Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit: Untersuchungen zur Agrar- und Sozialgeschichte des hohen Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des südostdeutschen Raumes [2. Aufl. Reprint 2019] 9783110506723, 9783828250581

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German Pages 272 [280] Year 1964

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Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit: Untersuchungen zur Agrar- und Sozialgeschichte des hohen Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des südostdeutschen Raumes [2. Aufl. Reprint 2019]
 9783110506723, 9783828250581

Table of contents :
Vorbemerkung
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
§ 1. Grundeigentum und Herrschaftsgewalt. (Die sogenannte Grundherrschaft.)
§ 2. Die soziale Entwicklung der unfreien Bevölkerungsklassen auf dem Lande
§ 3. Der unfreie Grundbesitz
§ 4. Das Meiergut in Südostdeutschland
§ 5. Das Rittergut in Österreich und Bayern
§ 6. Familia und Dorfgemeinde
§ 7. Lohnarbeit und Frondienst
§ 8. Gab es im Hochmittelalter einen Strukturwandel der Wirtschaft?
§ 9. Die Gutsherrschaft
§ 10. Die Ausbreitung des großen Grundbesitzes und dessen wirtschaftliche Aktivität
§ 11. Der Wirtschaftsgeist und die Rationalisierung des Wirtschaftsbetriebes
§ 12. Zusammenfassung der Ergebnisse. Bedeutung derselben für die Deutsche Volksgeschichte
Register der Orte, Personen und Sachen

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ALFONS D O P S C H

Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit

QUELLEN U N D F O R S C H U N G E N ZUR AGRARGESCHICHTE

Herausgegeben von PROFESSOR D R . F R I E D R I C H L Ü T G E

München PROFESSOR D R . G Ü N T H E R F R A N Z

PROFESSOR D R . W I L H E L M A B E L

Stuttgart-Hohenheim

Göttingen

BAND X

Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit Untersuchungen zur Agrar- und Sozial-Geschichte des hohen Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des südostdeutschen Raumes

Von ALFONS DOPSCH Zweite, unveränderte Auflage

G U S T A V F I S C H E R VERLAG S T U T T G A R T 1964

©

Gustav Flacher Verlag Stuttgart ig«4 Alle Rechte vorbehalten Printed in Gennany

Vorbemerkung Wenn jetzt) nach einem runden Vierteljahrhundert, ein Neudruck des vorliegenden Werkes von Alfons Dopsch veranstaltet wird, dann hat dies seine volle Berechtigung. Diese ist nicht nur darin zu erblicken, daß dies Buch seit langen Jahren vergriffen und auch im Antiquariatshandel fast nicht mehr zu haben ist; wichtiger als dieser sicher durchaus bedeutsame Tatbestand ist der andere, nämlich, daß es kein anderes, d. h. neueres Werk gibt, das den gestellten Problemkreis in vergleichbarer Weise, und d. h. im besonderen auch in zusammenfassender Form behandelt. Es gibt zwar eine ganze Reihe von neueren Teiluntersuchungen, sowohl über die behandelte Zeit wie über den behandelten Raum, aber es ist keine darunter, die das Werk von Dopsch überflüssig machte. Dabei ist nicht so sehr daran zu denken, daß sich die Forschungsergebnisse von Dopsch überall bestätigt hätten, daß sie gleichsam unverrückt gültig seien - das gibt es in der Wissenschaft ja nicht! - , sondern daran, daß Dopsch die entscheidenden Probleme sieht, mit denen sich ein jeder auseinandersetzen muß, daß er die Fragen formuliert, die jeder Forscher neu an das Material stellen muß. Nach wie vor ist die deutsche Kaiserzeit in der wirtschafte- und speziell agrargeschichtlichen Literatur stiefmütterlich behandelt. Nur die Entwicklung des Städtewesens und dann auch die Entstehung des Feudalsystems sind neuerdings intensiver erforscht worden. Das Zurückstehen der speziellen Agrargeschichte liegt nicht zuletzt darin begründet, daß die Quellenlage schwierig und weitgehend auch dürftig ist, zumindest keine eindeutigen, leicht faßbaren Antworten gibt. So kann man nur wünschen, daß dieser Neudruck das viel zu wenig beachtete Spätwerk von Alfons Dopsch wieder bekannter macht und daß sich Forscher finden, die dort anknüpfen, wo Alfons Dopsch die Feder aus der Hand legen mußte. WILHELM ABEL • GÜNTHER FRANZ • FRIEDRICH LÜTGE

Vorwort. T^vieses Buch bietet wissenschaftliche Untersuchungen auf Grund ^ der Quellen über die Zeit vom 10.—13. Jahrhundert. Es mag überraschen, wie stiefmütterlich eben diese Periode des Hochmittelalters bisher in der Agrar- und Sozialgeschichte des platten Landes behandelt worden ist. Sie stand gewissermaßen im Schlagschatten des frühen Mittelalters, das bei der reichen Quellenüberlieferung der Karolingerzeit auch in allen Hand- und Lehrbüchern der Wirtschaftsgeschichte sehr ausführlich dargestellt worden ist. Es ist nicht zufällig, daß gerade ich jetzt diese Forschungen vorlege. Denn einerseits habe ich mich erst als Mitarbeiter bei der Herausgabe der Karolingerdiplome in den Mon. Germ. Histor. (1892—1900), dann in meinem Buche über die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit (1912/13) sehr eingehend mit eben der Periode beschäftigt, die als Grundlage für die hier behandelte Zeit anzusehen ist; andererseits aber haben sich meine früheren Forschungen auf die spätere Zeit des Mittelalters, besonders das 13. und 14. Jahrhundert, bezogen, in die das hohe Mittelalter ausmündet. Da diese Arbeiten hauptsächlich auf die Wirtschaftsund Verfassungsgeschichte des deutschen Südostens gerichtet waren, wurde ich immer deutlicher inne, wieviel gerade da noch fehlt, vor allem an kritischer Behandlung der Urbare, die ich in der von der Wiener Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Reihe der „österreichischen Urbare" mit zwei Bänden landesfürstlicher Urbare (Österreich und Steiermark) versucht habe (1904 und 1910). Diese Quellengattung bildet ja auch für das hohe Mittelalter eine wichtige Grundlage der Erkenntnis. Der Mangel an eindringender Analyse des Aussagebereiches und der Zielrichtung derselben ließ ein stark einseitiges Bild entstehen, zumal auch der Ausgangspunkt der Betrachtung, eben die Karolingerzeit, in der älteren Forschung, auf der die Darstellung des hohen Mittelalters bisher beruhte, agrar- und sozialgeschichtlich nicht wenige Irrtümer aufwies.

Gerade der südostdeutsche Raum verlangt, was die Agrarund Sozialgeschichte angeht, eine besondere Behandlung, da dieser gegenüber den anderen Gebieten Deutschlands entschieden zurücksteht. Man hat doch so manche Einrichtungen und Wirtschaftsformen dem Südosten absprechen wollen, die für den Norden und Nordosten besonders charakteristisch sein sollen, wie z. B. das Meierrecht, die Wachszinsigkeit, das Rittergut und die Gutsherrschaft. Ich habe meine Untersuchungen nicht auf den Südosten Deutschlands beschränkt, sondern auch den Norden und Westen einbezogen, da die Quellen auch für diese Gebiete viel mehr zu bieten vermögen, als bisher aus ihnen herausgeholt wurde. Gerade wenn man in den Quellen auch der vorausgehenden und nachfolgenden Zeiten einigermaßen bewandert ist, vermag man die Besonderheiten der Entwicklung im Hochmittelalter genauer zu erfassen und festzustellen, was früher schon und später immer noch da war. Die Einordnung des Mittelstückes in den Gesamtverlauf wird so vielleicht weniger schwierig sein und eher gelingen. Auf diese Weise bin ich zu Neuergebnissen gelangt, die mit der bisher herrschenden Lehre nicht nur der deutschen, sondern auch der englischen, französischen und russischen Wirtschaftshistoriker in lebhaftem Widerspruch stehen und diese bekämpfen. Die Auseinandersetzung mit meiner Anschauung wird die wissenschaftliche Erkenntnis vielleicht fördern und neue Probleme aufrollen. Der Erschließung des hier behandelten Materials dient das Register, dessen Bearbeitung meine Kollegin, Prof. Dr. E R N A PATZELT, übernommen hat. Ihr gebührt dafür mein besonderer und wärmster Dank. W i e n , Weihnacht 1938.

Alfons Dopsch.

I Inhaltsverzeichnis. § 1. § 2. § § § § § §

3. 4. 5. 6. 7. 8.

§ 9. § 10. §11. § 12.

Seite

Grundeigentum und Herrschaftsgewalt. (Die sogenannte Grundherrschaft) 1 Die soziale Entwicklung der unfreien Bevölkerungsklassen auf dem Lande 22 Der unfreie Grundbesitz 45 Das Meiergut in Südostdeutschland 60 Das Rittergut in Österreich und Bayern 78 Familia und Dorfgemeinde 99 Lohnarbeit und Frondienst 114 Gab es im Hochmittelalter einen Strukturwandel der Wirtschaft ? 129 Die Gutsherrschaft 164 Die Ausbreitung des großen Grundbesitzes und dessen wirtschaftliche Aktivität 176 Der Wirtschaftsgeist und die Rationalisierung des Wirtschaftsbetriebes 203 Zusammenfassung der Ergebnisse. Bedeutung derselben für die deutsche Volksgeschichte 219

R e g i s t e r der Orte, Personen und Sachen

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§ 1.

Grundeigentum und Herrschaftsgewalt. (Die sogenannte Grundherrschaft.)

T^vie Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters verwendet in Deutschland die Bezeichnung „Grundherrschaft" ganz allgemein für historische Bildungen und Entwicklungsformen, die ihrer rechtlichen Natur nach keineswegs einheitlich oder gleichartig sind. Auch die neuere Forschung hat diese Terminologie noch fortgeführt1), obwohl sie nicht zutrifft und keine Berechtigung mehr besitzt, ja nur irreführend wirken kann. Sie stammt aus der älteren Zeit der Wirtschaftsgeschichte; G. L . v. MAURER hat sie besonders eingebürgert2). In den letzten Jahren sind allerdings von verschiedenen Seiten doch schon Zweifel laut geworden, ob dieser Ausdruck „Grundherrschaft" auch wirklich zutreffend sei. Ich hebe da besonders E R N S T MAYER hervor, der ihn eine „plumpe und flache Bezeichnung" nannte, die sehr viele Erscheinungen umfasse, welche ganz anders zu erklären seien und eine andere Wurzel hätten 3 ). Auch VIKTOR E R N S T , der freilich von E. MAYER stark beeinflußt war, nahm dagegen Stellung und meinte, die deutsche Geschichte bedürfe diesen vielbenutzten Begriff überhaupt nicht. Er wollte ihn aber doch „für die mannigfaltigen Komplexe verschiedenartiger Rechte am Boden" gelten lassen, die sich etwa in der Hand eines Klosters zusammenballen4). Bezeichnend genug ist, daß er trotz dieser Erkenntnis des heterogenen Inhaltes dieses Begriffes ihn doch nur dann verwendet wissen will, „wenn man etwa bei den territorialen Gebilden von dem öffentlichen Recht absehen und ausschließlich die Beziehungen zum Boden hervorheben will". Hatten die Begründer der Wirtschaftsgeschichte in Deutschland, v. INAMA-STERNEGG, K A R L LAMPRECHT und GUSTAV SCHMOLLER, 1) Vgl. z. B . H. BRUNNER, Deutsche RG., 1. Aufl. (1892), 2, S. 275, sowie v. SCHWERIN in der 2. Aufl. dieses Werkes (1928), 2 , S . 369. 2) Schon in seiner „Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung", 1854, dann besonders in der „Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung", 1862ff., z. B . 1, S. 306, u. 3, S. 77. 3) Germanische Geschlechterverbände und das Problem der Feldgemeinschaft. Zschr. der Savignystiftung für RG. germ. Abt. 44, S. 30ff., bes. S. 91 (1924). 4) Die Entstehung des deutschen Grundeigentums, 1926, S. 121. CL.

D o p i c h , Herrschaft und Bauer.

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angenommen, daß aus dem Besitze von Grund und Boden, besonders des großen, auch Rechte über die auf diesem sitzenden Leute sich ergeben und immer mehr verstärkt haben, derart, daß die „Grundherrschaft" als Keimzelle nicht nur der Städteund Gewerbeverfassung, sondern auch der Territorienbildung, ja des Staates anzusehen sei, so haben andererseits jene Forscher, die gegen diese „grundherrliche oder hofrechtliche Theorie" Front gemacht haben, doch auch ihrerseits die „Grundherrschaft" einheitlich und geschlossen im Gegensatz zum öffentlichen Recht gestellt und eine grundsätzliche Unterscheidung von diesem verlangt. So in dem großen Streit, den besonders G. v. BELOW gegen v. INAMA, LAMPRECHT und SCHMOLLER, zuletzt auch gegen G. SEELIGER über die Bedeutung der Grundherrschaft für den Staat und die Landesherrlichkeit, die Stadt- und Gewerbeverfassung geführt hat1). Obwohl wir dieser Auseinandersetzung wertvolle Klärung nach verschiedenen Richtungen hin verdanken und gerade die begriffliche Scheidung der verschiedenen Rechtsverhältnisse, die da in Frage kommen, beachtenswerte Fortschritte gemacht hat, blieb die Verwendung des Begriffes „Grundherrschaft" davon unberührt. So eindeutig und geschlossen schien derselbe auch für diese doch stark juristisch unterscheidenden Kritiker zu sein. Wir dürfen aber nicht übersehen: gerade einer der Hauptvertreter der grundherrlichen oder hofrechtlichen Theorie, der viel beschossene KARL LAMPRECHT, ist sich doch des kollektiven Wesens der sogenannten „Grundherrschaft" bewußt geworden. Er schied die wirtschaftliche von der rechtlichen Seite der „Grundherrschaft" und nahm eine Entwicklung „zur Aufsaugimg und Assimilation staatlicher Rechte" an2). Er sprach von einem zunächst „mageren Bereich ursprünglicher Grundherrlichkeit" und erklärte: „hervorragende Grundherren rissen schon frühe auch staatliche, hoheitliche Rechte an sich8)". Ja, er bezeichnete die „Grundherrlichkeit" des späteren Mittelalters, welche er als Produkt der späteren Karolinger- und frühesten Kaiserzeit ansah4), als pseudo- oder halbstaatliche Gewalt, zu welcher sich dieselbe aus autonomen Anfängen heraus emporgearbeitet habe6). 1) Vgl. F . KEUTGEN,

G . v. B E L O W , Der deutsche Staat des Mittelalters (1915), S. 294f. Der deutsche Staat des Mittelalters, 1918, S. 3 6 . — Auch V. E R N S T ,

a. a. O. 2) DWL., 1, S. 991.— 3) Ebenda S. 1015. — 4) Ebenda S. 992. - 5) Ebenda S. 991 u. 1138.



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Also nicht bloß private Rechte, sondern auch öffentliche, staatliche sind in der „Grundherrschaft" vorhanden, und zwar auf gewaltsame oder widerrechtliche Weise angeeignet auf Kosten des Staates. Und noch eine weitere Erkenntnis war damit gegeben. Die „Grundherrschaft" ist nicht nur ein Konglomerat verschieden gearteter Rechte, sondern auch der Zeit nach verschieden und hat deshalb auch keinen für alle Zeiten gleichen Inhalt. Trotz dieser Wahrnehmungen verwendete man den Ausdruck „Grundherrschaft" gleichmäßig für jene des Trägers aller öffentlichen Gewalt, des Königs, wie auch für die der Kirche und des Laienadels. Man sprach ganz allgemein von einer königlichen, kirchlichen und weltlichen „Grundherrschaft," obwohl ihr Inhalt auch da nicht derselbe war. Endlich sei noch daran erinnert, daß auch territoriale, ja lokale Unterschiede bemerkbar werden, so daß keine Generalisierung möglich ist, wie sie doch LAMPRECHT, aber auch andere Forscher vorgenommen haben. Die Bezeichnung „Grundherrschaft" stellt also keine fixe Größe gleichen Inhaltes dar, weder ihrem Träger nach, noch auch zeitlich oder örtlich. Die wirtschaftsgeschichtlichen Darstellungen haben nun, indem sie die königliche, kirchliche und weltliche ,,Grundherrschaft" vornehmlich zum Gegenstand ihrer Behandlung machten, die äußeren Schicksale der Grundbesitzverteilung (Zuwachs und Verluste), sowie die Formen der Bewirtschaftung und Organisation des Grundbesitzes geschildert. Die Handbücher der Verfassungsund Rechtsgeschichte aber betrachteten es gar nicht als ihre Aufgabe, die dynamische Entwicklung der „Grundherrschaft" nach deren konstitutiven Elementen zu verfolgen, sondern behandelten diese jeweils für sich: das Grundeigentum, die Gerichtsbarkeit, Immunität, Vogtei, Bannrechte u. a. m. So kam es, daß die „Erwerbimg" von Herrschaftsrechten durch die großen Grundbesitzer neben dem König als Feudalisierung der öffentlichen Gewalten betrachtet wurde. Man sprach von einem Übergang öffentlicher Rechte in private Hände und stellte dies als charakteristische Eigentümlichkeit des Lehenswesens hin1). Das schien auch zeitlich gut zu stimmen, da die 1) Vgl. z. B . H . BRUNNER, D R G . , 2, S . 275, wo die Grundherrlichkeit als

ein Paragraph des Kapitels „Die Anfänge des Lehenswesens" behandelt wird. — Ähnlich auch v. AMIRA, Grundriß des germanischen Rechts, 3. Aufl., 1913, S. 155f., sowie v. BELOW, Der deutsche Staat des Mittelalters, 1, S. 301 u. passim.

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„Grundherrschaft" sich ja erst seit der Karolinger- und frühen Kaiserzeit gebildet haben soll. Wie war nun der historische Verlauf tatsächlich? Das, was man gemeinhin als „Grundherrschaft" bezeichnet und in der Karolingerzeit entstanden gedacht hat, war in Wirklichkeit viel, ja sehr viel älter. Ich habe schon vor 20 Jahren den Standpunkt vertreten, daß die „Grundherrschaft" bereits zur Zeit des TACITUS bei den Germanen vorhanden war 1 ): nicht nur großes Grundeigentum in der Hand der Könige sowie des Adels, sondern auch Abhängigkeitsverhältnisse persönlicher und dringlicher Art. Diese Grundherren bewirtschafteten ihren Grund und Boden nicht selbst, sondern gaben ihn an Unfreie zur Bewirtschaftung aus, die davon Zins und Dienst entrichteten. Ich machte auch bereits darauf aufmerksam, daß die Ergebnisse der Vorgeschichtsforschung die Vermutung gestatten, es sei schon in prähistorischer Zeit die „Grundherrschaft" anzunehmen2). Diese Auffassung ist neuerlich durch eingehende Untersuchungen über den mitteldeutschen Raum, welche wir F. LÜTGE verdanken, bestätigt und gestützt worden3). Seine Ausführungen sind um so wichtiger, als ja schon die ältere Forschimg (v. INAMA) doch angenommen hat, daß gerade in diesem mitteldeutschen Raum die alten germanischen Ordnungen sich am reinsten erhalten haben, weil die Römer dahin nicht gekommen sind4). Sind also erhebliche Unterschiede im Grundeigentum schon von allem Anfang an dagewesen und ein großer Grundbesitz schon vorhanden, der von dem Eigentümer gar nicht selbst durch die Arbeit seiner eigenen Hände bewirtschaftet werden konnte, so war die Herrschaftsgewalt dieser Grundherren doch keineswegs nur eine private, die sich aus dem Grundeigentum selbst ergab. Nicht jeder freie Bauer, der Grundeigentum besaß, erwarb damit zugleich auch Herrschaftsgewalten nichtwirtschaftlicher Art. Vielmehr kam es umgekehrt vor, daß sie unter der Herrschaftsgewalt anderer Personen, und zwar nicht nur des Trägers der öffentlichen Gewalt, des Königs, standen. 1) Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung (1918), 1, S. 88. 2) Wirtschaft und Gesellschaft im frühen Mittelalter. Tijdschrift voor Rehtsgeschiednis (1932), Deel 11. 3) Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters i n mitteldeutschen Raum, 1937, S. 145 ff. 4) Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 1, S. 17 u. passim.



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Ich habe gleichfalls schon vor mehr als 20 Jahren bei der Besprechung des Buches v. B E L O W S über den deutschen Staat des Mittelalters dort, wo es sich um den Übergang öffentlicher Rechte in private Hände gehandelt hat, eine sehr wesentliche Einschränkung gemacht1). Die öffentlichen Rechte, deren Übergang in private Hände als charakteristische Eigentümlichkeit des Lehenswesens gewertet wurde, konnten nicht von jedem Grundherren erworben werden, auch nicht von sehr großen, sondern es mußten bestimmte Standesqualitäten vorhanden sein. Der hohe Adel, geistlich wie weltlich, erwarb jene Rechte nicht deshalb, weil er großer Grundbesitzer war, sondern vermöge seiner politischen Stellung neben dem König. Es war auch nicht, was gewöhnlich angenommen wurde, die nutzbare Seite dieser Rechte allein, die als Grund für deren Erwerbung anzusehen ist, wie doch auch noch v. B E L O W sichtlich unter dem Einfluß von G. W A I T Z gemeint hat2). Er ist sich selbst zugleich bewußt geworden, daß solche Erwerbungen mitunter gar keine Erhöhung der Einkünfte tatsächlich mit sich gebracht haben. TACITUS selbst hat die Schilderung, aus welcher wir auf das Vorhandensein „grundherrschaftlicher" Verhältnisse schließen können, selbst nur auf einen bestimmten Kreis von Personen bezogen: die Tapfersten und Kriegerischesten. Nur die Vornehmen, sozial Höherstehenden, arbeiten nicht selbst, sondern lassen ihren Grund und Boden von Unfreien und Halbfreien bebauen. Sie haben auch, da die Teilung des Landes secundum dignationem erfolgte, großen Grundbesitz erworben. Der Adel also! Alle die Motive, welche angeblich erst zur Karolingerzeit die Entstehung der „Großgrundherrschaften" herbeigeführt haben sollen, waren, wie die neuere Forschung schlagend dargetan hat3), tatsächlich längst vor dieser bereits wirksam. Aber auch die Herrschaftsgewalten, welche die großen Grundherren neben dem König ausübten, waren keineswegs nur durch Übertragung dieses letzteren begründet, sondern auch a u t o g e n entstanden. Das lehrt die Geschichte der älteren Immunität deutlich. Wir wissen, daß schon im Merowingerreich im Anschluß an Verhältnisse, die sich schon in spätrömischer Zeit in Gallien aus1) Mitteil d. Instit. (1915), 36, S. 15. 2) a. a. O. S. 300. 3) S. H O F B A U E R , Die Ausbildung der großen Grundherrschaften im Reiche der Merowinger, 1927 ( D O P S C H , Veröffentl. des Seminars für Wirtschafts- u. Kulturgesch. Wien 3).



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gebildet haben 1), die großen Grundherren (potentes) der Imunität teilhaftig waren2), ohne daß eine Verleihung durch den König etwa im Wege eines Privilegs nachweisbar wäre. Es ist bekannt, wie sich dann auf Grund der Immunität eine (niedere) Gerichtsbarkeit in der Hand des Immunitätsherrn entwickelte8). Die Muntgewalt über die auf seinem Grund und Boden ansässigen unfreien und halbfreien Leute hat zunächst eine Gerichtsbarkeit über die Streitigkeiten dieser, sofern sie auf seinem Grund und Boden ausgebrochen waren, naturgemäß ergeben. Sie bildete sich mit der Immunität zur Niedergerichtsbarkeit weiter aus, da der Immunitätsherr zu einer nicht zu umgehenden Stelle für die Gerichtsbarkeit über alle auf dem Boden des Immunitätsgebietes erfolgten Streitigkeiten und Rechtsfälle wurde. Die Herrschaftsgewalt des Grundherrn gewann zu der Munt auch die (niedere) Gerichtsbarkeit hinzu. Mehr noch. Durch die Immunität war den öffentlichen Beamten auch die Erhebung von Abgaben innerhalb des gefreiten Bezirkes verwehrt. LEVILLAIN hat neulich, da er über die Immunität der Merowingerzeit speziell gehandelt hat, geradezu diese Seite der Immunität als die Hauptsache erklärt4). Nicht das Negative, die Ausschließung der öffentlichen Beamten vom Betreten des gefreiten Bezirkes, das Verbot der Abgabenerhebung und der districtio sei — wie man bisher stets betont hat — die Hauptsache, der Schwerpunkt liege vielmehr in dem positiven Inhalt, daß der Immunitätsinhaber die Abgaben und Leistungen, die bis dahin dem Staate zu leisten waren, nunmehr selbst erhoben habe, und zwar zu seiner eigenen Verwendung6). Auf diese Weise gewannen also die großen Grundherren durch die Immunität eine weitere Herrschaftsgewalt, und zwar finanzieller Art, die Abgabenhoheit. Wir können aber nun noch einen Schritt weitergehen und brauchen nicht auf halbem Weg stehenzubleiben. Die Immunität enthält ja noch ein drittes Verbot an die öffentlichen Beamten: sie 1 ) Vgl. B E A U D O U I N , Les grandes domaines dans l'empire Romain. Nouv. Rev. hist. de droit français et étranger, 1897 u. 1898. 2 ) Vgl. K R O E L L , L'immunité franque, 1910, p. 14ff. 3) Vgl. meine Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 2, S. 91. 4) Note sur l'immunité mérovingienne Revue Histor. de droit (1927), 4, VI. 5) Ebenda p. 55 : L'immunité . . . en dernière analyse est une concession des impôts. Das hatte aber doch auch die bisherige Forschung nicht übersehen. Vgl. z. B . H. B R U N N E R , DRG. (1892), 2, S. 295. — G. W A I T Z hatte das finanzielle Moment geradezu als die Grundlage der älteren Immunität angesehen. — Ähnlich auch v. B E L O W , Der deutsche Staat des Mittelalters, S. 254.



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sollen keine Zwangsgewalt gegen die innerhalb des gefreiten Bezirkes sitzenden Leute ausüben. Die districtio wird verwehrt, d. h. die Gewalt, welche in Urkunden der Karolinger sonst wohl auch mit bannus et districtus bezeichnet wird; Twing und Bann. Auch da konnte es nicht bei dem Verbot bleiben, auch diese Seite der Immunität hat ihren positiven Inhalt: der Immunitätsherr selbst übt fürder die den öffentlichen Beamten verwehrte Zwangsgewalt (districtio) aus. Die neuere Forschung, besonders G. SEELIGER 1 ) und dessen Schüler E. RÖRIG2), hat auf die Entstehung von Bannbezirken hingewiesen, die sich im Anschluß an die Immunität gebildet haben, bereits seit dem 9. und dann besonders im 10. Jahrhundert. SEELIGER betonte mit Recht: „Diese ganze Entwicklung herrschaftlicher Rechte hat sich im engsten Anschluß an die Immunität vollzogen, auf Grund der Immunität8)". Diese „zwingende Herrengewalt", wie A. WAAS sie neuestens treffend genannt hat4), wird dann zu einem wichtigen Herrschaftsrecht der Grundherren. Hält man sich nun vor Augen, daß ein erheblicher Teil des Grundbesitzes sowohl der Kirche wie auch des Laienadels von Landschenkungen des Königs herrührte, das Königsland aber Immunität besaß, die nicht verloren ging, so verstehen wir, wie bedeutsam die Herrschaftsrechte werden mußten, die sich eben aus der Immunität alsbald entwickelt haben. Auch das römische Fiskalland, in das die germanischen Heerführer sukzedierten, war der Immunität teilhaftig. Endlich gab es auch originär erworbenes Land, das immun war, nämlich das Rodeland. Auch dafür waren erste Ansätze schon in spätrömischer Zeit vorhanden5). Neuestens haben ziemlich gleichzeitig zwei Forscher, THEODOR MAYER®) und 7 A D . HELBOK ), in dem Rodeland geradezu ein Hauptmittel zur Bildung der adeligen Herrschaftsrechte erkannt. Sie betonten, daß 1) Die soziale und politische Bedeutung der Grundherrschaft im Mittelalter (1903), S. 109ff. 2) Luft macht eigen. Festgabe für G. SEELIGER, 1920, S. 51 ff. 3) a. a. O. S. 119. 4) Herrschaft und Staat im deutschen Frühmittelalter, 1938 (Hist. Stud. Ebering, S. 335), S. 54. 5) Vgl. L. MITTEIS, Die Erbpacht im Altertum. Abhandl. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., XX, 4, sowie ROSTOWZEW, Studien zur Geschichte des römischen Kolonats. Arch. f. Papyrusforschung, Beiheft I, S. 391. 6) Geschichtliche Grundlagen der deutschen Verfassung. Festrede 1933. Schriften d. Hessischen Hochschulen. Univ. Gießen. 7) Grundlagen d. Volksgeschichte Deutschlands u. Frankreichs, 1937, S. 483ff.



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die Entstehung des hohen Adels und seiner Vorrechte auf das Rodewerk zurückgehe. Bei dieser Gelegenheit wurde im Anschluß an THIMME der Forstbegriff hervorgehoben, der soviel wie Immunität bedeute, die Heraushebimg eines bestimmten Gebietes aus der allgemeinen Staatsverwaltung. Wir brauchen nicht soweit zu gehen als TH. MAYER. Die Entstehung des hohen Adels läßt sich schwerlich auf das Rodewerk allein zurückführen, dafür kommen sicherlich auch andere Motive verschiedener Art noch in Betracht. Aber der Umstand, daß auch das Rodeland Immunitätsgebiet war, mußte nach den oben gewonnenen Erkenntnissen die Herrschaftsgewalt der großen Grundherren noch erheblich ausdehnen und verstärken. A. HELBOK hat neuestens1) die große Bedeutung des Ausbaulandes für die Herrschaftsbildung und Landeshoheit ausführlich dargelegt. Zu dem Immunitätsland gehörte in Südostdeutschland, Österreich besonders, auch das sogenannte „freie Eigen". Es war niemandem pflichtig2). Offenbar hat sich auch da eben auf Grund der Immunität die Niedergerichtsbarkeit (Dorfgericht) entwickelt, die mit dem freien Eigen verbunden war. Wahrscheinlich ist, daß unter der als Pertinenz desselben zugleich genannten ,,Vogtei" die Distriktionsgewalt verstanden werden kann3). Beachtenswert ist, daß dieses „freie Eigen" nicht von jedermann erworben werden konnte, sondern nur vom Adel, während die Ritter noch im 13. Jahrhundert davon ausgeschlossen waren4). Dasselbe gilt auch von der V o g t e i . Es ist allgemein bekannt, wie sehr dieses schon seit der Merowingerzeit bestehende Institut die Gewalt der zu ihrer Führung berufenen Grafen- und Herrengeschlechter vermehrt hat. Nicht nur finanziell, ob der damit verbundenen Einkünfte (Vogtrecht), sondern auch durch Ausbreitung ihrer Gerichtsbarkeit über die bevogteten Kirchen und deren Güter5). Sie gewannen die hohe Gerichtsbarkeit, die den wesentlichen Inhalt der Vogteirechte des 12. Jahrhunderts bildete®). Ferner hat die neueste Forschung dargetan, wie seit Ausgang der Karolingerzeit unter den schwachen Herrschern die steigende 1) Grundlagen d. Volksgeschichte Deutschlands u. Frankreichs, 1937, S. 483ff. 2) Vgl. S. ADLER, Zur Rechtsgeschichte des adeligen Grundbesitzes in Österreich, 1901. 3) Vgl. meine Ausführungen: Zur Geschichte dor patrimonialen Gewalten in Niederösterreich. Mitteil. d. Instit. (1908), 29, S. 594ff., bes. S. 622 = Verfassung und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Gesammelte Aufsätze, 1928, S. 211. 4) Vgl. Ebenda S. 606. 5) Vgl. AL. SCHULTE, Der Adel und die deutsche Kirche, S. 228. 6) Vgl. H. HIRSCH, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit 1913, S. 66ff



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Macht des Adels dazu geführt hat, daß amtsrechtliche Grafschaften sich zu Herrschaftskomplexen ihrer aristokratischen Inhaber entwickelten1). Auf seiten des Adels bestand die Tendenz, königliche Herrschaftsrechte, die ihm zur Ausübung übertragen waren, in Herrschaftsbezirke eigenen Rechtes zu verwandeln, die sogenannten allodialen Grafschaften 2 ). Es entstand eine Gruppe von Herren = Grafen oder „Dynasten", deren Besitzungen eigene, von den Amtsgrafschaften gesonderte Herrschaftsbezirke bildeten, über die der dynastische Herr Grafengerichtsrechte ausübte, und zwar nicht kraft königlicher Verleihung, sondern kraft eigenen, angestammten Rechtes 3 ). Es fand also eine Verschmelzung der Herrschaftsrechte in der Hand dieser Dynasten statt. Neben diesem Hochadel entsteht in der nachkarolingischen Zeit auf der Höhe des Mittelalters eine zweite adelige Schicht, der niedere Adel, Ritter und Ministerialen. Auch sie erwerben Grundbesitz, besonders durch Lehen ihrer geistlichen und weltlichen Dienstherren; auch sie üben die Kirchenvogtei aus und sind der Immunität teilhaftig, haben Niedergerichtsbarkeit [Twing und Bann 4 )] und können „freies Eigen" erwerben, da sie die Genossenschaft mit diesem besitzen5). Beide Klassen des Adels haben endlich auch militärische Befugnisse und Rechte. Vor allem das Recht, Befestigungen anzulegen und Burgen zu errichten, ferner das Aufgebot der waffenfähigen Mannschaft, und zwar auch der Vogteileute8), die sie ins Feld führen und befehligen. Zu einer „Herrschaft" gehörte dann im hohen und späten Mittelalter auch die „Mannschaft" 7 ), Ritterliche und Ministerialen, die Lehensmannen hochadeliger Herren. Diese Vereinigung von Herrschaftsrechten schuf eine Machtstellung, die dann zur Folge hatte, daß sich Leute unter den Schutz solcher Herren stellten, wofür in Österreich die Bezeichnung „zuesagen" gebräuchlich war8) 1) Vgl. A. WAAS, Herrschaft und Staat im deutschen Frühmittelalter, 1938, S. 16 2 ff. — 2) Ebenda S. 181 ff. 3) Vgl. O. v. DÜNGERN, Adelsherrschaft im Mittelalter (1927), sowie A. HELBOK, a. a. O. S. 529ff. 4) Vgl. V. ERNST, Die Entstehung des niederen Adels, 1916, S. 8 4 f . 5) Vgl. S. ADLER, Zur Rechtsgeschichte des adeligen Grundbesitzes in Österreich, 1901. 6) Vgl. V. HASENÖHRL, österr. Landrecht im 13. u. 14. Jahrh. (1869). 7) Vgl. die Urkk. im UB. des Landes ob. der Enns, 5, S. 308 (1322), und Font. rer. Austr., II, 18, S. 462 (1398). 8) Vgl. Font. rer. Austr., II, 18, 478 (1401).



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(anvogten). Endlich kam auch das Jagdrecht noch hinzu1), indem der Adel den Wildbann besaß. Verschieden von der weltlichen „Herrschaft" entwickelte sich die geistliche. Gerade da war ja die Immunität eine Hauptgrundlage der Bildung, andererseits aber der Vogtzwang eine stete Ursache der Beeinträchtigimg und Abhängigkeit von weltlichen Herren. Auch die geistlichen Großen (Bischöfe) haben in der nachkarolingischen Zeit Grafschaften erworben, und zwar durch Schenkung seitens des Königs2), ferner Zollfreiheit, Markt- und Münzrechte. Mitunter gelang es ihnen, beim Aussterben der Grafengeschlechter und Vögte, deren Rechte an sich zu bringen, indem sie keine neue Verleihung vornahmen, oder damit abhängige Ministerialen betrauten. Das Erzbistum Salzburg ist dafür ein illustratives Beispiel®). Die Bestrebungen der geistlichen Herren nach Ausdehnung ihrer Herrschaftsrechte spiegeln sich deutlich in zahlreichen Urkundenfälschungen ab, die seit dem 10. Jahrhundert und dann besonders im 12. Jahrhundert angefertigt wuTden4), um Rechte in Anspruch zu nehmen, welche sie nur tatsächlich übten, ohne einen gültigen Rechtstitel produzieren zu können. Wie die Bischöfe damit die Herrschaft in den Städten ausbildeten, so haben Klöster nicht nur ihre kirchenrechtliche Stellung gegenüber den Bischöfen und anderen kirchlichen Oberen zu bessern gesucht; beide Gruppen aber haben zahlreiche Besitzungen an Grund und Boden, sowie Rechte über diese und die darauf sitzenden Leute damit in Anspruch genommen. Sehr viele von diesen falschen Urkunden beziehen sich auf die Regelung der Immunität und Vogtei, sei es um freie Vogtwahl und Absetzung der Vögte zu begründen, sei es um deren Rechte zu beschränken und zu normieren. Es ist gewiß bezeichnend, daß auch Gerichtsrechte (Stock und Galgen, Twing und Bann) in diesen falschen Urkunden eine Rolle spielen, ja in manchen Bestimmungen über die Rechtsstellung der kirchlichen Hofgenossenschaft (Familia) getroffen wurden. In dem elsässischen Kloster 1 ) Vgl. dazu auch A. HBLBOK, a. a. O . S . 4 7 3 , sowie V. E R N S T , Die Entstehung des niederen Adels, S. 24. 2) Vgl. A. WAAS, Herrschaft und Staat im deutschen Frühmittelalter, 1938, S. 166 ff. 3) Vgl. E. R I C H T E R , Untersuchungen zur historischen Geographie des Erzbistums Salzburg. Mitteil. d. Instit., Erg.-Bd. 1, sowie F. MARTIN, Die kirchliche Vogtei im Erzbistum Salzburg. Mitteil. d. Gesellsch. f. Salzburger Landeskunde, 1906, 46. Bd. 4) Vgl. meine Darlegungen über die St. Maximiner Fälschungen in Mitteil, d. Instit., 17.



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Ebersheim ist ein förmliches Dienst- und Hofrecht in die falsche Urkunde aufgenommen worden1). So sind diese geistlichen Herrschaften vom 10. bis zum 12. Jahrhundert kolossal gewachsen. Wir begreifen, daß OTTO V. FREISING diesen gewaltigen Aufschwung der Kirche besonders hervorgehoben hat2). Gerade bei diesen kirchlichen „Herrschaften" ist deutlich, daß nicht der Grund und Boden für deren Zustandekommen und Ausbildung maßgebend war und das, was man gemeinhin unter kirchlicher „Grundherrschaft" zu verstehen pflegt, sehr viele andere Rechte umfaßt, die nichts mit Grund und Boden zu tun haben. Eben hier wird auch klar, daß diese nicht durch das Lehenswesen, durch eine Feudalisierung der öffentlichen Rechte, an die Kirche übergingen, gewissermaßen gegen den Willen des Trägers der öffentlichen Gewalt, des Königs, dem dadurch ein Machtentgang bewirkt wurde, sondern in zielbewußter Reichspolitik der Ottonen, welche sich auf die Bischöfe besonders gestützt haben8). Ich habe seinerzeit schon bei Besprechung des Buches v. BELOWS über den deutschen Staat des Mittelalters gegen die häufig anzutreffende Überschätzung der Feudalisierung Deutschlands Stellung genommen und auf KROELL verwiesen, der gezeigt hat, daß die Immunität keineswegs gegen den Staat ausgerichtet war4), sondern mitunter geradezu gegen die feudalen Gewalten sich wendete. In den Urkundenfälschungen des 12. Jahrhunderts wird doch auch das Streben der Reichsabteien ersichtlich, ihre Reichsfreiheit gegenüber dem Druck der feudalen Gewalten (Bischöfe und Adel) zu sichern. Ich betonte: „Die Immunität ist nicht bloß ein Motiv der Auflösung des Staates gewesen, sondern mitunter auch ein Mittel positiver Förderung staatlicher Ziele"8). Die neuere Forschung hat seit G. SEELIGER auch schon zur Genüge betont, daß ja der Immunitätsbezirk keineswegs völlig aus dem öffentlichen Grafschaftsverbande ausschied, v. BELOW hob hervor, daß der staatliche Charakter an den veräußerten Rechten haften blieb und die Veräußerung von Hoheitsrechten diesen noch 1) Vgl. Mitteil. d. Instit., 19, sowie

H . HIRSCH

in Festschrift für

HANS NAB-

HOLZ, 1 9 3 4 .

2) Chron. VII prolog: ecclesia in presenti quoque i n m a g n u m m o n t e m c r e s c e n s in magna auctoritate stare cepit. 3) Vgl. A. HAUCK, Die Ausbildung der bischöflichen Fürstenmacht. Leipziger Univ. Progr., 1891. 4) L'immunité franque, S. 154 ff. 5) Mitteil. d. Instit. (1915), 36, S. Iff.



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nicht ihren staatlichen Charakter nehme1). Die im Immunitätsbezirk ansässigen Freien blieben in bestimmten Fällen doch der öffentlichen Gewalt unterworfen2). Zudem soll nicht übersehen werden, daß auch die zur Abhaltung der .privatae audientiae' berufenen agentes oder Vögte ebensowenig rein grundherrliche Beamten waren 3 ), wie die iudices der königlichen Domänen. Vielmehr wurden sie unter Kognition und mit Genehmigung der königlichen Beamten bestellt. Und nun möchte ich in der Beurteilung der Immunitäten noch einen Schritt weitergehen, als es bisher geschehen ist. Die Immunitätsprivilegien, welche der König erteilte, hatten keine dauernde Geltung, sondern waren auf die Lebensdauer des Verleihers beschränkt. Daher wurden sie nach dessen Ableben dem neuen König immer wieder zur Bestätigung vorgelegt. Er konnte Abänderungen in dem Umfang und der Ausdehnung dieser Rechte vornehmen4). Nicht selten waren sie mit einer Bestätigung des Besitzes der betreffenden Kirche verbunden. Das ist gewiß nicht zufällig. Denn auch der Umfang dieses letzteren hat sich ja stetig verändert und blieb nicht gleich. Ich möchte nun glauben, daß die Immunitätsprivilegien nicht nur zeitlich beschränkte Geltung hatten, sondern auch sonst von der Gnade des Königs abhängig waren. Und eben diese Prekarität des Rechtes mußte ein Hindernis gegen das volle Ausscheiden der Immunitätsbezirke aus dem Staatsverbande sein, zugleich die wirkliche Feudalisierung dieser Rechte hintanhalten. Im Falle der Untreue oder eines politischen Gegensatzes konnten solche Privilegien schwerlich dem König zur Bestätigung vorgelegt werden, konnte man kaum ernstlich auf den Schutz desselben rechnen, was doch ein Hauptzweck der Immunität gewesen ist. H. BRUNNER ist seinerzeit aufgefallen, daß eine Reihe von Klöstern in Österreich, die Immunität besaßen, einen auffallenden- Mangel an Immunitätsverleihungen seitens des Königtums aufweisen6). Er hat diese überraschende Tatsache aus Rücksichten des Königs auf die Markverfassung hier im südostdeutschen Grenzraum zu erklären ge1) Der deutsche S t a a t des Mittelalters, S. 246. 2) V g l . d a s MG. DD.,

Immunitätsprivileg

KARLS

D. G R .

vom

Jahre

775,

f ü r METZ,

91.

3) Vgl. meine Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 2, S. 125. 4) Vgl. TH. SICKEL, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., 47. u. 49. B d . — Beiträge zur Diplomatik, I I I u. V. 5) D a s gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger. Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., 47, S. 339.



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sucht, welche eine Zurückhaltung in der Erteilung von Immunitäten auferlegt hätten. Aber diese Erklärung befriedigt in keiner Weise. Und ich habe schon 1914 eine viel plausiblere vorgetragen. Gerade im Zeitalter des Investiturstreites konnten hier die Bistümer und Klöster, welche auf seiten der kirchlichen Reformpartei gegen das Königtum standen, von diesem gar keine solche Vergünstigungen erwarten1). Tatsächlich haben sich Bistümer und Klöster damals um die Erteilung päpstlichen Schutzes beworben; eine stattliche Reihe von Schutzprivilegien der Päpste aus dem 12. Jahrhundert ist noch erhalten2). Ihre große Zahl fällt gerade gegenüber der Spärlichkeit königlicher Immunitätsprivilegien besonders auf und erklärt zugleich diese letztere Erscheinung. Gewiß, diese geistlichen Anstalten erhielten die Immunität alsbald von der neuen landesfürstlichen Gewalt in Österreich, dem Herzogtum, das mit der kirchlichen Reformpartei verbündet war. Aber gerade durch die Entwicklung der Landesherrlichkeit wurde doch die Feudalisierung der öffentlichen Gewalt — wie allgemein angenommen wird — überwunden und die Abhängigkeit von dieser neuen Staatsgewalt in den Territorien auf der ganzen Linie durchgesetzt3). Wir dürfen doch auch nicht übersehen: Deutschland ist niemals ein wirklicher Feudalstaat geworden, ja nicht selten sind eben diese angeblich rein privaten „Grundherrschaften" dann doch selbst zur Landesherrlichkeit aufgestiegen4). Die Bezeichnung „Herrschaft", welche im 14. Jahrhundert allgemein gebraucht wird, enthält nicht bloß, wie von verschiedenen Forschern angenommen wurde, die Herrschaft über Grund und Boden, sondern umfaßt alle Gewalten der Grundherren überhaupt, auch Leib-, Gerichts- und Vogteiherrschaft5), ebenso wie der ältere 1) Reformkirche und Landesherrlichkeit in Österreich. Festschrift d. Akad. Vereins deutscher Historiker in Wien, 1914 = A. DOPSCH, Verfassnngs- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, 1928, S. 67 f. 2) Vgl. A. BRACKMANN, Studien und Vorarbeiten zur Germania pontificia, 1, S. 57 ff. 3) Vgl. H. v. SRBIK, Die Beziehungen von Staat und Kirche in Österreich während des Mittelalters (A. DOPSCH, Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs, 1), 1904. 4) Vgl. z. B. B. WOHLTHANN, Die Entstehung und Entwicklung der Landeshoheit des Abtes von Prüm. Westdeutsche Zschr., 28, S. 369ff., bes. S. 380ff., sowie A. HELBOK, a. a. O. S. 471 ff. 5 ) V g l . z . B . d i e b e i LAMPRECHT, a . a . O . , 1, S . 1 1 6 0 n . 5 z i t . U r k .

Jahre 1379.

vom



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lateinische Ausdruck potestas1) nicht auf die Herrschaft über Grund und Boden allein beschränkt ist. Mit Hilfe der bisher gewonnenen Ergebnisse vermögen wir nun auch einige Neubildungen besser zu erklären, als es bisher vielfach rein rationalistisch und konstruktiv versucht worden ist. So das Allmendeobereigentum und die sogenannte Markhörigkeit. K . LAMPRECHT hat für das Moselland konstatiert, daß die überwiegende Anzahl aller Allmenden schon seit der ersten Hälfte des Mittelalters in grundherrlichem Besitz gewesen ist 2 ). E r findet die ältesten Zeugnisse dafür um die Mitte des 8. Jahrhunderts und stellt fest, daß bis zum 12. Jahrhundert dann das Obereigentum sehr weitreichend durchgeführt erscheint; den Abschluß der Entwicklung setzt er Ende des 13. Jahrhunderts an 8 ). Selbst O. GIERKE, der an den Fortbestand altfreier Markgenossenschaften auch für die spätere Zeit glaubte, mußte zugeben, daß die Verknüpfung des Herrschaftsverbandes mit Grund und Boden so alt ist wie die germanische Ansiedlung überhaupt4). E r konnte sich nicht verhehlen, daß seit der fränkischen Zeit die Minderung des Gesamtrechtes an der Mark durch Herrenrecht eine allgemeine und regelmäßige Erscheinung, vollfreies Gesamteigen aber zur Seltenheit wurde5). Immerhin hat er sowie eine Anzahl anderer Forscher auf Grund einer im ganzen freilich recht geringen Zahl von Weistümern des späten Mittelalters, ja noch jüngerer Zeiten, die von „freien" Marken sprechen, die Annahme vertreten, es seien auch damals noch freie Markgenossenschaften mit Gesamteigen an der Mark vorhanden gewesen. Ich habe nun alle dafür vorgebrachten Quellen einer besonderen Untersuchung unterzogen und überall bei diesen Markgenossenschaften einen Hof- bzw. Lehensherrn nachweisen können8). Seither sind, obwohl einzelne Kritiker die alte Lehre GIERKES nicht ganz preisgeben wollten7), durch neueste Spezialuntersuchungen meine Ausführungen bestätigt und gestützt worden®). 1 ) WOHLTMANN, a . a . O . S . 3 8 4 . — 2) D W L . , I , S . 3 9 0 . — 3) E b e n d a ,

I,

2, S. 696. — 4) Deutsches Genossenschaftsrecht, 1, 79. — 5) Ebenda 2, S. 155. 6) Die freien Marken in Deutschland, 1933, S. 10 ff. 7) So MERK in der Zschr. d. Savignystiftung f. RG., germ. Abt. (U. STUTZ) (1934), 54, S. 319ff. 8) Vgl. FR. LÜTGE, Die Agrarveifassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum, 1937, S. 329 (Monra); auch M. WELLMER, Zur Entstehungsgeschichte der Markgenossenschaften. Der Vierdörferwald bei Emmendingen, 1938; endlich A. WAAS, Herrschaft und Staat im deutschen Frühmittelalter, 1938, S. 239.



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Wie immer noch einzelne Vorbehalte gemacht wurden, um die alte Lehre zu retten, so tritt das Herrenrecht auch da immer deutlicher zutage1). Gerade diese Untersuchung klärt nun auch das Verhältnis auf, das zwischen der „Herrschaft" und den Dorf- bzw. Markgenossen bestanden hat. Ich glaube nicht, daß die Bestellung des Obermärkermeisters oder Bauermeisters da die Hauptsache war, wie die ältere Forschung gemeint hat. Denn wir können beobachten, daß dieselbe mitunter von dem Grundherrn an die Markgenossen im Gnadenwege oder gegen eine Geldleistung überlassen worden ist 2 ). Viel wichtiger war m. E., daß die Grundherren, wie oben ausgeführt wurde8), auch das Recht der Zwangsgewalt (ius distringendi, „Twing und Bann") erwarben. Denn sie haben mit Hilfe desselben dann einerseits Teile der Mark in ihr Sondereigentum einbezogen4), andererseits aber die unter ihrem Bann sitzenden Leute unfrei gemacht5), oder mindestens zu Frondiensten gezwungen8). Schon K. LAMPRECHT hatte seinerzeit, obwohl er diese Zusammenhänge nicht erkannte, die Ausbildung der Mark- und Vogteihörigkeit als wichtige Erscheinungen der sozialen Entwicklung des Mittelalters bezeichnet, indem nun die Freien durch Gerichtszwang mit den Grundholden verschmolzen8). F. RÖRIG aber hob hervor, daß der Abt von St. Matheis auf Grund der niederen Gerichtsbarkeit Allmendehoheit beansprucht hat 7 ). Auch in Tirol war die Allmende eine Pertinenz der „Herrschaft" [1303]8). Aber „Twing und Bann" ist — so wird man einwenden — keine allgemeine Erscheinung des deutschen Kulturgebietes, sondern kommt nur im Westen, am Rhein sowie in Schwaben vor. In Bayern und Österreich fehlt diese Bezeichnungsweise. Jedoch hat schon WOHLHAUPTER m. E. zutreffend erklärt, daß gleichwohl die Sache selbst doch vorhanden war9). Er führt aus, daß in Bayern die Gerichtsbefugnisse den eigentlichen Ausgangs- und Konzentrationspunkt gebildet haben. Die Niedergerichtsbarkeit war seit der berühmten Ottonischen Handfeste von 1311 den geistlichen und welt1) Marken", 4) 6) 7) 8) 9) Bayerns,

Dazu auch A. HELBOK, a. a. O. S. 465 ff. — 2) Vgl. meine „freien S. 50ff. — 3) Vgl. oben S. 7. Meine „freien Marken", S. 47 f. — 5) Ebenda S. 82. Vgl. die bei LAMPRECHT, DWL., I, S. 1158ff. zit. Belegstellen. Die Entstehung der Landeshoheit des Trierer Erzbischofes, S. 28. Vgl. Tiroler Weistümer, 2, S. 312, Z. 6ff. Hoch- und Niedergericht in der mittelalterlichen Gerichtsverfassung 1929, S. 303 n. 1.



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liehen Herren zuerkannt1). Die Hofmarkgerichtsbarkeit derselben schloß auch die Handhabung der Polizeigewalt auf ihren Gütern in sich2). Dieselben Stände besaßen auch die Dorfgerichtsbarkeit8). Ähnlich war es auch in Österreich. Die Bezeichnung „Twing und Bann" fehlt in den Quellen. Jedoch hatte der geistliche und weltliche Adel, zu welchem damals auch die Ministerialen schon gerechnet wurden, am Beginn des 14. Jahrhunderts nach dem österreichischen Landrecht (I., Art. 46) die Immunität auf all ihren Gütern4). Die neueste Forschung hat erkannt, daß dieses Recht wahrscheinlich der Ottonischen Handfeste Bayerns (1311) nachgebildet ist 5 ). Nur diese Stände konnten auch das „freie Eigen" erwerben, das, wie wir früher gesehen haben6), gleichfalls der Immunität teilhaftig war. Mit demselben war „Vogtei und Dorfgericht" regelmäßig verbunden. Und ich habe schon im Jahre 1908 die Vermutung geäußert, daß wir hier unter „Vogtei" — ähnlich wie bei „Twing und Bann" — die zwingende Gewalt zu verstehen haben7). Für Tirol hat v. VOLTELINI das Vorkommen von „bannus et districtus" nachgewiesen und gezeigt, daß darunter die Niedergerichtsbarkeit zu verstehen ist. Er nimmt an, daß Twing und Bann jedem Grundherrn zustanden (?), da sie bei Veräußerung herrschaftlicher Güter als Zubehör angeführt werden8). Tatsächlich sind diese Rechte auch da eine Pertinenz der „Herrschaft", aber nicht jedes Grundherrn. Diese zwingende Gewalt war auch die Wurzel der polizeilichen Befugnisse des Dorfgerichtsherrn*). Auch da ergibt sich somit eine Analogie zu den Verhältnissen in Bayern. So war also um 1300 in den Händen der adeligen Grundbesitzer eine Herrschaftsgewalt zustande gekommen, die keineswegs nur auf 1 ) Vgl. E D . R O S E N T H A L , Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Baierns (1889), 1, S. 189. 2) Ebenda S 196 n. 4. — 3) Ebenda S. 205. 4) V . H A S E N Ö H R L , österreichisches Landesrecht im 13. u. 14. Jahrh., S. 2 5 2 . 5 ) Vgl. K A R L - H A N S GANAHL, Versuch einer Geschichte des österreichischen Landesrechts im 13. Jahrh. Mitteil. d. Instit., Erg.-Bd. X I I I (1935), S. 366f. 6) Vgl. oben S. 8. 7) Zur Geschichte der patrimonialen Gewalten in Niederösterreich. Mitteil, d. Instit., 29, S. 620. 8) Immunität, grund- und leibherrliche Gerichtsbarkeit in Südtirol. Arch. f. österr. Gesch. (1907), 94, S. 405. 9) Vgl. meine Darlegungen in Mitteil. d. Instit., 29, S. 620.



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dem Grundeigentum beruhte, sondern in weiterem Umfang auch dort ausgeübt wurde, wo nur Lehens- oder Vogteigut vorhanden war1). Mit Hilfe dieser Herrschaftsgewalt vermochten dann die adeligen Grundbesitzer auch ihre Leibherrschaft noch weiter auszudehen, und zwar auf alle jene Personen, die unter ihrem Bann bzw. Vogtei (Österreich) gesessen waren2): „Luft macht eigen." So verdichteten sich diese Herrschaftsgewalten immer mehr und mehr; auch die hohe Gerichtsbarkeit (Landgericht) wurde hinzugewonnen, was in Österreich schon Ende des 13. Jahrhunderts bei den Ministerialen („Dienstherren") der Fall war. Nach den Gedichten des Kleinen Lucidarius (SEIFRIED HELBLING) wird als Attribut des rechten Dienstmannes auch angesehen, daß er Stock, Galgen und Bann habe8). Auch in Nordwestdeutschland war die niedere Gerichtsbarkeit der Ritterschaft im 14. Jahrhundert anerkannt, wahrscheinlich existierte sie schon früher4). Ebenso auch in Sachsen. G. L. v. MAURER, der dies bereits bemerkt hatte, gab freilich eine irrige Darstellung, die leider die spätere Forschung maßgebend bestimmt hat. Er bezeichnete diese Gerichtsbarkeit als „grundherrliche" und behauptete, ohne Belege dafür vorzubringen, sie sei „von jeher das Recht eines jeden Grundherren" gewesen5). Ebenso haben in Westfalen die adeligen Grundherren, geistlich wie weltlich, die niedere Gerichtsbarkeit erworben6). Endlich ist auch für Brandenburg dargetan worden, daß schon im 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts dem Adel die niedere Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt zugekommen sei7). So ergibt sich ganz allgemein, daß in der Hand des grundbesitzenden Adels, geistlich wie weltlich, seit der Karolingerzeit sich Herrschaftsgewalten ausgebildet haben, die nicht mit dem Besitz 1) Dies besagt ausdrücklich die schon zit. Stelle der österr. LR., I, Art. 46. 2) Vgl. F. RÖRIG, Luft macht eigen, a. a. O. S. 67, sowie meine „freien Marken", S. 82 ff. 3) Vgl. Jos. SEEMÜLLER, Seifried Helbling, VIII, S. 40ff. (c. 1299), dazu H. SIEGEL, Die rechtliche Stellung der Dienstmannen in Österreich. Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., 102, S. 270. 4) Vgl. W . WITTICH, D i e G r u n d h e r r s c h a f t i n N o r d w e s t d e u t s c h l a n d

(1896),

S. 187. — 5) Fronhöfe, 3, S. 77. 6) Vgl. H . AUBIN, Die Verwaltungsoiganisation des Fürstentums Paderborn im Mittelalter, 1911, S. 101. 7) Vgl. F. J. KÜHNS, Geschichte der Gerichtsverfassung und des Prozesses in der Mark Brandenburg, 1, 173, u. 2, S. 146, dazu aber'doch auch BORNHAK, Geschichte des preußischen Verwaltungsrechtes, 1, S. 9ff u. 33, auch S. 71. D o p s c h , Herrschaft und Bauer.

2



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von Grund und Boden an sich gegeben waren und auch nicht jedem Eigentümer von solchem zustanden. Wie schon gesagt, gab es freie Bauern, die über beträchtliches Grundeigentum verfügten und gleichwohl diese Rechte niemals besaßen. Ebensowenig die Stadtbürger, welche Grundbesitz auf dem umliegenden Lande hatten. Den Ausdruck „pseudo- oder halbstaatliche" Gewalten halte ich nicht für zutreffend. Es sind tatsächlich keine staatliche Gewalten, ebensowenig wie rein grundherrliche. Es sind Herrschaften, die ihre Rechte nicht vom Staate haben müssen, sondern auf Grund autogener Immunität bilden konnten, ebenso wie auch die Niedergerichtsbarkeit, Twing und Bann, nicht besonders verliehen werden mußte. Diese Gewalten waren zwar öffentliche in ihrer Ausübung und Wirksamkeit, aber begründet durch die Zugehörigkeit ihrer Inhaber zu dem Standeskreis eines bevorzugten Adels (Dynasten)1). Es fragt sich nun zum Schlüsse noch, wie stand es denn mit der rein grundherrlichen Machtgewalt? SEELIGER ist auch da bereits auf die Unzulänglichkeit der herrschenden Lehre aufmerksam geworden. Indem er erkannte, daß die rechtliche Grundlage der herrschaftlichen Gerichtsbarkeit über Personen vielfach rein persönlicher Art war, kamen ihm Zweifel, ob es denn in der älteren Zeit überhaupt eine „grundherrliche" Gerichtsbarkeit gegeben habe. Er stellte fest, daß aus dem Zeitalter der Merowinger keine unmittelbaren Nachrichten vorhanden sind, die eine Deutung auf grundherrliche Gerichtsbarkeit zuließen. Er betonte, daß in der rechtsgeschichtlichen Literatur allzusehr mit dem Begriff „grundherrliche Gerichtsbarkeit" operiert wurde2). Erst spätere Meldungen aus dem 9. Jahrhundert ließen, meinte SEELIGER, dann erkennen, daß der Eintritt von Freien in den dinglichen Verband als selbstverständliche Folge auch die gerichtliche Abhängigkeit gezeitigt habe3). Denn der öffentliche Beamte habe keine Mittel gehabt, bei Freien, die nur Leihegut hatten, die zwingende Gewalt unmittelbar auszuüben4). Daher habe der Grundherr eine Zwischeninstanz gebildet, die zunächst zwischen Grundhörigen und öffentlichem Gericht zu vermitteln hatte, allmählich aber zu einer Gerichtsinstanz geworden sei. Durch das Hinzutreten der Immunität wurde dann die in Bildung begriffene herrschaftliche Gerichtsbarkeit wesentlich gefördert und gestärkt; sie hat schließlich öffentlichen Charakter gewonnen5). 1) Vgl. O. v. DUNGERN, Adelsherrschaft im Mittelalter, 1927, S. 12ff., sowie A . HELBOK, a . a . O . S . 5 4 2 .

2) a. a. O. S. 74. — 3) Ebenda S. 75. — 4) Ebenda S. 76. — 5) Ebenda S. 167.



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Nach dieser Lehre wäre also die grundherrliche Gerichtsbarkeit erst in der Karolingerzeit, und zwar durch Hinzutritt der Immunität zustande gekommen. Das klingt an sich wenig überzeugend, da es ja Immunitäten schon seit Beginn der Merowingerzeit gegeben hat, und zwar sowohl von geistlichen wie auch von weltlichen Herren 1 ). Wenn aber wirklich erst durch die Immunität die herrschaftliche Gerichtsbarkeit ausgebildet wurde, dann war eben nicht die dingliche Abhängigkeit die Ursache für die Entstehung eines herrschaftlichen Gewaltverhältnisses, sondern vielmehr die Freiung von der öffentlichen Gerichtsbarkeit. SEELIGER hatte doch bei seinen Ausführungen über das Hofrecht selbst betont: „Es gab kein Recht, welches auf den einzelnen Grundstücken in der Art haftete, daß der Beliehene mit seiner Person dem Herrschaftsgericht unterworfen und unfrei wurde" 2 ). Andererseits hat der Staat nicht erst im 9. Jahrhundert die Leibherrschaft über Unfreie beschränkt, sondern schon von allem Anfang an seit der frühen Merowingerzeit. E r ist gegen die willkürliche Tötung von Unfreien schon seit Beginn des 6. Jahrhunderts aufgetreten 3 ) und hat gegen allzu reichliche Freilassung solcher Verbote erlassen, da sie seine Interessen an der Bewirtschaftung der Domänen beeinträchtigten 4 ). Vor allem aber ist nicht zu übersehen: Der Staat konnte sehr wohl eine zwingende Gewalt gegen solche Personen auf privatem Grundbesitz ausüben, die Leiheland besaßen. E s bedurfte keineswegs der Vermittlungsinstanz des Grundherrn. Diese ergab sich erst infolge der Immunität, indem diese nicht nur das Betreten des gefreiten Bezirkes dem öffentlichen Richter verwehrte, sondern ebenso auch die Ausübung der Zwangsgewalt. Die Immunitätsformel aus der ältesten Zeit ist selbst ein untrügliches Zeugnis dafür, daß der Staat in der Regel dort, wo kein solches Privileg vorlag, auch gegen die Unfreien auf dem Grund und Boden privater Grundbesitzer durch seine öffentlichen Richter ohne Beschränkung auf bestimmte Rechtssachen eine zwingende Gewalt wirklich ausgeübt hat: ut nullus iudex publicus ad causas audiendum . . . nec homines ipsius ecclesiae de quaslibet causas distringendum . . . ibidem ingredire non debeat 6 ). Man verbietet nicht etwas, was ohnedies nicht möglich gewesen sein soll! 1) Vgl. meine Nachweise in „Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit", 2. S. 127 f f . — 2) a. a. O. S. 181. — 3) Vgl. E . LOENING, Geschichte des deutschen Kirchenrechts, 1, S. 574. — 4) Vgl. meinen Aufsatz „Freilassung und Wirtschaft im frühen Mittelalter". Festschrift für HALVDAN KOHT, 1933, S. 82. 5) Marculfi Form., I n° 4, MG. LL., sect. V, p. 44.

2*



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Die ganze Konstruktion von der allmählichen Entwicklung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit ist übrigens schon deshalb unbegründet, weil alle die großen Grundbesitzer, die wir aus der ältesten Zeit kennen, der König, die Kirche und der Laienadel (potentes), ja bereits damals der Immunität teilhaftig waren1). Weder SEELIGER noch die rechtshistorische Forschung vor ihm haben bis jetzt ein echtes Zeugnis für eine solche rein grundherrliche Gerichtsbarkeit vorbringen können. Selbst wenn die viel umstrittenen Immunitätsprivilegien für Trier und Metz (Dipl. Carol. 66 u. 91) echt sein sollten — M. TANGL hat bei der Ausgabe derselben in den Mon. Germ. Histor. zuletzt doch noch Zweifel geäußert2) —, so beweisen sie ebensowenig wie das Capitulare de Villis von c. 794/5 etwas für ein solches Vorstadium der Entwicklung, da in beiden Fällen eben doch schon Immunität vorhanden war! Die Erwähnung von „privatae audientiae" in den ersteren beiden Urkunden schien der Bestimmung in dem Capitulare zu entsprechen, daß die Domänenverwalter „audientiae" halten sollten*) (c. 56). Aber in beiden Fällen liegen doch Gerichtsbarkeiten auf Immunitätsbezirken vor. Schon H. BRUNNER hatte seinerzeit richtig erkannt, daß der iudex fisci der königlichen Domänen dem advocatus der geistlichen Immunitäten in den fränkischen Capitularien paritätisch gegenübersteht4). In der Urkunde für Trier wird uns auch direkt gesagt, daß die „privatae audientiae" durch die agentes dieser Kirche abgehalten wurden, eine Bezeichnung, die in älterer Zeit eben für die Vögte üblich war5). Wir dürfen auch nicht übersehen: WILHELM SICKEL, auf dessen Abhandlung über die Privatherrschaften im fränkischen Reich6) diese ganze Lehre doch hauptsächlich zurückgeht, kennt keine anderen Belege für diese grundherrliche Gerichtsbarkeit als eben wieder — die Immunitätsprivilegien der Könige! Die „Privatherrschaften" aber, die Ende des 5. Jahrhunderts in Gallien emporgékommen sind, die potentes, besaßen — wie wir heute wissen — ebenso die Immunität (KROELL). 1) Vgl. meine Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 1. Aufl., 2., S. 125ff. 2) Vgl. MG.DD. Carol., 1, S. 563 (Nachträge!) 3) Die Erwähnung dieser privatae audientiae haben G. L. v. MAURER, Fronhöfe, 1, S. 485ff., und dann auch GAREIS, Die Landgüterordnung Karls d. Gr. (895), S. 17 als Belege für eine rein grundherrliche Gerichtsbarkeit angesehen. 4) DRG., 2, 307 n. 37 = 2», 410 n. 39. 5) V g l .

BRUNNER,

DRG.,

2,

S. 304.

6) Westdeutsche Zschr., 15, S. 111 ff. u. 129.



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Im ganzen betrachtet zeigt sich also, daß das Grundeigentum besonders dort, wo es in geschlossenem Umfang vorhanden war, eine wichtige Grundlage für die Ausbildung von Herrschaften gebildet hat 1 ); deren Gewalten aber sich aus sehr verschiedenen Rechten zusammensetzten und vielfach autogen, ohne Herleitung aus staatlichen Rechten, zustande gekommen sind, jedoch nur bei einer bestimmten adeligen Standes- bzw. Familienqualität der Grundeigentümer, nicht bei allen. Die geistlichen Herrschaften sind vornehmlich auf Grund von Privilegien der öffentlichen Gewalten (König, Landesherr) entstanden, weshalb auch für den Grundbesitz und jene Rechte (Immunität, Vogtwahl u. a.), die sie auf eigenmächtige Weise tatsächlich gewonnen hatten, Urkundenfälschungen in großem Ausmaß angefertigt wurden, um diese Rechte ebenso begründen zu können. Man hat im 12. Jahrhundert, als die Herrschaftsbildung in lebendigem Flusse sich befand, Urkunden auf die Namen möglichst alter Könige und Kaiser, mit Vorliebe KARLS D. GR. und LUDWIGS D. FR., bezeichnenderweise unter Verwendung echten Immunitätsformulars ausgefertigt, um als Verleihung grauer Vorzeit hinzustellen, was man in der Gegenwart benötigte. Selbst Bestimmungen hof- und dienstrechtlicher Art über die Hofgenossenschaft (familia) fügte man in diese falschen Immunitätsurkunden ein, die der Herrschaftsbildung von damals (12. Jahrhundert), nicht aber der Zeit des angeblichen königlichen Ausstellers und Verleihers dieser Urkunden entsprechen. Gewiß wird das Wiederaufleben des Urkundenbeweises dazu mitgewirkt haben, wie die diplomatische Forschung uns gelehrt hat, allein dies war sicherlich nicht der alleinige Anlaß dafür, sondern eben die zu neuen Formen der Herrschaftsbildung drängenden verfassungs- und wirtschaftlich-sozialen Entwicklungsmotive. Daher stellen diese Urkundenfälschungen ein wichtiges Erkenntnismittel jener Vorgänge dar, über welche direkte Aussagen echter Quellen naturgemäß nur wenig berichten. 1) H E L B O K , a . a . O . S . 4 7 3 f f .



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§ 2. Die soziale Entwicklung der unfreien Bevölkerungsklassen auf dem Lande. "pver Stand der Forschung über die Veränderungen, die sich bei den Unfreien vom 10.—13. Jahrhundert vollzogen haben, ist ^ für Deutschland noch nicht recht befriedigend. Während in Frankreich eine große Reihe von Spezialuntersuchungen angestellt wurde, welche die Entwicklung in den einzelnen Territorien behandeln1), fehlt es bei uns an einer solchen Spezialforschung eben für diese Zeit gerade noch vielfach. Dies hatte zur Folge, daß die Forschungen KARL LAMPRECHTS über das Moselland2) als allgemein gültige Darlegungen für Deutschland überhaupt verwertet wurden8). Und doch lassen sich auch in Deutschland sehr beträchtliche Unterschiede wahrnehmen und eine z. T. andersgerichtete Entwicklung verfolgen, zumal die Quellen nicht überall gleichmäßig fließen. Mitunter sind dieselben auch nur z. T. verwertet und noch nicht entsprechend ausgeschöpft worden. Ich erinnere nur z. B. an den großen Schatz der Traditionsbücher des deutschen Südens, der eben für die hier behandelte Zeit eine intimere Erfassung der sozialen Vorgänge und Verschiebungen ermöglicht. Nur so wird auch verständlich, daß über diese so verschiedene, ja vielfach entgegengesetzte Auffassungen vorgetragen werden konnten. Man generalisierte Einzelbeobachtungen und überschätzte sie; man meinte grundstürzende Umwälzungen sozialer Art annehmen zu müssen, um angeblich neue Formen der Entwicklung erklären zu können. Sehr nachteilig wirkte auch darauf ein, daß der Ausgangspunkt der Betrachtung unzutreffend war, daß die Karolingerzeit nicht richtig beurteilt und vieles als spätere Bildung hingestellt wurde, was damals doch schon vorhanden war. 1) Vgl. die sorgfältige Zusammenstellung und Verwertung derselben durch Rois et serfs (1920), S . 16 ff., sowie neuestens desselben Verfassers Abhandlung Liberté et servitude personnelles au moyen-âge particulièrement en France. Anuario de Historia del derecho Español (1933), 10, S. 19—115. 2) Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter (1886), I. 3) So von I N A M A - S T E R N E G G , Deutsche Wirtschaftsgeschichte (1891), 2. Bd., Vorwort S. X I , der allerdings (ebenda S. X) doch selbst schon bemerkt hat: „ob nicht trotzdem auch schon für die hier behandelte Periode eine erhöhte Rücksicht auf die Verschiedenheit der volkswirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Territorien am Platze gewesen wäre, muß die Erfahrung und eine vertiefte Einsicht in die wirtschaftlichen Vorgänge lehren, wie sie bei dem lebhaft gesteigerten Interesse für die deutsche Wirtschaftsgeschichte mit Sicherheit zu erwarten ist." MARC BLOCH,



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Bezeichnend für diesen Stand der Forschung ist vielleicht, daß ein so vortrefflicher Kenner der Agrar- und Sozialgeschichte gerade dieser Zeit, wie es RUDOLF KÖTZSCHKE ist, in seiner Allgemeinen Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters (1924), die doch 620 Seiten umfaßt, über die Lage der landarbeitenden Klassen in der deutschen Kaiserzeit eine einzige Seite zur Darstellung bloß benötigte Und noch weniger hat JOSEF KULISCHER in seiner Allgemeinen Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit (1928) darüber gebracht2). Zum Ausgangspunkt meiner Betrachtung möchte ich nicht, wie dies gewöhnlich geschah, die Gemeinfreien nehmen, weil für diese Bevölkerungsklasse die großenteils herrschaftlichen Quellen naturgemäß weniger enthalten3), sondern die Unfreien, für welche der heutige Stand der Forschung ganz besonders unzureichend ist. Schon in der Karolingerzeit hat die Klasse der Unfreien sehr bedeutsame Veränderungen durchgemacht, indem sich eine weithin erstreckende Aufwärtsbewegung sozialer Art nachweisen läßt. Zahlreiche Freilassungen sind erfolgt, wie besonders die auffallend große Zahl der Formeln beweist, die für cartae ingenuitatis noch auf uns gekommen sind, etwa sechzig4)! So wird auch die große Anzahl von Halbfreien erklärlich, die keineswegs durch eine allgemeine Verknechtung der Gemeinfreien zustande gekommen ist, wie die ältere Forschung angenommen hatte. Meine gegen diese gerichteten Darlegungen5) haben durch neue Untersuchungen eine Bestätigung und starke Stütze erfahren. FRIEDRICH LÜTGE hat jüngst in seinem Buche „Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum vornehmlich in der Karolingerzeit" gründliche Forschungen darüber angestellt und kommt zu dem beachtenswerten Ergebnis: „Es ist nicht zutreffend, daß im Laufe der Karolingerzeit im Rahmen unseres Gebietes l ) s. 369. - 2) 1, S. 112. 3) Vgl. meine quellenkritischen Ausführungen in „Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit", 2*, S. 38, sowie „Zur Methodologie der Wirtschaftsgeschichte" in Festschrift für W. GOETZ (1927), S. 535ff. = Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Gesammelte Aufsätze von A. DOPSCH (1928), S. 559. — Dadurch wird auch erklärt, warum v. INAMA in den Irrtum verfiel, die Gemeinfreien als „sozial bedeutungslos" hinzustellen, 2, S. 36. — Richtig KÖTZSCHKE, a. a. O., der freilich hinwiederum gar nichts über die unfreien Klassen vorgebracht hat. 4) Vgl. meine Ausführungen „Freilassung und Wirtschaft" in der Festschrift für H A L V D A N KOHT, Oslo 1933 = Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Gesammelte Aufsätze, 2. Reihe, von A. DOPSCH, 1938, S. 95ff. 5) Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 2*, S. 50ff.



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sich die Freien in auch nur nennenswertem Ausmaße unter dem Druck der Heeresverfassung oder aus sonstigen Gründen sich selbst in Unfreiheit begeben haben. Die Umwälzung in der sozialen Struktur der Bevölkerung, die man dieser Epoche zuzuschreiben pflegte, hat in dieser Form keinesfalls stattgefunden"1). Auch LÜTGE nimmt eine große soziale Wandlung auf seiten der Unfreien an und bezeichnet den Übergang vom rechtlosen Unfreien, deren es gerade in Mitteldeutschland sehr viele gab, zum Bauern mit fest abgegrenzten Rechten und Pflichten als eines der wichtigsten Ereignisse der Karolingerzeit2). Also auch er faßt diese Bewegung als eine wesentliche Besserung der Lage der Unfreien auf. Nach der früher herrschenden Lehre hätten erst die großen Kolonisationen des 12. und 13. Jahrhunderts sowie das Aufblühen des Städtewesens dazu geführt und einen freien Bauernstand geschaffen3). Wir können nun die jüngere Entwicklung des 10.—13. Jahrhunderts direkt an jene der Karolingerzeit anschließen. Allerdings liegen für diese nicht ebenso auch Formeln vor, die das praktische Bedürfnis bezeugen, das im täglichen Leben für die Ausstellung von Freilassungsurkunden bestanden hat. Jedoch treten nunmehr andere Quellen stärker hervor, aus welchen wir den Gang der Entwicklung erschließen können. Vor allem sind dies die T r a d i t i o n s bücher. Das sind freilich Quellen, die nur von kirchlicher Seite überliefert sind und den Besitz von Kirchen betreffen. Aber als Tradenten, bzw. Schenkgeber erscheinen doch häufig auch Laien und weltliche Grundbesitzer, so daß diese Quellen auch über diese Aufschluß geben und allgemeinere Rückschlüsse ermöglichen. In jedem einzelnen von diesen Traditionsbüchern begegnen uns zahlreiche Eintragungen, die von unfreien Tradenten handeln. Danach müssen wir annehmen, daß schon im 10. Jahrhundert Unfreie Grundeigentum besaßen und solches frei erwerben konnten4). Es kommt auch vor, daß im Wege eines Tauschgeschäftes über Unfreie solche freigekauft werden6). 1) (1937), S. 105. -

2) Ebenda S. 201.

3) V g l . KARL LAMPRECHT, D W L . , I, 2, S . 8 6 9 f., s o w i e v . INAMA-STERNEGG,

Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S. 10 u. 31, auch Jos. KULISCHER, a. a. 0 . 1 , S. 127. 4) Vgl. z. B. in den Freisinger Traditionen ed. TH. BITTERAUF, Quellen und Erörterungen zur bair. und deutschen Geschichte, N. F. 5, nr. 1050. 1084. 1127. 1137.

1138.

1160.

1171. 1176.

1194-1203.

1210.

1211.

1214. 1 2 2 2 - 1 2 2 4 .

1232.

1238. — Brixener Tradit. ed. Osw. REDLICH, Acta Tirol., 1 n* 55. 5) BITTERAUF, 5, N* 1085: tradidit. . . . nobilis vir A. . . . duo mancipia sua propria . . . redimans quendam ecclesie proprium servum I. nominatum liberum faciendum; vgl. auch n° 1226.



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Im ganzen ist die Terminologie in diesen Quellen, die besonders zahlreich in Süddeutschland (Bayern) vorliegen (65), keine feste und durchaus gleichmäßige. Dadurch erscheint die Deutung und rechtliche Bestimmung ungemein erschwert. In manchen Traditionen werden die tradierten Unfreien ausdrücklich als proprii iuris servi oder proprii iuris famuli bezeichnet1). Das wird aber nicht immer so deutlich ausgedrückt. Besonders die Bezeichnung servus und servi ist vieldeutig, so daß die größte Vorsicht am Platze ist. Bei einem Tausch zwischen dem Freisinger Bischof ABRAHAM und einem Unfreien seiner Kirche aus der Zeit von 972—76 wird dieser letztere als ,servus' bezeichnet und ihm 3 mancipia im Tauschwege gegen 5 andere übereignet2). Ich glaube nicht, daß hier unter .servus' dasselbe zu verstehen ist wie unter servus proprii iuris. Mitunter dürfte als servus der Angehörige der familia, der herrschaftlichen Hofgenossenschaft überhaupt, bezeichnet worden sein. Sehr klärend dafür scheint mir eine kurze Traditionsnotiz aus Freising aus derselben Zeit (972—76) zu sein. Hier tradiert quidam vir ex familia eine ancilla proprietatis su§ zu Censualenrecht (1 denar), ut libera existeret3). In der Uberschrift heißt es aber von dem Tradenten: sancte Marie servi. Eine Tradition aus dem Kloster Mondsee (Oberösterreich) aus dem 8. Jahrhundert handelt von einer Schenkimg eines Freien: dono atque transfundo . . . cidlarios meos 2 servos, unus est liber et alter est servus4). In den Traditionen des Hochstiftes Brixen wird der Ausdruck serviens und servientes für Ministerialen gebraucht6). Wir finden Fälle, daß solche servientes einen ihrer servi zu Censualenrecht schenken und dies als libertas bezeichnet wird8). L . HAUPTMANN hat jüngst ausgeführt, daß auch der Ausdruck mancipium, den man gewöhnlich für gänzlich Unfreie angesehen hat 7 ), mehrdeutig sein kann*). Es gab mancipien im engeren und im weiteren Sinne. Die ersteren waren die mancipia servilia — wie 1 ) Vgl. H E U W I E S E R , Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte, N. F . 6 (Passau), n° 98 u. 100. 2) B I T T E R A U F , 5, n. 1235. — 3) Ebenda n. 1241; vgl. dazu auch n* 1315, S. 196 f. — 4) OÖUB., 1, 23. 5) Acta Tirol., 1, n° 399. 405. 406 u. a. m.; vgl. dazu F A J K M A J E R , Die Ministerialen des Hochstiftes Brixen. Zschr. des Ferdinandeums Innsbruck (1908), I I I , 52. — 6) Acta Tirol., 1, n» 405 u. 406. 7)

S o z. B . H . BRUNNER, D R G ,

1, 2 3 3 f.

8) Colonus, Barschalk und Freimann, in: Wirtschaft und Kultur, Festschrift zum 70. Geburtstag von A. D O P S C H , 1938, S. 175.



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es in einer bayrischen Urkunde aus dem 12. Jahrhundert heißt1) —, zu letzteren gehörten auch die Barschalken. Eine Freisinger Tradition vom Jahre 816 handelt von der Schenkung von 6 Mancipien und 2 Hufen (colonias): quarum una cum servo cui nomen Linpheri ad servitium est parata, in alia vero habitat liber homo et liberum ex ea facit servitium2). Als mancipien werden gelegentlich auch Censualen bezeichnet, die einen Kopfzins zu entrichten haben3). Für censualis finden wir ferner tributarius4), für census das Wort tributum6). Der Gegensatz zum Stande der Freien kommt deutlich zum Ausdruck. Es begegnen Autotraditionen ex libera condicione in tributariam8). In einzelnen klösterlichen Traditionsbüchern treten förmliche Listen von tributarii auf, die zu dem Kloster gehören7). Auch die Bezeichnung decimalis kommt im Sinne von censualis vor8). Die Stellung der Censualen wird mitunter geradezu als ,servitus' bezeichnet, und zwar nicht nur im Südosten Deutschlands9), sondern auch im Nordwesten10). Auch ein Tausch von Censualen zwischen verschiedenen Klöstern läßt sich belegen11). Es gab auch einen magister censualium12). Einmal (Kloster Zwettl) werden Censualen als homines monasterii und coloni bezeichnet und freigelassen mit der Bemerkung, daß sie dieses Privileg cum maximo labore et sumptibus erlangt hätten (1285)13). In einem anderen, gleichfalls Zwettl betreffenden Falle gibt der Landesherr von Österreich, Herzog ALBRECHT I., seinem Burggrafen von Maidburg und Hauptmann in Weitra die 1) Mon. Boica, 6, 120 n. 10 (1154/86). — 2) BITTERAUF, 5, 312 n. 366. 3) BITTERAUF, 5, n° 1315d (957—77): qui lege capite censorum . . . denarios dare debent. — 4) Salzburger Tradit.UB., 1, 776 n» 9 (1072-1100). 5) So im Tradit.B. des Klosters Formbach, OÖUB., 1, 711 n. 270 u. 271; 727 n. 352; 738 n. 398; 741 n° 409 ; 742 n. 414. — Brixen, 1, 491 (1157—64); 495 ( 1 1 6 5 - 7 0 ) ; 498 ( 1 1 6 5 - 7 0 ) ; 503 (1170—74) u. a. m.; BITTERAUF, 5, 333 n. 1485, 1586b; 340 n. 1494b; 341 n. 1496d. — 6) BITTERAUF, 5, n. 1468 (1064). 7) So z. B. Suben in Oberösterreich, OÖUB., 1, 427: hi sunt tributarii ad Subunam pertinentes. 8) So bei Kloster Formbach, OÖUB., 1, 744 n. 419 und 745 n. 426; vgl. auch Salzburger UB., 1, 779 n° 17 (1072—1100) decimatio = census. 9) Vgl. Tradit.B. von Ranshofen, OÖUB., 1, 259 n. 157, und Zwettl FRA., XI, 3, S. 214. — 10) Vgl. in Westfalen (servile ius) Westfäl. UB. suppl. 619. 11) So zwischen Formbach und Reichersberg, OÖUB., 1, 412 n. 257. 12) Salzburger UB., 1., 564 (vor 1190). — 13) FRA., II, 3. S. 247.



27 —

Erlaubnis, ut omnes homines censuales ad Weitra spectantes, welche einst schon (der Ministeriale) H E I N R I C H DER K U E N R I N G E R VON W E I T R A freigelassen hatte, dauernd freizulassen. Der Herzog erklärt die, welche der genannte Burggraf ,a Servitute debiti censualis' losgesprochen hat, für frei1). Wir besitzen von dieser Urkunde noch eine gleichzeitige deutsche Übersetzung. In dieser wird folgende Fassung gegeben: .Frei und ledich an alle aigenschaft und an aygen cyns, als aigen leut gewonleich sint ze geben'2). Danach galten also die Censualen doch als Eigenleute. Ähnlich liegt die Sache auch bei einem Streit um mehrere Leute (homines) des Klosters Reichersberg a. Inn. Es fragte sich, nach welchem Rechte sie dem Kloster gehörten: proprietario vel institutorio seu etiam censuali. Hier erfahren wir, daß der Vater dieser Leute Eigenmann eines Edlen, die Mutter aber propria der Kirche gewesen sei. Der Adelige verzichtete zugunsten des Klosters, so daß diese Leute künftig Censualen sein sollten3). Das Censualenrecht war offenbar ein besseres Recht als jenes der gänzlich Unfreien. Die Tradition zu Censualenrecht wird sehr häufig doch als eine Freilassung aufgefaßt4). Es haben vielfach die Censualen auch eine Freilassungsurkunde erhalten, um dadurch gegen Anfechtung ihrer Freiheit gesichert zu sein5). In das Traditionsbuch wurde nur eine kurze Notiz darüber eingetragen, während der volle Wortlaut der Urkunde im liber censualium enthalten war8). Ein solches Censualenbuch ist aus Passau im Traditionscodex B des Domkapitels noch erhalten. Es bietet in der Ausgabe von HEUWIESER für die Zeit von 1 1 7 0 — 1 2 5 0 nicht weniger als 4 5 0 Nummern ( 1 0 4 2 — 1 4 9 2 ) , von welchen jede wieder eine Anzahl von Censualen vermerkt. Ein Teil davon ist nach Orten verzeichnet7). Für Salzburg liegt noch eine Urkunde aus der Zeit von 1132 bis 1 1 4 7 vor, durch die der Erzbischof K O N R A D I . die Unfreien einer bestimmten Gegend an das Kloster Reichersberg schenkt mit 1) FRA., II, 3, S. 213. — 2) Ebenda S. 214. — 3) OÖUB., 1, 410 n. 251. 4) Vgl. z. B. Salzburger UB., 1, 355 n. 196: quam libertatem . . . confirmavit; ähnlich auch Zwettl FRA., II, 3, S. 247 (1285), manumittentes . . . ; Brixen Acta Tirol, 1, n» 405. 406. libertas. 5) Vgl. das Tradit.B. von Reichersberg, O Ö U B . , 1, 374 n. 167: ut ergo hunc hominem nullus de aliquo servitio in perpetuum nec eius posteritatem molestet, hec carta ei in testimonium sigillata . . . tradita est. — Vgl. auch BITTERAUF, 5, n® 1546b (1140—52), libere Semper esse debent; n° 1558a: liberam dimisit. Zwettl FRA., II, 3, S. 213. 6) OÖUB., 1, 374 n. 167: ut in libro censualium plene continetur. 7) HEUWIESER, a . a . O . 6, S. 355ff.



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der Bemerkung, daß diese familia, welche zum Hochstifte gehörte, keinen libellus censualis besitze1). Die Schenkung zu Censualenrecht wird mitunter als .libertas' bezeichnet2). Es heißt, daß der an eine Kirche geschenkte Unfreie den Zins pro libertate sua tradat 8 ). Andererseits wurden Freigelassene (liberti) auch ,liberi' genannt4). Mitunter wird doch ausdrücklich bemerkt, daß diese Censualen ein freies Leben führen sollten (libere vitam agerent)5) oder libéra existât 6 ). Stellenweise betont man die Freizügigkeit der zu Censualenrecht freigelassenen Mancipien7), wobei im Formular deutlich die Anlehnung an die Karolingerzeit ersichtlich wird8). Noch deutlicher drückt sich eine Passauer Tradition aus: ab omni servitutis iugo soluti ubicunque sibi placeat maneant et arbitrii sui consultui satisfaciant9), also Freiheit des Aufenthaltes und freie Selbstbestimmung. Ähnlich auch ein anderes Stück aus derselben Zeit: ipse securus ab omni servicio ubicunque locorum sibi libitum esset, sine contradictione omnium degeret10). Freilich werden wir auch diese Freiheit des Aufenthaltes wohl kaum im Sinne einer vollen Freizügigkeit auffassen dürfen. Schon der häufige Vorbehalt, daß die Censualen im Falle mehrjähriger Zinsversäumnis in ihre alte Unfreiheit zurückfallen sollen11), spricht dagegen. In manchen Traditionsbüchern, wie z. B. jenen von Freising, finden wir denn auch eine Aufzählung der Censualen nach Orten, besonders Dörfern12). Daneben kommen aber auch Censualen in Städten (z. B. Regensburg und Augsburg) vor 13 ). Da hier nun öfters die Bemerkung gemacht wird: requirendi sunt 14 ), dürfte die Ver1) Salzburger UB., 2, 227 n° 1 4 9 b : ad episcopale ius pertinentem libelloque censuali altaris s. Rudberti carentem. 2) Brixener Tradit. Acta Tirol., 1, n° 405. 406. 3) Ebenda n. 404 (1097—c. 1100). 4) Vgl. BITTERAUF, 5, n. 1251 (Überschrift!), auch Brixener Tradit. Acta Tirol, 1, n. 116 u. 247. 5) BITTERAUF, 5, S . 1 9 7 h . — 6) E b e n d a 5, S .

195a.

7) Mittelrhein. UB., 1, n. 257. 8) habeant autem portas apertas excundi et redeundi quocunque volucrint vgl. MG. F F . , 246 n. 13, p. 30 n. 4 ; 172 n. 9. 9) H E U W I E S E R ,

a. a. O.

6

n» 1 0 8

(1013—45).

10) Ebenda n. 119 (1038 — 45). — Vgl. auch BITTERAUF, 5, n. 1 3 5 8 a : quovis locorum vellent, liberam vitam agant (994—1005). 11) V g l . BITTERAUF, 5 ,

S . 197 i.

12) BITTERAUF, 5, n . 1 5 6 3 b u. 1 5 6 4 , sowie O Ö U B . , 1, 6 0 7 n . 2 7 5 .

13) BITTERAUF n° 1563a u. 1585q. — 14) Ebenda 1563c. d. e. f. g.



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mutung berechtigt erscheinen, daß die Censualen nicht selten abhanden gekommen sind und sich vielleicht ganz ihrer Dienstverpflichtung entzogen haben. In einer Salzburger Tradition des 12. Jahrhunderts wird bei der Schenkung von Unfreien zu Censualenrecht diesen zugleich als Strafe die Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft angedroht: si . . . in persolvendo debito servicio rebelles extiterint1). Es scheint auch vorgekommen zu sein, daß Censualen von einem Orte, wo sie geboren waren, dann später an einen anderen übersiedelten, oder versetzt wurden. In dem Censualenbuch von Passau findet sich eine Eintragung (1210—11) über Censualen, die in Vilshofen geboren waren, damals in Witzmannsberg wohnten8). Die zu Censualenrecht Freigelassenen wurden offenbar Halbfreie. Die Befreiung war eben nur eine relative und partielle, aber keine vollkommene3). Sie bezog sich nur auf die frühere tägliche Dienstleistung, cottidianum servicium4), oder diurnum servicium5), oder das servile servicium8), auch ab omni servitutis exactiong7), oder ab omni servili opere8). Eine Dienstleistung wird jedoch auch, abgesehen von der Leistung der Zinspfennige (1—5), noch vorbehalten. So heißt es in einer Freisinger Tradition von Freien: censuales se fecerunt et Corpora sua ad serviendum tradiderunt sub tributo 5 den.9) In verschiedenen Traditionen wird auch bei der Übergabe von Unfreien zu 1 Denar doch bemerkt: postquam apti fuerint ad opera facienda pro 3 den. libertate donati sunt10). Wollten diese Halbfreien die Vollfreiheit erlangen, so war dafür eine neuerliche, zweite Freilassung erforderlich. Im Jahre 1304 ließ ein Ritter einen Eigenmann frei und tradierte ihn an Klosterneuburg zu Censualenrecht (4 den.). Zugleich wird in der darüber ausgefertigten Urkunde bestimmt, daß der Propst des Klosters diesem Censualen, wenn er diesen Dienst abkaufen will, dies ge1) Salzburger UB„ 2, 227 n. 149 (1132-47). 2)

HEUWIESER,

a. a. O. 3 8 4 n.

1169.

3) Recht bezeichnend dafür ist B I T T E R A U F , 5 . , n. 315q ( 9 9 7 — 9 4 ) : censuales ea lege libere sint, quam ceteri viri vel femine taliter delegati liberi sunt; vgl. auch 1434 (1031—39): lege censualium liberi existant. 4) O Ö U B . , 1, 213 n. 25; 257 n. 151. — B I T T E R A U F , 5, n. 1471d (1053-78); Salzburger UB. ( 1, 529 n. 522. 5) Salzburger UB., 1, 805 n. 73: a diurno servicio liberavit (c. 1150—60). 6) Ebenda 1, 786 n. 36 (1122—40): liberavit filiam suam de servili servicio ad aftnualem censum V. den. — 7) Ebenda 1, 552 n. 612 (1147—93). 8) B I T T E R A U F , 5, n. 1504a (1104-22). 9) Ebenda 1549c (1148-58). — 10) Ebenda n.-1301 u. 14411.



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statten solle1). Im Jahre 1287 aber erteilte der österreichische Landesherr, Herzog ALBRECHT I., seinem Hauptmann zu Weitra die Ermächtigung, alle Censualen, die zu dieser Burg und Herrschaft gehörten, welche einst der Ministeriale HEINRICH DER KUENRINGER VON WEITRA freigelassen hatte, wenn sie es verlangten, perpetuo libertäre. Der Herzog erklärt zugleich die, welche der Burggraf a Servitute debiti censualis freigesprochen hat, für frei2). Hier war augenscheinlich die Erlaubnis seitens des Herzogs deshalb notwendig, weil durch diese Freilassung die Censualen nun vollfrei und damit aller Dienste gegen die Burg Weitra ledig wurden, was den Landesherrn auch militärisch berühren mußte. In der noch vorhandenen gleichzeitigen deutschen Übersetzung wird die Freilassung auch bezogen „in aller der piet und auch in dem geriht, daz zu Weitra gehöret"3). Also war auch die Gerichtsfolge damit aufgehoben. Auch die weiblichen Censualen, welche sehr zahlreich waren, vermochten ihren Stand zu verbessern, indem durch Zahlung einer entsprechenden Geldsumme oder tauschweise Hingabe von Unfreien ihre Zinsverpflichtung abgelöst wurde. So hat ein RITTER VON ASCHAU die Befreiung seiner Tochter, die Censualin des Klosters Formbach war (5 den.), precum et pecunie sue interventu erreicht, indem er 2 Mancipien dafür im Tauschwege an das Kloster als Censualen übereignete, worauf sie der Abt und Convent ab ipso iure quo nobis tenebatur absolutam et inmunem erklärten4) (12. Jahrhundert). Die Bezeichnungen libertas und liberi, welche wir hier also stellenweise für die freigelassenen Unfreien (liberti) verwendet finden, erklärt nun auch die Ausdrücke „Freileut" 5 ) und „Freisassen" in den Quellen des deutschen Südostens6). Ich habe schon bei der Herausgabe der landesfürstlichen Urbare Österreichs 19047) bzw. 19108) die Freileute von den Freisassen unterschieden und 1) F R A . ,

II,

10, S. 93. — 2) F R A . ,

I I , 3, S. 213. —

3) E b e n d a S. 214.

4) O Ö U B . , 1, 757 n. 478. 5) Vgl. L . HAUPTMANN, Die Freileute.

Carinthia, I (1910), S. 30f.

6) A u c h die rustici vel rustice, qui l i b e r i

dicuntur,

in der U r k .

König

R u d o l f s v o m Jahre 1282 ( M G . Constit., 3, S. 300), welche mit hominibus advocaticiis vel

aliarum

superiorum aut inferiorum condicionum E h e n schlössen,

sind

keine

Freibauern, wie m a n bisher meinte ( O s w . REDLICH, Reg. K ö n i g Rudolfs n° 1621, sowie ALTMANN und BERNHEIM, Ausgewählte U r k k . 2ur Erläuterung d e r V G . Deutschlands im Mittelalter, 4. Aufl., 1909, S. 178 n. 90), sondern „Freileute". 7) österr. U r b a r e , I, 1, Einl., S. C X L I I I f . 8) österr. U r b a r e , I, 2, Einl., S.

XCIXff.



31



erstere als Freistifter erklärt, bei welchen der Grundherr das Recht besaß, sie frei nach seinem Belieben an- und abzustiften (ius instituendi ac destituendi, „Freistift"). Das waren also keine Freien, sondern Unfreie. Von ihnen zu trennen sind die Freisassen, die ich als eine bevorzugte Klasse der Kolonen aufgefaßt habe, welche nicht beliebig abgestiftet werden konnten. Die hier bei Besprechung der Censualen gewonnenen Erkenntnisse klären auch diesen Sachverhalt näher auf. Denn bei der Freilassung von Unfreien zu Censualenrecht wird ihnen mitunter auch das Recht eingeräumt, wo immer sie wollen zu verbleiben: ubicunque sibi placeat maneant1) oder morantur2), bzw. ubicunque locorum sibi libitum esset, libere degerent3). Hier ist die lateinische Bezeichnung für die späteren „freysatzzones" deutlich. HERBERT K L E I N hat jüngst in seiner Untersuchung über die bäuerlichen Eigenleute des Erzstiftes Salzburg im späteren Mittelalter die „Freisassen" mit den censuales identifiziert4). Ich glaube, daß K L E I N richtig gesehen hat. Freilich nimmt er dann an6), daß die späteren „Freileute" in den Alpenländern mindestens z. T. mit diesen Freisassen, bzw. deren Vorläufern, den Censualen, gleichzustellen sind. Ich bezweifle, daß dies zutreffend ist. In einer Traditionsnotiz, die wir oben schon kennengelernt haben, wird im Kloster Reichersberg a. Inn bezüglich mehrerer Leute desselben die Frage aufgeworfen, zu welchem Rechte sie dem Kloster gehörten: proprietario vel institu torio sen etiam censuali®). Hier wird also das Recht der Censualen doch deutlich von jenem zu Freistift unterschieden, und zwar im Sinne eines besseren Rechtes aufgefaßt (c. 1250). Auch in anderen Urkunden Oberösterreichs, auf die jüngst L. H A U P T 7 MANN hingewiesen hat ), wird ein ähnlicher Unterschied gemacht: coloni (Bauleute), proprii (Eigenleute), censuales (Zinsleute). Das Bau- oder Baumannsrecht war, wie ich seinerzeit dargetan habe8), gleichbedeutend mit Freistift. Dazu stelle ich heute auch noch eine Urkunde vom Jahre 1209 für Salzburg9). 1)

HEUWIESER,

2)

BITTERAUF,

a. a. O. n° 100 (1013—45). n. 1563 b u. 1564b. a. a. O. n. 119 (1038—45); vgl. auch

5,

3) H E U W I E S E R , B I T T E R A U F , 5, n. 1358a (994-1005). 4) Mitteilungen der Gesellschaft f. Salzburger Landeskunde (1933), 73, S. 10 f. 5) Ebenda S. 12. — 6) OÖUB., 1, 410 n. 251. 7) Colonus, Barschalk und Freimann, in: Wirtschaft und Kultur, Festschrift für A. D O P S C H , 1938, S. 183f. 8) Österr. Urbare, I, 1, Einl., S. CXLII. 9) Salzburger UB., 3, 126 n. 626; vgl. auch ebenda, 1, 405 n. 286.



32 —

In späterer Zeit, als die Rechte der Grundherren sich verdichteten und jene ihrer Hintersassen schlechter wurden, kam es allerdings auch vor, daß die „Freisassen" mit den Freileuten gleichgesetzt wurden. Ich habe in den österreichischen Urbaren schon 1910 einen urkundlichen Beleg dafür vom Jahre 1378 aus Oberösterreich angeführt1). In Steiermark kommen doch auch im 14. Jahrhundert noch „Freisassen" vor, die eine bessere Stellung wie die Freileute besaßen2), und das gleiche ist auch in der Hofmark Steyr (Oberösterreich)8) damals noch zu beobachten. Für die Gleichsetzung der „Freisassen" mit den Censualen läßt sich noch eine andere Tatsache ins Treffen führen. Die Censualen waren waffenfähig und leisteten auch militärische Dienste zu Pferde. Am Niederrhein wurde zwischen dem Stift Xanten und dem Grafen von Cleve 1259 vereinbart, daß das Stiftskapitel zwar sein volles Recht an den Censualen, die in die Städte zogen, behalten solle, aber: praeter dextrarios et arma, die nicht als Kurmede gefordert werden sollten4). Interessant ist nun, daß auch die „Freisassen" in Steiermark nach einer Urbaraufzeichnung von c. 1420 „solten dinstleich siezen mit harnasch und hengsten, wenn man ir bedörffte zu der veste oder in die veste"5). Die von H . K L E I N vermutete und oben auch quellenmäßig begründete Gleichsetzimg der Censualen mit den „Freisassen" gewinnt durch diese Übereinstimmung eine weitere Stütze. So konnten die Censualen, bzw. Freisassen auch zu militärischen Diensten herangezogen werden, und es mochte dies den Aufstieg zur Ministerialität gegebenenfalls erleichtern. Darüber soll später im folgenden Kapitel noch gehandelt werden. Auch Freie sind in die Censualität eingetreten, gewöhnlich zum Zwecke ihres Seelenheils6). Frauen ergeben sich als Censualen, um gegen Gewalt und Bedrückung Schutz zu gewinnen7). Ähnliche Gründe haben aber auch Männer veranlaßt, sich der Kirche als Censualen zu unterstellen, wenn sie von weltlichen Herren bedrückt wurden8). Jedoch finden wir auch andere Gründe, z. B. daß mit1) OÖUB., 9, S. 436; dazu österr. Urbare, I, 2, Ein]., S. CII. 2) Österr. Urbare, I, 2, Einl., S. CI. — 3) österr. Urbare, I, 1, S. 257. 4) W . HOLLAND, Die Wachszinsigkeit am unteren Niederrhein, besonders im Stift Xanten, S. 7 7 1 , bes. S. 78 n. 217. — 5) österr. Urbare, I, 2, Einl., S. CII. 6) Vgl. OÖUB. 1, 607 n. 275; 608 n. 279 (1220). 7) OÖUB., 1, 750 n. 446 ne a quoquam vim patiatur exaetionis. 8) So Kloster Formbach. Ebenda 727 n. 350 sowie Ranshofen. Ebenda 259 n. 157.



33



unter auch Freie deshalb Censualen wurden, weil ihr Grundbesitz nicht ausreichte, sie zu ernähren1). Übrigens gab es auch freie Censualen neben den unfreien. Sie werden in einem Diplom König KONRADS I I I . für Einsiedeln vom Jahre 1136 ausdrücklich von den Kopfzinspflichtigen unterschieden2). Der übliche Kopfzins der unfreien Censualen (1—5 den.) sollte mehr eine Rekognition der alten Unfreiheit, bzw. der neugewonnenen „Freiheit" (libertas) sein3), als eine Einnahmequelle des Leibherrn. Stellenweise hören wir auch von dem Zweck dieser Denare. Sie sollten zu keiner anderen Verwendung dienen als pro cera ad facienda luminaria4), sonst auch ganz allgemein ui usum fratrum5), oder ad servitium fratrum®). Auch die häufige Bestimmung, daß der sacrista diese Denare vereinnahmen solle7), spricht für die Cerocensualität. Damit ist nun zugleich aus diesen bayrischen Quellen der Beweis erbracht, daß die Wachszinsigkeit in-Bayern und Österreich ebenso vorkam wie in Nordwestdeutschland8), wenn auch die Bezeichnung cerocensuales seltener verwendet wird. Die ältere Forschung, besonders KARL LAMPRECHT und v. INAMA-STERNEGG, hat die Bedeutimg der Censualen gar nicht erkannt und eine völlig unzureichende Darstellrag davon gegeben. 9 LAMPRECHT sieht ) in den Wachszinsigen „nichts weiter als die fortdauernde Hörigkeit der älteren Zeit" und meinte, daß die Wachszinsigkeit völlig im Sande verlaufen sei, ein absterbender Zweig früherer sozialer Entwicklungen, ohne für die weitere Standesbildung der landarbeitenden Klassen sichtbare Folgen zu hinterlassen10). Und seine Auffassung hat dann offensichtlich auch v. INAMA beeinflußt, der die Censualen auch gering einschätzte: „Zu der hohen sozialen Bedeutung der Ministerialen haben es die freien Zinsleute und Wachszinsigen nicht gebracht. Dazu fehlte ihnen ebenso die persönliche Bedeutung und der persönliche Einfluß auf den Herrn wie das 1) BITTERAUF, non posse sufficere.

5.

195c: quia prediorum copia quam possederant, victui suo

censuales tarn liberi quam capitales. 3) Vgl. z. B. Salzburger UB„ 1, 611 n. 54, sowie oben S. 28 n. 3. 4) BITTERAUF, 5, n. 1543 (1138—47). 5) HEUWIESER, 6, n. 261, 268, 277, 278 u. a. m. — 6) Ebenda n. 1 1 3 u. 1 1 4 . 7) BITTERAUF, 5, n. 1551a, 1555b, 1557d u. H; 1558a; 1561h. 1562c. 1564c. 1567-69. 1576. 8) BREBAUM, Das Wachszinsrecht im südlichen Westfalen, Zschr. f. vaterländische Geschichte (1913), 71, S. 8, nimmt an, daß die Wachszinser hauptsächlich nur in Nordwestdeutschland vorkamen. 9) DWL. im Mittelalter, 1, S. 1214ff. — 10) Ebenda S. 1223. 2 ) M G . D D . KONRAD I I I . , 8 6 :

D o p s c h , Herrschaft und Bauer.

3



34



nötige Vermögen und die Gelegenheit der Bereicherung. Sie waren und blieben in der Hauptsache Bauern" 1 ). Überraschenderweise ist diese Auffassung auch bei den neueren Untersuchungen über die Wachszinsigkeit wieder vorgetragen worden 2 ), obwohl sie nach den benutzten Quellen3) die Unrichtigkeit dieser Theorie erkennen mußten. Die Wachszinsigkeit ist keineswegs im Sande verlaufen und hat sehr wohl für die weitere Standesbildung wichtige Folgen hinterlassen. Diese sind nur nicht so leicht zu erfassen und können nur durch sorgfältiges Quellenstudium ermittelt werden, wie dies H . KLEIN für das Salzburgische gezeigt hat. Überdies hat auch H . v. MINNIGERODE schon eine ähnliche Auffassung E. MOLITORS, daß in Franken und Schwaben die Wachszinsigen, welche in der Frühzeit vielfach genannt werden und dort bald verschwinden 4 ), widerlegt. Er machte Belege aus dem 13. und 14. Jahrhundert namhaft, durch die Wachszinsige auch damals noch bezeugt sind 8 ). Auch in Österreich kommen sie noch im 14. Jahrhundert vor 6 ). Und die in den Freisinger Quellen oben 7 ) nachgewiesenen Stellen, daß die Censualenkopfzinse ausschließlich zum Ankauf von Wachs verwendet werden sollen, zeigen, wie weit auch da die Wachszinsigkeit doch verbreitet war. Ein Aufstieg der Censualen zur Ministerialität ist mehrfach zu belegen 8 ). Sie maßten sich anscheinend nicht selten auch zu Unrecht den Stand der Ministerialen an'). Mitunter, keineswegs überall10), war den Ministerialen auch das connubium mit Censualinnen gewährt11). 1) Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S. 66. 2)

So H.

BREBAUM, a . a. O.

S. 38 n. 5; ferner W .

HOLLAND, a . a . O .

bei

AL. MEISTER, Studien zur Geschichte der Wachszinsigkeit im nördlichen Westfalen. Münsterische Beiträge zur Geschichtsforschung (1914), 32/33, S. 98 n. 289 (mit falschem Zitat I); so auch JOH. SCHULTE, Die Wachszinsigkeit im nördlichen Westfalen. Ebenda 3, 147 n. 148 (mit Fehlzitat!). — 3) Eine solche Erhebung in die Ministerialität hat für Westfalen JOH. SCHULTE publiziert, a. a. O. (1368) S . 153. 4) E. MOLITOR, Der Stand der Ministerialen, 1912, S. 65. 5) H. v. MINNIGERODE, Das Wachszinsrecht. Vjschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, 13, 184 n. 2. Allerdings handelt es sich bei diesen Beispielen um Wachszinse vom Grund und Boden (Leiheland), nicht wie dort um Kopfzinse. 6) So in Klosterneuburg 1304 FRA., II, 10, S. 93, so in Zwettl FRA., II, 3, S. 213. — 7) Vgl. S. 33 n. 7. — 8) Vgl. unten § 5. 9) Vgl. Salzburger UB., 1, 405 n. 286 (vor 1147): quasdam personas de familia s. Petri . . . contenderent, se esse de ministerialibus eiusdem monasterii. Sie wurden zu Censualenrecht begnadigt. 10) Vgl. z. B. das Tecklenburger Dienstrecht, § 19. R. FRESSEL, Münsterische Beiträge zur Geschichtsforschung, N. F. 12, S. 84: item si ministerialis servo vel censuali condormierit, puer qui ex his nascitur, camerlingus sit. 11) Salzburger UB., 1, 836 n. 125 (vor 1230).



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v. INAMA hatte eine völlig irrige Vorstellung von dem Besitz der Censualen, wenn er behauptete, „ihr Besitz beschränkte sich auch in der Hauptsache auf die Hufe, die sie in erblicher Weise von der Grundherrschaft hatten" 1 ). Außerhalb der Grundherrschaft konnte, auch bei der freiesten Gestaltung dieser Verhältnisse, das Censualengut nicht veräußert werden 2 ). Die Censualen waren tatsächlich mitunter sehr wohlhabend. Das beweisen zahlreiche Traditionen, durch welche sie liegendes Gut an kirchliche Institute frei veräußern 8 ), z. T. an mehreren Orten. Einer Beschränkung unterlag nur die Veräußerung von herrschaftlichem Leiheland. Leider hat man dies bisher nicht immer von der Leistung der 5 den. unterschieden, welche doch etwas ganz anderes war als ein Grundzins, nämlich ein Kopfzins als Rekognition des erlangten Censualenrechtes 4 ). Stellenweise erhielten ja die Censualen, wenn sie liegendes Gut tradierten, dieses zur Nutzung zurück, mußten aber dafür dann mehr als 5 denar leisten5), so daß neben diesem Kopfzins noch ein Grundzins entrichtet wurde. Ein Teil der Censualen waren sicherlich Bauern nicht nur im deutschen Südosten, sondern auch im Nordwesten 6 ). Dort waren sie auch zur Kurmede (Sterbefall) und Beddemunt (Heiratsabgabe) verpflichtet 7 ). Ähnlich auch in Franken, wie die Urkundenfälschung auf den Namen K A R L S D. GR. für Neustadt a. M . bezeugt 8 ). In den bayrisch-österreichischen Traditionsbüchern verlautet darüber nichts. Aber das besagt noch keineswegs, daß solche Leistungen hier nicht auch bestanden, da in diesen Quellen, wie wir schon gesehen haben 9 ), manches weggelassen worden ist, gerade was die Zahlungen anlangte. Ein anderer Teil stieg zur Ministerialität auf 10 ), jene aber, die in die Städte zogen, widmeten sich dort dem Gewerbe- und 1) a. a. O. S. 66. Dagegen hat schon H. BREBAUM, a. a. O. S. 34, Stellung genommen. — 2) a. a. O. S. 194. 3) Vgl. z. B. BITTERAUF, 5, n. 1549h (1148—58); 1566a: tradidit predium suum quod habuit in M. e t i n a l i i s l o c i s ; 1570b; Kloster Reichersberg OÖUB., 1, 391 n° 207; Kloster Ranshofen, ebenda, 1, 258 n® 155. 4) Siehe die Ausführungen oben S. 33. 5) Vgl. z. B. BITTERAUF, 5, n® 1549h; Salzburg St. Peter, 1, 446 n® 358. 6) Vgl. W. HOLLAND, Die Wachszinsigkeit am Niedenrhein, S. 97 n. 285: ecclesiae mancipia et cerocensuales de locis suis fugiunt et mansi inculti reliquuntur (1224). — 7) Ebenda S. 51 ff. sowie S. 63 sowie JOH. SCHULTE, a. a. O. S. 121 u. 124 für Westfalen. 8) MG.DD. Karol., 1, n® 283 (12. Jahrh.!). 9) Siehe oben S. 27 sowie auch unten S. 39. — 10) Siehe S. 32 u. § 5. 3*



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Handelsbetrieb1). Für Schwaben wird dies durch den Chronisten von Zwifalten, ORTLIEB (1. Hälfte des 12. Jahrhunderts), ausdrücklich bezeugt2). Die Zahl der Censualen war sehr groß. Nicht nur am Niederrhein8). Das Stift Xanten zählte 1430 noch ca. 4000 Cerocensualen, andere Klöster mehrere Hunderte4), obwohl, wie HOLLAND mit Recht betont, damals bereits Tausende durch Loskauf oder auf dem Gnadenwege ganz freigelassen, teils in den Dienstmannenstand erhoben waren. Andere Tausende entfremdeten der Kirche schon früher die dortigen Landesherren, die Grafen von Cleve. Für Westfalen haben die Forschungen von BREBAUM 6 ) und JOH. SCHULTE 4 ) das gleiche Resultat ergeben. Auch am Oberrhein können wir heute schon ähnliche Wahrnehmungen machen. MINNIGERODE hat gegenüber MOLITOR mit Recht darauf verwiesen, daß die Wachszinsigen in Konstanzer Urkunden häufig vorkommen6). Im Kloster Weingarten hat man im 11. Jahrhundert eine eigene Aufzeichnung über die Rechte der Censualen verfaßt7), und überdies bezeugt die Chronik ORTLIEBS VON 8 ZWIFALTEN, daß dieselben dort in sehr großer Zahl vorhanden waren ). Für Südostdeutschland bieten die sehr zahlreichen (65) Traditionsbücher, wie wir gesehen haben, so viele konkrete Beispiele dafür, vor allem in Salzburg, Freising, Passau, aber auch Reichersberg a. Inn, Formbach, Brixen u. a. m., daß wir auch da Tausende von Censualen annehmen müssen. Besonders seit dem 11. und 12. Jahrhundert hat sich deren Zahl außerordentlich gesteigert. Wir sahen*): 1287 gab der österreichische Landesherr ALBRECHT I. ganz allgemein die Erlaubnis omnes homines censuales, die zur Herrschaft Weitra (Niederösterreich) gehörten, freizulassen. Noch im Jahre 1257 wurde von dem Abte des Klosters Niederalteich in Bayern ein Mönch aus dem österreichischen Kloster Göttweig als Generaleinnehmer der Censualenzinse bestellt10), die offenbar eine große Ausdehnung erreicht hatten. X) Vgl. B I T T E R A U F , 5, n. 1315i: de itto hominum genere, qui chaldsmida vocantur, capite censi sunt (957—94), sowie auch Salzburger UB., 1, 355 n. 196 (chublari) 1125—47. 2) MG. SS. 10c., 9: e quibus alii ruricole, alii vinitores, quidam panifici sutores, fabri sunt ac mercatores artiumque diversorum vel operum executores. 3) W . H O L L A N D , a. a. O. S. 58. — 4) Ebenda S. 94. 5) a. a. O. S. 17. — 6) a. a. O. S. 112. 6) Vjschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, 13, 184 n. 2. 7) K I N D L I N G B R , Hörigkeit, S. 220. — 8) MG. SS., 10, S. 77ff. 9) Siehe oben S. 26 u. 30. — 10) FRA., II, 51, S. 140.



37



Es wird der künftigen Spezialforschung vorbehalten bleiben, festzustellen, wie sich am Rhein und in Westfalen die spätere Entwicklung der Wachszinsigkeit im 14. und 15. Jahrhundert etwa gestaltet hat. Ob daraus etwa, wie dies für das Salzburgische möglich war (H. K L E I N ) , Rückschlüsse und ein Zusammenhang mit der hier behandelten Zeit des Hochmittelalters zu gewinnen sind? BREBAUM neigt zu der Annahme, daß die Wachszinsigen in Westfalen immer tiefer in die Unfreiheit herabgedrückt worden sind1). Das mag stellenweise auch vorgekommen sein. Ob es aber allgemein der Fall war, möchte ich schon heute sehr bezweifeln. Hier kann nur eine über genaue Quellenkenntnis verfügende Lokalforschung sicheren Aufschluß bringen, zumal eine provinzielle Verschiedenheit ja möglich ist. Für das Herzogtum Cleve ist durch M. BOSCH dargelegt worden, daß die Zahl der Wachszinsigen der geistlichen Stifter groß war und noch im 14. Jahrhundert sich Freie in die Wachszinsigkeit begaben2). BOSCH ist der Ansicht, daß die Wachszinspflichtigen im Herzogtum Cleve n i c h t in den Stand der Hofhörigen aufgegangen sind. Sie haben sich namentlich bei den geistlichen Stiftern in beträchtlicher Zahl erhalten. Ja, ihre Menge hat sich im 13. und 14. Jahrhundert noch durch vollschuldig Hörige vermehrt, die in den Stand der Wachszinspflichtigen entlassen worden sind. Schließlich habe sich auch das Verhältnis der Wachszinsigkeit in reine Zinspflicht aufgelöst oder wurde wohl auch vielfach durch Loskauf beseitigt3). Jedenfalls haben sich auch in Westfalen die Wachszinsigen im 13. Jahrhundert noch vermehrt, und zwar dadurch, daß völlig Unfreie von den Hofherren zu Cerocensualen erhoben wurden4). Sehr bezeichnend ist eine Urkunde vom Jahre 1207, durch die der Abt von Deutz den zum Hofe Rode (Neuenrade) gehörigen Unfreien die Wachszinsigkeit gewährt. Diese Leute, welche Hofesgüter innehatten, sollten fortan auch Anteil an der Bestellung des Meiers (villicus) erhalten5). Man sieht, wie hier das Hofrecht nicht nur gemildert wurde, sondern den Hofesleuten mit der Wachszinsigkeit zugleich auch eine Mitwirkung an der Verwaltung des Hofes eingeräumt wird. Im ganzen also tritt eine Aufwärtsbewegung und 1) a. a. O. S. 39ff., bes. S. 41. 2) Die wirtschaftlichen Bedingungen der Befreiung des Bauernstandes im Herzogtum Cleve und in der Grafschaft Mark im Rahmen der Agrargeschichte Westdeutschlands. Tübinger staatswissensch. Abhandl., N. F. 21, 15 (1920). 3) Ebenda S. 42. 4) Vgl. AL. MEISTER, a. a . O . S. 2 6 n . 16 u. 27 (14. Jahrh.L).

5) Westfäl. UB„ 7, n. 57.



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Lockerung der früheren Gebundenheit zutage. HOLLAND hat überdies mehrere Fälle angeführt, daß im 15. Jahrhundert am Niederrhein (Xanten) auch Freikauf von der Hörigkeit (besser vollen Unfreiheit!) zur Wachszinsigkeit stattfand1). Hält man dazu, daß am Niederrhein mitunter auch ein Freikauf der Cerocensualen zur Vollfreiheit erfolgte2), und im westfälischen Münsterlande das Institut der Wachszinsigen bis ins 18. Jahrhundert fortbestand3), so wird man kaum allgemein behaupten können, daß die Wachszinsigkeit schon im späteren Mittelalter zu völliger Unfreiheit herabgesunken sei. Andererseits ist auch die Ansicht P H . HECKS bereits als unhaltbar erwiesen worden, daß Ministerialen und Wachszinsige einen Volksstand im Sinne des alten Rechts gebildet hätten oder gar zusammenfielen4). Ich brauche mich daher damit nicht mehr zu beschäftigen, zumal in einem folgenden Kapitel über die Ministerialen an der Hand der Quellen gezeigt werden soll, daß die Censualen ein unter diesen rangierender Stand gewesen sind5). Welches war nun die w i r t s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g der F r e i l a s s u n g e n Unfreier, insbesondere der Censualen? Die bisherige Forschung hat in seltener Übereinstimmung gemeint, daß diese Freigebung von Unfreien zu Censualenrecht durch die „Grundherrschaften" deshalb erfolgt sei, weil sie mit der Auflassung der bisherigen Eigenbau- bzw. Fronhofswirtschaft dieselben nicht mehr benötigte. Es sei damit ein Übergang auch zur Zinsgüterwirtschaft eingeleitet und aus Mancipiengütern freie Zinsgüter geschaffen worden6). Diese Auffassung hat bis in die neueste Zeit nachgewirkt7). Ob sie aber auch wirklich zutrifft? Man hat bisher eine Hauptfrage gar nicht aufgeworfen, ja ganz übersehen. Geschah denn diese Freilassung der Mancipien unentgeltlich ? Hat man sich ihrer wirklich deshalb entäußert, weil man ihrer nicht mehr bedurfte ? Es muß doch nachdrücklich betont werden, daß für diese ganze Hypothese keine einzige Quellenstelle als Beleg vorgebracht worden ist, sondern hier bloß eine freie Kombination vorliegt. 1) a . a . O . 3) V g l .

S. 32. —

2) V g l . W .

JOH. SCHULTE, a . a . O .

HOLLAND, a . a . O . S . S.

86.

146.

4) Vgl. E . MOLITOR, a. a. O. (1912), S. 71 ff. — Jedoch h a t BREBAUM, a . a. O.

(1912), S. 37 f. noch dieselbe Ansicht wie

HECK

vertreten.

— Dagegen jedoch

AL. MEISTER, a. a. O. (1914) und JOH. SCHULTE, a. a. O. S. 150ff.

5) Vgl. unten § 5. 6) So v. INAMA, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S. 199. 7) Vgl. MARC BLOCH, a. a. O . , H E R B E R T K L E I N , a. a. O., sowie auch 1.. HAUPTHANN, Colonus, Barschalk und Freimann, Dopsch-Festschrift, 1938, S. 187.



39



Ein indirekter Rückschluß aus Vorgängen, die mindestens z. T. erst zu beweisen wären. Es wird in einem späteren Kapitel gezeigt werden, daß eine solche Auflassung der Eigenbau- bzw. Fronhofswirtschaft in solchem Umfange gar nicht stattgefunden und man Einzelerscheinungen solcher Art bedeutend überschätzt, vor allem aber viel zu sehr generalisiert hat 1 ). An der Hand der bayrisch-österreichischen Traditionsbücher, die freilich noch viel zu wenig für diese Fragen verwertet worden sind, läßt sich nun der Nachweis erbringen, daß die Freilassungen und besonders jene zu Censualenrecht in der Regel gegen E n t r i c h t u n g eines K a u f p r e i s e s erfolgten. Verschiedene Formen lassen sich da belegen. Eine Zahl von Fällen liegt vor, in welchen die Unfreien (Mancipien) selbst den Preis an ein Kloster zahlten und von diesem daraufhin das Recht der Censualen erlangten2). Sehr viel häufiger aber kamen Traditionen von Unfreien durch weltliche Personen an die Kirche vor, nachdem diese Unfreien ihren Herren zuvor einen Preis bezahlt hatten3). Ich vermute, daß die Zahl der Fälle, in welchen ein Kaufpreis für die Freigebung zu Censualenrecht gezahlt wurde, in Wirklichkeit noch viel größer war, als wir heute in den Quellen direkt belegen können. Es ist m. E. ganz unwahrscheinlich, daß der Vorgang, welcher für eine Reihe von Hochstiften und Klöstern, Salzburg, Freising, Brixen, Reichersberg, Formbach, Göttweig und Klosterneuburg bezeugt ist, in allen anderen Klöstern nicht eingehalten worden sei, oder mit anderen Worten, daß in diesen kein Kaufpreis gezahlt wurde. Die Vermutung liegt nahe, daß da die Überlieferung in den Traditionsbüchern unvollständig ist. Es sind ja nicht die Traditionsurkunden oder die libelli über die Freilassung selbst mehr erhalten geblieben, vielmehr werden in den Traditionsbüchern diese Eintragungen direkt nur als Auszug aus dem liber censualis bezeichnet4). Es wurde also sicherlich da gekürzt, und ich nehme an, daß man dabei gerade die Bemerkung über den Kaufpreis weggelassen hat. 1) Vgl. unten § 8. 2) Vgl. die Traditionen von St. Peter (Salzburg), Salzburger UB., 1, 562 n. 651; vgl. 446 n. 358. — Reichersbelg. OÖUB., 1, 326 n. 91; 373 n. 164; 385 n. 192; 392 n. 208. — Göttweig 1276, FRA., II, 51, S. 158. 3) Frcising, BITTERAUF, 5, n. 1570i. — Salzburger UB., 1, 508 n. 471a; 5 3 0 n. 5 2 8 ; 5 7 2 n . 6 7 6 u . 6 7 7 ; 7 0 4 n . 2 5 3 ; 7 3 2 n. 3 0 6 . — R e i c h e r s b e r g , O Ö U B . , 1,

365 n. 145; 369 n. 154; 370 n. 156 u. 157; 373 n. 166; 376 n. 172; 377 n. 173; 378 n. 1 7 6 ; 3 9 2 n . 2 0 9 u . 2 1 0 ; 4 1 0 n . 2 5 2 . — F o r m b a c h , O Ö U B . , 1. 7 3 0 n. 3 6 0 ; 7 6 7 n. 5 2 3 ;

776 n. 562; 777 n. 565 u. 566. — 4) Siehe oben S. 27 n. 6.



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Dafür sprechen positive Anhaltspunkte. In den Traditionsbüchern von Brixen können wir drei Fälle von Traditionen nachweisen, in welchen noch zwei handschriftliche Überlieferungen erhalten geblieben sind. In der einen Handschrift wird die Zahlung eines Kaufpreises erwähnt, während in der zweiten diese Nachricht fehlt1). Hier können wir also ob der Gunst der Überlieferung noch erkennen, daß ein Kaufpreis gezahlt wurde. Läge auch hier so wie anderwärts nur mehr eine Handschrift vor, so sähe es aus, als ob nichts gezahlt worden sei. Besonderen Wert möchte ich darauf legen, daß dort, wo noch die Urkunde über die Freilassung selbst vorliegt, doch die Zahlung des Kaufpreises erwähnt wird2). Ferner möchte ich auch darauf hinweisen, daß in Frankreich bei den großen Freilassungen des 13. Jahrhunderts in den noch erhaltenen Urkunden des Königs von einem Kaufpreis oder Geldleistung seitens der Freigelassenen nichts erwähnt wird, obwohl sich nachweisen läßt, daß eine solche doch erfolgte3). Nach diesen Feststellungen aus den Quellen werden wir die Freilassimg von Unfreien zu Censualenrecht wesentlich anders aufzufassen haben, als es bisher geschehen ist. Die Leibherren und Grundherren haben die Unfreien nicht deshalb liberiert, weil dieselben wegen angeblicher Auflassung ihrer Eigenbauwirtschaft entbehrlich geworden waren. Tatsächlich wurden ja sehr häufig von weltlichen Herren Unfreie an die Kirche zu Censualenrecht tradiert, und auch die, welche sie aus dem eigenen Bestände ihrer Unfreien zu Censualen aufsteigen ließ, blieben ihr doch hörig und zu gewissen Dienstleistungen verbunden. Die bisherigen Mancipiengüter wurden keineswegs freie Güter der Censualen. Im Gegenteil wurden dadurch, daß auch Vollfreie sich zur Censualität an die Kirche besonders ergaben, und mitunter auch ihr Eigen an diese tradierten, den kirchlichen Instituten sehr viele neue Hörige zugeführt, die von ihr zu freiem Dienst verwendet werden konnten. Es wuchs auf diese Weise das liegende Gut der Kirche ebenso wie auch die neu in die familia der kirchlichen Institute eintretenden Leute. Man hat die U n f r e i e n n i c h t a b g e s t o ß e n , sondern gerade im Gegenteil a n g e z o g e n und vermehrt! Man darf ferner auch nicht, wie dies bisher vielfach geschah4), diese hörigen Censualen mit den freien Censualen5) auf eine Linie II,

1) Vgl. Acte Tirol, 1, n» 86, 92 u. 95. — 2) Klosterneuburg 1304, FRA., 10, S. 93. — 3) Vgl. M A R C BLOCH, Rois et serfs (1920), S. 65. 4) So v. I N A M A - S T E R N E G G , a. a. O., so auch K. L A M P R E C H T , a. a. O. 5) Siehe oben S. 33 n. 2.



41



stellen und nicht die zu Zins verpflichteten Liegenschaften überhaupt als eine einheitliche und rechtlich homogene Masse auffassen. Der Grundzins konnte sehr verschiedenartig begründet sein. Es gab nach wie vor auch Unfreie, welche solchen entrichteten, ebenso wie Vollfreie andererseits auch. Gegen die herkömmliche Theorie, daß die Freilassung und das Censualenrecht mit der Auflassung der Eigenbauwirtschaft in Zusammenhang stehe, spricht auch die Chronologie ihres Auftretens. Im Südosten Deutschlands, wo wir aus dieser Zeit schon entsprechende Quellen überliefert haben, in Bayern und Österreich, treten sie schon im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts hervor, es wächst ihre Zahl dann im 11. und noch mehr im 12. und 13. Jahrhundert1). Da nun aber die Auflassung der Eigenbau- bzw. Fronhofswirtschaft erst im 12. Jahrhundert erfolgte, wie doch ganz allgemein angenommen wird2), so wäre damit das bedeutend frühere Auftreten der Freilassungen und Censualen keineswegs erklärt. Eben diese Chronologie ihres Erscheinens legt vielmehr nun eine andere Erklärung nahe. Es deckt sich nämlich das Auftreten der Censualen hier genau mit der großen südostdeutschen Kolonis a t i o n , die nach der Lechfeldschlacht (955) einsetzte und bis zum Ende des 13. Jahrhunderts andauerte. Ich habe schon 1933, als ich über die Freilassungen des frühen Mittelalters handelte und deren wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung zu erfassen suchte3), betont, daß die Freigelassenen an den großen Kolonisationen des 9. und 10. Jahrhunderts, welche allüberall auf dem großen Grundbesitz bereits konstatiert worden sind, sicherlich einen beträchtlichen Anteil gehabt haben, daß diese der positive Ertrag ihrer wirtschaftlichen Bodenarbeit waren, das Neuland, welches sie hinzugewannen. Nicht viel später ( 1 9 3 3 / 4 ) hat dann HERBERT KLEIN, ohne daß ihm mein Aufsatz bereits bekannt geworden war, in seiner Untersuchung über die bäuerlichen Eigenleute des Erzstiftes Salzburg im späteren Mittelalter gezeigt, daß die großen Kolonisationen des 11.—13. Jahrhunderts überwiegend durch „Freisassen" (Freysatzzones) erfolgt sind4), welche er mit den Censuales identifiziert8). 1) Vgl. die oben angeführten Belegstellen, S. 25 u. 27 f. 2) Vgl. K . L A M P R E C H T , DWL., 1, 888; v. I N A M A - S T E R N E G G , Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S . 165; KÖTZSCHKE, Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, S . 367F.; J. K U L I S C H E R , a. a. O . 1 , S . 1 X 1 ; T H . M A Y E R , Deutsche Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters (1928), S . 55. — 3) Fesitskrift til H A L V D A N K O H T pä sekstiärsdagen, 1933, S. 84. — 4) Mitteil, der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde (1934), 74, S. 25f. — 5) Ebenda (1933), 73, S. lOff.



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So ergänzen sich unsere Nachweise gegenseitig und bekräftigen die Richtigkeit unserer Darlegungen. Dafür sprechen auch die Urbaraufzeichnungen. Denn Censualen und Freisassen werden in den Urbaren eben dort angeführt, wo Rodungen vorkommen. Nicht nur in Salzbutg1), sondern auch in Niederösterreich2), Oberösterreich8), Steiermark4) und Tirol5). Besonders auffällig wird das Vorkommen von „Freisassen" an Orten, wo Neubrüche (peunt oder infanch) in den oberösterreichischen Klosterurbaren erwähnt werden. Wahrscheinlich sind bei der Neukolonisation der verödeten Landgüter der Kirche von Passau in der Ostmark 985 unter den „ingenui", die „ex inopia servorum" als Colonen zum Wiederaufbau verwendet werden sollten, auch Censualen gewesen. Denn das Diplom OTTOS I I I . , aus dem wir Kunde davon erhalten, spricht doch von liberi cuiuscunque c o n d i t i o n i s sint 6 ). In einer jüngeren Tradition von Unfreien an Passau (1013 bis 1045) zu Censualenrecht wird geradezu vorgesehen, daß diese eventuell „more villicorum" dienen sollten7). Die große Bedeutimg der Censualen für den Landausbau (Rodewerk) läßt sich auch im deutschen Westen belegen. Es ist höchst auffallend, daß K. LAMPRECHT, obwohl er doch sehr ausführlich über die Wachszinsigen und Censualen gehandelt hat und dem Beundebau eine so große Bedeutung zumaß, diese Tätigkeit der Censualen gar nicht erkannt hat. Die Beunden sind doch auch nach seinen Quellenbelegen wesentlich Neubrüche (Infang) gewesen8). Jedenfalls lassen sich in den Urkunden aus dem Rheingebiet Anhaltspunkte dafür finden, daß auch dort die Censualen zu Rodungen verwendet wurden9). 1 ) Vgl. K L E I N , a. a. O . — 2) 'Vgl. A D . F U C H S , Die Urbare des Benediktinerstiftes Göttweig (österr. Urbare, 111, 1), Einl., S. CIX (Amt Waldmark!), sowie Landesfürstliche Urbare (Ebenda, I, 1), S. 2571, Reutte! 3) Vgl. K. S C H I F F M A N N , Die Stiftsurbare Oberösterreichs (österr. Urbare, 111. 2) 27. 40. 65. 68. 71. 74. 77. 79—82. 84. 90. 99. 101. 103. 104. 106. 109. 110. 112. 113. 118. 122. 124. 127; 2. Bd.: 263. 267. 270. 307. 322. 328. 355. 363. 365. 371. 406. 428. 556. — 4) Vgl. landesfürstliche Urbare (österr. Urbare, I, 2), Einl., S. CII, sowie Öberösterr. Stiftsurbare, 2, S. 582. 5 ) Vgl. das landesfürstliche Urbar von Tirol aus der Zeit M E I N H A R D S I I . ( 1 2 8 8 ) , F R A . , I I , 4 5 , 1 0 7 n° 2 2 9 - 6 9 (Gufidaun). 6) MG. D D . O T T O III., 21 (or.). — Vgl. dazu das gerichtliche Weistum (von 985—91) über die Abgabenfreiheit der Passauer familia auf den Gütern in der Ostmark; H E U W I E S E R , a . a . O . n° 92. — 7) H E U W I E S E R , 6 n° 100. 8) D W L , I, S. 422ff. — 9 ) Vgl. z. B. die Urk. vom Jahre 1197 (LACOMBLET, 1, 387 n* 556): die Abtei Kemp erwirbt ein Haus mit Hofstatt und communione silve sowie 30 Joch: lege e t iure censuali excolenda!



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Den Censualen kommt endlich noch eine zweite wichtige Bedeutung zu, die bis jetzt gleichfalls nicht entsprechend gewürdigt worden ist. Sie bildeten ein ständiges und großes Reservoir für die E r g ä n z u n g der M i n i s t e r i a l i t ä t , indem die Leib- und Grundherren aus ihren Reihen im Bedarfsfalle einzelne zu Ministerialen aufnehmen konnten. Klar und deutlich wird dies in einer Freisinger Tradition zum Ausdruck gebracht. Eine freie Frau tradiert sich zu Censualenrecht 1064 mit der Bedingung, daß der Bischof oder dessen Nachfolger aus ihrer Nachkommenschaft einen oder mehrere im Bedarfsfalle zu Ministerialen nehmen und diese das Recht und den Stand legalis ministri haben sollten1). In anderen Fällen wird bei der Tradition von Unfreien an die Kirche die Bedingung gemacht, daß dieselben, wenn sie vom Bischof ein zureichendes Benefizium zum Unterhalt gewinnen sollten, als Ministerialen, wenn dies aber nicht geschehe, als Censualen frei dienen sollten2). Dies war aber keineswegs eine bloß in Bayern und Österreich vorkommende Erscheinung. Auch nach dem Recht der familia von Limburg (1035) hatte der Abt das Recht, jeden Beliebigen aus ihr zum Truchseß oder Mundschenk oder Ritter zu machen unter Verleihung eines Beneficiums. Im Falle derselbe aber sich gegen den Abt nicht entsprechend verhalte, solle er das Recht, das er früher hatte, wieder erhalten3). Dasselbe bezeugt auch das Recht der familia von Fritzlar (1109), so daß auch am Mittelrhein ein solcher Aufstieg zur Ministerialität bezeugt ist4). Endlich ist auch das Kölner Dienstrecht von 1134 ein Beleg dafür5). Darüber wird unten noch in einem besonderen Kapitel gehandelt werden6). Zum Schlüsse dieser Ausführungen über die Unfreien müssen auch die Barschalken noch erwähnt werden. Uber sie ist ja, seitdem 1926 meine Schülerin ANNA JANDA zuerst eine Untersuchimg veröffentlicht hatte7), mehrfach dann geschrieben worden. Auch die 1) BITTERAUF, 5, n. 1468: in ministeriales summere. 2) HEUWIESER, 6, n° 98; 100 (1013—45); ferner Freising: BITTERAUF, 5, n. 1226 (972-76); 1244 u. 1458a (1047-53). - Das Nähere unten § 5. 3) MG. Constit. 1, S. 88: si vero abbas quenpiam prescriptorum in suo obsequio habere voluerit, faciens eum dapiferum aut pincernam sive militem suum et aliquod beneficium Uli prestiterit, quamdiu erga abbatem bene egerit, cum eo sit; cum non, ius quod antea habuit habeat. — 4) KINDLINGER, Hörigkeit, S. 232 c. 9. 5) § 10. FRENSDORFF, Das Recht der Dienstmanen von Köln, 1883 (Mitteil, aus dem Stadtarchiv von Köln, 2). — 6) Siehe unten § 5. — 7) Die Barschalken, ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Mittelalters (DOPSCH, Veröffentlichungen des Seminars f. Wirtschafts- u. Kulturgeschichte an der Wiener Univ., 2).



44 —

Barschalken sind Unfreie gewesen. Sie kommen vornehmlich in der Karolingerzeit und auch noch im 10. und 11. Jahrhundert in Bayern vor, verlieren sich aber dann in der späteren Zeit (13. Jahrhundert). Schon die ältere Forschung hat, gestützt auf einzelne Quellennachrichten, darin Reste der romanischen Bevölkerung gesehen, die bei Begründimg der germanischen Herrschaft zurückgeblieben waren. Wir müssen deshalb nicht annehmen, daß nur solche die Barschalken ausgemacht haben. Ihre Stellung glich jener der Colonen, sie waren wie diese scholienpflichtig und wurden mit der Hufe, auf der sie saßen, veräußert. Freilassungen Unfreier zu Barschalkenrecht sind nachzuweisen. Also war dieses ein besseres Recht. Sie werden auch als ,liberi' bezeichnet. Jedoch sind darunter nicht Vollfreie zu verstehen, wie die ältere Forschung angenommen hatte, sondern Minderfreie, die oben bereits besprochenen „Freileute". Schon L . HAUPTMANN hat dies erkannt (1913)1). Neuerdings hat derselbe Forscher mit ausführlicher Begründung durch zahlreiche Quellen das Verhältnis der Barschalken zu den anderen Klassen der Unfreien (Colonen, Censualen und Freileuten) behandelt2). Auch die Barschalken werden als servi, ja auch als mancipia bezeichnet. Sie nahmen also eine ähnliche Stellung ein wie die Bauleute (Colonen)3); HAUPTMANN ist geneigt, sie von den romanischen Colonen abzuleiten. Von den Censualen sind sie zu scheiden. Mitunter erwarben sie durch Kauf das Recht der Censualen. Es lassen sich auch Fälle nachweisen, daß weibliche Barschalken sich an ein Kloster zu Censualenrecht ergeben4). Dies besagt aber nicht, daß das Recht der Barschalken ein besseres gewesen sei als das der Censualen. Etwa 1024—31 werden bei einem Tausch zwischen Freising und dem Abt von Weihenstephan erwähnt: X hobas censuales, que vulgariter parscalheshoba dicuntur5). JANDA nimmt an, daß die Lage der Barschalken sich in der späteren Zeit (11. und 12. Jahrhundert) gebessert habe und sie eine freiere Stellung erlangten, somit ein Aufstieg in sozialer Beziehung zu beobachten sei6). Dagegen erklärte H. KLEIN die Barschalken nur für eine bedeutungslose Minderheit unter den grundherrlichen Hintersassen 1) Über den Ursprung von Erblichen in Österreich, Steiermark und Kärnten (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, VIII, 4, S. 57). — 2) Colonus, Barschalk und Freimann, in: Festschrift für A. D O P S C H , 1938, S. 170 ff. 3) H. Z E I S S , Die Barschalken und ihre Standesgenossen, Zschr. f. bayerische Landesgesch. (1928), 1, S. 440, setzt sie mit den coloni und tribútales durchaus gleich. 4)

JANDA,

a. a. O.

S. 25. —

5) BITTERAUF

1410.



6)

a. a. O.

S.

19.

— 45 — Altbayerns1). Jedoch haben sich L . HAUPTMANN 2 ) wie auch HELBOK8) gegen diese Auffassung ausgesprochen. Tatsache ist, daß sie zwar nur in einem Teile Altbayerns vorkommen. Allein sie haben doch zahlreichen Ortschaften und Hufen den Namen gegeben (Parscalchisdorf, Parscalchisriet, Parscalchishouba u. a.)4), und zwar auch im westlichen Salzkammergut (Oberösterreich), im Salzburgischen und Innviertel5). H. ZEISS hat sie überdies auch in Niederbayern bei Gundelshausen (B.A. Kelheim) und Aiterhofen (B. A. Straubing) sowie in Langenerling (B.A. Regensburg, Oberpfalz) nachzuweisen vermocht6) und überdies auch nördlich der Donau (B.A. Regen). Er betonte m. E. mit Recht, daß die Eigenart der Quellen es leider unmöglich mache, von der Verbreitung der Barschalken ein zuverlässiges Bild zu gewinnen. E. SCHWARZ vermutet, daß auch manche Orte, die nur mit dem ahd. scalch. „knecht" gebildet sind, in romanischer Umgebung wohl eigentlich die Barschalken meinen werden. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß manche Barschalken sich auch gewerblich betätigten7), so wie wir dies auch bei den Censualen wahrgenommen haben8).

§ 3.

Der unfreie Grundbesitz.

"TVe Frage nach dem Schicksal des unfreien Grundbesitzes, für den wir aus den großen Polyptychen der Karolingerzeit reichen Aufschluß gewinnen, ist für das Hochmittelalter noch kaum entsprechend beantwortet. Das ist in jüngster Zeit mit Recht betont worden9). Freilich müssen wir uns von vornherein darüber klar sein, daß gerade in dieser Periode eine große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit nach Ort und Zeit der Entwicklung in den Quellen zu beobachten ist. Die Darstellung in den Handbüchern der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte, welche doch nur einen Durchschnitt geben können, leiden daher stark unter der Generalisierung. 1) a. a. O. S. 73, 9 u. 74. 9. 2) Colonus, Barschalk und Freimann, a. a. O. S. 171. 3) Grundlagen der Volksgeschichte Deutschlands n. Frankreichs (1936), S.213. 4) JANDA, a . a . O .

S. 9.

5) Ebenda S. 10, sowie E. SCHWARZ, Walchen- und Parschalkennamen im alten Norikum- Zschr. f. Ortsnamenforschung (1925), 1, S. 91 ff., bes. S. 99. 6) a. a. O. S . 437. — 7) D a r a u f h a t A . HELBOK a. a. O. h i n g e w i e s e n .

8) Siehe oben S. 36 n. 1. — 9) Von M. BOSCH, Die wirtschaftlichen Bedingungen der Befreiung des Bauernstandes im Herzogtum Cleve und in der Grafschaft Mark im Kähmen der Agrargeschichte Westdeutschlands. Tttbinger staatswissensch. Abhandl., N. F.. 21 (1920), S. 15.



46



Von den drei Klassen grundherrlicher Hufen, welche in den Quellen der Karolingerzeit uns entgegentreten, mansi ingenuiles, mansi lidiles und mansi serviles, sind die, welche unfreien Grundbesitz betreffen, auch im Hochmittelalter noch vorhanden. Sehr bezeichnend ist der Kommentar, den CÄSARIUS VON HEISTERBACH 1222 zum Texte des alten Karolingischen Urbares im Kloster Prüm gegeben hat. Am vertrautesten sind ihm die mansi serviles, die er voranstellt. Die mansi lidiles erscheinen bei ihm nur hinsichtlich der Fronpflicht günstiger gestellt, mit den mansi ingenuales aber weiß er offensichtlich nichts anzufangen: er stellt sie als eine Besonderheit der Ardennen hin1). Im Hofrecht des Klosters Maurmünster i. Elsaß von c. 1144 werden auch drei Arten von Hufen unterschieden: ingenui seu liberi, mit welchen die barones belehnt sind, die Reiterdienste verrichten; dann die serviles mansi, welche außer verschiedenen Zinsen auch bestimmte Frondienste (3 Tage) leisten2), jedoch zu gewissen (niederen) Arbeiten während dieser Tage nicht verhalten sind3); endlich die mansi proprii, die zu allem und in allem wie Leibeigene verpflichtet erscheinen4). Die Besitzer von mansi serviles haben früh am Morgen da zu sein und gehen zur Vesperzeit weg. Sie erhalten nicht Speise und Trank, wie die von mansi proprii, denen sonst freilich keine andere Entlohnung für ihre Arbeit zuteil wird. 1) Mittelrhein. UB., 1, 144 n. 1: mansi serviles sunt, qui continue tenentur nobis servire, id est omni hebdomada per t o t u m a n n u m tribus diebus. Preterea faciunt alia iura multa, sicut expressum est in libro. Mansi lediles sunt qui nobis multa iura solvunt, sed tarnen ita continue non serviunt sicut mansi serviles. Mansi ingenuales sunt qui iacent in Ardenna. 2) SCHÖPFLIN, Alsatia dipl., 1, S. 227: Die Früchte des Fronhofes mähen, in den Speicher fahren, die Fuhren abladen; ferner Weinlese, Weinfuhr zum Kelter; Heuschnitt, Zufuhr zum herrschaftlichen Speicher, Abladen der (Heu)fuhren; Holzfuhr zur Küche und Mühle; Beihilfe bei der Reinigung des Stalles, indem sie den von d e n proprii mansi hinausbeförderten Mist unter freiem Himmel aufhäufen. 3) Sie steigen nicht auf den Getreidehaufen, u m Bündel zu machen; sie dreschen nicht auf der Tenne; sie messen das Gedroschene nicht und säubern es nicht (von der Spreu); die zum Kelter geführten Weintrauben tragen sie nicht in diesen hinein, noch treten sie diese in der Presse. Das Heu aber sollen sie nicht treten, indem sie den Haufen besteigen. Das Holz tragen sie nicht in die Küche oder Mühle und schneiden es auch nicht. Sie betreten das H a u s nicht, errichten auch keinen Herd und heizen nicht den Backofen, kochen keine Speisen, essen und trinken nicht mit. 4) Ebenda. Diese haben nicht nur die Arbeiten auszuführen, zu welchen die mansi serviles nicht verhalten sind, sondern sollen überdies W ä c h t e r f ü r den Hof stellen und den herrschaftlichen Stock (cippus) betreuen, endlich die Kloaken reinigen.



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Im ganzen können wir zwischen diesen beiden Quellen also eine große Übereinstimmung beobachten, jedoch nur dann, wenn wir die mansi serviles in Maurmünster den mansi lidiles in Prüm an die Seite stellen. Das entspricht dem, was wir früher über die soziale Entwicklung feststellen konnten1). Auch da sind die ,servi' als die große Masse der Halb- bzw. Minderfreien aufzufassen, die hörig sind. Zugleich erhalten wir auch für den Begriff der mansi serviles in Prüm durch die mansi proprii in Maurmünster das entsprechende Gegenstück. In Prüm ist das Auftreten der mansi lidiles dadurch zu erklären, daß da eben eine Abschrift des alten Karolingischen Urbares vom Ausgang des 9. Jahrhunderts vorliegt. Sonst begegnet man dieser Bezeichnung in der nachkarolingischen Zeit nur mehr selten2). Andererseits ist auch die Zweiteilung der unfreien Hufen im Hofrecht von Maurmünster noch nicht überall so zu finden. Im Dienstrecht des Klosters Ebersheim i. Elsaß (12. Jahrhundert) wird die Gesamtheit der hofhörigen Leute zwar auch in drei Teile unterschieden, jedoch die familia censualis von der familia servilis getrennt, welch letztere in cottidianum servicium serviunt3). Nach dieser Lex familiae sollen den Mancipien, wenn es der Vorteil des Klosters verlangt, nur feoda servilia gewährt werden4). F. KEUTGEN hält für möglich5), daß darunter nicht Bauernlehen, sondern Dienstlehen gemeint seien. Das ist nicht wahrscheinlich, da Dienstlehen wohl an Ministerialen, aber nicht an Mancipien verliehen wurden. Man sieht im ganzen, wie auch da aus der großen Masse des unfreien Grundbesitzes eine Besonderung und Besserstellung sich heraushebt, ohne daß noch überall gleiche Formen gewonnen sind. Die soziale Aufwärtsbewegung, welche wir früher feststellen konnten, drängt auch zu neuartigen Bildungen des Grundbesitzes. Die Vielfalt der Bezeichnungen zeigt zugleich, wie sehr noch alles im Flusse ist. In der Karolingerzeit wurde das unfreie Zinsland auch als terra tributaria bezeichnet6); man verstand damals unter tributales vielfach unfreie Zinsleute7). Diese treten uns auch im Hochmittelalter häufig entgegen8). 1) Siehe oben § 2, S. 25if. — 2) Vgl. K. LAMPRECHT, D W L . , 1, S. 1192 n. 4. — Immerhin doch auch in DDO. 216 für Magdeburg (960)1 3) Vgl. Mitteil d. Instit., 19, 605 n. 4 u. 613, § 9 . - 4 ) Ebenda § 6. 5) Die Entstehung der deutschen Ministerialität. Vjschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte, 8, S. 495 n. — 6) Vgl. meine Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 1», S. 193. — 7) Ebenda 1», S. 201, u. 2», S. 72. 8) Vgl. H. ZEISS, Die Barschalken und ihre Standesgenossen. bayer. Landesgeschichte (1928), 1, S. 440ff., bes. S. 444.

Zschr. f.



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Ferner begegnet auch eine terra stipendiaria1), ähnlich wie jene terra tributaria. Es gibt ein ius stipendiariorum, ein stipendiarium servitium2) und stipendiarii. Dann gibt es dótales8), das sind die auf dem zur dos ecclesie gehörigen Boden sitzenden Leute 4 ), die von Steuer8) und Vogtei6) befreit waren. In Westfalen und am Niederrhein sind etwas Ähnliches die Kämmerlinge gewesen, die in näherer Abhängigkeit von der Kammer oder der Kellerei standen (ad cameram pertinentes, ad cellerarium specialiter pertinent)7). Endlich kommt auch der Ausdruck prebendarii häufig vor, besonders im Südosten8). Wie war nun die Rechtsstellung dieser mansi serviles, bzw. proprii geartet? Sie gehörten nach übereinstimmender Aussage von Urkunden9) und Urbaren10) in der Regel zu einem Hofe (Fronhof), an welchen sie ihre Zinse abführten und an welchem sie ihre Frondienste verrichteten. Die Leute darauf haben einzelne Stücke vom herrschaftlichen Grund und Boden inne11) oder besitzen diese12). 1) Vgl. Salzburger UB., 1, S. 228 (1025-41). 2) Ebenda 1, 717 n° 278 (1183—96: proprii et stipendiarii sint; 382 n» 246 (1125—47) ius stipendiariorum; 598 n« 27 (1122—47); 615 n. 63 (1122—47: ius stipendiaiium 287 n. 70 (stipendiarium servitium) c. 1077; ebenso auch Klosterneuburg FRA., II, 4, 34 n. 161C. 3) OÖUB., 1, 224 n° 64 (Ranshofen). — 4) Vgl. die Urkk. von 1213 u. 1223. KINDLINGER, Münster. Beitr., 2, S. 248 u. 250. 5) Vgl. die Urk. Kaiser FRIEDRICHS I. vom Jahre 1182. HG. Constit., 1, 389 n° 283, dazu E. MACK, Die kirchliche Steuerfreiheit in Deutschland (1916), S. 48. 6) Der districtus dotalis ist mit seinen servientes der Jurisdiktion des Vogtes entzogen. Vgl. HEILMANN, Die Klostervogtei im rechtsrheinischen Teile der Diözese Konstanz, S. 59 u. 31, sowie die Urk. Kaiser FRIEDRICHS I. vom Jahre 1170. MG. Constit. 1, 329 n° 235: nullum prorsus advocatum aliquod ius habere in dotem alicuius ecclesie. 7) HOLLAND, Die Wachszinsigkeit am unteren Niederrhein, bes. im Stift Xanten. Münster. Beitr. zur Geschichtsforschung, 32/33, 101 n. 299. 8) Vgl. z. B. Salzburger UB., 1, 303 n° 109 (1090—1104): prebendaría ancilla; 388 n. 260 (1125—47); 401 n. 281: cottidiani fratrum prebendarii; 258 n° 9 (987— 1025), prebendarius servus; 267 n. 28; 345 n. 182 (1125—47); 349 n. 188; 379 n. 241; 396 n. 272 a; 460 n. 378 (1167-88); 521 n. 491; 527 n. 516; 531 n° 528 (prebendenarii!) 791 n. 45b (1135—40) u. a. m. 9) Vgl. bei K. LAMPRECHT, D W L , 1, S. 740f., sowie Westfäl. UB., 7 n« 57 (1207). — 10) Vgl. das Prümer Urbar, Mittelrhein. UB., 1, S. 144ff., sowie Urbar Karden, 11.—12. Jahrh. bei LAMPRECHT, DWL., 1, 1191 n. 11) Vgl. Westfäl. UB., 7 n° 57: homines bona illius curtís tenentes. 12) OÖUB., 1, S. 512: illa mancipia excipimus, que culturas prediorum possident.



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Aber sie hatten wenigstens in den meisten Fällen1) keine ungemessenen Frondienste mehr zu verrichten. Dieselben sind sehr oft doch auf eine bestimmte Zahl von Tagen in der Woche beschränkt. So nach der Lex familiae von Maurmünster auf 3 Tage (triduanum survicium)2) ; in anderen Fällen hatten sie 43), ja auch 5 Tage4) zu fronden. Nicht selten war die Zahl der Frontage auch je nach der Jahreszeit verschieden. So in Tegernsee (Bayern) 6 Tage im Mai und 3 Tage im Herbst6). Im Urbar von St. MaximinTrier stellenweise 4 Tage im März und 4 Tage im Juni8). Es herrschte also eine große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit im einzelnen, ja auch innerhalb derselben Herrschaft (z. B. St. Maximin-Trier). Sehr verschieden waren auch die unfreien Landleihen der Bauern. Im Nordwesten Deutschlands waren im Hochmittelalter die Bauern vielfach unfrei, ja auch die Meier. So in dem zum Kloster Werden gehörigen Hofe von Friemersheim7). Es finden Freilassungen „de litica Servitute" in ius servientum statt8). Es erscheinen auch dort die Fronden der Hofhörigen (familia) je nach der Jahreszeit bestimmt. So z. B. im Kloster St. Liudger vor Helmstedt9) (um 1150). In Sachsen heißen die Unfreien „lazzi"10); es kommen in den Urkunden auch Lazzeshufen vor11). Unter den Laten standen die „Dagewerchten", qui cottidie ad curtes serviunt12). Uber das Meierrecht wird im nächsten Kapitel besonders gehandelt werden13). 1) Immerhin kamen auch ungemessene Fronden noch im 13. Jahrh. vor; vgl. das Urbar von St. Maximin (Trier), Mittelrhein. UB., 2, 436 n° 438. 2) SCHÖPFLIN, Als. dipi., 1, S. 227, 2. Abs.; ebenso am Niederrhein: LACOHBLET, U B . , 1, 1 6 3 n . 2 5 3 . —

3) O Ö U B . , 1, 2 2 2 n® 5 7 (c. 1 1 4 0 ) . — 4)

Salzburger

UB., 1, 401 n° 281. — 5) FREYBERG, Älteste Geschichte von Tegernsee, S. 245. 6) Mittelrhein. UB., 2, S. 447. 7) Vgl. den Brief von c. 1350—60. KÖTZSCHKB, Rhein. Urbare, 2, S. 406, § 3: olim coloni seu villici ipsarum curtium erant servilis conditionis predicto monasterio attinerites. — Dazu auch KÖTZSCHKB, Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden a. d. Ruhr (1901). 8) Rhein. Urbare (1126), 2, S. 358. — 9) Ebenda S. 173, § 6. 10) Vgl. die vita Lebuini von HUCBALD (918—76), MG. SS., 2, S. 361: sunt qui lazzi dicuntur, quod in latina sonat lingua . . . serviles. 11) V g l . W . WITTICH, D i e G r u n d h e r x s c h a f t i n N o r d w e s t d e u t s c h l a n d

(1896),

S. 280F.; dazu auch TH. ILGEN, Zum Siedlungswesen im Klevischen. Westdeutsche Zschr., 29, S. 13. 12) Vgl. das Ministerialenrecht von Freckenhorst 1086, bei KINDLINGER, Münster. Beitr. 2, S. 49: ut ministris . . . quia non melius fere ius quam liti et qui cottidie ad curtes serviunt habuerant; dazu HECK, Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien (1905), S. 717 n. 1. — 13) Vgl. unten § 4. D o p s c h , Herrschaft und Bauer.

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Wie lagen die Verhältnisse nun in Südostdeutschland? Für Bayern und Österreich haben wir früher schon bei der Besprechung der sozialen Entwicklung auch darüber einiges gehört 1 ). Sehr verbreitet war von unfreien Landleihen das sogenannte Stiftrecht oder Freistift. Der Leib- oder Grundherr hatte das Recht, den unfreien Bauern („Freileut") an- und abzustiften (ius libere instituendi ac destituendi)2). Daneben kommen in den Quellen auch noch andere Bezeichnungen vor. So im Salzburgischen ius agricolarum 3 ), was wohl mit dem sonst bezeugten Baumannsrecht gleichzusetzen ist. Für dieses kommt auch die Bezeichnung ius colonum in den Quellen vor 4 ). Das Baumannsrecht (ius agricolarum) ist dasselbe wie die Freistift. Dies beweist eine Tradition von St. Peter (Salzburg) von 1188—93. Zwei Brüder übergaben ein liegendes Gut, das sie iure agricolarum besaßen, dem Kloster mit der Bedingung, daß sie davon nicht abgezogen werden sollten3). Das ius colonum war nur eine Zeitleihe auf Widerruf. Dies erhellt aus einer anderen Salzburger Traditionsnotiz (1199—1231), in der zwei Personen auf das angemaßte Eigentumsrecht an einem liegenden Gut des Klosters St. Peter Verzicht leisten unter der Bedingung, daß sie dasselbe iure colonum besitzen dürfen, solange sie das debitum servicium und die Steuer zahlen könnten 8 ). Dazu stelle ich noch eine andere Tradition von 1125—47. Einige Personen der familia von St. Peter hatten den schuldigen Dienst (debitum servicium) durch längere Zeit nicht geleistet, indem sie behaupteten, Ministerialen des Klosters zu sein. Als sich dies als unzutreffend erwies, gewährte ihnen der Abt zwar gnadenweise das Recht der Censualen (5 den.), jedoch mit der Bedingung, daß die männlichen unter ihnen, wenn sie das entsprechende Alter erreichten, nichts dagegen einwendeten, auf den Besitzungen des Klosters „iure colonum" angesetzt zu werden6). Der Grundherr behielt sich also das Recht der freien Stift da vor. 1) Siehe oben S. 31. — 2) Vgl. meine Ausführungen in Österr. Urbare (1904), I, 1, Einl., S. CXLIII, ferner H. W O P F N E R , Das Tiroler Freistiftrecht. Forschungen u. Mitteilungen zur Geschichte Tirols u. Vorarlbergs (1905), 2, S. 245 ff. — österr. Urbare (1910), I , 2, Einl., S. C, sowie H . K L E I N , Die bäuerlichen Leihen im Erzstift Salzburg. Mitteil. d. Gesellsch. f. Salzburger Landeskunde (1929). 69. 3) Salzburger UB., 1, 487 n° 432 (1188-93). 4) Vgl. die Belege in Österr. Urbare, I, 1, Einl., S. CXLII. 5) Salzburger UB.. 1, 499 n« 456. 6) Salzburger UB., 1,405 n° 286: contradicere non possint, quin in possessiones monasterii iure colonum collocentur.



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Ähnlich ist wohl auch eine Tradition von Unfreien aus der Zeit von 1242—64 aufzufassen. Ein Ministeriale der Salzburger Kirche übergibt eine größere Zahl von Unfreien zum Zinse von 12 den. mit der Bestimmung „ut institucionem paciantur, cum requisiti fuerint"1). Die Gewährung des besseren Rechtes der Censualität war also nur bedingt erteilt und eine freie Stift im Bedarfsfalle vorbehalten. Die Besitzer dieser niederen Bodenleihen durften das Leihegut nicht veräußern. Sehr bestimmt wird dies in einer Tradition von Michaelbeuern ausgedrückt, die, zwischen 1190 und 1217 entstanden, sich auf eine frühere Zeit (1161—90) zurückbezieht. Zwei Leute (Mann und Frau) hatten für sich und ihre Kinder eine Hufe zu Zins erhalten mit der Bedingung: ut ipsis eundem mansum nec obligare nec vendere nec infeudare nec in aliquo casu liceret alienare 2). Obwohl also hier ein Leibgeding auf mehrere Leiber vorliegt, wird den Zinsleuten doch jede Veräußerung verwehrt. Nach einer anderen Tradition des Klosters St. Peter in Salzburg von 1147—67 hatte ein Angehöriger der familia sein Gut (predium suum) verkauft, ohne daß der Abt davon Kenntnis hatte. Dieser erhob gegen den Verkauf Einspruch und setzte die gerichtliche Aufhebung desselben durch3). In dieselbe Zeit gehört auch eine Trier betreffende Urkunde (1174), die ein ähnliches Verbot enthält. Einige Weingärten, die dem Kloster Oeren zu Eigen gehörten und zu Zins ausgetan waren, hatte ein Kanoniker des Stiftes St. Simeon von den Zinsleuten gekauft und seinem Stifte vermacht. Das Kloster Oeren trat nun dagegen auf mit der Begründung, daß seine Leute (homines) nicht ohne seine Genehmigung zur Veräußerung berechtigt gewesen seien, das Kloster aber das Recht habe, diese Weingärten nach freiem Gutdünken zu verleihen4). Sehr aufschlußreich ist auch eine Pachturkunde aus späterer Zeit (1291). Der Abt des Klosters Altenburg in Niederösterreich verpachtete einen Meierhof an einen seiner Colonen sowie dessen Frau und Erben gegen einen bestimmten Zins. Obwohl es sich da also um eine Erbleihe handelte wird ausdrücklich bestimmt, der Colone solle dem Kloster in allem gehorsamen, wie ein Colone seinem rechten Herrn zu gehorchen verpflichtet ist, und er solle 1) Salzburger UB., 1, 760 n® 363. 2) Ebenda 1, 831 n® 119a. — 3) Ebenda 1, 439 n® 344. 4) Mittelrhein. UB., 2, 61 n® 23: transferendi quo vellemus. 4*



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den Meierhof keinem anderen verkaufen nisi simplici rustico, qui iure prehabito similiter resideat1). Unter den Bedingungen des Pachtvertrages tritt die Schollenpflichtigkeit hervor, und zwar wird dieselbe als eine regelmäßige Verpflichtung der Colonen bezeichnet2). Wahrscheinlich ist diese Bedingung als Sicherung gegen die Landflucht der Colonen gerichtet, welche ja schon seit dem 12. Jahrhundert vielfach in die Städte gezogen sind, um dort die Freiheit zu gewinnen. Dagegen sind gerade in Südostdeutschland (Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain) Verbote durch die Reichsgewalt erlassen worden, so z. B. 1276 von König RUDOLF VON HABSBURG®).

Außer dem grundherrlichen Leihegut konnten Unfreie im Hochmittelalter auch E i g e n g u t besitzen. Sie waren befähigt, solches durch Kauf zu erwerben. Darüber gibt die Lex familiae des Hochstiftes Worms (1023—25) näheren Aufschluß. Sie behandelt den Fall, daß einer aus der familia liegendes Gut oder Unfreie von einem Freien gekauft oder auf irgendeine Weise sonst erworben habe. Er darf solches Eigen nicht außerhalb der familia veräußern außer durch Tausch4). Die Unfreien besaßen auch bereits Erbrecht nicht nur an beweglichem, sondern auch an unbeweglichem Gute. Sie können ihr Erbe im Falle der Not verkaufen, und zwar sollen sie es zunächst ihren nächsten Erben anbieten; wenn diese es aber nicht kaufen wollten, können sie es an ihre Genossen verkaufen, wem sie wollen6). Es war also dieses Eigen hofrechtlich gebunden, d. h. der Unfreie hatte die Fähigkeit, mit seinem Herrn und seinen Genossen Rechtsgeschäfte darüber abzuschließen. Rechtsgeschäfte mit anderen Personen aber sollten vom Herrn vorgenommen werden8). Wenn ein Mann aus der familia und seine Frau mit Hinterlassung von Sohn und Tochter starben, so sollte der Sohn das Erbe an der servilis terra empfangen, die Tochter aber die Kleider soll Font. rer. Austr., II, 21, S. 65. 2) Ebenda: ut colonus prefate curie resideat. 3) Vgl. den Landfrieden vom 3. Dezb. MG. Constit., 3, S. 117, § 9. 4) Ebenda, 1, S. 642, § 21: Si quis ex familia St. Petri predium vel mancipia a libero homine comparaverit vel aliquo modo acquisiverit, extra familiam neque cum advocato neque sine advocato nisi commutet, dare non liceat. 5) Ebenda § 2: si quis prediiim vel mancipia in hereditatem acceperit et in paupertatem inciderit et ex hac necessitate hereditatem vendere voluerit, prius proximis heredibus suis cum testimonio proponat ad emendum. Si autem emere noluerint, vendat socio suo cui voluerit. 6) Vgl. E . MOLITOR, Der Stand der Ministerialen, S. 168.



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wie das Bargeld. Der übrige Nachlaß sollte unter beide gleich geteilt werden1). Die zur familia gehörigen Leute können im Falle schwerer Krankheit von dem, was sie an liegendem Gut und Unfreien zu Erbe erhalten haben, etwas für ihr Seelenheil geben. Die übrige Errungenschaft können sie geben, wem sie wollen2). Diese Rechte waren kaum bloß der familia des Bischofs von Worms eigentümlich, sondern wohl auch sonst üblich. Denn wir haben konkrete Belege dafür in großer Zahl noch in den bayrischösterreichischen Traditionsbüchern überliefert. Schon Anfang des 10. Jahrhunderts erfolgte in Freising ein Tausch zwischen dem Bischof und einem proprius servus desselben in der Weise, daß letzterer 2 Hufen, 10 Joch Wiesen und 5 Joch Wald mit einer Hofstatt, welche er mit Erlaubnis des Bischofs von 2 Edlen „propriis suis rebus" gekauft hatte, dem Bischof übereignete, der ebensoviel vom Gute seiner Kirche an den Unfreien gab „in proprietatem habendum et quicquid libuerit exinde faciendum"8). Ähnliche Fälle lassen sich in den Freisinger Traditionen oft und oft belegen4). Stellenweise besteht das Traditionsbuch über1) Lex familiae Wormat., a . a . O . S. 641, § 10. — 2).Ebenda § 11. Hec enim lex erit familie: si quis predium vel mancipia in heredidatem acceperit et in lectum egritudinis ita inciderit, ut equitare aut per se ambulare non possit, predium suum vel mancipia heredibus suis alienare non possit, nisi pro a n i m a sua a l i q u i d inde dare l i b u e r i t ; alium suum questum det cuicumque libeat. 3) B I T T E R A U F , Die Traditionen des Hochstifts Preising (Quellen und Erörterungen z. baierisch. und deutsch. Geschichte, N. F. 5), n° 1084 (926—37). 4) Ebenda n° 1127 ( 9 4 8 - 5 5 ) 4 Hufen; 1137 ( 9 4 8 - 5 7 ) 3 Hufen und Zubehör; 1138 (948—57) 3 Hofstätten, 4 Hufen und Wiesen; 1160 (957—72) 2 Hofstätten. 3 Hufen, 10 Joch Wiesen und Wald; 1171 ( 9 5 7 - 7 2 ) 23 Joch Acker, 3 Joch Wiesen; 1176 ( 9 5 7 - 7 2 ) 2 Hufen und 2 Hufen an anderem Orte, 11 Joch; 1194 ( 9 5 7 - 7 2 ) 2 Hofstätten, 3 Hufen, 11 Joch, Wiesen 18, Wald 25 Joch; 1195 ( 9 5 7 - 7 2 ) 3 Hofstätten, 4y 2 Hufen, 32 Joch Wiesen, 33 Joch Wald; 1196 (dito), 1 Hofstätte, 45 Joch Acker, 14 Joch Wiese; 1197 (dito); 1198; 1199; 1200; 1201; 1203; 1210 (Grundbesitz an 3 Orten 1); 1211 (an 6 Orten); 1214 (darunter 1 hoba servilis); 1222 (3 Hufen); 1223 (4 Orte); 1224 (6 Hufen u.a.); 1229; 1232; 1235 (Unfreie); 1238 (5 Orte, darunter Kaufeigen); 1239; 1240 (2y 2 Hufen u. a.); 1242; 1260 (1 hoba servilis); 1261; 1262; 1263; 1264 (3 Orte); 1269; 1270; 1276 (2 Orte je 1 hoba nobilisl); 1277 1278; 1293 (3 Orte); 1294; 1297; 1300; 1302; 1303; 1304; 1306 (2 Orte); 1307; 1309; 1310; 1320 (2 Orte); 1321 (2 Orte); 1323 (2 Orte); 1324 (5 Orte); 1325 (2 Orte); 1330; 1334; 1339; 1340; 1342; 1344; 1345; 1347; 1348; 1349; 1350; 1351; 1352; 1353; 1354 (2 Orte); 1355; 1356; 1357 (4 Orte); 1359; 1364; 1371; 1372; 1373; 1374; 1377; 1378; 1379; 1387; 1388; 1389; 1390 (2 Orte); 1391; 1396; 1397; 1398; 1399 (2 Orte); 1400; 1402; 1403; 1405; 1406; 1413; 1414; 1415; 1416; 1418; 1421; 1431; 1432; 1433; 1435; 1436 (6 Hufen an 6 Orten u. a. m.); 1439; 1440; 1442; 1443; 1445; 1446; 1450; 1451; 1453; 1454; 1455; 1464; 1465 (3 Orte); 1508; 1602; 1610; 1638; 1659; 1662; 1665; 1669; 1730; 1737.



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haupt bloß aus Tauschgeschäften mit Unfreien der Freisinger Kirche. Das aber, was diese an das Hochstift abtauschten, ist nicht etwa jeweils bloß eine Hufe, sondern nicht selten mehr (2—4 Hufen), sowie anderes Grundeigentum (Wiesen und Wald). Zahlreich sind die Tauschgeschäfte, bei welchen die Unfreien Grundeigentum an mehreren Orten (2—6) an Freising übergaben. In einzelnen Fällen wird ausdrücklich bemerkt, daß dieses Grundeigentum kaufweise von Freien oder Edlen erworben worden sei. Wir dürfen uns also die wirtschaftliche Lage der Unfreien keineswegs so ungünstig vorstellen, als dies bisher in den Handbüchern der Wirtschaftsgeschichte geschildert worden ist. v. INAMASTERNEGG nahm ja als Regel an, daß der Unfreie eine Hufe besaß und das Zinsgut des unfreien Mannes (mancipium) im allgemeinen ein Besitz von ziemlich gleicher Größe gewesen sei1). Die Quellen lassen eine sehr große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit erkennen. Was aber bisher gar nicht erwähnt oder bemerkt worden ist: auch das G r u n d e i g e n t u m der U n f r e i e n b e f a n d sich in S t r e u l a g e und war an verschiedenen Orten gelegen. Besonders ist ferner hervorzuheben, daß die Unfreien selbst wieder Mancipien unter ihrem Eigengut besaßen. Die Freisinger Verhältnisse stellen aber keineswegs eine Ausnahme dar. Wir können Ähnliches auch in Salzburg2), Passau3), Brixen4) sowie den Klöstern Österreichs5) nachweisen. Im Kloster Garsten, einer Stiftung der steirischen Markgrafen, kommen als Tradenten von Grund und Boden auch domestici sowie familiares 1) Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S. 197. 2) Vgl. im Salzburger UB., 1, z. B. 191 n» 4; 5; 7; 9; 10; 11 (991-1023); 16; 17; 19; 20; 21; 25; 26; 27; 29; 30; 31; 32; 33; 35; 1 0 2 5 - 4 1 : S. 213 n« 4 (2 Hufen); 5; 6; 8; 9; 10 (2Orte); 11 (2Orte); 12; 13; 14; 15; 17; 18; 20 (2Orte); 23; 24; 26 (2 Orte); 28 (4 Orte); 29; 30; 32; 33; 34; 35; 1 0 4 1 - 6 0 : S. 231 n° 2; 5; 7; 10; 13; 16; 19; 20; 23 (2 Orte); 24; 26; St. Peter 987—1025: S. 262 n° 19; 46; 67; 68; 70; 71 (3 Orte); 72; 86; 116; 126; 131; 137; 142; 145; 151; 152; 153; 154; 164; 194; 292 ; 433 ; 460; 470; Tradition, des Domkapitels, S. 588 n° 5. 3) HEUWIESER, Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, N . F . 6 n ° 106 (1013—45); 110; 1 1 3 ; 210; 211; 313; 560; 625; 675.

4) Acta Tirol, 1, 22 n« 55; 25 n« 63; 56 n« 149; 71 n° 196; 91 n» 251; 109 n« 310; 110 n* 315; 123 n* 356; 129 n« 377; 130 n* 379; 134 n« 392; 135 n« 393; 136 n* 396 u. 397; 137 n* 400; 152 n« 436; 155 n. 444; 161 n. 459. 5) Formbach, OÖUB., 1, 654 n° 96; 664 n« 128; 698 n° 231; 734 n° 379; 738 n° 399. — Reichersberg, OÖUB., 1, 323 n» 86; 366 n° 147; 386 n° 194; 392 n° 208; 403 n* 237.



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des Markgrafen vor1), die gleichfalls Unfreie gewesen sind2). Ähnlich auch in Salzburg3). Die ,husimanni' auf Passauer Grund und Boden in Oberösterreich4) sind wohl dasselbe wie die domestici. Auch das in einer falschen Urkunde auf den Namen KARLS D. GR. enthaltene Hofrecht des Klosters Neustadt a. M. (12. Jahrhundert) setzt voraus, daß ein Unfreier neben der vom Grundherrn geliehenen Hufe noch einen eigenen Hof besitzen konnte5). Auch da bestand damals (12. Jahrhundert) bereits Erbrecht an dem grundherrlichen Leiheland6). Im ganzen betrachtet war das Vermögen der Unfreien sehr viel größer, als es nach den bisherigen Darstellungen erscheinen mochte. Nicht übersehen soll die Tatsache werden, daß nach dem Hofrecht von Worms Gelddarlehen von Unfreien häufig vorkamen7). Endlich noch ein Wort zur Geschichte der l a n d l o s e n Unfreien. In der Wirtschaftsgeschichte v. INAMA'S wurden alle servi cottidiani, dagescalci und praebendarii dazu gerechnet8). Ich glaube nicht, daß das zutrifft. Nach dem Hofrecht für Neustadt a. M. hatten auch die servi cottidiani der Kirche keineswegs ununterbrochen zu dienen, es war vielmehr ihre Dienstleistung auf einen Tag in der Woche beschränkt. Und auch dieser Frondienst konnte durch eine Geldleistung ersetzt werden. Nur Wein- und Getreidefuhren zum Keller und Speicher waren vorbehalten9). Auch die servi cottidiani besaßen also mindestens teilweise eigenes Vermögen, da vorausgesetzt wird, daß sie für den Frondienst Geld leisten können. 1) OÖUB., 1, Garsten: 138 n« 36; 147 n« 67; 148 n» 71 u. 72. 73. 74; 149 n» 76. 77; 150 n° 78. 81; 152 n° 86. 87. 89; 153 n» 90. 93; 154 n° 96; 156 n° 103; 157 n® 106. 107; 158 n° 110; 160 n° 119; 162 n» 128; 163 n° 133. 2) Vgl. OÖUB., 1, 164 n° 136 (familiaris); 1, 139 n° 4 (domesticus). 3) Salzburger UB., 1. S. 457a (1170). 4) OÖUB., 1, S. 518 (c. 1160). 5) MG. DD. Karolinger, 1 n° 283: qui hubam habens et iu propria curti contra voluntatem abbatis sedens mortuus fuerit. 6) Ebenda: Qui in huba mortuus fuerit, optimum iumentum eius cum vestitu superiori ecclesia habebit e t f i l i u s e i u s h e r e s h ü b e e r i t . 7) a. a. O. S. 642, § 19 : habuerunt et hoc in consuetudine : si quis alteri pecuniam suam prestiterat, redderet quantum voluisset . . . 8) Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2, S. 73 f. 9) a. a. O. S. 424: quosdam ex illis in cottidianum servicium computamus, qui singulis ebdomadibus una die in .ecclesia ministrent. Qui vero servicium solvere noluerit, viginti denarios ecclesie solvat et sic per annum a Servitute liber existat excepta vehicione vini e t frumenti undecumque in usus fratrum eorumque portacione in granarium atque cellarium.



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Die Beschränkung ihres „täglichen Dienstes" auf bloß einen Tag in der Woche, gab ihnen die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft sonst für sich zu verwenden und durch Lohnarbeit1) Geld zu verdienen. Auch das ius familiae von Limburg weist eine ähnliche Bestimmung auf. Die Männer sollen 1 ß, die Weiber 6 den. jedes Jahr zahlen, oder einen Tag in der Woche am Hofe des Abtes dienen2). Nach der Lex familiae von Ebersheim soll jedes Mitglied dieser, wenn es die Geschlechtsreife erlangt hat, einen Tag im Jahre für den Bedarf des Klosters fronden, falls es nicht auf liegendem Gut angesetzt ist8). Das Hofrecht von Mönchweier i. Elsaß (c. 1150) weist jedem praebendarius nicht nur eine bestimmte Menge Getreide zu, sondern auch je 3 Joch in jeder Zeige für seine Bekleidung, ferner eine Kuh mit einem Kalb und deren Mist4). Es waren also auch diese Klassen der servi cottidiani und praebendarii keineswegs ganz landlos, ja die Entwicklung ging anscheinend dahin, daß auch sie Grundbesitz erwerben konnten. Ebensowenig waren es die haistaldi, welche v. INAMA mit den Tagewerkern identifiziert6). Dagegen gab es andere wirklich landlose Unfreie, über die später in einem besonderen Kapitel, das die Lohnarbeit behandelt, nähere Ausführungen folgen. Wie ist nun die nationalökonomische Bedeutung dieser eigentlichen Arbeiterklasse im Hochmittelalter zu werten ? v. INAMA meinte, eine „nahmhafte Abnahme" derselben konstatieren zu können. Vor allem nimmt er an, der natürliche Nachwuchs müsse da schon aus dem Grunde gering gewesen sein, weil sich diese Unfreien ja nur mit besonderer- Erlaubnis ihres Herrn verehelichen 1) Vgl. über diese unten § 7. 2) MG. Constit., 1, S. 87, Z. 33ff.: singuli virorum singulos solidos, mulieres vero sex denarios omni anno persolvant, aut unum diem septimane ad curtem abbatis tarn viri quam mulieres serviant. 3) Mitteil. d. Instit., 19, S. 613, § 10: unusquisque de familia ecclesiae, ubicumque fuerit, post tempus pubertatis unam diem omni anno, si collocatus non fuerit, in usus monasterii operari debet. 4) Zschr. f. Geschichte des Oberrheins, N. F. 15, S. 422, § 12: huic datur praebenda talis: 120 manipuli post triticum optimi frumenti, similiter avenae; huic etiam deputatur 3 iugera in unoquoque campo pro vestitu, quod dicitur vulgo gewerland; huic etiam deputatur vacca cum vitulo et cum fimo, quem faciunt ista duo animalia; et quicquid verritur de domo, stercorabit iugera haec. 5) a. a. O. S. 77 n 1. — Vgl. dagegen das Urbar von Prüm, Mittelrhein. UB., 1, 153 n. 10: haistaldi vocantur manentes invilla, non tarnen habentes hereditatem de curia nisi areas t a n t u m et communionem in aquis et pascuis.



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konnten und gewiß nur in seltenen Fällen verehelicht waren1). Gerade das Gegenteil davon läßt sich aus den Quellen entnehmen. Sie sind freilich bei jener Darstellung völlig unberücksichtigt geblieben. Nahezu alle leges familiae und Hofrechte enthalten Bestimmungen, aus denen wir den Schluß ziehen können, daß die Unfreien in der Regel verheiratet waren. So die Lex familiae von Worms2), so auch das Hofrecht von Limburg3) und jenes von Mönchweier4). Oft werden Bestimmungen für den augenscheinlich häufigen Fall getroffen, daß einer aus der familia eine Fremde aus einer anderen familia zur Frau nimmt6), oder eine Frau niederen Standes heiratet, z. B. ein Fiskaline eine dagewarda®). Der natürliche Nachwuchs dieser Arbeiterklasse war schon deshalb nicht gering, weil die uneheliche Progenitur eben hier sicherlich sehr bedeutend war, wie v. INAMA ja selbst schon bemerkt hat7). Gewiß werden in den leges familiae auch filii nondum uxorati erwähnt, aber z. T. doch so, daß deren Verheiratimg noch erfolgen konnte8). Auch durch die Mischehen von Freien und Unfreien, sowie von Ministerialen und völlig Unfreien, die anscheinend nicht selten waren, da in den Dienstrechten besondere Bestimmungen darüber getroffen werden9), mußte die Zahl der Unfreien erheblich gemehrt werden. Denn die Nachkommenschaft aus solchen Ehen folgte der ärgeren Hand, d. h. sie wurde unfrei. Im ganzen betrachtet ist die Masse dieser servi cottidiani auch deshalb nicht so gering zu veranschlagen, weil die Auflassung der Eigenbauwirtschaft, durch die sie angeblich entbehrlich geworden sein sollen, keineswegs so allgemein war, als die ältere Forschung und ganz besonders KARL LAMPRECHT sowie v. INAMASTERNEGG angenommen haben. Darüber wird später ausführlich in einem besonderen Kapitel gehandelt werden10). 1) a. a. O. S. 76 f. — 2) a. a. O. S. 640, § 1. § 5. § 10. § 14. § 15. 3) a. a. O. S. 88. — 4) a. a. O. § 18. — 5) Worms, § 15; Limburg, S. 88. EBERSHEIM, a. a. O . § 8 . — Fritzlar, KINDLINGER, Hörigkeit, S . 2 3 1 , § 6 . 6) Worms, § 16. — 7) a. a. O. S. 77 n. 1. — 8) Limburg, S. 88. 9) Vgl. das Tecklenburger Dienstrecht, bei FRESSEL, Das Ministerialenrecht des Grafen v. TECKLENBURG, Münster. Beitr. zur Gschichtsforschung, N. F. 12 (1907), S. 84, § 19. — Ferner das Recht der Kämmerlinge von Liesborn, bei K I N D LINGER, Hörigkeit, S. 240; endlich das Ersteiner Dienstrecht (Anfang des 13. Jahrh.) c. 2: quorum nulli liceat extra comparitatem suam uxorem ducere. Zschr. f. Geschichte des Oberrheins., N. F. 4, S. 298. — 10) Siehe unten § 8.



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Hier sei noch auf eine wichtige Tatsache hingewiesen, die für die Beurteilung der Unfreien und ihres Grundbesitzes ganz allgemein in Betracht kommt, aber noch nicht recht berücksichtigt worden ist. Sie haben selbst sehr oft eine B e s s e r u n g ihrer L a g e dadurch bewirkt, daß sie sich weigerten, die Zinse und Dienste in der bisher üblichen Weise zu leisten. Sie nötigten auf diese Weise ihre Grund-, bzw. Leibherren zu einer Herabsetzung und Minderung der auf ihnen ruhenden Lasten. Ich will da gar nicht die Aufstände der Bauern sowie gewaltsamen Erhebungen derselben anführen, die sich bereits seit dem 10. Jahrhundert an den verschiedensten Stellen nachweisen lassen. Das hatte ja schon K A R L LAMPRECHT bemerkt und eine ganze Reihe von Belegen dafür namhaft gemacht 1 ). Ich habe seinerzeit schon 1913 auf ein Edikt Kaiser OTTOS III. von 9 9 6 — 1 0 0 2 hingewiesen, das auf Klagen der Fürsten des Reiches, geistlich wie weltlich, reich und arm, groß und klein, über die Unfreien erfolgt ist, weil diese von ihren Eigenleuten den schuldigen Zins und Dienst nicht erlangen konnten2). Neben dieser allgemeinen Klage der fürstlichen Grundherren liegen auch noch viele Berichte in Einzelurkunden vor, die von der p a s s i v e n R e s i s t e n z Unfreier gegen ihre Herren handeln. Auf einige besonders charakteristische soll hier doch eingegangen werden. Der Abt von St. Maximin (Trier) hat in der Zeit von 1 0 4 2 — 4 7 die Leute seiner familia im Dorfe Wasserbillich günstiger gestellt, weil deren Zins und Dienst unerträglich war. Dabei hören wir, daß dieselben in exsolvendis redditibus debiti census adque serviciis semper dure cervicis ac pertinaciter rebelles extitisse et ante hec témpora insuperabiles3). Ähnliches vernehmen wir auch von verschiedenen Höfen des Marienstiftes zu Köln im Jahre 1158. Dieselben waren herabgekommen und verödet, da die Unfreien, Männer und Weiber, die zu ihnen gehörten, infolge der Last der Zinse verarmten und davongingen. Als sich ein großer Mangel an Unfreien ergab, haben auch die Hufenbauern (mansionarii) sich zur Flucht gewendet. Die Äbtissin sah sich deshalb zur Herabsetzung der Zinse und Leistungen veranlaßt4). Wenige Jahre darauf ( 1 1 6 6 ) hat auch die Gräfin VON M E E R am Niederrhein ihren unfreien Leuten zu Wahlscheid eine Erleichte1) DWL., 1, 864 n. 2, sowie 1235 n. 5. — 2) Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 2. S. 42 = 2», S. 43. — 3) Mittelrhein. UB., 1, 385 n® 332. 4) Vgl. H. WOPFNER, Urkk. zur deutschen Agrargeschichte, 1 n° 95.



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rung der Heirats- und Todfallabgaben gewährt, weil diese sie allzusehr beschwerten1). Ebendort gewährte 1176 die Abtei Brauweiler den Weinbauern im Dorfe Mesenich, welche die Weinberge des Klosters vernachlässigt hatten, eine Geldhilfe sowie ein Teilbauabkommen, um die erlittenen Schäden dadurch zu beseitigen2). Ferner hat im Jahre 1215 der Dechant von Mariengraden zu Köln den Leuten des Hofes Bilme wegen ihrer Armut und weil sie gegen die Kirche rebellierten, ihren Zins herabgesetzt, um sie zu behalten3). In Westfalen wurden 1225 die .Hovelinge' des Klosters Korvey vor allzu starker Anspannung der Frondienste auf den Höfen geschützt und deren Leistungen normiert4). Ähnliches geschah 1237 in Holstein, indem der Graf die Verpflichtungen der Bauern einiger Orte zu Deicharbeiten, zu welchen sie über Gebühr gezwungen worden waren, auf Grund eines Gerichtsspruches z. T. abstellte5). Aber nicht nur im Westen und Norden Deutschlands war solches der Fall, auch aus dem Süden und Osten liegen ebenso Belege dafür vor. So aus der Schweiz, wo sich die Leute des Klosters Muri in Wolen gegen die Bedrückung durch einen Grundherrn auflehnten6), ferner auch in Tirol. Dort fühlten sich die coloni des Frauenklosters Sonnenburg durch eine allzu große Todfallabgabe bedrückt. Auf Bitte derselben hat die Äbtissin im Jahre 1209 einen Nachlaß bewilligt7). Im Salzburgischen nahm der Erzbischof KON RAD I. bei einer Schenkung von Unfreien an das Stift Reichersberg (1132—47) in die darüber ausgefertigte Urkunde die Bestimmung auf: Si vero eidem §cclesi