2. Aufl. 2002, Rdn. 140. Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002, No. 15 I; hierzu Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (384); Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (744). 101

D. Verträge zugunsten Dritter

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Selbstbestimmung zugrunde liegt, so folgt hieraus auch, dass es prinzipiell keinen Unterschied darstellt, ob Vertragsparteien einen Vertrag zu Lasten oder zugunsten Dritter schließen. Denn ein Eingriff in die Selbstbestimmung des Dritten liegt in beiden Fällen vor: Der seiner eigenen Autonomie zugewiesene Rechtskreis erfährt eine rechtliche Beeinflussung durch Dritte, und die Autonomie der Parteien des Deckungsverhältnisses tritt an die Stelle seiner eigenen. Es handelt sich, getreu der oben entwickelten Formel, um Fremdbestimmung unter Gleichen. Der Vertrag zugunsten Dritter kann damit zumindest in den Rechtsordnungen, in denen der Begünstigte keine konstitutive Mitwirkungsbefugnis hat, nur als Ausnahme vom Relativitätsprinzip verstanden werden; die Drittbegünstigung bildet damit auch eine Ausnahme vom Autonomieprinzip, und aus diesem Grund bedarf sie einer Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung kann nur in den Zurückweisungsrechten wie in § 333 BGB liegen, wo die Begünstigung, und damit die Herrschaft über den der Selbstbestimmung zugewiesenen Rechtskreis wieder dem Willen des Begünstigten zugewiesen wird. Sämtliche Rechtsordnungen nehmen den Vertrag zugunsten Dritter also zu Recht als Eingriff in die negative Vertragsfreiheit wahr. Dort, wo nicht bereits die konstitutive Mitwirkung des Dritten erforderlich ist, zollt sein Zurückweisungsrecht dem Autonomieprinzip Tribut: Niemand soll sich irgendetwas aufdrängen lassen müssen, und sei es auch eine Forderung102. Hieran wird deutlich, dass es im Rahmen des Relativitätsprinzips der Wille ist, auf den es ankommt, wohingegen Fragen der Rechtssicherheit und Haftungskalkulation nicht oder nur am Rande von Bedeutung sind. Der Vertrag zugunsten Dritter ist, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, die einzige zulässige Form einer echten Drittwirkung, denn aus der Rückbindung des Relativitätsgrundsatzes an das Autonomieprinzip folgt eine Begrenzung der Rechtfertigungsstrukturen: Echte Drittwirkungen sind nur dann zulässig, wenn der Dritte nicht unbeteiligt ist, sondern mitwirkt, also eigene Autonomie ausübt. Dies war die Rechtfertigung für den gerade behandelten Vertrag zugunsten Dritter. Daneben gibt es jedoch noch ein zweites, wesentlich interessanteres Phänomen: Es besteht nämlich auch die Möglichkeit, dass schuldrechtliche Elemente, die gegenüber unbeteiligten Personen wirken, nicht auf einer Parteivereinbarung beruhen, sondern aus anderer, beispielsweise gesetzlicher Quelle stammen. Diese Konstellationen sehen auf den ersten Blick wie Drittwirkungen aus, sind es aber nicht: In diesen Fällen findet keine Fremdbestimmung unter Gleichen statt. Diesen heteronomen Elementen in Schuldverhältnissen und ihren Wirkungen gegenüber weiteren Rechtssubjekten widmet sich nicht nur der folgende Abschnitt, sondern die gesamte weitere Untersuchung. 102 Für das deutsche Recht: MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 28; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 61; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 461; Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (658).

§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts A. Heteronomes Schuldrecht und Relativitätsprinzip Wenn der Relativitätsgrundsatz sich auf das Autonomieprinzip bzw. auf das Verbot der Fremdbestimmung unter Gleichen zurückführen lässt, so folgt hieraus, dass Schuldrecht, das nicht autonom, sondern heteronom gesetzt ist, welches also seine Quelle nicht in der Parteientscheidung, sondern außerhalb ihrer hat, dem Relativitätsgrundsatz prinzipiell nicht unterliegt. Mit anderen Worten: Wenn Relativität Autonomie gewährleisten soll, ist die Anwendung des Relativitätsprinzips dort, wo ohnehin keine Autonomie am Werke ist, fehl am Platz. Diese Hypothese entspringt dem – im Grunde simplen – Umkehrschluss aus der Herleitung des Relativitätsgrundsatzes. Auf ihr beruht der weitere Fortgang dieser Untersuchung. Hintergrund ist der Gedanke, dass die Begründung des Relativitätsgrundsatzes auch dazu dient, dessen Begrenzungslinien zu zeichnen: Die Autonomie als Geltungsgrund der Relativität begründet und begrenzt diese. Dies bedeutet, dass der Relativitätsgrundsatz im Falle heteronomen Schuldrechts kein valides Argument gegen „Drittwirkungen“ darstellt; diese Wirkungen sind bei heteronomem Recht tatsächlich unmittelbare Wirkungen. In vertraglichem Zusammenhang empfiehlt es sich darum, von „Außenwirkungen“ zu sprechen1. Wenn nicht autonome, sondern heteronome Kriterien über das Bestehen eines Schuldverhältnisses oder dessen Inhalt entscheiden, so sind hinsichtlich dieser heteronomen Elemente nicht die Parteien des Schuldverhältnisses verantwortlich für ihre Geltung, sondern externe Quellen. Eine dieser Quellen ist im Falle positiv-rechtlich geregelten Schuldrechts der Gesetzgeber; im Falle von Richterrecht (wie zum Beispiel beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte) liegt die Herkunft des heteronomen Vertragsrechts bei den Gerichten. Es wird sichtbar, dass sich das Nachdenken über den normativen Gehalt des Relativitätsprinzips dort, wo heteronomes Recht wirkt, erübrigt. Denn wenn es der Gesetzgeber ist, der in Schuldverhältnissen wirkende Elemente bestimmt, so sind es auch nicht die Wirkungen von Vereinbarungen, denen sich ein Dritter eventuell ausgesetzt sieht, sondern schlicht die Auswirkungen gesetzlicher Maßnahmen. Die so bezeichneten Drittwirkungen sind, wie gesagt, in Wirklichkeit

1

Diese Terminologie ist entlehnt bei Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 54.

A. Heteronomes Schuldrecht und Relativitätsprinzip

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unmittelbare Wirkungen. Heteronomes Recht wirkt somit potentiell vertragsunabhängig: potentiell absolut. Wenn heteronome Elemente ein Schuldverhältnis bestimmen, ändert sich der Fokus bei der Bestimmung der zulässigerweise Betroffenen. Es ist dann nicht mehr im Sinne des Relativitätsprinzips zu prüfen, ob Vertragsparteien in die Privatautonomie Dritter eingreifen, denn das jeweilige objektive Element hat seine Wurzel ja gerade nicht im Parteiwillen. Es entstammt vielmehr einer parteifernen Sphäre, beispielsweise der des Gesetzgebers, der, wenn er die Privatautonomie der Bürger durch heteronome Elemente einschränkt, vor der Frage steht, wessen Autonomie es ist, die betroffen sein soll. In Rede steht damit also nicht die Relativität der Schuldverhältnisse als Frage danach, ob die Vertragsparteien Drittwirkungen auslösen, sondern die Problematik, wen der Gesetzgeber adressiert, wenn er Privatautonomie beschränkt. Diese Adressierung bedarf sachlicher Begründung; dies ergibt sich zum einen schon aus dem Willkürverbot2: Eine Instanz, die heteronome Elemente in Schuldverhältnisse einführt und hierbei einen Adressaten auswählt, darf dies nicht nach sachfremden Erwägungen tun. Zum anderen folgt das Gebot sachlicher Begründung bei der Bestimmung der Adressaten heteronomen Rechts jedoch auch aus dem Autonomieprinzip selbst und aus der in diesem enthaltenen Anerkennung der Befugnis des Einzelnen, die eigenen Rechtsverhältnisse in Selbstbestimmung zu regeln3: In diese Befugnis greift heteronomes Schuldrecht ein. Die also notwendige sachliche Begründung kann wiederum nur in Abhängigkeit davon vorgenommen werden, welcher Art das jeweilige heteronome Recht ist, gestaltet sich also für heteronome Schutzpflichten4 anders als für heteronomes Verbrauchsgüterkaufrecht5 oder Urhebervertragsrecht6. Sie ist auf mannigfachem Wege möglich und findet im geltenden Recht auch bereits statt: Wo der Gesetzgeber im Vertragsrecht auf Nicht-Vertragsparteien zugreift, tut er dies unter Berufung auf Treu und Glauben, auf Vertrauen, auf Regeln der Risikoverteilung etc. Auch ökonomische Überlegungen mögen relevant sein. Nur die Relativität der Schuldverhältnisse als Regel bildet, wenn das oben Gesagte richtig ist, kein zulässiges Argument.

2

Art. 3 Abs. 1 GG. Artikel 2 Abs. 1 GG; hierzu statt vieler: Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 1; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 12ff., 27; Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 (277/278); Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 374; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 294; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 59; Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (781). 4 Hierzu unten S. 43. 5 Ausführlich in § 5 dieser Untersuchung (S. 84ff.) 6 Unten S. 109ff. 3

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Die Beziehung zwischen Heteronomie und Außenwirkung geht, wenn man die Medaille umdreht, sogar noch etwas weiter und lässt sich als Regel formulieren: Die Wirkung von Rechten und Pflichten bedarf, wenn sie über Vertragsparteien hinausgehen soll, der Heteronomie, oder mit den Worten Pickers: Generell gebotene Haftung fordert heteronome Regelung, weil sie von privatautonomer Entscheidung nicht abhängen kann7. Dies gebietet der Relativitätsgrundsatz in seiner Herleitung aus dem Autonomieprinzip. Hieraus folgt im Übrigen auch die Vorzugswürdigkeit der Herleitung von Schutzwirkungen aus Schuldverhältnissen gegenüber Dritten aus dem Gesetz gegenüber einem, wie auch immer konzipierten, Rekurs auf den Parteiwillen. Die Hypothese, mit der nun bestehendes heteronomes Recht im Hinblick auf seine Außenwirkungen untersucht werden soll, und mit welcher dann auch im Hinblick auf eine Herstellerhaftung im Verbrauchsgüterkaufrecht gearbeitet werden soll, ist somit eine doppelte: Zum ersten ist der Relativitätsgrundsatz im Rahmen heteronomen Rechts kein valides Argument zur Bestimmung des oder der Adressaten, zum zweiten bedarf es für die Außenwirkungen von schuldrechtlichen Beziehungen der heteronomen Herkunft der außenwirkenden Elemente. In diesem Kapitel sollen heteronome Elemente in Schuldverhältnissen im geltenden Recht dargestellt werden. Diese Untersuchung soll den Beleg für die These liefern, dass heteronomes Schuldrecht schon im geltenden Recht potentiell absolut wirkt, also nicht an den Relativitätsgrundsatz gebunden ist. Gegenstand dieses Kapitels ist dabei nicht das europäische Privatrecht, nicht das Vertragsrecht anderer Mitgliedstaaten, sondern einzig das deutsche Schuldrecht. Dies beruht auf drei Gründen: Eine Untersuchung heteronomer Elemente in den Schuldrechtsordnungen anderer Staaten hätte erstens den Rahmen dieser Arbeit überschritten. Zweitens liefert das deutsche Schuldrecht die im europäischen Rechtsvergleich reichhaltigste Dogmatik an Drittwirkungen, was an den bekannten Schwächen des deutschen Deliktsrechts liegt. Es kommt, drittens, hinzu, dass in diesem Kapitel ein allgemeines Prinzip beschrieben und belegt werden soll. Dieses könnte im besten Fall, wenn nämlich die gerade aufgestellten Prämissen richtig sind, allgemeine Gültigkeit beanspruchen und wäre damit nicht abhängig von nationalen Rechtsordnungen. Das deutsche Schuldrecht dient also lediglich der Durchführung der genannten Hypothesen: Wo heteronomes Recht in Schuldverhältnissen wirkt, kann der Relativitätsgrundsatz keine normative Wirkung beanspruchen, und wo Außenwirkungen von Schuldverhältnissen bereits im vorhandenen Recht auftreten, beruht dies auf der Einwirkung heteronomer Elemente.

7 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (411).

B. Heteronomie

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B. Heteronomie I. Heteronomie als Begriff Wer einen Begriff wie „Heteronomie in Schuldverhältnissen“ in die Diskussion wirft8, schuldet zumindest den Versuch einer Definition – einen Versuch, der jedoch der Natur der Sache nach unmittelbar zum Scheitern verurteilt ist. Denn der Begriff der Heteronomie dient einzig der Kennzeichnung nicht-autonom gesetzten Schuldrechts. Er ist damit negativer Natur und deswegen schon methodisch nicht abschließend bestimmbar. Da der Begriff der Heteronomie einzig dazu dient, nicht-autonome (und damit nicht zwingend nur relativ wirkende) Elemente in Schuldverhältnissen zu identifizieren, kann er nur aus dem Begriff der Autonomie abgeleitet werden: Heteronom ist, was nicht autonom ist, und dies ist, auf einer noch formalen Ebene, all das, was seine Quelle nicht in der Entscheidung von Vertragsparteien hat, sondern außerhalb dieser Sphäre. Ein heteronomes Element bei der Begründung oder Inhaltsbestimmung eines Schuldverhältnisses liegt immer dann vor, wenn nicht die Parteien es sind, die darüber entschieden haben. Die sich hieran anschließende Frage ist nun, wer, wenn nicht die Parteien, für ein heteronomes Element verantwortlich ist. Soweit ersichtlich, wird an erster Stelle der Gesetzgeber zu nennen sein – unabhängig davon, ob es sich um den nationalen Gesetzgeber oder den europäischen Normgeber handelt. Er ist es, der das Verbrauchsgüterkaufrecht und das Urhebervertragsrecht mit objektiven Maßstäben versieht, Diskriminierungsvorschriften einführt, in welchen nicht der beiderseitige Parteiwille, sondern das Faktum der Benachteiligung über einen Vertragsschluss entscheiden kann, und der schließlich nicht-vereinbarte Kriterien wie beispielsweise die Inanspruchnahme von Vertrauen zur Begründung eines Schuldverhältnisses bestimmt. Eine zweite Quelle heteronomen Rechts sind die Gerichte. Auch sie verfügen über die Möglichkeit, Vertragsverhältnissen heteronome Elemente beizugeben, insbesondere mit Hilfe zweier Instrumente, nämlich der (ergänzenden) Vertragsauslegung und der richterlichen Rechtsfortbildung. Der Zusammenhang von Heteronomie und vertraglichen Außenwirkungen wird gerade in den Fällen richter8 Der für diese Arbeit zentrale Begriff der Heteronomie entstammt, ebenso wie der wesentlich gebräuchlichere der Autonomie, dem Griechischen. Er setzt sich aus dem Attribut „heteros“ (fremd) und dem Substantiv „nomos“ (Gesetz) zusammen und wäre somit wohl am ehesten mit „Fremdbestimmung“ oder „Fremdsetzung“ zu übersetzen. Die Heteronomie als privatrechtliche Kategorie (als das Gegenteil der Autonomie) spielt in der Rechtswissenschaft bislang, soweit ersichtlich, kaum eine Rolle. (Eine Ausnahme bildet Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a., Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397ff., insb. S. 411; vgl. auch die Terminologie bei Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/ Weatherill, Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348, 363: „heteronomously imposed, as opposed to autonomously agreed obligations“.) In dieser Arbeit soll der Begriff der Heteronomie zur Beschreibung nicht selbstgesetzten Schuldrechts eingeführt werden. Eine nähere Begriffsbestimmung erfolgt in diesem Kapitel.

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licher Intervention augenfällig: Ein Blick auf die Genese des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte9 zeigt, wie wesentlich die Rolle der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung war10, und auch die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung11 als ein weiterer Fall von Außenwirkungen ist in ihrem Ursprung Richterrecht12. Gegen die diese Untersuchung begleitende Trennung von autonomem und heteronomem Schuldrecht lässt sich mit gewisser Berechtigung einwenden, dass nicht nur alles Schuldrecht, sondern alles Privatrecht in seinen Grundzügen heteronom ist und Heteronomie voraussetzt. Heteronom ist in diesem Sinne bereits das Bereitstellen der Rechtsordnung an sich durch den Gesetzgeber: Die Möglichkeit, Verträge zu schließen und gerichtlich durchzusetzen, die Geltung bestimmter Regeln für die Wirksamkeit von Willenserklärungen, das Vorenthalten der Geschäftsfähigkeit für Kinder unter sieben Jahren sind ohne Zweifel heteronome Bestandteile des Privatrechts. Drexl nennt diese Grundvoraussetzungen der Vertragsrechtsordnung die „juristische Infrastruktur der Marktwirtschaft“13. Mit Blick auf diese im gesamten Recht existente Heteronomie der Rechtsordnung ließe sich ohne weiteres folgern, das Privatrecht sei bereits an sich heteronom, und es gäbe keine „wirkliche“ Privatautonomie im Sinne einer unabhängigen und vollständigen Selbstbestimmung. In letzter Konsequenz wären alle Schuldverhältnisse, sei ihr Inhalt auch individuell ausgehandelt, als gesetzliche Schuldverhältnisse anzusehen, und die gerade aufgestellten Thesen hätten sich erledigt. Eine derartige Sichtweise wäre jedoch nicht nur wenig hilfreich; sie verstellte auch den Blick darauf, was innerhalb der angesprochenen Infrastruktur geschieht. Dort nämlich bestehen gravierende und deutliche Unterschiede zwischen autonomen Entscheidungen, wie beispielsweise der Parteivereinbarung über einen zu entrichtenden Kaufpreis, und heteronom vorgegebenen Elementen, wie der gesetzlich geregelten Verjährung eben dieser Kaufpreisforderung. Dass beides nicht das gleiche ist, leuchtet unmittelbar ein, denn die Parteien haben über den Kaufpreis, nicht hingegen über die Verjährung der Forderung entschieden. Der Blick auf die Quelle eines einzelnen in einem Schuldverhältnis wirkenden Elements erlaubt es also durchaus, zwischen Heteronomie und Autonomie zu unterscheiden. Weil diese Unterscheidung möglich ist und sich bestimmte Elemente von Schuldverhältnissen als parteiautonom oder nicht parteiautonom identifizieren 9

Hierzu ausführlich unten S. 52ff. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 330f. 11 Hierzu unten S. 70ff. 12 Wegen des Richterrechts als heteronomer Rechtsquelle lässt sich „heteronomes Schuldrecht“ auch nicht mit „gesetzlichem Schuldrecht“ gleichsetzen. 13 Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (783). 10

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lassen, kann es in dieser Untersuchung auch unterbleiben, Wesen und Grenzen der menschlichen Autonomie zu bestimmen. Philosophische oder biologische Fragen des Vorhandenseins bzw. der Grenzen menschlicher Willensfreiheit sollen hier nicht problematisiert werden. Im Privatrecht und insbesondere im Verbrauchsgüterkaufrecht lassen sich Punkte finden, über deren heteronomen Charakter kein Zweifel besteht, wie z.B. die Tatsache, dass das Verbrauchsgüterkaufrecht zu Ungunsten des Verbrauchers nicht zur Parteidisposition steht14. Von Interesse ist hingegen eine dahingehende Grenzbestimmung, wo Autonomie aufhört und Heteronomie beginnt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt die untere Grenze, ab der sich darüber diskutieren lässt, ob schuldrechtliche Elemente nicht auf Parteivereinbarung beruhen, sondern heteronom bestimmt sind, bei der ergänzenden Vertragsauslegung; hierauf wird näher einzugehen sein15. Aus der Antinomie von Autonomie und Heteronomie folgt, dass zur Beurteilung heteronomen Rechts die Rechtsquelle zu betrachten ist. Die Frage ist somit, wer über den mit einem schuldrechtlichen Element herzustellenden Zustand entscheidet bzw. entschieden hat. Sind dies die Parteien, verwirklicht sich autonomes Recht. Stammt hingegen die Entscheidung darüber, welches der herzustellende Rechtszustand sein soll, nicht von ihnen, so ist der herzustellende Zustand heteronom bestimmt. Hierfür ist es vollständig unerheblich, ob die heteronome Entscheidung bindend ist oder nicht, ob das heteronome Recht also zwingend oder dispositiv ist16: Allein nach Herkunft, nicht nach Bindungswirkung beurteilt sich Heteronomie, wenn es in vielen Fällen auch so sein wird, dass der Gesetzgeber, wenn er schon in Schuldverhältnisse eingreift, dies auch mittels zwingenden Rechts unternimmt. Dies liegt jedoch nur in der Handlungs-, nicht in der Sachlogik begründet. Es sei zugestanden, dass dieser erste Annäherungsversuch an den Begriff der Heteronomie noch nicht zu der Trennschärfe führt, die wünschenswert wäre. Dies ist jedoch aufgrund der notwendigen negativen Bestimmung des Heteronomiebegriffs nicht anders möglich. Vielleicht trägt jedoch die folgende Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen heteronomen Rechts und seiner Außenwirkungen zumindest zur Veranschaulichung des Begriffs bei. II. Elemente Der Begriff des „Elements“ nimmt in dieser Arbeit eine gewisse Schlüsselstellung ein. Wenn schon im Titel von der Relativität „in“ (und nicht „von“) Schuldverhältnissen die Rede ist, so deswegen, weil sich die Untersuchung der Heteronomie auf Elemente und nicht auf Schuldverhältnisse als Ganzes bezieht. Der gerade

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Art. 7 Abs. 1, Richtlinie 1999/44/EG. Hierzu unten S. 38ff. Ein Beispiel für dispositives heteronomes Recht bildet § 546 Abs. 2 BGB; hierzu unten S. 76.

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gezogene Umkehrschluss aus dem Verhältnis von Relativitätsgrundsatz und Autonomieprinzip gebietet es, einzelne Bestandteile innerhalb eines Schuldverhältnisses nach ihrer (heteronomen oder autonomen) Herkunft zu untersuchen, um zu erfahren, ob diese dem Relativitätsprinzip unterliegen oder nicht. Aus diesem Grund ist, obwohl Schuldverhältnisse sich als „Bündel von Forderungen bzw. Pflichten“17 charakterisieren lassen, auch nicht von Rechten und Pflichten die Rede – wenn sich die Untersuchung auch zumeist um Pflichten dreht. Innerhalb von Schuldverhältnissen existieren jedoch noch weitere Elemente, die sich nicht als „Forderung“ oder „Pflicht“ bezeichnen lassen, aber von Bedeutung für das Schicksal des Schuldverhältnisses sind und in ihm fortwirken. Auch sie sind Rechtssätze, die zu einem Schuldverhältnis in Zusammenhang stehen und in dieses „eingebettet sind“18. Beispiele hierfür wären Beweislastregeln, die weder Recht noch Pflicht sind, oder Verjährungsfristen, die zwar zu einem Leistungsverweigerungsrecht führen, selbst jedoch keine Rechte oder Pflichten darstellen19. Die Fragen nach Relativität und Außenwirkungen in Schuldverhältnissen betreffen schließlich, wenn man auf einzelne Elemente abstellt, nicht nur die Entstehung von Schuldverhältnissen insgesamt, sondern können für einzelne Elemente bestehender Schuldverhältnisse verschieden beantwortet werden. Eine strikte Unterteilung von Schuldverhältnissen in entweder auf privater oder auf gesetzlicher Wertung gegründet20 würde der Realität von Schuldverhältnissen nicht gerecht. Dies zeigt insbesondere die Tatsache, dass Schuldverhältnisse heutzutage private Wertungen (autonomes Recht) mit gesetzlichen bzw. richterrechtlichen (heteronomes Schuldrecht) kombinieren, wie sich in Deutschland insbesondere an § 241 Abs. 2 BGB in der seit dem Jahre 2002 geltenden Fassung, aber auch am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ersehen lässt21. III. Heteronomie und Materialisierung Das deutsche Schuldrecht materialisiert sich, nicht zuletzt unter europäischem Einfluss22, und seine Materialisierung produziert, wenn man das gerade Gesagte anwendet, heteronomes Schuldrecht. Für materialisiertes Schuldrecht spielt, verkürzt ausgedrückt, die „Richtigkeit“ eines Rechtsgeschäfts eine Rolle. Diese herzustellen, überlässt das materialisierte Recht nicht der formalen Vertragsab-

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Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 8. Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 209. 19 Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 15. Aufl. 2002, Rdn. 247. 20 So aber wohl Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 434. 21 Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 32. 22 Hierzu ausführlich Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273ff.; Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (121ff.). 18

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schlussfreiheit23. Materialisiertes Recht versucht vielmehr sicherzustellen, dass die Selbstbestimmung der Parteien auch tatsächlich besteht und dass die reale Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Entscheidung so weit wie möglich gewährleistet ist24. Beispiele für Materialisierungen von Schuldrecht gibt insbesondere das Verbraucherschutzrecht mit seinen zwingenden Vorschriften. Es liegt auf der Hand, dass Materialisierung und heteronomes Schuldrecht einander nicht nur berühren, sondern dass die Heteronomie der Rechtsquelle sogar eine notwendige Bedingung materialisierten Schuldrechts ist. Denn die Versuche, einen tatsächlich selbstbestimmten Vertragsschluss sicherzustellen, können, nachdem dies der Freiheit der Vertragsparteien gerade nicht überlassen bleiben soll, nur auf gesetzgeberischem oder richterrechtlichem Wege erfolgen, sind also zwangsläufig heteronom. Materiales und heteronomes Schuldrecht gehen also Hand in Hand, und diese Arbeit wird am Ende, wenn von den Auswirkungen heteronomen Schuldrechts auf die Europäische Privatrechtsentwicklung die Rede sein wird, auf den Begriff der Materialisierung zurückkommen25. Dennoch ist das primäre Interesse dieser Untersuchung nicht auf die Materialisierung von Schuldrecht gerichtet. Gegenstand ist hier der Begriff der Heteronomie, und dieser ist formal. Er bezieht seine Funktion ausschließlich daraus, einzelne Elemente in Schuldverhältnissen einer bestimmten Herkunft zuordnen zu können. Dies entspricht, wie gesagt, spiegelbildlich der oben vorgenommenen Begründung des Relativitätsprinzips aus der ebenfalls formalen negativen Privatautonomie und beruht auf dem bereits angesprochenen formalen Verständnis der Vertragsfreiheit, welches dem Relativitätsgrundsatz zugrunde liegt. Aus diesem Verständnis muss ein ebenso formaler Heteronomiebegriff folgen, der lediglich der Bestimmung nicht-autonomer Elemente dient. Wenn hier also die Außenwirkungen bestimmter schuldrechtlicher Elemente untersucht werden, so kommt es nicht auf das Gegensatzpaar material-formal an. Es ist, mit anderen Worten, für die Beziehung zwischen der Herkunft eines Elements und seiner relativen oder potentiell absoluten Wirkung nicht ausschlaggebend, ob Eingriffen in die Privatautonomie ein materiales Verständnis von Vertragsfreiheit oder Vertragsgerechtigkeit zugrunde liegt; ausreichend für die Diagnose heteronomer Elemente in Schuldverhältnissen ist bereits, dass überhaupt Elemente zur Anwendung kommen, die parteifern, nicht von den Vertragsparteien gemacht, nicht (ausschließlich) privatautonom bestimmt sind. Das Interesse daran, ob es sich bei heteronomem Recht (zwingendem Recht, materialisiertem Recht, Verbraucherschutzrecht) um richtiges oder zumindest richtig begründetes

23 Habermas, Faktizität und Geltung, 1998, S. 487; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 208. 24 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 (277/278). 25 Unten S. 288ff.

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Recht handelt, steht also nicht im Vordergrund dieser Arbeit. Das Interesse dieser Arbeit richtet sich auf den richtigen Adressaten.

C. Gesetzliche Schuldverhältnisse Schuldverhältnisse beruhen auf Rechtsgeschäft oder auf Gesetz26. In beiden Fällen beschränken sie die allgemeine Handlungsfreiheit zumindest des Schuldners. Die Rechtfertigung dieser Beschränkung ergibt sich im ersten Fall aus seinem autonomen Einverständnis, im anderen aus gesetzlicher Anordnung, die sich ihrer Natur nach gegen jedermann richtet27. Gesetzliche Schuldverhältnisse sind damit das einfachste und nächstliegende Beispiel heteronomen und hinsichtlich der Begründung von Forderungen potentiell absolut wirkenden Schuldrechts. Prominenteste Beispiele hierfür sind im deutschen Recht das Delikt, die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag28. Daneben bilden auch die im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts geregelten Schadensersatzpflichten des Anfechtenden und des falsus procurator gesetzliche Schuldverhältnisse29, weiterhin Forderungsbeziehungen, die sich aus dem Sachenrecht30, Familienrecht31 und Erbrecht32 ergeben. Es kommen innerhalb des Privatrechts sondergesetzlich geregelte, zumeist deliktische Schuldverhältnisse hinzu, insbesondere aus Produkthaftung und Straßenverkehrsgesetz33. Das Schuldverhältnis als Forderungsbeziehung zwischen Schuldner und Gläubiger ergibt sich in all diesen Fällen nicht aus privatautonomer Gestaltung, sondern aus der Verwirklichung von gesetzlichen Tatbeständen34. Zu heteronom bestimmten Parteien eines Schuldverhältnisses werden im Deliktsrecht der Inhaber eines deliktisch geschützten Rechts oder der von einem Schutzgesetz Begünstigte als Gläubiger, der Täter, der Halter eines Fahrzeugs oder Luxustiers oder der zur Verkehrssicherung Verpflichtete als Schuldner; im Bereicherungsrecht der Bereicherte und der Entreicherte im Rahmen einer Eingriffskondiktion sowie die Parteien einer rückabzuwickelnden Leistungsbeziehung bei der Leistungskondiktion. Diese Schuldverhältnisse können also potentiell für und gegen jedermann wirken, weswegen sich bei ihnen die Frage einer Drittwirkung gar nicht stellt, denn 26

Einen Überblick gibt Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 3. Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 9. 28 §§ 823ff., 812ff. 677ff. BGB. 29 §§ 122, 179 BGB. 30 Beispielsweise die Beziehungen des Eigentümers zum Nießbraucher (§§ 1030ff.) oder Finder (§§ 965ff.). 31 So insbesondere die Unterhaltspflicht (1601ff. BGB). 32 §§ 2174ff. BGB (Vermächtnis). 33 Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 32. 34 Eike Schmidt, Das Schuldverhältnis, 2004, Rdn. 82. 27

D. Zum weiteren Fortgang: Außenwirkungen in vertraglichem Zusammenhang

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aus der Perspektive des vom Gesetzgeber gesetzten Schuldrechts gibt es keine „Zweiten“ bzw. „Dritten“, sondern nur unmittelbar Rechtsunterworfene. Als heteronomes Recht wirken gesetzliche Schuldverhältnisse potentiell absolut. Im Hinblick auf die oben gemachten Ausführungen zum Relativitätsgrundsatz bedeutet dies: Auch gesetzliche Schuldverhältnisse sind relativ wirkende Schuldverhältnisse im deskriptiven Sinn, d.h., das Schuldverhältnis als vinculum iuris verbindet den Schuldner und den Gläubiger eines deliktischen oder bereicherungsrechtlichen Anspruchs ebenso wie den falsus procurator mit seinem Gläubiger, nachdem es entstanden ist. In normativer Hinsicht hingegen, also bei der Frage nach der Begründung von Rechten und Pflichten, spielt das Relativitätsprinzip keine Rolle, da der Entstehungsgrund des Schuldverhältnisses heteronom ist. Darum wirken die Begründungstatbestände für gesetzliche Schuldverhältnisse potentiell absolut.

D. Zum weiteren Fortgang: Außenwirkungen in vertraglichem Zusammenhang Die potentiell absolute Wirkung von Tatbeständen, die gesetzliche Schuldverhältnisse begründeten, ist nichts anderes als eine Binsenweisheit. Es handelt sich hierbei nur um die Verdeutlichung des klarsten Falles heteronomen Schuldrechts. Interessanter wird es, wenn Schuldverhältnisse privatautonom, also durch Vertrag, begründet werden und hierzu heteronome Elemente hinzutreten. Erst hier ergibt sich überhaupt eine Konstellation, anhand derer man über Außenwirkungen von Schuldverhältnissen nachdenken könnte, denn erst hier besteht ein an den Relativitätsgrundsatz gebundenes Zweipersonenverhältnis, von dessen Wirkungen auch andere betroffen sein können. Hierauf soll nun eingegangen werden. Erste denkbare Konstellationen bilden sich dort, wo die Auslegung von Verträgen diesen weitere, nicht vereinbarte Elemente hinzugibt. In der gleich zu behandelnden ergänzenden Vertragsauslegung selbst liegt jedoch, wie sich zeigen wird, noch kein heteronomes Element, sondern nur eine Methode, um solche in Schuldverhältnisse einzuführen. Die ergänzende Vertragsauslegung ist per se nicht mehr als ein bei der Einführung heteronomer Elemente in Schuldverhältnisse verwendetes Instrument. Ein echtes heteronomes Element hingegen ist das in § 241 Abs. 2 BGB enthaltene Pflichtenprogramm35. Die dort normierten Pflichten stellen, abseits des Verbrauchsgüterkaufrechts, den Grundfall heteronomer Elemente in Schuldverhältnissen dar. Im Verbrauchsgüterkaufrecht36 wird sich dann zeigen, dass dort ein ganz anderer Typ von Heteronomie am Werke ist. 35 36

Hierzu unten ab S. 43. § 5, unten S. 84ff.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Die Wirkungsweise der Schutzpflichten gegenüber weiteren Personen (Außenwirkung) lässt sich dann an der Regelung in § 311 Abs. 3 BGB beobachten37 sowie an den einschlägigen Rechtsfiguren des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte38, der Berufs- bzw. Gutachterhaftung39 und der allgemeinen privatrechtlichen Prospekthaftung40. Die nun folgenden Ausführungen zur Außenwirkung heteronomer Elemente im deutschen Schuldrecht verstehen sich dabei in erster Linie deskriptiv: Es soll lediglich am geltenden deutschen Recht durchgeführt werden, inwiefern heteronome Elemente in Schuldverhältnissen weitere Wirkungen nach außen entwickeln, welche Elemente dies sind und wie sie, sofern sie nicht gesetzlich kodifiziert sind, begründet werden. Zugleich sollen die oben beschriebene Adressatentheorie zur Anwendung gebracht und damit die sachlichen Gründe untersucht werden, die für und gegen die Adressierung bestimmter Personen mit heteronomem Schuldrecht herangezogen werden – der geschäftliche Kontakt41 bietet hierfür das deutlichste, jedoch nicht das einzige Beispiel. Die Entwicklung abschließender Theorien zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, zur Prospekt- oder Gutachterhaftung bildet nicht das Interesse dieser Arbeit; diese will lediglich die Außenwirkung heteronomen Rechts nachweisen, um die so gewonnenen Erkenntnisse später auf das Verbrauchsgüterkaufrecht übertragen zu können.

E. Auslegung und Heteronomie I. Normative Auslegung Wer von heteronomen Elementen in Schuldverhältnissen spricht, sieht sich, quasi auf der untersten Stufe, mit der Frage konfrontiert, ob nicht bereits im Vorgang der Auslegung von Willenserklärungen ein heteronomes Element verborgen ist. Eine derartige Vermutung liegt insbesondere dann nahe, wenn Vertragsparteien kein übereinstimmendes Verständnis42 über den vollständigen Vertragsinhalt entwickelt haben und das Recht sich mit einer nicht-natürlichen43, normativen Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen behelfen muss. Die nicht-natürliche, normative Auslegung wird nach einer gängigen Formel aus der Sicht des ob-

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Unten S. 46. S. 52. 39 S. 67. 40 S. 70 41 § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. 42 Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl. 2004, § 28 Rdn. 30. 43 Zum Vorrang der natürlichen Auslegung Köhler, BGB AT, 29. Aufl. 2005, S. 11; Schwab, Einführung in das Zivilrecht, 15. Aufl. 2002, Rdn. 567. 38

E. Auslegung und Heteronomie

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jektiven Empfängers unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Umstände des Einzelfalls vorgenommen44. Während die rein natürliche Auslegung noch kein anderes Kriterium als den natürlichen menschlichen Willen kennt, richtet sich die normative Auslegung bereits nicht mehr nur auf die Ermittlung des Willens, sondern schon des Inhalts einer rechtsgeschäftlichen Regelung45, also dessen, was „von Rechts wegen als gewollt zu verstehen ist“46. Da der Inhalt von Willenserklärungen in diesen Fällen aus dem objektiven Empfängerhorizont heraus zu beurteilen ist und Kriterien wie Verkehrssitte und Redlichkeit der Beteiligten47 eine Rolle spielen, steht der Eindruck heteronomen Rechts hinsichtlich des solcherart ermittelten Inhalts zumindest im Raume. Schließlich kann die normative Auslegung ohne weiteres dazu führen, dass einer Willenserklärung mit Hilfe juristischer Technik eine Bedeutung zugeschrieben wird, von welcher der Erklärende mit Recht behauptet, er hätte sie nicht im Sinn gehabt, und die zur unverzüglichen Anfechtung berechtigt. Dennoch fügt die normative Auslegung aus dem Empfängerhorizont (anders als die gleich zu behandelnde ergänzende Vertragsauslegung) der Vertragsbehandlung kein „drittes“, von außen kommendes Element hinzu. Sie ist vielmehr nur bestrebt, den Konsens zwischen beiden Vertragsparteien in einer Weise herzustellen, die nicht nur dem Gewollten, sondern auch dem Gesagten (und möglicherweise Verstandenen) gerecht zu werden versucht. Auch die Verkehrssitte als Bestandteil der normativen Auslegung ist kein heteronomes Element. Die Verkehrssitte dient, neben den Umständen des Einzelfalls, lediglich der Ermittlung des Konsenses, ohne Allgemeininteressen oder andere wertende Gesichtspunkte in das Rechtsgeschäft hineinzutragen: „Der Vertrag braucht grundsätzlich nicht mehr Interessen gerecht zu werden als denen der Sich-Erklärenden, und nicht mehr Bedürfnisse zu befriedigen als die der Parteien. Freilich sind objektive Gesichtspunkte bei der Auslegung zu berücksichtigen, aber das geschieht vor allem im Interesse der Vertragsparteien.“48

II. Ergänzende Vertragsauslegung Wenn Verträge planwidrig unvollständig sind, die Vertragsparteien also hinsichtlich bestimmter Punkte, die einer Regelung bedürften, nichts vereinbart haben, sind diese Lücken durch die Anwendung dispositiven Gesetzesrechts zu füllen. Wenn dies nicht möglich ist, werden Vereinbarungen mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung vervollständigt49. 44 45 46 47 48 49

Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. 2002, § 24 Rdn. 323. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 311. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. 2002, § 24 Rdn. 323. Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl. 2004, § 28 Rdn. 45. Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 108. Brox, BGB AT, 27. Aufl. 2003, Rdn. 139; Köhler, BGB AT, 29. Aufl. 2005, S. 117.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Abgestellt wird bei der ergänzenden Vertragsauslegung auf den hypothetischen Parteiwillen50 vermittels einer „Interessenabwägung auf objektiver Grundlage“51, und hieran wird bereits ersichtlich, dass es ein parteifernes Element sein muss, welches in den Vertragsinhalt Einzug hält. Der Vertrag wird damit als „objektiviertes, von den Parteien abstrahiertes Ganzes gesehen“, weswegen der so genannte hypothetische Parteiwille eher etwas mit Üblichkeits- und Billigkeitserwägungen als mit dem tatsächlichen Willen der Vertragspartner zu tun hat – dieser ist ja gerade nicht ermittelbar52. Damit handelt es sich, methodisch gesehen, um eine Vermengung des tatsächlich Gewollten mit dem, was nach parteifernen Kriterien, insbesondere nach Treu und Glauben, geschuldet wird53. Wenn die ergänzende Vertragsauslegung auch der normativen Auslegung im weiteren Sinne zuzurechnen sein dürfte54, so ist doch die Zielrichtung eine andere: Während sich die normative Auslegung im engeren Sinne an der „Bestimmung des Verständnisses der Erklärung in Anbetracht des nicht übereinstimmenden Verständnisses der Beteiligten“55 ausrichtet, also vom Vorhandensein einer vertraglichen Regelung über einen bestimmten Gegenstand ausgeht und diese nur interpretiert, widmet sich die ergänzende Vertragsauslegung dem Füllen einer Lücke. Sie betrifft die Fragen, „über deren Regelung die Parteien nicht in einem unterschiedlichen Verständnis waren, sondern hinsichtlich deren nach dem aktuellen Verständnis der Beteiligten oder dem durch normative Auslegung festzustellenden Verständnis (...) überhaupt keine Regelung getroffen werden sollte“56. Da also weder die Vereinbarung noch das dispositive Gesetzesrecht Klärung schaffen können, muss das Recht auf die wenigen Kriterien zurückgreifen, die ihm noch zur Verfügung stehen, und dies sind insbesondere der Grundsatz von Treu und Glauben und die Verkehrssitte57. Fikentscher zweifelt die Zulässigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung aus diesen Gründen an. Die Ergänzung des subjektiv Gewollten sei nur mit tatsächlich objektiven Elementen, nämlich dispositivem Gesetzesrecht zulässig; falls ein solches nicht zur Hand sei, seien Lücken „eben hinzunehmen“. Dann bedürfe es „einer Prüfung des § 242 BGB einschließlich der Grundsätze der persönlichen Vertrauensgrundlage und der Geschäftsgrundlage“58, also jedenfalls einer Heranziehung objektiven Rechts an Stelle der Suche nach nicht vorhandenen subjektiven Merkmalen. Aus diesen Ausführungen lässt sich die Sorge vor der Vermengung autonomer und heteronomer Elemente im Vertragsrecht herauslesen, oder mit anderen Wor50 51 52 53 54 55 56 57 58

Köhler, BGB AT, 29. Aufl. 2005, 118; Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 322. BGHZ 96, 313 (320). Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 109. Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 109. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 322. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 323. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 323. Vgl. beispielsweise Köhler, BGB AT, 29. Aufl. 2005, S. 118. Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 109 und 185.

E. Auslegung und Heteronomie

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ten: vor der Anwendung heteronomer Kriterien im autonomen Gewande. Die grundsätzliche Unzulässigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung soll hier dennoch nicht vertreten werden, im Gegenteil. Die ergänzende Vertragsauslegung erfüllt eine wichtige Funktion, indem sie die beiden vertragsschließenden Individuen in Beziehung zu den Verkehrssitten, zur allgemeinen Vertragspraxis und letztlich zu dem sie umgebenden Markt setzt und auf diese Weise den im Vertragsrecht immer mitschwingenden kollektiven Aspekten Rechnung trägt59. Reine, von der sozialen Realität unberührte Autonomie existiert nicht. Verträge beeinflussen die Rechtswirklichkeit und umgekehrt. Ebenso wie Vertragsparteien mit ihrem Verhalten die Rechtspraxis und damit die Rechtsordnung insgesamt beeinflussen, indem sie nämlich ein Modell möglichen Verhaltens setzen, so beeinflusst die solcherart gestaltete Rechtspraxis mit ihren bereits vorbestehenden Modellen auch die Individuen im Moment ihrer Entscheidung. Zwischen Autonomie und Heteronomie besteht also eine fortdauernde Wechselwirkung. Für die vorliegende Untersuchung ist jedoch in erster Linie von Bedeutung, dass mit der ergänzenden Vertragsauslegung parteiferne Kriterien in ein Schuldverhältnis einziehen – Fikentscher spricht vom „Weiterdenken des Parteiwillens nach objektiven Kriterien der Üblichkeit und Billigkeit“60. Innerhalb der denkbaren heteronomen Elemente in Schuldverhältnissen nimmt die ergänzende Vertragsauslegung insofern eine grundlegende Stellung – sozusagen Heteronomie auf der untersten Stufe – ein, als es bei ihr bereits um die Ermittlung des Vertragsinhalts geht. Damit rücken die Elemente ins Blickfeld, die zur Lückenfüllung herangezogen werden. Die Auswahl ist nicht groß: Ein lückenhafter und im Streit stehender Vertrag ist hypothetisch „weiterzudenken“, und sofern die Umstände des Einzelfalls nicht ausnahmsweise eine deutliche Sprache sprechen, kommen zur Begründung von nicht vereinbarten Rechten und Pflichten letztlich nur generalklauselartige Grundsätze wie Treu und Glauben oder die Verkehrssitte in Betracht: „Auch wenn man sich der Hilfsvorstellung eines ‚hypothetischen Parteiwillens‘ bedient, läuft das doch auf nichts anderes als auf eine ‚objektive Interessenwertung‘ hinaus.“61 Die ergänzende Vertragsauslegung gibt ein deutliches Beispiel für den Zusammenhang von Heteronomie und Außenwirkungen, was am Fall des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte62 deutlich wird. Bei der Entwicklung dieser Rechtsfigur war es nämlich gerade die ergänzende Vertragsauslegung, mit der sich ein gegenüber Dritten bestehendes Pflichtenverhältnis und damit die Außenwirkung eines Schuldverhältnisses begründen ließen63. 59

Hierzu Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 12ff. Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 109. 61 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 227. 62 Zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ausführlich unten S. 52ff. 63 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 330f.; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2. Aufl. 1996, S. 433; Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 185. 60

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Hierin verwirklicht sich ein allgemeiner Mechanismus, der in dieser Arbeit noch mehrfach eine Rolle spielen wird: Sobald heteronome Kriterien in bestehenden Schuldverhältnissen wirksam werden, entsteht auch eine Tendenz in Richtung auf deren Außenwirkung. Diese Tendenz ist nicht nur praktischer, sondern argumentativer Natur. Entscheidender Faktor in der unmittelbaren Beziehung zwischen der ergänzenden Vertragsauslegung und den Außenwirkungen im Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist nicht die ergänzende Vertragsauslegung als solche, sondern das mit ihr verbundene heteronome Element, nämlich das, was der Richter unter Rekurs auf den hypothetischen Parteiwillen in das Schuldverhältnis einführt. Mit diesem Element fällt ein Teil der Bindung, die noch durch eine strenge Ausrichtung am Inhalt der jeweiligen Willenserklärungen bewirkt wurde: Wer sich ausschließlich am Verständnis der Parteien orientiert, dem wird es unmöglich sein, zulässigerweise Drittwirkungen von Vereinbarungen begründen zu können, denn hier steht das Relativitätsprinzip im Wege. Wer allerdings außervertragliche Gesichtspunkte heranzieht, muss bis zu deren Außenwirkung – bis zu ihrer vertragsunabhängigen und damit potentiell absoluten Wirkung – nur noch einen vergleichsweise kleinen Schritt gehen, insbesondere dann, wenn die herangezogenen Elemente generalklauselartiger Natur sind und damit ohnehin eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen, wie dies im Fall von Treu und Glauben oder den Verkehrssitten der Fall ist. Damit erklärt sich auch, wie die ergänzende Vertragsauslegung, die als klassisches Richterinstrument ja eigentlich ein individuelles, einzelfallbezogenes Institut darstellt, zu Typisierungen wie dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gelangen kann64. Sobald heteronome Elemente wie die Annahme typischer Schutzpflichten einmal Einzug in die Vertragsauslegung gehalten haben, ist letztere nicht mehr rein individuell, nicht mehr auf den Einzelfall beschränkt. Dies lädt dazu ein, nicht mehr in Verträgen, sondern in Vertragskonstellationen zu denken. Plastisch sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Gernhuber: „Richterrecht ist ja vielfach (...) seiner eigenen Legitimität zunächst nicht sicher; es (...) weicht aus in scheinpositivistische Begründungen, die Gesetzestreue gerade in jenem Augenblick beweisen sollen, in dem sie aufgegeben wird. Der Preis pflegen selbst gesetzte Grenzen zu sein, die späterer Einsicht nicht standhalten. Richterrecht ist ferner in der Regel Recht, das allmählich entfaltet wird, in Schüben, die oft genug zuvor als sakrosankt bezeichnete Grenzen sprengen; was gestern noch nicht akzeptiert wurde, kann morgen das Gebot der Stunde sein.“65

Im Unterschied zu den nun zu behandelnden heteronomen Elementen wie insbesondere den Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB stellt die ergänzende Vertragsauslegung selbst kein heteronomes Element dar, sondern eine heteronome Methode. In der Praxis bildet sie – darum wurde sie hier behandelt – Heterono64 65

Vgl. Zimmermann, Schuldrechtsmodernisierung?, JZ 2001, 171 (173). Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 463.

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang

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mie „auf der ersten Stufe“, nämlich konkret-individuell anhand des Vertrags im Einzelfall. Die heteronomen Elemente, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung in Schuldverhältnisse einziehen, sind dementsprechend variabel. Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte bilden nur typische Beispiele.

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang I. Heteronome Pflichten Wie oben bereits angedeutet66, liegt das wichtigste heteronome Element im deutschen Schuldrecht außerhalb des Verbrauchsgüterkaufrechts in den seit der Schuldrechtsreform von 2002 in § 241 Abs. 2 BGB geregelten Pflichten. Die Kodifikation dieser Pflichten bildet einen der folgenreichsten Schritte der Schuldrechtsreform – in seinen systematischen Auswirkungen auf das BGB wohl nur noch vergleichbar mit der Übernahme der kaufrechtlichen Erfüllungstheorie67. Mit diesem Schritt wurde die Vorschrift des § 241 BGB – und mit ihr das kodifizierte schuldrechtliche Pflichtenprogramm – über den Leistungsbegriff hinaus erweitert: „Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“

Eine wesentliche Quelle dieser Erweiterung liegt in der von Canaris68 entwickelten Theorie vom auf Vertrauen gegründeten, von rechtsgeschäftlicher Wirksamkeit unabhängigen Schuldverhältnis („Schutzverhältnis“)69. Die in § 241 Abs. 2 BGB genannten Pflichten sind mit Begriffen wie „Schutzpflichten“ oder „Obhutspflichten“ allerdings nur unzureichend charakterisiert; passender erscheint auf den ersten Blick der prinzipiell unbeschränkte Begriff der „weiteren Verhaltenspflichten“ zu sein70 – auch er krankt jedoch an einer systematischen Ungenauigkeit: Wer von „weiteren“ Verhaltenspflichten spricht, erklärt damit, dass es 66

Oben S. 37. § 433 Abs. 1 S. 2 BGB. 68 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475ff.; ders., Vertrauenshaftung, 1971. 69 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 (480); hierzu MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2 a Rdn. 83; Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (540). Bis zur Schuldrechtsreform konnte als Rechtsquelle einzig das Prinzip von Treu und Glauben dienen; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 5. Vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 27, der den Terminus des „gesetzlichen Schuldverhältnisses“ seinerzeit noch ablehnte, „da doch allzu offensichtlich gerade das Gesetz von einem derartigen Schuldverhältnis nichts weiß“. 70 Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 241 Rdn. 6; Hans Stoll, Notizen zur Neuordnung des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 589 (593); früher schon Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 22. 67

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

bereits andere, diesen vorgelagerte Pflichten geben muss; dies wären dann die Leistungspflichten nach § 241 Abs. 1 BGB. Dem ist jedoch in den Fällen vertragsloser Schuldverhältnisse nicht so, wo die „weiteren“ Verhaltenspflichten isoliert – ohne Leistungsverhältnis – auftauchen71: dort sind sie gerade keine „weiteren“, sondern die einzigen Pflichten. Wenn im Folgenden dennoch von den „weiteren Verhaltenspflichten“ gesprochen wird, so deswegen, weil mit diesem Begriff keine inhaltlichen Beschränkungen verbunden sind; auch die Kodifikation des § 241 Abs. 2 BGB macht in ihrer Offenheit und Weite die prinzipielle Unbeschränktheit des Pflichtenprogramms nach § 241 Abs. 2 BGB deutlich: Die Formulierung der „Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ dient als Blankettnorm72 der Umschreibung eines umfassenden, nicht wie im Deliktsrecht beschränkten Schutzbereichs, weswegen § 241 Abs. 2 BGB gerade keine Konkretisierung wie „Schutz“ oder „Obhut“ enthält73. Die in § 241 Abs. 2 BGB geregelten Pflichten sind rechtsgeschäftsunabhängig. Diese Unabhängigkeit wird schon unmittelbar deutlich, wenn die in § 311 Abs. 2 und 3 BGB enthaltenen Regelungen in Rechnung gestellt werden: Dort entstehen die Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB vertragslos74. Noch deutlicher wird die rechtsgeschäftliche Unabhängigkeit allerdings dann, wenn man auf die Begründungslinien rekurriert, die seinerzeit zur Rechtfertigung des so bezeichneten Schutzverhältnisses75 herangezogen wurden: Einer der zentralen Gedanken, welche die Annahme dieses Verhältnisses tragen sollten, war das vom nichtigen Vertrag unbeeinträchtigte Vertrauen76. Da vor der Schuldrechtsreform die schuldrechtliche Pflicht zur Leistung die einzige in § 241 BGB kodifizierte Pflicht war, liegt es nahe, nach der Schuldrechtsreform eine Trennung der beiden Absätze des § 241 BGB in „leistungsbezogene“ (Abs. 1) und „nicht-leistungsbezogene“ (Abs. 2) Pflichten zu vollziehen77. Diese Trennung ist zwar systematisch richtig, der Sache nach allerdings wenig hilfreich, weil sie das Abgrenzungsproblem der beiden Pflichtenprogramme nur auf den Leistungsbegriff verlagert. Dies wird bei solchen Pflichten besonders deutlich, die ihrer Natur nach, je nach Einzelfall, sowohl unter § 241 Abs. 1 als auch unter 71

§ 311 Abs. 2, 3 BGB. Hierzu unten S. 46. Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 241 Rdn. 7. 73 MünchKomm/Roth, 4. Aufl., § 241 Rdn. 31. 74 Hierzu gleich, S. 46. 75 Canaris, Ansprüche wegen positiver Forderungsverletzung und Schutzwirkung für Dritte bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 (478). 76 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 (476); ders., Vertrauenshaftung, 1971, S. 426. 77 Canaris, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, ZRP 2001, 329 (332); Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (248); Teichmann, Strukturveränderungen im Recht der Leistungsstörungen nach dem Regierungsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, BB 2001, 1485 (1486, 1490). 72

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang

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§ 241 Abs. 2 BGB subsumiert werden können. Dies sei am Beispiel der Informationspflichten verdeutlicht, die bei entsprechender Vereinbarung den Vertragsgegenstand (Primärpflichten) bilden können, sich in anderen Konstellationen jedoch nur aus dem Schutz- und Obhutsgedanken begründen lassen, wie dies insbesondere für den gesamten Bereich der vorvertraglichen Informationspflichten gilt. Zu „leisten“ ist die geschuldete Information aber in jedem Fall; der Leistungsbegriff als solcher hilft hier nicht bei der Abgrenzung. Auch das Kriterium der Klagbarkeit führt bei der Abgrenzung von Leistungspflichten und nicht-leistungsbezogenen Pflichten nicht weiter. Dies verdeutlicht insbesondere die von Gernhuber angeführte Nebenpflicht eines Vermieters, beim Umzug eines Rechtsanwalts aus den von ihm gemieteten Räumen einen entsprechenden Hinweis in Gestalt eines Umzugsschilds zu dulden. Diese Nebenpflicht dürfte kaum eine Leistungspflicht des Mietvertrags bilden und wäre darum heute unter § 241 Abs. 2 BGB zu subsumieren. Folgt hieraus nun die fehlende Klagbarkeit? Den Anwalt auf Schadensersatz zu vertrösten und ihm eine Klage auf Erfüllung dieser nicht vereinbarten Nebenpflicht zu verweigern, ist materiell nur schwer zu begründen78. Die Abgrenzung zwischen den beiden Absätzen des § 241 BGB kann also weder auf den reinen Leistungsbegriff abstellen, noch hilft das Kriterium der Klagbarkeit. Sie muss vielmehr an der zentralen Eigenschaft des Pflichtenprogramms aus § 241 Abs. 2 BGB ansetzen, und dies ist die erwähnte Unabhängigkeit vom Rechtsgeschäft. Es handelt sich bei den beiden Absätzen des § 241 BGB im einen Fall um vereinbarte Vertragspflichten, im anderen um nicht vereinbarte Pflichten aus dem Schuldverhältnis, mit anderen Worten um autonomes (Abs. 1) und heteronomes (Abs. 2) Schuldrecht. Mit dieser Abgrenzung verbinden sich drei Vorteile: Es ist zum einen möglich, das sachfremde Kriterium der Klagbarkeit aus der Beurteilung herauszuhalten. Zum zweiten wird es nur so möglich sein, die Berufshaftung (Gutachterhaftung) systemimmanent zu erklären79, und drittens erhält man eine schlichte und handhabbare Subsumtionsmethode: Es reicht aus, die jeweilige Quelle der Pflicht ausfindig zu machen, um die Entscheidung zwischen § 241 Abs. 1 oder 2 BGB zu fällen. Am Beispiel der Informationspflichten würde dies, unter Hinzuziehung der oben gemachten Ausführungen zur Heteronomie bedeuten: Sind Informationspflichten autonom vereinbart, unterfallen sie Abs. 1, sind sie erst durch (mindestens) ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln oder ergeben sie sich aus anderer heteronomer Quelle wie dem Grundsatz von Treu und Glauben oder ähnlichem, unterfallen sie § 241 Abs. 2 BGB. Dies hat unmittelbare Konsequenz für ihre Drittwirkung. Sofern es sich nämlich um vereinbarte Pflichten handelt, ist eine belastende Wirkung gegenüber 78 79

Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 23, 25. Hierzu unten S. 67ff.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Dritten ausgeschlossen. Zwei Parteien, die Informationspflichten einer dritten Person vereinbaren wollen, schließen, wie auf den ersten Blick deutlich wird, einen unwirksamen Vertrag zu Lasten Dritter (Fremdbestimmung unter Gleichen). Anders hingegen, wenn die Informationspflicht des Dritten sich erst aus weiteren Umständen ergibt. Zu denken wäre beispielsweise daran, dass eine vereinbarte Leistung im Gefahrenbereich eines Dritten stattzufinden hätte. Für diese Fälle weist nun Gernhuber völlig zu Recht darauf hin, das es ohne weiteres vorkommen kann, dass ein Dritter, in dessen Sphäre der Schuldner zu leisten hat, auf diese Weise zu Schutz- und Obhutspflichten diesem Schuldner gegenüber verpflichtet wird80, ggf. also auch zur Information. Diese Wirkung ist kein Vertrag zu Lasten Dritter, sondern die Außenwirkung heteronomen Rechts. Aus dem genannten Grund – seiner heteronomen Quelle – lässt sich das Pflichtenprogramm des § 241 Abs. 2 in Abgrenzung zu den autonom vereinbarten Pflichten des § 241 Abs. 1 BGB dahingehend verstehen, dass es dem Erhalt der Güterlage dient81. Es ist – wie jedes heteronome Schuldrecht – seinem Charakter nach statisch und weist hierin eine Parallele zu den gesetzlichen Schuldverhältnissen, insbesondere zum Deliktsrecht auf, das ebenfalls statischer und heteronomer Natur ist. Diese Statik ist ein genereller Charakterzug heteronomen Rechts, der aus der Natur der Sache folgt: Im heteronomen Recht entfaltet sich nicht die positive, auf ein rechtsgeschäftliches Ziel gerichtete Dynamik einer individuellen Parteivereinbarung, sondern die – strukturell negative – Intention der Rechtsordnung, bestimmte Beeinträchtigungen zu vermeiden82. Parallel zu den deliktsrechtlichen Wertungen verwirklicht sich im Pflichtenprogramm des § 241 Abs. 2 BGB nicht der „durch die Vertragsdurchführung zu erreichende status ad quem“, sondern der „Schutz des status quo“83. II. Adressierung: vertraglicher Zusammenhang Erst die Heteronomie eines schuldrechtlichen Elements eröffnet die Möglichkeit seiner Außenwirkung: Dies ist die in diesem Abschnitt zu belegende These. Es wurde erarbeitet, dass das in § 241 Abs. 2 BGB geregelte Pflichtenverhältnis heteronomer Natur ist. Erst dieses Charakteristikum eröffnet, passend zur oben entwickelten Herleitung des Relativitätsgrundsatzes, die Möglichkeit von Außenwirkungen. Treffender als Gernhuber kann man dies kaum beschreiben: 80

Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 477. Gernhuber schließt hieraus, das Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter beschränke sich auf „Leistungspflichten“. Nach der oben vorgenommenen Herleitung des Relativitätsgrundsatzes treffen die Ausdrücke „vereinbarte Pflichten“ bzw. „Pflichten autonomer Herkunft“ die Sache besser. 81 Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 5, 41; Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 241 Rdn. 6. Schon früh hat Medicus mit dem Begriff der „Erhaltungspflichten“ operiert (Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613, 618). 82 Für das Deliktsrecht M. Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983, S. 89. 83 MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2 a Rdn. 80.

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang

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„Eine Schuldrechtsdogmatik, die das Schuldverhältnis als konkretes Rechtsverhältnis begreift, das in Leistungspflichten seinen Anfang und sein Ende findet, kann Drittwirkungen im Schuldverhältnis nicht anerkennen; der Gläubiger allein kann die geschuldete Leistung fordern. Erst wenn das Schuldverhältnis sich erweitert, wenn der Schuldzweck seinen Inhalt bestimmt, wenn die Leistungspflicht nur mehr Mittelpunkt eines Pflichtenbündels ist, werden Drittwirkungen möglich.“84

Wenn es an dieser Feststellung Gernhubers nach den oben gewonnenen Erkenntnissen überhaupt etwas auszusetzen geben sollte, dann die Verwendung des Begriffes der „Drittwirkungen“. Denn wie Gernhuber richtig feststellt, entsteht die Möglichkeit der Wirkungen gegenüber weiteren Personen erst mit dem Schritt, den die Schuldrechtsordnung über die vereinbarte Leistung hinaus vollzieht, und dieser Schritt ist, wenn das oben Gesagte zutrifft, nur mit heteronomem Schuldrecht möglich. Aus dessen Perspektive wiederum ist der als „Dritter“ Bezeichnete kein Dritter (er erscheint dies nur aus der in diesem Zusammenhang unerheblichen Perspektive der Vertragsparteien, falls es solche gibt), sondern unmittelbar Rechtsunterworfener. Wie dem auch sei: Die Heteronomie der weiteren Verhaltenspflichten in § 241 Abs. 2 BGB eröffnet die Möglichkeit ihrer vertragslosen und damit in persönlicher Hinsicht potentiell absoluten Wirkung. Wenn sich dem deutschen Schuldrecht also eine Aufgabe stellt, dann ist es diejenige, diese persönlich infinite, weil nicht durch das Vertragsband begrenzte Wirkung auf andere Art und Weise persönlich einzugrenzen. (Dies ist strukturell der gleiche Mechanismus, der im Deliktsrecht durch Verletzungstatbestände realisiert wird.) Im Hinblick auf die „weiteren Verhaltenspflichten“ tut das BGB dies in § 311 Abs. 2 und 3 – mit zwei Regelungen, denen aus der gerade gewonnenen Perspektive also eine begründende und begrenzende Funktion zukommt: Nur mit ihnen kann das Pflichtenprogramm des § 241 Abs. 2 BGB, das nicht an Rechtsgeschäfte gebunden ist und darum in persönlicher Hinsicht potentiell absolut wirkt, personal eingegrenzt (adressiert) werden. Die Vorschriften des § 311 Abs. 2 und 3 BGB erfüllen damit für das heteronome Recht die Funktion, die der Relativitätsgrundsatz für das autonome Recht innehat: Sie dienen der Adressierung heteronomen Rechts und normieren zugleich die oben beschrieben sachlichen Gründe dafür, warum diese Person und nicht eine andere dem Pflichtenprogramm des § 241 Abs. 2 unterworfen wird. Der zweite und der dritte Absatz des § 311 BGB gleichen einander darin, dass sie vertragslose Schuldverhältnisse85 auslösen. Schuldner und Gläubiger dieser Schuldverhältnisse sind nicht Vertragsparteien, sondern Adressaten der vertragslos entstandenen Pflichten86, die folgerichtig auf die gerade beschriebenen hetero84

Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1

(2). 85 86

Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 56. Für das gesetzliche Schutzpflichtverhältnis nach § 241 Abs. 2 BGB vgl. MünchKomm/

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

nomen Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB beschränkt sind. Wegen dieser Unabhängigkeit vom Vorliegen eines Rechtsgeschäfts kann inzwischen auch ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um gesetzliche Schuldverhältnisse handelt, wie dies für die Hauptfallgruppe der culpa in contrahendo schon vor der Schuldrechtsreform ohnehin kaum noch zu bestreiten war87. Das Gesetz selbst nennt diese Schuldverhältnisse „rechtsgeschäftsähnlich“; der Sache nach dürfte die Bezeichnung „gesetzliche Schuldverhältnisse in rechtsgeschäftlichem Zusammenhang“ jedoch treffender sein. Denn eine „Ähnlichkeit“ zum Rechtsgeschäft weisen diese Schuldverhältnisse ja gerade nicht auf: Es fehlt ihnen das ein Rechtsgeschäft begründende und damit für dieses wesentliche Element der privatautonom ausgeübten Willenserklärung. Ihren rechtsgeschäftsnahen Charakter danken diese Schuldverhältnisse also nicht einer Ähnlichkeit, sondern vielmehr ihrer situativen Nähe zum Rechtsgeschäft: dem geschäftlichen Kontakt im Falle des § 311 Abs. 2 BGB, der (beispielhaft genannten) persönlichen Einflussnahme auf fremde Verträge im Falle von Abs. 3. Es ist damit der beiden Tatbeständen eigene rechtsgeschäftliche, zumeist vertragliche Zusammenhang, nicht etwa eine wesensmäßige Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit, die diese Schuldverhältnisse in Deutschland vom Delikt abrückt und in die Nähe des Vertragsrechts stellt88. Dieser vertragliche Zusammenhang stellt nicht nur das Kriterium dar, das die beiden Tatbestände der vertragslosen Schuldverhältnisse in § 311 BGB miteinander verbindet. Er erfüllt zudem, neben der Begründungsfunktion für das Schuldverhältnis, auch den oben genannten Zweck, das Pflichtenprogramm des § 241 Abs. 2 bei fehlender Vertragsbindung inhaltlich auf bestimmte Personen zu lenken (zu adressieren). Diese inhaltliche Pflichtenlenkungsfunktion bildet damit einen großen, wenn nicht den wesentlichen Teil der Ratio von § 311 Abs. 2 und 3 BGB: Was im autonomen Recht die Parteien innerhalb des Relativitätsprinzips tun (§ 311 Abs. 1 BGB), unternehmen im heteronomen Recht die Tatbestände in § 311 Abs. 2 und 3 BGB.

Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 84: „Schuldverhältnis zwischen dem ‚Dritten‘ (der – genau besehen – im Hinblick auf das gesetzliche Schuldverhältnis nicht Dritter, sondern Partei ist, der originäre und nicht derivate Ansprüche zustehen) und dem betreffenden Kontrahenten“. 87 Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, Überblick v. § 311 Rdn. 5 a.E.; für die culpa in contrahendo früher schon Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475ff., sowie BGHZ 6, 330 (333): „Die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss ist eine solche aus einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und zur verkehrsüblichen Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner verpflichtet.“ 88 Im innereuropäischen Ausland wird dies überwiegend anders geregelt. Insbesondere Länder, deren zivilrechtliche Tradition auf dem Code Civil beruht (und die über keine dem § 831 BGB vergleichbare Vorschrift verfügen), verstehen die culpa in contrahendo als deliktsrechtliche Rechtsfigur; hierzu unten S. 267.

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang

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Die beiden Tatbestände in § 311 Abs. 2 und 3 BGB teilen miteinander also das Merkmal des vertraglichen bzw. rechtsgeschäftlichen Zusammenhangs. Sie unterscheiden sich dadurch, dass der Partner eines Schuldverhältnisses nach Abs. 289 auch als Vertragspartei in Betracht kommt oder gekommen ist (klassische culpa in contrahendo), weswegen das Gesetz zumindest den „geschäftlichen Kontakt“90 erfordert (insbesondere das vorvertragliche Vertrauensverhältnis mit dem „potentiellen Vertragspartner“91), während das Schuldverhältnis nach Abs. 3 mit einer Person entsteht, zu welcher ein Vertragsverhältnis nicht einmal intendiert war (Eigenhaftung „Dritter“92). Beispielhaft kann dies dann geschehen, wenn „der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst“93. Zurückgeführt auf die gerade erarbeitete personale Pflichtenlenkungsfunktion bedeutet dies, dass der Tatbestand des § 311 Abs. 2 BGB die vertragslosen Pflichten in die gleiche Richtung lenkt, in die auch die rechtsgeschäftliche Intention der Parteien weist bzw. gewiesen hat: Der sachliche Grund für das heteronom begründete Schuldverhältnis liegt damit im vertraglichen Zusammenhang und der gleichgerichteten rechtsgeschäftlichen Intention der Parteien. Diese beiden Elemente sind es, die sich treffend in der gesetzlichen Formulierung des „geschäftlichen Kontakts“94 ausdrücken: Rechtsgeschäftlicher Zusammenhang und gleichgerichtete rechtsgeschäftliche Intention. § 311 Abs. 3 BGB hingegen nimmt eine Umlenkung vor: Das Schuldverhältnis geht in personaler Hinsicht einen anderen Weg, als die rechtsgeschäftliche Intention der Parteien dies angezeigt hat, mit anderen Worten: Die im Schuldverhältnis wirkende Heteronomie bezieht sich in § 311 Abs. 3 BGB nicht nur auf das Pflichtenprogramm, sondern auch auf dessen personale Ausrichtung. Die Eigenhaftung Dritter (§ 311 Abs. 3 BGB) ist deshalb die Rechtsfigur, für die sich diese Un89

Ein Schuldverhältnis mit nicht leistungsbezogenen, objektiv begründeten Pflichten entsteht hiernach auch durch „die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder ähnliche geschäftliche Kontakte“. 90 § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. 91 So der systematisch treffende Ausdruck bei Eike Schmidt, Das Schuldverhältnis, 2004, Rdn. 93. 92 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 195. Der Terminus der „Eigenhaftung Dritter“ wird in dieser Arbeit aus Gründen der Verständlichkeit übernommen. Natürlich ist es so, dass der Dritte in § 311 Abs. 3 BGB kein Dritter ist, denn es gibt nicht einmal einen Vertrag, aus dessen Perspektive er als solcher erscheinen könnte. Er ist vielmehr nur insofern „Dritter“, als dass das Schuldverhältnis nicht mit ihm intendiert war. Diese rechtsgeschäftliche Perspektive ist jedoch, wie bereits mehrfach betont wurde, im Zusammenhang heteronomen Rechts völlig unerheblich: aus dessen Perspektive sind alle Parteien des Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 BGB unmittelbar rechtsunterworfen. Der dort verwendete Begriff des Dritten ist darum fehlerhaft, was jedoch im Folgenden dahinstehen soll, um terminologischen Verzettelungen zu entgehen. 93 § 311 Abs. 3 S. 2 BGB. 94 § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

tersuchung im Folgenden besonders interessiert. Denn mit ihr können auch im Rahmen von bestehenden Vertragsbeziehungen Schuldverhältnisse zu weiteren Personen (so genannte Drittwirkungen) begründet werden. Diese Eigenschaft führt dazu, dass § 311 Abs. 3 BGB sowohl für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte95 als auch für die Gutachterhaftung96 oder die Prospekthaftung97 zumindest theoretisch als Begründung in Betracht kommt. Diese Haftung nicht am Vertrag beteiligter Personen, die selbst auch nicht potentielle Vertragspartner sind, wurde im deutschen Recht ursprünglich entlang der Rechtsfigur der culpa in contrahendo entwickelt98. In erster Linie ging es hierbei um Fälle, in denen eine Eigenhaftung von Vertretern und Erfüllungsgehilfen dann angenommen wurde, wenn diese entweder besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatten oder aber ein wirtschaftliches Eigeninteresse am Zustandekommen des Rechtsverhältnisses hatten99. Tatbestandliche Besonderheit der Eigenhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB ist jedenfalls das Auseinanderfallen des realen oder intendierten Vertragspartners einerseits und der Person andererseits, mit welcher das Schuldverhältnis zustande kommt. Die vertragliche Intention wird in § 311 Abs. 3 BGB, wie gesagt, umgeleitet; das Schuldverhältnis ändert seine personale Richtung. Diese (heteronome) Richtungsänderung muss sich rechtslogisch aus ihrem Ziel heraus rechtfertigen, also aus Umständen, die gerade in der Person begründet sind, zu welcher ohne entsprechende vertragliche Intention ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt. Begründungen zu § 311 Abs. 3 BGB können darum auf eine persönliche Komponente nicht verzichten100; dies gebietet, wie gesagt, die Logik des Tatbestands. Hieraus erklärt sich auch der als Regelbeispiel ausgestaltete Gesetzeswortlaut, dem zufolge das Schuldverhältnis insbesondere dann zustande kommt, wenn der Dritte „in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst“. Diese Regelung ist nicht abschließend formuliert und gemeint; man wollte, wie oft im Zuge der Schuldrechtsreform, in erster Linie den zum 1. 1. 2002 angenommenen status quo der Rechtsentwicklung kodifizieren und weiteren Entwicklungen 95

Hierzu gleich. Hierzu unten S. 67. 97 Hierzu S. 70. 98 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XIX; hiergegen vor der Schuldrechtsmodernisierung Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (414). 99 Vgl. beispielsweise BGH v. 1. 7. 1991, NJW-RR 1991, 1312; die Fallgruppe des bloßen wirtschaftlichen Eigeninteresses des Dritten wurde inzwischen allerdings wieder weitgehend aufgegeben; Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XX. Anders wohl Palandt/ Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 311 Rdn. 60. 100 Dies wird insbesondere im Bereich der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung von Bedeutung sein; hierzu unten S. 70ff. 96

F. Heteronome Pflichten in vertraglichem Zusammenhang

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nicht im Wege stehen101. Dennoch ist der gerade beschriebene Grundmechanismus in § 311 Abs. 3 BGB festgehalten: Zu einer Person, mit welcher kein Vertrag intendiert war, entsteht dennoch ein Schuldverhältnis, und dies aus Gründen, die in dieser Person liegen. Gegen eine Vermengung der culpa in contrahendo mit der Haftung von Personen, mit welchen keine vertragliche Beziehung intendiert ist, hat sich Picker gewandt: Diese Haftung habe nichts mehr mit Vertragsrecht zu tun; zu konstatieren sei bei der Einbeziehung von Personen, die nicht als Vertragspartner in Betracht kommen, vielmehr ein „Wechsel von der Autonomie zur Heteronomie“102. Dem ist, was den heteronomen Charakter der Rechtsfigur angeht, ohne weiteres zuzustimmen. Was den Vergleich mit dem traditionellen Verständnis der culpa in contrahendo (heute § 311 Abs. 2 BGB) betrifft, scheint Picker jedoch davon auszugehen, dass es sich bei dieser im Grunde um eine „autonome“ Rechtsfigur handele, sofern die Haftung an den potentiellen Vertragspartner geknüpft sei103. Fallgruppen der culpa in contrahendo, die tatsächlich nicht-heteronomer Natur sind, existieren jedoch, wenn das oben Gesagte zutrifft, nicht. Die culpa in contrahendo vollzieht hiernach selbst bereits den Schritt von der Autonomie zur Heteronomie. Es gesellt sich für die Eigenhaftung Dritter nach § 311 Abs. 3 BGB nur noch ein weiteres heteronomes Element hinzu: zum heteronomen Pflichtenprogramm (§ 241 Abs. 2 BGB) kommt die heteronom bestimmte personale Struktur des Pflichtenverhältnisses (Umlenkung des Schuldverhältnisses von der rechtsgeschäftlichen Intention). Damit entsteht auch für dieses heteronome Element das oben angesprochene Begründungsbedürfnis: Für die Umlenkung muss ein sachlicher Grund gefunden werden; wenn dieser existiert, besteht – getreu der oben erarbeiteten Begründungsstruktur für heteronomes Schuldrecht – zumindest kein dogmatischer Einwand gegen die Umlenkung; insbesondere spielt natürlich das Relativitätsprinzip keine Rolle. Sachlicher Grund ist in den klassischen Fällen der Vertreter- und Sachwalterhaftung die, vom Gesetz auch beispielhaft genannte, Inanspruchnahme besonderen Vertrauens104 – ein Kriterium, das, wenn man das Vertrauen als persönliches begreift, die gerade erarbeiteten Begründungsanforderungen an die Umleitung der rechtsgeschäftlichen Intention im Grundsatz erfüllt: Diese muss ja, wie gesagt, in irgendeiner Form auf die Person als das Ziel der Umleitung rekurrieren –

101 Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 311 Rdn. 60; MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 197. 102 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (416ff., insb. Fn. 49). 103 So zumindest dürfte Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (419), zu verstehen sein. 104 Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 311 Rdn. 60.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Grüneberg spricht im Rahmen des § 311 Abs. 3 BGB von der „persönlichen Gewähr“105. Problematischer stellt sich die Situation im Zusammenhang mit den weiteren Fällen von Außenwirkungen heteronomer Elemente in Schuldverhältnissen dar. Die Rede ist von den Rechtsfiguren des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, der ihm nahe stehenden Berufshaftung (Gutachterhaftung) und der Prospekthaftung. Diese Rechtsinstitute befinden sich sämtlich im Umkreis vertraglicher oder vertragsnaher „Drittwirkungen“, erwecken prima facie außerdem den Eindruck, heteronomes Schuldrecht im oben erarbeiteten Sinne zu enthalten, und werfen drittens die Frage nach einer Subsumierbarkeit unter die gerade behandelten Vorschriften der §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB auf. Ihnen widmen sich darum die nun folgenden Ausführungen.

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte I. Hintergrund Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist eine deutsche und österreichische Besonderheit106. Von Interesse für diese Untersuchung ist er insbesondere deswegen, weil sich in ihm, ähnlich wie in den gerade beschriebenen Fällen, Haftung gegenüber Nicht-Vertragsparteien in vertraglichem Zusammenhang realisiert. Wenn in der deutschen Rechtswissenschaft über die (fehlende) Legitimität „vertraglicher Drittwirkungen“ diskutiert wird, steht der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte stets im Mittelpunkt des Interesses107. Wegen der mit ihm verbundenen Haftung gegenüber einer vertragsfremden Person befindet sich der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zumindest im unmittelbaren Umkreis heteronomen Schuldrechts; da jedoch seine gesetzliche Regelung auch nach der Schuldrechtsreform nicht so deutlich ist wie bei den gerade beschriebenen vertragslosen Schuldverhältnissen, muss zur Beleuchtung des Zusammenhangs zwischen Heteronomie und Außenwirkung im Folgenden etwas weiter ausgeholt werden. Wesentliche Gründe für das in Deutschland inzwischen weitgehend konsentierte108 Bedürfnis nach einem Institut wie dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte lagen von Anfang an in den Besonderheiten des deutschen Deliktsrechts, speziell in der Haftung für Hilfspersonen. Diese „Schwächen des deutschen Deliktsrechts“ wurden oft beschrieben und sind hinlänglich bekannt: Während das 105

Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 311 Rdn. 115. Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 381. 107 Statt vieler Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 105ff.; aber auch Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 463. 108 Eine Ausnahme von diesem Konsens bildet Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 105ff. Zu seinen Einwänden, die zugleich als Einwände gegen Heteronomie im Schuldrecht gelesen werden können, gleich unten. 106

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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deutsche Recht der unerlaubten Handlungen für Nicht-Kaufleute (abgesehen von jüngeren Entwicklungen im Recht der Gesellschaft Bürgerlichen Rechts109) kein Haftung für fremdes Verschulden vorsieht110, besteht eine solche innerhalb rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsnaher Schuldverhältnisse bei schuldhaften Pflichtverletzungen von Erfüllungsgehilfen111. Auch ist der Begriff des Verrichtungsgehilfen enger als der des Erfüllungsgehilfen in § 278 BGB, da letzterer auch den selbständigen Gehilfen umfasst, während § 831 BGB Weisungsabhängigkeit voraussetzt112. Es kommt schließlich hinzu, dass das deutsche Deliktsrecht im Rahmen der deliktischen Haftung für vermutetes eigenes Auswahl- oder Anleitungsverschulden eine weite Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsherrn vorsieht113. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte verdankt seine Existenz somit auch dem „deliktsrechtlichen Leidensdruck“, der in Rechtsordnungen entsteht, die über ein schwaches, nicht auf einer Generalklausel aufbauendes Deliktsrecht verfügen114. Wo das Deliktsrecht umfassend ist, treten zwar Konkurrenzprobleme auf, welche dann über Prinzipien wie das französische non-cumul des responsabilités délictuelle et contractuelle gelöst werden müssen115; ein ähnlich dringendes Bedürfnis wie im deutschen Recht nach einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gibt es dort allerdings nicht. So hätten ausländische Rechtsordnungen geschädigten Dritten in den Fällen, die in der deutschen Rechtsprechung das Bedürfnis nach Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte aufkommen ließen, deliktische Ansprüche zuerkannt. Im deutschen Recht stand dem jedoch häufig die – rechtspolitisch umstrittene – Vorschrift des § 831 BGB entgegen; der in Anspruch Genommene konnte sich hinsichtlich Auswahlund Anleitungsverschuldens entlasten116. 109 Die Haftung von Nicht-Kaufleuten für fremdes Verschulden ergibt sich aus der so genannten Akzessorietätstheorie und der mit ihr verbundenen analogen Anwendung von § 128 HGB auf die GbR; BGH, Urt. v. 29. 1. 2002, NJW 2001, 1056; hierzu MünchKomm/Ulmer, 4. Aufl., vor § 705 Rdn. 11 und § 714 Rdn. 33; Hueck/Windbichler, Gesellschaftsrecht, 20. Aufl. 2003, § 9 Rdn. 7; K. Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993. 110 Insbesondere § 831 BGB: Haftung für vermutetes eigenes Auswahl-/Anleitungsverschulden. 111 § 278 BGB; zu den Schwächen des Deliktsrechts und ihrer Rolle bei der Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 331; Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 225; Eckebrecht, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform, MDR 2002, 425 (426). 112 Hierzu Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (87); Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 97. 113 § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB. 114 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 482; hierzu auch Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 97. 115 Zu non-cumul ausführlicher bei der Behandlung des französischen Rechts unten S. 180. 116 Vgl. Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (496–498); Eckebrecht, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – Die Auswirkungen

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Das Bedürfnis nach einer besonderen Haftung gegenüber Dritten resultiert auch aus anderen Stärken der Haftung aus rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsnahen Schuldverhältnissen gegenüber der deliktischen Haftung im deutschen Recht. Zwar wurden mit der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform die verjährungsrechtlichen Differenzen teilweise nivelliert117; es besteht jedoch nach wie vor der wichtige Vorteil der Beweislastumkehr nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, und primäre Vermögensschäden werden schon bei leichter Fahrlässigkeit ersetzt, während im Deliktsrecht Vorsatz oder ein spezifischer Gesetzesverstoß hierfür erforderlich wäre, §§ 826, 823 Abs. 2 BGB118. II. Konstruktion Die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist erstens ein dogmatischer Dauerbrenner des deutschen Schuldrechts und bietet zweitens ein anschauliches Beispiel für den Grenzverlauf zwischen (vordergründig) autonomem Vertragsrecht und heteronomem Schuldrecht. Drittens lassen sich an ihr die oben, im Rahmen der Behandlung der ergänzenden Vertragsauslegung, dargestellten Eigenheiten richterrechtlicher Begründungsstrukturen wahrnehmen. Im richterrechtlichen Ausgang dessen, was heute als „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“ bezeichnet wird, griff das Reichsgericht noch auf den gesetzlich geregelten Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328ff. BGB) zurück und ging beispielsweise davon aus, dass Mietverträge auch als Verträge zugunsten der Familienangehörigen des Mieters anzusehen seien119. So konnten Familienangehörige oder Hausangestellte von Mietern eigene vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sie durch Verschulden eines vom Vermieter beauftragten Handwerkers Integritätsverletzungen erlitten hatten120. Bei Beförderungsverträgen wurden Ansprüche zugunsten von Personen angenommen, die den entsprechenden Vertrag nicht selbst abgeschlossen hatten, aber an der Beförderung teilnahmen121, und ein Kind, für das die Eltern einen Behandlungsvertrag abge-

der Schuldrechtsreform, MDR 2002, 425 (426); Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (530); MünchKomm/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rdn. 96; zum internationalen Vergleich Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 459. Eindrücklich schon K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (291). 117 §§ 195, 199 BGB; zu den bis zum Jahr 2002 gegebenen Differenzen Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 331. 118 MünchKomm/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rdn. 96. 119 Hierzu ausführlich Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 225; Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 185; Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1788). 120 Vgl. z.B. RGZ 91, 21 (24); RGZ 102, 231; RGZ 127, 218; RGZ 160,153. 121 RGZ 87, 64.

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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schlossen hatten, erhielt bei Behandlungsfehlern ebenfalls einen unmittelbaren Anspruch122. Sachliches Interesse war in all diesen Fällen das angesprochene, für das deutsche Privatrecht typische Bedürfnis nach (damals noch) vertraglicher Haftung, um den Schwächen des Deliktsrechts zu entgehen. Eine Unterscheidung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten nahm die Rechtsprechung seinerzeit noch nicht vor123. Erst mit der Zeit entwickelte sich die Erkenntnis, dass die schlichte Analogie zu den §§ 328ff. BGB zu weit gehe. Man gelangte zu dem Schluss, dass die intendierte Begünstigung weiterer Personen nicht zu eigenen Leistungsansprüchen bei diesen führen sollte, sondern nur zum Entstehen von Sorgfaltspflichten des Schuldners ihnen gegenüber124. Seit dem Ende der 1950er Jahre folgt dieser Einschränkung (und damit der Theorie vom „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“) auch die deutsche Rechtsprechung. Diese Entwicklung wurde, wenn nicht alles trügt, durch die Rechtsprechung zur besonderen Berufshaftung (Gutachterfälle125) allerdings später teilweise wieder rückgängig gemacht. Die erwünschten Ergebnisse konnten dabei in methodischer Hinsicht mangels einschlägiger Vereinbarungen zuerst nur im Wege der oben behandelten ergänzenden Vertragsauslegung geschehen – ein Weg, von dem die Rechtsprechung bis heute nicht abrückt. Die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages wird in der Entscheidungspraxis prinzipiell rechtsgeschäftlich begründet, weswegen in konstruktiver Hinsicht auf einen mindestens hypothetischen Parteiwillen rekurriert werden muss: Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung werden Bestehen und Umfang der Schutzpflichten gegenüber Nicht-Vertragsparteien jeweils aus dem einzelnen Vertrag hergeleitet126. Die Haftung ist diesem Konstrukt zufolge „im Grunde bereits in der vertraglichen Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger angelegt“127. Dieser Lösung kommen, zumindest vordergründig, alle Vorteile einer vertragskonformen, also parteiautonomen Lösung zugute. Unter Zugrundelegung des oben Gesagten128 ist dem allerdings nicht so: Schon der Auslegungsvorgang selbst führt ein heteronomes Element in das vertragliche Gefüge ein129. 122

Bspw. RGZ 85, 183. Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 225; Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 330. 124 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 226. 125 Hierzu später, S. 67. 126 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 227; Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 185. 127 Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 185; Dieser Konstruktion stimmt beispielsweise Flume zu: Die Schutzpflichten gegenüber Dritten seien aus dem „Sinn des Vertrags“ herzuleiten. „Unglücklich“ sei demgegenüber allenfalls die ständige Betonung des Parteiwillens durch die deutsche Rechtsprechung, die verkenne, dass es bei der ergänzenden Vertragsauslegung auf diesen gerade nicht ankomme; Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 331; Zustimmung auch bei Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 83. 128 Oben S. 38ff. 129 Weil sich kaum klarere Worte hierzu finden lassen, sei ein weiteres Mal Gernhuber 123

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Die überwiegende Anzahl der Stimmen in der Literatur hält der Rechtsprechung entgegen, dass eine ausfüllungsbedürftige Vertragslücke regelmäßig nicht existiere130. Gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung, wie sie von der Rechtsprechung vorgenommen wird, sei die Berufung auf objektiv-rechtliche Gesichtspunkte, insbesondere etabliertes Gewohnheitsrecht, gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben vorzugswürdig131. Es sei, mit anderen Worten, an Stelle der vordergründig autonomen Herleitung aus dem Vertrag, eine rein heteronome Begründung als die methodenehrlichere Lösung zu wählen. Grundlage der Haftung gegenüber einem Dritten sei „nicht die gemäß § 157 ausgelegte Vereinbarung der Parteien, sondern das vertragliche Schuldverhältnis in seiner gesetzlichen Ausgestaltung durch § 242“132. Dass die Rechtsprechung demgegenüber an der ergänzenden Vertragsauslegung festhält, verwundert allerdings nicht. Diese Methode gibt dem Richter die Gelegenheit, in eigener interpretatorischer Tätigkeit zu Ergebnissen im Einzelfall zu gelangen, ohne an abstrakt geltendes Gewohnheitsrecht gebunden zu sein. In gewisser Weise bewahrt sich die Rechtsprechung mit der im weitesten Sinne rechtsgeschäftlichen Konstruktion also nichts anderes als einen richterlichen Auslegungsvorbehalt. Hieran ist per se auch nichts auszusetzen; bringt die Auslegung im Einzelfall doch den nicht zu bestreitenden Vorteil erhöhter Flexibilität und damit Einzelfallgerechtigkeit mit sich133. Der Sache nach krankt das rechtsgeschäftliche Konstrukt jedoch daran, dass der Wille, Dritte in die Schutzwirkungen eines Schuldverhältnisses einzubeziehen, der ja ohnehin nie ausdrücklich zum Ausdruck gebracht werden wird, vom (Schuldverhältnis, 1989, S. 525) zitiert, der den deutschen Gerichten ein ums andere Mal nachweist, dass sie selbst nicht dazu in der Lage sind, ihren eigenen, vordergründig vertragskonformen Ansatz durchzuhalten: „“Immer wieder aber hat der BGH Beschränkung der Schutzwirkungen auf einen überschaubaren und (klar oder auch objektiv) abgrenzbaren Kreis von Personen versichert und gefordert, zum Schutze des Schuldners, aber auch um dem dualistischen Haftungssystem der lex lata zu entsprechen. Den Schuldner sucht man vor unübersehbaren Risiken zu bewahren, die er weder kalkulieren noch in zumutbarer Weise verantworten kann. Der Hinweis auf das dualistische Haftungssystem aber soll die Notwendigkeit einer früh erreichten Grenze verdeutlichen, an welcher sich der legitime Schutz Dritter sondert von der uferlosen und nicht mehr beherrschbaren Ausdehnung der Haftung aus Sonderverbindung in einen Raum, in dem allein die Haftung aus Delikt und Gefährdung systemgerecht zu herrschen hat. Dass man sich damit eines Gedankens bedient, der dem Vertragskonzept nicht eingefügt werden kann, weil die Parteien eines Vertrages in ihrem Dispositionsbereich nicht gehalten sind, Systemzusammenhänge zu wahren, wurde nicht einmal bemerkt: ein weiteres Indiz für die Geringschätzigkeit, mit welcher die Rechtsprechung ihr eigenes Konzept behandelt.“ 130 Referierend Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 91. 131 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 227. 132 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 231; auch Fikentscher, der die ergänzende Vertragsauslegung ohnehin ablehnt, hält es für vorzugswürdig, den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „als richterliche Rechtsfortbildung auf der Grundlage des § 242 BGB zu begreifen“; Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 185. 133 Instruktiv und wesentlich tiefergehend, als dies im vorliegenden Zusammenhang möglich ist, Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, insbesondere S. 77ff.

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Schuldner des so ausgeweiteten Vertrags mit guten Gründen bestritten werden kann; dies ist allerdings kein auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte beschränktes Phänomen, sondern die Grundproblematik heteronom ermittelter Vertragsinhalte: Mit der ergänzenden Vertragsauslegung werden eben unvermeidlicherweise „objektive Kriterien in den Vertrag hineininterpretiert“134. Treffender als Gernhuber dies tut, lässt sich das methodische Problem nicht beschreiben: „Nur eines hat die Rechtsprechung noch nie zu Gesicht bekommen: trotz einer nun schon Jahrzehnte währenden Judikatur fehlen immer noch Parteien, die ausdrücklich das vereinbaren, was die Rechtsprechung durchaus gleichgelagerten Fällen immer wieder ‚entnimmt‘.“135

Die Herleitung nicht vereinbarter Pflichten aus Vertragsrecht scheitert nicht nur an dem Einwand Gernhubers, dass nämlich sich derartige Vereinbarungen in der Rechtswirklichkeit niemals finden würden, sondern auch noch an einem anderen Gesichtspunkt, auf den Picker aufmerksam macht: Hätten Vertragsparteien, quasi als „Draufgabe“ zu ihrem eigenen Vertragspflichtenverhältnis, einen Drittschutz vereinbart, so läge in dieser Vereinbarung eine Mehrleistung, und dieser müsste nach allgemeinen marktwirtschaftlichen Regeln ein Preis, also irgendeine Form von Gegenleistung gegenüberstehen: „(...) für Schenkungen, gar für wortlos gewährte, besteht im Geschäftsverkehr keine Vermutung.“136 „Symptomatisch ist insoweit auch die Tatsache, dass eine nun schon Jahrzehnte währende Rechtsprechung niemals gefragt hat, warum der Schuldner das zusätzliche Risiko vertraglich übernehmen soll, ohne dafür irgendein Entgelt zu erhalten.“137

Schließlich muss, was vereinbart sein soll, auch abdingbar sein. Wer den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auf ergänzende Vertragsauslegung stützt, muss darum begründen, dass die Schutzwirkung zwar aus der Vereinbarung entstehen, sich ihre Abbedingung dieser Vereinbarung jedoch entziehen soll – ein nicht aufzulösender Widerspruch138, der den gesamten Bereich des heteronomen Schuldrechts durchzieht, solange man versucht, dieses auf Vertragsauslegung zu stützen. Damit dürfte die Herleitung von Dritten gegenüber bestehenden Schutzpflichten aus dem Einzelvertrag letztlich ein nicht haltbares Konstrukt sein. Um erneut Picker heranzuziehen: „Sie wäre damit sachlich realitätsfern und rechtlich grotesk. Sie wäre aber auch rechtspolitisch nicht tragbar, weil sie den für die geltende Ordnung konstitutiven Sachzwang miss134

Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 185. Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 518. 136 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (403). 137 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 522. 138 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 519, 520. 135

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

achtet, dass eine generell gebotene Haftung eine heteronome Regelung fordert, gerade weil sie nicht abhängen kann von einer privatautonomen Entscheidung.“139

Damit kann festgehalten werden, dass sich eine konsistente Begründung für Schutzwirkungen gegenüber Vertragsfremden zumindest nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung erreichen lässt; hierin liegt nur die Widerholung dessen, was in der deutschen Literatur mehrheitlich ohnehin bereits seit langem vertreten wird. Für die Problematik der Heteronomie liegt hierin kein besonderer Erkenntnisgewinn, denn nach den oben erarbeiteten Grundlinien autonomen und heteronomen Rechts kann der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, wie man es dreht und wendet, nicht als autonome Rechtsfigur begründet werden: Auch die ergänzende Vertragsauslegung ist, wie gezeigt wurde140, ein heteronomes Begründungsinstrument. Damit bewahrheitet sich an dieser Stelle jedenfalls die oben aufgestellte, aus dem Zusammenhang von Relativitätsgrundsatz und Autonomieprinzip (bzw. von Außenwirkungen und Heteronomie) hergeleitete These: Die Wirkung von Rechten und Pflichten bedarf, wenn sie über das Verhältnis von Vertragsparteien hinausgehen soll, heteronomer Begründung141. III. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nach der Schuldrechtsreform 1. Die Alternativen Mit dem Ausschluss der ergänzenden Vertragsauslegung aus den möglichen Begründungen für Schutzwirkungen gegenüber vertragsfremden Personen ist die Herleitung dieser Schutzwirkungen jedoch noch nicht abgeschlossen. Es verbleiben nach der Schuldrechtsreform zwei Möglichkeiten, nämlich zum einen die oben geschilderte Herleitung aus Gewohnheitsrecht142, gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben, zum anderen nun die Subsumtion unter §§ 311, 241 Abs. 2 BGB. Gerade hierüber wird, wie bei sämtlichen so genannten Drittwirkungen, in Deutschland nach der Schuldrechtsreform auch für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nachgedacht143. Hierfür wären die Parteien des vertragslosen Schutzpflichtenverhältnisses (also der Schuldner und der Gläubiger der Schutzpflicht) mit Hilfe von § 311 Abs. 2 139 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (411). 140 Oben S. 39. 141 Zutreffend darum Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (411): Generell gebotene Haftung fordert heteronome Regelung. 142 Larenz, Fikentscher, oben Fn. 132. 143 Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 499 (520); MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 28; Rieble (Die Kodifikation der culpa in contrahendo, in: Dauner-Lieb u.a., Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 142) bezeichnet diesen Gedanken als „abseitig“, bezieht sich jedoch, anders als explizit Canaris, nicht auf § 311 Abs. 3 BGB, sondern auf Abs. 2 Nr. 3 der Vorschrift.

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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oder 3 BGB zu ermitteln. In Betracht kommt hierbei, wenn das oben Gesagte richtig ist, einzig Absatz 3 der Vorschrift, denn nur hier sind die Personen des Schuldverhältnisses nicht diejenigen, zwischen denen ein Rechtsgeschäft intendiert war144, und das Fehlen der rechtsgeschäftlichen Intention kennzeichnet gerade den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Theoretisch wäre eine derartige Subsumtion möglich: Ausgehend vom Ansatz des gesetzlichen Schutzpflichtenverhältnisses, das in § 311 Abs. 3 kodifiziert ist, stellt sich zumindest kein dogmatisches Problem. Denn die Annahme eines derartigen Verhältnisses bringt es ja gerade mit sich, dass die Parteien eines Leistungsverhältnisses nicht notwendigerweise identisch mit den Parteien des Schutzverhältnisses zu sein haben145. „Darin liegt grundsätzlich eine taugliche Grundlage für die Begründung von Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter. Das ist eine theoriekonforme Selbstverständlichkeit, wenn man alle Schutzpflichten in einem gemeinsamen gesetzlichen Schuldverhältnis, dem ‚einheitlichen Schutzverhältnis‘ verortet und auf diese Weise insbesondere auch die verschiedenen Formen der Einbeziehung Dritter dogmatisch fundiert.“146

Anschaulich wird dies am Beispiel des Besuchers einer Sportveranstaltung, bei welcher das Tribünendach zusammenbricht147. Wenn ein Schutzpflichtenverhältnis zum zahlenden Besucher (§ 241 Abs. 2 BGB) angenommen wird, besteht kein Grund dafür, nicht auch sein von ihm mitgebrachtes Kind in diesen Schutzbereich mit einzubeziehen. Das als „Eigenhaftung Dritter“148 bezeichnete Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB mit Personen, zu denen keine vertragliche Bindung intendiert ist, kann auf dieser theoretischen Grundlage also auch über die Haftung des Dritten hinausgehen und damit nicht nur negativ im Sinne der Vertreter- oder Sachwalterhaftung wirken; es steht zumindest theoretisch auch einer begünstigenden Wirkung offen. Dies ist übrigens ein weiteres Indiz dafür, dass die so genannten Dritten im Falle dieses heteronom begründeten Verhältnisses keine Dritten sind: Weil beide Parteien des Schutzpflichtverhältnisses gleichermaßen rechtsunterworfen sind, ist es auch nicht erheblich, wem gegenüber Haftung und wem gegenüber Begünstigung bewirkt wird. (Aus der Perspektive des heteronomen Rechts sind Alle gleich.) 144 Eike Schmidt, Das Schuldverhältnis, 2004, Rdn. 93; a.A., wie gesagt, Rieble (Die Kodifikation der culpa in contrahendo, in: Dauner-Lieb u.a., Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 137, 142). 145 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 (480); M. Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983, S. 114. 146 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1787). 147 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (88). 148 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 195.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Die Alternative ist damit folgende: Entweder wird die Einbeziehung Dritter nach den überlieferten, inzwischen gewohnheitsrechtlichen Kriterien (insbesondere Leistungsnähe und Gläubigernähe des Geschützten149) begründet, oder man überlässt diese Kriterien der Vorschrift des § 311 Abs. 3 BGB. Strukturell ist die Frage also wiederum keine andere als die nach den richtigen Adressaten heteronomen Rechts, und wiederum gibt es keine andere Aufgabe als das Auffinden sachlich rechtfertigender Gründe für oder gegen bestimmte Adressaten, i.e. in diesem Fall: für oder gegen die Einbeziehung bestimmter Personen in vertragslose Schutzwirkungen. Nun wäre es im Rahmen der Auslegung von § 311 Abs. 3 BGB prinzipiell denkbar, die hergebrachten Einbeziehungsvoraussetzungen als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale heranzuziehen und sich auf diese Weise zwar konstruktiv am Gesetz zu orientieren, der Sache nach aber am gewohnheitsrechtlichen Institut festzuhalten: Die Vorschrift ist ja offen formuliert und dient, dem expliziten Willen des Gesetzgebers zufolge, nur der Kodifikation dessen, was zum 1. 1. 2002 ohnehin weitgehend anerkannt war150. Eine derartige Lösung ist jedoch nicht möglich. Denn im Unterschied zu allem, was die gewohnheitsrechtliche Begründung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte enthält, setzt § 311 Abs. 3 BGB eines nicht voraus: ein wirksames (Haupt-) Vertragsverhältnis, also ein Rechtsgeschäft, aus welchem sich die weiteren Schutzwirkungen gegenüber anderen Personen erst ableiten. Ein solches wirksames Rechtsgeschäft ist den gewohnheitsrechtlichen Einbeziehungsvoraussetzungen immanent: Ebenso wie die „Leistungsnähe“ des Geschützten das Bestehen einer Leistungspflicht voraussetzt, erfordert die „Gläubigernähe“ einen Gläubiger, also ebenfalls ein in irgendeiner Form wirksames Rechtsgeschäft. Ohne ein wirksames Rechtsgeschäft wäre es darüber hinaus ja auch nicht möglich gewesen, jemals im Wege ergänzender Vertragsauslegung (!) überhaupt zu einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu gelangen. 2. Leistungsnähe Bereits an der Leistungsnähe werden die Unterschiede deutlich: Diese umschreibt nach herkömmlicher Auffassung die besondere Voraussetzung, die an die Beziehung zwischen dem zu schützenden Dritten und den vom Schuldner vorzunehmenden Handlungen (oder Unterlassungen) zu stellen sind. Gegenstand der Leistungsnähe ist also das Verhältnis zwischen Schuldner und geschützten Dritten151. Nach einer verbreiteten und nur geringfügig variierenden Formel sind dies solche Personen, die „bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt“ sind „wie der 149

Hierzu gleich. Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 311 Rdn. 60. 151 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1788). 150

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Gläubiger selbst“152. Der zu schützende Dritte hat nach dem Modell, das sich in der deutschen Rechtsprechung durchgesetzt hat, mit der Leistung des Schuldners „mehr oder minder zwangsläufig“153 in Berührung zu kommen, was dazu dienen soll, Dritte, die nur zufällig geschädigt werden oder auch nur gelegentlich der Leistung einen Schaden erleiden, aus dem Schutzbereich von Schuldverhältnissen auszuklammern154. Dieses Kriterium dient somit in gewisser Weise, wie auch das der Gläubigernähe, dazu, den Eingriff in die Kontrahentenwahlfreiheit des Schuldners zu kompensieren155. Würde man den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nun in § 311 Abs. 3 BGB und damit in die Theorie vom vertragsunabhängig bestehenden Schuldverhältnis integrieren, ließe sich die Leistungsnähe als Beziehung zwischen dem Geschütztem und dem Schuldner der Schutzverpflichtung nicht auf irgendeine vorbestehende Leistungspflicht zurückführen. Es verwundert nicht, dass darum gerade Canaris demgegenüber anregt, den Schutz des Dritten, wie auch den Schutz der „sonstigen“, also nicht-leistungsbezogenen Interessen des Vertragspartners156, mit der Einwirkungsmöglichkeit des Schuldners auf eben diese Interessen zu begründen. Statt von „Leistungsnähe“ sei dann von „Einwirkungsnähe“ zu sprechen, als deren Unterfall die Leistungsnähe nur noch anzusehen sei157. Auf diese Weise wäre die Kongruenz zur Theorie vom vertragsunabhängigen gesetzlichen Schuldverhältnis, und damit auch zur lex lata, hergestellt. Die „Einwirkungsnähe“ würde, wenn man sie zum (dann einzigen, wie sich gleich zeigen wird) Kriterium für vertragslose Schutzwirkungen erheben würde, der oben erarbeiteten Ratio des § 311 Abs. 3 widersprechen. Denn die Rede ist nicht vom Normalfall der culpa in contrahendo aufgrund geschäftlichen Kontakts mit einem intendierten Vertragspartner (§ 311 Abs. 2 BGB) – hierfür bietet die Einwirkungsmöglichkeit tatsächlich ein ausreichendes Kriterium. Hier geht es vielmehr ausschließlich um Fälle von umgeleiteten Schuldverhältnissen, also solchen, die entgegen der Richtung der rechtsgeschäftlichen Intention gerade nicht mit dem beabsichtigten Vertragspartner zustandekommen. Für diese Umlenkung bedarf es, wie oben dargestellt, einer persönlichen Komponente, und die Einwirkungsnähe erfüllt diese Voraussetzung nicht158. 152 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1786). 153 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 520. 154 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 520. 155 Busche, in: Staudinger/Eckpfeiler (2005), S. 185. 156 Nun kodifiziert in § 241 Abs. 2 BGB. 157 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1788). 158 Im Ergebnis auch Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 530: „Von den Tatbestandselementen, die von der Rechtsprechung auf der Grundlage des Vertragskonzepts erarbeitet wurden, behält jedenfalls das der spezifischen Leistungsnähe ungeschmälert seine Überzeugungskraft. Mit gutem Grund wird sich gar feststellen lassen, dass eine aus der Sozialwirkung des Schuldver-

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

3. Gläubigernähe Noch viel deutlicher ist die Unvereinbarkeit der Theorie des gesetzlichen Schutzverhältnisses, und damit der Subsumtion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unter § 311 Abs. 3 BGB, mit dem Tatbestandsmerkmal der Gläubigernähe. Diese bildet im Rahmen von Schutzwirkungen für Dritte sicherlich den Gegenstand der meisten Kontroversen. Während es bei der Leistungsnähe noch um das Verhältnis von Schädiger und Drittem ging, ist hier nun die Beziehung zwischen dem zu schützenden Dritten und dem Gläubiger der Hauptleistung Gegenstand der Betrachtung: Der Dritte soll dem Gläubiger, bei viel Streit im Detail, zumindest in besonderer Weise nahe stehen159. Dahinter steht das dem deutschen Recht eigene systematische Argument: Je weiter man die Schutzwirkung auf Dritte ausdehnt, die zum Gläubiger nicht in einem in irgendeiner Form „besonderen“ Verhältnis stehen, desto näher gelangt man an eine „uferlose Haftung für reine Vermögensschäden (...), wie sie dem BGB ausweislich der §§ 823, 826 fremd ist“160. Als zumindest ein unstreitiges Mindesterfordernis, das gewissermaßen einen kleinsten gemeinsamen Nenner zur Beurteilung von Gläubigernähe darstellen dürfte, ließe sich eine gewisse „Parallelität der Interessen“161 ansehen, welche hinsichtlich des geschützten Dritten und des Gläubigers bestehen muss. Diese Parallelität hat ihre strengste Ausprägung in der Formel des „Wohl und Wehe“ gefunden162: Nur wenn der Gläubiger seinerseits für das Wohl und Wehe des Dritten Verantwortung trage, lasse sich eine Ausweitung der Schutzwirkungen von Schuldverhältnissen auf diesen Dritten rechtfertigen163. Es gab von Anfang an Stimmen, die für eine Ausweitung des geschützten Personenkreises plädiert und mit der fortschreitenden Aufweichung der Gläubigernähe in gewisser Weise auch Recht bekommen haben. An erster Stelle dürfte hier Gernhuber zu nennen sein, nach dessen frühem Vorschlag auch schuldnernahe hältnisses abgeleitete Drittberechtigung ihm weit mehr Plausibilität sichert als eine Drittberechtigung, die ihre Legitimation im realen oder hypothetischen Parteiwillen sucht (...)“. 159 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1788). 160 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1786). 161 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (92); Canaris, Schutzwirkungen zugunsten Dritter bei „Gegenläufigkeit“ der Interessen –Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des BGH vom 10. 11. 1994 – III ZR 50/94, JZ 1995, 441. 162 Instruktiv das Hühnerpest-Urteil, BGHZ 51, 91 (96): „Daher wäre es nicht mehr mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, aus denen der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gerade entwickelt worden ist, zu vereinbaren, wenn der Schuldner für so weitgehende Folgen seiner Vertragsverletzung haften müsste. Das kann nur dann angenommen werden, wenn der Gläubiger sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich ist, weil dessen Schädigung auch ihn trifft, indem er ihm gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist. (...) Ein solches Verhältnis liegt bei einem Kauf- oder einem Werkvertrag in aller Regel nicht vor.“ 163 Hierzu Fikentscher, Schuldrecht, 9. Aufl. 1997, S. 186.

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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Personen in die Schutzwirkungen eines Schuldverhältnisses einbezogen sein könnten und darauf abzustellen sei, „(...) wo die mit einer Leistung verbundenen Gefahren nach der Anlage des Schuldverhältnisses einen Dritten mindestens ebenso stark wie den Gläubiger treffen und wo die mit einer ungenügenden Sicherung der Gläubigersphäre verbundenen Gefahren einen Dritten schuldnergleich treffen, weil er unter Billigung des Schuldverhältnisses die Leistung für den Gläubiger erbringt“164. Über die Feinheiten bei der Beurteilung der Gläubigernähe soll hier nicht entschieden werden. Deutlich ist jedoch eines: Wer den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte unter § 311 Abs. 3 BGB subsumieren will, muss, wenn Systemkonformität erstrebt ist, auf das Tatbestandsmerkmal eines wirksamen Hauptvertrags, aus welchem sich die weiteren Schutzwirkungen erst ableiten, verzichten. Dies hat bereits im Rahmen der Leistungsnähe dazu geführt, dass diese zu einer mit der Ratio von § 311 Abs. 3 BGB nur schwer zu vereinbarenden Einwirkungsnähe degeneriert. Die Gläubigernähe müsste im Rahmen einer solchen Konstruktion nun vollständig entfallen – aus dem schlichten Grund, dass ein Gläubiger, zu dem eine, wie auch immer geartete, besondere Beziehung des Geschützten bestehen könnte, bei Fehlen eines Hauptverhältnisses nicht vorhanden wäre. Es dürfte darum vorzugswürdig bleiben, auf eine vollständige165 Subsumtion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unter das Gesetz zu verzichten und an den gewohnheitsrechtlichen Einbeziehungsvoraussetzungen festzuhalten. Dass die lex lata auch nach der Schuldrechtsreform nicht für eine Subsumtion dieser Rechtsfigur hinreicht, mag Manchem vielleicht bedauerlich erscheinen. Der Anspruch an das Gesetz, sämtliche Rechtsinstitute umfassend zu behandeln, ist jedoch naiv. Und es ist allemal vorzugswürdig, sich an unkodifiziertem Gewohnheitsrecht zu orientieren, ehe dessen forcierte Integration in das Gesetz dazu führt, ohnehin „bedenklich weite“ Tatbestände noch zusätzlich zu verwässern166. IV. Schutzwirkung, Relativität und Heteronomie Im Rahmen der Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts bedeutet dies für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte folgendes: Die gewohnheitsrechtlichen Einbeziehungsvoraussetzungen sollten auch künftig dazu herangezogen werden, den Geschützten zu bestimmen. Sie entscheiden damit darüber, zwischen welchen Personen sich das vertragslose Schutzpflichtenverhältnis entwickelt. Ihnen kommt also die sachliche Rechtfertigung für und gegen die Adressaten heterono164 Gernhuber, Drittwirkungen im Schuldverhältnis kraft Leistungsnähe, in: Festschrift für Arthur Nikisch, S. 248 (270). 165 Eine Subsumtion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist teilweise natürlich möglich, nämlich, nach Begründung des Schuldverhältnisses, hinsichtlich der in diesem wirkenden Pflichten. Diese unterfallen § 241 Abs. 2 BGB. Das allerdings hat nichts mit den Einbeziehungsvoraussetzungen zu tun. 166 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XX.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

men Schuldrechts zu. Dieses heteronome Schuldrecht ist schließlich nichts anderes als das Pflichtenprogramm nach § 241 Abs. 2 BGB. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gibt somit ein Beispiel für die Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts ab. Um den Unterschied dieser Außenwirkungen heteronomen Rechts zu den Drittwirkungen autonomen Rechts zu veranschaulichen, sei ein letzter, vergleichender Blick auf den oben behandelten167 Vertrag zugunsten Dritter geworfen: Der Vertrag zugunsten Dritter ist ein autonomes Rechtsinstitut. Dieses gibt den Vertragsparteien die Möglichkeit an die Hand, im Rahmen ihrer Privatautonomie einen Dritten zu begünstigen, und es überlässt es dem Dritten, die Begünstigung, ebenfalls privatautonom, abzulehnen. Über den herzustellenden Zustand entscheiden nur die Privatrechtssubjekte. Ein Eingriff in die Privatautonomie des Begünstigten „unter Gleichen“ findet insofern statt, als die seiner Autonomie zugewiesene Rechtssphäre zumindest bis zu dem Zeitpunkt von der Begünstigung tangiert ist, in welchem er ihr widerspricht; heteronomes Schuldrecht, das von außerhalb in ein Rechtsverhältnis hineingetragen wird, stellt der Vertrag zugunsten Dritter jedoch nicht dar. Demgegenüber ist der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine heteronome Rechtsfigur. Es handelt sich, anders als beim Vertrag zugunsten Dritter, nicht um dispositiv bereitgestelltes Gesetzesrecht, innerhalb dessen die Vertragsparteien von ihrer Autonomie Gebrauch machen können. Vielmehr gilt für die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, gleich, ob man sie auf ergänzende Vertragsauslegung stützt, den Grundsatz von Treu und Glauben heranzieht oder unmittelbar auf das Gesetz rekurriert: Über den herzustellenden Zustand, nämlich die Schutzwirkungen zugunsten einer nicht am Vertrag beteiligten Person, haben die Parteien in keinem Fall entschieden, und eine autonome Abbedingung dieser Schutzpflichten steht ihnen ebenfalls nicht offen. Die im Wortsinne entscheidende Instanz ist der Richter, der nicht-vereinbarte Schutzwirkungen annimmt, oder der Gesetzgeber, der in § 241 Abs. 2 BGB das Instrumentarium zur Begründung solcher Schutzpflichten bereitstellt. Während also beim Vertrag zugunsten Dritter die vertragliche Gestaltungsmöglichkeit im Vordergrund steht und das Rechtsinstitut eine Erweiterung der autonomen Möglichkeiten bildet, schränkt der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte diese Möglichkeiten ein. Dennoch liegt eine Ausnahme vom Relativitätsprinzip, wenn man dieses als Verbot der Fremdbestimmung unter Gleichen versteht, nur im Vertrag zugunsten Dritter, nicht hingegen im Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Ein Maximum an terminologischer Klarheit wäre schließlich erreicht, wenn der mit den weiteren Verhaltenspflichten Geschützte nicht mehr als „Dritter“ bezeichnet würde. Im Hinblick auf die heteronomen Schutzpflichten ist er es näm167

Oben S. 19ff.

G. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

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lich nicht; diesbezüglich ist er unmittelbar Rechtsunterworfener. Zwar ist der Geschützte im Hinblick auf den Vertrag, aus welchem sich Schutzwirkungen zu seinen Gunsten ergeben, „Dritter“ (dies ist sozusagen sein Phänotyp aus der Vertragsperspektive); es ist jedoch nicht der Vertrag als autonome Vereinbarung, welcher seinen Schutz bewirkt, sondern das heteronom eingeführte weitere Pflichtenprogramm, und hinsichtlich dieses Pflichtenprogramms ist er kein Dritter, sondern lediglich Adressat. Der „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“ müsste damit eigentlich „Vertrag mit Schutzwirkung für Andere“ heißen. Dies allerdings nur am Rande. Damit entpuppt sich, was auf den ersten Blick ein Relativitätsproblem zu sein schien, als Frage nach den Wirkungen und den Adressaten heteronomen Rechts. Dies wiederum führt zu einer Verschiebung der Problemkonstellation: Wenn Fragen der potentiellen „Drittwirkungen“ von Schuldverhältnissen auch bislang in erster Linie als Fragen der Relativität wahrgenommen werden, ist diese tatsächlich nicht das Problem, noch bietet das Relativitätsprinzip – ganz unabhängig davon, wie man es herleiten und verstehen möchte – praktikable und rechtssichere Lösungsmöglichkeiten an. Der Sache nach geht es um Heteronomie, und damit ausschließlich um die Frage: Wen adressiert der Gesetzgeber (bzw. der Richter), wenn er Schuldverhältnissen heteronome Elemente beigibt? Gernhuber schildert anschaulich die vollständig unterschiedlichen Formen der so genannten Drittwirkung von Schuldverhältnissen: „Die Legitimität des Gesetzesrechts kann allein der Vertrag zugunsten Dritter für sich in Anspruch nehmen; alle Drittwirkungen anderer Art sind Produkte des Richterrechts, erwachsen aus der Anschauung konkreter Fälle, denen das Gesetzesrecht nicht genügte oder doch nicht zu genügen schien. Das Recht der Drittwirkungen ist deshalb ein geradezu klassisches Repertoire aller Tugenden und aller Laster, die Richterrecht auszeichnen können, und damit auch ein Rechtsgebiet, das man getrost als ‚unruhig‘ bezeichnen kann.“168

Was Gernhuber hier beschreibt, ist jedoch nicht nur die „unruhige“ Natur des Richterrechts, sondern die zwischen Autonomie und Heteronomie verlaufende Grenze. Auch der Vertrag zugunsten Dritter ist nämlich nur vordergründig bzw. formal „durch Gesetzesrecht legitimiert“; inhaltlich macht das Gesetz ja gerade keinerlei Vorgaben. Der Vertrag zugunsten Dritter bleibt ein vollständig autonomes, ausschließlich vom Parteiwillen getragenes Rechtsgeschäft. Die richterrechtlich eingeführte Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte hingegen ist, wie sollte es bei Richterrecht auch anders sein, eine inhaltliche Modifikation des Vereinbarten, also heteronomer Natur. Kritik am Institut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte übt vor allem Hattenhauer169. Er sieht das „Zerbrechen des Schuldverhältnisses in seiner per-

168 169

Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 463. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 105ff., insb. 106.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

sonalen Struktur“170. Aus historischer Sicht stelle bereits ein Institut wie der „Vertrag zugunsten Dritter“ einen Prinzipienverstoß dar, denn Dritte könnten keinesfalls am Schuldverhältnis, sondern nur an der Leistung aus dem Schuldverhältnis beteiligt sein. Umso kritischer fällt Hattenhauers Urteil gegen den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte aus: Nur das „Fortschreiten sozialistischer Ideen“ ermögliche überhaupt eine derartige Konstruktion. Das vom Parteiwillen getragene Vertragsverhältnis werde in einen von Fürsorgepflichten getragenen sozialen Tatbestand umgedeutet, und es werde nicht nur der Wille der Vertragsparteien „dem gesellschaftlichen Zweck geopfert, sondern zugleich die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, zwischen vertraglichem und gesetzlichem Schuldverhältnis, niedergerissen“171. Diese Entwicklung finde ihre „Vollendung“ darin, dass nicht nur Verträge, sondern sogar vertragslose Schuldverhältnisse Schutzwirkungen zugunsten Dritter entfalten würden: Die Suche nach dem erklärten Willen der Parteien sei damit „lästig und überflüssig“, das Schuldverhältnis zu einem „Instrument zur Durchsetzung rechtspolitischer Zwecke“ geworden172. Unabhängig von der rechtspolitischen und politischen Stoßrichtung, die in diesen Ausführungen zutage tritt, treffen die Ausführungen Hattenhauers in der Sache einen richtigen Punkt. Gegen die von ihm beklagte – und in dieser Arbeit als „Heteronomisierung“ bezeichnete – Entwicklung führt er nämlich die Vermischung der Begründungslinien für gesetzliche und vertragliche Schuldverhältnisse ins Feld: „Gesetzgeber und Gerichte neigen heute mehr und mehr dazu, fehlerhaft begründete vertragliche Schuldverhältnisse ohne Rücksicht auf den Parteiwillen für bestandskräftig zu erklären und sie sodann wie gesetzliche Schuldverhältnisse zu behandeln. (...) Darf der Gesetzgeber oder Richter dem Bürger ein vertragliches Schuldverhältnis aufnötigen, ohne ihm die Möglichkeit eines Rücktritts zu geben?“173

Die von Hattenhauer beklagte Vermischung von vertraglichem und gesetzlichem Schuldrecht ist nichts anderes als das in dieser Arbeit behandelte Zusammenwirken autonomer und heteronomer Kriterien in rechtsgeschäftlichen und rechtsgeschäftsnahen Schuldverhältnissen. Dieses ist längst Realität, spätestens seit der Schuldrechtsreform, wie gezeigt wurde, auch in der lex lata. Die Vermischung von Autonomie und Heteronomie wird bislang zwar in erster Linie am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und an der Ausweitung von Schuldverhältnissen auf Nicht-Vertragsparteien diskutiert, zeigt sich jedoch ebenso im zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht174. Die Sorge vor der Vermischung von ver170 171 172 173 174

Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 105. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 106. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 107. Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 2000, S. 107/108. Unten S. 84ff.

H. Berufshaftung (Gutachterhaftung)

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traglichem mit gesetzlichem Schuldrecht hat Hattenhauer nicht exklusiv; ihr wird auch andernorts gefolgt175. Insbesondere die Verwischung der vom deutschen Deliktsrecht gezogenen Grenze zum Ersatz reiner Vermögensschäden wird als „Hauptgefahr“ einer zu großen Ausweitung des Instituts des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte angesehen176. „Jeder Schritt in Richtung einer stärkeren Erhellung der Drittorientierung fremder Schuldverhältnisse, die Grundlage der Schutzwirkung zugunsten Dritter ist, ist mithin gleichzeitig ein Schritt zur Erledigung der Problematik.“177

Die vorstehenden Erörterungen zu den Außenwirkungen von Schuldverhältnissen nehmen diese Erhellung nicht für sich in Anspruch. Sie sollten lediglich dazu dienen, das Vereinbarte vom Nicht-Vereinbarten zu trennen und die Wirkung gegenüber weiteren Personen sowie die Beantwortung der Frage, wer diese Personen sein sollen, dem Nicht-Vereinbarten zuzuweisen.

H. Berufshaftung (Gutachterhaftung) Beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wird der Dritte, wie die Bezeichnung bereits verdeutlicht, grundsätzlich nicht in den Leistungs-, sondern nur in den Schutzbereich des fremden Vertrags einbezogen. Im Unterschied zum echten Vertrag zugunsten Dritter gewährt der Einbezug dem Dritten darum keinen eigenen Erfüllungsanspruch; im Grundsatz gilt, dass lediglich die „Schutz-“ bzw. „Erhaltungspflichten“ nach § 241 Abs. 2 BGB es sind, auf deren Verletzung er sich berufen kann178, weswegen ihm nur der (einfache) Schadensersatz als Sekundäranspruch zur Verfügung steht, der sich zudem in der Regel auf Personenschäden bezieht179. Parallel zu dieser bloßen Teilhabe an Schutzwirkungen hat sich jedoch in der deutschen Rechtsprechung eine Haftung von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen gebildet, denen gerade wegen ihres Berufs und der damit assoziierten Fähigkeiten und Kenntnisse –so zumindest die Begründung – besonderes Vertrauen entgegengebracht wird180. Von dieser Haftung betroffen sind, abgesehen von Sachverständigen aller Art, in erster Linie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater181. Typisch sind Fälle, in welchen Sachkundige zur Begutachtung 175

Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 77. 176 Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1788). 177 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 517. 178 Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (618). 179 Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 91. 180 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 227. 181 Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 88.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

der Vermögenslage oder Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens des Wertes eines Vermögensgegenstandes herangezogen werden und die geschuldete Auskunft in zu vertretender Weise182 unrichtig erteilen183. Diese Berufshaftung greift nun nicht nur gegenüber den jeweiligen Auftraggebern ein (dies wäre nach § 280 BGB eine reine Selbstverständlichkeit), sondern auch gegenüber weiteren Personen, welche von der unrichtigen Auskunft Kenntnis erhalten und auf diese vertrauen184. Als generelle Begründungslinie rekurriert die deutsche Rechtsprechung darauf, die genannten Berufsgruppen würden über eine besondere, staatlich anerkannte Sachkunde verfügen, und wendet die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte185 dann an, wenn die Vertragsleistung „erkennbar zum Gebrauch gegenüber einem Dritten bestimmt ist“186. Diese Berufshaftung hat jedoch ein Spezifikum, das sie vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte unterscheidet, weswegen ihr in dieser Arbeit auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist: Die mit ihr sanktionierten Pflichtverletzungen der Gutachter haben, bei näherer Betrachtung, nämlich nicht spezifische Schutzoder Obhutspflichten (weitere Verhaltenspflichten) zum Gegenstand, sondern liegen schlicht in der jeweils unrichtigen Expertise, also in der Verletzung der vereinbarten Hauptleistungspflicht. In den Kategorien von § 241 BGB wäre es also ein Verstoß gegen Abs. 1 und nicht gegen Abs. 2, aus welchem sich der Drittschutz ergeben soll. Gegenüber dem solcherart „geschützten“ Dritten besteht in diesen Fallkonstellationen jedoch unzweifelhaft kein Vertrag. Entsprechend stößt die Rechtsfigur, wenn sie auch gesicherte Rechtsprechung sein mag, auf Kritik: Es handele sich hierbei um die Unterstellung eines fiktiven Parteiwillens und die Annahme von Vereinbarungen, die so niemals getroffen worden wären187. Das Eigenartige an der Gutachterhaftung ist ja, dass die ordnungsgemäße Erbringung des (autonom!) Vereinbarten sich gegenüber einem Dritten zu einer (richterlich heteronom eingeführten) Schutzpflicht wandelt. Es

182

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 459. 184 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 513; Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 88; Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (536); Eckebrecht, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform, MDR 2002, 425 (426); Honsell, Die Haftung für Gutachten und Auskunft, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 211; Canaris, Schutzwirkungen zugunsten Dritter bei „Gegenläufigkeit“ der Interessen – Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des BGH vom 10. 11. 1994 – III ZR 50/94, JZ 1995, 441; Canaris, Bankgeheimnis und Schutzwirkung für Dritte im Konzern, ZIP 2004, 1781 (1789). 185 Palandt/Heinrichs, 65. Aufl. 2006, § 311 Rdn. 60; MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 229. 186 Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 88; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 460. 187 Staudinger/Jagmann (2004), § 328 Rdn. 89. 183

H. Berufshaftung (Gutachterhaftung)

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ist damit zu beobachten, wie sich Leistungspflichten (§ 241 Abs. 1 BGB) hinsichtlich Dritter zu Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) entwickeln. Das sich hiermit verbindende dogmatische Hauptproblem ist also weniger das der richtigen Adressatenbestimmung beim vertragslosen Schuldverhältnis – hier lassen sich, bei allerdings äußerst weiter Interpretation der Gläubigernähe, grundsätzlich die Einbeziehungsvoraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte heranziehen. Die Besonderheit der Gutachterhaftung ist vielmehr der Wandel der Leistungspflicht zur weiteren Verhaltenspflicht und der hiermit verbundene Sprung von § 241 Abs. 1 zu § 241 Abs. 2 BGB. Das Problem ist also nicht personaler Natur, sondern liegt im heteronomen Element (der außenwirkenden Pflicht) selbst. Was Parteien autonom füreinander vereinbart haben, wird seitens des Richters als auch gegenüber Dritten gültig interpretiert. Dies ist beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in seiner oben behandelten Form nicht so. Es bedarf damit, wenn man auf dem (Wertungs-)Standpunkt steht, die Gutachterhaftung sei ein notwendiges Rechtsinstitut, einer Begründung dafür, wie aus einer Leistungspflicht eine weitere Verhaltenspflicht werden kann. Nur so lässt sich die Berufshaftung in das nun bestehende System der lex lata, insbesondere in § 241 BGB einpassen. Diese Begründung ist möglich. Es reicht aus, die oben188 vollzogene Abgrenzung der beiden Pflichtenprogramme in § 241 BGB zu vergegenwärtigen. Nicht die Trennung in Leistungspflichten und nicht-leistungsbezogene Pflichten ist hiernach maßgeblich, sondern diejenige in Pflichten autonomer und heteronomer Quelle. Sieht man die Expertisepflicht nämlich einzig unter dem Gesichtspunkt ihres Leistungscharakters und erachtet man diesen als im Rahmen von § 241 BGB maßgeblich, so besteht aus dem Dilemma, dass nach der Systematik des deutschen Gesetzes (§ 311 Abs. 2, 3 BGB) eben nur die Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB vertragslos wirken können, kein Ausweg: die Expertisepflicht bleibt als Leistungspflicht immer dem § 241 Abs. 1 BGB verhaftet und damit dem Vertragsverhältnis immanent. Sieht man das maßgebliche Abgrenzungskriterium innerhalb des § 241 BGB hingegen in der autonomen oder heteronomen Quelle einer Pflicht, so ist die entscheidende Frage nicht mehr diejenige, ob die Expertisepflicht eine Leistungspflicht ist (was sie natürlich ist), sondern diejenige nach ihrem autonomen oder heteronomen Charakter. Hier hilft nun der von der Rechtsprechung vollzogene, teils auf öffentlichen Interessen beruhende Rekurs auf die „besondere, staatlich anerkannte Sachkunde“189. Der Schutz dieses Vertrauens ist kein vereinbartes Element, sondern eine richterliche Beigabe zum vereinbarten Schuldverhältnis. Die Pflicht, dieser Sachkunde zu genügen, ist damit die heteronom begründete weitere Verhaltenspflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB. 188 189

Oben S. 43. BGH, Urteil v. 26. 9. 2000, NJW 2001, 360 (363), m. w. Nachw.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Damit ist, wohlgemerkt, nichts über die materielle Berechtigung der vertragslosen besonderen Berufshaftung gesagt; diese soll hier auch gar nicht beurteilt werden. Angeboten wird nur eine konstruktive Möglichkeit zum Verständnis vertragsunabhängig wirkender Pflichten, die nicht etwa deswegen heteronomer Natur sein müssen, damit die Gutachterhaftung konstruierbar wird, sondern einzig wegen der Begründung des Relativitätsgrundsatzes aus dem Autonomieprinzip. Mit außerordentlicher Klarheit und Schärfe wurde die Beziehung von Heteronomie und Vertragslosigkeit in der Gutachterhaftung übrigens schon von Picker gesehen: „Das (...) Ziel einer verkehrsgerechten Gutachterhaftung ist (...) nur zu erreichen, wenn der pekzierende Gutachter einstehen muss, gleichviel, ob er das zugesagt hat oder nicht: Seine Bindung ist nicht auf ein autonomes Haftungsversprechen zu gründen, sondern auf den heteronomen Haftungsoktroi.“190

I. Prospekthaftung I. Die Rechtsfigur Neben der speziell geregelten börsenrechtlichen Prospekthaftung191 hat sich in Deutschland seit dem Jahre 1978192 eine allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung entwickelt, die sich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit von in Anlageprospekten enthaltenen Werbeangaben richtet193. Diese Rechtsfigur hatte ihren Ursprung in Fällen, in welchen – zumeist – Freiberufler sich aus steuerlichen Gründen in Gesellschaften mit der Rechtsform GmbH & Co KG einkauften, später jedoch feststellen mussten, dass die betreffenden Gesellschaften Verluste machten, weswegen die erworbenen Anteile wirtschaftlich wertlos waren. Wertlos waren ebenfalls die Ansprüche der Anleger gegen den eigentlichen Vertragspartner, die Kommanditgesellschaft, sowie gegen deren Vertreter, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung194. Um den solcherart „Geprellten“ einen Anspruch mit wirtschaftlichem Wert zu verschaffen, wurde von der deutschen Rechtsprechung eine von ihr so bezeichnete Garantenhaftung ins Leben gerufen, die sich im weiteren Fortgang der Rechtsentwicklung auf alle Personen erstreckte, die verantwortlich an der Gestaltung der Prospekte mitgewirkt hatten195. Verzichtet wurde hierbei nicht nur auf eine 190 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (412). 191 §§ 44ff. BörsG. 192 Eine der ersten Entscheidungen stellt BGHZ 71, 284ff. (= NJW 1978, 1625) dar. 193 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 169. 194 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 163. 195 BGHZ 72, 382 = NJW 1979, 718.

I. Prospekthaftung

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Stellvertreterstellung der Haftenden, sondern auch darauf, dass die Schuldner der Prospekthaftung dem Anspruchsteller persönlich bekannt oder im Prospekt genannt gewesen wären196. Die Prospekthaftung trifft nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung also relativ allgemein das „Management“ von Anlagegesellschaften sowie sonstige Personen, die im Rahmen solcher Gesellschaften „besonderen Einfluss“ ausüben und zumindest „Mitverantwortung“197 tragen. Die bisherige Entwicklung der Prospekthaftung rechtfertigt die Beobachtung, dass sich dieser Personenkreis beständig erweitert198. Ziel der Rechtsprechung bleibt es, auf der Suche nach solventen Schuldnern der „hinter der Gesellschaft stehenden“ Personen habhaft zu werden. Aus der Prospekthaftung verpflichtet werden heute alle Personen, die „Einfluss und Verantwortung“ in der Gesellschaft besitzen199. Auch beratende Rechtsanwälte können gegebenenfalls zu den Haftenden zählen, wenn mit ihrer Sachkunde geworben wird oder das ihnen typischerweise entgegengebrachte Vertrauen in sonstiger, ihnen zurechenbarer Weise in Anspruch genommen wird200. Im Ausgangspunkt stellte die Konstruktion dieser zivilrechtlichen Prospekthaftung eine Weiterentwicklung der culpa in contrahendo dar, die jedoch Konturen angenommen hat, die mit der culpa in contrahendo als einer Haftung aus zumindest geschäftlichem Kontakt oder der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens heute nur noch schwerlich in Einklang zu bringen sind201. Dies gilt insbesondere für die Haftung von Rechtsanwälten und anderen bei der Erstellung der Prospekte beteiligten Personen, die selbst nicht bei Vertragsverhandlungen in Erscheinung getreten sind. Bald war konsequenterweise von einer „Weiterführung des Grundgedankens der Vertrauenshaftung“ die Rede202. Um die – wegen deren Solvenz erwünschte – Haftung der Initiatoren der Gesellschaft zu erreichen, hat die Rechtsprechung sich mit zwei Stichworten beholfen: Haftbar sollen die so genannten „Initiatoren“ sein (der Begriff des Initiators changiert hierbei zwischen der Initiative im Rahmen der Prospekte und derjenigen in der Gesellschaft203), und um die Haftung dieser „Initiatoren“ zu begründen, wird zum Konstrukt der „Garantenhaftung“ gegriffen204. 196

Vgl. zum Ganzen v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 496. MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 88. 198 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 162. 199 Vgl. MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 165. 200 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 167. 201 MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 88; M. Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233 (1239); Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 561. 202 BGHZ 79, 337 (341), hierzu Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 562. 203 Vgl. MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 164: „Initiator im Sinne der Prospekthaftung ist jeder, der Einfluss und Verantwortung in der Gesellschaft besitzt oder als Vermittler der Anlage persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Zu diesem Kreis gehören außer den He197

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Zum Schuldnerkreis führte der BGH im Jahre 1979 aus: „Das sind einmal diejenigen, denen die Beitrittsinteressenten typischerweise ihr Vertrauen schenken, mögen sie auch nur als Initiatoren, Gestalter oder Gründer der Gesellschaft auftreten. Dazu gehören aber auch diejenigen, die einen aus ihrer Person hergeleiteten zusätzlichen Vertrauenstatbestand geschaffen haben. Das kann gerade auf die Personen und Unternehmen zutreffen, die solche Beteiligungen vertreiben oder vermitteln, nämlich dann, wenn sie als in dieser Branche vielfältig erfahren und damit sachkundig auftreten, den Eindruck besonderer persönlicher Zuverlässigkeit erwecken und so für ihre Verhandlungspartner eine zusätzliche, wenn nicht gar die ausschlaggebende Gewähr für die Richtigkeit der in dem Werbeprospekt oder anderweitig über die Kapitalanlage gemachten Angaben bieten.“205

Nach der Schuldrechtsreform wird in der deutschen Rechtswissenschaft mehrheitlich davon ausgegangen, die Prospekthaftung sei nun unter die lex lata zu subsumieren. Die von den Garanten bzw. Initiatoren verletzten Pflichten seien jedenfalls vertragsunabhängige Schutz- und Obhutspflichten (weitere Verhaltenspflichten, § 241 Abs. 2 BGB), und das zur Wirkung dieser Pflichten notwendige vertragslose Schuldverhältnis lasse sich über § 311 Abs. 3 BGB begründen: Die dort beispielhaft erwähnte Inanspruchnahme „besonderen Vertrauens“ bei der Einflussnahme auf fremde Verträge entspreche nahezu lückenlos der vorzitierten Rechtsprechung zur bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung206. Die Fälle, in welchen die Haftenden nicht selbst an Vertragsverhandlungen teilgenommen haben, dürften jedoch nicht ohne weiteres von § 311 Abs. 3 BGB umfasst sein. Diese Vorschrift ist, wie oben bereits dargelegt, zwar mit Bedacht offen gestaltet: Sie enthält lediglich das Regelbeispiel der Einflussnahme auf fremde Verträge durch die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens. Trotzdem ist § 311 Abs. 3 BGB keine beliebige Vorschrift. Dieser Norm kommt vielmehr die oben beschriebene Funktion zu, den personal ungebundenen, weil potentiell vertragsunabhängigen Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB eine Eingrenzung zu geben, die das fehlende Vertragsband ergänzt. Es sei weiterhin daran erinnert, dass die Eigenhaftung nach § 311 Abs. 3 die rechtsgeschäftliche Intention umleitet, indem sie zwischen Parteien, die kein Vertragsverhältnis miteinander intendiert haben, ein Schuldverhältnis einrichtet207. Diese Umleitung wiederum muss sich, dies gebietet die Logik, aus ihrem Ziel heraus rechtfertigen; dieses Ziel ist die Person, weswegen die Begründung eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 BGB zumindest auch auf persönliche Kriterien rekurrieren muss. Dies (das Adressatenprorausgebern des Prospekts zunächst die maßgeblich beteiligten Gründungsgesellschafter, bei einer GmbH einschließlich gegebenenfalls deren Geschäftsführer (...).“ 204 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 164; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 562. 205 BGH NJW 1979, 1449 (1450). 206 Statt vieler MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 164: „Diese Praxis hat mittlerweile ihre Bestätigung durch § 311 Abs. 3 gefunden.“ 207 Zum Ganzen oben S. 46.

I. Prospekthaftung

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blem) alles folgt aus nichts anderem als der potentiell vertragslosen Wirkung der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB und bildet den sachlich rechtfertigenden Grund für die Adressierung einer Person mit vertragslosem (heteronomem) Schuldrecht. Wendet man diese Grundsätze auf die Prospekthaftung an, so werden die meisten Fälle unproblematisch sein, weil die in Anspruch genommenen „Garanten“ oder „Initiatoren“ tatsächlich persönliches Vertrauen auf sich gezogen haben. Der BGH spricht im oben zitierten Urteil davon, dass diese Personen „als in dieser Branche vielfältig erfahren und damit sachkundig auftreten“. Gegen derartige Konstellationen bestehen aus der gerade eröffneten Begründungslinie heraus nicht die geringsten Einwände. Eine Grauzone beginnt allerdings dort, wo die Rechtsprechung vom persönlichen Vertrauen abstrahiert: dort, wo die Prospekthaftung gänzlich unabhängig vom persönlichen Kontakt oder zumindest von der Vorstellung des Anlegers von einer bestimmten Person eingreift. Die Rechtsprechung selbst nennt dies heute „typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospektverantwortlichen gemachten Angaben“208. Diese reine „Typisierung“ dürfte, wenn überhaupt kein persönliches Element auf Seiten des Haftenden hinzukommt, nicht für die Begründung eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 3 BGB ausreichen, so schützenswert der geprellte Anleger im Einzelfall auch erscheinen mag. Dies folgt, wie zu betonen ist, nicht aus Wertungsgesichtspunkten, sondern einzig aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den in § 241 und 311 BGB enthaltenen Vorschriften. Insbesondere die hinter all diesen Konstellationen stehende Insolvenzproblematik ändert nichts an diesem Befund; sie ist nämlich eine gesellschaftsrechtliche und keine bürgerlich-rechtliche. II. Garantenstellungen im Bürgerlichen Recht Zur Begründung der Prospekthaftung rekurriert die Rechtsprechung in Deutschland, wie beschrieben, auf das Institut der Garantenhaftung bzw. -stellung. Diese Rechtsfigur führt in der zivilrechtlichen Diskussion eher ein Schattendasein, was sich damit begründen lässt, dass Garantenstellungen zu Rechtspflichten ohne Rechtsgeschäft führen und damit eine gewisse Nähe zu den faktischen oder sozial begründeten Vertragsverhältnissen begründen, zu welchen die deutsche Rechtswissenschaft ein ausgesprochen distanziertes Verhältnis hat. In der Tat bildet die Garantenstellung einen – wenn auch schwachen – Hebel zur Begründung von Rechtspflichten ohne Rechtsgeschäft. Auch Flume spricht von „Rechtspflichten aus sozialem Kontakt“, nicht ohne allerdings sofort darauf hinzuweisen, dass dieser Beschreibung keinerlei Bedeutung zukomme209. Im Beispiel der aus einer gemeinsamen Bergwanderung resultierenden Garantenver208 209

BGHZ 123, 106, erster Leitsatz. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 84.

74

§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

pflichtung210 schuldeten die Teilnehmer einander Hilfeleistung tatsächlich als Leistungspflicht, mithin bestünde ein auf Leistung gerichtetes Schuldverhältnis ohne Vertrag211. Hieraus wiederum schließt Flume, dass eine Verpflichtung zu Schadensersatz auch dann besteht, wenn eine Pflicht, aber kein absolutes Recht verletzt wird, der am Berg verlassene Mitwanderer also beispielsweise nur die Kosten seiner Rettung aufzuwenden hatte212. Sollte diese Annahme richtig sein, so ergäbe sich an dieser Stelle in der Tat der im deutschen Schuldrecht seltene Fall, in welchem Leistungspflichten entstünden, ohne dass ein Rechtsgeschäft vorläge213. Vergleichbares droht ansonsten nur dem falsus procurator214, der im Unterschied zum Garanten jedoch wenigstens im weitesten Sinne rechtsgeschäftlich tätig geworden ist. Dieses Konstrukt reicht schon „gefährlich nahe“ an die Theorie vom faktischen Vertrag heran, der – mit der überwiegenden Mehrheit der deutschen Rechtswissenschaftler – auch Flume nicht anhängt215. Ihm erscheint es folglich auch „bedrängend“, dass die Garantenstellung auf diese Weise den Weg zu Pflichten ebnen könnte, die einerseits „vertragslos“ und damit nicht rechtsgeschäftlich gewollt sind, andererseits jedoch auch keine gesetzliche Normierung erfahren haben216. Insbesondere hinsichtlich der Eingriffe in die negative Vertragsfreiheit der Garanten entstehen Bedenken. Flume spricht sich aus diesem Grund dafür aus, die zivilrechtliche Haftung aus Garantenstellung auf „elementare“ Pflichten zu beschränken, wenn „für jedermann das Bestehen der Pflicht evident und, wenn er nur rechtlich gesinnt ist, die Erfüllung der Pflicht selbstverständlich ist“217. Der Begriff des Garanten dient also jedenfalls zur Begründung eines vertragslosen Schuldverhältnisses. Er wird jedoch in zweierlei Hinsicht verstanden, was sich insbesondere auf die Rechtsfolge auswirkt. Die Rechtsprechung zur Prospekthaftung schützt das in den Garanten gesetzte Vertrauen und beschränkt sich aus diesem Grunde auch darauf, den Vertrauensschaden zu ersetzen. So können Anleger in Prospekthaftungsfällen typischerweise Erstattung ihrer Aufwendun-

210 Dies dürfte sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht das am häufigsten genannte Beispiel für Garantenpflichten sein, sofern man von der durch die deutsche Rechtsprechung kreierten Prospekthaftung absieht. Flume nennt weiterhin die Jagd und die private Einladung; vgl. BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 86. 211 § 241 BGB in der bis zum 1. 1. 2002 geltenden Fassung; heute § 241 Abs. 1 BGB. 212 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 85. 213 In der Praxis wird sich nur in den allerwenigsten Fällen aus gemeinsamer nicht-rechtsgeschäftlicher Tätigkeit eine Leistungsklage ergeben. Auch wenn dies rechtlich möglich wäre – realistischer sind Schadensersatzansprüche nach Ablauf des Garantenverhältnisses, und seien sie auch wegen Verletzung der Leistungspflicht auf das positive Interesse gerichtet, §§ 283, 280 Abs. 1 und 3 BGB. 214 § 179 BGB. 215 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 97. 216 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 86. 217 Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 86.

J. Drittschadensliquidation

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gen gegen Rückgabe der Anlagebeteiligung verlangen218. Dies hat jedoch mit der allgemeinen Bedeutung der Garantenstellung nichts zu tun, denn letztere begründet, zumindest nach den Ausführungen von Flume, Leistungspflichten.

J. Drittschadensliquidation Drittschäden sind im deutschen Recht grundsätzlich nicht ersatzfähig; es gilt das „Dogma vom Gläubigerinteresse“219. Die Relativität der Schuldverhältnisse setzt sich damit in gewisser Weise als Relativität des Schadensrechts fort. Eine Ausnahme hiervon bildet die so genannte Drittschadensliquidation zur Korrektur von „typischen Schadensverlagerungen“220, die dazu führen, dass ein Gläubiger, dem an und für sich ein vertraglicher Anspruch zustünde, keinen Schaden hat, während einem geschädigten Dritten kein Anspruch zusteht221. Als Lösung dieses Problems hat man in Deutschland solche Schäden in den Anspruch des Vertragspartners gefasst, die nicht er selbst, sondern ein Dritter erlitten hat. Schulbeispiel ist der nicht unter Speditionsrecht fallende, also privat von einem Dritten transportierte Versendungskauf222, in dessen Verlauf die Kaufsache durch den Transporteur beschädigt wird. Hier trägt der Empfänger aufgrund des („zufälligen“) Eingreifens von § 447 BGB die Gegenleistungsgefahr und muss den Kaufpreis zahlen. Diesen Schaden kann er jedoch mangels Vertragsverhältnisses nicht beim Transporteur liquidieren. Dies könnte allenfalls der mit dem Transporteur vertraglich verbundene Verkäufer; dieser wiederum hat jedoch keinen Schaden223. Hier hilft die Drittschadensliquidation. Im Fall wird der Verkäufer zur Liquidierung eines fremden Schadens (des Käuferschadens) berechtigt, und der Käufer hat Anspruch auf Abtretung eben dieses Schadensersatzanspruchs. Der praktische Unterschied der Drittschadensliquidation zu den gerade behandelten Drittschutzmechanismen liegt in dieser Rechtsfolge: Während der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte dem Geschützten unmittelbar einen (Schadensersatz-)Anspruch gewährt, kann der Geschädigte im Rahmen der Drittschadensliquidation nur Abtretung des vom Anspruchsinhaber zu liquidierenden Schadensersatzanspruchs verlangen. Sein Anspruch ist also mittelbar224, woraus sich auch eines der

218

MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 171; vgl. beispielsweise BGH v. 26. 9. 1991, VII ZR 376/89. 219 Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 609. 220 Hierzu Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 910; Eckebrecht, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform, MDR 2002, 425 (426). 221 Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282). 222 § 447 BGB. 223 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 488. 224 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 516.

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

Hauptprobleme der Drittschadensliquidation ergibt: Ihre Anwendung ist tendenziell unpraktikabel225. Die Drittschadensliquidation beinhaltet, wie der Name bereits sagt, zumindest irgendeine Form von Drittwirkung, und sie stellt, natürlich, auch heteronomes Recht dar. Dennoch ist sie für diese Untersuchung aus einem einfachen Grund ohne weitere Bedeutung, und dieser ist ihre Bezugslosigkeit zur Privatautonomie. Es kann bei der Drittschadensliquidation keine Rede davon sein, ein heteronomes Element würde in einem Schuldverhältnis fortwirken, diese Wirkung auch gegenüber weiteren Personen entfalten und auf diese Weise in deren autonomiegeschützten Bereich eingreifen. Die „Drittwirkung“, wenn man sie denn so bezeichnen möchte, beschränkt sich bei der Drittschadensliquidation auf die Verpflichtung des Schuldners (im Beispiel: des Transporteurs), einen vertraglichen Anspruch zu erfüllen, der zwar auf der Rechtsgrund-226, nicht jedoch auf der Rechtsfolgenseite227 besteht. Dies ist kein Relativitätsproblem.

K. Spezialgesetzliche Außenwirkungen von Schuldverhältnissen I. Herausgabeansprüche gegen Untermieter Das deutsche Miet-, Pacht- und Leihrecht sieht in den §§ 546 Abs. 2 (581 Abs. 2), 604 Abs. 4 BGB eine Herausgabepflicht nicht nur der jeweiligen Vertragspartner, sondern auch derjenigen Dritten vor, welchen der Mieter bzw. Pächter oder Entleiher einer Sache diese überlassen hat, und zwar unabhängig von der Eigentumslage228. So kann sich im praktisch wichtigsten Fall der Untermiete der Vermieter nach der Beendigung des Hauptmietverhältnisses aufgrund miet-, also vertragsrechtlicher Vorschriften hinsichtlich der Rückgabe der Mietsache auch dann direkt an den Untermieter halten, wenn er selbst nicht Eigentümer ist. Grund dieser gesetzlichen Konstrukte ist das nicht zu bezweifelnde Gläubigerinteresse, verbunden mit dem Gedanken der Verfahrensökonomie: Bestünde ein vergleichbarer Anspruch nicht, so müsste der Gläubiger sich zuerst an seinen Vertragspartner und erst in einem zweiten Schritt, nach erfolgter Abtretung bzw. Pfändung des Anspruchs, an den Besitzer wenden. So ist er nicht auf die Geltendmachung fremder Rechte verwiesen, da das Gesetz ihm ein eigenes zur Verfügung stellt229.

225

V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 489, Fn. 494. §§ 280 I, 631 BGB. 227 § 249 BGB. 228 Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (615); Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 30. 229 Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 30f. 226

K. Spezialgesetzliche Außenwirkungen von Schuldverhältnissen

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Auf diese Weise entwickelt sich ein zwischen drei Personen zugleich bestehendes Pflichtenverhältnis, also eine echte, nicht bipolare Drittbeziehung230, der jedoch keine zwischen allen Beteiligten bestehenden Vereinbarungen zugrunde liegen. Zur Frage, ob diese – unzweifelhaft schuldrechtlichen231 – Ansprüche vertraglicher oder gesetzlicher Natur sind, schreibt Kramer: „Insofern scheint es vertragliche Ansprüche zu Lasten eines Dritten zu geben. Wegen der evidenten Einwände eines Vertrags zu Lasten Dritter sollte man besser von gesetzlichen Ansprüchen reden, die vertragsrechtlich konstruiert sind.“232

Dem ist im Ergebnis zuzustimmen; die Begründung erweckt allerdings den Eindruck eines Zirkelschlusses: Wären es vertragliche Ansprüche, ließe sich in der Tat von einem Vertrag zu Lasten Dritter sprechen. Allein die Besorgnis, dass nur auf diese Weise Einwänden gegen die Konstruktion als vertragliche Ansprüche begegnet werden könnte, stellt jedoch, für sich genommen, keine tragende Begründung für die Einordnung dieser Herausgabeansprüche als gesetzliche dar. Vielmehr erwächst der Anspruch aus nicht vereinbartem Recht. Damit liegt es nahe, ihn als gesetzlichen zu sehen. Unterstützt wird dies jedoch insbesondere durch den Gesichtspunkt der Heteronomie. Der beschriebene Anspruch des Erstvermieters gegen den Untermieter entsteht nicht aus Vereinbarung; er hat seine Quelle nicht in der Sphäre der Vertragsparteien, sondern einzig in der des Gesetzgebers. Wenn die oben aufgestellten Thesen richtig sind, kollidieren die Drittbeziehungen im Miet-, Pacht- und Leihrecht aus genau diesem Grunde nicht mit dem Relativitätsprinzip und passen sich so ohne weiteres in die aus dem Autonomieprinzip entwickelte Dogmatik ein. Noch deutlicher wird dies, wenn man sich den alternativen Fall vor Augen hält: Nicht mit dem Relativitätsprinzip vereinbar wäre es jedenfalls, wenn der gleiche Anspruch auf autonomer Quelle beruhen würde, also die Parteien des Mietvertrags Ansprüche gegen einen Dritten vereinbaren würden: Dies wäre Fremdbestimmung unter Gleichen233. II. Gesetzliche Vertragsübergänge Der Vollständigkeit halber sei schließlich noch ein – kurzer – Blick auf eine letzte Form der (nur vordergründig so erscheinenden) Außenwirkung von Schuldver230

Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 9. Palandt/Weidenkaff, 65. Aufl. 2006, § 546 Rdn. 19; Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (615). 232 MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 28. 233 An den genannten Beispielen lässt sich auch ersehen, dass die potentiell absolute Wirkung heteronomen Schuldrechts nicht auf zwingendes Recht beschränkt ist. Denn die genannten Vorschriften aus dem Recht der Miete, der Pacht und der Leihe sind dispositiv; MünchKomm/ Schilling, 4. Aufl., § 546 Rdn. 25. 231

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

hältnissen geworfen: auf die gesetzlich ausgelösten Übergänge von Schuldverhältnissen. Im deutschen Recht führt die Veräußerung gemieteten Wohnraums durch den Vermieter während eines bestehenden Mietverhältnisses zu einem gesetzlichen Vertragsübergang234 bzw. zu einem „Neuabschluss des Mietvertrages kraft Gesetzes“235; jedenfalls treffen den Erwerber die Folgen eines Vertrags, den er selbst nicht geschlossen hat, und der Mieter erhält einen neuen Vertragspartner. Das Mietverhältnis wird somit nicht nur hinsichtlich der an seinem Ende entstehenden Herausgabeansprüche, sondern bereits während seines Bestehens „aus dem Kreis der ausschließlich inter partes wirkenden Schuldverhältnisse herausgehoben“236. Begründet wird dies in erster Linie mit dem Gedanken des Mieterschutzes: Der Mieter soll nicht nur gegen das Herausgabeverlangen des Erwerbers geschützt werden, sondern in diesem gleichzeitig „einen neuen Vertragspartner mit den Pflichten aus dem ursprünglichen Vertrag“ erhalten237. Verschiedentlich wird auch der Gedanke der berechtigten (und damit auch gegenüber Dritten berechtigenden) Sachherrschaft angeführt, wie er in § 986 Abs. 2 BGB vorzufinden ist238. Ein strukturell ähnliches Phänomen enthält § 613a) BGB: Mit dem Erwerb eines Betriebes tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Auch hierin liegt ein gesetzlicher Vertragsübergang, verbunden allerdings mit gesamtschuldnerischer Haftung von altem und neuem Arbeitgeber239. Hiermit sollen keine arbeitsmarktpolitischen Ziele verfolgt werden; Ziel ist die Sicherung des Arbeitsplatzes für den einzelnen Arbeitnehmer, verbunden mit der Kontinuität und Sicherstellung der Arbeit des Betriebsrats240. Beide Rechtsinstitute sind unzweifelhaft heteronomer Natur: Der Übergang der Schuldverhältnisse tritt nicht aufgrund allseitiger privatautonomer Entscheidung ein (wenn auch zumindest der Arbeitnehmer im Falle des § 613a) BGB über ein Widerspruchsrecht verfügt241); Quelle der Rechtsfolge ist das Gesetz. In beiden Fällen treten außerdem Wirkungen auf andere Personen ein, die sich allerdings von den bislang behandelten Außen- und Drittwirkungen grundsätzlich unterscheiden, und zwar hinsichtlich ihrer Bindung an den Vertrag: Beim 234 § 566 BGB; Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (657); Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (615); jeweils noch zu § 571 BGB a.F. 235 MünchKomm/Häublein, 4. Aufl., § 566 Rdn. 23. 236 MünchKomm/Häublein, 4. Aufl., § 566 Rdn. 1. 237 Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (657); hierzu auch Palandt/Weidenkaff, 65. Aufl. 2006, § 566 Rdn. 1. 238 MünchKomm/Häublein, 4. Aufl., § 566 Rdn. 2; Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (617). 239 § 613a) Abs. 2 Satz 1 BGB; hierzu Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (616); Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (657). 240 Coester-Waltjen, Der Dritte und das Schuldverhältnis, JURA 1999, 656 (657). 241 Palandt/Weidenkaff, 65. Aufl. 2006, § 613a), Rdn. 48ff.

L. Ein Fazit zu Heteronomie und Außenwirkungen

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Vertrag zugunsten Dritter, beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte sowie im Rahmen der Sachwalter- und Prospekthaftung wirken jeweils nur bestimmte einzelne Elemente gegenüber Vertragsfremden, namentlich das Pflichtenprogramm aus § 241 Abs. 2 BGB. In all diesen Konstellationen wirken die Pflichten vertragslos gegenüber Vertragsfremden. Dies ist nun im Falle der geschilderten Vertragsübergänge gerade nicht so242. Der ganze Vertrag ist es, der übergeht, so dass zu keinem Zeitpunkt vertragslose Wirkungen gegenüber Vertragsfremden entstehen. Damit stellt sich das Adressatenproblem auf ganz andere Weise als oben: Adressiert wird hier nicht, wie in allen bisher behandelten Konstellationen, „trotz Vertragslosigkeit“; Gegenstand der Adressierung ist der Vertrag insgesamt. Dies ändert nichts an dem Gebot sachlicher Rechtfertigung für diese Adressierung mit heteronomem Recht; eine solche liegt in den genannten miet- und arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten, ganz abgesehen davon, dass hinsichtlich des Betriebsübergangs die Betriebsübergangs-Richtlinie243 zu beachten ist. Aus der Tatsache, dass im Rahmen der geschilderten Vertragsübergänge keine vertragslosen Rechte und Pflichten entstehen, ließe sich schließlich ohne weiteres folgern, dass auch von Außen- und Drittwirkungen nicht die Rede sein kann. Dies allerdings nur am Rande.

L. Ein Fazit zu Heteronomie und Außenwirkungen Es hat sich bewahrheitet, dass die Wirkungen von Verträgen auf weitere Personen, wie die vertragslosen Schuldbeziehungen überhaupt, daran geknüpft sind, dass Schuldrecht aus heteronomer Quelle wirkt. Hiermit hat sich inzident auch die oben erarbeitete Herleitung des Relativitätsprinzips bestätigt: Wer Parteivereinbarungen dem Relativitätsgrundsatz unterwirft und es dem Gesetzgeber oder Richter überlässt, unter besonderen Umständen bei entsprechender sachlicher Begründung auch andere Personen weiteren Rechtswirkungen dieser Vereinbarungen zu unterwerfen, kann Wirkung inter partes und „Drittwirkungen“ mit einer einzigen Theorie zueinander in Konformität setzen: Der Rückbindung des Relativitätsgrundsatzes an das Autonomieprinzip. Für das deutsche Recht hat sich eine relativ einfache Struktur ergeben: Heteronomes Element in rechtsgeschäftlichen und rechtsgeschäftsnahen Schuldverhältnissen sind die weiteren Verhaltenspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB244. Ihre Außenwirkung begründet das deutsche Schuldrecht mit dem Grundmechanismus des vertraglichen Zusammenhangs. Dieser konkretisiert sich mit den in § 311 Abs. 2 242

Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 32. Richtlinie 2001/23/EG. 244 Dies wird im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht nicht mehr so sein; hierzu unten S. 84ff. 243

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§ 3: Außenwirkungen heteronomen Schuldrechts

und 3 BGB enthaltenen Tatbestandsmerkmalen, die somit die Funktion der sachlichen Rechtfertigung für heteronome Adressierung innehaben. Diese Konkretisierung gibt mit dem „vertraglichen Zusammenhang“ eine Begründungsstruktur vor, ist jedoch nicht abschließend. Dies war schon nicht der Wille des Gesetzgebers, und es wäre auch nicht möglich, sachliche Begründungen für vertragslose, aber vertragsnahe schuldrechtliche Verpflichtungen umfassend zu kodifizieren. Mit Richterrecht wie den Einbeziehungsvoraussetzungen beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wird also weiterhin zu leben sein; dies liegt in der Natur der Sache.

§ 4: Doppelte Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes Mit der Rückbeziehung des Relativitätsgrundsatzes auf das Autonomieprinzip wurden verschiedene Dinge deutlich: Zum ersten ist festzuhalten, dass das Relativitätsprinzip als Gebot existiert. Es ist, entgegen den Ausführungen von Gernhuber, nicht nur der zeitgemäßen Wertung unterworfen, sondern eine zwingende Konsequenz der Privatautonomie und damit der Selbstbestimmung des einzelnen. Hieraus folgt, dass es nicht nur die Parteien einer Vereinbarung bindet, sondern auch die Rechtsordnung insgesamt, zumindest wenn sich diese dem Grundsatz der Vertragsfreiheit verschrieben hat. An den Relativitätsgrundsatz gebunden ist damit also insbesondere auch der Gesetzgeber. Die Sanktionen für Vertragsparteien sind hierbei vergleichsweise unspektakulär: Sie äußern sich in der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter bzw. von Verträgen zugunsten Dritter, wenn der Dritte die ihm zugedachte Begünstigung zurückweist. Der Gesetzgeber hingegen steht unter dem Gebot, kein Privatrecht zur Verfügung zu stellen, in welchem eine Partei dazu in der Lage ist, in die Autonomie einer anderen ohne deren Mitwirkung einzugreifen. Dies gilt zu Lasten wie zugunsten dieser anderen. Dieser Abschnitt bildet die Schnittstelle zwischen dem gerade behandelten deutschen Schuldrecht und dem nun zu bearbeitenden europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht. Er dient insbesondere dazu, zwei Feststellungen zu machen, von denen sich die erste auf das im vorangegangenen Kapitel behandelte deutsche Schuldrecht bezieht, während die andere allgemeiner Natur ist und in die folgende Materie des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts überleitet. Gemeinsam bilden diese Feststellungen eine doppelte Beschränkung des Relativitätsprinzips. Die erste Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes betrifft in erster Linie das deutsche Recht. Für dieses hat der vorangegangene Abschnitt die Erkenntnis erbracht, dass von einer Relativität der Schuldverhältnisse im normativen Sinne nicht zu sprechen ist. Eine Relativität von Schuldverhältnissen existiert zwar im deskriptiven Sinne, nämlich als Beschreibung des vinculum iuris, des Schuldverhältnisses im engeren Sinne1 als reiner Leistungsbeziehung, die gewissermaßen als Phänotyp relativ ist. 1 Staudinger/J. Schmidt (1995), Einl. zu § 241 Rdn. 199ff.; vgl. auch Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 26; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 3.

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§ 4: Doppelte Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes

In normativer Hinsicht hingegen, also als das Verbot der Fremdbestimmung unter Gleichen, betrifft der Relativitätsgrundsatz nur das Vertragsrecht im engeren Sinne, nicht das Schuldrecht. Dies ergibt sich daraus, dass sämtliche Elemente, die den konzeptionellen Unterschied zwischen Vertragsrecht und Schuldrecht ausmachen, heteronomer Natur sind, mit anderen Worten: Wer in Deutschland den Vertrag vom Schuldverhältnis abzieht, erhält pure Heteronomie. Dies gilt erstens und ohne weiteres schon für die gesetzlichen Schuldverhältnisse, deren Begründung und Quelle in toto heteronomer Natur sind. Dies gilt jedoch, zweitens, auch für alle Aspekte der gesetzlichen Schuldverhältnisse in vertraglichem Zusammenhang: Entstehungstatbestände (§ 311 Abs. 2 und 3 BGB) wie Pflichtenprogramm (§ 241 Abs. 2 BGB) sind heteronomes und damit nicht relativitätsgebundenes Schuldrecht. Das gleiche lässt sich, drittens, auch für die innerhalb von Vertragsverhältnissen wirkenden weiteren Verhaltenspflichten sagen, die sich ebenfalls nach § 241 Abs. 2 BGB beurteilen und, wie beschrieben, heteronomer Natur sind. Konsequenz hieraus ist die Vorzugswürdigkeit des Konzepts einer „Relativität der Vertragsverhältnisse“ vor der „Relativität der Schuldverhältnisse“. Dies führt zu einer Sicht des Relativitätsgrundsatzes in Deutschland, die näher am Verständnis anderer Rechtsordnungen liegt. Denn nicht nur in England2, sondern auch in den Ländern des Code Napoléon wird das Relativitätsprinzip als ein vertragsrechtliches Prinzip verstanden. Exemplarisch sei Frankreich genannt. Der Code Civil regelt, wörtlich übersetzt, die Relativität der Übereinkommen („effet relatif des conventions“, Art. 1165 Code Civil)3: „Les conventions n’ont d’effet qu’entre les parties contractantes; elles ne nuisent point au tiers, et elles ne lui profitent que dans le cas prévu par l’article 1121.“4

Die Tatsache, dass diese Regelung auf Verträge beschränkt ist und auch so verstanden wird5, beruht zu Teilen sicherlich auch darauf, dass das französische Privatrecht sich insgesamt eher einer théorie générale des contrats als einer théorie générale de l’obligation gewidmet hat6. Zumindest ein Problem stellt sich dem französischen Privatrecht jedoch nicht: Es hat nicht mit Grundsätzen zu kämpfen, die aus – prinzipiell autonom strukturiertem – Vertragsrecht stammen und in einer Theorie zum – autonom wie heteronom strukturierten – Schuldrecht darum teil-

2

Hierzu bereits oben S. 22: privity of contracts. Hierzu Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 11ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 371; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 100; Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 14. 4 In Art. 1121 Code Civil ist der Vertrag zugunsten Dritter geregelt; hierzu Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 12. 5 Ferid, Das Französische Zivilrecht (Bd. 1), 1971, Rdn. 2 E 1. 6 Ferid, Das Französische Zivilrecht (Bd. 1), 1971, Rdn. 2 A 5. 3

§ 4: Doppelte Beschränkung des Relativitätsgrundsatzes

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weise fehl am Platze sein müssen, wie dies beim Relativitätsprinzip im deutschen Recht der Fall ist. Zur zweiten Beschränkung des Relativitätsprinzips: Der für das nun zu behandelnde Verbrauchsgüterkaufrecht und für die Herstellerhaftung entscheidende Schluss aus der oben vorgenommenen Herleitung des Relativitätsgrundsatzes und der Ausgliederung des heteronomen Schuldrechts aus seinem Anwendungsbereich betrifft nicht die dogmatische Beziehung von Verträgen und Schuldverhältnissen, sondern das Innere des Vertragsrechts selbst. Wenn es nämlich richtig ist, dass heteronomes Recht dem Relativitätsprinzip nicht unterworfen ist, so muss dies auch innerhalb (autonom geschlossener) Verträge für in diesen Verträgen wirkende heteronome Elemente gelten. Aus dieser Hypothese speist sich das Prüfungsprogramm für die folgenden Kapitel zum Verbrauchsgüterkaufrecht7, zur Regressproblematik8 und zur Herstellerhaftung9. Es wird zu untersuchen sein, wo innerhalb des Verbrauchsgüterkaufrechts heteronome Elemente wirken, und es wird nach der Identifikation dieser Elemente darüber zu diskutieren sein, wer der oder die richtigen Adressaten dieser heteronomen Elemente sind. Methodisch ändert sich also, im Vergleich zur bisherigen Vorgehensweise, nichts.

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§ 5. § 6, S. 114ff. § 7, S. 198ff.

§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht A. Einleitung Bis jetzt wurde erarbeitet, dass heteronomes Vertragsrecht nicht dem Relativitätsgebot unterliegt und somit potentiell gegenüber jedermann wirken kann. Dieser Gedanke soll nun auf das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht, wie es mit der Richtlinie 1999/44/EG eingeführt wurde, angewandt werden, das im Folgenden im Hinblick auf seine heteronomen Elemente untersucht wird. Es soll zudem die These begründet werden, dass das Verbrauchsgüterkaufrecht gegenüber den meisten anderen Erscheinungsformen des zwingenden Rechts eine besondere Qualität aufweist: Es handelt sich nicht einfach nur um heteronomes, sondern zudem um „positiv zwingendes Recht“1 – ein Charakteristikum, das es im deutschen Privatrecht nur mit dem Recht der Pauschalreisen und dem Urhebervertragsrecht2 teilt. Die Besonderheit des positiv zwingenden Rechts ist, verkürzt ausgedrückt, dass es den Unterworfenen nicht mit der Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts konfrontiert, sondern ihn an das positive Interesse seines Vertragspartners bindet. Folge hiervon ist ein erhöhter Drittwirkungsdruck in Vertragsketten, der als Regressproblem in § 63 behandelt werden soll. Die folgende Analyse des Verbrauchsgüterkaufrechts als heteronomen Vertragsrechts widmet sich dem europäischen, nicht dem nationalen Recht. Gegenstand ist die Richtlinie 1999/44/EG, denn sie ist die Quelle der heteronomen Regelungen und damit die Grundlage für die spätere Diskussion der Fortwirkungen heteronomen Rechts in Gestalt von Regress und Herstellerhaftung. Auf die nationale, insbesondere deutsche Umsetzung der Richtlinie wird allerdings einzugehen sein, um die strukturellen Veränderungen zu illustrieren, welche die Richtlinienumsetzung im innerstaatlichen Recht mit sich gebracht hat.

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Zum Begriff des positiv zwingenden Rechts unten S. 96ff. Hierzu unten S. 109ff. Unten S. 114ff.

B. Zur Objektivierung des Mangelbegriffs

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B. Zur Objektivierung des Mangelbegriffs Die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf gilt für den Verkauf „beweglicher körperlicher Gegenstände“4 vom Unternehmer an den Verbraucher und regelt für diese Vertragssituation, im Wege der Mindestharmonisierung5, nahezu das komplette Gewährleistungsrecht, insbesondere die Vertragsgemäßheit eines Verbrauchsguts6, die Beweislast für diese Vertragsgemäßheit zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs7, die Rechtsbehelfe der Nacherfüllung, des Rücktritts und der Minderung8 sowie die Gewährleistungsfristen9 und Herstellergarantien10. Sie befasst sich hingegen nicht mit Inhalt und Voraussetzungen des Anspruchs auf Schadensersatz. Die Regelungen zum Schadensersatz sind damit auf nationaler Ebene praktisch11 die einzigen Vorschriften, von denen auch im Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich mit autonomer Regelung abgewichen werden kann12. Das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht umfasst damit nahezu das gesamte Vertragsrecht des Einzelhandels und greift auf diese Weise wesentlich tiefer in die vorbestehenden rechtlichen Strukturen der Mitgliedstaaten ein13 als ältere privatrechtliche Richtlinien dies getan haben. Wegen dieser Auswirkungen auf den Kaufvertrag als das zentrale schuldrechtliche Rechtsverhältnis wird der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie eine gewisse „Pionierstellung“ auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Vertragsrecht zugeschrieben14. Drexl spricht, darüber hinausgehend, von einem „Motor der Integration“15. Grundlage des Gewährleistungsrechts bilden die Bestimmungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zur Vertragsgemäßheit von Verbrauchsgütern. Diese bildet als solche ein im Ausgangspunkt subjektives Kriterium: Gewährleis4

Art. 1 Abs. 2 b der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. Zur Mindestharmonisierung („New Approach“ von 1985) ausführlich Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (106ff., 124). 6 Art. 2, Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 7 Art. 5 Abs. 3, Richtlinie 1999/44/EG. 8 Art. 3. 9 Art. 5 der Richtlinie. 10 Art. 6. 11 Einzige weitere Möglichkeit einer vertraglichen Abbedingung liegt in der Verkürzung der Verjährungsfrist auf ein Jahr bei Gebrauchtwaren, Art. 7 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie, in Deutschland § 475 Abs. 2 BGB. 12 In Deutschland § 475 Abs. 3 BGB. Grenze dieser Abdingbarkeit ist das AGB-Recht, insbesondere § 309 Nr. 7 BGB. 13 Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746. 14 Luna Serrano, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 1 Rdn. 6; ebenso Staudenmayer, Die EG-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf, NJW 1999, 2393; vgl. auch Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, 2005, S. 173: „... muss zu den bedeutendsten Regelungen des Gemeinschaftsprivatrechts gerechnet werden.“ 15 Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (105). 5

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

tungsrechte hängen in erster Linie davon ab, was vertragsgemäß, also vereinbart ist16. Um einen solcherart subjektiven Mangelbegriff festzuschreiben, hätte es allerdings keiner Richtlinie bedurft. Die Richtlinie macht darum inhaltliche Vorgaben hinsichtlich der Umstände, die in Ermangelung einer spezifischen Beschaffenheitsvereinbarung bei ihrem kumulativen17 Vorliegen die Vermutung der Vertragsgemäßheit begründen. Diese Umstände liegen in der Übereinstimmung der Kaufsache mit vom Verkäufer gegebenen Beschreibungen sowie dem Verbraucher vorgelegten Proben und Mustern18, in der Eignung für bestimmte Zwecke, wenn diese Eignung Vertragsinhalt geworden ist19, und in der Eignung für bei derartigen Kaufsachen übliche Verwendungen20. Die Vermutung der Vertragsgemäßheit wird schließlich, und dies ist der inhaltsreichste Teil der Norm, daran geknüpft, dass Verbrauchsgüter „eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden.“21 Das Ergebnis dieser Normierung der Vertragsgemäßheit ist ein zweistufiger subjektiv-objektiver Mangelbegriff22: Die Sollbeschaffenheit des Verbrauchsguts bestimmt sich auf einer ersten Stufe nur nach der Parteivereinbarung („Beschaffenheitsvereinbarung“), die, falls ausreichend, dann auch allein ausschlaggebend für die Vertragsgemäßheit ist. Erst wenn der ermittelte Vertragsinhalt nicht hinreicht, um hinsichtlich bestimmter Eigenschaften der Kaufsache beurteilen zu 16

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie; hierzu Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 653; MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., vor § 474 Rdn. 9. 18 Art. 2 Abs. 2 a), Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 19 Art. 2 Abs. 2 b). 20 Art. 2 Abs. 2 c). 21 Art. 2 Abs. 2 d) der Richtlinie. 22 So zumindest die in Deutschland herrschende Meinung, die aus diesem Grund auch die subjektiv-objektive Umsetzung in Deutschland (§ 434 BGB) befürwortet; Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rdn. 8ff.; Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (243); Jorden/Lehmann, Verbrauchsgüterkauf und Schuldrechtsmodernisierung, JZ 2001, 952 (953); Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (352); Palandt/Putzo, 65. Aufl. 2006, § 434 Rdn. 1; Krajewski, The New German Law of Obligations, [2003] EBLR, 201 (211); Schulte-Nölke, Anforderungen an haftungseinschränkende Beschaffenheitsvereinbarungen beim Verbrauchsgüterkauf, ZGS 2003, 184ff. Kritisch zur Umsetzung beispielsweise Schinkels, Zum Vorrang der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung vor damit unvereinbaren Beschaffenheitsangaben, ZGS 2004, 226 (232); Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (75). Kritisch ebenfalls Hassemer, Zwingendes europäisches Privatrecht – Zivilrecht ohne Vertragsfreiheit?, 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 121 (126). 17

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können, ob sie Teil der Sollbeschaffenheit sind oder nicht, sind hilfsweise objektive Kriterien heranzuziehen, insbesondere der übliche Gebrauchszweck und die weiteren berechtigten Verbrauchererwartungen. Erst hier greift darum auch das Gebot der Richtlinie zur kumulativen Anwendung der genannten Vermutungsgründe für die Vertragsgemäßheit23. Mit der schlichten Annahme, am hergebrachten subjektiv-objektiven Mangelbegriff der nationalen Rechtsordnungen hätte sich mit der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie nichts geändert, ist es allerdings nicht getan. Denn der Begriff der Vertragsgemäßheit in der Richtlinie hat ein deutliches Gewicht auf der objektiven Seite: Hier liegt nicht nur der Regelungsschwerpunkt, sondern auch die Intention der Richtlinie. Zentraler inhaltlicher Gesichtspunkt der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie ist nicht die Berücksichtigung autonomer Parteivereinbarungen zur Sollbeschaffenheit – hierfür wäre eine Maßnahme der Gemeinschaft auch gänzlich unangebracht gewesen –, sondern die Erfüllung „berechtigter Verbrauchererwartungen“24. Diese sind dort entscheidend, wo es an individuellen Vereinbarungen zur Sollbeschaffenheit fehlt, und dies wird die Mehrzahl der Fälle sein; die Erfahrung lehrt, dass Verbraucher in der konkreten Situation des Vertragsschlusses sich oftmals nicht mehr eigens informieren25. In dieser Abstraktion vom Individualvertrag verwirklicht sich das Anliegen der Richtlinie, innerhalb Europas ein Mindestmaß an standard quality zu sichern26. Dieses rechtspolitische Ziel ist technisch nur mit der objektiven Seite des Fehlerbegriffs zu lösen: mit heteronomem Vertragsrecht27. Auch wenn die Richtlinie somit in rechtstechnischer Hinsicht nicht vom subjektiv-objektiven Mangelbegriff abrückt, so liegt ihr rechtspolitischer Schwer23 Zum Ganzen statt vieler Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-KaufrechtsRichtlinie, Art. 2 Rdn. 8, 11. 24 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 25. 25 Schinkels, Zum Vorrang der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung vor damit unvereinbaren Beschaffenheitsangaben, ZGS 2004, 226 (232); Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (351); Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rdn. 9; Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (650); Schulte-Nölke, Anforderungen an haftungseinschränkende Beschaffenheitsvereinbarungen beim Verbrauchsgüterkauf, ZGS 2003, 184ff. 26 Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/ Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (350). 27 So auch Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (363, 364), mit besonderem Gewicht auf dem formalen Charakter der Heteronomie. Materiell bewirke der in der Richtlinie enthaltende Anreiz zu Vereinbarungen über die Sollbeschaffenheit eine informierte Kaufentscheidung und damit – zumindest für den Verbraucher – ein Mehr an Selbstbestimmung. Hierzu unten S. 100ff.

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

punkt doch auf seiner objektiven Seite. Für diese Objektivierung des Mangelbegriffs gibt es einen realen Grund, und dies ist der tatsächliche Übergang des Kaufrechts von der Stück- zur Gattungsschuld. Während das traditionelle, in dieser Hinsicht am römischen Recht orientierte Kaufrecht vom Grundmodell des Stückkaufs ausging und damit der Situation der Besichtigung von agrarischen oder handwerklich gefertigten Produkten auf dem Markt verhaftet blieb28, wandelten sich die Rechtstatsachen hin zum Massenverkehr und damit zu einem faktischen Vordringen des Gattungskaufs. Das europäische und in seiner Folge auch das deutsche Recht haben hierauf reagiert, das System der ädilizischen Rechtsbehelfe29 modifiziert, den Nachlieferungsanspruch an die erste Stelle der Gewährleistungsansprüche gesetzt30 und somit die Gattungsschuld zum kaufrechtlichen Leitbild erhoben31. Dies kann jedoch auf längere Sicht nicht die einzige gesetzgeberische Reaktion auf das Vordringen des Gattungskaufes in der Rechtspraxis sein. Denn der Gattungskauf entfaltet seine Besonderheiten nicht erst auf der Rechtsfolgenseite (den gewährleistungsrechtlichen Rechtsbehelfen), sondern bereits im Rahmen der Sollbeschaffenheit. Sieht der Käufer nur ein einzelnes Stück vor sich, so liegt es wesentlich näher, dass sich zwischen ihm und dem Verkäufer Vorstellungen über die Beschaffenheit dieser Sache vertraglich konkretisieren und damit individualisieren. Ganz anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn sich der Käufer nur der Gattung nach zum Kauf entscheidet. Eine Individualisierung findet in diesem Fall erst mit Gefahrübergang und damit in der Regel nach Vertragsschluss statt, wofür ja auch das deutsche allgemeine Schuldrecht den Grundsatz bereithält, dass der Verkäufer nur Ware „mittlerer Art und Güte“32 schuldet. Wenn jedoch keine Individualisierung und somit auch keine individuelle Beschaffenheitsvereinbarung in Betracht kommen, so hat das Recht hierauf mit einer Objektivierung und Typifizierung der Sollbeschaffenheit zu reagieren, falls es nicht hinter der Wirklichkeit zurückbleiben möchte. Ein Leitsatz wie „caveat emptor“ ist nur dort eine angemessene und gerechte Regel, wo der Käufer vor Vertragsschluss tatsächlich die Möglichkeit der Begutachtung der Kaufsache hatte. In der Mehrzahl der Gattungskäufe ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, da keine individuelle Begutachtung stattfindet und der Verbraucher regelmäßig auch nicht über die technischen und sonstigen Kenntnisse bzw. Fähigkeiten verfügt, 28

M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 178, 217. Actio redhibitoria (Wandelungsklage), actio quanti minoris (Minderungsklage); hierzu Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 318; zur Adaption im deutschen Recht M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 181. 30 §§ 437, 439 BGB. 31 Hierzu Anders, Der zentrale Haftungsgrund der Pflichtverletzung im Leistungsstörungsrecht des Entwurfs für ein Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, ZIP 2001, 184 (185); Ayad, Schuldrechtsreform: Das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in der Vertragspraxis, DB 2001, 2697 (2702). 32 § 243 Abs. 1 BGB. 29

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sich eine konkrete Vorstellung von der Sollbeschaffenheit zu bilden oder diese gar zu überprüfen33. Zu diesem Mangel an individueller Prüfung – ebenso wie an individueller Vereinbarung – tritt die Tatsache, dass der Kauf nicht mehr nur noch dazu dient, dem Käufer eine bestimmte Sachsubstanz zu Eigentum zu verschaffen, sondern häufig dazu bestimmt ist, eine bestimmte, oftmals komplizierte Sachfunktion zur Verfügung zu stellen; dies gilt insbesondere für Verbrauchsgüter, die – entgegen dieser Bezeichnung34 – nicht zum unmittelbaren Verbrauch bestimmt sind35. Der Kaufvertrag beruht unter diesen Voraussetzungen nicht mehr auf einer kompetenten geschäftlichen Entscheidung „mit den Augen“36, sondern hängt zunehmend von nicht ad hoc überprüfbaren Informationen ab. Gelegentlich mag der Verkäufer als Vertragspartner zu weiterer Information in der Lage sein, oftmals wird jedoch auch dem Händler die Fachkenntnis dazu fehlen, anstelle des Kunden eine Gütekontrolle durchzuführen – sofern er hieran überhaupt ein Interesse hat. Der dem Stückkauf zugrundeliegende Grundgedanke individueller Prüfung ist folglich in der großen Mehrzahl der heutzutage üblichen Austauschgeschäfte reine Illusion37. Die Objektivierung des Mangelbegriffs und ihre Absicherung durch den zwingenden Charakter des Verbrauchsgüterkaufrechts lassen sich damit auch als Versuche lesen, den Mangel an individueller Prüfungskompetenz und -möglichkeit durch das Setzen von Standards zu kompensieren. Wenn man es also möglicherweise auch beklagen mag, dass das herkömmliche Vertragsmodell der individuell ausgehandelten Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung zunehmend durch gesetzliche Vorgaben ersetzt wird und dass hieraus weitreichende Folgen für die praktische Ausübung der Vertragsfreiheit wie für das gesellschaftliche Verständnis der Privatautonomie entstehen, so hat die Entwicklung zu einer Objektivierung des Mangelbegriffs doch einen realen Hintergrund und ist darum alles andere als willkürlich. Dieser Betonung der objektiven – und damit heteronomen – Elemente im Konzept der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie wird entgegengehalten, sie sei mit der Genese der Richtlinie nicht zu vereinbaren. Der Begriff der Vertragsgemäßheit sei von der Kommission aus Artikel 35 CISG38 übernommen worden, einer Norm,

33 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 178; Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (351). 34 „Bewegliche körperliche Gegenstände“, Art. 1 Abs. 2 b), Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 35 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 179. 36 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 179. 37 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 181. 38 Wiener UN-Übereinkommen über den internationalen Warenkauf von 1980 (United Nations Convention on contracts for the international sale of goods, CISG).

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

die ihrerseits unzweifelhaft als Kodifikation eines im Wesentlichen subjektiven Mangelbegriffs zu verstehen sei39. Parallelen zwischen CISG und Kaufrechts-Richtlinie sind tatsächlich nicht zu bestreiten40: So sind einige strukturelle Merkmale wie insbesondere der einheitliche Tatbestand der Pflichtverletzung in beiden Regelungswerken zu finden41. Dennoch bestehen elementare strukturelle Unterschiede: Während das UNKaufrecht das internationale zweiseitige Unternehmensgeschäft regelt und aus diesem Grunde von zwei prinzipiell gleichgeordneten Vertragspartnern ausgeht, enthält die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf Schutznormen zugunsten des Verbrauchers gegenüber dem Letztverkäufer. Beiden Regelungen liegen völlig unterschiedliche Sachverhalte zugrunde: „internationaler Handelskauf einerseits und Verbraucherkauf (im Binnenmarkt) andererseits“42. Während das CISG also von der strukturellen Gleichheit der Vertragspartner beim internationalen Warenkauf ausgeht43, ist das Leitbild der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf geradezu entgegengesetzt. Hieraus erklären sich auch die drei wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Regelungen. So hat zum ersten die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie die – dem CISG fremde – Haftung für Werbeangaben und Etikettierungen eingeführt44, zum zweiten enthält die Richtlinie die Vermutung der Mangelhaftigkeit zugunsten des Käufers45, welche im CISG vollständig undenkbar wäre, und drittens schließlich ist die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf insgesamt als zwingendes Recht ausgestaltet, wodurch sich der dem CISG entgegengesetzte Grundcharakter besonders deutlich manifestiert46. Denn die Disponibilität ist geradezu ein Wesensmerkmal des CISG47. Stellt man noch in Rechnung, dass auch 39 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rdn. 8; Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/ Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (352). 40 Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (99). 41 Micklitz, Ein neues Kaufrecht für Verbraucher in Europa?, EuZW 1997, 229 (230); Pick, Zum Stand der Schuldrechtsmodernisierung, ZIP 2001, 1173 (1175); außerordentlich weitgehend Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 649: „bloße Adaption des CISG“; Mit Recht kritisch gegenüber dieser Sichtweise Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 478. 42 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 478. 43 Vgl. hierzu Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (425). 44 Art. 2 Abs. 2 d. 45 Hierzu unten S. 94. 46 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 6, der jedoch ungeachtet dieser fundamentalen Abweichungen von einer „nahezu umfassenden Deckungsgleichheit“ spricht. 47 Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (425).

C. Öffentliche Äußerungen (Werbeangaben)

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die jeweiligen Formulierungen der Vertragsgemäßheit unterschiedlich sind, so ist die Behauptung, die Begriffe der Vertragsgemäßheit in CISG und Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie seien „identisch“48, nicht zutreffend.

C. Öffentliche Äußerungen (Werbeangaben) Innerhalb der heteronomen Elemente, die das Konzept der Richtlinie zur Vertragsgemäßheit enthält (Eignung für gewöhnliche Zwecke, Qualität und Leistungen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann) nimmt die Haftung für öffentliche Äußerungen (Werbeangaben) eine herausgehobene Stellung ein49, obwohl sie rechtstechnisch nur zur Beurteilung der üblichen Qualität eines Verbrauchsguts herzuziehen sind50. Dies beruht zum einen darauf, dass Werbeangaben zuerst nichts anderes sind als deklaratorische Äußerungen und sich aus diesem Grunde nicht leicht in Vertragstheorie und Rechtsgeschäftslehre einfügen. Zum anderen statuiert die Haftung für Werbeangaben eine Haftung für Handlungen Dritter, und dies ist für die vorliegende Arbeit, die sich den Außenwirkungen heteronomen Rechts widmet, von besonderem Interesse. Nach Artikel 2 Abs. 2 d) der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie sind bei der Beurteilung der Vertragsgemäßheit von Verbrauchsgütern auch „die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes“ zu berücksichtigen. Die Sollbeschaffenheit einer Kaufsache wird auf diese Weise durch bestimmte weitere, nicht im unmittelbaren Vertragszusammenhang stehende Äußerungen der „Absatz-“ bzw. „Anbieterseite“ mitbestimmt51. Die Haftung für Werbeangaben ist nur zu vermeiden, wenn der Verkäufer nachweist, dass er die betreffende Äußerung nicht kannte und vernünftigerweise nicht davon Kenntnis haben konnte52, dass die betreffende Äußerung zum Zeit48

So jedoch Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rdn. 9. 49 Hierzu Schlechtriem, International Einheitliches Kaufrecht und neues Schuldrecht, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 71 (84); zuvor schon ders., Verbraucherkaufverträge – ein neuer Richtlinienentwurf, JZ 1997, 441 (444ff.); Staudenmayer, The Directive on the Sale of Consumer Goods and Associated Guarantees – a Milestone in the European Consumer and Private Law, European Review of Private Law 2000, 547 (552). 50 Artikel 2 Abs. 2 d) der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. 51 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rdn. 81; Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 113. 52 Als Sekundäreffekt dieser Fahrlässigkeitshaftung entsteht eine Informationsobliegenheit des Letztverkäufers. Er wird in seinem eigenen Interesse dazu angehalten, sich „über die Werbeaussagen des Herstellers auf dem Laufenden zu halten“ (Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 658.) Dies stellt jedoch keine Pflicht im engeren Sinn gegenüber

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

punkt des Vertragsschlusses berichtigt war oder dass die Kaufentscheidung des Käufers nicht durch die betreffende Äußerung beeinflusst sein konnte53. Zumindest dem professionellen Verkäufer wird einer dieser Nachweise nur selten gelingen54; es wird insbesondere davon auszugehen sein, dass Gewerbetreibende über Werbeangaben hinsichtlich der von ihnen angebotenen Produkte grundsätzlich informiert sind bzw. zu sein haben. Den Ausnahmebestimmungen wird darum auch wenig Bedeutung zugemessen55. Für die meisten Mitgliedstaaten der Union stellte diese Art der Bestimmung einer kaufvertraglichen Sollbeschaffenheit eine der wesentlichen inhaltlichen Neuerungen im Rahmen der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie dar56. Nur die jüngeren Zivilgesetze in Skandinavien57 und den Niederlanden bezogen schon vor Inkrafttreten der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie Angaben in der Werbung und auf Verpackungen in die Beurteilung der Sollbeschaffenheit mit

dem Verbraucher dar, sondern eine Obliegenheit im Sinne einer „Verpflichtung gegen sich selbst“. (Für Pflicht aber Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 658.) 53 Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG. 54 Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (245). 55 Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (652). 56 Schon bevor die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Kraft trat, wurde in Deutschland die Relevanz deklaratorischer Werbeangaben für das Gewährleistungsrecht diskutiert. Diese konnten nur dann zu einer (mindestens konkludenten) Vereinbarung über die Sollbeschaffenheit einer Kaufsache führen, wenn sie „Grundlage der Vertragsverhandlungen“ geworden waren und somit in die Willenserklärungen Eingang gefunden hatten (vgl. Grigoleit/Herresthal, Die Beschaffenheitsvereinbarung und ihre Typisierung in § 434 Abs. 1 BGB, JZ 2003, 233, 236; M. Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233, 1238; Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649, 650). In seltenen Fällen ließ sich nach in Deutschland bis zum 1. Januar 2002 geltendem Recht auch eine Eigenschaftszusicherung nach § 459 Abs. 2 BGB a.F. denken; dies waren allerdings Einzelfälle, da die deutsche Rechtsprechung hohe Anforderungen an den Garantiewillen stellte. So haftete der Verkäufer, der dem Kunden versicherte, dieser könne sich auf Herstellerangaben verlassen, gerade wegen dieser Bezugnahme auf Aussagen Dritter nicht aus eigener Garantieübernahme (Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649, 650). Eine Ausnahme wurde in der Trevira-Entscheidung aus dem Jahre 1967 nur für den Sonderfall angenommen, dass eine „besondere Gestaltung der Werbung“ im Hinblick auf bestimmte Fertigungsmethoden und -kontrollen die Annahme einer Zusicherung zulasse. Ausschließlich in diesen engen Grenzen maß der BGH den Werbaussagen eines Herstellers also ausnahmsweise rechtsgeschäftliche Bedeutung zu. Diese entfaltete ihre Wirkung – ähnlich der nun in der Richtlinie und in § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB enthaltenen Regelung – im Rahmen der kaufvertraglichen Beziehung zwischen Verbraucher und Letztverkäufer. Die Entscheidung Trevira ist in der deutschen Rechtsprechung allerdings ein Ausnahmefall geblieben (BGHZ 48, 118, 124 – Trevira; Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649, 651). 57 In Schweden: § 19 Abs. 1 und 2 Konsumentköplag. vgl. hierzu Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (417, 423).

C. Öffentliche Äußerungen (Werbeangaben)

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ein58. Das niederländische Kaufrecht beispielsweise fingiert öffentliche Mitteilungen „durch oder für einen vorherigen (gewerblichen) Verkäufer (...) als Mitteilungen des (Letzt-)Verkäufers“59. Wesentliche Motivation für die Kommission war die Erkenntnis, dass Verbraucher ihre Kaufentscheidung zumeist nicht aufgrund eines individuellen Beratungsgesprächs treffen, sondern wesentlich durch Werbebotschaften beeinflusst sind60. Es ist also das Vertrauen des Verbrauchers, das auf diese Weise geschützt werden soll61. Typische Fallgruppen der Haftung für Werbeangaben werden sich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch herausbilden; die Gesetzesbegründung zum deutschen Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nannte im Jahr 2001 noch beispielhaft die Hersteller- oder Verkäuferangaben zum Kraftstoffverbrauch bei Neuwagen62. Ein Kriterium, das sich zumindest in Deutschland herauszubilden scheint, ist das der „hinreichenden Bestimmtheit“ von öffentlichen Äußerungen, die dann nicht gegeben ist, wenn es sich bei den Werbeangaben um „allgemeine Anpreisungen“ handelt63. Wer versucht, die Haftung für Werbeangaben in die Vertragstheorie einzupassen, stellt an erster Stelle fest, dass Werbeangaben nicht Bestandteil der kaufvertraglichen Willenserklärungen werden; dann wären sie ja bereits bei der subjektiven Bestimmung der Sollbeschaffenheit, also auf der ersten Stufe des Mangelbegriffs heranzuziehen. Dies entspricht ihrer Natur als rein deklaratorische Äußerungen. Auch nach der Richtlinie stellen Werbeangaben als solche jedenfalls keine Willenserklärungen (beispielsweise im Sinne eines Antrags) dar, wie sich 58

Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (651); Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (423); Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 119. 59 Art. 7.18 Burgerlijk Wetboek; zum Wortlaut der Vorschrift vgl. beispielsweise Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (416, Fn. 26). 60 Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (652); Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (364). 61 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 119; für die Beachtung von Werbeangaben, allerdings im Verhältnis des Verbrauchers zum Hersteller, schon früh Michael Lehmann (Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233, 1234) mit der Frage, „(...) ob es sachgerecht ist, dem Verbraucher in der rechtlichen Betrachtung ein völlig anderes Verständnis als in ökonomischer Sicht zu unterstellen. In wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive wird es als erwiesen angesehen, dass Werbeangaben regelmäßig kaufentscheidende informatorische und akquisitorische Wirkungen auf den durchschnittlichen privaten Endverbraucher ausüben.“ 62 Vor der Schuldrechtsreform hierzu BGHZ 132, 55 (60ff.): Prospektangaben über den Kraftstoffverbrauch bilden, auch wenn in ihnen keine Garantie (Zusicherung) liegt, die Grundlage zur Ermittlung der Sollbeschaffenheit. 63 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rdn. 82.

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

dort bereits daraus ersehen lässt, dass sie bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ohne weiteres korrigiert werden können64. Werbeangaben behalten damit auch rechtlich den ihnen in der Realität zukommenden deklaratorischen Charakter und sind für den Kaufvertrag nicht konstitutiv. Dennoch werden sie zu seiner Interpretation dann herangezogen, wenn keine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt. Diese Eigenschaft erinnert entfernt an die oben festgestellte Charakteristik der ergänzenden Vertragsauslegung. Der Vertragsinhalt wird in beiden Fällen um Nicht-Erklärtes erweitert. Hier handelt es sich allerdings nicht, wie oben, um hypothetischen eigenen Parteiwillen, sondern es findet eine Zurechnung fremder Handlungen statt: „Bestimmte vorvertragliche Äußerungen der Anbieterseite, welche konkrete Eigenschaften der Sache betreffen, werden in die objektive Verkehrserwartung einbezogen“65. Da der Letztverkäufer sich auf der Anbieterseite befindet, werden zu seinen Ungunsten sämtliche66 öffentlichen Äußerungen dieser Seite zur Beurteilung der Sollbeschaffenheit herangezogen, auch wenn zwischen ihm und der äußernden Person kein vertragliches Band besteht. Es ist dabei jedoch nicht der Mangel der Kaufsache, der dem Letztverkäufer zugerechnet wird, sondern eher der Mangel der Werbeangabe: die Unrichtigkeit der öffentlichen Äußerungen. Hinter dieser Regelung lässt sich also auch die Idee vermuten, Qualitätsstandards nicht nur in Bezug auf Produkte, sondern ebenso hinsichtlich der Information über diese Produkte durchzusetzen67. Heteronomes Vertragsrecht bildet sie in jedem Fall.

D. Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers Zugunsten des Verbrauchers schreibt die Richtlinie weiterhin die Vermutung vor, „Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Gutes offenbar werden, (hätten) bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art des Gutes oder der Art der Vertragswidrigkeit unvereinbar“68. Das deutsche Bürgerliche Recht hat diese Vorschrift in § 476 BGB übernommen69. 64 Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 120. 65 Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 113. 66 Es kann sich ebenso gut um mündliche wie schriftliche Äußerungen handeln, gleich ob in Druckerzeugnissen oder anderen Medien veröffentlicht; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 434 Rdn. 81. 67 Zum informationsökonomischen Aspekt der Werbung unten S. 100. 68 Art. 5 Abs. 3, Richtlinie 1999/44/EG. 69 Hierzu Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (251); Honsell, Einige Bemerkungen zum Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, JZ 2001, 18 (21); Zur einschränkenden Auslegung dieser Vorschrift durch den BGH vgl. Roth, Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf, ZIP 2004, 2025.

D. Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers

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Die rechtspolitische Bedeutung der Vorschrift wird dadurch akzentuiert, dass die Beweislastumkehr gleichermaßen für Neu- wie Gebrauchtwaren gilt. Diese von der Richtlinie so vorgesehene Regelung dürfte in dieser Form sachfremd sein, weil die Vermutung eines bereits bei Gefahrübergang vorliegenden Mangels auf der Annahme beruht, „dass alleine die Benutzung einer neu hergestellten Sache innerhalb von sechs Monaten nicht zur Mangelhaftigkeit führt“70. An der Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit lässt sich ein Teil der Objektivierung des Mangelbegriffs im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht ablesen. Denn die Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers ist dann nicht sinnvoll, wenn er und sein Verkäufer die Sollbeschaffenheit individuell vertraglich vereinbart haben. Zwar stehen Sollbeschaffenheit und Beweislastumkehr nicht in unmittelbarem Zusammenhang: Letztere bezieht sich auf die tatsächliche Beschaffenheit, während die Problematik eines subjektiven bzw. objektiven Mangelbegriffs auf der Ebene der Vereinbarung angesiedelt ist. Dennoch dürfte nur wenig dafür sprechen, eine von zwei Parteien, die miteinander privatautonom über das Geschuldete entschieden haben, mit einer Vermutung zu ihren Ungunsten zu belasten. Die Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit lässt sich vielmehr nur für die Fälle sachlich rechtfertigen, in welchen Kunden vergleichsweise wenig über die von ihnen erworbenen Verbrauchsgüter wissen und erst im Laufe der Zeit, ggf. im Wege der Benutzung, herausfinden, ob die Kaufsachen „Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“71. Sofern sich die Rechtswissenschaft Gedanken über eine Rechtfertigung der Beweislastumkehr gemacht hat (ein Rekurs auf die Erwägungsgründe der Richtlinie ist nicht möglich, da diese sich hierzu ausschweigen), wird denn auch auf die bessere Sachkenntnis des unternehmerischen Verkäufers abgestellt sowie darauf, dass es dem Verbraucher regelmäßig an Möglichkeiten fehle, sich über den genauen Zustand des Verbrauchsguts zu informieren72. Diese Ratio ergibt sich auch aus der Tatsache, dass eine derartige Vermutung dem (deutschen) Kaufrecht nicht gänzlich fremd ist: Bis zum Jahre 2002 wurde nach den inzwischen abgeschafften Vorschriften zum Viehkauf zugunsten des Käufers vermutet, dass sich innerhalb der Gewährleistungsfrist zeigende Hauptmängel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hätten73. Die in Art 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bzw. in § 476 BGB geregelte Beweislastumkehr zugunsten des Verkäufers ist, mehr noch als die Haftung für Werbeangaben, dasjenige heteronome Element im Verbrauchsgüterkaufrecht, das am meisten Druck in die Regresskette hinein erzeugt: Wenn dem Letztverkäufer in seiner Position als Regressgläubiger kein ähnliches Instrument zur 70 71 72 73

M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (227). Art. 2 Abs. 2 d), Richtlinie 1999/44/EG. Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 476 Rdn. 4. § 484 BGB a.F.

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Hand steht, wird sein Regressanspruch entscheidend entwertet74. Der deutsche Gesetzgeber hat – als einziger innerhalb der Gemeinschaft – versucht, sich dieses Problems anzunehmen, indem er die Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit auf die vorherigen unternehmerischen Mitglieder der Lieferkette übertragen hat75.

E. Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung Die Disposition über Gewährleistungsrechte zu Ungunsten des Verbrauchers wird in der Richtlinie ausgeschlossen76. Damit unterscheidet sich die Richtlinie 1999/44/EG prinzipiell nicht von früheren privatrechtlichen Rechtsakten der europäischen Gemeinschaften zum Verbraucherschutzrecht. „So ist das Europäische Vertragsrecht ganz überwiegend zwingendes Recht, das schon durch die Ausgestaltung als zwingend den Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränkt. Vorvertragliche Informationspflichten schränken die Vertragsfreiheit ebenso ein wie Widerrufsrechte beim Vertragsschluss, zwingende Vorschriften über den Vertragsinhalt, die Inhaltskontrolle oder das Leistungsstörungsrecht (...). Ferner ist das Europäische Vertragsrecht überwiegend ‚Schutzrecht‘ für einen Vertragspartner, meist Verbraucherschutzrecht, und als solches nimmt es schon der Form nach den Grundsatz der Selbstverantwortung für die geschützte Gruppe zurück und schränkt den Grundsatz der formalen Rechtsgleichheit ein.“77

Das Europäische Verbraucherschutzrecht – und mit ihm das sich entwickelnde Europäische Privatrecht – zeichnet sich also ohnehin dadurch aus, dass die Privatautonomie zugunsten zwingender gesetzgeberischer Entscheidungen begrenzt wird78. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts zu früherem Richtlinienrecht, die Pauschalreise-Richtli74 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 35, nennt das zugrundeliegende Phänomen „Ladenhüter-Problematik“. Die im Vergleich zum Verhältnis mit dem Verbraucher erhöhte Beweisnot des Letztverkäufers gegenüber seinem Lieferanten beschränkt sich allerdings nicht auf liegengebliebene Verbrauchsgüter, sondern hat in allen Fällen schwer zu beweisender Mangelursachen Bedeutung. 75 § 478 Abs. 3 BGB; hierzu im Rahmen der Behandlung des Regressrechts unten S. 132. 76 Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf lautet: „Vertragsklauseln oder mit dem Verkäufer vor dessen Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit getroffene Vereinbarungen, durch welche die mit dieser Richtlinie gewährten Rechte unmittelbar oder mittelbar außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden, sind für den Verbraucher gemäß dem innerstaatlichen Recht nicht bindend.“ Hierzu insbesondere Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (788); Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (251); Jorden/Lehmann, Verbrauchsgüterkauf und Schuldrechtsmodernisierung, JZ 2001, 952 (963); Junker, Vom Bürgerlichen zum kleinbürgerlichen Gesetzbuch – Der Richtlinienvorschlag über den Verbrauchsgüterkauf, DZWir 1997, 271 (279). 77 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 555. 78 Chr. Calliess, Transnationales Verbraucherrecht, RabelsZ 2004, 244 (246).

E. Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung

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nie einmal ausgenommen79. Indem die Richtlinie 1999/44/EG einen Anspruch des Verbrauchers auf Nachlieferung oder Nachbesserung vorschreibt80, von dem sich der Unternehmer vertraglich nicht lösen kann, statuiert sie eine zwingende Erfüllungshaftung81. Gleiches gilt, mit Einschränkungen, für das Recht auf Minderung des Kaufpreises82: Auch hier wird das Äquivalenzverhältnis, wenn auch in um den mangelbedingten Wertabzug reduzierter Form, zwingend aufrechterhalten. Privatrechtliches Charakteristikum des zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts ist somit, verglichen mit herkömmlichen Mechanismen zwingenden Privatrechts (wie z.B. den §§ 134, 138 BGB, verbraucherschutzrechtlichen Widerrufsrechten, Formzwängen und anderem) die Aufrechterhaltung des Schuldverhältnisses und das Fortwirken der zwingenden heteronomen Elemente in ihm. Herkömmliche Richtigkeitskontrolle beschränkt sich in Deutschland83 auf die negative Sanktion der Nichtigkeit nach § 138 BGB, während das Verbrauchsgüterkaufrecht den Verkäufer auf das Erfüllungsinteresse des Käufers festlegt. Wegen dieses Bezugs zum Erfüllungsinteresse des Verbrauchers wird der in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie enthaltene Mechanismus in dieser Arbeit „positiv zwingendes Recht“84 genannt. Anders als „negativ zwingendes Recht“, das als Sanktion lediglich die Vertragsunwirksamkeit oder Lösungsrechte für den Verbraucher vorsieht, hält das positiv zwingende Recht den Unternehmer am Vertrag fest. 79

Hierzu unten S. 109. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG: „(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. (...)“. Im deutschen Recht wurde schon der vor der Schuldrechtsreform seinerzeit noch auf das Werkvertragsrecht beschränkte Nachbesserungsanspruch als „modifizierter Erfüllungsanspruch“ verstanden; Ehmann, Gewährleistungsrechte als Gesamtschuld (Anmerkung zu BGH, 26. 6. 2003 – VII ZR 126/02), JZ 2004, 250 (252). 81 Hierzu Bitter/Meidt, Nacherfüllungsrecht und Nacherfüllungspflicht des Verkäufers im neuen Schuldrecht, ZIP 2001, 2114; Ackermann, Die Nacherfüllungspflicht des Stückverkäufers, JZ 2002, 378; Lorenz, Schadensersatz wegen Pflichtverletzung – ein Beispiel für die Überhastung der Kritik an der Schuldrechtsreform, JZ 2001, 742 (743); Ehmann, Gewährleistungsrechte als Gesamtschuld (Anmerkung zu BGH, 26. 6. 2003 – VII ZR 126/02), JZ 2004, 250 (252); Mankowski, Das Zusammenspiel der Nacherfüllung mit den kaufmännischen Untersuchungsund Rügeobliegenheiten, NJW 2006, 865. 82 Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie. 83 Das deutsche Recht wird hier exemplarisch genannt; die Nichtigkeitsfolge bei Verstoß gegen zwingendes Recht ist allen Rechtsordnungen innerhalb Europas zueigen. Noch viel größer ist übrigens die Distanz des englischen Privatrechts zur positiv zwingenden Erfüllungshaftung, da Erfüllungsansprüche (specific performance) dort die Ausnahme darstellen; hierzu unten bei der Darstellung der Richtlinienumsetzung in England, S. 160. 84 Den Begriff des positiv zwingenden Rechts habe ich näher ausgeführt in: Zwingendes europäisches Privatrecht – Zivilrecht ohne Vertragsfreiheit?, 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 121 (124ff.). Eine ausführliche Kritik an der Verwendung dieses Begriffes als „neu“ oder „spezifisch europäisch“ übt Weller, Zwingendes babylonisches Privatrecht, 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 145ff. 80

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Damit wird der entscheidende Unterschied zu herkömmlichem Verbraucherschutzrecht deutlich: Dieses lässt sich, insbesondere in Gestalt des Informationsmodells, als Materialisierung von Vertragsfreiheit verstehen. Widerrufsrechte des Verbrauchers und vorvertragliche Aufklärungspflichten dienen in erster Linie dazu, die Voraussetzungen für gleichberechtigte Entscheidungsfreiheit herzustellen85. Die Entscheidungsfreiheit ist jedoch im Verbrauchsgüterkaufrecht von vornherein nicht tangiert, sie steht nicht einmal in Rede. Hier geht es vielmehr ausschließlich um das zwischen Leistung und Gegenleistung bestehende Äquivalenzverhältnis86. Die rechtlichen Konsequenzen des positiv zwingenden Gewährleistungsrechts folgen nur dieser inneren Logik, indem sie nicht den Vertrag selbst in Frage stellen (wie dies im Falle eines Widerrufsrechts geschähe), sondern den Vertrag im Gegenteil zementieren und lediglich das Austauschverhältnis berühren. Das Verbrauchsgüterkaufrecht lässt den Grundsatz des pacta sunt servanda unangetastet87 und stellt sich, anders als herkömmliches Verbraucherschutzrecht (mit Ausnahme des Reiserechts), nicht als eine Materialisierung von Vertragsfreiheit dar, sondern vielmehr als der Versuch, (abstrakt) Vertragsgerechtigkeit zu materialisieren und (konkret) Qualität zu sichern. Mit Widerrufsrechten oder ähnlichem ließe sich Vergleichbares nicht gewährleisten. Um die Qualität von Produkten zu sichern, bedarf es einer positiv zwingenden Haftung. Widerrufsrechte dienen demgegenüber allenfalls dazu, bestimmte Formen des Geschäftsgebarens zu sanktionieren. Mit ihnen wird nicht die Qualität der Waren und Dienstleistungen, sondern in erster Linie die des Vertrags, des Vertragsabschlusses und der Vertragssituation gesichert. Hieraus folgt wiederum, dass das Prinzip der Selbstbestimmung, das als Begründung für Eingriffe in die Privatautonomie und insbesondere als Fundament verbraucherschutzrechtlicher Widerrufsrechte herangezogen wird88, das positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht nicht trägt. Denn die Selbstbestimmung des Käufers eines Verbrauchsguts steht zum einen nicht in Zweifel und würde zum zweiten auch durch das positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht nicht gewährleistet. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht tritt damit eher die Nachfolge der so bezeichneten Verträge mit normiertem Inhalt an89, mittels derer die deutsche Rechtsordnung früher versuchte, durch Festpreise, staatlicherseits festgelegte Lieferbedingungen und ähnliches auf wirtschaftliche Ausnahmesituatio85

Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 29. Schwintowski, Contractual Rules Concerning the Marketing of Goods and Services, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market 2001, S. 331 (336). 87 Hierzu Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts in Europa, ZEuP 2002, 213; vgl. zum zwingenden Recht auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 274. 88 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 18ff.; Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 30. 89 Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 56. 86

E. Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung

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nen zu reagieren90. Der staatliche Eingriff in vertragliche Äquivalenz kann in einem am Grundsatz der Privatautonomie orientierten Zivilrechtssystem allerdings nur eine Ausnahme darstellen und wurde auch als bereits überholte Erscheinung angesehen91. Die genannten zwei Charakteristika des Verbrauchsgüterkaufrechts (heteronome Elemente, positiver Zwang) bringen es mit sich, dass das Kaufgewährleistungsrecht insgesamt sein Gesicht ändert92. Herkömmliches Gewährleistungsrecht sanktioniert, als Teil des vertraglichen Haftungsrechts, die Enttäuschung vertraglicher Vereinbarungen. Im Gegensatz zur Produkthaftung begründet sich das Kaufgewährleistungsrecht darum grundsätzlich nicht aus einem absoluten oder objektiven Fehler der Kaufsache (wie ihrer Gefährlichkeit), sondern aus ihrer Diskrepanz zu einer privatautonom und individuell ausgehandelten Sollbeschaffenheit93. Diese traditionelle Vorstellung, das Kauf- und Gewährleistungsrecht sei Ausdruck eines reinen und im Grunde subjektiven Äquivalenzprinzips, ist mit den Mechanismen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie jedoch nur noch schwer in Einklang zu bringen und darum hinsichtlich der europäischen Rechtsentwicklungen und ihrer gedanklichen Fortsetzung in die Zukunft wohl nicht mehr zeitgemäß. Denn indem es die Äquivalenzbeziehung einerseits mit objektiven Elementen durchsetzt und andererseits zwingend aufrechterhält, ordnet das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht auch an, was im Äquivalenzverhältnis „richtig“ zu sein habe und, beispielsweise im Wege der Nacherfüllung, durchgesetzt werden kann94. In diesem Aufrechterhalten von Leistung und Gegenleistung liegt eine zwingende gesetzliche Äquivalenzhaftung95. Die vertraglich geschuldete Qualität wird durch die objektive Seite des Mangelbegriffs gesetzlich normiert96, und dies nicht beschränkt auf die negative Sanktion der Nichtigkeit wie beispielsweise nach § 138 BGB, sondern – aufgrund der Unabdingbarkeit der Gewährleistungshaftung – in positiver, den Verkäufer auf das Erfüllungsinteresse festlegender Hinsicht97. Sehr weitgehend, im Befund aber richtig ist das Fazit von Canaris: 90

Hierzu Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 87. Larenz, Schuldrecht AT, 14. Aufl. 1987, S. 57: „Der wirtschaftliche Aufstieg Ende der vierziger Jahre ist mit dem Abbau derartiger Normierungen eng verknüpft. Wo sie noch bestehen – im Rahmen der landwirtschaftlichen Marktordnungen –, stellen sie heute eine Anomalie dar.“ 92 Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (125f.). 93 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 190. 94 Hierzu Jorden/Lehmann, Verbrauchsgüterkauf und Schuldrechtsmodernisierung, JZ 2001, 952 (957); Krebs, Die große Schuldrechtsreform, DB, Beilage Nr. 14/2000, S. 18. 95 Diesen Begriff verwenden schon im Zusammenhang mit der Klauselrichtlinie Joerges/ Brüggemeier, Europäisierung des Vertragsrechts und Haftungsrechts, in: Müller-Graff, (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. 1999, S. 301 (326). 96 Schnyder/Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8, insbesondere 48ff. 97 Inzident wird hiermit auch in die „Richtigkeit“ des Austauschverhältnisses eingegriffen. 91

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

„Das widerspricht nicht nur der deutschen Rechtstradition, sondern auch dem – im Europarecht sonst verbreiteten – Leitbild des ‚mündigen‘ Verbrauchers und führt (...) zu Folgen, die ebenso illiberal wie unsozial sind“.98

Für diese Arbeit ist allerdings eine andere Besonderheit des positiv zwingenden Rechts von besonderem Interesse, und das ist die mit ihm verbundene Außenwirkungskraft. Positiv zwingendes Recht wirft, anders als beispielsweise die Vertragsnichtigkeit nach den Vorschriften der §§ 134, 138 BGB oder die Widerrufsrechte des Verbraucherschutzrechts, in Vertragsketten stets die Frage nach dem Betroffensein weiterer Mitglieder dieser Kette auf. Dies folgt aus der schlichten Tatsache, dass das positiv zwingende Recht das Vertragsverhältnis, das es betrifft, fortbestehen lässt und in ihm fortwirkt. Im Falle des Verbrauchsgüterkaufrechts realisiert sich diese Frage danach, welche weiteren Mitglieder einer Vertragskette vom positiv zwingenden Recht betroffen sein sollen, in der Regressproblematik, die weiter unten zu behandeln sein wird99.

F. Zwang, Information, Binnenmarkt (Stützradtheorie) I. Schutz Spezifische Rechtsfiguren bedürfen zumindest dann spezifischer Begründung, wenn sie freiheitsbeschränkend sind; dies gilt auch für das positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht. Es soll darum, um den legislativen Kontext zu verdeutlichen, innerhalb dessen es entstanden ist, ein Blick auf die möglichen Begründungs- bzw. eigentlich Rechtfertigungsansätze geworfen werden. Der zwingende Charakter des Verbrauchsgüterkaufrechts entspricht an erster Stelle natürlich der Tradition privatrechtlicher Richtlinien und dem spezifischen Zugang der europäischen Rechtsvereinheitlichung. Der europäische Gesetzgeber hat bislang insbesondere dort eingegriffen, wo er von besonderer – tatsächlicher oder imaginierter – Schutzwürdigkeit ausgegangen ist: im Reiserecht, im Recht der Verbraucherdarlehen, bei Haustürgeschäften, im Fernabsatz etc. All diese Richtlinien erheben die in ihnen enthaltenen Vertragsregeln zu zwingendem Recht, von dem die Parteien nicht zum Nachteil des Verbrauchers abweichen können100. Diese entzieht sich jedoch nach herkömmlichem Verständnis der rechtlichen Beurteilung, denn das rechtliche Urteil über die Richtigkeit privatautonomer Gestaltungen ist ein „Widerspruch in sich“, da dort, wo Privatautonomie wirkt, gerade keine Norm besteht, an welcher die Angemessenheit der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen gemessen werden könnte; Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 8. 98 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, XXX. 99 § 6, S. 114ff. 100 Hierzu Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004,

F. Zwang, Information, Binnenmarkt (Stützradtheorie)

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Die Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf überschreitet diese Schwelle jedoch. Beim Verbrauchsgüterkauf geht es nicht mehr um die spezifische Schutzwürdigkeit des Verbrauchers101. Er wird in einer Situation geschützt, die er selbst sucht, die für ihn nicht überraschend ist und auch keine ungewohnte oder besonders komplizierte Herausforderung darstellt102. Konsequenterweise regelt die Richtlinie auch keine Informationspflichten103, sondern beschränkt sich darauf, das Gewährleistungsprogramm zum zwingenden Institut zu machen. Der gleiche Befund gilt für die andere Seite des Kaufvertrags: Der Unternehmer, der sich für den Fernabsatz, für Haustürgeschäfte oder für den elektronischen Geschäftsverkehr entscheidet, befindet sich in einer anderen Situation als der Letztverkäufer eines Verbrauchsguts. Denn er hat sich für eine Vertriebsform entschieden, in der das Widerrufsrecht des Kunden vorprogrammiert ist, was unter anderem auch auf einer vom Unternehmer selbst hergestellten Situation beruht. Anders wohl der gewöhnliche Letztverkäufer: Sein Verhalten ist typischerweise nicht davon geprägt, eine bestimmte Situation herbeizuführen, die zu einer besonderen Schutzwürdigkeit des Verbrauchers führt. Aus (kauf-)rechtlicher Sicht liegen die Gründe für zwingendes Recht darum zumindest nicht unmittelbar auf der Hand. Dem Verbrauchsgüterkaufrecht ermangelt es nicht nur an einer ihm zugrundeliegenden besonderen Schutzwürdigkeit; es wohnt ihm auch, neben der grundsätzlichen Freiheitsbeschränkung, die Tendenz inne, den divergierenden Präferenzen verschiedener Verbraucher bzw. verschiedener Verkäufer ihren Spielraum zu nehmen104. Dies gilt insbesondere beim Kauf von Gebrauchtwaren105. Ist es für den Verbraucher nicht auch von S. 771 (777); ders., Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (114); ders., Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (123); Frotscher, Verbraucherschutz beim Kauf beweglicher Sachen, 2004, S. 4; Fleischer, Vertragsschlussbezogene Informationspflichten im Gemeinschaftsprivatrecht, ZEuP 2000, 772; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 245; Baer, „Ende der Privatautonomie“ oder grundrechtlich fundierte Rechtsetzung?, ZRP 2002, 290 (291). 101 Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (98); Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 245; Frotscher, Verbraucherschutz beim Kauf beweglicher Sachen, 2004, S. 4. 102 Medicus (Ein neues Kaufrecht für Verbraucher?, ZIP 1996, 1925) spricht vom „zum Verbraucher geadelten Käufer“. 103 Die Richtlinie bewirkt für den Letztverkäufer allenfalls gewisse Informationsobliegenheiten, um beispielsweise die Haftung für Werbeangaben einschränken zu können; diese haben als „Verpflichtungen gegen sich selbst“ jedoch strukturell nichts mit Informationspflichten gegenüber dem Verbraucher zu tun. 104 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 118; Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (788). 105 Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (128); ders., Continuing Contract Law Harmonisa-

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Vorteil, gerade gebrauchte Waren ohne die anhängenden Gewährleistungsrechte „wie besichtigt“ erwerben zu können und auf diese Weise einen geringeren Preis zahlen zu müssen? Die ökonomische Theorie spricht hier von „heterogenen Verbrauchererwartungen“, denen eine zutiefst homogene Regelung wie die Richtlinie nicht gerecht wird106, was nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter sozialen Aspekten zu bedauern ist: „Am wenigsten nützt die von der Richtlinie angestrebte zwingende Haftung denjenigen Verbrauchern, die sich neuwertige Sachen nicht leisten können.“107

Wie lässt sich das positiv zwingende Recht der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nun rechtfertigen? Wer in der Richtlinie nach einer Begründung ihres zwingenden Charakters sucht, wird kaum fündig. Erwägungsgrund Nr. 22 der Richtlinie sagt lediglich: „Die Vertragsparteien dürfen die den Verbrauchern eingeräumten Rechte nicht durch Vereinbarung einschränken oder außer Kraft setzen, da dies den gesetzlichen Schutz aushöhlen würde. (...)“.108

Dies ist eine, vorsichtig ausgedrückt, zirkuläre Begründung. Die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers als solche stellt zudem noch keinen hinreichenden Grund dafür dar, ihm seine Vertragsfreiheit abzuerkennen109. Der Verbraucher ist, so lange es sich um eine Branche mit funktionierendem Wettbewerb handelt, in keiner Weise dazu gezwungen, bei einem bestimmten Händler oder Produkte eines bestimmten Herstellers zu kaufen. Schutzwürdig ist der Verbraucher nur insofern, als er möglicherweise durch Werbung in die Irre geführt wird oder sich missbräuchlichen AGB gegenübersieht. Diese beiden Phänomene sind jedoch durch die Klauselrichtlinie110 und die Richtlinien zu unlauteren Geschäftspraktiken bzw. Irreführung111 bereits geregelt112. tion under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (125); Kesseler, Der Kauf gebrauchter Waren nach dem Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, ZRP 2001, 70 (71). 106 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 124. 107 Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (778). 108 Erwägungsgrund Nr. 22 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 109 Kritisch auch Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (126); ders., Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (122). 110 Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln 93/13/EWG. 111 Heute: Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern, in welcher die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung aufgegangen ist. 112 Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertrags-

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II. Sachliche Information Ein Ansatz, der zur Begründung des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts allerdings angeboten wird, ist die sachliche Information des Verbrauchers113. Das Gelingen marktbezogener Prozesse hängt zu großen Teilen davon ab, dass die Beteiligten eine an den eigenen Bedürfnissen orientierte rationale Konsumentscheidung treffen können114. Wenn zu dieser Entscheidung eine gesetzliche Hilfestellung zu geben ist, so hat diese in Anreizen zu bestehen, die zu ausreichender Information des Verbrauchers führen und Informationsasymmetrien abbauen115. Dies dient nicht nur der selbstbestimmten Entscheidung des Verbrauchers, sondern auch der Vermeidung von Informations- bzw. Suchkosten116. Das Informationsmodell bildet, abstrakt gesehen, zudem die Vorteile eines lediglich formalen Eingriffs in die Vertragsfreiheit gegenüber materiell angelegten Inhaltsschranken: Informationspflichten greifen in den Vertragsinhalt in geringerem Maße ein, als dies durch materielle Vorgaben geschehen würde117. Dies hat rechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (787). 113 Insbesondere von Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market 2001, S. 348 (350ff.); Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (114ff.). 114 Keßler/Micklitz, Der Richtlinienvorschlag über unlautere Praktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr, BB 2003, 2073 (2074); Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 25. 115 Hierzu Adams, Ökonomische Begründung des AGB-Gesetzes – Verträge bei asymmetrischer Information, BB 1989, 781; Zum Verbrauchsgüterkaufrecht Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 74. Die menschliche Fähigkeit zur Informationsaufnahme ist allerdings eingeschränkt. So werden zum einen bestimmte Informationen gar nicht wahrgenommen (insbesondere wenn sie in Widerspruch zu dem stehen, was erwartet oder erwünscht ist, also zu „kognitiven Dissonanzen“ führen), und zum anderen ist auch die Möglichkeit zur Verarbeitung von Informationen limitiert: Ab einer bestimmten Informationsmenge ist zusätzliche Information für eine Entscheidung nicht mehr förderlich, sondern wirkt sich negativ aus. Je mehr Informationen dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden, desto höher wird das Risiko, dass seine Aufklärung scheitert, weil es zu einem information overload kommt (Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216, 218, 221). Gleichzeitig ist die Information des Verbrauchers kein Allheilmittel für ein Funktionieren seiner Schiedsrichterfunktion auf dem Markt. Denn die Hypothese, der Verbraucher informiere sich vor einer Entscheidung auf dem Markt tatsächlich stets gründlich und sachlich, ist durch Ergebnisse der Konsumentenforschung empirisch widerlegt. Es besteht vielmehr eine große Bandbreite von Motivlagen, aus denen heraus Verbraucherentscheidungen getroffen werden, die von wohl vorbereiteten Entscheidungen bis hin zu Spontanentschlüssen reichen. (Beater, Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, in: Keller/Plassmann/v. Falck, Festschrift für Winfried Tilmann, S. 87, 89). 116 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 194. 117 Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 29; Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (367); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht – Struktur und Bestand, NJW 2000, 14 (18).

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

unbestreitbare Vorzüge, sofern eine übermäßige Beeinträchtigung privatautonomer Entscheidungen vermieden werden soll: „Das liegt vor allem daran, dass das Informationsmodell gleichermaßen die ‚materiale‘ Vertragsfreiheit wie die ‚formale‘ Vertragsgerechtigkeit zu fördern geeignet ist, wohingegen die Entwicklung inhaltlicher Schranken allzu häufig mit der typischen Schwäche ‚materialen‘ Gerechtigkeitsdenkens, nämlich mit hoher Unsicherheit über den anzulegenden Maßstab belastet ist“118.

Zwingendes Recht dient als Instrument zur Abmilderung solcher Informationsasymmetrien und führt damit zur Erhaltung der materialen Privatautonomie beider Vertragsparteien auf Kosten der formalen Vertragsfreiheit. Es lässt sich dann als Instrument zur Korrektur von Vertragsversagen verstehen. Was auf den ersten Blick nach einer Antinomie aussieht, bildet in Wirklichkeit einen Mechanismus zum Schutz der Vertragsfreiheit. Zwingendes Recht dient dem gleichen Ziel wie die Privatautonomie, nämlich der Verwirklichung von Selbstbestimmung119. Hiermit korrespondiert Akerlofs Bild vom Zitronenmarkt, bekannt auch als „Saure-Gurken-Problem“120: Qualitätsinformation sichert nicht nur die selbstbestimmte Verbraucherentscheidung, sondern verhindert auf lange Sicht auch, dass qualitativ bessere Produkte von schlechteren verdrängt werden, und dient so der Qualitätssicherung. Zusammengefasst kann es unter zwei Voraussetzungen auch bei einem an und für sich vorhandenen Wettbewerb zu einem „race to the bottom“ kommen, bei welchem die schlechteren Produkte die besseren verdrängen. Erste Voraussetzung ist mangelnde Kenntnis der Produktqualität bei der Kaufentscheidung. Dies kann einerseits auf technischen Umständen beruhen (wie beispielsweise auf dem Fahrzeugmarkt) oder darauf, dass Verbraucher untereinander keinen Erfahrungsaustausch betreiben. Weitere Voraussetzung ist die fehlende Möglichkeit, die einzelne Qualitätsminderung durch künftige Kaufentscheidungen zu sanktionieren. An einer solchen Möglichkeit ermangelt es insbesondere an Orten, die vom Verbraucher nur einmal besucht werden (Tourismusziele, Wallfahrtsorte). In diesem Fall reagieren die Verbraucher nicht auf die einzelne Qualitätsminderung, sondern nur auf die Minderung des Qualitätsdurchschnitts121. Zumindest in diesen Fällen drängt es sich somit auf, das Markt-

118 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273 (303). 119 Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (781). 120 Hierzu ausführlich Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 323f.; vgl. auch Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 74; vgl. auch Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 195, Fn. 144. 121 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 324.

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versagen durch gesetzlichen Verbraucherschutz zu kompensieren, und dieser besteht in Verbraucherinformation122. Welchen Beitrag kann die Informationsökonomie nun für die Begründung des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts liefern? Informationsdefizite sind in der Realität des Verbrauchsgüterkaufs, wie bereits ausgeführt wurde123, tatsächlich wahrnehmbar. Der Käufer eines Verbrauchsguts kennt dessen Qualität gemeinhin nicht. Er nimmt in erster Linie den Kaufpreis wahr, während er über die Eigenschaften der Kaufsache, insbesondere ihre Funktionsfähigkeit oftmals nicht Bescheid weiß; erst wenn er das Gut besitzt und ggf. in Betrieb nimmt, erschließt sich ihm dessen Tauglichkeit124. Dieser Ansatz – der eines sachlichen Informationsdefizits hinsichtlich der Qualität – kann zum Verständnis des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts zumindest mittelbar nutzbar gemacht werden. Wenn die Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf dem Letztverkäufer auch keine unmittelbaren Informationspflichten auferlegt, so bewirkt dennoch der subjektiv-objektive Begriff der Vertragsgemäßheit einen Informationsanreiz. Denn der Verkäufer, der vor der Alternative steht, entweder eine Beschaffenheitsvereinbarung zu treffen oder der Haftung für die übliche Qualität (standard quality) der Kaufsache ausgesetzt zu sein, wird sich zumindest dann für die individuelle Vereinbarung entscheiden, wenn er über die logistischen Möglichkeiten hierfür verfügt. Die drohende Standardhaftung bewirkt damit eine Art „Informationsobliegenheit“ für den Verkäufer gegenüber dem Verbraucher, die mittelbar auch dessen Aufklärung dient125. Auch die Haftung für Werbeangaben ist unter dem Aspekt der Verbraucherinformation sinnvoll: Werbung ist Information und damit einem effizienten Vertragsschluss zuträglich, und sei sie auch suggestiv126. Erst unrichtige Information stört diesen Mechanismus; die Haftung hierfür erfüllt unter diesem Gesichtspunkt auch einen informationsökonomischen Zweck. Das Qualitätsinformationsmodell stößt, auch wenn die Annahme einer durch die Richtlinie eingeführten Informationsobliegenheit des Letztverkäufers theoretisch richtig ist, zur Begründung des zwingenden Charakters der europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts jedoch in dreierlei Hinsicht an seine Grenzen. Zum 122 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht – Struktur und Bestand, NJW 2000, 14 (16); Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 324. 123 Zum Informationsdefizit des Verbrauchers vgl. die Ausführungen oben (S. 85ff.) zur Objektivierung des Fehlerbegriffs im Hinblick auf den tatsächlichen Übergang des Kaufrechts von der Stück- zur Gattungsschuld. 124 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 178, 217. 125 Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/ Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (353, 358, 360). 126 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 197; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 558; Eisenhut, Die kaufrechtliche Garantie, 2005, S. 126.

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einen ist die Informationsobliegenheit des Letztverkäufers, wenn sie diesen von der Haftung für standard quality befreien soll, nur im Wege von Beschaffenheitsvereinbarungen möglich. Solche sind im heutigen Massengeschäft des Verbrauchsgüterkaufs jedoch aus organisatorischen und logistischen Gründen die seltene Ausnahme127. Zum zweiten liegen die relevanten Qualitätsinformationen auf Verkäuferseite oftmals auch nicht vor, zumal dann, wenn nicht der Letztverkäufer als Betriebsinhaber selbst, sondern, wie zumeist, seine Erfüllungsgehilfen gegenüber dem Verbraucher tätig werden. Letztere haben, drittens, selbst kein genuines eigenes Interesse an der Erfüllung von Informationsobliegenheiten, deren Nutzen nur dem Letztverkäufer (im Zweifel also ihrem Arbeitgeber) zugute kommt und nicht ihnen selbst. Das informationsökonomische Bild von der eigennützigen Erfüllung einer Informationsobliegenheit durch den Verkäufer ist darum zwar als Theorem richtig, in personaler Hinsicht jedoch dort zu schlicht, wo die konkrete Verbraucherinformation nicht dem Letztverkäufer selbst, sondern seinen Angestellten obläge, und diese Situation ist im gewerblichen Handel nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Bei genauerer Betrachtung liefert eine Begründung der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie mit Gesichtspunkten der Informationsökonomik zudem nur einen Teil der Wahrheit. Denn in der Beseitigung von Informationsdefiziten hatte der europäische Normgeber bereits einschlägige Erfahrung aus der Richtlinie zu Haustürgeschäften, aus der Fernabsatz-Richtlinie und anderen europäischen Verbraucherschutzregelungen. Wäre es hierauf allein angekommen, so hätte es einer Vorschrift zur Gewährleistungshaftung auf die „Qualität und Leistungen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“128, nicht bedurft. Es hätte vielmehr ausgereicht, auf das im europäischen Privatrecht bereits bekannte und bewährte Instrument der Verbraucherinformation zurückzugreifen129. Dies wurde in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie jedoch nicht getan. Eingeführt wurde vielmehr ein Modell, dass von unmittelbaren, „harten“ Informationspflichten absieht und stattdessen allenfalls mittelbar die Information des Verbrauchers begünstigt, indem es dem Letztverkäufer eine „weiche“ Informationsobliegenheit auferlegt, die sich zudem nur unvollständig in die Praxis übertragen wird.

127 Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/ Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (351); Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 2 Rdn. 9; Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (650); Schulte-Nölke, Anforderungen an haftungseinschränkende Beschaffenheitsvereinbarungen beim Verbrauchsgüterkauf, ZGS 2003, 184ff.; hierzu bereits oben S. 85ff. 128 Art. 2 Abs. 2 d der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 129 Hierzu auch Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 120.

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III. Rechtliche Informationsdefizite (Binnenmarkt) Das sachliche Informationsmodell trägt somit die Begründung des Verbrauchsgüterkaufrechts nur zum Teil. Diese wird demzufolge nicht über Verbraucheraspekte, sondern nur über solche des Binnenmarkts möglich sein130. Denn das Hauptproblem, welches die Europäische Kommission wahrnahm und mit der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf lösen wollte, war eine von ihr angenommene Unsicherheit der europäischen Verbraucher bei Käufen im Ausland über die dortige Rechtslage131. Das Informationsdefizit der Verbraucher betraf nach den von der Kommission gewonnenen Erkenntnissen vor allem die Gewährleistungsrechte in den jeweils anderen Mitgliedstaaten, insbesondere beim Kauf höherwertiger Güter, wo die grenzüberschreitende Bestellung aufgrund der hier gegebenen Preisunterschiede eigentlich besonders attraktiv hätte sein müssen132. Sofern die Kommission hinsichtlich der Beseitigung dieser Unsicherheiten von „Informationsdefiziten“ spricht, steht also nicht die vertragsbezogene, sachliche Qualitätsinformation in Rede, sondern eine rechtliche133. Das mit der Verbrauchsgüterkaufs-Richtlinie angegangene Informationsproblem bezieht sich nicht in erster Linie auf die Eigenschaften von Verbrauchsgütern, sondern auf die Besonderheiten der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung. Diese Unterscheidung rechtlicher und sachlicher Informationsdefizite ist in vierfacher Hinsicht von Bedeutung: Zum ersten stellt ein Informationsmangel über rechtliche Gegebenheiten kein spezifisches Verbraucherproblem dar, sondern droht ebenso einem Unternehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft tätig wird134. Zweitens wird die Maßnahme zur Behebung des rechtlichen Informationsdefizits nicht vom Letztverkäufer (durch Erfüllung der gerade beschriebenen Obliegenheit) behoben, sondern durch den europäischen 130 Dieser Begründungsansatz korrespondiert mit der Kompetenzgrundlage für die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, Art. 95 EG. 131 Vgl. insbesondere Erwägungsgründe Nr. 4) und 5) der Richtlinie. 132 Zu den diesbezüglichen Motiven der Kommission vgl. Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 13. 133 Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (124/125): „... consumer contract legislation which is designed to promote consumer confidence in the quality of legal standards in other Member States“. 134 Dies ist auch der Grund dafür, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung zum europäischen Vertragsrecht vom 11. 7. 2001 (KOM 2001, 398 endg.) auch die – wiederum rechtlichen – Informationsdefizite auf der Anbieterseite, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, in den Blickpunkt gerückt hat, vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen der Kommission Nr. 30: „Es besteht sogar die Gefahr, dass Anbieter von Waren und Dienstleistungen den Handel mit Verbrauchern in anderen Ländern als unwirtschaftlich erachten und davon Abstand nehmen.“ Hierzu Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (114f.).

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Normgeber selbst: Er ist es, der im Wege der Mindestharmonisierung einen Grundsockel an Gewährleistungsrechten schafft, auf welchen der Verbraucher auch im innereuropäischen Ausland vertrauen können soll. Nicht die Marktteilnehmer sind es, die einander zu informieren haben, sondern der Gesetzgeber selbst stellt den erwünschten Zustand her. Die „Information“ ist also gar keine: Um Informationsdefizite zu beseitigen, es werden schlicht die Umstände, über die zu informieren gewesen wäre, aus der Welt geschafft. Hieraus folgt, drittens, dass die drei Einwände, die gerade135 gegen das sachliche Informationsmodell als tragfähige Begründung der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie vorgebracht wurden, hinsichtlich der Beseitigung rechtlicher Informationsdefizite nicht greifen: Sofern die rechtliche und nicht die sachliche Unsicherheit des Verbrauchers im Vordergrund steht, führt der Weg zu ihrer Behebung nicht über den wenig erfolgversprechenden Anreiz zu Beschaffenheitsvereinbarungen, sondern wird vom Richtliniengeber selbst beschritten. Damit entfallen auch die Problemkreise der mangelnden Qualitätsinformation beim Letztverkäufer und des ggf. fehlenden Informationsinteresses von Erfüllungsgehilfen. Viertens und letztens ist der Abbau von rechtlichen Informationsdefiziten, anders als die sachliche Information, unabhängig vom Sachrecht, in diesem Falle vom Kaufrecht. Sie ließe sich ebenso gut auf die ausländische Rechtslage im Hinblick auf Miete, Werkverträge, Arbeitsverträge und weitere Institute ausdehnen. Die Begründungsstruktur für das zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht erwächst eben nicht aus dem Kaufrecht selbst, sondern aus dem Binnenmarkt. Die wesentliche Motivation des europäischen Normgebers lag somit darin, dem aktiven grenzüberschreitenden Verbraucher die Gewissheit zu geben, in jedem Land der Union einkaufen zu können, ohne eine Schlechterstellung hinsichtlich seiner Gewährleistungsrechte befürchten zu müssen – sei es durch AGB ausländischer Verkäufer oder eine laxere Rechtsprechung zu kaufmännischen Geschäftsbedingungen. Dieser Anreiz ist allerdings tatsächlich auf den aktiven Verbraucher beschränkt: Wann immer der Verkäufer im Heimatland des Verbrauchers geworben oder diesen in sonstiger Weise zum Grenzübertritt veranlasst hat, käme zugunsten des Verbrauchers ohnehin das Recht seines Heimatlandes zur Anwendung136. Es verbleiben damit einerseits die Fälle, in denen der Verbraucher selbständig die Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union überschreitet und dort einkauft, ohne hierzu durch Werbung in seinem Heimatland bewogen worden zu sein, und andererseits insbesondere Einkäufe im Ausland mittels elektronischer Medien137. Für diese Fälle soll Rechtssicherheit herge135

Oben S. 105, 106. Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980 (EVÜ); hierzu Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (116ff.). 137 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 245. 136

G. Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts

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stellt werden. Überspitzt ausgedrückt, soll sich der deutsche Verbraucher sagen können: „Was bei mir Recht ist, gilt auch in Spanien oder Portugal.“ Der Sache nach geht es also um binnenmarktförderndes Verbrauchervertrauen im europäischen Ausland. Der gemeinsame Mindestsockel an Verbraucherrechten soll das Vertrauen in den Binnenmarkt stärken und es den Bürgern ermöglichen, die Vorzüge des gemeinsamen Marktes besser zu nutzen138. Der europäische Gesetzgeber versucht somit – wenn seine Motivation hier korrekt wiedergegeben ist –, dem Verbraucher den Weg in den Binnenmarkt zu öffnen, indem er ihn an die Hand nimmt und ihn – einem kleinen Kind gleich – gegen die Unbill der eigenen Handlungsfreiheit schützt. Unwillkürlich drängt sich der Gedanke an die ersten Fahrten mit dem Fahrrad auf: Seinerzeit waren an diesem noch Stützräder angebracht139. So wäre das zwingende Recht des Verbrauchsgüterkaufs ein Stützrad für den Verbraucher auf dem Weg in den Binnenmarkt. Dies mag einstweilen sinnvoll sein, auf längere Sicht allerdings möglicherweise nicht. Denn es dürfte sich eventuell prognostizieren lassen, dass sich der Binnenmarkt zunehmend auch verbraucherpsychologisch vollenden wird und der Kauf von Gebrauchsgütern im Ausland, insbesondere via E-Commerce, mehr und mehr zu einer Selbstverständlichkeit werden wird. In diesem Fall würde das Stützrad an und für sich überflüssig; das zwingende Recht allerdings wird bleiben.

G. Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts An dieser Stelle soll ein kurzer Blick in zwei andere Rechtsgebiete geworfen werden, in denen sich positiv zwingendes Recht entwickelt hat: in das Recht der Pauschalreisen und in das neue deutsche Urhebervertragsrecht140. 138

Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (654). 139 Das Bild vom Stützrad ist näher beschrieben in: Hassemer, Zwingendes europäisches Privatrecht – Zivilrecht ohne Vertragsfreiheit?, 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 121 (131ff.). Vgl. auch den ansonsten kritischen, aber zumindest diesbezüglich zustimmenden Kommentar von Weller, Zwingendes babylonisches Privatrecht, 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler, S. 145 (148). 140 Auch die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen berührt den Fragenkreis des positiv zwingenden Rechts. Denn die Unwirksamkeit einer Klausel bringt den Effekt mit sich, der oben als charakteristisch für das positiv zwingende Recht bezeichnet wurde, nämlich einen Eingriff des Gesetzgebers in die Dispositionsfreiheit der Vertragsparteien bei im Übrigen fortbestehender Wirksamkeit eines Vertrags (im deutschen Recht § 306 Abs. 1 BGB). Es fehlt allerdings bei der AGB-Kontrolle, anders als im Verbrauchsgüterkaufrecht, an einer inhaltlichen Vorgabe durch das Recht. Denn wie der weiterhin wirksame Restvertrag gestaltet sein muss, gibt das AGB-Recht nicht vor. Zwar besteht dort der Zwang, eine gewisse Nähe zum gesetzlichen Leitbild aufrechtzuerhalten; das AGB-Recht selbst enthält jedoch, anders als das Verbrauchsgüterkaufrecht, kein derartiges Leitbild. Sähe man dies anders, würde man das bei Unwirksamkeit einer Klausel fortgeltende dispositive Recht als zwingendes Recht definieren, was es gerade nicht ist. Dass die AGB-Kontrolle nicht zu heteronomem Vertragsrecht führt, lässt sich auch an einem

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Die Pauschalreise-Richtlinie aus dem Jahr 1990141 dürfte die erste Richtlinie sein, die sich nicht darauf beschränkte, dem Unternehmer Informationspflichten aufzuerlegen, sondern positiv zwingendes Recht einführte: Der Reiseveranstalter haftet dem Verbraucher gegenüber auf Erfüllung bzw. Schadensersatz auf das positive Interesse142 einschließlich der entgangenen Urlaubsfreuden143. Dies war vor allem der Tatsache geschuldet, dass dem Verbraucher aufgrund des Fixcharakters der Reise nach deren Antritt mit Informations- oder Widerrufsrechten kaum noch adäquat geholfen werden kann. Die Begründung hierfür war seinerzeit auch auf die Besonderheiten der Regelungsmaterie zugeschnitten: Der Vertragsgegenstand sei zu komplex, als dass der Verbraucher dazu in der Lage sei, die Vor- und Nachteile ihm vorgelegter abweichender Regelungen zu beurteilen144. Wesentlich interessanter für diese Arbeit ist jedoch das deutsche Urhebervertragsrecht von 2002, denn hier entsteht durch das positiv zwingende Recht eine Vertragskettenproblematik, die der Regressfrage im Verbrauchsgüterkaufrecht145 strukturell ähnelt. Auf die durch das positiv zwingende Recht bedingten strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Materien soll darum im Folgenden kurz eingegangen werden. Das zum 1. Juli 2002 in Kraft getretene und in das deutsche Urheberrechtsgesetz integrierte „Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ beschneidet die Privatautonomie der Vertragspartner einer Verwertungsvereinbarung im Zuge einer Art Doppelstrategie146: Einerseits gewährt § 32 UrhG dem Urheber den Anspruch auf eine angemessene Vergütung – der Sache nach handelt es sich um eine Inhaltskontrolle des Verwerteranderen Umstand ablesen: Die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen beruht auf dem Grundgedanken, die einseitige Inanspruchnahme der Privatautonomie durch nur eine Partei zu verhindern. Hierin steckt noch keine inhaltliche Vorgabe: Als Individualvereinbarungen wären unwirksame AGB, vorbehaltlich der für Individualvereinbarungen geltenden Bestimmungen, ohne weiteres wirksam. 141 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. EG L 158, S. 59. 142 Der positiv zwingende Charakter der Richtlinie ergibt sich insbesondere aus Artikel 5: „(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen unabhängig davon übernimmt, ob er selbst oder andere Dienstleistungsträger diese Verpflichtungen zu erfüllen haben (...). (2) Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung übernimmt (...).“ 143 Hierzu Streinz/Lurger, Art. 153 EGV Rdn. 41. 144 Vgl. Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (785). 145 Hierzu unten S. 114ff. 146 Ritgen, Vertragsparität und Vertragsfreiheit, JZ 2002, 114 (117); Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (384); R. Jacobs, Das neue Urhebervertragsrecht, NJW 2002, 1905.

G. Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts

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vertrags147 –, andererseits enthält § 36 UrhG Vorschriften über kollektive Vergütungsregelungen. Einzelvertragliche Vergütungen, die diesen Vergütungsregelungen entsprechen, gelten als angemessen148. Falls keine kollektiven Vergütungsregeln existieren, ist eine Vergütung angemessen, die im Geschäftsverkehr „unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist“149. Für den Fall, dass Urheber- und Verwerterverbände sich nicht auf angemessene Vergütungen einigen können, kann – ähnlich wie im Tarifvertragsrecht – ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden150. Auch im Urhebervertragsrecht gibt es also positiv zwingendes Recht; auch hier soll Qualität gesichert werden, nur betrifft der Äquivalenzstandard in diesem Fall nicht die Anbieter-, sondern die Abnehmerseite151: Es soll nicht wie im Verbrauchsgüterkaufrecht die Qualität der Leistung, sondern die der Gegenleistung gesichert werden. Das hergebrachte Verständnis des Austauschverhältnisses sieht sich damit einem – zumindest außerhalb des Arbeitsrechts – neuen Phänomen gegenüber: Die Vereinbarung von Leistung und Gegenleistung wird nicht mehr den Parteien überlassen (Äquivalenzprinzip), sondern durch eine Instanz festgelegt, die sich außerhalb des Vertragsverhältnisses befindet152. Als Rechtfertigung hierfür wird eine zwischen Urheber und Erstverwerter angenommene Situation „strukturellen Ungleichgewichts“ herangezogen153. Dieses 147 Berger, Zum Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG) und weitere Beteiligung (§ 32 a UrhG) bei Arbeitnehmer-Urhebern, ZUM 2003, 173. 148 § 32 Abs. 2 Satz 1 UrhG. 149 § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG. 150 § 36 a UrhG. Die Durchsetzung der angemessenen Vergütungsregeln zugunsten der Urheber scheint sich in der deutschen Rechts- und Vertragspraxis schwierig zu gestalten. Der Verband deutscher Schriftsteller hat sich im Januar des Jahres 2005 mit den belletristischen Verlagen über gemeinsame Vergütungsregeln geeinigt. Diese Vereinbarung stellte gleichzeitig die erste nach Inkrafttreten des Urhebervertragsrechts im Jahr 2002 dar. (Vgl. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 21. 1. 2005, S. 13: „Der große Kampf ums Angemessene“.) Sie war nur aufgrund eines Vermittlungsvorschlags des Bundesjustizministeriums möglich, da Verhandlungen zwischen den – eigens hierfür gegründeten – Verlegervereinigungen und den Vertretern der Autoren (wie auch der Übersetzer) gescheitert waren. Die Einigung gilt nur für die Belletristik, also nicht für Sachbücher, und sieht vor, dass die Autoren grundsätzlich mit zehn Prozent am Nettoerlös jedes verkauften gebundenen Buches beteiligt werden. Für Bestseller wurde eine höhere, für Taschenbücher eine geringere Beteiligung vereinbart. Die Belletristik wurde nicht zufällig ausgewählt. Denn da bei Sachbüchern, Ratgebern und ähnlichem der verlegerische Aufwand wesentlich höher ist, variiert die Honorarpraxis wesentlich mehr als bei der Belletristik. Eine Einigung im Sachbuchbereich wird darum von beteiligten Kreisen als „ungleich schwieriger, wenn überhaupt möglich“ angesehen (Süddeutsche Zeitung vom 21. 1. 2005, S. 13). 151 Hierzu Hummel, Volkswirtschaftliche Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung des Urhebervertragsrechts ZUM 2001, 660 (669). 152 Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (384); Berger, Zum Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 32 UrhG) und weitere Beteiligung (§ 32 a UrhG) bei Arbeitnehmer-Urhebern, ZUM 2003, 173. 153 So die Begründung zum Regierungsentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“, S. 25ff. Hierzu Ritgen, Vertragsparität und

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§ 5: Verbrauchsgüterkaufrecht als positiv zwingendes Recht

Ungleichgewicht kennzeichnet zwar, wie auch die Gesetzesverfasser gesehen haben, nicht sämtliche Situationen von Verwertungsverträgen, sondern beschränkt sich typischerweise auf bestimmte Berufsgruppen wie freischaffende Künstler, Publizisten und Übersetzer. Durch die Tatbestandsmerkmale des „Üblichen“ und „Redlichen“ soll die Vorschrift jedoch genug Flexibilität erhalten, um in Fällen der Unterlegenheit einzugreifen und dann nicht gegen das Übermaßverbot zu verstoßen, wenn die Vertragsparität nicht gestört ist. Dies zumindest ist die Einschätzung des Gesetzgebers154. Für all diese Fallgruppen kann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sittenwidrigkeit von Verträgen (§ 138 BGB) wegen struktureller Unterlegenheit und ungewöhnlich hoher Belastung des schwächeren Teils im Rahmen der so genannten Bürgschaftsentscheidung155 und nachfolgender Urteile156 zur Korrektur gestörter Vertragsparität157 nur äußerst eingeschränkt herangezogen werden, obwohl zur Begründung des Eingriffs in die Privatautonomie auf den Terminus des strukturellen Ungleichgewichts rekurriert wird. Dies schon deswegen, weil § 32 UrhG eine abstrakt geltende Norm ist, während die Anwendung von § 138 BGB der Korrektur besonders deutlicher Ungleichgewichtslagen in Einzelfällen dient. Daneben besteht ein gravierender Unterschied auf der Rechtsfolgenseite: Konsequenz der Anwendung von § 138 BGB wäre die Nichtigkeit untervergüteter Verträge, nicht jedoch eine heteronom angeordnete „angemessene“ Vergütung. Die deutsche urhebervertragsrechtliche Regelung stellt, anders als § 138 BGB, positiv zwingendes Recht im oben skizzierten Sinn dar. Das neue Urhebervertragsrecht ähnelt aus der Sicht der Vertragsfreiheit damit dem Verbrauchsgüterkauf. Hier wie dort handelt es sich um Äquivalenzhaftung. Das Urhebervertragsrecht steht dem Kaufvertragsrecht im Übrigen auch nicht so fern, wie es auf den ersten Blick aufgrund der Unterschiedlichkeit beider Rechtsmaterien aussehen mag. Hier wie dort bildet der einschlägige Vertrag nichts anderes als einen Austauschvertrag, und der Rechtehandel enthält – trotz der Unver-

Vertragsfreiheit, JZ 2002, 114 (115); Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (385). 154 Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (386). 155 BVerfGE 81, 242. 156 In jüngerer Zeit beispielsweise BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 1905/02) zum Verbot der Vollstreckung unanfechtbarer Entscheidungen, die auf einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe beruhen. 157 Hierzu Grzeszick, Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht, AfP 2002, 383 (387); Thüsing, Tarifvertragliche Chimären – verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Überlegungen zu den gemeinsamen Vergütungsregeln nach § 36 UrhG n.F., GRUR 2002, 203 (206); zur Bürgschaftsentscheidung und der Korrektur gestörter Vertragsparität auch Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (115ff.).

G. Andere Erscheinungsformen positiv zwingenden Rechts

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äußerlichkeit des Urheberrechts per se158 – zahlreiche Bezüge zum Rechtskauf159. Insbesondere liegt immer dann ein Rechtskauf vor, wenn mit eingeräumten Nutzungsrechten gehandelt wird. Wie das Verbrauchsgüterkaufrecht, so verfolgt auch das Urhebervertragsrecht ein Modell, das die Schutzwürdigkeit einer Gruppe zu Lasten einer relativ begrenzten anderen verwirklicht. Während es sich bei der belasteten Gruppe im Verbrauchsgüterkaufrecht um den Einzelhandel gegenüber dem Verbraucher handelt, sind es nun hier die Erstverwerter. Geschützt wird dort der Verbraucher, hier der Urheber. Die oben für das Verbrauchsgüterkaufrecht dargestellten Nebeneffekte positiv zwingenden Rechts werden darum auch im Rahmen von § 32 UrhG sichtbar. Ähnlich wie im Verbrauchsgüterkauf, so kann sich auch das zwingende Urhebervertragsrecht zu Lasten der geschützten Person auswirken. Dies insbesondere dann, wenn der nach § 32 UrhG „angemessene“ Preis den potentiellen Verwertern zu hoch ist, um zu einem Vertragsschluss zu gelangen. Die Chance, zu einem geringeren Preis zu kontrahieren, wird dem Urheber vom Gesetz verwehrt160. Er gleicht in dieser Hinsicht dem potentiellen Käufer einer gebrauchten Ware, der gerne auf einen Teil seiner Gewährleistungsrechte verzichten würde, um einen geringeren Kaufpreis zu erzielen, und dies aufgrund des zwingenden Charakters des europäischen und deutschen Verbrauchsgüterkaufrechts rechtlich nicht kann161.

158

§ 29 Satz 2 UrhG. § 453 BGB. 160 Thüsing, Tarifvertragliche Chimären – verfassungsrechtliche und arbeitsrechtliche Überlegungen zu den gemeinsamen Vergütungsregeln nach § 36 UrhG n.F., GRUR 2002, 203 (207). 161 Drexl, Zwingendes Recht als Strukturprinzip des Europäischen Verbrauchervertragsrechts?, in: Coester u.a. (Hrsg.), Privatrecht in Europa, Festschrift für Sonnenberger, 2004, S. 771 (778). 159

§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht A. Einleitung Dieser Abschnitt widmet sich den Folgen des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts in Vertragsketten: dem Regress des Letztverkäufers. Es wird sich zeigen, dass die so genannte Regressproblematik ihre Existenz einerseits dem positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht verdankt, andererseits dem Festhalten an einer Haftungsabwicklung entlang der vertraglichen Strukturen (vertragliches Haftungsmodell, reines Vertragsmodell). Es soll der deutsche Lösungsversuch (§§ 478, 479 BGB) im Hinblick auf die personale Haftungsstruktur und die Einschränkungen der Privatautonomie im Unternehmerprivatrecht untersucht werden1. Hieran schließt sich eine rechtsvergleichende Untersuchung darüber an, wie andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft dieses Problem zu lösen versucht haben2. Von besonderem Interesse sind naturgemäß jene Mitgliedstaaten, die – so viel sei vorweggenommen – die Regressproblematik und mit ihr den Druck auf die unternehmerische Privatautonomie durch Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung wesentlich abgemildert haben3.

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie I. Der Regress in der Richtlinie Die einzige Vorschrift, in deren Rahmen die Richtlinie über das Verhältnis von Unternehmer und Verbraucher hinausgeht, ist die Regelung zum Regress des Verkäufers gegenüber seinen Vorderleuten (Art. 4 der Richtlinie, im deutschen Recht umgesetzt in den §§ 478, 479 BGB)4. Die Thematik liefert seit Beginn der Diskus1

S. 129ff. S. 152ff. 3 Zu diesen Ländern ab S. 167. 4 Zu Diskussion um die Regressregeln insbesondere Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427; Graf von Westphalen, DB 1999, 2553; Pfeiffer, ZGS 2002, 17; M. Lehmann, In2

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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sionen um Verbrauchsgüterkaufrecht und Schuldrechtsreform reichen Streitstoff5, der allerdings nicht nur dogmatischer, sondern auch rechtspolitischer Natur ist: Die Regressfrage berührt, da sie die Haftungsverteilung und -organisation zwischen Letztverkäufer, Zwischenhändlern und Hersteller betrifft, auch das Verhältnis von Industrie und Handel insgesamt6. So war der Regress des Letztverkäufers der „zentrale Streitpunkt“7 im Rahmen der Richtliniengenese und wurde als der eigentliche „Sprengstoff“8 angesehen. Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf lautet: „Haftet der Letztverkäufer dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers, eines früheren Verkäufers innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen Zwischenperson, so kann der Letztverkäufer den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regress nehmen. Das innerstaatliche Recht bestimmt den oder die Haftenden, den oder die der Letztverkäufer in Regress nehmen kann, sowie das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten.“

Diese Bestimmung war noch nicht im Grünbuch von 1993 vorgesehen, das ja einer Direkthaftung des Herstellers den Vorzug gab, und trat erst in den ersten Richtlinienvorschlag der Kommission von 1996 ein9 sowie in dessen geänderte Fassung von 199810.

formationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280; Ernst/Gsell, Kritisches zum Stand der Schuldrechtsmodernisierung, ZIP 2001, 1389 (1401ff.); von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721; Schmidt-Kessel, Der Rückgriff des Letztverkäufers, ÖJZ 2000, 668; Jud, Zum Händlerregress im Gewährleistungsrecht, ÖJZ 2000, 661; Grundmann, European sales law – reform and adoption of international models in German sales law, European Review of Private Law 2001, 239; Schmidt-Räntsch, Gedanken zur Umsetzung der kommenden Kaufrechtsrichtlinie, ZEuP 1999, 294 (298). 5 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (428): „Fundgrube für rechtswissenschaftliche Überlegungen“. 6 Hondius/Jeloschek, Towards a European Sales Law – Legal Challenges posed by the Directive on the Sale of Consumer Goods and Associated Guarantees, European Review of Private Law 2001, 157 (160); Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 7. 7 Brüggemeier/Reich, Europäisierung des BGB durch die große Schuldrechtsreform?, BB 2001, 213 (215). 8 Brüggemeier, Zur Reform des deutschen Kaufrechts – Herausforderungen durch die EGVerbrauchsgüterkauf-Richtlinie, JZ 2000, 529 (534); Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561. 9 Art. 3 Abs. 5 des ersten Vorschlags der Kommission vom 23. 8. 1996, ABl. EG 1996 C 307/8; in dieser ersten Fassung war allerdings nur von einer haftenden Person die Rede, während Art. 4 der endgültigen Richtlinienfassung „den oder die Haftenden“ nennt. 10 Art. 3 Abs. 7 des geänderten Vorschlags, ABl. EG 1998 C 148/12; zu den Unterschieden der verschiedenen Fassungen vgl. Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 209; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 4.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Die Richtlinie ordnet nun in Artikel 4 an, dass der Letztverkäufer gegenüber dem Hersteller, früheren Verkäufer innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen Zwischenperson Regress nehmen können muss, sofern seine eigene Haftung aufgrund der Vertragswidrigkeit eines Produkts auf dem Handeln oder Unterlassen einer dieser Personen beruht. Wer allerdings zu diesen haftenden Personen zählt, soll das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten bestimmen, ebenso wie die Modalitäten des Regresses dem nationalen Recht überlassen bleiben11. Damit lässt sich zumindest festhalten, dass das Regressrecht der Richtlinie zufolge gegenüber „irgendeiner“12 Person innerhalb der Vertragskette bestehen kann: Gegenüber dem Vertragspartner des Regressgläubigers, gegenüber einem weiteren Zwischenhändler oder gegenüber dem Hersteller. Es besteht kein formelles Auswahlkriterium im Sinne einer Beschränkung des Regresses auf vertragliche Haftung oder andere Mechanismen, sondern ein materielles: Die aus Regressrecht Haftenden müssen durch eigenes „Handeln oder Unterlassen“ für die Haftung des Letztverkäufers gegenüber dem Verbraucher (mit-)verantwortlich sein. Auf ein Verschulden des Herstellers oder Lieferanten darf es hingegen nicht ankommen13. Insgesamt kann jedoch gesagt werden, dass der Regelungsgehalt von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, gerade im Vergleich zu den detaillierten Regelungen des Verbrauchsgüterkaufs selbst, relativ gering ist. Die Vorschrift gibt den Mitgliedstaaten wenig mehr als eine bloße Zielvorgabe an die Hand14 und enthält selbst keine Regel, die ohne weiteres in positives Recht übernommen werden könnte, sondern lediglich die allgemeine Handlungsanweisung an die Mitgliedstaaten, den Letztverkäufer nicht schutzlos zu lassen15. Umso wichtiger wird es darum, Sinn und Zweck des Händlerregresses zu ermitteln. II. Regressfallen Nachdem sich abzeichnete, dass die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie das zwingende Kaufrecht zu Ungunsten des Einzelhandels einführen würde, entwickelte der Begriff „Regressfalle“ sich zu einer Art Modewort, mit dem die Sorge des Handels gekennzeichnet wurde, im Verbrauchsgüterkaufrecht zwischen dem Verbraucher und der Industrie zerrieben zu werden. Zumeist fiel das Wort „Regressfalle“ in zumindest mittelbarem Kontext mit dem Begriff des Mittelstands. Analysen des Regressrechts sprechen darum von einem Akt der Mittelstandsför11

Hierzu Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S.

495. 12

Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 29. MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 29. 14 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2; Micklitz, Die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, EuZW 1999, 485 (490). 15 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 27. 13

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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derung16, oder sogar von Hilfe für „unterdrückte Mittelständler“17. Exemplarisch seien die plakativen Ausführungen von Ehmann/Rust zitiert: „Verkäufersein wird also risikoreicher – bei Kaufhäusern streut sich dieses Risiko in noch zumutbarem Maße, aber für kleinere Einzelhandelsgeschäfte kann es existenzgefährdend, jedenfalls unzumutbar sein. Das Problem ist nur über eine sachgerechte Regressregelung zu lösen, die aber nur schwer zu finden ist.“18

An der Schnittstelle zwischen Verbrauchsgüterkaufs- und Handelsrecht drohen dem Letztverkäufer, solange ihm kein spezifisches Regressrecht zu Hilfe kommt, insbesondere vier Probleme: Die Vertragsgemäßheit kann je nach Handelsstufe unterschiedlich zu beurteilen sein, Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Lieferanten können bereits verjährt sein, es kann ihm schwer fallen, die Mangelhaftigkeit der Kaufsache bereits bei Gefahrübergang auf sich selbst nachzuweisen, und er kann sich schließlich vertraglichen Haftungsausschluss- oder -beschränkungsklauseln seitens des Lieferanten ausgesetzt sehen19. Vergleichsweise wenig Beachtung hat bislang die möglicherweise je unterschiedliche Bestimmung der Sollbeschaffenheit auf den verschiedenen Handelsstufen gefunden20. Dabei unterscheidet sich die kaufvertragliche Situation zwischen Hersteller, Großhändlern und Einzelhandel (in den „Binnenverträgen“ innerhalb der Lieferkette) in grundsätzlicher Hinsicht von derjenigen zwischen dem Letztverkäufer und seinem Abnehmer, dem Verbraucher; dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Binnengeschäfte innerhalb der Lieferkette rein gewerblicher Natur sind, zum zweiten wird es dort oftmals dauerhafte Lieferbeziehungen geben, und zum dritten richten sich die Binnenverträge auf größere Stückzahlen, während der Verbrauchsgüterkauf am Ende der Vertragskette im Zweifel ein Einzelstück zum Gegenstand hat. Diese Unterschiedlichkeiten führen naturgemäß zu je verschiedenen Vertragsgestaltungen. So ist es beispielsweise unter professionellen Händlern innerhalb der Vertragskette wesentlich wahrscheinlicher, dass Vereinbarungen über die Sollbeschaffenheit getroffen werden, während dies beim Verbrauchervertrag eher eine Ausnahme darstellt. Setzt man dies in Relation zum subjektiv-objektiven Mangelbegriff, so entfallen bei subjektiver Vereinbarung der Sollbeschaffenheit in den Binnenverträgen dort sämtliche objektiven Kriterien zur Bestimmung der 16 Dauner-Lieb, Die geplante Schuldrechtsmodernisierung – Durchbruch oder Schnellschuss?, JZ 2001, 8 (9); Staudenmayer, EG-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Gewährleistungsrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 (42). 17 Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136). 18 Ehmann/Rust, Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, JZ 1999, 853 (858). 19 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561; MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 3. 20 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 13 und MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 39.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Sollbeschaffenheit (wie die „Qualität und Leistungen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind“), während sie im Verbrauchervertrag zu berücksichtigen sind. Dies gilt umso mehr in Ländern, die nicht die große Lösung gewählt haben und schon aus diesem Grund im Verbrauchsgüterkaufrecht und im gewöhnlichen Kaufrecht über je unterschiedliche Mängelbegriffe verfügen. Hierin liegt ein erster Aspekt der so genannten Regressfalle. Denn es ist dem Letztverkäufer, falls die beschriebenen Differenzen hinsichtlich der Sollbeschaffenheit auftreten, nicht möglich, die gleichen Kriterien, aufgrund derer er selbst in Anspruch genommen wurde, auch bei der eigenen Anspruchstellung anzuwenden. Ein weiterer Aspekt der Regressfalle liegt in der Beweislastumkehr des Artikels Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie. Diese führt zu einer Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit der Kaufsache zu Ungunsten des Letztverkäufers, die er jedoch seinerseits nicht gegenüber seinem Lieferanten nutzbar machen kann, solange es kein Regressrecht zugunsten des Letztverkäufers gibt. Der deutsche Gesetzgeber hat dies in § 478 Abs. 3 BGB zu beheben versucht21, steht mit diesen Bemühungen allerdings, soweit ersichtlich, in der Europäischen Union alleine da22. Dritter Aspekt der Regressfalle ist die schlichte Tatsache, dass der Letztverkäufer sich angesichts des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts an der Schnittstelle zwischen Verbraucherschutz und Privatautonomie befindet, was sich ohne ein spezielles Regressrecht wiederum nur zu seinen Ungunsten auswirken kann: Während er dem Verbraucher gegenüber, abseits individueller Vereinbarungen über die Sollbeschaffenheit, zwingend haftet, besteht für ihn auf der anderen Vertragsseite das Risiko der Disposition über seine eigenen Gewährleistungsansprüche. Den wichtigsten und meistbeachteten Fall der Regressproblematik bildet jedoch der unterschiedliche Zeitpunkt, zu welchem die jeweiligen Verjährungsfristen ablaufen23. Die Bedeutung der Verjährungsfalle ist im Rahmen der Diskussion um Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie so sehr in den Vordergrund getreten, dass Regressfalle und Verjährungsfalle gelegentlich fast schon als Synonyme gebraucht werden. Dies gilt auch außerhalb Deutschlands; so haben sich beispielsweise der griechische24 und der österreichische25 Gesetzgeber darauf beschränkt, den Regress des Letztverkäufers hinsichtlich der Verjährungsfrist zu modifizieren, und keine weiteren Sondervorschriften eingeführt. Es handelt sich bei der Verjährungsproblematik im Grunde um zwei rechtliche Sachverhalte, die jedoch zueinander in unmittelbarem Zusammenhang stehen: Zum einen droht, je länger eine Lieferkette ist, umso eher der Ablauf der verschie21

Hierzu unten S. 132. Zu den Regressregelungen in den übrigen Mitgliedstaaten unten S. 152. 23 Hierzu Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 6; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 418. 24 Art. 560 des griechischen Zivilgesetzbuchs; hierzu unten S. 162. 25 § 933b ABGB; hierzu unten S. 155. 22

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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denen Gewährleistungsfristen, so dass der Letztverkäufer oder ein anderes Mitglied der Kette zwar selbst noch haftet, sich aber nicht mehr an seinen jeweiligen Lieferanten wenden kann. Zugespitzt wird dieses Risiko noch durch den zweiten Umstand, dass die im Lieferantengeschäft geltenden Fristen möglicherweise kürzer sind als die Verjährungsfristen des Verbrauchsgüterkaufs, insbesondere wenn sie der Disposition der Parteien unterliegen, bei denen es sich um Unternehmer handelt. „Der Handel läuft Gefahr, zwischen einer kurzen Gewährleistungsfrist auf der Lieferanten- und einer langen auf der Kundenseite zerrieben zu werden. Der mittelständische Einzel- und Versandhandel wird mangels Marktmacht die Synchronisierung der Gewährleistungsfristen in der gesamten Absatzkette kaum durchsetzen können“.26

Dieser Verjährungsfalle hat man in Deutschland durch die Einführung von § 479 BGB abzuhelfen versucht27. III. Kompensationstheorie Eine nähere Betrachtung des Begriffes der „Regressfalle“ lenkt den Blick jedoch auf das dahinter liegende Phänomen, nämlich auf die Situation eines Rechtssubjekts innerhalb einer Vertragskette an der Schnittstelle zwischen dem Handelskauf und dem positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht. Es geht bei der Regressproblematik der Sache nach um nichts anderes als darum, den Verkäufer nicht „in die Zange“ zwischen zwei unterschiedlichen Schutzniveaus, zwei unterschiedlichen Graden von Vertragsfreiheit geraten zu lassen28. Drastisch, jedoch der Sache nach richtig, formulieren dies Ehmann/Rust: „(...) vor allem um zu verhindern, dass die sozialen Lasten des gut gemeinten sozialen Verbraucherschutzrechts letztlich allein und überwiegend vom letzten Vertragspartner des Verbrauchers zu tragen sind und dies nicht nur das allgemeine Bürgerliche Recht, sondern auch das dieses tragende mittelständische Bürgertum beseitigt und nichts übrig lässt als schützenswerte Verbraucher und große Hersteller- und Verteilerkonzerne, die über die modernen technisch-bürokratischen supranationalen Staatengebilde hinaus weltweit agieren und alle Märkte beherrschen.“29

Auch Picker spricht, nicht ganz ohne Ironie, davon, der haftungsgefährdete Unternehmer müsse als „überforderte Spezies inzwischen vor dem Schutz des Geschützten geschützt werden“30.

26 Schäfer/Pfeiffer, Die EG-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf – Gesetzgeberische Alternativen und wirtschaftliche Folgen ihrer Umsetzung in deutsches Recht, ZIP 1999, 1829 (1837). 27 Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 479 Rdn. 1. 28 So die Formulierung von Graf von Westphalen, DB 1999, 2553. 29 Ehmann/Rust, Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, JZ 1999, 853 (864). 30 Picker, Schuldrechtsreform und Privatautonomie, JZ 2003, 1035 (Fn. 3).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Damit wird deutlich, warum die Regressproblematik so sensibel ist und so unterschiedliche Reaktionen hervorruft – nicht nur in der rechtswissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in den Gesetzgebungsprozessen der Mitgliedstaaten, die von intensiver Protektion des Letztverkäufers31 bis zu völliger Untätigkeit32 reichen: Hinter ihr steht die grundsätzliche Frage der möglicherweise notwendigen „Neubestimmung des Verhältnisses von allgemeinem Privatrecht, Verbraucherrecht und Unternehmerprivatrecht“33. „EG-Vorgaben enthalten aber auch34 Vorgaben für die Strukturierung des Schuldrechts in Europa, gleich in welcher Form sie weitergeführt wird. So ist deutlich, dass die alte Dichotomie von allgemeinem Privatrecht und Handelsrecht, d.h. dem Recht der besonders kundigen und erfahrenen Kaufleute und Unternehmen(,) an Bedeutung verliert und durch eine andere Dichotomie, die Zweiteilung des Vertragsrechts in Verbrauchergeschäfte und andere Verträge(,) Platz macht.“35

Während es jedoch hinsichtlich der Verbraucherverträge weder an Richtlinien noch an einschlägigen Überlegungen mangelt, findet sich zumindest auf europäischer Ebene kein Ansatz dafür, wie das Unternehmerprivatrecht, also der Kontrakt in beiderseits gewerblichem Zusammenhang, auszugestalten sei. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass es hierfür keiner Regelung bedürfe und die Vertragsfreiheit als wesentliche, in sämtlichen nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewährleistete Grundvoraussetzung ausreiche. Denn Verbraucherverträge reichen zumindest dann, wenn sie das Ende einer Vertragskette bilden, zwangsläufig in das Unternehmerprivatrecht hinein: Hinter dem Unternehmer, der mit einem Verbraucher kontrahiert, stehen im Massenverkehr von Waren weitere Unternehmer, sei es als Zwischenhändler oder Hersteller. Wenn sie nicht rechtlich vom Verbraucherschutz betroffen sind, so doch zumindest faktisch. Nur mittelbar kann das Regressrecht daneben auch als ein Instrument des Verbraucherschutzes verstanden werden, da es zumindest potentiell die Solvenz des regressberechtigten Letztverkäufers erhöht36. Hieraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, der Normzweck von Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG diene in erster Linie dem Verbraucherschutz und sei mit Hilfe verbraucherschutzrechtlicher Überlegungen zu interpretieren37. Denn der Schutz des Verbraucher31

Deutschland, Niederlande, Portugal. England, Irland. Zur Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten unten S. 152. 33 So Dauner-Lieb, Die geplante Schuldrechtsmodernisierung – Durchbruch oder Schnellschuss?, JZ 2001, 8 (16); hierzu auch Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (134ff.). 34 Gemeint ist mit dem Wort „auch“, dass im Übrigen Schlüsselbegriffe (Fehler, Mangel, Verbraucher) wie grundsätzliche rechtspolitische Entscheidungen (Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen) durch Richtlinien geprägt werden. 35 Schlechtriem, Wandlungen des Schuldrechts in Europa, ZEuP 2002, 213 (215/216). 36 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 9; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 84. 37 Vgl. hierzu Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 32

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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interesses an der Solvenz seines Gewährleistungsschuldners ist rein wirtschaftlicher und nicht rechtlicher Natur. Sollte es tatsächlich zu einer Insolvenz des Letztverkäufers kommen und das Verbraucherinteresse an einem Gewährleistungsschuldner praktisch relevant werden, ist dem Verbraucher mit dem Regressmodell nicht geholfen38 – hier wäre das einzige Mittel die unmittelbare Herstellerhaftung. Es mag also zwar sein, dass Verbraucher in Einzelfällen mittelbar von den Regressmöglichkeiten des Letztverkäufers profitieren; dieser Gesichtspunkt ist jedoch zur Auslegung und Interpretation von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nicht tauglich. Hierfür spricht auch die Entwicklungsgeschichte der Vorschrift: Wenn die Zwangslage des Letztverkäufers aufgrund des zwingenden Rechts in der Richtlinie nicht bestanden hätte, hätte niemand Erwägungen des Verbraucherschutzes herangezogen, um hieraus Konsequenzen für die Rechtsbeziehungen des Händlers zu den Vorderleuten in der Lieferkette zu ziehen. Derartige Überlegungen standen anfangs weder auf der Agenda der Kommission, noch spielten sie zu Zeiten des Grünbuchs von 1993 eine Rolle. Denn das Grünbuch votierte noch für die unmittelbare Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher und verlor konsequenterweise zu Regressmöglichkeiten für den Letztverkäufer kein Wort. Erst mit der Aufgabe der Herstellerhaftung (begründet mit der Sorge um einen Verstoß gegen den Relativitätsgrundsatz!) wurde die Notwendigkeit deutlich, den Letztverkäufer davor zu bewahren, zum Alleinhaftenden zwischen positiv zwingendem Recht und reiner Privatautonomie zu werden. Normzweck von Artikel 4 der Richtlinie ist damit allein die Hilfe für den Letztverkäufer angesichts der beschriebenen Aspekte der Regressfalle. Artikel 4 der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie stellt sich damit als die Kompensation dafür dar, dass dem Verbraucher kein Direktanspruch gegen den Hersteller gewährt wurde. Profiteur dieser Kompensation ist jedoch nicht der Verbraucher, sondern der Letztverkäufer, und der kompensierte Nachteil ist die trotz Vertragskette und im Zweifel fehlender Mangelverantwortung39 gegebene Alleinschuldnerstellung im positiv zwingenden Recht. Alles Weitere sind Nebenfolgen, die nicht die Ratio des Händlerregresses wiedergeben und somit auch für das Verständnis der Vorschrift keine wesentlichen Anhaltspunkte bieten. Verbraucherschutzerwägungen dienen nicht zum Verständnis von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie40. Dies gebietet eine Interpretation, die an der Genese der Richtlinie orientiert und damit, wenn man so möchte, historischer Natur ist. Wäre es zu einer Herstellerhaftung gekommen, 2561 (2563); M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (226). 38 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2562): Der Verbraucherschutz ist bei Insolvenz des Letztverkäufers „zum Scheitern verurteilt“. 39 Zum Begriff der Mangelverantwortung näher unten S. 202ff. 40 A.A. Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 102, 166.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

hätte es einer Regressregelung nicht bedurft; letztere trat erst nach dem Verzicht auf erstere auf den Plan des europäischen Normgebers. In der hiermit verbundenen Kompensation liegt Sinn und Zweck der Vorschrift. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie kompensiert, mit anderen Worten, die vom Recht selbst vorgenommene, von diesem nicht verantwortete Schlechterstellung des Letztverkäufers. Die Vorschrift folgt damit nur einem materiellen Gerechtigkeitsgebot an den Gesetzgeber, einem Gebot der iustitia distributiva. Der Sinn und Zweck des besonderen Regressrechts im Verbrauchsgüterkaufrecht ist damit aus der Regelung des Verbrauchsgüterkaufrechts selbst zu erklären: Das Recht schuldet dem, den es schwächt, ohne dass er es verdient oder verursacht hat, hierfür eine Kompensation. Denn der Letztverkäufer unterliegt, wie dargelegt, zwingenden Bestimmungen zu seinem Nachteil; abseits von Beschaffenheitsvereinbarungen ist er seiner Privatautonomie im Verbrauchsgüterkaufrecht beraubt. Diese Schwächung ist weder durch eine besondere eigene Verantwortlichkeit seinerseits gerechtfertigt noch durch eine besondere Möglichkeit der Risikosteuerung. Andere Auslegungsmöglichkeiten für Artikel 4 der Richtlinie drängen sich demgegenüber nicht auf. Eine systematische Interpretation ist nur schwerlich möglich, da die Vorschrift innerhalb der Richtliniengefüges ja gerade eine Ausnahmestellung hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs einnimmt, so dass als weitere der traditionellen Auslegungsmethoden im Grunde nur der Wortlaut verbliebe. Dieser jedoch ist dürftig. IV. Regressfallen in der vertraglichen Praxis Der Frage, ob die beschriebene Regressfalle tatsächlich besteht (bzw. ohne unterstützende nationale Regelungen i.S.v. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bestünde) und ob sie die praktische Brisanz hat, die ihr zugeschrieben wird, widmet sich ausführlich Karsten Schmidt („Eine Erfindung der Theorie?“)41. Er kommt zu dem Schluss, dass es zwar hier und da Regressfallen gebe, jedoch bei weitem nicht in der Häufigkeit, von der bisweilen ausgegangen werde. Wo vorhanden, seien sie durch „standardisierte Problemlösungen“ in der Praxis des Warenhandels auch ohne eigenes gesetzliches Regressrecht bereits weitgehend entschärft42. Auf diese vertraglichen Lösungen kommt es somit auch Schmidt bei der Behandlung der Regressproblematik in erster Linie an. Die Regressproblematik löst sich Karsten Schmidt zufolge bei breit gestreuten Massenprodukten, insbesondere im Bereich der Lebensmittel und Drogeriewaren, schon automatisch, quasi auf natürlichem Wege: Im Fall von Sachmängeln 41

Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (429ff.). 42 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (429).

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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würde nicht die Rechts-, sondern die Service- bzw. Vertriebsabteilung tätig, und zu einem Rechtsstreit komme es gar nicht. Dies erkläre sich aus dem Wert der Marken im Wettbewerb, die es ihrem Inhaber nicht erlauben würden, sich auf Streit einzulassen: „Die Pflege der Marke schließt einen Rückzug auf Rechtspositionen aus.“43 Hinzu komme bei Massengütern die Nachfragemacht der größeren Handelsunternehmen, die für diese ein Instrument zur Durchsetzung effektiver vertraglicher Regressmöglichkeiten gegenüber der Industrie biete: Von diesen Marktmechanismen profitierten aufgrund der kartellrechtlichen Diskriminierungsverbote44 auch kleinere Händler, was deren gesetzlichen Schutz durch besonderes gesetzliches Regressrecht in den meisten Fällen überflüssig mache45. Marktmächtige Händler würden vielmehr im Rahmen ihrer eigenen Vertragsverhandlungen mit der Industrie zu „unfreiwilligen Anwälten“ ihrer schwächeren Konkurrenten, und je mehr vertragliche Lösungen auf diese Weise zustande kämen, desto weniger Anlass bestünde zur Sorge um – und zum gesetzlichen Schutz für – weniger marktmächtige Händler46. Neben der breit gestreuten Massenware nimmt Karsten Schmidt eine weitere große Gruppe von Produkten, die hochwertigen Güter, aus der Regressproblematik aus. Hier sei es ohnehin üblich, dass der Hersteller oder der Importeur eine Kundengarantie (§ 446 BGB) abgebe, wodurch sich das Problem im Grunde darauf reduziere, wie die Erfüllung der Garantieansprüche zu organisieren sei, ob beispielsweise durch ein eigenes Servicenetz des Herstellers oder über den Handel. Eine Regressfalle sei jedenfalls bei hochwertigen Gütern ebenso wenig ersichtlich wie bei Massen- und Markenware47. Diese Erwägungen führen Karsten Schmidt zu dem Schluss, das Phänomen der Regressfalle sei weit überschätzt. Es könne in der Praxis nur dann von einer Regressfalle die Rede sein, wenn es sich bei der mangelhaften Ware weder um Markenartikel noch um höherwertige Güter handele. Eine Schutzlücke sei weiterhin dort denkbar, wo Garantiemodelle hinter der gesetzlichen Gewährleistung zurückblieben, beispielsweise in zeitlicher Hinsicht48; beide Konstellationen seien allerdings Randerscheinungen auf dem Markt und könnten nicht als prägend für die wirtschaftliche Realität angesehen werden. 43 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (430). 44 § 20 GWB. 45 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (430). 46 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (431). 47 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (430). 48 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (430).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Diesen Ausführungen ist in praktischer und wirtschaftlicher Hinsicht weitgehend zuzustimmen, auch wenn sie, wie dies in dieser Thematik kaum zu vermeiden ist, von gewissen Pauschalierungen gekennzeichnet sind. So wäre die These, Reklamationen seien bei Markenware nur Sache der Serviceabteilungen, nie hingegen der Rechtsabteilungen, noch zu überprüfen, und es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegen ihre vollständige Bestätigung. Pauschale Aussagen sind jedoch, wie gesagt, bei der Beschreibung von Marktmechanismen unvermeidlich, und darum liegt der Haupteinwand gegen die Einschätzung von Schmidt auch in der Bedeutung, die wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhängen gegenüber rechtlichen gegeben wird: Denn das mit dem Kompensationsgedanken angesprochene rechtliche Problem bleibt ohne besonderes gesetzliches Regressrecht jedenfalls ungelöst. Wenn eine rechtliche Regressfalle dergestalt besteht, dass das Verbrauchsgüterkaufrecht den Letztverkäufer als im Zweifel nicht Mangelverantwortlichen einerseits in die zwingende Haftung nimmt, ihn jedoch andererseits nicht bei der sachlich gerechtfertigten Weitergabe dieser Haftung unterstützt, so kann der Hinweis darauf, dass die Praxis schon zu adäquaten Lösungen finden werde, nicht das letzte Wort sein49. Das Recht steht hier ja gerade deswegen in der Pflicht, weil die Situation des Letztverkäufers erst durch das Recht selbst entstanden ist. Wer demgegenüber nur praktische oder wirtschaftliche Aspekte wahrnimmt, verkennt die Bedeutung zwingenden Rechts. Ein weiterer, allerdings untergeordneter Aspekt eines funktionierenden Regressrechts für die Praxis bildet das Verhältnis zwischen Verbraucher und Letztverkäufer; hierauf hat der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Gemeinschaften in seiner Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag der Kommission von 1996 hingewiesen. Solange der Letztverkäufer über eine rechtlich gesicherte Basis für seinen eigenen Regress gegenüber seinem Lieferanten oder, je nach Modell, anderen Vorderleuten verfügt, wird es ihm leichter fallen, sich auf die Reklamationen des Verbrauchers einzulassen. Gesetzliches Regressrecht hat somit „in der Regel auch entscheidende Auswirkungen auf die Bereitschaft des Letztverkäufers, eine für den Verbraucher zufriedenstellende Lösung zu finden.“50 49 Dem ehemaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Helmut Kohl, wird gemeinhin die Aussage zugeschrieben, wichtig sei, „was hinten rauskommt“. Übertragen auf das Regressrecht würde dies bedeuten, es sei im Grunde gleichgültig, ob der Letztverkäufer durch die Rechtsordnung selbst schlechter gestellt würde, und es sei ebenso gleichgültig, ob der Grund für diese Schlechterstellung in seinem Verantwortungsbereich liege, solange er nur im Ergebnis die Möglichkeit habe, dies irgendwie wirtschaftlich zu verkraften. Eine alternative Sichtweise orientiert sich nicht daran, was „hinten rauskommt“, sondern was vorne hineingetan wird: Hiernach steht die Rechtsordnung unter dem materiell-rechtlichen Gebot, unverdiente Schlechterstellungen, die sie selbst geschaffen hat, zu kompensieren. 50 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5 (7), 2.6.

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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V. Zur Reichweite des Umsetzungsgebots Wie weit die Bindungswirkung von Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf reicht, wurde und wird diskutiert. Die Annahme eines „seitengleichen Regresses“, also eines Anspruchs des Letztverkäufers gegen den Lieferanten in allen Fällen eigener Haftung, dürfte sicherlich übertrieben sein, nachdem die Richtlinie ja selbst, wenn schon nicht auf das Verschulden, so doch zumindest auf eine dem Regressschuldner anzulastende Vertragswidrigkeit abstellt. Ebenso dürfte die Annahme, die Richtlinie wolle unter allen Umständen vermeiden, dass innerhalb von Vertragsketten irgendeine Form von Regressfalle entstehe, über das Ziel hinausschießen – hierfür ist die Formulierung in Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu vage51. Hieraus resultiert die Frage, wie weit der Auftrag von Artikel 4 reicht, ob z.B. die Richtlinie die Mitgliedstaaten überhaupt dazu verpflichtet, ein über das gewöhnliche Gewährleistungsrecht hinausgehendes spezielles Regressrecht einzuführen. Dies wird zum einen innerhalb Deutschlands, zum anderen auch von den verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten ganz und gar unterschiedlich gesehen: Die amtliche Begründung des Entwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geht davon aus, dass eine solche Regressmöglichkeit des Letztverkäufers in einer nationalen Rechtsordnung zu bestehen habe, der Gesetzgeber also nicht schlicht untätig bleiben und den Letztverkäufer auf das gewöhnliche Gewährleistungsrecht verweisen könne52. Demgegenüber wurde im deutschen Schrifttum wiederholt die Meinung vertreten, die Richtlinie verlange, sofern überhaupt eine Gewährleistungsmöglichkeit des Letztverkäufers gegenüber dem Lieferanten bestehe, von den Mitgliedstaaten nicht einmal eine spezifische Regressregelung53. Das gewöhnliche Gewährleistungsrecht des Letztverkäufers gegenüber seinem Lieferanten reiche zumindest dann im Hinblick auf die Umsetzung von Artikel 4 der Richtlinie aus, wenn dieses Gewährleistungsrecht effektiv sei, weswegen beispielsweise für das deutsche Recht überhaupt kein Umsetzungsbedarf bestanden hätte. Aus diesem Grunde stellten sich beim Umgang mit den deutschen Vorschriften in §§ 478, 479 BGB auch keine Fragen der richtlinienkonformen Auslegung54. In gewisser Weise tritt in dieser Argumentation die Effektivität des Ge51

MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2. BT-Drucksache 14/6040, S. 247. 53 Tonner, Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und Europäisierung des Zivilrechts, BB 1999, 1769 (1774); Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (383); MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2; Graf von Westphalen, DB 1999, 2553. 54 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2. Zum Begriff der richtlinienkonformen Auslegung: Nationale Vorschriften der Mitgliedstaaten, deren Anwendungsbereich sich mit dem Anwendungsbereich Europäischer Richtlinien überschneidet, sind innerhalb dieser Schnittmenge richtlinienkonform auszulegen. Dies folgt unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht und bildet aus diesem Grund einen gegenüber anderen Regeln vorrangigen Auslegungsgrundsatz; 52

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

währleistungsrechts an die Stelle der Effektivität der Richtlinienumsetzung55, was wiederum darauf beruht, dass Regress- und Gewährleistungsrecht als strukturell äquivalent angesehen werden. Zu dieser Richtlinieninterpretation sind übrigens auch der englische und der irische Gesetzgeber gekommen, die im Rahmen der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in nationales Recht auf gesetzliche Sondervorschriften zum Händlerregress vollständig verzichtet haben56. Die Auffassung, angesichts eines effektiven Gewährleistungsrechts ließe sich Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ignorieren, überzeugt nicht. Denn die Situation des Letztverkäufers unterscheidet sich, wie oben beschrieben wurde, von der eines gewöhnlichen Gewährleistungsgläubigers. Er befindet sich – und dies haben auch die Verfasser der Richtlinie gesehen – in einer Situation, die durch das Recht selbst erst erschwert wurde, nämlich an der Schnittstelle von positiv zwingendem Recht im Verbrauchervertrag und Privatautonomie in der Handelskette. Diese Position ist das eigentliche Kennzeichen der Regressfalle, und dieser besonderen Situation muss ein Regressrecht gerecht werden. Hierauf ist das allgemeine Gewährleistungsrecht nicht zugeschnitten, wie die oben beschriebenen vier Aspekte der Regressfalle verdeutlichen57. Irgendeine Form von besonderem Regress des Letztverkäufers und weiterer Glieder in der Lieferkette war also von den Mitgliedstaaten zusammen mit dem Verbrauchsgüterkaufrecht einzurichten, und die sich hieraus ergebenden europarechtlichen Gebote der Richtlinienumsetzung, insbesondere die Grundsätze des effet utile58 und der richtlinienkonformen Auslegung59, haben auch im Rahmen der Regressvorschriften ihre Bedeutung. VI. Zur Disponibilität des Regressrechts Hiermit ist allerdings die positiv-rechtliche Frage, ob das Regressrecht selbst materiell oder wirtschaftlich zwingend zu sein hat, inwieweit es also in dieser Beziehung dem Verbrauchsgüterkaufrecht zu entsprechen hat, noch nicht geklärt; ihre Beantwortung ist aber zumindest vorbereitet. Denn wenn man sich auf den Standpunkt einlässt, dass der Letztverkäufer in seiner Position zwischen positiv zwingendem Verbrauchsgüterkaufrecht und privatautonom gestaltbarem HanCanaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in: Koziol/Rummel (Hrsg.), Festschrift für Bydlinski 2002, S. 47 (64); Streinz/ Streinz, Art. 10 EGV Rdn. 35; Blaurock, Europäisches Privatrecht, JZ 1994, 270 (275); Kainer, Die Verbrauchsgütergewährleistungsrichtlinie und ihre kaufrechtliche Umsetzung in das deutsche Recht, AnwBl 2001, 380 (382). 55 Art. 10 EG. 56 Zur Umsetzung von Art. 4 in den Mitgliedstaaten unten S. 152. 57 Vgl. oben S. 135. 58 Art. 10 EG; hierzu Drexl, Verbraucherrecht – Allgemeines Privatrecht – Handelsrecht, in: Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts, S. 97 (100). 59 Hierzu oben Fn. 54.

B. Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie

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delsrecht eines gesetzlichen Schutzes bedarf, so liegt es auf der Hand, dass dieser Schutz nicht seinerseits beliebig abdingbar sein darf. Aus diesem Grund ist von Anfang an ein, wenn auch geringer, Teil der Literatur in Deutschland zu dem richtigen Schluss gelangt, die Richtlinie gebiete es, dem Letztverkäufer einen „effektiven Regress“ zu eröffnen, welcher nicht bereits im bloßen Vorhandensein abdingbarer Gewährleistungsrechte liegen könne60. Ebenso hatte schon der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Gemeinschaften in seiner Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag von 1996 noch darauf gedrängt, das Regressrecht bereits in der Richtlinie ebenso zwingend auszugestalten wie das eigentliche Verbrauchsgüterkaufrecht Eine Einschränkung des Regressrechts sollte, dem Ausschuss zufolge, weder durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften noch durch vertragliche Vereinbarung erfolgen können, und der zwingende Charakter des Verbrauchsgüterkaufrechts sollte auch den Letztverkäufern bei Ausübung ihres Regressrechts zugute kommen61. Dem ist der europäische Normgeber jedoch nicht gefolgt. Der Grund hierfür dürfte freilich weniger in den Besonderheiten des Verbrauchsgüterkaufrechts als im europäischen Primärrecht liegen. Die Kommission war sich der Tatsache bewusst, dass ein zwingender Regressanspruch weitreichende Konsequenzen für das Unternehmerprivatrecht in den Mitgliedstaaten mit sich bringen würde. Ein Eingriff in diese handelsrechtlichen Strukturen sollte vermieden werden, um nicht in Gefahr zu geraten, die sich aus Artikel 95 EG ergebende Kompetenz zu überschreiten. Unzweifelhaft ist nämlich zwingendes Handelsrecht nur schwerlich mit Binnenmarktüberlegungen zu begründen, und auch Erwägungen zum Verbraucherschutz werden hierfür nicht hinreichen62. In ihrer endgültigen Fassung schreibt die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie es darum den Mitgliedstaaten gerade nicht vor, den Händlerregress seinerseits als zwingendes Recht auszugestalten, was bereits daraus geschlossen werden kann, dass die Unabdingbarkeitsklausel in Artikel 7 der Richtlinie nur Abweichungen zu Ungunsten der Verbraucher ausschließt63. Auch Erwägungsgrund Nr. 9 spricht hierzu eine deutliche Sprache und sieht die Abdingbarkeit des Regressrechts ausdrücklich vor64. 60

Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 659, m. w. Nachw. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5 (9), 3.20. 62 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 141; Ehmann/Rust, Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, JZ 1999, 853 (862). 63 Janssen, Das Rückgriffsrecht des Letztverkäufers gemäß der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und das schwierige Verhältnis zum UN-Kaufrecht, The European Legal Forum 2003, 181; ebenso MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 2; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 33. 64 Aus Erwägungsgrund Nr. 9 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf: „(...) Der Verkäufer muss allerdings nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts den Hersteller, einen früheren Verkäufer innerhalb derselben Vertragskette oder eine andere Zwischenperson in Re61

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

In diesem Sinne votierte auch die Literatur in Deutschland dafür, nicht in die unternehmerische Vertragsfreiheit einzugreifen. Exemplarisch seien die Ausführungen von Ziegler/Rieder während des Gesetzgebungsprozesses zur deutschen Schuldrechtsreform zitiert, ein die unternehmerische Privatautonomie einschränkender Schutzmechanismus zugunsten des Letztverkäufers sei überflüssig: „Hauptirrtum der Gesetzesverfasser dürfte das Missverständnis sein, aus Gerechtigkeitsgründen müsse ein Regress in der Lieferkette möglich sein (...). In Wirklichkeit sind Gewährleistungsregresse – anders als die Gewährleistungsrechte des Endkunden – keine Frage der Gerechtigkeit, sondern der kaufmännischen Kalkulation, der Vertragsverhandlungen und der Gestaltung von Betriebsabläufen. Den Unternehmen sollte daher der bislang existierende privatautonome Spielraum für eine sinnvolle, dem Einzelfall angemessene Verteilung des Regressrisikos zurückgegeben werden.“65

Der deutsche Gesetzgeber hat sich dennoch dazu entschieden, dem Letztverkäufer besonderen Schutz angedeihen zu lassen und die Regressregeln der privatautonomen Abbedingung durch die Parteien zumindest teilweise zu entziehen66. Vom Regressrecht des BGB kann vertraglich nur dann abgewichen werden, wenn dem Regressgläubiger vom Lieferanten ein „gleichwertiger Ausgleich“ gewährt wird. Ähnliche positiv-rechtliche Eingriffe in die unternehmerische Vertragsfreiheit finden sich innerhalb des europäischen Panoramas nur noch in den Niederlanden67 und in Portugal68. Da der zwingende Charakter des Regressrechts, dem deutlichen Wortlaut der Richtlinie nach, nun offensichtlich nicht geboten war, wird in der deutschen Literatur mehrheitlich davon ausgegangen, der hierzulande vorgenommene Eingriff in die unternehmerische Vertragsfreiheit sei ein überflüssiger Schritt gewesen, von dem man besser Abstand genommen hätte69. Exemplarisch seien Ausführungen von Grundmann zitiert, der wie viele andere ein frei abdingbares Regressrecht bevorzugt hätte: „Dies gilt um so mehr, als damit nur zur Regel – der Privatautonomie – zurückgekehrt wird und als deren Einschränkung zwischen Unternehmern im Europäischen Schuldvertragsrecht einen Schritt darstellte, für den es bisher nicht einen Präzedenzfall gibt und der daher gress nehmen können, es sei denn, dass er auf dieses Recht verzichtet hat. Diese Richtlinie berührt nicht den Grundsatz der Vertragsfreiheit in den Beziehungen zwischen dem Verkäufer, dem Hersteller, einem früheren Verkäufer oder einer anderen Zwischenperson. (...).“ 65 Ziegler/Rieder, Vertragsgestaltung und Vertragsanpassung nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, ZIP 2001, 1789. 66 § 478 Abs. 4 BGB; hierzu eingehend unten S. 144ff. 67 Hierzu unten S. 152. 68 S. 191. Exemplarisch für die entgegengesetzte Haltung sei Österreich angeführt, wo der Händlerregress zwar ebenfalls geregelt, jedoch frei abdingbar ist, § 933b ABGB; zum Regressrecht in Österreich unten S. 155. 69 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 141; Lorenz, „Unternehmer – Unternehmerlein – Verbraucher“: Ein neues Leitbild? RIW 10/2004, Die erste Seite; so auch Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 26.

C. Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland

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explizit hätte getan werden müssen. Dispositiv darf die nationale Rückgriffsregelung also sicherlich sein.“70

Dies ist europarechtlich unzweifelhaft richtig; der Wortlaut der Richtlinie lässt hieran keinen Zweifel. Umsetzungen des Regressrechts, die dieses zur völligen Disposition der Parteien stellen, sind richtlinienkonform. Und dennoch: Wenn die oben vorgetragene Interpretation von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie richtig ist und diese Vorschrift den beschriebenen kompensatorischen Zweck verfolgt, kann der Gesetzgeber bei einer frei abdingbaren Regressregelung nicht stehen bleiben. Ohne eigenes Regressrecht, das zumindest einen Teil der Privatautonomie des Lieferanten beschneidet, stünde der Letztverkäufer ungeschützt zwischen zu seinen Lasten wirkendem positiv zwingendem Recht und Privatautonomie, ohne dass hierfür eine materiell-rechtliche Begründung im Sinne eigener Mangelverantwortlichkeit zur Verfügung stünde. Diese Schlechterstellung verdankt er einzig der Richtlinie. Wer dies als die Ratio des Regressrechts anerkennt, muss dem Letztverkäufer eine Kompensation zuteil werden lassen, die ihrerseits nicht vollständig privatautonomer Disposition unterliegen darf. Der deutsche Gesetzgeber hat somit – wenn er mit dem Regressmodell auch nur die zweitbeste71 Lösung gefunden hat – mit der Einschränkung der unternehmerischen Vertragsfreiheit richtig gehandelt. Die Richtlinie will der Sache nach vermeiden, dass der Letztverkäufer in die Zange zwischen zwei Schutzniveaus – dem des Verbrauchers bzw. Käufers und seinem eigenen – gerät72. In dieser Zange befindet er sich in Ländern, die das Regressrecht vollständig dispositiv ausgestaltet haben, nach wie vor: Dort ist er der einzige vom positiv zwingenden Recht Betroffene. Nachdem nun ein Blick auf Inhalt und Ratio von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie geworfen wurde, sollen im Folgenden die in einigen Mitgliedstaaten erfolgten Umsetzungen betrachtet werden. Es wird sich erweisen, dass der Diversität hier kaum Grenzen gesetzt sind – ein Umstand, der später auch für eine einheitliche europäische Lösung ins Feld zu führen sein wird.

C. Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland I. Unselbständiger und selbständiger Regress Innerhalb Europas ist die deutsche Umsetzung von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in den §§ 478, 479 BGB mit Abstand die detaillierteste und, es 70 Grundmann, Internationalisierung und Reform des deutschen Kaufrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (310). 71 Vorzugswürdig wäre eine unmittelbare Herstellerhaftung; hierzu eingehend unten § 7, S. 198ff. 72 Janssen, Das Rückgriffsrecht des Letztverkäufers gemäß der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und das schwierige Verhältnis zum UN-Kaufrecht, The European Legal Forum 2003, 181.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

lässt sich nicht verhehlen, auch die komplizierteste. Modifiziertes Gewährleistungsrecht wird mit einem eigenen selbständigen Anspruch kombiniert; die Vermutung der Mangelhaftigkeit wird aus dem Verbrauchervertrag in die Regressverhältnisse übertragen; hinzu kommen komplizierte Regelungen zur Verjährung sowie die beschriebene Einschränkung der unternehmerischen Vertragsfreiheit, die allerdings ihrerseits nicht vollständig, sondern „wirtschaftlich“ ist. Grundtatbestand des Regressrechts im BGB ist § 478 Abs. 1 – eine Vorschrift, die keinen eigenen Anspruch enthält, sondern die Gewährleistung des Letztverkäufers gegenüber seinem Lieferanten und weiterer Abnehmer in der Lieferkette erleichtert („modifiziertes Gewährleistungsrecht“, „unselbständiger Regress“). Hiernach müssen, falls der Endkäufer einer neuen beweglichen Sache als Verbraucher handelt, der Letztverkäufer und nach ihm alle weiteren unternehmerischen Zwischenerwerber in der Handelskette73 ihrem jeweiligen Lieferanten vor Rücktritt, Minderung und Schadensersatzverlangen entgegen den allgemeineren Vorschriften der §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB keine Nachfrist setzen, womit den jeweiligen Lieferanten das Recht zur zweiten Andienung genommen ist74. Bestünde das Fristsetzungserfordernis, das dem Gewährleistungsschuldner die Möglichkeit der Nacherfüllung geben soll, so würde dem Regressgläubiger das Verbrauchsgut ein weiteres Mal aufgedrängt und er wäre im Zweifel dazu gezwungen, es erneut zu verkaufen75. „Unselbständig“ ist dieser Anspruch deswegen, weil er keinen eigenen besonderen Rechtsbehelf des Regressgläubigers enthält, sondern lediglich die bestehenden Gewährleistungsrechte zu seinen Gunsten modifiziert76. Dies gilt, wie das gesamte Regressrecht, für alle Lieferantenverhältnisse innerhalb der Händlerkette (Binnenverträge) unter der Voraussetzung, dass die Beteiligten Unternehmer sind77. Der Gebrauchtwagenhändler, der ein Fahrzeug von Privat erwirbt und an Privat weiterveräußert, kommt also nicht in den Genuss der Regressregelung gegenüber seinem Vorverkäufer. Zu der Modifikation der Gewährleistungsrechte kommt mit § 478 Abs. 2 BGB78 ein selbständiger Regressanspruch79. Hiernach kann der Regressgläubiger 73

§§ 478 Abs. 5 BGB. Hierzu Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: DaunerLieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427; Westermann, Das neue Kaufrecht, NJW 2002, 241 (252); Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (229); Hassemer, Der Regress des Letztverkäufers, JURA 2002, 841; Schubel, Schuldrechtsreform: Perspektivenwechsel im Bürgerlichen Recht und AGB-Kontrolle für den Handelskauf, JZ 2001, 1113 (1116). 75 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 5. 76 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 4. 77 §§ 478 Abs. 5, 479 Abs. 3 BGB. 78 Die Vorschrift lautet: „Der Unternehmer kann beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von seinem Lieferanten Ersatz der Aufwendungen verlangen, die der Unternehmer im Verhältnis zum Verbraucher nach § 439 Abs. 2 zu tragen hatte, wenn der vom Verbraucher geltend gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Unternehmer vorhanden war.“ 79 Tröger, Aufwendungsersatz nach § 478 Abs. 2 BGB, ZGS 2003, 296; Staudinger/Matu74

C. Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland

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von seinem Lieferanten Ersatz derjenigen Aufwendungen verlangen, die er aufgrund der Nacherfüllung gegenüber dem Verbraucher nach § 439 Abs. 2 BGB zu tragen hatte80. Der Letztverkäufer kann somit die Kosten der Nacherfüllung unmittelbar an den Lieferanten durchreichen, ohne dass diesem eine dem § 439 Abs. 3 BGB vergleichbare Einrede zustünde81. Zusammen mit Abs. 1 der Vorschrift bildet diese Regelung damit ein Mischsystem, das einerseits in einer Stärkung der Gewährleistungsansprüche, andererseits in einem eigenständigen Aufwendungsersatz besteht82. sche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 37; Wilhelm, Der Händlerregress an der Schnittstelle von Privat- und Gemeinschaftsrecht, ecolex 2003, 231 (232). 80 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Regress nehmende Unternehmer den Gewinn aus dem Weiterverkauf behalten soll, was ja im Rahmen des unselbständigen Regresses nach § 478 Abs. 1 BGB nur im Wege eines verschuldensabhängigen und zudem abdingbaren Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung möglich wäre (zu diesem Wertungswiderspruch Ernst/Gsell, Kritisches zum Stand der Schuldrechtsmodernisierung, ZIP 2001, 1389, 1395; MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 5). Karsten Schmidt verteidigt diese ökonomisch unterschiedlichen Ergebnisse mit zwei Gesichtspunkten: Zum ersten ergebe sich im Fall des § 478 Abs. 2 BGB aus der Vertragsdurchführung durch den Regressgläubiger eine andere Situation als bei Rücknahme der Ware im Fall von § 478 Abs. 1 BGB. Der Letztverkäufer verdiene im ersteren Fall „einen anderen Lohn“. Abgesehen davon sei zwischen dem Gewinn aus dem Verbrauchsgüterkauf einerseits und einem Gewinn aus der Nacherfüllung andererseits zu unterscheiden: Letzteres sei als eine Art von Werklohn nicht von § 478 Abs. 2 BGB gedeckt, während der Gewinn aus dem Kaufvertrag dem Letztverkäufer zustehe; schließlich sei dieser ja durchgeführt worden (Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: DaunerLieb u.a., Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427, 434). Anders mit Recht Graf von Westphalen, der eine Parallele zur Geschäftsbesorgung zieht (DB 1999, 2553, 2555). Es handele sich bei der Nacherfüllung durch den Letztverkäufer – ganz gleich, ob dieser Vertragshändler des Herstellers sei oder nicht – in Wirklichkeit um eine Art von Werkleistung für den Hersteller, so dass dem nacherfüllenden Letztverkäufer auch hierfür ein Gewinnanspruch zustehe. Diese Deutung des Regressmodells hat, soweit ersichtlich, in Deutschland keine Mehrheit gefunden. Schon die Regierungsbegründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat sich gegen diese Sichtweise gewandt, und die Literatur folgt ihr in der Mehrheit: Ein gesetzlicher Aufwendungsersatzanspruch stelle jedenfalls keinen Werklohnanspruch dar (Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a., Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427, 437). Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Sichtweise von Westphalen in ökonomischer Hinsicht zutrifft. Denn Einigkeit besteht ja darüber, dass im Zweifel der Hersteller bzw. Importeur am Ende mit den Mangelkosten, einschließlich der Aufwendungen zur Mangelbeseitigung, zu belasten sei. Damit mag zwar nicht die These vom Werkunternehmer zu begründen sein, wohl aber die ökonomische Sichtweise von Westphalen, der zufolge der Letztverkäufer in Wirklichkeit nicht für sich, sondern für den Hersteller tätig wird. 81 Der Lieferant kann sich also insbesondere nicht darauf berufen, die Nacherfüllungskosten seien unverhältnismäßig hoch, § 439 Abs. 3 BGB. 82 Kein Konflikt entsteht mit dem allgemeinen Aufwendungsbegriff des „freiwilligen Vermögensopfers“: Zwar werden die im Rahmen von § 478 Abs. 2 BGB geltend gemachten Nacherfüllungskosten für den Letztverkäufer in der Regel unfreiwillig gewesen sein; die Definition des freiwilligen Vermögensopfers dient jedoch in erster Linie der Abgrenzung zum Schaden. Die Nacherfüllungskosten stellen somit, wie beispielsweise auch die „unfreiwillige“ Leistung eines in die Haftung genommenen Personengesellschafters oder Bürgen, Aufwendungen dar. Hierzu Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (435).

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II. Beweislastumkehr zugunsten des Regressgläubigers Die deutsche Regressregelung wird durch eine für den jeweiligen Schuldner von Regressansprüchen äußerst empfindliche Vorschrift ergänzt, wonach im Regressfall auch für das Innenverhältnis der Lieferanten vermutet wird, dass die Kaufsache bereits bei Gefahrübergang auf den unternehmerischen Käufer mangelhaft war, sofern sich der betreffende Mangel innerhalb eines halben Jahres nach Gefahrübergang auf den Endverbraucher gezeigt hat83. Jedes unternehmerische Glied innerhalb der Lieferkette kann sich also auf die Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit der Kaufsache berufen, wenn innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang an den Verbraucher ein Sachmangel zutage tritt. Diese Übertragung der Mangelvermutung aus dem Verbrauchervertrag in die Lieferkette hinein ist innerhalb Europas einzigartig. Eine gewisse Entschärfung dieser Regelung liegt allerdings darin, dass diese in Deutschland, wie das ganze Regressmodell, nur für neu hergestellte Waren gilt und damit wesentlich enger ist als die Beweislastumkehr im unmittelbar zwischen Verbraucher und Letztverkäufer bestehenden Verhältnis, die ja prinzipiell in gleicher Weise Neu- wie Gebrauchtwaren betrifft84. Folgt man der in dieser Arbeit aufgestellten These, dass das Recht es dem Letztverkäufer schuldet, die durch die Rechtsordnung selbst bewirkte, unverdiente Schlechterstellung zumindest abzumildern (Kompensationsgedanke85), so ist diese Regelung im Hinblick auf einen effektiven Regressanspruch des Letztverkäufers notwendig86: Er stünde bei Unbeweisbarkeit eines anfänglich vorliegenden Mangels dem Verbraucher gegenüber einerseits in der zwingenden Haftung, könnte sich jedoch andererseits gegenüber seinem Lieferanten nicht auf eine ähnliche Vermutung berufen. Dies wäre im Ergebnis nichts anderes als eine dahingehende gesetzliche Vermutung, dass der Mangel beim Letztverkäufer entstanden wäre, und eine derartige Vermutung wäre nicht nur unbillig, sondern auch vollständig lebensfremd. Die Konsequenzen dieser Regelung für den Handelskauf sind dennoch erheblich, da Lagerzeiten und andere Verzögerungen in der Lieferkette nicht berücksichtigt werden. Bis spätestens fünf Jahre nach Lieferung87 kann der Abnehmer sich also möglicherweise noch auf die anfängliche Mangelhaftigkeit berufen. Dies wird vor allem in solchen Fällen problematisch, in welchen ein Zwischenhändler 83

§ 478 Abs. 3 BGB: „In den Fällen der Absätze 1 und 2 findet § 476 mit der Maßgabe Anwendung, dass die Frist mit dem Übergang der Gefahr auf den Verbraucher beginnt.“ 84 Hierzu M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (227): Die Beweislastumkehr beruhe der Sache nach auf der Annahme, „dass alleine die Benutzung einer neu hergestellten Sache innerhalb von sechs Monaten nicht zur Mangelhaftigkeit“ führe. 85 Hierzu oben S. 119. 86 Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 422. 87 § 479 Abs. 2 Satz 2 BGB.

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das Verbrauchsgut tatsächlich über längere Zeit, womöglich sogar unsachgemäß, eingelagert hat. Auch zugunsten dieser Partei greift nun eine – vom Lieferanten nur schwer zu widerlegende – gesetzliche Vermutung, die erst mit dem letzten Vertrag in der Lieferkette (den Verbrauchervertrag) ausgelöst wird und überdies desto länger wirkt, je länger die Lagerung dauert. Gerade dieser letzte Umstand erscheint problematisch: Wo sonst bestünde im Handelsverkehr die Möglichkeit einer Prolongierung der eigenen Rechtsposition durch bloßes Zuwarten? Der Zeitraum, während dessen die anfängliche Mangelhaftigkeit für das Lieferantengeschäft vermutet wird, kann bis zu fünf Jahre betragen, was eine für den Handelsverkehr im Grunde völlig sachfremde Dauer ist88. In gewisser Weise wird innerhalb dieses Zeitraums zu Ungunsten eines jeden Regresspflichtigen fingiert, er habe die Ware selbst direkt an den Verbraucher verkauft89, und wenn die besondere Wirkungsweise des positiv zwingenden Rechts in Vertragsketten, sich nämlich von Handelsstufe zu Handelsstufe in sie „hineinzufressen“90, an einer Stelle besonders anschaulich wird, so ist dies hier. Der allgemeine Mechanismus, der hieran deutlich wird, wurde oben bereits beschrieben91: Dem heteronomen Vertragsrecht wohnt eine Tendenz inne, sich auf Dritte auszudehnen. Hier liegt das heteronome Element in der Beweislastumkehr des Verbrauchsgüterkaufrechts, und seine Fortwirkung kann durch die Lieferkette hindurch wahrgenommen werden. Die Einwirkungsmöglichkeit der Zwischenhändler darauf, bis wann sich die Haftung des Herstellers letztlich realisiert (Haftungsprolongation durch Zuwarten), summiert sich im Übrigen zu der unten noch zu behandelnden92 Abhängigkeit des gesamten Regressmodells davon, ob am Ende der Vertragskette tatsächlich ein Verbraucher steht. Die Regresshaftung aller Zwischenhändler sowie des Herstellers ist somit, gelinde ausgedrückt, von erheblichen Unsicherheiten bestimmt und in gewisser Weise der Willkür der Regressgläubiger ausgesetzt. Die Übertragung der Mangelvermutung in die Lieferkette hinein beinhaltet auch einen Relativitätsaspekt: Auf den ersten Blick ist die Tatsache, dass der Zeitpunkt des Verbrauchervertragsschlusses in den vorgelagerten Vertragsverhältnissen die Beweislastumkehr auslöst, nichts anderes als eine lupenreine Drittwirkung. Ein weiteres Mal sei jedoch zwischen autonomen und heteronomen Elementen in Vertragsketten unterschieden. Dann wird deutlich, dass zwar der Letztverkäufer entscheiden kann, welches Recht in der Vertragskette vor ihm gilt, 88 So auch Scheibach, Die Anpassung der Neuwagenverkaufsbedingungen, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 739 (750): „eine weit über das Erforderliche hinausgehende Möglichkeit, (...) Lieferanten in Regress zu nehmen“. 89 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (434). 90 Diese Wirkungsweise wird als „Raupentheorie“ unten (S. 149) behandelt. 91 Oben S. 79. 92 Unten S. 142ff.

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er also Fremdwirkungen auslöst, es jedoch der Gesetzgeber war, der das fortwirkende Element eingeführt und mit der Entscheidung über die Fortwirkung zugleich über den Adressaten entschieden hat. Die Regelung in § 478 Abs. 3 BGB bildet ein anschauliches Beispiel für die Außenwirkungen „modernen“ heteronomen Schuldrechts: Nicht mehr die Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB sind es, die hier nach außen wirken, sondern das heteronome Käuferschutzrecht in Gestalt der Beweislastumkehr. III. Verjährung Auch die Verjährung von Rückgriffsansprüchen ist zugunsten des in Anspruch genommenen Unternehmers geregelt (§ 479 BGB): Der besondere Aufwendungsersatzanspruch verjährt in zwei Jahren ab Ablieferung der Sache; die Verjährung der Gewährleistungs- und Regressansprüche des Unternehmers gegen seinen Lieferanten tritt frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in welchem der Unternehmer die Ansprüche des Verbrauchers erfüllt hat (Ablaufhemmung), um die oben behandelte Verjährungsfalle zu vermeiden93. Für den Lieferanten – gleich ob Hersteller oder Zwischenhändler – entsteht durch dieses Verjährungsmodell eine erhebliche planerische Unsicherheit. Er weiß zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und danach nicht, innerhalb welcher Zeiträume sein Abnehmer oder weitere Glieder der Handelskette das Verbrauchsgut ihrerseits weiter veräußern. Dies hindert ihn an einer Berechnung, bis wann Regressforderungen geltend gemacht werden können94. Aus diesem Grund ist die Ablaufhemmung in § 479 Abs. 2 Satz 2 BGB auf maximal fünf Jahre begrenzt95, was die unternehmerische Planung hinsichtlich etwaiger Gewährleistungsansprüche zwar erleichtert, jedoch zugleich ein außerordentlich langer Zeitraum für den Handelsverkehr ist, dessen „Schnelligkeit“ ja einer seiner bestimmenden Grundsätze ist96. IV. Neuwaren Anders als die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf dies vorsieht, sind die Sondervorschriften zum Händlerregress in Deutschland auf „neu herge93 Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 479 Rdn. 1; Krajewski, The New German Law of Obligations, [2003] EBLR, 201 (211); Leenen, Die Neuregelung der Verjährung, JZ 2001, 552; Heinrichs, Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes: Neuregelung des Verjährungsrechts, BB 2001, 1417; Mansel, Die Neuregelung des Verjährungsrechts, NJW 2002, 89 (95). 94 Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung – Einführung in das neue Recht, 2002, S. 407; Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2562). 95 Hierzu Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 178. 96 So auch Scheibach, Die Anpassung der Neuwagenverkaufsbedingungen, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 739 (750); Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2566).

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stellte“ Verbrauchsgüter beschränkt, während die übrigen Normen des Verbrauchsgüterkaufrechts auch auf Gebrauchtwaren Anwendung finden97. Unter „neu“ dürfte im gesetzlichen Zusammenhang im Übrigen eher „ungebraucht“ bzw. „als ungebraucht verkauft“ verstanden werden, so dass auch Waren, die bei einem Glied der Lieferkette längere Zeit gelagert wurden, noch als neu i.S.v. §§ 478, 479 BGB zu gelten hätten, solange sie nur dem Vertragsinhalt nach als Neuware verkauft wurden98. Zur Begründung dieser Beschränkung in der deutschen Regelung hat sich der Gesetzgeber darauf berufen, dass für Gebrauchtwaren in der Praxis keine geschlossenen Vertriebssysteme existierten, die eine Erleichterung hinsichtlich des Rückgriffs rechtfertigen würden99. Zugunsten dieser Argumentation lässt sich anführen, dass die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Artikel 4 nicht nur vom „Hersteller“, sondern auch von einer „Vertragskette“ spricht. Beides ist wesentlich mit Neuwaren verbunden, denn im Falle eines gebrauchten Verbrauchsguts ist die Lieferkette zum Hersteller im Zweifel unterbrochen. Dem wurde entgegengehalten, die Richtlinie lasse eine derartige Ausnahme vom Regressrecht des Letztverkäufers nicht zu, sie mache vielmehr überhaupt keinen Unterschied zwischen Neu- und Gebrauchtwaren. Die deutsche Vorschrift sei aus diesem Grunde nicht richtlinienkonform100. Überzeugend erscheinen in diesem Zusammenhang vor allem die Überlegungen von M. Jacobs, der sich im Ergebnis ebenfalls gegen die in Deutschland vorgenommene Beschränkung des Händlerregresses auf Neuware richtet. Die Begründung, dass in der Praxis für Gebrauchtwaren keine geschlossenen Vertriebswege existierten, wertet Jacobs als nicht stichhaltig; dies könne im Einzelfall so oder auch anders sein. Fehle es jedoch an einer Lieferkette, so seien die §§ 478, 479 BGB bereits tatbestandlich nicht einschlägig, ohne dass es noch auf die Neu- oder Gebrauchtheit der Ware ankommen könne. Liege hingegen bei einem gebrauchten Gegenstand eine geschlossene Lieferkette vor, so gebe es keinen sachlichen Grund, dem Letztverkäufer und seinen Vorderleuten die Regresserleichterungen aus §§ 478, 479 BGB zu verweigern101. Es komme in systematischer Hinsicht hinzu, dass die Unterscheidung zwischen Neu- und Gebrauchtwaren dem deutschen Privatrecht allgemein fremd sei102. 97 Hierzu Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XXXII; Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 7; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 487. 98 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 8. 99 Vgl. hierzu referierend M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (227). 100 Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einführung XXXII; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 424; zur Diskussion vgl. Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 7; Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, 2005, S. 186. 101 M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (227). 102 M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (227).

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Diese Argumentation ist sachnah und überzeugend. Sie begründet ohne weiteres, dass die in Deutschland geltende Beschränkung des Regressmechanismus auf Neuwaren überflüssig und systemwidrig ist und darüber hinaus auch nicht zur Klarheit der ohnehin schwer zu durchschauenden Regressansprüche beiträgt. Ein weiteres kommt hinzu: Sinn und Zweck der Regressregelungen ist es, dem mit dem positiv zwingenden Recht belasteten Letztverkäufer eine Chance zu eröffnen, seine Haftung an die wahren Verantwortlichen weiterzugeben. Da ihn dieses positiv zwingende Recht auch im Falle von Gebrauchtwaren trifft, besteht kein Anlass, ihm die besonderen Regressmöglichkeiten dann zu versagen. Eine ganz andere Frage ist in diesem Zusammenhang, welcher Kaufvertrag in der Lieferkette für die Beurteilung der Neuheit entscheidend ist, ob es also ausreicht, dass die Kaufsache beim letzten Kaufvertrag gegenüber dem Verbraucher als neu hergestellt verkauft wird. Zumindest der Wortlaut von § 478 Abs. 1 BGB spricht für ein derartiges Verständnis, da er das Erfordernis der Neuheit in den Verbrauchsgüterkauf einbettet („wenn der Unternehmer die verkaufte neu hergestellte Sache als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen musste ...“). Anderer Ansicht hierzu ist jedoch Stephan Lorenz. Ihm zufolge muss die Kaufsache „sowohl im Verhältnis zwischen dem Lieferanten und dem Unternehmer als auch im Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher als eine ungebrauchte Sache verkauft worden sein“103. Diese Ansicht überzeugt. Denn der Abnehmer verstieße gegen Treu und Glauben, wenn er eine als gebraucht erworbene Sache gegenüber dem Verbraucher als neu hergestellt weiterveräußern und sich dann gegenüber dem Hersteller auf die nur für neue Verbrauchsgüter geltenden Regressregelungen berufen würde. V. Regresshaftende: Zulieferer? Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nennt als möglichen Schuldner des Regressanspruchs den Hersteller104, einen früheren Verkäufer „innerhalb derselben Vertragskette“ oder eine andere „Zwischenperson“. Ferner geht die Vorschrift ausdrücklich von mehreren möglichen Schuldnern aus („den oder die Haftenden“), die sich allerdings jedenfalls innerhalb einer Vertragskette befinden müssen. Es steht den Mitgliedstaaten also offen, den Regressanspruch des Letztverkäufers (und ggf. weiterer Glieder in der Vertragskette) entweder an das jewei103

MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 14. Die Richtlinie nennt als Hersteller – in Anlehnung an die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 – jeden „Hersteller von Verbrauchsgütern, deren Importeur für das Gebiet der Gemeinschaft oder jede andere Person, die sich dadurch, dass sie ihren Namen, ihre Marke oder ein anderes Kennzeichen an den Verbrauchsgütern anbringt, als Hersteller bezeichnet“; Art. 1 Abs. 2 d) der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. Das deutsche BGB definiert den Hersteller in § 434 Abs. 1 Satz 3 nicht exakt in der gleichen Weise, sondern rekurriert auf § 4 ProdHaftG. Dort wird der Hersteller grundsätzlich als Hersteller eines Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts definiert; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 1003. 104

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lige Vertragsverhältnis zu binden oder aber einen Durchgriff direkt auf den eigentlich Verantwortlichen zuzulassen, im Zweifel also vom Letztverkäufer direkt auf den Hersteller105. Im deutschen Recht richtet sich der Regressanspruch, getreu der verfolgten Vertragslösung, nicht gegen den Hersteller, sondern gegen den „Unternehmer, der [dem Regressgläubiger] die Sache verkauft“ hat, legaldefiniert als „Lieferant“106. Dieser ist innerhalb der Vertragskette bis zum Hersteller ohne Schwierigkeiten als der jeweilige Partner des Kaufvertrags zu bestimmen; fraglich ist nur, ob auch der Hersteller selbst noch einen „Lieferanten“ hat, an den er sich mit § 478, 479 BGB wenden kann, ob mit anderen Worten auch Zulieferer unter den Lieferantenbegriff fallen. Um es vorwegzunehmen: Es hat sich in Deutschland nach kurzer Diskussion die ganz überwiegende Meinung herausgebildet, dass Zulieferer keine „Lieferanten“ sind, was dazu führt, dass sie bei Mangelhaftigkeit der zugelieferten Teile nur allgemeiner Gewährleistungshaftung und nicht der besonderen Regresshaftung nach §§ 478, 479 BGB unterliegen107. Diese Annahme ruht fest auf den einschlägigen Vorschriften: Zum einen legt sie der Wortlaut des § 478 BGB nahe (Regressschuldner ist der Unternehmer, der „die Sache verkauft“ hat), und sie dürfte zum anderen auch der Intention der Richtlinie entsprechen. Diese nennt neben dem Hersteller „andere Verkäufer“ und „Zwischenpersonen“ innerhalb einer Vertragskette, ohne sich zu Zulieferern von Einzelteilen zu äußern. Bei unbefangener Betrachtung teilt sich bei mehreren Zulieferern die Vertragskette ja beim Hersteller in verschiedene Stränge (Zulieferverhältnisse), so dass ab dann von einer einzigen Vertragskette nicht mehr gesprochen werden könnte. Die Regresskette würde somit also beim Hersteller als der Instanz enden, die das Verbrauchsgut erstmals aus Einzelteilen zusammengesetzt hat. Weder nach deutschem Recht noch nach Sinn und Zweck der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf ist der Hersteller also in irgendeiner Weise in seinem Regressinteresse gegenüber Zulieferern geschützt108. „In seiner Sphäre entsteht die Kaufsache, und er hat in der Lieferkette als einziger Überblick über die Qualität 105 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 213. 106 § 478 Abs. 1 BGB. 107 Hierzu ausführlich Mankowski, Ein Zulieferer ist kein Lieferant – Konsequenzen aus dem begrenzten Zuschnitt der Regressregelung in §§ 478, 479 BGB, DB 2002, 2419; vgl. auch Westermann, Vorschlag für eine Einpassung der Kaufgewährleistungs-Richtlinie ins deutsche Recht, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 251 (277); MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 15; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 159ff.; Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2565); anderer Ansicht Ball, Neues Gewährleistungsrecht beim Kauf, ZGS 2002, 49 (52). 108 Auch in den anderen Mitgliedstaaten der Union gibt es keine besondere Haftung von Zulieferern.

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der verarbeiteten Teile“109 – so zumindest scheinen die Rechtstatsachen sich darzustellen, mit der Unschärfe allerdings, die pauschale Beurteilungen mit sich bringen. Dieser Lösung wird zugute gehalten, dass der Hersteller als Letzthaftender den aus ökonomischer Sicht wünschenswerten Anreiz zur Steigerung der Produktqualität erhalte110 – ein richtiger Gedanke, der sich allerdings ohne weiteres auf Zulieferer und die Qualitätssicherung bei Einzelteilen übertragen ließe und deshalb noch nicht begründet, warum beim Hersteller das Ende des besonderen Regressschutzes erreicht sein soll. Denkbar wäre es ja auch, jede Person der besonderen Regresshaftung zu unterwerfen, die eine die Vertragswidrigkeit des Endprodukts bewirkende Sache beigesteuert hat111. Auffällig ist insbesondere die Diskrepanz zur Produkthaftung, die eine Haftung auch der Teilelieferanten zumindest in den Fällen vorsieht, in denen die Fehlerhaftigkeit nicht erst bei der Konstruktion des Endprodukts oder aufgrund von Anleitungen des Herstellers ausgelöst wird112. Wenn also dem Hersteller eine „Gesamtverantwortlichkeit“ zugeschrieben wird, die auf seiner (angenommenen) „Konstruktions- und Produktionshoheit“ beruhen soll113, so erklärt diese Zuschreibung für sich genommen noch nicht die Diskrepanz zum Produkthaftungsrecht. Auch wenn es also im Ergebnis Zustimmung verdienen mag, dass dem Hersteller selbst kein besonderes Regressrecht mehr zugute kommt, so muss doch die Frage nach dem „Warum“ gestattet sein. Denn nicht selten werden Mängel eines zusammengesetzten Produkts nicht auf vom Hersteller verursachte Mängel zurückzuführen sein, sondern auf ungenügende Eigenschaften der angelieferten Teile; dies ist bei komplexen Fertigungsvorgängen zumindest alles andere als ausgeschlossen. Prima facie entsteht auch in diesen Fällen ein Bedürfnis nach Regress, der jedoch – anders als innerhalb der bis zum Hersteller laufenden Vertragskette – nicht von den Regelungen in den §§ 478, 479 BGB geschützt ist. Dies führt dazu, dass sich der Hersteller nun, fast ebenso wie der Letztverkäufer, in einer Schere zwischen zwingendem Recht und Privatautonomie befindet. Denn zu seinen Ungunsten wirken zwar nicht die Normen des zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts, jedoch die der §§ 478, 479 BGB mit ihrer eingeschränkten Abdingbarkeit114. Auch der Hersteller befindet sich nun in einer Art von Re109

Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 164. Mankowski, Ein Zulieferer ist kein Lieferant – Konsequenzen aus dem begrenzten Zuschnitt der Regressregelung in §§ 478, 479 BGB, DB 2002, 2419 (2420). 111 In diesem Sinne Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 652. 112 § 1 Abs. 3 ProdHaftG. Hierzu MünchKomm/Wagner, 4. Aufl., § 1 ProdHaftG Rdn. 62; a.A.wohl Mankowski, Ein Zulieferer ist kein Lieferant – Konsequenzen aus dem begrenzten Zuschnitt der Regressregelung in §§ 478, 479 BGB, DB 2002, 2419 (2420). 113 M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228). 114 § 478 Abs. 4 BGB; hierzu MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 38; MatuscheBeckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2562); zur Abbedingung des Regressrechts unten S. 144. 110

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gressfalle, die im Grunde nur vom Letztverkäufer auf ihn verlagert wurde: Die Schutzmechanismen der §§ 478, 479 BGB (insbesondere die bis zu fünf Jahren gehemmte Gewährleistungsfrist) setzen ihn unter vertraglichen Druck, den er an und für sich an Zulieferer weitergeben können müsste, insbesondere durch Fristverlängerungen. Dieses Dilemma, innerhalb eines vertraglichen Beziehungsgefüges auf der einen Seite gesetzlich gebunden zu sein, auf der anderen Seite jedoch nicht den gleichen Schutz gewährt zu bekommen, ist, wie schon im Fall des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts, vom Gesetzgeber hergestellt. Der Gesetzgeber hat nichts anderes gemacht, als mit dem positiv zwingenden Recht auch die Regressfalle durch die Vertragskette hindurch zu transportieren, aber: Einer ist immer der letzte, wenn nicht jede Vertragsbeziehung zwingend geregelt sein soll. Der Hersteller ist für den Gesetzgeber nun das letzte Glied in der Kette und damit, zumindest hinsichtlich der zu seinen Ungunsten wirkenden gesetzlichen Schutzmechanismen, das schwächste. Dies bedarf eines sachlichen Grundes. Warum steht die lex lata dem Letztverkäufer und allen weiteren Lieferanten in der Vertragskette zur Seite, dem Hersteller jedoch nicht? Unter der Voraussetzung, dass der Grund der besonderen Regressregeln in der Kompensation der Einschränkung von Privatautonomie liegt, erscheinen alle Beteiligten in gleichem Maße schutzwürdig, sofern sie einen Mangel nicht selbst zu verantworten haben und in ihrer Autonomie eingeschränkt sind, sei es nun durch § 475 Abs. 1 oder § 478 Abs. 4 BGB. Dennoch entscheidet die europäische Regelung des Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (und in ihrer Umsetzung die Vorschriften in den Mitgliedstaaten) zu Ungunsten des Herstellers und siedelt die gesamte Haftungslast bei ihm an. Angesichts der Vielzahl zusammengesetzter Produkte dürfte es wohl kaum eine rechtstatsächliche Rechtfertigung hierfür geben. In einer großen Anzahl von Fällen dürfte die Mangelhaftigkeit von Produkten auf Zulieferer zurückzuführen sein. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass der europäische Normgeber von einer wirtschaftlichen Situation ausgegangen ist, in welcher Einzel- und Zwischenhändler als grundsätzlich „schwach“, Hersteller demgegenüber als „stark“ und Zulieferer wiederum als „schwach“ angesehen wurden115. Denn sähe man den Hersteller nicht als a priori stärker als den Handel an, hätte man die Regressvorschriften der §§ 478, 479 BGB (bzw. Art. 4 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf) auf das Verhältnis Hersteller/Zulieferer ausdehnen müssen. So aber setzt sich das zwingende Recht zugunsten der Händler fort, während Hersteller darauf 115 Dies deutet zumindest für das deutsche Recht der Gesetzentwurf des Bundestages (BTDrucksache 14/6040, S. 249) an; ablehnend zu dieser Typologisierung MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 38; Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (431); Mankowski, Ein Zulieferer ist kein Lieferant – Konsequenzen aus dem begrenzten Zuschnitt der Regressregelung in §§ 478, 479 BGB, DB 2002, 2419 (2421).

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verwiesen werden, die notwendigen Vertragsbestimmungen gegenüber ihren Zulieferern selbst durchsetzen zu müssen. Die Einschätzung wirtschaftlicher Stärke auf der Seite der Hersteller mag in vielen Fällen zutreffen. So dürften zahlreiche Zulieferer insbesondere dann wenig Marktmacht besitzen, wenn sie für hochspezialisierte Produkte anliefern und darum ihren gesamten Umsatz oder große Teile hiervon einem einzelnen Abnehmer verdanken – dies macht sie „ökonomisch erpressbar“ und zwingt sie zu Konzessionen116. Nichtsdestoweniger dürfte diese Annahme, für sich genommen, noch nicht als Begründung dafür hinreichen, den Weg des (wirtschaftlich) zwingenden Rechts beim Hersteller abzubrechen. Dieser Fragenkreis – danach, wer in der Regresskette zuletzt haften soll – spiegelt den Zwang zu im Grunde willkürlichen Entscheidungen wider, der bereits im Verbrauchsgüterkaufrecht selbst angesiedelt ist. Denn schon im ersten Regressverhältnis, dem zwischen dem Letztverkäufer und seinem Lieferanten, sind Kriterien wie „Stärke“, „Schwäche“, „Marktmacht“, „zu schützender Mittelstand“ und ähnliches nicht rechtssicher zu bestimmen. Es handelt sich vielmehr um Konstellationen, die von Fall zu Fall, von Branche zu Branche völlig unterschiedlich ausfallen117. Ebenso verhält es sich bei der strukturellen Beurteilung der Beziehung von Herstellern zu Zulieferern: Es mag gewisse Tendenzen und Häufigkeiten geben – aber eine abstrakte Beantwortung der Frage, wer in Vertragsverhältnissen stark und schwach ist, ist nicht möglich. Möglich ist jedoch – und hiermit begibt man sich wieder auf gesicherten Boden – im einen wie im anderen Fall, eine reale und wesentliche Schwächung festzumachen, und dies ist die Schwächung durch das positiv zwingende Recht, dem der Letztverkäufer gegenüber dem Verbraucher ausgesetzt ist und das sich im deutschen Recht in leicht abgemilderter Form innerhalb der Handelskette fortsetzt. Beim Verhältnis von Hersteller und Zulieferer hat der Gesetzgeber nun beschlossen, auf diese Schwächung nicht mehr zu reagieren. Dies bedeutet: Wenn ein Hersteller nach den §§ 478, 479 BGB deswegen haftet, weil zu seinen Ungunsten die Beweislastumkehr greift und möglicherweise die Verjährung über längere Zeit gehemmt war, und wenn er seinem Regressgläubiger keinen gleichwertigen Ausgleich für diese (gesetzgeberischen!) Maßnahmen eingeräumt hat, so hilft ihm dieser Gesetzgeber gegenüber den Zulieferern nicht mehr: Es gibt zu seinen Gunsten keine gesetzliche Verlängerung der Verjährungsfrist, keine Beweislastumkehr und damit auch kein wirtschaftlich zwingendes Recht mit dem Zwang zu gleichwertigem Ausgleich bei Abbedingung. Die Tatsache jedoch, dass der Hersteller selbst verschärft und für lange Zeit haftet, hat ihren 116

Mankowski, Ein Zulieferer ist kein Lieferant – Konsequenzen aus dem begrenzten Zuschnitt der Regressregelung in §§ 478, 479 BGB, DB 2002, 2419 (2421). 117 Staudenmayer, EG-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Gewährleistungsrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 (42).

C. Der Lösungsversuch der Regressproblematik in Deutschland

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Grund nicht in vertraglichem Recht, sondern in gesetzgeberischer Tätigkeit: im heteronomen Verbrauchsgüterkauf- und Regressrecht. Hier werden die Konsequenzen des positiv zwingenden Rechts in Vertragsketten deutlich: Der Gesetzgeber kann entweder akzeptieren, dass es infinite Schutzwürdigkeiten erzeugt, und schafft die Vertragsfreiheit in Vertragsketten zur Gänze ab, oder er entscheidet – im Grunde willkürlich –, auf die vom Gesetz selbst hergestellte Schutzwürdigkeit ab einem gewissen Punkt in der Vertragskette nicht mehr zu reagieren. Letzteres ist in den §§ 478, 479 BGB geschehen. So bleibt schließlich ein rein formales Argument, um die besondere Regresshaftung von Zulieferern abzulehnen und die im deutschen Recht wie in der Richtlinie bestehende Lösung zu stützen, und dies ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Identität der Kaufsache als Voraussetzung der Regresskette. Nur mit ihm lässt sich begründen, dass der Hersteller als einziges unternehmerisches Glied der Vertragskette zwar nach den §§ 478, 479 BGB haftet, selbst aber nicht in den Genuss des Privilegs dieser Vorschriften kommt. Weiterhin ist die Identität des Kaufgegenstands als Tatbestandsmerkmal ein rechtssicheres Kriterium, um Zweifelsfragen im Rahmen von § 478 BGB begegnen zu können. Die Lieferkette beginnt, wenn man auf die Produktidentität abstellt, beim Hersteller. Der Kaufgegenstand ist im Rahmen des gesamten weiteren Vertriebswegs identisch. Hingegen sind die Vertragsgegenstände im Zulieferervertrag und in der weiteren Absatzkette unterschiedlich (Teilung der Vertragskette in verschiedene Stränge). Nur hieraus rechtfertigt sich die Ungleichbehandlung: Das Pflichtenprogramm des Zulieferers, die Lieferung der von ihm hergestellten Einzelteile, umfasst noch nicht das fertige Verbrauchsgut im Sinne der Richtlinie, weswegen der Zulieferer auch nicht in ihren Anwendungsbereich fällt118. Diese Überlegung liefert zugleich auch eine Rechtfertigung der Unterschiedlichkeit von Verbrauchsgüterkauf- und Produkthaftungsrecht: Das Produkthaftungsrecht ist keine Vertragshaftung, sondern deliktische Haftung für Gefährlichkeit. Inwieweit Vertragsgegenstände identisch sind oder im Laufe einer Lieferkette zusammengebaut und anderweitig modifiziert werden, darf dort keine Rolle spielen. Das Regressrecht hingegen ist seiner Grundlage nach vertraglicher Natur, und die Identität des Vertragsgegenstands innerhalb einer Haftungskette ist damit ein nahe liegendes Kriterium zur Haftungsbestimmung. Trotz dieses formal überzeugenden Arguments bleibt die Lösung materiell unbefriedigend: Das positiv zwingende Recht betrifft alle Mitglieder einer Lieferkette, und allen steht als Kompensation das besondere Regressrecht zur Seite, mit einer einzigen Ausnahme, und das ist der Hersteller. Diese Ausnahme ist nur formal, nicht materiell zu rechtfertigen.

118

M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

VI. Verbrauchereigenschaft des Kunden Die Herkunft der deutschen Regressvorschriften, mit denen ja in erster Linie Art. 4 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf umgesetzt wird, legt es nahe, die Verbrauchereigenschaft des Endkunden zur Tatbestandsvoraussetzung der §§ 478, 479 BGB zu machen. Dies ergibt sich aus dem Gesetzestext119. Dennoch werden Zweifel angemeldet120: Schließlich regele § 478 BGB das Verhältnis zwischen Unternehmern und schütze den jeweiligen unternehmerischen Abnehmer, ohne dass an dem betreffenden Rechtsverhältnis ein Verbraucher zwingend beteiligt zu sein habe. Dies werde insbesondere dann relevant, wenn ein Zwischenhändler den Mangel entdecke und die Kaufsache aus diesem Grunde bei ihm „hängenbleibe“, ohne jemals einen Verbraucher zu erreichen121. Es müsse also über eine Anwendung der §§ 478, 479 BGB auch dann nachgedacht werden, wenn am Ende der Lieferkette kein Verbrauchsgüterkauf vorliege. Hiergegen spricht indes nicht nur der klare Wortlaut der §§ 478, 479 BGB122, sondern auch die gesamte Ratio des Regressrechts123. Denn Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie erklärt sich aus der besonderen Situation des Letztverkäufers zwischen zwingendem Recht einerseits und Privatautonomie andererseits. Nur weil er der positiv zwingenden Haftung gegenüber dem Verbraucher ausgesetzt ist, besteht überhaupt ein Bedürfnis danach, die zwischen ihm und seinem Lieferanten an und für sich bestehende Privatautonomie in einer Regelung wie den §§ 478, 479 BGB zu beschneiden. Diese Fortsetzung des zwingenden Rechts im Handelskauf dient einzig dem in „vertragliche Not“ geratenen Letztverkäufer; besteht für ihn jedoch keine zwingende Haftung gegenüber seinem Abnehmer, so gibt es – abseits des ohnehin klaren Gesetzeswortlauts – auch keine Rechtfertigung für die Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Regressvorschriften124. Die Regressvorschriften sind also – sowohl im Anwendungsbereich der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf als auch in den deutschen Normen der §§ 478, 479 BGB – daran gekoppelt, dass am Ende der Vertragskette ein Verbrauchsgüterkauf steht125. Dieses – aus der Regresslogik heraus richtige – Ergebnis bringt jedoch einen erheblichen Verlust an Rechtssicherheit mit sich. Denn die Vertragsparteien des Lieferantenverhältnisses können bei Waren, die potentiell sowohl gewerblich als 119

Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563). Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 5: „rechtspolitisch äußerst fragwürdig“. 121 Vgl. zu dieser Diskussion M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (226). 122 So auch M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (226); Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563). 123 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 787. 124 So im Ergebnis auch Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 5. 125 Hierzu Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563); Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 422. 120

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auch privat genutzt werden – man denke beispielsweise an Computer, Kraftfahrzeuge, Möbel126 – in der großen Mehrzahl der Fälle gar nicht vorhersehen, ob der Endkunde den Kaufvertrag als Verbraucher oder Unternehmer abschließen wird, ob also das erworbene Gut im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit genutzt werden soll oder nicht127. Lieferant und Zwischen- bzw. Letztverkäufer sind aus diesen Gründen kaum in der Lage, bei Vertragsschluss die Bedeutung und Häufigkeit von Regressfällen einzuschätzen. Die Haftungssituation könnte dabei jedoch nicht unterschiedlicher sein, denn falls ein Verbraucher am Ende der Vertragskette steht, droht jedem Lieferanten in der Lieferkette die besondere Regresshaftung einschließlich einer bis zu fünf Jahren gehemmten Verjährung128. Hieraus kann jeder Lieferant sich nur befreien, indem er seinem Abnehmer einen „gleichwertigen Ausgleich“ einräumt129. Handelt der letzte Kunde jedoch in geschäftlichem oder selbständigem Rahmen130, so gilt all dieses nicht; die Regressvorschriften der §§ 478, 479 BGB finden dann gar keine Anwendung. Dies hat zur Konsequenz, dass alle Vertragsparteien innerhalb der Lieferkette (Binnenverträge) bei der Abbedingung des Regressrechts nur schwerlich einschätzen können, was ein „gleichwertiger Ausgleich“ im Sinne von § 478 Abs. 4 BGB sein könnte. Händler und Hersteller müssen darum im Grunde zwei verschiedene, parallel zueinander gestaltete Vertragsmodelle vorsehen, die je nachdem zur Anwendung kommen, in welcher Eigenschaft der letzte Kunde seinen Kaufvertrag abschließt131. Völlig zu Recht spricht darum Karsten Schmidt diesbezüglich von „wundersamen Unterscheidungen“132. Wesentlich schwerer wiegt allerdings ein weiterer Umstand: Es steht in der Macht des Letztverkäufers, die Regelungen, denen nicht nur sein eigener, sondern sämtliche vor ihm befindlichen Verträge in der Lieferkette unterworfen sind, a posteriori zu ändern133. Denn verkauft er an einen Unternehmer, gilt in der gesamten Handelskette gewöhnliches, abdingbares Gewährleistungsrecht, handelt sein Kunde als Verbraucher, greift das wirtschaftlich zwingende Regressmodell der 126 Das Problem stellt sich bei allen Gütern, die weder „klassische Industrie-“ noch „klassische Verbrauchsgüter“ sind, Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563). 127 §§ 13, 14 BGB; zu dieser Problematik M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (226); Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (453); MatuscheBeckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563). 128 § 479 Abs. 2 BGB. 129 § 478 Abs. 4 BGB; hierzu näher gleich, S. 144. 130 § 14 BGB. 131 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 786; Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 5: Eine „äußerst missliche“ Regelung. 132 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (453). 133 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563).

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§§ 478, 479 BGB ein. Damit überlässt das deutsche Kaufrecht es dem Letztverkäufer, darüber zu entscheiden, welches Recht auch auf die weiteren Verträge in der Lieferkette, an welchen er selbst nicht beteiligt ist, anwendbar ist. Diese Entscheidungsmöglichkeit über fremde Vertragsverhältnisse ist ohne Vorbild, und sie lässt sich mit dem Phänomen des in der Lieferkette „steckengebliebenen Verbrauchsguts“ noch ein wenig auf die Spitze treiben. Sollte es nämlich zu einer Entdeckung der Mangelhaftigkeit kommen, bevor die Kaufsache an einen Verbraucher veräußert wurde, sind die §§ 478, 479 BGB ihrem deutlichen Wortlaut wie ihrer systematischen Stellung nach nicht anwendbar. Auch eine analoge Anwendung ist abzulehnen, wenn man den Sinn und Zweck des Regressrechts in Rechnung stellt, die Wunden zu heilen, die das positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht beim Letztverkäufer schlägt (Kompensation)134. Dies führt nun aber zu dem Anreiz für den Letztverkäufer, ein – defektes! – Verbrauchsgut unter allen Umständen noch an den Verbraucher zu bringen, um die Haftung dann, „gestärkt durch die Wohltaten der §§ 478, 479 BGB“135, auf dem Rückweg durch die Vertragskette hindurchreichen zu können. Dass dies der Rechtssicherheit nicht zuträglich ist, liegt auf der Hand, und hier ist Karsten Schmidt der Sache nach Recht zu geben136: Ein jeder Unternehmer, der erfolgreich die vertragliche Flucht aus dieser gesetzlichen Regelung angetreten hat, kann hierzu nur beglückwünscht werden. Bessere Lösungen werden allerdings nur zu finden sein, wenn man sich auch dem Gedanken der unmittelbaren Herstellerhaftung öffnet137. VII. Abweichende Vereinbarungen 1. Disposition Wie bereits angedeutet, kann in Deutschland von den Regressrechten zu Ungunsten des Gläubigers vertraglich nur abgewichen werden, wenn diesem ein „gleichwertiger Ausgleich“ eingeräumt wird138. Dies gilt sowohl für Allgemeine Geschäftsbedingungen als auch für Individualvereinbarungen139. Auch eine Umgehung ist ausgeschlossen140. Ausgenommen hiervon und somit innerhalb der AGB-rechtlichen Zulässigkeit abdingbar sind lediglich Ansprüche auf Schadens134 So auch Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2564). 135 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2564). 136 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (429). 137 Hierzu unten S. 198ff. 138 § 478 Abs. 4 BGB; instruktiv hierzu Kähler, Private Disposition jenseits der Herrschaft des Gesetzes – Zur Abdingbarkeit gesetzlicher Normen, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2002, S. 181 (203). 139 Schulte-Nölke/Behren, Neues Kaufrecht, ZGS 2002, 33, (38); Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung – Einführung in das neue Recht, 2002, S. 406. 140 § 478 Abs. 4 Satz 3 BGB.

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ersatz, womit die bereits im (unmittelbaren) Verbrauchsgüterkaufrecht enthaltene Systematik141 übernommen wird. Dieser Eingriff in die unternehmerische Privatautonomie wird als eine „im Ergebnis zwingende Regelung“142 bzw. als in den „wirtschaftlichen Ergebnissen“143 zwingendes Recht beschrieben. Der deutsche Gesetzgeber hatte es ursprünglich sogar in Erwägung gezogen, das Regressrecht ebenso zwingend auszugestalten wie das Verbrauchsgüterkaufrecht und damit jedwede in Betracht kommende Regresslücke zu schließen (seitengleicher Regress). Hiervon wurde jedoch zugunsten der Abdingbarkeit gegen gleichwertigen Ausgleich abgesehen. Ausschlaggebend war die Überlegung, dass nur Ansprüche zwischen Unternehmern in Rede stünden und für den rein unternehmerischen Bereich vertragliche Vereinbarungen weiter möglich bleiben sollten, damit „den Besonderheiten der jeweiligen Situation angemessen Rechnung getragen werden“ könne144. Dennoch war sich auch der deutsche Gesetzgeber der Tatsache bewusst, dass im Fall völliger Disponibilität des Regressrechts die mit dem positiv zwingenden Recht geschaffene Ungleichgewichtung zwischen Letztverkäufer und Lieferant verblieben wäre. Das Tatbestandsmerkmal des zwingenden wirtschaftlichen Ausgleichs wurde eingeführt, um zu verhindern, dass „Vereinbarungen einseitig zu Lasten des Einzelhändlers ausfallen, etwa indem die soeben erläuterten Ansprüche vollständig ausgeschlossen werden oder die Verjährung der Ansprüche des Einzelhändlers einseitig unangemessen reduziert wird“145. Karsten Schmidt ist der Ansicht, dass vertragliche Regressmodelle trotz des teilweise zwingenden Charakters der gesetzlichen Vorschriften Vorrang haben werden. Für Industrie und Handel werde es in erster Linie darauf ankommen, vertragliche Regelungen zu finden, „die aus dem Dickicht des § 478 BGB so weit wie möglich herausführen“146. Dies führt zu einer Sichtweise der Regressproblematik „von oben“, nämlich aus der Sicht des Herstellers als des letztendlichen Schuldners147. Für die Vertragspraxis mag auch genau diese Sichtweise entscheidend sein; sie ist es jedoch nicht für den Gesetzgeber und in seiner Folge auch nicht für die Gerichte: Diese stehen nämlich vor der Aufgabe, dem mit positiv zwingendem Recht belasteten Letztverkäufer aus der sich ihm stellenden – vielleicht nicht immer wirtschaftlichen, aber jedenfalls rechtlichen – Regressfalle zu

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§ 475 Abs. 3 BGB. So zumindest Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 141. 143 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 38. 144 BT-Drucksache 14/6040, S. 249. 145 BT-Drucksache 14/6040, S. 249. 146 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (429). 147 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (432). 142

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verhelfen, und dies geschieht aus dem Blickwinkel „von unten“148, nämlich in Richtung zurück zur Quelle des Risikos. Die Regressregelungen hat der deutsche Gesetzgeber in § 478 Abs. 2 BGB somit als zumindest wirtschaftlich zwingendes Recht ausgestaltet149, was für den Handelskauf in dieser Form „ein absolutes Novum“150 darstellt. Zwar ist der Eingriff in die unternehmerische Vertragsfreiheit für das deutsche Handelsrecht nichts vollständig Neues, da ja beispielsweise auch die Rügeobliegenheit des Käufers nach § 377 HGB in AGB nicht uneingeschränkt abdingbar ist151; dennoch bringt der zwingende Charakter der Regressregelungen in den §§ 478, 479 BGB ein Element in den Handelskauf, das zu dem Verständnis, das dieser Materie entgegengebracht wird, in einem inneren Widerspruch steht152. Es kommt hinzu, dass die §§ 478, 479 BGB mit ihrer Einschränkung privatautonomer Vertragsgestaltung sämtliche, also auch individuell ausgehandelte Kaufverträge über Verbrauchsgüter in Vertragsketten betreffen, während § 377 HGB grundsätzlich nachgiebiges Recht darstellt und nur die formularmäßige Abbedingung, insbesondere für offenkundige Mängel, unzulässig ist153. In Deutschland überwiegt die Kritik154: „Rechtspolitische Fragwürdigkeit“155 ist noch eines der milderen Urteile. Stephan Lorenz bezeichnet die Einführung zwingenden Rechts im Handelskauf als „beispiellosen Vorgang“, der auf einer „ideologiebeladenen Übertragung verbraucherschützender Typisierungen in das Unternehmensrecht“ beruhe und zudem die tatsächlichen Machtverhältnisse im Warenvertrieb völlig verkenne156. Käme es einzig auf die tatsächlichen Machtverhältnisse an, wäre Lorenz Recht zu geben. Eine Schwäche tatsächlicher Natur im Sinne eines gegenüber dem Lieferanten a priori benachteiligten (von Stephan Lorenz ironisch so bezeichneten) „Unternehmerleins“157 besteht nicht. Von einer generellen Schwäche des Großhandels gegenüber der Industrie und des Einzelhandels gegenüber dem Großhan148 So für Gesetzgeber und Gerichte auch Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (432). 149 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2562); MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 38; vgl. auch Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 176: „bedingt zwingend“. 150 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 7. 151 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 377 Rdn. 58, 59. 152 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2566). 153 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 377 Rdn. 59. 154 Z.B. Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 177. 155 Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 26. 156 Lorenz, „Unternehmer – Unternehmerlein – Verbraucher“: Ein neues Leitbild? RIW 10/2004, Die erste Seite. 157 Lorenz, „Unternehmer – Unternehmerlein – Verbraucher“: Ein neues Leitbild? RIW 10/2004, Die erste Seite; im gleichen Sinne auch Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (431); ebenso Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 7.

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del, die unabhängig vom zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht bereits existiert hätte, kann ebenso wenig die Rede sein wie von einer Stärke des Herstellers gegenüber den Zulieferern158. Eine entsprechende Machtverteilung mag zwar in einzelnen Geschäftszweigen häufig sein: So sind Kfz-Händler häufig von bestimmten Herstellern abhängig. In der Bekleidungs- wie in der Lebensmittelbranche hingegen kommt den großen Warenhäusern jedoch eine vergleichsweise große Marktmacht zu159. Die tatsächlichen Machtverhältnisse können jedoch, wie oben ausgeführt, nicht einziges Kriterium sein. Eine Schwächung des Letztverkäufers existiert, unabhängig von seiner konkreten Marktmacht. Sie ist rechtlicher Natur und beruht auf der beschriebenen Schlechterstellung durch die Rechtsordnung selbst und auf den Auswirkungen, die positiv zwingendes Recht in Vertragsketten hat (Kompensationsgedanke). 2. Gleichwertiger Ausgleich Der wirtschaftlich zwingende Charakter des deutschen Regressrechts steht und fällt mit dem Kriterium des „gleichwertigen Ausgleichs“. Die Fragen, wie dieser Ausgleich in der Praxis auszusehen hat und unter welchen Voraussetzungen er als gleichwertig zu verstehen ist, stellen Rechtswissenschaft und Vertragspraxis vor gewisse Herausforderungen160. Der Gesetzgeber hat hierzu – sehenden Auges – keine genaueren Angaben gemacht: „Dabei sollen, um der Vielgestaltigkeit der Vertragsbeziehungen Rechnung zu tragen, keine ins Einzelne gehenden Vorgaben gemacht werden. Denkbar sind zum Beispiel pauschale Abrechnungssysteme, in denen zwar Einzelansprüche des Händlers (...) ausgeschlossen werden, die aber insgesamt auch den berechtigten Interessen des Handels Rechnung tragen.“161

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Hierzu oben S. 136. Schäfer/Pfeiffer, Die EG-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf – Gesetzgeberische Alternativen und wirtschaftliche Folgen ihrer Umsetzung in deutsches Recht, ZIP 1999, 1829 (1836); Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 7. 160 Westermann, Das neue Kaufrecht einschließlich des Verbrauchsgüterkaufs, JZ 2001, 530 (535); von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (733); MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 43; Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 178; Marx, Handlingkosten im Unternehmerrückgriff, BB 2002, 2566 (2567); Hassemer, Kaufverträge nach der Schuldrechtsreform – Vertragsgestaltung gegenüber Verbrauchern und im Handelsgeschäft, ZGS 2002, 95. 161 BT-Drucksache 14/6040, S. 249; hierzu Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung – Einführung in das neue Recht, 2002, S. 407; Hoeren, Gestaltungsvorschläge für Musterverträge und Einkaufsbedingungen nach In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, ZGS 2002, 10 (14); Westermann, Das neue Kaufrecht einschließlich des Verbrauchsgüterkaufs, JZ 2001, 530 (535); Ernst/Gsell, Kritisches zum Stand der Schuldrechtsmodernisierung, ZIP 2001, 1389 (1401); von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (733); Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 177. 159

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Gesichert dürfte zumindest sein, dass dem Abnehmer als Gegenleistung für den Regressverzicht ein Rechtsanspruch einzuräumen ist; eine bloße Ausgleichspraxis wird hingegen nicht ausreichen162. Eine Möglichkeit ließe sich in der Vereinbarung erhöhter Umsatzbeteiligungen sehen, wie sie im Rahmen von Herstellergarantien ohnehin gebräuchlich sind. In Betracht kommen daneben Vereinbarungen, innerhalb derer der Lieferant seinen Abnehmer von jeglichen Gewährleistungsansprüchen weiterer Abnehmer freistellt163. Vorgeschlagen wird auch, dem jeweiligen Abnehmer einen gewissen Überschuss an Ware einzuräumen, um diesem einen Spielraum zur Erfüllung von Nachlieferungsverpflichtungen zu geben164. Dies könnte allerdings in mehrgliedrigen Handelsketten, in welchen jeder Abnehmer potentieller Regressgläubiger ist, schnell zu einem erheblichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung führen. Dies ist tatsächlich eine Angelegenheit der Praxis. Wenn sich der deutsche Gesetzgeber „pauschale Abrechnungssysteme“ vorstellt, mit welchen den berechtigten Interessen des Handels Rechnung getragen werden könne, so verlagert sich die Fragestellung allerdings nur von der Gleichwertigkeit des Ausgleichs zu den berechtigten Interessen des Handels165. Die Gleichwertigkeit des Ausgleichs wird jedenfalls gerichtlicher Inhaltskontrolle unterliegen; falls sie verneint wird, sind Vereinbarungen über den Ausschluss von Regressansprüchen oder die Verkürzung bzw. Erleichterung ihrer Verjährung insgesamt unwirksam. Wie immer die Kriterien zur Gleichwertigkeit sich entwickeln werden, so wird im Rahmen dieser Beurteilung auch zu berücksichtigen sein, wie relevant das Risiko zwingender Gewährleistung gegenüber einem Verbraucher ist. Dies jedoch ist desto schwieriger abzusehen, je weiter die Vertragsparteien in der Lieferkette vom Endkäufer entfernt sind, und ebenso gestaltet sich eine adäquate gerichtliche Inhaltskontrolle der Gleichwertigkeit des gewährten Ausgleichs immer komplizierter, je entfernter die Vertragsparteien vom (potentiellen) Verbraucher-Käufer entfernt sind. Auch wenn es Herstellern und Zwischenhändlern gelingt, die für sie während eines für sie außerordentlich langen Zeitraums drohende Regresshaftung auf gerichtsfeste Art und Weise auszuschließen, bleibt das Kriterium des gleichwertigen Ausgleichs also, rechtlich gesehen, eine Schimäre: Denn ob auf einen Kaufvertrag über ein Verbrauchsgut überhaupt besonderes Regressrecht anwendbar ist, kann den Vertragsparteien in vielen Fällen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schon aus dem schlichten Grund noch nicht klar sein, weil es noch nicht entschieden ist. Der Letztverkäufer wird über die Anwendbarkeit der §§ 478, 479 BGB, wie oben dargelegt, erst in dem Augenblick entscheiden, in welchem er das Fahrzeug, den Drucker, den Computer, den Schreibtisch, die Schreibtischlampe oder den Kugel162 163 164 165

MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 42. Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 27. Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 27. Buck, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 177.

D. Positiv zwingendes Recht in Vertragsketten (Raupentheorie)

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schreiber entweder an einen Verbraucher oder an einen Unternehmer veräußert, und die vorherigen Vertragsparteien in der Lieferkette hängen von dieser Entscheidung ab166. Was also ein „gleichwertiger Ausgleich“ sein soll, wird einer rechtlichen Subsumtion nicht zugänglich sein, sondern Gegenstand ungefährer wirtschaftlicher Erwägungen bleiben müssen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass von der Gleichwertigkeit immerhin die Wirksamkeit vertraglicher Vereinbarungen in der Handelskette abhängt, ein unbefriedigendes Ergebnis.

D. Positiv zwingendes Recht in Vertragsketten (Raupentheorie) Die Regelung der §§ 478, 479 BGB transportiert zwingende Schutzmechanismen aus dem Verbrauchsgüterkauf in das Handelsrecht167, denn auch, wenn zwischen Lieferanten und Letztverkäufern die Möglichkeit besteht, vom gesetzlichen Modell abzuweichen, so führt doch das Erfordernis eines „gleichwertigen Ausgleichs“ dazu, dass auch im Handelskauf eine „im Hinblick auf ihr wirtschaftliches Ergebnis weitestgehend zwingende Regelung“ gilt168. Das Regressrecht im Verbrauchsgüterkauf unterwirft Kaufleute zudem einer Gewährleistungsfrist, deren Ablauf für bis zu fünf Jahre gehemmt sein kann, und schränkt die unternehmerische Privatautonomie für AGB wie für Individualvereinbarungen ein, sofern für die dem Regressgläubiger genommenen Rechte diesem kein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird. Die Entscheidung hierüber obliegt den Gerichten, was nicht zur Vertragssicherheit beiträgt – Picker spricht im Zusammenhang mit dem Vordringen des zwingenden Rechts von der „richterlichen Gängelung der Parteien“169. Fast könnte der Eindruck entstehen, als müssten Grundsätze des Handelsrechts wie die Schnelligkeit des Handelsverkehrs, die erhöhte Privatautonomie unter Kaufleuten, der besondere Vertrauensschutz und andere, neu überdacht werden; zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht hält das zwingende Recht Einzug in das Privatrecht der Unternehmer170. Auch wenn an der Regelung der §§ 478, 479 BGB viel Kritik möglich ist und geübt wird171, bilden die Regressvorschriften dennoch beileibe kein Beispiel für die

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Hierzu oben S. 142. Schubel, Mysterium Lieferkette, ZIP 2002, 2061, spricht von einem gewaltigen Magnetberg, „der die Beteiligten (...) mit unsichtbarer Hand ergreift“; vgl. hierzu auch ausführlich M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225. 168 MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 1. 169 Picker, Schuldrechtsreform und Privatautonomie, JZ 2003, 1035 (1036). 170 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2566). 171 Schlechtriem, Schuldrecht BT, 6. Aufl. 2003, Rdn. 94; Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 141; Lorenz, „Unternehmer – Unterneh167

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Unfähigkeit des deutschen Gesetzgebers172. Es handelt sich vielmehr um Gesetzgebung unter erschwerten Umständen, da Artikel 4 der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie eine Regelung erzwungen hat, das positiv zwingende Recht nicht allein auf den Schultern des Handels abgeladen werden konnte und schließlich „das Recht der Verkäuferketten und der Vertriebssysteme anerkannt zu den besonders schwierigen Bereichen unserer grundsätzlich bilateral denkenden Schuldrechtsdogmatik gehört“173. Der deutsche Gesetzgeber hat mit großer Mühe versucht, dem Letztverkäufer ein eigenes, mit Einschränkungen zwingendes Regressmodell an die Hand zu geben. Dies hat einerseits einen relativ weitgehenden Schutz des Letztverkäufers zur Folge, geht jedoch andererseits Hand in Hand mit einer Ausweitung des zwingenden Rechts hinein in den Handelskauf und in das Handelsrecht. Es kommt hinzu, dass die deutsche Regelung in ihrem Bestreben, allen durch das zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht entstandenen Ungleichgewichtigkeiten soweit wie möglich Rechnung zu tragen, zu einem außerordentlich komplizierten und nur schwer zu handhabenden Gebilde geworden ist, an dessen Praktikabilität im Handelsverkehr man zweifeln darf174. Die Ursache für das Dilemma des Gesetzgebers und für das nun geltende Regressrecht ist jedoch nicht spezifisch kaufrechtlicher Natur, sondern beruht, allgemeiner, auf der Wirkungsweise positiv zwingenden Rechts in Vertragsketten (Raupentheorie). Positiv zwingendes Recht produziert in Vertragsketten die Schutzwürdigkeit desjenigen, zu dessen Lasten es eingreift. Damit führt es zu sich fortsetzenden Schutzwürdigkeiten, die nicht auf tatsächlicher Unterlegenheit, Uninformiertheit oder ähnlichen Umständen beruhen, sondern erst vom Gesetzgeber hergestellt werden. Diese sich fortsetzende Schutzwürdigkeit ist der Grund für die in Artikel 4 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf behandelte Regressproblematik. Hier wird nun die eigentlich interessante Eigenschaft des positiv zwingenden Rechts ablesbar, nämlich der Druck, den das positiv zwingende Recht auf die Privatautonomie weiterer Glieder in der Vertragskette ausübt. Mit dem Schutz des Verbrauchers durch positiv zwingendes Recht gegenüber dem Letztverkäufer wird dieser gegenüber seinem eigenen Lieferanten schutzwürdig, was wiederum nach einer rechtlichen Kompensation dieser Schutzwürdigkeit verlangt. Eine derartige Kompensation kann nur in einem Schutzmechanismus gegenüber dem Liemerlein – Verbraucher“: Ein neues Leitbild? RIW 10/2004, Die erste Seite; Faust, in: Bamberger/ Roth, 2003, § 478 Rdn. 26. 172 So auch Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: DaunerLieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (433). 173 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (433). 174 Darum die Prognose von Karsten Schmidt, die gesetzliche Regelung werde nur im Hinblick auf ihre Abbedingung relevant sein, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (429).

D. Positiv zwingendes Recht in Vertragsketten (Raupentheorie)

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feranten bestehen, und dies ist nur auf Kosten von Eingriffen in dessen Vertragsfreiheit machbar. Dieser Lieferant wird damit seinerseits gegenüber seinem eigenen Lieferanten schutzwürdig, und so frisst sich das positiv zwingende Recht von einem Glied der Vertragskette zum nächsten: einer Raupe gleich, wobei, um im Bilde zu bleiben, die Relativität ihre Nahrung bildet. Positiv zwingendes Recht innerhalb von Vertragsketten bedeutet damit, solange am strengen Modell der rein relativen Vertragshaftung festgehalten wird, logisch und unvermeidlich ein fortschreitendes Verschwinden formaler Privatautonomie. Doch nicht nur im Kaufrecht, auch in anderen Rechtsgebieten erzeugt der Schutz, den positiv zwingendes Recht bewirken soll, weitere Schutzwürdigkeiten in Vertragsketten: Der Erstverwerter, der mit einem durch das neue Urhebervertragsrecht175 geschützten Urheber kontrahiert, unterliegt einer positiv zwingenden Vergütungspflicht, die er an weitere Verwerter in der Verwertungskette möglicherweise nicht weitergeben kann. Die Situation ist nicht so augenfällig wie im Verbrauchsgüterkaufrecht, denn im Urhebervertragsrecht geht es um (Primär)-Schuld, nicht um Haftung, und die Äquivalenzkontrolle betrifft nicht die Leistung, sondern die Gegenleistung. Dennoch ist das Phänomen strukturell das gleiche, wenn auch spiegelverkehrt. So wie die positiv zwingende Haftung im Verbrauchsgüterkaufrecht mit dem Regressrecht bis zum Hersteller durchgereicht werden soll, müsste auch der Erstverwerter die Kosten des zwingenden Urhebervertragsrechts weiterreichen können, bis sie beim richtigen Adressaten angelangt sind. Dieser ist, da das Urhebervertragsrecht nicht die Äquivalenz der Leistung, sondern die der Gegenleistung kontrolliert, nicht der Anbieter, sondern der letzte Abnehmer, i. e. der Verbraucher. Eine Übertragung der Äquivalenzkosten durch die Lizenzkette ist natürlich rechtlich nicht zu bewerkstelligen, ohne sämtliche marktwirtschaftlichen Grundsätze über Bord zu werfen, darum soll einem dahingehenden Modell hier auch gar nicht das Wort geredet werden. Es sei nur darauf hingewiesen, dass im Umfeld positiv zwingenden Rechts innerhalb von Vertragsketten die strukturellen Probleme die gleichen sind.

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Hierzu oben S. 109.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten I. Niederlande Die Niederlande176 gehörten nach ihrer Angliederung an Frankreich im Jahre 1810 zu den Gebieten, innerhalb derer der Code Civil galt, und stehen somit in Verbindung zur romanischen Rechtstradition. Diese ist allerdings wesentlich entfernter als beispielsweise im Falle Luxemburgs und Belgiens177, da in den Niederlanden bereits im Jahre 1838 das eigene Burgerlijk Wetboek in Kraft trat. Das Burgerlijk Wetboek wird in der Diskussion um das sich entwickelnde europäische Privatrecht immer wieder als Muster zitiert, denn es wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiv modernisiert, bis die Reform mit dem neuen Allgemeinen und Besonderen Schuldrecht zum 1. Januar 1992 im Wesentlichen vollendet wurde178. Zu dieser modernen Struktur des Gesetzes passt es, dass die Niederlande das Verbraucherschutzrecht nicht spezialgesetzlich geregelt, sondern vollständig in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen haben179. Dies hat natürlich einen rechtspolitischen Hintergrund: Der Schutz der, plakativ formuliert, „schwächeren“ Vertragspartei soll im niederländischen Privatrecht nicht mehr die Ausnahme, sondern ein Prinzip darstellen180. Auch die Produkthaftung und sogar das Handelsrecht wurden integriert181. Die Tatsache, dass es sich beim Burgerlijk Wetboek um eine umfassende Kodifikation handelt, sowie die relative Neuheit in seiner heutigen Gestalt bilden miteinander die Gründe dafür, dass dem niederländischen Privatrecht innerhalb der Union Modellcharakter zukommt, und es verwundert nicht, dass auch der deut-

176 Für die vorliegende Untersuchung wurden exemplarisch einige Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ausgewählt, in denen sich interessante und ggf. vom deutschen Recht abweichende Regresslösungen finden. Auf eine Darstellung des Verbrauchsgüterkaufrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten wurde verzichtet, getreu den Empfehlungen von Zweigert/Kötz, bei der Auswahl der zu vergleichenden Rechtsordnungen dem „Grundsatz weiser Beschränkung“ zu folgen (Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 40). Eine umfassende rechtsvergleichende Darstellung der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in sämtlichen europäischen Mitgliedstaaten leistet allerdings in großer Ausführlichkeit Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004. 177 Hierzu unten S. 184 und 186. 178 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 366. 179 Vgl. Tonner, Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und Europäisierung des Zivilrechts, BB 1999, 1769 (1770). Eine Einführung in das niederländische Gesetz findet sich bei Hondius, Das neue Niederländische Zivilgesetzbuch, AcP 191 (1991), 376; weiterhin Vranken, Das Recht der unerlaubten Handlung, Schadenersatz- und Bereicherungsrecht, AcP 191 (1991), 411; außerdem Hartkamp, Einführung in das neue Niederländische Schuldrecht, AcP 191 (1991), 396; Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 315. 180 Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 315. 181 Hierzu Hondius, AcP 191 (1991), 378 (386).

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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sche Gesetzgeber es in seinem Bemühen um Rekodifikation bei der Schuldrechtsreform verschiedentlich als Referenz herangezogen hat182. Die Niederlande haben die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf, leicht verspätet, im März des Jahres 2003 umgesetzt183. Man hat sich angesichts der frischen Reformen des Bürgerlichen Rechts in den Niederlanden natürlich nicht für die ganz große schuldrechtliche Lösung wie in Deutschland entschieden; das gesetzgeberische Vorgehen ähnelt dem deutschen jedoch insofern, als auch in den Niederlanden ein einheitliches kaufrechtliches Modell gewählt wurde: Den Vorgaben der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie wird innerhalb des allgemeinen Kaufrechts durch einige Sondervorschriften Genüge getan184. Einige der in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie enthaltenen Elemente kannte das niederländische Recht bereits vor der Umsetzung; insbesondere waren Werbeangaben bereits zuvor zur Bestimmung der Sollbeschaffenheit heranzuziehen185. Die niederländische Regelung stand hier – gemeinsam mit den jüngeren skandinavischen Gesetzen – Pate für das europäische Modell. Zusammen mit Deutschland, Österreich, Griechenland, Italien, England und Irland bilden die Niederlande das Lager derjenigen Staaten, die keine unmittelbare Herstellerhaftung für Sachmängel gegenüber dem Verbraucher kennen und sich darum für ein reines Regressmodell entschieden haben. Äquivalenzhaftung ist also, verkürzt ausgedrückt, auch in den Niederlanden nur innerhalb eines Vertragsverhältnisses und entlang der Vertragskette möglich, während Dritte, wie insbesondere der Hersteller, nur gesetzlich und hier nur wegen Integritätsverletzungen haften186. Die niederländische Regressregelung war also vor dem gleichen rechtlichen Hintergrund zu finden wie in Deutschland, unterscheidet sich konzeptionell jedoch nicht unerheblich von den §§ 478, 479 des deutschen BGB. Einschlägig ist Art. 7:25 des Burgerlijk Wetboek:

182 Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucksache 14/6040, S. 92 oder 150; hierzu Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 366. 183 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 241; zuvor bereits Hondius/Schelfaas, In conformity with the Consumer Sales Directive? Some remarks on transposition into Dutch law, European Review of Private Law 2001, 327. 184 Hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 241, 242. 185 Art. 7:18 Burgerlijk Wetboek; hierzu Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 316; Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (423); Glinski/Rott, Umweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (651). 186 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 178.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

„(1) Hat der Käufer im Falle einer in Artikel 24 bezeichneten Pflichtverletzung eines oder mehrere seiner Rechte aus Anlass dieser Pflichtverletzung gegenüber dem Verkäufer ausgeübt, so hat der Verkäufer Anspruch auf Schadensersatz gegenüber demjenigen, von dem er die Sache gekauft hat, vorausgesetzt, dass auch dieser bei diesem Vertrag in Ausübung seines Berufes oder Gewerbes gehandelt hat. (...) (2) Auf eine Bestimmung über den Ausschluss oder die Beschränkung der in Abs. 1 bezeichneten Haftung kann man sich nur berufen, soweit dies unter Beachtung aller Umstände des Falles gegenüber dem Verkäufer der Billigkeit entspricht.“187

Auch hier besteht somit die Möglichkeit der richterlichen Inhaltskontrolle, wie sie im deutschen Recht durch § 478 BGB vorgesehen ist. Zugleich geht der Eingriff in die unternehmerische Privatautonomie allerdings wesentlich tiefer als in Deutschland, wo sich der potentielle Regressschuldner ja immerhin durch einen gleichwertigen Ausgleich „freikaufen“ kann. Diese Möglichkeit besteht im niederländischen Recht nicht188. Die dortige Lösung ist also nicht nur wirtschaftlich, sondern rechtlich zwingend. Darüber, inwieweit eine Abbedingung innerhalb der Grenzen der Billigkeit möglich sein soll, gibt es in den Niederlanden, soweit ersichtlich, ähnlich wenige Erkenntnisse wie in Deutschland zum gleichwertigen Ausgleich189. Interessant ist daneben die Rechtsnatur des Regressanspruchs in den Niederlanden. Dieser ist nicht, wie im deutschen, österreichischen und griechischen Recht als (mehr oder weniger modifizierter) Gewährleistungsanspruch konzipiert, sondern als verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch190. Übrigens war in den Niederlanden im Rahmen der Reformen zum Burgerlijk Wetboek noch über einen unmittelbaren Anspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller diskutiert worden191. Zumindest Ewoud Hondius hätte diese Lösung als „sinnvolle Ergänzung“ favorisiert192.

187 Die Übersetzung stammt aus Hondius/Jeloschek, Die Kaufrechtsrichtlinie und das niederländische Recht: Für den Westen kaum etwas Neues, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 197, die sie ihrerseits aus Caspari/Nieper/ Hein/Westerdijk, Niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch entnommen haben. 188 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 439. 189 Hierzu Hondius/Jeloschek: „Aus Mangel an Fällen zu diesem Problemkreis müssen sich die Ausführungen auf eine bloße Darstellung des Gesetzeswortlauts beschränken, was angesichts der vagen Formulierung nicht besonders hilfreich ist.“ Hondius/Jeloschek, Die Kaufrechtsrichtlinie und das niederländische Recht: Für den Westen kaum etwas Neues, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 197 (213). 190 Vgl. Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 347, 348. 191 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41. 192 Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136).

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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II. Österreich Österreich war der erste europäische Mitgliedstaat, der die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf umgesetzt hat193. Das österreichische Regressmodell194 ähnelt nur in seiner Grundstruktur dem deutschen. Nach § 933b ABGB gibt es zwar einen Regressanspruch des Letztverkäufers und weiterer Zwischenhändler gegen ihre jeweiligen Vertragspartner, ein Direktanspruch des Verbrauchers oder anderer Glieder der Lieferkette gegenüber dem Hersteller besteht nicht195. Der Regressanspruch ist in Österreich wesentlich schwächer als in Deutschland. Der Sache nach beschränkt er sich auf eine Lösung der Verjährungsproblematik. Der Letztverkäufer und weitere unternehmerische Mitglieder der Lieferkette können sich auch nach Ablauf der in ihrem jeweiligen Vertragsverhältnis geltenden Verjährungsfrist noch gewährleistungsrechtlich an ihren Vordermann wenden. Dies hat innerhalb von zwei Monaten ab Erfüllung der eigenen Gewährleistungspflicht gerichtlich zu geschehen und ist jedenfalls in fünf Jahre nach Gefahrübergang vom Regressschuldner auf den Regressgläubiger ausgeschlossen196. Dieser Anspruch entspricht, abgesehen von der beschriebenen Fristenmodifikation, vollständig den gewöhnlichen Gewährleistungsrechten, richtet sich also auf „Verbesserung, Umtausch, Preisminderung oder Wandlung“197. Entsprechend hat der österreichische Gesetzgeber auch keine dem § 478 Abs. 2 BGB entsprechende Regelung eines eigenen Aufwendungsersatzanspruchs eingeführt. Das österreichische Regressrecht ist somit, wesentlich stärker noch als das deutsche, seiner Natur nach Gewährleistungsrecht und als solches kaum modifiziert198. Im Unterschied zur deutschen Regelung ist der Regressanspruch in Österreich zudem vollständig dispositiv ausgestaltet; es gelten lediglich die allgemeinen Regeln der AGB-Kontrolle und der Sittenwidrigkeit199. Dies bringt einerseits er193 Geschehen durch das Gewährleistungs-Änderungs-Gesetz vom 8. Mai 2001; hierzu Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 142ff.; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 238; zuvor schon Jeloschek, The Transposition of Directive 99/44/EC into Austrian Law, European Review of Private Law 2001, 163. 194 Zum Regress in Österreich Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177; Wilhelm, Der Händlerregress an der Schnittstelle von Privat- und Gemeinschaftsrecht, ecolex 2003, 231ff. 195 Vgl. Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 151; Schön, Allgemeines Vertragsrecht und Kaufvertragsrecht – ein Rechtsvergleich Österreich, USA, Spanien und UN-Kaufrecht, 2003, S. 327. 196 § 933b ABGB. 197 Geregelt in § 932 ABGB. 198 Wilhelm, Der Händlerregress an der Schnittstelle von Privat- und Gemeinschaftsrecht, ecolex 2003, 231 (232). 199 § 879 AGBG; hierzu Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (192ff.); Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 445.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

höhte unternehmerische Flexibilität mit sich und passt sich ohne Bruch in die handelsrechtlichen Grundsätze der Selbständigkeit und Privatautonomie ein. Faber sieht die österreichische Regelung aus diesen Gründen gegenüber der deutschen im Vorteil200. Dem wäre im Hinblick auf eine rein handelsrechtliche Wertung sicherlich beizupflichten. Die Regressmöglichkeiten des Letztverkäufers sind hierdurch jedoch erheblich eingeschränkt. Das positiv zwingende Recht belastet in Österreich ausschließlich ihn201. III. England, Irland 1. Keine Regressvorschriften Das Vereinigte Königreich hat die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, etwas verspätet, mit Wirkung zum 31. März 2003 umgesetzt202. Der Rechtsakt hierzu sind die „Sale and Supply of Goods to Consumer Regulations 2002“203, mit denen bereits bestehende Gesetze, insbesondere der Sale of Goods Act 1979, geändert wurden. Letzterer stellt eine von mehreren Rechtsquellen des englischen Kaufrechts dar und regelt in erster Linie die Vertragswidrigkeit von Kaufgegenständen und die hieraus resultierenden Rechte204. Haftungsausschlüsse und -beschränkungen sind hingegen nicht im Sale of Goods Act, sondern im Unfair Contract Terms Act von 1977 geregelt205. Man hat sich in England, wie beispielsweise auch in Italien, gegen eine „große“ kaufrechtliche Lösung entschieden206; dies widerspräche bereits der „punktuellen englischen Gesetzgebungstechnik“207. Die Vorschriften zum Verbrauchsgüterkaufrecht gelten nur für diesen Vertragstyp; außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs gilt allgemeines Kaufrecht. Hierdurch entstehende Unübersichtlichkeiten hat

200

Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (194). Die Wirksamkeit der österreichischen Regressrechts lässt sich ohne Schwierigkeiten im Internet verfolgen. Eine Eingabe des Begriffes „933b ABGB“ in beliebige Suchmaschinen führt zum vielfachen Verweis auf gleichlautende AGB gewerblicher Verwender mit der Standardformulierung: „Rückgriffsrechte des Käufers im Sinne des § 933b ABGB sind ausgeschlossen.“ 202 Hierzu ausführlich Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366; Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 263; zuvor bereits Watterson, Consumer Sales Directive 1999/44/EC – The impact on English Law, European Review of Private Law 2001, 197. 203 Statutory Instrument 2002 No. 3045. 204 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (367). 205 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (367). 206 Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746. 207 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740; Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366. 201

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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man in Kauf genommen – in erster Linie wohl, um das hergebrachte und bewährte englische Kaufrecht nicht anzutasten208. Das Schutzniveau für den Käufer war im englischen Recht bereits vor Umsetzung der Richtlinie, insbesondere hinsichtlich der Verjährungsfristen, relativ hoch. Bereits vor der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf galt in England nach dem Limitation Act 1980 für einfache Verträge eine Gewährleistungsfrist von bis zu sechs Jahren209, im Grundsatz sogar für gebrauchte Güter210. Diese lange Verjährungsfrist hat man aus Gründen der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit nun auch im Rahmen der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie beibehalten. Wesentliche Änderungen haben sich in erster Linie durch die Einführung neuer Rechtsbehelfe ergeben, namentlich des Nacherfüllungsanspruches (specific performance)211. Für das englische Recht neu waren daneben insbesondere Werbeangaben als Faktor zur Bestimmung der Vertragsgemäßheit212 und die rechtliche Bindung durch die Abgabe einer Garantieerklärung213. Wie in vielen anderen Mitgliedstaaten, so stellt auch in England die Vermutung der anfänglichen Vertragswidrigkeit im Falle eines innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang auftretenden Mangels eine bedeutende Neuerung für das bestehende Beweislastsystem dar214. Die Nacherfüllungsansprüche (repair und replacement) sowie das Rücktrittsund das Minderungsrecht (rescission, reduction of the price) waren dem englischen Recht bis zur Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unbekannt215. Die Wahl der kleinen Umsetzungslösung führt darum nun zu einer Zweiteilung auf der Rechtsfolgenseite. Die Rechtsbehelfe der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie treten heute neben die traditionellen und bis zum Jahr 2003 einzigen Mittel des Zurückweisungsrechts (right to reject) und des Schadensersatzes (damages)216, was im Ergebnis dazu führt, dass der Käufer einer mangelhaften Sache in England nun, wenn er Verbraucher ist, über eine Art Wahlrecht zwischen den alten und

208 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 („wenig stimmiges Konglomerat“); Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (741). 209 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366; Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740. 210 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (744). 211 Hierzu gleich, S. 160. 212 Section 14, Subsection 2D, Sales of Goods Act. 213 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (741). 214 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (381); Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (745). 215 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (380). 216 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (743).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

den neuen Rechtsbehelfen verfügt217. Weiterhin führt das Rechtsinstitut der acceptance zum Verlust der „alten“, nicht jedoch der „neuen“ Rechtsbehelfe218, und die Beweislastumkehr hinsichtlich der anfänglichen Mangelhaftigkeit gilt nur für letztere, nicht jedoch im vorbestehenden englischen Kaufrecht. Dies bringt natürlich eine gewisse Zersplitterung und Erschwerung der Rechtsanwendung mit sich219, die im Rahmen einer „kleinen Lösung“ jedoch wohl nicht zu vermeiden gewesen sein dürfte. Auf eine eigene Regressregelung für das Verbrauchsgüterkaufrecht hat man in England interessanterweise vollständig verzichtet220 – nicht einmal für die Verjährung der Regressansprüche wurden Sondervorschriften geschaffen. Zwischen Letztverkäufer und Lieferanten gilt, wie in der gesamten Lieferkette, somit lediglich das allgemeine Gewährleistungsrecht in Gestalt des Sale of Goods Act. Der englische Gesetzgeber hat sich hierbei offenbar von der Auffassung leiten lassen, dass die im englischen Recht bestehenden remedies des Letztverkäufers ausreichten, um eine Regressfalle zu seinen Lasten zu vermeiden221 und somit Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf Genüge zu tun. Für diese Lösung spricht, dass in praktischer Hinsicht zumindest hinsichtlich einer drohenden Verjährungsfalle in England kein akuter Handlungsbedarf bestand, da bei Geltung des ausgesprochen verjährungsfeindlichen englischen Kaufrechts auch die Gewährleistungsansprüche des Letztverkäufers grundsätzlich erst in sechs Jahren verjähren. Dennoch ist festzuhalten, dass die Verjährung nicht der einzige Aspekt der Regressfalle des Letztverkäufers ist. Wie in Deutschland, so unterliegt der Letztverkäufer auch in England zwingendem Verbrauchsgüterkaufrecht gegenüber seinen Kunden222. Anders als hierzulande gibt es jedoch in England keine Vorschrift, die zumindest einen Teil dieser zwingenden Belastung 217 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (372). 218 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (743). 219 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366. 220 Hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 445; Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (383); Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (745). 221 Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (745). 222 Im Vereinigten Königreich hat man zwar davon abgesehen, die Vorschriften zur Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie selbst als zwingendes Recht auszugestalten. Um der Richtlinie, die den Mitgliedstaaten ja genau diesen zwingenden Charakter vorschreibt, gerecht zu werden, sind jedoch die Vorschriften des Unfair Contract Terms Act 1977 heranzuziehen, wo geregelt ist, dass bestimmte Verbraucherrechte gegenüber dem Verbraucher vertraglich nicht eingeschränkt werden dürfen (Section 6, Subsection 2, Unfair Contract Terms Act). Da die Haftung nach den Regulations an diese Vorschriften anknüpft, gilt der zwingende Charakter auch für das Verbrauchsgüterkaufrecht; vgl. hierzu Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (376); Sobich, Neues Kaufrecht im Vereinigten Königreich, RIW 2003, 740 (745).

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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zu seinen Gunsten in das Lieferantengeschäft transportieren würde. In materieller Hinsicht hat die englische Methode die Ungleichgewichtslage, die aufgrund des zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts zu Ungunsten des Letztverkäufers gegenüber seinem Lieferanten entsteht, nicht beseitigt oder wenigstens gemildert223. Des Weiteren entsteht eine Schutzlücke im Hinblick auf öffentliche Äußerungen, die zur Bestimmung der Vertragsmäßigkeit herangezogen werden. Diese gelten ausschließlich zugunsten von Verbrauchern224 und können somit im Regressfall nicht zur Beurteilung der Mangelhaftigkeit herangezogen werden. Zu dieser gewichtigen Schutzlücke gesellt sich der Umstand, dass dem Letztverkäufer gegenüber dem Lieferanten keine der für das englischen Recht neuen Ansprüche zur Seite stehen, insbesondere also kein Nacherfüllungsanspruch und kein Minderungsrecht, so dass er im Wesentlichen auf das Geltendmachen von Schadensersatz beschränkt ist. Auch dies wird als defizitäre Umsetzung der Richtlinie eingeschätzt225. Gleiches gilt in Irland. Dort kann der Käufer aufgrund der privity-Doktrin ebenfalls nur gegen den Verkäufer vorgehen226, und zum Regress enthalten die irischen Umsetzungsbestimmungen zur Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie227 ebenfalls keinerlei Bestimmungen. Dies beruht auf einer Parallele zwischen englischem und irischem Verjährungsrecht: Auch in Irland beträgt die Gewährleistungsfrist bei Sachmängeln sechs Jahre228, so dass das Problem der Verjährungsfalle auch in Irland von geringerer praktischer Relevanz ist als in Staaten mit zweijähriger Frist.

223 Vorteilhaft sehen diese Regelung Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (383). 224 Section 14, Subsection 2D, Sales of Goods Act: „If the buyer deals as consumer or, in Scotland, if a contract of sale is a consumer contract, the relevant circumstances mentioned in subsection (2A) above include any public statements on the specific characteristics of the goods made about them by the seller, the producer or his representative, particularly in advertising or on labelling.“ 225 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 446. 226 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41. 227 Irland hat die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf mit leichter Verspätung im Januar 2003 umgesetzt. Die Umsetzung geschah mit den European Communities (Certain Aspects of the Sale of Consumer Goods and Associated Guarantees) Regulations 2003; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 265; zuvor bereits Bird, Directive 99/44/EC on certain aspects of the sale of consumer goods and associated guarantees: its impact on existing Irish sale of goods law, European Review of Private Law 2001, 279; vgl. auch Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 489; zum hier nicht behandelten schottischen Recht Hogg, Scottish law and the European Consumer Sales Directive, European Review of Private Law 2001, 337. 228 Art. 11 Abs. 1 a), Statute of Limitations 1959; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 420.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

2. Specific performance und Fristsetzung Abseits der Regressfrage sei auf eine weitere englische Besonderheit bei der Umsetzung des Verbrauchsgüterkaufrechts hingewiesen. Für das englische Recht spitzt sich die Thematik, die hier unter dem Begriff des positiv zwingenden Rechts behandelt wird, noch ein wenig mehr zu als für die kontinentaleuropäischen Länder. Ein wesentlicher Unterschied zwischen kontinentaleuropäischem und englischem Recht besteht im Hinblick auf die Möglichkeit, Primärpflichten einzuklagen. Während dies beispielsweise im deutschen Rechtskreis als selbstverständlicher erster Weg gesehen wird und die Schadensersatzleistung im Regelfall an eine vorherige Fristsetzung geknüpft ist, die ihrerseits der Nacherfüllung dienen soll229, stellt sich die Situation im englischen Recht spiegelverkehrt dar230: Klagen haben sich im Falle eines breach of contract grundsätzlich auf Schadensersatz, also auf Geldzahlung zu richten. Die Verurteilung zur Primärleistungspflicht, die so genannte specific performance, bildet demgegenüber eine Ausnahme231, die nur in Fällen der Nichtlieferung möglich ist232 und bei Gattungsschulden bereits deswegen von vornherein ausscheidet233, da sie sich ja auf einen „spezifischen“ Gegenstand richtet234. Hinzu kommen als weitere Erschwernisse, dass der Käufer einen besonderen Wert mit der Kaufsache verknüpfen muss und die spezifische Leistung für den Verkäufer keine übermäßige Belastung beinhalten darf235. Dahinter steht das hergebrachte englische Vertragsverständnis, wonach ein Vertragsversprechen nicht im eigentlichen Sinne ein Erfüllungsversprechen, sondern ein verschuldensunabhängiges Garantieversprechen darstellt, das sich darauf richtet, dass der Versprechende im Falle des Vertragsbruchs (breach of con-

229

§ 281 BGB. Hierzu ausführlich Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746 (748); vgl. auch Motsch, Risikoverteilung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht, JZ 2001, 428 (430). 231 Vgl. zur specific performance Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (377). Ein signifikantes Beispiel für die Unterschiede zwischen der englischen und der kontinentaleuropäischen Rechtsauffassung bildet Ruxley Electronics v Forsyth, [1995] 3 All ER 268: Bei einem Werkvertrag über einen Swimmingpool stellt sich nach Fertigstellung heraus, dass der Pool nicht die vertraglich vereinbarte Tiefe aufwiest. Während in Deutschland die Nachbesserung erster Rechtsbehelf des Bestellers wäre, verneinte die englische Rechtsprechung einen Anspruch auf specific performance und hatte sich in der Konsequenz damit auseinander zu setzen, wie hoch der Schaden des Bestellers zu veranschlagen sei. 232 Section 52, Sales of Goods Act. 233 Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746 (748). 234 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (378). 235 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (378). 230

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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tract) Schadensersatz leisten wird236. Den Vertragsparteien soll es nach englischem Rechtsverständnis nicht zugemutet werden, den Vertrag unter allen Umständen als persönliche Leistung durchzuführen und auf diese Weise auch im Falle eines breach of contract aneinandergekettet zu bleiben. Der Gläubiger soll vielmehr die Gelegenheit haben, bei einem anderen Vertragspartner das zu finden, wonach er sucht („to walk away from the deal and seek satisfaction elsewhere“237). Gerade die Sachmängelhaftung bildet in diesem Zusammenhang einen typischen Fall: Ein Nachlieferungs- oder Nachbesserungsanspruch wie schon im alten deutschen Werk- und Gattungskaufvertragsrecht238 ist dem herkömmlichen englischen Recht vollständig fremd, getreu der Grundhaltung, dass niemand gerichtlich zu mehr bzw. etwas anderem als zu einer Geldzahlung verpflichtet werden sollte. Eng mit dieser Rechtstradition verbunden ist im Übrigen auch die im englischen Recht vorherrschende strict liability239, also die verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung für Pflichtverletzungen. Denn wo die Schadensersatzklage im Falle des Vertragsbruchs grundsätzlich den einzigen Rechtsbehelf darstellt, darf selbstverständlich kein weiteres Tatbestandsmerkmal, wie im deutschen Recht das Vertretenmüssen, an die Zahlungspflicht geknüpft sein. Ausgehend von diesem Befund erscheint es für das englische Recht nur konsequent, dass dort an den Rücktritt und das Schadensersatzverlangen schon traditionell grundsätzlich keine Fristsetzung des Käufers geknüpft war240. Dies setzt sich im neuen englischen Recht nun darin fort, dass auch im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs keine eigene Fristsetzung des Käufers notwendig ist, bevor er zur zweiten Stufe der kaufrechtlichen Rechtsbehelfe übergehen kann. Die angemessene Frist beginnt vielmehr ex lege schon damit zu laufen, dass der Verbraucher vom Verkäufer die Nacherfüllung verlangt hat241. Hierin liegt ein Unterschied zum deutschen Recht, das ja einen nur geringen Schritt hinter die bis zum 1. Januar 2002 notwendige Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung242 zurückgegangen ist und zumindest am Erfordernis der Fristsetzung festgehalten hat243. Zugleich besteht im englischen Recht aber eine größere Nähe zur Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als im deutschen Recht, denn die Richtlinie sieht 236

Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746

(748). 237 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (372). 238 §§ 633 Abs. 2, 480 Abs. 1 BGB in der Fassung vor dem 1. 1. 2002. 239 Lando, Das neue Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die Grundregeln des europäischen Vertragsrechts, RabelsZ 2003, 231 (239). 240 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (372). 241 Hierzu Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (380). 242 § 326 BGB a.F. 243 § 323 Abs. 1 BGB.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

ebenfalls keine Fristsetzung des Verbrauchers vor, sondern spricht lediglich von der „angemessenen Frist“ als solcher im Sinne einer Rücktrittsvoraussetzung244. Es kann somit konstatiert werden, dass die Umsetzung der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie hinsichtlich dieses Punktes in England jedenfalls korrekt vorgenommen wurde, während dies für das deutsche Recht zumindest zweifelhaft ist245. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass das in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorgesehene Nacherfüllungsrecht eine echte Neuerung in das englische Recht eingeführt und dieses vor gewisse dogmatische Herausforderungen gestellt hat246; sogar von einer „Revolution“ ist die Rede247. Dabei handelt es sich nur um das Zusammentreffen zweier Extreme: Das englische Recht, das mit seiner Ablehnung der specific performance eine besonders autonomiewahrende und damit liberale Position vertritt, steht zum positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht in einem schon fast natürlichen Konflikt, der die Besonderheiten der Richtlinie entsprechend deutlicher werden lässt, als dies in anderen Mitgliedstaaten der Fall ist. IV. Griechenland Griechenland248 zählt, entsprechend seiner vom deutschen Recht beeinflussten bürgerlich-rechtlichen Tradition249, zu den Staaten ohne unmittelbare Herstellerhaftung250. Der Regress des Letztverkäufers ist in Griechenland nicht als eigener Anspruch geregelt und unterliegt somit den Voraussetzungen gewöhnlichen Gewährleistungsrechts. Lediglich die Verjährung wurde modifiziert: Die zweijähri-

244 Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf lautet: „Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.“ 245 So auch Ernst/Gsell, Kaufrechtsrichtlinie und BGB, ZIP 2000, 1410 (1418); außerdem Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (380); Mayer/Schürnbrand, Einheitlich oder gespalten? – Zur Auslegung nationalen Rechts bei überschießender Umsetzung von Richtlinien, JZ 2004, 545 (546). 246 Vgl. hierzu Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746. 247 Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (377). 248 Griechenland zählt zu den Staaten, welche die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf fristgemäß umgesetzt haben; hierzu Arnokouros, The transposition of the Consumer Sales Directive into the Greek legal system, European Review of Private Law 2001, 259; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 489. 249 Podszun, Das BGB – alte Werte, in: Freitag 18/2001, 9; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 155. 250 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41.

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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ge Verjährungsfrist beginnt erst in dem Moment zu laufen, in welchem die Ansprüche des Verbrauchers vom Letztverkäufer befriedigt wurden251. Damit ähnelt die griechische Lösung konstruktiv der österreichischen, englischen und irischen. Hier wie dort ist Regressrecht nichts weiter als Gewährleistungsrecht in der Vertragskette. Im Unterschied zum englischen und irischen Recht verfügt Griechenland allerdings zumindest über eine Vorschrift zur Verhinderung der Verjährungsfalle. Dies allerdings ist der Tatsache geschuldet, dass in Griechenland eine nur zweijährige Gewährleistungsfrist gilt, während diese in Irland und England sechs Jahre beträgt. V. Italien In Italien galt über weite Strecken des 19. Jahrhunderts der französische Code Civil, bis, nach der Proklamierung des Königreichs im Jahre 1865 der italienische Codice Civile in Kraft trat, der allerdings anfänglich von zahlreichen Einflüssen des französischen Code gezeichnet war. Eine weitgehende Emanzipation fand erst mit dem novellierten Codice Civile von 1942 statt, der in Italien bis heute in Kraft ist252. Italien hat die Richtlinie 1999/44/EG im März des Jahres 2002 umgesetzt253. Dies geschah im Wege der Einfügung eines eigenen Abschnitts über den Verbrauchsgüterkauf, neben dem das allgemeine Kaufrecht weiter unverändert Anwendung findet254. Von einer „großen Lösung“, wie sie in Deutschland gewählt wurde255, hat man in Italien also abgesehen256, obgleich dies in der Literatur verschiedentlich gefordert worden war257. Konsequenz hieraus ist nun, ähnlich insofern der Situation in England, ein „zersplittertes“ Kaufrechtssystem mit allgemeinem Kaufrecht einer- und Verbrauchsgüterkaufrecht andererseits258. 251 Art. 560 des griechischen Zivilgesetzbuchs; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 445. 252 Zum Ganzen Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 368. 253 Geschehen durch Dekret Nr. 24/2002; hierzu ausführlich Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65; Ferrante, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG im italienischen Recht, RIW 2003, 570. 254 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65. 255 Hierzu Huber, Die Pflichtverletzung als Grundtatbestand der Leistungsstörung im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, ZIP 2000, 2273 (2280); DäublerGmelin, Die Entscheidung für die so genannte Große Lösung bei der Schuldrechtsreform, NJW 2001, 2281. 256 Zerres, Recht auf Nacherfüllung im deutschen und englischen Kaufrecht, RIW 2003, 746. 257 Scotton, Directive 99/44/EC on certain aspects of the sale of consumer goods and associated guarantees, European Review of Private Law 2001, 297; Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (66). 258 Ferrante, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG im italienischen Recht, RIW 2003, 570 (571).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

Erste Reaktionen auf die Umsetzung sind kritisch. Dies insbesondere deswegen, weil der italienische Gesetzgeber sich über weite Strecken darauf beschränkt hat, die Richtlinie wörtlich zu übernehmen – eine Methode, die bereits bei der Umsetzung der Klauselrichtlinie 1993/13 angewandt worden war259. Auf der Rechtsfolgenseite hat sich in Italien übrigens ein ähnliches Problem gestellt wie in England: Das allgemeine Kaufrecht kennt nur ein Nachlieferungs-, nicht jedoch ein Nachbesserungsrecht des Käufers, da der Verkäufer nach italienischen Vertragsverständnis nur zu einem „Geben“ (dare), nicht hingegen zu einem Tun (fare) verpflichtet ist260, worin sich die Struktur des römischen Rechts (dare, facere) widerspiegelt261. Erst in Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf wurde das Nacherfüllungsrecht des Verbrauchers eingeführt, und dies, wie in England, im Rahmen einer „kleinen“ Lösung262. Somit besteht nun auch in Italien ein Systemunterschied zwischen allgemeinem Kaufrecht und Verbrauchsgüterkaufrecht263. Zudem verjähren die Gewährleistungsansprüche im Verbrauchsgüterkaufrecht erst innerhalb von 26 Monaten264; im allgemeinen Kaufrecht beträgt diese Frist nur zwölf Monate265. Die italienische Regressregelung besteht, wie die gesamte Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, im Wesentlichen aus einer wörtlichen Übernahme des Richtlinienwortlauts266. Herausgekommen ist damit eine Regressvorschrift zugunsten des Letztverkäufers267, die sich von den bislang beschriebenen Modellen in einigen Belangen wesentlich unterscheidet, wobei allerdings keine letzte Sicherheit darüber besteht, ob all die Besonderheiten der italienischen Regelung in dieser Form beabsichtigt waren. Zum einen wendet sich der Regressanspruch des Letztverkäufers nicht ausschließlich gegen seinen Lieferanten, wie das bei Beibehaltung des Grundsatzes 259 Ferrante, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG im italienischen Recht, RIW 2003, 570: „Unfähigkeit“ des italienischen Gesetzgebers; auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 442. 260 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (78). 261 Hierzu Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 8. Aufl. 1997, S. 265. 262 Art. 1519 quater Codice civile. 263 Ferrante, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG im italienischen Recht, RIW 2003, 570 (573). 264 Art. 1519 sexies Abs. 4 Codice civile. 265 Ferrante, Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG im italienischen Recht, RIW 2003, 570 (573). 266 Art. 1519 quinquies I Codice civile; die Vorschrift lautet in der italienischen Fassung: „Il venditore finale, quando è responsabile nei confronti del consumatore a causa di un difetto di conformità imputabile ad un’azione o ad un’omissione del produttore, di un precedente venditore della medesima catena contrattuale distributiva o di qualsiasi altro intermediario, ha diritto di regresso, salvo patto contrario o rinuncia, nei confronti del soggetto o dei soggetti responsabili facenti parte della suddetta catena distributiva.“ 267 Hierzu ausführlich Colombi Ciacchi, Art. 1519 quinquies, in: Patti (Hrsg.), Commentario sulla vendita dei beni di consumo, Milano 2003, S. 292ff.

E. Der Händlerregress in anderen Mitgliedstaaten

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der Relativität der Schuldverhältnisse eigentlich der Fall sein müsste. Dies ist allerdings nur eine Konsequenz der nahezu wörtlichen Übernahme der Richtlinie, wonach sich der Letztverkäufer an den „Hersteller, einen früheren Verkäufer innerhalb derselben Vertragskette oder eine andere Zwischenperson“268 zu wenden hat. Der in die Gewährleistungshaftung genommene Letztverkäufer hat sich also, dem Wortlaut der Vorschrift zufolge, an dasjenige Glied in der Lieferkette zu wenden, das für den Mangel verantwortlich ist, gleich, ob zu diesem ein Vertragsband besteht oder nicht. Als Konsequenz hieraus ist der italienische Regressanspruch eigentlich nur als gesetzlicher und nicht als vertraglicher interpretierbar. Eine Diskussion darüber scheint es jedoch in Italien im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses nicht gegeben zu haben269. Dieser Mangel an Reflektion wird wohl auch daran deutlich, dass der Regressanspruch laut gesetzlicher Formulierung abdingbar ist, was ebenfalls eine schlichte Konsequenz der nahezu wörtlichen Übernahme der Richtlinienvorschrift ist270. Diese Abdingbarkeit steht naturgemäß zwar in Übereinstimmung mit der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie271 – sie bezieht sich jedoch, wenn die gerade gezogene Schlussfolgerung richtig ist, auf eine gesetzliche Haftung gegenüber vertragsfremden Personen und wird darum weder in der Praxis zu bewerkstelligen noch dogmatisch in den Griff zu bekommen sein. Die Regelung wirkt vielmehr in sich äußerst widersprüchlich. Der Verzicht des italienischen Gesetzgebers darauf, den Regressanspruch entlang der Vertragskette auszurichten, korrespondiert damit, dass der Letztverkäufer der einzige mögliche Regressgläubiger ist272, dem ebenfalls nur ein einziger Schuldner –der „Verantwortliche“ – gegenübersteht, ob Vertragspartner des Letztverkäufers oder nicht. Auch dies ist jedoch nichts anderes als eine Folge der nahezu wörtlichen Übernahme von Artikel 4 der Richtlinie. Der Letztverkäufer muss also ggf. den Mangelverantwortlichen innerhalb der Vertragskette ausfindig machen, um zu vermeiden, eine nicht passivlegitimierte Person in Anspruch zu nehmen. Dies ist eine überaus missliche und materiell nur schwer zu rechtfertigende Situation. Eccher/Schurr sprechen unter Bezugnahme auf das Wort „imputabile“ darüber hinaus von einem notwendigen „Verschulden“ des Regressschuldners273. Dieses Verschulden sei, da zugunsten des Letztverkäufers keine Beweiserleichte268 Auf italienisch: „produttore, un precedente venditore della medesima catena contrattuale distributiva o qualsiasi altro intermediario“. 269 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (79). 270 „(...) salvo patto contrario o rinuncia“. 271 Hierzu oben S. 126ff. 272 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 441. 273 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (79).

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

rung gelte, außerdem von ihm zu beweisen, was ihm in vielen Fällen schwer fallen dürfte und den Regressanspruch nicht unerheblich schwäche274. Diese Interpretation dürfte indes nicht zutreffen; ein Verschuldenserfordernis als Voraussetzung für den Regressanspruch lässt sich aus dem italienischen Recht nicht herauslesen. Mit „imputabile“ dürfte eher die Mangelverantwortung im Sinne einer kausalen Mangelverursachung durch Handeln oder Unterlassen gemeint sein – also ein objektives Tatbestandsmerkmal, und nicht eine darüber hinausgehende Fahrlässigkeit275; dies entspricht wiederum der Intention der Richtlinie. Eine weitere Besonderheit betrifft die Frist, innerhalb derer der Regressanspruch geltend zu machen ist, und hier hat der italienische Gesetzgeber, mangels einschlägiger Bestimmungen in der Richtlinie, eine spezifisch italienische Regelung erlassen. Der Letztverkäufer hat nach der italienischen Regelung ein Jahr276 nach der Befriedigung des Verbrauchers Zeit, um sich an den für den Mangel Verantwortlichen zu wenden277. Hersteller und Zwischenverkäufer müssen in Italien somit drei Jahre nach Ablieferung der Kaufsache und, je nach Länge der Lieferkette, darüber hinaus noch mit Regressansprüchen rechnen. Auch in Italien unterliegt der Handelskauf somit einer durch den Regress bedingten Verlangsamung und Belastung278. Hierin liegt jedoch, wenn die gerade vollzogene Interpretation der Richtlinie zutrifft, kein scharfes Regressschwert. Vielmehr ist die italienische Regelung bereits in ihrer Struktur zu wenig konturiert, als dass ihr breite Anwendung in der Rechtspraxis prognostiziert werden könnte. Bereits ihre freie Abdingbarkeit, ohne dass es sich jedoch um einen genuin vertraglichen Anspruch handelt, wird auch in der Praxis ein schwer zu lösendes Problem darstellen. Es sei die Vorhersage gewagt, dass Regressrecht in Italien im Wesentlichen Gewährleistungsrecht sein wird279. 274

So Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (80). 275 So auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 441. 276 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (80), sprechen fälschlich von einem halben Jahr (zum Gesetzeswortlaut vgl. die folgende Fußnote). 277 Art. 1519 quinquies II Codice civile lautet in der italienischen Fassung: „Il venditore finale che abbia ottemperato ai rimedi esperiti dal consumatore, può agire, entro un anno dall’esecuzione della prestazione, in regresso nei confronti del soggetto o dei soggetti responsabili per ottenere la reintegrazione di quanto prestato.“ 278 Eccher/Schurr, Die Umsetzung der Richtlinie 99/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf in Italien, ZEuP 2003, 65 (80). 279 Es ist natürlich auch denkbar, dass diese Vorschrift innerhalb der italienischen Rechtsordnung wesentlich reibungsloser funktioniert, als dies aus deutscher Perspektive erscheinen mag. Eine wesentliche Voraussetzung für den fruchtbaren Rechtsvergleich ist ja das von Jayme genannte désapprendre: das „bewusste Verlernen, (...) ohne das ein echter Wandel nicht möglich ist“; Jayme, Die kulturelle Dimension des Rechts – ihre Bedeutung für das internationale Privatrecht und die Rechtsvergleichung, RabelsZ 2003, 211 (220).

F. Herstellerhaftung

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Möglicherweise hätte man sich in Italien einen Gefallen damit getan, Vorschlägen aus der italienischen Literatur zu folgen und eine unmittelbare Herstellerhaftung einzuführen: „Nun lassen maßgebliche Teile der italienischen Lehre (...) es zu, dass der letzte Erwerber unter Übergehung der Zwischenpersonen auch den Hersteller in Anspruch nehmen kann. (...) Alles in allem erscheint derzeit die vielfach angewandte Regel, wonach der Hersteller als Verkäufer dem Verbraucher gegenüber haftet, eher als Frucht einer kreativen Auslegung (...) denn als Ausdruck einer präzisen gesetzlichen Anordnung. Anlass genug, dieser Regel normative Form zu verschaffen.“280

F. Herstellerhaftung I. Die Lager Europa teilt sich, was die gewährleistungsrechtliche Herstellerhaftung betrifft, in zwei Lager. Auf der einen Seite befinden sich die gerade behandelten Rechtsordnungen, innerhalb derer man sich – orientiert an einer in dieser Hinsicht als bindend verstandenen Relativität der Schuldverhältnisse – gegen die unmittelbare Verantwortlichkeit des Herstellers entschieden hat, und auf der anderen sind die Länder, die dem Verbraucher – teils seit langem, teils erst mit Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – Ansprüche gegen den Hersteller zugestehen. Dies sind namentlich Frankreich (mit der action directe als dem Prototyp der Herstellerhaftung281), Belgien, Luxemburg, Schweden, Finnland, seit neuem Portugal sowie Spanien. Diese Aufzählung wird komplettiert durch Diskussionen über die Einführung der Herstellerhaftung in Italien282 und England283. Auf folgenden, rechtshistorisch und rechtsvergleichend interessanten Randaspekt sei hingewiesen: In der berühmten Hühnerpest-Entscheidung aus dem Jahr 1968 verwendet der deutsche BGH – fast möchte man sagen: „aus heiterem Himmel“ – inmitten der in der Amtssprache deutsch gehaltenen Ausführungen den französischen Terminus der „action directe“: 280 Zaccaria, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Italien, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 181 (194). 281 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 43: „Großtat des französischen Rechts“. 282 Zaccaria, Fn. 280. 283 Hierzu Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 42: Seinen Ausführungen zufolge lässt sich der Genese des englischen Contracts (Rights of Third Parties) Act von 1999 entnehmen, dass der dort geregelte Vertrag zugunsten Dritter auch dem nachgeordneten Verkäufer hinsichtlich seiner Gewährleistungsansprüche gegen Vorverkäufer zugute kommen sollte. Dies sei allerdings nicht in die englische Rechtspraxis umzusetzen, da die letztlich verabschiedeten Regelungen viel zu unklar seien, um das wesentlich ältere englische Kaufrecht so grundlegend modifizieren zu können.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

„Sie284 wollen dem Verbraucher einen eigenen, nicht vom Vertrag Käufer-Hersteller abhängigen Ersatzanspruch gewähren, der sich als ‚action directe‘ unmittelbar gegen den Hersteller richten soll – so wie der vom Gesetz gewählte Ersatzanspruch aus §§ 823ff. BGB.“285

Hintergrund war, wie oft im deutschen Recht, die Suche nach einem Anspruch, der nicht an den Schwächen des deutschen Deliktsrechts, insbesondere der mangelnden Ersatzfähigkeit „reiner“ Vermögensschäden und der Exkulpation nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB286, leiden sollte. Auch wenn der BGH die action directe in der Hühnerpest-Entscheidung nicht ganz richtig charakterisiert hat – diese bildet nämlich gerade keinen vertragsunabhängigen Anspruch – und auch nicht näher auf sie eingegangen ist, macht die genannte Stelle dennoch deutlich, dass man in Deutschland bereits seinerzeit über einen Direktanspruch gegen den Hersteller mangelhafter Sachen außerhalb des Deliktssystems nachgedacht hat287, was wohl nicht zuletzt auf den Arbeiten von Werner Lorenz288 und Klaus Müller289 sowie auf den Referaten zum 47. deutschen Juristentag290 beruhte. Festgehalten sei, bevor nun ein Blick auf diejenigen Mitgliedstaaten der Union geworfen wird, die über eine unmittelbare Herstellerhaftung verfügen, dass die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie es diesen Ländern selbstverständlich nicht verbietet, daran festzuhalten. Dies lässt sich ohne weiteres aus Artikel 8 der Richtlinie und der dort enthaltenen Mindestschutzbestimmung schließen291 – ganz abgesehen davon, dass die Richtlinie selbst es sich ja vorbehält, eines Tages eine Herstellerhaftung zu inkorporieren292.

284

Gemeint sind die Befürworter einer unmittelbaren Herstellerhaftung. BGHZ 51, 91 (97) – Hühnerpest. 286 Zu bereits im Jahr 1967 bestehenden Plänen, die Exkulpation nach § 831 Satz 2 BGB abzuschaffen, Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (503). 287 Hierzu Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 682. 288 Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8. 289 K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (324). 290 Vgl. Simitis, Produzentenhaftung: Von der strikten Haftung zur Schadensprävention, in: Pawlowski/Wiese /Wüst (Hrsg.), Festschrift für Konrad Duden S. 605. 291 Art. 8 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf lautet: „(1) Andere Ansprüche, die der Verbraucher aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften über die vertragliche oder außervertragliche Haftung geltend machen kann, werden durch die aufgrund dieser Richtlinie gewährten Rechte nicht berührt. (2) Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen.“ Hierzu Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 421; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 205. 292 Art. 12, Erwägungsgrund Nr. 23 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf; hierzu gleich. 285

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II. Das Grünbuch der Europäischen Kommission von 1993 Artikel 4 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf ist nur ein „Überbleibsel“293 des wesentlich weitergehenden Modells, das im „Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienste“ vom 15. November 1993 enthalten war. Dort war noch die europaweite unmittelbare Gewährleistungshaftung des Herstellers gegenüber dem Verbraucher vorgesehen294; an eine Regressvorschrift hatte man aus diesem Grund noch nicht gedacht, so dass der später eingefügte Artikel 4 der Richtlinie sich ohne weiteres als Ersatz für die Herstellerhaftung ansehen lässt295. Das von der Kommission noch im Grünbuch vorgeschlagene Modell der Herstellerhaftung war – wie sich zeigen wird, im Unterschied zum französischen Modell296 – als subsidiäre Haftung ausgestaltet297. Diese Subsidiarität zeigte sich darin, dass der Hersteller nur dann in Haftung hätte genommen werden können, wenn die Inanspruchnahme des Letztverkäufers „unmöglich oder unzumutbar“ gewesen wäre. Als Beispiele hierfür nannte die Kommission die Insolvenz des Verkäufers und sein „Verschwinden vom Markt“. Aber auch für „internationale Käufe“ innerhalb der Union wurde die Herstellerhaftung vorgesehen298, womit von einer strengen Subsidiarität eigentlich keine Rede mehr sein kann. Der im Grünbuch enthaltene Vorschlag sah außerdem, anders als dies bei der französischen action directe der Fall ist, keine Berechtigung des Verbrauchers gegenüber dem Hersteller zu Rücktritt und Minderung vor299. Seine Ansprüche gegen den Hersteller hätten sich damit auf die Nacherfüllung reduziert. Bei dieser vergleichsweise vorsichtigen Konzeption ließ sich die Kommission in erster Linie von dem Gedanken leiten, nicht zu sehr in die Rechtssysteme derjenigen Mit293 So die Bezeichnung von Ehmann/Rust, Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, JZ 1999, 853 (862, Fn. 79). 294 KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 110ff. 295 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 207. 296 Zu Frankreich unten S. 172ff. 297 Hierzu Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 548; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 87; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 422ff.; Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 77; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 203. 298 KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 110ff.; vgl. hierzu Schnyder/Straub, Das EGGrünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (17); Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 422. 299 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 112; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 203; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5.

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gliedstaaten einzugreifen, die eine unmittelbare Herstellerhaftung noch nicht kannten300. Das Grünbuch beruhte im Übrigen wesentlich auf Forschungsarbeiten des Centre de Droit de la Consommation an der Université Catholique de Louvainla-Neuve301. Dies mag einen gewissen Teil zu der Affinität des Grünbuchs zum französischen bzw. belgischen Rechtsmodell beigetragen haben. Nichtsdestoweniger konnte sich die Idee der Herstellerhaftung in der Richtlinie nicht durchsetzen. Bereits im ersten Richtlinienvorschlag war keine Rede mehr davon302. Wenig überraschend ist es hierbei, dass die Herstellerhaftung insbesondere von französischer Seite forciert wurde303, während es, so hört man, unter anderem die deutsche Delegation war, welche die letztlich erfolgreiche Ablehnung betrieb304. Die Einbeziehung des Herstellers in die Gewährleistung stellte den wesentlichen Grund dafür dar, dass ein Entwurf zur Umsetzung des Grünbuchs in Rechtsregeln nie veröffentlicht wurde, und um das Jahr 1995 herum sollen die Differenzen hinsichtlich der Herstellerhaftung so tiefgreifend gewesen sein, dass es so aussah, als würde es zu einer europäischen Regelung des Verbrauchsgüterkaufrechts überhaupt nicht mehr kommen305. Erst im Jahr 1996 stellte die Kommission einen stark reduzierten Richtlinienentwurf vor, in welchem die Herstellerhaftung nicht mehr enthalten war306. Zur Kompensation enthält die Richtlinie nun dreierlei: einerseits die Regressregelung in Artikel 4, zweitens eine Art offen stehender Hintertür, nämlich in Erwägungsgrund Nr. 23 eine mögliche Harmonisierung hinsichtlich eines künftig einzurichtenden direkten Verbraucheranspruchs gegen den Hersteller307. Einige Mitgliedsstaaten (insbesondere Frankreich), das europäische Parlament und natürlich der Handel drängen weiterhin darauf, die unmittelbare Herstellerhaftung einzufüh300

Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 6. Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 647. 302 Ehmann/Rust, Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, JZ 1999, 853 (862, Fn. 79); Reich/ Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 648; bedauernd Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136). 303 Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 87. 304 Zu den Verhandlungen vgl. Schmidt-Räntsch, Zum Stand der Kaufrechtsrichtlinie, ZIP 1998, 849 (850). 305 Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 648. 306 Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 648; Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136). 307 Erwägungsgrund Nr. 23: „(...) Angesichts dieser Entwicklung und der zu erwartenden Erfahrung mit der Durchführung dieser Richtlinie kann es sich als notwendig erweisen, eine stärkere Harmonisierung in Erwägung zu ziehen, die insbesondere eine unmittelbare Haftung des Herstellers für ihm zuzuschreibende Mängel vorsieht.“ Hierzu Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 658; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 428. 301

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ren308. Hierauf rekurriert nun – und dies ist die dritte Kompensation – auch Artikel 12 der Richtlinie309: „Die Kommission überprüft die Anwendung dieser Richtlinie spätestens zum 7. Juli 2006 und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht vor. In dem Bericht ist unter anderem zu prüfen, ob Veranlassung besteht, eine unmittelbare Haftung des Herstellers einzuführen; der Bericht ist gegebenenfalls mit Vorschlägen zu versehen.“

Durch die Ausklammerung der Herstellerhaftung ist es der Kommission ohne Zweifel gelungen, überhaupt eine europäische Kaufrechtsangleichung zu bewirken310. Dennoch ist die Regelung aus Sicht der Gemeinschaft ein vorläufiger, rechtspolitisch motivierter Kompromiss, „konservativ und provisorisch“311. Auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Gemeinschaften sah das Fehlen einer Herstellerhaftung in seiner Stellungnahme312 zum Richtlinienvorschlag negativ. Das dem Hersteller entgegengebrachte Markenvertrauen sei oft der „entscheidende Kaufanreiz“. Es habe sich in den Ländern, die über die action directe oder ein ihr ähnliches Rechtsinstitut verfügten, zudem herausgestellt, dass die Probleme eines fehlenden Vertragsbandes zwischen Verbraucher und Hersteller „praxisgerecht gelöst“ werden könnten: „Es wird daher angeregt, dem Verbraucher das Recht einzuräumen, sich im Falle von Mängeln, die ihre Ursache im Bereich der Herstellung haben, direkt an den Hersteller oder dessen regionalen Vertreter zu wenden, was insbesondere dann von Bedeutung wäre, wenn der Händler für den Verbraucher – wie etwa bei grenzüberschreitenden Käufen – nur schwer erreichbar ist.“313

Diese Anregung des Wirtschafts- und Sozialausschusses beruhte dabei beileibe nicht nur auf dem Verbraucherschutzgedanken. Der Ausschuss betonte vielmehr, dass sich die Gestaltung des Gewährleistungsrechts und der Garantien auch in der Vertragskette zwischen Hersteller, Zwischenhändler und Einzelhändler auswirkten, insbesondere hinsichtlich der „oftmals unbefriedigenden vertraglichen oder 308 Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158). 309 Vgl. hierzu Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 87. 310 Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 649; gegen die action directe auch Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: DaunerLieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (454). 311 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 62: „konservativ“ in dem Sinne, dass sie dem vom europäischen Normgeber verfolgten Prinzip möglichst geringer Intervention folgt. 312 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5. 313 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5 (7), 2.5.

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faktischen Situation von Einzelhändlern“314. Nichtsdestoweniger blieb die unmittelbare Herstellerhaftung aus dem europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht vorläufig ausgeklammert. Um eine Einschätzung der Alternativen bei der unmittelbaren Haftung und deren mögliche Implikationen zu erleichtern, sollen nun die existierenden Modelle in den europäischen Mitgliedstaaten sowie die hiervon beeinflusste Richtlinienumsetzung dargestellt werden. III. Frankreich 1. Die action directe Seit der Veröffentlichung des Grünbuchs im Jahr 1993, mit den weiteren Diskussionen um die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und nach dem gemeinschaftsweiten Auftauchen der hiermit verbundenen Regressproblematik hat die französische (und belgische315) action directe316 eine Art von Modellfunktion erhalten. Diese nicht auf das Gewährleistungsrecht beschränkte Rechtsfigur gewährt, verkürzt ausgedrückt, in bestimmten Vertragskonstellationen dem Gläubiger einen eigenen vertraglichen Anspruch gegen den Schuldner des eigenen Schuldners317, also – ebenso verkürzt ausgedrückt – einen unmittelbaren vertraglichen Anspruch bei nur mittelbarer Vertragsbindung. Die action directe hat ihre Anfänge in Frankreich im 19. Jahrhundert, als die dortige Rechtsprechung aus dem Pfandrecht des Vermieters an von einem Untermieter eingebrachten Sachen einen direkten Zahlungsanspruch gegen den Untermieter in Höhe des vom Mieter geschuldeten Mietzinses entwickelte und den Hauptmieter auf diese Weise „übersprang“318.

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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien“, ABl. EG C 66 vom 3. 3. 1997, S. 5 (7), 2.6. 315 Hierzu unten S. 184. 316 Zur action directe Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 M 153; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 386; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 100; Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158); Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 77; von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (729); Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 60; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 210. 317 Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 59; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 232. 318 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 51.

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Heute ist die action directe in Frankreich gesetzlich nicht als umfassendes Rechtsinstitut, sondern in, soweit ersichtlich, fünf Fällen normiert319. So sind die unmittelbaren Ansprüche von Vermietern gegen Untermieter aus eigenem Recht inzwischen kodifiziert320, weiterhin steht den Arbeitnehmern eines Bauunternehmers hinsichtlich ihres Lohns auch ein Direktanspruch gegen den Bauherrn zu321, der Auftragnehmer kann sich mit seinen Ansprüchen im Falle einer Auftragskette gegen den Vor-Auftraggeber wenden322, der Inhaber eines Schadensersatzanspruchs hat einen eigenen Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung des Schuldners323 (was keine französische Besonderheit ist324), und schließlich besteht ein Direktanspruch des Subunternehmers gegen den Bauherrn auf Zahlung des Werklohns, wenn der Generalunternehmer mit der Zahlung einen Monat in Verzug gerät325. Neben diesen gesetzlich geregelten Direktansprüchen besteht in Frankreich allerdings reichhaltige Rechtsprechung, mit der die action directe, als Anspruch gegen den vertraglichen Schuldner des eigenen vertraglichen Schuldners, auch in Fällen anerkannt wird, in denen sie nicht gesetzlich kodifiziert ist. Dies gilt insbesondere für das Kaufrecht326. Diese weiteren, richterrechtlich begründeten Fälle sind naturgemäß nicht unumstritten und in ihren Grenzen nicht immer vollständig geklärt327, auch wenn in weiten Bereichen, insbesondere im hier interessieren319 Vgl. hierzu ausführlich Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 60; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 210; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 653. 320 Art. 1753 Code Civil. 321 Art. 1798 Code Civil. 322 Art. 1994 Code Civil. 323 Art. L. 124–3 Code Assurance; Hierbei handelt es sich – neben dem Kaufrecht – um einen der praktisch wichtigsten Anwendungsfälle der action directe; hierzu Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 386; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 M 153. 324 Vgl. § 3 PflVersG: „Der [geschädigte] Dritte kann im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen der Nummern 4 bis 6 seinen Anspruch auf Ersatz des Schadens auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten.“ Auch die Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie (Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 5. 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) schreibt die unmittelbare Haftung des Versicherers im Falle von Verkehrsunfällen mit Auslandsbezug für ganz Europa vor. Beiden Ansprüchen liegt allerdings keine vertragliche Konstruktion („Zubehörstheorie“, hierzu gleich) wie bei der französischen action directe zugrunde. Vgl. zum europäischen Versicherungsrecht Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 546. 325 L. 31 déc. 1975, Art. 12. Hiervon kann vertraglich nicht abgewichen werden; vgl. Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 547. 326 Hierzu Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 100; Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur KaufgewährleistungsRichtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158). 327 Ficker, Die Schadensersatzpflicht des Verkäufers und seiner Vormänner bei Sachmängeln

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den Kaufgewährleistungsrecht, inzwischen von einer gefestigten Rechtsprechung gesprochen wird328. In jedem Fall, sei es nun einer der gesetzlich normierten oder nicht, stellt das französische Rechtsinstitut der action directe einen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner seines Schuldners dar, ohne dass eine Abtretung notwendig wäre: Die action directe ist eigenes Recht329. Einigkeit besteht in Frankreich weiterhin darüber, dass der Durchgriffsanspruch vertraglicher und nicht gesetzlicher Natur ist, obwohl zwischen Schuldner und Gläubiger der action directe keine unmittelbare Vertragsbeziehung besteht330. Die action directe ist somit konstruktiv nur denkbar, wenn man die Übertragung vertraglicher Ansprüche zugrundelegt331. In dogmatischer Hinsicht wird bei der action directe in Frankreich zwischen direkten Zahlungsansprüchen (actions directes en paiement) und Haftungsdurchgriffen (actions directes en responsabilité) unterschieden332, parallel zur hierzulande gebräuchlichen Trennung der vertraglichen Primär- und Sekundäransprüche. Für das Kaufgewährleistungsrecht ist die zweite, in Frankreich historisch jüngere, aber heute bedeutsamere333 Fallgruppe von Interesse. Für das Kaufrecht kann Folgendes vorweggenommen werden: Der Käufer einer mangelhaften Sache kann wegen dieses Mangels nicht nur seinen Vertragspartner, den Letztverkäufer, in Anspruch nehmen, sondern auch den Hersteller ebenso wie sämtliche Zwischenverkäufer, und dies auf vertraglicher Grundlage, aufgrund deren eigener Gewährleistungshaftung334. Bei mehrgliedrigen Absatzin der französischen Rechtsprechung, 1962, S. 120ff.; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 110ff.; von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (729); Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 389. Die Haftung des Herstellers gegenüber dem Endabnehmer im französischen Recht wird von Kötz allerdings nicht dem Institut der action directe zugerechnet, sondern unter dem Stichwort der „verknüpften Verträge“ behandelt (S. 385/387); vgl. zur action directe auch Joerges/Brüggemeier, Europäisierung des Vertragsrechts und Haftungsrechts, in: Müller-Graff, (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. 1999, S. 301 (331). 328 Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 654. 329 Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 59; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 232. 330 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 387; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 655; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 99. 331 Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158); Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 655; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 487. 332 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 48. 333 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 59. 334 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht,

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ketten kann der Käufer darum gegen jeden einzelnen der Vorverkäufer oder sogar gleichzeitig gegen mehrere Verkäufer und den Hersteller vorgehen, sofern der dem Anspruch zugrundeliegende Sachmangel bereits vorhanden war, als der jeweilige Schuldner das Gut verkauft hat335. Dies hat nichts mit Verbraucherrecht zu tun336. Die kaufrechtliche action directe gilt für jeden Käufer, unabhängig davon, ob er für selbständige, gewerbliche oder private Zwecke handelt337. Immer wendet sich der entferntere Gläubiger mit der Begründung an den Schuldner, er sei es, an den der wirtschaftliche Wert des Anspruchs letztlich zu fließen habe338. Hierin steckt auch ein prozessökonomischer Aspekt: Die action directe stellt als Anspruch ja nichts anderes als eine Abkürzung dar, und wenn sie auch zu einer tendenziell unpraktikablen Kumulation von Schuldnern und Gläubigern führt339, so liegt doch zumindest in dieser Abkürzung ein gewisser Gewinn. Problematisch bleibt dennoch die Konstruktion der mit der action directe verbundenen Rechtsübertragung, insbesondere im Hinblick auf den naheliegenden Widerspruch zum vertragsrechtlichen Relativitätsgrundsatz. In Frankreich muss sich die action directe an Artikel 1165 Code Civil („effet relatif des conventions“) messen lassen, wo es heißt: „Les conventions n’ont d’effet qu’entre les parties contractantes; elles ne nuisent point au tiers, et elles ne lui profitent que dans le cas prévu par l’article 1121340.“341

1993, S. 99; Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158); Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 99; vgl. zur action directe auch Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 462. 335 Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158). 336 Zum Verbraucherschutzrecht in Frankreich Fages, Einige neuere Entwicklungen des französischen allgemeinen Vertragsrechts im Lichte der Grundregeln der Lando-Kommission, ZEuP 2003, 514 (515). 337 Hierzu Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 100; Rohlfing-Dijoux, Umsetzungsüberlegungen zur KaufgewährleistungsRichtlinie in Frankreich, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 145 (158). 338 Für die französische action directe Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 110. 339 Hierzu gleich. 340 Im Art. 1121 Code Civil ist der Vertrag zugunsten Dritter geregelt; hierzu Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 12. 341 Hierzu Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 11ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 371; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 100; Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1990, S. 14.

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Um diesen Widerspruch zu lösen, wurde früher gelegentlich eine konkludente Zession der Gewährleistungsrechte angenommen, was allerdings einerseits daran scheitert, dass sich hiermit jeder Zwischenverkäufer seiner eigenen Gewährleistungsrechte begeben würde, andererseits daran, dass für die Drittwirksamkeit einer Abtretung nach Art. 1690 Code Civil eine „signification“ erforderlich ist342. Verschiedentlich wurde in Frankreich auch von einer „stipulation pour autrui“, also einem Vertrag zugunsten Dritter, gesprochen343 – ein Gedanke, der sich wohl insbesondere deswegen nicht durchgesetzt hat, weil die Annahme eines derartigen Parteiwillens nur bei äußerster Überdehnung desselben möglich wäre. Die heute herrschende Begründungslinie in Frankreich löst diesen Widerspruch darum mit der so genannten Zubehörstheorie, wonach die Gewährleistungsansprüche „accessoires“344 der Sache selbst seien345. Dieser Theorie liegt somit die Idee zugrunde, dass die Gewährleistungsrechte („gesetzliche Garantie“346) auf den jeweils nächsten Käufer übergehen. Nimmt man den auch in Frankreich geltenden Zubehörsbegriff als sachenrechtlichen Begriff ernst, so lebt diese Theorie in Frankreich auch davon, dass dort nicht das Abstraktions-, sondern das Traditionsprinzip herrscht347. Dennoch ist die Zubehörstheorie, wie ihr auf den ersten Blick anzusehen ist und wie auch in Frankreich nicht bestritten wird, eine Hilfskonstruktion, denn auch das französische Recht kennt den sachenrechtlichen Begriff des Zubehörs, und auch in Frankreich ist man sich an und für sich darüber einig, dass Gewährleistungsansprüche als gesetzliche Garantie diesem Terminus eigentlich nicht unterfallen: Sie sind also allenfalls Quasi-Zubehör348. Abseits dieser eher begrifflichen Unschärfe besteht jedoch ein handfestes konstruktives Problem. Sollten die Gewährleistungsansprüche tatsächlich als eine Art 342

Vgl. Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 655. Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 655. 344 Der französische Ausdruck für die Zubehörstheorie lautet „théorie de l’accessoire“; Bridge spricht vom „Anhängsel“, als das die Gewährleistungsansprüche zu sehen seien, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 44. 345 Hierzu Ficker, Die Schadensersatzpflicht des Verkäufers und seiner Vormänner bei Sachmängeln in der französischen Rechtsprechung, 1962, S. 120; Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 387; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 103; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 44; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 57. 346 Gemeint ist die gesetzliche Sachmängelhaftung; vgl. zu dieser Terminologie Schnyder/ Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (10). 347 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 68. 348 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 69; Hingegen sieht Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 103, keine Einwände dagegen, auch Forderungen als Zubehör einer Hauptsache zu betrachten. 343

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von „vertragsrechtlichem Zubehör“ zu verstehen sein, so müsste ein jeder Verkäufer seine eigenen Gewährleistungsrechte gegenüber dem jeweiligen Lieferanten ja eigentlich verlieren349. Dies wird jedoch nicht so gehandhabt und würde auch zu äußerst unbefriedigenden Ergebnissen führen, da ein jeder Verkäufer dann gegenüber seinem Lieferanten schlechter stünde als sein eigener Kunde, der ja gerade keinen Vertrag mit dem Lieferanten geschlossen hat. Auch würde jedem Zwischenverkäufer auf diese Weise die Regressmöglichkeit genommen, falls er selbst von seinem Kunden in Anspruch genommen würde350. Um dies zu vermeiden, werden jedem Zwischenverkäufer seine eigenen Gewährleistungsrechte zumindest dann belassen, wenn er „ein unmittelbares Interesse an der Gewährleistung hat“351, und so kommt für den Hersteller mit jedem Weiterverkauf ein weiterer potentieller vertraglicher Gläubiger hinzu; auch dies ist natürlich ein problematisches Ergebnis. Das Anwachsen der Gläubiger- und Schuldnerzahl setzt den Hersteller oder Zwischenverkäufer nicht nur einem gewissen Haftungsrisiko aus, es führt auch zu einer erheblichen Komplizierung der Lage. Dass sich diese Konstruktion zudem, trotz der Annahme einer Rechtsübertragung, nicht mit dem Parteiwillen (also nicht autonom) begründen lässt, wird auch in der französischen Literatur nicht bestritten. Ganz überwiegend wird die action directe nicht auf parteiautonome Entscheidung zurückgeführt, sondern aus einer Analogie zu den positiv-gesetzlich geregelten Fällen bzw. aus den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hergeleitet352. Damit ist jedoch die materielle Begründung noch nicht vollzogen, und hierfür wird in der jüngeren französischen Literatur in erster Linie auf die Prinzipien der Billigkeit (équité) und ausgleichenden Gerechtigkeit zurückgegriffen353. Haftungsgrund ist damit nicht die Eigentumsübertragung (wie es im Begriff des Zubehörs ja immer mitschwingt), sondern das Vertrauen, das ein Käufer – der ebenso gut aber auch Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnte – in ein bestimmtes Produkt entwickelt. Dies ist im Grunde die Billigkeitserwägung, welche die französische Rechtsprechung und Literatur geleitet hat. Da die action directe in Frankreich vertraglich konstruiert wird (obwohl sie nach den in dieser Untersuchung vertretenen Grundsätzen an und für sich ein ty349 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 69. 350 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 69. 351 Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 106; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 70. 352 Flour/Aubert, Les obligations (3. Le rapport d’obligation), deuxième édition 2001, S. 61; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 210; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 116. 353 Vgl. Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 60.

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pisches Beispiel für heteronomes Schuldrecht ist), richten sich auch die Rechtsfolgen nach den jeweiligen Verträgen354. Getreu der Zubehörstheorie kann darum auch kein Schuldner in größerem Umfang in Anspruch genommen werden, als er sich selbst verpflichtet hat. Maßgeblich für den Haftungsumfang ist darum in Frankreich das Verhältnis des Schuldners zu seinem jeweiligen Abnehmer, bei einer Inanspruchnahme des Herstellers also das Vertragsverhältnis zwischen Hersteller und Erstkäufer355. Hieraus folgt eine der entscheidenden Schwächen der action directe: Ein Hersteller kann sich gegenüber dem letzten Käufer, der sich mit der action directe an ihn wendet, auf einen mit dem Zwischenverkäufer vereinbarten Haftungsausschluss berufen356, und der Käufer muss auch im Übrigen sämtliche Einreden, die sich aus dem ersten Kaufvertrag ergeben, gegen sich gelten lassen357. Dies ist der Nachteil jeder (formal) vertragsrechtlichen Lösung bzw. jedes Versuchs, der Sache nach heteronomes Recht autonom zu begründen. Die oben gemachten Ausführungen zur Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte358 lassen sich ohne weiteres auf die action directe übertragen, allerdings mit dem genau spiegelbildlichen und im Grunde methodenehrlicheren Ergebnis: Das konsequente Festhalten des französischen Rechts an der Vertragslösung wird mit der Schwächung des Rechtsinstituts erkauft, während die deutsche Rechtspre-

354 Im französischen Gewährleistungsrecht bestehen wesentlich weiter reichende Schadensersatzansprüche als in Deutschland. Die französischen Gerichte behandeln nämlich in ständiger Rechtsprechung jeden gewerblichen Verkäufer, gleich ob Groß- oder Einzelhändler, im Gewährleistungsfall so, als habe er die Fehlerhaftigkeit der von ihm verkauften Ware gekannt (so die Rechtsprechung zu Art. 1645 Code Civil; hierzu Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 97). Diese unwiderlegliche Vermutung der Kenntnis zieht wiederum nicht nur eine umfassende Schadensersatzpflicht nach sich; sie ist darüber hinaus auch nicht abdingbar (Art. 1643 Code Civil; hierzu Zweigert/ Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 682). Andererseits unterfallen in Frankreich nur die verborgenen Mängel dem besonderen Gewährleistungsrecht. Offenbare Mängel erfüllen den Tatbestand der Nichterfüllung, was auf der Rechtsfolgenseite dazu führt, dass der Käufer seinen Erfüllungsanspruch im Grundsatz behält, sofern er nicht vom Vertrag zurücktritt (Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 542, 593; Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 231). 355 Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 107; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 78; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 422. 356 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 102; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 107; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 79. 357 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 103; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 103. 358 Oben S. 52ff.

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chung die Schutzwirkung für Dritte einerseits vertraglich begründet, sie andererseits aber hinsichtlich ihrer Abdingbarkeit der Parteiautonomie entzieht359. Einer der interessantesten Aspekte der action directe ist, dass sie sich in Folge der Zubehörstheorie auch auf den Rücktritt erstreckt360. Der Endabnehmer einer Sache kann also den Vertrag gegenüber dem Hersteller rückgängig machen, obwohl er diesen Vertrag nicht mit dem Hersteller, sondern beispielsweise mit einem Einzelhändler geschlossen hat. Dies ist für einen deutschen Juristen, der an die Vorschriften der §§ 346ff. BGB gewöhnt ist und das Rückabwicklungsverhältnis als Umkehrung der zuvor bestehenden Leistungspflichten vor Augen hat361, nur schwer nachvollziehbar. Aus Sicht der Zubehörstheorie ist die „Rückgabe gegenüber dem Hersteller“ (um das Wort „Rückabwicklung“ zu vermeiden) nichts anderes als konsequent: Der letzte Käufer erhält einen wirtschaftlichen Wert, der letztlich ohnehin an ihn fließen würde362. Selbstverständlich ist der bei der Rückgabe vom Hersteller zu leistende Gegenwert auf den Preis beschränkt, den dieser seinerseits von seinem Abnehmer bekommen hat. Der letzte Käufer erhält also nicht den Preis, den er selbst gezahlt hat363. Dies folgt nur aus dem gerade beschriebenen, vertraglich determinierten Haftungsumfang: Auch der Schuldner der action directe wird dem Haftungsinhalt nach nicht über das von ihm selbst Versprochene hinaus verpflichtet364. 359 Instruktiv insbesondere Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 519, 520; zur Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte oben S. 54ff. 360 Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 114; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 130. Dies war allerdings nicht immer so. Noch bis in die 1980er Jahre stand dem Gläubiger lediglich ein Schadensersatzanspruch zu; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 657: Hiernach richtete sich die action directe ausschließlich auf Schadensersatz. 361 Hierzu Staudinger/Kaiser (2004), § 346 Rdn. 67. 362 Für die französische action directe Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 110. 363 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 131. 364 Einige interessante, im Ergebnis jedoch nur vordergründige Parallelen ergibt ein Vergleich der action directe mit der (in dieser Arbeit nicht näher behandelten) US-amerikanischen Haftung aus warranty: Diese ist heute trotz ihrer deliktsrechtlichen Ursprünge als im Grundsatz vertragliche und vor allem verschuldensunabhängige Haftung konzipiert, worin ihr entscheidender Vorteil gegenüber der deliktischen negligence liegt (Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 62; Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 114; Hager, Einstandspflicht des Produzenten für das Äquivalenz- und Nutzungsinteresse des Produkterwerbers, BB 1987, 1748, 1749). Die warranty bricht jedoch, trotz ihrer vertragsrechtlichen Konzeption, mit einer Reihe vertraglicher Grundsätze: So ist eine (rechtsgeschäftliche) intention to warrant ebenso wenig erforderlich wie das Vorliegen irgendeiner Art von consideration. Das amerikanische Recht verzichtet vielmehr vollständig auf eine Willenserklärung des Herstellers und leitet die warranty bereits aus deklaratorischen Werbeangaben ab (Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 62; Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 168: „gesetzliche, vom Parteiwillen unabhängige Folge des Kaufabschlusses“). Als Konsequenz dieser Abstraktion vom Rechtsge-

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2. Non-cumul Das Verständnis vertraglichen Haftungsrechts ist unvollständig, wenn gesetzliches Haftungsrecht nicht in Rechnung gestellt wird. Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Haftung spielt sich vor dem Hintergrund der gesetzlichen Haftung ab; dies ist in Frankreich nicht anders als in Deutschland. Nur wer diesen gesetzlichen Hintergrund kennt, kann rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Rechtsfiguren verstehen; dies zeigt in Deutschland ein Blick auf die culpa in contrahendo ebenso wie auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, die Drittschadensliquidation oder die Prospekthaftung. Um die action directe in ihrer Bedeutung innerhalb des französischen Haftungssystems einschätzen zu können, ist darum ein Blick auf das französische Deliktsrecht unerlässlich. Der Code Napoléon ist innerhalb Europas die Kodifikation, in welcher der Gesetzgeber den Gerichten am wenigsten mit Einzeltatbeständen vorgegriffen hat365. Diese gesetzgeberische Sparsamkeit dürfte auch auf das Alter der Kodifikation zurückzuführen sein: Es lässt sich beobachten, dass die europäischen Deliktsnormen – mit Ausnahme des österreichischen ABGB – desto regelungsintensiver werden, je jünger sie sind366. Normiert ist in Frankreich im Wesentlichen der allgemeine Grundsatz des neminem laedere367 als Generalklausel, ergänzt um die

schäft kommt die eigentlich vertragliche warranty heutzutage einer ganzen Reihe von Dritten zugute, so dass sich durchaus von einer „vertraglichen Produkthaftung“ sprechen ließe und gewisse konstruktive Ähnlichkeiten mit der action directe nicht zu leugnen sind (zum Ganzen Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 114). Diese Ähnlichkeit zum französischen Recht besteht allerdings nur auf den ersten Blick. So bleibt der Anspruch aus warranty in den USA im Kern ein Schadensersatzanspruch, wenn auch ein verschuldensunabhängiger. Es handelt sich somit zwar dem Rechtsgrund nach um Gewährleistungsrecht; die Rechtsfolge ist jedoch im Verhältnis zum europäischen Gewährleistungsrecht limitiert, weswegen auch die Ausdehnung der Anspruchsberechtigung auf Dritte vom europäischen Recht wiederum nicht so weit entfernt ist: Der Sache nach ist die Haftung aus warranty nichts anderes als Produkthaftungsrecht im vertraglichen Gewande. Schlechtriem spricht von der „borderline of tort and contract“; vgl. Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (531). Heute trägt § 2–318 des UCC den Titel „Third Party Beneficiaries of Warranties Express or Implied“ und ordnet ausdrücklich die Einbeziehung Dritter in die Verkäufergarantie an, die zudem zwingend ausgestaltet ist. Damit kommen Personen in den Genuss der warranty, die zwar nicht selbst Käufer sind, jedoch in vorhersehbarer Weise die Waren nutzen oder anderweitig mit ihnen in Berührung kommen. Wie in Frankreich, so wird übrigens auch in den USA mit dem Bild der Garantie gearbeitet, die „zusammen mit dem Produkt die Vertragskette hinunter läuft“ (Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 40; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 541). 365 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 17; Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (534). 366 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 17. 367 Art. 1382 des französischen Code Civil: „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé, à le réparer.“

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deliktische Fahrlässigkeitshaftung368. Damit werden die drei Voraussetzungen der Deliktshaftung von den Tatbestandsmerkmalen der faute369, der Kausalität und des Schadens gebildet370. Die knappe französische Regelung führt dazu, dass die in Deutschland beklagten Schwächen des Deliktsrechts für die französische Rechtswissenschaft kein Problem darstellen. So lassen sich beispielsweise Fallkonstellationen der culpa in contrahendo in Frankreich ohne weiteres dem Deliktsrecht zuordnen371, wie auch eine deliktische Haftung für reine Vermögensschäden grundsätzlich möglich ist372. Das Problem des französischen Rechts ist damit im Vergleich zum deutschen gerade das umgekehrte: In Frankreich besteht ein erhöhtes Bedürfnis nach dogmatisch fundierter Haftungseingrenzung im Deliktsrecht373. Möchte man eine Tendenz festschreiben und hierbei gewisse Pauschalierungen in Kauf nehmen, so hat das in Frankreich geltende System der einen (oder auch „großen“) Generalklausel eher den Geschädigten und seine (umfassenden) Interessen im Auge, während das deutsche Modell der drei „kleinen“ Klauseln mehr Gewicht auf die Sphäre des potentiellen Schädigers legt und damit stärker an den Grundsätzen der Handlungs- und Wirtschaftsfreiheit orientiert sein mag374. Anders als dies in Deutschland der Fall ist, bildet also die deliktische Haftung in Frankreich nicht das gegenüber der rechtsgeschäftlichen Haftung schwächere Instrument. Weil das Deliktsrecht in Frankreich potentiell weit ist, muss sein Verhältnis zum vertraglichen Haftungsrecht in anderer Form als in Deutschland bestimmt werden. Hierzulande ist es im Grundsatz unproblematisch, neben vertraglichen Regelungen ein prinzipiell auf absolute Rechtsverletzungen, Gesetzes- oder schwere Sittenverstöße beschränktes Deliktsrecht fortgelten zu blassen. In Frankreich hingegen dürfen potentiell infinite Deliktspflichten nicht in ein austariertes vertragliches Pflichtenverhältnis hineinwuchern. Aus diesem Grunde gilt für das Verhältnis von vertraglicher und außervertraglicher Haftung in Frankreich die Regel des „non-cumul des responsabilités délictuelle et contractuelle“, 368 Art. 1383 des Code Civil: „Chacun est responsable du dommage qu’il a causé non seulement par son fait, mais encore par sa négligence ou par son imprudence.“ Hierzu V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 18. 369 Zum Begriff der „faute“ Kraßer, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, 1971, S. 47: „fehlerhaftes menschliches Verhalten, das sich als Tun oder Unterlassen darstellen kann“. 370 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 17. 371 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 475. 372 Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (534). 373 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (35); Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (534). 374 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (35).

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wonach Anspruchskonkurrenzen im Grundsatz ausgeschlossen sind375: „En droit français la responsabilité est soit contractuelle, soit délictuelle. Et elle l’est exclusivement.“376 Im Ergebnis bedeutet dies nichts anderes als einen allgemeinen Vorrang der Vertrags- vor der Deliktshaftung377. Das Verhältnis von Vertrags- und Deliktsrecht wird also im französischen Recht nicht (erst) auf der tatbestandlichen Ebene gelöst, wie dies im deutschen Recht durch § 823 Abs. 1 und 2 BGB geschieht, sondern unter Rückgriff auf konkurrenzrechtliche Gesichtspunkte. Das Prinzip des non-cumul ist jedoch nichts anderes als die Konsequenz der weiten deliktsrechtlichen Generalklausel. Nur, weil reine Vermögensschäden im französischen Deliktsrecht grundsätzlich ersatzfähig sind, ist die Rechtsordnung überhaupt mit der Problematik konfrontiert, sie aus der deliktischen Haftung herauszunehmen: „Der Versuch, jene Konkurrenzlehre zu würdigen, gerät deshalb unversehens immer auch zu einem Baustein in dem Bemühen, die Vor- und Nachteile einer deliktsrechtlichen Generalklausel zu ergründen.“378

Dieser strukturelle Befund ist auch für das Verständnis der action directe von Bedeutung. Die deliktische Haftung gemäß Artt. 1382ff. des französischen Code Civil wird in Frankreich gemeinhin als für den Schädiger „ausufernd“ und „oftmals unvorhersehbar“ angesehen. Demgegenüber bewirken vertragliche Haftungsregeln den Vorteil der prévisibilité contractuelle379. Das Bestehen vertraglicher Haftung bedeutet für den französischen Juristen also dort, wo Schadensersatz in Rede steht, nicht eine Verschärfung, sondern eher eine Eingrenzung. Sie erhöht die Kontrollierbarkeit des Haftungsrisikos. Dieser Umstand führt allerdings zu einer ganz anderen Sicht der action directe als der, die sich einem deutschen Juristen auf den ersten Blick aufdrängen würde. Eine Ausweitung vertraglicher Haftung wäre hierzulande insbesondere damit verbunden, dass das Vertretenmüssen des Schuldners zu vermuten wäre380 und er für das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen einzustehen hätte381.

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Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 621; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 101. Eine gewichtige Ausnahme hiervon bildet allerdings die Produkthaftung (Art. 1386 Code Civil); vgl. Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 159. 376 Tunc, Responsabilité, in: Encyclopédie Dalloz, Répertoire de droit civil, Bd. VIII (1995), Rdn. 172. 377 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 429; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 661. 378 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 432. 379 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 111. 380 § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. 381 § 278 BGB.

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„Die Zuerkennung der action directe als eines vertraglichen Anspruchs, dessen Inhalt sich zwingend aus dem Erstvertrag ableitet (droit dérivé), und die Beachtung des Grundsatzes von der Anspruchsexklusivität zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung (principe du non-cumul) sollen verhindern, dass der Drittschuldner auf der Grundlage einer ausufernden und unvorhersehbaren deliktischen Haftung von einer Person in Anspruch genommen wird, die zwar nicht Vertragspartner des gleichen Vertrages ist, aber immerhin zur gleichen Vertragskonstellation gehört.“382

Dies gilt allerdings nur im Rahmen von Schadensersatzansprüchen. Was die oben beschriebene unmittelbare Rückabwicklung mit dem Hersteller betrifft, bildet die action directe tatsächlich eine Haftungsverschärfung. 3. Regressrecht Frankreich hat die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie als letzter Mitgliedstaat der EU umgesetzt, und zwar durch Verordnung vom 17. Februar 2005383. Hiermit wurde das Verbrauchsgüterkaufrecht in den Code de la consommation384 eingefügt, das allgemeine französische Verbrauchergesetzbuch, mit welchem im Juli des Jahres 1993 die verstreuten Verbraucherschutzgesetze in einer einzigen Kodifikation zusammengefasst worden waren. Die Vorschrift zum Händlerregress (Art. L. 211–14.) ist ausgesprochen kurz und nicht sehr vielsagend385: „L’action récursoire peut être exercée par le vendeur final à l’encontre des vendeurs ou intermédiaires successifs et du producteur du bien meuble corporel, selon les principes du code civil.“

Damit besteht der Händlerregress in Frankreich in nichts anderem als in einem Verweis, unter anderem auf die action directe. Der Letztverkäufer kann sich nach den allgemeinen privatrechtlichen Vorschriften an seinen Lieferanten, andere Zwischenhändler und den Hersteller wenden – die action directe ist hier also bereits vorausgesetzt. Man hat in Frankreich somit vollständig darauf verzichtet, eigene Vorschriften zu Verjährung, Disponibilität und ähnlichem zu erlassen. Dies ist im Vertrauen auf die Wirkung der action directe geschehen386. Da mit ihr, wenn auch in unterschiedlicher Höhe, auf sämtliche Vorverkäufer zugegriffen werden 382 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 111. 383 Ordonnance n° 2005–136 du 17 février 2005 relative à la garantie de la conformité du bien au contrat due par le vendeur au consommateur; zu den Anforderungen, die mit der Umsetzung verbunden waren, zuvor schon Pinna, La transposition en droit français, European Review of Private Law 2001, 223. 384 Loi N° 93–949 du 26 juillet 1993 relative au code de la consommation (partie législative), Journal Officiel (J.O.), Lois et Décrets, 1993, 10538. Zu diesem Gesetz eingehend Witz/Wolter, ZEuP 1995, 35ff. 385 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 448. 386 So auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 448.

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kann, bedurfte es nach Meinung des französischen Gesetzgebers eines eigenen Regressrechts, um den Letztverkäufer aus einer Haftungsfalle zu befreien, nicht mehr. Dies ist eine strukturell richtige Annahme. Es bleibt allerdings, abgesehen von der unterschiedlichen Haftungshöhe, eine Lücke, die sich aus den Eigenheiten der action directe ergibt. Diese hängt als Weitergabe vertraglichen Rechts auch von dessen möglicher Abbedingung ab, das zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht, also die Eigenhaftung des Regressberechtigten hingegen nicht. Dies ist der oben beschriebene dritte Aspekt der Regressfalle387. Am Beispiel Belgiens wird sich zeigen, dass diesbezüglich gerade auch bei Geltung der action directe gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, wenn der Ratio von Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf Genüge getan werden soll. IV. Belgien 1. Action directe Das belgische Rechtssystem steht in engem historischen Zusammenhang zum französischen. Der Code Napoléon trat im Jahre 1804 nicht nur in Frankreich, sondern auch auf dem heutigen belgischen Staatsgebiet in Kraft, das seinerzeit unter französischer Besatzung stand388. Strukturell gibt es darum zwischen belgischem und französischem Recht zahlreiche Gemeinsamkeiten; so gilt im belgischen Deliktsrecht, wie im französischen, die Generalklausel des neminem laedere389. Auch nach der Unabhängigkeit Belgiens im Jahre 1830 behielt der Code dort seine Gültigkeit, nahm jedoch eine eigenständige Entwicklung. Noch heute stehen allerdings belgische und französische Rechtswissenschaft und Justiz „in enger Wechselwirkung“ miteinander390. Hieraus lässt sich erklären, dass auch die action directe ihren Weg nach Belgien gefunden hat: Das belgische Recht gleicht hinsichtlich der unmittelbaren Herstellerhaftung dem französischen wie ein Ei dem anderen. Auch in Belgien besteht eine Durchgriffshaftung des Käufers gegenüber dem Hersteller und anderen Mitgliedern der Vertragskette aus eigenem vertraglichem Recht, die mit einer Art von „Zubehörstheorie“ begründet wird391. Nach der belgischen Rechtsprechung gilt 387

S. 116ff. Im Jahre 1790 hatte es bereits eine Unabhängigkeitserklärung der „vereinigten belgischen Staaten“ gegeben; diese wurden jedoch 1794 von Frankreich besetzt; vgl. auch Koch/Magnus/ Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 365. 389 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 18. 390 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 365. 391 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 39/40; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 435; Bauerreis, Das französische 388

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die „gesetzliche Garantie“392 als ein der Sache selbst innewohnendes Wesensmerkmal, das mit der Kaufsache auf den jeweiligen Käufer übergeht. Dieser hat somit wie in Frankreich die Möglichkeit, sich an den Hersteller, Zwischenverkäufer oder ggf. an mehrere von ihnen zu wenden. Voraussetzung ist wie in Frankreich außerdem, dass der Mangel zum Zeitpunkt des Verkaufs durch den jeweiligen Schuldner bereits vorhanden war, dieser also selbst gewährleistungsrechtlich verantwortlich ist. Grund hierfür ist die Zubehörstheorie, verbunden mit dem aus ihr resultierenden vertraglichen Charakter der mit der action directe geltend gemachten Ansprüche. Eine weitere Konsequenz hieraus ist, dass der Haftungsmaßstab sich aus dem Vertrag ergibt, den der jeweilige Schuldner abgeschlossen hat. Vertragliche Haftungsbeschränkungen, welche beispielsweise der Hersteller gegenüber seinem Abnehmer durchgesetzt hat, muss sich also auch ein Verbraucher, der aus der action directe gegen ihn vorgeht, entgegenhalten lassen – dies alles ist in Belgien nicht anders als in Frankreich393. 2. Händlerregress Die Privatrechtsordnungen in Belgien und Frankreich haben sich, wie oben angedeutet, teilweise parallel, teilweise unabhängig voneinander entwickelt. Im Verbraucherschutzrecht trennten sich die Wege; die französische Lösung eines einheitlichen Code de la consommation hat man in Belgien nicht verfolgt. Entsprechend wurde dort auch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie durch Sondervorschriften im allgemeinen Kaufrecht des belgischen Code Civil umgesetzt394. Auch der Sache nach unterscheidet sich die belgische Regressregelung von der französischen erheblich. Tatsächlich hat man nämlich die (auch) zugunsten des Letztverkäufers bestehende action directe gesetzlich kodifiziert und hierbei Kriterien eingeführt, um diese vertragliche Haftung zwingend auszugestalten. Nach Art. 1649 sexies des belgischen Code Civil kann der Verkäufer, welcher einem Verbraucher gegenüber für eine Vertragswidrigkeit gehaftet hat, den Hersteller oder andere Zwischenhändler „aufgrund der Vertragshaftung, zu der dieser Hersteller oder diese vertragliche Zwischenperson in Bezug auf das Gut verpflichtet Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 179. 392 Gemeint ist die gesetzliche Sachmängelhaftung; vgl. zu dieser Terminologie Schnyder/ Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (10). 393 Vgl. zum Ganzen das Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 39/40; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 435. 394 Loi du 1er septembre 2004 relative à la protection des consommateurs en cas de vente de biens de consommation; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 248; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 489.

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ist“, in Regress nehmen, ohne dass ihm gegenüber Vertragsklauseln zur Beschränkung oder zum Ausschluss dieser Haftung wirksam gemacht werden können395. An dieser Vorschrift lassen sich die oben beschriebenen Charakteristika der action directe als Anspruchs gegen den Schuldner des Schuldners gut ablesen: Es handelt sich um übertragene vertragliche Verpflichtung, und der Rechtsgrund des Anspruchs muss, wie dies zur action directe gehört, in der Gewährleistungspflicht desjenigen liegen, der in Anspruch genommen wird, also in der Mangelhaftigkeit zum Zeitpunkt des Verkaufs durch die in Anspruch genommene Person. Zugleich zeigt sich ein weiteres Mal die Besonderheit der action directe, hier allerdings beschränkt auf den Letztverkäufer: Er hat an den Gewährleistungsverhältnissen aller vorherigen Verkäufer und Abnehmer teil und wird auf diese Weise als „privilegierter Dritter“396 Inhaber fremder vertraglicher Ansprüche, ohne dass die eigentlichen Inhaber diese Ansprüche allerdings verlieren. Indem dies in Belgien nun zu nicht mehr abdingbarem Recht erhoben wird, schließt sich die in Frankreich offen gelassene Regresslücke. Zugleich geschehen jedoch zwei Dinge: Zum einen kommt der belgische Gesetzgeber, wie der deutsche und der niederländische, nicht ohne einen Eingriff in die unternehmerische Vertragsfreiheit aus. Und zweitens befindet sich der Letztverkäufer in Belgien, überraschenderweise, in einer Position, die rechtlich wie wirtschaftlich sogar noch wesentlich stärker ist als die des Verbrauchers: Seine Ansprüche gegen vertragsfremde Personen sind vor vertraglicher Abbedingung gesichert, für den Verbraucher sind es, nach Verbrauchsgüterkaufrecht, nur diejenigen gegenüber dem Vertragspartner, nicht hingegen diejenigen aus der action directe. V. Luxemburg Das heutige Großherzogtum Luxemburg war zwischen 1804 und 1814 Teil des französischen Reiches, weswegen der Code Civil zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Jahre 1804 automatisch auch dort Geltung erlangte. Wie auch im Falle Belgiens, hat der Code die Unabhängigkeit Luxemburgs von Frankreich überdauert397. Das luxemburgische Recht kannte, wie das französische und das belgische, schon vor der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie eine unmittelbare 395 Im französischen Original lautet die Vorschrift: „Lorsque le vendeur répond vis-à-vis du consommateur d’un défaut de conformité, il peut exercer, à l’encontre du producteur ou de tout intermédiaire contractuel dans la transmission de la propriété du bien de consommation, un recours fondé sur la responsabilité contractuelle à laquelle ce producteur ou cet intermédiaire est tenu par rapport au bien, sans que puisse lui être opposée une clause contractuelle ayant pour effet de limiter ou d’écarter cette responsabilité.“ 396 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 108. 397 Koch/Magnus/Winkler v. Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 2004, S. 365.

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Sachmängelhaftung des Herstellers398. In Luxemburg lässt sich diesbezüglich allerdings ein besonders spannender Prozess wahrnehmen, denn dort beruhte die action directe ursprünglich lediglich auf einer sich festigenden Rechtsprechung wie in Frankreich und Belgien. Dieser Rechtsprechung wurde dann allerdings nachträglich eine gesetzliche Kodifikation hinzugefügt. Nach Art. 1645 des luxemburgischen Zivilgesetzbuchs aus dem Jahr 1987 schuldet jeder gewerbliche Verkäufer innerhalb der Lieferkette bis hin zum Hersteller die Erstattung des Kaufpreises und haftet für Schadensersatzansprüche des Käufers399. Es handelt sich hierbei, wie bei der action directe in Frankreich und Belgien, nicht um ein verbraucherrechtliches Institut, sondern um einen allgemein kaufrechtlichen Anspruch, der jedem Käufer zugute kommt. Dies hat dazu geführt, dass man sich im Rahmen der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Luxemburg sehr zurückgehalten hat. Die Richtlinie wurde im April 2004 mittels eines kurzen Sondergesetzes umgesetzt400. Dieses Gesetz enthält zur Herstellerhaftung keine Vorschrift, sondern beschränkt sich auf die Klarstellung, dass die in Luxemburg vorbestehenden Rechtsbehelfe des Verbrauchers durch dieses Gesetz nicht eingeschränkt werden401. Dies wird ausschließlich als Hinweis auf die action directe verstanden402. Ebenso wenig regelt das Gesetz den Regress des Letztverkäufers oder weiterer Mitglieder der Lieferkette. Diesbezüglich war ursprünglich eine Vorschrift vorgesehen gewesen, die allerdings im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens als obsolet

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Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41; M. Lehmann, Informationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280 (291). 399 Der Text des Art. 1645 des luxemburgischen Code Civil lautet im französischen Original: „Si le vendeur connaissait les vices de choses ou s’il s’agit d’un fabricant ou d’un vendeur professionnel, il est tenu, outre la restitution du prix qu’il en reçu, de tous les dommages et intérêts envers l’acheteur.“ Vgl. hierzu Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 180. 400 Das Gesetz hört auf den langen Namen „Loi du 21 avril 2004 relative à la garantie de conformité due par le vendeur de biens meubles corporels portant transposition de la Directive 1999/44/CE du Parlement et du Conseil du 25 mai 1999 sur certains aspects de la vente et des garanties des biens de consommation et modifiant la loi modifiée du 25 août 1983 relative à la protection juridique du consommateur“; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 431; zuvor bereits Elvinger, La Directive 99/44 du 25 Mai 1999 et le droit Luxembourgeois, European Review of Private Law 2001, 309. 401 Art. 8 lautet: „Les dispositions qui précèdent ne privent pas le consommateur du droit d’exercer l’action résultant des vices rédhibitoires telle qu’elle résulte des articles 1641 et suivants du Code civil, ou toute autre action de nature contractuelle ou extra-contractuelle qui lui est reconnue par la loi.“ 402 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 431.

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fallengelassen wurde403. Dies gründete sich auf die Annahme, dass durch die zwingende unmittelbare Herstellerhaftung einer- und die action directe andererseits eine angemessene Verteilung der Mängelverantwortung bereits erreicht sei. VI. Spanien In Spanien404 und Portugal sind die Entwicklungen um die Herstellerhaftung außerordentlich jung; dort hat man nämlich mit Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie neue, zuvor in dieser Form nicht bestehende unmittelbare Ansprüche gegen den Hersteller eingeführt. Diese sind in beiden Ländern, im Gegensatz zur action directe in ihrer klassischen französischen und belgischen Variante, gesetzlicher Natur. Der im spanischen Verbrauchsgüterkaufrecht eingeführte Direktanspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller405 gleicht in zwei wesentlichen Aspekten dem, was die Europäische Kommission im Grünbuch von 1993 vorgesehen hatte406. Zum einen ist er gegenüber den Gewährleistungsansprüchen an den Letztverkäufer subsidiär407, zum zweiten richtet er sich lediglich auf die Nacherfüllung in ihren beiden Varianten („sustitución o reparación del bien“). Als Hersteller (im weiteren Sinne) definiert die spanische Vorschrift, parallel zur Richtlinie, auch den Importeur und jede andere Person, die sich dadurch, dass sie ihren Namen, ihre Marke oder ein anderes Kennzeichen an den Verbrauchsgütern anbringt, als Hersteller darstellt408. Dieser Typ der unmittelbaren Haftung unterscheidet sich von der beschriebenen action directe in Frankreich und Belgien – abgesehen von seiner Subsidiarität und der Beschränkung auf die Nacherfüllung – auch dadurch, dass er sich ausschließlich gegen den Hersteller wendet. Weiterhin ist er auf das Verbrauchsgü403

Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 439. 404 Die Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie erfolgte in Spanien mit der Ley 23/2003 v. 10. 7. 2003, de Garantías en la Venta de Bienes de Consumo; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 249; zuvor Lete, The Impact on Spanish contract law of the EC Directive on the Sale of Consumer Goods and Associated Guarantees, European Review of Private Law 2001, 351. 405 Art. 10, Ley 23/2003: „Cuando al consumidor le resulte imposible o le suponga una carga excesiva dirigirse frente al vendedor por la falta de conformidad de los bienes con el contrato de compraventa podrá reclamar directamente al productor con el fin de obtener la sustitución o reparación del bien. (...) Se entiende por productor al fabricante de un bien de consumo o al importador del mismo en el territorio de la Unión Europea o a cualquier persona que se presente como tal al indicar en el bien de consumo su nombre, marca u otro signo distintivo.“ 406 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 428. 407 „Cuando al consumidor le resulte imposible o le suponga una carga excesiva dirigirse frente al vendedor ...“ 408 Vgl. Fn. 405; parallel hierzu die Vorschrift in Art. 1 Abs. 2 d) der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf.

F. Herstellerhaftung

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terkaufrecht beschränkt und kommt damit nur dem Käufer zugute, der als Verbraucher gehandelt hat. Dies alles sind Merkmale eines gesetzlichen, verbraucherschutzrechtlichen Anspruchs. Hier werden keine Qualitätsversprechen von den verschiedenen Vertragspartnern durch die Lieferkette hindurchgereicht, sondern der Gesetzgeber ist es, der unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch zwischen zwei vertragslosen Parteien statuiert, und dies nur zum Schutz einer von beiden. Dieser gesetzliche Charakter der Herstellerhaftung wirft – auch wenn er dem heteronomen Charakter, den diese Haftung notwendigerweise haben muss und den die action directe nur notdürftig kaschiert, am ehesten gerecht wird – sofort die Frage auf, ob der Hersteller selbst gewährleistungsrechtlich verantwortlich sein muss, ob also das Verbrauchsgut bereits mangelhaft gewesen sein muss, als es den Gefahrenbereich des Herstellers verlassen hat. Der Gesetzeswortlaut schweigt hierzu, was den Schluss nahe legt, dass eine derartige eigene Verantwortlichkeit auch nicht Voraussetzung der Herstellerhaftung in Spanien ist, und dies bestätigt auch die weitere Systematik des spanischen Verbrauchsgüterkaufrechts. Denn zusammen mit der subsidiären Herstellerhaftung regelt das spanische Gesetz den Regressanspruch desjenigen, der dem Verbraucher gegenüber gewährleistungsrechtlich verantwortlich war. Dieser – also entweder der Letztverkäufer oder der Hersteller – kann sich innerhalb eines Jahres ab der Befriedigung der Verbraucheransprüche an „den für den Mangel der Vertragsgemäßheit Verantwortlichen“ (responsable de la falta de conformidad) wenden409. Hiermit reiht sich ein weiterer gesetzlicher Anspruch an den des Verbrauchers, denn zwischen dem „verantwortlichen“ Mitglied der Lieferkette und demjenigen, der gegenüber dem Verbraucher gehaftet hat, besteht nicht zwingend ein Vertragsverhältnis410. In diesem gesetzlichen Regressrecht ähnelt die spanische Umsetzung wiederum der italienischen411, allerdings vor einem gänzlich anderen Hintergrund, denn Spanien kennt, anders als Italien, die unmittelbare Herstellerhaftung. Aus der beschriebenen Kombination von Herstellerhaftung und Regressrecht ergibt sich eine echte Besonderheit des spanischen Verbrauchsgüterkaufrechts, die in dieser Form in keinem einzigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union beobachtet werden kann – auch nicht in Portugal, dessen System zumindest hinsichtlich der Herstellerhaftung Ähnlichkeiten aufweist. In Spanien ist ggf. 409 Art. 10 IV, Ley 23/2003: „Quien haya respondido frente al consumidor dispondrá del plazo de un año para repetir del responsable de la falta de conformidad. Dicho plazo se computa a partir del momento en que se completó el saneamiento.“ 410 So auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 436; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 487. 411 Oben S. 163.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

auch der Hersteller regressberechtigt, nämlich dann, wenn er selbst vom Verbraucher in unmittelbare Gewährleistungshaftung genommen wurde. Dies ist aus der Perspektive der von eigener Verantwortung unabhängigen Herstellerhaftung nichts anderes als konsequent. Die spanische Regressvorschrift gestattet es darüber hinaus, dass der in Anspruch genommene Hersteller auch gegen Zwischenverkäufer vorgehen kann, sofern diese für den Mangel verantwortlich sein sollten. So entsteht der Eindruck einer in sich schlüssigen Regelung412, die zudem von einer gewissen Einfachheit ist: Die Haftung wird, falls der Verbraucher sich nicht an den Letztverkäufer wenden kann, unmittelbar beim Hersteller angesiedelt413. Es kommt hinzu, dass mit der gesetzlichen Haftung und dem Verzicht auf die Vertragsbindung, welche ja die action directe im Nachbarstaat Frankreich kennzeichnet, der materielle Charakter der Herstellerhaftung getroffen wird. In Spanien ist die bemühte Konstruktion des Durchreichens von Qualitätsversprechen bei deren gleichzeitiger Vermehrung nicht notwendig. Dennoch leidet das spanische Modell daran, dass die Herstellerhaftung an keine persönliche Voraussetzung geknüpft ist; es fehlt somit vollständig an jedweder Form von Zurechung an den Hersteller. Sein Haftungsgrund gegenüber dem Verbraucher ist damit die unwiderleglich vermutete Mangelverantwortung des Herstellers. Dies wird durch zwei Umstände aufgefangen: Zum einen greift die Haftung ohnehin nur subsidiär ein, und zum anderen besteht die angesprochene Regressmöglichkeit des Herstellers gegen den Mangelverantwortlichen. Dies ist, wie gesagt, ein schlüssiges System; es erscheint nur ein wenig weitgehend. Schließlich wäre es auch möglich gewesen, wie in Portugal geschehen414, dem Hersteller gegenüber dem Direktanspruch zumindest die Einwendung mangelnder eigener Verantwortung an die Hand zu geben, um eine völlig zurechnungslose Haftung zu vermeiden. Der spanische Gesetzgeber hat sich im Übrigen dafür entschieden, die Regressregelungen auch im Falle des Verkaufs von Gebrauchtwaren anzuwenden415. Dies ist, wie oben416 ausgeführt, sachgerecht und der deutschen Lösung vorzuziehen. Denn der Grund der Regressfalle liegt im positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrecht, das auch für Gebrauchtwaren gilt. In Spanien dient der Regress zudem auch dem Ausgleich der unmittelbaren gesetzlichen Herstellerhaftung, welche ebenfalls nicht auf Neuwaren beschränkt ist.

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Reaktionen der spanischen Literatur auf den spanischen Gesetzgeber sind traditionell kritisch; so auch hier: vgl. Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 436 m. w. Nachw. 413 Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 487. 414 Hierzu gleich VII. 415 Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 487. 416 Oben S. 134.

F. Herstellerhaftung

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VII. Portugal Portugal hat die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf mit einem eigenen Sondergesetz, dem Decreto-Lei 67/2003, veröffentlicht im August 2003, umgesetzt. Die portugiesische Lösung stellt sich im europäischen Vergleich zusammen mit der spanischen als eine der mutigsten und ambitioniertesten dar, denn während in Portugal zuvor kein direkter Anspruch des Käufers eines Verbrauchsguts gegen andere Personen als den Letztverkäufer bestanden hatte417, hat man nun anlässlich der Umsetzung der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf eine gesetzliche Herstellerhaftung eingeführt418. Diese ist, im Unterschied zur im Grünbuch avisierten Lösung und zu dem, wozu man sich im Nachbarland Spanien entschieden hat, nicht einmal subsidiär zur Gewährleistungshaftung des Letztverkäufers und insofern innerhalb Europas einzigartig: Von der action directe unterscheidet sich der Anspruch durch seinen gesetzlichen Charakter und damit seine Ähnlichkeit zur Produkthaftung, und vom konstruktiv ähnlichen spanischen Modell durch das Fehlen der Subsidiarität. Wie in Spanien, so ist die Herstellerhaftung allerdings auch in Portugal beschränkt auf Reparatur und Neulieferung. Sie ist außerdem auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt, greift also nur in zu privaten Zwecken abgeschlossenen Kaufverträgen und gleicht auch hierin der spanischen Variante. Das portugiesische Gesetz stellt dem Hersteller eine Reihe von Einwendungen zur Verfügung; in dieser Beziehung ist es wesentlich ausführlicher als das spanische Verbrauchsgüterkaufrecht. So kann sich der Hersteller gegenüber dem Verbraucher insbesondere darauf berufen, dass der Sachmangel bei Gefahrübergang von ihm auf den ersten Abnehmer noch nicht bestanden habe, sowie darauf, dass der Mangel sich ausschließlich aus Äußerungen des Verkäufers oder aus dem fehlerhaften Gebrauch des Verbrauchsguts ergebe, um nur die wichtigsten Tatbestände zu nennen. In den gesetzlichen Anspruch wird also die eigene Verantwortlichkeit des Herstellers als, wenn auch vermutetes, Tatbestandsmerkmal eingeführt. In Portugal ist somit die gewährleistungsrechtliche Mangelverantwortung bereits im Rahmen der Herstellerhaftung selbst zu berücksichtigen, während sich diese Frage in Spa417 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 41. 418 Art. 6, Decreto-Lei 67/2003: 1 – Sem prejuízo dos direitos que lhe assistem perante o vendedor, pode o consumidor que tenha adquirido coisa defeituosa optar por exigir do produtor, à escolha deste, a sua reparação ou substituição. 2 – O produtor pode opor-se ao exercício dos direitos pelo consumidor verificando-se qualquer dos seguintes factos: a) Resultar o defeito exclusivamente de declarações do vendedor sobre a coisa e sua utilização, ou de má utilização; b) Não ter colocado a coisa em circulação; c) Poder considerar-se, tendo em conta as circunstâncias, que o defeito não existia no momento em que colocou a coisa em circulação; d) Não ter fabricado a coisa nem para venda nem para qualquer outra forma de distribuição com fins lucrativos, ou não a ter fabricado ou distribuído no quadro da sua actividade profissional; e) Terem decorrido mais de dez anos sobre a colocação da coisa em circulação. (...)“

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

nien erst im Rahmen der Regresshaftung stellt, die dort ja konsequenterweise auch dem nicht-verantwortlichen Hersteller zugute kommen kann, während dem Hersteller in Portugal, wie gleich zu zeigen sein wird, kein Regressrecht zugute kommt. Im Übrigen bleibt das portugiesische Verbrauchsgüterkaufrecht nicht bei den unmittelbaren Ansprüchen gegen Letztverkäufer und Hersteller stehen, sondern gibt dem Verbraucher auch die Möglichkeit, sich an den Repräsentanten des Herstellers in dem Gebiet zu wenden, in welchem er seinen Wohnsitz hat. Dieser Repräsentant haftet „solidarisch“, also gesamtschuldnerisch mit dem Hersteller und verfügt naturgemäß auch über die gleichen Einwendungen wie dieser419. Der ebenfalls im portugiesischen Decreto-Lei 67/2003 (Artikel 7420) geregelte Händlerregress kommt dem deutschen Betrachter vertraut vor; es gibt gewisse Ähnlichkeiten zu den §§ 478, 479 BGB. So kann sich in Portugal jedes Mitglied der Lieferkette, entlang der jeweiligen Vertragsbeziehungen, an seinen Lieferanten wenden, bis die Gewährleistungsverantwortung beim Hersteller angekommen ist. Für die Regressansprüche gilt eine besondere Verjährungsfrist von je fünf Jahren ab Gefahrübergang vom Lieferanten auf den Regressgläubiger, der diese Ansprüche allerdings innerhalb von zwei Monaten nach Befriedigung der Ansprüche „des Verbrauchers“ geltend machen muss421. Ob im weiteren Verlauf der Regresskette ebenfalls die Befriedigung des Verbrauchers den Fristbeginn auslöst oder nicht vielmehr die Befriedigung des jeweiligen Regressgläubigers, wird aus den portugiesischen Vorschriften nicht deutlich. Sinnvoller wäre jedenfalls die letztere Variante, um die Regressansprüche nicht bereits nach der ersten Stufe zu ersticken. Interessanterweise ist die vertragliche Abbedingung von Regressansprüchen in Portugal nur wirksam, wenn der jeweilige potentielle Regressgläubiger einen „angemessenen Ausgleich“ („compensação adequada“) erhält – fast also wie in § 478 BGB, wo bekanntlich von einem „gleichwertigen“ Ausgleich die Rede ist. Parallel 419 Art. 6, Abs. 3: „O representante do produtor na zona de domicílio do consumidor é solidariamente responsável com o produtor perante o consumidor, sendo-lhe igualmente aplicável o n. 2 do presente artigo.“ 420 Artigo 7. Direito de regresso 1 – O vendedor que tenha satisfeito ao consumidor um dos direitos previsto no artigo 4. bem como a pessoa contra quem foi exercido o direito de regresso gozam de direito de regresso contra o profissional a quem adquiriram a coisa, por todos os prejuízos causados pelo exercício daqueles direitos. 2 – O disposto no n. 2 do artigo 3. aproveita também ao titular do direito de regresso, contando-se o respectivo prazo a partir da entrega ao consumidor. 3 – O demandado pode afastar o direito de regresso provando que o defeito não existia quando entregou a coisa ou, se o defeito for posterior à entrega, que não foi causado por si. 4 – Sem prejuízo do regime das cláusulas contratuais gerais, o acordo pelo qual se exclua ou limite antecipadamente o exercício do direito de regresso só produz efeitos se for atribuída ao seu titular uma compensação adequada. 421 Art. 8 Abs. 2 und 3, Decreto-Lei 67/2003: „O profissional goza do direito previsto no artigo anterior durante cinco anos a contar da entrega da coisa pelo profissional demandado. O profissional deve exercer o seu direito no prazo de dois meses a contar da data da satisfação do direito ao consumidor.“

F. Herstellerhaftung

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zum deutschen Recht erstreckt sich diese vertragliche Inhaltskontrolle ebenso auf allgemeine Geschäftsbedingungen wie auf Individualvereinbarungen. Dennoch zeigt sich, wenn beide Regressmodelle sich auf den ersten Blick auch ähneln mögen, die portugiesische Regelung vor einem gänzlich anderen Hintergrund als die deutsche. Denn in Portugal ist, wie gerade ausgeführt, der Hersteller ja selbst potentieller Schuldner des Verbrauchers. Es wird deutlich, wie reich das Panorama der möglichen Varianten ist. Das portugiesische Recht enthält als einziges ein echtes „sowohl als auch“, nämlich sowohl die unmittelbare, nicht subsidiäre Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher als auch die verschärfte, wirtschaftlich nicht disponible Regresshaftung innerhalb der Lieferkette. Beides realisiert sich allerdings nur alternativ zueinander, da in den Fällen, in welchen der Verbraucher den Hersteller in Anspruch nimmt, keine Regresslage innerhalb der Lieferkette entsteht. VIII. Schweden und Finnland Schweden zählt zu den sieben Mitgliedstaaten der Europäischen Union, welche die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie fristgemäß umgesetzt haben422. Wie das niederländische, so wird auch das schwedische Kaufrecht als Modell für die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie genannt. So enthält das Verbraucherkaufgesetz (Konsumentköplag) bereits seit langem eine Haftung für Werbeangaben423. Auch an anderer Stelle ähnelt das Konsumentköplag der späteren VerbrauchsgüterkaufRichtlinie, denn es war bereits vor Umsetzung der Richtlinie grundsätzlich zugunsten des Verbrauchers einseitig zwingend424. Passend hierzu regelt das schwedische Recht unmittelbare Ansprüche des Verbrauchers gegenüber dem Hersteller oder Zwischenverkäufern, die strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Vorschlag im Grünbuch der Europäischen Kommission von 1993 aufweisen, gleichzeitig aber über diesen hinausgehen. Nach Art. 46425 422 Sivesand, Sweden – delayed reforms due to the Consumer Sales Directive?, European Review of Private Law 2001, 359; Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 489. 423 § 19 Abs. 1 und 2 Konsumentköplag; vgl. hierzu Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (417, 423). 424 § 3 Konsumentköplag lautet (zitiert bei Faber, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl 1999, 413 (417, 425): „Eine Vertragsbedingung, die im Vergleich mit den Bestimmungen in diesem Gesetz zum Nachteil für den Käufer ist, ist diesem gegenüber ohne Wirkung, wenn im Gesetz nichts anderes angegeben ist.“ 425 Die Vorschrift lautet: „Om säljaren är på obestånd, har upphört med sin näringsverksamhet eller inte kan anträffas, har köparen rätt att rikta anspråk på grund av fel på varan mot en näringsidkare i tidigare säljled som har överlåtit varan för vidareförsäljning. Första stycket gäller endast i den utsträckning motsvarande anspråk på grund av felet hade kunnat göras gällande mot näringsidkaren i tidigare säljled av den som förvärvat varan från honom. Avtal som inskränker rätten att göra anspråk gällande får dock åberopas mot köparen endast om en sådan inskränkning med bindande verkan hade kunnat avtalas mellan denne och säljaren. Bristande reklamation i tidigare led är utan betydelse för köparens rätt. Om köparen vill rikta anspråk enligt denna para-

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

des Konsumentköplag kann der Verbraucher sich nämlich dann, wenn sich der Anspruch gegen den Letztverkäufer aufgrund Insolvenz, Geschäftsaufgabe oder vergleichbarer Umstände nicht realisieren lässt, an jedes Mitglied der Vertragskette einschließlich des Herstellers wenden. Es handelt sich also, wie im Grünbuch, um ein grundsätzlich subsidiäres Haftungsmodell. Falls es zu einer derartigen Haftung kommt, ist diese allerdings nicht, wie dies im Grünbuch vorgesehen war und wie es nun beispielsweise auch in Portugal geregelt ist, auf die Nacherfüllungsansprüche beschränkt, sondern erstreckt sich auf sämtliche gewährleistungsrechtlichen Behelfe einschließlich der Minderung und der Vertragsauflösung426. Haftungsvoraussetzung ist allerdings, dass der Abnehmer des betreffenden Händlers gegen diesen einen Gewährleistungsanspruch hätte, die Kaufsache also bereits mangelhaft war, als sie den Gefahrenbereich des jeweiligen Schuldners verlassen hat427. Der Verbraucher kann sich somit nur an solche Vorverkäufer wenden, die ihrerseits nicht vertragsgemäße Ware geliefert haben, womit der Anspruch seiner Rechtsnatur nach wohl am ehesten mit der action directe vergleichbar ist, denn in konstruktiver Hinsicht handelt es sich um Gewährleistungsansprüche, die gegenüber Nicht-Vertragspartnern in der Lieferkette geltend gemacht werden können. Hierzu passt, als weitere Parallele, die Erstreckung auf sämtliche Gewährleistungsrechte. Anders als bei der action directe sind die Direktansprüche allerdings nicht disponibel, was wiederum zum insgesamt zwingenden Charakter des schwedischen Verbrauchsgüterkaufrechts passt: Etwaige Vertragsabreden aus den Binnenverträgen zu Lasten des Käufers können in Schweden dem Verbraucher gegenüber nur geltend gemacht werden, wenn sie auch ihm gegenüber wirksam hätten vereinbart werden können, sind also im Ergebnis einseitig zwingend428. Vorschriften zum Regress des Letztverkäufers finden sich im schwedischen Kaufrecht nicht429. Dort vertraut man also, wie in Luxemburg, auf die Wirkung des Direktanspruchs. Das finnische Verbrauchsgüterkaufrecht schließlich weist große Ähnlichkeiten mit dem schwedischen auf430; auch dort gibt es eine Art von eingeschränkter actigraf mot en näringsidkare i tidigare säljled, kan reklamation enligt 23 § göras hos denne eller hos säljaren. Har reklamation inte gjorts hos näringsidkaren i tidigare säljled, förlorar köparen sin rätt mot denne, om han inte underrättar näringsidkaren om sitt anspråk inom skälig tid efter det att han insett eller borde ha insett att han hade anledning att framställa anspråket.“ 426 Hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 432. 427 Art. 46 Abs. 2 Satz 1 des Konsumentköplag. 428 Art. 46 Abs. 2 Satz 2. 429 Vgl. hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 446. 430 Finnland war eines der sieben Länder, welche die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf fristgemäß zum Jahresbeginn 2002 umgesetzt haben. Dies geschah mit Gesetz Nr. 1258 vom 19 Dezember 2001; zur Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf

G. Regress und Herstellerhaftung in Europa

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on directe431. Das finnische Verbraucherschutzgesetz (Kuluttajansuojalaki) gibt dem Verbraucher das Recht, sich gegen einen Vorverkäufer der Kaufsache zu wenden, wenn dieser selbst für den Mangel verantwortlich ist432. Eine eigene Regressvorschrift enthält das finnische Kuluttajansuojalaki, parallel zur Rechtslage in Schweden, ebenfalls nicht433.

G. Regress und Herstellerhaftung in Europa Die Mitgliedstaaten der EU haben Regress und Herstellerhaftung so divers geregelt, dass nach Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie nahezu so viele Haftungsmodelle wie Mitgliedstaaten bestehen. Diese Unterschiede sind im Hinblick auf das Funktionieren des Binnenmarktes zu bedauern, was im Rahmen der Diskussion um die allgemeine Herstellerhaftung in Europa eine Rolle spielen wird, bieten der Wissenschaft jedoch eine reich gefüllte Fundgrube. Wenn man die Umsetzungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unter dem Blickwinkel betrachtet, der oben hinsichtlich der Ratio von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie entwickelt wurde, so lassen sich die Lösungen in Griechenland, Österreich, England und Irland als ein Extrem verstehen. Sie überlassen den Letztverkäufer seiner alleinigen zwingenden Haftung und messen der Regressfalle keine weitere Bedeutung bei. Dies geschieht in England und Irland schon durch die Abwesenheit eigenen Regressrechts, in Österreich und Griechenland durch dessen vollständige Abdingbarkeit. Die Vorteile dieser (Nicht)-Regelungen liegen auf der Hand: In diesen Ländern gibt es keinen Eingriff in die unternehmerische Privatautonomie, wie er in Deutschland und in den Niederlanden vorgenommen wird, aber auch in Luxemburg, Portugal und Schweden nicht vermieden werden konnte; im Ergebnis sieht sich der Hersteller in England, Irland, Griechenland und Österreich keiner besonderen Haftung ausgesetzt, die über Gewährleistungshaftung und allgemeine Produkthaftpflicht hinausgehen würde, wenn man von geringfügigen Änderungen des Verjährungsrechts in Griechenland und Österreich absieht. Komplizierte Regelungen wie die §§ 478, 479 BGB wurden vermieden; auch dies ist ein nicht zu vernachlässigender Umstand, nicht zuletzt im Hinblick auf die Europatauglichkeit nationaler Regelungen.

vgl. (mit Deutschland und Österreich) Morgenroth, Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Spanien und Deutschland, 2003, S. 489. 431 Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 14. 432 Art. 31, Kapitel 5 Kuluttajansuojalaki. Hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 433. 433 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 447.

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§ 6: Regress und Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht

In diesen Ländern hat also der Markt die Möglichkeit, das Problem, wenn es denn eines gibt, zu lösen. Wenn man mit Karsten Schmidt und anderen der Meinung sein möchte, die Regressproblematik sei eine Aufgabe der Vertragspraxis und nicht des Gesetzgebers, so wird man die in Österreich, Griechenland, England und Irland gewählten Modelle begrüßen. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass zumindest in England und Irland ohnehin eine sechsjährige Gewährleistungsfrist gilt und der wichtigste praktische Aspekt der Regressfalle damit einen großen Teil seiner Bedeutung und Schärfe verloren hat. Betrachtet man das Regressproblem hingegen aus der Perspektive der Folgen des positiv zwingenden Rechts in Vertragsketten, so ist das Verbrauchsgüterkaufrecht in diesen Ländern hinter den gebotenen Maßnahmen – und damit hinter den Vorgaben der Richtlinie – zurückgeblieben. Der Letztverkäufer wird dort in der Situation belassen, in die ihn das reine Verbrauchsgüterkaufrecht stellt: Mit einem Bein in der zwingenden Haftung, mit dem anderen im privatautonom gestaltbaren Handelsrecht. Dies ist zwar nicht das Ende des Mittelstands in den betreffenden Staaten; dennoch hat der Handel dort in gewisser Weise „Pech gehabt“, im Sinne einer nicht selbst verantworteten Schlechterstellung. Der Gesetzgeber hat in Griechenland, Österreich, Irland und England darauf verzichtet, die Schwächung durch das positiv zwingende Recht auszugleichen. Dies ist im Übrigen strukturell ja auch nicht zu vermeiden: Auch der deutsche Gesetzgeber hat, wie sich im Rahmen der Zuliefererproblematik erwiesen hat, ab einem bestimmten Punkt darauf verzichtet, die durch zwingendes Recht erlittene Schwächung auszugleichen. Nur liegt dieser Punkt an einer anderen Stelle, nämlich beim Hersteller, womit man der tatsächlichen Mangelverantwortung wohl ein Stück näher gekommen sein dürfte. Die deutsche Lösung und die der Niederlande bilden miteinander ein anderes Extrem: Unter denjenigen Staaten, welche unter Berücksichtigung eines angenommenen Relativitätsprinzips starr am Grundsatz der Abwicklung entlang der Vertragskette festgehalten haben, sind Deutschland und die Niederlande die Länder, in welchem am meisten Energie darauf verwendet wurde, Regressfallen zu vermeiden. Diese Energie hat sich unmittelbar zu Lasten der unternehmerischen Privatautonomie ausgewirkt – eine Lösung, die zum Schutz des Letztverkäufers dann notwendig ist, wenn keine unmittelbare Herstellerhaftung besteht, und zugleich das illustrativste Beispiel für die Raupentheorie. Im anderen Lager, dem der Staaten mit unmittelbarer Herstellerhaftung, herrscht große Vielfalt; es können kaum allgemeine Äußerungen gemacht werden, zumal manche Regelungen, wie die spanische und die portugiesische, außerordentlich jung sind und sich erst zu beweisen haben. Dort sind zum einen Frankreich und Belgien mit der traditionellen action directe, die ihrer Natur nach vertraglich und nicht auf das Verbraucherrecht beschränkt ist. Ähnliche, allerdings auf Verbraucherverträge beschränkte Lösungen hat man in Schweden und Finnland gewählt. Aufgrund der vertraglichen Natur dieser Ansprüche sehen all diese

G. Regress und Herstellerhaftung in Europa

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Staaten auch die Haftung anderer Mitglieder der Vertragskette vor. Dem stehen Staaten wie Spanien und Portugal gegenüber, die sich für eine gesetzliche Haftung entschieden haben, die auf den Hersteller beschränkt ist. Vielfältig sind schließlich die Regressregelungen, die in den Ländern mit Herstellerhaftung gewählt wurden. Dies reicht vom völligen Verzicht auf ein Regressrecht in Luxemburg und Schweden bis zu der detaillierten portugiesischen Regelung mit ihrer am Ende aus zwei Richtungen zwingend gewährleisteten Herstellerhaftung. Hier sticht das spanische Recht heraus, das im Rahmen der unmittelbaren Herstellerhaftung auf eine eigene gewährleistungsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers verzichtet und die Mangelverantwortlichkeit erst im Regressfall, der dann auch zugunsten des Herstellers eintreten kann, berücksichtigt. Es wird sich im folgenden und im übernächsten Kapitel erweisen, dass dieser Weg, nämlich der Verzicht auf eine eigene gewährleistungsrechtliche Verantwortung des Herstellers, derjenige ist, der einer materiellen Überprüfung der Herstellerhaftung am ehesten standhält, wenn jene sich auf Warenvertrauen gründen soll. Mit dieser, zugegebenermaßen grobkörnigen, Darstellung der Haftungsmodelle in den europäischen Mitgliedstaaten soll der deskriptive Teil dieser Untersuchung beendet sein. Im Folgenden soll das Für und Wider der verschiedenen Möglichkeiten einander gegenübergestellt werden, wobei sich die Gegenüberstellung insbesondere auf einen Punkt konzentriert, nämlich die unmittelbare Herstellerhaftung für Sachmängel. Sie ist das eigentliche Thema dieser Arbeit und ein ungelöstes Problem des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts. Hierbei wird von zweierlei Voraussetzungen ausgegangen: Zum einen ist die Herstellerhaftung unter dem Aspekt des Relativitätsprinzips zumindest insofern grundsätzlich möglich, als sie sich auf heteronome Elemente des Verbrauchsgüterkaufrechts bezieht; dies folgt aus dem in § 3 Gesagten434. Zum zweiten ist die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen die unmittelbare Herstellerhaftung eine Entscheidung hinsichtlich des oder der richtigen Adressaten heteronomen Verbrauchsgüterkaufrechts. Der Sache nach geht es nun also nicht mehr um Vertragstheorie, sondern schlicht um sachliche Gründe, die für oder gegen die unmittelbare Adressierung des Herstellers mit heteronomem Verbrauchsgüterkaufrecht sprechen.

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Oben S. 28ff.

§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts: für und wider die Herstellerhaftung A. Sachliche Gründe Es wurde dargelegt, dass dem Relativitätsprinzip als Regel im Bereich heteronomen Schuldrechts keine normative Bedeutung für die Entscheidung darüber zukommt, wer von einem heteronomen Element betroffen werden soll. Ein Gesetzgeber, der heteronomes Recht in das Schuldrechtssystem einführt, kann sich bei der Adressatenbestimmung demzufolge nicht schlicht auf die Struktur der vertraglichen Beziehungen zurückziehen, sondern muss sachliche Gründe dafür finden, wen er mit heteronomem Schuldrecht adressiert. Dies bedeutet für die nun folgende Diskussion der Herstellerhaftung, dass sachliche Gründe gefunden werden müssen, um den oder die richtigen Adressaten der Gewährleistungsansprüche zu ermitteln. Selbstverständlich sind die vertraglichen Beziehungen hierbei nicht gänzlich ohne Belang, beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob der Gläubiger eines Gewährleistungsanspruchs dazu gezwungen werden sollte, sich an einen nicht mit ihm vertraglich verbundenen Schuldner zu wenden, oder im Rahmen des Haftungsrisikos vertragsfremder Personen, deren berechtigtes Interesse es ist, mit potentiellen Gewährleistungsansprüchen und -gläubigern kalkulieren zu können. Dies alles sind bei der Auswahl des oder der Haftungsadressaten zu berücksichtigende sachliche Gründe, wodurch sich jedoch nichts an der Begründungsstruktur ändert: Als Dogma ist der Relativitätsgrundsatz im Bereich heteronomen Rechts kein gültiges Argument für oder gegen bestimmte Haftungsadressaten.

B. Warenvertrauen Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird in der deutschen Rechtswissenschaft in Zweifel gezogen, ob ein allein am Verhältnis von Käufer zu Verkäufer orientiertes Kaufgewährleistungsrecht den Rechtstatsachen noch gerecht wird. Diese Zweifel gründen sich in ihrem Kern auf nichts anderes als die Arbeitsteilung als wesentliches Kennzeichen der Moderne1, im Kaufrecht auf die Arbeitsteilung zwischen 1

Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung (1893).

B. Warenvertrauen

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Industrie und Handel, Herstellung und Vertrieb. Ihnen liegt ein Bild von der Motivationslage des Käufers eines Verbrauchsguts zugrunde, das in den zahlreichen Beiträgen zum Thema nur geringfügig variiert: Der Verbraucher investiert das Vertrauen, wenn Produktion und Handel arbeitsteilig auseinanderfallen, nicht in die Vertriebs-, sondern in die Produktqualität. Es ist Warenvertrauen. Dieses Vertrauen richtet sich darum, insbesondere im Falle von Markenware, nicht auf die Person des Verkäufers, sondern begründet sich im Unternehmen des Herstellers und dessen besonderem Ruf. Alle Glieder der Vertragskette profitieren von diesem Ruf. Das auf ihn gegründete Vertrauen wird damit zum charakteristischen – und vor allem wertschöpfenden – Element des vertraglichen Gebildes, an dem alle Mitglieder der Vertragskette, einschließlich des Verbrauchers, teilhaben2. Damit ändert sich an erster Stelle die Verkäuferrolle: Das Bild von der „Durchgangsstation des Vertrauens“3, zu welcher der Verkäufer in Zeiten des Massenverkehrs degenerierte, fand, soweit ersichtlich, allgemeine Zustimmung4. Exemplarisch seien die Äußerungen von Klaus Müller aus dem im Jahre 1965 zitiert: „Je stärker im allgemeinen Bewusstsein das ‚Kundenverhältnis‘ Warenhersteller – Endverbraucher hervorgehoben wird, umso mehr muss das Verhältnis zwischen Endverbraucher und Zwischenhändler in seiner Bedeutung verblassen. (...) Der Kauf der Ware ist nicht mehr eine Frage des Vertrauens zum Einzelhändler, sondern zum Produzenten. Der Einzelhändler hat in den Augen des Verbrauchers nur noch die soziale Funktion, Verteiler der Waren des Herstellers zu sein. Symptomatisch dafür ist die dem Verbraucher systematisch beigebrachte Einstellung, dass eine Ware nur dann einwandfrei ist, wenn sie sich in der ungeöffneten Originalverpackung befindet. Der Verbraucher will die Ware so erhalten, wie sie die Fabrik verlassen hat, unberührt vom Zwischenhändler. Damit entfällt auch für den 2 Dies wird kaum bestritten; vgl. nur Staudenmayer, EG-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Gewährleistungsrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 (35); Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 206 : Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 25; Schnyder/Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (48ff.); Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136); M. Lehmann, Informationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280 (291). Früher bereits Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (500); Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (15); Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282); K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965). 3 Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo, AcP 151 (1950/51), 501 (511). 4 Beispielsweise bei Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (500); Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (15); Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282). Ebenso hat man in den USA im Laufe der 1960er Jahre über die Verkäuferrolle im Warenverkehr nachgedacht, und dies mit einem ähnlichen Ergebnis: Er sei nicht mehr als „eine einfache Wegstation, ein Zwischenstopp auf dem Weg der Ware vom Hersteller zum Verbraucher“; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 40.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Zwischenhändler fast jede Möglichkeit, die Ware zu überprüfen. Er wird zum verlängerten Arm des Herstellers.“5

In exakt diesem Sinne spricht auch Canaris schon im Jahre 1968 von der „(...) Einsicht, dass das ‚Warenvertrauen‘ des Käufers, also sein Vertrauen auf die ordnungsgemäße Beschaffenheit der Kaufsache, (...) nicht dem Verkäufer, sondern dem Hersteller entgegengebracht wird und dass darin eine wesentliche Abweichung von dem der gesetzlich Regelung zugrundeliegenden Normaltypus des Kaufvertrags liegt; das gilt (...) nicht nur bei Markenartikeln und dergleichen oder in Fällen besonderer Werbung, sondern grundsätzlich für jeden Fall, in dem der Hersteller dem Käufer gegenüber als eine vom Verkäufer verschiedene Person irgendwie in Erscheinung tritt“6.

Diese Argumente klingen in ähnlicher Form wesentlich später, im Grünbuch der Europäischen Kommission von 1993, wieder an. Das Vertrauen des Verbrauchers in den Hersteller habe früher tatsächlich an bestimmte Verkäufer angeknüpft, die typischerweise ebenfalls Hersteller der von ihnen vertriebenen Dinge waren, während die fortschreitende Arbeitsteilung auch eine Umorientierung von Vertrauen mit sich gebracht habe: „Traditionsgemäß stellte in einer auf Handel und Kleinhandwerk aufbauenden Gesellschaft die Vertrauensbeziehung zwischen Käufer und Verkäufer einen maßgeblichen Bestandteil der vertraglich vereinbarten Beziehung dar. In den modernen Konsumgesellschaften, die auf Massenproduktions- und Vertriebssystemen aufbauen, ist das Vertrauen der verbindlich hinsichtlich der von ihnen gekauften Produkte stärker an die Kompetenzen gebunden, die sie den Herstellern als die, die sie den Verkäufern vorschreiben.“7

Darüber hinaus sei es auch sachlich gerechtfertigt, dass der Verbraucher eher in den Hersteller (das Produkt) als in den Verkäufer (den Vertrieb) vertraue, denn der Wettbewerb finde bei ähnlichen Produkten zwischen den Marken, nicht mehr zwischen den Verkäufern statt. Letzteren stünden lediglich die Faktoren ‚Preis‘ und ‚Kundendienst‘ als Wettbewerbsfaktoren zur Verfügung8. Diese reale Situation findet ihre rechtliche Entsprechung heute bereits im Pflichtenprogramm des Handels. Den Verkäufer treffen lediglich „händlerspezifische Gefahrenabwehrpflichten“9, nicht hingegen unterliegt er der allgemeinen 5 K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (293/294). 6 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (502). 7 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 110. Der letzte Satz ist ein wenig verständlicher, wenn man das Wort „vorschreiben“ durch „zuschreiben“ ersetzt. 8 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111; ebenso M. Lehmann, Informationsverantwortung und Gewährleistung für Werbeangaben beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2000, 280 (291). 9 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 1013; vgl. auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 206.

B. Warenvertrauen

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Pflicht, Waren auf ihre Fehlerhaftigkeit hin zu untersuchen. Ausnahmen sind nur in Sonderfällen denkbar, etwa wenn bereits Schadensfälle im Zusammenhang mit dem vertriebenen Produkt eingetreten sind oder andere besondere Umstände eine Überprüfung nahe legen10. In der großen Mehrzahl der Fälle ist die Situation des Einzelhandels jedoch davon gekennzeichnet, dass für etwaige Mängel nicht nur keine Verantwortung besteht, sondern diese Mängel innerhalb der letzten Handelsstufe nicht einmal erkennbar sind11. Der Gesichtspunkt des Warenvertrauens ist, solange ihm nicht positiv-rechtlich entsprochen wird, eher praktischer als theoretischer, eher sozialer als rechtlicher Natur. Auf einer tatsächlichen Ebene wird jedoch das Auseinanderdriften von Rechtswirklichkeit und Rechtslage kaum bestritten; sie ist ja auch nahezu offensichtlich. Und dort, „wo Recht auf sozialen Wandel nicht reagiert, kommt es in aller Regel zu einer sich vertiefenden Diskrepanz zwischen law-in-the-books und law-in-action“12. Die Arbeitsteilung zwischen Herstellung und Vertrieb erfordert darum ein Kaufgewährleistungsrecht, das nicht mehr einem falsch verstandenen Relativitätsprinzip folgt13, sondern die Haftung für ein Qualitätsversprechen dort verortet, wo auch das Versprechen seine Quelle hat14. Diese Gedanken zum Warenvertrauen und seiner fehlenden rechtlichen Entsprechung sind, wie gesagt, nicht neu. Neu ist allerdings das gesetzliche Panorama, innerhalb dessen sie zu realisieren wären. Innerhalb eines vollständig autonom strukturierten Kaufrechts ist es nahezu unmöglich, eine Herstellerhaftung zu konstruieren, ohne in die Nähe des Vertrags zu Lasten Dritter und damit in Konflikt zum Relativitätsgrundsatz zu geraten. Man musste sich vor Inkrafttreten der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – in Deutschland vor der Schuldrechtsreform – darum mit dem Umweg über die culpa in contrahendo behelfen15, obwohl das Warenvertrauen überhaupt nichts mit Integrität und damit auch nichts mit Schadensersatz zu tun hat, wie auch der Haftungsgrund im Falle seiner Enttäuschung nicht in einer zu vertretenden Pflichtverletzung begründet wäre. Heute ist dieser Umweg nicht mehr notwendig. Das Verbrauchsgüterkaufrecht hat, so sehr man die Einschränkungen der Vertragsfreiheit durch das positiv zwingende Recht beklagen mag, mit der Heteronomisierung des Mangelbegriffes 10

Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 1013. Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 10. 12 Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 2. 13 „Der Grundsatz der Relativität der Vertragsbeziehungen ist in Kettenbeziehungen, in denen geplant und systematisch Transaktionen abgewickelt werden, überholt.“ Grundmann, Internationalisierung und Reform des deutschen Kaufrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (311). 14 „Dem Massencharakter des Verbrauchervertrags wird ein Konzept (...) nicht gerecht, das sich auf die Dogmatisierung des Vertrages beschränkt und die Haftung des Herstellers ausblendet (...).“; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003, S. 649. 15 So insbesondere Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233; ders., Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981. 11

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

die gewährleistungsrechtliche Verantwortung als das kodifiziert, was sie – auch nach Ansicht der Rechtswissenschaft – schon seit langem ist: Haftung für eine Qualitätserwartung, die sich nicht aus der Vereinbarung über ein Einzelstück, sondern aus dem Vertrauen in das Exemplar einer Gattung ergibt16. Für eine Qualitätserwartung also, deren Sicherung im Regelfall nicht durch autonome Vereinbarung hergestellt wird, sondern nur im Wege heteronomen Vertragsrechts gewährleistet werden kann. Erst mit diesem in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie vollzogenen Schritt lässt sich das Relativitätsprinzip – unter der Zugrundelegung der in § 217 dieser Arbeit vorgeschlagenen Herleitung aus dem Autonomieprinzip – wahren und dennoch eine vertragsunabhängige Herstellerhaftung begründen, wie sie den Rechtstatsachen angemessen ist18.

C. Qualitäts- und Werbeverantwortung (Mangelverantwortung) In Zeiten von Massenproduktion und Vertriebssystemen – in Zeiten also, in welchen der Verkäufer eines Verbrauchsguts dieses im Zweifel nicht selbst hergestellt hat – kann mit einer gewissen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Verantwortlichkeit für Sachmängel nicht beim Handel, sondern im Bereich der Herstellung liegt19. Der Hersteller bestimmt im Regelfall unter Ausschluss der Zwischenhändler Inhalt, Qualität und Aussehen der Ware und ist zudem im Fall originalverpackter Ware der Einzige, der die Qualität überprüfen könnte. Allein in seiner Hand liegt es, „ob der Endkäufer gute oder schlechte, preisgünstige oder teure, schädliche oder unschädliche Ware erhält.“20 So ist man sich ja auch hierzulande im Wesentlichen darüber einig, „dass die wirtschaftlichen Risiken aus Sachmängeln bei fabrikneuen Gütern auch im Fall einer Käuferkette dahin gehören, wo sie herrühren: zum Hersteller bzw. Importeur“21, und diesem Grundsatz folgt auch Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf22. Dies dient, abseits des evidenten Gerechtigkeitsaspekts, der Produktqualität: „Kann ein Hersteller die Kosten der Vertragswid-

16 Zum Wechsel des kaufrechtlichen Leitbildes von der Stück- zur Gattungsschuld oben S. 85ff. 17 Oben S. 9ff. 18 Zur Konstruktion einer solchen Herstellerhaftung in § 8, S. 241ff. 19 Schubel/Koch, Die Nacherfüllung als Haftungsfalle: Das deutsche Kaufrecht auf dem Weg zum Garantiesystem?, DB 2004, 119 (121). 20 K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (307). 21 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (428). 22 Staudenmayer, EG-Richtlinie zur Vereinheitlichung des Gewährleistungsrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 (43).

C. Qualitäts- und Werbeverantwortung (Mangelverantwortung)

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rigkeit nicht auf andere abwälzen, wirkt dies als Anreiz, bessere Produkte herzustellen.“23 Beim Hersteller liegt die Qualitätsverantwortung. Diese ohnehin gegebene Nähe des Herstellers zur Produktqualität und damit zur Verantwortlichkeit für den Rechtsgrund der Gewährleistungshaftung ist durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie um einen weiteren Gesichtspunkt ergänzt worden. Denn die Richtlinie hat nicht nur eine Heteronomisierung des Verbrauchsgüterkaufrechts mit sich gebracht, sondern im Zuge der Objektivierung des Mangelbegriffes auch Regelkriterien zur Bestimmung des Sollbeschaffenheit eingeführt, welche kaum noch Beziehung zum Letztverkäufer aufweisen, sondern typischerweise der Herstellersphäre zuzurechnen sind. Die Rede ist insbesondere von der Haftung für Werbeangaben. Die Haftung für Werbeangaben trifft in ihrer derzeitigen Fassung, und zwar sowohl im Rahmen der Richtlinie als auch nach deutschem Gewährleistungsrecht, den Verkäufer. Dass dieser zwar gelegentlich, statistisch jedoch in eher seltenen Fällen die Werbeverantwortung trägt, ist alles andere als eine Neuigkeit24. Der Verkäufer ist in der überwiegenden Mehrzahl der Konstellationen – nämlich in allen Fällen der so genannten Sprung- bzw. Direktwerbung – gerade nicht für die Produktwerbung und damit für einen wesentlichen Aspekt der Vertragsanbahnung zuständig bzw. verantwortlich. Werbung wird zumeist in der Sphäre des Herstellers konzipiert, womit dem Handel allenfalls eine „Botenrolle“ für Werbeaussagen verbleibt25. Sofern es also eine Einflussnahme durch Werbung auf die Kaufentscheidung der Kunden gibt, ist die Verantwortung hierfür nicht beim Handel, sondern in der Herstellersphäre zu verorten. Diese Aussagen zur Verkäuferrolle sind selbstverständlich generalisierender Natur. Natürlich lassen sich auch Beispiele dafür finden, dass Werbemaßnahmen nicht von Hersteller-, sondern von Handelsseite angestoßen werden. Insbesondere größere Handelsketten im Sportgeräte-, Bekleidungs- oder Elektronikbereich erreichen mit eigenen Werbebroschüren, beispielsweise als Zeitungsbeilagen, weite Verbraucherkreise. Dies ändert am Befund zur Verantwortlichkeit für die letztendliche Kaufentscheidung des Kunden allerdings nichts. Denn Händler23

Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 7. Auch die Kommission nahm auf diesen Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für Qualität und Mängel im Grünbuch von 1993 Bezug, um die seinerzeit von ihr favorisierte Herstellerhaftung zu begründen: „Wenn sich der Fehler eines Gutes aus der Herstellung des Produkts ergibt, ist es widersprüchlich, dass der Verkäufer, der keinerlei Einfluss auf den Produktionsprozess und häufig das Produkt nicht einmal ausgepackt hat, der einzige Verantwortliche sein soll, an den sich der Käufer halten kann.“ Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 110/111. 24 Siehe bereits Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8. 25 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 186; Staudenmayer, EGRichtlinie zur Vereinheitlichung des Gewährleistungsrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 (35); Tiller, Gewährleistung und Irreführung, 2005, S. 53.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

werbung differenziert nicht innerhalb gleichartiger Warengruppen. Sie ist, insbesondere durch die Präsentation einer möglichst günstigen, aber auch breiten Produktpalette, grundsätzlich danach ausgerichtet, den Werbeadressaten überhaupt in das betreffende Geschäft zu bewegen. Welche konkrete Kaufentscheidung der Kunde dann tatsächlich trifft, wird sich im Zweifel erst dann entscheiden, wenn er im Geschäft vor der Wahl steht. Hier jedoch entscheiden wiederum die Herstellerangaben. Die nun mit der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf eingeführte Haftung für Werbeangaben statuiert somit eine gewisse Schieflage. Sie führt zur Verantwortlichkeit des Letztverkäufers für Aussagen, die Dritte getätigt haben, und damit für Fremdverhalten26. Auf diese Weise stellt sie sich als ein Fall heteronomen Rechts dar, in welchem der Rechtsunterworfene nicht derjenige ist, dem die sachliche Verantwortung, der Haftungsgrund, anzulasten ist: Werbehaftung und Werbeverantwortung fallen auseinander. Die Bestimmung des richtigen Adressaten heteronomen Rechts gebietet jedoch eine sachliche Begründung für oder gegen bestimmte Adressaten. Den Gesetzgeber trifft, wenn er nicht-parteiautonome Haftungstatbestände einführt, prima facie das Gebot, nicht irgendjemanden, sondern die materiell verantwortliche Person mit dieser Haftung zu belegen. Für die ausschließliche unmittelbare Inhaftungnahme einer nicht-verantwortlichen Person müssten demgegenüber überragende Gründe sprechen; gibt es diese nicht, entsteht der Eindruck von Willkür. Aus dem Gebot der richtigen Verortung der Haftung folgt, dass, wenn Vertrauen geschützt wird, derjenige das Risiko zu tragen hat, der das Vertrauen erweckt. Am Beispiel der Werbeangaben heißt dies: Wenn das Verbrauchervertrauen in öffentliche Äußerungen geschützt wird und keine parteiautonome Vereinbarung den Rechtsgrund für diesen Schutz darstellt, gibt es keinen Grund dafür, den Letztverkäufer für Werbeangaben in die Verantwortlichkeit zu nehmen. Ein solcher Grund liegt, wenn das in § 3 Gesagte zutrifft, insbesondere nicht im vertragsrechtlichen Relativitätsgrundsatz, der für heteronomes Vertragsrecht gerade nicht gilt. Begründet wird diese Haftung des Letztverkäufers für fremdes Verhalten (der Hersteller oder ein Dritter, welcher eine haftungsbegründende Werbeangabe macht, ist mit dem Letztverkäufer in vielen Fällen ja nicht vertraglich verbunden) zum einen damit, dass der Letztverkäufer seinerseits von den öffentlichen Angaben des Herstellers profitiere, wenn diese das Käuferverhalten positiv beeinflussten – Werbeangaben werden, dieser Argumentation zufolge, immer auch „im Interesse des Letztverkäufers“ getätigt27. 26 So schon M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 188: die Verkäuferhaftung für Werbeangaben sei „verfehlt“. Hierzu auch von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (726). 27 Tiller, Gewährleistung und Irreführung, 2005, S. 54; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 119; hierzu auch Glinski/Rott, Um-

D. Zur Untauglichkeit der Regresslösungen

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Diese Begründung erscheint jedoch wenig tragfähig. Sie geht beispielsweise immer schon dann ins Leere, wenn ein Händler eine Auswahl verschiedener Produkte der gleichen Klasse anbietet und somit davon ausgehen kann, dass ein Käufer, der an einem Produkt interessiert ist, aller Wahrscheinlichkeit nach irgendeines der Produkte erwerben wird. Von welcher Werbeaussage sich der Kunde dann leiten lässt, ist für den Verkäufer, sofern sich die Preisunterschiede zwischen den einzelnen Produkten in einem gewissen Rahmen bewegen, vollständig unerheblich. Angeführt wird weiterhin, der Letztverkäufer sei, auch wenn er für Drittverhalten hafte, selbst nicht gänzlich frei von Verantwortung: Er sei es schließlich, der seine Ware, seinen Lieferanten und damit letztlich auch den Hersteller aussuche, weswegen die Fehlerhaftigkeit eines Produkts, wenn auch nicht aus seinem unmittelbaren Verantwortungsbereich, so doch zumindest aus einer Sphäre stamme, in welcher ihm durchaus Entscheidungsmöglichkeiten verblieben28. Auch dieser – nicht zu bestreitende – Gesichtspunkt spricht jedoch nur für die Gewährleistungshaftung des Letztverkäufers, nicht gegen eine Herstellerhaftung. Versteht man schließlich die Haftung für Werbeangaben als eine Art von Qualitätssicherung, wobei sich die Qualität nicht auf das beworbene Produkt, sondern auf die Werbung bezieht29, so kann der hiermit verbundene Anreiz (incentive) ebenfalls nur dem Hersteller gelten. Der in der Richtlinie gewählte Mechanismus krankt somit an der Auswahl des Adressaten: Der Letztverkäufer, der für die Richtigkeit der Werbeangaben primär einzustehen hat, wird regelmäßig nicht für sie verantwortlich sein. Ein sachlicher Grund für die alleinige Haftung des Letztverkäufers für Werbeangaben ist somit nicht ersichtlich. Im Falle der Werbeangaben lassen sich die Rollen der Beteiligten vielmehr gerade umgekehrt interpretieren, als die Richtlinie dies ihrer Struktur nach tut: Was die Verantwortung für das Vertrauen des Verbrauchers in Werbeangaben des Herstellers betrifft, wäre der Letztverkäufer viel eher als „Dritter“ anzusehen als der Hersteller. Aus diesen Gesichtspunkten heraus erscheint der Durchgriff auf den Hersteller – zumindest hinsichtlich der Haftung für öffentliche Äußerungen – geradezu geboten.

D. Zur Untauglichkeit der Regresslösungen Die Rechtsordnungen Österreichs, Griechenlands und Deutschlands behandeln den Regress des Letztverkäufers, wie oben dargelegt, im Wesentlichen als modifiweltfreundliches und ethisches Konsumverhalten im harmonisierten Kaufrecht, EuZW 2003, 649 (652). 28 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 205. 29 So die oben S. 91ff. gezogene Schlussfolgerung.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

zierten Gewährleistungsanspruch und damit als, wenn auch nur teils zwingendes, Vertragsrecht. Der Grund für Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und damit für die Regressvorschriften der Mitgliedstaaten liegt jedoch nicht in den Schwächen des Gewährleistungsrechts, sondern darin, den Letztverkäufer nicht schutzlos zu stellen, falls ihn Mangelhaftung ohne Mangelverantwortung trifft. Die Regresshaftung hat ihre Herkunft darum gerade nicht in der Mangelhaftigkeit, wie sie sich im Regressverhältnis zwischen Lieferanten und Letztverkäufer darstellt, sondern in der Tatsache, dass der Letztverkäufer seinerseits gegenüber dem Verbraucher zu haften hatte, also in der Mangelhaftigkeit des Verbrauchsguts, wie sie sich aus dem Verhältnis zwischen Letztverkäufer und Verbraucher ergibt. Völlig zu Recht konstatiert darum Bridge: „Ein Regressanspruch ist nicht eigentlich ein Anspruch wegen Vertragswidrigkeit von Waren. Es geht vielmehr um die Erstattung von Summen, die in Folge von Gewährleistungsansprüchen an den Verbraucher geflossen sind.“30

Diesem Umstand werden alle Regelungen nicht gerecht, die darauf abzielen, den Regress mit einem auf das Rechtsverhältnis zwischen Letztverkäufer und Lieferanten fokussierten Gewährleistungsmodell zu regeln. Grund des Rückgriffs ist auch außerhalb des Verbrauchsgüterkaufrechts, „dass die Erfüllung der Schuld Grund des dem Schuldner gewährten ‚Rückgriffsanspruchs‘ ist und dessen Inhalt bestimmt.“31 Eine gewährleistungsrechtliche Umsetzung von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ist darum bereits im Ansatz schief, und diese Schieflage zieht sich durch nahezu sämtliche Problemkonstellationen im Umkreis der Vorschriften. Der Regress ist gerade wegen seines gewährleistungsrechtlichen Charakters dazu verurteilt, das verfolgte Ziel nicht zu erreichen, wie sich am deutschen Recht beobachten lässt. Denn was vertragsmäßig ist, ergibt sich aus dem Vertrag, und die Vertragsgemäßheit muss mit einer objektiven Mangelfreiheit nicht identisch sein. Innerhalb von Vertragsketten ist es, wie oben beschrieben, ohne weiteres möglich, dass in verschiedenen Handelsstufen unterschiedliche Warenbeschreibungen oder Spezifikationen gemacht werden, so dass die Sollbeschaffenheit jeweils unterschiedlich zu beurteilen ist32. In diesen Fällen ist der Regress unterbrochen, und es besteht auch keine rechtliche Möglichkeit, diese Regresslücke gewährleistungsrechtlich zu schließen. Dies ist insbesondere am deutschen Modell der §§ 478, 479 BGB sichtbar, das trotz seiner Strenge nicht verhindern kann, dass eine je unterschiedlich bestimmte Sollbeschaffenheit die Regresskette unterbricht. 30

Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 28. Wilhelm, Der Händlerregress an der Schnittstelle von Privat- und Gemeinschaftsrecht, ecolex 2003, 231 (233). 32 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 13. 31

D. Zur Untauglichkeit der Regresslösungen

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„Dass der Letztverkäufer bei unterschiedlichen Maßstäben zur Bestimmung des Sachmangels in den einzelnen Vertragsbeziehungen letztlich ohne Regress ist, ist ein Risiko, das ihm weder (§ 478) Abs. 4 noch Art. 4 VerbrGK-RL abnehmen will“.33

Die Regresskette ist ferner immer auch unterbrochen, wenn ein Lieferant innerhalb der Vertragskette insolvent wird34. Derartige Konstellationen stellen zwar an und für sich keine spezifische Problematik des Verbrauchsgüterkaufrechts dar, sondern betreffen allgemein das Insolvenzrisiko in Vertragsketten, das nach allgemeinen Grundsätzen vom jeweiligen Vertragspartner zu tragen ist35. Dennoch liegt hierin ein Manko der Regresslösung im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Regressrechts, welchem sich nicht mit dem Hinweis auf die allgemeinen Risikoverteilungsregeln begegnen lässt: Denn mit der Insolvenz eines Zwischengliedes in der Vertragskette wird das allgemeine Regelungsziel, die Mangelhaftung dort zu verorten, wo auch die Mangelverantwortung liegt, verhindert. Die mit vertraglich konstruiertem Recht nicht zu schließenden Regresslücken verfehlen damit nicht nur den Zweck eines gerechten Ausgleichs in der Handelskette, also den Schutz des Letztverkäufers – dies mag man in Kauf nehmen, wenn man die Regressproblematik als nicht so dringlich ansieht, wie sie oben geschildert wurde. Das Regressrecht verfehlt darüber hinaus auch den Sinn und Zweck der Gewährleistungshaftung, nämlich die Zusammenführung von Mangelverantwortung und Mangelhaftung. Dies gilt eingeschränkt übrigens auch für das niederländische Regressmodell, welches das Regressrecht nicht gewährleistungsrechtlich, sondern als verschuldensunabhängigen Schadensersatz konstruiert36. Hiermit ist man der Rechtsnatur des Regressanspruchs der Sache nach zwar wesentlich näher gekommen als in Österreich, Deutschland und Griechenland – eine Entsprechung von Qualitätsvertrauen und Qualitätshaftung lässt sich auch hiermit jedoch nicht vollständig erreichen. Kontraproduktiv sind die Regressvorschriften übrigens noch aus einem weiteren Grund: Sie verhindern das Entgegenkommen der Parteien, insbesondere in Gestalt von Vergleichen oder Kulanzlösungen. Denn jede Partei, die ihrem Abnehmer Zugeständnisse macht und es so vermeidet, in die Gewährleistungshaftung genommen zu werden, beraubt sich damit potentieller Regressansprüche gegen den eigenen Lieferanten37. Dieser Sekundäreffekt des Regressmodells besteht unabhängig davon, wie man den Regressanspruch konstruiert, ob er also als Gewährleistungs- oder Schadensersatzanspruch kodifiziert ist, denn die eigene Haftung ist der Natur der Sache nach Regressvoraussetzung.

33

MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 39. Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 17; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 206. 35 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 423. 36 Hierzu oben S. 152. 37 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 24. 34

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

E. Regress und Internationales Privatrecht Die prinzipielle Untauglichkeit jedweder Regresslösung, das Regressproblem tatsächlich in den Griff zu kriegen, verstärkt sich nochmals erheblich bei einem Blick auf die internationalprivatrechtliche Lage38. Es stellt sich nämlich unmittelbar heraus, dass die im Rahmen der Umsetzung von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie erlassenen Regressvorschriften bei internationalen Verträgen zumeist gar nicht anwendbar sind. Denn diese nationalen Regressregelungen zum Schutz der Letztverkäufer gelten nur unter der Voraussetzung, dass überhaupt nationales Recht anwendbar ist. Unproblematisch wäre dies nur bei Lieferverträgen ohne Auslandsbezug39. Bei internationalen Warenkaufverträgen ist hingegen primär UN-Kaufrecht (CISG)40 anwendbar. Nur wenn dieses abbedungen ist und der Verkäufer seinen Sitz im Inland hat, kommt auch für internationale Verträge das nationale Regressrecht zum Schutz dieses Verkäufers zur Anwendung41. Damit ist eine wichtige Einschränkung für die Wirkungsweise des Regressrechtes in den Mitgliedstaaten zu machen: Im Falle innereuropäischer Exportverträge greifen Regressregelungen, wie sie Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf intendiert, nur in Ausnahmefällen ein. Das somit üblicherweise anwendbare UN-Kaufrecht enthält aufgrund seines oben42 beschriebenen Zwecks natürlich keinerlei Sondervorschriften zum Regress, noch sieht es für den Letztverkäufer irgendeine Form von Schutz in Gestalt von Verjährungshemmung oder Ähnlichem vor. Dies hat zur Folge, dass die aufgrund der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ergangenen nationalen Regressregelungen in der Praxis weitgehend auf nationale Verträge beschränkt bleiben und somit einen wesentlichen Teil der intendierten Schutzwirkung zugunsten des Handels einbüßen werden. Hieraus wiederum resultiert, dass die Regressfalle, welche mit Artikel 4 der Richtlinie 1999/44/EG gerade vermieden werden sollte, den Händler im innereuropäischen Rechtsverkehr besonders hart trifft. Denn Artikel 39 Abs. 2 CISG sieht eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren vor, ohne 38 Hierzu Gruber, Das neue deutsche Zwischenhändler-Schutzrecht – eine Benachteiligung inländischer Hersteller und Großhändler?, NJW 2002, 1180. 39 Das deutsche Regressrecht, da wirtschaftlich zwingend ausgestaltet, findet auf Inlandsgeschäfte sogar ohne Umgehungsmöglichkeit Anwendung, denn die Wahl einer anderen Rechtsordnung brächte eine Abweichung von zwingendem Recht mit sich und wäre demzufolge nach Art. 27 Abs. 3 EGBGB unwirksam; Lorenz, „Unternehmer – Unternehmerlein – Verbraucher“: Ein neues Leitbild? RIW 10/2004, Die erste Seite. 40 Art. 1 Abs. 1 a CISG; hierzu Janssen, Das Rückgriffsrecht des Letztverkäufers gemäß der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und das schwierige Verhältnis zum UN-Kaufrecht, The European Legal Forum 2003, 181. 41 Dies richtet sich nach den nationalen Regeln des internationalem Privatrechts; der Grundlage ist Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980 (EVÜ). 42 Vgl. die Ausführungen zum Fehlerbegriff in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und im CISG, oben S. 85ff.

F. Nachträgliche Werbeangaben

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dass eine Ablaufhemmung wie beispielsweise in § 479 Abs. 2 BGB den Letztverkäufer davor schützen würde, einerseits gegenüber dem Verbraucher noch gewährleistungspflichtig zu sein, andererseits hierfür jedoch beim verantwortlichen Lieferanten keinen Regress mehr nehmen zu können43. Dieser offensichtliche Widerspruch von europäischem Verbrauchsgüterkaufrecht zu der bei innereuropäischem Handel geltenden Rechtslage ist nur schwer zu rechtfertigen. Die Situation bleibt insbesondere im Hinblick darauf unbefriedigend, „dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Bewusstsein der Zugehörigkeit der Mitgliedstaaten zum CISG, ja sogar in Anlehnung daran ausgearbeitet wurde“44.

F. Nachträgliche Werbeangaben Im deutschen Recht wird ein Sonderproblem diskutiert, das zwar einerseits nicht allzu große praktische Relevanz entwickeln dürfte, andererseits jedoch ein Schlaglicht auf die Beziehung von Regressrecht und Drittschutz wirft, das viel zur Erhellung der Problematik beiträgt. Die Rede ist von (unrichtigen oder irreführenden) öffentlichen Äußerungen des Herstellers, die erst nach Gefahrübergang auf den jeweiligen Abnehmer, aber noch vor dem Verkauf an den Verbraucher getätigt wurden (nachträgliche Werbeangaben). In diesem Fall liegt zwar im Verbrauchsgüterkauf am Ende der Lieferkette ein Mangel vor, bei Gefahrübergang vom Hersteller auf seinen Abnehmer bzw. an anderen Stellen der Lieferkette jedoch noch nicht; die Mangelhaftigkeit wird innerhalb dieser Vertragsverhältnisse vielmehr erst nachträglich durch die betreffende öffentliche Äußerung hergestellt45. Bei nachträglichen Werbeangaben konzentriert sich de lege lata die Gewährleistungsverantwortung beim Letztverkäufer, und das vertragliche Regressmodell, wie es in Deutschland gewählt wurde, kann ihm keinen Weg aus der Regressfalle zur Verfügung stellen46. Man mag der Ansicht sein, hierbei handele es sich um ein Problem von geringerer praktischer Bedeutung, da nur ein außerordentlich schmales Segment innerhalb der ohnehin nicht überaus praxisrelevanten Haftung für Werbeangaben betroffen sei. Dennoch ist die Frage von einem gewissen dogmatischen Interesse für 43

Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 20. von Sachsen Gessaphe, Der Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (734); Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), Vorbem. zu §§ 478f. Rdn. 20. 45 Zur Problematik der nachträglichen Werbeangaben Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 11; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung – Einführung in das neue Recht, 2002, S. 403; M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228); Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 789; Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (189); Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 42. 46 M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228). 44

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

das Privatrecht, da sie die Mängel des Regressrechts deutlich vor Augen führt und zudem Fragen der Drittwirkung aufwirft. Im deutschen Schrifttum wird, soweit man sich dieser Problematik widmet, vertreten, dass in nachträglichen unrichtigen Werbeangaben eine Pflichtverletzung zu sehen sei, welche denjenigen, der sie getätigt habe, gegenüber seinem Abnehmer zum Schadensersatz wegen Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB verpflichte47. Auch der Regierungsentwurf zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz verweist auf diesen Weg48. Dies ist eine naheliegende Lösung, um den Regressanspruch des Letztverkäufers zu „retten“, weswegen sich bislang, soweit ersichtlich, auch kein Widerspruch im deutschen Schrifttum geregt hat. Es sei dennoch angemerkt, dass dieser „Regressanspruch“ keinen solchen mehr darstellt, sondern nur aufgrund der zeitlichen Besonderheiten zu einem Schadensersatzanspruch mutiert ist, der an das Erfordernis des Vertretenmüssens gekoppelt ist49. Ungeklärt ist weiterhin, ob ein Hersteller durch Veränderungen in seiner Werbestrategie ausgerechnet vertragliche Pflichten gegenüber seinen Abnehmern verletzt, und wie zu verfahren wäre, wenn vertragliche Regelungen vorlägen, die dieses Pflichtenprogramm gerade einschränken würden: Ein den §§ 478, 479 BGB vergleichbarer, zumindest „wirtschaftlich zwingender“ Mechanismus liegt für diese Haftung nach § 280 BGB jedenfalls nicht vor. Völlig versagt dieser Ansatz jedoch in mehrstufigen Vertragsketten50, in welchen zwischen dem haftenden Letztverkäufer und dem äußernden Hersteller kein Schuldverhältnis besteht, also auch keine primäre Haftung nach § 280 BGB in Betracht kommt. Die Situation stellt sich in diesen Fällen so dar, als existierten weder Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie noch die §§ 478, 479 BGB: Der Letztverkäufer haftet dem Verbraucher gegenüber für unrichtige Werbeangaben, und gegen den verantwortlichen Hersteller hat er keine Handhabe. In gewisser Weise liegt in der Fallgruppe nachträglicher Werbeangaben bei mehrstufigen Vertragsketten die von gesetzlichen Lösungsversuchen entkleidete Regressfalle. Bei der Suche nach Mechanismen, mit denen dem nun tatsächlich in der Regressfalle gefangenen Letztverkäufer geholfen werden könne, ist bereits der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte verfallen, allerdings nur mit einem ebenso kurzen wie lapidaren Hinweis:

47 Vgl. z.B. Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 11; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung – Einführung in das neue Recht, 2002, S. 403; M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228); Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 789; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 42. 48 BT-Drucksache 14/6040, S. 24; hierzu MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 23. 49 § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. 50 So auch Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (189).

F. Nachträgliche Werbeangaben

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„In den Schutzbereich dieses Vertrags sind auch weitere Händler in der Vertragskette einbezogen, zu deren Nachteil sich ein derartiges Verhalten des Herstellers auswirkt.“51

Dem scheint die Rechtswissenschaft folgen zu wollen52, ohne dass allerdings hierüber und über die hiermit verbundenen weiteren Konsequenzen besonders ausführlich diskutiert worden wäre. Die Leichtigkeit, mit welcher sich der Gesetzgeber und die Literatur dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zugewandt haben, ist, gelinde gesagt, überraschend: „Gewisse Bedenken hinsichtlich der dogmatischen Tragfähigkeit der Konstruktion sind angesichts der fortschreitenden Ausdehnung, die der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erfahren hat, hinzunehmen.“53

Von Interesse wäre jedoch insbesondere, ob der Hersteller – ähnlich dem französischen Modell der action directe – gegenüber sämtlichen weiteren Abnehmern einschließlich des Verbrauchers haftet (dies wäre beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eigentlich die Konsequenz, denn wenn der Letztverkäufer die Einbeziehungsvoraussetzungen erfüllt, müssten dies erst recht die vorherigen Zwischenverkäufer tun), oder ob nur der jeweils gegenüber dem Verbraucher haftende Letztverkäufer sich an den Hersteller wenden kann. Zu letzterer Alternative scheint man in Deutschland zwar zu neigen, um den Hersteller keiner uferlosen Kumulation von Gläubigern auszusetzen54; eine konstruktive Möglichkeit dieser Beschränkung der Schutzwirkungen auf das entfernteste Mitglied der Lieferkette besteht allerdings nicht. Denn in diesem Falle müsste begründet werden, warum nur der primär gewährleistungshaftende Letztverkäufer in die Schutzwirkung des ersten Kaufvertrags mit einbezogen sein soll, nicht jedoch die – dem Hersteller wesentlich näher stehenden – vorgelagerten Mitglieder der Lieferkette. Eine derartige Begründung liegt nicht vor. Eine Konstruktion, die nur aufgrund der bestehenden Regresslücke bei nachträglichen Werbeangaben den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bemüht, ist darum willkürlich. Die alleinige Tatsache, dass kein besseres Instrument zur Verfügung steht55, rechtfertigt die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht. Selbst falls man von einer solchen Schutzwirkung ausgehen wollte, verblieben immer noch erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Konstruktion mit Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Denn eine Lösung über § 280 BGB würde, wie dargestellt, das (wenn auch vermutete) Vertretenmüssen des 51

BT-Drucksache 14/6040, S. 24; hierzu MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 23. Vgl. beispielsweise Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 11; Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 42. 53 Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 11. 54 M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228). 55 Vgl. beispielsweise Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 42: „Dieser Ansatz erscheint deshalb sachgerecht, weil weder eine der in der Rechtsprechung verfestigten Fallgruppen der Drittschadensliquidation vorliegt noch § 285 einschlägig ist.“ 52

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

werbenden Herstellers erfordern56, und ein derartiges verschuldensnahes Tatbestandsmerkmal ist in der Richtlinie gerade nicht vorgesehen. Diese setzt zur Begründung des Anspruchs lediglich die Verursachung der Haftung des Letztverkäufers „aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers“, also die (verschuldensunabhängige) Verursachung der Mangelhaftigkeit voraus57. Die Mitgliedstaaten haben lediglich die Möglichkeit, „das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten“ zu bestimmen, wozu allerdings das Verschuldenserfordernis sicherlich nicht mehr zu rechnen ist58. Teilweise wird in Deutschland sogar das Rechtsinstitut der Drittschadensliquidation bemüht, um dem Letztverkäufer aus seinem Regressdilemma im Falle nachträglicher Werbeangaben zu helfen. Es handele sich bei der Regresslücke im Falle nachträglicher Werbeangaben nämlich nicht um ein Problem, das mit der Kumulation von geschützten Abnehmern zu lösen sei, sondern um eine im Grunde zufällige Schadensverlagerung, wie sie für die Drittschadensliquidation kennzeichnend sei59. Der Letztverkäufer habe den Schaden, es stehe ihm jedoch mangels eines Schuldverhältnisses kein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Hersteller zu, während der Erstkäufer zwar nach § 280 Abs. 1 BGB Anspruchsberechtigter sei, jedoch selbst keinen Schaden habe. Diese Schadensverlagerung sei insbesondere deswegen zufällig, weil die Haftung des Letztverkäufers für Werbeaussagen es nicht zum Zweck habe, den Hersteller zu entlasten. Auch dieser Ansatz führt jedoch nicht weiter. Denn die Schadensverlagerung vom Erstkäufer auf den Letztverkäufer ist aus objektiver Perspektive wie aus der Sicht des Herstellers alles andere als zufällig. Es handelt sich, im Gegenteil, um eine von Anfang an absehbare Haftungskonstellation: dass nämlich im Falle eines Sachmangels der Letztverkäufer es ist, der in Anspruch genommen wird, und der Zwischenhändler ebenso wie der Hersteller nur im Regresswege belangt werden können, was bei nachträglichen Werbeangaben nicht möglich ist. Von „Zufall“ kann also kaum die Rede sein60. Das Problem nachträglicher Werbeangaben ist vielmehr innerhalb der lex lata ohne Systembrüche nicht lösbar. Der Grund dafür, dass nachträgliche unrichtige Werbeangaben Fragen der Drittbegünstigung und des Drittschutzes aufwerfen, liegt in der vertraglich konzipierten Regresshaftung. Diese läuft immer dann potentiell ins Leere, wenn der primär haftende Letztverkäufer und der Mangelverantwortliche nicht vertraglich aneinander gebunden sind. Solange das Gewährleistungsrecht und die Vertragskette die Grundlagen des Regressrechts bilden, 56

§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. So auch Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (189). 58 Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (189). 59 Vgl. hierzu referierend M. Jacobs, Der Rückgriff des Unternehmers nach § 478 BGB, JZ 2004, 225 (228). 60 So im Ergebnis auch Staudinger/Matusche-Beckmann (2004), § 478 Rdn. 42. 57

G. Lösung des Regressproblems durch die Herstellerhaftung?

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wird es also unvermeidlich bleiben, dass Drittschutztatbestände bemüht werden müssen, die jedoch für derartige Konstellationen überhaupt nicht konzipiert sind.

G. Lösung des Regressproblems durch die Herstellerhaftung? Auch wenn die deutsche Regressregelung in der hiesigen Literatur im Detail kritisiert wird, zweifeln viele Autoren nicht an der Richtigkeit des Modells als solchen und lehnen die unmittelbare Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher ab. Die hierfür hauptsächlich ins Feld geführte Begründung ist das „Bedürfnis nach vertraglicher Gestaltbarkeit“61, die nur dann gegeben sei, wenn etwaige Ausgleichsansprüche zwischen Vertragspartnern ex ante geregelt werden können. Der deutsche Gesetzgeber führt zur Begründung der §§ 478, 479 BGB in erster Linie an, die am Relativitätsgrundsatz orientierte Regressregelung wahre die Möglichkeit vertraglicher Vereinbarungen, indem nicht mit gesetzlichem Haftungsrecht in die Vertragskette eingegriffen werde. Man wollte den Vertragsparteien die Möglichkeit erhalten, den Rückgriff vertraglich zu regeln bzw. zu modifizieren62. „Hintergrund dieser Lösung ist, dass ein gesetzlicher Anspruch außerhalb der Vertragsbeziehungen der Lieferkette eine vertragliche Regelung des Rückgriffsanspruchs unmöglich machen würde. Parteien, die keinen Vertrag über die Lieferung geschlossen haben, können die Rückgriffsbeziehung als „Annex“ auch nicht vertraglich gestalten. Es erscheint aber angesichts der Vielfalt der Vertriebsformen und der unterschiedlichen zugrunde liegenden vertraglichen Beziehungen unter den beteiligten Kaufleuten sinnvoll, vertragliche Vereinbarungen zur Gestaltung der Rückgriffsansprüche zuzulassen – wenn auch mit der Einschränkung, die sich aus § 478 Abs. 5 RE ergibt.“63

Diese Äußerung ist in dogmatischer Hinsicht richtig, entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, denn wenige Regelungen haben, wie oben gezeigt wurde, so einschneidende Konsequenzen für bislang rein privatautonom gestaltbare Rechtsmaterien gehabt wie die §§ 478, 478 BGB auf das Handelsrecht: Durch die eingeschränkte Abdingbarkeit der Regressregelungen wird die unternehmerische Freiheit in einer Weise eingeschränkt, die dem deutschen Handelsrecht zuvor unbekannt war. Dass dieses Vordringen des zwingenden Rechts durch die Vertragsketten hindurch und in das Handelsrecht hinein nicht an der Unfähigkeit des deutschen Gesetzgebers liegt, sondern eine rechtslogische Konsequenz des positiv zwingenden Rechts in Vertragsketten ist, wurde oben bereits gesagt. Die Of61 So schon die Regierungsbegründung, BT-Drucksache 14/6040, S. 247; zustimmend Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (433); Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 2. 62 Faust, in: Bamberger/Roth, 2003, § 478 Rdn. 2. 63 BT-Drucksache 14/6040, S. 247.

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fenheit der gefundenen Lösung für vertragliche Regelungen existiert jedoch im Zusammenhang mit dem Händlerregress in der Lieferkette nur theoretisch; es ließe sich auch sagen: nur scheinbar. Dies ist nichts anderes als die Konsequenz des oben als „Raupentheorie“ bezeichneten Phänomens: Zwingendes Recht64 dringt in das Unternehmerprivatrecht vor, also in einen Bereich, in dem zumindest weder ein a priori bestehendes Ungleichgewicht noch eine besondere Schutzwürdigkeit zu diagnostizieren ist. Grund für diesen Einzug des zwingenden Rechts in den kaufmännischen Bereich ist die Schieflage, die das Verbrauchsgüterkaufrecht selbst hergestellt hat. Denn nur durch das zwingende Verbraucherschutzrecht zu Lasten des Letztverkäufers wird dieser gegenüber seinem Lieferanten überhaupt erst schutzwürdig. Diese Raupenhaftigkeit des positiv zwingenden Rechts kommt jedoch erst durch das Beibehalten an der Abwicklung entlang der Vertragsketten überhaupt zur Geltung. Der Druck, der in Deutschland auf die unternehmerische Privatautonomie ausgeübt wird (und dem man in Österreich, England, Irland und Griechenland nur durch Negation der Regressproblematik ausgewichen ist), bestünde bei Geltung einer unmittelbaren gesetzlichen Herstellerhaftung nicht. Es käme auch nicht mehr zu den oben beschriebenen Rechtsunsicherheiten bei der Gestaltung der Kaufverträge in der Handelskette: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es zumindest in Deutschland so, dass der jeweilige Lieferant und sein unternehmerischer Abnehmer vor dem Dilemma stehen, dass, je nach der Verbrauchereigenschaft des letzten Kunden, zwei völlig unterschiedliche Regressmodelle gelten, nämlich das der §§ 478, 479 BGB einerseits und gewöhnliches Gewährleistungsrecht andererseits. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidung hierüber in gewisser Weise sogar dem Letztverkäufer überlassen bleibt – je nachdem, welchen Kunden er sich aussucht65. All dies wäre im Falle der unmittelbaren Herstellerhaftung nicht so. Zwar bestünde auch hier Haftungsunsicherheit auf Seiten des Herstellers im Hinblick darauf, ob er in Gewährleistungshaftung genommen wird oder nicht – dies ist jedoch bei der Produkthaftung nicht anders. Was sich tatsächlich ändern würde, ist die vertragliche Situation in der Lieferkette: Es bedürfte keiner wirtschaftlich zwingenden gesetzlichen Schutzmechanismen zugunsten eines Kaufmanns gegenüber einem anderen Kaufmann mehr, weil nicht der Letztverkäufer allein dem positiv zwingenden Recht ausgesetzt wäre, sondern er als Vertragspartner ebenso wie der Hersteller. Denn die Herstellerhaftung hat das Nebeneinander von Ansprüchen des Verbrauchers gegenüber dem Letztverkäufer und solchen gegen64

MünchKomm/Lorenz, 4. Aufl., § 478 Rdn. 38; Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 141. 65 Matusche-Beckmann, Unternehmerregress im neuen Kaufrecht, BB 2002, 2561 (2563); hierzu schon oben S. 142ff.

H. Verbraucherschutz durch Herstellerhaftung?

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über dem Hersteller zur Konsequenz66. In gewisser Weise lässt sich also im Hinblick auf die oben dargestellte Raupentheorie sagen, dass der Raupe die Nahrung entzogen würde, wenn es einen direkten Anspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller gäbe. Nicht gelöst würde allerdings das Problem der Verjährungsfristen. Diese müssten auch im Falle einer Herstellerhaftung von einer Dauer sein, die es dem Verbraucher noch bei längeren Lieferketten ermöglichen würde, gegen den Hersteller vorzugehen, und diese Dauer dürfte nicht davon abhängig gemacht werden, wann die Gefahr hinsichtlich der Kaufsache vom Hersteller auf seinen Abnehmer übergegangen ist. Damit würde für den Hersteller ein misslicher Umstand verbleiben: die erheblich erschwerte zeitliche Kalkulation hinsichtlich einer etwaigen Mängelhaftung. Dieses Problem besteht allerdings unabhängig von der Herstellerhaftung auch nach den geltenden Regressvorschriften. Die Regressproblematik löst sich somit bei Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung zwar nicht technisch, zumindest jedoch wirtschaftlich. Karsten Schmidt spricht angesichts dieses gesetzgeberischen Dilemmas von „rechtspolitische(n) Fragen, die man so oder so beantworten kann“67. Es ist zwar unbestreitbar richtig, dass sich zu den verschiedenen Lösungen unterschiedliche Meinungen vertreten lassen; eine Antwort, welche sich auch der Zulässigkeit einer Herstellerhaftung nicht verschließen würde, fiele allerdings gänzlich anders aus als im deutschen Recht: Nachdem der Hersteller als Mangelverantwortlicher von vornherein in der Haftung stünde, bliebe der quälend langsame Regressweg erspart und der Zeitfaktor verlöre erheblich an Bedeutung.

H. Verbraucherschutz durch Herstellerhaftung? Mit der Herstellerhaftung scheint auf den ersten Blick eine – möglicherweise erwünschte – Besserstellung des Verbrauchers verbunden zu sein. Denn das reine Regressmodell bedeutet für den Verbraucher notwendigerweise, dass er nur den Letztverkäufer als Anspruchsgegner hat, obwohl seine ökonomische Entschei66 Einen ganz eigenen Ansatz zur Herstellerhaftung scheint Riesenhuber (System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 423) zu verfolgen: „Denn der Grundsatz der Relativität ist keineswegs nur ein ‚formales Prinzip‘, mit dem man leichtfertig umgehen könnte, sondern auch ein Prinzip zum Schutz der Vertragspartner. Als solches kommt es zunächst auch dem Verbraucher zugute, der ausschließlich ‚seinen‘ Letztverkäufer in Anspruch zu nehmen braucht und mehrere Prozesse bzw. einen Prozess gegen mehrere Beklagte (die sich vielleicht exkulpieren können) und das damit verbundene Kostenrisiko vermeiden kann.“ Hinter diesen Ausführungen verbirgt sich wohl eine Fehleinschätzung der Herstellerhaftung: Kein Verbraucher wäre nach irgendeinem der Modelle in den Mitgliedstaaten oder im Grünbuch dazu gezwungen, mehrere Klagen zu erheben. Es stünde somit auch nicht in seinem Interesse, im Letztverkäufer nur einen potentiellen Schuldner zur Verfügung zu haben. 67 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (434).

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dung, wie dargelegt, doch wesentlich durch das Warenvertrauen in den Hersteller beeinflusst ist. Diesem gegenüber bestehen jedoch keine Ansprüche68, wenn man von den Fällen der Integritätsverletzungen und der hierdurch ausgelösten Produkthaftung absieht. Auch die Kommission sah im Grünbuch die Vorteile der Herstellerhaftung vor allem beim Verbraucher: „Außerdem vergrößert die Ausdehnung der Gewährleistungsklage auf den Hersteller die Chancen des Verbrauchers, den erlittenen Schaden ersetzt zu bekommen, da der Hersteller häufig über größere finanzielle Mittel verfügt als der Einzelhändler.“69

Eine Herstellerhaftung würde dieses Problem jedenfalls beheben, sofern man es denn noch als Problem verstehen möchte. Ob jedoch heute, nach Inkrafttreten der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, noch eine spezifische Verbraucherschutzproblematik besteht, ist äußerst zweifelhaft. Denn mit dem europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht ist dem Käufer eines Verbrauchsguts ein umfangreiches und zudem nicht-dispositives Schutzsystem zur Seite gestellt. Sofern also in früheren Publikationen die Direkthaftung des Herstellers auch als eine Maßnahme gefordert wurde, um zu effektivem Verbraucherschutz70 oder gar zu „sozialem Kaufrecht“ zu gelangen71, so dürfte dieses Ziel auf europäischer Ebene inzwischen mehr als erreicht sein72. Von den Befürwortern der Herstellerhaftung werden im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz auch insolvenzrechtliche Überlegungen ins Feld geführt. Der Verbraucher sei bei einer Insolvenz des Letztverkäufers nur dann ausreichend geschützt, wenn ihm Ansprüche gegen Dritte, insbesondere also den Hersteller zustünden. Die Ablehnung der Herstellerhaftung bedeute in diesem Zusammenhang die Verweigerung des „access to justice“73. Dieser Gedanke hatte 68

M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 188. Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111. Für die Herstellerhaftung im Sinne eines effektiven Käuferschutzes auch Jorden, Verbrauchergarantien – Die EG-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und Verbrauchsgütergarantien und ihre Umsetzung in das deutsche Zivilrecht, 2001, S. 486: „Durch eine solche Regelung würde der Verantwortung des Herstellers für das Vorliegen von Sachmängeln, deren Entstehung ihm zuzurechnen ist, noch besser Rechnung getragen, der Käuferschutz gestärkt und das Recht den modernen wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst, welche die Europäische Kommission (...) geschildert hat.“ 70 So Hondius, Kaufen ohne Risiko: Der europäische Richtlinienentwurf zum Verbraucherkauf und zur Verbrauchergarantie, ZEuP 1997, 130 (136). 71 M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 104. 72 Dies ändert natürlich nichts daran, dass die rechtspolitische Flagge, unter der die Herstellerhaftung segelt, den Verbraucherschutz als Signum trägt. Wenn die Kommission sich der Herstellerhaftung erneut zuwenden wird, wird die Situation des Verbrauchers im Vordergrund stehen. In dieser Arbeit wird der Verbraucherschutz jedoch explizit nicht zur Begründung der Herstellerhaftung herangezogen. 73 Referierend Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 422; in diesem Sinne auch schon Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 193. 69

I. Herstellerhaftung und Binnenmarkt

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auch bereits in der deutschen Diskussion um die Produkthaftung in den 1960er Jahren eine Rolle gespielt74. Ob es eines solchen besonderen Verbraucherschutzes für den Insolvenzfall des Letztverkäufers allerdings tatsächlich bedarf, ist sehr zweifelhaft: Die Anhäufung von Schuldnern ist eine willkommene Sache für jeden Gläubiger, bildet für sich genommen allerdings noch kein tragfähiges Haftungsargument gegenüber Dritten. Darum wendet sich auch Riesenhuber mit Recht gegen eine derartige Begründungslinie für die Herstellerhaftung. Das Insolvenzrisiko habe nach allgemeinen Grundsätzen derjenige zu tragen, der sich den Vertragspartner ausgesucht hat. Es bestehe im Verbrauchsgüterkaufrecht kein Anlass dazu, von diesem Äquivalenzprinzip des Insolvenzrechts (par conditio creditorum) abzuweichen, was außerdem zu „potentiell weitreichenden Systemstörungen“ führen könne75. Diesen Überlegungen ist beizupflichten. Die Herstellerhaftung lässt sich auf Aspekte des Käufer- und damit Verbraucherschutzes nicht gründen, ohne in Widerspruch zu allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechtssystems zu geraten. Der Käufer eines Verbrauchsguts befindet sich, wie oben dargelegt wurde, nach Inkrafttreten des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts in einer Situation ohne jede besondere Schutzwürdigkeit. Eine darüber hinaus gehende Besserstellung durch einen Direktanspruch gegen den Hersteller ist materiell nicht begründbar. Wenn ein Direktanspruch gegen den Hersteller zu begründen ist, dann muss diese Begründung nicht den Verbraucherschutz, sondern zwei andere Dinge im Auge haben: die Natur des Gewährleistungsrechts nach der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und die Position des Letztverkäufers in ihm.

I. Herstellerhaftung und Binnenmarkt I. Wettbewerbsverzerrungen Eine auf europäischer Ebene geltende Herstellerhaftung hätte zweifelsohne eine weitere praktische Konsequenz, deren Auswirkungen nicht unterschätzt werden sollten: Das Gewährleistungshaftungssystem wäre mit einem Schlage erheblich harmonisiert. Hierin lag auch einer der Gründe für die Kommission, die unmittelbare Haftung des Herstellers noch im Grünbuch aus dem Jahr 1993 zu favorisieren76. Explizit genannt wird dieser möglicherweise anzustrebende Harmonisierungseffekt nun in der Richtlinie selbst, und zwar im zweiten Satz des Erwägungsgrundes Nr. 23, wo es heißt: 74 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (495). 75 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 423. 76 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

„Angesichts dieser Entwicklung und der zu erwartenden Erfahrung mit der Durchführung dieser Richtlinie kann es sich als notwendig erweisen, eine stärkere Harmonisierung in Erwägung zu ziehen, die insbesondere eine unmittelbare Haftung des Herstellers für ihm zuzuschreibende Mängel vorsieht.“

Eine Regelung, wie sie in Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie enthalten ist, entwickelt demgegenüber keinerlei Harmonisierungseffekt. Die Unterschiede in der jeweiligen Gewährleistungshaftung sind zwar im Verhältnis Letztverkäufer – Verbraucher eingeebnet, im Verhältnis zwischen Industrie und Handel allerdings eher verschärft77. Ein zu befürchtender Nachteil für den Binnenmarkt liegt damit insbesondere in den Wettbewerbsnachteilen für Hersteller in den Ländern, welche die Herstellerhaftung zulassen78, nach Umsetzung der Richtlinie also insbesondere in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien, Portugal, Finnland und Schweden. II. Der aktive Verbraucher Wie oben79 im Rahmen der dort so bezeichneten Stützradtheorie dargestellt, lässt sich das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht nicht wie vorhergehendes Richtlinienrecht mit Verbraucherschutzgedanken rechtfertigen, sondern erklärt sich nur aus der Unterstützung des aktiven Verbrauchers, aus der Binnenmarktfunktion des Verbraucherschutzrechts. Das von der Gemeinschaft angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau dient in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch dazu, das Vertrauen des Verbrauchers auch auf ausländischen Märkten innerhalb der Gemeinschaft zu stärken. Der europäische Normgeber rekurriert auf den aktiven Verbraucher (confident consumer), der auch in anderen Mitgliedstaaten der Union als in seinem Heimatland nachfragt80. Der Verbraucherschutz wird damit selbst zu einem „Instrument der Integration“81. Wer diesen Gedanken – der ja die entscheidende, wenn nicht einzige Stütze des positiv zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts ist – fortdenkt, gelangt nahezu zwangsläufig zur unmittelbaren Herstellerhaftung. Diese würde, um im Bilde zu 77

Zu den Unterschieden bei der Umsetzung von Art. 4 der Richtlinie 1999/44/EG oben S. 152ff. 78 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111; hierzu Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 556; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 207. 79 Oben S. 100. 80 So beispielsweise Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf; hierzu Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, S. 251; äußerst kritisch zu dieser Begründungslinie Junker, Vom Bürgerlichen zum kleinbürgerlichen Gesetzbuch – Der Richtlinienvorschlag über den Verbrauchsgüterkauf, DZWir 1997, 271 (275): „Der Endzustand der europäischen Glückseligkeit wäre dann erreicht, wenn alle Franzosen in Deutschland und alle Deutschen in Frankreich einkaufen.“ 81 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 17.

J. Praktikabilität und Prozessökonomie

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bleiben, dem Verbraucher bei seinem vertraglichen Vorstoß in das innereuropäische Ausland noch ein zweites Stützrad mitgeben. Es verwundert nicht, dass dieser Gedanke auch im Grünbuch von 1993 anklingt, wo die Kommission versucht, die Vorteile der Herstellerhaftung für den aktiven Verbraucher und damit für den Binnenmarkt herauszuarbeiten: „So wird es sicherlich für einen Verbraucher sehr schwierig sein, zu einem ausländischen Verkäufer zurückzukehren, um eine Beanstandung wegen eines Fehlers an einem Produkt vorzubringen. Normalerweise wird es wesentlich einfacher für ihn sein, sich an den Vertreter des Herstellers oder an die in seinem Lande niedergelassene Filiale des Herstellers zu wenden. Umso mehr, als der Verantwortliche für die echten Fabrikationsfehler tatsächlich der Hersteller ist und dass der Verbraucher mit diesem beim Kauf eines Markenprodukts im Ausland ein Vertrauensverhältnis hergestellt hat.“82

Wer die Gewissheit hat, bei Mängeln auf den Hersteller bzw. insbesondere auf eine im Heimatland befindliche Niederlassung zugreifen zu können, lässt sich, der Vermutung der Kommission zufolge, also im Zweifel eher darauf ein, im Ausland zu kaufen. Die Notwendigkeit, sich mit etwaigen Ansprüchen an einen ausländischen Vertragspartner zu wenden, würde auf diese Weise entfallen83. Es sei jedoch nochmals angemerkt, dass diese Funktion der Herstellerhaftung mit dem Schutz des Verbrauchers selbst, also mit der gesetzgeberischen Reaktion auf eine Situation der Schutzwürdigkeit, nichts zu tun hat. Es mag für den Verbraucher zwar eine Belastung darstellen, sich, falls er im europäischen Ausland gekauft hat, an den dortigen Verkäufer wenden zu müssen und keinen Zugriff auf den Hersteller zu haben, der möglicherweise im Inland erreichbar wäre84. Dies allein rechtfertigt jedoch keine Schutzwürdigkeit des Verbrauchers, auf die mit einer Herstellerhaftung gesetzgeberisch zu reagieren wäre. Denn es steht im Belieben des Verbrauchers, sich zwischen einem Kauf im Inland oder Ausland zu entscheiden. Diese Rechtfertigungslinie für die Herstellerhaftung rekurriert somit nicht auf Verbraucherschutz, sondern allein auf Binnenmarktinteressen.

J. Praktikabilität und Prozessökonomie Auch der Grad an Praktikabilität, den eine rechtliche Lösung erreicht, wird, neben anderen Gesichtspunkten, für oder gegen sie sprechen. Die Prognosen, die in der deutschen Literatur für den Fall eines Direktanspruchs des Verbrauchers gegen den Hersteller abgegeben werden, variieren. So verficht Grundmann die

82 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111. 83 Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 206; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5. 84 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 26.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Herstellerhaftung gerade unter diesem Gesichtspunkt: „Der Direktanspruch hat den Vorzug größerer Einfachheit.“85 Schmidt hingegen ist skeptisch: „Eine wirkliche Vereinfachung wäre dies86 nicht. Ein Direktanspruch gegen den Hersteller wird mit Recht auf die Fälle der Garantie (...) und der deliktsrechtlichen Haftung beschränkt (...)“87

Es läge nun jedenfalls ein gewisser Widerspruch darin, einerseits auf die überbordenden Schwierigkeiten zu verweisen, die mit den Vorschriften der §§ 478, 479 BGB verbunden sind, andererseits aber die Herstellerhaftung gerade wegen befürchteter „Unübersichtlichkeiten“ von vornherein abzulehnen. Nicht abschließend zu beantworten ist an erster Stelle die Frage, ob der Käufer einer mangelhaften Sache sich quasi naturgemäß an seinen Vertragspartner, den Letztverkäufer, wendet88, oder ob sich der Direktanspruch gegen den Hersteller als ein auch für die Praxis relevantes Modell herausstellen würde. Für die letztgenannte Erwartung sprechen verschiedene Überlegungen: So müssten Hersteller zum einen relativ problemlos in der Lage sein, dem Nacherfüllungsanspruch des Verbrauchers durch die Beschaffung von Neuware nachzukommen, zum anderen könnte sich auch das Prozessrisiko verringern, wenn man zugrundelegen möchte, dass Herstellerunternehmen oft beständiger sind und weniger leicht Liquiditätsprobleme zu gegenwärtigen haben, als dies beim Einzelhandel der Fall ist. Zumindest prima facie scheint sich das Regressmodell auch unter dem Gedanken der Prozessökonomie nachteilig auszuwirken: Wenn der Hersteller direkt in Anspruch genommen werden kann, so wird auf diese Weise nicht nur die materiell-rechtliche Regress-, sondern auch die Prozesskette vermieden89. Auch die Europäische Kommission führte, als sie im Grünbuch noch für eine Herstellerhaftung warb, den Gesichtspunkt der Prozessökonomie an90, und schon im Deutschland der 1960er Jahre bildete die Vermeidung von „unerfreulicher Prozesshäufung“ ein Argument für die Produkthaftung91. Die Prozessvermeidung dient daneben nicht nur dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie, sondern der 85 Grundmann, Internationalisierung und Reform des deutschen Kaufrechts, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (311). 86 Gemeint ist die Herstellerhaftung. 87 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (434). 88 So – hinsichtlich des französischen Rechts – die Einschätzung von Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 103. 89 So schon Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 193; außerdem Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (505). 90 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5. 91 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (495).

J. Praktikabilität und Prozessökonomie

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Ökonomie überhaupt, denn sie bedeutet auch eine Verminderung von Transaktionskosten92, und diese dürften im Falle längerer Vertragsketten und sich aufsummierender Regresskosten erheblich sein. Zugunsten des Direktanspruchs gegen den Hersteller wird darum ins Feld geführt, dass er die gegenüber dem Regressmodell auch volkswirtschaftlich bessere Lösung darstelle93. Dieses Argument wird in Deutschland und anderen Ländern allerdings durch das Institut der Streitverkündung bzw. verwandte Rechtsfiguren abgeschwächt. So kann der Beklagte im Regressfall nach deutschem Zivilprozessrecht seinem Lieferanten den Streit verkünden, insofern er gegen ihn „einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung (...) erheben zu können glaubt“94. Die gleiche Möglichkeit besteht in Italien, sofern der Beklagte „Gewährleistungsansprüche zu haben behauptet“95. Dieses Vorgehen kann für den in Haftung genommenen Letztverkäufer eine wesentliche Erleichterung darstellen – gibt es ihm doch die Möglichkeit, seinen Lieferanten, falls dieser die Verantwortung für den Mangel trägt, an die Feststellungen des Gerichts zu binden und seinen eigenen Gewährleistungsanspruch bereits in seiner Rolle als Beklagter zu sichern96. Auf diese Weise trägt das Prozessrecht zur Entschärfung der Diskussion um materielle Dritthaftung bei, denn es mag durch die Rechtskraftwirkung der Streitverkündung in vielen Fällen zu Ergebnissen kommen, die denen der materiellen Dritthaftung zumindest im Ergebnis ähneln. Es darf jedoch andererseits nicht übersehen werden, dass die Streitverkündung nur gegenüber Personen möglich ist, die ihrerseits mit dem beklagten Letztverkäufer in unmittelbarer vertraglicher Beziehung stehen, denn Voraussetzung für die Zulässigkeit der Streitverkündung ist die Annahme, eine Partei werde selbst einen Anspruch gegen den Verkündeten erlangen97. Eine Lücke verbleibt somit in sämtlichen Vertragsketten, die mehr als dreigliedrig strukturiert sind. Eine Verkündung gegenüber dem Hersteller ist dem Letztverkäufer hier nicht möglich; prozessökonomische Verfahren werden dann vielmehr nur durch eine Kette von Streitverkündungen in einem Prozess zu erreichen (und damit praktisch nicht sehr wahrscheinlich) sein. Es verbleibt somit ein gewisser prozessökonomischer Gewinn für Rechtsordnungen, welche die Direkthaftung kennen. 92 Unter Transaktionskosten versteht man sämtliche Kosten, die mit dem Aushandeln und der Durchsetzung von Austauschverträgen verbunden sind; hierzu und zur Transaktionskostenökonomie Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 188ff. 93 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 23. 94 § 72 Abs. 1 ZPO. 95 Zaccaria, Umsetzungsüberlegungen zur Kaufgewährleistungs-Richtlinie in Italien, in: Grundmann/Medicus/Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 181 (193). Diese Ausführungen beziehen sich auf Art. 106 der italienischen Zivilprozessordnung, wo die Streitverkündung geregelt ist. 96 Weth, in Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 74 Rdn. 4; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 104. 97 § 72 ZPO.

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Dies gilt übrigens auch für das französische Recht, das mit der action directe ja eine Kumulation von Gläubigern und Schuldnern produziert, was eine auf den ersten Blick wenig ökonomische Lösung zu sein scheint. Denn das französische Zivilprozessrecht enthält ein der Streitverkündung ähnliches prozessuales Institut in Gestalt des „appel en garantie“98. Mit diesem Institut kann eine Prozesspartei einen Dritten verklagen, der hierdurch ebenfalls zur Partei des Verfahrens wird, was wiederum zur Konsequenz hat, dass die Rechtskraft des im gegenwärtigen Verfahren gesprochenen Urteils in künftigen Prozessen auch ihm gegenüber wirkt99. Diese Wirkung bezieht sich, ähnlich der deutschen Nebeninterventionswirkung100, nicht nur auf tatsächliche, sondern auch auf rechtliche Feststellungen des Gerichts101. Stellt man nun in Rechnung, dass dem Hersteller in Frankreich aufgrund der action directe eine Vielzahl von Prozessen droht, da jeder Zwischenverkäufer ebenso wie der Verbraucher ihn zumindest theoretisch in Gewährleistungshaftung nehmen könnte, beinhaltet die Möglichkeit des appel en garantie eine gewisse Erleichterung aus der Perspektive des Herstellers102; zumindest kann der appel dazu dienen, die Anzahl der Prozesse in einem zumutbaren Rahmen zu halten, wie es ja auch einer der Zwecke der Streitverkündung ist.

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht I. Fehlerhaftung zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht Nachdem nun einige Gesichtspunkte für die Adressatenauswahl im Gewährleistungsrecht (das Warenvertrauen, die Qualitätsverantwortung, die Untauglichkeit der Regresslösung, das ihr gesetzte Ziel zu erreichen, das Binnenmarktziel der Gemeinschaft) behandelt wurden, sieht es so aus, als spräche vieles für die unmittelbare Gewährleistungshaftung des Herstellers und damit für Lösungen, wie sie die Länder des Code Napoléon, die skandinavischen und die iberischen Staaten gewählt haben. Wer diesen Gedanken folgen möchte, gelangt rasch in den Bereich des Produkthaftungsrechts, denn die unmittelbare Herstellerhaftung gegenüber 98 Guimezanes, Introduction au droit français, deuxième édition 1999, S. 232; Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 103; Ferid/ Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1986, Rdn. 2 G 664; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 682. 99 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 103. 100 §§ 74 Abs. 3, 68 ZPO; vgl. zur Nebeninterventionswirkung bspw. Weth, in Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 74 Rdn. 4. 101 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 103. 102 Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 104.

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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dem Verbraucher würde sich zumindest im wirtschaftlichen Ergebnis als eine Art Produkthaftung für bloße Sachmängel darstellen – ganz unabhängig davon, ob man sie vertraglich oder gesetzlich konstruiert. Darum seien zum Abschluss der Suche nach dem richtigen Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts einige Ausführungen zum Verhältnis von Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht gemacht. Produkthaftungsrecht103 und Gewährleistungsrecht sind in allen Rechtsordnungen Europas zwei verschiedenen Materien zugeordnet, nämlich dem Deliktsrecht einerseits und dem Vertragsrecht andererseits104. Produkthaftungsrecht setzt den Eingriff in Gesundheit oder Eigentum voraus, schützt also Integrität, während das Gewährleistungsrecht der Sicherung des Äquivalenzverhältnisses dient und nicht auf Eingriffe in Rechtsgüter reagiert, sondern das schützt, was in einem privatautonomen Vertragsschluss, einer vom Gläubiger selbst aus freiem Willen getätigten Disposition, vereinbart wurde105. Entsprechend rekurriert das Produkthaftungsrecht auf den (objektiven) Fehler, das Gewährleistungsrecht auf den (im Ausgangspunkt subjektiven) Mangel106. Dies zumindest ist das hergebrachte Bild; zum Wandel des kaufrechtlichen Leitbildes wurden oben bereits Ausführungen gemacht107. Die Frage nach dem Grund dafür, dass der Hersteller eines Verbrauchsguts einerseits für Integritätsverletzungen nach dem Produkthaftungsrecht haftet, andererseits nicht für Äquivalenzstörungen, taucht in regelmäßigen Abständen in der rechtswissenschaftlichen Diskussion auf108. Gibt es hierfür eine Begründung, die mehr sagt, als dass Integritätsverletzungen eben schwerwiegender seien als bloße Äquivalenzstörungen? Unbeantwortet blieb diese Frage auch für die Kommission: „Ebenso widersprüchlich ist es, dass der Hersteller haften soll, wenn das fehlerhafte Produkt Personen oder (in gewissen Fällen) anderen Sachen einen Schaden zufügt und dass die 103 Für die Gemeinschaft: Richtlinie 85/374, ABl. EG Nr. L 210/29. Diese statuiert eine unmittelbare, von Drittverschulden unabhängige Unternehmenshaftung, die als prinzipiell verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung konzipiert ist; hierzu Joerges/Brüggemeier, Europäisierung des Vertragsrechts und Haftungsrechts, in: Müller-Graff, (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. 1999, S. 301 (331, 332). 104 Ausführlich hierzu V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 409ff. 105 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (500); Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 425. 106 Zum „objektiven“ Fehler und „subjektiven“ Mangel Schlechtriem, Schutzpflichten und geschützte Personen, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 529 (531). 107 „Positiv zwingendes Recht und Äquivalenzhaftung“, oben S. 96. 108 Nur beispielhaft K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, München 1967; M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 189ff.; Schnyder/Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (17).

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Haftung für ihn völlig ausbleibt, wenn das Produkt einfach nicht funktioniert oder wenn ein Fabrikationsfehler Schäden am Produkt selbst verursacht hat.“109

Wenn ein Mikrowellengerät nicht ordnungsgemäß funktioniert, so greift nach geltendem Recht gesetzliche Haftung ein, wenn der Käufer aufgrund dieses Mangels an Salmonellen erkrankt. Es kommt jedoch nur vertragliche Haftung zur Anwendung, wenn keine Infektion eintritt. Hierbei ist der Mangel der gleiche, ebenso das Warenvertrauen. Grundverschieden sind hingegen die möglichen Anspruchsgegner, abhängig allein – in überspitzter Darstellung – von der physischen Konstitution des Verbrauchers bzw. der Durchsetzungsfähigkeit der Salmonellen. Letzterem kommt in den oben behandelten Ländern mit unmittelbarer Herstellerhaftung weniger Bedeutung zu. Es sei zudem daran erinnert, dass die Überlegungen, die in Deutschland in den 1960er Jahren zur seinerzeit entstehenden Produktenhaftung angestellt wurden110, zuerst auf eine vertragliche oder zumindest rechtsgeschäftsähnliche Verortung der Produkthaftung zielten. Canaris schrieb im Jahre 1968, die seinerzeit noch nicht kodifizierte Produzentenhaftpflicht könne nur unter der Annahme eines Schuldverhältnisses geregelt werden111. Gernhuber führt in diesem Zusammenhang aus: „Doch wird uns niemand vorwerfen können, das Interesse der Gegenwart zu verfehlen, wenn wir uns primär um die Haftung aus Sonderverbindung bemühen.“112

Ziel jener Konzepte war es, eine rechtliche Sonderbeziehung zwischen Hersteller und Kunden nachzuweisen, wie sie in der Realität bereits seinerzeit wahrgenommen wurde. Diese Überlegungen wurden in Deutschland von der Hühnerpest-Entscheidung113 und den sich hieraus entwickelnden Grundsätzen der Produzentenhaftung nach § 823 I BGB, in Europa schließlich von der Produkthaftungs-Richtlinie114 überholt. Es sei auch nicht verschwiegen, dass die meisten europäischen Staaten115 schon vor Inkrafttreten der Richtlinie für das Produkthaftungsrecht einem deliktsrechtlichen Ansatz folgten116. Unterschiede bestanden 109 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 111. 110 Vgl. nur Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (14); Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1 (2); Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (505). 111 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (505). 112 Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1 (2). 113 BGHZ 51, 91. 114 Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985. 115 Einen Überblick über die seinerzeitige Rechtslage gibt Ficker, Grundprobleme der Produktenhaftung, in: Pawlowski/Wiese/Wüst (Hrsg.), Festschrift für Konrad Duden S. 93 (95ff.). 116 Dies liegt allerdings daran, dass man nur in Deutschland dem Gedanken einer dritten Spur

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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seinerzeit in erster Linie hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses und der Beweislastverteilung117. Dennoch lassen sich in beiden Bereichen (Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht) bereits heute gewisse Affinitäten zur jeweils anderen Rechtsmaterie finden: So trifft das europäische Produkthaftungsrecht nur den zu beruflichen oder wirtschaftlichen Zwecken handelnden Unternehmer, ebenso wie nur Schäden an hauptsächlich privat gebrauchten Sachen ersatzfähig sind118. Es lässt sich somit als Verbraucherschutz „im weiteren Sinne“119 bezeichnen, wodurch es sich vom allgemeinen Deliktsrecht unterscheidet, dessen Eigenheit ja gerade in der allgemeinen Geltung für und gegen jedermann liegt. Diese Eigenschaft rückt es zumindest ein wenig in die Nähe des Rechts der Schuldverhältnisse und entfernt es vom Deliktsrecht. Als Verbraucherschutzrecht verstanden, nimmt das Produkthaftungsrecht wiederum eine Sonderstellung hinsichtlich seiner deliktsrechtlichen Zuordnung innerhalb der übrigen, im reinen Vertragsrecht angesiedelten Verbraucherschutzbestimmungen ein120. Es liegt somit in gewisser Weise „zwischen den Welten“, und die gerade angesprochenen Überlegungen der deutschen Rechtswissenschaft aus den 1960er Jahren121 zur Schadensersatzhaftung des Produzenten für fehlerhafte Waren haben, auch wenn das Produkthaftungsrecht als rein gesetzliche Haftung ausgestaltet wurde, durch die lex lata zumindest eine Teilbestätigung erfahren. Auch umgekehrt ist, wie beschrieben wurde122, das Gewährleistungsrecht nicht mehr so autonom ausgestaltet, wie dies seiner ursprünglichen Konzeption entspräche. Es handelt sich vielmehr um zu weiten Teilen heteronomes Vertragsrecht. Hiermit verliert es einen Teil seines originären vertragsrechtlichen Charakters; es nähert sich der gesetzlichen Haftung und damit dem Produkthaftungsrecht an. Besonders gut wahrnehmbar wird dies am gewährleistungsrechtlichen Mangelbegriff, der sich durch die Zunahme objektiver und damit heteronomer Kriterien einen Teil seines subjektiven Konzepts eingebüßt hat123. zwischen Vertrags- und Deliktsrecht gefolgt ist; v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 475. 117 Ficker, Grundprobleme der Produktenhaftung, in: Pawlowski/Wiese/Wüst (Hrsg.), Festschrift für Konrad Duden S. 93 (98/99). 118 Dies gilt nicht für die deliktische Produzentenhaftung nach deutschem Recht, § 823 Abs. 1 BGB, zu dessen Voraussetzungen weder die Unternehmereigenschaft des Verpflichteten noch das Handeln zu privaten Zwecken des Berechtigten zählt. Insbesondere sind hiernach Schäden an gewerblich genutzten Sachen ersatzfähig; Palandt/Thomas, 65. Aufl. 2006, § 823 Rdn. 211. 119 Langenbucher/Riehm, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2005, § 3 Rdn. 29. 120 Hierzu Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 365. 121 Fn. 110. 122 Oben S. 84ff. 123 Nach wie vor bestehen zwischen dem Mangel des Gewährleistungsrechts und dem Fehler des Produkthaftungsrecht natürlich konzeptionelle Unterschiede. So ist der Mangel als vertragsrechtliches Institut grundsätzlich abhängig von Beschaffenheitsvereinbarungen (auf deren geringe praktische Bedeutung im Massenverkehr allerdings oben S. 85ff. hingewiesen wurde), und er

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Es ist darum zwar im Sinne der lex lata technisch richtig, inhaltlich jedoch – gerade wegen der ausschließlichen Ausrichtung an der lex lata – zu kurz gegriffen, wenn Riesenhuber schreibt, es sei „(...) darauf hinzuweisen, dass die Produkthaftung des Herstellers, die auch als Rechtfertigung für seine Gewährleistungshaftung angeführt wird, keine andere Wertung begründet. Bei der Produkthaftung geht es nämlich um eine deliktsrechtliche Haftung für Integritätsverletzungen, die auf objektiv (!) bestimmten Fehlern beruhen. Wie allgemein beim Schutz der Integrität, ist auch hier die Haftung des Verursachers gegenüber jedermann unproblematisch.“124

Schließlich können sich auch aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus Parallelen von Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht ergeben, die sich in der lex lata bislang nicht widerspiegeln. Im Folgenden soll darum der Frage nach den verbleibenden Unterschieden zwischen Gewährleistungs- und Produkthaftungsrecht nachgegangen werden. Je geringer und technischer, formeller und traditioneller diese Unterschiede wären, desto dringender würde die Frage, warum sich das Gewährleistungsrecht einzig an den Letztverkäufer, das Produkthaftungsrecht hingegen einzig an den Hersteller wendet. In methodischer Hinsicht bietet es sich hierbei an, auch auf Erkenntnisse der ökonomischen Analyse zurückzugreifen, denn der Vergleich von Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht zielt zumindest für die Rechtsordnungen, in welchen keine gewährleistungsrechtliche Herstellerhaftung existiert, auf eine Kritik der lex lata125. Sollte eine vergleichende Analyse beider Materien tatsächlich zu dem Ergebnis kommen, dass ökonomische Funktionen des Produkthaftungssystems sich auf die Gewährleistungshaftung übertragen lassen, so könnte auch dies einen Grund – neben anderen126 – für die Einführung der Herstellerhaftung im Gewährleistungsrecht auf europäischer Ebene bilden. enthält aus dem gleichen Grunde auch keinen Integritätsbezug: Der zu hohe Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeuges kann nur einen Mangel und keinen produkthaftungsrechtlichen Fehler begründen, während mit einem defekten Bremssystem beide Tatbestände erfüllt sind. Wegen dieses für das Produkthaftungsrecht notwendigen Integritätsbezuges bleibt der Mangelbegriff weiter als der des Fehlers. 124 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 425. 125 Zur ökonomischen Analyse als Gesetzgebungstheorie Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S. 486; zur Ökonomik als auf das Telos gesetzlicher Regelungen bezogene Wissenschaft außerdem Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 167. 126 Dieser Grund wäre, für sich genommen, nicht hinreichend. Die ökonomische Analyse ist, insofern sie Anhaltspunkte für Effizienzgewinne bieten kann, ein im Zivilrecht berücksichtigungsfähiger Gesichtspunkt neben anderen, rechtlichen Aspekten, denen bei entstehenden Widersprüchen jedoch im Zweifel mehr Gewicht zukommen dürfte, um den Vorrang des Rechts und der Wertung gegenüber der Ökonomie und der Empirie zu gewährleisten; Drexl spricht diesbezüglich von „normativer Effizienz“, in: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 162ff.: „Von der ökonomischen Analyse zur normativen Effizienz“. Andere Gesichtspunkte zugunsten der Herstellerhaftung wurden in diesem Kapitel bereits behandelt.

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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II. Ökonomische Analyse 1. Methode Die ursprünglich in den Vereinigten Staaten entwickelte, in Europa aber zunehmend populärer werdende ökonomische Analyse („Law and Economics“) bildet einen „interdisziplinären Theorieansatz zum Verhältnis von Recht und Ökonomie“127. Dem Privatrecht weist sie im Rahmen von Güteraustauschverträgen die Aufgabe zu, marktkonforme Regelungen zu fördern und die Transaktionskosten zu senken128. Im Blickfeld von Law and Economics steht dabei nicht in erster Linie, wer im Einzelfall „Recht hat“, sondern, „welches Ergebnis gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist“129. Ihr grundlegendes Kriterium ist die Allokationseffizienz130. Hierbei wird von der Grundannahme ausgegangen, dass eine gesellschaftliche Hauptaufgabe darin liege, knappe Güter ohne Verschwendung zu verteilen. Dem Recht wird von der ökonomischen Analyse somit die Aufgabe zugewiesen, der wirtschaftlichen Effizienz zu dienen, also Verschwendung zu verhindern131. Der verschwendungsfreie Idealzustand liegt im ökonomischen Modell dann vor, wenn „vollständige Konkurrenz“ erreicht ist132. Hierbei spielen Gerechtigkeitsaspekte keine oder eine nur untergeordnete Rolle133. Gerechtigkeit erscheint in der ökonomischen Analyse am ehesten als Frage der Verteilung von Wohlstand134 und ist der Effizienz damit grundsätzlich nachgeordnet. Schäfer/Ott stellen der Allokationseffizienz zwar die Gerechtigkeit als normativen Wert gegenüber135. Sie betonen allerdings auch, dass die Rechtsbe127

Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 162. M. Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233 (1235); zum Begriff der Transaktionskosten oben Fn. 92. 129 Eidenmüller, Kapitalgesellschaftsrecht im Spiegel der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1040 (1043); Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 263. 130 „Effizienz“ ist ein schillernder Begriff: Neben der allokativen Effizienz lassen sich auch die Konzepte der produktiven und innovativen (dynamischen) Effizienz nennen. Insbesondere letztere – die Förderung der technischen Entwicklung durch den Wettbewerb – findet in den Modellen der Chicago School als der einflussreichsten ökonomischen Schule keinen Platz; siehe etwa Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 137, 185. Zudem führt die Verhaltensforschung zu Ergebnissen, die das Effizienzkalkül als maßgebliches Kriterium in Frage stellen. Menschen messen einem Gegenstand, den sie besitzen, in irrationaler Weise Werte bei, die sich aus der Tatsache des Besitzes speisen. Wenn aber die Bewertung einer Rechtsposition von der Frage abhängt, ob man diese Position innehat oder nicht, so lässt sich die effizienteste Allokation nicht mehr ermitteln; Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (224). 131 Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 263. 132 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 116ff.; Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 5. 133 Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 263; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 7. 134 Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 263. 135 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 6. 128

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reiche, die für Umverteilung („Verteilungsgerechtigkeit“) sorgen, nicht die gleichen sein sollten, welche für die Ressourcenlenkung zuständig sind136. Das Herstellen von Gerechtigkeit ist damit nicht Aufgabe des Privatrechts, sondern eher der Steuer- oder Sozialgesetzgebung137. 2. Der homo oeconomicus Das Recht erfüllt zumindest teilweise eine verhaltenssteuernde Funktion und muss sich demzufolge auch mit der Frage auseinandersetzen, wodurch menschliches Verhalten beeinflusst wird. Eidenmüller spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit eines „positiven Verhaltensmodells“, das als Grundlage für die Abschätzung der Realfolgen rechtlicher Regelungen heranzuziehen ist138. Hierzu ist die Annahme eines bestimmten Menschentyps notwendig, und die Ökonomik nimmt für sich in Anspruch, mit dem homo oeconomicus das bislang einzige positive, nicht normative Verhaltensmodell entwickelt zu haben139. Eine der wesentlichen und oft bestrittenen Grundhypothesen der ökonomischen Analyse, die in engem Zusammenhang mit der Information von Verbrauchern steht, ist der Individualismus (die Annahme individueller Entscheidungen). Dreh- und Angelpunkt der ökonomischen Betrachtung ist die Fiktion des „rational egoistischen Menschen“ (REM-Hypothese), wobei der Egoismus sich im Streben nach Nutzenmaximierung konkretisiert140. Im Rahmen dieser Hypothese wird davon abgesehen, dass die Marktteilnehmer sich von moralischen oder sozialen Vorstellungen bzw. von Pflichtbewusstsein leiten lassen könnten141. Vielmehr sei es ihr Gewinnstreben („rational choice“), das für das Funktionieren der Marktwirtschaft sorgt und somit mittelbar zum Allgemeinwohl beiträgt, gleich welches moralische oder soziale Urteil man hierüber fällen möchte142. Dieser Menschentyp wird zugrundegelegt, wenn eine Hypothese hinsichtlich der Realfolgen rechtlicher Regelungen aufgestellt werden soll: nicht als real existierendes Individuum, sondern als „abstrahierendes Konstrukt“, das allerdings für sich in Anspruch nimmt, „die Konturen realen Individualverhaltens im Wesentlichen zutreffend abzubilden“143.

136

Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 7. Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 264. 138 Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (217). 139 Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (217); ausführlich zur Hypothese des homo oeconomicus Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 128ff. 140 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 171. 141 Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Europäischen Union, 2002, S. 401. 142 Hierzu Mestmäcker, Selbstliebe und soziale Gerechtigkeit bei Adam Smith, in: Pawlowski/Wiese/Wüst (Hrsg.), Festschrift für Konrad Duden S. 319 (insb. 326ff.). 143 Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (217). 137

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Der Durchschnittsmensch entscheidet sich nach dieser Hypothese im Zweifel zugunsten seiner eigenen individuellen Wohlfahrt. Im Idealfall – und dieser Idealfall ist Teil der Hypothese – weiß er selbst am besten, was gut für ihn ist144. Dies beinhaltet eine Abgrenzung gegenüber anderen, systemischen Betrachtungsweisen: „Es gibt kein Verhalten von (...) Institutionen, sondern nur ein Verhalten in Institutionen.“145 Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die Sicht des Verbraucherschutzes: Den Verbrauchern obliegt im Idealfall die Entscheidung zwischen höherem Schutz oder teureren Produkten146; sie üben somit eine Art Schiedsrichterfunktion auf dem Markt aus, deren reibungsloses Funktionieren „ein unverzichtbares Element des Wettbewerbsprinzips“ darstellt147. Das Bild vom homo oeconomicus blendet kollektive Aspekte des Privatrechts aus. Hiermit wird die im Privatrecht grundsätzlich angelegte Antinomie von Individualismus und Kollektivismus148 quasi umschifft: Die Beachtung kollektiv wirkender Gesichtspunkte wird dem Gesetzgeber oder dem Richter überlassen, nicht jedoch dem Marktteilnehmer. Wenn jedoch dem Bild des homo oeconomicus eine nicht nur (ohnehin unzureichende) deskriptive149, sondern daneben auch normative Bedeutung zukommen soll150, so mag es zumindest problematisch erscheinen, bei einem rein individualistischen Leitbild zu verharren. In der angenommenen Beschränkung auf die Nutzenmaximierung liegt zudem ein um das Gesamtwohl und um das Wohl des Einzelnen gezogener Zirkelschluss151: Das egoistische Verhalten des Einzelnen ist die Voraussetzung gesamtwirtschaftlichen Nutzens. Die REM-Hypothese legitimiert sich jedoch ihrerseits nur aus dem Kriterium des gesamtwirtschaftlichen Nutzens als Ziel von Ökonomie und Recht152. Es kommt hinzu, dass die Hypothese des homo oeconomicus aus empirischer Sicht nicht zwingend ist, denn die rationale Sach- und Kostenorientierung bildet beileibe nicht die einzige Form menschlichen Verhaltens auf dem Markt. Es gibt vielmehr, in den Worten von Beater, „vielfältigen Anlass, die Fä144

Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 3. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 3. 146 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 8. 147 Beater, Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, in: Keller/Plassmann/v. Falck (Hrsg.), Festschrift für Winfried Tilmann, S. 87; außerdem Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 133. 148 Hierzu Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit, 2005, S. 12ff. 149 Deskriptive Bedeutung erhält das Bild des homo oeconomicus in der Chicago School, wo es nicht nur als Hypothese, sondern als Realitätsannahme dient; hierzu Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 131. 150 So beispielsweise Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (223). 151 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 172; vgl. auch S. 186: „Eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundprämissen der ökonomischen Analyse deckt jedoch die Inhaltsleere und Zirkularität der zentralen Begriffe der REM-Hypothese und der wirtschaftlichen Effizienz auf.“ 152 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 172. 145

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

higkeit der menschlichen Natur zu ökonomisch sinnvollen Entscheidungen nicht allzu überschwänglich einzuschätzen“153. Oder mit anderen, drastischen Worten: „Die mit diesem ökonomischen Rationalprinzip implizierte festgefügte Präferenzordnung, Allwissenheit und vollkommene Voraussicht des wirtschaftenden Menschen zeigt, dass mit diesem Denkmodell keine gewöhnlichen Menschen erfasst werden, sondern Halbgötter. Dieser Wirtschaftsmensch ist als ein vereinfachtes und vor allem einseitiges Abbild der Wirklichkeit konzipiert, das von den Besonderheiten der jeweiligen Situation absieht. Solche übersteigerten Annahmen, wie sie das ökonomische Rationalprinzip impliziert, kann man in der Theorie machen, aber nicht in der Praxis. Mag auch der utopische Charakter dieses Mustermenschen seine heuristische Bedeutung für die ökonomische Analyse menschlichen Verhaltens nicht beeinträchtigen, für eine auf das Menschenmögliche bedachte Rechtsfortbildung taugt er nicht.“154

Die Kritik am Modell des homo oeconomicus setzt damit in erster Linie an der angenommenen Rationalität seines Vorgehens an. Tatsächlich ist bereits die Informationsaufnahme das Ergebnis eines nicht rein rationalen Selektionsprozesses, innerhalb dessen kognitive Dissonanzen ignoriert werden: Menschen sind im geschäftlichen Handeln nur selten vollständig informiert155, sie neigen zur Selbstüberschätzung, zu jeweils unterschiedlichen Beurteilungen ex-ante und ex-post, und die in defizitärer Weise aufgenommene Information wird im Folgenden auch desto schlechter verarbeitet, je mehr Information zur Verfügung steht156. Es kommen Effekte im Entscheidungsverhalten hinzu, die sich ebenfalls nicht rational erklären lassen. So hat der bloße Besitz einer Sache großen Einfluss auf den Wert, der dieser Sache vom Besitzer zugemessen wird (endowment effects); weitere Irrationalitäten des menschlichen Verhaltens sind empirisch nachgewiesen, und auch die Grundannahme egoistischen Handelns spiegelt sich schließlich nicht in der Realität wider157. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der homo oeconomicus als Modell vollständig ausgedient hätte. Denn die Frage danach, welche Effekte der Gesetzgeber auf die Gesellschaft ausüben kann, indem er vom Leitbild der rational handelnden Menschen ausgeht, bleibt als methodischer Ansatz legitim. Für die ökonomische Analyse ist der homo oeconomicus zudem eine zwingend notwendige Modellannahme: Ökonomische Schlussfolgerungen sind auf die Zugrundelegung menschlicher Verhaltensmuster angewiesen158. Der homo oeconomicus erhält (neben seiner eingeschränkten deskriptiven Funktion) auf diese Weise eingeschränkt normativen Charakter. Er kann als eines von mehreren159 Elementen bei der Ermitt153 Beater, Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, in: Keller/Plassmann/v. Falck (Hrsg.), Festschrift für Winfried Tilmann, S. 87 (89). 154 Limbach, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen, KritV 1986, 165 (171). 155 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 171. 156 Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (218). 157 Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (219). 158 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 170. 159 Vgl. hierzu (normative Effizienz bei Drexl) bereits Fn. 126.

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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lung richtigen (Gesetzes-)Rechts herangezogen werden und ist innerhalb dieser Elemente wohl auch nicht das schwächste: „Wenn wir selbstbestimmtes, rationales menschliches Verhalten normativ für ein erstrebenswertes Ziel halten, dann tun wir möglicherweise gut daran, die Rechtsordnung gewissermaßen auf einem überschießenden Rationalitätsfundament zu errichten. Nur dann besteht für uns die Chance, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Wer immer beschützt wird, der wird zwar ein behütetes, aber kein würdevolles Leben führen (...).“160

3. Lex lata, lex ferenda Es lässt sich wahrnehmen, dass der Fokus der ökonomischen Analyse oft auf das nationale Recht beschränkt bleibt und dass internationale ebenso wie rechtsvergleichende Aspekte weniger Berücksichtigung finden161. Am Beispiel von Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht wird weiterhin deutlich, dass die ökonomische Analyse dazu neigt, die jeweils von der lex lata geschaffenen Strukturen als a priori gegeben zu akzeptieren und nicht immer in dem Maß strukturübergreifende, gemeinsame Merkmale herauszuarbeiten, wie dies de lege ferenda wünschenswert wäre. So ist es beispielsweise augenfällig, dass sich in der deutschen Rechtswissenschaft zwar verschiedene ökonomische Analysen der Produkthaftung finden, eine – zumindest denkbare – direkte Gewährleistungshaftung des Herstellers de lege ferenda allerdings, soweit ersichtlich, bislang kaum unter ökonomischen Aspekten untersucht wurde. So unternehmen beispielsweise Schäfer/Ott eine umfangreiche Analyse des Kaufgewährleistungsrechts162, die jedoch strikt an der lex lata orientiert ist. Die Tatsache, dass es als ökonomisch sinnvoll erachtet wird, den Hersteller für die Gefährlichkeit eines Produkts in die Haftung zu nehmen, hat bislang darum auch kaum dazu geführt, ähnliche Überlegungen auch für die übrigen Qualitätsmerkmale und Tauglichkeitskriterien von Waren – für das Gewährleistungsrecht – anzustellen163. Die Nichtbefassung mit dieser an und für sich augenfälligen Parallele mag daraus erklärt werden, dass die dem geltenden Recht eigene Grenzziehung zwischen vertraglicher Haftung für Äquivalenzverletzungen auf der einen und gesetzlicher Haftung für Integritätsverletzungen auf der anderen Seite quasi als unumstößliche Vorbedingung jeder Analyse angenommen wird: Gewährleistungshaftung wird nur unter Aspekten der Gebrauchsfähigkeit der Kaufsache betrachtet, Produkthaftung ausschließlich hinsichtlich der Sicherheit des Verbrau-

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Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (223). Dies beklagt mit Recht Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EGVertrags, 2003, S. 154: „rechtsvergleichend blind“. 162 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 437ff. 163 Eine Ausnahme hierzu bildet M. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981, S. 189ff. 161

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

chers164. Dies sagt jedoch noch nichts über die ökonomischen Funktionen beider Materien. Diesen Funktionen widmen sich die folgenden Ausführungen. III. Anreize: Prävention und Qualität Dem Privatrecht kommt aus der Sicht von Law and Economics insbesondere die Aufgabe zu, Anreize („incentives“) zu volkswirtschaftlich sinnvollem Verhalten zu geben und damit mittelbar ökonomische Handlungsgebote aufzustellen165. Diese Anreize werden für das Produkthaftungs- und das Gewährleistungsrecht im Ausgangspunkt verschieden formuliert. Dem Produkthaftungsrecht166 wird aus ökonomischer Sicht vor allem eine Präventionsfunktion167 zugeschrieben: Es hat Anreize zur Verhinderung derjenigen Schadensereignisse zu setzen, welche aufgrund des zu erwartenden Nachteils für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt verhütet werden sollen. Dies gilt jedoch nicht im Sinne einer absoluten, sondern nur einer volkswirtschaftlich optimalen Sicherheit: Übersteigen die Kosten der 164 Ficker, Grundprobleme der Produktenhaftung, in: Pawlowski/Wiese/Wüst (Hrsg.), Festschrift für Konrad Duden S. 93 (107). 165 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 112; Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, 2. Aufl. 2004, S. 264. 166 Das Produkthaftungsrecht als besonderes Deliktsrecht wurde früher vor allem auf die so genannte (Schadens-)Ausgleichsfunktion zurückgeführt, die allerdings nicht mehr als eine Leerformel ist. Mit ihr sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Haftungsrecht nicht begründbar, denn aus dem bloßen Gedanken des Ausgleichs lässt sich noch nicht herleiten, warum die aus Gesundheitsbeeinträchtigungen herrührenden Kosten ersatzfähig sind, so genannte reine Vermögensschäden jedoch keinen deliktischen Schutz genießen. Darüber hinaus kann die Ausgleichsfunktion das Deliktsrecht auch in ökonomischer Hinsicht nicht erklären. Denn die mit dem Schadensersatzrecht vorgenommene Schadensverlagerung macht den eingetretenen Schaden ja nicht ungeschehen, sondern überträgt ihn lediglich auf andere Schultern, nämlich auf die des Schädigers oder ggf. seiner Versicherung. Auf der Rechtsfolgenseite des Schadensersatzrechts entstehen somit lediglich Umverteilungskosten, hingegen kein Wohlfahrtsgewinn, womit die Frage nach dem Nutzen dieses Rechtsinstituts gänzlich unbeantwortet bliebe, würde man nicht den Rechtsgrund der Haftung ins Auge nehmen, und dies ist der Präventivzweck des Schadensersatzrechts, oder, etwas allgemeiner formuliert, der Handlungsaspekt. Hierzu Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 366; Adams, Ökonomische Theorie des Rechts, 2002, S. 140; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 114. 167 „Prävention“ ist im Zivilrecht, abgesehen von der ökonomische Analyse des Deliktsrechts, ein wenig erprobter Begriff (Jürgen Schmidt, Prävention als Zielbestimmung im Zivilrecht, KritV 1986, 83). Schon in der Strafrechtswissenschaft stellen Präventivwirkungen alles andere als eine gesicherte Erkenntnis dar, obwohl ihre Diskussion dort eine wesentlich längere Tradition hat als im Bürgerlichen Recht (Albrecht, Prävention als problematische Zielbestimmung im Kriminaljustizsystem, KritV 1986, 55). Diese Abstinenz des Bürgerlichen Rechts gegenüber dem Präventionsgedanken dürfte unter anderem daher rühren, dass Prävention ein typisches „Requisit der öffentlichen Gewalt“ darstellt und sich die Zivilrechtswissenschaft sich hiermit gerade nicht assoziiert (Grimm, Verfassungsrechtliche Anmerkungen zum Thema Prävention, KritV 1986, 38). Es kommt hinzu, dass sich der Präventivfunktion an sich noch keine Aussage darüber entnehmen lässt, welche Handlungen durch das Recht verhindert werden sollen (Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 367).

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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Qualitätssicherung die drohende Einbuße beim Geschädigten, so ist das gefährdende Verhalten auf Herstellerseite nicht zu sanktionieren – eine derartige Haftung wäre ineffizient168. Das Gewährleistungsrecht hingegen – als nicht in erster Linie auf Schadensersatz gerichtete Rechtsmaterie – soll, sofern Handlungsanreize in Rede stehen, weniger der Prävention dienen als, allgemeiner, der „Verbesserung der Produktqualität“169, in welche der Käufer durch die Hinnahme von Preisaufschlägen investiert170. Dies findet seine Grenze erst dort, wo es für den Käufer preiswerter als für den Verkäufer ist, ein Produktversagen zu vermeiden171. Ein Blick auf die hieraus jeweils abzuleitenden Handlungsgebote verdeutlicht jedoch, dass die ökonomischen Erklärungen im Ansatz zwar divergieren, der konkrete Handlungsanreiz in beiden Fällen jedoch nahezu identisch ist: Der homo oeconomicus folgt zumindest idealtypisch dem Weg, welchen ihm das Recht als denjenigen aufzeigt, der zu seiner weitest gehenden Nutzenmaximierung führt. Diese individuelle Nutzenmaximierung ist, ein funktionierendes Haftungsrecht vorausgesetzt, die Sicherung von Produktqualität, und hierbei kommt es nicht unmittelbar darauf an, ob es sich um die Vermeidung von Produkthaftung oder Gewährleistungshaftung handelt. In beiden Fällen ist die Qualitätssicherung das ökonomisch erstrebte Ziel; lediglich die Grenze, an welcher die Kosten für die Qualitätssicherung ökonomisch ineffizient werden, wird für Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht in methodisch unterschiedlicher Weise gezogen. Die Vermeidung von Produktmängeln ist somit allgemein der „generalpräventive, juristisch gesehen banale, aber wohl wichtigste Effekt“ jeder Form von Haftung172. Eine erste Parallele wird deutlich: Gewährleistungsrecht wie Produkthaftungsrecht dienen der Sicherung von Produktqualität, und für die hier interessierende Problematik kommt es nun entscheidend darauf an, wer der richtige Adressat des Handlungsanreizes ist. Für beide Haftungstypen bietet sich derjenige an, der zur Steuerung der Produktqualität in der Lage ist. In ihrer Analyse des Gewährleistungsrechts sehen Schäfer/Ott diese Rolle ausschließlich beim Verkäufer: Er erhalte hierdurch Anreize, die optimale Sorgfalt bei der Qualitätskontrolle aufzuwenden173. 168 Ausführlich Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 368ff. 169 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 442; Eidenmüller, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht, JZ 2005, 216 (217). 170 So genannte „Investitionstheorie der Gewährleistung“; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 443. 171 Dies ist der Fall des moral hazard; hierzu Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EUKaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 78, 82. 172 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (432). 173 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 442;

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Dies mag als ökonomische Begründung des vertraglichen Gewährleistungsrechts der lex lata dienen, dessen Berechtigung auch nicht in Abrede gestellt wird. Hierbei kann jedoch, wenn ökonomische Analyse tatsächlich auch eine gesetzgebungskritische Funktion erfüllen soll174, nicht stehen geblieben werden. Es ist vielmehr nach den Möglichkeiten des Herstellers zu fragen, Produktqualität zu sichern. Diese Möglichkeiten übersteigen, wenn das in dieser Arbeit bislang Gesagte zutrifft, die des Letztverkäufers bei weitem175: Er kann nicht nur das Sachmängelrisiko (Qualitätsverantwortung) besser steuern als der Letztverkäufer, von dem der Verbraucher gerade den Erwerb noch verpackter, also ungeprüfter Ware erwartet. Er hat insbesondere auch mehr Einfluss auf die öffentlichen Äußerungen als der Letztverkäufer (Werbeverantwortung), womit ihm gerade durch die Haftung für Werbeangaben mit dem europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht eine eigene und neue Rolle im Gewährleistungsrecht zukommt. Hinsichtlich der Anreizfunktion von Privatrecht ergeben sich somit kaum Unterschiede zwischen Produkthaftungsrecht und Gewährleistungsrecht. Konsequenterweise ziehen Teile der ökonomischen Literatur hieraus auch die Schlussfolgerung, ein Direktanspruch gegen den Hersteller könne bei diesem die Anreize zur Risikominimierung stärken und somit zur Verbesserung der Produktqualität insgesamt beitragen176. IV. Versicherungsfunktion Sowohl Produkthaftungs- wie auch Gewährleistungsrecht begründen sich, neben der Qualitätssicherung, mit einer Versicherungsfunktion. Im Gewährleistungsrecht stellt der Sachmangel aus ökonomischer Sicht ein Risiko dar, das der risikoaverse Verbraucher nicht selbst tragen möchte. Eine ökonomische Funktion der Gewährleistungsansprüche des Käufers gegenüber dem Verkäufer ist darum die Versicherung des Sachmangelrisikos177. Der Käufer zahlt einen Teil des Kaufpreises dafür, dass ihm der Verkäufer ein Nacherfüllungs- bzw. Rücktritts- oder Minderungsrecht einräumt. Hiergegen versichert ihn der Verkäufer gegen einen entsprechend höheren Kaufpreis, der sich somit teilweise auch als Versicherungsprämie deuten lässt178. Der Käufer erhält hierfür die Garantie, dass „die negativen

ähnlich auch Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 78. 174 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S. 486. 175 Zum Ganzen oben: „Warenvertrauen“, S. 198ff. 176 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 128; Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 207; Tröger, Aufwendungsersatz nach § 478 Abs. 2 BGB, ZGS 2003, 296 (297). 177 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 440. 178 Vgl. zum Ganzen Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 73. Dies ist allerdings nicht auf den Ersatz von Mangelfolgeschäden übertragbar, da hier der Käufer eher als der Verkäufer dazu in der Lage ist, die drohenden Schäden abschätzen

K. Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht

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Konsequenzen des Warenmangels durch Reparatur, Ersatz oder Wandelung behoben werden“179. Diese ökonomische Begründung wird im Produkthaftungsrecht strukturell nicht anders entwickelt. Nur die Konstruktion muss aufgrund der schlichten Tatsache leicht abweichen, dass zwischen Hersteller und Verbraucher kein Austauschverhältnis besteht, also keine Versicherungsprämie „bezahlt“ werden kann. Produkthaftungsrecht wird also damit begründet, dass nur der Hersteller das mit seinen Produkten verbundene (Integritäts-)Risiko ökonomisch sinnvoll versichern kann, indem er die hierfür erforderlichen Prämien auf den Kaufpreis aufschlägt und die Zusatzkosten auf diese Weise letztlich dem Verbraucher in Rechnung stellt. Diese Kostentragung durch den Verbraucher ist im Grundsatz auch ohne weiteres gerechtfertigt, da die Produkthaftung des Herstellers ja „ausschließlich in seinem Interesse“, also dem des Verbrauchers, begründet ist180. Es wird deutlich, dass sich die ökonomischen Begründungen für Produkthaftungsrecht und Gewährleistungsrecht auch hinsichtlich der Versicherungsfunktion strukturell gleichen. Die lex lata unterscheidet zwar zwischen Äquivalenzund Integritätsstörungen; für die Frage, wer ein Risiko versichern kann, ist es jedoch vollständig unerheblich, ob es sich hierbei um ein Äquivalenz- oder Integritätsrisiko handelt. Aus diesem Grund lässt sich die dem Gewährleistungsrecht zugeschriebene Versicherungsfunktion auf ein Modell übertragen, in welchem Ansprüche direkt gegenüber dem Hersteller geltend gemacht werden könnten. V. Gewährleistung als Qualitätssignal Soweit ersichtlich, gibt es im Bereich des Produkthaftungs- und Gewährleistungsrechts nur eine einzige ökonomische Funktion, welche beide Materien nicht miteinander teilen, und dies ist die Signalfunktion des Gewährleistungsrechts. Ausgeprägten Gewährleistungsrechten wird eine Signalfunktion (Indizfunktion) für höhere Produktqualität zugeschrieben181. Da höherwertige Ware im Regelfall geringere Gewährleistungskosten verursacht, gehen Verkäufer solcher Waren ein geringeres Risiko ein, wenn sie besonders lange oder ausgeprägte Gewährleistung versprechen. Es entsteht so ein über das Gewährleistungsrecht vermitteltes Informationssystem mit am Ende unterschiedlichen Gewährleistungssystemen für unterschiedliche Produktqualitäten182. Der Verbraucher, welcher die Qualität einer Ware nicht beurteilen kann und nur ihren Preis sieht, wird durch und gegebenenfalls beeinflussen zu können; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 442. 179 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 73. 180 Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281. 181 Treffend als „nicht imitierbares Qualitätssignal“ bezeichnet bei Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 443ff. 182 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 442/443.

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ein ausgeprägtes Gewährleistungsrecht darauf hingewiesen, dass die Kaufsache qualitativ hochwertig ist. Zugleich stellt sich ein willkommener Sekundäreffekt ein: Es wird vermieden, dass Informationsasymmetrien zwischen Verkäufer und Käufer zu einer Verdrängung hochwertiger Ware vom Markt führen183. „Es wird demnach immer ein Maß an Gewährleistungsschutz geben, das Verkäufer hoher Qualität profitabel (oder zumindest ohne Verlust) anbieten können, das jedoch Verkäufer niedriger Qualität nicht zum gleichen Preis anbieten können, ohne selbst dabei Verluste zu machen (der Gewährleistungsschutz ist für Verkäufer niedriger Qualität immer teurer, da ihre Produkte eher versagen). Indem Verkäufer hoher Qualität ein Maß an Gewährleistungsschutz anbieten, das die Anbieter niedriger Qualität nicht in gleicher Form anbieten können, teilen die Erstgenannten dem Käufer verlässlich mit, dass es sich um hochwertige Produkte handelt.“184

Diese ökonomische Funktion des Gewährleistungsrechts kann das Produkthaftungsrecht seiner Natur nach nicht teilen. Es ist als gesetzliches Haftungsrecht generell-abstrakt ausgestaltet. Dies nimmt ihm jede Möglichkeit, eine auf einzelne Produkte bezogene Signalwirkung zu entfalten. Die dem Gewährleistungsrecht zugeschriebene Signalwirkung ist jedoch mit dem europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht weitgehend verblasst. Denn das Gewährleistungsrecht kann nur ein Qualitätssignal hinsichtlich eines Verkäufers oder einer Ware entfalten, wenn der Verbraucher gleichzeitig zwischen unterschiedlichen Gewährleistungsniveaus auswählt. Nur wenn also hinsichtlich der möglichen Gewährleistungsrechte Unterschiede vorliegen, kann deren Signalwirkung als Kriterium zur Kaufentscheidung überhaupt in Betracht kommen. Wenn jedoch, wie im Falle der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf, ein weitgehend einheitliches Gewährleistungsrecht für sämtliche Verkäufer vorgeschrieben wird, dessen einzige Disponibilitäten in Vereinbarungen über die Beschaffenheit, im Schadensersatzanspruch und in der Verjährungsfrist bei Gebrauchtwaren liegen, ist es mit dem Vergleich zwischen unterschiedlicher Gewährleistung und der damit verbundenen Signalwirkung nicht mehr weit her. Dies insbesondere deswegen, weil vom Verbrauchsgüterkaufrecht einerseits nicht zu Ungunsten des Verbrauchers abgewichen werden kann, andererseits kaum ein Verkäufer freiwillig noch über das bereits zwingend gewährte Schutzniveau hinausgehen wird. Die Signalfunktion von Rechten ist also an deren individuelle und damit privatautonome Gewährung gekoppelt: Nur dort, wo der Verbraucher Unterschiede zwischen den verschiedenen Gewährleistungsangeboten ausmachen kann, kann sich ein Qualitätssignal überhaupt entfalten. Wo jedoch alle Kaufsachen dem gleichen Gewährleistungsprogramm unterliegen, entfällt die Signalwirkung vollstän183 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 74. Dies ist die oben auf S. 103f. bereits angesprochene Zitronenmarkt- oder Saure-Gurken-Problematik. 184 Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 75.

L. Zusammenfassung

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dig. Mit anderen Worten: Wo heteronomes positiv zwingendes Recht herrscht, ist kein Qualitätssignal denkbar. Die von der ökonomischen Theorie angenommene Signalwirkung wird sich darum in der Realität des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts auf das Vertrauen beschränken, welches die Verbraucher den Herstellergarantien entgegenbringen185. Hiermit ist der einzige Unterschied hinsichtlich der ökonomischen Funktionen von Gewährleistungsrecht und Produkthaftungsrecht entfallen. VI. Das Ergebnis des Vergleichs Der Vergleich zwischen Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht wurde gezogen, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, warum der Käufer eines mangelhaften Mikrowellengeräts sich in einigen Ländern der Union nur dann an der Hersteller wenden kann, wenn er nicht resistent genug war, einer Salmonelleninfektion zu widerstehen. Die Antwort ist nach diesem Vergleich die gleiche wie zuvor: Weil das Gesetz in diesen Ländern Integrität absolut und Äquivalenz relativ schützt. Warum dies so ist, konnte die ökonomische Analyse nicht erklären. Die gegebene Antwort impliziert nach dem Vergleich darum auch, dass es für die Schutzrichtung des Gesetzes in diesen Ländern unerheblich ist, inwieweit mit Haftungsrecht ökonomische Funktionen zu erfüllen sind, denn diese sind im Produkthaftungsrecht und im (heteronomen) Gewährleistungsrecht identisch geworden. Die ökonomischen Funktionen von Produkthaftungs- und Gewährleistungsrecht gebieten es nicht, die Herstellerhaftung auf den Integritätsbereich zu beschränken; sie legen vielmehr eine solche, insbesondere wegen der Qualitätssicherungsfunktion des Haftungsrechts, auch für das Gewährleistungsrecht nahe.

L. Zusammenfassung I. Schutz des Handels, Entlastung des Handelsrechts Die Entwicklung der europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts hat zugunsten des Verbrauchers und auf Kosten einerseits des unmittelbar belasteten Handels, andererseits des mit wirtschaftlich zwingenden Vorschriften befrachteten Handelsrechts stattgefunden. Aus diesem Grund wäre heute der eigentliche Profiteur einer Herstellerhaftung nicht der Verbraucher, sondern der Letztverkäufer. Wenn heutzutage noch von legislativ nicht ausreichend berücksichtigter Schutzwürdigkeit die Rede sein kann, dann hinsichtlich des Letztverkäufers, nicht mehr jedoch 185 Zur informatorischen Wirkung von Herstellergarantien Riesenhuber, Party Autonomy and Information in the Sales Directive, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Eds.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, S. 348 (354).

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im Hinblick auf den Verbraucher. Klärungsbedürftig ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr das Verhältnis zwischen Verbraucher und Einzelhändler – dieses ist mit dem Verbrauchsgüterkauf reichhaltig reguliert –, sondern dasjenige zwischen Handel und Industrie. Wie immer man zu der Entwicklung des europäischen Privatrechts in Richtung auf heteronomes, objektiviertes Recht stehen mag, scheint ein Umstand nach dem in diesem Kapitel Gesagten zumindest gesichert zu sein: Das heteronome Kaufgewährleistungsrecht trifft mit dem Letztverkäufer als primär Alleinhaftendem den falschen Adressaten. Wer hieraus eine Konsequenz ziehen möchte, muss zu dem Schluss kommen, dass das positiv zwingende Gewährleistungsrecht, verbunden mit der Objektivierung des Mangelbegriffes, eine Rechtfertigung für die Herstellerhaftung auf europäischer Ebene bildet. Es ist zudem deutlich geworden, dass das in Deutschland gewählte Regressmodell zum einen nicht zur Rechtssicherheit beiträgt, zum anderen jedoch eine erhebliche Belastung des Handelsverkehrs und damit des Handelsrechts darstellt. Neben den bis zu fünf Jahre gehemmten Verjährungsfristen186 sei beispielhaft nur die besonders problematische Möglichkeit des Regressberechtigten genannt, mit längerer Lagerung von Verbrauchsgütern auch die Vermutung anfänglicher Mangelhaftigkeit zu prolongieren187. Der Grund für derartige Phänomene liegt nicht in einer besonders misslungenen Regressregelung des deutschen Gesetzgebers; sie sind nur die Konsequenz des Zusammenwirkens der genannten beiden Faktoren, nämlich des positiv zwingenden Rechts mit dem Festhalten an einer Abwicklung entlang der Vertragskette. Im Fall des Verbrauchsgüterkaufs existiert das zwingende Recht bereits, es trifft nur den falschen Adressaten. Unabhängig davon, ob zwingendes Verbrauchsgüterkaufrecht richtig oder fehl am Platz ist, wäre die Herstellerhaftung zumindest ein Mittel dazu, die nun bestehende zwingende Haftung gleichsam zu „justieren“. Entscheidender Vorteil des Durchgriffs gegen den Hersteller ist daneben eine Änderung des Verhältnisses zwischen Industrie und Handel. Diese sind dann nämlich beide potentielle Schuldner des Verbrauchers, was nicht nur die vertragliche Situation im Rahmen der Lieferkette vom Kopf auf die Füße stellt, sondern gleichzeitig auch das Regressproblem entschärft. Die Durchgriffshaftung ist somit gar nicht in erster Linie als Instrument des Verbraucherschutzes relevant (dessen Kriterien mit der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf ohnehin Genüge getan sein dürfte), sondern dient der Entlastung des Letztverkäufers, also des Handels bzw., rechtlich gewendet, desjenigen, der durch den Kontakt mit dem schutzwürdigen Verbraucher und mit dem positiv zwingenden Recht selbst schutzwürdig 186

Hierzu Scheibach, Die Anpassung der Neuwagenverkaufsbedingungen, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 739 (750): „eine weit über das Erforderliche hinausgehende Möglichkeit, (...) Lieferanten in Regress zu nehmen“. 187 Hierzu oben S. 132.

L. Zusammenfassung

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wird188. Hiermit würde auch ein Stück der Mangelverantwortung, die de lege lata in nicht zu rechtfertigender Weise dem Handel obliegt, auf die Industrie zurückverlagert und damit dort verortet werden, wo sie der Sache nach hingehört. II. Übermäßige Belastung der herstellenden Industrie? Es hat sich im Laufe dieser Untersuchung gezeigt, dass im Rahmen der Diskussion um Dritthaftung und Relativität von Schuldverhältnissen immer das Kriterium der Kalkulierbarkeit von Haftung mitschwingt. Dies gilt sowohl für das deutsche Recht, wo diese Kalkulierbarkeit ein Grund dafür ist, den Kreis der von einem Vertrag Begünstigten nicht „in unerträglicher Weise“ auszudehnen189, wie für das französische, wo der Ersatz der deliktischen Haftung durch die vertragliche (action directe) den Schuldner gerade vor den Unwägbarkeiten der deliktischen Haftung schützen soll. Dieses Argument ist im Rahmen einer Absatzkette jedoch nur bedingt tragfähig. Denn diese ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass der Hersteller es mit überraschenden und unkalkulierbaren Gewährleistungsansprüchen Dritter zu tun hat, sondern mit der Verwirklichung seines eigenen gewerblichen Interesses, nämlich dem Verkauf der von ihm produzierten Ware an den Endverbraucher. Würde also die Industrie bei Einführung einer Herstellerhaftung übermäßig stark belastet, sich ihr Haftungsrisiko unkalkulierbar ausdehnen? Diese Frage ist in dieser Arbeit nicht abschließend zu beantworten; Teile der Antwort hätten ohnehin reinen Prognosecharakter. Aber einige Anhaltspunkte, die gegen eine übermäßige Belastung der Herstellerseite sprechen, seien genannt: Zum ersten ist in Rechnung zu stellen, welche Belastungen mit dem Alternativmodell, nämlich dem Regressmodell, wie es nun in Deutschland gilt, verbunden sind: Zu nennen sind die Einschränkung der Vertragsfreiheit aller Verkäufer in der Lieferkette, die willkürlichen Möglichkeiten des Letztverkäufers, über das anwendbare Recht fremder Verträge zu entscheiden, oder eines anderen Zwischenhändlers, die Beweislastumkehr hinsichtlich anfänglicher Mangelhaftigkeit einer Kaufsache zu seinen eigenen Gunsten durch lange Einlagerung zu prolongieren. Zum zweiten liegt auch dem geltenden Regressrecht der allgemeine Konsens darüber zugrunde, dass der Hersteller, wenn er denn tatsächlich mangelverantwortlich ist, letztlich dafür haften soll190. Die Frage der Herstellerhaftung betrifft also nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ und vor allem das „Wem gegenüber“ der Haftung. 188 Zur zunehmenden Schutzwürdigkeit des Unternehmers („Schutz vor dem Schutz des Geschützten“) Picker, Schuldrechtsreform und Privatautonomie, JZ 2003, 1035 (Fn. 3). 189 MünchKomm/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rdn. 109. 190 Karsten Schmidt, Der gesetzliche Händlerregress bei Käuferketten, in: Dauner-Lieb u.a. (Hrsg.), Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 427 (428).

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§ 7: Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts

Drittens sei darauf hingewiesen, dass die action directe in Frankreich, Luxemburg und Belgien schon lange Realität ist. Es sind von dort weniger klagende Stimmen zu vernehmen, als sich hier Klagen zu den §§ 478, 479 BGB finden. Viertens hat das Risiko der Haftung gegenüber Nicht-Vertragspartnern weniger mit der Höhe der Haftung (die als Gewährleistungshaftung wirtschaftlich ohnehin begrenzt ist), sondern mit der Anzahl der Gläubiger zu tun191. Deren unüberschaubares Anwachsen ist jedoch im Falle von Vertragsketten nicht zu besorgen: Die Haftung soll ohnehin, das heißt auch bei Geltung des reinen Regressmodells, beim Verantwortlichen angesiedelt werden, und wenn dem Hersteller weitere Gewährleistungsgläubiger entstehen, so sind alle, bis auf den letzten, gleichzeitig auch Gewährleistungsschuldner und stehen damit zusammen mit dem Hersteller in einer zumindest gesamtschuldnerähnlichen Stellung. Herstellerhaftung bedeutet in Vertragsketten somit keine qualitative Haftungserhöhung. Die Haftung wird vielmehr nur von einem Beteiligten auf mehrere verlagert. „Die praktisch wohl wesentlichste Funktion dieser (...) Haftungsspezies besteht also darin, dass sie den Zwang zu Regressversuchen beseitigt, die sich nach Methode und Mittel zunehmend als verfehlt erweisen, weil sie nicht mehr zweckmäßig und nicht mehr zulässig sind.“192

191 Überzeugend Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (437ff.) 192 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (447).

§ 8: Konstruktion A. Vier Möglichkeiten Die Untersuchung ist nun an einen Punkt gelangt, an dem sich zwei Dinge sagen lassen: Zum einen würde in einer unmittelbaren Herstellerhaftung für Sachmängel, im Rahmen der Heteronomie des Verbrauchsgüterkaufrechts, grundsätzlich zumindest kein Verstoß gegen das Relativitätsprinzip liegen. Zum anderen überwiegen die sachlichen Gründe, die für sie sprechen. Damit ist jedoch noch nichts dazu gesagt, ob sich ein derartiger Anspruch systemkonform realisieren ließe. Im Folgenden sollen die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten im Bereich vertraglicher, vertragsnaher oder gesetzlicher Haftung durchgespielt werden. Es gilt hierbei keine Beschränkung auf irgendeine Rechtsordnung: Jede Lösung, die in konstruktiver Hinsicht überzeugt, ist willkommen, weswegen selbstverständlich auch die action directe in die Überlegungen mit einzubeziehen ist. Mit einzubeziehen sind allerdings auch die oben gemachten Ausführungen zur Adressierung heteronomen Rechts. Sofern also Gedanken aus dem deutschen Schuldrecht angeführt werden, so dient dies nicht einer Subsumtion unter spezifische Vorschriften, sondern nur der Skizzierung möglicher Begründungslinien. Am Ende soll ein Vorschlag erarbeitet werden, hinsichtlich dessen dann allerdings sehr wohl eine Entscheidung für die zu wählende Rechtsordnung getroffen werden muss. Dann wird sich nämlich die Frage stellen, auf welcher Ebene der Vorschlag zu realisieren wäre, und dies ist eine Frage der Gemeinschaftskompetenz. In konstruktiver Hinsicht scheinen sich für die Herstellerhaftung vier Möglichkeiten zu bieten: Unmittelbare Vertragshaftung, begünstigende Teilnahme am fremden Vertrag, rein gesetzliche Konstruktion und schließlich die Lösung zwischen vertraglicher und gesetzlicher Haftung. An erster Stelle käme eine vertragliche Lösung in Betracht: Wäre ein Vertragsverhältnis zwischen Hersteller und Verbraucher zu konstruieren, würden nur noch wenig weitere Schwierigkeiten bestehen. Dies wird jedoch nicht gelingen1. Zweitens ließe sich, immer noch im Bereich vertraglicher Haftung, daran denken, die Wirkungen des Vertrages zwischen Hersteller und Erstabnehmer auf weitere Mitglieder der Handelskette bis hin zum Endabnehmer auszuweiten 1

Hierzu gleich, S. 243ff.

242

§ 8: Konstruktion

(Teilnahme am fremden Vertrag). Dies könnte durch die Annahme von Drittwirkungen geschehen (beispielsweise als Vertrag zugunsten Dritter) oder dadurch, dass Elemente des ersten Vertrags in der Lieferkette rechtsgeschäftlich durch diese hindurch übertragen werden. Letzteres ist der Weg der französischen und belgischen action directe, die von einer vertraglichen Weitergabe der entsprechenden Gewährleistungsrechte innerhalb der Handelskette ausgeht. Quelle der Haftung wäre in all diesen Fällen jedenfalls der Erstvertrag, und dessen Wirkung wäre für den Verbraucher bzw. andere Mitglieder der Lieferkette begünstigend. Genau hier liegt jedoch das Problem all dieser Lösungen: Wenn die in § 7 enthaltenen Ausführungen zum richtigen Adressaten heteronomen Gewährleistungsrechts richtig sind, ergibt sich die materielle Gebotenheit der Herstellerhaftung nicht aus der Mangelhaftigkeit der Kaufsache im Augenblick des Gefahrübergangs vom Hersteller auf den ersten Abnehmer, sondern liegt im Vertrauen des Verbrauchers im Augenblick seines eigenen Erwerbs. Diese Lösungen werden der Problematik demzufolge ebenfalls nicht gerecht, was zur weiteren Konsequenz haben wird, dass es auf eine eigene vertragliche Verantwortlichkeit des Herstellers nicht ankommt. Hiermit scheiden jegliche autonomen Begründungen der Herstellerhaftung aus. Eine Konstruktion ist nur durch heteronomes, also im weitesten Sinne gesetzliches Schuldrecht möglich. Ein sich hieraus ergebender dritter, allerdings ebenfalls untauglicher Ansatz bestünde darin, die Herstellerhaftung für Sachmängel rein gesetzlich auszugestalten2. Hierin läge dann nicht anderes als eine Ausweitung des Produkthaftungsrechts auf das Äquivalenzinteresse des Letztkäufers bzw. Verbrauchers. Rein gesetzliche Haftung ist jedoch nicht dazu in der Lage, Ansprüche auszulösen, wie sie das Gewährleistungsrecht enthält. Dies wiederum beruht darauf, dass der Auslöser für das Gewährleistungsrecht immer noch der individuelle Kaufvertrag ist, sei er auch von heteronomen Elementen durchsetzt. Als vierter und letzter Ansatz kommt somit lediglich die Haftung zwischen vertraglichem und gesetzlichem Haftungsrecht in Betracht, somit die Annahme eines durch den Verbrauchsgüterkauf entstehenden, weiteren Schuldverhältnisses zwischen Hersteller und Verbraucher. Dieses würde wohl der in Deutschland so genannten dritten Spur, also dem Bereich zwischen reinem vertraglichen und reinem gesetzlichen Schuldrecht zugerechnet, denn es wird zwar einerseits durch den Kaufvertrag des Verbrauchers ausgelöst, kann jedoch andererseits nur gesetzlich (heteronom) konstruiert werden. Diese Doppelgesichtigkeit teilt es mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, mit der Prospekthaftung, der Gutachterhaftung sowie mit den Ansprüchen gegen den falsus procurator und den Anfechtenden. Damit würden also die Wirkungen des Schuldverhältnisses zwischen Letztverkäufer und Endkunden, der letzten Mitglieder in der Vertragskette, auf den Her2

Unten S. 251ff.

B. Vertragliche Lösungsversuche

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steller ausgeweitet. Diese Wirkungen wären für den Hersteller belastend, was auf der Stelle die Assoziation des Vertrags zu Lasten Dritter und damit der Unzulässigkeit weckt: „Es gibt eben keinen Vertrag zu Lasten Dritter“3. Allerdings ist die generelle Unzulässigkeit des Vertrags zu Lasten Dritter nur auf den ersten Blick ein Hinderungsgrund. Insofern nämlich heteronome Elemente eines Vertrags in Rede stehen, liegt, wenn das bisher Gesagte richtig ist, in der Haftung von NichtVertragsparteien für diese Elemente keine Fremdbestimmung unter Gleichen und damit auch kein Vertrag zu Lasten Dritter. Es sind dann eben nicht vertraglich vereinbarte Pflichten, welche sich gegen den Hersteller richten, sondern vom Gesetzgeber eingeführte heteronome Elemente. Was bei erster Betrachtung als Drittwirkung des Vertrags erscheint, ist im Falle heteronomen Rechts tatsächlich eine unmittelbare Wirkung, die ebenso zulässig ist wie die vertragslose Wirkung der weiteren Verhaltenspflichten des deutschen Rechts4.

B. Vertragliche Lösungsversuche I. Kaufvertrag Der sicherste und leichteste Weg einer Herstellerhaftung würde über die Annahme eines unmittelbar bestehenden Kaufvertrags führen. Ließe sich ein solcher zwischen Verbraucher und Hersteller konstruieren, so wäre man aller Sorgen ledig; der Hersteller wäre aus eigener vertraglicher Verantwortung gewährleistungsrechtlich haftbar, und diese Untersuchung wäre beendet. Es liegt auf der Hand, dass diese Annahme nicht mehr als eine theoretische Hypothese sein kann, weswegen sie hier auch nur den ersten Schritt einer Annäherung an die konstruktiven Möglichkeiten darstellen soll. Werner Lorenz hat zwar – im Rahmen der seinerzeit langsam erwachsenden Diskussionen um die Ausgestaltung der Produkthaftung – im Jahr 1963 ausgeführt, die Annahme eines Vertragsbandes zwischen Hersteller und Verbraucher sei keine von vornherein vollständig auszuschließende Konstruktion: Das Inverkehrbringen der Ware ließe sich immerhin nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre zur Not als Angebot zum Abschluss eines Garantievertrages auslegen, der wiederum durch den Verbraucher nach § 151 BGB angenommen werde5. Dies war jedoch ebenfalls rein hypothetisch und eher als Gedankenspiel gemeint. Für im Hinblick auf einen effektiven Verbraucheranspruch zielführend hielt Werner Lorenz diese Konstruktion selbst nicht. Sie würde nur, so sein eigener unmittelbar folgender Einwand, zu einer abrupten Zunahme von Frei-

3 4 5

Medicus, Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, JuS 1974, 613 (614). § 241 Abs. 2 BGB; hierzu schon oben S. 43ff. Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (14).

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§ 8: Konstruktion

zeichnungsklauseln führen6, was ja das Dilemma einer jeglichen rechtsgeschäftlichen Lösung ist, wie die oben skizzierten Diskussionen um die Herleitung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte belegen7. Es käme hinzu, und dies macht die Annahme eines Kaufvertrags zwischen Verbraucher und Hersteller völlig unmöglich, dass diese Konstruktion mindestens zwei parallel zueinander bestehende Kaufverträge bei nur einer Kaufsache mit sich bringen würde, denn der Kaufvertrag des Verbrauchers mit dem Letztverkäufer wäre ja nicht dadurch aus der Welt, dass auch mit dem Hersteller ein Kaufvertrag angenommen würde. Ein kaufvertragliches Band zwischen Hersteller und Verbraucher wird also zum ersten nicht zu knüpfen sein und zum zweiten keinerlei Vorteile bringen. Ein letzter Gesichtspunkt sei in diesem Zusammenhang, nur der Vollständigkeit halber, erwähnt. Auch die im Verbrauchsgüterkaufrecht enthaltene Haftung für Werbeangaben und der mit ihr verbundene vorangetriebene Bedeutungszuwachs für deklaratorische Erklärungen ändern nichts am Fehlen einer Willenserklärung des Herstellers gegenüber dem Verbraucher. Denn es ist zwar einerseits unbezweifelbar, dass den Werbeangaben als bloßen Tatsachenbehauptungen nun eine gesteigerte rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommt, indem sie im Rahmen der Sollbeschaffenheit zu beachten sind. Dies macht sie, wie oben erarbeitet wurde8, jedoch noch nicht zum Bestandteil des – von wem auch immer – Erklärten, denn hierfür müssten sie bereits Teil des subjektiven Mangelbegriffs sein, was sie auch nach der Richtlinie nicht sind. Es bleibt dabei: Deklaratorische Erklärungen sind nicht konstitutiv für ein Rechtsgeschäft. II. Herstellergarantien Wie angedeutet, ist die Annahme einer kaufvertraglichen Willenserklärung des Herstellers unter anderem deshalb abwegig, weil in vielen Fällen eine Willenserklärung vorliegt, die jedoch keinen Kaufvertrag, sondern eine Garantie zum Gegenstand hat. Die Garantie bildet in Zeiten der Massenproduktion, als „Zusatzvereinbarung zum Kaufvertrag“9, das am weitesten verbreitete rechtliche Band zwischen Käufer und Hersteller10. Daneben sind die Herstellergarantien in den Zeiten eines weitgehend vereinheitlichten Verbrauchsgüterkaufrechts praktisch das letzte verbleibende Wettbewerbsinstrument, um dem Verbraucher besondere Qualität zu signalisieren. Die Garantie erfüllt auf diese Weise heutzutage zumindest teilweise die ökonomische Funktion, welche zu Zeiten vor Inkrafttreten der Richtlinie 6

Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (14). Oben S. 54. 8 Hierzu oben S. 91ff. 9 Luna Serrano, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 1 Rdn. 21. 10 Grundmann, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 19. 7

B. Vertragliche Lösungsversuche

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1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf dem Gewährleistungsrecht zugeschrieben wurde11. Die Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf verwendet den Begriff der Garantie, der in den Ländern mit vom Code Napoléon beeinflusster Tradition als „gesetzliche Garantie“ auf das Gewährleistungsrecht angewandt wird, allein für die vereinbarten Garantien12. Hierbei hat die Richtlinie zumindest theoretisch gleichermaßen Verkäufer- wie Herstellergarantien im Auge13; in der Praxis sind jedoch die Herstellergarantien bei weitem häufiger und bedeutsamer. In Deutschland ist die zuvor gesetzlich nicht kodifizierte Garantie seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in § 443 Abs. 1 BGB geregelt. In rechtsgeschäftlicher Hinsicht setzt der Garantieanspruch des Käufers gegen den Hersteller oder auch einen Importeur voraus, dass gleichzeitig mit einem wirksamen Kaufvertrag eine Garantieerklärung abgegeben wird. Diese wird im Zweifel durch den Verkäufer, der insofern nur eine Botenfunktion einnimmt, an den Kunden weitergeleitet, welcher sie annimmt, ohne dass die Annahmeerklärung zuzugehen hätte (§ 151 BGB). Das deutsche Recht stellt daneben, getreu den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre, vergleichsweise strenge Anforderungen an die Annahme einer Herstellergarantie. Bloße Beschreibungen, Anpreisungen oder allgemeine Qualitätseinstufungen genügen diesen Anforderungen in der Regel nicht14. Mit der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie muss diese Vorstellung jedoch zumindest teilweise modifiziert werden. Denn parallel zu den im Rahmen der Sollbeschaffenheit relevanten Werbeangaben ist auch hinsichtlich der Voraussetzungen, unter welchen der Garantiefall eintritt, nun auf die „einschlägige Werbung“, also auf Prospekte, Anzeigen, Werbebriefe, Fernsehwerbung und ähnliches, zu achten15. Die Herstellergarantie kann, abhängig von ihrer Ausgestaltung, zu den auch mit der hier behandelten Herstellerhaftung erstrebten Rechtsfolgen führen. Wesentlicher Unterschied zu dieser ist, zumindest nach dem Richtlinienmodell und dem deutschen Recht, ihr Vertragscharakter: Sie wird vom Hersteller, wenn auch 11 Vgl. Gomez, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Einl. Rdn. 74; zum Verlust der Signalfunktion des Gewährleistungsrechts oben S. 235. 12 Art. 1 Abs. 2 e) der Richtlinie; hierzu Luna Serrano, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EUKaufrechts-Richtlinie, Art. 1 Rdn. 19. 13 Erwägungsgrund Nr. 21, Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. 14 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 901. 15 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 901. Viel grundlegender waren allerdings die Umwälzungen, die im englischen Recht stattzufinden hatten, um die Bestimmungen der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu den Herstellergarantien umzusetzen. Denn aufgrund der consideration-Doktrin hatte das englische Recht einseitig abgegebene Garantien, denen ja weder eine Gegenleistung gegenübersteht noch ein bargain zugrunde liegt, als unwirksam angesehen. Dies musste mit Umsetzung des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts geändert werden (Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002, No. 15 I); hierzu Arnold/Unberath, Die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf in England, ZEuP 2004, 366 (384). Vgl. hierzu auch oben S. 22.

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§ 8: Konstruktion

möglicherweise massenhaft, so doch freiwillig gewährt. Dennoch stellt die Garantie, sollte man die unmittelbare Herstellerhaftung der Sache nach ablehnen oder nicht zu einer befriedigenden Konstruktion finden, in gewisser Weise eine Art kleinster gemeinsamer Nenner dar: Wenn sich kein allgemeiner unmittelbarer Anspruch des Verbrauchers begründen lässt, hilft die Garantie zumindest in der Praxis. Diese Eigenschaft – konkret eine Rechtsfolge zu bewirken, die sich abstrakt möglicherweise nicht herstellen lässt – macht die Herstellergarantie zu einem verführerischen Instrument: Gerade der massenhafte Gebrauch von Herstellergarantien verleitet dazu, diese großzügig anzunehmen und so zur erwünschten Rechtsfolge zu gelangen16. Dahinter stehen die Möglichkeiten, die Garantien dann zukommen können, wenn das Gewährleistungsrecht als zum Schutz des Verbrauchers nicht ausreichend angesehen wird; die Ausweitung der warranty im US-amerikanischen Recht17 gibt hierfür ein Beispiel. Gerade die Tatsache allerdings, dass Garantien inzwischen Bestandteil des gewöhnlichen Rechtsverkehrs bei Neuwaren sind, weist jedoch auch auf die Grenzen dieses Konstrukts: Je mehr tatsächliche Garantien abgegeben werden, desto eher wird die Annahme noch weitergehender Garantien zur „Fiktion“18 und führt zu Konflikten mit der Rechtsgeschäftslehre: „Freilich lässt sich nicht bezweifeln, dass die Rechtsprechung der Haftung aus Garantievertrag einen breiten Raum hätte sichern können, wenn sie bereit gewesen wäre, wie in anderen Sachzusammenhängen so auch hier Willenserklärung und Vertrag zu denaturieren. Wer diesen Preis zu zahlen bereit ist, kann daher feststellen, dass die Rechtsprechung ihre Möglichkeiten nicht genutzt habe, sollte allerdings auch zugestehen, dass die Rechtsprechung schon bald zu weiteren Schritten gezwungen gewesen wäre, die vollends verdeutlicht hätten, dass die rechtsgeschäftlichen Kategorien nichts anderes als durchsichtige Einkleidungen einer vom Richter entwickelten Haftung waren.“19

Herstellergarantien können damit keine dem Warenvertrauen adäquate rechtliche Entsprechung bieten. Sie mögen das oben skizzierte Bedürfnis nach einer un16 Remien (Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S. 549) fragt mit Recht, „wieso in allen Fällen erzwungen werden soll, was nur in manchen Fällen freiwillig gewährt wird“. 17 Hierzu oben Fn. 364. 18 Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282). 19 Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1 (2); in diesem Sinne auch der BGH: „Darin, dass der Produzent seine Ware unter Benennung seiner Urheberschaft, nämlich mit seinem Etikett, in Originalverpackungen, unter seinem Warenzeichen oder der von ihm geprägten Bezeichnung (...) vertreiben lässt, liegt im allgemeinen noch keine Willenserklärung in dem Sinne, dass er dem Verbraucher für sorgfältige Herstellung einstehen wolle (...). In aller Regel lässt sich sogar in der Werbung für Markenwaren, die den Endabnehmer in besonders eindringlicher Weise anspricht, noch keine Zusage finden, für etwaige Mängel der Ware haften zu wollen.“ BGHZ 51, 91 (99) – Hühnerpest; vgl. hierzu M. Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233 (1234).

B. Vertragliche Lösungsversuche

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mittelbaren Herstellerhaftung abmildern; dies ist jedoch eine rein tatsächliche, keine rechtliche Wirkung. Wenn das Warenvertrauen des Verbrauchers Schutzgut der unmittelbaren Herstellerhaftung sein soll, so muss dieser eine Konstruktion zugrunde liegen, die ohne die Voraussetzung autonomen Herstellerhandelns auskommt. III. Faktisches Vertragsverhältnis (sozialtypisches Verhalten) Die Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen stammt aus dem Jahr 1941 und geht auf Haupt zurück20. Grundlegende These dieser Lehre war im Bürgerlichen Recht, dass Verträge in besonderen Situationen auch zustande kommen können, ohne dass hierzu Rechtsgeschäfte bzw. Willenserklärungen vonnöten wären. An die Stelle der Willenserklärung tritt in konstruktiver Hinsicht das tatsächliche „sozialtypische“ Verhalten21. Diese Theorie hat, auch wenn sie nicht mehr taufrisch sein mag, eine gewisse Nähe zum hier behandelten Thema: Wer eine Lösung anstrebt, innerhalb derer der Hersteller eines Verbrauchsguts für dessen Qualität haftet, und sich auf die – vergebliche – Suche nach einer Willenserklärung gemacht hat, befindet sich bereits mitten in der Frage nach Vertragsbindung durch Faktizität. Die Intention hinter den Theorien, die zur Begründung faktischer Vertragsverhältnisse ins Feld geführt wurden, war jeweils die Umgehung des Erfordernisses einer Willenserklärung zur Begründung einer Sonderverbindung. Und wer immer versucht hat, Sonderverbindungen außerhalb von Vertragsverhältnissen zu begründen, sah sich rasch dazu genötigt, auf das sozialerhebliche Element eines Verhaltens zu rekurrieren. Dies gilt beispielsweise für Werner Lorenz – beileibe kein Vertreter der Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen – und seine Erklärung für die Vertrauensbindung zwischen Hersteller und Kunden, falls letzterer um das (abstrakte) Kundenvertrauen „in sozial ernstgemeinter Weise“ geworben habe22. Der BGH hatte im Jahr 1956 den so genannten „Hamburger Parkplatzfall“23 zu entscheiden, der die Frage nach einem Vertragsschluss durch sozialtypisches Verhalten aufwarf: Eine Autofahrerin hatte im Jahre 1953 einen als gebührenpflichtig gekennzeichneten („parkgeldpflichtig und bewacht“) Parkplatz zwar mehrfach genutzt, gleichzeitig gegenüber den am Parkplatz eingesetzten Ordnern jedoch offen erklärt, Bewachung und Bezahlung abzulehnen. Man stritt sich um die Parkgebühr, deren Rechtsgrund entweder auf Vertrag, unerlaubte Handlung oder auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt werden sollte. Im Urteil 20

Vgl. Flume, BGB AT II, 4. Aufl. 1992, S. 95. Vgl. nur Grüneberg, in: Bamberger/Roth, 2003, § 241 Rdn. 7; Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 13. Aufl. 2003, S. 202; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 906; Medicus, Schuldrecht I, 16. Aufl. 2005, Rdn. 57. 22 Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (16). 23 BGHZ 21, 319 = NJW 1956, 1475. 21

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§ 8: Konstruktion

folgte der BGH der These vom „faktischen Vertragsverhältnis“ bzw. „sozialtypischen Verhalten“. Die an eine Willenserklärung geknüpften strengen Voraussetzungen könnten im Rahmen von Geschäften der Massenversorgung nicht als einzige Begründung für Rechtsgeschäfte aufrechterhalten werden; an die Stelle von Antrag und Annahme müssten in diesen Konstellationen auch das Zur-Verfügung-Stellen und die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistung treten können. Dieser Vorgang erlange auf diese Weise „nach seiner sozialtypischen Bedeutung die gleiche Rechtsfolge (...) wie rechtsgeschäftliches Handeln“24. Die für das Autonomieprinzip entscheidende Überlegung ist hierbei, dass ein Vertragsverhältnis entsteht, „nicht weil diese rechtliche Folge des tatsächlichen Handelns (...) gewollt oder gar erklärt sei, sondern weil sie nach allgemeiner Verkehrsanschauung unzweifelhaft damit verbunden sei“.25 Hierin, nämlich im Ersatz des Willens als eines subjektiven Kriteriums durch die allgemeine Verkehrsanschauung, steckt das heteronome Element des Rechtsgeschäfts. Viel stärker noch als bei der anfangs behandelten ergänzenden Vertragsauslegung – die ja immerhin einen wirksamen Vertrag zur Grundlage hat – lässt sich der faktische Vertrag als „heteronomes Recht im autonomen Gewand“ charakterisieren. Dies ist zum einen nicht autonomiekonform und trägt zum anderen auch nicht zur methodischen Klarheit bei. Die Lehre vom faktischen Vertragsverhältnis bzw. sozialtypischen Verhalten konnte sich darum in der deutschen Rechtswissenschaft auch nicht durchsetzen und wird heute überwiegend als kurzzeitiger Irrweg der Jurisprudenz angesehen. Zur Vereinbarkeit des – erwünschten – Ergebnisses mit der Rechtsgeschäftslehre versucht man heute zu gelangen, indem das tatsächliche Verhalten des Nutzers seinem Erklärungsgehalt nach als Willenserklärung ausgelegt und eine hierzu ggf. in Widerspruch stehende wörtliche Erklärung als demgegenüber unbeachtlich angesehen wird (protestatio facto contraria non valet, § 242 BGB)26. Eine eigene, unmittelbare Vertragsbindung zwischen dem Hersteller und dem Verbraucher kann somit zur Begründung unmittelbarer gewährleistungsrechtlicher Haftung des Herstellers nicht herangezogen werden; ein Vertrag zwischen beiden liegt – abseits einer möglicherweise gegebenen Herstellergarantie, die je-

24

So, Larenz folgend, der BGH, BGHZ 21, 319 (334). BGHZ 21, 319 (334). 26 Vgl. Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 13. Aufl. 2003, S. 203; Musielak, Grundkurs BGB, 9. Aufl. 2005, Rdn. 155 m. w. Nachw. – Medicus weist darauf hin, dass mit dieser Konstruktion, die den Tatbestand der Willenserklärung letztlich auf seine objektive Seite reduziert, auch der Dieb im Warenhaus einen Kaufvertrag abschließt (BGB AT, 8. Aufl. 2002, § 21 Rdn. 249). Dem ließe sich allerdings entgegenhalten, dass sich das Verhalten des Diebes und das der Parkplatzbenutzerin hinsichtlich ihrer Widersprüchlichkeit unterscheiden: Während letztere durch ihre offene und in dieser Hinsicht erklärende Nutzung ein „sowohl als auch“ signalisiert, widerspricht sich ersterer nicht: Er ist, wenn er heimlich handelt, ganz und gar Dieb und damit rechtsgeschäftsfern. 25

C. Teilnahme am fremdem Vertrag

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doch nicht die erforderliche Funktion erfüllt – weder in rechtlicher noch in faktischer Hinsicht vor27. Darum ist nun darüber nachzudenken, ob sich die Herstellerhaftung nicht – immer noch auf vertraglicher Ebene – über eine Teilnahmelösung konstruieren ließe. Grundidee dieses Ansatzes wäre, dass der Verbraucher auf irgendeine Weise in den Genuss der sich aus dem ersten Vertrag zwischen Hersteller und erstem Abnehmer ergebenden Wirkungen käme. Als erstes Teilnahmemodell bietet sich – zumindest theoretisch – der Vertrag zugunsten Dritter an.

C. Teilnahme am fremdem Vertrag I. Vertrag zugunsten Dritter Wie am Anfang dieser Arbeit dargestellt wurde, ist der Vertrag zugunsten Dritter die einzige echte Durchbrechung des Relativitätsprinzips: der einzige Fall, in welchem Parteien autonom in den Autonomiebereich eines Dritten eingreifen dürfen. Zulässig wird diese Rechtsfigur aus diesem Grund erst dann, wenn dem Dritten die Chance der Mitwirkung, im Zweifel also der Ablehnung mit der Folge anfänglicher Unwirksamkeit, eröffnet wird. Der Vertrag zugunsten Dritter stellt außerdem die einzige heute in der ganzen Union anerkannte Form der Drittwirkung dar28. Dies zumindest würde ihn zum Modell für die Herstellerhaftung prädestinieren. Dennoch kann der Vertrag zugunsten Dritter nicht dazu dienen, eine gewährleistungsrechtliche Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher zu begründen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Gewährleistungsrecht ja nicht Primär-, sondern Sekundärfolge des Kaufvertrags ist, der Verbraucher also vom Hersteller nicht unmittelbar begünstigt werden soll – nur hierzu könnte jedoch der Vertrag

27 Aus allem, was bisher gesagt wurde, ergibt sich außerdem, dass eine Herstellerhaftung, innerhalb der hier entwickelten Systematik, erst recht nicht als „Selbstbindung ohne Vertrag“ zu konstruieren wäre (so entwickelt von Koendgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981). Dieses Modell widerspräche von Grund auf dem in dieser Untersuchung verfolgten methodischen Ziel, die Selbstbindung (autonomes Vertragsrecht) von der Fremdbindung (heteronomem Schuldrecht) zu trennen. Nur auf diese Weise, so der in § 2 und § 3 entwickelte Ausgangspunkt, kann die Vertragstheorie dem Autonomieprinzip Rechnung tragen, und nur so kann bestimmt werden, wer potentieller Adressat einer autonomen oder heteronomen Rechtsquelle ist. Hiermit ist eine Kategorie wie die „Selbstbindung ohne Vertrag“ methodisch schon im Ansatz nicht in Einklang zu bringen. Zuzustimmen ist darum Canaris (Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27, 94): „Denn entweder stellt die Rechtsordnung den Parteien ein Instrument der Selbstbindung zur Verfügung – dann ist die Bindung rechtsgeschäftlicher und gegebenenfalls eben vertraglicher Natur; oder die Rechtsordnung bindet ihrerseits – dann handelt es sich nicht um Selbstbindung, sondern um Bindung kraft Gesetzes. Tertium non datur.“ 28 Zum Ganzen oben S. 19ff.

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§ 8: Konstruktion

zugunsten Dritter herangezogen werden29. Es wäre weiterhin eine gewaltige Überdehnung des Parteiwillens, wollte man davon ausgehen, der Hersteller und sein erster Abnehmer wollten bereits in ihrem Vertrag einen Verbraucher begünstigen, der aus ihrer Perspektive nicht mehr als irgendeine unbekannte Person ist, die ein ebenfalls noch nicht individualisiertes Verbrauchsgut erwerben wird. Vollständig unpraktisch und realitätsfern wäre schließlich das notwendige Zurückweisungsrecht des Verbrauchers30. II. Action directe Das französisch-belgische Rechtsinstitut der action directe konstruiert sich, wie oben dargestellt31, als Weitergabe gesetzlicher Garantien, also die Übertragung von Gewährleistungsrechten innerhalb der Lieferkette als „Zubehör“ der Kaufsache. Die action directe dient der europäischen Diskussion seit Veröffentlichung des Grünbuchs der Kommission im Jahre 1993 zwar als eine Art Leitbild der Herstellerhaftung; sie gibt dennoch in konstruktiver Hinsicht kein taugliches Modell ab. Dies liegt insbesondere an ihrer vertraglichen Konstruktion, die am eigentlichen Haftungsgrund, nämlich dem in die Ware gesetzten Vertrauen, vorbeigeht. Wenn das Warenvertrauen das zentrale Argument für die Herstellerhaftung ist, dann muss letztere vertragsunabhängig sein. Weiterhin krankt die action directe, wie jedes nicht vereinbarte, aber vertragliche Haftungsinstitut, das auf eigentlich heteronomer Grundlage beruht, an ihrer Abdingbarkeit: In Frankreich und Belgien lässt sich als zentrale Schwäche der action directe wahrnehmen, dass sich Haftungsmaßstab und Haftungshöhe nur aus dem Vertrag ergeben können, welchen der Schuldner der action directe abgeschlossen hat, bei Inanspruchnahme des Herstellers also aus dem ersten Kaufvertrag der Lieferkette. Dies ist bei rein vertraglicher Haftung zwar eine konstruktive Notwendigkeit, geht jedoch, wie gesagt, an der Sache vorbei und führt zudem zu nur schwer nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen: Von allen Schuldnern einer action directe in der Lieferkette hat der Hersteller als der im Zweifel Mangelverantwortliche den geringsten Teil zu tragen: „Nicht der Vertrag zwischen dem Hersteller und dessen Abnehmer führt diese Wirkungen herbei, sondern allenfalls das gesamte Vertragsgefüge einschließlich des Vertrages zwischen dem Letztabnehmer und dem Händler, und es ist deshalb nicht sachgerecht, die Schutzwirkungen allein an die erste Beziehung, die den Endabnehmer noch gar nicht berührt (!), anzuknüpfen.“32 29 Im deutschen Recht würde sich die unmittelbare Begünstigung in einem Anspruch auf Übereignung und Übergabe aus § 433 Abs. 1 BGB ausdrücken. 30 Zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als Modell für die Herstellerhaftung unten S. 269f. 31 Oben S. 172. 32 Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (499).

D. Verzicht auf vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers

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Es kommt hinzu, dass die action directe, da sie ja vertraglich konstruiert wird, nur unter Inkaufnahme einer wachsenden Zahl von Schuldnern und Gläubigern realisiert werden kann: Wenn Gewährleistungsansprüche durch die Handelskette weitergegeben werden sollen, ohne dass der jeweilige Abnehmer jeweils die seinigen verliert, so erwächst jedem Lieferanten mit jeder Handelsstufe ein neuer Gläubiger. Für die action directe bedeutet die Zubehörstheorie zwingend, dass jeder Zwischenverkäufer potentieller Schuldner ist; dies erscheint jedoch, wiederum unter Rekurs auf das Warenvertrauen des Verbrauchers, unnötig.

D. Verzicht auf vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers I. Vertraglich vereinbarte und gesetzlich vermutete Verantwortlichkeit Der Versuch, Drittschutz im Wege eines reinen Vertragskonzepts zu erreichen, leidet an einem strukturellen Defizit33, das letztlich darauf beruht, dass abstrakte Gerechtigkeitserwägungen nur unter Rekurs auf den individuellen Parteiwillen durchgesetzt werden können, und dies ist in sich widersprüchlich. Die Begründungen, mit welchen erwünschte Ergebnisse erreicht werden sollen, werden mit nicht vorhandenem Parteiwillen begründet und dadurch zugleich entscheidend geschwächt. Denn wo immer ein aus heteronomer Sicht „richtiges“ Ergebnis über ein Vertragskonzept durchgesetzt werden soll, droht die rechtsgeschäftliche Abbedingung. Bestünde hingegen ein außervertragliches Haftungsmodell, gäbe es dieses Klauselproblem nicht. Wer Drittwirkung vertraglich begründet, öffnet damit den Weg für einen rechtsgeschäftlichen Ausschluss des Drittschutzes und liefert den zu schützenden Dritten dem „Gutdünken der Vertragsparteien“ aus34. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Annahme eines Garantievertrags, und sei es auch in Gestalt einer implied warranty: Hier sind Freizeichnungsklauseln das erste Mittel, zu dem potentiell haftende Personen greifen werden35. Hieraus folgt weiterhin, dass es auf eine eigene gewährleistungsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers gegenüber seinem Abnehmer als Haftungsbegründungstatbestand nicht ankommen kann. Wie oben dargestellt, setzt die action directe in Frankreich und Belgien voraus, dass der in Anspruch Genommene selbst gewährleistungspflichtig ist, der Mangel also bereits zu dem Zeitpunkt vorgelegen hat, in welchem das Verbrauchsgut den Gefahrenbereich des jeweiligen Schuldners verlassen hat. Dies erklärt sich aus dem Wesen der action directe, die als durch die Vertragskette durchgereichte gesetzliche Garantie, als übergegangener Gewährleistungsanspruch, verstanden wird. Diese Konstruktion lässt sich 33 34 35

Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 526. Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 519. Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (14).

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§ 8: Konstruktion

der Natur der Sache nach nur aufrechterhalten, wenn der mit der action directe in Anspruch Genommene seinerseits bereits gewährleistungspflichtig ist. Die in der vorliegenden Untersuchung erarbeiteten Ergebnisse legen jedoch ein anderes Konstrukt nahe. Rechtsgrund für die Haftung des Herstellers ist gerade nicht der von ihm mit seinem Abnehmer geschlossene Vertrag. Eine rechtsgeschäftliche „Weitergabe“ der sich aus diesem Vertrag ergebenden Ansprüche erscheint zum einen konstruiert, ist zum anderen nur schwer mit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre in Einklang zu bringen und berücksichtigt, drittens, nicht den Rechtsgrund der Herstellerhaftung, nämlich das Verbrauchervertrauen in die Qualität. Dieses ist vertragsunabhängig. Damit scheidet nicht nur das französische, sondern jedes auf die Gewährleistungshaftung des Herstellers gestützte Modell aus. Ein weiterer Gesichtspunkt schließt es aus, den Kaufvertrag des Herstellers mit seinem Abnehmer in die Herstellerhaftung mit einzubeziehen, nämlich die jeweils unterschiedliche Beurteilung der Sollbeschaffenheit. Diese bildet, wie oben dargelegt wurde, einen wesentlichen Aspekt der Regressfalle, die auch durch ein opulent ausgestattetes Regressrecht nicht entschärft werden kann, solange dieses Regressrecht als Gewährleistungsrecht konzipiert ist. Auf die eigene gewährleistungsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers gegenüber seinem Abnehmer ist im Rahmen der Haftungsbegründung somit zu verzichten. Die Haftung muss darum ihrer Struktur nach eine gesetzliche sein. Dies ist nach all dem, was in dieser Untersuchung erarbeitet wurde, auch alles andere als eine Überraschung: Denn die Begründung der Herstellerhaftung (der Rekurs auf das Warenvertrauen des Verbrauchers) ist heteronomer Natur. Schon hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer – zumindest hinsichtlich der Haftungsbegründung beim Hersteller – grundsätzlich vertragsunabhängigen Konstruktion. Hiermit stellt sich sofort ein, allerdings lösbares, Wertungsproblem: Mit einer derartigen Unabhängigkeit der Haftung des Herstellers von seiner eigenen konkreten Mangelverantwortung lassen sich die Fälle nicht befriedigend lösen, in welchen der Mangel durch Dritte, insbesondere durch Zwischenhändler oder gar den Letztverkäufer selbst, verursacht wurde. Hier kommt einerseits das oben beschriebene spanische Modell36 in Betracht, das auf eine gewährleistungsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers völlig verzichtet und diesem stattdessen einen gesetzlichen Regressanspruch gegen den Verantwortlichen in der Lieferkette zuteilt. Dieses Modell ist, wie oben gesagt, ohne weiteres tauglich; es erweckt nur den Eindruck übergroßer Härte aufgrund der zurechnungsfreien Herstellerhaftung, der in ihr enthaltenen unwiderleglichen Garantievermutung. Es kommt hinzu, dass das spanische Modell durch die Subsidiarität der Herstellerhaftung

36

Oben S. 188.

D. Verzicht auf vertragsrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers

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abgeschwächt ist, was bei dem hier erarbeiteten Modell zumindest nicht zwingend so wäre37. Angemessener wäre es darum, diesen Fall mit einer Einwendung, wie sie das portugiesische Recht eingeführt hat38, zu lösen: In Portugal haftet der Hersteller ebenfalls unmittelbar gesetzlich dem Verbraucher gegenüber; er kann diesem jedoch im Sinne einer Einwendung entgegenhalten, das Verbrauchsgut sei zum Zeitpunkt des ersten Verkaufs noch mangelfrei gewesen, was er entsprechend allgemeinen Regeln auch zu beweisen hat. Diese Einwendung führt zu einem materiell überzeugenden Ergebnis: Der Anspruch gegen den Hersteller besteht im Grundsatz, seine Mangelverantwortung wird – entsprechend der in § 7 beschriebenen Marktstruktur von Warenvertrauen und Qualitätsverantwortung – vermutet; er kann sich im Einzelfall durch Beweis des Gegenteils jedoch von der Haftung befreien. Als Vorbild bietet sich das europäische Produkthaftungsrecht an: Der Hersteller wäre durch den Beweis entlastet, dass der Mangel nicht vorlag, als das Verbrauchsgut vom Hersteller in Verkehr gebracht wurde, oder dass der Mangel später entstanden ist39. Gegen diese Einwendung des Herstellers ließe sich möglicherweise anführen, sie stehe in systematischem Widerspruch zur Haftungsbegründung, da sie ja, gleichsam durch die Hintertür, die Mangelverantwortlichkeit wieder einführe. Dem ist jedoch nicht so: Es ist zwar richtig, dass die konkrete Verantwortung des Herstellers für den Mangel auf diese Weise wieder ins Spiel käme. Diese wäre jedoch jedenfalls nicht vertraglicher, sondern nur tatsächlicher Natur: Elemente aus dem ersten Kaufvertrag zwischen Hersteller und Abnehmer würden im Rahmen der geschilderten Einwendung keinerlei Rolle spielen, somit würde sich auch das Problem der vertraglichen Abbedingung nicht stellen. Der Struktur nach entspräche die Einwendung des Herstellers vielmehr dem (ebenfalls gesetzlichen) Produkthaftungsrecht, das ihm gegenüber der allgemeinen gesetzlichen Verantwortungsvermutung die Möglichkeit konkreter Widerlegung gibt40. II. Schuldner: Hersteller und Zwischenhändler Diese Loslösung der unmittelbaren Haftung von der vertraglichen Verantwortung des Haftenden ermöglicht es nun auch, den (oder die) Schuldner zu bestimmen. Diese Untersuchung hat diesen Punkt bislang noch nicht ermittelt, auch wenn zumeist, in gewisser Weise verräterisch, von der „Herstellerhaftung“ die 37

Hierzu unten S. 278. Oben S. 191. 39 Dies ist analog zu Art. 7b) der Produkthaftungs-Richtlinie 85/374/EWG formuliert. Nach dieser Vorschrift haftet der Hersteller nicht, wenn er beweist, „dass unter Berücksichtigung der Umstände davon auszugehen ist, dass der Fehler, der den Schaden verursacht hat, nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder dass dieser Fehler später entstanden ist“. 40 Art. 7b) der Produkthaftungs-Richtlinie; vgl. Fn. 39. 38

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§ 8: Konstruktion

Rede war. Die Varianten liegen im Modell der französisch-belgischen action directe einerseits, die auch den Zugriff auf Zwischenhändler ermöglicht41, und in der Beschränkung der Haftung auf den Hersteller andererseits. Unbestreitbar ist nach allen bisherigen Ausführungen die Gebotenheit einer unmittelbaren Haftung des Herstellers. Er ist derjenige, dem das Warenvertrauen entgegengebracht wird42. Für eine Haftung von Zwischenhändlern besteht hingegen kein Bedürfnis. Weder richtet sich das besondere Vertrauen des Verbrauchers auf sie, noch haben sie Einfluss auf die Qualität der Kaufsache. Kein einziger der Gesichtspunkte, die für weitere Gewährleistungsschuldner neben dem Letztverkäufer sprechen, deutet auf Zwischenhändler hin. Hinzu kommt, dass der Zwischenhändler als Kaufmann berechtigterweise mit dem Abschluss eines Geschäfts kalkuliert und damit ein schützenswertes Interesse daran hat, ein Geschäft als erledigt betrachten zu können und zumindest dann nicht mit Gewährleistungsansprüchen behelligt zu werden, wenn er selbst für den Mangel keine Verantwortung trägt43. Hieran würde sich auch in Fällen nichts ändern, in welchen Sachmängel tatsächlich aus der Sphäre eines Zwischenhändlers stammen und beispielsweise auf unsachgemäßer Zwischenlagerung beruhen. Für eine derartige „besondere Zwischenhändlerhaftung“ besteht nicht mehr Grund als schon bei geltender Rechtslage, und die Einbeziehung des Zwischenhändlers in der action directe ist auch nicht dessen besonderer, gesetzlich zu berücksichtigender Verantwortung geschuldet, sondern beruht einzig auf der vertraglichen Konstruktion der action directe bzw. der Zubehörstheorie, die dazu zwingt, sämtliche Mitglieder der Vertragskette in die Haftung mit einzubeziehen, ohne dass eine materielle Rechtfertigung hierfür vorliegt.

E. Gesetzlicher Schadensersatzanspruch: erweiterte Produkthaftung Aus den bisher gewonnenen Erkenntnissen wird eine gewisse Nähe von gewährleistungsrechtlicher Herstellerhaftung und gesetzlicher Produkthaftung wahrnehmbar. Diese speist sich, abgesehen von der parallel verlaufenden Anspruchsstruktur, aus drei Umständen: Zum ersten hat der oben44 angestellte Vergleich der Produkthaftung mit dem (heteronom strukturierten) Verbrauchsgüterkaufrecht ergeben, dass zumindest kein zwingender ökonomischer Grund dafür besteht, einerseits Hersteller für Integritätsverletzungen unmittelbar in die Haftung zu neh41

Oben S. 172, 184. Vgl. Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (503). 43 Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 190. 44 S. 222ff. 42

E. Gesetzlicher Schadensersatzanspruch: erweiterte Produkthaftung

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men, andererseits jedoch für „bloße“ Äquivalenzstörungen starr an der Relativität der Schuldverhältnisse festzuhalten. Hierzu gesellt sich nun, zweitens, die gerade ermittelte Struktur von Haftungsbegründung und Haftungsausschluss. Gesetzliche Herstellerhaftung müsste, wie die bereits bestehende Produkthaftung, gesetzlich begründet werden. Drittens ist bereits nach der lex lata der Herstellerbegriff im Produkthaftungsrecht und im Verbrauchsgüterkaufrecht parallel gestaltet. Der in der Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf aus dem Produkthaftungsrecht entliehene Herstellerbegriff umfasst auch jede Person, „die sich dadurch, dass sie ihren Namen, ihre Marke oder ein anderes Kennzeichen an den Verbrauchsgütern anbringt, als Hersteller bezeichnet“45. Dabei war es im Verbrauchsgüterkaufrecht nicht unmittelbar naheliegend, für den Fall, dass Hersteller bzw. Importeur selbst nicht ermittelbar sind oder nicht auf sie zugegriffen werden kann, ausgerechnet das Kennzeichen als Haftungsträger für den Händlerregress heranzuziehen. Denn bei der zu regelnden Rechtsmaterie, dem Kauf- und Garantierecht, handelt es sich um vertragliches Haftungsrecht, welches an und für sich in keinem unmittelbaren Zusammenhang zum Kennzeichenrecht steht. Dies ist im Produkthaftungsrecht zumindest insofern anders, als dort gesetzliches Haftungsrecht in Rede steht. Dennoch ist die Nähe der hier behandelten Herstellerhaftung im Gewährleistungsrecht zum Produkthaftungsrecht nur eine vordergründige. Beide Rechtsmaterien unterscheiden sich nicht nur in ihrer positiv-rechtlichen Ausgestaltung, sondern auch der Sache nach. Dies wird unmittelbar an den jeweils intendierten Rechtsfolgen sichtbar. Das Deliktsrecht als gesetzliches Schadensrecht ist auf Integritätswahrung gerichtet46. Das Interesse des Verbrauchers gegenüber dem Hersteller richtet sich im Verbrauchsgüterkaufrecht jedoch nicht auf Integrität, sondern auf Äquivalenz: Er will nicht unversehrt bleiben, sondern er möchte etwas bekommen, und dieser Wunsch ist, wie oben ausgeführt wurde, im Hinblick auf das Warenvertrauen, an dem auch der Hersteller interessiert ist, und im Hinblick auf die Qualitätsverantwortung des Herstellers schützenswert. Wenn also das Warenvertrauen einen maßgeblichen oder sogar den zentralen materiellen Gesichtspunkt zugunsten der Herstellerhaftung im Verbrauchsgüterkaufrecht bildet, so kann diesem ein reiner Schadensersatzanspruch auf keine Art und Weise gerecht werden. Produkthaftungsrecht als Grundlage gesetzlicher Schadensersatzansprüche scheidet demzufolge, auch in Form von „erweitertem Produkthaftungsrecht“, als Haftungsbegründung der Verbraucheransprüche gegenüber dem Hersteller aus. Dies verdeutlicht sich noch zusätzlich an den Haftungsvoraussetzungen von Schadensersatzansprüchen, die ja – im Rahmen gesetzlicher Haftung – entweder 45

Art. 1 Abs. 2 d) der Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf; parallel hierzu Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungs-Richtlinie 85/374/EWG. 46 Ausführlich M. Lehmann, Das wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht von Anbieter und Nachfrager, in: Forkel/Kraft, Festschrift für Hubmann, 1985, S. 255 (260, 261, 268).

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§ 8: Konstruktion

auf Verschuldens- oder auf Gefährdungshaftung beruhen47. Diese Erfordernisse bestehen nun nicht aus einem inneren Zwang heraus, sondern leiten sich aus der intendierten Rechtsfolge ab, der Wiederherstellung fremder Integrität, für die – als fremde Risikosphäre – im Grundsatz keine Verantwortlichkeit besteht, es sei denn, die Fremdverletzung beruht auf persönlicher Schuld oder zu verantwortender Gefährlichkeit. Die Bedingung von Verschulden und Gefährdungshaftung liegt somit nicht auf der Rechtsgrund-, sondern auf der Rechtsfolgenseite. Dieser Zusammenhang zwischen Haftungsgrund und Haftungsfolge im Schadensersatzrecht macht deutlich, wie untauglich Kriterien der Verschuldens- oder Gefährdungshaftung für das Verbrauchsgüterkaufrecht sind. Im Verbrauchsgüterkaufrecht geht es nicht um Schadensersatz, sondern um die Erfüllung von Qualitätserwartungen, und wer Qualität erwartet, tut dies unabhängig davon, ob ein Anderer fahrlässig gehandelt oder einen Gefährdungstatbestand gesetzt hat. Denn die erstrebten Rechtsfolgen im Verbrauchsgüterkaufrecht sind Gewährleistungsformen: Reparatur, Neulieferung, Minderung, Rückabwicklung. Unabhängig davon, wie sich diese in Einzelheiten gegenüber einem Nicht-Vertragspartner realisieren lassen48, kann jedwede Form von Verschulden keine notwendige Voraussetzung derartiger Ansprüche sein; dies würde diese Ansprüche in die Nähe des Schadensersatzes rücken – einer Rechtsmaterie, der sie nicht zugehören und die das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht mit Bedacht nicht umfasst49.

F. Kaufvertrag des Verbrauchers: Akzessorietät Dies führt zu einem weiteren Detail für die Konstruktion der Herstellerhaftung: Diese muss sich, wenn sie sachgerecht konstruiert werden soll, aus einem wirksamen Kaufvertrag des Verbrauchers mit dem Letztverkäufer herleiten, zur kaufrechtlichen Haftung des Letztverkäufers also akzessorisch sein, was im Produkthaftungsrecht ja gerade keine Voraussetzung ist. Ohne diesen Kaufvertrag sind jedoch, was eine Binsenweisheit darstellt, im herkömmlichen Kaufrecht schon keine Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Letztverkäufer denkbar. Es entsteht zudem, wenn man auf den Rechtsgrund der Herstellerhaftung rekurriert, auch kein berechtigendes Warenvertrauen diesem gegenüber beim Verbraucher. Erst mit dem eigenen Kaufvertrag wird ein möglicherweise vorher bereits abs47

Im deutschen Recht enthalten insbesondere die Produkthaftung (§§ 1ff. ProdHaftG), die Haftung des Kraftfahrzeughalters (§ 7 StVG), des Tierhalters (§ 833 BGB) sowie weitere sondergesetzliche Tatbestände kein Verschuldenserfordernis. 48 Hierzu unten S. 271. 49 Aus diesem Grund sind auch die Versuche, mit der culpa in contrahendo zur Herstellerhaftung zu gelangen, für das heute bestehende Verbrauchsgüterkaufrecht nicht mehr zielführend. Zuvor noch Lehmann, Die bürgerlichrechtliche Haftung für Werbeangaben – Culpa in contrahendo als Haftungsgrundlage für vertragsanbahnende Erklärungen, NJW 1981, 1233; ders., Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981.

G. Beschränkung auf heteronome Elemente

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trakt auf Werbeangaben oder frühere Erfahrungen gegründetes Warenvertrauen hinsichtlich einer Ware konkretisiert und damit zum Rechtsgrund der Herstellerhaftung. Hier ist er nun, der Vertrag zu Lasten Dritter, der seit § 1 dieser Untersuchung50 wie ein Damoklesschwert über der Herstellerhaftung schwebt. Nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen muss der Hersteller einerseits selbst vertragslos haften, andererseits muss seine Haftung durch den Vertrag zwischen Letztverkäufer und Verbraucher ausgelöst werden. Dies ist die vertragslose Haftung für fremdausgelöste Äquivalenzinteressen: auf den ersten Blick ein mehr als gewöhnungsbedürftiges Konstrukt, um nicht zu sagen, ein Ding der Unmöglichkeit, und zwar wegen eines Verstoßes gegen das Relativitätsprinzip. Es hilft – wie sollte es anders sein – der Heteronomiegedanke: Wenn der Relativitätsgrundsatz aus dem Autonomieprinzip folgt (und eine ernstzunehmende Alternative für diese Herleitung besteht, wie oben gezeigt, nicht51), beansprucht er für heteronome Vertragselemente keine Geltung. Auf diese ist die Herstellerhaftung zu begrenzen.

G. Beschränkung auf heteronome Elemente Da als einziges Konstrukt für die Herstellerhaftung die Verantwortlichkeit für das sich aus einem fremden Vertrag ergebende Äquivalenzinteresse bleibt, muss autonomes von heteronomem Recht getrennt werden. Würde die Herstellerhaftung durch autonome Vereinbarungen zwischen Verbraucher und Letztverkäufer ausgelöst werden können, so würde der Gesetzgeber gegen das Relativitätsprinzip in seinem normativen Gehalt verstoßen, wie es oben herausgearbeitet wurde. Die Gewährleistungshaftung des Herstellers muss also von vornherein auf die heteronomen Elemente im Verbrauchsgüterkaufrecht beschränkt bleiben. Diese wurden oben identifiziert52; es handelt sich im Rahmen der Haftungsbegründung einerseits um die Eignung „für die Zwecke, für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden“, sowie andererseits um die „Qualität und Leistungen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“53, einschließlich natürlich der Übereinstimmung mit „in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen über die konkreten Eigenschaften des Gutes“. Was die Rechtsfolgenseite angeht, sind prinzipiell alle Rechtsbehelfe heteronom begründet, welche die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zwingend vorschreibt, also Nacherfüllung, Minderung und Abstandnahme vom Vertrag. Es wird allerdings noch zu klären sein, ob jeder die50 51 52 53

Oben S. 5. Oben S. 13ff. S. 84ff. Art. 2 Abs. 2, Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf.

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§ 8: Konstruktion

ser Rechtsbehelfe gegenüber dem Hersteller zweckmäßig ist54. Schadensersatzansprüche auf das positive Interesse hätten indes von vornherein außer Betracht zu bleiben, da auch das Verbrauchsgüterkaufrecht diese nicht behandelt. Diese systemkonforme Beschränkung der Herstellerhaftung bringt es zum ersten, in systematischer Hinsicht, mit sich, dass nicht von Drittwirkungen, sondern von Außenwirkungen zu sprechen ist. Nicht die autonome Vertragsabrede, sondern der dem Vertrag heteronom beigegebene Gehalt dehnt sich auf den Hersteller aus, der nichts anderes ist als sachlich begründeter Adressat heteronomen Vertragsrechts. Hiermit lösen sich auch die Fälle, in denen sich der Mangel erst aus der Vereinbarung zwischen Letztverkäufer und Verbraucher ergibt. Auf autonome Parteivereinbarung kann, dies gebietet das Relativitätsprinzip, keine (dann tatsächlich!) Dritthaftung gegründet werden.

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht I. Einleitung Hiermit ist eine systematische Einordnung der Herstellerhaftung allerdings noch nicht erfolgt, im Gegenteil: Bis jetzt ist nur deutlich geworden, dass sie zwischen Vertrags- und Deliktsrecht liegt, was die Sache nicht einfacher macht, denn Vertrag und Delikt bilden die beiden „Kernkategorien des Privatrechts“; dies gilt für sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union55. Die Herstellerhaftung hingegen hätte sich in einer dazwischen befindlichen Grauzone anzusiedeln, denn einerseits ist eine ihrer Voraussetzungen ein wirksamer Kaufvertrag des Verbrauchers mit dem Letztverkäufer, und andererseits müsste die Haftung des Herstellers vertragsunabhängig begründet werden. Dieser „Graubereich“ ist dem deutschen Recht als dritte Spur bekannt: Es handelt sich um die oben beschriebenen nicht-rechtsgeschäftlichen, aber rechtsgeschäftsnahen Schuldverhältnisse, zu denen sich neben den in § 311 Abs. 2 und 3 BGB geregelten Konstellationen auch das zwischen dem falsus procurator und seinem Gläubiger56 sowie das zwischen Anfechtendem und Erklärungsgegner bestehende Verhältnis57 rechnen lässt. Bei großzügigem Verständnis des Konzepts gehört auch das Rückabwicklungsverhältnis bei unwirksamen Verträgen hinzu58. Gegen diese dritte Spur bestehen verschiedene Einwände. Zum ersten ist sie, zumindest als systematische Kategorie, eine deutsche Besonderheit, an deren Be54

Hierzu unten S. 271. Joerges/Brüggemeier, Europäisierung des Vertragsrechts und Haftungsrechts, in: Müller-Graff, (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. 1999, S. 301 (302). 56 § 179 Abs. 1 BGB. 57 § 122 Abs. 1 BGB. 58 § 812 Abs. 1 Satz 1, Fall 1 oder Abs. 1 Satz 2, Fall 1 BGB. 55

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

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rechtigung insbesondere aus rechtsvergleichender Sicht Zweifel angemeldet werden (hierzu gleich), und zum zweiten gibt es Theorien, die für sich beanspruchen, der Konzeption eines rechtsgeschäftsnahen, vertragslosen, aber dennoch bipolaren Schuldverhältnisses überlegen zu sein; die Rede ist von Netzwerk- und Leistungsverbundtheorien (hierzu unter III. und IV). II. Rechtsvergleichende Einwände Für den Graubereich zwischen Vertrags- und Deliktsrecht, in welchem eine unmittelbare Gewährleistungshaftung des Herstellers ohne Zweifel anzusiedeln wäre, bieten die vorhandenen bürgerlich-rechtlichen Kodifikationen naturgemäß wenig Lösungswege an. Das deutsche Recht ist hierbei mit seiner inzwischen erfolgten Regelung der gesetzlichen Schuldverhältnisse in vertraglichem Zusammenhang (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB) vergleichsweise weit fortgeschritten. Dennoch bleibt diese Konzeption Anzweifelungen ausgesetzt, die sich unter anderem aus rechtsvergleichenden Untersuchungen speisen. Rechtsvergleichende Betrachtungen dieser Konstruktion gelangen fast naturgemäß zu dem Ergebnis, die deutsche Regelung sei zu kompliziert und darum innerhalb des sich entwickelnden europäischen Privatrechts nicht vermittel- oder gar durchsetzbar. Ihre Ratio begründe sich zudem lediglich aus den Schwächen des deutschen Deliktsrechts, womit die dritte Spur zum deutschesten aller schuldrechtlichen Institute werde. Drittens zeige ein Blick in die von der Tradition des Code Napoléon beherrschten Rechtsordnungen, dass insbesondere die culpa in contrahendo ohne weiteres deliktsrechtlich verankert werden könne59. Das Verständnis der culpa in contrahendo in den (kontinentalen60) Mitgliedstaaten der Europäischen Union wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis von vertraglichem und gesetzlichem Haftungsrecht. Denn innerhalb Europas befindet sich Deutschland mit der rechtsgeschäftsähnlichen Konstruktion der culpa in contrahendo in der Minderheit61. Insbesondere die Länder des Code Civil ordnen die vertragslose Haftung aus geschäftlichem Kontakt dem rein gesetzlichen Haftungsrecht zu: „Dass die Haftungsfragen, die den traditionellen Kernbereich der culpa in contrahendo ausmachen, ein Stück Deliktsrecht ausmachen, ist für einen unter dem Code Napoléon ausgebildeten Juristen eine ausgemachte Sache“62. Von vornherein wurde beispielsweise gegen die Konstruktion der culpa in contrahendo als rechtsgeschäftsähnliche Haftung eingewandt, dass es sich bei ihr in 59 Zusammen mit Griechenland und Österreich, vgl. hierzu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 478. 60 Vollkommen unbekannt ist die culpa in contrahendo nur im Common Law, dem eine ausgebaute Lehre über Treu und Glauben fehlt; vgl. v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 475. 61 Zusammen mit Griechenland und Österreich, vgl. hierzu v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 478. 62 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 475.

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§ 8: Konstruktion

Wirklichkeit um „reines“ bzw. „genuines“ Deliktsrecht handele63. Diese Ansicht wird natürlich insbesondere durch den Rechtsvergleich gestützt, der – wie zumeist – ergibt, dass ein Konstrukt, das ähnlich kompliziert ist wie das deutsche, in unseren Nachbarstaaten oder anderenorts innerhalb der europäischen Gemeinschaft kaum zu finden ist. Hieran wird jedoch auch deutlich, dass rechtsvergleichende Argumente zwar rechtspolitische Hinweise enthalten mögen, inhaltlich jedoch nicht das letzte Wort darstellen können. Auch im Fall der Prospekthaftung stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Rechtsnatur des Anspruchs, nach seiner Einordnung zwischen Deliktsrecht und dem Recht der Schuldverhältnisse64. Christian v. Bar spricht von einer „allgemeine(n) Fahrlässigkeitshaftung, die alle Züge einer außervertraglichen Haftung trägt, so aber nicht bezeichnet werden darf, weil sie sich als deliktische im deutschen Recht nicht verwirklichen lässt“65. Ein Blick auf das europäische Umfeld ergibt denn auch, dass das deutsche Modell nirgendwo außer in Österreich – dort allerdings unter Berufung auf die deutsche Rechtsprechung zur culpa in contrahendo – gewählt wurde66. Die Einordnung der Prospekthaftung in das Deliktsrecht ist außerhalb Deutschlands und Österreichs, den Worten v. Bars zufolge, eine „bare Selbstverständlichkeit“67. Aus der bloßen Tatsache, dass ein rechtliches Modell komplizierter ist als ein anderes, folgt jedoch noch nicht seine materielle Unterlegenheit, solange die tatsächliche Situation selbst nur kompliziert genug ist, um es zu rechtfertigen: „Ohnehin ist es methodologisch und rechtsquellentheoretisch ganz dunkel, wie die Rechtsvergleichung es anstellt, die Dogmatik einer bestimmten nationalen Rechtsordnung etwas über den ‚wahren‘ Charakter von Pflichten zu ‚lehren‘. Denn dass die meisten oder auch alle ausländischen Rechtsordnungen die einschlägigen Probleme deliktsrechtlich lösen, kann doch wohl nicht im Ernst bedeuten, dass dies die allein ‚richtige‘ Lösung ist.“68

Dies bedeutet: Der Rechtsvergleich erfüllt eine wichtige Funktion, und er mag insbesondere als Anhaltspunkt dafür dienen, was auf europäischer Ebene möglich ist. Normative Gebote wird er hingegen nur schwerlich zutage bringen. Diese Untersuchung ist an einem Punkt angelangt, an welchem das reine Vertragskonzept ebenso ausscheiden musste wie ein rein deliktisches. Hinter diese Erkenntnis führt auch ein Rechtsvergleich nicht zurück. 63 Hierzu Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (85). 64 MünchKomm/Kramer, 4. Aufl., Einl. zu Bd. 2a Rdn. 88. 65 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 496. 66 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 497. 67 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 496, Fn. 531. 68 Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in: Canaris/Diederichsen, Festschrift für Karl Larenz zum 80. Geburtstag, S. 27 (86); anschaulich auch Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 463; „Wenn Schuldverhältnisse Vorgänge in Bewegung setzen, die rechtlich relevant sind, dann sollten wir nicht versuchen, Lösungen zu finden, die vom Schuldverhältnis abstrahieren.“

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

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III. Netzkonzepte Netzkonzepte zielen, verkürzt ausgedrückt, darauf, dem oben in § 2 beschriebenen Verlust an Bipolarität in der arbeitsteiligen Moderne mit einer Einschränkung von Bipolarität im Vertragsrecht zu begegnen. Die Konzepte sind darum tendenziell auf eine lex ferenda ausgerichtet, und ihnen ist zugleich meist eine Kritik an der dritten Spur zueigen; zu ihr sind sie gewissermaßen alternativ gedacht. Die von Teubner so bezeichneten hybriden Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Teilnehmer gleichzeitig miteinander kooperieren und zueinander in Konkurrenz stehen69; die Theorie versteht sich darum als Aufhebung der herkömmlichen Dichotomie von Kooperation und Konkurrenz. Sofern eine „Kollision von Handlungslogiken“ bestehe, sei diese nicht im Sinne eines „EntwederOder“ zu lösen70, sondern auf einem dritten Weg jenseits der Handlungslogik von entweder „Markt“ (Vertrag) oder Organisation (Gesellschaft). Diese dritte, für Netzwerke typische Handlungslogik sei eine „Rekombination von Tauschlogik und Kooperationslogik“71. Teubner stützt seine Theorie auf die widersprüchlichen Anforderungen, die auf dem Markt an Unternehmen gestellt werden. Er zwinge sie zunehmend gleichzeitig zu Kooperation und Wettbewerb, mit einem – begrenzt klangvollen – Neologismus als „Koopetition“72 bezeichnet. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie eigennützige, marktorientierte Elemente mit kollektiven, organisationsorientierten Elementen verbindet73. Diese janusköpfige Interpretation ist für die Wahrnehmung einer Vertriebskette auf den ersten Blick außerordentlich fruchtbar: In den Vertragsbeziehungen zwischen Hersteller, Zwischenverkäufern und Letztverkäufer sind ohne weiteres eigennützige wie auf den Verbundzweck hin ausgerichtete Interessenlagen erkennbar. Jeder Teil der Kette profitiert ebenso von einem guten individuellen Vertragsabschluss wie von einem Gelingen der Transaktion insgesamt (und künftiger Transaktionen). Gerade diese Offensichtlichkeit weckt jedoch Zweifel am Neuigkeitswert wie an der Handhabbarkeit des Verbundszwecks als eigennützigem und fremdorientiertem Gebilde. Denn überspitzt ausgedrückt lässt sich die janusköpfige Interes69 Teubner, Paradoxien der Netzwerke in der Sicht der Rechtssoziologie und der Rechtsdogmatik, in: Bäuerle u.a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? – Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, Baden-Baden 2003, S. 9 (16). 70 Teubner, Paradoxien der Netzwerke in der Sicht der Rechtssoziologie und der Rechtsdogmatik, in: Bäuerle u.a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? – Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, Baden-Baden 2003, S. 9 (16). 71 Teubner, Coincidentia oppositorum: Das Recht der Netzwerke jenseits von Vertrag und Organisation, in: Amstutz (Hrsg.) Die vernetzte Wirtschaft, 2004, S. 11 (28). 72 Teubner, Paradoxien der Netzwerke in der Sicht der Rechtssoziologie und der Rechtsdogmatik, in: Bäuerle u.a. (Hrsg.), Haben wir wirklich Recht? – Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, Baden-Baden 2003, S. 9 (17). 73 Teubner, Coincidentia oppositorum: Das Recht der Netzwerke jenseits von Vertrag und Organisation, in: Amstutz (Hrsg.) Die vernetzte Wirtschaft, 2004, S. 11 (28).

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§ 8: Konstruktion

senausrichtung in jedem Markt wahrnehmen, handele es sich bei diesem um eine Volkswirtschaft oder um den Dorfmarkt traditioneller Prägung. Die Teilnehmer an einem wirtschaftlichen Gebilde, das sich als „Markt“ bezeichnen lässt, sind neben der Verfolgung ihrer eigenen, individuellen Interessen immer auch darauf angewiesen, dass die Marktstruktur insgesamt funktioniert, dass also die Transaktionen überhaupt stattfinden können. Fraglich ist mit anderen Worten, worin die qualifizierende Besonderheit eines hybriden Netzwerkes liegt und inwiefern diese Besonderheit das Netzwerk strukturell gegenüber dem allgemeinen Marktmodell, das ebenfalls auf Konkurrenz wie Kooperation im weitesten Sinne angewiesen ist, unterscheidet. Die von Teubner vorgenommene Zuschreibung der kooperativen, fremdnützigen Zweckverfolgung an die Mitglieder einer Gesellschaft ist aus dem gleichen Grund wohl nicht weiterführend: Die Gesellschaft handelt ja als Ganzes wiederum auf dem Markt für sich, also eigennützig. Damit stellt sich Kooperation in Organisationen nur als eine Bündelung von Interessen zu letztlich eigennützigem Handeln dar, und diese Eigennützigkeit ist es, auf die ein marktorientiertes Privatrecht zu reagieren hat. Hier ist der eigennützig handelnde homo oeconomicus die, wenn auch nicht richtige, so doch wenigstens passende Hypothese. In jüngerer Zeit wurde von Rohe zudem der Versuch unternommen, das Pflichtenprogramm bei so genannten Netzwerkverträgen aus dem „Netzzweck“ heraus zu erarbeiten74. Netzverträge seien von vornherein darauf angelegt, eine letztlich einheitliche Transaktion durchzuführen. Dies ist der von Rohe so bezeichnete Netzzweck, der „den einzelnen Verträgen insgesamt zugrunde liegt“75. „Ein Netzvertrag entsteht auch nicht schon dann, wenn Waren oder Dienstleistungen über eine Kette selbständiger Beteiligter hergestellt oder vertrieben bzw. erbracht werden. Hier liegt zunächst eine inhaltlich unverbundene Aneinanderreihung selbständiger Primärtransaktionen vor. Ein Netzvertrag wird erst gebildet, wenn ein besonderer innerer Zusammenhalt durch Sekundärtransaktionen geschaffen wird (...). Netzverträge [setzen] voraus, dass alle Beteiligten vom wirtschaftlichen Ergebnis der Sekundärtransaktionen profitieren können.“76

Während Netzverträge sich also durch eine „inhaltliche innere Verbundenheit“ auszeichnen, indem „die angestrebten Transaktionen nur im koordinierten Zusammenwirken durchgeführt werden können“77, findet sich in der bloßen Absatzkette, der Theorie von Rohe zufolge, kein solches Element.

74 75 76 77

Rohe, Netzverträge, 1998, S. 8. Rohe, Netzverträge, 1998, S. 8. Rohe, Netzverträge, 1998, S. 498. Rohe, Netzverträge, 1998, S. 11.

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

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IV. Leistungsverbünde Als eine Frage der Drittbeziehungen in Vertragsketten ist die hier behandelte Herstellerhaftung ein Beispiel für das, was Picker „Haftungen zwischen Vertrag und Delikt“ nennt. Hiermit umschreibt er Fälle, „(...) die gekennzeichnet sind durch das Fehlverhalten eines Beteiligten innerhalb einer Leistungskette oder eines Systems vernetzter Verträge. Ihr Gegenstand sind also Leistungsstörungen in Leistungsverbünden, die auf ein einheitliches Gesamtvorhaben als Endziel hin organisiert sind: Solche Verbünde von Transaktionen hat das Gesetz nicht geregelt. Und es scheint ihnen auch nicht gewachsen zu sein. Die hier aufgeworfenen Haftungsfragen sind deshalb – so entspricht es der herrschenden Sicht, und so drängt es das Gesetz auch tatsächlich auf – mit den Figuren und Regeln des BGB nicht zu lösen.“78

Hieraus entwickelt Picker ein Modell, das im Unterschied zu den gerade vorgestellten Netzwerkkonzeptionen eher vom Deliktsrecht kommt. Picker interpretiert das Deliktsrecht strikt von der Handlungsfreiheit her. Die Entwicklung des Haftungsrechts zeige, dass in dem Maße, in dem man von einer fallweisen Regelung der Haftungstatbestände (wie noch im antikrömischen Recht) zum allgemeinen, dem Vernunftrecht entstammenden Grundsatz des neminem laedere kam, ähnlich einer Pendelbewegung das Bedürfnis nach Eingrenzung verstärkt wurde: „Den Juristen stellte sich fortan also die gerade entgegengesetzte (...) Schwierigkeit, die abstrakt fundierte Haftung auf Schadensersatz auch abstrakt zu begrenzen.“79

Ohne weiteres erklärbar ist hiermit die Haftungsvoraussetzung der Verletzung von absoluten Rechten bzw. Schutzgesetzen. Aber auch der Grundsatz, dass reine Vermögensschäden prinzipiell nicht ersatzfähig sind, folgt hieraus, denn die Ersatzfähigkeit reinen Vermögens impliziert die Anerkennung von Ansprüchen entfernter, nur mittelbar geschädigter Personen80. Hieraus zieht Picker den Schluss, die Nicht-Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden beruhe einzig darauf, den sich aus eigenem Fehlverhalten entwickelnden möglichen Gläubigerkreis überschaubar zu halten. Dieses Telos der Regelung einmal identifiziert, schließt Picker, dass die Nicht-Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden dort kein Dogma darstelle, wo der potentielle Gläubigerkreis – aus welchen Gründen auch immer – a priori bereits eingegrenzt sei81.

78 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397. 79 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (435, 436). 80 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (436). 81 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (437).

264

§ 8: Konstruktion

Dieses Argument ließe sich für die Herstellerhaftung im Verbrauchsgüterkaufrecht ohne weiteres fruchtbar machen: Da pro Verbrauchsgut in der Regel nur ein Endkunde in Betracht kommt, der Gewährleistungsrechte geltend macht, kann vom Risiko unübersehbarer Gläubigerscharen keine Rede sein. Eine Haftungserweiterung ergäbe sich auch nicht aus eventuell bestehenden Ansprüchen von Letztverkäufern, Zwischenhändlern oder gar einem Verbraucher, der das Verbrauchsgut seinerseits als gebrauchtes weiterveräußert, da jeder von ihnen gleichzeitig Gewährleistungsschuldner wäre und sich damit hinsichtlich bestehender Mängel in einer zum Hersteller zumindest gesamtschuldnerähnlichen Position befände. Fraglich ist dennoch, ob die von Picker gezogenen Schlüsse auf den richtigen Prämissen beruhen. Denn der Grundsatz, dass reine Vermögensschäden nicht ersatzfähig seien, ist nicht das Dogma, als das Picker es darstellt. Er ist vielmehr eine Folge der tatbestandlichen Ausgestaltung von § 823 Abs. 1 BGB (und nur dieser Vorschrift!) und damit eine Konsequenz der Absolutheit des Deliktsrechts als solchen. Denn bereits die Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 BGB impliziert die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden, von der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB ganz zu schweigen. Wenn also überhaupt etwas dogmatischen Charakter hat, dann ist es die Wirkung des Deliktsrechts gegenüber jedermann, und diese ist nicht anders als heteronom ausgestaltet denkbar. Aus genau dieser Heteronomie folgt jedoch rechtslogisch, dass entweder absolut geltende Rechte geschützt werden (ausschließlich dies ist es, was zur Nicht-Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden führt), und dies können nur Rechte aus heteronomer Quelle sein, oder dass der Gesetzgeber – wiederum heteronom – spezielle Schutzgesetze einführt, in welchen er bestimmte Rechtsgüter – das reine Vermögen eingeschlossen – für absolut, d.h. jedermann gegenüber schutzwürdig erklärt. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Diese Überlegung als richtig vorausgesetzt, ergibt eine rechtsvergleichende Betrachtung, dass der Grundsatz des neminem laedere, betrachtet auf der Grundlage heteronomer Rechtssetzung, nichts anderes ist als ein Schutzgesetz. Dennoch ist Picker in der Hinsicht zuzustimmen, dass die deliktsrechtlichen Regelungen sich der Sache nach als Mechanismen zur Begrenzung von Haftung verstehen lassen und darum ihrem Sinn und Zweck nach dort nicht zur Anwendung kommen müssen, wo eine unerwünschte, die Handlungsfreiheit unangemessen einschränkende Haftung nicht zu befürchten steht. Fraglich ist nur das Vehikel, mit welchem die Haftung vom Anspruchsteller transportiert werden soll, also der Tatbestand, welcher haftungsbegründend zu erfüllen ist, und hierbei handelt es sich um eine Frage der Zurechnung. Betrachten wir noch einmal die möglichen Tatbestände zur Begründung von Haftung einer Person gegenüber einer anderen: Im Bereich autonom vereinbarter Pflichten und deren Verletzung ist es genau diese Vereinbarung, also die im Vertrag zum Ausdruck kommende Selbstbindung, aus der heraus Haftung sich begründet. Soweit

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

265

wir uns im Falle des Verbrauchsgüterkaufrechts nicht im Bereich autonomer Vereinbarungen befinden, scheidet diese Form der Haftungsbegründung aus. Auf der anderen Seite der Skala findet sich, als klassischer Fall heteronomer Haftung, die Verletzung eines absoluten Rechts, das im Bereich der gesetzlichen Haftung schon und nur deswegen geschützt wird, weil es absolut ist und gegen jedermann, unabhängig von jeder Willensbetätigung, wirkt. Die Absolutheit dieser Rechte ist eine „vor-deliktische“, vom Deliktsrecht unabhängige, auf welche das Deliktsrecht selbst nur reagiert: Eigentum und Persönlichkeitsrechte können in der bürgerlichen Gesellschaft der Natur der Sache nach nur absoluten Charakter haben; ein von vornherein relatives Eigentum wäre ebenso wenig funktionsfähig, wie nur relativ wirkende Persönlichkeitsrechte denkbar sind. Die absoluten Rechte werden also nicht durch das Deliktsrecht zu solchen gemacht, sondern sie wären auch dann absolut, wenn es für sie keinen Deliktsschutz gäbe. Mit derartigen Rechten haben wir es im Verbrauchsgüterkaufrecht ebenfalls nicht zu tun. So bleibt drittens und letztens eine Fallgruppe, die mit dem Wort „Schutzgesetz“ nicht vollständig umschrieben ist: In formeller Hinsicht handelt es sich um den Schutz an und für sich nur relativer Rechte gegenüber jedermann, um Fälle also, die innerhalb der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers liegen. Materiell muss der Gesetzgeber an dieser Stelle jedoch begründen, warum ein bestimmtes Interesse, das eigentlich nicht gegenüber dem „Schädiger“ geschützt ist, dennoch ausnahmsweise ersatzfähig sein soll. Diese Begründung kann, da das Interesse selbst keine absolute Wirkung hat, nur über die tatbestandliche Verwirklichung der Verletzung geschehen, also über die Sanktionierung geschäftlichen Kontakts82, die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bei fremden Verträgen83, die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung84, betrügerisches Verhalten85 etc. Damit konzentriert sich die Problematik der Konstruktion von Herstellerhaftung im Gewährleistungsrecht tatsächlich auf die Frage danach, welchen Tatbestand der Gesetzgeber als haftungswürdig erachtet. In diesen Rahmen ordnen sich nun die Ausführungen von Picker ein, der, ausgehend von der geforderten Überschaubarkeit des Gläubigerkreises, auf die „gewählten Kooperationsformen“, den „faktischen Leistungsverbund“ abstellt, also darauf, dass mit der Teilnahme an einem auf eine hervorzubringende Leistung hin strukturierten, wenn auch rechtlich nicht erfassten Organismus eine Entscheidung für Beziehungen getroffen wird, deren Existenz dann das Risiko einer Haftung begründet. „Damit ist jeder Mitwirkungswillige in dem Verbund in der Lage, durch die Art und das Maß seines Kooperierens mehr oder minder präzise auch dessen Folgen zu steuern und für 82 83 84 85

§ 311 Abs. 2 BGB. § 311 Abs. 3 BGB. § 826 BGB. §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB.

266

§ 8: Konstruktion

den Fall einer Schädigung abzuschätzen. Jeder, der sich zur Teilnahme an solchen komplexen Transaktionen entschließt, weiß also, worauf er sich einlässt.“86

Diese Begründung von Haftung, die nur als deliktische oder zumindest deliktsnahe Haftung de lege ferenda denkbar ist87, stimmt allerdings nur dann, wenn die Überschaubarkeit von Haftung und damit insbesondere die Überschaubarkeit des Gläubigerkreises tatsächlich als die Maximen eines modernen, nicht mehr kasuistisch-einzelfallorientierten Deliktsrechts anzusehen wären. Dies ist aber nicht zweifelsfrei so. Denn wenn das oben Gesagte richtig ist, muss Deliktsrecht, wo es nicht-absolute Rechte schützt, ein anderes Vehikel zur Haftungsbegründung finden, und dies muss in irgendeiner Form von Tatbestandsverwirklichung, seien es objektive oder subjektive Merkmale, liegen. Das Deliktsrecht hat darum, abseits der von Picker zutreffend herausgearbeiteten Gläubigerinteressen, noch (mindestens) eine weitere Aufgabe, und diese ist die Absicherung eines bestimmten gesellschaftlichen status quo, der sich dort, wo es nicht um den Schutz einzelner absoluter Rechtsgüter wie Leben, Eigentum und Freiheit geht, gerade in der Sanktion bestimmter Verhaltensweisen realisieren muss. Diese Anforderung an ein funktionierendes gesetzliches Schuldrecht wiederum bringt für den Gesetzgeber die Pflicht mit sich, diese sanktionierten Verhaltensweisen auch hinreichend genau zu bestimmen, und hier scheint die „Teilnahme an einem faktischen Leistungsverbund“ kein Tatbestandsmerkmal zu sein, mit welchem sich die Sanktion bestimmter Verhaltensweisen rechtfertigen lässt. Über diese ist nämlich, anders als im Fall der Schutzgesetzverletzung oder der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, bei der bloßen „willentlichen Kooperation“ noch gar nichts gesagt, und diese tatbestandliche Unschärfe dürfte unaufhebbar sein. Damit könnte festgehalten werden, dass die Verbundtheorien zwar unverzichtbare Voraussetzungen für eine Erfassung der Rechtswirklichkeit durch das Schuldrecht bieten; sie liefern hingegen, zumindest bislang, noch nicht die tatbestandliche Schärfe, um dem Bereich zwischen Vertrag und Delikt gerecht zu werden. Die Abbildung der Rechtswirklichkeit ist eine zwar notwendige, nicht jedoch hinreichende Voraussetzung für Schuldrecht. Dieses bedarf einer tatbestandlichen Eingrenzung (kodifiziert oder nicht), die – es sei wiederholt – sachliche Rechtfertigung für die Adressierung von Rechtssubjekten mit heteronomem Recht liefert. Oben88 wurde diese sachliche Rechtfertigung an den vertragslosen Außenwirkungen im deutschen Schuldrecht überprüft und im Wesentlichen für tauglich befunden. Darum soll auch nun auf diese Mechanismen zurückgegriffen werden. 86 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (446). 87 Picker, Gutachterhaftung, in: Beuthien u.a. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Medicus, 1999, S. 397 (426, Fn. 73). 88 § 3, S. 28ff.

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

267

V. Dritte Spur: Sonderbeziehung („Marktbeziehung“) Wer die Herstellerhaftung als rechtspolitisch wünschenswert ansieht, hat – nach Ablehnung eines Vertrags und der Deliktshaftung – kaum einen anderen methodischen Ausweg, als ein vertragsloses Schuldverhältnis in vertraglichem Zusammenhang zu begründen. Diese Untersuchung hat für das deutsche Recht in § 3 einen Überblick über diese Schuldverhältnisse gegeben. Erstes Problem ist die Adressierung, also die nun tatsächlich notwendige Konstruktion eines vertragslosen Schuldverhältnisses zwischen Hersteller und Verbraucher, das – ungewohnt genug – durch den Kaufvertrag zwischen Verbraucher und Letztverkäufer ausgelöst wird. Eine sachliche Rechtfertigung hierfür wurde in § 7 gegeben; hier soll es nun nicht mehr um das „Für und Wider“ gehen, sondern nur noch um die Konstruktion, um Rechtstechnik. Ein tatsächliches Verhältnis zwischen Verbraucher und Hersteller lässt sich, wenn die bislang gemachten Feststellungen richtig sind, schwerlich leugnen. Die ökonomische Analyse verwendet für diese Beziehung, die noch nicht an ein Vertragsband heranreicht, den Begriff der „Marktbeziehung“89. Canaris plädierte schon im Jahre 1968 dafür, die (seinerzeit noch nicht kodifizierte) Produzentenhaftpflicht jedenfalls nicht als „Jedermann-Lösung“ unter Rückgriff auf das Deliktsrecht, sondern unter der Annahme eines gesetzlichen, auf Vertrauen gegründeten Schuldverhältnisses zu behandeln90. In eine ähnliche Richtung hatten bereits Ausführungen von Werner Lorenz und Gernhuber aus dem Jahr 1963 gezielt. Das Deliktsrecht werde dem Verhältnis von Hersteller und Kunde nicht gerecht, da es sich bei den deliktisch geschützten Pflichten um allgemeine Pflichten handele, die für das „zufällige“ bzw. „unerwünschte“ Aufeinandertreffen kodifiziert seien91. Außerdem müsse sich die Haftung des Warenherstellers auch auf reine Vermögensschäden erstrecken, was insbesondere in den Fällen sichtbar werde, in welchen der Letztkäufer einer Ware durch ihren Einsatz Dritten gegenüber haftbar würde92. Dies war auch der Grund, warum sich die deutsche Rechtswissenschaft für die Produkthaftung seinerzeit eher zu einem am Modell des Schuldverhältnisses

89

Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl. 2000, S. 315. Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (505). 91 Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (14). 92 Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1 (2). Hierzu nochmals Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (498): „Damit geht die Fragestellung nun aber vollends in eine viel grundsätzlichere über, nämlich in die, ob die Produzentenhaftpflicht denn überhaupt in ihrer Problemstruktur zutreffend erfasst ist, wenn man sie dem Deliktsrecht zuordnet und sie damit als ein ‚Jedermann-Problem‘ und nicht als ein Sonderproblem gerade der Beziehung von Hersteller und Endabnehmer qualifiziert.“ 90

268

§ 8: Konstruktion

(„Sonderverbindung“93) orientierten Haftungsinstitut hingezogen fühlte als zur – später Wirklichkeit gewordenen – gesetzlichen Haftung94. Gernhuber kündigte seinerzeit an, die Rechtsprechung, welche die Produkthaftung damals noch ausschließlich mit Verkehrssicherungspflichten in den Griff zu bekommen versuchte, werde dereinst vor der Alternative stehen, „den Verbraucherschutz zu schmälern oder endlich anzuerkennen, dass der Warenhersteller auch aus rechtlicher Sonderverbindung haften kann“95. Bekanntermaßen wurde diese Frage auf europäischer und dann auch auf deutscher Ebene zugunsten der gesetzlichen Gefährdungshaftung entschieden. Nichtsdestoweniger waren die Überlegungen, die seinerzeit für eine Ausweitung der Haftung aus Schuldverhältnissen über die reinen Vertragsbeziehungen hinaus auf die Beziehung des Verbrauchers zum Hersteller gesprochen haben, damit nicht sachlich falsch. Welche konstruktiven Möglichkeiten bietet das geltende Recht nun an, um dieser tatsächliche Beziehung auch rechtlich zu entsprechen? Oben wurde die im deutschen Recht kodifizierte Eigenhaftung von Personen erörtert, mit denen eine Vertragsbindung nicht intendiert ist (Vertreter- und Sachwalterhaftung)96. Der Wortlaut von § 311 Abs. 3 BGB mag zwar keine unmittelbare Subsumtion für die Herstellerhaftung anbieten97; vom Rechtsgedanken her ist die Vorschrift jedoch auf das Verbrauchsgüterkaufrecht übertragbar. Denn in beiden Fällen geht es um die vertragslose Inanspruchnahme besonderen Vertrauens: Der Hersteller eines Verbrauchsguts nimmt dieses ebenso für sich in Anspruch (als Warenvertrauen98), wie es die Vorschrift des § 311 Abs. 3 BGB idealtypisch für die Vertreterund Sachwalterhaftung erfordert. Ähnliches gilt für die Prospekthaftung. Wie oben festgestellt wurde, gründet sich die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung des deutschen Rechts auf Vertrauen, das sich weder an persönlich bekannte Personen richten noch durch besondere Beeinflussung fremder Verträge entstanden sein muss. Es liegt auf der Hand, dass dies für eine Herstellerhaftung im Gewährleistungsrecht ebenfalls gelten müsste. Der Prospekthaftung könnte somit ein gewisser Modellcharakter für die Herstellerhaftung zukommen. Hierfür spricht auch, dass sowohl der Prospekthaftung als auch Teilen des Gewährleistungsrechts (nämlich insbesondere der Haftung für Werbeangaben) Aspekte der Informationshaftung zugrunde liegen. Hier weisen beide Rechtsinstitute deutliche Parallelen zueinander auf. Zu 93 Besonders eindringlich Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1. 94 Vgl. Werner Lorenz, Warenabsatz und Vertrauensschutz, VersR 1963 (Beiheft), 8 (15). 95 Gernhuber, Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, VersR 1963 (Beiheft), 1 (6). 96 Oben S. 46ff.: Haftung in vertraglichem Zusammenhang. 97 Hierzu Schultz, in: Westermann (Hrsg.), Schuldrecht 2002, S. 46. 98 Zum Warenvertrauen oben S. 198ff.

H. Herstellerhaftung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht

269

fragen wäre darum insbesondere danach, warum der Informationsverantwortliche im einen Fall (Prospekthaftung) unmittelbar in die Vertrauenshaftung genommen wird, im anderen Fall (Gewährleistungshaftung) allenfalls mittelbar, im Regresswege. Es ist darum naheliegend, aus dem oben beschriebenen Warenvertrauen sowie aus der Tatsache, dass sich hierauf ja das ökonomische Modell der Vertriebskette stützt, ein besonderes Vertrauen abzuleiten. Dieses muss, wie gesagt, gar nicht konkret unter § 311 Abs. 3 BGB fallen, denn hier geht es nicht um die Subsumtion einer Norm. Es geht um die Rechtfertigung dafür, Vertragsfremde mit heteronomem Recht zu adressieren, und hier bietet der Rechtsgedanke des § 311 Abs. 3 BGB mit der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens einen Begründungsweg. VI. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Wie oben ausgeführt wurde99, hat der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in Deutschland seit der Schuldrechtsreform Eingang in das Verbrauchsgüterkaufrecht gefunden, und dies quasi durch die Hintertür: Im Falle nachträglicher Werbeangaben und mehr als zweigliedriger Vertragsketten soll auf diese Rechtsfigur zurückgegriffen werden, indem der Letztverkäufer in den Schutzbereich des ersten Kaufvertrags in der Handelskette einbezogen wird. Überraschenderweise hat sich die deutsche Rechtswissenschaft diesem Modell also auf einem Nebenschauplatz geöffnet, nämlich bei der Frage der Werbeangaben nach Gefahrübergang (nachträgliche Werbeangaben). Es scheint sich hierbei allerdings um eine eher einzelfallorientierte, dezisive Argumentation zu handeln, die der Notlage geschuldet ist, dass für das Phänomen nachträglicher Werbeangaben bislang keine andere adäquate Lösung gefunden werden konnte. Die weiteren Implikationen eines solchen Modells im deutschen Recht sind dementsprechend ungeklärt. Was allerdings den Schutz des Verbrauchers selbst betrifft, so wird nach wie vor davon ausgegangen, dass eine Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu seinen Gunsten nicht mit der geltenden Rechtslage in Einklang zu bringen sei: Der letzte Käufer gehöre nicht zu dem Personenkreis, für welchen den Händler eine Fürsorgepflicht träfe100. Hierin liegt, wie auf den ersten Blick deutlich wird, ein erheblicher Widerspruch: Dieser Lösung zufolge soll der Hersteller zwar einerseits in einem Näheverhältnis mit dem vorletzten (und letzten gewerblichen) Glied der Handelskette stehen, jedoch weder mit seinem eigenen Abnehmer noch mit dem Endkunden. Ein Grund für diese Differenzierung liegt nicht auf der Hand. Mit mindestens der gleichen Berechtigung ließe sich das umgekehrte Modell wählen, nach welchem

99 100

Vgl. oben S. 209. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 908.

270

§ 8: Konstruktion

der Verbraucher eher als der Letztverkäufer in die Schutzwirkungen der Verträge einbezogen wäre: Schließlich ist er es, der am Ende der Ware und den mit ihr eventuell verbundenen Gefahren ausgesetzt ist. Angesichts dieser künstlich anmutenden Überlegungen zu den Einbeziehungsvoraussetzungen und zu den Schutzwürdigkeiten hinsichtlich der verschiedenen Abnehmer wird deutlich, wie fehl der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in der kaufrechtlichen Vertragskette am Platz ist. Angemessen wäre es, ihn als Rechtsfigur ganz aus der Vertragskette herauszuhalten, denn es kann in keiner einzigen der innerhalb einer Lieferkette in Frage kommenden Rechtsbeziehungen überzeugend von Gläubigernähe die Rede sein, noch ließe sich irgendein personenrechtlicher Einschlag wahrnehmen, der eine Anwendung dieses Rechtsinstituts rechtfertigen würde. Dies entspricht ja auch dem, was Rechtsprechung und Literatur bis zur Schuldrechtsreform ganz einhellig angenommen haben101, und es lag sicherlich nicht in der Absicht des Modernisierungsgesetzgebers, hieran etwas zu ändern; zumindest hat er dies nicht signalisiert. Es kommt hinzu, dass selbst bei einer Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte das in Rede stehende Hauptproblem nicht gelöst würde, nämlich die Erfüllung der Kriterien von Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte stellt schon aus dem einfachen Grund kein effektives Mittel im Sinne der Richtlinie dar, weil er eine bloße Verschuldenshaftung statuiert102. Anders als in Deutschland wurden in Österreich die Regeln vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zugunsten des Endkäufers in einer Vertragskette angewandt; dies geschah allerdings nur bis zum Inkrafttreten des gesetzlichen Produkthaftungsrechts103. Was einer action directe nach französischem Vorbild also zumindest nahe zu kommen scheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als gar nicht so weit vom deutschen Recht entfernt, da sich die Haftung, die mit diesem Institut erreicht wird, auf Integritätsverletzungen beschränkte104.

101

Für die Rechtsprechung BGH im Prüfzeichen-Urteil, 14. 5. 1974, NJW 1974, 1503; für die Literatur Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 521; Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282); Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (499). 102 Nebenbei stünde auch das Kriterium der Schutzwürdigkeit einer derartigen Nutzbarmachung im Wege: Alle in Betracht kommenden Gläubiger haben im Zweifel ihrerseits bereits gleichgerichtete vertragliche Ansprüche gegen die jeweiligen Vorderleute, und nach deutscher Rechtsprechung kommen in den Genuss der Schutzwirkungen nur vertragslose Dritte, also solche, die keine eigenen vertraglichen Ansprüche gegen den Gläubiger der Leistung haben; Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 526.; Faber, Der Rückgriff des Letztverkäufers nach § 933b ABGB, IHR 2004, 177 (189). 103 V. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht (Bd. I), 1996, S. 486. 104 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 181.

I. Rechtsfolgen

271

In Deutschland haben es Rechtsprechung wie Literatur105 ganz überwiegend abgelehnt, weitere Erwerber in der Veräußerungskette als eine dem Erstkäufer derart nahestehende Person zu akzeptieren. Exemplarisch sei aus dem Prüfzeichen-Urteil des BGH106 zitiert: „Für eine Erstreckung der vertraglichen Schutzwirkungen auf einen an dem Vertrag nicht beteiligten Dritten ist grundsätzlich nur Raum, wo der Händler auf Grund von durch Schutz- und Fürsorgepflichten besonders gekennzeichneten Beziehungen zu diesem hieran ein besonderes Interesse hat und der Hersteller dem nach Treu und Glauben Rechnung tragen muss. Ein solches, durchweg durch einen personenrechtlichen Einschlag gekennzeichnetes Verhältnis bestand zwischen der Klägerin und der Firma E-GmbH nicht.“

Sollte der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im Kaufrecht überhaupt eine Rolle spielen, so kommen hiernach als potentielle Anspruchssteller also nicht spätere Käufer, sondern allenfalls Familienangehörige des Käufers, Mitglieder seines Haushalts oder Mitarbeiter als geschützte Dritte in Betracht107.

I. Rechtsfolgen I. Äquivalenz und Integrität Wenn man mit dieser Untersuchung zu dem Schluss kommt, dass die unmittelbare Haftung des Herstellers gegenüber dem Verbraucher ein sinnvolles und für das europäische Kaufrecht erstrebenswertes Instrument darstellt, so ist die Frage nach der Rechtsfolge noch nicht beantwortet. Es geht im Rahmen der Mangelhaftigkeit gekaufter Gegenstände ja nicht um Integritätsinteressen, sondern um das Äquivalenzinteresse („Transaktionsinteresse“108), also das angemessene Verhältnis von Leistung und Gegenleistung109. Bei den bislang behandelten vertragslosen Schuldverhältnissen war dies anders: Insbesondere die Prospekthaftung ist auf das negative Interesse gerichtet110, während die hier behandelte Gewährleistungshaftung die Erfüllung vertraglicher Er-

105 Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 521; Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282); Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, 494 (499). 106 BGH v. 14. 5. 1974, NJW 1974, 1503. 107 Ablehnend auch K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (302); Lem, Die Haftung für fehlerhafte Produkte nach deutschem und französischem Recht, 1993, S. 33. 108 M. Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983, S. 89. 109 Das Interesse des Käufers, „für sein gutes Geld eine gute Ware zu erhalten“; Reinicke/ Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rdn. 955. 110 MünchKomm/Emmerich, 4. Aufl., § 311 Rdn. 171.

272

§ 8: Konstruktion

wartungen und somit das positive Interesse, die „Vertrauensentsprechung“111, zum Gegenstand hat. Auch die vertragslosen Schuldverhältnisse nach § 311 Abs. 2 und 3 BGB richten sich nicht auf Leistungspflichten, sondern allenfalls auf den Ersatz des Integritätsinteresses, des negativen Interesses, des „Schutzinteresses“112. Diese Verhältnisse bewirken darum, wie gezeigt wurde, nur weitere Verhaltenspflichten bzw. Ansprüche auf Schadensersatz bei deren Verletzung. Die mit der Schuldrechtsreform eingeführte Vorschrift des § 311 Abs. 3 BGB hat diesen Zustand gleichsam zementiert: Außenwirkungen von Schuldverhältnissen beschränken sich auf weitere Verhaltenspflichten (Schutz- und Obhutspflichten, § 241 Abs. 2 BGB). Autonom vereinbarte Leistungspflichten entfalten keine Verpflichtungswirkung gegenüber Dritten, was im Grunde nichts anderes darstellt als das in Gesetzesform gegossene Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter. Die Begründungen, die in Deutschland zugunsten von Rechtsfiguren wie dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte geführt wurden, hatten auch bislang nie das Ziel, eine (vertragliche) Erwartung dieses Dritten zu erfüllen. Es ging in allen Fällen ausschließlich darum, ihn vor Eingriffen in seinen Rechtskreis zu schützen. Hierin verbirgt sich zugleich die Unterscheidung zwischen Verletzungen des Integritätsinteresses, die nach deutschem Recht der erga omnes geltenden gesetzlichen Haftung zugänglich sind, und bloßen Verletzungen des Äquivalenzinteresses, die in das nur relativ wirkende Recht der Schuldverhältnisse verwiesen werden. Besonders deutlich wird diese Unterscheidung an der Diskussion um die Produkthaftung, die in Deutschland in den 1960er Jahren einsetzte. Zahlreiche Beiträge verwiesen zwar auf das Vertrauensverhältnis des Verbrauchers zum Hersteller; es wurde jedoch zugleich immer äußerste Mühe darauf verwendet, dieses Vertrauensverhältnis nur in den Dienst der Verbraucherintegrität zu stellen und es nicht für seine Äquivalenzinteressen nutzbar zu machen. Im Rahmen des Schadensersatzes (der einen, aber nicht den einzigen Aspekt der Fragestellung bildet) verwirklicht sich diese Abgrenzung an der Unterscheidung zwischen Mangelund Mangelfolgeschäden. Diederichsen bringt diese Sorge auf den Punkt: „Abschließend bedarf es einer Klarstellung: Die Produktehaftpflicht verfolgt ausschließlich den Schutz vor Mangelfolgeschäden, soll also die Nachteile ausgleichen, die der Verbraucher infolge der Gefährlichkeit des Produkts an seinen übrigen Rechtsgütern, Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum erleidet. Sie dient jedoch nicht dazu, die reine Sachmängelgewährleistung zu erweitern, die dem Käufer (...) im Wesentlichen die bloße Gebrauchsmöglichkeit sichern soll. Schlagwortartig gesprochen geht es um die Gebrauchssicherheit, nicht um das Gebrauchsinteresse.“113 111 Zu dieser Zweiteilung auf der Rechtsfolgenseite grundlegend Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S. 5 und S. 518ff. 112 Hierzu, lange Zeit vor der Schuldrechtsreform, Canaris, Ansprüche wegen positiver Forderungsverletzung und Schutzwirkung für Dritte bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475 (477). 113 Diederichsen, Wohin treibt die Produkthaftung?, NJW 1978, 1281 (1282).

I. Rechtsfolgen

273

Bei der Gewährleistungshaftung ist dies nun anders. Sie richtet sich nicht auf Integrität, sondern auf Sollbeschaffenheit, also auf Qualität und damit auf das positive Interesse („Transaktionsinteresse“114). Leitmotiv der VerbrauchsgüterkaufRichtlinie ist darum auch nicht der Schutz des Verbrauchers in einer für ihn besonders sensiblen Situation, sondern die Erfüllung seiner Erwartungen115. Die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung steht in Rede, nicht die Integrität des Käufers oder sonstige seiner vorbestehenden Interessen. Auslöser des Gewährleistungsrechts ist allein der „innere Wertverlust“ einer Ware116, nicht die Beeinträchtigung anderer Rechte oder Interessen des Käufers. Parallel zum geschützten Interesse sind die Rechtsfolgen des Kaufrechts geregelt. Gewährleistungshaftung orientiert sich an der Sollbeschaffenheit und gleicht diesbezügliche Defizite in Gestalt der Nacherfüllung, der Minderung und des Rücktritts aus. Weil das Äquivalenzverhältnis rechtlich aus dem Verhältnis zwischen Kunde und Letztverkäufer folgt, erscheint es systemwidrig, den Hersteller hierfür gerade stehen zu lassen. Denn Gewährleistungsansprüche des Verbrauchers gegenüber dem Hersteller würden zu einem Leistungsanspruch ohne Vertrag führen. Von hier aus ist es nicht weit zur „Lehre vom sozialen Kontakt“ bzw. zur Theorie des „faktischen Vertrags“, der oben bereits behandelt und als für die Herstellerhaftung untaugliches Modell abgelehnt wurde. Als erster Kronzeuge dafür, dass sich an dem Dogma des Verbots vertragsfremder Erfüllungsansprüche möglicherweise rütteln ließe, sei wiederum Gernhuber zitiert, der den – aus seiner Sicht noch – vorherrschenden Meinungsstand wie folgt beschreibt: „Widerstand leistet der gegenwärtige Zeitgeist überhaupt nur noch im Bereich der Leistungspflichten, und zwar ohne Rücksicht auf den Effekt; (...) doch wird sich schwerlich leugnen lassen, dass auch dieser Widerstand im Schwinden begriffen ist.“117

So ist es. Die Rückbesinnung auf einen Ausgangspunkt dieser Arbeit (die Bindung des Relativitätsgrundsatzes an das Autonomieprinzip), ergibt nämlich, dass das Hindernis vertragsloser Erfüllungsansprüche nur dann unüberwindlich ist, wenn diese aus autonomer Quelle stammen. Wenn nämlich die Grundthese richtig ist, dass heteronome, vom Gesetzgeber oder der Rechtsprechung in den Vertrag eingeführte Kriterien in Wirklichkeit kein Relativitätsproblem mit sich bringen, weil das „drittwirkende“ Element seine Quelle nicht in der Parteiautonomie hat, so ist die Frage nach dem Grad dieser Außenwirkung bereits beantwortet: Diese ist grundsätzlich insoweit zulässig, wie das heteronome Element reicht. Dies muss auch für die Rechtsfolgen gelten. Es besteht kein Grund dafür, den

114 115 116 117

M. Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, 1983, S. 89. Hierzu oben S. 96ff. Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 37. Gernhuber, Schuldverhältnis, 1989, S. 461.

274

§ 8: Konstruktion

Haftungsgrund dem Autonomieprinzip zu unterwerfen, die Haftungsfolge allerdings nicht. Auf wen sich die Rechtsfolgenwirkung des Verbrauchsgüterkaufrechts erstreckt, ist damit eine Frage der sachlichen Begründung bei der Adressatenauswahl. Die Rechtsordnung hat zu entscheiden, wen sie mit den von ihr in das Schuldrecht eingeführten Rechtswirkungen belasten will. Hier mag man zu dem Schluss kommen, dass Schadensersatzansprüche, wie sie aus vertragslosen Schuldverhältnissen bislang einzig geschuldet sind, wesentlich weniger in die Selbstbestimmung des Einzelnen eingreifen als (Nach-)Erfüllungsansprüche dies tun – eine allgemeine dahingehende Regel, dass gegenüber vertragslosen Personen jedenfalls nur Schadensersatzansprüche bestehen könnten, ist allerdings nicht ersichtlich. II. Vertragslose Erfüllungshaftung: falsus procurator Ein positiv-rechtlicher Schlüssel für vertragslose Erfüllungsansprüche liegt in der Haftung des falsus procurator auf das positive Interesse118. Der Vertreter ohne Vertretungsmacht haftet dem auf die Vertretungsmacht vertrauenden Dritten nach deutschem Recht wahlweise auf Schadensersatz oder auf Erfüllung. Diese Haftung des falsus procurator ist im deutschen Rechtssystem ein Unikat, bildet sie doch die einzige kodifizierte vertragslose Erfüllungshaftung119. Sie ist jedoch keine deutsche Besonderheit; auch das englische Recht verpflichtet den agent, der nicht über die zur Stellvertretung notwendige authority verfügt, gegenüber dem gutgläubigen Dritten zur Leistung des Erfüllungsinteresses –getreu der englischen Abneigung gegen Primäransprüche allerdings in Form von Schadensersatz120. Positives Interesse bei Mängeln in der Vertretungsmacht gewährt darüber hinaus ebenfalls das französische Recht121. Der Haftungsgrund hierfür wird in Deutschland in der Behauptung eigener Vertretungsmacht gesehen, die der falsus procurator zumindest durch schlüssiges Verhalten abgebe. Es soll sich somit, einer nicht übermäßig genauen Formel zufolge, „ebenso um Erklärungs- wie Vertrauenshaftung“122 handeln. Gerade der Terminus der „Erklärung“ sollte in diesem Zusammenhang nicht in die Irre führen: Die (schlüssige) „Erklärung“ der eigenen Vertretungsmacht durch den falsus procurator ist keine Willenserklärung, sie ist in keinen Fall rechtsgeschäftlicher, sondern deklaratorischer Natur: als bloße (Fehl-)Information über die Tatsache, der Vertretene habe Vollmacht erteilt. 118 In Deutschland geregelt in § 179 Abs. 1 BGB. Die Grundlage der folgenden Ausführungen entstammt aus Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S. 432. 119 Canaris, Vertrauenshaftung, 1971, S. 432. 120 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 359. 121 Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, 1996, S. 360, Fn. 104. 122 MünchKomm/Schramm, 4. Aufl., § 179 Rdn. 1, 2.

I. Rechtsfolgen

275

Die Parallele zur Herstellerhaftung ist nun eine doppelte: Wie sich die Haftung des falsus procurator auf das ihm entgegengebrachte und von ihm ausgelöste Vertrauen auf die Vertretungsmacht gründet, so muss auch die Herstellerhaftung auf Vertrauen (Warenvertrauen) beruhen. Dieses Vertrauen gründet sich, und dies ist kein Zufall, auch im Fall des Gewährleistungsrechts zumindest teilweise auf deklaratorische Erklärungen, nämlich in Gestalt von Werbeangaben. Es kann damit zweierlei festgehalten werden: Vertragslose Erfüllungsansprüche sind keine von vornherein auszuschließende Systemwidrigkeit, und als Begründung ist das durch deklaratorische Äußerungen erweckte Vertrauen ein tauglicher Ansatz mit positiv-rechtlichem Vorbild, das zudem nicht auf das deutsche Recht beschränkt ist. III. Nacherfüllung Der Nacherfüllungsanspruch ist derjenige innerhalb des Gewährleistungsprogramms, der sich am ehesten für eine Herstellerhaftung anbietet. Denn der Hersteller verfügt in vielen Fällen über mindestens ebenso gute Möglichkeiten der Reparatur wie der Letztverkäufer, insbesondere aber dürfte ihm die Nachlieferung möglich sein. Aus diesem Grund hatte auch die Europäische Kommission, als sie die Herstellerhaftung im Grünbuch von 1993 zum Vorschlag machte, in erster Linie die Nacherfüllungsansprüche im Auge123. Tatsächlich dürfte sich der Nacherfüllungsanspruch in der Regel als Nachlieferungsanspruch realisieren, aber dies ist bei Massenware ja auch bereits im Verhältnis von Verbraucher und Letztverkäufer so. IV. Rücktritt und Rückabwicklungsverhältnis Wie oben dargestellt124, erstreckt die französische action directe sich in Folge der Zubehörstheorie sogar auf den Rücktritt des Verbrauchers gegenüber dem vertragsfremden Hersteller125. Eine ähnliche Lösung verfechten in ihrer Analyse des Grünbuchs von 1993 Schnyder/Straub126 auch für ein europäisches Modell: Dem Käufer sollten sämtliche Gewährleistungsrechte zustehen, es solle also keine Beschränkung auf Nacherfüllung und Schadensersatz stattfinden, wie sie im Grünbuch vorgesehen war. 123 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 112; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 203; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5. 124 Oben S. 172ff. 125 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 44; Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 130. 126 Schnyder/Straub, Das EG-Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (51).

276

§ 8: Konstruktion

Eine Rückabwicklung zwischen Verbraucher und Hersteller erscheint aus Sicht des deutschen Bürgerlichen Rechts derzeit als vollständig systemfremd und darum nahezu ausgeschlossen. Ein Rückabwicklungsverhältnis i.S.d. §§ 346ff. BGB ist nicht zwischen Parteien denkbar, die zuvor nicht durch ein vertragliches Austauschverhältnis miteinander verbunden waren127, und dies trifft für den Verbraucher und den Hersteller unzweifelhaft nicht zu. Rückabwicklung gegenüber dem Hersteller scheint also nicht mit privatrechtlicher Systematik vereinbar zu sein128. Dies dürfte auch der Hauptgrund dafür gewesen sein, dass die Europäische Kommission im Grünbuch von 1993 zwar die Herstellerhaftung in Betracht zog, diese jedoch nicht auf die Rechte der Minderung und Rückabwicklung ausdehnen wollte129. Auch wenn die rechtliche Betrachtungsweise es also in Deutschland de lege lata ausschließen würde, ein Rückabwicklungsverhältnis zwischen Verbraucher und Hersteller anzunehmen, so mag es dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen sein, dass irgendeine, nämlich ökonomische Form von Austausch zwischen dem Warenhersteller und dem Endkunden stattgefunden hat, und sei diese auch mittelbar und reduziert. Der Verbraucher hat, wie dies auch vom Hersteller intendiert war, die Kaufsache erhalten, ebenso wie diesem ein Teil der Gegenleistung des Verbrauchers zugute gekommen ist. Dieser Austausch ist nicht unmittelbarer und rechtlicher, sondern mittelbarer und ökonomischer Natur. Er ist weiterhin nicht Folge von Zufällen, sondern vom Hersteller intendiert, denn er folgt aus der Beschaffenheit der Vertriebskette. Zwar liegt in dieser Art des mittelbaren Austausches keine synallagmatische Verknüpfung in der Weise, dass gerade die gegenseitige Abhängigkeit von Leistung und Gegenleistung ein eigenes Element der Austauschbeziehung bildet130; wohl jedoch ließe sich, mit etwas Wohlwollen, von einem reduzierten, ökonomischen Synallagma sprechen. Schließlich bildet es die Grundlage der geschäftlichen Tätigkeit des Herstellers, dass das Verbrauchsgut letztlich von einem Verbraucher erworben wird. Hinzu kommt ein Weiteres: Ein Blick auf die Begründung der Herstellerhaftung legt es nahe, diese auch auf die Rückabwicklung auszudehnen, die dann auch 127 Aus diesem Grund auch – trotz Annahme eines Vertragsverhältnisses zwischen Hersteller und Verbraucher – ablehnend K. Müller, Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165 (1965), 285 (324); ebenso Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 193. 128 So auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 429. 129 Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Verbrauchergarantien und Kundendienst, KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 112; hierzu Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 203; Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 5. 130 Hierzu Teubner, Coincidentia oppositorum: Das Recht der Netzwerke jenseits von Vertrag und Organisation, in: Amstutz (Hrsg.) Die vernetzte Wirtschaft, 2004, S. 11 (26).

I. Rechtsfolgen

277

besser als „Rückgabe“ zu bezeichnen wäre. Denn wenn es richtig ist, dass das Warenvertrauen und die Steuerbarkeit dieses Vertrauens (durch die Werbung) der eigentliche materielle Grund einer Herstellerhaftung wären, so müsste die Enttäuschung dieses Vertrauens ebenfalls beim Hersteller geltend gemacht werden können: Dem Warenvertrauen wird nur dann entsprochen, wenn bei seiner Enttäuschung auch die Lösung vom Geschäft möglich ist; dies ergibt sich bereits aus dem Rechtsfolgenprogramm der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. Diese Abwicklung gegenüber dem Hersteller würde zwar auf den ersten Blick zu einem wirtschaftlich unangemessenen Ergebnis führen, wie Michael Bridge, der die Herstellerhaftung an und für sich favorisiert, zu Recht anmerkt131. Denn um die Rückgabe überhaupt als wirtschaftlich sinnvollen Rechtsbehelf zu erhalten, müsste im Falle einer Erstattung der Preis zugrunde gelegt werden, welchen der Verbraucher an den Letztverkäufer gezahlt hat132. Der Hersteller hätte also einen Gegenwert zu entrichten, den er selbst nicht eingenommen hätte. Diese nicht zu bestreitende ökonomische Schieflage ist in befriedigender Weise nicht vollständig aufzulösen. Es verbleiben lediglich der Hinweis auf das enttäuschte Warenvertrauen des Verbrauchers, das sich auf den Hersteller richtet und nur mit der Rückzahlung des vom Verbraucher geleisteten Kaufpreises zu kompensieren ist, sowie der Gesichtspunkt der Prozessökonomie: Es wäre nichts gewonnen, wenn der vom Hersteller beim Rücktritt einzuklagende Betrag auf der Grundlage des von diesem geschlossenen Vertrags zu berechnen wäre, so wie das im Rahmen der action directe ja gehandhabt ist. Setzt man dieses Modell voraus, so erhielte der Verbraucher vom Hersteller nicht den Betrag, den er bei seinem eigenen Vertragspartner geltend machen könnte, sondern lediglich denjenigen, welchen der Hersteller selbst eingenommen hätte. Es besteht damit eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verbraucher die Differenz beim Letztverkäufer einfordern wird, womit hinsichtlich Streit- und Prozessökonomie im Ergebnis kein Vorteil erzielt wäre. Die Dinge würden, im Gegenteil, nur komplizierter werden133. V. Minderung Wenn sich die Minderung als teilweiser Rücktritt verstehen lässt, so besteht kein Anlass, sie aus der Herstellerhaftung auszunehmen. Der Einwand, der Hersteller stünde bei der Minderung noch schlechter als bei der Rückabwicklung, da er nicht einmal das Verbrauchsgut zurückerhält, dürfte ökonomisch nicht durchgreifen: Denn das bei der Rückabwicklung erhaltene Verbrauchsgut ist ja mangel131

Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 47. So auch Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 47. 133 Adolff, Der Rechtsschutz des Käufers bei Lieferung einer fehlerhaften Sache in der arbeitsteiligen Wirtschaft, 1961, S. 195; zu den Schwierigkeiten bei der Minderungsberechnung auch Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 490. 132

278

§ 8: Konstruktion

haft, und der Wert dieses mangelhaften Gutes entspricht der Differenz der bei Rücknahme und Minderung je zu erstattenden Beträge.

J. Subsidiarität Wie oben dargestellt, war das noch im Grünbuch von 1993 vorgeschlagene Modell der Herstellerhaftung im Unterschied zur französischen action directe nur als subsidiäre bzw. „quasi-subsidiäre“ Haftung vorgesehen, nämlich in den Fällen, in welchen die Inanspruchnahme des Letztverkäufers „unmöglich oder unzumutbar“ gewesen wäre134. Auf diese eingeschränkte Variante der Herstellerhaftung hatte man sich insbesondere deswegen verständigt, um die entstehenden Konflikte mit den nationalen Rechtsordnungen nicht zu sehr zu forcieren. Der Blick auf diejenigen Rechtsordnungen, in welchen eine Herstellerhaftung besteht, hat ergeben, dass der Anspruch auch in Schweden und Spanien subsidiär gegenüber demjenigen gegen den Letztverkäufer ist, nicht hingegen in Frankreich, Luxemburg, Belgien und Portugal. Für eine derartige Subsidiarität besteht nun, wenn das bisher Gesagte richtig ist und überwiegende Gesichtspunkte für eine unmittelbare Inanspruchnahme des Herstellers (neben dem Letztverkäufer) durch den Verbraucher sprechen, kein Anlass. Es mag zwar aus rechtspolitischen Erwägungen angezeigt sein, die Konflikte innerhalb der Union nicht auf die Spitze zu treiben – juristische Gründe für eine Subsidiarität sind jedoch nicht ersichtlich. Wesentliche Elemente der Gewährleistungshaftung haben vielmehr ihre Wurzel im Vertrauen auf den Hersteller (Produktqualität, Werbeangaben); der Letztverkäufer ist demgegenüber, wie bereits angedeutet135, nur „Durchgangsstation des Vertrauens“.

K. Gläubiger Keine Klarheit wurde bis jetzt darüber erlangt, wem ein solcher Anspruch zustehen soll. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob sich eine entsprechende Konstruktion auf den Verbrauchsgüterkauf beschränken soll oder ob auch ein NichtVerbraucher, insbesondere ein Unternehmer, als Gläubiger am Ende der Lieferkette in Betracht kommt. Die angestellten Überlegungen zu den heteronomen Elementen des europäischen Verbrauchsgüterkaufrechts sprechen deutlich für eine Beschränkung des 134 KOM (93) 509 endg. vom 15. 11. 1993, S. 110ff.; vgl. hierzu Schnyder/Straub, Das EGGrünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst – Erster Schritt zu einem einheitlichen EG-Kaufrecht?, ZEuP 1996, 8 (17); Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, S. 422. 135 Oben S. 198f.

L. Gemeinschaftskompetenz

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Anspruchs auf Verbraucher: Die Rede ist ja von gesetzlichem Haftungsrecht, das – im Hinblick auf den Relativitätsgrundsatz – nur dadurch vertragslos legitimiert ist, dass es auf heteronom gestaltetem Verbrauchsgüterkaufrecht fußt. Da also das europäische Verbrauchsgüterkaufrecht nur im Verbrauchervertrag als positiv zwingendes Recht wirkt, bestehen weder Rechtfertigung noch Notwendigkeit dafür, Zwischenverkäufer oder gewerbliche Endkunden mit einem unmittelbaren und nicht abdingbaren Anspruch gegenüber dem Hersteller auszustatten, im Gegenteil136.

L. Gemeinschaftskompetenz Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, ob eine entsprechende Regelung auf Gemeinschaftsebene erlassen werden könnte oder ob die Herstellerhaftung nur als nationales Recht denkbar ist. Mehr als wünschenswert wäre, so viel sei vorweggeschickt, ersteres: Wie gerade dargelegt, hat die Herstellerhaftung nicht nur unmittelbare Sachnähe zum Verbrauchsgüterkaufrecht; sie bezieht im Hinblick auf das Relativitätsprinzip auch ihre wesentliche Rechtfertigung aus dem in der Richtlinie 1999/44/EG enthaltenen Recht. Grundlage privatrechtlicher Richtlinien zur Gewährleistung des freien Warenverkehrs ist seit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986/87 die Binnenmarktvorschrift des Artikels 95 EG (Ex-Artikel 100a EGV)137. Auf dieser Vorschrift beruhen bereits die Richtlinie zum Reiserecht138, die Klauselrichtlinie139, die Timesharing-Richtlinie140, die Richtlinien zu Fernabsatz141 und E-Commerce142 sowie die Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf143. Diese Kompetenz der Ge136 Es wird sich allerdings die Notwendigkeit eines gesetzlichen Rückgriffsanspruchs des zu Unrecht in Anspruch genommenen Letztverkäufers oder Herstellers ergeben; hierzu unten S. 284ff. 137 Hiermit wurde die Möglichkeit geschaffen, Richtlinien zu Förderung des Binnenmarkts mit qualifizierter Mehrheit zu erlassen; Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (106). 138 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. EG L 158, S. 59; hierzu oben S. 109. 139 Richtlinie 93/13/EWG vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG 1993 L 95, S. 29. 140 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von teilnutzungsrechten an Immobilien, ABl. EG 1994 L 280, S. 83. 141 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG 1997 L 144, S. 19. 142 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, ABl. EG 2000 L 178, S. 1. 143 Vor dem Jahr 1987 war der Rat beim Erlass von Richtlinien zur Errichtung des Gemeinsa-

280

§ 8: Konstruktion

meinschaft muss sich an den Voraussetzungen messen lassen, die der EuGH zuletzt im Urteil zur Tabakwerbe-Richtlinie aufgestellt hat144. Ein entsprechender Rechtsakt muss hiernach den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern, während die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Vorschriften und die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder des Wettbewerbs nicht ausreichen145. Zur Rechtfertigung kommt einerseits die Behebung von Schranken in Betracht, die durch geltendes nationales Recht für die Grundfreiheiten bestehen, sowie andererseits die hier allein interessierende Beseitigung von Wettbewerbsbeschränkungen im Binnenmarkt. Der Rechtsprechung des EuGH zufolge muss das Entstehen solcher Hindernisse nicht nur wahrscheinlich und gerade auf die heterogene Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten zurückzuführen sein146; die erwarteten Wettbewerbsverzerrungen müssten ferner auch spürbar sein (sog. De-minimis-Regel)147. Eine allgemeine vertragsrechtliche Gemeinschaftskompetenz gibt es somit nicht148.

men Marktes auf Einstimmigkeit angewiesen (Art. 94 EG, Ex-Art. 100 EGV); aus dieser Zeit stammen im europäischen Privatrecht insbesondere noch die Richtlinien zur Produkthaftung (Richtlinie 85/374, ABl. EG Nr. L 210, S. 29) und zum Widerruf von Hautürgeschäften (Richtlinie 85/577/EWG, ABl. EG 1985 L 372, S. 31). 144 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 2000, I-8419; aus den zahlreichen Bezugnahmen auf das Urteil vgl. z.B. Stein, Keine Europäische „Verbots“-Gemeinschaft, EWS 2001, 12; Chr. Calliess, Nach dem „Tabakwerbung-Urteil“ des EuGH: Binnenmarkt und gemeinschaftsrechtliche Kompetenzverfassung im neuen Licht, Jura 2001, 311; Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (108); Ludwigs, Harmonisierung des Schuldvertragsrechts in Europa – Zur Reichweite der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeit für eine Europäisierung des Privatrechts, EuR 2006, 370 (381ff.); Seidel, Präventive Rechtsangleichung im Bereich des Gemeinsamen Marktes, EuR 2006, 26 (27ff.); Lorz, Internetwerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive, GRUR Int. 2005, 894 (900). Ähnlich zuvor bereits EuGH, Urteil. v. 13. 7. 1995, Rs. C-350/92 (Spanien/Rat), Slg. 1995, I-1985. 145 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rdn. 84: „Ein auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag erlassener Rechtsakt muss zudem tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Genügten bereits die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Vorschriften und die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder daraus möglicherweise entstehenden Wettbewerbsverzerrungen, um die Wahl von Artikel 100a als Rechtsgrundlage zu rechtfertigen, so könnte der gerichtlichen Kontrolle der Wahl der Rechtsgrundlage jede Wirksamkeit genommen werden. (...)“ 146 So die Rechtsprechung des EuGH bereits vor dem Tabakwerbe-Urteil; vgl. insbesondere Urteil. v. 13. 7. 1995, Rs. C-350/92 (Spanien/Rat), Slg. 1995, I-1985, Rdn. 35; hierzu Seidel, Präventive Rechtsangleichung im Bereich des Gemeinsamen Marktes, EuR 2006, 26 (30). 147 Streinz/Leible, Art. 95 EGV Rdn. 20; Roth, Europäischer Verbraucherschutz und BGB, JZ 2001, 475 (478); Honsell, Die EU-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und ihre Umsetzung ins BGB, JZ 2001, 278; Lorz, Internetwerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive, GRUR Int. 2005, 894 (900); von Sachsen Gessaphe,

M. Vorschläge

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Um die Einführung einer Herstellerhaftung im europäischen Verbrauchsgüterkaufrecht zu begründen, müssten somit bei Unterlassen einer derartigen Maßnahme Wettbewerbsverzerrungen von einer gewissen Intensität zu erwarten sein. Diese Verzerrungen wiederum müssten gerade darauf beruhen, dass sich das Recht der Mitgliedstaaten (in diesem Fall sowohl die Regelungen zur unmittelbaren Herstellerhaftung als auch das Regressrecht) in unterschiedlicher Weise entwickelten und auf diese Weise den Binnenmarkt in spürbarer Weise beeinträchtigten. Die Unterstützung des confident consumer als grenzüberschreitenden, aktiven europäischen Verbrauchers reicht, obwohl sie ein zentrales Gemeinschaftsinteresse bildet, zu dieser Begründung nicht aus: Sie würde für das gesamte Schuldrecht gelten149, denn sämtliche Vertragstypen, die internationaler Nachfrage zugänglich sind, müssten dann gemeinschaftsweit geregelt werden, um die grenzüberschreitende Nachfrage nicht zu behindern150. Auf Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Gemeinschaft angesichts des geltenden Regressmodells wurde oben bereits eingegangen151. Die offene Formulierung des Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und ihre überaus diverse Umsetzung innerhalb der Gemeinschaft hat zu rechtlichen Positionen von Letztverkäufer und Hersteller geführt, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Zwischen den Extremen der vollständigen Alleinhaftung des Letztverkäufers bei äußerst unsicherem Regress (wie in Österreich) und weitgehenden Ansprüchen gegen den Hersteller, sowohl seitens des Verbrauchers als auch aus der Regresskette (wie in Portugal) finden sich zahlreiche Varianten. Hieraus dürfte sich eine Gemeinschaftskompetenz aus Artikel 95 EG ohne weiteres begründen lassen.

M. Vorschläge I. Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher Es wurde festgehalten, dass die Herstellerhaftung als gesetzliche Haftung zwar nicht von einem wirksamen Vertrag zwischen Hersteller und Erstabnehmer abhängen dürfte, dass ein wirksamer (Verbrauchsgüter-)Kaufvertrag zwischen Verbraucher und Letztverkäufer jedoch jedenfalls erforderlich wäre: GewährleisDer Rückgriff des Letztverkäufers – neues europäisches und deutsches Kaufrecht, RIW 2001, 721 (723); Stein, Keine Europäische „Verbots“-Gemeinschaft, EWS 2001, 12 (15). 148 Drexl, Continuing Contract Law Harmonisation under the White Paper of 1985?, in: Grundmann/Stuyck (Eds.), An Academic Green Paper on European Contract Law, S. 103 (105); Tonner, Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie und Europäisierung des Zivilrechts, BB 1999, 1769. 149 Roth, Europäischer Verbraucherschutz und BGB, JZ 2001, 475 (479). 150 Roth, Europäischer Verbraucherschutz und BGB, JZ 2001, 475 (481). 151 Oben S. 217.

282

§ 8: Konstruktion

tungsrecht kann nur durch den Kaufvertrag ausgelöst werden, und die Herstellerhaftung ist insofern zur Haftung des Letztverkäufers akzessorisch152. Systematisch bedeutet dies, dass eine Verortung im Verbrauchsgüterkaufrecht nahe liegt. Hierbei wird die Rechtsnatur des Anspruchs als gesetzlicher, im Wortsinne, in Kauf genommen. Der Anspruch des Verbrauchers gegen den Hersteller ist, wie dargelegt wurde153, verschuldensunabhängig auszugestalten. Er ist zudem so zu formulieren, dass der Hersteller nur für die heteronomen Elemente des Verbrauchsgüterkaufrechts verantwortlich ist, ihn Beschaffenheitsvereinbarungen zwischen Letztverkäufer und Verbraucher somit nicht berühren können; dies ist dem Relativitätsgrundsatz geschuldet. Die Herstellerhaftung muss sich darum auf die Eignung des Verbrauchsguts für Zwecke beschränken, „für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden“154, sowie auf die „Qualität und Leistungen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann“155. Hiervon ist nach der Systematik der Richtlinie auch die Haftung für Werbeangaben umfasst, so dass hierauf in einer Bestimmung zur Herstellerhaftung nicht mehr eigens eingegangen werden müsste. Ein derartiger Verzicht wäre im Übrigen nicht nur innerhalb der Richtlinie systemkonform, sondern würde auch zur Übersichtlichkeit der Regelung beitragen. Die Akzessorietät der Herstellerhaftung zu derjenigen des Letztverkäufers würde weiterhin die zugunsten des Verbrauchers greifende Beweislastumkehr156 einschließen. Ein sich innerhalb eines halben Jahres nach Erwerb durch den Verbraucher als mangelhaft erweisendes Gut gälte demzufolge auch gegenüber dem Hersteller als bei Gefahrübergang auf den Verbraucher mangelhaft, ohne dass es hierfür einer eigenen Formulierung bedürfte. Eine solche Vermutung wäre allerdings nur sachgerecht, wenn auch dem Hersteller ein eigener Entlastungsbeweis zur Verfügung stünde. Zur Notwendigkeit eines derartigen Entlastungsbeweises für den Hersteller gegenüber dem Verbraucher wurden oben157 bereits Ausführungen gemacht, allerdings aus anderem Anlass: Wie oben erarbeitet wurde, wäre die gewährleistungsrechtliche Verantwortung des Herstellers wegen der gesetzlichen Natur der Haftung an und für sich unerheblich, und dies wäre durch eine gesetzliche Einwendung zu kompensieren, um rechtliche Haftung ohne tatsächliche Verantwortung zu vermeiden. Der Entlastungsbeweis des Herstellers hat somit eine Doppelfunktion zu erfüllen: Er dient einerseits dazu, Haftung ohne (tatsächliche) Verantwortung zu ver152

Hierzu oben S. 256. Oben S. 254ff. 154 So für das Verhältnis von Verbraucher und Letztverkäufer Art. 2 c) der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. 155 Art. 2 Abs. 2 d) der Richtlinie. 156 Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie; im deutschen Recht § 476 BGB. Hierzu oben S. 110ff. 157 Zur Notwendigkeit einer derartigen Entlastung oben S. 251ff. 153

M. Vorschläge

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meiden, und bildet andererseits ein Verteidigungsmittel gegen die Vermutung der anfänglichen Mangelhaftigkeit. Als solches wäre die Entlastungsmöglichkeit des Herstellers weiter gefasst als diejenige des Letztverkäufers: Sie würde es dem Hersteller ermöglichen, sich auf die Mangelfreiheit bereits zu dem Zeitpunkt zu berufen, zu dem die Kaufsache von ihm selbst in Verkehr gebracht wurde. Für diese Einwendung stehen das portugiesische Verbrauchsgüterkaufrecht158 und das europäische Produkthaftungsrecht Pate. Letzteres enthält in Artikel 7 b) der Produkthaftungs-Richtlinie eine Vorschrift, die sich in einer neuen Bestimmung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zumindest strukturell übernehmen ließe159. Ein Problem entsteht allerdings mit dem produkthaftungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des „Fehlers“, der in der Terminologie der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie keinen Platz hat. Diese spricht von „Vertragsmäßigkeit“160 bzw. „Vertragswidrigkeit“161, so dass an und für sich hierauf zurückzugreifen wäre. Auch dies ist jedoch nicht ohne weiteres möglich, denn die Herstellerhaftung beruht nach dem hier vorgeschlagenen Modell zwar auf einer Vertragswidrigkeit im Verhältnis von Letztverkäufer und Verbraucher; auf die Vertragsgemäßheit des Verbrauchsguts im Verhältnis vom Hersteller zu seinem Abnehmer kommt es jedoch wegen des gesetzlichen Charakters der Herstellerhaftung gerade nicht an. Es ist darum eine – zwangsläufig etwas umständliche – Formulierung zu wählen, welche die Vertragswidrigkeit im Verbrauchervertrag mit der Herstellerhaftung verbindet. In Betracht kommt „der die Vertragswidrigkeit begründende Umstand“. Die grundsätzliche Akzessorietät der Herstellerhaftung ist schließlich in ihrer positiv-rechtlichen Formulierung relativ einfach auszugestalten. Es ist lediglich auf den Grund und den Umfang der Haftung des Letztverkäufers Bezug zu nehmen sowie mit dem Wort „auch“ klarzustellen, dass der Verbraucher beide Schuldner in Anspruch nehmen kann162. Damit könnte die Herstellerhaftung in einem novellierten Artikel 4 (Absatz 1)163 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie wie folgt geregelt werden: Haftet der Letztverkäufer dem Verbraucher nach dieser Richtlinie, weil die Kaufsache sich nicht für die Zwecke eignet, für die Güter der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden, oder nicht die Qualität und Leistungen aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, so kann dieser auch den Hersteller der Kaufsache in gleichem Umfang wie den Letztverkäufer in Anspruch nehmen. Der Hersteller haftet aufgrund dieser Richtlinie nicht, wenn er beweist, dass der die Vertragswidrigkeit begründende Umstand nicht vorlag, als das Produkt von ihm in den Verkehr gebracht wurde, oder dass dieser Umstand später eingetreten ist. 158 159 160 161 162 163

Hierzu oben S. 191ff. Zum Wortlaut von Art. 7 b) der Produkthaftungs-Richtlinie oben Fn. 39. Art. 2, Richtlinie 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf. Art. 2 Abs. 3, Artt. 3, 4, 5 der Richtlinie. Zur Frage der Gesamtschuld bzw. des Gesamtschuldnerausgleichs sogleich. Ein zweiter Absatz (Rückgriffsansprüche) wird im nächsten Kapitel, S. 284, angefügt.

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§ 8: Konstruktion

II. Rückgriffsansprüche Mit der Haftung des Herstellers gegenüber dem Verbraucher sind einige der aufgeworfenen Fragen beantwortet. Es ist ein Adressat für die heteronom begründeten Verbraucheransprüche gefunden, an den sich das Warenvertrauen des Verbrauchers richtet164 und dem im Zweifel auch die tatsächliche Qualitätsverantwortung ebenso wie die Werbeverantwortung165 obliegt. Durch den Verzicht auf eine Regelung entlang der Vertragskette ist weiterhin die Problematik vertraglicher Außenwirkungen zumindest teilweise gelöst. Denn der mit der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie erzeugte Regressdruck in die Handelskette und in das Handelsrecht166 ergibt sich zur Zeit, wie dargelegt wurde, aus dem Zusammenspiel von positiv zwingendem Recht und streng gewährleistungsrechtlicher Abwicklung durch die Vertragskette (Raupentheorie)167. Mit einer unmittelbaren gesetzlichen Herstellerhaftung wären die Einschränkungen kaufmännischer Vertragsfreiheit ebenso vermieden wie auch das bemühte Konstrukt eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte im Falle nachträglicher Werbeangaben168. Auch wäre der Letztverkäufer – und mit ihm der Handel – ein Stück weit entlastet, denn mit der unmittelbaren Herstellerhaftung entfiele zumindest die primäre Alleinschuldnerstellung des Letztverkäufers. Nicht vollständig gelöst ist bislang allerdings die Problematik des Rückgriffs, und hierbei handelt es sich nun um eine dreifache: Zum ersten erhält der Verbraucher mit dem gerade vorgeschlagenen Modell zwei potentielle Schuldner für seine Ansprüche, und nur einen von ihnen trifft im Regelfall auch die tatsächliche Mangelverantwortung. Oft wird dies der Hersteller sein, wenn man die hier angestellten Erwägungen zu Warenvertrauen und Qualitäts- bzw. Werbeverantwortung zugrunde legt. Nimmt der Verbraucher in einem derartigen Fall den Letztverkäufer in Anspruch, was er häufig tun wird, so bleibt die Frage nach dem Rückgriff bestehen, abgemildert nur durch eine zumindest nach deutschem Recht169 vorliegende Gesamtschuldnerschaft von Letztverkäufer und Hersteller. Aber auch der umgekehrte Fall ist, zweitens, ohne weiteres denkbar: Der Verbraucher nimmt, insbesondere nach einem Kauf im innereuropäischen Ausland, den Hersteller an einer inländischen Niederlassung in Anspruch, obwohl der Mangel erst in der Sphäre des Letztverkäufers entstanden ist. Nach der hier gerade vorgeschlagenen Regelung stünde dem Hersteller zwar eine Einwendung zu, die aber auch im Prozess realisiert werden müsste. Gelingt dies nicht, stellt sich die Frage nach dem Rückgriff des Herstellers gegenüber dem Letztverkäufer; in 164 165 166 167 168 169

Hierzu oben S. 198ff. Oben S. 202ff. Oben S. 237. Hierzu S. 149ff. und 213. Hierzu S. 209ff. §§ 421, 426 BGB.

M. Vorschläge

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Europa hat sich nur der spanische Gesetzgeber mit dieser Frage befasst und eine Regressregelung erlassen, die ggf. auch dem Hersteller zugute kommt170. Drittens wird es Fälle geben, in welchen weder der Letztverkäufer noch der Hersteller für den Mangel eines Verbrauchsguts tatsächlich verantwortlich sind. In Betracht kommen (neben der in dieser Arbeit nicht interessierenden Verantwortlichkeit von vertragslosen Dritten, die ohnehin nur deliktsrechtlich zu belangen wären) Zwischenhändler, die nach der jetzigen deutschen Regresslösung171 sowie im Rahmen der action directe auch Teil der Haftungskette wären, während sie aus dem hier vorgeschlagenen Modell bislang ausgeklammert sind. In diesen Fällen könnte zwar der Letztverkäufer, nachdem er selbst vom Verbraucher in Anspruch genommen worden wäre, sich nach allgemeinem Gewährleistungsrecht an seinen Lieferanten wenden. Für den unmittelbar gegenüber dem Verbraucher haftenden Hersteller bestünde eine solche Möglichkeit jedoch nicht. Auch läge kein Gesamtschuldnerverhältnis mit dem tatsächlich Verantwortlichen vor. Es wird deutlich, dass sich auch ein novellierter Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie dem Regress widmen müsste. Dieser würde, verglichen mit der derzeitigen Rechtslage, zwar an Relevanz einbüßen; ein vollständiger Verzicht auf besondere Rückgriffsansprüche im Verbrauchsgüterkaufrecht ist dennoch nicht möglich. Die gerade angesprochene Lösung über den Gesamtschuldnerausgleich versagt aus zwei Gründen: Zum ersten ließe sich die gerade beschriebene (dritte) Konstellation der Verantwortlichkeit eines Zwischenhändlers nicht befriedigend lösen, und zum zweiten dürfte es nur wenig sachnah sein, den Rückgriff aus dem Verbrauchsgüterkaufrecht hinaus und in die Gesamtschuld hinein zu verlagern. Etwaige Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wären ggf. gemeinschaftsrechtlich auszugleichen, was die Angelegenheit unnötig komplizieren würde. Es bedarf eines spezifisch auf den Verbrauchsgüterkauf zugeschnittenen Anspruchs. Dieser müsste zudem, wie die Herstellerhaftung selbst, gesetzlicher Natur sein, da er auch zwischen Mitgliedern der Lieferkette zum Tragen kommen müsste, die nicht durch Vertrag miteinander verbunden sind. Wie gerade angedeutet, hat innerhalb Europas nur der spanische Gesetzgeber eine nicht auf den Letztverkäufer beschränkte Regressvorschrift erlassen. Das dortige Verbrauchsgüterkaufrecht wurde zwar oben im Hinblick darauf kritisiert, dass der Herstellerhaftung in Spanien eine unwiderlegliche Vermutung zugrunde liegt172. Dennoch bietet sich die spanische Lösung als Vorbild für eine Richtlinienregelung an: Sie gewährt dem Letztverkäufer oder Hersteller – je nachdem, an wen sich der Verbraucher gewandt hat – einen gesetzlichen 170 171 172

Hierzu oben S. 188ff. §§ 478, 479 BGB. S. 188ff.

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§ 8: Konstruktion

Anspruch gegen „den für den Mangel der Vertragsgemäßheit Verantwortlichen“173. Nicht ganz deutlich ist das spanische Recht lediglich im Hinblick auf den Schuldner dieses Regressanspruchs174 – zumindest theoretisch könnte dies auch ein Außenstehender sein, der mit dem Verbrauchsgut nur zufälligerweise in Berührung gekommen ist und eigentlich allenfalls deliktsrechtlich haften würde. Ein derartiger Anwendungsbereich ginge für die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu weit: Bereits für Art. 4 der Richtlinie in seiner derzeitigen Fassung hatte man sich darauf geeinigt, den Personenkreis möglicher Regresshaftender auf die Mitglieder der Vertragskette zu beschränken175. Diesbezüglich lässt sich also der Wortlaut des jetzigen Art. 4 der Richtlinie heranziehen. Die Richtlinienvorschrift bietet zudem mit dem Tatbestandsmerkmal der „Haftung infolge eines Handelns oder Unterlassens“ eines anderen Mitglieds der Lieferkette eine Formulierung für den Haftungsgrund (die Mangelverantwortlichkeit), die im spanischen Recht nicht enthalten ist. Zu klären wäre ferner der Inhalt der Rückgriffsansprüche. Da das Regressrecht nach dem hiesigen Vorschlag notwendigerweise vom Hersteller wie vom Letztverkäufer, also in beiden Richtungen der Vertragskette, auszuüben wäre, erscheint es wenig sinnvoll, den betreffenden Anspruch als Gewährleistungsanspruch auszugestalten – was er, wie oben dargelegt, der Sache nach auch nicht ist176. Es handelt sich vielmehr, um nochmals Bridge zu zitieren, um „die Erstattung von Summen, die in Folge von Gewährleistungsansprüchen an den Verbraucher geflossen sind“177. Treffend – und für den Regress in beide Richtungen der Vertragskette tauglich – ist darum die in den Niederlanden gewählte Lösung: Dort realisiert sich der Regress als Schadensersatzanspruch178. Zwar enthält das niederländische Recht keine unmittelbare Herstellerhaftung, weswegen der Regressanspruch dort, wie auch in Deutschland, in einem konservativen Modell entlang der Vertragskette abgewickelt werden muss; die Rechtsnatur des Anspruchs ist in den Niederlanden jedoch zutreffend erfasst. Zu modifizieren wäre allerdings die Verschuldensfrage: Das Burgerlijk Wetboek gibt dem Letztverkäufer einen verschuldensunabhängigen Anspruch gegen seinen Lieferanten an die Hand, was angesichts einer Richtlinienvorschrift, wel173

Art. 10 IV, Ley 23/2003; zum Wortlaut der Vorschrift vgl. oben S. 189, Fn. 409. Kritisch darum auch Marín López, Las garantías en la venta de bienes de consumo en la Unión Europea, 2004, S. 436. 175 Etwaige Regressansprüche sind hiernach auf den Hersteller, einen früheren Verkäufer innerhalb derselben Vertragskette oder eine andere Zwischenperson beschränkt; hierzu ausführlicher oben, S. 114f. 176 Oben S. 205ff. 177 Bridge, in: Grundmann/Bianca (Hrsg.), EU-Kaufrechts-Richtlinie, Art. 4 Rdn. 28. Vgl. bereits S. 206, Fn. 30. 178 Hierzu oben S. 152ff. 174

M. Vorschläge

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che die Haftung beim tatsächlich Mangelverantwortlichen ansiedeln möchte, nicht sachgerecht wäre. Hierfür bietet sich jedoch, wie gesagt, Artikel 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in seiner jetzigen Fassung an, der auf das „Handeln oder Unterlassen“ des Anspruchsgegners abstellt. Eine Formulierung des (nach der Regelung der Herstellerhaftung neu einzufügenden) Art 4 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie hätte darum Elemente aus dem spanischen und aus dem holländischen Verbrauchsgüterkaufrecht mit solchen aus Artikel 4 der Richtlinie in seiner derzeitigen Fassung zu kombinieren. Sie könnte folgendermaßen lauten: Wird der Letztverkäufer oder der Hersteller nach dieser Richtlinie vom Verbraucher infolge eines Handelns oder Unterlassens eines anderen Teils innerhalb derselben Vertragskette in Anspruch genommen, so kann er von diesem Teil Ersatz des durch die Inanspruchnahme entstandenen Schadens verlangen.

§ 9: Alte Prinzipien für neues Recht Sollte die anfänglich abgegebene Prognose, die Herstellerhaftung für Sachmängel sei von der Kommission nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben worden, sich bewahrheiten, so bietet diese Arbeit einen Vorschlag dafür an, das zu schaffende Rechtsinstitut privatrechtskonform einzurichten. Diese „Privatrechtskonformität“ ist allerdings nicht leicht zu erreichen, und es hat sich auf dem Weg dieser Untersuchung immer wieder herausgestellt, dass das heteronome, positiv zwingende Verbrauchsgüterkaufrecht nicht nur andere Eigenschaften als herkömmliches Privatrecht aufweist, sondern aus genau diesem Grund auch anderer Methoden bedarf: Es ist nicht damit getan, den Relativitätsgrundsatz, der die Grenzen der Ausübung von Vertragsfreiheit bestimmt, dort anzuwenden, wo diese Vertragsfreiheit bereits per Gesetz eingeschränkt, wenn nicht ausgeschlossen ist. Wenn das Relativitätsprinzip zur Bestimmung der personalen Grenzen des menschlichen Willens dient, hilft es in heteronom strukturierten, materialisierten Rechtsbereichen nicht weiter. Die Notwendigkeit, das privatrechtliche Instrumentarium einer Überprüfung zu unterziehen, gilt nicht nur für das Relativitätsprinzip: Ähnliches wurde auch bei den angenommenen ökonomischen Funktionen des Gewährleistungsrechts sichtbar. Das diesem zugeschriebene Qualitätssignal ist an die Möglichkeit autonomer Gewährleistungsvereinbarungen geknüpft. Heteronomes, positiv zwingendes Verbrauchsgüterkaufrecht lässt für individualisierte Qualitätssignale keinen Raum. Dieser Gedanke ließe sich für Problematiken, die hier nicht behandelt wurden, weiterspinnen: Was bedeutet der Bedeutungsgewinn deklaratorischer Erklärungen für das Recht der Willensmängel? Warum berechtigt die Privatrechtsordnung zur Anfechtung bei Irrtümern über den Inhalt der Erklärung nur dann, wenn dieser Inhalt autonomer Herkunft ist1? Müsste sie nicht erst recht zur Anfechtung berechtigen, wenn sich die Sollbeschaffenheit einer Kaufsache aus einer Werbeangabe Dritter herleitet, deren Inhalt der Verkäufer nicht kannte? Selbstverständlich hat dieser Verkäufer kein Anfechtungsrecht; die Haftung für Werbeangaben wäre mit einem Schlag sinnlos, aber der dogmatische Unterschied zwischen einem Irrtum und dem anderen bleibt dennoch ungeklärt.

1

§ 119 Abs. 1 Fall 1 BGB.

§ 9: Alte Prinzipien für neues Recht

289

Wenn diese Arbeit somit ein Ergebnis nahe legt, dann dieses: Hergebrachte Grundsätze dienen nicht mehr uneingeschränkt für modernes Recht. Mit der Hinterfragung dieser Grundsätze müssen sich langfristig auch die privatrechtlichen Methoden ändern. Die Vertragsbehandlung durch das Recht wird, über kurz oder lang, weniger privatrechtliche als öffentlich-rechtliche Züge erhalten. Dies ist bedauerlich; die Entwicklung läuft jedoch unaufhaltsam hierauf hinaus. Die in dieser Arbeit hergeleitete Beschränkung des Relativitätsprinzips führt potentiell zu einer nicht unerheblichen Ausdehnung des Geltungsbereichs von modernem, materialisiertem Vertragsrecht, wie man an der Herstellerhaftung ohne weiteres ersehen kann. Dies ist allerdings weniger eine Konsequenz der in dieser Untersuchung gemachten Vorschläge als vielmehr der fortschreitenden gesetzlichen Determinierung von Vertragsrecht. Wo autonomes Vertragsrecht am Werke bleibt, kann der Relativitätsgrundsatz weiterhin seine genuine Aufgabe erfüllen: die personalen Grenzen der zulässigen rechtsgeschäftlichen Ausübung des menschlichen Willens zu bestimmen. Dies bedeutet, dass die fortschreitende Heteronomisierung von Schuldrecht zu einer auch personalen Ausweitung zwingenden Rechts führt, und dies gilt zugleich für die Materialisierung des Vertragsrechts. Denn Materialisierung ist ohne Heteronomie nicht denkbar. Wesentliche Teile des hier als heteronom untersuchten Vertragsrechts sind materiales Schuldrecht; dies gilt insbesondere für das Verbrauchsgüterkaufrecht. Der Kausalitätszusammenhang lautet somit: Materialisierung setzt heteronomes Schuldrecht voraus, und dies wiederum führt zum Wegfall der Grundsätze personaler Bindung. Für das Europäische Vertragsrecht, das zunehmend zwingend und damit heteronom ausgestaltet ist, bringt dies den Verlust eines Strukturmerkmals mit sich, das bislang in erster Linie der Wirkungsbeschränkung zwingenden Rechts gedient hat. Hier geht ein Instrument verloren, für das nicht nur im Verbrauchsgüterkaufrecht Ersatz gefunden werden muss.

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Register Action directe 5, 167ff., 172ff., 182, 184ff., 190, 196, 211, 242, 250ff., 277 Adressaten heteronomen Rechts 29, 36, 46ff., 60, 64f., 79, 198ff., 204, 233, 241, 284 Allgemeines Preußisches Landrecht 21 Appel en garantie 222 Äquivalenzhaftung 96ff., 99, 223, 242, 271ff. Arbeitsteilung 198 Ausgleich, gleichwertiger (§ 478 BGB) 128, 147ff., 192 Auslegung – von Richtlinien 126 – von Willenserklärungen und Verträgen 38ff., 55 Außenwirkungen 28ff., 37, 42, 46, 64 Belgien 5, 184ff. Bereicherungsrecht 36 Berufshaftung 45, 67ff. Beschaffenheitsvereinbarung 86f. Beweislast – für Pflichtverletzungen 54, 211 – für Vertragsgemäßheit 34, 94ff., 118, 132ff., 190, 282 Binnenmarkt 107ff., 127, 217ff., 279ff. CISG 89f., 208 Code Civil 82, 175ff., 184, 186, 245, 259ff. Consideration 24 Culpa in contrahendo 46ff., 71, 181, 201, 259ff. Deliktsrecht 7, 36, 46, 52, 55, 62, 67, 168, 222ff., 255, 263ff. Diskriminierung 31 Dritte Spur 242, 258ff., 267ff.

Drittschadensliquidation 75f., 212 Drittwirkungen 7, 9, 26f., 47, 64, 79 Effet utile 126 Eigenhaftung Dritter 49, 59, 72, 268 England 22ff., 82, 156ff. Erfüllungsgehilfe 53 Erfüllungsinteresse 97f. Faktischer Vertrag 74, 247ff. Falsus procurator 36f., 74, 274ff. Finnland 193ff. Frankreich 5, 82, 170, 172ff. Fremdbestimmung unter Gleichen 18, 27, 46, 82 Garantenhaftung 71f. Garantie 123, 244ff. Gattungsschuld 88f. Gemeinschaftskompetenz 241, 279ff. Geschäftsführung ohne Auftrag 36 Gesetzliche Schuldverhältnisse 36ff. Gewährleistung 85ff., 154, 198ff., 205, 222ff., 235ff., 242 Gläubigernähe 62f. Gleichheit 18 Griechenland 162f., 205 Grünbuch über Verbrauchergarantien 115, 121, 169ff., 200 Gutachterhaftung 45, 50, 67ff. Handlungsfreiheit 36 Hersteller 7, 202, 239, 253f. Herstellerhaftung 167ff., 188ff., 195ff. Heteronome Pflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) 43ff., 67f., 69 Heteronomie (Begriff) 31ff., 257f. Homo oeconomicus 228ff. Hühnerpest 16, 167, 224

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Register

Information 16, 100ff., 107ff., 274 Informationsobliegenheit 105 Initiatorenhaftung 72f. Integritätsverletzung 223, 271ff. Irland 156ff. Italien 163f. Iustitia distributiva 122 Kommission der Europäischen Gemeinschaften 5, 93, 115, 169ff. Kompensation für zwingendes Recht 119, 122, 124, 129 Kontrahentenwahlfreiheit 15 Leistungsnähe 60f. Letztverkäufer 7, 101, 114ff., 145, 200, 215, 237ff. Lieferant 115, 171, 214 Luxemburg 5, 186ff. Mangel, Mangelbegriff 85ff., 99, 201, 223, 244 Mangelverantwortung 7, 202ff., 207, 234, 253 Marktbeziehung 267 Massengeschäft 10, 88f., 123, 199, 244 Materialisierung 34, 289 Minderung 277f. Mittelstand 116, 140 Nacherfüllung 97, 157, 275 Negligence 23 Neminem laedere 180, 184, 264 Netzverträge 261ff. Neuwaren 134ff., 190 Niederlande 21, 92, 152ff., 196, 286 Non-cumul 53, 180ff. Ökonomische Theorie 102, 227ff. Österreich 52, 155f., 205, 260, 270 Pauschalreiserecht 109 Pflichten, leistungs- und nicht-leistungsbezogene 44, 68ff. Pflichtenlenkung (§ 311 BGB) 48 Portugal 191ff., 283 Positiv zwingendes Recht 96f., 100, 111, 141, 149ff., 196, 213

Prävention 232ff. Principles of European Contract Law 22 Privatautonomie 13ff., 29, 64, 126ff., 144ff., 179, 195, 238 Privity of Contracts 11, 22, 159 Produkthaftung 6, 23, 36, 99, 138, 141, 222ff., 242, 254ff. Prospekthaftung 32, 50, 70ff., 268 Prozessökonomie 219ff. Qualitätssicherung 87, 94, 205, 232ff. Qualitätssignal 235ff. Raupentheorie 141, 149ff., 214, 237 Rechtssicherheit 15, 142 Regress 5, 7, 95, 114ff., 129ff., 183f., 185, 195ff., 284ff. Regressfallen 116ff., 138, 208, 210 Relativität, normative 9ff. Relativität, Relativitätsprinzip, Relativitätsgrundsatz 5, 7, 65, 76, 81, 121, 133, 175, 198ff., 241, 273 Richterliche Rechtsfortbildung 31, 42, 56, 64 Römisches Recht 9, 20 Rücktritt 275ff. Sachmangel vgl. Mangel Sachwalterhaftung 49, 59, 72, 268 Schuldrechtsreform 43, 48, 50, 58ff., 95, 115 Schutzpflichten, Schutzverhältnis 43ff., 55ff., 63ff., 67ff., 72 Schweden 193ff. Selbstbestimmung 13ff., 29, 64 – und Drittbegünstigung 26 – und Rechtssicherheit 15 Sittenwidrigkeit 97, 112 Sozialer Kontakt 73, 247ff. Sozialismus 66 Spanien 188ff., 285 Specific performance 157, 160ff. Statik (heteronomen Rechts) 46 Streitverkündung 221 Stützradtheorie 100ff., 109 Third Party Rule 25 Treu und Glauben 29, 40f., 56

Register

UNIDROIT 22 Urhebervertragsrecht 109ff., 151 Verbraucher – „aktiver“ Verbraucher109, 218f., 280 – am Ende der Lieferkette 8, 85, 142ff. Verbrauchererwartung 87, 272 Verbraucherschutz 101ff., 175, 215ff., 225, 272 Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 5, 90, 114ff., 153, 158, 183, 195ff., 208, 236, 245, 281ff. Verhaltenspflichten, „weitere“ 44, 79 Verjährung 118, 134, 208, 215 Verrichtungsgehilfe 53 Versendungskauf 75 Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 32, 41, 50, 52ff., 68, 178, 210, 269ff. Vertrag zu Lasten Dritter 7, 18ff., 46, 243, 257 Vertrag zugunsten Dritter 19ff., 64, 249f. Vertragsauslegung, ergänzende 32, 39ff., 55

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Vertragsfreiheit – formale 15, 35 – negative 14, 17 Vertragsgerechtigkeit 98, 104 Vertragslose Schuldverhältnisse 47 Vertragspraxis 122f., 148 Vertrauen 43, 49, 51, 72, 242 Warenvertrauen 198ff., 256 Werbeangaben 91ff., 105, 202, 234, 244 – nachträgliche Werbeangaben 8, 209ff., 269, 284 Wettbewerbsverzerrungen 217f., 279ff. Widerrufsrechte 96ff. Willensfreiheit 33 Willkürverbot 29 Zulieferer 136ff., 147 Zwingendes Recht 90, 100ff., 144ff. Zwischenhändler 115, 171, 253f.