Heroismus und Arbeit in der Entstehung der Hegelschen Philosophie: (1793 - 1806) 9783050064666, 9783050062686

How can we make the critical potential of Hegelian philosophy understandable from a historical perspective? To answer th

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Heroismus und Arbeit in der Entstehung der Hegelschen Philosophie: (1793 - 1806)
 9783050064666, 9783050062686

Table of contents :
Vorwort
1. Kleinbürgerlich-republikanische Aufklärung durch Religion (Bern 1793–1796)
1.1 Die Einheit von Aufklärern und Volk
1.2 Die Umfunktionierung der Religion zum breitenwirksamen Band der Einheit von Aufklärern und Volk
1.3 Zu Rousseaus Begründung des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts
1.4 Hegels Teilnahme an Rousseaus Konzept
1.5 Die Bedeutung der Tätigkeit „arbeiten“ beim Berner Hegel
2. Von der Neubelebung und dem Scheitern der kleinbürgerlichrepublikanischen Heroismusform zur „Versöhnung“ mit den großbürgerlichen Resultaten der Revolution (Frankf rt 1797–1800)
2.1 Selbsttreue in dem Nach und dem Vor der Revolution: Sinclairs „Praxis“ und Hölderlins „höhere Aufklärung“ der „Vereinigung“ im Frankfurt- Homburger Freundeskreis
2.2 Hegels Wende in seiner religionsaufklärerischen Position (1798/99): Von der Fehlaktualisierung des „Geistes des Judentums“ zur Historisierung auch noch des „Geistes des Christentums“
2.3 Das zu mächtig gewordene „Schicksal des Eigentums“ und Hegels Kampf gegen „Synkretismus“
3. Der napoleonisch-heroische Charakter des frühen Jenenser Programms der Hegelschen Philosophie
3.1 Das „Ideal des Jünglingsalters musste sich […] in ein System […] verwandeln“ (Der Übergang von Frankfurt zu Jena 1800–1801)
3.2 Die Aufgabe der Philosophie, die geistige Hegemonie über die „nordwestliche“ Verstandeskultur zu erringen .
3.3 Das „Unglück der Periode des Übergangs“
3.4 Die Methoden des phänomenologischen und dialektisch-logischen Eingreifens der Philosophie
4. Die napoleonisch-heroische Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes im „System der Sittlichkeit“ (1802/1803)
4.1 Natur, Anschauung und Begriff: Schellings Philosophie ermöglicht die Rezeption
4.2 Zum philosophiehistorischen Stellenwert der Smithschen Politischen Ökonomie in der schottischen Moralphilosophie: Hegels europäisch vergleichender Blick
4.3 Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs (A. Smith) in eine napoleonische Konzeption von der gesellschaftlich allgemeinen Arbeit des Krieges
5. Transformation und Integration der Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen (1803–1806)
5.1 Zum Jenaer Systementwurf I (1803–04) .
5.2 Zum Jenaer Systementwurf II (1804–05) .
5.3 Zum Jenaer Systementwurf III (1805–06) .
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister

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Hans-Peter Krüger Heroismus und Arbeit in der Entstehung der Hegelschen Philosophie

Hegel-Jahrbuch

Sonderband

Hegel-Forschungen

Herausgegeben von Andreas Arndt, Myriam Gerhard, Jure Zovko

Hans-Peter Krüger

Heroismus und Arbeit in der Entstehung der Hegelschen Philosophie (1793–1806)

Lektorat: Mischka Dammaschke ISBN 978-3-05-006268-6 eISBN 978-3-05-006466-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von De Gruyter Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kleinbürgerlich-republikanische Aufklärung durch Religion (Bern 1793–1796) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1 Die Einheit von Aufklärern und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1.2 Die Umfunktionierung der Religion zum breitenwirksamen Band der Einheit von Aufklärern und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1.3 Zu Rousseaus Begründung des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts

. . . .

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1.4 Hegels Teilnahme an Rousseaus Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1.5 Die Bedeutung der Tätigkeit „arbeiten“ beim Berner Hegel . . . . . . . . .

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2. Von der Neubelebung und dem Scheitern der kleinbürgerlichrepublikanischen Heroismusform zur „Versöhnung“ mit den großbürgerlichen Resultaten der Revolution (Frankfurt 1797–1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2.1 Selbsttreue in dem Nach und dem Vor der Revolution: Sinclairs „Praxis“ und Hölderlins „höhere Aufklärung“ der „Vereinigung“ im FrankfurtHomburger Freundeskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2.2 Hegels Wende in seiner religionsaufklärerischen Position (1798/99): Von der Fehlaktualisierung des „Geistes des Judentums“ zur Historisierung auch noch des „Geistes des Christentums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

2.3 Das zu mächtig gewordene „Schicksal des Eigentums“ und Hegels Kampf gegen „Synkretismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6

Inhaltsverzeichnis

3 . Der napoleonisch-heroische Charakter des frühen Jenenser Programms der Hegelschen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . 119 3.1 Das „Ideal des Jünglingsalters musste sich […] in ein System […] verwandeln“ (Der Übergang von Frankfurt zu Jena 1800–1801) . . . . . . .

119

3.2 Die Aufgabe der Philosophie, die geistige Hegemonie über die „nordwestliche“ Verstandeskultur zu erringen . . . . . . . . . . . . . . . .

143

3.3 Das „Unglück der Periode des Übergangs“ . . . . . . . . . . . . . . . . .

154

3.4 Die Methoden des phänomenologischen und dialektisch-logischen Eingreifens der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Die napoleonisch-heroische Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes im „System der Sittlichkeit“ (1802/1803) . . . . . 173 4.1 Natur, Anschauung und Begriff: Schellings Philosophie ermöglicht die Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.2 Zum philosophiehistorischen Stellenwert der Smithschen Politischen Ökonomie in der schottischen Moralphilosophie: Hegels europäisch vergleichender Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.3 Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs (A. Smith) in eine napoleonische Konzeption von der gesellschaftlich allgemeinen Arbeit des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Transformation und Integration der Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen (1803–1806) . . . . . . . . . . 263 5.1 Zum Jenaer Systementwurf I (1803–04)

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

266

5.2 Zum Jenaer Systementwurf II (1804–05) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.3 Zum Jenaer Systementwurf III (1805–06) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Nach dem Untergang der Sowjetunion schien endgültig der Weg dafür frei zu werden, dass sich die westliche Ordnung im Sinne der Dreieinigkeit von Marktwirtschaft, Demokratie und freiheitlicher Kultur global durchsetzen kann. Francis Fukuyama hatte in diesem, wie er meinte: Hegelschen Sinne bereits das siegreiche „Ende der Geschichte“ (1992) verkündet. Die Irak-Kriege und der 11. September 2001 schienen dagegen den „clash of civilizations“ (Samuel Huntington) zu belegen. Seit dem Ausbruch der Krise des globalen Finanzkapitalismus, der aus jahrzehntelangen Deregulierungen hervorgegangen war, treten erneut die Widersprüche innerhalb des Westens zwischen Kapitalismus, Demokratie und geistiger Kultur hervor. Sie verschärfen sich durch die Folgen, die der Kampf des Westens unter Führung der USA gegen seine vermeintlichen oder wirklichen Feinde im Inneren wie Äußeren hat. Bei der westlichen Moderne handelt es sich um kein in sich homogenes und von vornherein harmonisches Ganzes, sondern, wie man mit Hegel sagen könnte, um ein in sich entzweites und widerspruchsvolles Ganzes. Hegels Philosophie ist von jeher dafür bekannt gewesen, dass sie für die Ökonomie ein modernes marktwirtschaftliches System verteidigt und doch zugleich für einen starken Staat gegenüber dieser Ökonomie und für eine starke geistige Kultur gegenüber diesem Staat und dieser Ökonomie eintritt. Sie hat dafür bedenkenswerte Gründe im Namen der Freiheit von Personen entwickelt, die sich langfristig nur in einer gemeinsam geteilten Sittlichkeit erhalten lässt.1 Denkt man strukturell und funktional an die nicht intendierten Folgen verschiedener Ausdifferenzierungen von sozialen Verhaltensweisen, denkt man also pragmatisch, dann steht und fällt das westliche Moderneprojekt (Habermas) mit der Frage, ob stets erneut Marktwirtschaft, Demokratie und geistige Kultur für einander zum Gegengewicht und Potential werden können, damit das Ganze nicht von vornherein in einer Monopolstruktur totalitär entgleitet. Diese pragmatische Herangehensweise, die mit Hegel angesichts der Folgen der Französischen Revolution einsetzte und in John Deweys Thematisierung der indirekten Modernisierungsfolgen der USA einen Höhepunkt erreicht hat2, ist unvereinbar mit jedem Versuch, das Ganze entweder in Kapitalismus oder in Demokratismus 1 2

Vgl. A. Honneth, Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit, Berlin 2011. Vgl. John Dewey, Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, Bodenheim 1996.

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Vorwort

oder in Spiritualismus, also in eine einzige, alles andere monopolisierende Differenzierungsweise, aufzulösen. Marx hatte in seiner Analyse, verstehbar im 19. Jahrhundert, das gegebene Ganze und seine vorherrschende Tendenz auf den Kapitalismus zugespitzt, um umso plausibler die Lösung des Problems in einem Revolutionszyklus der Zukunft sehen zu können. Dessen wirkungsgeschichtliche Verkehrungen sind aus dem 20. Jahrhundert bekannt. Man kann die stalinistische Diktatur nicht verstehen, also ihrer Wiederholung vorbeugen, ohne zugleich ihre damaligen Fehlalternativen im Nationalsozialismus und Faschismus mitzubedenken, also auch deren Neuauflagen zuvorzukommen. Wenn heute das Interesse an Hegels und Marxens Konzeptionen zum Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und geistiger Kultur erneut wächst, dann wohl eher, um überhaupt das Problem der widersprüchlichen Konstellation innerhalb des Westens als Ganzem zu begreifen und voreilige, zumal totalitäre Scheinlösungen abzuweisen, d. h. auch die neoliberale Kapitalisierung von allem. In diesem pluralen Sinne hatte Jean-Francois Lyotard den „Widerstreit“ (1987) zwischen den Diskursarten bejaht. Eine Lösung ist auch längst nicht mehr allein innerwestlich zu haben, versteht man darunter Nordamerika und die Europäische Union. Globalisierung heißt vor allem Globalisierung der indirekten, darunter insbesondere auch der ökologischen Folgen der Modernisierung des Westens und des Ostens. Eine Prozesslösung kann erst in der Kooperation mit den asiatischen Modernen entstehen. In dem folgenden Buch beschäftige ich mich mit der Frage, wie es historisch möglich werden konnte, dass die Hegelsche Philosophie vor mehr als zwei Jahrhunderten eine moderne Problemlage entdeckt hat, in der wir uns doch – bei allem historisch gewachsenen Abstand – im Ganzen noch immer erkennen können, ohne Hegels protestantischen Versöhnungshoffnungen weiter anzuhängen: Sie waren angesichts der modernen Barbarei im 20. Jahrhundert ein voreiliges happy end. Die fernen Wirkungsmöglichkeiten der Hegelschen Philosophie bis heute beruhen m. E. tatsächlich darauf, dass sie die Tendenzen ihrer eigenen Zeit um 1800 auf den Begriff gebracht hat. Nicht durch Abstraktion von der eigenen geschichtlichen Aufgabe, sondern umgekehrt durch ihre konsequente Freilegung bis an jene Grenze, an der sie die eigenen Kräfte übersteigt, entstand ihr künftiges Wirkungspotential. Dies betrifft Hegels Leistung, den Fokus in das Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Geist gelenkt zu haben. Dort und dann treffen auf direkte und indirekte Weise folgenreich verschiedene Autonomien von Teilprozessen zum Ganzen eines weltgeschichtlichen Prozesses aufeinander. Aber wie war dies historisch möglich, ohne uns unsere heutigen Aufgaben abzunehmen, mithin ohne selbst in einen nur kompensatorischen Klassikerkult abzudriften? Das Kernproblem der damaligen Philosophie des Politischen bestand seit Jean-Jacques Rousseau in der zivilisationsabhängigen Gestaltung des Verhältnisses zwischen dem Bourgeois, dem Privatbürger und Privateigentümer im Sinne des dritten Standes, und dem Citoyen, dem öffentlichen Staatsbürger. Die in der Französischen Revolution wechselnde Besetzung für die Rolle des Citoyen (durch diesen Stand, jene Klasse oder eine ihrer Fraktionen) offenbarte der Tendenz nach eine funktionale Leerstelle, die selbst noch ihre bonapartistische Verselbständigung in Frage stellen konnte. Aber wer aus der – vergleichsweise unterentwickelten – deutschen Sicht auf dieses praktisch in der Französischen Revolution entfaltete Problem sah, erlitt angesichts des Rücklaufes dieser Revolution in den Terror nicht nur einen Kulturschock, der auf die langfristigen kulturellen Voraussetzungen des Bourgeois wie des Citoyen aufmerken ließ. In dieses Brennglas

Vorwort

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beobachtender Teilnahme trat auch die englische, absehbar industriell werdende Entwicklung der bourgeoisen Gesellschaft ein, d. h. historisch der künftige Hauptkonkurrent Frankreichs, was die wichtigsten modernen Differenzierungsweisen sozialer Verhältnisse anging. Es waren die Weite und die Verdichtung dieser von vornherein internationalen europäischen Problemkonstellation, die Anschauung und Begriff der Philosophie öffneten und herausforderten. Diese Konstellation zu entfalten hat in jeder Generation auf allen Seiten viele Talente und zudem mehrere Generationen verbraucht, deren klassische und romantische Größe, ja, Tragödien im 19. Jahrhundert zum deutschen Bildungskanon heranwuchsen. In einem vereinfachenden marxistischen Schema gesprochen, sollte sich das Vermittlungsproblem zwischen Bourgeois und Citoyen leicht lösen lassen. Diesem Schema gemäß galt der Bourgeois als der jeweils historisch in der materiellen Basis der Gesellschaft herrschende Teil der Kapitalistenklasse und der Citoyen als sein politisch-ideologischer Repräsentant im Überbau der Gesellschaft. Aber dieses Schema vom Primat der Ökonomie über die Politik stammte selbst aus dem reifen Industriekapitalismus der freien Konkurrenz, die sich in Richtung auf ihre Monopolisierung auflöste. Es durfte nicht einfach auf den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zurückprojiziert werden, in dem es – wie z. B. in der Französischen Revolution – laut Marxens Einsicht möglich und nötig war, politisch dem ökonomischen Entwicklungsniveau auf bewundernswert heroische Weise vorauszueilen, so in der Herrschaft der Jakobiner. Das Primat der Ökonomie durfte auch nicht einfach auf den Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus vorprojiziert werden, in dem es gerade auf den Wechsel vom Primat der Ökonomie zum Primat der revolutionären Politik ankam, im Gegensatz zu allen Reformisten.3 Für Marx bestand historisch Heroismus darin, in der politischen Praxis dem ökonomischen Entwicklungsniveau bis zur Selbstaufopferung vorauszueilen, und zwar in Richtung auf die Verwirklichung der Revolutionsziele Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle Menschen auf Erden, nun zur Lösung der sozialen Frage.4 Heroen waren keine Halbgötter mehr, aber sie trieben die Weltgeschichte politisch in die Richtung geistiger Ideale voran, die den Rückschlag, den Rücklauf, womöglich die Verkehrung in der Generationenfolge in Kauf nahm. Philosophen des 20. Jahrhunderts, die wie Ernst Bloch und Georg Lukács an Marx anschlossen, setzten auch seine Verlängerung des Modells der Französischen politischen Revolution in das Modell der proletarischen sozialen Revolution fort. Sie gerieten selbst lebensgeschichtlich mit der stalinistischen Diktatur in das bonapartistische Stadium der proletarischen Revolution, in dem sich der Partei- und Staatsapparat gegenüber der Arbeiterklasse verselbständigte. Dies schien zunächst dadurch ausreichend erklärbar zu sein, dass die sowjetische Revolution in einem vergleichsweise unterentwickelten Land 3

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Marx hatte deutlich den Widerspruch zwischen der Logik, nach der sich der Industriekapitalismus auf eigener Grundlage intensiv erweitert reproduziert, und den historischen Übergängen aus vorkapitalistischen Verhältnissen zum Thema gemacht. Vgl. K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 21–28. Vgl. zur in diesem Sinne „aufsteigenden“ und „absteigenden“ Linie der Französischen Revolution K. Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: K. Marx/F. Engels, Werke, Berlin 1972, Bd. 8, S. 115 ff., 135 f.

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Vorwort

begonnen hatte, dort allein geblieben und mit einer ursprünglichen Akkumulation und Großindustrialisierung beschäftigt war, also vorkapitalistischen und kapitalistischen Aufgaben, bei deren Lösung sie auch noch überfallen wurde. Diese Diktatur blockierte zwar den Übergang zu einer sozialistischen Demokratie, sicherte aber in der Analogie beider Revolutionen zumindest den Beginn der proletarischen Revolution gegen die nationalsozialistische Konterrevolution. Ähnlich heroisch hatte das bonapartistische Stadium der Französischen Revolution durch seine Verselbständigung des Staates zum Imperium die Revolution gegen die internationale Konterrevolution gerettet. Wie immer man historisch konkret diese an Marx anschließenden Philosophien bewerten mag, in Blochs und Lukács’ bonapartistischem Selbstverständnis trat ein nicht intendiertes Folgenproblem in dem modernen Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und geistiger Kultur hervor: Auch in dem proletarisch sozialen Revolutionsmodell des 20. Jahrhunderts tauchte – wie bereits in dem Modell der bürgerlichen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts – das Phänomen einer bonapartistischen Hegemonie-Substitution auf: Der Staat verselbständigte sich gegen diejenigen, deren Vertreter er sein sollte. Teils hielten sich die durch ihn zu Vertretenden gegenseitig im Kampf die Waage, so dass sich kein Bevölkerungsteil seiner allein bemächtigen konnte. Teils folgte er selbst seiner eigenen institutionellen Dynamik, deren Ausbau am besten durch Feinde zu legitimieren war. Seine Verselbständigung geriet zu einer imperialen und totalen, die der zeitweilig, d. h. für einige Generationen, zu zahlende Preis dafür zu sein schien, dass dann doch die in den Revolutionsmodellen antizipierten Normalverhältnisse künftig eintreten würden: Hegemonie der Bourgeoisie über ihr angemessene Citoyenformen oder Hegemonie der Arbeiterklasse über ihr adäquate Assoziation. Es war kein Zufall, dass Bloch und Lukács in ihrem gerade bonapartistischen Selbstverständnis Mitte des 20. Jahrhunderts Hegelianer und Marxisten zugleich waren.5 Was aber wäre, paradigmatisch gesprochen, wenn die Ausnahme der Hegemonie-Substitution eben die Regel wäre, womit Max Weber in seiner Hypothese von der bürokratischen Herrschaft in der Moderne längst gerechnet hatte? – Dann beträfe der Wechsel vom Primat der Ökonomie zum Primat der Politik nicht nur historische Übergangsphasen im Unterschied zur Logik der Reifephase des Industriekapitalismus. Vielmehr müsste man dann eine strukturale und funktionale Teilautonomie der Wirtschaft, Politik und geistigen Kultur als spezifisch moderne Charakteristik veranschlagen, ohne von vornherein die Primatbeziehungen zwischen diesen Handlungssphären auch nur phasenweise festlegen zu können. Damit tritt das Politische in einem anderen Sinne als dem hervor, es gehe nur um die staatszentrierte, durch Recht teilautonome, institutionell ausdifferenzierte Sphäre der Politik. Das Politische im weiten Sinne beträfe dann die Art und Weise der Verhältnisbestimmung, eben die Primatbildungen zwischen Wirtschaft, Politik und geistiger Kultur (letztere im jeweils engeren Sinne). Erst wenn man so das Politische ganzheitlich, d. h. als das Integrationsproblem der Moderne im Ganzen, gegenüber der jeweiligen Politik 5

Siehe G. Lukacs, Der junge Hegel und die Probleme der kapitalistischen Gesellschaft (EA Zürich 1948), Berlin 1954, S. 519. Bloch stimmte Lukacs’ Interpretation, in der „Phänomenologie des Geistes“ handele es sich um die „napoleonische Deutschlandutopie Hegels“, zu, um allerdings gleichzeitig zu vermerken, dass die Jakobiner der Maßstab blieben, dem die Liebesmystik des jüngeren Hegel näher gestanden habe als die restaurativen Züge des späten Hegel. Siehe E. Bloch, SubjektObjekt. Erläuterungen zu Hegel, Berlin 1951, S. 46, 49, 87.

Vorwort

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(als dem teilautonomen Handlungsfeld mit bestimmten strategischen und taktischen Optionen für bestimmte kollektive und individuelle Akteure) versteht, kann der intellektuelle Übergang vom Politischen ins Philosophieren gelingen, ohne das Philosophieren auf eine ideologische Funktion bestimmter Akteure in der Politik, also auf allein Ideologie, reduzieren zu müssen. Mit der Durchführung der hier angesprochenen Teilautonomien und ihrer, im weiten Sinne politischen Vermittlung zum historischen Prozess im Ganzen tat sich die außermarxistische Forschung ohnehin schwer. Sie folgte zum größten Teil der Politik des Unpolitischen (Thomas Mann). Aber auch in der marxistischen Forschung war dieses Problem ungelöst. So verdienstvoll Lukacs’ – in seinem Moskauer Exil geschriebenes – Buch „Der junge Hegel“ war, sein Raster bestand aus den alten Primatsetzungen, die die eigene historische Rolle in Hegel zu spiegeln erlaubten, nicht in den offenen Fragen, die seine eigene Rolle hinterfragt hätten. Als ich 1975 bis 1979 an der Humboldt-Universität zu Berlin daran ging, die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie unter dem genannten Fokus neu zu rekonstruieren, hatte sich die Forschungslage gegenüber den 1950er Jahren geändert. Es ging mir nicht mehr nur darum, das Verhältnis verschiedener Wirtschafts- und Politikweisen anhand einer Typologie von Bourgeois- und Citoyen-Formen für den internationalen Vergleich (der damaligen englischen, schottischen, französischen und deutschen Entwicklung) als das Politische, d. h. die Aufgabe der Vermittlung zum Ganzen, konkret-historisch durchzuführen.6 Immerhin konnte dabei die vergleichende Revolutionsgeschichtsschreibung der Leipziger Schule helfen, da sie nicht intendiert die Umkehrung der Ausnahme zur Regel verschiedener Weisen von Hegemonie-Substitution empirisch materialreich aufgedeckt hatte (M. Kossok u. a.). Aber seit Joachim Ritters „Hegel und die Französische Revolution“ (1965) bemühte sich auch die außermarxistische Forschung darum, Hegel im größeren Kontext der Moderne zu thematisieren, wenngleich noch auf eine die Zerrissenheit der Moderne kompensierende Weise. Die Frage war nicht mehr, ob Hegel von der Französischen Revolution beeinflusst worden sei, sondern wie man seine diesbezüglichen Rezeptionen, die auch die englische bzw. schottische Ökonomie betrafen, im internationalen europäischen Kontext konzeptionell differenzieren und gewichten kann. Vor allem aber entstand im Umkreis von Dieter Henrichs „Hegel im Kontext“ (1971) und der neuen Historisch-Kritischen Ausgabe der Werke Hegels eine Forschung, die dann später als Konstellationsforschung ausgearbeitet worden ist.7 Die einzelnen historischen Autoren und Texte wurden so in kollektive Verständigungsprozesse eingeordnet, die sich der Lösung systematischer Probleme widmeten8, also einer geistig-kulturellen Teilautonomie im o. g. Sinne. Schließlich erfolgte meine Rekonstruktion der Entstehung der 6 7

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Dazu regte die Auffassung der Vernunft in ihrem Verhältnis zur Französischen Revolution als etwas Heroischem an. Vgl. M. Buhr u. G. Irrlitz, Der Anspruch der Vernunft, Berlin 1968, S. 9. Vgl. D. Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795). Stuttgart 1991. Ders., Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795). Stuttgart 1992. So exemplarisch für das Systemverständnis des Philosophierens von Kants Kritik der reinen Vernunft bis zu Hegels Phänomenologie des Geistes E. Förster, Die 25 Jahre der Philosophie. Eine systematische Rekonstruktion, Frankfurt/M. 2011. Für die systematische Rekonstruktion der Zusammenhänge zwischen den Systemen von Kant, Fichte, Schelling und Hegel sind nach wie vor lesenswert die Studien von D. Henrich, Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982.

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Vorwort

Hegelschen Philosophie ihrerseits in dem Kontext einer systematischen Problemdiskussion über den Status allgemeiner Arbeit in Marxens Philosophie (H. Laitko, P. Ruben). Marx hatte die Wissenschaft als eine allgemeine Arbeit thematisiert, die unter bestimmten Struktur- und Funktionsbedingungen dazu beitragen könne, den unmittelbar materiellen Produktionsprozess von den Grenzen des Arbeitsprozesses in nachindustrieller und nachkapitalistischer Richtung zu befreien.9 In dem Freundeskreis meiner Generation spiegelte sich unsere Begeisterung für den Prager Frühling, d. h. damals für einen „demokratischen“ und „humanen“ Sozialismus, der von den sowjetischen Panzern 1968 nieder gerollt worden war, in dem Heroismus der klassischen deutschen Philosophie.10 Man versteht in der Tat Hegels Entwicklung nicht ohne ihre gelebt geistige Verankerung in der Freundschaft mit Hölderlin, Schelling, Sinclair, ohne ihre Annahme der Herausforderung, zwischen Kant und Herder sowie Lessing einen neuen Weg zu finden, auf diesem erst mit und dann ohne Schelling Fichtes Radikalisierung von Kant entgegenzutreten etc.11 Das Politische im o. g. weiten Sinne ließ sich nur in diesen konkret-historischen „Medien“ gelebten Geistes („ursprünglicher Einsichten“, wie sie Henrich nannte) und im „Medium“12 kollektiver Denkprozesse der Problemlösung thematisieren. Diese Medien waren nicht nur teil-autonom, sondern auch politisch im weiten Sinne, wozu die systematische Frageform nach unserem Verhältnis in der Ausdifferenzierung des Ganzen intellektuell einlud. Gleichwohl wollte Hegel eben nicht von Anfang an Philosoph im abschließend systematischen Sinne werden, zu dem er dann aber wie kein anderer wurde. Was für eine Ironie in diesem Schicksal, was für ein Schicksal in dieser Ironie! Darin bestand und besteht noch immer das Erklärungsbedürftige. Gemessen allein an Kants systematischen Problemen begann er als ein dilettantischer Grenzgänger, der vorsystematisch das Politische im weiten Sinne erst entdeckte. Nicht intendiert konnte er es später, nach der Überwindung seiner tiefen weltanschaulichen Krise, als eine neue, alles überbietende, sich selbst („spekulativ“) begründende Systemform in ihrem Verhältnis zu den Bewusstseins- und Wissenschaftsformen seiner Zeit durchführen.13 Man muss 9 10 11

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Vgl. H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft, Berlin 1990, S. 128–130, 227–232. Vgl. zu Struktur, Mentalität und dem Intellektuellen in der DDR der 1970er und 1980er Jahre H.-P. Krüger, Demission der Helden. Kritiken von innen 1983–1992. I.Teil. Ich halte es nach wie vor für richtig, die Entstehung der Hegelschen Philosophie nicht allein aus der Systemfolge von Kant über Fichte und Schelling zu ihm selbst hin zu verstehen. Zur Bedeutung der Auseinandersetzungen Hegels mit der Literatur, d. h. vor allem Lessing, Herder, Schiller und Goethe, vgl. Buhr u. Irrlitz, Der Anspruch der Vernunft, S. 189–225. Dies trifft auch voll auf Hölderlin zu. Vgl. W. Heise, Hölderlin. Schönheit und Geschichte, Berlin 1988. Dieses Buch basiert auf Vorlesungen, die ich 1975–1979 gehört habe. Ch. Taylor versteht unter einem „Medium“ das „Denk- und Gefühlsklima, in welchem die heranwachsende Generation junger gebildeter Deutscher geformt wurde und sich entwickelte“ und in dem vor allem das „epochale Ereignis“ der Französischen Revolution „gleichsam zurückgestrahlt wurde“. Ch. Taylor, Hegel, Frankfurt/M. 1983, S. 13. Ich teile nach wie vor Taylors Einschätzung, dass Hegels System-Innovationen ab seiner Jenaer Zeit nicht möglich gewesen wären ohne seine lange Beschäftigung mit der politischen Erneuerung des öffentlichen Lebens, daher mit der Religion, der neuen bürgerlichen Gesellschaft und dem Problem der Geschichtlichkeit menschlicher Existenz. Siehe ebd., S. 85, 100–102, 104 f., 109–111. Henrich räumt in seiner systematischen Rekonstruktion ein, dass Hegel seine Kant-Kritik anhand neuer Themen (des Organismus im Lebensprozess als Ganzem und der Zuordnung freier Menschen in einer

Vorwort

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nicht das Politische im weiten Sinne, im Unterschied zur Politik im engeren Sinne, in der Kampfform eines philosophischen Systems verkörpern, aber man kann es unter bestimmten Struktur- und Funktionsbedingungen. Darin liegt dann ein Ersatz für das fehlende Andere, etwa die politisch-historische Normalrepräsentation der bürgerlichen Gesellschaft im englischen Sinne, vor. Aber darin bildet sich zugleich auch ein Leistungspotential für etwas noch Anderes aus. Geschichte zu machen wagen, aus historisch-konkret noch einsichtig werdenden Gründen, sich nicht einfach von ihr ins Mitlaufen stoßen zu lassen, darin besteht Hegels Lektion und die seines Freundeskreises. Aus der Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie von 1793 bis 1806 geht in den hier untersuchten vor-phänomenologischen Schriften eine bestimmte systematische Formierung der Frage nach dem Politischen seiner Zeit hervor. In welcher Richtung – anfangs thesenartig gesagt – versuche ich, diese Behauptung zu erklären? – „… denn im Ewigen ist nichts Eigenes“ – schreibt Hegel im „System der Sittlichkeit“ von 1802/03. Die absolute Sittlichkeit sei „absolute Uneigennützigkeit“14: In dieser Sittlichkeit ist das empirische Sein und Tun des Individuums „schlechthin allgemeines“, denn es ist nicht das Individuelle, welches handelt, sondern der allgemeine absolute (nicht wieder dem Individuellen entgegensetzbare) Geist in ihm. „Die Einzelheit des Individuums ist nicht das Erste, sondern die Lebendigkeit der sittlichen Natur, die Göttlichkeit, und für ihr Wesen ist das einzelne Individuum zu arm, ihre Natur in ihrer ganzen Realität aufzufassen.“15 Hegels Denken umkreist immer wieder die Frage nach der Bestimmung von Tätigkeitsformen, in denen sich die Individuen unmittelbar gesellschaftlich verhalten können, sowohl kooperativ miteinander als auch als Individuen aktuell unabhängig voneinander, so dass sich also nicht wieder hier die Individuen in ihrer abstrakten Bestimmtheit reproduzieren und davon getrennt dort die sich diesen abstrakten Individuen gegenüber verselbständigende Gattung, man mag sie nun Gott, Natur oder Geld heißen. Hegels Begriffe von der „Arbeit des Republikaners für das Allgemeine“ (1795) über den der „allgemeinen Arbeit des Krieges“ (1802) bis zu dem der „Arbeit des Begriffs“ (1807) sind wesentlich an die Ausbildung heroischer Weltanschauungen gebunden. Hegels Heroismusformen enthalten das Problem, im Gegensatz zu den unheroischen Auswirkungen des kapitalistischen Privateigentums eine Form allgemeiner Arbeit zu bestimmen: Allgemeine Arbeit steht zwar als Arbeit der Natur im Endlichen näher als spezifisch geistige, also sprachlich vermittelte Tätigkeit. Aber als allgemeine Arbeit steht sie auch der spezifisch geistigen Tätigkeit näher, als es die konkret-einzelne und abstrakt-einzelne Arbeit sein können, die im kapitalistischen Privateigentum formiert werden. Die von Hegel entworfenen Zwischenformen allgemeiner Arbeit, zwischen den konkreten Arbeiten Einzelner in ihrer bloß abstrakten Gleichsetzung und einer im Geiste konkret-allgemeinen Tätigkeit, stellen in rationeller Weise den historisch illusionären Charakter der Heroismusformen so vor, dass er historisch als dennoch realisierbar gelten und im Rückblick als erneute Aufgabe hervortreten kann.

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freien Gemeinschaft) entwickelt. D. Henrich, Selbstverhältnisse, S. 195, 204 f. Gleichwohl soll der frühe Hegel „Kantianer“ gewesen sein, seinen Ausgang von Kants Denken genommen haben (ebd., S. 189, 191). Der Berner Hegel war aber Republikaner in Rousseaus, nicht Kants Sinne. G. W. F. Hegel, System der Sittlichkeit. In: GW Bd. 5, S. 329. Ebd., S. 334.

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Marx begriff vorzugsweise Jakobiner und Napoleon I. als Heroen. Revolutionshistorisch wurzeln diese Heroismusformen in der kleinbürgerlich-republikanischen Substitution der Citoyen-Typen der Bourgeoisie und der napoleonischen Verselbständigung des Citoyen gegenüber der vorindustriellen Bourgeoisie, wodurch ebenfalls deren Hegemonie ersetzt wird. Daraus erwächst beiden Heroismusformen ein weder feudal-konterrevolutionäres, noch utopisch-kommunistisches, aber dennoch zutiefst bourgeoiskritisches Denkpotential. Neben den Konzeptionen dieser beiden Substitutionen bourgeoiser Hegemonie belege ich auch diejenigen Citoyen-Typen der noch revolutionären Bourgeoisie (wie des manufakturbürgerlichen Stadiums: Adam Smith) mit dem Prädikat „heroisch“, insoweit historisch diese Citoyens auf staatlich-gesellschaftlicher Ebene die einfache Reproduktion der bloß formellen Gemeinsamkeit konkurrierender Bourgeois qualitativ durchbrechen. Erst unter den idealtypischen Strukturbedingungen freier Konkurrenz im Industriekapitalismus erscheint der Citoyen nur als ein formell, d. h. im Medium des Rechts allgemeiner Bourgeois. Diese Ausgangsdifferenzierungen gestatten es, die am philosophiehistorischen Material des jungen Hegel nachweisbaren Teilnahmen an den kleinbürgerlich-republikanischen und den napoleonischen Dimensionen und Stadien der Französischen Revolution sowie an den handels- und manufakturbürgerlichen Konzeptionen, die Hegel aus Frankreich, Italien, England und Schottland rezipiert, begrifflich auseinanderzuhalten. Allerdings kann diese, für den historisch internationalen Vergleich entworfene Differenzierung zwischen welthistorischen Heroismusformen nicht unmittelbar zur Erklärung der Entstehung der Hegelschen Philosophie herangezogen werden, sondern nur vermittelt über die Auswirkungen der Revolutionskriege auf Deutschland und die republikanischen Versuche in den deutschen Ländern selbst. Hegels Entwicklung verläuft nicht synchron mit der Französischen Revolution. Bezüge zur Revolution lassen sich ohnehin erst auf der Ebene weltanschaulicher Konzeptbildung herstellen. Hegel hat in Bern (1793–1796) einer kleinbürgerlich-republikanischen Religionsaufklärung im Sinne Rousseaus angehört. Der Frankfurter Hegel (1797–1800) schloss sich einer, sich in der zweiten Hälfte der 1790-er Jahre in Deutschland herausbildenden, besonderen Strömung an, die man, einer Selbstbezeichnung Hölderlins folgend, die „höhere Aufklärung“ der „Vereinigung“ nennen könnte. Sie unternimmt den Versuch, eine gegenüber den klassizistischen und romantizistischen Entwicklungstendenzen alternative Bewegung zu formieren. Dazu begründet sie neu, in Auswertung der jakobinischen und nachthermidorianischen französischen Entwicklung sowie der gescheiterten republikanischen Versuche in Deutschland, das Projekt einer Aufklärung, die über die Veränderung der praktisch-geistigen Aneignungsweisen (Religion und Kunst) das Volk zu republikanischer Aktivität animieren soll. Dabei handhabt und entwickelt diese höhere Aufklärung (im Unterschied zur vorrevolutionären französischen und deutschen Aufklärung, zur deutschen Spätaufklärung, sog. Popularphilosophie) philosophisch-theoretische und ästhetisch-künstlerische Errungenschaften von klassischem Format als notwendiges Instrument. Als Aufklärung aber steht sie der Selbstzwecksetzung dieser Instrumente entgegen, ja, begreift sie sich selbst nur als Instrument republikanischer Praxis. Um Hegel innerhalb der höheren Aufklärung von anderen abheben und von der klassizistischen Entwicklungstendenz (Goethe, Schiller) unterscheiden zu können, differenziere ich zwischen drei Tätigkeitsebenen: a) die einer republikanischen politischen Praxis,

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der Isaak von Sinclair in seinem Doppellleben illegal angehörte; b) die einer höheren Aufklärung, die sich konzeptionell auf die zuvor genannten Umwälzungsversuche deutscher Republikaner bezieht, sei es primär künstlerisch (Hölderlin), religionsaufklärerisch (Hegel) oder philosophisch-systematisch (Schelling); und c) die des klassischen deutschen Systematikers (Prototyp später Kant), der den in Auseinandersetzung mit der welthistorischen Entwicklung erzielten Erkenntnisgewinn durch eine Verselbständigung seiner geistigen Produktion gegenüber den politischen Wirkungsmöglichkeiten in Deutschland bezahlen muss. Exemplarisch wird Fichte in diese Position nach dem Atheismus-Streit und seiner Entlassung 1799 gedrängt. Hegels Verhaltensweise bis 1799 kann auf der zweiten, bis 1803 als Übergang von der zweiten zur dritten und ab den Systementwürfen 1803/04 auf der dritten Tätigkeitsebene definiert werden. Hegels relativ lange Bindung an einen aufklärerischen Wirkungsanspruch ist historische Voraussetzung dafür, dass sein späteres philosophisches System – im Vergleich zu den Vorläufern – neue historische Inhalte und neue philosophische Gedankenformen enthält. Hegels frühe Entwicklungsperiode verläuft weder republikanisch im jakobinischen Sinne noch theologisch. Sie steht im Kreuzungspunkt von nunmehr offenbar werdenden Realisationsnöten der vorrevolutionären kleinbürgerlich-republikanischen Aufklärerkonzepte Frankreichs und Deutschlands (Rousseaus, Herders und Lessings). Der Berner Hegel (1793–1796) repräsentiert religionsaufklärerisch gesehen republikanische Versuche an den französischen Grenzen der deutschen Länder, die sich, wie in Straßburg (Cotta), in der politischen Begründung der notwendigen Verbindung mit dem revolutionären Frankenvolk der Religion bedienen. In Deutschland war nicht mehr die frühbürgerlich-revolutionäre Sektenopposition und noch nicht die politische Bewegung in Form von Parteien und Klubs lebendig. Den gewesenen Ständen und ungeborenen Klassen entsprach auch, hinsichtlich der Organisationsform des Alltagsbewusstseins, die religiöse Bemäntelung eines kleinlich schachernden Menschenverstands. Hegels Potenzierung der emanzipatorischen Bedeutung von religiöser Praxis entsteht nicht nur aufgrund des phasenverspäteten Charakters der deutschen Entwicklung, gleichsam als deren Kompensation. Auf welthistorischer Ebene kommen ihr das Rousseausche Konzept und die jakobinische Praxis in Frankreich entgegen, welche selbst, um den kleinbürgerlich-republikanischen Citoyen-Substitut begründen zu können, eine entchristianisierte Religion zur republikanischen Stütze potenzieren müssen. Hegel produziert die allgemeine heroische Selbsttäuschung der jakobinischen Praxis, dass der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft eine antik-republikanische Staatsform aufgesetzt werden kann, als die religionsaufklärerische Selbsttäuschung, dass die nicht dauerhaft aufzusetzende antike Republik durch eine republikanische Volksreligion nach antikem Muster doch zu stabilisieren sei. Schon in Bern transponiert Hegel den Terminus „arbeiten“, bei welchem er eine Vorstellung von handwerklicher Arbeitsweise hat, auf die staatlich-gesellschaftliche Ebene der Republik. Diese Ebene erscheint als die gesellschaftskonstitutive Sphäre, während das Subjekt der ökonomischen Arbeit nicht das Volk, sondern Einzelne sind. Die Volkssouveränität ist durch die Ungleichheit des Eigentums bedroht. Wie der Einzelne mühselig den Widerstand natürlicher Objekte in der ökonomischen Arbeit überwindet, ist die allgemeine Arbeit der Ungleichheit des Eigentums entgegengesetzt. Als Arbeitende werden sowohl körperlich als auch geistig tätige, kleinbürgerliche Schichten bezeichnet, um deren republikanische Handlungseinheit es Hegel geht. Hegel knüpft an die Rousseau-

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isch-Herdersche Tradition und die des reformierten Christentums mit ihrem Arbeitsethos an. Großbürgerlich-ökonomische Lehren werden verworfen. Der allgemein arbeitende und sich damit unmittelbar gesellschaftlich verhaltende Republikaner entspricht – im Gegensatz zu den arbeitsteiligen und privateigentümerischen Individuen – dem moralisch vollkommenen Persönlichkeitsideal, für das exemplarisch Georg Forster steht. Die durch die realhistorische Abwärtsentwicklung der Französischen Revolution eintretenden Desillusionierungsschübe (1795/96, 1799) treiben Hegel mehr und mehr in die Philosophie. Der frühe Frankfurter Hegel (1797/98) nimmt teil an der ersten Objektivierung der Form des deutschen Idealismus, wie diese von der höheren Aufklärung der Vereinigung vollzogen wird, um den kleinbürgerlich-republikanischen Heroismus gegen die bourgeoise und feudalabsolutistische Konterrevolution neu, realistisch vermittelter und doch zugleich umso beharrlicher, zu begründen. Diese Objektivierung wird noch als Instrument des aufklärerischen Wirkungsanspruches und daher im klassischen deutschen Sinne nicht als System, das sich als Selbstzweck verstehen darf, begründet. Die Philosophie der objektiven und mittelbaren Vereinigung von Subjekt und Objekt schließt bereits eine Öffnung des Fichtischen subjektiven Idealismus zur materialistischen Tradition ein, um dieselbe wieder objektiv-idealistisch zu integrieren (Schellings Naturphilosophie). Hegels durchgängiger Idealismus ist philosophisch formierter Ausdruck seines durchgängigen Heroismus, die ökonomisch drohende Hegemonie der Bourgeoisie auf politische Weise i. w. S., d. h. revolutionshistorisch, ersetzen zu können. Für Hegels Anerkennung der realen Resultate der Französischen Revolution und seine frühe Aufmerksamkeit für die britische Entwicklung war indessen Friedrich Schillers Begreifen des „Notstaates“ wichtiger als der Frankfurt-Homburger Freundeskreis. Die geforderte Gleichheit des Eigentums wird durch das revolutionshistorische Resultat der realen Ungleichheit widerlegt. Die Volkssouveränität war nicht stabilisierbar, und wenn sie im Aufstand realisiert schien, dann als bloß anarchische. Die ästhetischsinnlich zu kollektiver republikanischer Aktion animierende Aufklärung sieht sich dem eigennützig berechnenden Menschenverstand als dem neuen Organisationstyp des Alltagsbewusstseins gegenüber. Die am Modell der natürlichen Reproduktion gebildete und sogar mit dem Gedanken der Gütergemeinschaft verbundene Schönheit des Ideals der Liebe zerschellt an der entstehenden kapitalistischen Gesellschaft. Der französische Verrat an den deutschen Republikanern war nur die Fortsetzung des englischen Verrats an der Amerikanischen und Französischen Revolution. Das ästhetische Organon der Philosophie der höheren Aufklärung stand bei aller gradweis reflexiven Vermittlung der erforderlichen theoretischen Reflexion der revolutionshistorischen Resultate entgegen. Dass das Volk seine Güter nicht in sich selbst findet, vielmehr des äußeren „positiven“ Gottes der Christen bedarf, liegt nicht primär an einer despotischen Einheit von Staats- und Religionsform, sondern gründet in dem Feld der ungeheuren Objektivität von gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Eigentumsbildung. Hegel erlebt diese seine Anerkennung der realbürgerlichen Resultate der Französischen Revolution, und d. h. vor allem die Anerkennung des großbürgerlichen Privateigentums, der zentralisierten Staatsmaschine und der verständigen Organisationsform des Massen-, Aufklärer- und Wissenschaftsbewusstseins, als eine schwere weltanschauliche Krise. Hegel nimmt – durch handelsbürgerliche Denker (N. Machiavelli, J. Steuart) vermittelt – eine eigenständige historische Auswertung der Französischen Revolution bis 1799 vor, in deren Ergebnis er sich von

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den Besonderheiten des deutschen Phasenverzugs soweit emanzipiert, dass er eine napoleonische Heroismusform entwickelt, wie es sein Staatsbegriff in der Verfassungsschrift (1799–1802), die kriegerische Einheit von Staats- und Volksgewalt, zeigt. Die napoleonische Heroismusform bleibt, im Unterscheid zum kleinbürgerlichen Republikanismus, in Deutschland ohne eigene praktische Anknüpfungspunkte. Ihr philosophischer Ausdruck wird, im Gegensatz zur vorangegangenen aufklärerischen Instrumentierung der Philosophie, in verselbständigter Weise, als System, konstruiert. Zugleich erwächst der verselbständigte Systemcharakter dieser Philosophie den Besonderheiten des napoleonischen Citoyen-Verhaltens selbst. Wie das napoleonische Stadium der Französischen Revolution gegen sowohl die feudalabsolutistische als auch die bourgeoise Konterrevolution gerichtet ist, so produziert Hegel die philosophische Konzeption eines in sich selbst heroisch kreisenden Überganges, der sich gegen einen Rückfall in feudale Verhältnisse und gegen sein eigenes drohendes Ende, die Selbstentwicklung der industriekapitalistischen Produktionsweise, auf revolutionshistorisch-politische Weise i. w. S. sichert. Der napoleonische Citoyen ist durch den Widerspruch gekennzeichnet, dass er bereits die kapitalistische Gesellschaft als seine Grundlage anerkennt und diese doch zugleich revolutionshistorisch permanent terrorisiert, sodass sie seiner Selbstzwecksetzung unterworfen bleibt. Mit dem revolutionshistorischen Gegensatzpaar hochverständige Staatsmaschine und anarchisches Volk korrespondiert für Hegel nun im gesellschaftlichen Bewusstsein der Widerspruch zwischen dem Herrschaftswissen des Menschenverstandes und dem bewusstlosen Gefühl der freien Totalität, korrespondiert im wissenschaftlichen Bewusstsein der Widerspruch zwischen theoretischer Herrschaft des Verstandes und der Empirie als dem Wissenschaftsreich der Gleichheit von Fakten, korrespondiert auf philosophischer Ebene der Widerspruch zwischen regierendem System und absolut negierender Methode, korrespondiert auf ökonomischer Ebene der Widerspruch zwischen dem System des Privateigentums und der konkreten Arbeitstätigkeiten. Hegel transformiert die revolutionshistorische Verhaltensform des napoleonischen Citoyen gegenüber dem vorreifen Bourgeois in die philosophische Verhaltensform der Vernunft gegenüber dem Verstand der bürgerlichen Aufklärung und der Wissenschaften. Der frühe Hegel hatte die lebendige Volkssouveränität gefordert, die sich der republikanischen Staatsform nur als ihres Instrumentes bedient. Er versuchte, vom Standpunkt der ästhetischen Anschauung die verständige Reflexion zu instrumentieren. Nachdem Hegel aber die revolutionskriegerische Einheit von Staats- und Volksgewalt als das revolutionshistorisch „Vernünftige“ erkannt hatte, geht es ihm nun der philosophisch-systematischen Form nach um die absolute Einheit von Anschauung und Reflexion. Diese zweite (bzw. Hegels erste eigenständige) Objektivierung des deutschen Idealismus unter politisch-geschichtlich gesehen napoleonischem Vorzeichen geht von der Integration des handelsbürgerlichen (d. h. ökonomisch von dem die Zirkulationssphäre reflektierenden Merkantilismus J. Steuarts) zu der des manufakturbürgerlichen Materialismus (d. h. ökonomisch zu der die Produktionssphäre begreifenden Theorie des A. Smith) über. Der napoleonische Citoyen behauptet sich vor der internationalen und nationalen Konterrevolution, insbesondere dem englischen Manufakturkapitalismus, indem er die Form innermanufakturieller Teilung und Kooperation der Arbeit revolutionshistorisch auf der gesamtgesellschaftlich-staatlichen Ebene durch permanente Kriegsführung

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(in der Kampfweise der Armeen und ihrer kriegswirtschaftlichen Versorgung) reproduziert. Hegel universalisiert den manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriff. So kann er einerseits die manufakturielle Übergangsstruktur der ökonomischen Verhältnisse begründen, auf denen der napoleonische Citoyen realhistorisch beruht. Auf diese Weise kann er aber zugleich das Vergesellschaftungsniveau der manufakturkapitalistischen Produktionsweise so darstellen, dass es auf der politisch-revolutionshistorischen Ebene durch das höhere Vergesellschaftungsniveau der gesellschaftlich „allgemeinen Arbeit des Krieges“ beherrscht werden kann. Die napoleonische Form des Hegelschen Heroismus, im Unterschied zu der des frühen Hegel, abstrahiert nicht mehr davon, dass die Individuen bereits arbeitsteilig vergesellschaftet sind, sondern erwächst aus einer – in Auseinandersetzung mit Smith – gewonnenen Einsicht: Die kapital-ökonomische Vergesellschaftung bedeutet reell nur Teilvergesellschaftung oder formell allgemeine Vergesellschaftung. Die konkreten Arbeiten Einzelner werden nur abstrakt, d. h. durch Abstraktion von ihren konkreten Gebrauchswerten und Herstellungsweisen, im Tausch gleichgesetzt, d. h. als solche anerkannt, ohne in sich auf konkrete Weise eine allgemeine, d. h. gesellschaftliche Arbeit sein zu können. Aufgrund dieser Einsicht erfolgt eine erneute, jetzt aber die Errungenschaft der manufakturbürgerlichen Ökonomie, den Begriff der abstrakten Arbeit, philosophisch instrumentierende Abwertung der Vergesellschaftungspotenz der kapitalistischen Arbeitsweise. In der Erneuerung der Abwertung der bourgeoisen Ökonomie kommt die Kontinuität des Hegelschen Heroismus zur Geltung. Dass diese Abwertung sowohl in Erkenntnis des formell allgemeinen Charakters der kapitalistischen Vergesellschaftung erfolgt, als auch vom Standpunkt der Form einer gesamtgesellschaftlich allgemeinen Arbeit, die in der Tat nicht durch Tauschwerte formierbar ist, begründet wird, zeigt die Neuartigkeit und historische Aktualität des Jenenser Ansatzes. Die historisch-inhaltliche Bindung dieses Hegelschen Begriffes der allgemeinen Arbeit (im System der Sittlichkeit von 1802/03) an die Arbeit des Krieges bringt den napoleonischen Charakter des Ansatzes zum Ausdruck. Hegels erste eigenständige Objektivierung des deutschen Idealismus in Jena war der philosophisch-theoretischen Gedankenform nach durch Schelling vorbereitet worden. Der als produzierend und vermittelnd bestimmte Naturbegriff, den Schelling in auch praktisch-philosophischer Bedeutung verwendet, ermöglicht Hegels Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes. Hegel führt Schellings Parallelismus von praktischer Philosophie und Naturphilosophie zur Einheit beider im philosophisch universalisierten Arbeitsbegriff. Hegels Vermittlungsbegriff stützt sich, Smith folgend, auch auf die gegenüber dem Subjekt – durch Verselbständigung von ihm – emanzipatorische Potenz des ökonomischen Arbeitsmittels, in dem eine allgemeine Gebrauchsweise für viele generationenübergreifend vergegenständlicht wird. Diese Aufwertung der Mittelstruktur für Vermittlungen steht im Gegensatz zur deutschen moralphilosophischen Tradition, Vermittlung als erst Mitte von Subjekt und Objekt aufzufassen. Diese Tradition fasste das Vermittlungsproblem noch nicht als selbständiges und übergreifendes, da sie, mit Ausnahme spezifisch erkenntnistheoretischer Fragestellungen, Vermittlung primär vom Standpunkt der historischen, natürlich reproduktiven, moralischen oder ästhetischen Verhaltensweisen konzipierte, in denen es die Instrumentierung zu vermeiden galt. Erkenntnistheoretisch gesehen wendet Hegel das Verfahren der Anschauung, als in sich reflexiv vermitteltes, an, um die Formen konkreter Arbeit denken zu können. Er wendet das Verfahren des reflexiven

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Begriffes an, um die Eigentumsbestimmungen (einschließlich Rechtssphäre und Zirkulation) erfassen zu können. Da Hegels Eigentumsbegriff, den er nur vom Standpunkt der verselbständigten Zirkulation und Rechtssphäre bildet, seinem manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriff widerspricht, gelingt ihm nur ein Parallelismus von Arbeits- und Eigentumsformen, der ihm keine Stellung des Mehrwertproblems (Marx) erlaubt. Doch in den Zeiten seines Überganges können, wie Hegel erkennt, selbst so große Staatsmänner wie Napoleon nicht zugleich ganze und individuelle Pläne ausführen. Der Kriegsheroismus erlaubt zwar, für das Volk als Ganzes eine materielle Verhaltensweise unmittelbar gesellschaftlichen Charakters im Gegensatz zur bourgeoisen Sphäre zu denken. Aber zum einen vermag sich im Krieg das Individuum nicht als Individuum unmittelbar gesellschaftlich zu betätigen, denn es wird sichtlich der Gattungsentwicklung geopfert. Zum anderen verwandelt sich die allgemeine Arbeit des Krieges als Krieg doch wieder in eine formale Allgemeinheit, da sie das bourgeoise Konkurrenzverhalten nur mit anderen Mitteln und auf der Ebene der bürgerlichen Nationen reproduziert. Ohnehin gilt, auch wenn die Form des Krieges die innermanufakturielle Arbeitsform reproduziert, dass der Krieg als Destruktion keine Gebrauchswerte erzeugende Arbeit ist. Im Anschluss an die deutsche Klassik sieht Hegel die Möglichkeit für das Individuum, sich als Individuum gesellschaftlich zu verhalten, erst in den praktisch-geistigen und geistigen Aneignungsweisen, unter denen nur die Wissenschaft als Arbeitsform begreifbar ist. Die im Vergleich zum Krieg positive Negation des bürgerlichen Privateigentums muss eine höher vergesellschaftete Arbeitsform als die Form der privateigentümerisch zu bewegenden „mechanischen Arbeit“ sein. Zwecks synthetisierender Lösung dieser beiden Probleme, der unmittelbar gesellschaftlichen Verhaltensmöglichkeit des Individuums als solches und der positiven Negation des bürgerlichen Eigentums durch gesellschaftlich allgemeine Arbeit, geht Hegel ab 1805/06 zu einem Moment allgemeiner Arbeit auch im Begriff des Geistes über. Die Hegel – angesichts vorindustrieller Bedingungen historisch zu unterstellende – Arbeitsweise der Wissenschaft erscheint notwendig als geistige, d. h. sprachlich vermittelte Tätigkeit. Die sprachliche Vermittlung kann analytisch geklärt werden, indem man den grammatikalischen Subjekten und Prädikaten folgend die Bedeutungen dieser Satzbestandteile reflexiv trennt (Arbeit des Verstandes), oder sie wird spekulativ erschlossen, indem man an dem ganzheitlichen Sinn ganzer Sätze in der Folge von Sätzen teilnimmt.16 Die Erfahrungswissenschaft als allgemeine Arbeit zu begreifen, wie es Marx ein halbes Jahrhundert später tat, unterstellte eine großindustrielle Produktion, in der Naturwissenschaft technisch angewandt wurde. Der Jenaer Hegel kannte ökonomisch betrachtet noch keine höher vergesellschaftete als die manufakturkapitalistische Arbeitsweise, die in der Mechanisierung der Teilarbeiten die maschinelle Vergegenständlichung der Kooperation dieser Teilarbeiten erst vorbereitete. Historisch fiel daher seine Erfassung der Form gesellschaftlich allgemeiner Arbeit mit ihrer idealistischen Interpretation als geistiger Arbeit (des Verstandes) und geistiger Tätigkeit (der Vernunft) zusammen. Diese dritte Objektivierung des deutschen Idealismus (1803–1806), die Hegel auch bereits der philosophisch-systematischen Form nach allein leistet, durchläuft in Jena drei 16

Siehe G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister, Berlin 1971, S. 29, 47, 49–51.

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Systementwürfe und bringt die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie zum Abschluss. Sie hat politisch-geschichtlich gesehen die napoleonische Heroismusform und deren theoretischen Ausdruck der allgemeinen Arbeit des Krieges zur historischen Voraussetzung. Der erkenntnistheoretisch systematischen Form nach geht sie von der absoluten Einheit der Anschauung und des reflexiven Begriffes dazu über, die mittels der vorangegangenen Anschauungsverfahren entwickelten Negationspotenzen des bürgerlichen Eigentums immanent begrifflich in einer Philosophie des Absoluten als Geist zu fassen. Deren Entfaltung rekonstruiere ich im letzten Kapitel des vorliegenden Buchs genauer, indem ich die bisherigen Teilerkenntnisse in den Zugängen von Lukács, Henrich, Habermas u. a. historisch und systematisch kombiniere. Hegels systematische Einheit von objektivem Idealismus und dialektischer Methode gründet vom Standpunkt der Entstehungsgeschichte seiner Philosophie wesentlich in Folgendem: a) Hegel denkt das wirtschaftshistorisch entwickelste, manufakturkapitalistische Vergesellschaftungsniveau als heroisch beherrschbar durch das im napoleonischen Stadium revolutionär-praktisch höhere Vergesellschaftungsniveau. b) Letzteres wiederum versucht Hegel, unter das in seiner Auswertung der verständig abstrakten Wissenschaftsarbeit philosophisch antizipierte Vergesellschaftungsniveau einer konkret-allgemeinen Wissenschaftsarbeit zu subsumieren, die historisch aber nur als System des absoluten Geistes fungieren kann. Der gesamtgesellschaftlich allgemeine Charakter der höheren Vergesellschaftungsformen Hegels stellt in der Tat eine philosophische Potenz der dialektischen Negation des kapitalistischen Vergesellschaftungsniveaus dar. Er fällt aber unter den Bedingungen des Überganges zum Kapitalismus historisch mit den – für die Entwicklung der dann industriekapitalistischen Produktionsweise – sekundären sozialen Tätigkeiten, der napoleonischen revolutionären Praxis, der Wissenschaft, der Religion, Kunst und Philosophie zusammen. Hegels Heroismus behauptet sich philosophisch-systematisch in idealistischen Primatsetzungen, die die dialektische Negationspotenz von gesamtgesellschaftlich allgemeinen Verhaltensweisen als bourgeoiskritisches Mittel handhaben. Auch umgekehrt betrachtet war die dialektische Negationspotenz der unmittelbaren Vergesellschaftungsformen zu denken historisch an eine idealistische Primatsetzung gebunden, da die ökonomischen Arbeitsformen keinen unmittelbar vergesellschafteten Charakter erlangen konnten. Der von Hegel am Ende seiner Jenaer Zeit systematisch konzipierte Übergang läuft realphilosophisch gesehen in sich von den ökonomischen Verhältnissen über die Politikformen i. e. S. bis zur systematischen Philosophie als dem Politischen der geistigen Kultur i. w. S. wie in einer Spirale auf. Das Faktische wird nach seiner Ermöglichung und die Ermöglichung nach ihrer Verwirklichung befragt, so dass der Kreis des transzendentalen Rückschlusses in den Kreis der pragmatischen Konsequenzen greifen kann. Das Resultat des „Überganges“ (im Sinne der Vorrede der „Phänomenologie“) wird nie als Ausgangspunkt eines neuen Überganges, sondern als die Leiter wie ein Eingang ins System gedacht. Für Smith und den Jenaer Hegel gibt es – innerökonomisch gesehen – keine höher entwickelte als die manufakturkapitalistische Produktionsweise. Beide Übergangskonzepte sind in dieser Hinsicht bar einer „Poesie der Zukunft“ (Marx), was nicht nur zu den geschichtsphilosophischen Drehungen der Hegelschen Spirale in ein Nacheinander, sondern auch zu den bekannten Diskussionen über das „Ende“ der Geschichte und der Kunst bis in die Gegenwart geführt hat. Missversteht man solche „Enden“ nicht als analytische Aussage, versteht man sie vielmehr als Begrenzung und damit Öffnung in das längst für

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die Zukunft in Anspruch genommene Unendliche, stecken wir womöglich in einem erst noch zu entdeckenden Übergang globalhistorischen Sinnes. Was Hegel in den Formen des absoluten Geistes an einer Epistemologie selbstbezüglicher Wissensformen entworfen hat, stellt ein Entwicklungspotential dar, das für die nachindustriellen Wissenschaftsund Kommunikationsgesellschaften noch nicht ernsthaft bedacht worden ist. Historisch scheint es mir klar zu sein, auch wenn dies ebenso nicht mehr Thema des vorliegenden Buchs ist, dass Hegels reife System-Philosophie als Reformpotential gewirkt hat, sei es für die bayerische Gymnasialreform von seinem Freund Niethammer, sei es für die preußische Reformuniversität in Berlin, die sich Ende des 19. Jahrhunderts als international anerkanntes Modell der Elitenbildung verbreitet hat. Denkt man derart langfristig, ist es schon sinnvoll, sich zu fragen, welche generationenübergreifende Institutionalisierung von Geistformen der Ökonomie und Politik neue Existenzpotentiale verschaffen kann. Nach diesem Überblick über das folgende Buch (anhand seiner Einleitung vom September 1979) möchte ich es kurz in die aktuelle Diskussion exemplarisch einordnen. Unter den jüngeren Publikationen steht es thematisch dem Buch von Andreas Arndt „Die Arbeit der Philosophie“ am nächsten. Arndt rekonstruiert die Spannung in Hegels Arbeitsbegriff zwischen der Arbeit als einem Verhältnis in und zur Natur einerseits und der Arbeit als einem Verhältnis in der Selbstbezüglichkeit des Geistes andererseits. Im Vergleich mit Marxens Arbeitsauffassung entspricht dieser Spannung eine Aufwertung von Arbeit im Kontext des Geistes und einer Abwertung der wirklichen Arbeit im Reich der Notwendigkeit.17 Für den Wandel in Hegels Arbeitsbegriffen hebt Arndt Hegels Anschluss an Hölderlins vereinigungsphilosophisches Verständnis der Poesie als Poiesis (1797) und die Hegel eigene „Selbstaufhebung der Reflexion qua Arbeit“ in der „Arbeit des Krieges“ (1803) hervor.18 Ab dem Systementwurf (1803–1804) setze sich dann bei Hegel eine „Entnaturalisierung des Arbeitsprozesses“ durch, wobei Arndt selbst auch mit „politischen Motiven“ in Hegels durchgängig bourgeois-kritischer Entwicklung rechnet.19 M. E. wird dieser Wandel historisch verständlicher und international vergleichbarer, wenn man ihn aus der von mir vorgeschlagenen Folge von Heroismusformen heraus konzipiert. Dabei stimme ich mit Arndt völlig in der Erklärungsaufgabe überein, dass Hegel nicht einen ökonomischen Arbeitsbegriff metaphorisch auf den Geist überträgt, sondern umgekehrt ökonomische Arbeitsbegriffe von der Philosophie her auf verschiedene Weise systematisch integriert.20 Dieses Systematische formiert das heroisch Politische im Geiste der Philosophie. Arndts Buch geht im Ganzen weit über das Problem der Entstehungsgeschichte der Hegelschen Arbeitsbegriffe hinaus. Es hinterfragt kritisch verschiedene, an Marx und Hegel anschließende Philosophie-Konzeptionen in ihrer gegenwartsdiagnostischen Kraft, darunter auch die Konzeption von der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit. Ich habe andernorts ausführlich zum Streit zwischen den verschiedenen Arbeitsund Kommunikations-Paradigmen Stellung bezogen. Präzisiert man die historischen und strukturfunktionalen Universalisierungsbedingungen der Theorie der gesellschaftlichen

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Siehe A. Arndt, Die Arbeit der Philosophie, Berlin 2003, S. 11 f., 15, 26, 44. Vgl. ebd., S. 28 u. 40. Ebd. 42 f., 50. Siehe ebd., S. 25–27.

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Produktion und Reproduktion, lassen sich nicht nur die Bedingungen für die Integration dieser Paradigmen angeben, sondern auch ökologische Probleme thematisieren.21 Schmidt am Buschs Buch „Hegels Begriff der Arbeit“ fällt nur insoweit in das hier zu behandelnde Thema, als er Hegels Arbeitsbegriff in dessen Geistesphilosophie von 1805–1806 analytisch für heutige Bedürfnisse ausdifferenziert, ohne auf die Genealogie dieses Begriffes einzugehen.22 Er nimmt eine „nichtkapitalistische Tauschgesellschaft“ als den normativen Maßstab von Hegels Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft an, der sich in dem „unmittelbaren Anerkanntsein“23 handwerklicher Produktion äußere. Dies halte ich sowohl historisch als auch systematisch für eine Fehleinschätzung. Dass Hegels philosophische Systemformierung von Citoyen-Praktiken, die als Substitute bourgeoiser Hegemonie gelten können, keineswegs in dem frühen Stadium kleinbürgerlich-republikanischer Erwartungen stehen bleibt, habe ich bereits angedeutet. Hegels Potential zur Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, um das es Schmidt am Busch zu Recht geht, liegt woanders: in der philosophischen Formierung von Heroismusformen, die ökonomische Arbeits- und Eigentumsformen zu integrieren gestatten. Man kommt insgesamt aus dem Zirkel Bourgeois-Citoyen (bzw. von materiell arbeitenden und geistig tätigen Fraktionen einer Klasse) erst heraus, wenn man die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks von der „bürgerlichen Gesellschaft“ (als Kapitalismus durch Hegemonie der Bourgeoisie oder als teilautonomer moderner Marktwirtschaft, d. h. gerade keiner Marktgesellschaft) und des Staates (als gewaltenteiliger Apparaturen und als Öffentlichkeit) in der folgenden Richtung überschreitet. Thematisiert man modern die personale Lebensform aller Menschen – ohne Rücksicht auf ihre ethnisch, sozial, religiös, ökonomisch, kulturell, geschlechtlich u. a. bestimmte Zugehörigkeit – im Rahmen einer Philosophischen Anthropologie, dann lässt sich die minimal nötige Selbstverdoppelung jeder Person in ihre private und ihre öffentliche Existenz als gemeinsame Kardinalermöglichung herausheben. Daraus, d. h. historisch vor allem aus der Negation dieser Doppelexistenz in allen totalitären Strukturen, ergibt sich, die öffentliche und zivile Gesellschaft als die Ermöglichung des neuen Politischen zu konzipieren.24 In dieser öffentlichen und zivilen Gesellschaft wird der Citoyen vom Bourgeois, d. h. vom Privateigentümer an Produktionsmitteln, abgekoppelt und dadurch politisch universalisiert. Solange man die moderne Gesellschaft dem Kapitalismus überlässt, schränkt man sich selbst auf eine alternative Gemeinschaftsform ein, statt selbst die moderne Gesellschaft als Alternative zu konzipieren. In der zivilen Öffentlichkeit müssen sich nicht die einander Anderen und Fremden einer einzigen Gemeinschaftsform assimilieren. Dies können wir von J. Dewey, H. Plessner, H. Arendt u. v. a. im 20. Jahrhundert lernen. 21 22 23

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Vgl. H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft. Insbesondere Kap. 1 u. 5. Vgl. H.-Ch. Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, Berlin 2002, S. 13 f. Ebd., S. 17 f., 139, 156 f. Bergers Buch spart ausdrücklich die Genealogie der Hegelschen Philosophie aus und interpretiert den späten Hegel nach Bedürfnissen heutiger Selbstbestimmung, weshalb es nicht für das hier verhandelte Thema in Betracht kommt. M. Berger, Arbeit, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung bei Hegel. Zum Wechselverhältnis von Theorie und Praxis, Berlin 2012. Vgl. H.-P. Krüger, Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. Deutsch-jüdische und pragmatistische Moderne-Kritik, Berlin 2009. Ders., Zwischen Lachen und Weinen, Bd.I: Das Spektrum menschlicher Phänomene, Berlin 1999.

Vorwort

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Nachdem ich die Frage- und Antwortrichtung des folgenden Buches skizziert und seine erste Ortung in der aktuellen Forschung angedeutet habe, steht zwar noch seine Durchführung, auf die es allein ankommt, bevor. Aber vielleicht ist einleitend deutlich geworden, warum sich die Diskussion der Durchführung doch noch lohnen könnte. So großartig sich die Hegel-Forschung während der letzten Jahrzehnte entwickelt hat, es gibt in ihr keine einheitliche Erklärung der in sich diskontinuierlichen Entstehung der Hegelschen Philosophie aus einem Politischen im oben erwähnten weiten, nicht mit einer bestimmten Politik zu verwechselnden Sinne.25 In einer solchen, der Konzeption nach europäisch vergleichenden Intellektualgeschichte könnte aber ein Beitrag auch dafür geleistet werden, die Rezeptionsgeschichte der Hegelschen Philosophie bis in die Gegenwart neu aufzurollen, was hier nur angeregt werden kann. Angesichts der aktuellen Forschungslage zur Entstehung der Hegelschen Philosophie habe ich mich, nach beharrlichen Rückfragen von Lesern meiner Dissertation aus dem Jahre 1979, nun doch dazu entschlossen, sie – bis auf unwesentliche Kürzungen – im Ganzen unverändert in Druck zu geben, da sie in den Universitätsbibliotheken der damaligen DDR, wie es üblich war, inzwischen der entsprechenden neuen Bundesländer, nur als hektographierter Text zugänglich ist. Im Sommer 2013 neu geschriebene Ergänzungen des Textes, d. h. vor allem des letzten Kapitels, werden dadurch leicht erkennbar, dass ich in ihnen durch Fußnoten auf den aktuellen Forschungsstand, also auf die ab 1980 erschienene Literatur, verweise.

Danksagungen Für die freundliche Aufnahme dieser verspäteten Edition in die Reihe Hegel-Jahrbuch Sonderband. Hegel-Forschungen möchte ich mich sehr herzlich bei den Herausgebern bedanken, insbesondere bei Andreas Arndt (Humboldt-Universität zu Berlin). Ich danke Herrn Guido Tamponi dafür, dass er den alten Schreibmaschinentext in eine operable Word-Datei transformiert hat, und Herrn Moritz von Kalckreuth dafür, dass er die alten Zitate aus inzwischen schwer zugänglichen Hegel-Ausgaben in die heute üblichen Hegel-Ausgaben transferiert sowie bei der Erstellung des Personenregisters geholfen hat. Wie es bei der Publikation einer Dissertation üblich ist, möchte ich mich bei den damaligen Betreuern der Arbeit, Wolfgang Heise († 1987) und Gerd Irrlitz (beide HumboldtUniversität zu Berlin), sehr herzlich bedanken. Sie haben mich nicht nur die Entwicklung von Kant zu Hegel, sondern auch Lessing und Herder, Goethe und Schiller, und eben auch Lukács und Bloch gelehrt. Ausschlaggebend für die Publikation dieser kleinen Flaschenpost war indessen Mischka Dammaschkes (Akademie Verlag Berlin) beharrliches Nachfragen. Berlin, September 2013

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Vgl. den Überblick über die Forschungslage in W. Jaeschke, Hegel-Handbuch. Stuttgart/Weimar 2010.

1. Kleinbürgerlich-republikanische Aufklärung durch Religion (Bern 1793–1796)

Jener Hegel noch, welcher längst seine Jugendillusionen überwunden hatte, parallelisiert Rousseau und Kant darin, dass sie „in der Freiheit schon das Absolute“ aufstellten: Allein, die Franzosen „haben den Sinn der Wirklichkeit, des Handelns, Fertigwerdens – die Vorstellung geht unmittelbar in Handlung über“, während in Deutschland „dasselbe Prinzip“ nur das „Interesse des Bewusstseins für sich genommen“ hat. Die Deutschen „haben allerhand Rumor im Kopfe und auf dem Kopfe; dabei lässt der deutsche Kopf eher seine Schlafmütze ganz ruhig sitzen und operiert innerhalb seiner“.1 Erst die konzeptionelle Wende vom Winter 1798/99 in Frankfurt leitet jenen Werdegang Hegels ein, der ihn in seiner Jenaer Periode eigenständig in die Tradition der klassischen deutschen Systeme stellt. Vor dieser Wende, begeistert von der Französischen Revolution und der Möglichkeit, diese in angenommener weltbürgerlicher Solidarität irgendwie auf Deutschland ausdehnen zu können, geht es dem frühen Hegel gerade um das noch beim reifen Hegel mit dem Namen Rousseau verknüpfte Problem: „die Vorstellung geht unmittelbar in Handlung über.“ Dem Berner Hegel ist es noch nicht um neue begriffliche Konstruktion eines philosophischen Systems zu tun, sondern um eine aufklärerisch-praktische Überführung des von Rousseau und im Anschluss an ihn von Kant begründeten Prinzips der Freiheit in Wirklichkeit. Die vorrevolutionäre Auseinanderlegung der menschlichen Tätigkeitsvermögen, wie sie in Descartes’ rationalistischem Dualismus anhebt, um, ohne für die Überführung in gesellschaftlich-praktische Emanzipation konzipiert zu sein, erst ein gedankliches Reich theoretischer Vernunft von der theologischen Bevormundung freizugeben, und wie sie in Kants Werk enzyklopädisch systematisch hervortritt, genügt nicht der Forderung nach einem einheitlichen gesellschaftlichen Ideal, welches der notwendigen Handlungseinheit von Aufklärern und Volksschichten greifbar wäre. Zu den Regeln, die sich aus seiner Methode ergeben, rechnet Descartes, „den Gesetzen und Einrichtungen seines Vaterlandes zu gehorchen“ und sich „ganz an den Gedanken zu gewöhnen, dass außer unseren eigenen Gedanken nichts vollständig in unserer Gewalt steht“.2 Die philosophische Tradition einschließlich Kant, welche „in einem System der Moral reine Moralität von Sinnlichkeit in abstracto“ sondert, reicht für die von Hegel geforderte Aufdeckung und emanzipato1 2

Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 483 f. Descartes, Abhandlung über die Methode, S. 29 u. 32.

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rische Beherrschung der „Triebfedern“ (10)3 des Handelns der Völker nicht aus; Hegel sieht, insofern Philosophie überhaupt auf Wirkung ausgerichtet ist, das „Wirkenwollen durch Verstand“ (21) der Aufgabenstellung, Freiheit in Wirklichkeit zu überführen, geradewegs entgegenstehen. Fichtes „Handeln! Handeln! das ist es, wozu wir da sind“ wird zwar dem frühen Hegel 1795/96 sympathischer Republikanismus, aber diese Forderung ist in einer theoretischen Form in Anschluss an Kant begründet, die unterstellt, „entweder ganz Denker (zu) seyn, oder es gar nicht (zu) seyn“, um sich durch Rousseau „nicht irre leiten zu lassen.“4 Der frühe Hegel ist im Sinne der Fichteschen „Prüfung der Rousseauschen Behauptungen über den Einfluss der Künste und Wissenschaften auf das Wohl der Menschheit“ von 1794/95 „Denker“ genug, um die Tradition philosophischer Systeme, vor allem Kants, dann Fichtes, als unverzichtbares Instrument der geistigen Selbstverständigung zu verwerten. Aber die angesichts der Französischen Revolution hoffnungsvolle, aufklärerischpraktische Intention, die den frühen Hegel auszeichnet, knüpft unmittelbar an die Varianten sozialer Wirksamkeit der Aufklärung an, um gerade jene zu erreichen, die „gar nicht“ Denker sind. Zwischen den Bewertungen „theologische Periode“ oder „republikanische Periode“ liegt das Spannungsfeld der Interpretationen des frühen Hegel.5 Die Priorität des zwar nicht theologischen, aber religionspraktischen und religionskritischen Charakters der frühen Schriften Hegels steht außer Zweifel, nicht weniger Lukács’ Nachweis der, ange3

4 5

Alle im Text in Klammern stehende Zahlen, es sei denn, es handelte sich ersichtlich um Jahreszahlen, sind Seitenzahlen von: G. W. F. Hegel, Werke, Bd. 1. Frühe Schriften, Frankfurt/M. 1971. Datierungen entnehme ich: Gisela Schüler, Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften. Fichte, Von den Pflichten der Gelehrten, S. 54 u. 46 Seit Georg Lukács’ Der junge Hegel muss die theologische Hegel-Interpretation eine gesellschaftlich-politische Bestimmtheit der Entstehung der Hegelschen Philosophie konzessionieren, um dann die theologische Deutung als übergreifende darzustellen, so Günter Rohrmoser: Subjektivität und Verdinglichung. G. Rohrmoser hat im Unterschied zur in Deutschland dominierenden orthodoxen oder kritischen Theologie auf die Bedeutung der theologischen Linken der „prophetischen Theologie“ der Württemberger aufmerksam gemacht, die an einer emanzipatorischen Politisierung der theologischen Fragestellungen festhalten. Ders., Zur Vorgeschichte der Jugendschriften Hegels. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 14 (1960), S. 182 ff. In der Tradition von Landgrebe, der die Hegelsche Philosophie als philosophische Theologie verstand, über Rohrmoser vermittelt sieht auch Peter Cornehl in dem Begreifen des Wunders der göttlichen Liebe und Liebe zu Gott als dem Urwunder „die Wurzeln der Hegelschen Dialektik“ liegen. Ders., Die Zukunft der Versöhnung, S. 109 f. Vgl. zur Information über die Dispute zwischen orthodoxer und kritischer Theologie P. Cornehl, S. 35–59, der freilich konzeptionell dann wieder Eschatologie zu, wenn nicht der „geheimen Mitte“, so doch dem erklärten Ziel des Kantischen philosophischen Systems erhebt (S. 60). Vgl. auch zum ideengeschichtlichen Verhältnis von kritischer Theologie und der Kantischen Moraltheologie aus nicht-theologischer Sicht Dieter Henrich, Hegel im Kontext, S. 44–61. Henrichs Eingangssatz: „Wer Hegel verstehen will, ist noch immer mit sich allein.“ – mag letztlich stimmen, hängt aber auch mit seiner weitgehenden Aussparung der historisch-sozialen Entwicklung und seiner Konzentration auf Hegel „im Kontext seines eigenen Werkes“ sowie dessen ideengeschichtliche Motive zusammen, deren Wandel unbegreiflich bleibe (ebd., S. 7–8). Vgl. zur gemeinsamen Ausgangssituation von Hölderlin, Hegel und Schelling im Tübinger Stift Steffen Dietzsch, Friedrich Wilhelm Schelling, S. 17–26. Vgl. weitere Literaturhinweise bei Reinhart Maurer, Hegels politischer Protestantismus. Vgl. seitens der Frankfurter Schule Hans-Joachim Krüger, Theologie und Aufklärung.

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sichts der Französischen Revolution republikanischen Motive beim Berner Hegel. Doch die Französische Revolution wirft den religiösen Mantel der bürgerlichen Emanzipation ab. Bringt der junge Hegel diese Welten der Revolution und Religion zufällig zusammen? Laufen sie bei ihm nur äußerlich parallel? Waren es überhaupt zwei einander fremde Ansatzstränge des frühen Hegel? Oder erscheinen sie deshalb als nicht notwendig zusammen denkbar, weil der Standpunkt des Hegemons der Übergangsprozesse zum Kapitalismus, der Bourgeoisie, und erst recht der Standpunkt späterer Epochen keinen historisch adäquaten Zugang zur Religion als auch breitenwirksamer Ideologie der vor allem kleinbürgerlich-revolutionären Aktivität in diesen Übergangsprozessen ermöglicht? Zudem begegnet uns das bekannte Problem der Differenz zwischen welthistorischer Entwicklungstendenz und deutschem Entwicklungsrückstand, das Problem, die Ausstrahlungskraft der Französischen Revolution, aber auf der Grundlage der immanenten Voraussetzungen der historischen Prozesse in den deutschen Ländern, zu berücksichtigen. Setzt in diesem Zusammenhang der Ausdruck „republikanische Periode“ eine zu starke Assoziationskraft frei, die die Entwürfe des jungen Deutschen namens Hegel an die welthistorisch-revolutionäre Praxis in einem Maß bindet, das Hegels reale, nicht phantasierte, so oder so geistige, selbst nicht revolutionär-praktische Bezugnahme auf die Französische Revolution gar nicht erreichen konnte?

1.1 Die Einheit von Aufklärern und Volk Kommt Hegel in Berner Fragmenten auf Jean-Jacques Rousseau zu sprechen, so auf eine Seele voller „Hochachtung für Tugend und moralische Größe“, die es zu verteidigen gilt vor öffentlichen, „nach den Regeln der Vernunft“ verfahrenden Verurteilungen. Rousseau mit Rousseau verteidigend sieht Hegel in der aufklärerischen Vernunft „ein Zeichen unserer Zeit und weiter nichts – nicht hohe Kultur, nicht Annäherung zum Zweck der Menschheit, zur Vollkommenheit“. Diese Vernunft fordert „Verachtung der Menschen“ (438). 1793 formuliert Hegel ein wichtiges Rousseausches, mit dem Sturm und Drang korrespondierendes Thema: „Aufklärung des Verstands macht zwar klüger, aber nicht besser“. (21) Der Verstand ist ein „Hofmann“ (22). „Mit den Fortschritten der Vernunft gehen unaufhaltsam viele Empfindungen verloren“ (56). Oder 1796 stellt Hegel einander gegenüber, „dass, während alle menschlichen Künste vervollkommnet worden sind und eine Generation von der anderen gelernt hat, die Moralität der Menschen allein nicht sichtlich zugenommen hat“ (189). Winden laut Rousseau die modernen Wissenschaften und Künste in dem falschen Glauben, durch ihre Entwicklung einen zwiespaltlosen gesamtgesellschaftlichen Fortschritt bewirken zu können, in Wirklichkeit nur „Blumengirlanden um die eisernen Ketten“ der zivilisiert versklavten Völker6, sieht Hegel die soziale Funktion oder das „Geschäft des aufklärenden Verstandes“ darin, alle Materialien zur Verfertigung und Verschnörkelung jenes gegenwärtigen „allgemeinen Baus“ herbeizuschaffen, „an dem die ganze Menschheit arbeitet“, der aber je weitschichtiger und zusammengesetzter er wird, 6

Rousseau, Abhandlung über die Wissenschaften und Künste. In: Ders., Frühe Schriften, S. 33

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desto weniger „jedem einzelnen zu eigen“ gehört (27 f.). Dieser „allgemeine Bau“ sind die feudalabsolutistischen, die ganze Aktivität des Bürgers auf sein Eigentum beschränkenden (206), bereits verbürgerlichten Großmonarchien Europas, deren Bürger ein „Wir“ nur heucheln können (433/39). Die aufgeklärten „Buchstabenmenschen“ aber fordern, diesen allgemeinen Bau zu kopieren, so dass jedes Individuum integriert zu einem unfreien, brauchbaren Rädchen riesiger Staatsmaschinen wird (206). Rousseaus Geißelung des Fortschritts der Gattung zu Ungleichheit und Verlust der Persönlichkeit sowie seine Geißelung der Emanzipation einer Verstandeskultur für wenige auf Kosten sowohl der Ganzheit des einzelnen unteilbaren Ichs als auch der Gesamtheit der Individuen werden vom Berner Hegel zentral zur Geltung gebracht. Gleich Rousseau lehnt Hegel Aufklärung ab, die in höfischen Diensten oder denen der Konkurrenz auf dem entstehenden Meinungsmarkt schon bürgerlicher Öffentlichkeit steht. Anstelle „räsonierender Aufklärung“ zur allgemeinen Verbreitung berechnender Klugheit fordert Hegel an Rousseaus Erziehungsideal orientierte Weisheit, die aus „der Fülle des Herzens“ spricht, statt „auf dem allgemeinen Markt eingekauft (zu sein), wo man das Wissen an jeden, der richtig bezahlt, hergibt“ (25). Eben im Sinne von Rousseaus savoyischen Vikar – „Ich habe Dir schon gesagt, dass ich mit Dir nicht philosophiere, sondern Dir nur helfen will, Dein Herz zu befragen“7 – rebelliert Hegel gegen die Bedürfnisse verdrängenden Disziplinierungsversuche des Herzens, der Empfindungswelt, des ganzen Menschen durch den Verstand oder die aufgeklärte Vernunft, wodurch der Mensch „nicht selbst handeln“ kann, vielmehr als „bloße Maschine“ behandelt und so neu versklavt wird. Wer hat noch nicht „herumschnattern hören“, wie eitle „Schwätzer der Aufklärung“ einander mit kahlen Worten „von der unbegreiflichen Dummheit des Volkes“ speisen und dabei „das heilige, das zarte Gewebe der menschlichen Empfindung“ übergehen. „In unseren vollgeschriebenen Zeiten“ gibt das „aufgedunsene Ansehen“ dieser, nur schale Universalmedizin feilbietenden „Marktschreier“ vielleicht „den Schein der Gesundheit, aber in allen Gliedern lähmt ein saftloses Phlegma die freie Bewegung“ (27 f.). Um jene, wie Rousseau schreibt, „Wahrheiten, von denen das Glück des ganzen Menschengeschlechts abhängt“, geht es auch Hegel, nicht aber um die „metaphysischen Spitzfindigkeiten“ aufgeklärter Aristokraten des Geistes. „O Tugend! Du erhabene Wissenschaft der schlichten Seelen, in alle Herzen geprägt.“8 Die Bemühungen des jungen Hegel stehen im Zeichen der Herstellung einer Einheit zwischen Aufklärern und Volk. „So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen […] dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen […] Dann herrscht allgemeine Freiheit der Geister“ (235 f.)9. Die Philosophie hat den Beweis zu explizieren, „dass der Nimbus 7 8 9

J.-J. Rousseau, Emil oder über die Erziehung. Viertes Buch. Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars, S. 304. Ders., Abhandlung über die Wissenschaften und Künste, S. 30 u. 60. Unabhängig von der bis heute strittigen Frage des Autors des sog. „Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus“ (1796) kommt in dem oben Zitierten Hegels Anliegen kurz und in Übereinstimmung mit den gesichert Hegelschen Schriften zum Ausdruck. In diesem Systemprogramm scheint m. E. Schelling jene großartigen Projekte noch gedanklich zu vereinigen, die bis 1800 zu-

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um die Häupter der Unterdrücker und Götter der Erde verschwindet. Die Philosophen beweisen diese Würde, die Völker werden sie fühlen lernen und ihre in den Staub erniedrigten Rechte nicht fordern, sondern selbst wieder annehmen, – sich aneignen –“. Für das Volk „wird freilich eine esoterische Philosophie bleiben“10, aber wodurch kann sie so wirken, dass die Völker ihre Würde fühlen lernen?

1.2 Die Umfunktionierung der Religion zum massenwirksamen Band der Einheit von Aufklärern und Volk Taugt Hegel der Empirismus „schlechterdings“ nicht zur .Aufstellung von metaphysischen Grundsätzen der Freiheit, so muss doch, davon geht Hegel aus, die Erfahrung eines allgemeinen Sittenverfalls seit dem Niedergang der griechischen Poleis, nämlich, dass sich aus den Menschen alles, sogar die „größte hierarchische und politische Sklaverei“ hat machen lassen (30 f.), „vorzüglich in Anschlag gebracht“ werden. Sinnlichkeit, d. h. „die Abhängigkeit des Menschen von der äußeren und inneren Natur“, stellt das „Hauptelement bei allem Handeln und Streben der Menschen“ dar. Die Natur des Menschen „ist mit den Ideen der Vernunft gleichsam nur geschwängert“. (10 f.) Wenn also „davon

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nehmend zu besonderen Aufgabenstellungen von Schelling oder Hölderlin oder Hegel werden: zum einen die Aufgabe der Weiterentwicklung der Philosophie selbst in bewusstem Bezug zum „höchsten Akt der Vernunft“, dem „ästhetischen Akt“, und der per Mythologie ästhetisch breitenwirksamen Vernunft, zum anderen die Verschwisterung von „Wahrheit und Güte in der Schönheit“ und die Wiedereinsetzung der Poesie in, „was sie von Anfang war – Lehrerin der Menschheit“; schließlich drittens die „Mythologie der Vernunft“, den „großen Haufen“ betreffend, oder was Hegel noch 1800 in einem Brief an Schelling die Beschäftigung mit den „untergeordneten Bedürfnissen der Menschen“ (Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 59), inzwischen einschließlich ökonomischer Bedürfnisse, seinen Bildungsweg nannte. Darüber hinaus teile ich die von Heise vorgebrachten inhaltlichen und stilistischen Gründe, die Schelling „wahrscheinlich“ machen. Siehe W. Heise, Hölderlin, S. 453–479. In deutsch-aufklärerischer Tradition spielen bei allen dreien das Ästhetische und Religiöse wohl deshalb eine so große Rolle, weil die ästhetische und religiöse Aneignung nicht rein geistige, sondern geistig-praktische Aneignungsweisen darstellen, andererseits der Zugang zu revolutionärer Praxis verwehrt bleibt. So radikal sich dieses Postulat anhört: „Wir müssen also über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen wie mechanisches Räderwerk behandeln, und das soll er nicht, also soll er aufhören.“ (Hegel, Frühe Schriften, S. 234 f.) – es leitet nach dem Thermidor eine Wende ein. Wie leicht solche gedankliche Radikalität historisch infolge des revolutionär-praktischen Handlungsvakuums in Deutschland nicht einfach in Romantik, sondern in eine romantische „Reaktion“ umkippen konnte, siehe bei Gerda Heinrich, Geschichtsphilosophische Positionen der deutschen Frühromantik. Weil das Systemprogramm „sich genau einfügt in die Entwicklung des frühen Hegelschen Denkens“ und es eine „Anzahl von Wendungen“ gibt, „die in anderen Hegelschen Texten wiederkehren“ , muss Hegel, zwar im Fluidum des gemeinsamen „Bundes“ mit Hölderlin und Schelling, noch nicht der Verfasser sein, wie Otto Pöggeler behauptet. Ders., Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus. In: HegelStudien. Beiheft 4, S. 18. Werner Hartkopfs Nachweis einer ideengeschichtlichen Beeinflussung Hegels durch Schelling anhand des zeitlich parallelen zweiten Zusatzes zur Positivitätsschrift bestärkt die ursprüngliche Annahme von Franz Rosenzweig, dass statt Hegel eher Schelling der Autor des Textes ist. Werner Hartkopf, Die Anfänge der Dialektik bei Schelling und Hegel. Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 30, Heft 4, S. 545–566. Hegel an Schelling. Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 24.

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die Rede ist, wie man auf die Menschen zu wirken hat“, so müssen „die Triebfedern zum Guthandeln sinnliche sein, um auf die Sinnlichkeit wirken zu können“. (12) Hegel befragt innerhalb seines aufklärerischen Denkhorizonts, der die Revolutionierung der sozialökonomischen Basis nicht tangiert, die Wirkungsmöglichkelten von Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religion für die Vorbereitung und Sicherung der politischen Emanzipation. Philosophie und Wissenschaft können infolge ihres sozial separaten Status und rein geistigen Charakters als massenwirksam nicht infrage kommen. Aber auch künstlerische Versuche, die die Reste von sinnlich wirkungsfähiger „Mythologie“ und „politischer Phantasie“ aktivierten, wie bei Hölty oder Bürger, „gehen für unser Volk wohl ganz verloren, da es, um des Genusses derselben empfänglich zu sein, in seiner übrigen Kultur zu weit zurück ist, wie auch die Phantasie der gebildeteren Teile der Nation von der der gemeinen Stände ein völlig anderes Gebiet hat und Schriftsteller und Künstler, die für jene arbeiten, von diesen schlechterdings […] ganz und gar nicht verstanden werden“. (198) Hier reproduziert der junge Hegel das Grundproblem des volksaufklärerischen, nicht nur auf gebildete Kreise ausgerichteten Anliegens, das der Wirkungschancen von Aufklärung überhaupt. Schon der junge Herder, dem der frühe Hegel verwandt ist, hatte entschieden das Thema „Die Philosophie und das Volk“ aufgeworfen. Längst nicht mehr, wie „in der ältesten Zeit der griechischen und römischen Republik“, sind die „Sprache des Schriftstellers und gemeinen Volkes einerlei“. Die historischen Metamorphosen seit jener Zeit haben den Schriftstellern „das Wort Volk entrissen“. Philosophen bilden einen „eigenen Ameisenhaufen“. Es herrscht die Entgegensetzung, dass „die intellektualische Welt der Himmel, die Republik des Volkes die Erde sei – gleichsam zwei Seiten ein und derselben Münze“. Da „nach den heutigen Staatseinrichtungen keine eigentliche Demokratie und Regierung des Volkes mehr möglich“, ist das Publikum der Alten „ausgestorben“, selbst „bei dem Parlament in England“. In den „Staatsplänen Lykurgs und Solons“, auf die sich ebenfalls Hegel durchgehend, auch in Übereinstimmung mit Rousseau bezieht, war, schreibt Herder, „die Stimme des Volkes eine Stimme des Staates“.11 Im Kontext der Frage, welche Erfahrung welcher Klasse von Lesern als allgemeine Erfahrung unterstellt werden kann, ob die der verständig Aufgeklärten oder die „heiliger Einfalt“, verweist Hegel ausdrücklich auf Herder. Herder gilt Hegel als „der erste, vielleicht der einzige, der das Alte Testament“ vom „Standpunkt der Freiheit der Einbildungskraft“ behandelt und die notwendige, jeweils historisch bestimmte Wahrheit der Religion für die Volksphantasie gezeigt hat. (201 u. 215) Findet Hegel die Wahrheit der Religion für die Volksphantasie bei Herder zu sehr auf subjektive Wahrheit vereinseitigt, hat aber auch der Rousseau folgende Versuch Kants, das Religiöse auf objektivere Weise ganz und gar der Idee der Freiheit zu subordinieren, nur die Resultate, nicht den Nachweis der eigentlichen sozial-praktischen Glaubensgründe erbracht.12 Bei aller Hochachtung vor Kants systematischen Ableitungen ähnelt der junge Hegel dem jungen Herder, dem es um die kritische Erhellung der in den Völkern praktisch wirksamen Religionssysteme zu tun ist, und den 11 12

Herder, Zur Philosophie der Geschichte. Erster Band, S. 86, 88, 90. Siehe Briefwechsel zwischen Hegel und Schelling im Januar/Februar 1795. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 16 f. u. S. 21 f. Vgl. Herder, Älteste Urkunde des Menschengeschlechts. Ders., Vom Geist der ebräischen Poesie. Herders sämtliche Werke, Bd. 12.

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nicht Religion interessiert, die nur noch das Objekt „des szientifischen Systematikers“ darstellt oder zum selbstgezimmerten „Raritätenkasten der Dichter“ wurde. Zu dieser Art von Religion „sind zum Glück wenig Völker gestiegen“.13 Die neuerliche Möglichkeit, dass Kant, schließlich sogar Fichte wieder der Theologie verwendbar werden, was Schelling und Hegel in ihrem Briefwechsel 1795 bewegt, zeigt die in Hegels Verständnis entstandene Leerstelle an, die einen wiederholten Rekurs zur Aufklärung provoziert. Hegel steigert sich im Ausdruck seines Anliegens, wie er es Schelling in Briefen mitteilt, von dem alten theologischen „Sauerteig auf die Seite zu schaffen“, bis: die Theologen „aus jedem Ausfluchtswinkel herauszupeitschen“.14 Schelling bestärkt Hegel darin, die Aufdeckung der praktischen Glaubensgründe, dieser „letzten Türe des Aberglaubens“, so bald als möglich zu bewerkstelligen. Aber doch bestärkt Schelling schon mit Konzentration auf das Problem, die Philosophie selbst weiter zu entwickeln, denn sie sei mit Kant noch nicht am Ende. Hegel erinnert, wenn auch vorsichtig, so doch deutlich genug den schon philosophisch erfolgreich werdenden Schelling an das Problem der emanzipatorischen Wirksamkeit. „Was Dir im Wege stehen wird, verstanden zu werden und Deinen Betrachtungen, Eingang zu finden, wird, stelle ich mir vor, überhaupt das sein, daß die Leute schlechterdings ihr Nicht-Ich nicht werden aufgeben wollen.“15 Lessing hatte von einer vorrevolutionären Aufklärerposition, der die Erziehungsfrage in dem Sinne erst der Vorbereitung einer künftigen Emanzipation im Vordergrund steht, in seinem Resumé des Fragmentenstreits von 1780 eine Antwort erteilt, die Hegel aufnimmt. Ist es Zweck der menschlichen Erziehung, zu erreichen, dass jeder „seine Pflicht zu tun vermögend sei“, auch dann, wenn die „Aussichten der Ehre und des Wohlstandes wegfallen“, wieso reiche denn die göttliche Erziehung nicht bis zu diesem Zwecke. Im Gegenteil, „was der Kunst mit dem Einzelnen gelingt, sollte der Natur nicht auch mit dem Ganzen gelingen? […] Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums“.16 Lessing hatte seine „Erziehung des Menschengeschlechts“ mit der die Antwort enthaltenden Frage begonnen: „Warum wollen wir in allen positiven Religionen nicht lieber weiter nichts als den Gang erblicken, nach welchem sich der menschliche Verstand jedes Orts einzig und allein hat entwickeln können und noch ferner entwickeln soll, als über eine derselben entweder lächeln und zürnen? […] Was die Erziehung bei dem einzeln Menschen ist, ist die Offenbarung bei dem ganzen Menschengeschlechte.“17 Friedrich Schillers Bemühen – im Unterschied zu Lessings eben zitierter Eingrenzung der künstlerischen Wirkungsmöglichkeit auf nur einzelne Gebildete – geht zwar in die Richtung der ästhetisch-künstlerischen Erziehung des Menschengeschlechts. Aber er trägt doch zuvor in seiner „Sendung Moses“ (1789) keine Bedenken daran, unter bestimmten historischen Bedingungen, nämlich denen eines noch ohnmächtigen Sklavenvolks, noch nicht freiheitsfähigen Volks, „von diesem Kunstgriff des Betrugs auch zum 13 14 15 16 17

Herder, Zur Philosophie der Geschichte, S. 97. Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 11 u. 17. Hegel an Schelling am 30. August 1795. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 29. Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts. In: Lessings Werke in fünf Bänden. Zweiter Band, S. 312 f. Ebd., S. 291 f.

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Vorteil der Wahrheit Gebrauch zu machen“.18 Sein am niederländischen Befreiungskrieg orientiertes Emanzipationsmodell schließt auch im ganzen gesehen die Anerkennung einer für gesellschaftliche Veränderung bedeutenden Rolle der Religion neben der Vernunft ein, was in Schillers historischen und künstlerischen Arbeiten, die Hegel verfolgt, zum Ausdruck kommt.19 Gegenüber der moralisch-religiösen und moralisch-ästhetischen Akzentsetzung innerhalb des Erziehungsunternehmens der deutschen Aufklärung tritt bei Herder die politisch-praktische Dimension des über Religion breitenwirksamen Moralbildungsprozesses stärker hervor, wenn auch in seinen Lebensabschnitten variierend und in den publizierten Schriften die revolutionäre Note zurückhaltend. Der junge Herder fordert die Religionsgeschichte, da man „auch der besten Religion keine Unehre“ anredet, „wenn man ihr einen politischen Zweck gibt“, vor den „Gerichtsstuhl der Politik“.20 In seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ schreibt Herder 1793, einen Teil des Gespräches aus Lessings „Ernst und Falk“ hier übernehmend: „ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne einerlei Religion auch nur möglich ist“: Herder interessiert, und an diese Aufgabenstellung knüpft der frühe Hegel unmittelbar an, das sich historisch entwickelnde „Verhältnis der Politik und Moral“, und, insofern Mora1 als im Volk lebendige vorgestellt wird, Religion. Im Kontext, Machiavelli zu rehabilitieren, erinnert Herder, aktuell bedeutsam, daran, dass „die Religion, von der Moral ganz abgesondert, selbst Politik (war), deren Hauptgesetz überhaupt die Staatsräson, deren Hauptmaxime es war, die Dinge, jedes zu seiner Zeit, im Punkt seiner Reife nutzen zu können“.21 Georg Forster, dessen „Ansichten vom Niederrhein“ (1790) Hegel zustimmend veranlassen, die revolutionäre moralische Lebenshaltung des Republikaners der eigennützigen der Bürger in Monarchien gegenüber zu stellen (207), betont ebenda: „Reine Vaterlandsliebe kann überall nur das Eigenthum einer geringen Anzahl von Auserwählten seyn.“ Forster fasst die unlösliche Einheit zwischen feudalabsolutistischer Ordnung und deren kirchlicher Machtstütze in dem Ausdruck „religiöser und politischer Despotismus“ zusammen: Eine dauerhafte Revolution muss als Revolution nicht nur der politischen Ordnung, sondern sowohl der kirchlichen als auch politischen Verfassung verstanden werden. 18 19

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Friedrich Schiller, Die Sendung Moses. In: Ders., Prosa-Schriften, Bd. 1, S. 520. In den direkten Bezugnahmen Hegels auf Schiller haben besondere Bedeutung das Gedicht „Resignation“ einschließlich der unterdrückten Strophen (Hegel S. 53 u. 184) und Schillers Aufsatz „Das Ideal und das Leben“, gedruckt im Septemberheft der „Horen“ 1795 (Hegel, Frühe Schriften, S. 177). In der Auseinandersetzung mit Schillers „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ kritisiert Hegel u. a. die Betonung subjektiver Zwecksetzungen statt der objektiven Begebenheiten und Umstände, denn „ob die Tat Zweck war, und noch wichtiger ist es, ob der Zweck groß war […] erkennt sich aus der Tat. War jener groß und diese klein, so ist der Mensch ein kleiner Geist“ (Ebd., S. 448). Herder, Zur Philosophie der Geschichte, a. a. O., S. 96. Hermann Samuel Reimarus hatte in: „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“ (1778 bei Lessing publiziert) die Gründung der christlichen Religion politisiert, im Unterschied der Religion als nur Vehikel moralischer Erziehung, und den Betrug herausgestellt, der durch die religiöse Uminterpretation der politischen Botschaft (Jesus als jüdischer Messiasprätendent) entsteht. Hegel verbindet diesen politisch konsequenteren Strang in der Aufklärung mit dem Anliegen Lessings und Herders, dass das religiöse Bedürfnis auch aktueller und allgemeinerer moralischer Natur sei, als nur von historisch-taktischer und lokaler Bedeutung. Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität. Zweite u. fünfte Sammlung. 1793 u. 1795, Bd. 1, S. 128 u. 331.

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„Das Volk ist nirgends […] reif zu einer dauerhaften Revolution, weder der kirchlichen noch der politischen Verfassung; überall fehlt das Organ, wodurch der Geist der Gährung in dasselbe übergehen, sich mit ihm verbinden und eine gemeinschaftliche, vorbereitende Stimmung bewirken soll.“22 Was Forster die, die Revolution vorbereitende, noch eine Bewegung „der Parteien und Sekten“23 nennt, markiert den Scheideweg zwischen dem welthistorisch verbrauchten religiösen Mantel revolutionärer Bewegungen, organisiert in Sekten, und den unmittelbar politisch agierenden und argumentierenden Parteien und Klubs als neuer Organisationsform revolutionärer Bewegung während der revolutionären Entscheidungsschlachten. Forster findet ab 1792 unter den exzeptionellen Bedingungen der revolutionären Bewegung auf den linksrheinischen Gebieten und schließlich in Paris selbst unmittelbaren Anschluss an den zuletzt genannten, in der Französischen Revolution zum Tragen kommenden Typ revolutionärer Bewegung. Der späte Herder zeichnet Hegels weitere Entwicklung vor, wenn er 1793 die eingetretene Borniertheit der alten Organisationstypen von Sekten, Geheimbünden und Freimaurerorden erkennt und damit Lessings „Ernst und Falk“ eine neue Wendung gibt. „Alle solche Symbole mögen einst gut und notwendig gewesen sein; sie sind aber, wie mich dünkt, nicht mehr für unsere Zeiten. Für unsre Zeiten ist gerade das Gegenteil ihrer Methode nötig, reine, helle, offenbare Wahrheit.“24 Der Anschluss an oder die Bezugnahme auf politische Parteien, wie in Frankreich, ist in Deutschland nicht möglich. Das Gros der konzeptionell tätigen Deutschen wird in die „idealische Gesellschaft“ der „unsichtbaren Kirche“ oder „Gelehrtenrepublik“ zurückgeworfen, statt in die „Gesellschaft aller denkenden Menschen in allen Weltteilen“ voranzuschreiten.25 Wie der kurze Exkurs auf Autoren, die Hegel gelesen hat, zeigen sollte, ist die Konzeptrichtung, durch Religion das Band der Aufklärer mit ihrem Volk zu knüpfen, nicht ungewöhnlich. Goethes „Mahomets Gesang“ sei wenigstens noch genannt. Dieser Richtung folgt Hegel in Konfrontation zu verselbständigter, gesellschaftlich nicht eingreifender Geistesproduktion. Hegel unterscheidet gleich 1793 unter den Vorurteilen des „gemeinen Volks“ wirkliche Irrtümer, die die feudalabsolutistische Herrschaftspraxis decken, und wirkliche Wahrheiten, die aber vom Volk nicht vernünftig, wie Wahrheiten, sondern religiös eingesehen werden. (23) Hegels Affront gegen bloße Betrugs- und Irrtumstheorien der Aufklärung steht in Einklang mit Lessing und Herder, nach dem nur mit dem Kopfe 22

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Georg Forster, Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England, und Frankreich, Zweiter Theil. In: Forster, Werke in vier Bänden, Bd. 2, S. 738 f. Bei der Lektüre des Forsterschen Werkes notiert Hegel 1795: „In einer Republik ist es eine Idee, für die man lebt, in Monarchien (lebt man) immer fürs Einzelne; in diesen können die Menschen doch nicht ohne eine Idee sein, sie machen deshalb auch eine einzelne Idee, ein Ideal – dort eine Idee, wie es sein soll; hier ein Ideal, das ist, das sie selten selbst geschaffen haben, die Gottheit. Der große Geist in der Republik wendet alle seine Kräfte, physische und moralische, an seine Idee, sein ganzer Wirkungskreis hat Einheit, – der fromme Christ, der sich dem Dienst seines Ideals ganz weiht, ist ein mystischer Schwärmer […] Die Idee des Republikaners ist von der Art, daß all seine edelsten Kräfte ihre Befriedigung in wahrer Arbeit finden, da die des Schwärmers nur die Täuschung der Einbildungskraft ist.“ (207). Zum Arbeitsproblem vgl. Abschnitt 1.5. In Hegels Unterscheidung von Idee und Ideal liegt eine kritische Pointe gegenüber Schiller und zugunsten Forsters vor. Forster, A. a. O., S. 740 ff. Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, a. a. O., S. 135. Ebd., S. 132.

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wider den Götzen zu laufen, selbst wenn man dabei den Wurm entdeckt, nicht ausreicht.26 Der gesellschaftlich zu verwirklichenden Einheit von Aufgeklärten und Aufzuklärenden wegen, nicht infolge eines an sich theologischen, geschweige irrationalistischen oder dogmatischen Anliegens, legt Hegel größten Wert auf „diejenige Sphäre von Phantasievorstellungen, die dem gebildeten wie dem ungebildeten Teile unserer Nation gemein wäre, die religiöse Geschichte“ (199). Statt eines großbürgerlich-aristokratischen Zynismus, allein „der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben“, bedarf nicht nur der große Haufen, sondern auch der Philosoph ihrer. Programmatisch wird im Freundeskreis Hölderlin, Hegel, Schelling Mitte der 90er Jahre eine religiös breitenwirksame Mythologie im Dienste der Vernunft gefordert, denn die Ideen der Vernunft haben „für das Volk kein Interesse“, ehe sie nicht mythologisch werden. Die „Mythologie muß philosophisch werden, und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen.“ (235 f.) Der frühe Hegel schließt im Unterschied zum späten – als Generalsuperintendent dem Realisierungsdebakel seines ganzen Aufklärerkonzepts unterworfenen – Herder die Möglichkeit aus, historisch erneut die christliche Kirche von innen her als ihr „Beamter“ (177) emanzipatorisch umfunktionieren zu können. Sicher, die protestantische Kirche zündet wenigstens keine „Scheiterhaufen für Schriftsteller“ oder „nur“ deren Schriften an (73), aber auch in ihr wird die „Möglichkeit der Veränderung des Glaubens durch strenge Zensur, durch Bücherverbote usw. abgeschnitten, durch die Verhütung, daß nicht in Gesprächen, auf Kathedern und Kanzeln fremde Meinungen debitiert werden“. Der „Fluß der kirchlichen Wahrheit rauscht lärmend durch alle Gassen, jeder kann von seinem Wasser sein Gehirn anfüllen“. (177) Religion und Politik spielen „unter einer Decke“. Religion hat zu lehren, „was der Despotismus will“. „Die Orthodoxie ist nicht zu erschüttern, solange ihre Profession mit weltlichen Vorteilen verknüpft in das Ganze eines Staats verwebt ist. Dieses Interesse ist zu stark, als daß sie so bald aufgegeben werden sollte […] solang hat sie den ganzen, immer zahlreichsten Trupp von gedanken- und höheren interesselosen Nachbetern oder Schreibern auf ihrer Seite.“27 Gegen die in der christlichen Kirche institutionalisierte Religionspraxis des Volks zieht Hegel mit Erkenntnissen über den historischen Ursprung und die soziale wie insbesondere politische Zweckmäßigkeit des religiösen Verhaltens zu Felde, um der Kirche als feudalabsolutistischer Machtstütze den „Nimbus der Heiligkeit“ zu nehmen: „wie die Dogmen der Theologie von ihrem Ansehen verlieren, wenn wir sie mit der Kirchengeschichte beleuchten“. (25) Da Hegel innerhalb der staatlichen Kirche zu wirken für aussichtslos hält, fragt sich, in welchem Verhältnis er zu religiösen Sektenbewegungen als Keimform für revolutionäre Veränderungen steht. Dabei handelt es sich nicht um ein in Deutschland von vornherein inaktuelles, historisch weit zurückliegendes, für Hegel künstlich konstruiertes Problem, wie die spontanen Organisations- und Bewusstseinsstrukturen in den unter dem Eindruck der Französischen Revolution stattfindenden Aufständen und Unruhen deutscher Bauern zeigen. Der angedeutete Zusammenhang deut26

27

Herder, Zur Philosophie der Geschichte, Bd. 1, S. 95. Vgl. Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft. Sämtliche Schriften, Bd. 10, S. 37 ff. Ders., Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten. Ebd., S. 14 ff. Hegel an Schelling. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 24 u. S. 16.

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scher Aufklärer zum gebildeteren und begüterten Publikum über Freimaurerorden und Bünde, zum ungebildeteren, kleinbürgerlich-bäurischen Publikum über Sekten ist Hegel bekannte Tradition.28 In Deutschland waren zu dieser Frage epochemachend die 1699–1700 erstmals erschienenen „Kirchen- und Ketzerhistorien“ des linkspietistisch motivierten Gottfried Arnold. Goethe zollt in „Dichtung und Wahrheit“ rückblickend seine – auch über das speziell Kirchenhistorische hinausgehende – Hochachtung, „daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, einen vorteilhaftern Begriff erhielt. Der Geist des Widerspruches und die Lust zum Paradoxen steckt in uns allen.“ Als Besonderheit hebt Goethe an Arnold hervor: „Dieser Mann ist nicht ein bloß reflektierender Historiker, sondern zugleich fromm und fühlend.“29 Arnold schloss in seine Ablehnung der christlichen Kirche die gegenreformatorische Restaurationsbewegung in Europa und die feudalabsolutistische Umfunktionierung des bereits reformierten Chri28

29

Wolfgang Heise charakterisiert das für den frühen Hegel so wichtige „historisch-perspektivische Denken“ Herders wie folgt: „In Herders historisch-perspektivischem Denken, seinem Entwicklungsund Revolutionsgedanken tritt diesseitig immanent zu Tage, was in den Utopien ketzerisch-chiliastischer Sekten als Wiedergeburt, Wiederbringung aller Dinge u.s.w. phantastisch-religiös gesucht, geschaut, erwartet und erstrebt wurde. Beim Übergang von religiös-ketzerischem zu – mindestens – weltimmanent-dynamischem, auf Entwicklung, Änderung und Perspektive drängendem Welt- und Gesellschaftsverständnis hat der Pantheismus eine ganz entscheidende Vermittlungsfunktion unter den deutschen Bedingungen gespielt: er ermöglichte gedanklich, die perspektivischen Intentionen und kollektiven Erfahrungen der Sektenbewegung als religiöser Form und Organisation sozialer und politischer Opposition in das weltlich-geschichtsphilosophische Denken einzubringen. Doch ist dies eine neue Thematik, die ihrerseits Herders Rolle als Aufklärer erhellen würde, seine Rolle als Vermittler kollektiven Sichselbstaufklärens, als desjenigen, der den Übergang von religiöser Erwartungshaltung zu aktiver, rationaler Entwicklungs- und innerweltlicher Perspektive für Oppositionstendenzen energisch vermittelte.“ Wolfgang Heise, Der Entwicklungsgedanke als geschichtsphilosophische Programmatik. Zur Gemeinsamkeit von Herder und Goethe in der frühen Weimarer Zeit, S. 133. Siehe zu diesem Zusammenhang der deutschen Literaturentwicklung zwischen 1789 und 1794: Peter Weber, Literatur und politische Organisation. In: Geschichte der deutschen Literatur 1789–1830, Bd. 7, S. 47 ff. Vgl. auch A. Liepert, Parallelen in der Staatsauffassung Lessings und Herders, S. 1241, 1249, 1251. Zu Recht weist M. Fontius auf das „Desiderat der Literaturgeschichte“ hin, zu untersuchen, in wieweit in Deutschland gerade die sog. „Popularphilosophie“ im Unterschied zu den „Originaldenkern“ Funktionen der bürgerlichen bzw. großbürgerlichen Aufklärung wahrnimmt. M. Fontius, Herders anti-enzyklopädistische Position und deutsche Absolutismuskritik, S. 462. Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Zweiter Teil. In: Goethes Werke in 12 Bänden, Bd. 8, S. 372. Eine Auswahl von Arnolds Werk ist durch Renate Riemeck neu herausgegeben worden. Gottfried Arnold, Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie. Zur historischen Bedeutung und Nachwirkungen Arnolds in Deutschland noch vor der Französischen Revolution siehe Gerhard Schilfert, Deutschland 1648–1789, S. 113 f. u. 155, Siegfried Wollgast, Der deutsche Pantheismus im 16. Jahrhundert, Berlin 1972, S. 297 ff. u. 304. Vgl. zu Herders Hoffnungen, die er – neben in Freimaurervereinigungen – in die Sektenopposition setzte, dessen: Christliche Schriften. Herders sämtliche Werke Bd. 20. Die umfangreiche Literatur der theologischen Hegel-Interpretation umgeht die Bedeutung des Ketzers Arnold für den frühen Hegel. Dagegen macht Joachim Streisand auf diesen Einfluss aufmerksam, mit Hinweis auf den Brief von Caroline Paulus an Hegel vom 18. Juli 1811. Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 380. Siehe J. Streisand, Kritische Studien zum Erbe der deutschen Klassik, S. 68 u. 132.

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stentums ein. Arnold stellt die ganze Geschichte der Kirche als einen kontinuierlichen Abfall vom wahren Glauben dar, wobei diese völlige Deformation mit der Umstrukturierung des Christentums in sich zur Priesterreligion und sozial mit der Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion beginnt und auch vor den Ergebnissen der lutherischen Reformation nicht halt macht. Hegel widmet der „Klasse“ von „Priestern“, diesem historisch entstandenen „Depositär“ der christlichen Mysterien, als einer „Ursache der Möglichkeit dieser Ausartung“ des Christentums große Aufmerksamkeit (58). Die Verwandlung des Christentums in Staatsreligion organisiert es nach dem Muster weltlicher Staatsverfassungen um, wodurch das Christentum eine gegenüber dem Volk objektive Religion, gleichgeschaltet den dieser objektiven Religion „korrespondierenden Anstalten des Staats und der Regierung“ (59), wird. „Seitdem die Bischhöfe und Vorsteher der christlichen Kirche bloße Beamte sind, seitdem also die Gesetze des Glaubens ganz von ihren Regenten gemacht worden“, kann es, „obzwar nicht den Bischhöfen, aber dem Volke ziemlich gleichgültig sein, ob sein Glaubensregent und Richter eine Person – der Papst – oder eine Menge von ihm unabhängiger Personen sind“ (163). Die Reformation betreffend erinnert Hegel daran, dass „die Waffen, die zu einer Zeit sehr gute Dienste tun, in der Folge unbrauchbar werden“ (165). Luther „benahm den Geistlichen die Macht, durch Gewalt und über die Beutel zu herrschen, aber er wollte es noch über die Meinungen“. Die Reformatoren „unterwarfen das Christentum der weltlichen Macht“, statt die „Kirchengewalt als Stütze der Gewissensfreiheit zum Gegengewicht gegen Fürstengewalt aufzustellen“. Hegel betrachtet Zwingli als historische Alternative zu Luther (63). Für Arnold entsteht die emanzipatorische Ausrichtung der christlich-religiösen Praxis notwendig neu, auch nach Luther, in ketzerischen Sekten. Hegel anerkennt diese historische Notwendigkeit (186 ff., vgl. 130 f.). „Die Entstehung aller Sekten in der christlichen Kirche im mittleren und neueren Zeitalter gründete sich auf das Gefühl einzelner Menschen, das Recht zu haben, sich selbst Gesetzgeber zu sein, aber in barbarischen Zeitaltern oder in einer Volksklasse geboren, die von ihren Herrschern zur Rohheit verdammt ist, war das Prinzip einer solchen Gesetzgebung gewöhnlich eine erhitzte, verwilderte und unordentliche Phantasie, unter deren Ausgeburten zuweilen ein schöner Funken von Vernunft hervorblitzte, und wobei doch immer das unveräußerliche Menschenrecht behauptet wurde, aus seinem Busen sich Gesetze zu geben“ (190). In Gegensatz zu Arnold wertet Hegel für seine Gegenwart das „auf einen bestimmten engen Kreis eingeschränkte“ (125) Potential der Sekten ab. Die Sektenbewegung gilt Hegel aktuell als ein Symptom, welches die Unfähigkeit des Christentums überhaupt, das gesamtgesellschaftliche Emanzipationsmedium zu werden, anzeigt. Kirche und Sekte verhalten sich als „complementum“ (182) zueinander, wie „im Schoße dieser Kirche wurden wieder Sekten erzeugt, die dann auch zu Kirchen gediehen, und so muß es fortgehen […]“ (187). Auch in Gegensatz zu Arnold sieht Hegel durchgehend den Keim der „Entartung“ im Ursprung des Christentums selbst. Was Arnold als fortschreitender Abfall vom wahren Glauben erscheint, den durch Wiederkehr zum Ursprung zurückzugewinnen Hoffnung entsteht, verwandelt sich Hegel, damit Arnold radikalisierend, in eine im Keim selbst angelegte, sich in Kreisen fortwälzende Fehlentwicklung des Christentums überhaupt. Hegel stellt noch 1795 sein aufklärerisches Anliegen mit Bezug auf die kleinbürgerlich-bäuerliche Tradition in Deutschland als in einer „philosophischen Sekte“ (111, 124, 140) zu organisieren und durch Religion breitenwirksam vor. Aber zugleich beginnt

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schon der Ablösungsprozess von dieser Tradition, weshalb er schließlich von „philosophischer Partei“ (111 f.) spricht. Aber „wo sollte politische Konzentration in einem Lande herkommen, dem alle ökonomischen Bedingungen derselben fehlten?“ Die „gewesenen Stände und ungeborenen Klassen“30 in Deutschland reproduzieren sich politisch-organisatorisch als emanzipatorisch gewesene Sekten, Bünde, lokale Gruppen und ungeborene politische Parteien. Das „philosophisch“ vor „Sekte“ und „Partei“ signalisiert die später zum Tragen kommende Entwicklung Hegels, seine geistige Produktion verselbständigen zu müssen. Mit Hegels Hinausgehen über Arnold löst sich Hegel ideologisch von dem in Deutschland traditionsreichen, inzwischen historisch verbrauchten Boden revolutionärer Möglichkeiten der kleinbürgerlich-bäuerlichen Aktivität. Damit gibt aber Hegel nicht Religion überhaupt als Emanzipationsmedium, durch das die Einheit von Volk und Aufklärern erreicht werden soll, auf. Die entscheidenden Impulse, die Religionsproblematik der deutschen Aufklärung zu einem antichristlichen, jedoch bleibend religiösen Band zwischen Aufklärern und Volk und letzteres wiederum zu einem geistig-praktischen Vermittlungsglied der republikanischen Staatsform zu steigern, erhält der junge Hegel von Rousseau. „Rousseau“ tritt hierbei als die Verbindungsbrücke zweier objektiv entstandener Folgen seiner eigenen Wirkungsgeschichte auf. Als vorrevolutionärer und kleinbürgerlicher Denker steht er dem im ganzen kleinbürgerlichen Charakter und Dilemma der vorrevolutionären Zurückgebliebenheit der deutschen Länder näher als andere Autoren, um doch zugleich auch als Autor der „politischen Bibel der Jakobiner“ lebendige und konzeptionell entscheidende Bezugsperson des Höhepunkts der Französischen Revolution zu sein. Sicher, mit der Übernahme revolutionärer Losungen wie: „Gegen die Tyrannen!“, „Tod dem Gesindel!“, „Es lebe die Freiheit“ in dem Stammbuch des Mitglieds des geheimen Tübinger Studentenklubs beginnt Hegels Stellungnahme zur Französischen Revolution31, aber doch ausgehend von unmittelbaren sozialen Erfahrungsmöglichkeiten in deutschen Kleinstaaten, die Hegel noch 1793 durch das Bild vom „eigenen Häuschen […] mit dem Dach- und Fachwerk“ (28) ernsthaft zur Geltung bringt. Da stellt Hegel jenem, jede Individualität zermalmenden Palastbau Louis XIV. in Versailles mit Berufung auf Lessings Recha-Worte den „Hausvater“ gegenüber, der „in seinem großelterlichen Häuschen überall besser Bescheid, von jeder Schraube, jedem Schränkchen Red und Antwort über ihren Gebrauch und ihre Geschichte zu geben weiß“ (28). Wenn Hegel die unmittelbar dem Milieu des deutschen kleinbürgerlichen Zwergwuchses geschuldete Frage: „Sein kleines Häuschen, das der Mensch als dann sein eigen 30

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K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 178. Vgl. I. Mittenzwei, Zur Klassenentwicklung des Handels- und Manufakturbürgertums in den deutschen Territorialstaaten, S. 179–190. Vgl. zur lokalen Zersplitterung der oppositionellen Kräfte J. Streisand, Deutschland 1789–1815. Vgl. H. Scheel, Süddeutsche Jakobiner. Vgl. dazu, was real unter „revolutionärer Bewegung“ in Deutschland zu jener Zeit verstanden werden kann, Kyösti Julku, Die revolutionäre Bewegung im Rheinland am Ende des 18. Jh., Bd. 2. Die Revolution im Rheinland während der Franzosenherrschaft (1792–1801). So sehr Zeitschriften als progressive, auch exponiert politische Sammelbekken fungieren konnten, politische Parteien ersetzten sie nicht. Vgl. Kari Hok Kanen, Krieg und Frieden in der politischen Tagesliteratur Deutschlands zwischen Baseler und Lunéviller Frieden (1795–1801), S. 167 ff. Eine Ausnahme freilich bildete die Mainzer Republik. Vgl. H. Scheel, Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution. A. Gulyga, Hegel, S. 22.

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nennen kann, es muß Religion bauen helfen, aber wie viel kann sie ihm dabei helfen?“ – nicht in einer idyllisierten Entgegensetzung gegen die Französische Revolution, sondern in Einklang mit den revolutionären Losungen zu beantworten bestrebt ist, dies Bestreben ihn zu erkunden treibt, welch emanzipatorische Wirkungsmöglichkeiten die christlichreligiöse Praxis hergibt, er hierbei auf den sich historisch fortwälzenden Kreislauf von Kirche und Sekte und Sekte und Kirche stößt, so führt Hegels Orientierung an Rousseau zu einer Synthese, nun aber in welthistorischer Dimension, zwischen dem „Dach- und Fachwerk“, dem Religionsproblem und der Revolution. Nicht zufällig standen spontan neben den o. g. Stammbuchlosungen diese: „Es lebe Jean-Jacques!“ – und das Zitat aus Rousseaus Gesellschaftsvertrag: „Gebe es ein Volk von Engeln, würde es sich demokratisch regieren.“ Wie Werner Krauss schrieb, mochte die herrschende Orthodoxie in Rousseaus Konzept eines einheitlichen Religionsbandes zwischen Aufklärern und Volk eine noch gefährlichere Verirrung sehn als in der atheistischen Freigeisterei aufgeklärter Kreise, weil Rousseau zwar entschieden die kirchliche Institution und deren Verfilzung mit dem weltlichen Despotismus bekämpfte, nicht aber den Raum der Religion als massenwirksames Bindungspotential aufgibt.32 Wodurch sind wir von dem „ganzen abstoßenden Getriebe der Philosophie“ befreit und können „Menschen sein, ohne Gelehrte sein zu müssen“?: „Dank dem Himmel“!33 Dieses Glaubensbekenntnis an eine Einheit der Aufklärer mit dem Volk richtet Rousseau nicht nur gegen die Einheit von weltlichem und kirchlichem Despotismus, oder wie Hegel schreibt: „Religion und Politik haben unter einer Decke gespielt, jene hat gelehrt, was der Despotismus wollte.“34 Zugleich kämpft hier Rousseau gegen jenes großbürgerliche, für England bezeichnende Prinzip, aus berechnetem Eigennutz trage schon jeder von sich aus zum allgemeinen Wohl bei. Die Durchsetzung dieses Prinzips, die Ungleichheit und Sittenverfall bewirkt, vernichtet den Wirklichkeitsanspruch heroischer Ideale. In gleicher Frontstellung schreibt Hegel: „Solche Lehren müssen […] von der Vernunft, sowohl wenn sie Grundsätze für den Einzelnen als wenn sie allgemeinere, die die Ökonomie eines ganzen Staats angehen, sich wählt, schlechterdings verworfen werden.“ (77) Hegel folgt Rousseau im Kampf dagegen, dass der „Eigennutz das Pendel ist, dessen Schwingungen ihre (der Menschen) Maschine im Lauf erhält.“ (15) Womit Rousseau das „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“ hinsichtlich der Aufgaben der Philosophie enden lässt, gibt uns ein mögliches aufklärerisches Motto der Hegelschen Jugendschriften: „Durch ihre Grundsätze ist die Philosophie nicht imstande Gutes zu bewirken, das die Religion nicht besser könnte […] Deine Moralgesetze sind sehr schön, Philosoph! Aber bitte zeige mir die Erfüllung! Höre einen Augenblick auf, Umschweife zu machen und sage mir kurz und bündig, was Du an die Stelle des Pul-i-Sirat setzt?“ Rousseau stellt die Frage der Religion nationalhistorisch bestimmt. Durch dieses Medium hindurch muss die Toleranz der natürlichen, nicht künstlich institutionalisierten, mit moralischer Tugend und Vernunft in Einklang stehenden Religion des Vikars wirksam werden. Den Persern aber die Vorstellung von der o. g., über das ewige Feuer geschlagenen Brücke zu nehmen, wo doch „die Unterdrückten nach dem Tode an ihren Unterdrückern gerächt werden“, 32 33 34

Werner Krauss, Einführung. In: J.-J. Rousseau, Bekenntnisse, S. 10. J.-J. Rousseau, Emil … S. 306. Hegel an Schelling, April–Juli 1795. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 24.

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würde dort zu völliger moralischer Degradation fuhren. Die christliche Kirche festigt die Autorität der feudalabsolutistischen Regierungen und erspart diesen Revolutionen.35 Hegel greift Rousseaus Problemstellung, wie es sich mit der christlichen Religion in den absolutistischen Monarchien Europas verhalte, auf als die Frage, was an die Stelle des christlichen Fegefeuers zu setzen sei. Die Bedingung, unter der Rousseau gekämpft hatte, schien angesichts der Revolution doch beseitigbar zu sein: Die „Macht auf der einen Seite allein […] und die Aufklärung und die Weisheit allein auf der anderen […] und die Völker weiterhin gemein, verdorben und unglücklich“.36 Der Berner Hegel folgt nicht, da die Revolution inzwischen eingetreten ist, der Orientierung des Vikars: „Halten wir die öffentliche Ordnung aufrecht, bis uns größere Einsichten zuteil werden. Achten wir die Gesetze eines jeden Landes und stören wir nicht den Kult, den sie vorschreiben, verleiten wir nicht die Bürger zu Ungehorsam.“37 Für Hegels Bewertungen des Christentums ist der kritische Maßstab der natürlichen Religion des Vikars, oder wie Rousseau im Unterschied zur Religion des Staatsbürgers sagt, der Religion des Menschen, wichtig. Auf dieser Ebene treffen sich auch unmittelbar die Einflüsse Rousseaus und deutscher Aufklärer auf Hegel. Hegel lässt anhaltend Nathan zu Worte kommen. Aber dieser Standpunkt wird doch, da die Rezeption Rousseaus unter der Bedingung der nachbarlichen Französischen Revolution erfolgt, überlagert durch Rousseaus politisch konsequenteren Bewertungsmaßstab des Christentums, den er in seinem „Gesellschaftsvertrag“ entwikkelt. Hier stellt Rousseau die Frage nach der der Republik notwendigen und angemessenen Staatsreligion. Die vorrevolutionäre Beschwörung allgemein menschlicher Tugenden reicht Hegel ln der gegebenen historischen Situation nicht aus. Die „Hauptsache“ besteht für Hegel nicht darin, „die Aussprüche einer reinen Moral“ bei diesem und jenem Autor wiederzufinden, sondern darin, „in welchem Licht, in welcher Verbindung, in welchem Rang“ die Tugend begründet wird (85). Hier nun tritt das besondere Licht, der besondere Rang, die besondere Verbindung der Tugend im Rousseauschen Sinne beim frühen Hegel hervor. Auf den politisch-sozialen Wirkungszusammenbang der Tugend vom Standpunkt des kleinbürgerlichen Republikideals kommt es an. Schon Rousseau identifiziert die allgemein menschliche Religion, die „ohne Tempel, Altäre und kirchliche Gebräuche einzig und allein auf die innere Verehrung des höchsten Gottes und die ewigen Pflichten der Moral beschränkt“ ist, mit der „reinen, einfachen Religion des Evangeliums […] Vom politischen Standpunkt aus betrachtet“, kennt Rousseau aber „nichts, was dem gesellschaftlichen Geist mehr widerspricht“.38 Prinzipiell sind die „Privatgesetze“ der christlichen Gemeinde, dieser „partiellen Gesellschaft“, nicht auf die bürgerliche Gesellschaft auszudehnen (62 f.). Nach Hegels Einschätzung mag das Evangelium die moralischen Bedürfnisse dieses und jenen Individuums oder einer kleinen Gruppe als Privatreligion befriedigen können, als Staatsreligion widerspricht es prinzipiell den republikanischen Zielstellungen. Die christliche Kirche hat die „bürgerliche und politische Freiheit […] als Kot gegen die himmlischen Güter 35 36 37 38

Rousseau, Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars. In: Ders., Emil …, S. 334 f. J.-J. Rousseau, Abhandlung über die Wissenschaften und Künste. In: Ders., Frühe Schriften, S. 60. Ders., Emil S. 330. J.-J. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag. Hrsg. Werner Bahner, Leipzig 1978, S. 159 f.

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[…] verachten gelehrt“. (182) Mit der Religion des Menschen war noch der Katholizismus als feudalabsolutistische Machtstütze abstrakt zu kritisieren. Aber auch eine „Gesellschaft von wahren Christen wäre keine Gesellschaft von Menschen mehr“. In dem Ausdruck „christliche Republik“ schließt für Rousseau und Hegel jedes der beiden Worte das andere aus. „Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Unterwürfigkeit. Sein Geist ist der Tyrannei zu günstig […] Die aufrichtigen Christen sind dazu geschaffen, Sklaven zu sein […].“39 Schon die Jünger Jesu hatten keinerlei Interesse für den Staat, wie aber „ein Republikaner für sein Vaterland hat“. (120) Hegel hält sich an Rousseaus Beurteilung der christlichen Religion: „Sie fesselt die Herzen der Staatsbürger nicht an den Staat, sondern wendet sie vielmehr von ihm ab, wie von allen irdischen Dingen.“40 Die von Hegel geforderte Volksreligion aber ginge „Hand in Hand mit der Freiheit“ (41), müsste so beschaffen sein, „daß sich alle Bedürfnisse des Lebens, die öffentlichen Staatshandlungen daran anschließen“ (33), theologische Interpretationen infolge der Einfachheit aller Lehrsätze überflüssig werden (53, 73 ff.)41 und insbesondere die von Rousseau „dritte, seltsamer“ genannte Art von Religion, der Katholizismus, der nämlich „den Menschen zwei Gesetzgebungen, zwei Oberhäupter und zwei Vaterländer gibt“, unmöglich wird zugunsten einer republikanisch zweckmäßigen Religionspraxis42 (134 f., 149 ff., 443 f.). Statt vom aufklärerischen Standpunkt „der“ natürlichen Religion gegen die der Feudalordnung wesentliche Einheit von politischem, moralischem und religiösem Despotismus nur die Trennung dieser drei Momente voneinander zu fordern, die damit real dem Eigennutz unterworfen würden, fordert der frühe Hegel in der Tradition Rousseaus und ab Frankfurt in energischer Kritik an Kants Trennung von Staatsbürger, Mensch und Kirchenmensch die Herstellung einer neuen, republikanisch zweckmäßigen Einheit dieser Momente. In der Positivitätsschrift von 1795/96 findet der Übergang von der Forderung nur der Religionsfreiheit und Trennung des Staats von der Kirche zu einer neuen Einheit von Politik, Moral und Religion statt. Steht bei Hegel 1793/94 noch die reine, allgemeinmenschliche Einheit von Moral und Religion im Sinne des Lessingschen Nathan oder Rousseauischen Vikar im Vordergrund, so dominiert 1795/96 die Einheit von Politik, Moral und Religion in Anlehnung an das Konzept des Rousseauschen „Gesellschaftsvertrages“.

1.3 Zu Rousseaus Begründung des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts Rousseau strebt im „Gesellschaftsvertrag“ danach, „einen Typ des ‚Citoyen‘ zu entwikkeln, der in seinem ganzen Wesen die Züge des egoistischen unabhängigen Individuums abgelegt hatte“.43 Rousseau modelliert quasi einen Citoyen ohne Bourgeois, der kein Citoyen wäre. Rousseau spürt diesen Widerspruch, wenn er den Allgemeinwillen und den Willen aller nicht zusammenfallen lässt, was in der Tat bei der historisch unterstellten 39 40 41 42 43

Ebd., S. 162. Ebd., S. 160. Vgl. ebd., S. 164. Ebd., S. 159. Werner Bahner, Einleitung. In: J.-J. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, S. 36.

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Kleinbürgerlich-republikanische Aufklärung durch Religion

Sozialstruktur nicht geht, und dennoch die Einheit beider über eine Reihe von Vermittlungsgliedern konstruiert. Mit Blick auf die dem Rousseauschen Werk entstandene politisch-praktische Wirkungsgeschichte während der Jakobiner-Diktatur könnte man sagen, dass Rousseau einen kleinbürgerlichen Substitut gegen handels- oder manufakturbürgerliche Citoyen-Typen, die die politische Hegemonie der Bourgeoisie realisieren, entwirft. Dabei muss die Differenz zwischen bestimmten Seiten des vorrevolutionären Selbstverständnisses von Rousseau und seiner objektiven Wirkung unter den revolutionären Bedingungen berücksichtigt werden. Diese Differenz macht allerdings Iring Fetscher zum übergreifenden Angelpunkt seiner Monographie.44 Den Zugang zu diesem Problem der historischen Differenz innerhalb der Einheit von Entwurf des Konzepts, seiner praktischpolitischen Erprobung und damit auch seiner Korrektur auf dem ihm eigenen Boden, gibt Robespierre, wenn er in seiner Rede vom 25. Dezember 1793 ausführt: „Die Theorie der revolutionären Regierung ist so neu, wie die Revolution selbst, aus der diese Regierung entstanden ist. Man darf sie weder in den Büchern der politischen Schriftsteller, die die Revolution nicht haben voraussehen können, noch in den Gesetzbüchern der Tyrannen suchen.“45 Aufgrund der historisch neuartigen revolutionären Handlungsbedingungen legt Robespierre größten Wert auf die Unterscheidung von konzipierter „verfassungsmäßiger“ und jetzt aber „revolutionärer Regierung“, wobei die erstere nur die Republik zu schützen, letztere aber sie erst einmal zu begründen habe.46 Neben Rousseaus dominierenden Hoffnungen hat sein Pessimismus darüber, dass die republikanische Staatsform nicht die europäischen Großmonarchien wird ablösen können, seine Berechtigung. Die unabdingbare Triebkraftrolle kleinbürgerlicher Schichten in den bürgerlichen Revolutionszyklen kann nur unter Ausnahmebedingungen bis zu der Ausübung der Funktion, die Hegemonie der Bourgeoisie übergangsweise substituieren zu müssen, vorangetrieben werden.47 Die revolutionär-praktische Aktivität der kleinbürgerlichen Schichten in den Übergangsepochen vom Feudalismus zum Kapitalismus erlangt in der Jakobiner-Diktatur ihren welthistorischen Höhe- und Umkehrpunkt. Das Kleinbürgertum wird aus seiner Triebkraftfunktion entlassen. Die kleinbürgerlichen Schichten besitzen keine ökonomische Subsumtionskraft und darauf gegründete, letztlich auch politische Hegemonie, die als Alternative zu noch existierenden feudalabsolutistischen und schon kapitalistischen Verhältnissen wirksam werden können. Rousseaus Allgemeinwille hat historisch infolge der sozialen Antagonismen zwischen Privateigentümern und Nicht44 45 46 47

Iring Fetscher, Rousseaus politische Philosophie. Maximilien Robespierre, Reden, S. 58. Ebd., S. 58 f. Da der Citoyen-Standpunkt wesentlich für die Entwicklung der klassischen bürgerlichen Philosophie (im Unterschied zum Standpunkt des Bourgeois) ist, hilft bei der exakteren Fassung dieser Positionen die Auswertung neuerer Ergebnisse der vergleichenden Revolutionsgeschichte, wie sie Manfred Kossok zusammenfassend vorstellt in: „Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit: Forschungsprobleme und Kontroversen“. Die Bestimmung des fraktionellen Charakters der Evolutions- und Reifephasen bourgeoiser Hegemonie und der jeweiligen historischen Hegemoniekombinationen und Hegemoniesubstitutionen eröffnen wichtige Konkretionsmöglichkeiten für die Erklärung des Erkenntnis- und Bewertungshorizontes der betreffenden Philosophie. Ebd., S. 18 ff. Zum Höhepunkt der Entwicklung des Kleinbürgertums und seines unmittelbar darauf erfolgenden Niederganges mit der Perspektive seiner praktischen Vernichtung: Jürgen Kuczynski, Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 34, S. 60.

Zu Rousseaus Begründung des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts

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eigentümern, ausbeutendem Großeigentum und selbstarbeitendem Kleineigentum und den privateigentümerischen Gegensätzen der Bourgeois untereinander, so dass letztere politisch bestenfalls eine abstrakte Gemeinsamkeit gegenüber Nicht-Bourgeois zuwege bringen, keine sozialökonomische Grundlage. Das Fehlen dieser Basis muss, je mehr auf die Realisation der Zielstellungen Wert gelegt wird, umso mehr als politisch-moralisch und moralisch-religiös zu kompensieren heroisch behauptet werden. Die gedankliche Behauptung einer Kompensierbarkeit der sozialökonomischen Basis auf dem Wege der Einheit von Politik und Moral versichert sich ihrer Realisierbarkeit in der historischen Existenz antiker Republiken, interpretiert nach den eigenen Handlungsbedürfnissen. Umgekehrt impliziert diese Einheit von Geschichte und Gegenwart die kolossale Selbsttäuschung, „das antike, realistisch-demokratische Gemeinwesen, welches auf der Grundlage des wirklichen Sklaventums ruhte, mit dem modernen spiritualistisch-demokratischen Repräsentativstaat, welcher auf dem emanzipierten Sklaventum, der bürgerlichen Gesellschaft beruht“48, zu identifizieren. Die sozialökonomisch perspektivlose kleinbürgerliche Einheit von Moral und Politik bedeutet unter revolutionär-praktischen Bedingungen die Behauptung der Kompensierbarkeit des sozial-ökonomisch sich bahnbrechenden Entwicklungstrends auf dem Wege der Einheit von „Tugend und Schrecken“. Robespierre registriert nicht nur die „Stärke“, sondern auch die praktische „Schwäche der Tugend“. „Daß das Wort ‚Eigenthum‘ niemanden erschrecke! Seelen aus Schmutz, die ihr nur das Gold achtet, ich will eure Schätze nicht antasten, auch wenn ihr Ursprung noch so unrein ist.“ Aber die Staatsgewalt wird dafür sorgen, dass Eigentum, „dieser lange Sarg […], den man ein Schiff nennt, in dem Menschen eingepfercht und angekettet sind, die dennoch lebendig erscheinen“, weder „unserer Sicherheit noch unserer Freiheit, noch unserer Existenz, noch dem Eigentum unserer Nächsten Eintrag tun“ wird.49 Die sozialökonomisch wurzellose Tugend zu mobilisieren, bedarf die jakobinische Praxis in Frankreich des religiösen Stützungsversuchs. „Der von Robespierre initiierte ‚Kult des höchsten Wesens‘ ist das Gegenstück zum Terror. Während dieser die Individuen ausgliedert, die sich konterrevolutionär und damit unmoralisch verhalten, soll jener das einigende Band republikanischer Tugend fester knüpfen.“ Der neue Kult ist „nicht einfach Restauration der Religion“.50 Der, von revolutionshistorischen Übergangsbedingungen abgesehen, allgemeine Realitätsmangel des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts von Rousseau wird besonders deutlich bei der Bedeutung des über die sozialen Partikularinteressen erhabenen weisen Gesetzgebers, der „zu einer Vermittlung des Himmels Zuflucht“51 nehmen muss. Dieses Politische lebt von der exponierten Bedeutung der Tugend als heroischer Selbstkontrolle der Regierung und aller Staatsbürger. Es braucht als Wende in der Not eine staatsbürgerliche Religion, die ein wirksames Band der politisch-moralischen Einheit des Volkes zu48

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K. Marx/F. Engels, Die heilige Familie, MEW 2, S. 128 f. Zum Zusammenhang zwischen dem illusionären Charakter der weltgeschichtlichen Totenbeschwörung und den praktischen Bedürfnissen der bürgerlichen Umwälzung sowie den Entwicklungsetappen dieses Zusammenhangs siehe Wolfgang Heise, Zur Krise des Klassizismus in Deutschland. Robespierre, Reden, S. 70 u. S. 47. Vgl. J. J. Rousseau, Frühe Schriften. S. 188 ff. B. Burmeister, Die politischen Theorien der Aufklärung u. die Revolution. In: Französische Aufklärung, S. 655 f. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, S. 74.

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stande bringen soll. Es kann sich schließlich die eigenen kleinbürgerlichen Interessen erst durch die welthistorische Beschwörung der toten, nicht wieder erweckbaren antiken Republik als realisierbar vorstellen. Hegel folgt immer wieder der Annahme gerade dieser Vermittlungsglieder und sucht, die Realisierbarkeit vor allem der beiden letzteren passim zu begründen. – Da die hier relevanten Elemente der Rousseauschen Weltanschauung bekannt und in der Sekundärliteratur dargestellt sind, kommt Hegel im folgenden zunächst en bloc zu Worte und wird dann im Ganzen am vorgeschlagenen Begriff des Rousseauschen Konzepts bewertet.

1.4 Hegels Teilnahme an Rousseaus Konzept Eignet sich Hegel über die Notwendigkeit einer republikanischen Staatsreligion das Gesamtkonzept des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts an? In welchem Verhältnis steht der frühe Hegel über die Aneignung des Rousseauschen Gesamtkonzepts zur revolutionären Praxis in Frankreich? Stößt Hegel von einer konzeptionellen Teilnahme an den heroischen Erwartungen der kleinbürgerlich-revolutionären Aktivität vor zu politischpraktischen Einsichten in den französischen Revolutionsprozess? Da „Geist des Volks, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit desselben sich weder nach ihrem Einfluß aufeinander, noch nach ihrer Beschaffenheit abgesondert betrachten“ lassen, den Geist des Volkes zu bilden aber „zum Teil auch Sache der Volksreligion, zum Teil der politischen Verhältnisse“ (42) ist, und die Religion, die Gesinnungen hervorbringt, „welche kein Objekt bürgerlicher Gesetze sein“ können, „vorzüglich dieses Mittel“ ist, das „Zutrauen“ der Bürger zum Staat zu erwecken (137), ist jede religionshistorische Fragestellung Hegels zugleich eine politisch-historische Fragestellung. Die theoretische Einheit beider Untersuchungsarten wird vom frühen Hegel in der Verbindung der Geschichtsphilosophie (im Geiste Rousseaus und Herders) mit den kategorialen Formen der praktischen Philosophie von Kant und ab 1795 von Fichte und Schelling unsicher gesucht. In der christlich-religiösen Praxis herrscht „eine Art von Zwangsrecht“. Einem „Herrn auf Erden kann der Sklave hoffen sich zu entziehen, sich aus dem Kreise seiner Macht herauszuziehen; aber nicht so Gott: nähme er Flügel der Morgenröte, so bist du da; verkröche er sich in das unterste Meer, so bist du auch da“. Dabei handelt es sich nicht einfach um Priesterbetrug. Wer eine solche Übermacht auch „über seinen Geist, über den ganzen Umfang seines Seins anerkennt, der kann sich einem positiven Glauben nicht entziehen“. (191 f.) Wie die Theologie dieser Religionspraxis entsprechend begründet, dass „der Mensch von einem Wesen außer ihm abhängig sei“, hat sogar die Vernunft selbst ihren vollständigen Selbstbestimmungsanspruch fallen gelassen: „Wie kommt in dem besonders in neueren Zeiten berühmt gewordenen und bei allen Völkern vorkommenden Postulate der Harmonie der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit die Vernunft zu einer Forderung an etwas, das sie in dieser Rücksicht als von sich unabhängig, unbestimmbar anerkennt?“ (195) Hier ringt Hegel mit dem Grundproblem der Praktischen Philosophie Kants, der Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Sittengesetz und der Glückseligkeit. „Die Objektivität der Gottheit ist mit der Verdorbenheit und Sklaverei der Menschen in gleichem Schritte gegangen, und jene ist eigentlich nur eine Offenbarung,

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nur eine Erscheinung dieses Geistes der Zeiten.“ Die „Natur des Menschen“ selbst hat sich verkehrt. Dass Gott als Nicht-Ich wirkt, gründet darin, dass „der Mensch selbst ein Nicht-Ich“ wurde. (211 f.) Wie hier sichtbar wird, nimmt Hegel 1795/96 philosophische Bestimmungen Fichtes zur Begründung seines Anliegens auf. Die Wiederbelebung der Antike ist angesichts ihres Unterganges nicht unproblematisch. „Glückliche Kriege, Vermehrung des Reichtums und Bekanntschaft mit mehreren Bequemlichkeiten des Lebens und mit Luxus erzeugten in Athen und Rom eine Aristokratie des Kriegsruhms und des Reichtums.“ Bald wurde die diesen Männern „frei eingeräumte Übermacht mit Gewalt behauptet […]. Das Bild des Staates als ein Produkt seiner Tätigkeit verschwand aus der Seele des Bürgers.“ Einer „geringen Anzahl von Bürgern“ kam die „Regierung der Staatsmaschine“ zu, die anderen Bürger „dienten nur als einzelne Räder“, jeder an einem von „des anderen verschiedenen Platz“: In dem „zerstückelten Ganzen“ schreibt Hegel, Schillersche Formulierungen mit Rousseau verwendend,52 arbeitete „jeder für sich oder gezwungen für einen anderen Einzelnen. Die Freiheit, selbstgegebenen Gesetzen zu gehorchen, selbst gewählten Obrigkeiten im Frieden und Heerführern zu folgen, selbst mitbeschlossene Pläne auszuführen, fiel hinweg; alle politische Freiheit fiel hinweg; das Recht des Bürgers gab nur ein Recht an Sicherheit des Eigentums, das jetzt seine ganze Welt ausfüllte; die Erscheinung, die ihm das ganze Gewebe seiner Zwecke, die Tätigkeit seines ganzen Lebens niederrieß, der Tod, mußte ihm etwas Schreckliches sein, denn ihn überlebte nichts; den Republikaner hingegen überlebte die Republik, und ihm schwebte der Gedanke vor, daß sie, seine Seele, etwas Ewiges sei.“ (205 f.) Die Wiederbelebungsversuche des Christentums stellen ebenfalls ein Problem dar, das seiner Positivität. „Mit redlichem Herzen und einem gut meinenden Eifer flüchtete sich das kraftlose Geschlecht zu dem Altar, auf dem es Selbständigkeit und Moralität fand und anbetete. Als aber das Christentum in die verdorbenere, vornehmere Klasse eindrang, als in seinem Innern selbst große Unterschiede von Vornehm und Gering entstanden, als der Despotismus alle Quellen des Lebens und Seins immer mehr vergiftete, legte das Zeitalter die ganze Unbedeutsamkeit seines Wesens durch die Wendung dar, die seine Begriffe von der Göttlichkeit Gottes und seine Streitigkeiten darüber nahmen, und es zeigte seine Blöße umso unverhüllter, da es sie mit dem Nimbus der Helligkeit umgab und sie als die höchste Ehre der Menschheit hochpries.“ (210) „Diese Erniedrigung der menschlichen Natur erlaubt es uns […] nicht, in tugendhaften Menschen uns selbst wiederzuerkennen, – für ein solches Ideal, das uns Bild der Tugend wäre, bedurfte es eines Gottmenschen.“ (97) Dem ohnmächtigen Menschen der Gegenwart setzt Hegel den Republikaner entgegen, der sich „einen Zweck des Daseins gesetzt hat, indem sich die Glückseligkeit nicht findet, der hat einen Zweck, dessen Realisierung ganz von ihm abhängt und also keiner fremden Beihilfe bedarf“. (196, 99, 205) Das Modell für Fichtes Ich wird bei Hegel stellenweise der bis zu seiner tödlichen Selbstaufopferung kämpfende Republikaner. Hegel, auch anknüpfend an die stürmisch drängenden Selbsthelfer, reicht nicht, wenn ein römischer Sklave es dem großen Jupiter gleichzutun gedenkt: „Wenn der große Jupiter solches tat, warum sollte ich kleiner Mensch nicht desgleichen tun?“ Hegel solidarisiert sich mit 52

Vgl. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Dritter Brief (Horen 1795).

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jenen Zuhörern des Ausspruches, denen, das „Selbständige in ihrem eigenen Busen“, dieser Ausspruch „seltsam und lächerlich“ vorkommt, „da ihnen das Prinzip, was der Mensch zu tun habe, in den Göttern zu finden, ganz unbekannt ist“. (207) In Anklang an Rousseaus Erklärung der Verweichlichung im Voranschreiten der bürgerlichen Zivilisation sieht Hegel die Notwendigkeit von Kriegsdiensten, um die Vernunftideale zu verwirklichen, die dem Ballast des Bürgervolks entgegenstehen, dem Eigentum, woraus „notwendig auch Abneigung gegen Kriegsdienste“ hervorgeht. Gilt als Zweck „Eigentum und Genuß“, so wird die höchste republikanische Tugend, der Tod fürs Gemeinwesen, „etwas Lächerliches“ (213). Ebenfalls in Anklang an Rousseau stellt Hegel, ist die Möglichkeit republikanischer Tätigkeit nicht gegeben, die Ersatzbefriedigung fest, daß an die Stelle der Liebe und sich aufopfernden Tätigkeit fürs republikanische Vaterland der Rückzug auf eine sich selbst genügsame privatime Liebe zu einer Frau tritt. (437)53 Eingedenk der Tatsache, daß in den Staaten der neueren Zeit die „Sicherheit des Eigentums die Angel (ist), um die sich die ganze Gesetzgebung dreht“, wäre es, nach dem Berner Hegel, „eine wichtige Untersuchung, wieviel von dem strengen Eigentumsrecht der dauerhaften Form einer Republik aufgeopfert werden müßte. Man hat dem System des Sansculottismus in Frankreich vielleicht unrecht getan, wenn man die Quelle der durch dasselbe beabsichtigten größeren Gleichheit des Eigentums allein in der Raubgier suchte.“ (439) Denn die Ungleichheit des Eigentums ist „auch der freiesten Form der Verfassung gefährlich“ und dazu imstande, „die Freiheit selbst zu zerstören“. (Ebd.) Aber bei großen historischen Veränderungen, die erst über Jahrhunderte hinweg Bedürfnis einer ganzen Nation werden, war „das Volk gewöhnlich mit einem Stoße zufrieden, ließ sich dann das Heft bald wieder aus den Händen winden, wodurch gewöhnlich weiterer Fortgang […] unmöglich gemacht“ wurde (89). Selbst wenn eine große Republik augenblicklich hergestellt worden ist, wie kann sie dauerhaft gestaltet werden, da auch in ihr das Wir eingeschränkt bleibt, nicht wie in der „Volksversammlung eines kleinen Freistaats“ das Wir der Bürger „völlige Wahrheit“ hat. Hegel greift Rousseaus bekanntes Realisationsproblem der Volkssouveränität auf: „Das Wir ist denen, die es aussprechen, immer umso fremder, je größer die Menge ihrer Mitbürger ist. Der Anteil jedes Einzelnen an einer Tat ist so gering, daß er von ihr als seiner Tat fast gar nicht sprechen kann […]. Ein freies großes Volk ist daher insofern ein Widerspruch in sich selbst.“ (433) Wie es sich im historischen Gesamtprozess verhält, wenn das Volk das Heft wieder aus den Händen verliert, so für Hegel in der Geschichte der Religionssysteme. Hegel entwirft sein Projekt einer „Volksreligion“ für ein „solches Volk“, welches „um nicht durch seine Empfindung einer Klasse von Menschen das Heft seiner Abhängigkeit in die Hände zu geben, seine Feste selbst anordnen, seine Spenden selbst verwenden“ wird. 53

Ebd. schreibt Hegel: Wenn „ein edler junger Mann eben diesem Aristides mit allem Feuer der Einbildungskraft […] die Schönheit seines geliebten Gegenstandes malte […] wie es das einzige Interesse seines Lebens sei, für ihn zu arbeiten, zu atmen […] würde Aristides, der nicht wüßte, wem all dieser Aufwand von Empfindungen, Taten, Begeisterung gewidmet sei, nicht etwa auf folgende Art gegenreden: […] ich kenne sonst wohl Griechen, die mehr taten, höher begeistert waren (als ich: H.-P. K.), aber ich kenne keinen, der zu dieser Höhe der Empfindung der Selbstverleugnung gekommen wäre, auf der Ihr steht. Und welches war der Gegenstand dieses Eures hohen Lebens? Er muß unendlich größer, würdiger sein als das Höchste, was ich denken konnte, größer als Vaterland und Freiheit!“

Hegels Teilnahme an Rousseaus Konzept

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Wenn „durch einheimische Anstalten sein Sinn beschäftigt, seine Einbildungskraft etonniert (frappiert), sein Herz gerührt und seine Vernunft befriedigt wird, so wird sein Geist kein Bedürfnis fühlen […], die Ohren alle sieben Tage Phrasen und Bildern zu leihen, die nur vor einigen tausend Jahren in Syrien verständlich und an ihrem Platze waren“. (58) Dem steht allerdings der Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion entgegen: „Wie im bürgerlichen Staat eine einzelne Gemeinschaft das Recht, ihre Verwalter, Einnehmer der Einkünfte […] selbst zu wählen“, verloren hat, „so hat auch jede einzelne christliche Gemeine das Recht verloren, ihre Seelenhirten selbst zu wählen, und überläßt dies dem geistlichen Staate.“ Die „allgemeingewordene christliche Kirche“ ist „jetzt die allgemeine (Kirche) in einem (bürgerlichen) Staate“ und bildet selbst „einen Staat aus“. Beides bedingt einander (144).54 Wie das Volk „das Recht, das es mehrere Jahrhunderte hatte, seine Repräsentanten und Beamten selbst zu wählen, längst verloren“ hat, wählt es auch nicht mehr seine religiösen Hirten. Letztere haben sich in Beamte des Kirchenstaats verwandelt, „die wieder von Beamten oder zum Teil von einem von dem Volke gleichfalls unabhängigen Korps ernannt werden“. Alle Beamten zusammen „bilden eine in sich vollendete Organisation, die den Glauben des Volks, der Laien handhabt, bestimmt und regiert, ohne daß diesen der geringste Einfluß mehr dabei gestattet sei“. (161) Wovon lebt dieser Beamtenapparat? Er lebt, indem er „die andere Hälfte der Menschen zu Bettlern machte“ (126). Hegel interessiert die „kirchliche Gesellschaft“ nicht nur „in Rücksicht auf Glauben“ und als eigene Staatsbildung, sondern auch in Rücksicht „auf Eigentum“ (154). Hegel kritisiert die Staatswerdung und die „Bereicherung der Klöster, Geistlichen und Kirchen“ (126) aufs Schärfste: „Dieser Gang der Dinge in Ansehung des Eigentums einer Kirche (zu parasitärer Bereicherungssucht und weltlicher Macht – H.-P. K.) zeigte sich bei der ersten Verbreitung der christlichen Kirche und bei der Ausbreitung jeder neuen Sekte in dieser Kirche selbst.“ (154) Die dadurch entstehenden, einander entgegen gesetzten Rechtsansprüche der Kirchen auf Eigentum fallen in die Kompetenz weltlicher Klärung, da sich die Kirchen selbst weltlich, nicht nur religiös verhalten. Sie können „nicht anders als durch Gewalt oder durchs Staatsrecht geschlichtet werden“. (155). Dagegen müssen die Mittel der Religionsausübung „ein Eigentum der Gemeinden, des Volkes überhaupt, nicht des Staats“ (152), weder des kirchlichen noch eines weltlichen Staats, werden. Gleichwohl, trotz und wegen des „Zirkels“ (144) zwischen Staat und Kirche, hält Hegel dagegen: In dem „Jetzt“, insofern es revolutionär aufbricht, wo „moralische Ideen in dem Menschen Platz greifen können“, die bequemlichen Lebensgüter im Wert sinken, „Verfassungen, die nur Leben und Eigentum garantieren nimmer für die besten gehalten“ werden, „der ganze ängstliche Apparat, das künstliche System von Triebfedern und Trostgründen, worin so viele tausend Schwache ihr Labsal finden, entbehrlicher“ (101) wird, erhält die von Hegel erstrebte Religion eine eigene, wahre, selbständige Würde mit der Funktion, zu sichern, „daß sich das Volk nicht wegwirft und nicht wegwerfen läßt“. (12) Die „untrennbare Verbindung von religiöser und staatlich-politischer Problematik“ beim frühen Hegel wurde mehr und mehr anerkannt, wenngleich es schwer fällt, diese Verbin54

Vgl. zu diesem Zusammenhang, der insbesondere von Semler dargestellt worden war, in dessen Verständnis sich die christlichen Gläubigen in der Kirche wie Bürger im Staat verhalten, Trutz Rendtorff, Christentum, Christentum im Spannungsfeld der kirchlichen und politischen Institutionen. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 779 f.

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dung historisch im „Begriff“ zu erfassen.55 Sie gründet gleichermaßen einerseits in der direkten feudalabsolutistischen Einheit von staatlich-politischen und kirchlich-religiösen Verhältnissen als dem Gegenstand Hegelscher Kritik und andererseits in der von Hegel anvisierten kleinbürgerlich-republikanischen, auch direkten Einheit dieser gesellschaftlichen Sphären statt der bloßen Trennung von Staat und Kirche.56 Rousseaus Bedeutung gehört nicht, wie bei Herbert Scheit, in eine Anmerkung, („Wahrscheinlich wurde Hegel zu dieser Konzeption durch Rousseaus ‚religion civile‘ angeregt, […]“)57, sondern liefert den gesuchten Schlüssel. Hegel selbst wird in seiner Darstellung der Korrespondenz zwischen Staats- und Kirchenentwicklung mehr als deutlich. Den „Souverän, dessen Wille als Ausdruck des Willens aller“ nicht nur „angesehen wird“ (144 f.), „die Versammlung aus Repräsentanten, die es nicht bloß dem Namen, sondern auch der Tat nach sind“ (161), „welche Konstitution man eine reine Demokratie nennen könnte“, eine „solche repräsentative Republik“ (162) stellt Hegel der „Monarchie“ oder „Aristokratie“ entgegen, in denen die Rechte des Volkes „in beiden Fällen gleich groß, gleich Null“ sind. „Über die Rechtmäßigkeit einer solchen Regierung, einer solchen Verfassung in Glaubenssachen ein Wort zu verlieren, wäre völlig unnütz.“ (163) So sehr sich „alle Seiten menschlicher Kräfte“ durchschlingen, die Frage ihres Zusammenhangs muss vom Zeitalter und nicht von der Religion aus gestellt werden: „wie muß das Zeitalter beschaffen gewesen sein, daß Wunder“ der Religion, jeweils diese oder jene, „möglich wurden.“ (203 f.) Statt eine der Republik alternative Staatsform zu begründen, ist vielmehr noch Hegels Problem, eine der republikanischen Staatsform „korrespondierende“ Organisationsform der „Volksreligion“ zu begründen. Innerhalb dieses einheitlichen Gesichtspunktes der republikanischen Aktivität des Volkes im historisch-politischen Prozess und der dafür erforderlichen Religionspraxis unterscheidet Hegel zwischen politischer und religiöser Aktivität, so daß bestimmte, in der politischen Sphäre zweckmäßige Organisationsformen nicht auf das Religionssystem übertragen werden dürfen, da dessen spezifisch-moralische Wirkungsmöglichkeiten dann vertan werden. Wie die „moralische oder religiöse Gesellschaft“ nicht „zum Staat-Werden“ darf, darf der Staat seine Prinzipien, die ihm aus seinen Objekten des „Lebens und des Eigentums der Bürger“ erwachsen, nicht auf die Glaubenssphäre übertragen. (134 ff. u. 149 ff.) So können zwar Mittel der Religionsausübung, wie „die errichteten Gebäude, die bestimmten Besoldungen und Einkünfte der Lehrer“ (152), Eigentum des Volks sein, im außerreligiösen gesellschaftlichen Bereich aber eine „Gütergemeinschaft“ verwirklichen zu wollen, ist aussichtslos (126 f.). Oder: „Da der Gegenstand der Kirche (im Gegensatz zum Staat: H. P. K.) nicht Person und Eigentum, die fähig sind, daß Gewalt, um sie zu beschützen, gebraucht werden kann, sondern Meinung und Glauben ist“, muss jede Form von Gewalt in der religiösen Sphäre ausgeschlossen sein. Daraus kann nicht, da Hegel innerhalb der zu verwirklichenden kleinbürgerlich-republikanischen Ein55 56

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H. Scheit, Geist und Gemeinde, S. 14. Vgl. G. Schilfert, Die welthistorische Stellung der bürgerlichen Revolutionen des 16.–18. Jh. und ihre Auswirkungen auf die deutschen Territorien, S. 1444, 1449, 1456. Zur revolutionären Bedeutung der kleinbürgerlich-bäuerliche Schichten organisierenden Religionsformen (Calvinismus, Puritanismus) und des linkspuritanischen Einflusses auf deutsche Sekten (Pietismus). Vgl. auch ders., Die Revolutionen beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus, S. 174–179. H. Scheit, Geist und Gemeinde, S. 28.

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heit auf die Spezifik der Wirkungsmöglichkeiten jeder gesellschaftlichen Sphäre dringt, auf das Umgekehrte geschlossen werden. So ist auch die Organisationsform der „repräsentativen Republik“, „daß es Pflicht sei, sich der Mehrheit der Stimmen zu unterwerfen“ (162), auf die religiösen Glaubensprobleme nicht übertragbar. Deshalb ist Hegel nicht gegen echte Repräsentanten in Glaubenssachen, „die wirklich von den Gemeinen als solche gewählt worden sind“, aber mit der wesentlichen Modifikation, dass „ihnen keine andere Vollmacht mitgegeben werden (kann) als eine Erklärung, was der Glaube der Gemeinde sei und welche Artikel sie als die Hauptpunkte, als die Bedingungen ansehe, unter deren Gleichheit, allein sie sich mit anderen Gemeinen als einer Kirche zugetan ansehen wolle“ (161). Auch in der protestantischen Kirche gingen die „Repräsentanten“ bald wieder dazu über, „ihre Vollmacht als ausgedehnter zu betrachten“ und „Laien“ hinzuzuziehen, „die als Gewalthabende nötig waren, diesen Büchern die hinlängliche Autorität zu verschaffen und zu sichern“. (164) Nach welchem Muster soll die republikanische Volksreligion „gestiftet“ werden? Nach dem „heidnischen“ Muster der Religion „freier Völker“, d. h. der Griechen und Römer z. Z. ihrer Republiken (204). Die Griechen, verdeutlicht Hegel anhand Lykurgs, „waren eine freie Nation, die selbst von keinem Gotte sich Gesetze geben ließen. Dieser Beweggrund, die Bestätigung durch die Gottheit, war ihnen fremd“. (434) Statt Jesus den Sokrates als „Spiegel“, „Muster“ aufstellen zu können, erhofft Hegel vom historischen Prozess. „War nicht Sokrates ein Mensch mit nicht mehr Kräften als wir, […]? Was kostete Christum die Hilfe, die er Kranken reichte? – ein Wort. Mit göttlicher Kraft versehen […].“ (82) In den Bildern vom Tode erscheint der völlige Gegensatz zwischen griechischen Heiden und Christen: „bei diesen ein schöner Genius, der Bruder des Schlafs, […], bei uns der Knochenmann, dessen grauser Schädel aber allen Särgen paradiert. Der Tod erinnerte sie an den Genuß des Lebens, uns daran, es uns zu entleiden; er war ihnen Geruch zum Leben, uns zum Tode.“ (69) Der Griechen „Götter herrschten im Reiche der Natur, über alles, wodurch Menschen leiden oder glücklich sein können […]. Diesen Herrschern der Natur, dieser Macht selbst konnte der Mensch sich selbst, seine Freiheit entgegensetzen, wenn er mit ihnen in Kollision kam.“ (205) Worin bestand der soziale Nährboden dieser Religionspraxis? „Als freie Menschen gehorchten sie Gesetzen, die sie sich selbst gegeben, gehorchten sie Menschen, die sie selbst zu ihren Oberen gesetzt, führten sie Kriege, die sie selbst beschlossen hatten, gaben ihr Eigentum, ihre Leidenschaften hin, opferten sie tausend Leben für eine Sache, welche die ihrige war, – lehrten und lernten nicht, aber übten Tugendmaximen durch Handlungen aus, die sie ganz ihr eigen nennen konnten; im öffentlichen wie im Privat- und häuslichen Leben war jeder ein freier Mann, jeder lebte nach eigenen Gesetzen.“ (204 f.)58 Diese welthistorische Totenbeschwörung hat die von Fichte an Rousseaus Naturzustand festgestellte Funktion: „Ihm ist Rückkehr Fortgang“.59 Der Berner Hegel produziert die allgemeine heroische Selbsttäuschung der jakobinischen Praxis in Frankreich, der entstehenden modernen bürgerlichen Gesellschaft eine

58 59

Vgl. zum illusionären Charakter des antiken Musters und den sozialökonomischen Voraussetzungen dieser Totenbeschwörung W. Heise, Zur Krise des Klassizismus in Deutschland. Fichte, Von den Pflichten der Gelehrten, S. 45.

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antik-republikanische Staatsform60 aufpfropfen zu können, als die religionshistorische Selbsttäuschung, die nicht dauerhaft aufzusetzende antik-republikanische Staatsform durch eine republikanische Volksreligion nach antikem Muster dauerhaft stützen zu können. Hegel teilt das von Rousseau begründete Konzept des kleinbürgerlichen CitoyenSubstituts. Ihm sind die wesentlichen Realisationsprobleme dieses Konzepts auf dem Boden dieses Konzepts bewusst. Hegels Aneignung dieses Konzepts war durch seine parallele Aneignung der Aufklärung Herders und Lessings vorbereitet, die sich „der Tendenz nach“ der kleinbürgerlichen Position anschlossen, welche „Rousseau prägnant aussprach“.61 Wie G. Lukács bereits angenommen hatte62 und J. D’Hondt gezeigt hat,63 nahm Hegel auch eine direkte Beeinflussung seitens der Französischen Revolutionsliteratur, insbesondere über die religiösen Stützungsversuche der Französischen Revolution, auf. Der frühe Hegel ist von der Idee eines politisch-moralischen Sich-Selbst-Feierns des republikanischen Volks vermittels republikanischer Staatsreligion begeistert. „Diese Helden (d. h. „die Stifter oder Befreier der Staaten“ nun „freier Völker“) leben nicht isoliert, allein in der Phantasie der Völker; ihre Geschichte, die Erinnerung ihrer Taten ist an öffentliche Feste, Nationalspiele, an manche innere Einrichtung oder äußerliche Verhältnisse des Staats, an wohlbekannte Häuser und Gegenden, an öffentliche Tempel und andere Denkmäler geknüpft.“ (197) Robespierres „Über die Nationalfestspiele der Franzosen“ war 1794 in Altona erschienen. Archenholz, Begründer und Leiter der von Hegel gelesenen „Minerva“, ebenda 1792 Kommentator der republikanischen Nationalfeste Frankreichs,64 gab 1795 in Hamburg nicht nur „Robespierres letzte Rede“ heraus, sondern 1796 in der „Minerva“ auch Texte Babeufs. Oelsner, wichtiger Autor der „Minerva“ und Bekannter Babeufs, traf Ende 1794 mit Hegel in Bern zusammen.65 Hegels oben zitiertes Sansculottismus-Fragment gehört in diesen Kontext und zeigt zudem, dass Hegel in der Lage ist, unabhängig von Archenholz, der den Sansculotten-Pöbel beschimpft und durch diesen das Nationalfest vom 15. 4. 1792 zum Pöbelfest unter Anleitung von Demagogen herabgesetzt findet, Bewertungen zu treffen. Hegels republikanische Position kulminiert bezeichnenderweise 1795/96, nachdem die jakobinische Praxis bereits gescheitert ist. So eng über Rousseau ein konzeptioneller Bezug Hegels zum Höhepunkt der Französischen Revolution nach und nach entsteht, so aussichtslos ist jedes Bemühen, Hegels Position hinsichtlich der inneren Differenzierung der französischen revolutionären Kräfte politisch und nicht auf nur konzeptionell zu bewerten. Diese Aussichtslosigkeit kann in ihrer allgemeineren Natur, das grundsätzliche Entwicklungsgefälle zwischen Frankreich und Deutschland betreffend, am besten an dem 60 61 62 63 64

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Siehe K. Marx/F. Engels, Die heilige Familie, MEW Bd. 2.S. 129. A. Liepert, Parallelen in der Staatsauffassung Lessings und Herders, S. 1251. Vgl. G. Lukács, Der junge Hegel, S. 43 ff. J. D’Hondt, Verborgene Quellen Hegelschen Denkens, S. 47 ff. Siehe „Minerva“, Bd. 2, Berlin 1792, Bd. 3, Hamburg 1792. Vgl. zu Archenholz’ Augenzeugenbericht Heinz Stolpe, Die Mobilisierung „vaterländischer Tugenden durch die Kunst der Nationalfeste“, S. 310 ff. Vgl. zur Kunst der Nationalfeste die Materialsammlung von Katharina Scheinfuß, Von Brutus zu Marat, S. 90–116. D’Hondt, Geheime Quellen… S. 11 ff. Siehe Hegels Brief an Schelling. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 11 f.

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in die welthistorisch revolutionäre Praxis hineingeworfenen Georg Forster verdeutlicht werden. Kein geringerer als eben Forster, der die revolutionär-praktischen Handlungsmöglichkeiten auf dem linksrheinischen „Tropfen“ der deutschen Länder zu verwirklichen hoffte, schreibt, dass die Mainzer Revolutionäre „noch zu jung hier (sind), um die Unterabteilungen der Parteien (Frankreichs: H.-P. K.) zu kennen“.66 Forster muss sich vor, an den unterentwickelten deutschen Verhältnissen gemessen, progressiven Intellektuellen (wie Archenholz und Voß) dafür verteidigen, nicht nur „geschrieben, sondern auch zu rechter Zeit für das Bedürfnis der Gegenwart gewirkt“ zu haben, „und daß man darum nicht aufgehört habe, Mensch und Bürger zu sein, weil man Schriftsteller war und es wieder werden kann“.67 Und obgleich Forster daraufhin, dass ihn Berliner Gelehrte „verabscheuungswert“ nannten, „nun ich nach den Grundsätzen wirklich zu Werke gehe, die sie auf meinem Papier ihres Beifalls würdigten“, ruhig kontert: „Das muß man geschehen lassen“68, so gesteht er doch auch aus Mainz an seinen Freund Huber: „Ich bin hier ganz allein.“69 Heinrich Scheel hebt hervor, dass noch nicht einmal auf die Mainzer Republik, die die herausragende, aber „exzeptionelle Situation“ für die deutschen Länder blieb, noch weniger auf andere deutsche Landstriche, die französischen politischen Bewertungen einfach übertragbar sind.70 Georg Forster besaß ein deutliches Bewusstsein über das Entwicklungsgefälle zwischen Frankreich und Deutschland, das in seiner politischen Klarheit Hegel völlig abgeht und ihm erst ab 1796, wie noch zu zeigen sein wird, dämmert. In seinen unvollendeten „Parisischen Umrissen“ (1793) schreibt Forster: „Die Reihe ist jetzt nicht an Deutschland, durch eine Revolution erschüttert zu werden; es hat die Unkosten der lutherischen Reformation getragen, so wie Holland und England, jedes zu seiner Zeit, den Schritt, den sie zur sittlichen und bürgerlichen Freiheit vorwärts thaten, mit einem blutigen Jahrhundert haben erkaufen müssen. Jetzt gilt es uns (Franzosen), und ich wünschte so herzlich, Ihr (Deutsche) möchtet Euch an unserem Feuer wärmen, und nicht verbrennen!“71 Hegel ist unfähig, das von ihm geteilte Konzept unter politisch-praktischem Aspekt mit bestimmten Parteien in Frankreich zu identifizieren. Bei all seinem stürmisch drängenden Beharren auf Realisation der Rousseauschen Konzeption gegenüber jenen, die im Horizont der vorrevolutionären moralisierenden Aufklärung befangen bleiben oder die Verselbständigung der philosophischen und künstlerischen Produktion betreiben, kämpft er objektiv um Verwirklichung des Anspruches innerhalb des Konzeptionellen selbst. Nach konkreter politischer Parteinahme befragt, schweigt Hegel, und dieses dem prin66 67 68 69 70

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Georg Forster an seine Frau am 29.12.92. Zitiert nach Scheel, Einleitung. In: Die Mainzer Republik I, Berlin 1975, S. 23 f. Forster an Therese am 31.12.92. Werke, Bd. 4, S. 814. Ders. an Therese am 2. 1.93. Ebd., S. 818. Ders. an Huber am 23.12.92. Ebd., S. 811. Heinrich Scheel, Einleitung. In: Die Mainzer Republik I, Berlin 1975, S. 23 f. Wie schwer das moralisch gesinnungsreine Potential der deutschen Aufklärung sich tut, die diesem abverlangte Bewährungsprobe unter den revolutionären Ausnahmebedingungen in Mainz schließlich doch zu bestehen, siehe bei Heinrich Scheel, Die Begegnung deutscher Aufklärer mit der Revolution, S. 39–55. Georg Forster, Parisische Umrisse. Erschienen 1794 in Berlin. In: Werke, Bd. 3 S. 738 f.

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zipiellen Mangel an innerfranzösischen politisch-praktischen Bewertungskriterien geschuldete Schweigen hat die Interpretation als bestimmend hervorzuheben, statt auf diesen oder jenen assoziationsreichen fragmentarischen Satz zu bauen. Fällt bei Hegel eine französische Parteinahme auf, so im Kontext eines Realisationsproblems des Konzeptes überhaupt. Das o. g. Sansculotten-Fragment oder das u. g. Fragment über den Volksaufstand ermöglichen keine sinnvolle politische Themenstellung, etwa derart: Hegel und die Sansculotten oder Jakobiner. Auch der viel zitierte Satz von der „Schändlichkeit der Robespierroten“72, enthalten in dem Brief an Schelling vom 24.12.1794, besagt unter dem Aspekt einer innerhalb der Französischen Revolution politisch differenzieren könnenden Bewertung nichts. Im Kontext mit den übrigen Schriften Hegels gesehen, kann von einer nur abstrakt moralisierenden Ablehnung revolutionärer Gewalt keine Rede sein. Auf Hegels deutliches Bewusstsein der Unterscheidung von staatlicher und religiöser Sphäre, wobei die staatliche Sphäre Gewaltanwendung erheischen kann, wurde hier schon eingegangen. Außerdem ist die Infragestellung der Hegelschen Autorschaft jenes Fragments, aus dem im Folgenden zitiert wird, durch sachverständige Gutachten entkräftet worden.73 Dieses Hegel bewegende Problem, dass das Volk das Heft in seinen Händen halten muss, begegnet uns auch in dem französischen, an Germanismen reichen Text. „In der Monarchie wird das Volk nur für den Augenblick des Kampfes zur aktiven Kraft“. Dem stellt Hegel das „Volk, das sich selbst bewaffnet“, gegenüber. „Das Befehlswort ist hier die Freiheit, der Feind die Tyrannei, der Oberbefehlshaber eine Staatsverfassung, die Unterordnung der Gehorsam gegenüber den Volksvertretern. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen der Passivität des rein militärischen Gehorsams und dem Schwung eines Volksaufstandes […] Diese Kraftanstrengungen sind der Genuß der Freiheit, und Ihr wollt, daß sie (die heilige Flamme: H.-P. K.) darauf verzichtet? Diese Bemühungen, diese Aktivität für die Sache der Allgemeinheit, dieses Interesse, all das ist die treibende Kraft, und Ihr wollt, daß das Volk sich wieder der Tatenlosigkeit und Langeweile hingibt?“ In diesem Fragment wird die Funktion des Religionsprojektes des frühen Hegel nicht unter normalen, ruhigen Bedingungen, sondern „für den Augenblick des Kampfes“, während des vom Rousseauschen Konzept gerechtfertigten „Volksaufstandes“ deutlich: „Das ist jene heilige Flamme, die alle Nerven belebt, und für sie, um sie zu verspüren, beleben sie (die aufständischen Volksangehörigen: H.-P. K.) sich.“74 Hegel, der, wie erwähnt, Luther vorwirft, nicht die Kirchengewalt gegen die Fürstengewalt mobilisiert zu haben, ist über den o. g. Standpunkt der Kritiker Forsters prinzipiell hinaus, nämlich, dass historisch gewaltsames „Unheil nicht geschehen wäre, wenn zum Glücke der Menschheit doch nur ihre Kompendien schon wären herausgewesen.“ (59) Eine im Sinne Schillers ästhetisch moralisierende Kritik am Terror findet sich bei Hegel nicht. Gegen den Despotismus gewandt, unterstützt Hegel die Forderung nach Öffentlichkeit der Todesstrafe, dass dieser nicht „im Dunkeln ungescheuter morden“ kann, „als er es öffentlich wagen darf“. So wird einstweilen eine öffentliche Rechtfertigung des Gerichts „in den Augen des Volks“ wenigstens vor der Hinrichtung erreicht. Dagegen wäre freilich besser, wenn ein „vom Volke aus seiner Mitte erwähltes Gericht“ Recht 72 73 74

Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 12. Siehe G. Schüler, S. 158. Deutsche Übersetzung zitiert nach Lukács, Der junge Hegel, S. 76.

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spricht, und dies nicht etwa „bei verschlossenen Türen“, sondern „wo jeder in den Gerichtssaal freien Zutritt hat“. (442) Hegel stellt republikanische Gerichte, die öffentliche Todesurteile verhängen, nicht infrage. Vom Standpunkt der historisch übergreifenden Zielvorstellung wiederum, (auch Robespierre hoffte, eines Tages von der revolutionären zur verfassungsmäßigen Regierung übergehen zu können75), „scheint“ nicht nötig, „durch ein grauenvolles Schauspiel […] das zu ersetzen, was innere Moralität und Achtung für die Gesetze nicht bewirken konnten (Hervorhebung von mir: H.-P. K.)“ (442). Diese Hoffnung auf eine langfristige Stabilisierung kann Hegels Religionsprojekt nur stimulieren: Es könnte die öffentliche Todesstrafe erübrigen, aber innerhalb des republikanischen Konzepts verstanden, welches öffentliche Todesstrafe, um erst einmal aus dem Despotismus überhaupt herauszukommen, einschließen kann. Die anfänglich wohl mit der „Minerva“, Schelling und Hölderlin gemeinsame Sympathie für die Gironde verliert sich bei Hegel 1795. Die Unsicherheit, seine eigenen Gedanken mit einer bestimmten französischen Revolutionspartei politisch identifizieren zu können, dominiert, aber nicht infolge eines Gewaltproblems an sich, sondern infolge der für Hegel nicht entscheidbaren Frage, ob die Gewalt als Instrument des Allgemeinwillens oder nur eines besonderen Willens in Frankreich gebraucht wird. Hegel fühlt sich von dem Alp bedroht: „Ausübung der Gerechtigkeit war nur der Sieg einer Faktion über die andere.“ (440) Auch 1799 in seiner philosophischen Einleitung der Verfassungsschrift lehnt Hegel nicht Gewaltanwendung als solche ab, aber das, für welches er kämpft, „gründet seine Herrschaft nicht auf Gewalt Besonderer gegen Besondere, sondern auf Allgemeinheit“. (459)76 Im viel späteren entsprechenden Kapitel seiner Phänomenologie „Die absolute Freiheit und der Schrecken“ geht der „Schrecken“ aus der Einsicht hervor: „Die siegende Faktion nur heißt Regierung, und eben darin, daß sie Faktion ist, liegt unmittelbar die Notwendigkeit ihres Untergangs.“77 Das spätberner Gewahrwerden dieser desillusionierenden Einsicht wird aber einstweilen noch auf der Grundlage des sich seiner Realisationsnöte bewusst werdenden, kleinbürgerlich-republikanischen Konzepts verarbeitet. So sehr Hegels Berner Auffassungen von der Gewaltanwendung als dem Rahmen des Konzepts von Rousseau und Robespierre zugehörig betrachtet werden können, Hegel war kein Jakobiner im parteipolitischen Sinne. Er hat an keiner dem jakobinischen Kampf in Frankreich auch nur ähnlichen republikanischen Praxis teilgenommen, die es ihm erlaubt hätte, Rousseaus Allgemeinwillen politisch als Robespierres Partei gegenüber anderen Parteien zu entscheiden. Das Herantragen „klassischer“ politischer Bewertungsmuster an Hegel, wie an die meisten Deutschen jener Zeit, umgeht das komplizierte Problem der den deutschen Entwicklungen inhärenten politischen Klassifikation, die nur unter Berücksichtigung des französischen Einflusses erfolgen kann. Bindet den Berner Hegel an Rousseau, dass er unter vorrevolutionären Bedingungen die inneren politischen, bis zur polaren Konsequenz durchfochtenen Klassenkämpfe der Französischen Revolution nicht zu beurteilen vermag, einen nur konzeptionellen Bezug zu dieser revolutionären Praxis entwickelt, so ist andererseits der Einfluss dieser Revolution nachhaltig und von ihm begrüßt genug, um aus den widersprüchlichen Impulsen des vorrevolutionären Rousseauschen Werks die 75 76 77

Maximilien Robespierre, Reden, S. 58 f. Hegel, Frühe Schriften, S. 569 f. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Hrsg. J. Hoffmeister, S. 419.

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konsequentesten, mit der revolutionären Praxis in Frankreich al pari gehenden Orientierungen zu rezipieren. Dabei handelt es sich um Orientierungen Rousseaus, an denen gerade das Realisationsproblem des kleinbürgerlichen Hegemoniekonzepts ins Auge springt. Der Berner Hegel versucht nicht nur das Religionsproblem, sondern den gesellschaftlichen Gesamtkomplex des kleinbürgerlichen Citoyen-Substituts zu denken, wie die Frage nach dem Verhältnis von modernen Staatsformen und ungleicher Entwicklung des Eigentums oder zwischen den historisch kurzen Schüben der revolutionären Aktivität der Volksmassen und der dauerhaft zu gestaltenden republikanischen Staatsform zeigen. Aber Hegel denkt diesen Gesamtzusammenhang, den Rousseau geistig erarbeitet hatte und vor dem Robespierre praktisch steht, begrenzt durch das Prisma eines, für Rousseau und Robespierre, Teilproblems. Der Gesamtzusammenhang wird von dem staatsreligiösen Vermittlungsglied der politisch-moralischen Einheit eines republikanischen Volks aus angegangen. Diese Grenze des Berner Hegel gegenüber Rousseau resultiert daraus, dass Hegel von dem sozialhistorischen Milieu der deutschen feudalabsolutistischen Kleinstaaten geprägt bleibt, einem Milieu, dessen kleinbürgerliche Ohnmacht in starkem Kontrast zum welthistorischen Höhepunkt der kleinbürgerlich-revolutionären Aktivität in der Jakobiner-Phase der Französischen Revolution steht und weit hinter dem Entwicklungsstand des vorrevolutionären Frankreich liegt. Dieses Produkt vorangegangener europäischer Geschichtsepochen, deren Restaurationen statt Revolutionen Deutschland bestimmten, lässt ehemals welthistorisch fortgeschrittene Bewusstseins- und Organisationsformen der bürgerlichen Emanzipation wieder aufleben und auslaufen. In den Konzepten deutscher Aufklärer, die Religion als geistig-praktischen Zusammenschluss mit dem Volk anstreben, wirken, eigentümlich mit welthistorischer Erfahrungsbildung und weltkulturellen Leistungen verbunden, die europäisch im 16. und 17. Jh. entscheidenden, in religiösem Mantel revolutionären Massenmobilisierungen von Bauern und städtischen Kleinbürgern nach. Hegel bezieht sich gerade infolge seiner praktischen Intentionen, außerhalb der absolutistisch kontrollierten Institutionen für eine Entwicklung in Deutschland zu wirken, auf die kleinbürgerliche Tradition von Herder und religiösen Sekten. Diese Tradition, deren Vorläufer einst vorbereitend oder direkt in Europa revolutionäre Praxis ermöglicht hatten, die nun jedoch rudimentär in Sekten noch verkörpert ist, wird durch die Französische Revolution welthistorisch anachronistisch78 und infolge der eigenen Ohnmacht sowie der französischen Eingriffe unmöglich. Kritisiert Hegel auch diese Tradition, durch seine Rousseau folgende, republikanisch-politisch bewertende und damit „heidnische“ Orientierung, so beeinflusst sie ihn, der unter deutschen Voraussetzungen wirken will, wieder stark in dem hohen Stellenwert, den Hegel religiöser Praxis überhaupt als breitenwirksamer Emanzipationsform beimisst. So sehr Hegel die großen Veränderungen der Religionssysteme aus denen der Zeitalter hervorgehen sieht, ist er auch versucht, die großen Religionsänderungen als die Revolutionen zu verstehen. (203) Aber diese Potenzierung der bürgerlich-emanzipatorischen Bedeutung von religiöser Praxis erwächst nicht nur aus dem Realisationsproblem der deutschen Aufklärung. Dieser Potenzierung kommen auf welthistorischer Ebene das Rousseausche Konzept und die jakobinische Praxis in Frankreich entgegen, welche selbst, um den bourgeoislosen Citoyen begründen zu können, eine entchristianisierte religiöse Praxis zur republikanischen Stüt78

Siehe Friedrich Engels, Der Sozialismus in Deutschland. In: MEW, Bd. 22, S. 303.

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ze potenzieren müssen. Der frühe Hegel bewegt sich im Kreuzungspunkt der Verwirklichungsprobleme, die die fortgeschrittensten kleinbürgerlich-republikanischen Aufklärerkonzepte Frankreichs und Deutschlands angesichts der Französischen Revolution haben. Diesen Kreuzungspunkt geben die Worte des deutschen Revolutionärs Friedrich Cotta wieder, die er 1794, eben „unsere Geistessinne gemeinschaftlich darauf aufmerksam zu machen“ und nicht für „förmliche Abhandlungen“, sprach: „Es geht, es wird gehen! […] denn mit Straßburg ist Frankreich, mit Frankreich ist Gott! Diese Verbindung zwischen uns, zwischen dem Franken-Volk und dem höchsten Wesen […]“79 sucht der frühe Hegel zu finden. Der Berner Hegel repräsentiert auf konzeptioneller Ebene solche republikanisch-praktischen Anstrengungen, wie die dieses Straßburgers, an den deutschen Grenzen zu Frankreich. Die dem besonderen Entwicklungsstand der deutschen Territorien und deren äußeren Beeinflussungen inhärente Bestimmung politischer Bewertungskriterien für Deutsche jener Zeit, um aus dem „mehr oder weniger klassischen“ Definitionsvakuum herauszukommen, harrt ihrer weiteren Ausarbeitung. Von einer „theologischen Periode“ Hegels kann keinerlei Rede sein, denn: „Das Volk brauchte diese Waffen nie.“ (165) Auch Walter Jaeschke hält die sog. Theologischen Jugendschriften Hegels für „weder im gängigen Sinne theologisch noch auch philosophisch-theologisch“: „Sie sind frühe Zeugnisse der Religionsphilosophie, die sich in Anlehnung an Kants Ethikotheologie im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts allererst als eigenständige Disziplin im Kanon der philosophischen Wissenschaften herausbildet, … und sie sind zugleich Zeugnisse für Hegels politisches, auf die gesellschaftspolitische Dimension der Religion gerichtetes Interesse.“80 Jaeschke geht in seinem Handbuch Hegels Jugendschriften chronologisch nach ihren Arbeitsfassungen und Schwerpunkten durch, während ich durch diesen Textcorpus inter-textuelle Schnitte gelegt habe, die den konzeptionellen Problemen einer internationalen Citoyen-Form bzw. hier (für die Berner Periode) ihres kleinbürgerlichrepublikanischen Hegemonie-Substituts entsprechen. So entsteht ein Rahmen für das Politische i. w. S., d. h. für den geschichtlich veränderbaren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Arten und Weisen, sich sozial zu verhalten. Vollkommen unabhängig von meinem Ansatz ist Martin Bondeli zu ähnlichen Ergebnissen gelangt, wenn er für das „politische Philosophieren“ des Berner Hegel das „neue, geschichts- und sozialphilosophisch fundierte Moralitätsverständnis“81 hervorhebt. Er wendet sich überzeugend gegen die Vorstellung, Hegels Berner Fragmente enthielten im Kern einen „Kantianismus“ im Sinne der Anwendung der praktischen Vernunft, die systematisch scheitere und woraus dann Hölderlins neuplatonische Vereinigungsphilosophie in Frankfurt herausführe.82 79 80 81

82

F. Cotta, Rede für das Fest des Franken-Volks…Straßburg 1794. In: Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur. Hrsg. C. Träger, S. 539. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, Stuttgart 2010, S. 59. Martin Bondeli, Zwischen radikaler Kritik und neuem Moralitätskonzept. Hegels Berner Denken. In: Christoph Jamme u. Helmut Schneider (Hrsg.), Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, Frankfurt/M. 1990, S. 171 f. Abgesehen von D. Henrich und O. Pöggeler hat diese Auffassung modifiziert auch P. Kondylis, Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802. Stuttgart 1979. Im Gegensatz zu Henrich und Pöggeler meint Kondylis aber, dass es den Tübinger Stiftlern tatsächlich um eine Theologie der „Offenbarung und revolutionären Sektierertums“ in einer „apokalyptischen Stimmung“ gegangen sei, in der, wenngleich sie nicht direkt

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Otto Pöggeler hatte aus dem Gegensatz zwischen der entweder theologischen oder republikanischen Interpretation von Hegels Berner Entwicklungsperiode dadurch herauszuführen versucht, dass er diese Fragmente im Sinne einer philosophischen Theologie, eben der Kantschen Ethikotheologie im Unterschied zu Physikotheologie, auslegte. Der frühe Hegel folge einer „moralisch begründeten Metaphysik“, „die dem revolutionären Republikanismus wie dem Ringen um eine andere als die überlieferte Religion erst die letzte Rechtfertigung zu geben vermag“.83 In der Durchführung dieser Annahme wird interessanter Weise bei Pöggeler selbst deutlich, dass Hegel eher im Rahmen von Rousseau Kant und Fichte integriert als umgekehrt Rousseau im System von Kant oder Fichte zu verstehen, was offenbar mit dem dem Berner Hegel zugestandenen revolutionären Republikanismus zusammenhängt.84 Dieter Henrich hat m. W. bis heute nicht seine frühe Hypothese revidiert, Hegel sei aus Bern nach Frankfurt „als dezidierter Kantianer“85 gekommen, wodurch ihm Hölderlins Rolle für Hegels systematische Entwicklung noch größer erschien, als sie es zweifellos war, wie wir im nächsten Kapitel über Frankfurt sehen werden. Von „revolutionärem Republikanismus“, wie Pöggeler, spricht Henrich nicht, aber davon, dass im Berner Hegel „stoische Tugend“ und „Rousseausche Politie“ die „komplementären Gestalten einer aus der Macht der Freiheit kommenden Humanität“86 gewesen seien. – Mir scheint noch immer, dass man für die Entstehung der Hegelschen Philosophie den Primat des Politischen (nicht einer bestimmten Tagespolitik) ernst und konzeptionell im internationalen und nationalen Vergleich ausführen können muss. Man versteht in diesem Rahmen besser, warum und wie selektiv diese und jene Rezeptionen stattgefunden haben oder nicht erfolgt sind. Das Politische selbst – im Unterschied zu einer bestimmten Politik (vgl. mein Vorwort zum vorliegenden Buch) – ist eine, nämlich die intellektuell, nicht akademisch übergreifende Problemkonstellation. Im August 1796 rüstet Hegel zum Aufbruch aus Bern nach Hause. „An Hölderlin“ dichtet er „Eleusis“, „der Gewißheit Wonne, Des alten Bundes Treue fester, reifer noch zu finden, des Bundes, den kein Eid besiegelte, Der freien Wahrheit nur zu leben, Frieden mit der Satzung, Die Meinung und Empfindung regelt, nie, nie einzugehn.“

83 84 85 86

als solche in den Fragmenten zum Ausdruck komme, doch Hegels „tragende Kraft“ für seine Politik der „Übertragung von eschatologischen Erwartungen auf weltliche Vorgänge“ bestanden habe. Ebd., S. 46, 60, 77. Otto Pöggeler, Hegels philosophische Anfänge. In: Jamme u. Schneider (Hrsg.), Der Weg zum System, S. 70. Siehe ebd., S. 85–88, 91, 96, 100–102. Dieter Henrich, Hegel im Kontext, S. 22. Ebd., S. 23. Henrichs Unterscheidung zwischen dem Berner und Frankfurter Hegel kommt auch in seiner Erörterung der Frage zum Ausdruck, unter welchen Bedingungen Hegel als der Verfasser des sog. ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus (vgl. oben Anmerkung 34) angesehen werden könnte. Hegel hätte nur „im Rückblick auf seine Berner Gedanken die Möglichkeit gehabt, ein rein kantianisierendes Programm im Zusammenhang der politischen Agitation zu entwerfen“. D. Henrich, Aufklärung der Herkunft des Manuskriptes „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“. In: Christoph Jamme u. Helmut Schneider (Hrsg.), Mythologie der Vernunft. Hegels „ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus“, Frankfurt/M. 1984, S. 159.

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Zu Beginn dieses Gedichts benennt Hegel den historisch in Deutschland unüberbrückbaren Gegensatz zwischen republikanischem Aufklärer und werktätigem Menschen: die „geschäft’gen Menschen […] geben Freiheit und Muse mir“, aber ihre tägliche Sorge ist eine sie vereinnehmende „nie müde Sorge“. (230) – Hegel wird sich zum Abschluss seines Berner Aufenthalts, ohne deshalb romantisch zu werden, jener historischen Realitäten in Deutschland bewusster, die der „Revolutionsbereitschaft“ der jungen Intellektuellen87 entgegenstehen. So wenig „Judäa der Tuiskonen Vaterland“ und die Phantasie der alten Deutschen „die Phantasie der jetzigen Deutschen“ ist, so wenig „ist denn Achaia der Tuiskonen Vaterland“, welches nur „der gebildetere Teil der Nation“ als seine Heimat versteht: „Die Kriege, welche Millionen Deutsche gefressen haben, waren Kriege der Ehrsucht oder der Unabhängigkeit der Fürsten, die Nation nur Werkzeug, die, wenn sie auch mit Erbitterung und Wut kämpfte, am Ende doch nicht zu sagen wußte: warum? oder was haben wir gewonnen? Die Reformation und die blutige Behauptung des Rechts, eine solche zu machen, ist eine von den wenigen Begebenheiten, an denen ein Teil der Nation ein Interesse genommen hat.“ (198) Aber: „Welches ist das Fest, das das Andenken jener Begebenheit feierte?“ Die „Gewalthaber in Kirche und Staat“ sorgen dafür, „daß das Andenken hieran in uns schlummere, ja nicht lebendig erhalten werde. […] Ohne religiöse Phantasie, die auf unserem Boden gewachsen wäre und mit unserer Geschichte zusammenhinge, schlechterdings ohne alle politische Phantasie, schleicht unter dem gemeinen Volke nur hier und da ein Rest eigener Phantasie unter dem Namen Aberglauben herum, […] – dürftige und traurige Reste einer versuchten Selbständigkeit […].“ (198) So sehr der Berner Hegel unter dem Eindruck der Französischen Revolution gegen die nur immanent philosophische und künstlerische Pflege und Entwicklung der vorrevolutionären Ideale in Deutschland opponiert und für ihre praktische Verwirklichung vermittels einer griechisch-antik entchristianisierten Religion noch nach dem Thermidor votiert, so historisch abgelaufen war das Projekt des kleinbürgerlich-revolutionären Citoyen-Substituts bereits in Frankreich und umso aussichtsloser war ein volksreligiöser Stützungsversuch in den deutschen Ländern, wo schon das christlich-religiöse Medieum frühbürgerlicher Emanzipationsversuche nicht mehr reaktiviert werden konnte, und eine republikanische Praxis auf unverhüllt politischem Boden überhaupt unmöglich war. Hegels Projekt einer republikanischen Volksreligion führt ihn an kleinbürgerlich-revolutionäre, heroische Selbsttäuschungen von welthistorischem Format heran, mit deren Annahme Hegel die historischen Voraussetzungen in den deutschen Ländern idealisiert und umgekehrt wieder dazu neigt, mit der Religionspraxis als Aufklärerpraxis in deutscher Tradition die in Frankreich notwendigen Illusionen zu potenzieren. Die, wie Cotta sagt, Verbindung zwischen dem Frankenland und uns, das höchste Wesen, stellt beim Berner Hegel, je stärker dessen Intention, praktisch zu wirken, hervortritt, umso stärker die Produktion einer heroischen Selbsttäuschung über das Entwicklungsgefälle zwischen Frankreich und Deutschland und über die in revolutionär-praktischer Hinsicht gegebene Handlungsohnmacht eines Volksaufklärers unter deutschen Bedingungen dar. „Schöne“ Volksouveränität, aber die nicht abreißen wollende Kette von nur „Faktionssiegen“ in Frankreich; republikanischer Beginn, aber kein Anknüpfungspunkt für diesen in Deutschland – Hegel fühlt sich in den Übergang von aufklärerisch-praktischer 87

Werner Krauss, Über die Konstellation der deutschen Aufklärung.

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Intentionserfüllung zu allein noch bleibender philosophischer Theorieproduktion gestoßen, den Schelling 1795, davon Hegel Mitteilung machend88, schon vollzieht. „Außer früheren Versuchen blieb (es) unseren Tagen vorzüglich aufbehalten, die Schätze, die an den Himmel verschleudert worden sind, als Eigentum der Menschen, wenigstens in der Theorie, zu vindizieren, aber welches Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht geltend zu machen und sich in den Besitz zu setzen?“ (209) Je mehr Hegel seinen Anspruch widerlegt sieht, desto stärker verlangt ihn, „Des alten Bundes Treue fester, reifer noch zu finden.“ Hegel fühlt und weiß, dass diese Treue zu halten, ihm als Einzelkämpfer unmöglich ist. Dass Hegel von 1795 bis 1799, diesen Entscheidungsjahren der deutschen Intellektuellen, weder Romantiker noch schon Erbauer eines neuen klassischen philosophischen Systems wird, ist wesentlich diesem Bunde Hegels mit Hölderlin und in Frankfurt/Homburg nun auch Sinclair zu verdanken. Dadurch ist Hegels Entwicklungsrichtung nicht die des Positionswechsels, sondern der Reifung der Position, sie durch alle ihre durchlebten Widerlegungen hindurch bis zum Winter 1798/99 immer wieder zu behaupten.

1.5 Die Bedeutung der Tätigkeit „arbeiten“ beim Berner Hegel Das kleinbürgerlich-republikanische Gesellschaftsideal des frühen Hegel schließt eine weltanschaulich hoch bewertete Verwendung des Terminus „arbeiten“ in mehrfachem Sinne ein, ohne dass allerdings diese Bedeutungen bei Hegel selbst systematisiert vorlägen. Zum Ersten und vor allem „arbeitet“ der Republikaner. Für den Republikaner ist „die Idee seines Vaterlandes, seines Staates“ der „Endzweck seiner Welt“. Sie ist, „wofür er arbeitet“. (205) „Der freie Republikaner, der im Geiste seines Volks für sein Vaterland seine Kräfte, sein Leben aufwandte und dies aus Pflicht tat, rechnet seine Mühe nicht so hoch an, daß er Ersatz, Entschädigung dafür verlangen könnte; er hat für seine Idee, für seine Pflicht gearbeitet – was hat er dagegen zu fordern?“ (99 f.) Die Arbeit des Republikaners schließt die Möglichkeit des Todes ein. Hegel will mit dieser Verwendungsweise des Ausdruckes „arbeiten“, in den Hegel die Bedeutung von Mühsal, Widerstand der Objekte und objektive Tat statt nur subjektiven Zweck legt,89 den heroischen, selbstlosen und aufopferungsbereiten Charakter der 88

89

Wie sich Schellings Position zunehmend wandelt zu immer stärkerer Konzentration auf die immanente Entwicklung der Philosophie, von Kant und Fichte ausgehend, ist in seinem Briefwechsel mit Hegel zwischen Weihnachten 1794 und Sommer 1795 ablesbar. „Die Philosophie ist noch nicht am Ende. Kant hat die Resultate gegeben, die Prämissen fehlen noch.“ (S. 14). Während anfangs die Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der Philosophie aus ihrer aktuell zu verwirklichenden aufklärerisch-praktischen Funktion noch abgeleitet wird („Und wer kann Resultate verstehen ohne die Prämissen? – Ein Kant wohl, aber was soll der große Haufe damit? […] Vor ihren Augen muß man es in Stücke zertrümmern, daß sie’s mit Händen greifen!“, S. 14), lockert sich diese Funktionsaufgabe, denn: „Gewiß, Freund, die Revolution, die durch die Philosophie bewirkt werden soll, ist noch ferne.“ (S. 28) Zitiert nach: Briefe von und an Hegel, Bd. 1. Diese Bedeutungen des Ausdrucks „arbeiten“ sind nach Rousseaus und Herders Aufwertungen des Arbeitsbegriffes nicht ungewöhnlich. Zum popularphilosophischen Gebrauch des Terminus (S. 30 ff.) und der Entgegensetzung von „Arbeit“ und „Spiel“ bei Kant (S. 39 ff.). Peter Krause, Die Lehre von der Arbeit in der Philosophie des deutschen Idealismus und ihre Bedeutung für das Recht,

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gesellschafts-politischen Tätigkeit in einer Republik hervorheben. Eine gegenüber dem Eigentum im juristischen Sinne separate, soziale Sphäre der Arbeit und des Eigentums im ökonomischen Sinne kennt der frühe Hegel nicht. „Bürgerliche Gesellschaft“ (160) wird durchgehend als vertragsrechtliche Ordnung der Bürger bezüglich der Sicherung von Leben und Eigentum gefasst. Auch Rousseau versteht das Thema „Ökonomie“ in seinem Enzyklopädie-Artikel sogleich als „Staatsökonomie“ und erläutert: „öffentliche Ökonomie, von mir Regierung genannt.“90 Bei Hegel wird, wie bei Rousseau und überhaupt zu jener Zeit, die Gesellschaft durch staatlich-politische Tätigkeit konstituiert. Das Ökonomische erscheint als Angelegenheit des Einzelnen und nicht als gesellschaftsbildend. Der vor allem an die Entwicklung der schottischen Moralphilosophie gebundene und durch Mandeville wirksam gewordene Übergang von der erst vertragsrechtlichen Fassung der „bürgerlichen Gesellschaft“ zu ihrer ökonomischen Selbstkonstitution durch den Eigennutz91 (vor Smith) wird von Hegel entschieden abgelehnt. Solche Lehren, „die Ökonomie eines ganzen Staats“ betreffend, „müssen also von der Vernunft […] schlechterdings verworfen werden“. (77) Der kleinbürgerliche Republikanismus stemmt sich gegen die theoretische Reflexion seiner sozialökonomischen Vernichtung. Laut Rousseau ist dafür zu sorgen, dass der Besitz „einem Mittelmaß“ angenähert wird. Man muss „der unaufhörlich wachsenden Ungleichheit des Besitzes vorbauen, muß der Unterjochung einer Menge Arbeiter und überflüssiger Diener durch die Reichen […] begegnen“.92 Da sich das Privateigentum ungleich und nicht auf eigener Arbeit beruhend entwickelt, wirkt es die Gesellschaft zerstörend und provoziert damit seine staatliche Zurückdrängung, wie sie Rousseau in seiner „gebremsten Ökonomie“ anhand Lykurgs, auf den sich auch Hegel bezieht, diskutiert, und wie sie unter Robespierre praktisch betrieben wird.93

90 91 92 93

S. 30 ff. An Hegels Verwendungsweise fällt die entschiedene Transformation dieses Ausdruckes auf die gesellschaftspolitisch revolutionäre Tätigkeit des Republikaners auf. Diese Transformation hält die merkwürdige wortgeschichtliche „Zwitterstellung“ des Terminus „arbeiten“ aufrecht. „Arbeiten“ bildete die „Mitte von Wortfeldern“, zwischen einer „passiven“ Bedeutung (Mühe, Plage, ackern) und „aktivem“ Sich-zur-Wehr-Setzen. Die passive Bedeutung waltet ursprünglich im aufklärerischen Sprachgebrauch vor. Hegels Verwendungsweise, insbesondere die im übertragenen politischen Sinne, impliziert die aktive und passive Bedeutung. Vgl. Werner Conze, Arbeit. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 154 f. Der gänzlich antifeudale und antitheologische Gebrauch von „arbeiten“ bei Hegel erhellt, wenn wir ihn mit der „allgemeinen Tendenz zur Entwicklung des menschlichen standesgebundenen Selbstbewußtseins“ während des Mittelalters konfrontieren. „Aus dem Fluch, der auf dem Menschengeschlecht lastet, verwandelte sich die Arbeit in einen Beruf. […] Jedoch blieb diese Erhöhung der gesellschaftlichen Bewertung der Arbeit bis zum Ende des Mittelalters nicht mehr als eine Tendenz. Ihre völlige Rehabilitierung konnte die Arbeit unter feudalen Bedingungen nicht erlangen.“ Der aufklärerische Gebrauch setzt diese Tendenz als bestimmende voraus. Hegel geht es aber nicht nur um „Rehabilitierung“, sondern um „weitere Erhöhung“, um Übertragung der Bedeutungen von „arbeiten“ auf die, als neu gesellschaftskonstituierend angenommene, republikanische Ebene. Siehe Aaron J. Gurjewitsch, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, S. 305. J. J. Rousseau, Ökonomie. In: Artikel aus Diderots Enzyklopädie, S. 334 u. 338 Vgl. Walter Euchner, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, S. 479. Vgl. ebd. Manfred Riedel, Bürgerliche Gesellschaft, S. 466 ff. J.-J. Rousseau, Ökonomie, a. a. O., S. 383 u. 381. Vgl. S. 358. Vgl. ders, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen. In: Frühe Schriften, S. 180 ff. Siehe Brigitte Burmeister, Die politischen Theorien der Aufklärung und die Revolution von 1789. 3.3. Das Problem der sozialen Ungleichheit und die ökonomische Politik im Jahre II. In:

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Die zweite, damit in Zusammenhang stehende Verwendungsweise von „arbeiten“ beim frühen Hegel erfasst die eigentliche ökonomische Bedeutung als tätige Auseinandersetzung mit der äußeren Natur, um die eigene Natur zu erhalten. Den Begriff „die Arbeit“ kennt der frühe Hegel nicht, wie er überhaupt, im Unterschied zu später, wenig substantiviert. Während das „Volk“ sehr wohl sich religiös betätigt, eine Phantasie entwickeln kann, eine Regierung haben kann, einen Aufstand durchführen kann, kann es nicht „arbeiten“. Hegel verwendet „arbeiten“ als Prädikat, dessen Subjekte nicht „Volk“, „Klasse“, „Gruppe“ sind, sondern immer „Einzelne“. Hegels Gebrauch von „arbeiten“ in ökonomischer Bedeutung setzt Rousseaus Forderung der Identität von Produzent und Eigentümer auf individueller Ebene voraus, ohne im Entferntesten dabei Rousseausches Begründungsniveau zu erreichen. Statt gezwungen für einen anderen Einzelnen zu „arbeiten“ (206), setzt sich Hegel dafür ein, dass jeder „in sich selbst und aus sich selbst ein eigenes Häuschen baut zu seiner Bewohnung mit dem Dach- und Fachwerk“. (28) Der „arbeitsame Mann“ (76), der „fleißige Arbeitsmann“ (126) hat das Recht auf Eigentum des von ihm selbst Erarbeiteten. Statt diesen zu fördern, bedingt der Despotismus „Bettler“, „Tagediebe“, „Verbrecher“ und solche, „wie Louis XIV. in Versailles“ (28) oder die katholische Kirche, die eine „Hälfte der Menschen zu Bettlern“ macht (126). Indem Hegel in der Ungleichheit des Eigentums die größte Gefahr der politischen Freiheit signalisiert, anerkennt er indirekt, wie schon Rousseau, den Primat der materiellen Produktionsverhältnisse des Privateigentums gegenüber der republikanischen Staatsordnung. Da das Privateigentum, wie seine juristische Erscheinungsform nahelegt, an den privaten Zweck des Einzelnen gebunden wird und daher seine gesellschaftsbegründende Rolle geleugnet werden kann, erscheinen die Auswirkungen der spontan entstehenden Ungleichheit des Eigentums als beherrschbar, wenn die gesellschaftskonstituierende Sphäre der staatlich-politischen Ordnung republikanisch gestaltet wird. Die „Arbeit“ des Republikaners ist den Wirkungen, die aus der Ungleichheit des Privateigentums resultieren, auf gesellschaftspolitischer Ebene entgegengesetzt. In „arbeiten“ als besonderer Form von „Tätigsein“ steckt Mühsal, Opfer, denn es handelt sich, im Unterschied zum „Spiel“, um eine Tätigkeit, die einer mächtigen Determination durch das Objekt unterliegt. Es ist eine Tätigkeit aus Not und nicht aus Freiheit des Subjekts. Wie der Bürger aus natürlicher Not auf der Ebene des Einzelnen arbeitet, arbeitet der Republikaner aus sozialer Not auf allgemeiner Ebene. Die soziale Freiheit ist, von innen durch entstehende Ungleichheit des Eigentums, von außen durch andere Völker bedroht, wie die Freiheit des Einzelnen durch den Eigennutz der anderen und die eigene physische Not bedroht ist, weshalb Hegel spontan „arbeiten“ auf den Republikaner transponiert. Die parallele Verwendungsweise von „arbeiten“ nur beim „Republikaner“ und „Bürger“ verbindet beide implizit miteinander. Der Republikaner „repräsentiert“ nicht nur den selbstarbeitenden Kleineigentümer, sondern er „arbeitet“ wie dieser, aber nicht als Einzelner gegenüber der Natur, um seine tierische Natur zu erhalten, vielmehr als Angehöriger des Volks gegenüber innerer und äußerer Bedrohung republikanischer Freiheit. Das Ideal des frühen Hegel besteht gerade darin, dass nicht nur das „zerstückelte Ganze“ der Gesellschaft ein Ganzes wird, sondern dass das im gegebenen zerstückelten Ganzen auf seinen separaten Platz gestellte Individuum, welches nur eine „Fragment-Handlung“ Französische Aufklärung, S. 648 ff. Vgl. ebd., S. 318 f.

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vollbringt, als Individuum ein Ganzes wird (206). Der Republikaner arbeitet nicht nur allgemein für die Gesellschaft, sondern auch selbst als Einzelner gegenüber der Natur. Der selbstarbeitende Kleineigentümer arbeitet nicht nur als Einzelner, seine tierische Natur zu erhalten, sondern er arbeitet ebenso als Mitglied des Volkssouveräns gesellschaftlichpolitisch. Eigentlich muss der „Staat“, wie in der Republik der Fall, „als ein Produkt seiner (des Bürgers) Tätigkeit“ organisiert werden. (206) „Arbeiten“ fürs Allgemeine, d. h. in der republikanischen Staatsordnung, steht eindeutig höher als „arbeiten“ für den privaten Zweck des Einzelnen. Der Republikaner zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er Leben und Eigentum, welche die entscheidenden Objekte der bürgerlichen Gesetzgebung in der Gegenwart geworden sind, „hingibt“, sobald der Endzweck, seine Republik, dies erfordert. Die Arbeit des Republikaners ist in dieser Hinsicht der des Bürgers entgegengesetzt. Der Republikaner leistet „wahre Arbeit“ im Gegensatz zu jenem, der „für sich“ arbeitet (207). Der „geschäftge Mensch“ gibt dem Aufklärer zwar die Freiheit von physischer Not und die Möglichkeit der Muse (230), aber dabei geht die „nie müde Sorge“, die tägliche Not überwinden zu müssen, so weit, dass sie republikanische Arbeit ausschließt und eine Ständegliederung notwendig ist. Das abstrakte Ideal der persönlichen Einheit zwischen dem für die Allgemeinheit arbeitenden Republikaner und dem fürs Einzelne Arbeitenden, die nur sein „soll“, differenziert sich und wird gesellschaftlich aufrechterhalten durch den Gedanken der „repräsentativen Republik“ (162), in dem alle Realisationsnöte des Konzepts aufbrechen. Unter dieser Voraussetzung von Arbeitsteilung innerhalb seines Ideals belegt Hegel auch die Tätigkeit republikanischer Schriftsteller mit dem Ausdruck „arbeiten“. Als Modell von „Schriftstellern und Künstlern, die für jene (des Volks: H.-P. K.) arbeiten“ (189), schildert Hegel Sokrates: „er fing bei jedem von seinem Handwerk an und führte ihn so von der Hand zum Geist, von einer Sache, wo jeder zu Haus kam, mit dem er sich unterhielt, er entwickelte aus der Seele des Menschen Begriffe, die darin lagen und nichts weiter brauchten als eine Hebamme.“ (52 f.) Hegel bestimmt die Funktion des geistig Arbeitenden gegenüber dem politisch arbeitenden Republikaner und dem ökonomisch Arbeitenden wie folgt: „Jeder seiner Schüler war Meister für sich; viele stifteten eigene Schulen, mehrere waren große Generale, Staatsmänner, Helden aller Art – nicht von einem demselben Schlag, jeder in einem eigenen Fach, nicht Helden im Martyrium und Leiden, sondern im Handeln und im Leben. Außerdem blieb Fischer, wer Fischer war, keiner sollte Haus und Hof verlassen.“ (52) Während „Eigentum“, insofern es nicht auf eigener Arbeit beruht und über den eigenen Bedürfnishorizont hinaus zu bloßem Eigennutz, nicht zu freiem Sinnengenuss führt, stets pejorativ vom frühen Hegel gebraucht wird, bedeutet „arbeiten“ eine weltanschaulich hohe, antifeudale und antikirchliche Bewertung. Gütergemeinschaft ist nach Hegel von Anfang an, selbst wenn sie zeitweilig in kleinen Gesellschaften, wie bestimmten Sekten, funktionierte, auf die ganze Gesellschaft nicht übertragbar. (62, 126) Bedeutungsvoll, wenn auch nicht gegenüber der Popularphilosophie seiner Zeit und ohne zu einem systematischen Ableitungsansatz zu werden, ist Hegels gedankliche Analogisierung von Mitteln der physischen und geistigen Existenz. „Jeder Mensch bringt außer dem Rechte der tierischen Erhaltung auch das Recht, seine Fähigkeiten auszubilden, […] auf die Welt.“ (155 f.) Die einander ergänzende Herrschaft von weltlichem und kirchlichem Despotismus verhindert die Ausübung dieser Rechte. So „wie die Entbehrung der Mittel,

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Kleinbürgerlich-republikanische Aufklärung durch Religion

die physischen Bedürfnisse zu befriedigen, den tierischen Teil des Menschen des Lebens berauben, so bringt auch die Beraubung des Genusses der Freiheit des Geistes der Vernunft den Tod, in welchem Zustand die Menschen den Verlust, (mangelnden) Gebrauch derselben, Sehnsucht nach ihr so wenig fühlen werden, als der tote Körper sich nach Speise und Trank sehnt.“ (182) Auf das Problem der physischen Existenzmittel stößt der Berner Hegel aber nur im Rahmen der antifeudalen Argumentationsrichtung. Bei dem Gebrauch des Ausdrucks „physische Existenzmittel“ liegt innerhalb desselben keine Differenzierung vor in Mittel und Produkt der betreffenden Tätigkeit. Es ist also vom frühen Hegel nicht Aufmerksamkeit auf das Mittel i. e. S. von Arbeitstätigkeiten gelegt. Der Terminus „Maschine“ spielt im Zusammenhang von „Staatsmaschine“ eine Rolle, nicht als Arbeitsmittel. Ist von „arbeiten“ zwecks Erhaltung der tierischen Natur des Menschen die Rede, so unterstellt der frühe Hegel das Bild von handwerklicher Arbeit. In ähnlicher Weise, wie Hegel „arbeiten“ auf die gesellschaftspolitische Ebene überträgt, verwendet er auch „Handwerk“ in einem übertragenen Sinne, um die sozialhistorische Wirklichkeit der „Vereinigung“ zwischen den Menschen und ihren Objekten, statt nur einer kopflastigen Vereinigung bei „Schwärmern“, hervorzuheben (435). Im Ganzen ist für den Berner Hegel im Unterschied zum späten Frankfurter, insbesondere dann aber Jenenser Hegel kennzeichnend, die staatlich-politische Sphäre als die die Gesellschaft konstituierende zu fassen. „Es ist gewöhnlich nur ein Interesse des Augenblicks, das die Menschen vereinigt. Selten sehen wir eine Vereinigung, die ein bleibendes Interesse zum Grunde gehabt hätte.“ Diese Reduktion entspringt dem auf politisch-revolutionäre Emanzipation ausgerichteten Standpunkt Hegels, der noch nicht, wie später, angesichts der Resultate der Französischen Revolution auf die Eigengesetzlichkeit der materiellen Verhältnisse verwiesen ist. Letztere erscheinen dem Berner Hegel als gesellschaftliche Verhältnisse erst in juristischer Form und daher politisch beherrschbar. Reflektiert Hegel die Rolle der Volksmassen, so als ein politisch-revolutionäres, nicht als ein ökonomisch arbeitendes Subjekt. Wenn in dem historischen Gemälde der neueren Geschichte Italiens und Deutschlands „keine großen Massen oder nur in kurzen Zeiträumen auftreten und sogleich wieder zerstäuben, so ist es äußerst schwer, allgemeine Gesichtspunkte dafür aufzufinden“. Arbeit im Sinne der Aneignung der äußeren Natur kommt als „allgemeiner Gesichtspunkt“, für das gesuchte „bleibende Interesse“, welches der gesellschaftlichen „Vereinigung zum Grunde“ liegt, nicht infrage. Fehlt die staatlich-politische Ordnung oder die politische Bewegung der „großen Massen“, kann man nicht von der „Geschichte eines Volks“ als vielmehr nur „einer Menge von Individuen“ sprechen. „Desto interessanter“ erscheint dann „die Geschichte einzelner Menschen“. Der aufklärerische, geschichtsidealistische Kreislauf setzt wieder ein: Es herrschen eben „schlechterdings noch keine Ideen“ (440). Der frühe, noch illusionär auf das Problem der politischen Emanzipation konzentrierte Hegel fällt hinter die, wenigstens metaphorisch bedeutete Rolle der Arbeit als menschenbildender und geschichtsbestimmender Tätigkeit bei Rousseau und Herder94 zurück. Zugleich ist aber auffallend, dass Hegel „arbeiten“ an kleinbürgerliche, sowohl ökonomisch 94

Vgl. A. Liepert, Parallelen in der Staatsauffassung Lessings und Herders, S. 1250. Vgl. G. Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, Bd. 1, S. 402 u. 406, Bd. 2, S. 181, 200 u.307. Vgl. Zum Zusammenhang von Arbeit u. Eigentum J.-J. Rousseau, Realeigentum. In: Ders., Der Gesellschaftsvertrag, S. 55 ff. Vgl. ders., Ökonomie. Artikel aus Diderots Enzyklopädie, S. 363.

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und politisch-praktisch als auch geistig-tätige Schichten bindet, um deren Handlungseinheit es Hegel, folgerichtig vom Standpunkt des angeeigneten kleinbürgerlich-republikanischen Konzepts, geht. Wenigstens soviel ist den Texten zu entnehmen: Könige, Päpste, Bettler, spitzfindige Theologen, Beamte der Staatsmaschine, die keine wirklichen Repräsentanten des Volks sind, nur ein unverbindliches Spiel treibende Künstler arbeiten im Verständnis des frühen Hegel nicht. Einem Vergleich in Deutschland, so mit Christian Garve95, aber hielte dieser Hegel nicht stand. Hegels Gebrauch dieses Terminus knüpft an die reformiert-christliche, aufwertende Verwendungsweise an.96

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Vgl. zu Garves Arbeitsauffassung und seinen großen Übersetzerverdiensten sowie seiner Wirkung als der, wie er selbst sagte, weniger eines „Schneideinstruments“ der theoretischen Entwicklung als vielmehr eines „Wetzsteines“: P. Krause, Die Lehre von der Arbeit… S. 31–35. Martin Fontius, Der Autonomiegedanke bei Moritz und die Antinomien literarischer Marktproduktion. In: Literatur im Epochenumbruch. Ebd., S. 499 f. Zu Garves Gleichsetzung der „Geistesarbeiten“ mit anderen unter dem Aspekt der Marktproduktion. Vgl. R. Möller, Die Bewertung der Arbeit bei Herder und die antike Kulturtheorie, S. 121 ff. Hegels Gebrauch ist der „auf protestantischem Untergrund aufsitzenden Vorstellung von produktiven, nützlichen Tätigkeiten im Gegensatz zu den Müßiggängern im ‚Pöbel‘ und im Adel bzw. der Geistlichkeit“ verwandt. Werner Conze, Arbeit. In: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 174.

2. Von der Neubelebung und dem Scheitern der kleinbürgerlich-republikanischen Heroismusform zur „Versöhnung“ mit den großbürgerlichen Resultaten der Revolution (Frankfurt 1797–1800)

2.1 Selbsttreue in dem Nach und dem Vor der Revolution: Sinclairs „Praxis“ und Hölderlins „höhere Aufklärung“ der „Vereinigung“ im Frankfurt-Homburger Freundeskreis Die Einschnitte in der Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie sind schon im allgemeinen, insbesondere aber beim frühen Hegel, der um republikanische Wirkungsmöglichkeiten ringt, schwer vernehmbar in einem Raster, das die Philosophie- und Problemgeschichte auf Systembauten verkürzt. Henrichs Darstellung, die die Entwicklung des frühen Hegel nicht einer theologischen Problematik subordiniert und Hölderlins Rolle zu Recht zu würdigen antritt, setzt den Bruch in Hegels Entwicklung Anfang 1797. „Ein solcher Bruch, wie er nach der Ankunft in Frankfurt eintrat, ist aber in Hegels philosophischer Biographie nicht noch einmal zu konstatieren.“ „Aus Hegels (Hölderlin geschuldete: H.-P. K.) Aufnahme von ‚Liebe‘ als Grundwort seines Nachdenkens ging ohne Bruch das System hervor.“1 Damit wird Hölderlins Einfluss auf Hegel (ab 1797), der sich „erst bei der Redaktion seiner Manuskripte über ‚Liebe‘ im Winter 1798/99“2 niederschlage, entscheidend reduziert, als ob ausgerechnet Hölderlin ein a-politischer Kopf gewesen wäre, und Hegels eigentliche politisch-weltanschauliche Wende eingeebnet. Die konzeptionelle Wende in Hegels Entwicklung beginnt nicht vor dem Herbst 1798.3 Hat1

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Dieter Henrich, Hegel im Kontext, S. 66 f. u. S. 27. Die konzeptionelle Armut der allein akademischen Betrachtung tritt bei der Dissertation von Thomas Baumeister, Hegels frühe Kritik an Kants Ethik, verteidigt vor H.-G. Gadamar und D. Henrich, hervor. Henrich, Hegel im Kontext, S. 28. Daran ist mit Georg Lukács, Der junge Hegel, S. 220, festzuhalten. In dem Versuch, die weltanschauliche Wende Hegels vorzudatieren, kommt auch zum Ausdruck, die Bedeutung der ökonomischen Studien Hegels für die Entstehungsgeschichte seiner Philosophie zu unwesentlichen Nebentätigkeiten degradieren zu wollen. Nach J. Ritters Anerkennung der Bedeutung der Französischen Revolution für die Hegelsche Philosophie soll doch wenigstens die Bedeutung des britischen ökonomischen Gedankenguts als eines Periodisierungskriteriums auf der Grundlage der scheiternden republikanischen Position Hegels umgangen werden. J. Ritter, Hegel und die Französische Revolution. Ebd., S. 18, heißt es richtig, aber dann nicht wirklich konzeptionell

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te Hegel schon 1796 angefangen, sich die in Deutschland ausweglose Situation seiner kleinbürgerlich-republikanischen Position zu vergegenwärtigen, da weder Judäa, noch Achaia, noch der alten Tuiskonen das Vaterland der jetzigen Deutschen ist, so nimmt nun die Erschütterung dieses Standpunkts zu, als sei „an diesen Menschen nichts bessern zu wollen, im Gegenteil mit den Wölfen zu heulen“4 allein übrig. Gleichzeitig behauptet sich aber das alte Anliegen noch einmal, gerade wegen der politischen Gemeinsamkeiten mit dem Freundeskreis um Hölderlin. Durch Berücksichtigung der gegebenen Bedingungen in einer Art Minimalprogramm entsteht neue Hoffnung auf Verwirklichung der ursprünglichen Intention. Innerhalb der gemeinsamen Aufrechterhaltung des heroischen republikanischen Anspruches verkörpern Hölderlin und Sinclair diese beiden Tendenzen der Erschütterung und Neubildung. Hegel pflegt mit beiden nunmehr engsten Umgang. Der baltische Dichterfreund Böhlendorff, als ein entschiedener „Demokrat“ mit beängstigender Rastlosigkeit von Härtling beschrieben, charakterisiert Sinclair und Hölderlin, die Böhlendorff zu dieser Zeit in Homburg besucht, wie folgt: „Ich habe hier einen Freund, der Republikaner mit Leib und Leben ist – auch einen anderen Freund, der es im Geist und in der Wahrheit ist – die gewiß, wenn es Zeit ist, aus ihrem Dunkel hervorbrechen werden.“5 Sinclair und Hölderlin sammeln aus den verschiedensten Teilen Deutschlands junge, republikanisch gesonnene Dichter, Denker und zu politischer Tätigkeit taugliche Oppositionelle zu einem großen Bekannten- und Freundeskreis, dessen Mitglieder sich in allen Lebenslagen gegenseitig nach besten Kräften zu helfen lernen. „Bundes“-Genossen solcher Ausrichtung verstehen ihre oft nächtelangen Klärungsversuche und ausgedehnten Spaziergänge am Tage zwecks Lösung der Verwirklichungsprobleme ihres gemeinsamen praktischen Anliegens nicht als akademische Dispute zwecks Austausches von „Grundworten“, die sich zur Konstruktion philosophischer Systeme eignen. Die Vorstellung, man könne nur noch ersatzweise durch eine je eigene Systemkonstruktion dann in die Geschichte wenigstens der Philosophie eingehen, kommt erst viel später und sollte nicht vorprojiziert werden. Der Zusammenhalt und entstehende Differenzen zwischen Sinclair, Hölderlin und Hegel liegen tiefer als in der intellektuelle Eitelkeiten befriedigenden Feststellung, wer welches Grundwort zuerst verkündet habe. „Wenn das Reich der Finsternis mit Gewalt einbrechen will, so werfen wir die Feder unter den Tisch und gehen in Gottes Namen dahin, wo die Not am größten ist, und wir am nötigsten sind.“6 Diese Briefäußerung Hölderlins vom 1.1.1799 verweist auf den inzwischen oft wiederholten Traum aus den Universitätsjahren. Sekkendorf gab in der Vernehmung während des Hochverratsprozesses gegen Sinclair, Baz und sich 1805 den „Traum einer Vereinigung der vorzüglichsten Männer Deutschlands,

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differenzierend durchgeführt: „[…] und es gibt keine zweite Philosophie, die so sehr und bis in ihre innersten Antriebe hinein Philosophie der Revolution ist, wie die Hegels.“ Hegel an Nanette Endel am 9.2.1797. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 49. Böhlendorff an Fellenberg. Zitiert nach Peter Härtling, Hölderlin, S. 415. Vgl. zur Situation Hölderlins G. Mieth, Friedrich Hölderlin, S. 50 f. Hölderlin, Brief an den Bruder vom 1.1.1799. In: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. v. Günter Mieth, Berlin und Weimar 1970, Bd. 4, S. 341.

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die bereitstehen sollten für den Fall, daß sich in den Rheingegenden eine Revolution erhebe“,7 zu Protokoll. Der Tübinger Stiftler und Jenenser Fichteschüler Sinclair nutzt, erst zweiundzwanzigjährig, seine diplomatische Mission, der Gesandte des Homburger Landgrafen beim Rastatter Kongreß und damit einer der politisch am besten informierten Männer Deutschlands zu sein, zu konspirativer Tätigkeit mit der Württembergischen demokratischen Opposition um Christian Friedrich Baz aus.8 Hegel verfasst (vor August 1798) zwecks publizistischer Teilnahme an dem Kampf der württembergischen Opposition die Flugschrift: „Daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen. An das Würtembergische Volk“ (268–273)9, deren Veröffentlichung aber infolge der im Sommer 1798 ungünstigeren politischen Kräftekonstellation hinsichtlich der Stellung der dortigen oppositionellen Kreise mehr als „ein Übel als eine Wohltat“10 wirken könnte, weshalb sie unterbleibt. Der Hohenasperg konnte für die unmittelbar Beteiligten aufgeschoben werden. Die starke Wiederbelebung des republikanischen Anspruches bei Hegel bis zum Herbst 1798 rührt von diesem Erlebnis her, durch Sinclair und Hölderlin aus der Isolation herausgekommen zu sein, rührt von dem Auftrieb gebenden Gefühl her, wie es Hölderlin in einem Brief an Sinclair nach ihrem gemeinsamen Treffen mit anderen Oppositionellen während des Rastatter Kongresses beschreibt, „daß meine Seele bei sich selbst darüber frohlockt, daß es, allen Aposteln der Notdurft zum Trotz, noch mehr als einen gibt, wo sich in ihrem edeln Überfluß die Natur noch geäußert, und daß ich, außer Deinem Geist, jetzt auch noch andere rufen kann zum Zeugnis gegen mein eigen zweifelnd Herz. […] Sag es ihnen nur, den Deinen und Meinen, daß ich manchmal an sie denke, wenn mir’s sei, als gab es außer mir und ein paar Einsamen, die ich im Herzen trage, nichts als meine vier Wände, und daß sie mir seien wie eine Melodie, zu der man seine Zuflucht nimmt, […] Es ist die 7

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Werner Kirchner, Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair, S. 108. Sinclair war nach seinen Tübinger Studien in Jena „dem Geheimbund der schwarzen Brüder“ beigetreten (ebd., S. 112), deren Mitglieder auch nach der Auflösung des Bundes sich einander verpflichtet fühlten. Vgl. F. Hölderlin, Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 7/2, S. 346. Ebd., S. 24 f. und S. 346. Siehe die Aussagen Blankensteins alias Wetzlar, die Sinclair nicht entkräften, ja denen er bis zu einer gewissen Grenze schrittweise während des Hochverratsprozesses entgegenkommen musste (Ebd., S. 65). Zur Teilnahme Hegels am „Bunde der Geister“ in Homburg 1797 ebd., S. 88. Vgl. zu den französischen Kontakten Sinclairs u. a. den zu Claude Camille Perret (diplomatischer Sekretär des jungen Napoleon, wie Sinclair und Horn Jenenser Fichte-Schüler) ebd., S. 112 f. Vgl. zu Hölderlins Kenntnis der politischen Vorhaben der konspirativen demokratischen Opposition – Hölderlin begleitete Sinclair nach Rastatt und lernte dadurch selbst eine Reihe süddeutscher Demokraten kennen – auch P. Bertaux, Hölderlin und die Französische Revolution, S. 105 ff. Vgl. zur – unter despotischen Verhältnissen aufgrund der Verdrängung der politischen Diskussion in die künstlerische Entwicklung – Identifikation poetologischer mit politischen Kategorien Hans-Wolf Jäger, Politische Kategorien in Poetik und Rhetorik der zweiten Hälfte des 18. Jh. Siehe zur Bedeutung von Baz 1798: Heinrich Scheel, Süddeutsche Jakobiner-Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jh., Berlin 1962, S. 434. Zur Bedeutung Sinclairs ebd., S. 507. Die im obigen Text in Klammern gesetzten Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 1: Frühe Schriften, Frankfurt/M. 1971. Rosenkranz, zitiert nach G. Schüler, Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften, S. 148. Vgl. Joachim Streisand, Deutschland 1789–1815, S. 92 ff. Vgl. derselbe, Kritische Studien zum Erbe der deutschen Klassik, S. 69. Siehe auch W. Kirchner, Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair, S. 24 ff.

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volle Wahrheit, was ich sage, […].“11 Hölderlin war Mitte November bis Anfang Dezember 1798 bei Sinclair in Rastatt.12 So sehr sich der Frankfurter Hegel in der geistigen Auseinandersetzung mit Hölderlin und Sinclair formt und die Tatsache der Hegelschen Flugschrift Hegels Bereitschaft zeigt, der politisch-oppositionellen Richtung Sinclairs zu helfen, es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Hegel dem engeren Kreis der politischen Konspirateure angehörte. Der gegenüber den Dichtern und Denkern innerhalb des Freundeskreises politische Kopf, Sinclair, rekonstruiert, das poetische Medium zu politisch-ideologischer und theoretischer Verständigung ausnutzend, seine „Bekanntschaft“ mit Hegel in einem Gedicht.13 In dem von Sinclair so protokollierten Gespräch, an dem auch Hölderlin teilnimmt, lässt Sinclair den „kältern Geiste“, also Hegel, „nicht um auszuweichen vor der Überzeugung“, sondern ehrlich dem Sinclair „die Rechte […] sprechend“, sagen: „Weiser die Entscheidung lassend.“ Diese Aussage korrespondiert mit der aktuell-politischen, nicht aufklärerisch-geistigen Konsequenz des Hegelschen Flugblattes. Hegels: „Ob dem Geiste des gebühret“ und: „Ob nicht besser ihm Beschränkung“ – setzt Sinclair entgegen: „Was du kühn für ihn (den Geist: H.-P. K.) verlangest“ und schließlich beharrend: „Mich und zeigen bald soll Zukunft.“ Sinclair lässt dann Hegel „Still in Frieden“ scheiden, respektiert aber umgekehrt diesen Mann „eignen Geists und eigner Stärke“. „Und noch lange blieb ich sinnend nach dem Worte, das er sagte, […].“ Der früh politisch erfahrene Sinclair fasst die Entwicklung ihrer durch Hölderlin vermittelten Bekanntschaft zu offenherziger Freundschaft („Bis wir zum Vertrauten kamen“) kurz so: „Wohl war er mir nicht entgegen, doch der Scheideweg lag vor Augen“, aber auch: „ich wollt mit eitler Täuschung Einverständnis nicht erkaufen.“14 Dennoch, über das prinzipielle Anliegen hinaus dürfte Sinclair seine politischen Schritte auch nicht mit dem „lieben Freund“ Hölderlin, sondern Baz u. a. besprochen haben. Böhlendorff hätte auch Hegel, wie schon Hölderlin, im Unterschied zu Sinclair als politischem Tatmenschen zu den „Republikanern“ gerechnet, die „es im Geist und in der Wahrheit“ (s. o.) sind. 11 12

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Friedrich Hölderlin an Isaak von Sinclair am 24.12.1798. In: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 4, S. 333. Siehe Valérie Lawitschka, Epoche. In: Hölderlin-Handbuch, Stuttgart-Weimar 2002, S. 16. Vgl. zu Isaak von Sinclair und Casimir Ulrich Böhlendorf ebenfalls V. Lawitschka, Freundschaften. In: Ebd., S. 39–44. Henrich interpretiert Sinclairs Gedicht „Bekanntschaft“ ausschließlich als Zeugnis der Beeinflussung Hegels durch Hölderlin. Siehe Henrich, Hegel im Kontext, S. 24–26. Ich verstehe dieses Gedicht politisch im Zusammenhang mit der „Verstrickung auch der Schwester Hegels in das revolutionäre Umfeld“, der inzwischen ermittelten Tatsache, dass Hegel einen „konspirativen Brief“ übermittelt hat und den drei bis heute unbekannten Stuttgarter Freunden, die mit Rücksicht auf die Opposition davon abgeraten haben, dass Hegel seine Flugschrift „Über die neuesten inneren Verhältnisse Würtembergs, besonders über die Magistratsverfassung“ in Druck gibt. Vgl. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 82–84. Jamme und Brauer interpretieren Sinclairs Protokollgedicht dagegen so, dass nicht Hegel, sondern Friedrich Schlegel gemeint sei. Christoph Jamme, Isaak von Sinclair, Bonn 1987, S. 15–21. Ursula Brauer, Isaac von Sinclair, Stuttgart 1993, 258, 405 f. Wie dem auch sei, dies ändert nichts an dem Unterschied zwischen dem praktizierenden Politiker (Sinclair) und Dichter bzw. Denker innerhalb des Freundeskreises, auf den es mir ankommt. Isaak von Sinclair, Die Bekanntschaft. In: Hannelore Hegel, Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel, S. 284–288.

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Bereits 1796 hatte Hegel festgestellt, dass die Wirkungskraft der nicht mehr religiös vermittelten, sondern direkt verständigen Aufklärung zunimmt (201). 1796/97 geht Hegel dazu über, in verständiger, aber zugleich auch emotional anregender Form unmittelbar politische Aufklärung zu betreiben. Für „eine große Menge Menschen (ist) eine Äußerung von Empfindung deswegen nötig, weil sie dadurch erst auf die Wichtigkeit der Sache selbst aufmerksam werden, […]“ und „fühlen lernen, daß man über gewisse Dinge die Geduld verlieren könne“. (256 f.) Das erste Zeugnis der Eroberung des politischen Aufklärermediums – im Unterschied zu den religionsaufklärerischen Schriften – stellt auch Hegels erste Publikation überhaupt dar, die wahrscheinlich schon 1796 entstand, spätestens aber 1797. Hegel gab anonym heraus und kommentierte in Anmerkungen die „Vertraulichen Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältnis des Wadtlandes zur Stadt Bern“ von dem Republikaner Jean Jaques Cart, eine beißende Kritik an der Berner Oligarchie, einschließlich ihres Staatsschatzes und ihrer Finanzverfassung.15 Die nachthermidorianische Entwicklung in Frankreich schließt die von deutschen Republikanern erhoffte Unterstützung durch die französischen Armeen aus. Die demokratischen Bewegungen in Süddeutschland werden nur als Druckmittel gegen die deutschen Fürsten eingesetzt und, sobald sie diese Funktion erfüllt haben, wieder fallen gelassen. Die bourgeoisen Resultate der Französischen Revolution bedürfen der deutschen Staaten nur als eines äußeren Puffers zur Existenzsicherung der eigenen bürgerlichen Nation, keinesfalls eines deutschen Konkurrenten. „Nach dem Sturz Robespierres. […] Unter der Regierung des Direktoriums bricht die bürgerliche Gesellschaft: die Revolution selbst hatte sie von den feudalen Banden befreit und offiziell anerkannt, so sehr der Terrorismus sie einem antik-politischen Leben aufopfern wollte – in gewaltigen Lebensströmungen hervor. […] Die bürgerliche Gesellschaft wird positiv repräsentiert durch die Bourgeoisie. Die Bourgeoisie beginnt also ihr Regiment. Die Menschenrechte hören auf bloß in der Theorie zu existieren.“16 Diese innerfranzösische Entwicklung setzt sich über die französische Deutschlandpolitik, insbesondere gegenüber den deutschen Republikanern, um.17 Hölderlin hatte während seiner Reisen die Reaktionen der Deutschen auf die zwiespältigen französischen Besatzungen erfahren. Sinclair kannte die französische Verhandlungsführung. Er unterstützte süddeutsche Demokraten, die in Opposition zum Rastatter Kongreß (1797–1799), der die deutschen Fürsten für den Verlust linksrheinischer Gebiete entschädigen, nicht stürzen sollte, standen und notfalls auch ohne französische Unterstützung auf eigene Faust, im Bündnis mit kleinbürgerlichen und bäuerlichen Schichten, die Errichtung einer süddeutschen Republik anstrebten. Diese Versuche wurden durch die am 22. März 1798 proklamierte Helvetische Republik ermutigt. Hegels Flugschrift fällt in diesen historischen Kontext. So wenig Hegel die Kämpfe innerhalb der französi15 16 17

Vgl. M. Bondeli, Zwischen radikaler Kritik und neuem Moralitätskonzept, S. 178 f. Vgl. zu möglichen Zusammenhängen Hegels mit Albert Stapfer und Jens Baggesen ebd., S. 176, 183. Friedrich Engels/ Karl Marx, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. In: MEW, Bd. 2, S. 130. „[…] im Rücken der Armee duldet man keine Revolution“, waren die bezeichnenden Worte des französischen Generalstabschefs Regnier. In: H. Scheel, Süddeutsche Jakobiner, S. 221. Vgl. Kyösti Julku, Die revolutionäre Bewegung im Rheinland … Bd. 2, S. 143 f.,145 f. Vgl. Kari Hokkanen, Krieg und Frieden … S. 244 ff.

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schen Revolutionsparteien politisch zu differenzieren vermag, er registriert und bewertet die Internationalisierung, aber dabei nur die nationale Erscheinungsform dieser Klassenkämpfe. Sein Hauptaugenmerk gilt England, der ökonomisch stärksten konterrevolutionären Macht gegen die Französische Revolution, und natürlich Deutschland. Hegel widerspricht in seiner oben erwähnten Kritik an der Berner Oligarchie J. J. Cart, wenn dieser England als Vorbild der Freiheit und Gerechtigkeit schildert. Carts Studie war vor Beginn des englischen „Antijakobiner-Kriegs“18 entstanden. „Der Verfasser hat es nicht mehr erlebt, wie sehr in den letztverflossenen Jahren durch die den Einnehmern mehrerer Abgaben zugestandene Gewalt, die Sicherheit des Eigentums in mancher Rücksicht bloß gestellt und die Hausrechte geschmälert, wie teils durch die Suspension des Grundgesetzes persönliche Freiheit, teils durch positive Gesetze die staatsbürgerlichen Rechte beschränkt, wie auffallend es geworden ist, daß ein Minister durch eine sich zu eigen gemachte Majorität im Parlament der Volksmeinung zu trotzen vermag, daß die Nation so unvollständig repräsentiert ist, daß sie im Parlament ihre Stimme nicht geltend zu machen vermag, und daß ihre Sicherheit mehr auf der Furcht vor ihrer nicht konstitutionellen Macht, auf der Klugheit der Minister oder auf der Diskretion der höheren Stände beruht. Durch diese Einsicht und durch jene Tatsachen ist denn auch die Achtung der englischen Nation selbst bei vielen ihrer stärksten Bewunderer gesunken.“ (257 f.) Hegel erinnert in diesem Zusammenhang an die Rolle Englands schon während der „amerikanischen Revolution“. (258) Hegels Vorstoß von 1796/97 zu dem Thema England ist äußerst wichtig. Seine Bedeutung erhöht sich durch die Auswirkungen der nachthermidorianischen Entwicklung in Frankreich auf Deutschland. Die Erfahrung des französischen Verrats an den deutschen Republikanern, des französischen nationalen Eigennutzes und unrepublikanischen Verhaltens französischer Truppen in Deutschland korrespondiert mit dem von England bereits im ersten Koalitionskrieg und anhaltenden Seekrieg gegen die Französische Revolution und davor gegen die amerikanische Revolution bewiesenen revolutionstötenden Eigennutz. Die nachthermidorianischen Resultate der Französischen Revolution, nicht als solche in Frankreich, aber als Auswirkung auf Deutschland durch Hegel erfahrbar, machen auf Englands Entwicklung aufmerksam. Die entscheidende Frage, welche Erwartungen gegenüber französischen revolutionären Hilfeleistungen in Deutschland eigentlich gehegt werden können, zu lösen, schließt zunehmend eine Einschätzung des nicht mehr revolutionären, vielmehr konterrevolutionären und doch nicht feudalen England ein, dem das nachrevolutionäre Frankreich wenigstens angesichts seiner enttäuschenden Rolle in Deutschland zu ähneln beginnt. Das nachrevolutionäre England passt wie auch das nachthermidorianische Frankreich nicht auf die entweder eine oder andere Seite der Gegenüberstellung von Ideal und Wirklichkeit, von Republik im kleinbürgerlich-revolutionären Sinne Rousseaus und feudalem Despotismus. Beide stellen weder eine feudaldespotische noch eine dem republikanischen Ideal angemessene Wirklichkeit dar. –1796/97 nutzt Hegel noch Carts Hinweis auf die von den Berner Patriziern zum Hochverratsprozeß „in die Kerker geworfenen Wadtländer“, um quasi trotz nötiger Zensurrücksichten die gewünschten Steigerungsstufen des Verhältnisses der Nachbarn zur Französischen Revolution anzugeben: „Die Handlungen, die der Grund der Verurteilung 18

Karl Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 779.

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sind, waren Zeichen; sie konnten angesehen werden als Zeichen der Freude über die glücklich errungene Freiheit des französischen Volkes, oder als Zeichen eines Wunsches, auch im Genusse derselben zu sein, als Zeichen des Entschlusses, seine gesetzmäßigen, aber verlorenen Rechte wieder zu erhalten, als Zeichen der Absicht, die gesetzmäßige Gewalt der Regierung auf eine unrechtmäßige Weise anzugreifen.“ (262) Mit der wachsenden Skepsis gegenüber einer wirklichen Unterstützung seitens Frankreichs geht die verstärkte Besinnung auf eigene Kräfte in Deutschland einher, ohne der Hoffnung auf französische Hilfe zu entsagen oder gar je in antifranzösische, die historische Notwendigkeit dieser Revolution leugnende Bewertungen zu verfallen. „Der Drang, die dürftigen Schranken zu durchbrechen, hat seine Hoffnungen an jedes Ereignis, an jeden Schimmer, selbst an“, was dem deutschen Publikum so erscheinen mag, „Freveltaten geheftet“. (269) Doch diese Selbstbesinnung auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten muss sich „jene dürftigen Wünsche“ und „diese kleinlichen Sorgen“ (268), ja die „Heuchelei“ der „Bereitwilligkeit, zu allen Verbesserungen das Jawort zu geben“, welche aber „erschrickt, erblaßt, sobald auch einmal eine Anforderung an diese Bereitwilligen selbst gemacht wird“, eingestehen. (271) „Allgemein und tief ist das Gefühl, daß das Staatsgebäude, so wie es jetzt noch besteht, unhaltbar ist, – allgemein ist die Ängstlichkeit, daß es zusammenstürzen und in seinem Falle jeden verwunden werde.“ (268) Aber: „Es wäre einmal Zeit, daß das Würtembergische Volk aus seinem Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung, aus seiner Abwechslung von Erwartung und von Täuschung in dieser Erwartung herausträte.“ (Ebd.) Was setzt Hegel voraus, „daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen“?: „Diese Stärke, sich über sein kleines Interesse zur Gerechtigkeit erheben zu können, wird bei der folgenden Untersuchung ebensosehr vorausgesetzt als die Redlichkeit es zu wollen und es nicht nur vorzugeben.“ (270 f.) Hegel kann nur daran anknüpfen: „Das Bild besserer, gerechterer Zeiten ist lebhaft in die Seelen gekommen, und eine Sehnsucht, ein Seufzen, nach einem reineren, freieren Zustande hat alle Gemüter bewegt und mit der Wirklichkeit entzweit […] Wie blind sind diejenigen, die glauben mögen, daß Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze, die mit den Sitten, den Bedürfnissen, der Meinung der Menschen nicht mehr zusammenstimmen, aus denen der Geist entflohen ist, […] länger das Band eines Volkes ausmachen!“ (269) Aber wenn auch Hegel einen „Fieberparoxysmus“ diagnostiziert, der „endigt nur mit dem Tode, oder wenn die kranke Materie ausgeschwitzt ist“, und Hegel den Versuchen, veralteten Verhältnissen „durch großsprechende Pfuschereien wieder Zutrauen zu verschaffen, die Totengräber mit schönen Worten zu übertünchen“, den „viel fürchterlichen Ausbruch“ der unterdrückten Menge prophezeit, er förmlich mit dem „Zusammensturz des alten, überall angebrochenen, in seinen Wurzeln angegriffenen Gebäudes“ (270) droht, fragt sich, wo die dafür erforderlichen „Totengräber“ denn herkommen sollen, „solange alles übrige in dem alten Zustande bleibt, solange das Volk seine Rechte nicht kennt, solange kein Gemeingeist vorhanden ist, solange die Gewalt der Beamten nicht beschränkt ist“ (273), solange man noch nicht einmal „das Reformieren und das Zurücknehmen versuchter und schädlich befundener Reformen […] in seiner Gewalt hat“. (271) So angesichts einer scheinbar „immer getäuschten, unterdrückten Menge“, einer blinden und „armen Herde“ (270), deren größerer Teil natürlich dem folgte, „der den Schlüssel zum Futterboden hatte, der mit soliderer Stimme zu locken und unter seinem Schafspelz die Wolfsnatur am geschicktesten zu verbergen wußte“ (272), kapituliert Hegel im

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Grunde vor der konkreten, praktisch-politischen Realisation seines selbst gestellten Themas, „daß die Magistrate von den Bürgern gewählt werden müssen“. Doch Hegel rüttelt noch einmal emotional: „Das Schauspiel einer solchen Schwäche darf ein Volk, dürfen Deutsche nicht geben.“ (270) An dem Abgrund, die Ohnmacht unter deutschen Bedingungen zur Tugend erheben zu müssen, gemeint aber als nötige historische Modifikation des Anspruches, steht Hegels Frage, können die Stände „nach kalter Überzeugung, daß eine Veränderung notwendig ist“, nicht „freiwillig aufopfern“? (270) Die Voraussetzung aber, sich über sein kleines Interesse zur Gerechtigkeit erheben zu können, war nicht anzunehmen. Totengräber finden sich schon gar nicht. Man könnte „das Wahlrecht in die Hände eines vom Hofe unabhängigen Corps von aufgeklärten und rechtschaffenen Männern“ legen: „Aber ich sehe nicht ein, von welcher Wahlart man sich eine solche Versammlung versprechen könnte[…].“ (273) In dem wachsenden, eindringlich auf Hölderlin lastenden Bewusstsein, jeglichen republikanischen Wirkungsboden unter den Füßen verloren oder womöglich nie besessen haben zu können, sucht Hegel in einer intensiven philosophischen Beschäftigung Rat. Das immer wieder in neuen Anläufen behauptete Ideal prallt an der gleichermaßen vorrevolutionär ohnmächtigen wie den nachrevolutionären Auswirkungen unterworfenen Wirklichkeit ab. Nachdem sich Hegel zunächst an Kant, ab 1796 vor allem an die identitätsphilosophische Entwicklung von Fichte und Schelling hielt, bringt er nun ab 1797 vereinigungsphilosophische Anregungen Hölderlins und Sinclairs in seine philosophische Selbstverständigung ein.19 Beide zuletzt genannten philosophischen Rezeptionen der bei Hegel in weltanschauliche Labilität geratenen kleinbürgerlich-republikanischen Position bleiben an Hegels Anliegen gebunden, durch politische und religionskritische Aufklärung letztlich praktische Wirksamkeit zu erlangen. Hegel geht zur Kritik von Fichtes Radikalisierung des Kantschen Ansatzes über, aber zunächst in dem mit Hölderlin schon länger geteilten Rahmen, mit Schiller über Schillers Kantianismus hinauszugehen: So sehr dem Volk allgemeine, aber daher auch zu ergründende Unreife und immer „von einem Objekte abzuhängen“ vorzuwerfen ist, nicht weniger gilt es „das andere Extrem“ zu beachten, „die Objekte zu fürchten, die Flucht vor ihnen, die Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität“. (241) Das Scheitern des Beherrschungsversuches dieses Nicht-Ich durch das Fichtische Ich, als dessen Modell Hegel das Ideal des Republikaners in antikpolitischem Kostüm früher galt, die Unterwerfung dieses Ideals unter das Nicht-Ich oder die Flucht dieses Ideals in höchste Subjektivität stellen das Problem, die erfahrenen „Dissonanzen“ oder „Trennungen“, wie Hölderlin sagt, zwischen Ideal und Wirklichkeit zu „vereinigen“: So wird das Ideal umso idealistischer, aber doch auch entschieden objektiver begründet. Es kann so selbst für seine Vereinigung mit den ihm entgegenstehenden objektiven Bedingungen neu formiert werden. „Das Ideal können wir nicht außer uns setzen, sonst wäre es ein Objekt, – nicht in uns, sonst wäre es kein Ideal“ (244), das auf seine Verwirklichung irgendeinen objektiv begründeten Anspruch erbeben könnte. Kants Dualisierung der Welt steht der Notwen19

Den ersten bedeutenden Versuch, die philosophische Originalität Hölderlins im Vergleich mit Schelling und Hegel – unter Erwähnung der politischen Rolle Sinclairs und in Fortsetzung des Schönheitsideals als Vereinigung bei Schiller – herauszuarbeiten, hat unternommen Johannes Hoffmeister, Hölderlin und die Philosophie, Leipzig 1942. Henrich spezifiziert dann die Redeweise von „Vereinigung“ systematisch.

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digkeit der Vereinigung geradewegs entgegen. Sie repräsentiert die entzweite Welt, statt letztere wenigstens in der Theorie zu überwinden. (vgl. 299/301) Kant setzte „der völligen Knechtschaft unter dem Gesetze eines fremden Herrn […] eine teilweise Knechtschaft unter einem eigenen Gesetze, den Selbstzwang der Kantischen Tugend entgegen“. (359) Statt einer „Synthese“ von Subjekt und Objekt bleibt „in der Kantischen Tugend diese Entgegensetzung“ beider, und das Eine wird „zum Herrschenden, das andere zum Beherrschten“. (326). Hegel sieht Kants Philosophie darin der puritanischen Religion entsprechen, dass beide zwar nicht „den Herrn außer sich, […] aber den Herrn in sich“ tragen, jeder „zugleich aber sein eigener Knecht“ (323) ist. Hegels Kant-Kritik folgt Schiller, der in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (Horen: 1795) schreibt: „Der intuitive und der spekulative Verstand verteilten sich jetzt (d. h. in der europäischen Gegenwart: HPK) feindlich gesinnt auf ihren verschiedenen Feldern, […], und mit der Sphäre, auf die man seine Wirksamkeit einschränkt, hat man sich auch in sich selbst einen Herrn gegeben, der nicht selten mit Unterdrückung der übrigen Anlagen zu endigen pflegt. Indem hier die luxurierende Einbildungskraft die mühsamen Pflanzungen des Verstandes verwüstet, verzehrt dort der Abstraktionsgeist das Feuer, an dem das Herz sich hätte wärmen und die Phantasie sich entzünden sollen.“ 20 Hegel steht dank der Freundschaft mit Sinclair dem praktisch-politischen Begründungsversuch einer Republik in Deutschland nahe, wodurch er dem „abstrakten“ und nur „ideell vermittelten Jakobinismus“21 der Frühromantik fernsteht, insbesondere deren zwischen 1797 und 1799 begonnenen, politisch reaktionären Wendung des Ideals. Hegels politischer Versuch, das republikanische Ideal mit der den nachthermidorianischen Auswirkungen unterliegenden deutschen Wirklichkeit zu vermitteln, korrespondiert auf theoretischer Ebene mit der Aufnahme vereinigungsphilosophischer Motive Hölderlins22 und Sinclairs. Dabei darf man nur nicht das Politische auch in Hölderlins Werk übersehen.23 20

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Schillers Werke, Bd. 14, S. 161. Schiller wertet Fergusons Darstellung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft aus. Vgl. zur Kant-Kritik des frühen Hegel auch Hans-Joachim Krüger, Theologie und Aufklärung, S. 95–98. Gerda Heinrich, Geschichtsphilosophische Positionen der deutschen Frühromantik, S. 48. Vgl. S. 42 u. 53. Siehe G. Kurz, Mittelbarkeit und Vereinigung. Zum Verhältnis von Poesie, Reflexion und Revolution bei Hölderlin. Die „hermeneutische“ Verpflichtung von Kurz bleibt glücklicherweise seiner historischen Sachkenntnis über weite Strecken äußerlich und durchlässig genug. Der auffallendste philosophie- und literaturhistorische Mangel dieser Studie ist das starke Bemühen von Kurz, Hölderlin mit der, wenn auch noch jungen, doch Romantik gleichzusetzen, wodurch Hölderlins gerade besondere historische Stellung, alternativ zu Romantik und Klassizismus gleichzeitig, untergeht bzw. unterschwellig und latent die Romantik mit der instruktiven Hölderlin-Interpretation von Kurz aufgewertet wird. Dabei unterlaufen Kurz bei seiner Einbeziehung Hegels nicht belegbare, stichhaltlose Kurzschlüsse, so auf S. 75 die Vereinfachung Abraham = Robespierre u. S. 141 soll der späte Frankfurter Hegel, der bereits Machiavelli-Schüler ist, angeblich gegen Gewalt an sich sein. Vgl. dagegen Renate Reschke, Geschichtsphilosophie und Ästhetik bei Friedrich Hölderlin. Über den Zusammenhang von Epochenwandel und Ästhetik. A-Dissertation. Humboldt-Universität Berlin. 1972. Insbesondere S. 64 ff. u. 79 ff. Vgl. zur republikanisch-revolutionären Bedeutung der Metaphern Hölderlins Hans-Wolf Jäger, Politische Metaphorik im Jakobinismus und Vormärz, S. 29 ff., S. 34 ff., S. 95. Vgl. zur Einschätzung der Einbeziehung Hölderlins in die politischen Pläne Sinclairs Werner Kirchner, Der Hochverrats-

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Unter den Bedingungen der Französischen Revolution, die den Beginn der bürgerlichen Umwälzung auch in Deutschland induziert, entsteht die Forderung nach der Handlungseinheit von Aufklärern und Volksschichten. Ein solcher Bedürfnishorizont, vorbereitet in der vorrevolutionären Aufklärung bei Rousseau und Herder, gibt während der nachbarlichen Französischen Revolution bei Hegel neben der rationalistischen Beeinflussung dem Sensualismus freie Bahn. Worin Rationalismus und Sensualismus zusammenfließen, verdeutlicht Sinclair. Sinclair fasst – entgegen der rationalistischen, auf praktischen Eingriff unvorbereiteten Aufspaltung der menschlichen Tätigkeitsvermögen und Reduktion dieser auf theoretische Tätigkeit – politisch-moralische „Praxis“ und die geistig und praktisch in einem wirkende „Ästhetik“ als jene Sphären auf, in denen die Einheitsforderung realisiert werden kann.24 Kants Versuch, zwischen dem theoretischen und praktischen Vermögen in der „Kritik der Urteilskraft“ das „Mittelglied“25 auszumachen, ist während der Französischen Revolution seine in Deutschland geistesgeschichtlich wohl nachhaltigste Bemühung, die über ihre kritische Verarbeitung durch Schiller seit dessen Aufsatz „Anmut und Würde“ (1793)26 Hölderlin und Schelling, Sinclair und Hegel, von diesen

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prozeß gegen Sinclair, S. 30, 71, 75, 81. Vgl. auch Pierre Bertaux, Hölderlin und die Französische Revolution. Hölderlin „ist bei der Begeisterung der arkadischen Periode (der Französischen Revolution) stehen geblieben, hat sich da sozusagen kristallisiert“. (S. 62). Bertaux stellt (S. 86) fest, „daß Hölderlin eine Zeit lang in der Perspektive der erhofften schwäbischen Republik gedichtet hat“, etwa bis zum 16. März 1799. Bertaux schließt (S. 139): „Sophokles als Republikaner: das war das letzte, was Hölderlin vor der Umnachtung im Jahre der Krönung Napoleons öffentlich aussprach. Es zeugt nicht nur von seiner Treue, sondern auch von seinem Mut.“ Zu der in Einklang mit dem frühen Hegel stehenden republikanischen Aufgabe in dem Projekt einer neuen Religion auch bei Hölderlin ebd., S. 74–84. Bertauxs Interpretation, Hölderlin sei, wenn auch nicht im „historisch-technischen“ Sinne, ein Jakobiner gewesen, ist m. E. inadäquat, eher irreführend als differenziert (ebd., S. 113). Zwar lassen sich, wie bei Hegel, republikanische Zielstellungen in einem konzeptiven Sinne zeigen, aber keine politische Position eines Jakobiners. Woher sollten, abgesehen von besonderen Ausnahmebedingungen, Jakobiner ohne jakobinische Praxis in Deutschland herkommen können? Eine solche Interpretation gelingt Bertaux durch die zu weite, undifferenzierte Fassung des „Jakobiners“, „Anhänger der Ideale der Französischen Revolution“ zu sein (S. 13). Vgl. die Problematisierung der Jakobiner-These bei R. Reschke, Geschichtsphilosophie und Ästhetik, S. 38 ff. Isaak von Sinclair, Philosophische Raisonnements. In: Hannelore Hegel, Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel, S. 262/268 u. 251. Diese Raisonnements wurden von Sinclair zwar später niedergeschrieben, aber sie stellen m. E., wie Sinclair 1807 an Hegel schreibt, glaubhaft eine „Description“ der Frankfurt-Homburger Diskussionen, keine eigene „philosophische Construction“ dar. Es gehe einzig um das Verdienst der „Treue“, dem Hegel nicht widerspricht. Sinclairs Briefe an Hegel 1806/07, mitgeteilt u. erläutert v. Ch. Jamme, in: Hegel-Studien 13, 1978, S. 42. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (1790). „Ob nun die Urteilskraft, die in der Ordnung unserer Erkenntnisvermögen zwischen dem Verstande und der Vernunft ein Mittelglied ausmacht, auch für sich Prinzipien a priori habe; ob diese konstitutiv oder bloß regulativ sind (und also kein eigenes Gebiet beweisen) und ob sie dem Gefühle der Lust und Unlust, als dem Mittelgliede zwischen dem Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen, (ebenso, wie der Verstand dem ersteren, die Vernunft aber dem letzteren a priori Gesetze vorschreibt) a priori die Regel gebe: das ist es, womit sich gegenwärtige Kritik der Urteilskraft beschäftigt. Ebd., S. 10 f. Friedrich Schiller, Über Anmut und Würde. Erstveröffentlichung in: Neue Thalia, Bd. III. Heft 2 (1793). Schiller versteht das Schöne sowohl „objektiv“ als auch „subjektiv“. „Die Schönheit ist […] als die Bürgerin zweier Welten anzusehen, deren einer sie durch Geburt, der andern durch Adoption angehört; sie empfängt ihre Existenz in der sinnlichen Natur und erlangt in der Vernunftwelt das

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überboten zu werden, erfasst hat. Hegel setzt gleich Sinclair die Realisation der Einheitsforderung in die „praktische Tätigkeit“, welche die politisch-praktische und darauf bezogene moralpraktische Dimension hat, und insofern letztere als massenwirksame Moralpraxis gedacht wird, die religiös-praktische Dimension besitzt. Allein „die praktische Tätigkeit handelt frei“ und ein Glaube kann schon dadurch positiv, also der Freiheit entgegenstehend genannt werden, wenn in ihm „das Praktische theoretisch vorhanden ist“. (239) Erst „im Handeln“ ist „die Einigkeit da“.27 Da „nur durch eine Praxis […] eine Theorie möglich“ ist und sich das Ich der Wissenschaftslehre immer wieder „die Praxis auch nur theoretisch erklären“ kann, also unter der Voraussetzung der Trennung beider, interessiert Sinclair: „Was ist das gemeinschaftliche von Theorie und Praxis?“28 Vom Standpunkt der notwendigen Einheit von Theorie und Praxis geht laut Sinclair „die Aufgabe des Wissens […] weiter zurück als die Form des Wissens“. Die „Form jedes Wissens ist Reflection“.29 Ist Wissen aber auf diese Form fixiert, und geht dagegen die Aufgabe des Wissens weiter zurück als diese Form ermöglicht, gilt, dass so wie erst „nach der Praxis die Theorie möglich“ ist, auch erst „nach dem Gefühl das Setzen“ in der Theorie möglich ist. Die, wie bei Sinclair, auf Praxis bezogene Theorie, die deshalb für Sinclair keine „Theorie“ mehr ist, trennt nicht, wie das „reflectierende Ich“ bei Fichte, die „Einigkeit als ein Sollen (vom Gefühl als einer Schranke)“30, sondern öffnet sich einer republikanischen, der theoretischen Form nach sensualistischen Opposition gegen den rationalen Herrschaftsanspruch der großbürgerlichen Vernunft.31 Gleichzeitig verfällt diese republikanische Form aber nicht in einen einfachen irrationalen Protest gegen die progressiven theoretischen Resultate der klassischen bürgerlichen Philosophie im Sinne Kants und Fichtes, in der Literatur bei Schiller und Goethe. In diesem Sinne formuliert Hegel die religionsbezogene Aufgabe, die ein Spektrum von Spannungsmöglichkeiten ergibt: „Begreifen ist Beherrschen. Die Objekte beleben ist, sie zu Göttern machen.“ (242)

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Bürgerrecht. Hieraus erklärt sich auch, wie es zugeht, daß der Geschmack, als ein Beurteilungsvermögen des Schönen, zwischen Geist und Sinnlichkeit in die Mitte tritt und diese beiden einander verschmähenden Naturen zu einer glücklichen Eintracht verbindet – wie er dem Materiellen die Achtung der Vernunft, wie er dem Rationalen die Zuneigung der Sinne erwirbt, wie er Anschauungen zu Ideen adelt und selbst die Sinnenwelt gewissermaßen in ein Reich der Freiheit verwandelt.“ Schillers Werke. 14. Band. Philosophische Schriften. Hrsg. Witkop-Kühnemann, Berlin 1925 S. 14 f. Im neunten Brief „über die ästhetische Erziehung des Menschen“ bestimmt Schiller klassisch die „schöne Kunst“ als das „Werkzeug“, den folgenden „Zirkel“ zu lösen: „Die theoretische Kultur soll die praktische herbeiführen, und die praktische doch die Bedingung der theoretischen sein. Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen – aber wie kann sich unter den Einflüssen einer barbarischen Staatsverfassung der Charakter veredeln? Man müßte also zu diesem Zwecke ein Werkzeug aufsuchen, welches der Staat nicht hergibt, und Quellen dazu eröffnen, die sich bei aller politischen Verderbnis rein und lauter erhalten“ (Ebd., S. 171). I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 272. Ebd., S. 246 u. 244. Ebd., S. 247 u. 271. Ebd., S. 244 f. Siehe M. Buhr u. G. Irrlitz, Der Anspruch der Vernunft, S. 15.

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Der philosophische Ansatz Sinclairs und, für ästhetische Zwecke expliziert, Hölderlins ist beachtenswert, weil er zeigt, dass Fichtes Idealismus in Deutschland nicht die einzige auf systematisch hohem Niveau stehende philosophische Formierung einer konsequenten republikanischen Position ist. Für Sinclair ist die Aufgabe, die Einigkeit im Handeln herzustellen, „mit der Form des Ich“ nicht erfüllbar.32 Das reflectierende Ich „denkt“ sich „nur die Forderung der Einigkeit“.33 Die „Realität […] treibt mich aus meinem Wissen heraus“.34 Das Gegenüber der Praxis verselbständigte reflectierende Ich findet die Forderung der Einigkeit nicht erfüllt, denn es selbst kann sie nicht erfüllen und setzt dann „hievon den Grund außer sich“35, indem es „transcendent“ und „teleologisch“36 wird. Dagegen, und hierin liegt Sinclairs Intention, müsse angestrebt werden: „Eine Philosophie kann über das Bewußtsein hinausgehen ohne trancendent zu sein, sie muß aber nur negierend verfahren“37, nämlich: „Was aber außer der Reflection ist: das kann ich nur erfahren durch die Negation meines Wissens dadurch, daß ich zeige, daß die Schuld an meinem Wissen liege: daß ich es nicht wissen könne, und dadurch, daß ich die Form des Wissens entferne.“38 „Ich bin praktisch, ehe ich es weiß“.39 „Bewußtsein streng genommen, als Gesetztsein im Ich, ist purer Idealismus.“40 Hölderlin berichtet an Hegel nach seinem Jenenser Fichte-Erlebnis vom „Verdacht des Dogmatismus“ gegenüber Fichte: Fichte „möchte über das Faktum des Bewußtseins in der Theorie hinaus. Das zeigen sehr viele seiner Äußerungen und das ist ebenso gewiß und noch auffallender transzendent, als wenn die bisherigen Metaphysiker über das Dasein der Welt hinauswollten.“41 In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass der Jenenser Universitätsprofessor Fichte, der mit so begeisternden und radikalen Worten von den Fürsten die Denkfreiheit zurückfordert, dem behördlichen Auftrag nachkommt, mit akademisch überzeugenden Mitteln für die Auflösung des „Bundes der schwarzen Brüder“ zu sorgen. Diesem konsequent republikanisch gesonnenen Studentenbund stand Sinclair nahe und über diesen auch Hölderlin. Seckendorf, Mitglied dieses Bundes, und Sinclair, wahrscheinliches Mitglied, sitzen dann später zusammen auf der Anklagebank wegen Hochverrats.42 Andererseits hat Fichte dadurch aber auch zu frühen Polizei-Einsatz gegen „Bündler“ verhindert, und blieben Sinclair wie Hölderlin, bei aller politisch-theoretischen Kritik, Fichte für theoretische Instrumentarien und dessen publizistischen Kampf verbunden. „Die Aufgabe des Wissens geht weiter als die Form des Wissens.“43 Um sich vom „Dogmatismus“, „Skeptizismus“ und „purem Idealismus“ gleichermaßen absetzen zu können, geht Sinclair zum „aesthetischen Gesichtspunkt“ über, „wo man sich der Mängel 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 272. Ebd., S. 249. Ebd., S. 247, 271. Ebd., S. 249. Ebd., S. 263. Ebd., S. 250. Ebd., S. 271. Ebd., S. 251. Ebd., S. 256. F. Hölderlin an Hegel am 26. Jenner 1795. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 19. Siehe W. Kirchner, Der Hochverratsprozeß … S. 112, 129 f., 214. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 271.

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der anderen Gesichtspunkte bewußt ist“, insbesondere des Mangels, dass die „Form der Reflection […] nicht weiter geht als das Bewußtsein.“44 Ähnlich bewegt Hegel, wie der reflexive Begriff „zugleich praktisch werden“ kann (240), da doch „theoretische Synthesen […] ganz objektiv, dem Subjekt ganz entgegengesetzt“ werden (242). Sinclair fragt: „Wie muß man aesthetisch verfahren? Der Anfang geschieht von einer Idee, der Vereinigung, die mehr ist als die getrennten, die aber sein soll“. Es ist für Sinclair eine unleugbare Aufgabe, „Gott (das principium activum), ich und Materie (das principium passivum) zu vereinigen“, ebenso, etwas außer der idealen Produktion anzunehmen.45 Um vollständige Vereinigung von Subjekt und Objekt geht es auch Hegel (242, 252 f.). Praxis im Gegensatz zu Theorie und Reflection gilt Sinclair als „Thierheit“ und insofern „Bewußtlosigkeit“.46 In dem „bewußtlosen Zustand“ der Praxis sind „Subjekt und Objekt nicht getrennt“. In „Praxi Materie und Form zu unterscheiden (ist) transcendent“, denn „Form und Materie sind Trennungen in der Reflection“. Praxis zeichnet sich durch „Confusion“ der getrennten aus.47 Praxis entfaltet sich historisch im Sinne von „Thierheit“ zu der Praxis der „Einigkeit des gesunden Menschenverstands“48. Aber die historisch neue Praxis „als Einigkeit des gesunden Menschenverstands“ ist wieder zu unterscheiden von der „Aesthesis“, d. h. der höheren „Vereinigung des philosophierenden Verstands“. „Aesthesis“ ist Vereinigung in der „idealen Realität“, die aber nicht auf sich immanent bezogen bleibt, sondern „über das Bewußtsein hinausgeht“, in der die über sich in Praxis hinausgehende Sphäre der idealen Realität mit der „Confusion“ in der Praxis korrespondiert, ja ihrerseits „confundiert“.49 Um diese Ebenen auseinanderzuhalten, differenziert auch Hegel zwischen „vollständigeren und unvollständigeren Vereinigungen“ (253). Um von vorneherein Realverhältnisse als Vereinigungen denken zu können, wendet Hegel Hölderlins Seinsbegriff an, den er in „verschiedenen Arten des Seins“, d. h. von Vereinigungen, staffelt (252 f.) Sein drückt die Verbindung des Subjekts und Objekts aus. (vgl. 242) Auch Hölderlin unterscheidet die praktische, theoretische und ästhetische Ebene von Teilung und Vereinigung.50 Darauf komme ich gleich zurück. Die „Aesthetik“ relativiert bei Sinclair und Hölderlin die Bedeutung der reflexiven Theorie, welche sich absolut setzt, d. h. ihr „Ich“ zur „Substanz“ erklärt, anerkennt aber ebenso die Notwendigkeit „der theoretischen Reflection“, denn „Thierheit und Aesthetik“ sind voneinander zu unterscheiden. Aesthetik insistiert bei Sinclair keinesfalls auf Rückfall in „Thierheit“. „Die Einigkeit muß das höhere sein, nicht aber die thierische“. „Man kann nur durch die Theorie und Aesthetik auf Praxis kommen (damit diese nicht bloße Thierheit bleibe: H.-P. K.) und Theorie und Aesthetik sind nur da, insofern Praxis da ist.“51 Auch Hölderlin legt großen Wert auf den „Unterschied“, ob der menschliche 44 45 46 47 48 49 50 51

Ebd., S. 262, 268 u. 260. Vgl. auch F. Hölderlin, Urteil und Sein. In: Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. G. Mieth, Bd. 2 S. 365. I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 271. Ebd., S. 251, 270 u. 246. Ebd., S. 253 u. 267. Ebd., S. 259, 267 f. u. 270. Ebd., S. 268. F. Hölderlin, Urteil und Sein, Bd. 2, S. 364 f. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 251.

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„Bildungstrieb blind wirkt oder mit Bewusstsein, ob er weiß, woraus er hervorging und wohin er strebt […]“. Es sei aber zu sichern, dass der Bildungstrieb nicht wieder „auf halbem Wege, bei den Mitteln, die ihn zu seinem Zwecke führen sollten, stehen bleibt“.52 Um dies zu erreichen, ist auch theoretisches Wissen erforderlich, aber als Mittel, bei dem nicht stehenzubleiben ist, nicht als Selbstzweck zu wissen. Dieser praktische Bezugspunkt von Theorie bei Hölderlin und Sinclair richtet sich auch gegen Fichtes Art und Weise von Theorie. Fichte schreibt selbst, dass der „wissenschaftliche Idealismus“ auf jenen „erhabenen Zweck“, ins Leben einzugreifen, „demütig Verzicht tut“: Der „Idealismus ist das wahre Gegenteil des Lebens. Sein eigentlicher Zweck ist Wissen, um des Wissens willen, sein praktischer Nutzen ist nur mittelbar […] Philosophie auf Denkart und Gesinnung bezogen ist mir absolut nichts.“53 Zugleich ist der von Hölderlin und Sinclair als notwendig befundene Gebrauch theoretischer Mittel objektiv gegen die „Unphilosophie“, wie der Jenenser Hegel sagen wird, gegen die Schriftstellerei Jacobis gerichtet. Fichtes Kritik an Jacobi, dass dieser im Namen des „Lebens“ praktische Wärme nicht „im Philosophieren“ zeigt, sondern „gegen die Philosophie“54 überhaupt inszeniert, trifft auf Hölderlin und Sinclair nicht zu. Hegel greift Fichtes Tätigkeitsansatz zunächst auf, um Theorie von Theorie zu unterscheiden. In Gegensatz zum „positiven Begriff“ ist der Begriff als einer „reflektierten Tätigkeit“ innerhalb der theoretischen Sphäre der dem praktischen Anliegen adäquate Begriffstyp. Der „Begriff ohne die Tätigkeit ist ein positiver Begriff“. (240) Dieser ist „nur etwas Erkanntes, ein Gegebenes, etwas Objektives und erhält seine Macht, seine Kraft, seine Wirksamkeit nur durch ein Achtung oder Furcht erweckendes Objekt, vor dem wir vergehen, dem wir unterliegen müßten […].“ Dagegen „eröffnet“ uns der tätige Begriff den „Weg“ zum Objekt, „dadurch Einigkeit möglich würde“. „Der positive moralische Begriff ist fähig, den Charakter der Positivität zu verlieren, wenn die Tätigkeit, die er ausdrückt, selbst entwickelt wird und Kraft bekommt, […].“ (240). So sehr innerhalb der Philosophie für die tätige Fassung des Begriffs gekämpft werden müsse, er bleibt reflektierte Tätigkeit und teilt daher die Grenzen des Theoretischen überhaupt. Um aus der Selbstverständigung zwischen Theoretikern zu außertheoretischer Breitenwirkung im gesellschaftlichen Leben zu gelangen, hält auch Hegel den „ästhetischen Weg“ für erforderlich, aber in der Religionsfrage selbst. Hegel entkoppelt die Tätigkeit von ihrer vorzüglichen Bindung ans Ich und bindet sie stattdessen umfassender an die Sprache. „Die Vereinigung ist die Tätigkeit; …Vereinigung und Sein sind gleichbedeutend; in jedem Satz drückt das Bindewort ‚ist‘ die Vereinigung des Subjekts und Prädikats aus – ein Sein; Sein kann nur geglaubt werden; Glauben setzt ein Sein voraus[…].“ (251) Hier, in der Umstellung der Problem- und Methodenfrage vom Selbstbewusstsein auf die Sprache, die Selbstbewusstsein ermöglicht, hat Hegel seinen spezifischen Weg, mit Trennungen und Vereinigungen umgehen zu können, erreicht. Er wird in Jena bahnbrechend durchgeführt werden.

52 53 54

Hölderlin, Der Gesichtspunkt, aus dem wir das Altertum anzusehen haben, Bd. 2, S. 370. J. G. Fichte, Briefe. An Karl Leonhard Reinhold. 22.April 1799, S. 179 f. Ebd.

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Dabei ist Hegels Aufmerksamkeit wieder, um den Gefahren der arbeitsteilig verselbständigten Produktion ästhetischer Phänomene durch Kunst55, wie sie in der dann objektiv vor dem Volk hermetisch werdenden Poesie auch Hölderlins liegen, zu entgehen, stärker auf die ästhetischen Möglichkeiten der breitenwirksamen Sphäre der Religion gerichtet. Hegel stellt dem anhaltenden Schicksal der Juden eine Entwicklung gegenüber, in der „sie es durch den Geist der Schönheit aussöhnen und so durch die Versöhnung aufheben“ werden. (292) Da im „Geist des Judentums“ Hegel das „Schicksal des jüdischen Volkes“ noch mit dem der europäischen Gegenwart identifiziert, wie es Shakespeare neuartig gegenüber der griechischen Antike im „Macbeth“ gezeigt hatte (297), handelt es sich bei diesem Zitat um eine konzeptionelle Aussage des Frankfurter Hegel über ein Strukturproblem seiner Gegenwart. Die ästhetische Vorstellung des Ideals bleibt auch mit der Wende von 1798/99 erhalten, ja, steigert sich in erster Reaktion noch auf die eintretende Desillusionierung über den republikanischen Anspruch. Jesus verkörpert bei Hegel das „negative Attribut der Schönheit“, die „höchste Freiheit“ (350 f.). Er erhebe sich über die „Eigentumsverhältnisse“, weil sie „nicht zu schönen Verhältnissen werden“ (311) können. Die christliche Erhebung über die Eigentumssphäre führt aber zu „keiner Aussöhnung des Schicksals“, sondern dafür zum „entgegengesetzten Extrem des jüdischen Geistes“: Sie führt also nicht, und daran bewertet Hegel im Geiste Hölderlins, zur „Mitte der Extreme in der Schönheit“. (404) In der „Idee der Moralität […] als in einem Spiegel die Schönheit derselben“ zu erblicken, ist ein Motiv, das auf die frühe, schon Tübinger Freundschaft mit Hölderlin zurückgeht und auch beim Berner Hegel nachweisbar ist (74, vgl. 81).Aber reine Moralität, die sich nicht aussöhnt mit dem Endlichen, schlägt in Herrschaftszwang um, in positive Begriffe statt reflektierte Tätigkeit und Vereinigung (s. o.). Infolge der fehlenden revolutionären Potenzen in Deutschland wird die Konzentration der deutschen Aufklärung von vor der Französischen Revolution auf die Entwicklung der geistig-praktischen Aneignungsweisen (Religion und Kunst) auch während der Französischen Revolution, nun aber diese auswertend, beibehalten. Der noch so heiß gewünschte, geforderte, schließlich „geglaubte“ Übergang von geistiger Kontemplation zu politischer Praxis bleibt zwischen beiden, in der „Mitte“ der religiösen und künstlerischen Betätigung als den weder nur geistigen, noch schon konsequent praktischen, als den eben geistig-praktischen Keimformen der Emanzipation stecken. Diese objektive Konstellation liegt dem Suchen, immer wieder die Einheit in der geistig-praktischen „Mitte“ herzustellen, zu Grunde. Hölderlins Forderung nach der „eben […] höheren Aufklärung, die uns 55

Siehe Hegel, Frühe Schriften, S. 199. Die „Phantasie der gebildeteren Teile der Nation (hat) von der der gemeinen Stände ein völlig anderes Gebiet […] und Schriftsteller und Künstler, die für jene arbeiten, werden von diesen schlechterdings […] ganz und gar nicht verstanden“. Schiller unterschied in: „Über die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen“ (Horen, 1795) zwischen der wissenschaftlichen und populären Erkenntnis und dem Gebrauch schöner Formen, die verschiedene Publika unterstellen. Daraus entsteht das Problem: „der Gedanke bleibt derselbe, nur wechselt das Medium, das ihn darstellt“ (ebd., S. 275). Schiller fragt danach, wie das jeweils eine weltanschauliche Anliegen in die Spezifik der „Medien“ oder „Sphären“ zu „übersetzen“ sei (S. 283). Schillers Werke, Bd. 14. Eine Lösung dieses Problems bietet Hegel dann in seinem frühen Jenenser Programm der Philosophie, dort vor allem aber in kritischer Anknüpfung an die Diskussionen mit Sinclair, an.

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größtenteils abgeht“56, stellt die Traditionslinie zur vorrevolutionären deutschen Aufklärung, bei gleichzeitigem revolutionserfahrenen Drängen nach einem höheren philosophischen Bewußtheitsgrad, her, wie sie sich andererseits von der französischen „reflexiven“ Aufklärung und der rein philosophisch bleibenden deutschen Systematik abgrenzt. Hölderlin bereitet Marxens Charakteristik der Religion und Kunst als geistig-praktische Aneignungsweisen vor, wenn er den „Unterschied religiöser Verhältnisse“ von anderen gesellschaftlichen Verhältnissen dahinein setzt, „daß die religiösen Verhältnisse einesteils […] das negative gleiche Nebeneinandersein der intellektualen Verhältnisse, andernteils […] die Unzertrennlichkeit in ihren Teilen haben, welche die Teile eines physischen Verhältnisses charakterisiert“.: Die religiösen Verhältnisse sind „in ihrer Vorstellung weder intellektuell noch historisch, sondern intellektuell historisch, d. h. mythisch“.57 Marx hat das Wort von der „schönen Revolution“ bei Behandlung der Französischen Februarrevolution von 1848 geprägt, einer „Revolution der allgemeinen Sympathie, weil die Gegensätze, die in ihr gegen das Königtum eklatierten, unentwickelt, einträchtig nebeneinander schlummerten, weil der soziale Kampf, der ihren Hintergrund bildete, nur eine luftige Existenz gewonnen hatte, die Existenz der Phrase, des Worts“.58 Der um ästhetische Wertung zentrierte Standpunkt Hölderlins, welcher das Wort zum Material und Instrument seiner poetischen Tätigkeit hat, identifiziert sich hinsichtlich der Phasen der Französischen Revolution mit der Herrschaft der Gironde, während der die sozialen Gegensätze der Revolutionsparteien noch nicht zur jakobinischen Konsequenz treiben. Was vom politisch bewertenden Standpunkt der „aufsteigenden Linie“ der Französischen Revolution Marx bei der Gironde als „Phrase“ der allgemeinen Verbrüderung, als „schwärmerische Erhebung über den Klassenkampf“, als „sentimentale Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen“59 charakterisiert hätte, besitzt diese, gleichfalls von Marx hervorgehobene, besondere ästhetische Affinität. Zudem sucht die Gironde, damit auch der politischen Sympathie der republikanisch gesonnenen Deutschen sicher, in „weltbürgerlich-revolutionärem Idealismus […] Frankreich die Rolle eines Erlösers aller feudal unterdrückten Völker“60 aufzudrängen. Diese ihre Ausrichtung nach außen auf der Grundlage der im Innern noch unentwickelten Kämpfe zwischen den Revolutionsparteien gestalten die girondistische Periode aus der Perspektive des deutschen Phasenverzugs als am ehesten nachvollziehbar. Der Zusammenschluss beider, des ästhetischen und politischen Aspekts, löst Hölderlins Bindung an die Gironde aus, die Hegel, wie im 1. Kapitel gezeigt, nur anfänglich teilt. Hölderlins Gedanke der „Vereinigung“ bedeutet weltanschaulich gegen den eigenen Standpunkt des republikanischen Ideals zwecks seiner Aufrechterhaltung gewandt, angesichts der Realisationsnöte nicht in leere, subjektivistische Flucht vor der Wirklichkeit, diese dadurch nur rückwärts bestätigend, auszuweichen, sich nicht dieser zu akkomodieren, da es mal wieder dieses oder jenen Jahrhunderts der weiteren Vorbereitung brauche, oder durch „ungeduldig“ erfolgende, dann künstlich gewaltsame, weil auch „pure“ statt 56 57 58 59 60

F. Hölderlin, Über Religion, Bd. 2, S. 385. Ebd., S. 387. Vgl. K. Marx, Grundrisse, S. 22. Vgl. aber auch zur Mythologie ebd., S. 30 f. Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850, MEW Bd. 7., S. 30 f. Ebd., S. 19 f. Walter Markov u. Albert Soboul, Die Große Revolution der Franzosen, Berlin 1975, S. 242. Vgl. zur Bedeutung der Gironde für Hölderlin G. Mieth, Hölderlin S. 30.

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„mittelbare“ Überführung des Ideals in die Wirklichkeit das Ideal selbst zu verkehren. In ihm liegt die Abgrenzung von romantischer Reaktion, klassizistischem Verhaltensmuster und jakobinischem Diktat gleichermaßen, ohne von der Kritik des nachthermidorianischen, sich gegenüber Deutschland egoistisch verhaltenden Bourgeois abzulassen, und dies wieder, ohne in den Schoß der Feudalmonarchie zurückzufallen.61 Es bleibt als Mahnung über die Zeiten seine „Verzweiflung jenseits aller Verzweiflung“.62 Hölderlin dichtet an Sinclair: „Wenn ich so singend fiele, dann rächtest du Mich, mein Achill! und sprächest: Er lebte doch Treu bis zuletzt!“63

Nach der Revolution sich selbst von vor der Revolution treu bleiben, obgleich es einen auseinander reißt. Im bleibenden Vor der Revolution ihr Nachher schon kennen. In ihrem Nach nicht in ihr Vor zurück. Die Aufklärung erhöhen. Ihre idealistische Erhöhung aufklären. Wie viel Veränderung verkraftet ein Selbst in solchen Zeiten, in denen das Gleichzeitige ungleichzeitig und das Ungleichzeitige gleichzeitig wird? Ist es zu früh? Ist es zu spät? (Volker Braun). „Darum also ist alles Seiende noch um das Nicht gebaut, das es freilich nicht bei sich aushält. Weil unsere Sache selbst noch ungelungen ist, deshalb geht sie in dem ihr Gewordenen immer wieder widersprechend um.“64 In welchen ideengeschichtlichen Rezeptionszusammenhängen artikuliert sich Hölderlins vereinigungsphilosophische Begründung der emanzipatorischen Forderung nach Einheit des ganzen Menschen und Hölderlins Streben nach derart wirksamer Darstellung dieser Forderung, dass die Einheit von geistiger und praktischer Handlung ermöglicht wird? „Die Rezeption Fichtes unter den Prämissen Spinozas und die Rezeption Spinozas unter denen Fichtes gehört, zusammen mit der des Platonismus zu den konstitutiven Ausgangsbedingungen idealistischen Denkens“ bei Hölderlin und Schelling, Hegel und Sinclair, wobei galt: „Plato war ihm (Hölderlin: HPK) allerdings nicht der Philosoph der Ideenlehre, sondern derjenige, dessen Dialoge die dunklen Sätze Heraklits noch bewahren,“ und dessen Begründung der Einheit in der Schönheit interessierte.65 Heise hebt, überzeugend für den Dichter Hölderlin, den Zusammenhang zwischen intellektualer Anschauung und Begeisterung hervor, der es Hölderlin gestatte, so unterschiedliche Seinsdenker wie 61

62 63 64 65

Vgl. G. Kurz, Revolution und Dichtung. In: Mittelbarkeit und Vereinigung, S. 126–156. Vgl. Bertaux, a. a. O., S. 112 f. G. Mieth schreibt, Hölderlin erfassend, wenn auch nicht zu richtiger Differenzierung gegenüber der Entwicklung des jungen Hegel: „Hölderlin aber versuchte das zu seiner Zeit Unmögliche: die Vereinigung des vorrevolutionären Konzepts mit den Erfahrungen, die die Französische Revolution vermittelt hatte. Er war weder ein idealistischer Revolutionsschwärmer, der nur ideologische Positionen bewahrte […], noch ein realistischer Evolutionstheoretiker, der sich der deutschen nichtrevolutionären und der französischen nachrevolutionären Wirklichkeit anbequemte.“ G. Mieth, Hölderlin, S. 108 f. H. Stierlin, Hölderlins dichterisches Schaffen im Lichte seiner schizophrenen Psychose. Psyche Nr. 26. 1972, S. 547. Friedrich Hölderlin, An Eduard, Bd. 1, S. 426. Ernst Bloch, Subjekt-Objekt, S. 471 So die Diskussion seit Henrichs Hegel im Kontext zusammenfassend G. Kurz, Mittelbarkeit und Vereinigung, S. 57 u. 19.

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Plato und Spinoza und so unterschiedliche Bewusstseinsdenker wie Kant und Fichte im poetischen Verfahren zusammenzuführen.66 Hölderlin führt die Einheitsdenker Plato und Spinoza und die Widerspruchsdenker Heraklit und Fichte zusammen, wobei jeweils der erstere als Vertreter antiker Denkweise der Vorstellung Hölderlins von einer ursprünglichen, in sich belebten Einheit näher steht, der jeweils letztere als moderner Denker der auch einseitigere, das heißt den jeweils seiner Philosophie entgegengesetzten Gedanken (der notwendigen Dissonanz oder der absoluten Einheit) nicht hinreichend begründende Denker ist. Dabei knüpft Hölderlin an die sensualistischen und auf heroisch schönen, nicht eigennützigen Genuss orientierenden Lehren Rousseaus und Shaftesburys an, um schon in der Theorie an die Frage des Handlungsimpulses heranzukommen und letztlich nicht in der Theorie stehen bleiben zu müssen. Hegels Gebrauch des Substanzgedankens nimmt in Frankfurt zu. Seine Beschäftigung mit Platons Schönheitsbegriff im „Phaidros“ (244) steht in offenbarem Zusammenhang mit Hölderlins Vorhaben, darüber einen Aufsatz zu schreiben. Die Beschäftigung mit Fichte, bei dem Hölderlin in Jena war, ist ohnehin durchgängig. Die Orientierung auf Rousseau, aber auch, von Lessing und dem Sturm und Drang schon herrührend auf Shaftesbury, geht auf die Tübinger Freundschaft mit Hölderlin zurück und ist auch bei Hegel bereits in Bern nachweisbar (74, 96). Diese Zusammenführung bei Hölderlin soll Schillers zwiespältigen Versuch, mit Kantischen Mitteln über Kant hinaus die Einheit von Subjektivität und Objektivität zu begründen, beantworten. Schillers Vereinigungsprinzip heißt „Liebe“, aber diese wird als „Neigung der Vernunft, sich mit dem Sinnlichen zu vereinigen“, wie Schiller schreibt, noch an Kants Vernunft gebunden. Schiller behauptet zwar gegen Kant Schönheit als Vereinigung der Lebensprinzipien, aber Schönheit bleibt im Kantischen Sinne dem Reich der Phänomenalität zugehörig. Insofern besteht Schillers Problem darin, doch noch „in der Sphäre der Subjektivität die Objektivität des Schönen zu denken.“67 Schillers Bemühung ist aufklärerisch vorbereitet in Herders Unternehmen, „Liebe und Selbstheit“ zusammenzuführen. „Es gehört zu Herders eigenständiger Position, daß er Spinoza mit Hilfe von Leibniz und Shaftesbury zu ergänzen und zu vollenden suchte.“68 Heise bestimmt Herders weltanschauliches Grundkonzept, das hinter Herders Versuch, Selbstheit und Liebe zu vereinigen, steht, wie folgt: „Herders Pantheismus ist eine Form der Versöhnung von 66 67

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Siehe W. Heise, Hölderlin, S. 215 ff., 221 ff., 228 ff., 251 ff. G. Kurz, a. a. O., S. 18. Vgl. ebd., S. 217. Diese prinzipielle Grenzziehung überschreitet auch Kants ästhetische Urteilskraft nicht: „So wie die Idealität der Gegenstände der Sinne als Erscheinungen die einzige Art ist, die Möglichkeit zu erklären, daß ihre Formen a priori bestimmt werden können; so ist auch der Idealismus der Zweckmäßigkeit, in Beurteilung des Schönen der Natur und der Kunst, die einzige Voraussetzung, unter der allein die Kritik die Möglichkeit eines Geschmacksurteils, welches a priori Gültigkeit für jedermann fordert (ohne doch die Zweckmäßigkeit, die am Objekte vorgestellt wird, auf Begriffe zu gründen) erklären kann.“ Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, a. a. O., S. 259 f. Vgl. auch ebd., S. 170f u. 253 f. Schillers Zwiespalt, mit Kant über Kant hinauszugehen, zeigt sich, wenn er das „ganz Eigentümliche“ der Schönheit darin sieht, „daß die Natur sie (die Schönheit HPK) nicht bloß ausdrückt, sondern auch erschafft“ (S. 13), oder Schiller danach fragt, „durch welche objektive Eigenschaft der schöne Gegenstand fähig sei, dieser Idee (der Schönheit HPK) zum Symbol zu dienen“ (S. 15), andererseits aber die Schönheit in die Welt der „Erscheinung“ Kantischen Sinnes zurückversetzt (S. 12) und schließlich schreibt „dies ist eine viel zu wichtige Frage, um hier bloß im Vorübergehen beantwortet zu werden“ (S. 15). Schillers Werke Bd. 14. G. Kurz S. 36.

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Materialismus und Idealismus in widersprüchlicher Einheit, bei dominant objektiv-idealistischem Charakter, schon durch die theologischen Momente, die jedoch wiederum eingeschränkt, z.T. aufgehoben werden durch den stark ausgeprägten Sensualismus und den Gesetzmäßigkeitsgedanken.“ Herder „amalgamiert“ Historismus mit leibnizianischem Kontinuitätsdenken und „Hamannschem Erbe der Bewußtheit und Rebellion der konkreten Individualität“.69 Hölderlins vereinigungsphilosophischer Ansatz reproduziert, allerdings weniger metaphorisch als bei Herder, sondern kategorial durch Kant und Fichte geschult, einen solchen objektiv-idealistischen Einheitsgedanken, der durch den spinozistischen Substanzgedanken materialistisches und sensualistisches Gedankengut aufnehmen kann, wie sich insbesondere beim späten Frankfurter Hegel zeigen wird. Dieser Ansatz wird durch die Fichteanischen Widerspruchsprinzipien in sich dialektisch bewegt und entwickelt, ohne das Ich zum Absoluten zu machen, denn für Hölderlin, Sinclair wie Hegel verbleibt, ob herrschend oder unterdrückt, das Selbstbewusstsein unentrinnbar im fixierten Gegensatz mit der Objektwelt. Hölderlins Aufnahme Fichteanischer Dialektik sichert, dass sein Ansatz keine bloße Wiederholung des Herderschen Pantheismus darstellt, wie zugleich die Integration der dialektischen Mittel Fichtes in einen objektiv-idealistischen Ansatz vor Fichtes Subjektivismus bewahrt. Hölderlins originärer philosophischer Entwurf, der Schillers Objektivierungsversuch teilt und gegen Kants Dualismus konsequenter macht, ist gleichzeitig der die soziale Emanzipation vertagenden Jahrhundertstrategie des Klassizismus entgegengesetzt. Hölderlins Bemühen um Objektivierung deckt keine Vertagung, Verphilosophisierung oder Verästhetisierung des republikanischen Anspruches. Schiller muss, aber ja auch historisch realistisch gegenüber Hölderlin, anerkennen, dass sein ästhetisches Erziehungsprogramm, welches sich als Vorbereitungsprogramm vollständigerer Emanzipation versteht, „der Tat nach […], wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln“70 endet. Hier gibt Schiller das allen gemeinsame „Schicksal“ an: Dichter und Denker ohne Volk. Hölderlins Absage an die klassizistische Entwicklungstendenz schließt das Bewusstsein ein, den „Stahl“71 zur rechten Zeit und nicht unvermittelt, sondern vorbereitet sowie moralisch kontrolliert einzusetzen. Hölderlins „Vereinigung“ oder „Versöhnung“ bedeutet keine Harmonisierung vom rational disziplinierteren und überhistorischen Standpunkt, sondern Darstellung der krassen aktuellen Dissonanzen, durch die gerade hindurch die emanzipatorisch aktivierende Funktion von Kunst, statt der Ablösung des zur Welt des schönen Scheins werdenden ästhetischen Staates vom aktuellen Notstaat der Wirklichkeit, ausgeübt werden soll. „Aber die Besten unter den Deutschen meinen meist noch immer, wenn nur erst die Welt hübsch symmetrisch wäre, so wäre alles ge69

70 71

W. Heise, Der Entwicklungsgedanke als geschichtsphilosophische Programmatik, a. a. O., S. 126 u. 127 f. Vgl. zur Vorform der Frankfurter „Vereinigungs“-Bestrebungen Lessings Spinozismus: Anita Liepert, Der Spinozismus Lessings, S. 59 ff. Schillers Werke, Bd. 14, S. 253. Hölderlin, An Eduard, a. a. O. Vgl. die Interpretation dieses Gedichts mit der Metaphorisierung des „Tyrannenmords“ auf dem Wege zu einer schwäbischen Republik im „Stahl“ bei P. Bertaux, a. a. O., S. 130 ff. Vgl. G. Kurz, a. a. O.: „Dichtung als anamnetisches Bewußtsein der ‚Thaten der Welt‘“, S. 170 ff.

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schehen.“ „Nicht wie das Spiel vereinige die Poesie die Menschen“, sagt Hölderlin.72 Der „Überschuß“ des weltanschaulichen Reservoirs des kleinbürgerlichen Republikaners über den realbürgerlichen Inhalt des Übergangsprozesses zum Kapitalismus wird von Hölderlin gegen die in Deutschland aussichtslose und in Frankreich nachthermidorianisch entpuppte Revolution gleichermaßen unbeirrbar und historisch illusionär aufrecht erhalten. Dieses Schicksal erzielt eine umso tragischere und unversöhnlichere Wirkung, als Hölderlin, indem er die unversöhnbaren Dissonanzen zu versöhnen sucht, in diesem Scheitern verzweifelt, ohne die Versuche der Vereinigung aufzugeben, und derart der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit umso offener hervortritt. In dem Projekt der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts erklärt Hölderlin in der Tradition von Herder und Schiller sowie Rousseaus „Vaterlandsliebe“ die Liebe zum anderen Menschen und, potenziert das ganze Volk erfassend, die Liebe zu Gott als vertrauten, jedem Menschen erfahrbaren Vorgang zum Modell, an das Lösungen des, im Unterschied zu Schiller in nach wie vor aktueller republikanischer Intention gestellten, Vereinigungsproblems anzuknüpfen sind: „Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.“ „Es wird nur Eine Schönheit sein, und Menschen und Natur wird sich vereinigen in Eine allumfassende Gottheit.“73 Der frühe Berner Hegel folgt noch hoffnungsvoll der handlungsbestimmenden Rolle von Liebe als einem im Unterschied zur Vernunft „pathologischen Prinzip des Handelns“ (30). Der Rückgriff auf Liebe geschieht, um Vernunft realisieren zu können, in dem Vertrauen darauf, daß „das Grundprinzip des empirischen Charakters Liebe (ist), die etwas Analoges mit der Vernunft hat, insofern als die Liebe in anderen Menschen sich selbst findet oder vielmehr sich selbst vergessend sich aus seiner Existenz heraussetzt, gleichsam in anderen lebt, empfindet und tätig ist“. (30) So sehr sich Hölderlin schon von Schiller unterscheidet, doch Hegels Aufmerksamkeit für die gesamtgesellschaftlich wirksame geistig-praktische Betätigungsweise der Religion unmittelbar berührt, und andererseits der Frankfurter Hegel die Liebesbeziehung als Lösungsmöglichkeit des Vereinigungsproblems in Anschluss an Hölderlin erneut durchdiskutiert, so eindeutig relativiert Hegel von Anfang an diese Lösungsrichtung in der gegenwärtigen Gesellschaft der Entzweiung: „Diese Vereinigung der Liebe ist zwar vollständig, aber sie kann es nur so weit sein, als das Getrennte nur so entgegengesetzt ist, daß das Eine das Liebende, das Andere das Geliebte ist, daß also jedes Getrennte ein Organ eines Lebendigen ist.“ (249, Hervorhebung von mir: H.-P. K.) Allgemeiner gefaßt: Hegel beginnt im Unterschied zu Hölderlin und Sinclair von dem vorgelagerten, immer wieder vorausgesetzten Vereinigungsgrund des Entzweiten, ob dieser nun rousseauisch als ursprünglicher Naturzustand, historisch als Antike-Ideal oder aktuell als Ideal der Liebesbeziehung gesetzt sei, abzulassen. Ihm reicht weltanschaulich gesehen die Konfrontation von Ideal und Wirklichkeit auch in dem schon bei Hölderlin und Sinclair vermittelnden, aber letztlich nur immer wieder „gradweise“74 vermittelnden Sinne, nicht mehr aus. Hegel legt in Einklang mit der deutschen Klassik in Literatur und 72 73 74

F. Hölderlin, An den Bruder: 1.1.1799, Bd. 4, S. 340. Ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 268. Vgl. zur „Vaterlandsliebe“ als Vereinigungsgrund J.-J. Rousseau, Ökonomie. In: Artikel aus Diderots Enzyklopädie, S. 353. Hölderlin, An Isaak von Sinclair. 24.12.1798, a. a. O., Bd. 4, S. 334. Vgl. ders., Das Werden im Vergehen, Bd. 2, S. 426. Vgl. G. Mieth, Hölderlin S. 69.

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Philosophie, philosophisch insbesondere mit Fichtes Wissenschaftslehre, den Vereinigungsgrund stärker in die Tätigkeit selbst. Hegels Gebrauch der Gedankenform „Vereinigung“ ist nicht so kennzeichnend, wie bei Hölderlin und Sinclair, mit den Assoziationen „Ruhe“, „Frieden“, „Wiedererweckung“ sowie „unendlichem Sollen“75 der Vereinigung belastet. Hegel verbindet von vornherein stärker als seine beiden Freunde Vereinigungsgedanken mit Fichtes Tätigkeitsansatz. Dadurch steht Hegel Fichte und Schelling näher. Zugleich weiß sich Hegel aber mit Sinclair in dessen Kritik gegen den Standpunkt der „immanenten Reflection“, der die Gesetze der „reflectierenden Tätigkeit“ auf alle sozialen Sphären überträgt, zugunsten der „Praxis“ einig, in der die Einheit von Subjekt und Objekt, wie Sinclair sagt, als „Confusion“ existiert.76 Kann Schelling auch, indem er das Ästhetische als Organon in die Philosophie einbringt, als ein auf das Feld der Philosophie geratener Bundesgenosse gelten, so steht Hegel selbst jetzt, in weltanschauliche Bedrängnis geraten und auf Philosophie angewiesen, in der Ernsthaftigkeit des volksaufklärerischen Anliegens Sinclair und Hölderlin näher. Für die Differenzierung innerhalb des Freundeskreises Schelling, Hölderlin und Hegel ist ihr Briefwechsel aus dem Jahre 1795 aufschlussreich, aus dem oben bereits Hegels Replik gegen Schelling, dass dieser nicht wird verstanden werden und so nicht wird wirken können, hervorgehoben wurde. Schelling und Hegel teilen sich ihre Desillusionierung und daraus zu ziehende Schlussfolgerungen mit. Schelling vollzieht in diesem Jahr den Übergang von dem, was Hölderlin „höhere Aufklärung“ nennen würde, zu systematischer Philosophie. Erfolgt anfänglich Schellings Konzentration auf das Problem, die Philosophie selbst weiter zu entwickeln, noch, damit „der große Haufe“ diese Entwicklung „mit Händen greifen“ kann, schließt Schelling am 21. Juli 1795 an: „Gewiß, Freund, die Revolution, die durch die Philosophie bewirkt werden soll, ist noch ferne.“77 Hegel, der anerkennt, dass „immer […] freilich eine esoterische Philosophie bleiben“ wird, beharrt trotz Illusionsverlustes darauf, dass „alles bisherige Wissen angewendet“ werden muss.78 Während Schelling den „moralischen Despotismus“ schlimmer bewertet als den politischen, stellt Hegel das Verhältnis beider umgekehrt dar und führt das Wiederaufleben der Theologie auf ihre „weltlichen Vorteile“ im Feudalstaat zurück.79 Die Stimmung steigt aber wieder, wenn Schelling im Januar 1796 an Hegel schreibt: „Es kommt darauf an, dass junge Männer, entschieden, alles zu wagen und zu unternehmen, sich vereinigen, um von verschiedenen Seiten her dasselbe Werk zu betreiben, nicht auf einem, sondern auf verschiednen Wegen 75

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Reflexiv und damit theoretisch ist für Hölderlin die Vereinigung von Subjekt und Objekt nur in einer „unendlichen Annäherung“, in diesem Sinne also noch kantisch, möglich. F. Hölderlin, Sämtliche Werke. Hrsg. F. Beissner, Stuttgart 1943–1972, Bd. 6, S. 181 Ebenso Isaak von Sinclair: „Ursprünglich war Friede“: Sinclair, a. a. O., S. 267. Vgl. Anmerkung 31. So sehr von Hölderlin und Sinclair das Ursprungsprinzip mit Fichtes Widerspruchsprinzip vermittelt wird, ersteres behält eine dominante Funktion. Isaak von Sinclair, a. a. O., S. 253 u. 267 f. Schelling an Hegel am Dreikönigsabend 1795 und am 21. 7. 95. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 14 u. 28. Vgl. H. Seidel u. L. Kleine: Einleitung in Schellings Frühschriften, S. XLVI. Hegel an Schelling am 16. 4. 95, in: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 24. Schelling an Hegel am 21. 7. 95, ebd., S. 27. Vgl. dagegen Hegel an Schelling am 30. 8. 95 und Ende Januar 1795, ebd., S. 31 u. S. 16 f.

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dem Ziel entgegenzugehen, überall aber gemeinschaftlich zu handeln übereinkommen, und der Sieg ist gewonnen.“80 Hölderlins Originalität zeichnet sich als Alternative zu beiden Lösungsvarianten ab. Er wendet sich in vollem Verständnis für den religionsaufklärerischen Versuch Hegels doch dagegen, Kant nur anzuwenden, denn der „ganze Geist“ des Kantischen Systems ist einer, „womit er alle Antinomien schlichtet“. Auch Hölderlin hält eine Entwicklung der Philosophie über Kant hinaus für notwendig, aber nicht die durch Fichte und im Anschluss daran Schelling, die den „bisherigen Metaphysikern“ folgt und dann „transzendent“ über das „Dasein der Welt“ hinaus will. Hölderlin vereinigt das Erfordernis der Fortentwicklung der Philosophie mit dem Erfordernis, die Theorie als Mittel der höheren Aufklärung zu entwickeln, statt „über das Faktura des Bewußtseins in der Theorie“ hinauszuwollen.81 Schelling teilt mit Hölderlin, daß „der höchste Akt der Vernunft […] ein ästhetischer Akt“ sei (235), wenn auch Schelling zwischen 1795 und seinen Jenenser Vorlesungen über Philosophie der Kunst, während der Auseinandersetzung mit Fichte, den für Hölderlin und Sinclair in dieser Form nicht annehmbaren Begründungsversuch unternimmt, „daß nicht allein die Ichheit alles, sondern auch […] alles Ichheit sei“.82 Diese, die Form des philosophischen Idealismus objektivierende Wende bei Schelling geht zwar mit der Richtung des Hölderlin und Sinclair eigenen Versuches, Spinoza und Fichte zu vereinigen, konform, ist aber in dem Sinne, daß „alles Ichheit sei“, gerade Hölderlin und Sinclair entgegengesetzt, denen die Subjekt-Objekt-Einheit innerhalb der „Reflection“, denn Ichheit ist immer refexiv zu Nicht-Ich, und damit identischerweise die Einheit in der Philosophie nicht realisierbar ist, dagegen aber „praktisch“ und „aesthetisch“.83 Hölderlin nennt in „Urtheil und Seyn“ das Absolute eben deshalb nicht „Ich“, sondern „Seyn“. Hegel nimmt explizit diese Bestimmungen, wie bereits erwähnt in dem Fragment „Glauben und Sein“ auf. (250 ff.) Die genannte Differenz zwischen Hölderlin/Sinclair und Schelling zwischen 1795–1799 beruht zunächst darauf, dass Sinclair eher vom praktischen Standpunkt aus philosophiert, Hölderlin vom mit diesem republikanisch-praktischen Anliegen in der „ideellen Realität“ korrespondierenden ästhetischen Standpunkt, dagegen Schelling vom Standpunkt der Entwicklungserfordernisse der Philosophie selbst. Hölderlin, Sinclair, Hegel und Schelling ist Schillers Problemstellung, zwischen den „Medien“ oder „Sphären“ „denselben Gedanken“ zu „übersetzen“ (Anmerkung 55) bewusst. Die besondere Aktivität eines jeden für eine bestimmte Sphäre akzentuiert die gemeinsamen Ansichten entsprechend der Spezifik des jeweiligen Mediums stärker, ohne dass einer dieser vier die anderen Medien (Ästhetik, Politik, Religion und Philosophie), auf die er sich nicht konzentriert, einfach vernachlässigt. Dass die Hervorhebung des „Tätigkeits-“ oder „Leidens-“ Prinzips noch nicht zwangsläufig einen prinzipiellen Gegensatz dieser Autoren während der zweiten Hälfte der 90er Jahre bedeuten muss, sondern noch zu einer Konzeption gehörig angenommen werden kann, erhellt aus Schillers Bestimmung über die zu respektierende Spezifik der Medien: „Wenn wir erkennen, so verhalten wir uns tätig, […] wenn wir empfinden, so ver80 81 82 83

Schelling an Hegel im Januar 1796, ebd., S. 36. Ebd., S. 20 u. 19. F. W. J. Schelling, Sämtliche Werke. Hrsg. K. F. A. Schelling, Bd. 7, S. 351. Vgl. Hölderlin an Niethammer am 24.2.1796, Bd. 4 S. 229 f. Vgl. G. Mieth, F. Hölderlin, S. 39.

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halten wir uns leidend, und unsere Aufmerksamkeit […] ist bloß auf einen Zustand gerichtet, insofern derselbe durch einen empfangenden Eindruck verändert wird.“84 Dennoch, die aufklärerisch-praktische Instrumentierung der Philosophie haben Hölderlin, Sinclair und Hegel (bis 1800) gemeinsam, während sie bei Schelling als ein theoretischer Gedanke die philosophische Produktion selbst begleitet. Die Differenzen erscheinen noch als solche einer Gemeinsamkeit, wenn Schelling nicht nur naturphilosophisch akzentuiert, sondern „das notwendige Gegenstück zu seinen Schriften über die Naturphilosophie“ unter dem Gesichtspunkt der Einheit von Natur- und Transzendentalphilosophie entwirft, wo „die Philosophie der Kunst“ das „allgemeine Organon der Philosophie und den Schlußstein ihres ganzen Gewölbes“ bildet.85 Will Hegel in Frankfurt mit Sinclair im Unterschied zu Hölderlin die schier ausweglose Situation, keine Brücke zwischen Aufklärern und Volk bauen zu können, am Rande der Selbstverzweiflung belassen, durch „kalte Überzeugung“ an die Stelle der Selbstaufgabe die der Entwicklung der historischen Bedingungen folgende Selbstkorrektur setzen, aber auch ohne in den „Synkretismus“ zu geraten (270 u. 334), wächst andererseits für Hegel, in Einklang mit Hölderlin und im Unterschied zu dem eher politisch-praktisch ausgerichteten Talent Sinclairs, angesichts des Vakuums an politisch-praktischen Handlungsmöglichkeiten die Bedeutung der geistig-praktischen Aneignungsweisen als Keimform der Emanzipation. Die „praktische Tätigkeit […] ist die Einheit selbst“. Aber Hegel schwankt weltanschaulich darüber, ob doch noch die Einheit als praktische Tätigkeit sich gegen das „mannigfaltig Entgegengesetzte“ dadurch behauptet, dass „das Entgegengesetzte ganz aufgehoben wird“, oder ob sich die Einheit nur „retten“ kann, da das Entgegengesetzte „in Rücksicht auf das praktische Vermögen immer unverbunden bleibt.“ (239). Hegel erhält Fichtes Tätigkeitsansatz, aber ohne diesen an das Ich der Wissenschaftslehre zu knüpfen. In diesem Kontext hat Hegels Frankfurter Begriff des „Lebens“ die Funktion, den Tätigkeitsansatz ohne feste Bindung an Fichtes Ich objektivierend zu denken, jedoch auch nicht nach Hölderlins vereinigungsphilosophischem Modell der Liebe, sondern in der Tradition des Lebensbegriffes von Schiller. Hegels Frankfurter Begriffe „Leben“ und „Geist“ haben eine analoge Funktion wie Schillers Begriffe „Leben“ und „Gestalt“, wobei Hegel mit seinen Begriffen die Kantische Grenzlinie Schillers überschreitet. Schiller definiert zu Beginn des fünfzehnten Briefes „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ wie folgt: „Der Gegenstand des sinnlichen Triebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, heißt Leben in weitester Bedeutung; ein Begriff, der alles materiale Sein und alle unmittelbare Gegenwart in den Sinnen bedeutet. Der Gegenstand des Formtriebes, […], heißt Gestalt, sowohl in uneigentlicher als in eigentlicher Bedeutung; ein Begriff, der alle formale Beschaffenheit der Dinge und alle Beziehungen derselben auf die Denkkräfte unter sich faßt“.86 84 85 86

Schillers Werke, Bd. 14, S. 271. Vgl. G. Mieth, F. Hölderlin, S. 33 u. 152. F. W. J. Schelling, System des transcendentalen Idealismus. In: Werke. 2. HBd., S. 332 u. 350. Schillers Werke, Bd. 14, S. 194. Forsters „Philosophie des Lebens“ ging Schillers Lebensbegriff vorher. Forster kritisierte, sich auf Herder berufend, Kant. Gerhard Steiner bebt hervor: „Es war ihm (Forster) klar, daß erst die philosophische Durchdringung des empirisch Gewonnenen zu einer echten Lebenshilfe werden, zu einer humanistischen ‚Philosophie des Lebens‘ beitragen kann. Das war ja gerade das Epochale an Forsters Leistung, daß er die Ergebnisse seiner neuen (empirisch-komparativen) Methode der Erfahrungswissenschaften unmittelbar philosophisch, für die Erweiterung

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Hegel ordnet „Liebe“ in den Prozess des „Lebens“ ein, wobei aber auch „Leben“ nicht reflexiv bestimmt, sondern viel „reicher“ sei (248). Bevor man diese Gedankenentwicklung als ganze durchschaut, scheint er Hölderlin – in seiner Übersetzung desselben – nah zu sein, aber Liebe ist von Anfang an für Hegel im Leben (mit Schiller) gerahmt, nicht neuplatonisch erhöht: „Wahre Vereinigung, eigentliche Liebe findet nur unter Lebendigen statt, die an Macht sich gleich und also durchaus füreinander Lebendige, von keiner Seite gegeneinander Tote sind; sie schließt alle Entgegensetzungen aus, sie ist nicht Verstand, dessen Beziehungen das Mannigfaltige immer als Mannigfaltiges lassen und dessen Einheit selbst Entgegensetzungen sind; sie ist nicht Vernunft, die ihr Bestimmen dem Bestimmten schlechthin entgegensetzt; sie ist nichts Begrenzendes, nicht Begrenztes, nichts Endliches“ (245 f.). Liebe gehe vielmehr aus der Mannigfaltigkeit der Gefühle im Ganzen, nicht als deren Summe, hervor: „in ihr findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppelung seiner selbst, und Einigkeit desselben“ (246). Die aus der gefühlten Verdoppelung des Lebens aufgefasste Liebe enthält einen Bildungsprozess des Lebens: „das Leben hat, von der unentwickelten Einigkeit aus, durch die Bildung den Kreis zu einer vollendeten Einigkeit durchlaufen; der unentwickelten Einigkeit stand die Möglichkeit der Trennung und die Welt gegenüber; in der Entwicklung produzierte die Reflexion immer mehr Entgegengesetztes, das im befriedigten Trieb vereinigt wurde, bis sie das Ganze des Menschen ihm selbst entgegensetzte, bis die Liebe die Reflexion in völliger Objektlosigkeit aufhebt, dem Entgegengesetzten allen Charakter eines Fremden raubt und das Leben sich selbst ohne weiteren Mangel findet.“ (246) Allein, so wenig der Lebensprozess im Ganzen seiner Generationenfolge in dem Lebenden aufgeht, so wenig lässt sich die Liebe als Vereinigung in den Liebenden auflösen. „Liebende haben Selbständigkeit, eigenes Lebensprinzip – (das) heißt nur: sie können sterben.“ (246). Hegel führt nun aber nicht die üblichen Stufen vom körperlichen zum geistigen Eros ein, die wir von Diotima aus Platons Symposium kennen und die bei den Kirchenvätern ihre hierarchische Ontologie bis zur Neuzeit fanden. Er bleibt auf einer gleichen Augenhöhe mit der Liebe im Leben. Zunächst entfaltet er die Differenz zwischen der Liebe, d. h. der vollständigen Vereinigung, und den Liebenden, deren lebendige Selbständigkeit ihre Sterblichkeit zur Kehrseite hat. „Das Trennbare, solange es vor der vollständigen Vereinigung noch ein eigenes ist, macht den Liebenden Verlegenheit, es ist eine Art von Widerstreit zwischen der völligen Hingebung, der einzig möglichen Vernichtung, der Vernichtung des Entgegengesetzten in der Vereinigung und der noch vorhandenen Selbständigkeit; jene fühlt sich durch diese gehindert – die Liebe ist unwillig über das noch Getrennte, über ein Eigentum; dieses Zürnen der Liebe über Individualität ist die Scham; sie ist nicht ein Zucken des Sterblichen, nicht eine Äußerung der Freiheit, sich zu erhalten, zu bestehen;“ (247) Damit werden zwei übliche und mächtige Fehlinterpretationen abgewiesen. Zum einen erwächst Scham nicht, wie aber christlich oft missverstanden, aus der dualistischen Furcht eines geistigen Wesens vor seiner Körperlichkeit und damit Sterblichkeit. Die Scham „ist nicht eine Furcht für das Sterbliche“ (247), wohl aber geht sie einher mit der „Besorgnis, eine widerstehende, gar eine feste Entgegendes Weltbildes der deutschen Klassik auswertete.“ Gerhard Steiner, Naturerkenntnis und praktische Humanität. In: Georg Forster, Werke in vier Bänden. Zweiter Band, S. 920. Vgl. zu Hölderlins Begriffen vom „Leben“ und „Geist“, Bd. 2, S. 385 u. 410.

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setzung zu finden“ (248). Zum anderen liegt in der Scham aus Liebe keine Äußerung der Freiheit im Sinne der Selbsterhaltung vor. Liebe sei „ein gegenseitiges Nehmen und Geben; schüchtern, ihre Gaben möchten verschmäht, schüchtern, ihrem Nehmen möchte ein Entgegengesetztes nicht weichen, versucht sie, ob die Hoffnung sie nicht getäuscht, ob sie sich selbst durchaus findet“. (248) Es sei wie in „Julia in Romeo: je mehr ich gebe, desto mehr habe ich usw.“. (248) Nach der Unterscheidung der Liebe von den Liebenden als Lebender geht Hegel auf die anfängliche Kontextualisierung der Liebe im Leben zurück. „Diesen Reichtum des Lebens erwirbt die Liebe in der Auswechselung aller Gedanken, aller Mannigfaltigkeiten der Seele, indem sie unendliche Unterschiede sucht und unendliche Vereinigungen sich ausfindet, an die ganze Mannigfaltigkeit der Natur sich wendet, um aus jedem ihrer Leben die Liebe zu trinken.“ (248) Die Situierung der Liebe im Leben entfaltet nun aber einerseits die Vollständigkeit der Vereinigung in der Liebe, den behaupteten Ausgangspunkt, und andererseits den Unterschied zwischen dem Leben und dem Lebenden, das liebt und geliebt werden kann. Als gäbe es Platons Stufen nicht, schreibt Hegel: „Das eigenste vereinigt sich in der Berührung, in der Befühlung bis zur Bewusstlosigkeit, der Aufhebung aller Unterscheidung; das Sterbliche hat den Charakter der Trennbarkeit abgelegt, und ein Keim der Unsterblichkeit, ein Keim des ewig sich aus sich Entwickelnden und Zeugenden, ein Lebendiges ist geworden.“ (248). Die Aufhebung aller Unterscheidung in der Ekstase der Bewusstlosigkeit stellt die Peripetie nicht nur in den Keim des Ewigen, sondern auch in die Generationenfolge der Lebenden, das „Neugezeugte“ als „Dasein“ (ebenda), dar. Dieses Dasein ist Lebendes, also Selbständigkeit. „Der Keim wendet sich immer mehr zur Entgegensetzung los und beginnt, jede Stufe seiner Entwicklung ist eine Trennung, um wieder den ganzen Reichtum des Lebens selbst zu gewinnen.“ (249) Er ist der Liebe bedürftig „das Geliebte“ für das „Eine“ der „Liebenden“ (ebenda). Die Gegenseitigkeit des Nehmens und Gebens in der Liebe der Eltern wechselt im Verhältnis zu den Neugeborenen in eine Asymmetrie. „Die Vereinigten trennen sich wieder, aber im Kind ist die Vereinigung selbst ungetrennt geworden.“ (249). Insofern haben wir es nun also mit drei Aspekten des Lebensprozesses im Ganzen und seiner Verdoppelung in der Liebe zu tun: „das Einige“ der Liebe der liebenden Eltern, „die Getrennten“, d. h. die Liebenden als Lebende, „und das Wiedervereinigte“ (249) in dem geliebten Kind, das liebend wird. Schließlich entfaltet Hegel seinen Rückschluss von den Liebenden auf die Lebenden, deren Selbständigkeit Sterblichkeit zur Kehrseite hat. Die „Liebenden stehen noch mit vielem Toten in Verbindung, jedem gehören viele Dinge zu, d. h. es steht in Beziehung mit Entgegengesetzten, die auch für das Beziehende selbst noch Entgegengesetzte, Objekte sind; und so sind sie noch einer mannigfaltigen Entgegensetzung in dem mannigfaltigen Erwerb und Besitz von Eigentum und Rechten fähig […] und wenn der Besitz und Eigentum einen so wichtigen Teil des Menschen, seiner Sorgen und Gedanken ausmacht, so können auch Liebende sich nicht enthalten, auf diese Seite ihrer Verhältnisse zu reflektieren.“ (249 f.) Der Notwendigkeit, kategorial eine Aufnahmefähigkeit für materialistische Argumentation zu erreichen, entspricht auch Sinclair. „Die Forderung der Einigkeit ist das höchste Regulativ des Wissens: der Satz des Widerspruchs ist das formale Prinzip des Wissens: aber wem soll ich nicht widersprechen, und so kommen wir auf ein materielles Prinzip […] und um zu wissen, ob ich denn widerspreche oder nicht, muß ich wissen, was es ist:

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und dies kann ich mit der Form der Reflection, die nicht weiter geht als das Bewußtsein, nicht wissen […].“87 Der Frankfurter Hegel verwendet sowohl Sinclairs Praxisbegriff, indem er aber Fichtes Tätigkeitsansatz vom Ich auf die Sprache überträgt (s. o.), als auch Schillers Lebensbegriff. Aber die Absage an die den Entgegengesetzten vorausgesetzte Einheit (als Liebe oder reine Praxis) ist während Hegels „Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung“ nicht eindeutig, nur akzentweise anders als bei Hölderlin oder Sinclair, ist auf anderer, religionsaufklärerischer Ebene rückfällig, denn Hegel verlässt nicht den ihm mit Hölderlin und Sinclair prinzipiell noch gemeinsamen Boden. „Um zu vereinigen, müssen die Glieder der Antinomie als widerstreitende, ihr Verhältnis zueinander als Antinomie gefühlt oder erkannt werden; aber das Widerstreitende kann als Widerstreitendes nur dadurch erkannt werden, daß schon vereinigt worden ist; die Vereinigung ist der Maßstab, an welchem die Vergleichung geschieht, an welchem die Entgegengesetzten, als solche, als Unbefriedigende erscheinen.“ (251) Hölderlin sieht „aus dieser Vereinigung und Vergleichung des vergangenen Einzelnen und des unendlichen Gegenwärtigen den eigentlich neuen Zustand, den nächsten Schritt, der dem Vergangenen folgen soll“, hervorgehen.88 Die Aufgabe des Primats einer vorausgesetzten Vereinigung käme letztlich der Aufgabe jeglicher heroischer Illusion gleich. Hegel akzentuiert die Rolle der Religion: „Glauben ist die Art, wie das Vereinigte, wodurch eine Antinomie vereinigt ist, in unserer Vorstellung vorhanden ist. Die Vereinigung ist die Tätigkeit; diese Tätigkeit reflektiert als Objekt, ist das Geglaubte.“ (251) Durch moralische Gesinnung ist nur das objektive Gesetz aufgehoben, „aber nicht die objektive Welt; der Mensch steht einzeln und die Welt. – Die Liebe knüpft Punkte in Momenten zusammen, aber die Welt in ihr, der Mensch und ihre Beherrschung besteht noch“: Es geht nicht ohne eine Reihe von Vereinigungen Entgegengesetzter. „Gesinnung hebt die Positivität, die Objektivität der Gebote auf; Liebe die Schranken der Gesinnung, Religion die Schranken der Liebe.“ (302 f.) Religion, die dem Berner Hegel nicht als „das erste“ (16), vielmehr als ein Vermittlungsglied der vorausgesetzten republikanischen Praxis galt, droht jetzt als die gesellschaftliche Sphäre der Vereinigung der Dissonanzen der einzig mögliche Rückzugshort des kleinbürgerlichen republikanischen Ideals zu werden, wodurch letzteres als politischer Realitätsanspruch zerstört würde, und die Religion begänne, die für die christliche Religion aufgedeckte Funktion, eine despotische Herrschaft zu decken, zu erfüllen. Dieser Verkehrung der Funktion des religiösen Mediums zu entgehen, erfordert die vorausgesetzte Einheit der Entgegengesetzten fallen zu lassen zugunsten einer sich aus der tätigen Vereinigung selbst erst historisch entwickelnden Einheit. Dieser Schritt ist aber kein rein gedankenlogischer Schritt, denn an ihm hängt die Aufgabe der heroischen Grundposition, insbesondere des ideal vorausgesetzten Vorbilds der antiken Republik. Rein ideen- und problemgeschichtlich könnte es scheinen, als fielen Hölderlin und Hegel einfach hinter doch längst vor der Revolution erreichte Positionen zurück. Hatte denn nicht schon Lessing die Autorität der Griechen statt Winkelmanns Nachahmungsforderung auf methodische Autorität eingeschränkt und war nicht schon Lessing von Wiedererweckungsillusionen frei geworden? Hatte nicht der Berner Hegel selbst, of87 88

Sinclair, a. a. O., S. 260. F. Hölderlin, Das Werden im Vergehen, Bd. 2, S. 426.

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fensichtlich Goethe folgend, die historische Eigentümlichkeit Shakespeares gegenüber antiken Dichtern gewürdigt? (199) Während der Französischen Revolution erfährt „der Widerspruch zwischen der Einsicht in das Vergangensein, in die geschichtliche Bedingtheit der klassischen Antike und der normativen Funktion, dem Zukunftsanspruch, die sie als Bildungserfahrung leistete, […] eine neue, extreme Zuspitzung […] – umsomehr, als eben diese Revolution als Sieg und Beweis des historischen Fortschritts, als Schritt in der Vervollkommnung des Menschengeschlechts, […] somit als Bestätigung gerade des im historischen Bewußtsein des 18. Jh. errungenen aufklärerischen Geschichtsbewußtseins, und andererseits eben dieser Fortschritt seinen Akteuren unter der ideologischen Fahne des antikischen Kostüms als Wiederherstellung, Erneuerung dessen, was einst vollendet schon bestanden hatte, erscheinen konnte.“ Im Unterschied zu Schiller und Goethe betreiben Denker, die den aktuell praktischen Problemen des historischen Fortschritts näher stehen, wie Herder oder Hölderlin, Sinclair und Hegel, eine intensive „Neubildung der Illusion, der Antike näher kommen zu können“.89 Im Sommer, womöglich bis in den Herbst 1798 wird noch einmal, gleichsam die bisherige Entwicklungsperiode abschließend, von Hegel das antik-republikanische Ideal in Entgegensetzung zu den Verhältnissen im mosaischen Staat, der auffallend die von Rousseau definierten Eigenschaften der feudalabsolutistischen Ordnung besitzt und wobei das Schicksal des jüdischen Volkes ausdrücklich mit dem „Schicksal Macbeths“ identifiziert wird (297), beschworen: „Um die Gefahr, womit der Freiheit die Ungleichheit des Reichtums droht, von ihrem Staat abzuwenden, hatten Solon und Lykurg die Rechte über Eigentum auf mancherlei Art beschränkt und manche Willkür ausgeschlossen, die zu ungleichem Reichtum hätte führen können.“ (289) Da die „Beziehung der Juden als Staatsbürger aufeinander keine andere war als die Gleichheit der Abhängigkeit aller von ihrem unsichtbaren Regenten und dessen sichtbaren Dienern und Beamten, also eigentlich gar keine Staatsbürgerschaft stattfand und in jener Abhängigkeit die Bedingung aller politischen, d. h. Freiheitsgesetze weggenommen war, so konnte sich auch gar nichts, das einem inneren Staatsrecht, einer gesetzgebenden, ein Staatsrecht bestimmenden Gewalt ähnlich sah, bei ihnen finden; wie in jeder Despotie die Frage nach einem inneren Staatsrecht widersprechend ist.“ (290) Die Quelle der Eigentumsgesetze „in den griechischen Republiken war, weil durch die sonst entstehende Ungleichheit die Freiheit der Verarmten in Gefahr kommen und sie in eine politische Vernichtung geraten können; […] jene Griechen sollten gleich sein, weil alle frei, selbständig, die Juden gleich, weil alle ohne Fähigkeit des Selbstbestehens waren. […] Die Unfähigkeit (der Juden), die liegenden Güter zu vermehren, war nicht eine Folge der Gleichheit der Rechte am Boden, sondern der Gleichheit, gar keine Rechte an ihm zu haben.“ (Ebd.) „Zu der Zeit, da Jesus unter der jüdischen Nation auftrat, befand sie sich in dem Zustande, der die Bedingung einer früher oder später erfolgenden Revolution ist und immer die gleichen allgemeinen Charaktere trägt. Wenn der Geist aus einer Verfassung, aus den Gesetzen gewichen ist und jener durch seine Veränderung zu diesen nicht mehr stimmt, so entsteht ein Suchen, ein Streben nach etwas anderem, das bald von jedem in etwas anderem gefunden wird, wodurch denn eine Mannigfaltigkeit der Bildungen, der Lebensweisen, der Ansprüche, der Bedürfnisse hervorgeht, die, wenn sie nach und nach so weit divergieren, daß sie nimmer nebenein89

W. Heise, Zur Krise des Klassizismus in Deutschland, S. 1705 u. 1703.

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ander bestehen können, endlich einen Ausbruch bewirken und einer neuen allgemeinen Form, einem neuen Bande der Menschen ihr Dasein geben; je loser dies Band ist, je mehr es unvereinigt läßt, desto mehr Samen zu neuen Ungleichheiten und künftigen Explosionen liegt darin.“ (297) Dass sich aber das Schicksal Jesu nicht wiederhole, dem das Volk, welches „noch nicht auf dem Punkte“ war, seine alte Wirklichkeit „aufopfern wollen zu müssen“ (297 f.), in christlich religiösen Rückzug aus der staatlich-politischen Welt folgte, dass sich despotische Verhältnisse nicht reproduzieren und durch die christliche Kirche decken lassen, müsste eigentlich etwas anderes als voraussetzungslos gezeigt werden: Was wir als Wahrheit empfinden, ist, wie Hegel in Einklang mit Schiller schreibt,90 historisch den Juden nicht zu unterstellen, wie umgekehrt auch das historische Idealmodell nicht als aktueller Vereinigungsgrund der Entzweiten vorausgesetzt werden kann (281 u. 287). „Wenn nun gezeigt wird, daß die entgegengesetzten Beschränkten als solche nicht bestehen könnten, daß sie sich aufheben müßten, […] so wird damit bewiesen, daß sie vereinigt werden müssen.“ (251) Durch den aus den aktuellen Bedingungen hergeleiteten Tätigkeitsansatz wird die Vereinigung von Ideal und Wirklichkeit auch ohne die Voraussetzung einer ursprünglichen Einheit begründbar. Was macht eigentlich die Modernität der Gegenwart im Gegensatz zum und nicht in sich spiegelnder Identifikation mit dem Altertum aus. So wenig Hegel Schillers Schlussfolgerung hinsichtlich dessen ästhetischen Programms teilt, so sehr interessieren Hegel nun Schillers Betonungen der Besonderheit der Gegenwart, Schillers Zeitalteranalyse, die Hegel aus der bisherigen Konfrontation von republikanischem Ideal und despotischer oder nachthermidorianisch-englischer Wirklichkeit herausführen könnte, aber in dem Bewusstsein, deshalb doch nicht in den kleinen Kreisen der bei Schiller zwar nicht christlich religiös, aber geistig Zurückgezogenen enden zu müssen. Die überhistorische Identifikation mit der antiken Republik, wie stark sie auch immer den gegenwärtigen republikanischen Anspruch zu stützen scheint, belastet zugleich, im Falle der gleichen Verfahrensweise mit dem mosaischen Staat, jeden aktuellen Beginn mit dem Alp des vorangegangenen Scheiterns. Während in Bern die praktischen Gründe christlichen Glaubens von Anfang an radikal historisiert werden, um die Gegenwart vom Kreislauf der sich reproduzierenden christlichen Religion freizuschaufeln, und Christus regelmäßig in der Konfrontation mit Republikanern, mit Sokrates abgewertet wird, verwandelt sich in den ersten beiden Frankfurter Jahren bei Aufrechterhaltung der Berner Linie zunehmend die Historisierung der Entstehungsursachen des Christentums in einen Spiegel der aktuellen Misere Hegels. Die über die Auswirkungen auf Deutschland zur Kenntnis genommene neue französische Wirklichkeit, welche der Englands ähnelt, ist weder republikanisch, noch despotisch, weder lykurgisch noch mosaisch, aber gewaltige Gegenwart, von der die europäische und deutsche Entwicklung abhängen. Hegel war von Anfang an aufklärerischer Historismus eigen, aber im Rahmen des politisch republikanischen Bedürfnisses. Hegels Berner Historismus ist sich der Notwendigkeit, das Idealmodell der antiken Republik zu historisieren, nur insoweit bewusst, als die Historizität der antiken Republik zwar ein Realisationsproblem des republikanischen Projekts der Gegenwart darstellt, jedoch prinzipiell als ein zu bewältigendes Realisationsproblem erscheint, so dass keine kon90

Vgl. F. Schiller, Die Sendung Moses. In: Ders., Prosaschriften, Bd. 1, S. 519 u. 534 f.

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zeptionelle Krise eintritt. Erst durch die Konfrontation mit der immer wahrscheinlicher werdenden Aussichtslosigkeit, den republikanischen Anspruch je realisieren zu können, profiliert Hegel seinen Historismus auch gegen die eigene Position um.

2.2 Hegels Wende in seiner religionsaufklärerischen Position (1798/1799): Von der Fehlaktualisierung des „Geistes des Judentums“ zur Historisierung auch noch des „Geistes des Christentums“. An die Bestimmung des Frankfurter Wandels des politisch-weltanschaulichen Grundanliegens von Hegel heranzukommen, setzt die Vergegenwärtigung wichtiger Veränderungen in Hegels religionshistorischen Auffassungen voraus, denn in letzterer schlägt sich ersteres Anliegen unmittelbar nieder. Die vorwiegend religionsaufklärerische Aktivität muss auch beim Frankfurter Hegel respektiert werden. Innerhalb dieser entfaltet sich die neue Grundhaltung. In der Neuinterpretation religiöser Texte sollen sie zu einem politisch aktuellen Leben erweckt werden. Je nach aktueller Relevanz im gegenwärtigen Kampf werden sie aktualisiert und historisiert. Das Neue, dem wir im Winter 1798–1799 begegnen werden, besteht in einer bahnbrechenden Historisierung von Hegels eigenen früheren Aktualisierungen, die sich just im Sommer 1798 noch einmal aufbäumen und dann ab diesem Winter als Fehlaktualisierungen erweisen. Die früheren Aktualisierungen der Geschichte treten als Spiegel hervor, die von dem Erlernen dessen, was in der Gegenwart ist, ablenkten. Bevor diese Maskenspiegel zerbrechen, nimmt Hegel Schillers Verweise auf den Notstaat ernst. Die Herstellung von Zusammenhängen zwischen der Ausbildung der „Sphäre der Not und des Eigentums“ und der Religionsentwicklung wird von Hegel ab Sommer 1798 rigoros angegangen, was es so bei keinem seiner Frankfurt-Homburger Freunde gibt. Hegel misst der Sphäre der Not im Verhältnis zur äußeren Natur und des Eigentums im Verhältnis der Menschen untereinander im Unterschied zu den Berner Jahren selbst eine ausschlaggebende Bedeutung bei, allerdings ohne die weltanschauliche Abwertung dieser Sphäre, wie es in Jena geschehen wird, zu relativieren. Solche „partiellen Dinge, Bedürfnisse, Reichtum, Nahrung, Kleidung bringen Bestimmtheit in den Menschen, die ihn objektiv des reinen Lebens unfähig machen“. (313 f.) Wie Hegel die religionshistorische Bedeutung der Sphäre der Not und des Eigentums versteht, kommt in den zwischen Sommer 1798 und Winter 1798/99 entstandenen Fragmenten zum „Geist des Judentums“ erstmalig und konzentriert zum Ausdruck, wenngleich hier noch die republikanisch normative Funktion des Antike-Bildes erhalten bleibt. Hegel erklärt den jüdischen Geist aus einem veränderten Verhältnis der Gesellschaft zur Natur. Dieses Verhältnis ändert sich nach dem Verlust des, von Hegel rousseauisch gehaltenen Naturzustandes. Das Bild der „noahischen Flut“ beinhaltet „ein tiefes Zerreißen“ des Bandes zwischen Natur und Menschengeschlecht. Wo vorher die Natur „freundlich oder ruhig“ als „Gleichgewicht“ wirkte, erwidert das Menschengeschlecht „die Ausbrüche der nun feindlichen Natur“ mit „der zerstörendsten, unzuüberwältigenden, unwiderstehbarsten Feindschaft“ gegen die Natur. Hier meint Hegel mit „Natur“ sowohl das Verhältnis der Menschen zueinander, nämlich die Gewinnung „physischer Übermacht“

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durch tyrannische, „feindselige Elemente“, wodurch Menschenmord bewirkt wurde, als auch die äußere Natur, „daß keine Wasserflut mehr Menschen verderben sollte“ und die „Herrschaft über die Tiere“ und „Gewächse“ erreicht würde. „Im Kampf gegen die Not“ müssen die Elemente der nicht organischen Natur, „die Tiere und die Menschen das Gesetz des Stärkeren […] tragen“. Dies Gesetz stellt Hegel gestaffelt vor, so dass Tiere über Pflanzen, die Angehörigen des Volks über Tiere und der Führer des Volks über das Volk herrscht. (274 f.) Noah und Nimrod gelten Hegel als zwei Lösungsvarianten des Problems der Not nach dem Verlust des Naturzustandes. „Gegen die feindselige Macht sicherte sich Noah dadurch, daß er sie und sich einem Mächtigeren (Gott: H.-P. K.) unterwarf, Nimrod, daß er selbst sie bändigte; beide schlossen mit dem Feinde einen Frieden der Not und verewigten so die Feindschaft; keiner versöhnte sich mit ihm, nicht wie ein schöneres Paar, Deukalion und Pyrrha nach ihrer Flut es taten, die die Menschen wieder zur Freundschaft mit der Welt, zur Natur einluden, sie durch Freude und Genuß der Not und Feindschaft vergessen machten, Frieden der Liebe schlossen, die Stammeltern schöner Nationen wurden und ihre Zeit zur Mutter einer neugeborenen, ihre Jugendblüte erhaltenden Natur machten.“ (276 f.) Hier schwingt Rousseaus positives Naturverständnis und Hölderlins friedliche Dimension von Vereinigung mit. Dass im antiken Griechenland begüterte Freie erst auf der Grundlage von Sklavenarbeit sich „durch Freude und Genuß die Not und Feindschaft mit der Natur vergessen machen“ (276) konnten, reflektiert der sich noch einmal an das antike Muster klammernde Hegel nicht, im Unterschied u. a. zu Schiller. Die durch Not des Volkes vor der Wasserflut „abgedrungenen Feindseligkeiten“ werden zur „gesetzmäßigen Herrschaft“ jener gemacht, die „es nicht an Macht und Mitteln fehlen“ lassen, der feindseligen Natur zu trotzen. Das allgemeine Interesse, die Wasserflut einzudämmen, wird z. B. von Eupolemos bei Eusebios dazu benutzt, dass er „in kurzem eine tyrannische Herrschaft“ gründen konnte. (276) Die Not der Existenz von Abraham, des „wahren Stammvaters der Juden“, verdeutlicht Hegel, wenn er Abraham dem geraden Gegenteil der Wasserflut ausgesetzt sieht: „Das Wasser ruhte in tiefen Brunnen, ohne lebende Bewegung; mühsam war es gegraben, teuer erkauft oder erstritten, ein erzwungenes Eigentum, ein Bedürfnis der Not für ihn und sein Vieh.“(278) Die „Not machte sie“, die Juden, „zu Feinden“, zunächst der Natur, schließlich anderer Völker, „aber die Feindseligkeit durfte nicht weiter als die Not gehen.“ (287) Hegel führt „Not“ im physischen Verhältnis zur Natur als Basis eines bestimmten Handlungsspielraums ein. Dass die Feindseligkeit der Juden aber weiter ging, erklärt sich Hegel aus dem „von den Voreltern ererbten Geist“, der, von der Not einmal nicht lebens-, liebes- und genußsüchtig, sondern herrschaftssüchtig geprägt und durch Wiederholungen der Notsituationen gefestigt, sich letztlich fixiert. Die gegenüber dem eigenen Herrscher gewohnte sklavische Passivität drängte den Befreier dieses Volks, Moses, in die Lage desjenigen, der „es von einem Joch losgemacht“, „ihm ein anderes“ erneut auferlegen musste (283). Schon Abraham sei vom feindlich fixierten Geist der Juden bestimmt worden, welcher sich infolge der neuerlichen Notsituationen zu Abrahams Zeiten erstrecht erhielt, aber sich eben auch nicht auflöste als „die Verschiedenheit der Lebensart der Hirtenvölker und der Ackerbauer […] weggefallen“ war, aufgrund des Sesshaftwerdens der Juden im Lande der Kanaaniter, „worin Milch und Honig floß“ (287)). Der ursprünglich aus Not entstandene Geist der Juden wirke inzwischen gewisserma-

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ßen unabhängig von einer aktuell gegebenen Notsituation als selbständig fixierter Geist wieder zurück, so dass keine Entwicklung, weder innerhalb des Volkes noch in seinem Verhalten zu anderen Völkern, eintrete. „Bei dieser durchgängigen Passivität blieb ihnen außer der Bezeugung ihrer Dienstbarkeit nichts übrig als das bloße, leere Bedürfnis, die physische Existenz zu erhalten, und sie gegen diese Not zu sichern.“ (286) Damit bleiben im Innern die alten Herrschaftsmechanismen erhalten und entstehen neue, nun in gewisser Hinsicht gegenüber anderen Völkern schuldhafte Notsituationen von Vertreibung und Auszug. Die Geschichte des jüdischen Volkes weise die besondere Modifikation auf, „daß der Übergang zur Schwäche dem Zustand des Glücks als ein Übergehen zu einem Götterdienst und der Mut, sich aus der Unterdrückung zur Unabhängigkeit empor zu ringen, als eine Wiederkehr zu ihrem eigentümlichen Gott erschien. Mit der Not war der Geist der Feindschaft und der Verheerung von den Juden gewichen, ihr El Schaddai, ihr Gott der Not. Menschlichere Gefühle stiegen in ihren Gemütern auf, und damit gingen freundlichere Verhältnisse hervor; sie ahnten schönere Geister und dienten fremden Göttern.“ (292) Aber sie „wurden bald wieder zu jenem zurückgepeitscht; denn in dieser Auflösung ihrer Gemeinschaft und ihres Staats wurden sie ein Raub Mächtigerer, ihre Vermischung mit anderen Völkern wurde eine Abhängigkeit von ihnen. Der Druck erweckte wieder den Haß; und damit wachte ihr Gott wieder auf; ihr Trieb nach Unabhängigkeit war eigentlich Trieb nach Abhängigkeit von etwas Eigenem.“ (292 f.) Wenn Hegel schließlich auf „alle folgenden Zustände des jüdischen Volks, bis auf den schäbigen, niederträchtigen, lausigen Zustand, in dem es sich noch heutigen Tags befindet“, zu sprechen kommt, diese als „weiter nichts als Folgen und Entwicklungen ihres ursprünglichen Schicksals“ ansieht, und in diesem Zusammenhang vor allem die Abhängigkeit der Juden vom Eigentum hervorhebt, so dass die Juden der dem Eigentum heterogenen Freiheit oder Schönheit nicht aufopfern können (292 u. 287), beweist eine allgemeinere Bedeutung des Hegelschen Bemühens, gerade den jüdischen Geist aus physischer Not ab- und zu fester Fixation des Egoismus hinzuleiten. Das Jüdische als Geist haftet nicht den Juden als Ethnie, Nation oder Religionsform an, wie der Anhänger der Französischen Revolution und Lessing-Vertraute Hegel weiß. Es geht ihm in seiner Selbstverständigung, die zu seinen Lebzeiten nicht publiziert wurde, um etwas anderes, nämlich um den nachrevolutionären Zeitgeist Europas: Der junge Marx schrieb, dass „der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden“ war, womit „das reale Wesen des Juden in der bürgerlichen Gesellschaft sich allgemein verwirklicht“.91 Die allgemeinere und aktuelle Bedeutung seiner Beschäftigung mit der Entwicklung des jüdischen Volkes begründet Hegel daraus, dass dieses Volk schon früh, „schnell“ und künstlich „gewaltsam“ die „Veränderungen, die andere Nationen nur in Jahrtausenden durchlaufen“, hat durchlaufen müssen. (294) Die „Christen sind wieder dahin gekommen, wo die Juden waren“ (184). Was zunächst als die durch besondere Umstände entstandene nationale Eigentümlichkeit der Juden erscheint, ist allgemeiner Charakter der welthistorischen Gegenwart geworden. Gleichwohl handelt es sich um eine zu billige Fehlaktualisierung, die – wie sich noch zeigen wird – hinter dem Geist des Judentums den Geist des Kapitalismus verdeckt, wohin Hegel erst 91

Karl Marx, Zur Judenfrage, MEW Bd. 1, S. 373 u. 377.

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durch eine Neubewertung des Geistes des Christentums gelangen wird. Hegels Nachweis der Ohnmacht der christlichen Religion vor den praktischen Verhältnissen des jüdischen Volkes erfolgt in dem Bewusstsein der aktuellen Relevanz des Schicksals Christi. Im Unterschied zu den hier verwandten Manuskripten zum „Geist des Judentums“ tritt aber wenige Wochen später im „Geist des Christentums“ diese aktuelle Relevanz durch Historisierung zurück, ebenso wie die des Antike-Musters, ohne aber jeglichen Bedeutungsverlust der Sphäre der Not und des Eigentums. Die Hegelsche Ableitung des jüdischen Geistes, die stark auf materialistisch-empiristischen Argumenten beruht, dabei aber nicht auf idealistische Hilfskonstruktionen und Schablonen verzichtet, verbleibt konzeptionell, nicht den einzelnen Argumenten nach, im Rahmen der Anpassungsfähigkeit der Rousseauschen Gedankenwelt an materialistisch-empiristische Einflüsse in Bezug auf die Lösung des Übergangsproblems vom Natur- zum Gesellschaftszustand. Die religionsaufklärerisch-konzeptionelle Bedeutung des Verhältnisses von der Sphäre der Not und des Eigentums zu der Sphäre der Religion gerät erst bei der Behandlung des jüdischen Geistes ab Sommer 1798 in den Vordergrund, aber noch innerhalb der in Bern begründeten konzeptionellen Kontraste. Der „Geist des Judentums“ stellt Hegels letzte Studie dar, in der die materielle Bestimmtheit der gesellschaftlichen Entwicklung durch die Sphäre des Eigentums noch als, wenn auch inzwischen auf die Spitze getriebenes Realisationsproblem des rousseauisch-republikanischen Konzepts behandelt wird, letzteres noch nicht sprengt. Die religionshistorisch-konzeptionelle Bedeutung der materiellen Sphäre nimmt bei der Bestimmung des „Geistes des Christentums“ weiter zu, aber wie nun zu zeigen ist, innerhalb eines neuen Gesamtzusammenhangs. Die Bedeutung erhellt zunächst schon aus Formulierungen der folgenden Art: Selbst „wenn der Mensch nur eins mit sich selbst ist, jede Abhängigkeit, jeden Bund mit den Objekten verschmäht, so muß er doch mit der Not einen Bund machen“. (309) Das christliche Gebot: – Gib uns heute unser täglich Brot – bewertet Hegel als eine Bitte „der stillen Einfalt, die im Munde eines Volks nicht paßte, das sich seiner Herrschaft über die Nahrungsmittel bewußt ist oder unmöglich nur den Gedanken an die Speise eines Tages haben kann, sondern wohl um Gedeihen des Ganzen, um freundliche Natur beten kann“, aber „beten ist nicht bitten“. (313) Hatte der Berner Hegel als Gegenwartsmuster die spontane und subjektive Identifikationsmöglichkeit mit den Gegenständen der griechischen Phantasiereligion hervorgehoben, die menschliche Geschöpfe der Einbildungskraft und im Falle „besonders freier Völker die alten Helden der Geschichte ihres Vaterlandes“ gewesen seien (197), bewertet Hegel in dem während des Winters 1798/99 entstandenen Teil des „Grundkonzepts zum Geist des Christentums“ die „Befreiung“ dieser Göttergestalten „von dem ihnen Heterogenen; z. B. Schwere, Arbeit, Not usw.“ als das gerade „Unmenschliche dieser Göttergestalten“. (316) Dagegen sind die „Parabeln Christi“ über „Schwere, Arbeit, Not“ die „eigentlichen Gleichnisse, modernen Fabeln, … ganz wirklichen Geschichten“. Ja, „unvollständig“ wird die Mehrzahl der Parabeln Christi eben dadurch, dass sie die „Erhebung über das Gebiet des Rechts […] über die ganze Sphäre des Eigentums“ fordert, dass in ihr die „Äußerungen des Lebens in seiner schönen freien Religion […] rein außer dieser Sphäre“ dargestellt werden (335 f.) Ab Winter 98 setzt Hegel der Gestalt Jesus nicht mehr unhistorisch Sokrates, Lykurg oder einen republikanischen „Volkslehrer“ entgegen (289). Ebenso verbietet sich Hegel in „Der Geist des Christentums“ unmittelbare

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Sprünge in die Gegenwart und umgekehrt von ihr in die Zeit Christi. Den Aposteln kann nicht „europäischer Verstand“ unterstellt werden, „der dem ins Bewußtsein Kommenden so allen Geist auszieht und es zu absoluten Objektivitäten, dem Geist schlechthin entgegengesetzten Wirklichkeiten fixiert“ (417). Dafür erfolgt der historische „Kontrast“ mit Johannes dem Täufer, der „den Juden, ihrem erzürnten Schicksal zu entgehen“, sagt: „Die Axt liegt schon an der Wurzel der Bäume.“ (336) Johannes setzt an die Stelle „dieser Gesetz- und Pflichtlosigkeit in der Liebe, die Jesus als das Höchste bezeichnet“, eine „Ermahnung zu bestimmten Tugenden“ und verkündet „einen anderen, der, die Wurfschaufel in der Hand, die Tenne fegen werde; Johannes hofft im Glauben statt seiner Wassertaufe von seinem Nachfolger eine Taufe mit Feuer und Geist“. (336)92 Die Andersartigkeit des Johannes ist aber anders innerhalb derselben historischen Einheit. Auch sie kann nicht im Sinne der modernen Denkweise „verstanden“ werden. „Was wir etwa unter dem Gesichtspunkt eines Instruments der göttlichen Vorsehung ansehen würden, darin sah Johannes ein vom Geist Erfülltes, da der Charakter der Ansicht Jesu und seiner Freunde nichts so sehr entgegengesetzt sein konnte als dem Gesichtspunkte, alles für Maschine, Werkzeug, Instrument zu nehmen, sondern vielmehr der höchste Glaube an Geist war.“ Dieser historische Geist „fixiert“ nicht das Wirkliche, er macht es „zu einem Unbestimmten“, zu einem „Schweben zwischen Wirklichkeit und Geist“. Bei ihm fällt „die objektive Ansicht“ im Sinne eines Zusammentreffens von Wirklichem weg. Wo europäischer Verstand eine „Einheit des Zusammentreffens von Handlungen“ erblickt und differenziert zwischen der einzelnen Handlung „ohne Bewußtsein“, den „Wirklichkeiten und Instrumenten in dieser Handlung […] sieht Johannes Einheit des Geistes“. (416 f.) „Wo wir bestimmte Wirklichkeit, geschichtliche Objektivität mit dem Verstande erkennen, da ist oft für sie (die Mitglieder der ersten christlichen Gemeinde: H.-P. K.) Geist; und wo wir nur den reinen Geist setzen, da ist er ihnen noch bekörpert.“ (Ebd.) Die Schriften der Juden mögen für den heutigen Leser, schreibt Hegel, „keine Wahrheit mehr“ haben, aber für die Juden „hatte dies alles noch Wahrheit und Geist, aber ihre Wahrheit, ihren Geist, sie ließen es nicht objektiv werden“. (414 f.) Wenn auch noch nicht Geist und Wirklichkeit so „unwiderruflich“ getrennt waren wie in der europäischen Gegenwart Hegels, so gingen beide „doch nicht in reine Natur“ zusammen. Christi Schicksal enthält bereits „die klare Entgegensetzung“ beider (417). Da die „Verhältnisse zum Eigentum nicht zu schönen Verhältnissen werden“ konnten, „sollten sie gar nicht da sein, damit wenigstens nicht das Gegenteil da wäre“. (311) Christus versucht nicht „durch sukzessive Aufhebung der einzelnen Bestimmungen“ die Auflösung der Entgegensetzung in der Wirklichkeit zu betreiben, sondern „durch einen Sprung“, der nur „Begeisterung“ und Versicherung, daß das Reich Gottes da sei, bleibt. (312) Da die Aussendung seiner im übrigen unreifen Schüler „keine Wirkung der Hoffnung Jesu“ zeitigte, vielmehr mit „Gleichgültigkeit der Aufnahme seines Aufrufs“ vom Volk selbst beantwortet wurde, konnte seine Erbitterung vorzüglich „gegen die Phari92

Vgl. zum Gebrauch der Metapher „Feuer“ bei Hölderlin in Heraklit-Tradition als Chiffre der Gewalt, der Negation, der Auflösung der Getrennten in die Einheit der Vernichtung – und Chiffre der Differenz des Wissens: „es nährt sich von dem, was es nicht ist“, siehe G. Kurz, a. a. O., S. 272 u. 153. Vgl. Hölderlins Brief an Neuffer vom November 1794. Sinclair verstand in republikanischpraktischer Interpretation Fichtes Philosophie als „Feuertaufe“. Hannelore Hegel, a. a. O., S. 24.

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säer und die Führer des Volks“ nicht den Kampf mit der Wirklichkeit selbst aufnehmen (398), „mußte er alle lebendigen Beziehungen fliehen, weil alle unter dem Gesetze des Todes lagen“, um „den guten Geist, an den er in ihnen glaubte, zu entwickeln, – um erst Menschen zu schaffen, deren Welt die seinige wäre“. (401, vgl. 402 f.) Aber mit diesem Fliehen einer „Veränderung des Verhältnisses zum Staate“ ist „schon eine große Seite lebendiger Vereinigung, für die Mitglieder des Reiches Gottes ein wichtiges Band abgeschnitten, […] eine Menge tätiger Verhältnisse, lebendiger Beziehungen verloren“. (400) Wenn, wie in der eingetretenen gesamthistorischen Entwicklung, „das staatsbürgerliche Verhältnis vorzüglich nur Eigentum“ betrifft, und „aus der Idee des Kelches Gottes […] alle durch einen Staat gegründeten Verhältnisse ausgeschlossen“ werden, „so bleibt das Schicksal Jesu und seiner ihm hierin treu bleibenden Gemeinde ein Verlust an Freiheit, eine Beschränkung des Lebens, eine Passivität in der Beherrschung durch eine fremde Macht“. Was „an Menge der Beziehungen, an Mannigfaltigkeit froher und schöner Bande (verloren geht) ersetzt sich durch Gewinn an isolierter Individualität und dem engherzigen Bewusstsein von Eigentümlichkeiten“. (400) Nach Unterscheidung der ersten christlichen Gemeinde von der späteren Entwicklung der christlichen Kirche, „als das Schicksal der Welt zu groß (wurde) und sich neben und in der Kirche […] erhielt“ (404), der Entwicklung der katholischen wie protestantischen Kirche einschließlich der opponierenden Sektenbewegungen stellt Hegel resümierend fest: „In allen Formen der christlichen Religion, die sich im fortgehenden Schicksale der Zeit entwickelt haben, ruht dieser Grundcharakter der Entgegensetzung in dem Göttlichen, das allein im Bewußtsein, nie im Leben vorhanden sein soll, […] zwischen diesen Extremen von dem mannigfaltigen oder verminderten Bewußtsein der Freundschaft, des Hasses oder der Gleichgültigkeit gegen die Welt, zwischen diesen Extremen, die sich innerhalb der Entgegensetzung Gottes und der Welt, des Göttlichen und des Lebens befinden, hat die christliche Kirche vor- und rückwärts den Kreis durchlaufen, aber es ist gegen ihren wesentlichen Charakter, in einer unpersönlichen lebendigen Schönheit Ruhe zu finden; und es ist ihr Schicksal, daß Kirche und Staat, Gottesdienst und Leben, Frömmigkeit und Tugend, geistiges und weltliches Tun nie in Eins zusammenschmelzen können.“ (418) Dennoch, bei allem schwärmerischen Fliehen, welches zu überwinden wäre, sieht der Frankfurter Hegel in der Auferstehung Christi und nicht mehr in der griechischen Volksphantasie die exemplarische Befriedigung des religiösen Bedürfnisses überhaupt. Letzteres ist, wie schon beim Berner Hegel, prinzipiell nicht begrifflich erfassbar. (324 f.) Die Einwände des Verstandes zählen daher nicht. „Dies Bedürfnis, das Subjektive und Objektive, die Empfindung und die Forderung derselben nach Gegenständen, den Verstand durch die Phantasie in einem Schönen, einem Gotte zu vereinigen, dies Bedürfnis, das Höchste des menschlichen Geistes, ist der Trieb nach Religion.“ (406) In dem auferstandenen Jesus „fand das Bild wieder Leben und die Liebe die Darstellung ihrer Einigkeit; in dieser Wiedervermählung des Geistes und des Körpers ist der Gegensatz des Lebendigen und des Toten verschwunden und hat sich in einem Gotte vereinigt; […] das Bedürfnis der Religion findet seine Befriedigung in diesem auferstandenen Jesus, in dieser gestalteten Liebe“. (408) So sehr der Frankfurter Hegel nach wie vor tadelt, dass der christliche Glaube nur kraftlose Vereinigung im Geiste gewährt, fehlt jetzt doch jede Festlegung Hegels auf eine republikanische Einheit von Politik und Religion, d. h. auf Volksreligion als Alternative.

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Der Historismus des frühen Hegel hat in der hier zugrundeliegenden religionsaufklärerischen Schrift „Der Geist des Christentums“ seinen Höhepunkt erreicht. Damit wird die Bewältigung der Gegenwart umso schwieriger, denn Rechtfertigungen des gegenwärtigen Verhaltens durch Wiederholung historischer Verhaltensmuster werden untauglich, oder besser umgekehrt, Hegels Problembewusstsein, die Gegenwart betreffend, wird derart komplex, dass ihm die Wiederholung historischer Verhaltensmuster nicht mehr ausreichen kann. Die Auflösungssituation der mosaisch-jüdischen Verhältnisse wird nicht mehr vom Standpunkt griechisch-antiker Verhaltensweisen bewertet, Christus wird nicht mit seiner Gemeinde unreifer Schüler identifiziert (402 f.), Christus und Johannes werden explizit von der späteren Entwicklung der christlichen Kirche abgehoben, wenn auch die später entwickelten Tendenzen zwischen Annäherung an die Wirklichkeit (Johannes) und „Flucht in den Himmel“ (402) (Christus) an diese beiden der historisch ersten Gemeinde anknüpfen können. Durchweg betont Hegel, früheren historischen Situationen nicht gegenwärtiges Verhalten und umgekehrt gegenwärtigen Herausforderungen nicht historische Verhaltensmuster unterstellen zu können. Das Ziel der gegenwärtigen Veränderung wird nicht mehr per historischer Rückprojektion mit der griechischen Antike identifiziert, d. h. religionshistorisch, vom modernen Standpunkt aus betrachtet sind die griechischen Götter gerade „unmenschlich“, also aktuell im Sinne eines Vorbilds unbrauchbar. Christliche Parabeln über „Schwere, Arbeit, Kot“ stehen der Gegenwart näher, wie zugleich die christliche Flucht in den Himmel nach wie vor abgelehnt wird. Die Konfrontation von Jesus und Johannes, damit der Versuch eines historisch inhärenten Maßstabs der Konfrontation, und die Historisierung beider einschließlich der Nachfolgeentwicklungen bis hin zu der Feststellung, das Christentum habe seinen Kreislauf vor- und rückwärts durchlaufen, ohne dieses Resümee nun aber in einem griechisch-antik-modellierten Gegenentwurf für die Gegenwart enden zu lassen, sondern zugleich das Religiöse exemplarisch am auferstandenen Christus vorzuführen, verdeutlicht, dass Hegels Religionsaufklärung in ein neues konzeptionelles Problembewusstsein und in eine neue Denkweise der Gegenwart eingebettet wird. Das Scheitern des antichristlichen Projekts einer republikanischen Volksreligion, wie es der Berner Hegel entworfen hatte, deutet auf das Scheitern der im konzeptionellen Sinne kleinbürgerlich-republikanischen Position als ganzer hin. Hegel sieht sich, selbst einem Kreislauf unterlegen, auf das Johannes-Evangelium als noch nicht einmal des gegenwärtigen, sondern historischen Kontrastes zu und in Einheit mit Jesus zurückgeworfen.93 In Hegels Anerkennung des an der Auferstehung Christi orientierten protestantischen Christentums als moderner Religion erscheint zunächst Hegels Anerkennung der modernen bürgerlichen Gesellschaft. „Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, dessen allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christen93

Vgl. zur Bedeutung der „eschatologischen Naherwartung des schwäbischen Pietismus, die manifeste sozial-revolutionäre Züge“ trägt. G. Kurz, a. a. O., S. 138 f. u. 267. F.Ch. Oetinger stützte sich auf „die Predigt Johannes und Jesu Christi.“ Diese Quellen waren indessen, sofern sie über den Zeitgeist hinausgehen sollen, für die Klosterschüler Hölderlin und Schelling wichtiger als für den vergleichsweise freien Gymnasiasten Hegel, dessen Vater um die Ironien der Finanzen für alle Stände und den Hof Bescheid wusste.

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tum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw. die entsprechendste Religionsform.“94 Dazu passen grundsätzlich die bekannten Studien von Max Weber zur Entstehung des Geistes des Kapitalismus aus der protestantischen Ethik.

2.3. Das zu mächtig gewordene „Schicksal des Eigentums“ und Hegels Kampf gegen „Synkretismus“ Es ist Friedrich Schillers Unterscheidung zwischen dem ästhetischen und dem Notstaat, die den Rahmen für Hegels Rezeption der englischen Ökonomie eröffnet. Sie enthielt bereits die Verarbeitung großbürgerlichen britischen Gedankenguts, z. B. von Adam Ferguson. Schiller warnt in seinem dritten Brief „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ davor, vom Standpunkt des „Ideals der Gesellschaft“ den „Naturstaat“, welcher zweifelsohne nur den „physischen Menschen“ befriedigt und dem Ideal völlig entgegensteht, aufheben zu wollen. So nähme die Vernunft „dem Menschen etwas, das er wirklich besitzt, und ohne welches er nichts besitzt, und weist ihn dafür an etwas an, das er besitzen könnte und sollte; und hätte sie zu viel auf ihn gerechnet, so würde sie ihm für eine Menschheit , die ihm noch mangelt und unbeschadet seiner Existenz mangeln kann, auch selbst die Mittel zur Tierheit entrissen haben, die doch die Bedingung seiner Menschheit ist. Ehe er Zeit gehabt hätte, sich mit seinem Willen an dem Gesetz (moralischen) festzuhalten, hätte sie unter seinen Füßen die Leiter der Natur weggezogen.“95 Die neuere Entwicklung des Natur- zum Notstaat bedeute, dass die Kräfte der menschlichen Gattung in Stücke gerissen nur noch vorhanden sind, so daß man von „Bruchstück“ zu „Bruchstück“, „von Individuum zu Individuum herumfragen muß, um die Totalität der Gattung“ zusammenzulesen. „Wir sehen nicht bloß einzelne Subjekte, sondern ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten, während daß die übrigen, wie bei verkrüppelten Gewächsen, kaum mit matter Spur angedeutet sind.“ Der „Vorteil der Gattung“ geht zum Nachteil der Individuen.96 „Die mannigfaltigen Anlagen im Menschen zu entwickeln, war kein anderes Mittel, als sie einander entgegenzusetzen. Dieser Antogonism der Kräfte ist das große Instrument der Kultur, aber auch nur das Instrument; denn so lange derselbe dauert, ist man erst auf dem Wege zu dieser.“ Auf diesem Wege muß gleichzeitig gegen sowohl „das Geschenk liberaler Grundsätze“, dieser „Verräter“ an dem Ganzen, als auch „despotische Formen“ angegangen werden. So „muß man jeden Versuch einer […] Staatsveränderung so lange für unzeitig und jede darauf gegründete Hoffnung so lange für chimärisch erklären, bis die Trennung in dem inneren Menschen wieder aufgehoben und seine Natur vollständig genug entwickelt ist, um selbst die Künstlerin zu sein und der politischen Schöpfung der Vernunft ihre Realität zu verbürgen.“97 Schillers Thematisierung des Notstaates trifft auf die bei Hegel vorbereitete politische Aufmerksamkeit für England, dessen verräterischem Verhalten gegenüber der Französi94 95 96 97

Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23, S. 93. F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Dritter Brief, S. 152. Ebd., S. 160–162. Ebd., S. 167 f.

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schen Revolution das Verhalten des nachthermidorianischen Frankreichs gegenüber den deutschen Republikanern ähnelt, d. h. vor allem, das weder dem republikanischen Ideal noch Hegels Vorstellung von Despotismus entspricht. Hegel verfolgt mit großem Interesse die Parlamentsverhandlungen über die „Armentaxe“98. Zudem leiteten sich Hölderlins vereinigungsphilosophische Bestrebungen über Herder und Schiller bereits von der englischen moralphilosophischen Tradition in der Gestalt Shaftesburys her99, stellt sich Kants Werk erkenntnistheoretisch und moralphilosophisch als Reaktion auf die englische Gedankenentwicklung insbesondere in der Gestalt Humes dar100, der Hegel als der „Geschichtsschreiber neuerer Zeiten“ (446) par excellence gilt, und hatte vor all dem schon Rousseau sein Konzept als Alternative zur englischen Entwicklung, wie sie in Mandevilles „Bienenfabel“ offen ihre Prinzipien aussprach, formiert.101 Spätestens im Winter 1798/99 studiert Hegel James Steuarts Hauptwerk, zu welchem er bereits im Frühjahr 1799 einen Kommentar verfasst (632 f.).102 1793/94 hatte Hegel solche ökonomischen Lehren noch einfach verworfen (77). Hatte Hegel vor dem Winter 98/99 die Frage nach einem „bleibenden Interesse“, welches die Verbindung einer „Menge von Individuen“ zu einem Volk begründet, dann fehlen gesehen, wenn vor allem das staatliche Band oder auch noch „Ideen“ ausblieben (440), setzt er nun, zunächst vor aller staatlich-politischen, geistig-praktischen und ideellen Einheit den Verbindungsgrund eines Volkes in die Gleichheit der Not, wobei „Verbindung“, wie bei den Freunden, eine unvollständige „Vereinigung“ bedeutet. Von „einer Übereinstimmung in Erkenntnis, in gleichen Meinungen kann nicht die Rede sein; die Verbindung vieler beruht auf gleicher Not, sie stellt sich an Gegenständen dar, […] , in Verhältnissen, die darüber entstehen, und dann in dem gemeinsamen Bestreben um dieselben und gemeinsamer Tätigkeit und Handlung.“ (395) Hegel meint ausdrücklich den „ganzen Umfang der physischen Not“. (Ebd.) Hegel wusste schon vor dem Winter 98/99, dass „harmonische“ soziale Verhältnisse, in denen sich die Menschen wie in der Liebesbeziehung zueinander verhalten, „Gütergemeinschaft“, d. h. Gemeineigentum unterstellen. Das Vereinigungsprinzip der Liebe als ein Real-Verhältnis und nicht nur eine „schöne Idee“ ortet Hegel stets in zweierlei Hinsicht: Zum einen sieht Hegel die Wirklichkeit der Liebesbeziehung an die Gütergemeinschaft zwischen Mann und Frau in der Ehe gebunden, die sich aber nach außen eigentümerisch verhält, und zum zweiten in Sekten, einigen „Verbrüderungen“ der Freunde Jesu, die „alles Eigentumsrecht gegeneinander“ aufhoben, gegen andere jedoch zur Geltung bringen mussten (395). „Personenrecht“, d. h. Feudalrechte über Menschen, wie die Leibeigenschaft, „schließt sich schon durch einen Namen von der Liebe als ein ihr abscheulicher Dienst aus“: Aber Liebe erfordert auch „die Rechte der Liebenden auf Sachen […] gegenseitig aufzuheben und dies als einen Beweis der Liebe anzusehen.“ (250) Nun 98 99 100 101

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Siehe Karl Rosenkranz, Hegels Leben, S. 85. Siehe G. Kurz, a. a. O., S. 19 f. u. 36. Vgl. G. Stiehler, Der Idealismus von Kant bis Hegel, S. 142 f., 152 u. 28. Durch die von englischer Seite, insbesondere durch Mandeville, als wirksam gezeigte Unterordnung der Vernunft unter die Selbstliebe und den Eigennutz sieht sich Rousseau gezwungen, es kompensatorisch für nicht unmöglich zu halten, das Prinzip des Gewissens auch unabhängig von der Vernunft als „Folge unserer Natur“ zu erklären, ein „angeborenes Prinzip der Gerechtigkeit und Tugend anzunehmen“. J.-J. Rousseau, Emil, S. 305 u. 303 Rosenkranz, a. a. O., S. 86.

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„kann“ zwar der „ganze Umfang physischer Not […] Gegenstand vereinigter Tätigkeit sein“, wodurch sich in dieser „der gleiche Geist“ darstellt, „und dieser gemeinsame Geist gefällt sich dann auch, sich in der Ruhe zu erkennen zu geben, seiner Vereinigung froh zu sein, indem er an Freude und an Spiel sich selbst genießt“, aber solche historischen Sekten blieben „kleine Gesellschaften“. Sie unterlagen außer der an „tausend Gegenstände gemeinschaftlichen Besitzes und Genusses und gleiche Bildung“ gebundenen Liebe, außer der „gemeinsamen Tätigkeit“ betreffs des unmittelbar physisch Nötigen, „außer diesem gemeinschaftlichen Genießen, Beten, Essen, Freuen, Glauben und Hoffen“ ganz „der einzigen Tätigkeit für die Verbreitung des Glaubens, die Vergrößerung der Gemeinschaftlichkeit der Andacht“. In der Aufgabe „der Liebe verschmäht die Gemeine jede Vereinigung, die nicht die innigste, jeden Geist, der nicht der höchste wäre“, wodurch sich diese Sekten der fortschreitenden Bewältigung des „ungeheuren Felds von Objektivität, die ein Schicksal von dem vielseitigsten Umfange und gewaltiger Macht aufstellt“, entziehen, das Liebesprinzip gegenüber dem fortschreitenden Leben „untätig“, „unentwickelt“, „unlebendig“ wird und in „fürchterlichsten leidenden oder tätigen Fanatismus“ übergeht. (395–397) Hegel begründete auch schon vor der Wende 1798/99, dass Gütergemeinschaft als reale Basis der Liebe nicht gesellschaftlich verallgemeinerbar ist, weil „die Gütergemeinschaft mit dem Schein der völligen Aufhebung der Rechte“ nur „täuscht“, denn „sie setzt immer eine Teilung, und zwar Notwendigkeit dieser Teilung, […] , zwar nicht der ruhenden Mittel des Ungenutzten, Toten, aber eine notwendige Teilung desselben in dem Gebrauch voraus“. (250) Die Gütergemeinschaft ist eigentlich keine Gütergemeinschaft, sondern hinsichtlich des tätigen Gebrauchs doch nur „das Recht eines jeden von beiden (im Falle der Ehe, von mehreren im Falle der Sekte: H.-P. K.) an das Ding“ (ebenda). Hegel unterstellt historisch einen arbeitsteiligen Zustand der Gesellschaft, in dem die Mittel der Tätigkeit gegenüber der Natur nicht unmittelbar kooperativ oder schon der technologischen Form nach vergesellschaftet sind, sondern nur von „einzelnen“ gegen „einzelne“ Naturobjekte in „Gebrauch“ gesetzt werden können. Dabei ist aufschlussreich für die Erhellung seiner logischen Problemstellungen, dass Hegel „Teilung, Besonderes, Eigentum“ synonym verwendet (249). Nicht weniger auszeichnend ist sein bürgerliches Resümee, dass „alles, in dessen Besitz die Menschen sind, die Rechtsform des Eigentums“ (250) annehmen müsse. Hierhinter verbirgt sich der von Marx aufgedeckte Zusammenhang zwischen den großen gesellschaftlichen Arbeitsteilungen und Privateigentumsformen, den erst eine Produktionsweise aufheben könnte, in der letztlich die Arbeitsmittel schon ihrer technologischen Form nach unmittelbar vergesellschaftet werden. Nachdem der frühe Frankfurter Hegel die Gütergemeinschaft als gesellschaftlich allgemeine Basis seines republikanischen, als Vereinigung der Liebe umschriebenen Ideals hatte ausscheiden müssen, sich dadurch von möglicherweise utopisch-kommunistischer Gedankenentwicklung bereits endgültig abhob, bis in den Herbst 1798 hinein aber umso leidenschaftlicher an der kleinbürgerlichen Gleichheit des Eigentums als Basis festhielt, bricht nun im Winter 1798/99 auch diese Annahme, die ganze Konzeption Hegels nicht mehr nur erschütternd, sondern umwerfend, zusammen. Für einen historisch orientierten, republikanischen Aufklärer, wie Hegel, der, steht auch die aufklärerische Begründung einer republikanischen Religionspraxis im Vordergrund all seiner Bemühungen, mit der noch eben erfolgten Beschwörung Lykurgs und der Rousseauischen Republik und der Er-

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wägung der wahren Motive der Sansculotten um die Bedeutung der Gleichheit des Eigentums für die politische Freiheit und Gleichheit weiß, der sich aber auch schon der prinzipiellen Aussichtslosigkeit, sein Ideal verwirklicht zu sehn, ausgesetzt sieht und daher zur „Vereinigung“ mit den Widerständen bereit ist, hat die historische Begründung des bürgerlichen Privateigentums bei James Steuart konzeptionell durchschlagende Wucht: „Das Schicksal des Eigentums ist uns zu mächtig geworden, als daß Reflexionen darüber erträglich, seine Trennung von uns denkbar wäre.“ (333) Diese Anerkennung des bürgerlichen Privateigentums und damit der Ungleichheit des Eigentums, kommt theoretisch bei Hegel dadurch zur Geltung, dass er materialistischen Ableitungsansätzen der großbürgerlichen britischen Tradition Raum gibt. Diese Tendenz kündigte sich, wie oben erwähnt, beim „Geist des Judentums“ an, sie wird eine systematische Ableitungsdimension im „System der Sittlichkeit“ in Jena 1802–1803 sein, sie fordert Hegel 1798/99, wenn er, ausgehend von der aus gleicher Not resultierenden Verbindung des Volks von „darüber“ (395) entstehenden Verhältnissen spricht oder aus gemeinschaftlicher Tätigkeit zur Bewältigung der physischen Not gemeinschaftlichen Geist folgert oder die Gütergemeinschaft als keine wirkliche Alternative zum Privateigentum nachzuweisen sucht. Hegel, weiterhin gegen eine Apologie der anzuerkennenden Ungleichheit des Privateigentums, hält daran fest, dass „Reichtum […] seine Entgegensetzung gegen die Liebe, gegen die Ganzheit“ sogleich verrät, zwar die aus dem „Besitz von Reichtum“ folgenden Bestimmtheiten der Menschen als „Schranken“, „Grenzen“ der Tugenden akzeptiert werden müssen, aber deshalb „an einen Synkretismus, einen Zweiherrendienst… nicht zu denken“ sei. (334) Dies sichert theoretisch der übergreifende vereinigungsphilosophische Ansatz, der die materialistische Argumentationsrichtung in sich greift. Die in der identitätsphilosophischen Entwicklung von Fichte zu Schelling formierten Elemente der Dialektik, wie die Anerkennung der Objektivität des Widerspruchs zwischen Subjekt und Objekt, der Aufspaltung jeden Gegensatzpoles in eine eigene Subjekt-Objekt-Einheit und die schrittweisen Aufhebungen der Gegensätze, sollen die Entgegensetzung der materialistischen und idealistischen Argumentationsketten so auskämpfen, dass das Ideal der „harmonischen Vereinigung“ von Subjekt und Objekt als realisierbar begründet wird. „Beides, der Kampf und das Vergeben, sollte seine Grenzen haben.“ (350) Oder umgekehrt, nicht hinsichtlich der Versöhnung, sondern Entgegensetzung formuliert: „es ist nichts, das nicht angegriffen und das nicht aufgegeben werden könnte“. (Ebd.) Die Grenzen jeweils sachlich und historisch adäquat zu begründen, stellen fortan Hegels Problem dar. Hegel fordert Kampf um Versöhnung und Versöhnung im Kampf. Die „Tapferkeit aber ist größer als schmerzendes Dulden“ (348), schreibt er im Sinne des Johannes-Evangeliums als der religiösen Entsprechung des vereinigungsphilosophischen Ansatzes. An die „die höchste Freiheit“ behauptende „schöne Seele“ gewandt, formuliert Hegel: „Wer aber sein Leben retten will, der wird es verlieren.“ Er schließt an: Mit „der höchsten Schuldlosigkeit (ist) die höchste Schuld, mit der Erhabenheit über alles Schicksal das höchste unglücklichste Schicksal vereinbar“. (350 f.) Statt dem Schicksal Jesu zu erliegen, müsse an einer, allerdings gegenüber dem republikanischen Konzept neuen Einheit von politisch staatlicher Sphäre und religiöser Betätigung des Volkes als Kompensation zu den mächtig aus der Sphäre der Not und des Eigentums resultierenden Bestimmtheiten festgehalten werden. Was an schöner Gemeinschaftlichkeit infolge der

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Sphäre der Not und des Eigentums anzuerkennender Weise fehlen müsse, dürfe nicht durch die isolierte Individualität ersetzt werden, sondern sei durch staatliche Freiheit und religiöse Liebe zu Gott sozial zu garantieren. Während Hölderlin vereinigungsphilosophische Gedankenformen gebraucht, um die politische Realisation des republikanischen Ideals mittelbarer, aber doch letztlich nach wie vor vorstellbar zu gestalten, ästhetisch wendet und hier zu einer eigenen poetologischen Konzeption entfaltet, geben sie Hegel jetzt Raum, die der politischen Praxis vorgelagerte Sphäre der Not und des Eigentums in ihren Folgewirkungen zu respektieren, konzeptionell einzubeziehen und zugleich, ohne einem Zweiherrendienst zu verfallen, als durch eine neue Einheit von politischer und religiöser Emanzipation aufhebbar darzustellen.103 Die schon früher an dem gegenwärtigen Zeitalter als charakteristisch diagnostizierte „absolute Entgegensetzung von Subjekt und Objekt“ gewahrt nun ihren materiellen Herd: In der Sphäre der physischen Not „wird entweder der Mensch zum Objekt gemacht und unterdrückt, oder muß er Natur zu einem Objekt machen und unterdrücken“. (318) Eine andere Relation als die der Unterdrückung kann in dieser Sphäre nicht entstehen. Diese Sphäre anders als „teilig“ und in „Eigentum“, d. h. ungleicher Entwicklung von Privateigentum organisiert zu denken, schließt Hegel aus dem Raum des ihm Denkbaren explizit aus. Das Steuartsche Werk, in dem der Merkantilismus theoretisch systematisiert wurde, kommt in vielerlei Hinsicht den Entwicklungsbedürfnissen und -möglichkeiten Hegels entgegen. Zum Ersten durch seine außerordentlich historische Verfahrensweise, insbesondere hinsichtlich „der Nachweisung, wie der Scheidungsprozeß zwischen den Produktionsbedingungen als dem Eigentum einer bestimmten Klasse und dem Arbeitsvermögen vorgeht. Mit diesem Entstehungsprozeß des Kapitals – ohne ihn noch direkt als solchen zu fassen – […] viel beschäftigt“104, zerschlägt Steuart jede mögliche Illusion, die sich an die Gedanken der Gütergemeinschaft und der Gleichheit kleinen Eigentums oder der Wiederholbarkeit antiker Sklaverei und Freiheit heften. Ronald L. Meek stellt die Verwandtschaft Steuarts mit der schottischen historischen Schule (Smith, Robertson, Ferguson und Millar) des 18. Jh. fest. Steuart unternimmt den „Versuch einer ökonomischen Interpretation der Geschichte“105. Eine solche Beeinflussung des Frankfurter Hegel, bei 103

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Siehe Hegel, Frühe Schriften, S. 399 ff., wo Hegel diese neue Einheit aber nicht konkret zu bestimmen weiß. Vgl. Hegels Kritik an Kants „Dualismus von Staat und Kirche“, wo Hegel ebenfalls nicht näher anzugeben weiß, wie aus dem bisherigen Staat, der dem „Prinzip des Eigentums“ unterworfen ist, der „den Menschen sehr unvollständig als einen habenden“ denkt, es dazu kommen kann, dass „das Prinzip des Staates ein vollständiges Ganzes“ wird und zugleich das „Ganze der Kirche“ entsteht, wenn der Mensch nicht mehr „in einen besonderen Staats- und besonderen Kirchenmenschen zertrümmert ist“. Ebd., S. 444. Karl Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil, MEW Bd. 26.1, S. 11. Vgl. Ebd., S. 23, 352, 746. Ronald Lindley Meek, Die Rehabilitation von Sir James Steuart. In: Ders., Ökonomie und Ideologie, S. 23. Steuart gehört außer Hume, Mandeville und Hartington zu den Vorläufern der schottischen Schule, dieser „engen Verbindung“ zwischen der Entstehung der klassischen bürgerlichen politischen Ökonomie und „einer allgemeineren Vorstellung von der Struktur und der Entwicklung der Gesellschaft, die wir vielleicht klassische Soziologie nennen können“. Ebd., S. 51. Vgl. Stewart, Sir James Baronets, Untersuchung der Grund-Säze von der Staats-Wirthschaft als ein Versuch über die Wissenschaft von der Innerlichen Politik bey freyen Nationen aus dem englischen uebersetzt, Tuebingen bey Johann Georg Cotta 1769–1772. Fünf Bände. James Steuart formuliert klar: „Da ich

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all seinen Versuchen diese abzufangen, ist deutlich spürbar. Diese Wirkung auf Hegel hat Steuart dadurch erzielen können, dass seine historische Darstellung, wie Hegel von Gibbon, Herder, Montesquieu und Schiller gewohnt war, universal-historisch angelegt ist, und jede ökonomische Teiltheorie, wie Sen anhand der Preistheorie schreibt, als „integraler Teil einer allgemeinen Theorie der gesellschaftlichen Dynamik“106 von Steuart vorgestellt wird. Diese Theorie schließt vor allem die Hegel bewegende Problemstellung ein, wie, trotz des anzuerkennenden Eigennutzes jedes Rädchens, durch das staatliche, auch religiöse Band der „Geist des Volkes“ in moralphilosophischer Verantwortung gebildet werden kann.107 Zweitens: Steuart verbindet, dass das Prinzip des Eigennutzes das herrschende Prinzip seines Gegenstands ist, damit, dass das System seines ökonomischen Gegenstands

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hier keine Moral schreibe“ (Bd. 1, S. 41): „Das Triebrad des Eigennutzes ist der Hauptschlüssel bey dieser Untersuchung und kann gewissermaßen als der theilende Grundsatz meines Gegenstandes angesehen werden, welcher durch das ganze Werk hindurchgehet. Er ist die vornehmste Triebfeder, die einzige Beweg-Ursache, die sich ein Staatsmann zunutze machen muß, wenn er ein freyes Volk dahin bringen will, dem Plane, wornach er dasselbe zu regieren gedenkt, beizutreten.“ Bd. 2., S. 2. Zur Bewertung des Steuart-Einflusses auf Hegel siehe Georg Lukács, Der junge Hegel, S. 216 ff. Deutsch zitiert nach Meek, a. a. O., S. 19. Originaltitel: S. R. Sen, The Economics of Sir James Steuart, Cambridge (Mass.). 1957. Für Steuart kommt es auf die Erkenntnis der bei jedem Volk historisch verschiedenen Staatswirtschaft an. Diese bestimmt er, so sehr ihm auch gilt, der privateigentümerische „Eigennutz sey das Grundprincipium meines Gegenstandes“ (Bd. 2 S. 3), nicht von vornherein reduktiv, sondern „in Ansehung der Vertheilung des Eigenthums, der Unterordnung der Staende, der Denkungsart des Volkes.“ Stewart, Sir James Baronets, Untersuchung der Grund-Säze von der Staats-Wirthschaft, Bd. 1, S. 3. Diese Reihenfolge der Faktoren Eigentum, Unterordnung der Stände und Denkungsart des Volkes erfolgt von Steuart in Wertungsabsicht. Zwar geht Steuart von der „Denkungsart eines Volks“ aus, diese zunächst (Bd. 1, S. 9f) als Moral, da massenwirksame Moral als Religion, schließlich als Sitten im Ganzen fassend, führt sie dann aber auf die Revolutionierung der politisch-staatlichen Ordnung zurück, deren Kernfrage wiederum die der Freiheit des bürgerlichen Privateigentums, insbesondere des Handelskapitals, aber auch schon eines Manufakturen unterstellenden Handelskapitals, ist. Was „ist hinreichend, die Natur der Revolution in dem politischen Zustande, und folglich auch in den Sitten von Europa zu bestimmen“? „Diß“: „Aus einem feudal- und militärischen, ist ein freyes und commercialisches Regiment geworden. Ich seze Freyheit in dem Regiment dem Feudal-System entgegen, blos allein zu bemerken, daß nun diese Kette von Subordination unter den Unterthanen nicht mehr gefunden werde, welche ein wesentliches Stueck des Feudal-Regiments war.“ Ebd., Bd. 1, S. 13. „Die Industrie vernichtet die Einfalt der Sitten.“ Ebd., Bd. 2, S. 386. So sehr Steuart vom Standpunkt der „Progresse der Industrie“ die Ablehnung des Eigennutzes als Triebrad der historischen Entwicklung bekämpft, („Und wenn Privatpersonen alle Bettler ernaehren wollten, wo wuerde die Industrie bleiben?“ Bd. 2, S. 6), so sehr erscheint ihm aber auch notwendig, die zerstörerischen Auswirkungen dieses Eigennutzes staatlich zu bändigen, ohne allerdings den Eigennutz als Triebrad der Entwicklung anzugreifen. „Sollte, statt des Privatnutzens, die Vaterlandsliebe die Triebfeder der Handlungen der Mitglieder eines wohlregierten Staats werden, so sorge ich, es werde alles dadurch verdorben werden.“ Aber: „Nach meiner Weise, diese Materie zu behandeln, ist bey denen, die regiert werden, der Patriotismus so ueberfluessig, als er beym Staatsmann allmaechtig sein muß.“ Ebd., S. 4. Der Staatsmann stützt sich auf die Denkungsart des Volkes, d. h. die Sitten, die Moral, die Religion. Diese Unterstützung ist allerdings wirkungsschwach genug: „Alles, was ich verlange, ist ein strenger Gehorsam gegen dies Gesetz.“ Bd. 2.S. 6. In der Tübinger Übersetzung wird dem Ausdruck „Denkungsart des Volkes“ gegenüber „Geist des Volkes“ (Herder), der auch gebraucht wird, der Vorzug gegeben.

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keine ausreichenden Fähigkeiten zur Selbstregulation besitzt. Daher bedürfe freie Konkurrenz notwendig staatlicher Interventionen. Steuart ist in England einer der bedeutendsten und ersten Opponenten der Idee, ein freies Tauschsystem könne infolge des Motors des Eigennutzes von allein den wirtschaftlichen Wohlstand maximieren und gesellschaftliche Harmonie herstellen, ohne dass Steuart nun aber wieder vom Eigennutz als der Grundlage seines Gegenstandes ablässt und dessen Ansprüche, herderisch gesagt, die Ansprüche der „Selbstheit“ gegenüber der Liebe, einfach negiert. Rosenkranz’ Beschreibung des Hegelschen Kommentars zu „Steuarts Staatswissenschaft“ zufolge, muss Hegel das antiliberale, vorklassische Charakteristikum an Steuart als nicht entschieden genug befunden haben, (Anmerkung 102) zumal Steuart bei aller noch moralphilosophischen Bindung schon auf der Selbstständigkeit seines politökonomischen Gegenstands auch in Gegensatz zur Ethik besteht. Steuart fordert den „gemeinsinnigen“ Staatsmann, der leitend und durch Strafgesetze einschränkend den Eigennutz in eine große, wertvolle Naturkraft der gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie Wasser, Wind oder Feuer darstellen, verwandelt.108 Hegels Interesse für das Problem notwendiger Strafen verstärkt sich. Die im Ganzen widersprüchliche Übergangsposition Steuarts bringt Luige Cossas plastisch zum Ausdruck: „Konnte Adam Smith einen absurderen Vorläufer haben, als diesen Verteidiger der Allmacht des Staates, dessen einzige Idee es gewesen war, priviligierte Kapitalgesellschaften mit uneingeschränkter Konkurrenz zu verbinden, […]?“109 Drittens gereicht „Steuarts Versäumnis, das Auftreten einer neuen sozialen Klasse in der Agrikultur und in der Manufaktur“110, nämlich der Lohnarbeiter, richtig erfaßt und hinsichtlich des Wert-, Preis- und Profit-Lohn-Problems ökonomisch ausgewertet zu haben, der Rezeption durch den in ständischem Denken befangenen Hegel geradezu zum Vorteil. Zum vierten ist dem Hegelschen Affront gegen einerseits Popularphilosophie und aufklärerisch-„schales Gerede“ von „allgemeiner Menschenliebe“ in bürgerlicher Öffentlichkeit und an Höfen sowie andererseits gegen die verselbständigte, sich immanent kultivierende Geistesproduktion ohne aufklärerisch-praktische Wirksamkeit Steuarts Stellung vergleichbar. Steuart versucht eine theoretische, systematisch „das ganze Gebiet der politischen Ökonomie“ durchmessende Wissenschaft111 gegen einerseits die pragmatisch im Interesse ihrer Monopole Wirtschaftsideologie produzierenden CompanyDirektoren und andererseits die Tradition der Universitätsprofessoren zu begründen. Die Universitäts-Tradition behandelt die theoretische Wissenschaft entweder als Anhängsel der jeweils herrschenden staatlichen Wirtschaftspolitik, oder verselbständigt sie in eine 108 109 110 111

Vgl. Wilhelm Hasbach, Untersuchungen über Adam Smith und die Entwicklung der politischen Ökonomie, S. 376. Zitiert nach Meek, a. a. O., S. 15. Meek, a. a. O., S. 16. Hegel bleibt die Erkenntnis kapitalistischer Ausbeutung verschlossen. Siehe G. Lukács S. 217. Hasbach, a. a. O., S. 228. Zur Abgrenzung Steuarts von der naturrechtlichen Systemtradition und der political economy, d. h. gerade wirtschaftspolitisch und empirisch orientierter Ökonomie an den schottischen Universitäten und in Edinburgh ebd., S. 237. Zu Steuarts Abhebung der Ökonomie von der Ethik, dem vorzugsweise historischen Aufbau seiner Disziplin, der Betonung der Wissenschaft gegenüber Politik und der empirischen wie praktischen Wissenschaft gegenüber der rationalistischen Systemkonstruktion ebd., S. 370 f. Vgl. auch zur Entwicklung von Adam Smith vom wirtschaftspolitischen System zur praktischen und theoretischen Wissenschaft ebd., S. 218 ff.

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politisch-praktisch nicht anwendbare moralphilosophische Systemkonstruktion. Steuarts auch in Bezug auf die Bestimmung der Funktion der Wissenschaft in ihrem Verhältnis zur politischen Praxis merkwürdige Übergangsposition verdient besondere Beachtung; zum einen, da Hegel zeitlich parallel zur Steuart-Beeinflussung vom „höheren“ Aufklärer in religions-praktischer und politisch-praktischer Absicht, der Philosophie aufklärerisch instrumentierte, zum klassischen Philosophen mit aber noch aktuellem gesellschaftlichen Wirkungsanspruch (in Jena) übergeht. 1800 entwickelt Hegel seinen ersten eigenen philosophischen Systementwurf. Zum zweiten steht Steuarts Funktionsbestimmung der Wissenschaft im Verhältnis zur Praxis in Zusammenhang mit grundsätzlichen Schlussfolgerungen über die methodologische Verfahrensweise innerhalb der Wissenschaft selbst. Lukács sieht in der charakteristischen Rolle Steuarts als eines überragenden Historikers und eines noch vorklassischen, die Notwendigkeit von Staatsinterventionen begründenden Ökonomen zu Recht bleibende Seiten des Einflusses auf Hegel.112 Nicht weniger bedeutend ist jedoch, gerade für Hegel, Steuart als hervorragender Wissenschaftsmethodologe des 18. Jahrhunderts. Die bleibende Beeinflussung Hegels durch Steuart muß um diese methodologische Komponente des Steuartschen Werks erweitert werden. Sie ist eine wichtige Voraussetzung, um Hegels Verständnis der Spezifik der Philosophie in seinem Jenenser Programm begreifen zu können. Adam Smith setzt das MethodologieVerständnis von Steuart voraus. Smith’ ökonomisches Werk enthält nur implizit hohes methodologisches Bewusstsein, welches sich auch noch, wie Marx zeigte, „mit großer Naivität in einem fortwährenden Widerspruch“ zwischen dem „esoterischen und exoterischen Teil seines Werks“ bewegt.113 Steuart wirft explizit methodologische Grundfragen auf, um die Disziplin endlich zu einer „regelmaeßigen Wissenschaft zu bilden“.114 Steuart besitzt dabei ein zwar sachlich bescheidenes, aber doch deutliches Selbstbewusstsein: „Der Weg, den ich eingeschlagen habe, war mir neu.“115 In der „Vorrede des Herrn Verfassers“ zum Gesamtwerk stellt Steuart sein Anliegen sogleich wie folgt vor: Gegen die Verwandlung der theoretischen Disziplin in ein bloßes Anhängsel der Politik gerichtet, besteht Steuart darauf, eben eine auf „die beste Methode“ gegründete116 Wissenschaft zu bilden. „Man wird keine Spur finden, daß ich irgendeinem besondern Staats-Minister im mindesten zu gefallen gesucht und auf seine Staats-Verwaltung gezielt habe.“117 Im Anschluss an die Anerkennung der Notwendigkeit empirischer Beobachtung hebt Steuart zugleich hervor, dass der Wissenschaft sich zu nähern, die Überwindung aller „Vorurteile“, insbesondere nationaler, voraussetzt. Er verweist nachdrücklich auf seine vielfältigen Reisen in aller Herren Länder, um empirisch beobachten, aber bereits vergleichend empirisch beobachten zu können, statt von einem situationsbedingten empirischen Lokal-Kolorit, damit zur Wissenschaft untauglich, befangen zu bleiben. Er setzt, Hegel verwandt, sein sachliches Objekt-Bewusstsein den 112 113 114 115 116 117

Lukács, Der junge Hegel, S. 216 f. Karl Marx, Theorien über den Mehrwert. Zweiter Teil, MEW Bd. 26.2, S. 162 f. Steuart, a. a. O., Bd. 2, S. 1.(Einleitung zum Gesamtwerk, die in der Tübinger Ausgabe erst Band 2 vorangestellt ist.). Vgl. zum Unterschied der Theorie von der politischen Praxis Bd. 2, S. 175. Ebd., S. 4. Ebd., S. 3. Ebd., S. 1.

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auf „Ansehen“ ausgehenden, mit „Sprache“ kokettierenden Schriftstellern entgegen.118 Steuarts Polemik richtet sich außer gegen die Unterordnung der Wissenschaft unter Politik und die Gefahr empirischer Vereinzelung gleichermaßen gegen spekulative Systemkonstruktionen, die in historisch und praktisch orientierender Hinsicht inhaltslos sind. So sehr die Wissenschaft nur allgemeine Grundprinzipien entwickeln kann und sich von der Bindung an Praktiker oder Staatsmänner freihalten müsse, so sehr liefere sie doch staatswirtschaftliche Vorschläge, die der Staatsmann entsprechend den konkret-historischen Bedingungen auswählt und modifiziert, worin seine „Kunst“ besteht.119 Steuarts Position ist gegen das gerichtet, „was die Franzosen Systeme nennen“.120 Er tritt mit Hinweis auf Bacon121 für empirische Betrachtung ein und hält für „die groeßte Gefahr, […] daß allgemeine Regeln sonderlichen Nutzen haben“.122 „Fast bey jedem allgemeinen Saze, den ich angenommen habe, bin ich Gefahr gelaufen, in Irrthum zu gerathen.“123 Viel zu leicht und oft geschieht, „daß die Lebhaftigkeit des Genie einen Schriftsteller hindert, auf die Verschiedenheit der Umstaende Acht zu haben“.124 Selbst sein eigenes Werk hält Steuart noch für „eine Speculation, und nichts mehr. Es ist ein roher Entwurf eines sehr großen Plans“.125 Steuart plädiert für „historische“ Betrachtung und nicht Einsperrung der Geschichte in ein „System“, für empirische Betrachtung und nicht darüber erhabene, sich der Empirie verschließende rationalistische Deduktion. Die „Zeichen unserer Begriffe“ haben jene „Stelle der Vorstellungen“ einzunehmen, „welche sie auszudrücken bestimmt sind“. Die rationalistischen System-Bauer verfallen in eine falsche Abstraktionsart : „Man macht eine Induktion, und aus derselben zieht man eine Folge, die man einen Grundsatz nennt; kaum ist diß geschehen, so dehnt der Verfasser den Einfluß derselben weit über die Grenzen der Begriffe, die sein Verstand vor Augen hatte, als er denselben entwickelte.“126 Steuarts Orientierung auf empirische Verfahrensweise stützt die auf historische und umgekehrt. Hinsichtlich des Verhältnisses der Wissenschaft zu außerwissenschaftlichen Tätigkeiten emanzipiert Steuart seine Disziplin von bourgeoisem, staatspolitischem oder der landlords Diktat, ohne in eine der Wirklichkeit gegenüber leere rationalistische Systemkonstruktion (wie in der moralphilosophischen Naturrechtstradition) zu verfallen, vielmehr um in Gegensatz zu letzterer eine Wissenschaft zu verfechten, die „praktische Wissenschaft“ in aufklärerischer Verantwortung ist, aber „aufklärerisch“ auch wieder nicht in einem vulgären und populären, sondern höchst theoretischen Verständnis, mit gar der Konsequenz: „Wer sich angewoehnt hat, blos fuer sich selbst zu schreiben […].“127 Steuarts Kritik der rationalistischen Systemkonstruktion trifft auf das in Einklang mit Hölderlin und Sinclair bei Hegel bestehende kritische Bewusstsein gegenüber derselben Tradition, auch infolge eines praktisch orientierten Anliegens. Während bei Hölderlin 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Ebd., S. 2–3. Hasbach, a. a. O., S. 371. Vgl. Steuart Bd. 3. Erster Theil, S. 27. Steuart, Bd. 2, S. 4. Steuart, Bd. 2, S. 2. Ebd., Bd. 2, S. 4. Ebd., Bd. 1, S. 76. Ebd., Bd. 2, S. 4. Ebd., Bd. 2, S. 3. Ebd., S. 5. Ebd., S. 3.

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und Sinclair aber der vereinigungsphilosophische Ansatz dazu dient, bei aller Anerkennung der modernen Notwendigkeit theoretischer Reflexion auch für „Praxis“ und „Aesthetik“, nachzuweisen, dass der in der idealen Realität mit der praktischen „Confusion“ von Subjekt und Objekt (Sinclair) korrespondierende Vereinigungspunkt gerade nicht theoretisch reflexiv, sondern „aesthetisch“ vorgestellt werden muss, weist Steuarts Funktionsbestimmung der Theorie hierzu eine Alternative auf. Steuarts Weg der Begründung einer neuen aufklärerisch verantwortlichen, und doch theoretischen Wissenschaft stellt das Problem, ob nicht, in Unterschied zu Hölderlin und Sinclair, statt ästhetischer Produktion doch theoretische, aber eben neu begründet theoretische Produktion als ideale Realität mit der praktischen Entwicklung korrespondieren kann. Aus dem Freundeskreis geht Schelling den Weg, die Philosophie selbst über Kant hinaus und Fichte ergänzend zu entwickeln, wenn auch gegenüber dem vereinigungsphilosophischen Ansatz transzendentalphilosophisch und in Einheit mit den Freunden am ästhetischen Modell orientiert. Schelling und Steuart verhalten sich beide, wenn auch stofflich völlig unvergleichbar, methodologisch gesehen begrifflich kreativ, ohne bei Hölderlins und Sinclairs, von Hegel geteilter ständiger Grenzmarkierung des durch Theorie überhaupt Erfassbaren stehen zu bleiben, Steuart aber im Unterschied zu Schelling ohne ein ästhetisches Organon. Steuarts Bestimmung der Funktion der Wissenschaft gegenüber der Praxis und der philosophischen Systemtradition erfordert in dem „Medium“ (Schiller) der Theorie selbst eine methodologische Veränderung. Steuart unternimmt schon vor Smith und explizit den Versuch, die rationalistische, vorzugsweise deduktiv verfahrende und die historische, in der Tradition Bacons vorzugsweise induktiv verfahrende Strömung zu vereinigen.128 Auf die Vereinigung von Gefühl und Verstand ist Hegel im Einklang mit Hölderlin und Sinclair im Sinne der praktisch-geistig wirksamen Kunst und Religion vorbereitet, aber nicht auf eine solche Vereinigung innerhalb der Theorie, noch dazu einer von der Philosophie, in welcher Schelling einen der Vereinigung vergleichbaren Versuch unternimmt, sich bei Steuart emanzipierenden Einzelwissenschaft. Als seine „Hauptabsicht“ bezeichnet Steuart, „den Weg zu einer Untersuchung der Grundsaetze der neuern Staats-Wirthschaft dadurch zu bahnen, daß ich diejenigen Grundsaetze untersuchte, die in allen Zeitaltern der Welt, gewisse bestimmte Wirkungen mehr oder weniger bewiesen haben“.129 „Die Grundsaetze, die ich hier abhandele, beziehen sich auf das menschliche Geschlecht ueberhaupt.“130 Steuart begründet mit einer methodologischen Klarheit, wie sie laut Hasbach keine Vorläuferin und bis J. St. Mill keine Nachläuferin in der Geschichte der politischen Ökonomie besitzt, zwecks Konstitution der Wissenschaft das Prinzip der „isolierenden Abstraktion“131, aber einer Abstraktionsbildung aufgrund des empirischen, theoretisch zu analysierenden Materials selbst. Steuart besteht zunächst darauf, „daß Ideen, die abstract sind, klar, einfach und ohne Zusammensetzung, dargestellt werden. Diese Arbeit gleichet der Verfertigung der einzelnen Glieder einer Kette. Zweitens, daß man diese Ideen in die gehoerige Ordnung bringe, das ist, nach ihren unmittelbaren Beziehungen ordne. Wenn man einem guten Verstande eine solche Abhandlung vorlegt, 128 129 130 131

Hasbach, a. a. O., S. 439. Steuart, a. a. O., Bd. 2. Einleitung zum zweiten Buch, S. 1. Steuart Bd. 1, S. 41. Hasbach S. 379 f.

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so vollendet das Gedaechtnis das ganze Werk, indem es die Glieder der Kette aneinander haengt; und man darf nur ein einziges davon fassen, so folgen die andern alle von selbst nach.“132 Steuart zeichnet sich nun aber dadurch aus, daß seine Grundsätze, „die sich alle aufeinander beziehen und voneinander abhaengen“133, die „verschiedene Ketten von Folgerungen“ bilden134, erst dann wirkliche Grundsätze sind, „wenn ich sie […] auf die Gegenstaende, worauf sie einen Einfluß haben, anwende“, wenn sie durch das empirisch aufweisbare, historisch „besondere Interesse der Nationen“135 hindurchgehen. Aus der konzeptionell tragenden „isolierten Abstraktion“ darf nur durch Hinzuziehung historischer und anderer abstrakter Faktoren deduziert werden.136 Dadurch entsteht erst das Steuart bewegende Problem: „Nun müssen zwar Leute, die des Abstrahierens gewohnt sind, die Verhaeltnisse zwischen den verschieden Grundsaetzen, die ich abhandle, deutlich einsehn; aber diß geschieht nicht so leicht, wenn selbige auf verschiedene Exempel angewandt worden sind.“137 Steuart widmet ausdrücklich seine ganze methodologische Aufmerksamkeit dem Problem, „rechtmaessig und zusammenhaengend ueber jeden besondern Gegenstand (zu) schließen“138, um so Rationalismus und Empirismus im Interesse der wissenschaftlichen Begründung seiner Disziplin zu vereinigen. Der Deduktion ist in der empirischen Forschung Induktion vorausgesetzt, die während der Darstellungsdeduktion immer wieder – von abstraktem Grundsatz zu abstraktem Grundsatz – eingeschaltet werden müsse. Zugleich kann es die reine Induktion aber nicht zu einer wissenschaftlichen „Ordnung“ bringen, vielmehr müssen Induktion und Deduktion wechselweise vereinigt werden.139 Dem Humeschen Skeptizismus steht Steuart, obgleich sich auch auf die empiristische Tradition berufend, infolge rationalistischer Anleihen nicht weniger fern als Kants Dualismus und Agnostizismus. Steuart steht ganz im Zeichen der Vereinigung der obengenannten Strömungen zwecks Begründung einer „praktischen Wissenschaft“. Ist auch Hegels „Steuart-Kommentar“ verloren gegangen, so kann die methodologische Bedeutung Steuarts für Hegel schon in Frankfurt doch aus anderen, erhalten gebliebenen Schriften in Zusammenhang mit den spärlichen Rosenkranz-Hinweisen rekonstruiert werden. M. E. kann die „Neufassung des Anfangs“ zu Hegels Schrift „Die Positivität der christlichen Religion“ (September 1800) auch als Hegels auswertende Diskussion der methodologischen Problemstellungen Steuarts gelesen werden. Dazu ist innerhalb der Frankfurter Zeit synchron Hegels Fragment über Hume zu betrachten. Humes Verwandtschaft mit Steuart hinsichtlich der historischen, empirischen und anthropologisch-begrifflichen Verfahrensweise stellen Meek und Hasbach heraus. Diese Verwandtschaft gilt aus Hegelscher idealistischer Perspektive umso mehr, da für diese differenzierte Modifikationen innerhalb der genannten britischen Tradition nicht entscheidend sind. Hegels unmittelbares Anliegen in der „Neufassung des Anfangs…“, den „Begriff der Positivität einer 132 133 134 135 136 137 138 139

Steuart Bd. 2, S. 2. Ebd. Steuart Bd. 3, S. 2. Steuart Bd. 1, S. 41 Hasbach S. 371. Steuart Bd. 2, S. 2. Ebd., S. 3. Hasbach S. 379 f.

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Religion“ zu explizieren, sieht sich an dessen Voraussetzung, den Begriff „der menschlichen Natur“ zurückverwiesen. Falsche Bestimmungen der Positivität sind nur Folgen davon, „mit dem Begriff der Bestimmung des Menschen“ noch nicht „im Reinen zu sein, um nun mit demselben als Maßstab an das Sichten der Religion selbst gehen zu können“. (217) Hierin zeichnet sich eine, seit der konzeptionellen Wende vom Winter 1798/99 entstehende Veränderung in Hegels Position zu theoretisch formierten Konzepten ab. Während der Hegel von vor 1798/99 seine Aneignung bereits vorliegender republikanischer Konzepte, (in Bern Rousseau, beim späten Berner Hegel Fichte hinzutretend, beim frühen Frankfurter Hegel Sinclair und Hölderlin), vorwiegend in religions- und politisch-aufklärerischer Absicht anwendet, und Hegels Originalität mehr innerhalb der Problematik solcher Anwendungen zu suchen ist, hinterfragt der späte Frankfurter Hegel philosophisch, in dem Bewusstsein gescheiterter republikanischer Hoffnungen, die Konzepte selbst, insbesondere deren theoretische Begründungsformen, um zu einer eigenen Konzeptbildung zu gelangen. Hegels Kritik des „erst in neueren Zeiten“ entstandenen „Begriffs der menschlichen Natur“ (217) bewegt sich in dem von Steuart konzentriert begründeten, als zu vereinigen begründeten Spannungsfeld zwischen Historismus und der Annahme anthropologischer Konstanten, die durch isolierende und als Deduktionsausgangspunkt taugliche Abstraktionen gebildet werden, und damit in Zusammenhang zwischen empirischer und rationaler Verfahrensweise. Hegel argumentiert, in Steuarts zwiespältigem methodologischen Rahmen, einstweilen Steuart mit Steuart schlagend. Einerseits muss laut Steuart die zum anthropologisch konstanten Grundprinzipium erhobene isolierte Abstraktion, wie der Eigennutz, ständig historisch-empirisch modifiziert werden, um zur Erfassung des besonderen, bei Steuart gerade immer historischen Gegenstands, zu führen. Hegel schreibt: „Unendliche Modifikationen läßt der allgemeine Begriff der menschlichen Natur zu, und es ist nicht ein Notbehelf, sich auf die Erfahrung zu berufen, daß Modifikationen notwendig sind, daß die menschliche Natur niemals rein vorhanden war, sondern es läßt sich streng erweisen.“ (218) Es ist laut Steuart gerade nicht hinreichend, wogegen auch Hegel polemisiert, „nur zu fixieren, was denn die reine menschliche Natur wäre“, als hätte dieser Ausdruck „nichts in sich zu fassen als die Angemessenheit an den allgemeinen Begriff“, statt „Maßstab für die besonderen und notwendig mannigfaltigeren Bedürfnisse“ (219) zu sein. Was schon Steuart vom historisierenden Standpunkt insbesondere an der naturrechtlichen Systemtradition kritisierte, beschreibt Hegel als den Fehler, „diese einfachen Begriffe […] ihrer Allgemeinheit wegen zugleich zu notwendigen Begriffen und zu Charakteren der Menschheit“ zu erheben: „alle übrige Mannigfaltigkeit von Sitten, Gewohnheiten und Meinungen der Völker oder Einzelner wird dadurch, daß jene Charaktere fixiert sind, zu Zufälligkeiten, Vorurteilen und Irrtümern.“ (217) Aber fällt nicht Steuart selbst auf die Position der überhistorischen Abstraktion zurück, wenn er den Eigennutz quantifiziert und nicht wirklich besondernd, nur für den „Verstand“, wie er selbst sagt, als bloß „mehr oder weniger“ überall wirkend nachweisen kann140, wenn er den „besonderen Gegenstand“, um welchen es ihm zu erkennen ist, zum „Exempel“ der „Abstraktion“ degradiert141, so dass die Abstraktion in nur „verschiedenen 140 141

Steuart Bd. 2. Einleitung zum zweiten Buch, S. 1. Ebd., Bd. 2, S. 2.

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Anwendungen […] keinen sonderlichen Unterschied“142 beinhaltet? Feiert doch Steuart selbst, worauf noch zurückzukommen sein wird, dass der mit der allgemeinen, erst gegenwärtigen Verbreitung des Geldes kulminierende Eigennutz historisch gerade nicht das Besondere der spartanischen Staatswirtschaft zu bezeichnen vermag! Steuarts „Sinn für den historischen Unterschied der Produktionsweisen“, wie ein solcher „allen englischen Ökonomen seit Sir James Steuart fehlt“143, wirft in seiner zivilisationskritischen Auswertung des reichen historischen Materials seine eigenen überhistorischen Abstraktionen über den Haufen. Gerade dies würdigt Marx an Steuart, der „vor allen die Teilung der Arbeit und das Produzieren von Tauschwerten als identisch aufgefaßt, und, im löblichen Unterschied zu anderen Ökonomen, dies als durch besonderen historischen Prozeß vermittelte Form der gesellschaftlichen Produktion und des gesellschaftlichen Stoffwechsels begriffen“ hat.144 Rosenkranz bezeugt Hegels Aneignung des Steuartschen Gedankens der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in Zusammenhang mit Steuarts merkantiler Tauschwert-Auffassung.145 Gerade infolge des enormen historischen Sinns „wechseln“ bei Steuart „die Kategorien noch sehr; sind noch nicht fixiert, wie bei A. Smith“146, was Steuarts Werk Hegels Kampf gegen positive Fixierungen nahebringt. Dieses Paradoxon, das ausgerechnet jener Steuart, der methodologisch die Notwendigkeit der isolierenden Abstraktion, um aus ihr systematisch in Begriffsketten deduzieren zu können, begründet, während diese Notwendigkeit über Smith schließlich erst vollständig in Ricardos „reinen Deduktionen“ ökonomisch-theoretisch realisiert werden wird, derselbe Steuart ist, bei dem die Kategorien durch und durch noch historisch „wechseln“, statt „fixiert“ zu werden, bezeichnet die nur ihm eigentümliche explizit methodologische Übergangsposition. Er liefert selbst noch die nach ihm ausgesparten Argumente zur Kritik jener Begriffsentwicklung, welche er methodologisch, noch dazu, wie o. g. für umfassende soziologische, und nicht nur ökonomisch-stoffliche Zwecke begründet. Steuart begründet innerhalb der historisierenden Infragestellung seiner Begründung methodologisch das, was Marx den, die klassischen bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften bestimmenden Typ der „verständigen Abstraktion“ nennt.147 Diese Bewertung der Steuartschen Leistung muss allerdings auch in methodologischer und nicht erst in ökonomisch-theoretischer Hinsicht, in letzterer ohnehin, bei einem Vergleich mit Smith und Ricardo sogleich wieder eingeschränkt werden. Steuart besitzt keine, auch nicht implizit, wie bei Smith, methodologische Klarheit darüber, dass jene isolierte Abstraktion, aus welcher die ganze wissenschaftliche Disziplin deduktiv dargestellt werden kann, die Arbeitstätigkeit darstellt. Seine isolierenden Abstraktionen, wie vor allem der „Eigennutz“, aber die auch so funktionierende Kategorie des „Geschlechtstriebs“ bedeuten nicht 142 143 144 145 146 147

Ebd., Bd. 2. Einleitung zum zweiten Buch, S. 1. K. Marx, Theorien über den Mehrwert. Dritter Teil, MEW Bd. 26.3, S. 390. Ders., Grundrisse, S. 910. Rosenkranz S. 86. K. Marx, Grundrisse, S. 665. Ebd., S. 21 bezeichnet Marx den Übergang von der Methode der Ökonomen des 17. Jh., noch von einem empirisch Konkreten auszugehen, zur von vornherein analytischen Methode und der Ordnung der dabei gewonnenen Abstrakta in ökonomischen Systemen. Steuarts Methodologie diskutiert eben diesen Umschlagpunkt. Vgl. ebd., S. 24 ff. Vgl. weiter Marx, Theorien über den Mehrwert. In: MEW 26.3, S. 491.

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nach außen gerichtete Tätigkeiten der Individuen, sondern den Menschen innewohnende Abstrakta. Erst Smith bringt den bei Hume (innerhalb der auch Hume kennzeichnenden empiristischen Psychologie der menschlichen Natur) entwickelten Gedanken des „Tätigkeitstriebes“ und den der englischen Tradition gegenüberstehenden Gedanken der Determination der menschlichen Natur durch äußere Umstande (bei Montesquieu) mit Steuarts methodologischem Prinzip der isolierenden und als Deduktionsansatz verwendbaren „Abstraktion“ zusammen, wodurch der physiokratische, stofflich noch an die Agrikultur gebundene Arbeitsbegriff zur tragenden Abstraktion universalisiert werden kann.148 Hegels Kritik an Steuart zielt, wie Rosenkranz beschreibt, auf „das Tote“149, d. h. auf das „Unlebendige“, „Untätige“ an Steuarts Abstraktionsbildung, denn, wie bereits bei obiger Gelegenheit der Hegelschen Fichte- und Schelling-Rezeption gegenüber der Hölderlins und Sinclairs gezeigt, besteht Hegel in Frankfurt darauf, dass, wenn schon Begriffe, Begriffe „Tätigkeit“ zu entwickeln haben. Insofern fällt auch Steuart unter die Kritik des fixen Begriffs der menschlichen Natur beim späten Frankfurter Hegel. Unter diesem Aspekt ermöglicht in der Tat nicht Steuarts „Eigennutz“, sondern erst Smith’ Arbeitsbegriff die durch den Jenenser Hegel in der Geschichte des deutschen Idealismus einmalige Aufwertung der klassischen ökonomischen Wissenschaft und ihres methodologischen Potentials an Grundbegriffen, welche Tätigkeit entwickeln, statt dem Menschen „inwohnende Abstrakta“.150 In anderer Hinsicht aber lebt förmlich der späte Frankfurter Hegel von Steuart. Konzentriert auf den wenigen Seiten der „Neufassung …“ reproduziert Hegel die Steuart eigentümliche Zwieschlächtigkeit. Er macht sich Steuarts konsequente historische Infragestellung des verständigen, d. h. die Spezifika der bürgerlichen Gesellschaft zu ewigen Charakteristika „des“ Menschen fetischisierenden Abstraktionstyps zu eigen. „Es mußte ein langer, in Jahrhunderte sich ausdehnender Stufengang von Bildung dazu durchlaufen sein, bis eine solche Periode kommen konnte, in welcher die Begriffe so abstrakt werden, daß man sich überredete, die unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen der menschlichen Natur in die Einheit einiger allgemeiner Begriffe zusammengefaßt zu haben.“ (217 f.) Marx sekundiert später Hegels Kommentar zur methodologischen Begründung der verständigen Abstraktionsbildung: „So entstehen die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo Eines vielen Gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besondrer Form gedacht werden zu können.“151 Diese „reichste konkrete Entwicklung“ ist für Marx die der historisch modernen bürgerlichen Gesellschaft. Diesem sich in der Entwicklung zur klassischen bürgerlichen Gesellschaftswissenschaft abzeichnenden Abstraktionstyp begegnet Hegel auch in seiner Auseinandersetzung mit Hume, bei diesem aber mehr immanent in geschichtswissenschaftlicher Darstellung enthalten, als auf der expliziten methodologischen Höhe Steuarts entwickelt. Nach Hume gehört die Politik zu jenen „Wissenschaften, die von allgemeinen Tatsachen handeln“, und nicht zu Wissenschaften, wie der bloßen Geschichte, Chronologie oder 148 149 150 151

Vgl. Hasbach, a. a. O., S. 424. Rosenkranz S. 86. Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, S. 6. Marx, Grundrisse, S. 25.

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Geographie und Astronomie, deren Denkakte „einzelne Tatsachen“ betreffen. Sie ist eine Wissenschaft, wo, wie „in der Naturwissenschaft, Physik, Chemie“, die „Eigenschaften, Ursachen und Wirkungen einer ganzen Gattung von Gegenständen untersucht werden“, woraus sich die Notwendigkeit eines zwar nach wie vor „auf Erfahrung gestützten Gedankenganges“ ergibt, aber eines gegenüber des sich auf nur „einzelne Tatsachen“ stützenden Denkakts schon abstrakteren Denkakts, ohne dass dieser dem allein in der Mathematik typischen „abstrakten Gedankengang über Größe oder Zahl“ bereits entspräche.152 Hegel versteht Humes Abstraktionsbildung als Bildung von Realabstraktionen über „den Charakter des Geschehenen selbst“ (446). Die neuere Abstraktionsbildung leistet aber ihrer idealistischen Interpretation durch Hegel von vornherein Vorschub, da sie empiristisch nicht erklärbar ist. Die historische „Umänderung“ ist hinsichtlich ihrer wesentlichen Gründe „unsichtbar“. Gleichzeitig scheinen diese notwendigen Begriffe, die bei Hume und Steuart als empiristisch-psychologische, dem Menschen innewohnende Triebabstrakta gefasst sind, nicht Tätigkeiten zu entwickeln, sondern nur Resultate zu enthalten. Beides drückt Hegel in dem von ihm selbst hervorgehobenen Satz aus: „Das Werk ist nicht als Tat getan, sondern als gedachtes Resultat.“ (446) Die Schillerschen Formulierungen Hegels zeugen von Schillers wirkungsgeschichtlicher Rolle, dem späten Frankfurter Hegel die großbürgerliche britische Tradition vermittelt zu haben. „Weil das Ganze einer Handlung, an der jedem Handelnden nur ein Fragment zugehört, in so viele Teile zersplittert ist, so ist auch das ganze Werk ein Resultat aus so vielen Einzelhandlungen.“ (446) Hegel wendet den bei Schiller wie Steuart vorhandenen Gedanken der Arbeitsteilung, differenziert, wie bei Hume, hinsichtlich des politisch-historischen Geschehens, als Teilung zwischen den „Menschen, die an der Spitze stehen und als deren Taten die Geschichte uns die Begebenheiten gibt“, und der Vielzahl der gehorsam „Mithandelnden“ an, um daraus den Fragment-Charakter jeder Teilhandlung, auch der befehlenden, zu ersehen: „keiner (hat) eine Handlung ganz getan […] Das Bewußtsein der Tat als eines Ganzen ist in keinem der Handelnden“. (446) Daraus ergibt sich eine neuartige, durch Abstraktion zu bewältigende Rolle des Geschichtsschreibers, der nicht mehr die Phantasie ansprechend oder empirisch-einzeln verifizierbare Geschichten erzählt. „Der Geschichtsschreiber erkennt es („das Bewußtsein der Tat als eines Ganzen“: H.-P. K.) an den Resultaten und ist auf das, was diese herbeiführt, schon im Vorhergehenden aufmerksam gemacht.“ (446) Im Grunde ist das „Ganze“ in neueren Zeiten empirisch subjektlos. „Als Handelnde können nur die Befehlenden, oder welche auf die Befehlenden irgendwie Einfluß haben, angesehen werden; das übrige hilft in seiner Ordnung dazu.“ (446) „Völker“, die „meisten“ treten nur als „Maschinenräder“ auf. Dass die Befehlenden aber die Handelnden des Ganzen seien, ist wieder ein Schein, denn sie haben „immer den Staat mit aller Mannigfaltigkeit seiner Verhältnisse über sich und außer sich“. Er ist in ihnen, aber nur funktionsteilig gegenüber den Maschinenrädern „als Gedanke“. Der Befehlende ist nicht der „Charakter“, d. h. der in Einheit von Einzelnem und Ganzem Handelnde. Die sogenannten „großen Männer“ der „neueren Zeiten“ sind nicht die der alten Zeiten, d. h. sie sind selbst auch nur ein Fragment. Es „kann keiner 152

David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 192 f. Humes „History of England from the Invasion of Julius Caesar to the Revolution of 1688“ war 1767–1771 in Deutsch erschienen.

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so ganze“ und zugleich „ihm individuelle Pläne machen, wie Alkibiades, Themistokles usw., welche Pläne den großen Mann ausmachen“. Die Handlung des großen Mannes „ist mehr nur Betragen in einem bestimmten, gegebenen Kreise.“ Keinem großen Manne von heute können noch „Völker anhängen, wie die Sizilier dem Timoleon.“ (446) Das „Handelnde“ sind nicht „Völker“ oder „Befehlende“, sondern ist eine bestimmte „Ordnung“ oder „Organisation“ zwischen den „Mithandelnden als befehlenden oder gehorchenden in verschiedenen Abstufungen und Arten des Geschäfts“: „Weil alles geordnet ist und die Gewalt dieser Ordnung herrscht, so treten die meisten nur als Maschinenräder auf.“ (446) Steuart, der die von Hegel hier an Hume ausgewertete neue Rolle des erkennenden Geschichtsschreibers methodologisch expliziert, fordert anstelle einzelner empirischer Tatsachen oder dieses und jenes abstrakten Gedankens „die Ordnung“ der „Abstraktionen“ in „Begriffsketten“, die sich „alle aufeinander beziehen“ (s. o.) und die schrittweise, oder wie Hegel von der „Umänderung in der Organisation“ sagt: – „Klein, allmählich“ –, auch an das herankommen, was „wir unmittelbar im Handeln sehen.“ (446) Alle diese Einschätzungen finden sich passim in Hegels Jenenser philosophischer Kritik an den Bestimmungen des Verstandes in der Wissenschaft wieder (vgl. 3. Kapitel im vorliegenden Buch). Auch im „Geist des Christentums“ sieht Hegel, hier in Unterschied zu den „Arabern“, bei denen „wie bei jedem echt freien Volk […] jeder ein Teil, aber zugleich das Ganze“ noch ist, im gegenwärtigen Europa aber ein „Band“ der Individuen, das nur „ein Gedachtes“ ist. Wenn „die besonderen Objekte als Substanzen, doch zugleich jedes mit seiner Eigenschaft als Individuum (in Zahlen) zusammengefaßt werden, so ist ihr Gemeinsames, die Einheit, nur ein Begriff, […].“ (376) Dies wirft auch ein neues Licht auf Hegels Gleichsetzung des Denkens mit dem Sein, nämlich im Sinne der Entstehung eines spezifisch sozialen Seins, dem der bürgerlichen Gesellschaft. Bedenkt man das oben mit Marx über die Entstehung von Realabstraktionen Gesagte, reicht die andere Kritik am Idealismus nicht hin. Die Erkenntnis, dass der philosophische Idealismus der arbeitsteilig verselbständigten Geistesproduktion entspringt153, ist bei der von Hegel selbst beschriebenen, historisch neuartigen Funktion des wissenschaftlichen Geschichtsschreibers und nicht mehr chronologisch Geschichten Erzählenden, greifbar. Wenn das Ganze der historischen Entwicklung jedem Beteiligten „unsichtbar“ ist, und erst der nicht mehr empiristisch verfahrende Geschichtsschreiber dies Ganze gedanklich erfasst, erscheint das Ganze selbst als ein „Begriff“. Aber diese Einsicht kann nicht vergessen machen, dass es real Struktur- und Funktionsgeschichten durch moderne Institutionalisierung von Ordnung und Organisation gibt. Die von Hegel Ende 1797 vorgenommene, oben erwähnte Auflösung der „Gütergemeinschaft“ in bürgerliche Eigentumsvorstellungen verweist auf Herders Argumentation, zwischen „unteilbarem totem Besitztum“ und im Gebrauch „nutzbarem“ Besitz unter153

K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3. Marx und Engels bezeichnen jenes Problem, vor das sich der späte Frankfurter Hegel in Auswertung Steuarts und Humes gestellt sieht, wie folgt: „Innerhalb der Teilung der Arbeit müssen diese Verhältnisse gegenüber den Individuen sich verselbständigen. Alle Verhältnisse können in der Sprache nur als Begriffe ausgedrückt werden. Daß diese Allgemeinheiten und Begriffe als mysteriöse Mächte gelten, ist eine notwendige Folge der Verselbständigung der realen Verhältnisse, deren Ausdruck sie sind. Außer dieser Geltung im gewöhnlichen Bewußtsein erhalten diese Allgemeinheiten noch eine besondere Geltung und Ausbildung […], die durch die Teilung der Arbeit auf den Kultus dieser Begriffe angewiesen sind […]“ Ebd., S. 347.

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scheiden zu müssen.154 Systematisch klarer differenziert Steuart „das wirkliche Eigenthum“ vom bloßen, ohne Gebrauch manifesten „Besitz“, um daraus die produktive, durch Pächter anstelle der bloßen Landeigentümer betriebene Kapitalisierung des Ackerbaues und die Trennung des Volkes in „Klassen“ herzuleiten.155 Als Vermittler großbürgerlichen britischen Gedankenguts an Hegel ist außer Schiller auch Herder zu beachten, und dies nicht nur in bereits verarbeiteter theoretischer Form. Eben 1797, in der neunten und zehnten Sammlung seiner „Briefe zur Beförderung der Humanität“, hebt Herder erneut nachdrücklich die Bedeutung der englischen und schottischen Autoren als den Lehrern der Deutschen hervor: „Wir ehren sie (die Briten: H.-P. K.) aus Neigung über Gebühr, von ihnen keine Ehre erwartend. […] in englischen Zeitschriften haben wir bewundert, selbst was wir nicht verstanden, was für uns nicht geschrieben war. Und wer wäre es, der die Schotten Ferguson, Smith, Stewart, Millar, Blair nicht ehrte? Auf diesem demütigen Wege wollen wir bleiben und nicht erwarten, daß man (die Briten: H.-P. K.) uns verstehe und ehre.“156 Als schon sicheres frühes Indiz eines Einflusses des fünfbändigen großen Werks von Steuart auf Hegel kann m. E. die ab Sommer 1798 entstandene Schrift „Der Geist des Christentums“ gelten, insofern hier Hegel recht plötzlich einen ähnlichen Versuch unternimmt wie Steuart, der „die Betonung des Primats des ökonomischen Faktors […] im ganzen Werk durchhält“.157 Dies betrifft Hegels o. g. Bestimmung der Entwicklung des Volksgeistes der Juden beim Übergang von Nomaden – zu Ackerbauwirtschaft, die an die Steuarts deutlich erinnert.158 Hegels Einführung des physisch im Verhältnis zur Natur Notwendigen als Maßstab der Varianten historischen Handelns, woraus er den Juden die Verfestigung ihres vormals notwendigen Eigentumssinnes vorwarf, folgt Steuarts Darstellung der spartanischen Republik = „Lykurg blieb bei der einzigen bestimmten Grenze stehen, naemlich bei der lautern physischen Notwendigkeit.“159 Die Charakterisierung der ferneren Entwicklung des jüdischen Volkes unter der Voraussetzung von Handelsbeziehungen, die von Hegel in der „Neufassung des .Anfangs der Positivitätsschrift“ (1800) wieder wie selbstverständlich aufgenommen wird, zeigt Steuarts historisches Bewusstsein, zwischen diesen Perioden differenzieren zu müssen.160 Solche Differenzierungen trifft Hegel auch in seinen Entwürfen zur Verfassungsschrift (ab 1799), die hier im Kapitel 3.1. behandelt werden. Dort zeigt sich ebenfalls Steuart als bedeutender Anreger des He154 155 156

157 158 159 160

J. G. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 4. Teil (1788) Bd. 2 ü. 386 ff. Vgl. A. Liepert, Parallelen in der Staatsauffassung Lessings und Herders, S. 1247 ff. Steuart, a. a. O., Bd. 1, S. 110. J. G. Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität, Bd. 2, S. 220. Vgl. auch S. 259. Herder hatte u. a. auf den großen materialistischen Historiker J. Millar schon 1772 aufmerksam gemacht. J. G. Herder, Rezension von J. Millars Bemerkungen über den Unterschied der Stände in der bürgerlichen Gesellschaft. In: Herders Werke, Bd. 23. R. L. Meek, a. a. O., S. 22. Vgl. zu Steuarts Charakterisierung der Juden und den Verhältnissen in Jerusalem, denen Jesus nicht gewachsen sein konnte: Bd. 4. Ersther Teil, S. 17 f. u. Bd. 1, S. 16. Ebd., Bd. 2 S. 123. Vgl. Steuart zur Entwicklung von der Sklaverei über das Lehnssystem bis zur Industriegesellschaft Bd. 2, S. 98 vgl. ebd., S. 13 u. 59. Vgl. zur historisch wechselnden Rolle der Ackerbaugesellschaft Bd. 1, S. 31 f., 104 u. 113 sowie Hasbach S. 374. Vgl. auch J. G. Herder, Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. In: Zur Philosophie der Geschichte, Bd. 1, S. 451.

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gelschen Staatsbegriffes. Einer schon so früh einsetzenden Beeinflussung Hegels durch Steuart steht Hegels konzeptionelle Wiederbelebung des Ideals der Republik Lykurgs vom Herbst 1798 nicht entgegen, denn bei der Bewertung der spartanischen Verfassung zeigt sich Steuart selbst merkwürdig hin- und hergeworfen, was Hegel bei aller Fremdheit aufnahmebereit für Steuarts Gedankengänge eingestellt haben wird: „Nach meiner geringen Meinung ist weder in den alten noch neuen Zeiten ein so vollkommener Plan der Staatswirthschaft irgendwo anzutreffen gewesen als in der Republik des Lykurgus.“ Mit unverhohlener Sympathie gewinnt Steuart aus der relativ ausführlichen und wiederholten Beschreibung dieser Republik die zivilisationskritische Schlussfolgerung: „Demnach sind Sicherheit, Ruhe und Wohlfahrt nicht die unzertrennlichen Gefaehrten der Handlung und Industrie.“161 Steuart geht so weit, hinsichtlich der möglichen Wiederholung „einer der gewaltsamsten Revolutionen“, durch die die Republik der „Lacedaemonier“ entstand, in der europäischen Gegenwart der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu fragen, „gesezt aber, es geschehe, wuerde nicht alsdann das ganze Gebaeude der Handlung und Industrie, woran so lange gearbeitet worden ist, voellig zu Truemmern gehn?“162 Freilich steht dieser Seite bei Steuart gegenüber, dass er doch aus dem historischen Unterschied zwischen „Sklave“ und „freiem Mann“ den „Unterschied zwischen den Progressen der Industrie in den alten und neuern Zeiten (beurtheile)“163. Lykurgs Sparsamkeit hatte historisch „keine schlimme Wirkung, weil sich niemand von seiner Industrie naehrte, […] , ob ich gleich gestehe, daß sich in den neuern Zeiten keine Societaet finden duerfte, welche an einer so rauhen Lebensart Geschmack gewaenne“.164 Der in der Gegenwart notwendige Anreiz freier Männer durchs „Peculium“ fehlte in der Republik des Lykurgus. Generell die alte Zeit betreffend schreibt Steuart: „Damals waren die Leute zur Arbeit gezwungen, weil sie die Sclaven anderer waren: jetzt sind sie zur Arbeit gezwungen, weil sie die Sclaven ihrer eigenen Bedürfnisse sind.“165 Für den Auswerter der historischen Prozesse der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation ist nicht nur Gütergemeinschaft, ist auch „Gleichheit der Güter“ eine „ungereimte Voraussetzung, wenn sie auf die menschliche Societaet appliziert wird“, denn als die „menschliche Societaet“ überhaupt gilt die bürgerliche Gesellschaft, bei Steuart deren handelsbürgerliches Stadium. Steuarts Blick auf die spartanische Sklavenwirtschaft desillusioniert, worauf Schiller schon vor der Französischen Revolution aufmerksam machte, das Ideal der Gleichheit des Eigentums. „Warum war zu Sparta eine so große Gleichheit? Weil daselbst wenig Circulation war“, antwortet der Systematiker des Merkantilismus, und nicht weil es dort Gleichheit des Eigentums gegeben hätte.166 Das Grundprinzip der ganzen Darstellung Steuarts, der „Eigennutz“, steht dem Versuch von Adam Smith, aus dem Arbeitsbegriff abzuleiten, noch entgegen. Dem Handelskapital ist der kapitalistische Produktionsprozess von Waren nur äußerlich zu subsumierende Voraussetzung, damit „gehandelt“ werden kann. Damit diese Voraussetzung 161 162 163 164 165 166

Steuart Bd. 2, S. 113 u. 121. Ebd., S. 125 f. Ebd., S. 41. Ebd., S. 117 u. 120. Steuart, Bd. 1, S. 76. vgl. S. 49 ff. Steuart, Bd. 2, S. 263.

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gegeben ist, müssen auch „die Leute zur Arbeit gezwungen werden“. Dieser Zwang zur Arbeit ist in der Gegenwart vorhanden, nachdem durch staatliche Zwangsmaßnahmen die Umsiedlung großer Teile der Volksmassen vom Land in die Städte erfolgt war, und nun die „Industrie“ die Leute „in die Stadt versammelt“. „Ihre Mutter, die Erde, hat sie, so zu reden, aus ihrem Schoosse verband, und läßt sie nicht mehr in Mueßigkeit an ihren Bruesten saugen.“ Diese städtischen Massen unterliegen schlichtweg und notwendig einer „Noth“167, wodurch sie zu arbeiten angetrieben werden. Aus Hegels Perspektive findet Schillers Begriff der „Noth“ bei Steuart seine Bestätigung. „Arbeiten“ erscheint nicht wie bei Smith als jener Begriff, aus welchem systematisch darzustellen wäre, sondern als Folge von „Noth“ und Mittel der Reichtumsschaffung, damit „gehandelt“ werden kann. Die Gesellschaft „der Handlung und Industrie“ einmal entstanden, sorgt nun durch ihr Motiv der Geldverwertung für neue Bedürfnishorizonte, wodurch die Menschen, Sklaven ihrer Bedürfnisse und des Luxus, einer neuerlichen „Noth“, aber doch den „Progressen der Industrie“ und daher der Handlung förderlichen Not, arbeiten zu müssen, unterworfen werden. Indikator für die Unterscheidung einer Beeinflussung Hegels durch Steuart oder Smith und dadurch auch der prinzipiellen Entwicklung des Hegelschen Problembewußtseins über das Schillers und Hölderlins hinaus ist der Wechsel der Bedeutung, die dem Ausdruck „Noth“ oder „Arbeit“ vom Frankfurter oder Jenenser Hegel beigemessen wird. Darin erscheint, ob Hegel über die Zirkulationssphäre hinaus schon der Produktionssphäre eine bestimmte gesellschaftskonstitutive Bedeutung zuspricht, oder nicht. Im Unterschied zu Georg Lukács kann ich für einen vor-jenenser Einfluss von Adam Smith auf Hegel, wie ihn Lukács hinsichtlich der Rezeption des Arbeitsbegriffes bereits sieht, keine Anhaltspunkte finden. Hier scheint Lukács seiner eigenen Wertschätzung teleologischer Zwecksetzung als Charakteristikum des Arbeitsbegriffes zu erliegen. Wir werden sehen, dass Hegel erst in Jena, auch terminologisch, einen Begriff der „Arbeit“ entwickelt, welcher nicht einen nur graduell veränderten, auf das Verhältnis zur Natur angewandten Tätigkeitsbegriff des klassischen deutschen Idealismus darstellt168, sondern sich gerade durch seinen direkten Zusammenhang mit dem Problem des Arbeitsinstruments auszeichnet, so wie von Adam Smiths der .Arbeitsbegriff in Zusammenhang mit Arbeitsteilung, Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit der Rolle der Arbeitsinstrumente entwickelt worden war. Der ökonomische Arbeitsbegriff darf nicht einfach als Konkretion des Tätigkeitsbegriffes der klassischen deutschen Philosophie verstanden werden. So zu verfahren, hieße, selbst nicht über Fichtes Standpunkt hinauszukommen.169 Hegels Rezeption des ökonomischen Arbeitsbegriffes ist problematischer als die 167 168

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Steuart, Bd. 1, S. 75. G. Stiehler, Der Idealismus von Kant bis Hegel, S. 116, „Der deutsche Idealismus ging dazu über, die Wirklichkeit aus dem Handeln des Menschen zu erklären, wobei er die Tätigkeit nicht als materiellen, sondern als ideellen, zweckbestimmten, vernunftgetragenen Prozeß verstand.“ „Der Arbeitsbegriff Fichtes ist weniger ökonomisch als anthropologisch. Arbeit erschien als Konkretion des dem Menschen ‚schlechthin‘ zugehörigen Prädikators ‚absolute Tätigkeit‘ oder ‚Wirksamkeit‘ in der ‚Sinnenwelt‘ (Natur), die nichts anderes als Ausdruck der ‚Freiheit‘ sind.“ Werner Conze, Arbeit. In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 184 f. Die Entgegensetzung von Tätigkeit als Verwirklichung eines Selbstzweckes und als der Herstellung eines von der Tätigkeit ablösbaren Werkes seit Platon ist den deutschen Denkern bewusst, insbesondere, denen in Kant-Folge, und seiner Zeit in Deutschland verbreitet. Vgl. hierzu P. Krause, Die Lehre von der Arbeit… S. 36 u. 39 ff.,

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Wiedererkennung des Allgemeinen im Besonderen. Das einfache Übersetzen der philosophischen Terminologie in die ökonomische und umgekehrt, wie es Lukács zur Begründung seiner Hypothese einsetzt, verkennt bei aller „Parallelität der Philosophie Hegels mit der klassischen Ökonomie Englands“ die materialistische Herkunft des Hegelschen Arbeitsbegriffes im Gegensatz zum teleologisch orientierten Tätigkeitsbegriff der deutschen idealistischen Tradition. Hegels Forderung nach „Verwirklichung der Identität von Subjektivität und Objektivität“170, einer Hegel tradierten Gedankenform, entspringt nicht der Übersetzung des englischen ökonomischen Arbeitsbegriffes in die philosophische Terminologie des klassischen deutschen Idealismus durch Hegel, sondern dem historisch-politischen Scheitern der republikanischen Grundansichten Hegels. Dieses Frankfurter Scheitern bewegt sich in der vereinigungsphilosophischen, nicht identitätsphilosophischen Denkform, auf die Hegel durch Hölderlin und Sinclair aufmerksam wird. Statt von „Arbeit“ mit all den von Hegel beigelegten positiven Implikationen dieses Begriffes in Jena ist in Frankfurt von „Not“ die Rede, welche nur durch Privateigentum organisiert beherrscht werden kann und so der politisch-religiösen Emanzipation, um die es Hegel zu tun ist, prinzipiell entgegensteht, also durchgehend pejorativ bewertet wird. Hegels Unterscheidung von zweckmäßigem und zwecklosem Vernichten im „Systemfragment“ (425)171 von 1800 dient der Herausarbeitung des Spezifisch-Religiösen als massenästhetischen Phänomens. Diese Unterscheidung gründet auf der Schillerschen Abhebung des ästhetischen vom Notstaat, so dass, vom Standpunkt der bestimmten Zwecksetzungen des letzteren aus betrachtet, das Ästhetische als zweckloser „Überfluß“, wovon übrigens auch Steuart bei der Charakterisierung Spartas spricht, erscheint.172 Die Heranziehung der teleologischen Dimension der Jenenser Arbeitsdefinitionen durch Lukács beweist nichts, als dass Hegel, wenn er einen Arbeitsbegriff formiert, und das tat er nicht vor dem „System der Sittlichkeit“ (1802), ihn von vornherein in idealistischer Tradition formiert, in eine Tradition integriert, deren neuerer Zweckbegriff an dem Problem der Kantischen Urteilskraft gebildet worden war. Die Parallelität des Hegelschen Idealismus mit der Entwicklung der klassischen bürgerlichen Ökonomie, wie sie Adam Smith repräsentiert, stellt Hegel erst noch her. Um an die vor-jenenser dialektischen Formeln Hegels heranzukommen, ist es erforderlich, die Besonderheit des kleinbürgerlichrepublikanischen Philosophiekonzepts von Hölderlin und Sinclair aufzuarbeiten, statt auf den vor-jenenser Hegel Hegels Jenenser philosophische Systematik und Smith-Rezeption vorzuprojizieren. Die vorschnelle Parallelisierung des Arbeits- und Tätigkeitsbegriffes durch Lukács überdeckt die Lücke einer Interpretation Hölderlins und Sinclairs. Hierin

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171 172

J. Derbolav, Handeln, Handlung, Tat, Tätigkeit. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, S. 992 ff. M. Riedel macht zu Recht gegen Lukács’ vorschnelle „Parallelisierung“ und in deren Folge auch Vordatierung des Smith-Einflusses auf den Kampf der idealistischen, zweckgerichteten und materialistischen, ökonomischen Tradition klassisch-bürgerlichen Denkens noch während der Jenaer Periode Hegels aufmerksam. M. Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, S. 79 ff. G. Lukács, Der junge Hegel, S. 213 f. Schon die Formulierung „Identität“ statt „Vereinigung“ oder „Verbindung“ von Subjekt und Objekt zeigt Lukács’ Vorprojektion des Jenenser Hegel in die Frankfurter Zeit an. Vgl. aber auch ders., Hölderlins Hyperion. In: Goethe und seine Zeit G. Lukács, Der junge Hegel, S. 214 f. Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 53 f. u. S. 60 f. Vgl. Steuart, Bd. 2, S. 121–123.

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ist beim heutigen Lesen von Lukács’ „Der junge Hegel“ die zweite, spezifisch philosophiehistorische Schwäche zu erkennen. Die inzwischen erfolgte Auswertung von Hölderlin und Sinclair erübrigt die bei Lukács noch vorhandene Verständnislosigkeit für die Frankfurter Schriften Hegels. Lukács, der ein historisch außerordentlich verdienstvolles marxistisches Werk gegen die irrationalistische bürgerliche Hegel-Verfälschung der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts verfasst hat, überließ selbst dieser Verfälschung noch ein weites Feld, wenn er für die Frankfurter Arbeiten Hegels auch durchgängig Bewertungen wie „mystifiziert“, „verworren“, „subjektivistisch“ und „individualistisch“ verwendet. „In der Frankfurter Periode ist die Konzeption dieses ‚Lebens‘ nicht nur wegen ihrer Ungeklärtheit verworren, sondern auch inhaltlich von Mystik erfüllt.“ Lukács bestimmt regelmäßig all das, was in seinen historischen Bewertungsmaßstab klassischer systematisch-idealistischer Rationalität nicht hineinpasst, als „mystisch“. Lukács bringt seine berechtigte Hervorhebung der ökonomischen Studien Hegels mit Hegels Idealismus ungenügend zusammen. So „selbstverständlich“, wie Lukács unterstellt, erscheint aus seiner Darstellung die Bedeutung der ökonomischen Studien Hegels im Zusammenhang damit, dass „in der Philosophie des jungen Hegel […] die idealistischen Züge unvergleichlich stärker und beherrschender“ nun in Frankfurt hervortreten, mir nicht.173 Außer der für Lukács seiner Zeit objektiv nicht gegebenen, erst inzwischen hinsichtlich des philosophiehistorischen Materials durch die Hölderlin- und Sinclair-Editionen von 1961 u. 1971 günstigen Forschungssituation hinderte Lukács, die Frankfurter Schriften Hegels adäquater zu bewerten, sein konzeptionell tragendes Prinzip, ständig Romantik und Klassik antinomisch gegenüberzustellen und alle Phänomene in diese Antinomie einordnen zu wollen. Diesem historisch undifferenzierten Begriffsapparat erscheint schnell, was sich historisch alternativ zu Romantik und Klassik zu entwickeln versucht, eben die durch Hölderlin und Sinclair initiierte, Hegel anregende, „vereinigungsphilosophische“ Begründung der sich bei allen Nackenschlägen und durch alle Desillusionierungen hindurch noch aufrechterhaltenden republikanischen Position, als „mysthisch“. Das „Idealistischer-Werden“ Hegels (Lukács) bedeutet (schon) in Frankfurt die Objektivierung der Form des philosophischen Idealismus, wodurch nun aber Hegel auch für materialistische Ableitungen, wie in Steuarts Ökonomie, aufnahmefähig wird, sich Hegel solchen gewachsen zeigt, schließlich um sie in seinem eigenen objektiv-idealistischen Standpunkt immanent aufzuheben, d. h. hier den Begriff vom „Leben“ wieder im Begriff vom „Geist“ zu transformieren. Das bestimmende ideologische Motiv des Überganges zur Objektivierung der Form des Idealismus bei Hegel sind die wachsenden Realisationsnöte des republikanischen Konzepts bis zu dessen Aufgabe. Hegels objektiver Idealismus ist, wie gerade die Frankfurter Periode zeigt, nicht entscheidend als Folge des Überganges der philosophischen Systeme von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel erklärbar. Die sich an den nach-thermidorianischen Geschichtsprozess anpassende, dadurch vermittelter werdende, aber doch republikanisch bleibende Position öffnet sich zugleich der Beeinflussung durch den Materialismus und der Neuproduktion von objektivem Idealismus. Indem sie materialistischer wird, muss sie objektiv-idealistischer werden, 173

Lukács, a. a. O., S. 129 ff. u. 121, wo er die Richtung Hölderlins als „Episodengestalt der ideologischen Entwicklung in Deutschland“ abtut, ein schwerer Fehler.

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um die heroische Illusion bei aller Vermittlung aufrechterhalten zu können. Diese „höhere Aufklärung“ (Hölderlin) führt bei Hegel, im Unterschied zu Hölderlin und Sinclair, zu einer intensiven Rezeption eines erfahrungswissenschaftlich vertretenen, bürgerlichen Materialismus, in der Ökonomie Steuarts und Geschichtswissenschaft Humes. Dieser Materialismus befindet sich mit seiner empirisch modellierten Widerspiegelungstheorie angesichts der Notwendigkeit verständiger Abstraktionsbildung in einer erkenntnistheoretischen Krisensituation, die, soll an objektiver Wissenschaft festgehalten werden, erkenntnistheoretische Gründe für eine objektiv-idealistische Lösung bietet. Die Rezeption des wissenschaftshistorisch vertretenen Materialismus verweist Hegel auf die tradierten idealistischen Lösungsversuche des entstandenen Erkenntnisproblems durch die deutsche philosophische Systematik seit Kant. So paradox es scheinen mag, das objektividealistische Bedürfnis der höheren Aufklärung Hegels verfestigt sich unter den gegebenen Bedingungen durch die Rezeption des ökonomisch- und geschichtswissenschaftlich vertretenen Materialismus zu einem spezifisch erkenntnistheoretischen Bedürfnis nach objektivem Idealismus rationaler Art und Weise. Im folgenden Kapitel wird Hegels Übergang vom höheren Aufklärer zum klassischen deutschen Philosophen behandelt. Dieser Übergang beginnt in Hegels Auswertung des revolutionshistorischen Verlaufs und des historisch für ihn endgültigen Scheiterns der Versuche deutscher Republikaner. Der Anerkennung des bürgerlichen Privateigentums in Gegensatz zur kleinbürgerlichen Forderung nach Gleichheit des Eigentums entspricht revolutionshistorisch die Aufwertung des Staates zu einem selbständigen Subjekt des historischen Prozesses im Gegensatz zum und in Einheit mit dem Volk sowie hinsichtlich des gesellschaftlichen Bewusstseins die Anerkennung der verständigen Organisationsform derselben im Gegensatz zur religiös opponierenden Organisationsform. Dies bedeutet in Bezug auf die Selbstverständigung der Aufklärer untereinander die Aufwertung der theoretischen Reflexion gegenüber der Kunst als dem neuen Organon. Da einerseits die verständige Organisationsform der Aufklärung und Wissenschaft, die ideell mit den revolutionshistorisch unheroischen Resultaten, dem bürgerlichen Eigentum und der selbständigen Rolle der Staatsmaschine, korrespondiert, anzuerkennen ist, andererseits aber die kleinbürgerlichen Oppositionsformen scheiterten, wird für Hegel die Produktion einer neuen Tätigkeitsebene notwendig, die eines spezifisch philosophischen Verhaltens, welches sich seiner Wirksamkeit nach außen wegen vor Instrumentierungen systematisch sichert.

3. Der napoleonisch-heroische Charakter des frühen Jenenser Programms der Hegelschen Philosophie

3.1 Das „Ideal des Jünglingsalters mußte sich […] in ein System […] verwandeln“ (Der Übergang von Frankfurt nach Jena 1800/1801) Nach dem Berner und frühen Frankfurter Versuch, eine strategische Vorstellung über den an die französische Entwicklung gebundenen historischen Prozess in Deutschland zu gewinnen, beginnt nun im Übergang von Frankfurt nach Jena ein dritter Versuch. Die Berner Unterstellung einer weltbürgerlich-idealischen Solidarität und der Möglichkeit, dass deutsche Republikaner eine Verbindung zwischen dem revolutionären Frankenvolk und deutschen Volk erreichen können, und die frühe Frankfurter Erfahrung, sich auf die nationalen republikanischen Potenzen eigenständig besinnen und in kalter Berechnung über eine Reihe von Zwischenschritten die feudale Macht und auch den verräterischen französischen Eigennutz berücksichtigen zu müssen, treten beim späten Frankfurter Hegel in einen neuen Kontext. Die bürgerlich-nationale Aufgabe der „Einigung Deutschlands“ sieht Hegel infolge der schwachen und mehr rückwärts als historisch vorwärts orientierten Landstände, „die von gar nichts anderem als von Trennung der deutschen Völkerschaften“ wissen, als nur durch die von außen kommende „Gewalt eines Eroberers“ (F 580) provozierbar an. Hegel warnt in seiner Schrift „Die Verfassung Deutschlands“ (Entwürfe ab 1799, Reinfassung 1802) davor, dass „Deutschland […] nach einigen Kriegen das Schicksal Italiens“ bevorstehen würde (F 577)1. Infolge dieser Besonderheit der deutschen Entwicklung, ihrer Abhängigkeit vom französischen Eingriff, soll sie progressiv verlaufen, muss sich die politische Orientierung auf die französische Entwicklung beziehen. An die Stelle der weltbürgerlich-idealischen Solidarität zwischen französischen und deutschen Republikanern tritt die Notwendigkeit eines Eroberers. An die Stelle des angenommenen deutschen republikanischen Potentials, welches die Verbindung mit Frankreich herstelle, tritt die Notwendigkeit, erst eine 1

In diesem Kapitel werden oben im Text den Seitenzahlen innerhalb der Klammern Buchstaben mit folgender Bedeutung vorangestellt: F = G. W. F. Hegel: Frühe Schriften. P = Ders., Politische Schriften (Hrsg. von Gerd Irrlitz). J= Ders., Jenaer Schriften= GW4. Datierungen der Jenaer Schriften Hegels entnehme ich den GW u. Heinz Kimmerle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien, Bd. 4. Bonn 1967. Vgl. zum Abgleich W. Jaeschke, Hegel-Handbuch.

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nationale Aktivität in Deutschland zu erreichen, die noch dazu von außen provoziert werden muss. Während in Deutschland nicht nur die Landstände, sondern „der gemeine Haufen des deutschen Volkes“ selbst erst „durch die Gewalt eines Eroberers in eine Masse versammelt“ werden müsste (F 580), hatte das französische Volk, weswegen „ganz Europa in allgemeiner Bewegung“ war, seine Aktivität zur „Anarchie“ gesteigert (F 570). In der weiteren französischen Entwicklung aber hat sich „die Anarchie […] von der Freiheit geschieden, und daß eine feste Regierung notwendig zur Freiheit ist, hat sich tief eingegraben, ebenso tief aber, daß zu Gesetzen und den wichtigsten Angelegenheiten eines Staats das Volk mitwirken muß. Die Garantie, daß die Regierung nach den Gesetzen verfährt, und die Mitwirkung des allgemeinen Willens zu den wichtigsten, das Allgemeine betreffenden Angelegenheiten hat das Volk in der Organisation von einem es repräsentierenden Körper“(F 572). Diese repräsentive Staatsverfassung darf jedoch nicht mit der vom frühen Hegel angestrebten „demokratischen Verfassung, als Theseus seinem Volke gab“, verwechselt werden, denn eine solche sei inzwischen „in unseren Zeiten und großen Staaten ein Widerspruch in sich selbst“. (F 580, vgl. auch F 479 f.) An die Stelle der Erhebung des Volks durch sich selbst, kraft der Einheit mit seinen republikanischen Führern zum Souverän und der Instrumentierung seiner Repräsentationen, so dass das Volk nicht das Heft aus den Händen verliere, tritt die Notwendigkeit einer festen Regierung, wobei das Volk zwar ausdrücklich noch, aber auch nur noch mitwirkt. Die Kriege mit Frankreich haben gezeigt: „Deutschland ist kein Staat mehr.“ (F 461) Dieser Staat ist erst neu zu begründen, ebenso existiert nicht „das deutsche Volk“ (F 577), vielmehr ist dieses erst zu schaffen, denn es besteht derzeit „aus zerstreuten Völkchen“ (P 580). Die emotional beschworene Annahme einer Einheit zwischen deutschem Volk und deutschen Republikanern ist dem späten Frankfurter Hegel als Illusion bewusst, nicht weniger die Handlungsohnmacht kleiner, lokaler Republikanergrüppchen ohne Staatsmacht. Ist schon in Auswertung der Französischen Revolution der ursprüngliche Gedanke der Volkssouveränität zu dem der Mitwirkung des Volks herabgesetzt, so veranschlagt Hegel die Rolle des Volks in Deutschland, wie schon vormals in Italien (F 440), noch geringer. Diese zerstreuten Völkchen und bornierten, die deutsche Zersplitterung kleinlicher Vorteile willen aufrecht erhaltenden Landstände müssen erst zu einem deutschen Volk zusammengeschweißt werden, das „Anteil“ an der „Organisation“ des deutschen Staates erhalten kann: „Wenn alle Teile dadurch gewännen, daß Deutschland zu einem Staat würde, so ist eine solche Begebenheit nie die Frucht der Überlegungen gewesen, sondern der Gewalt, und wenn sie auch der allgemeinen Bildung gemäß wäre und das Bedürfnis derselben tief und bestimmt gefühlt würde.“ (F 580) Hegels Einsichten über die besondere Rolle des Staats in Deutschland bestehen zu Recht.2 Tatsächlich be2

W. Jaeschke würdigt, dass es Hegel in seiner Verfassungsschrift nicht um eine idealistische Kritik an der Realität, sondern darum geht, die Wirklichkeit so zu verstehen, wie sie ist, also geworden ist und werden kann. Hegel sieht in dem zweiten Koalitionskrieg mit Frankreich richtig, dass Deutschland längst kein Staat mehr ist, auch wenn Franz II. erst am 6. 8. 1806 formell abdankt. Man darf auch langfristig nicht übersehen, und Hegel denkt in langfristigen Strukturen seit den Religionskriegen (vgl. auch oben Kap. 2.3.), dass mit Bismarck tatsächlich erst eine gewaltsame Reichseinigung von oben zustande kommt. Zudem betont Jaeschke überzeugend, dass Hegel den Staat wesentlich auf die Hoheitsfunktionen der Verteidigung und der Finanzen durch öffentliches Recht (im Gegensatz

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dingten die „gewesenen Stände und ungeborenen Klassen“ (Marx/Engels) im damaligen Deutschland die „abnorme Unabhängigkeit“ der sich ausbildenden „modernen Bürokratie“. Diese „Selbständigkeit des Staats“, die in anderen Ländern eine „nur vorübergehende Stellung – Übergangsstufe“ bildet, erhielt sich in Deutschland noch lange. Sie resultiert in Deutschland nicht aus der übergangsweise gleichwertig werdenden Stärke kämpfender Klassen, sondern aus der Ohnmacht und Zersplitterung der sozialen Kräfte gegeneinander.3 Allerdings führt das Problem der Bürokratie (Max Weber) nochmals über die Regeln der von Marx und Engels erwarteten Repräsentation als Maßstab hinaus. An die Stelle der historisch illusionären Einheit zwischen „dem“ deutschen Volk und „den“ deutschen Republikanern tritt der deutsche Theseus, d. h. der Begründer einer einheitlichen deutschen Staatsmacht. Dieser stützt sich auf die nationale Aktivität der zerstreuten Völkchen. Letztere wieder, wie er selbst, sind aber an die Voraussetzung der französischen Eroberung der deutschen Länder gebunden, die zugleich progressiv und eigennützig genug sein wird, um eine vorwärtsweisende nationale Aktivität zu provozieren. Die „Sage von der deutschen Freiheit“ im Mittelalter begründet ausdrücklich nicht das Ziel der Umwälzung (F 453). Hegel grenzt sich von der Romantik klar ab. Infolge der Borniertheit der deutschen Völkchen und Landstände müsse der deutsche Theseus seine Mission im Vergleich zur französischen Kombination aus fester Regierung und Mitwirkung des Volks stärker „durch die Direktion der Staatsmacht, die er in Händen hätte“, gegen den „Undank“, den einst schon Theseus für seine Staatsgründung erntete, gewaltsam sichern (F 580). Der „Eroberer“ der deutschen Länder, in welchem Lukács zurecht das napoleonische Frankreich sieht, ist aber 1799 bei Hegel nicht, wie Lukács meint, identisch mit dem deutschen Theseus.4 Hegel wendet sich in seiner Verfassungsschrift zwar nicht an nationalistische, aber doch an „deutsche Patrioten“ (F 451 u. 527). Der späte Frankfurter Hegel hat die Erfahrung des Verrats der Französischen Republik an deutschen Republikanern und der Handlungsohnmacht letzterer hinter sich. „Bonaparte“ konnte der nicht ernst zu nehmenden „Republik San Marino“ mit „ein paar Kanonen zum Geschenk“ helfen. Auch den „batavischen, helvetischen, zisalpinischen, ligurischen Republiken wird ihre Unabhängigkeit […] mit einer starken Garnison garantiert“. (F 563) Aber geht das für das größere Deutschland und hindert nicht der Eigennutz der Franzosen daran? Erst in Auswertung der französischen Siege während des zweiten Koalitionskrieges, die 1799 in Frankfurt Hegel so noch nicht absehbar sein konnten, und des Ausbleibens einer national progressiven Aktivierung der deutschen Völkchen durch diese französischen Siege nimmt Hegel Abschied „von seiner Hoffnung, den deutschen Staat aus seiner Unbedeutendheit emporgehoben zu sehen“. (P 115, vgl. auch F 452 Fußnote) In dem Entwurf der Vorrede zur Verfassungsschrift von Februar-März 1801 schreibt Hegel, dass er „noch vor dem gänzlichen Scheiden von seinen Hoffnungen seine immer schwächer werdenden Wünsche sich noch einmal lebhaft zurückrufen und seines schwachen Glaubens an die Erfüllung derselben noch einmal im Bilde genießen wollte“. (P 115 f.,

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zum Privatrecht) begrenzt, ihn ansonsten aber der dezentralen Freiheit seiner Bürger überlässt. Siehe W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 100–105. K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 178 u. 62. G. Lukács, Der junge Hegel, S. 354. Vgl. J. Streisand, Kritische Studien zum Erbe der deutschen Klassik, S. 71.

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vgl. auch F 452 Fußnote) Erst 1801 gibt Hegel seine Annahme eines deutschen Theseus auf. Die Ohnmacht der deutschen Länder registrierend und die gegenüber dem Rastatter Kongreß endlich bedeutenden Eingriffe des jetzt napoleonischen Frankreich in die Gesellschafts- und Staatsordnungen der deutschen Länder begrüßend, tritt beim Jenenser Hegel nun auch noch an die Stelle des deutschen Theseus Napoleon, der Eroberer. Von hier aus entsteht die direkte Linie zu Hegels Äußerungen zwischen 1805 und 1807: „Die Hauptentscheidung wird wohl von Paris kommen.“ – „Der große Staatsrechtslehrer sitzt in Paris“. „Napoleon wird dies alles zu organisieren haben“. – Der „Kaiser beschließt“ (P 310, 313). Der späte Frankfurter Hegel fordert „Pläne und Theorien“, die „Anspruch“ auf Realität erheben können, dies heißt, „daß sie ausführbar seien“ (F 473). Hegel hat in seiner Freundschaft mit Sinclair, der sich übrigens in den folgenden Jahren um direkte Verhandlungen mit Napoleon bemühen wird, die Erfahrung gewonnen, das politische Maximalprogramm durch Minimalisierungen erreichen zu müssen. Wen meint Hegel mit dem deutschen Theseus? Hegel kann diesen nie näher benennen. Er hätte es getan, wenn er es gekonnt hätte. Hegel folgt hier N. Machiavelli und J. Steuart. Für die Beantwortung der Frage, wem Hegel unter den realpolitischen Bedingungen in Deutschland zu Beginn des zweiten Koalitionskrieges, d. h. zur Zeit der französischen Niederlagen, diese Rolle am ehesten zugedacht haben kann, halte ich Rosenzweigs Hypothese, der österreichische Erzherzog Karl sei gemeint, für nicht so „ausgefallen“ wie Lukács5, da „Eroberer“ und „Theseus“ nicht zu identifizieren sind. Für den Österreicher spricht, dass, wenn Hegel überhaupt 1799 noch positive Anknüpfungspunkte in den deutschen Ländern sieht, er diese realpolitisch in Österreich erblickt. Zudem zeigt Hegel dadurch, dass er die Rolle des deutschen Theseus mit der Richelieus in der französischen Geschichte vergleicht (F 580), dass es ihm einstweilen in Deutschland um die Begründung einer einheitlichen zentralen Staatsmacht gegen die Territorialfürsten geht. Zu dieser historischen Aufgabe passt, dass der späte Frankfurter Hegel durchgehend Machiavelli rehabilitiert (F 554 ff.) und die deutsche feudalabsolutistische Zersplitterung mit der italienischen parallel verhandelt. Ab 1801, infolge des zweiten Koalitionskrieges, gibt Hegel seine Theseus-Konstruktion auf. Sie erübrigt sich durch das sich in Deutschland abzeichnende napoleonische Diktat.6 Die im Winter 1798/99 begonnene weltanschauliche Wende Hegels zur Anerkennung der großbürgerlichen Resultate der Französischen Revolution führt historisch-politisch zur Aufgabe des Volks als Subjekt des historischen Prozesses und zur Übertragung dieser Subjektrolle auf den Staat, an welchem das Volk mitwirkt. Der Staat ist im Sinne des öffentlichen Rechts statt des Privatrechts und der Gewaltenteilung gedacht (Montesquieu). Die Subjektrolle einer einheitlichen Staatsmacht hat unter den unterentwickelten deutschen Bedingungen laut Hegel selbst besondere Bedeutung. Diese Wendung Hegels bedient sich ideengeschichtlich der Rezeption handelsbürgerlicher Argumentationen, der Steuarts und Machiavellis, im Gegensatz zu Rousseau. An die Stelle des Staates, der als 5 6

G. Lukács, Der junge Hegel, S. 353. Ebenso J. Streisand, wenn auch zwischen „Eroberer“ und „Theseus“ differenzierend. Siehe J. Streisand, Deutschland 1789–1815, S. 90 u. 108 f. Vgl. Kyösti Julku, Die revolutionäre Bewegung im Rheinland… Bd. 2, S. 199 ff.

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Republik das Produkt der politischen Tätigkeit selbst arbeitender Kleineigentümer ist, tritt der Staat mit der gesellschaftlichen Grundlage im Sinne Steuarts: „[…] wie ehemals das Wesentlichste die persönliche Dienstleistung, […] so jetzt das Geld, welches allen anderen Einfluß in sich begreift.“ (F 572) Bei Steuart heißt es charakteristisch: „nun kann eine Menge Menschen nicht anders beysam erhalten werden, als durchs Geld.“7 Der Staat hat bei Hegel nicht mehr, wie bis zum Winter 1798 die Aufgabe, die Gleichheit des Eigentums zu garantieren, sondern die Entwicklung des Eigentums der Bürger zu schützen. Die „neue Politik“ hat „nicht aus königlichem, majestätischem Prinzip, sondern aus der Bürgerlichkeit“ hervorzugehen (F 566). In Auswertung Steuarts öffnet sich Hegels Praxisbegriff über die politisch-moralische und moralisch-religiöse Sphäre zu der von Arbeit und Besitz. Der Staat hat nicht die Interessen des durch reiche Voreltern „reichen freien Edelmanns“, dessen „Besitz auf seinem Boden ruht und derselbe bleibt“, sondern des Bürgers zu vertreten, „der sich durch seine Arbeit mühsam vom Pfennig an seine Schätze erworben hat“ (F 566).Benutzt hier Hegel in antifeudaler Stoßrichtung auch die Legende vom durch eigene Arbeit erworbenen Eigentum des Bürgers, so meint er doch nicht mehr die Gleichheit selbst arbeitender Kleineigentümer. Als Anarchie gilt nicht mehr nur, was die Forderung der Gleichheit des Eigentums in Richtung Gütergemeinschaft überschreitet, sondern schon die künstlich gewaltsame Gleichhaltung des Eigentums selbst. Illusionslos schreibt Hegel: Die neueren Staaten beruhen alle auf der „Ungleichheit des Reichtums“ und der dieser entspringenden „Ungleichheit der Abgaben der verschiedenen Klassen nach ihrem materiellen Wert“. (F 476) Arbeit und Besitz sind nach wie vor Prädikate der individuellen Bürger, deren gesellschaftlicher Zusammenhang erst geldwirtschaftlich entsteht. Auf die Geldwirtschaft im Gegensatz zur persönlichen Dienstleistungswirtschaft, aber auch im Gegensatz zu der tatsächlich auf eigener Arbeit beruhenden Wirtschaft von Kleineigentümern, bezieht sich der Staat. „Nachdem die europäischen Staaten sich mehr oder weniger von der Lehensverfassung entfernt haben“, ist „die Art von Macht, die in unseren Zeiten zum Wesen eines Staates gehört, eine Geldmacht“ (F 491, 496). Der früher angenommene Zusammenhang zwischen der eigenen Arbeit von Kleineigentümern und der gesellschaftlichen Arbeit der republikanischen Repräsentanten ist aufgebrochen: Der neue Staat beim späten Frankfurter Hegel bezieht sich auf seine Bürger „nicht nach der wesentlichen Seite […] nämlich nicht nach der Seite des Arbeitens, die nicht zu berechnen und an sich ungleich ist, sondern nur nach der Seite des Produkts“ in Geldform (F 476). Hegel anerkennt, Steuart folgend, eine dem Staat vorausgesetzte Sphäre (F 518) der aus dem Besitz folgenden „Interessen“. Besitz muss nicht, wie gerade der von deutschen Fürsten zeigt, auf Arbeit gegründet sein. Er kann dadurch entstehen, dass dasjenige, „was gewaltsam errungen war“, zum „gesetzlichen Recht gemacht“ wurde (P 121). Die „Interessen […] sind die wahre innere treibende Kraft, nicht diese“, d. h. nicht „die Rechtsform“ der Interessen. Im Falle der historischen „Kollision“ zwischen den Interessen und der existierenden Rechtsform „hängt es nur […] von den Kombinationen der Macht, d. h. dem Urteil der Politik ab, ob das in Gefahr kommende Interesse und Recht mit der ganzen Gewalt der Macht verteidigt werden soll“ (F 541), oder nicht. Der „Krieg“ hat „nunmehr zu entscheiden, nicht welches Recht der von beiden Teilen behaupteten das wahre Recht 7

J. Steuart, Untersuchung der Grund-Säze … Bd. 1, S. 14.

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ist – denn beide Teile haben ein wahres Recht –, sondern welches Recht dem anderen weichen soll“. (F 541) „Recht“, so schreibt Hegel auch machiavellisch, „muß sich durch seine Macht behaupten.“ Die „Interesse- und vaterlandslose Menge, deren Ideal von Tugend die Ruhe der Bierschänke ist“, ist nur die Fiktion des vom Gang der historischen Schlachten fernen, ohnmächtigen, „kannegießernden unparteiischen Publikums“, das aus „menschenliebenden Rechts- und Moralitätsfreunden“ besteht (F 540 f.). Die Sphäre, die für Hegel die Gesellschaft konstituiert, ist aber nicht allein die die individuellen Besitze und physischen Bedürfnisse (F 518 f.) ökonomisch vermittelnde Geldwirtschaft, sondern zugleich der Staat selbst. Der individuelle Besitz, so sehr er „früher als das Gesetz“ gewesen sei, steht erst dadurch in gesellschaftlichem Zusammenhang, dass er „Eigentum“, d. h. „gesetzlicher Besitz“ wird (P 121). „Arbeit“ hat beim späten Frankfurter Hegel keine gesellschaftsbegründende Funktion, weder in einem auf die staatlich-politische Sphäre der Republik übertragenen Sinne, wie beim Berner Hegel, noch in einem innerhalb des philosophischen Systems untergeordneten ökonomischen Sinne und zugleich auf den Weltgeist bezogenen Sinne, wie beim Jenenser Hegel. Die gesellschaftskonstituierende Rolle der staatlich-politischen Sphäre gewinnt für Hegel im Falle der Interessenkollision, so dass der historische Übergang von einer gesellschaftlichen Rechtsform zu einer anderen erfolgen muss, herausragende, noch die geldwirtschaftliche Determination des Staates überragende Bedeutung. Hegel denkt nicht denjenigen Staat, der nach der ökonomischen und politischen Hegemonie der Bourgeoisie als formeller Rest den Normalbetrieb dieser Hegemonie sichern soll. Er denkt den Staat im Übergang, d. h. im Ausgang vom Widerstreit zwischen den an sich und gegeneinander berechtigten Interessen, einem Widerstreit, der in der revolutionären Praxis, inzwischen durch den Krieg der Revolution, gelöst wird. In der gesellschaftskonstitutiven Rolle des Staates liegt Hegels Hoffnung begründet, dass trotz der anzuerkennenden unheroischen realbürgerlichen Resultate der Französischen Revolution die heroischen Ideale, wenn auch anders als kleinbürgerlich-republikanisch, im historischen Prozess behauptet werden können. Dringen wir deshalb tiefer in Hegels „Begriff des Staates“, wie er diesen unabhängig von besonderen Modifikationen (F 472 f.) 1799 fasst, ein. Gegen die „maschinistische, höchstverständige […] Hierarchie“ des Staates (F 483 f.), der nur „eine Maschine mit einer einzigen Feder ist, die allem übrigen unendlichen Räderwerk die Bewegung mitteilt“ (F 481), wertet Hegel „das freie Tun der Bürger“, das „eigene Bestreben des Volkes“ auf. Einem „solchen modernen Staat, worin alles von oben herunter geregelt ist“, stellt Hegel als Muster „die französische Republik“ entgegen (F 484 f.) Die „Erfahrung an der französischen Freiheitsraserei“ (F 555) zeigt aber, dass die Aktivität des Volks zur „Anarchie“ (F 572) führt. Daraus erwächst der „Grundsatz einer Staatswissenschaft“, dass „Freiheit nur in der gesetzlichen Verbindung eines Volks zu einem Staat möglich sei“. (F 554 f.) Dem Volk kann nur „in dem untergeordneteren allgemeinen Tun viel freie Hand“ (F 485) gelassen werden. Die „Garantie“ dafür, dass das Volk nicht in anarchische Aktivität ausarte und zugleich dafür, dass sich nicht die von der Aktivität des Volks unabhängige Staatsmaschine entfalte, bildet „das Volk in der Organisation von einem es repräsentierenden Körper“. (F 572) Der Staat darf weder dem Interesse der Fürsten unterworfen werden, wodurch das öffentliche Staatsrecht Privatrecht werden würde, noch dem „bürgerlichen Sinn, der nur für ein einzelnes ohne Selbständigkeit und ohne Blick auf das Ganze sorgt“ (F 517), und dadurch ebenfalls, nur

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anderen Besitzinteressen entspringend, das Staatsrecht in Privatrecht verwandelte. „Privatrechte“ dürfen nicht „in den allgemeinen Rang politischer Rechte“ (F 538 f.) erhoben werden. Die „Staatsgewalt zu einem Privateigentum zu machen, heißt nichts anderes, als den Staat auflösen, den Staat als eine Macht vernichten“ (P 122). Dagegen müsse der Staat aus sich selbst heraus „die machthabende Allgemeinheit“ (F 459) sein, „als die Quelle alles Rechts“ in sich seinen eigenen „Mittelpunkt“ (F 469) haben, „der zu der Direktion auch die notwendige Macht hätte, sich und seine Beschlüsse zu behaupten und die einzelnen Teile in der Abhängigkeit von sich zu erhalten“. (P 122) Der „Fortgang der Bildung und Industrie“ führt historisch zur „Herrschaft des Handels und Gewerbereichtums“. Der „bürgerliche Sinn“ gewinnt „eine Macht“. So sehr Hegel die Notwendigkeit der „Legitimation“ dieses „politische Bedeutsamkeit gewinnenden Bürgergeists“ (F 517) vertritt und die Bildung der neusten großen einheitlichen Staaten in bürgerlichem Interesse sieht, die Staatsgewalt muss demgegenüber „eine wahre Allgemeinheit“ (F 506) ausbilden. Der, im Unterschied zum „übrigen Volk“, „eigentliche Bürgerstand“ ist, so zeige das „System aller neuern europäischen Staaten“, „auf seine Not und den Erwerb“ eingeschränkt, „mehr mit seiner Not und seinen Privatangelegenheiten beschäftigt“ (F 532 f.). Der bürgerliche Sinn führt zu „einer Vereinzelung der Gemüter“, die „ein allgemeineres Band erfordert“ (F 516 f.), eben den Staat. Wenngleich auch der Bürger „durch Industrie und Arbeit für den Staat“ wirkt, er bildet einen besonderen „eigenen Stand“. Der Staat ist nicht die wahre Allgemeinheit, wenn er sich irgendeinem Stand unterordnet, auch nicht dem von Hegel hervorgehobenen „eigentlichen Bürgerstand“ (F 532). „Ein Akt, der von der Staatsgewalt ausfließt“, hätte aber auch nicht den Rang wahrer Allgemeinheit, enthielte er nicht „zugleich die Regel seiner Anwendung“ auf das Besondere in sich. Dieses „besondere Interesse (ist) die wichtigste Rücksicht“ des Staates. Jeder „einzelne Stand muß als besonderer Staat sich nicht einem allgemeinen aufopfern, von dem er keine Hilfe zu erwarten hat“. Das Problem besteht darin, „daß eine Handlungsweise, die allgemein sein sollte, dem besonderen Interesse jedes Einzelnen gemäß wäre“ (F 547 f.). Dies schließt von vorneherein die Herrschaft des „Despotismus“, aber auch die „ausgeartete“ Herrschaftsform der „Republik“ aus. Hegels Staatskonzept fordert die Verwirklichung der „Mitte zwischen beiden“: „Der Zusammenhang der Bildung der Welt hat das Menschengeschlecht […] in diese Mitte geführt“. Weder Despotismus noch anarchisch ausartende Republik, sondern „Verbindung eines Volks zu einem Staat“ (F 554), die den Staat durch die Aktivität des Volks belebt und „Organisation“ bzw. „Direktion“ des Volks durch den Staat ist, so dass die Aktivität des Volks nicht anarchisch werde, diese „Verbindung der Teile zu Einer Staatsgewalt“ nennt Hegel „vernünftig“ (F 503). Wir sehen hier unmittelbar die inhaltliche Bindung der später rein logisch vorgestellten Kategorien Hegels: Das Vernünftige im Gegensatz zur „hochverständigen“ Staatsmaschine und gleichzeitig im Gegensatz zur „anarchischen“ Aktivität des Volkes, wobei letztere beiden schon untereinander entgegengesetzt sind. Oder umgekehrt, unter dem Gesichtspunkt der Einheit betrachtet, stellt sich das Vernünftige als die „Verbindung“ der hochverständigen Staatsmaschine und anarchischen Aktivität des Volkes heraus. Die wahre Allgemeinheit oder das Vernünftige des späten Frankfurter Hegel signalisiert die Problemstellung des Konkret-Allgemeinen im Gegensatz zum Abstrakt-Allgemeinen und Einzelnen, wie es später bei Hegel heißen wird. Das wahre Allgemeine kann nicht

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äußerlich auf Einzelnes angewandt werden, sondern enthält bereits in sich die Regel seiner Anwendung (vgl. auch J 429 f.). Es ist das dem besonderen (Interesse) jedes Einzelnen gemäße Allgemeine, ohne deshalb einem besonderen (Stand) subordiniert werden zu können. Als höchstes Kriterium der „Gesundheit eines Staats“ sieht Hegel nicht die „Ruhe des Friedens“, sondern die „Bewegung des Krieges“ an; „jene ist der Zustand des Genusses und der Tätigkeit in Absonderung, […] im Kriege aber zeigt sich die Kraft des Zusammenhangs aller mit dem Ganzen“ (F 462). Hegel nennt diejenige „Verbindung der Teile zu einer Staatsgewalt“ die vernünftige, die dem „großen Zweck der gemeinsamen Verteidigung“ tauglich ist (F 503). Die Kriegstüchtigkeit dessen, was Hegel als vernünftigen Zusammenhang aller mit dem Ganzen bezeichnet, in bewusstem Gegensatz zu dem ohnmächtig moralisierenden Gerede von „ewigem Frieden und ewiger Freundschaft“ (F 540), ist für Hegel charakteristisch.8 1807 identifiziert Hegel seinen Staatsbegriff in einem Brief an seinen Freund Niethammer ausdrücklich mit dem napoleonischen. Die durch die napoleonischen Siege entstehende Möglichkeit, den Code Napoleon in Deutschland zu verwirklichen, nennt er das wohl „wichtigste Werk“. Statt der Verbindung der einheitlichen zentralen Staatsgewalt mit der Aktivität des Volkes wurde bisher „bei den Nachahmungen des Französischen immer nur die Hälfte“9, die der Staatsgewalt aufgenommen, dagegen die andere Hälfte weggelassen. Diese „andere Hälfte, welche das edelste, die Freiheit des Volkes, Teilnahme desselben an Wahlen, Beschließungen oder wenigstens Darlegung aller Gründe der Regierungsmaßregeln vor die Einsicht des Volkes enthält“, wegzulassen, führt dazu, dass „jene erste Hälfte zum gänzlich Verkehrten, zur Willkür, Grobheit, Rohheit, vornehmlich Stummheit, Haß der Publizität, Aussaugung, Verschwendung“ wird und auf Seiten des Volkes „Dumpfheit, Mißmut, Gleichgültigkeit gegen alles Öffentliche, Kriecherei und Niederträchtigkeit“ entstehen. Dadurch wird das „Selbstzutrauen des Staates zu sich, der seine Teile gewähren lässt, d. h. das Hauptmoment der Freiheit“, vernichtet.10 Hegel zielt 1807 nicht weniger entschieden als ab 1799 gerade auf die Verbindung der einheitlichen zentralen Staatsmacht mit der freien Aktivität des Volkes. Sobald diese nicht zustandekommt, verkehrt sich jedes Moment der Verbindung in sein Gegenteil. Entweder Despotismus oder anarchisches Volk entstehen neu. Ein anarchisches Volk zu werden, besteht beim deutschen Volk allerdings keine Sorge. Dagegen befindet sich die deutsche 8

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Stellt man Hegels Verfassungsschrift in den Kontext der damaligen Debatte über Krieg und Frieden in Deutschland, so zeigt sich klar Hegels Originalität. Er ist keiner der in Deutschland vertretenen Positionen mehr zuzuordnen. Bis Sommer 1798 ähnelt seine Position der anderer deutscher Republikaner, wie sie Hokkanen beschreibt (S. 167 ff.). Dafür tritt ab 1799 Hegels starke Verwandtschaft mit Wielands Dialogen „Gespräche unter vier Augen“ hervor, die aber infolge ihrer direkten napoleonischen Orientiertheit 1798/99 in Deutschland auf Unverständnis stießen. Hier liegt eine Berührung im Weitblick des alten Wieland und jungen Hegel, beide Außenseiter in der deutschen KriegFrieden-Diskussion, vor. Siehe Kari Hokkanen, Krieg und Frieden in der politischen Tagesliteratur Deutschlands zwischen Baseler und Lunéviller Frieden (1795–1801), S. 216 ff. Goethes Spott über Wielands Dialoge als „Bastarden einer aristo-demokratischen Ehe“ zeugt nicht nur von Goethes staatspolitischem Unverständnis der Revolutionsentwicklung, sondern formuliert unbewusst auch die Erscheinungsform der eigentümlichen Übergangsstellung Hegels. Ebd., S. 219. Hegel an Niethammer im November 1807. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 197. Ebd., S. 197 f.

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Staatsmacht, wie Hegel in seiner Verfassungsschrift ein Voltaire-Wort aufnimmt, in einem anarchischen Zustand (F 461, vgl. auch P 119). In der Tat, die Integration der Aktivität der französischen Volksmassen in die napoleonische Staatsmaschinerie und der revolutionäre Krieg dieser Verbindung von Staats- und Volksgewalt gegen die zugleich feudalabsolutistische und bourgeoise Konterrevolution von außen und von innen besitzt die Mehr-Fronten-Stellung, die den 1799 entstehenden Hegelschen Staatsbegriff auszeichnet. Napoleons Fehler, (von Manfred ab 1807 datiert), im Unterschied zur realistischen Politik „zu Beginn seines Lebensweges“, die in Übereinstimmung mit „den Haupttendenzen der Epoche“ stand, sind für die Betrachtung des Jenenser Hegel nicht relevant. Wenn auch „Napoleons Politik ungefähr seit 1805/06“ nach innen durch einen „Kult der Macht“ und die „Mißachtung der Interessen und des Willens des Volkes“ bestimmt waren, trat das napoleonische Frankreich doch zweifellos nach außen revolutionär auf.11 Diese welthistorische, insbesondere Deutschland bestimmende Wirkung des napoleonischen Stadiums der Französischen Revolution ist die für Hegel entscheidende. Erstens ist die napoleonische Einheit von Staats- und Volksgewalt der feudaldespotischen Staatsmaschine, die die Mitwirkung des Volks ausschließt und dem Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft entgegensteht, entgegengesetzt. Diese Einheit verhindert, so sehr sie vom jakobinischen Standpunkt aus gesehen selbst als restaurativ bewertet werden muss, die historisch wirkliche Restauration. Sie ist gerade infolge der Verbindung von zentralisierter Staatsmaschinerie und, zwar nicht mehr revolutionärdemokratischer, aber revolutionär-kriegerischer Aktivität der Volksmassen gesellschaftspolitisch und militärisch jeder europäischen Feudaldespotie überlegen. Im Gegensatz zu diesen Despotien anerkennt der napoleonische Staat bereits die „ungehinderte Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft“, die „freie Bewegung der Privatinteressen als seine Grundlage“.12 Andererseits beinhaltet die napoleonische Einheit von Staats- und Volksgewalt auch eine Kontinuität zu der Staatsmaschine „in der Epoche der absoluten Monarchie“, in der die Staatsmaschine als „ein Kampfmittel der modernen Gesellschaft gegen den Feudalismus, dessen Krönung die Französische Revolution war“, geschaffen und ausgenutzt wurde. Diese Staatsmaschinerie erfuhr ihre „volle Entwicklung unter der Herrschaft des ersten Bonaparte“.13 Infolge dieses objektiv historisch übergreifenden Zusammenhanges ist Hegels Rehabilitation handelsbürgerlicher Denker, wie Steuart und Machiavelli, verständlich. Diese stellen eine staatswirtschaftliche und staatspolitische Denktradition dar, die der Hegelschen Entwicklung eines napoleonischen Staatsbegriffes als konzeptionelles Ferment, welches zum Rousseauischen Gedanken der Volkssouveränität das Gegengewicht bildet, dienen kann. Zweitens ist die napoleonische Einheit von Staats- und Volksgewalt der kleinbürgerlich-demokratischen Einheit von Jakobinern und Volk entgegengesetzt. Diesen Kulminationspunkt der aufsteigenden Linie der Französischen Revolution und nicht den in der absteigenden Linie hervortretenden real-bürgerlichen Inhalt der Revolution als 11 12 13

A. S. Manfred, Napoleon Bonaparte, S. 265 u. 498. Vgl. F. Engels, Deutsche Zustände, MEW Bd. 2, S. 568. K. Marx/F. Engels, Die heilige Familie …, MEW Bd. 2, S. 130 f. K. Marx., Erster Entwurf zum „Bürgerkrieg in Frankreich“, MEW Bd. 17, S. 539 f.

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Maßstab vorausgesetzt, diente die Staatsmaschinerie „unter dem ersten Bonaparte […] zur Unterdrückung der Revolution und Vernichtung aller Freiheiten des Volkes“14. Die revolutionär-demokratische Aktivität der französischen Volksmassen wurde durch die napoleonische Staatsmaschinerie in großbürgerlichem Interesse zu einer permanenten Kriegstätigkeit der Volksmassen nach außen umorganisiert, oder wie Hegel sagen würde, dirigiert, unter Anspielung auf das Direktorium. Napoleon setzte „an die Stelle der permanenten Revolution den permanenten Krieg“.15 Insofern blieb dennoch die napoleonische Staatsmaschinerie auch „ein Werkzeug der Französischen Revolution für den Kampf nach außen“.16 Drittens: Außer der, wenn auch innerhalb der Französischen Revolution entgegengesetzten, Gemeinsamkeit der jakobinischen und napoleonischen Einheit von Staat und Volk gegenüber dem feudalen Despotismus zeichnen sich beide, die jakobinische und die napoleonische Einheit, dadurch aus, die Hegemonie der Bourgeoisie zu substituieren,17 wenn auch auf je verschiedene Weise. Die Jakobiner zielen ab auf die Substitution aller großbürgerlichen Citoyen-Typen, die jeweils historisch vorwiegend die Hegemonie der Bourgeoisie realisieren, ob im handelsbürgerlichen Interesse vermittels der absoluten Monarchie, ob im manufaktur- und industriebürgerlichen Interesse eines bürgerlichparlamentarisch kontrollierten Staates, ob im großbürgerlichen Interesse einer sich abzeichnenden napoleonischen Verselbständigung der Staatsmaschinerie. Denken wir an den letzten Vorstoß der Linken 1799.18 Die napoleonische Einheit von Staat und Volk 14 15

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Ebd. Marx/Engels, Die heilige Familie … S. 130 f. Bekanntlich verlängerte Leo Trotzky dieses Modell von Marx in die sowjetrussische Revolution, deren Permanenz durch den Krieg nach Deutschland getragen werden sollte. Marx, Erster Entwurf zum „Bürgerkrieg in Frankreich“, S. 539 f. Vgl. zum Problem der institutionellen Hegemoniesubstitution M. Kossok, Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit, S. 20. Um die Möglichkeit und Notwendigkeit der Ersetzung der Bourgeoisie als Hegemon zu begreifen, muss das napoleonische Stadium der Französischen Revolution vor allem aus dem internationalen Kontext heraus erklärt werden, unter der Voraussetzung nicht konstruierter, sondern wirklich nachweisbarer, also der klaren Dominanz vorindustrieller Kapitalformen im Innern. Siehe zur Sozialstruktur der vorrevolutionären französischen Bourgeoisie und dem „einzigartigen Platz“ der Finanzbourgeoisie in Frankreichs Geschichte des 18. Jh.: J. Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 32, S. 69 u. 73 ff. Ebd., insbesondere S. 60 zur spärlichen Entwicklung der industriellen Revolution nicht nur vor und während, sondern auch nach der Französischen Revolution in Frankreich. Der Autor nimmt jedem die schematische Abstraktion, die Französische Revolution aus fortgeschrittensten inneren Voraussetzungen hinreichend erklären zu können. In der neueren Literatur hebt auch A. N. Cistozvonov von allgemein-historischer Seite hervor, dass die Erklärung der Französischen Revolution aus allein inneren Voraussetzungen ein „wissenschaftlich aussichtsloses Unterfangen“ darstellt: „Die Berufung auf das angebliche höhere Niveau der Reife und Entwicklung des Kapitalismus in Frankreich selbst in der 2. Hälfte des 18. Jh. entbehrt im Vergleich mit den Niederlanden des 16. und dem England des 17. Jh. ernsthafter Grundlagen.“ A. N. Cistozvonov, Über die stadial-regionale Methode bei der vergleichenden historischen Erforschung der bürgerlichen Revolutionen des 16. bis 18. Jh. in Europa, S. 43. Zur besonderen Lokalbedeutung des Manufakturbürgertums in Lyon siehe Maurice Moissonier, Les Canuts. Volksmassen und bürgerlich-demokratische Revolution in Lyon. In: Rolle und Formen der Volksbewegung… S. 129 f. Siehe W. Markov u. A. Soboul, Die Große Revolution der Franzosen, S. 419 ff.

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substituiert dagegen nur den „direkten“ Citoyen der Bourgeoisie, d. h. die „parlamentarische Kontrolle“ der Bourgeoisie über die Staatsmacht.19 „Was am 18. Brumaire die Beute Napoleons wurde, war […] die liberale Bourgeoisie“. In Napoleon trat der liberalen Bourgeoisie nicht die Konterrevolution, sondern nach der Jakobiner-Diktatur „noch einmal der revolutionäre Terrorismus“ gegenüber: „Napoleon war der letzte Kampf des revolutionären Terrorismus gegen die gleichfalls durch die Revolution proklamierte bürgerliche Gesellschaft und deren Politik […] Napoleon betrachtete zugleich noch den Staat als Selbstzweck und das bürgerliche Leben nur als Schatzmeister und als seinen Subalternen“.20 Robespierre und Napoleon stehen gemeinsam, wenn auch untereinander auf entgegengesetzte Art, in Front gegen die, wie Manfred treffend formuliert, „bürgerliche Konterrevolution“21 zwischen Thermidor und Napoleons Staatsstreich im Innern und Englands von außen. Beiden ist ebenso gemeinsam, dass sie, indem sie die Staatsmacht durch ihre Einheit mit der Volksmacht der Bourgeoisie gegenüber verselbständigen, objektiv, d. h. im nicht intendierten langfristigen Resultat, doch nur den Sieg dieser Bourgeoisie herbeiführen. Die marxistische Revolutionstheorie knüpft natürlich an das jakobinische Konzept an, während für die Entscheidungsschlacht des historischen Überganges vom Feudalismus zum Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent das napoleonische Konzept das durchschlagendere war. Viertens: Die gegen den feudalen Despotismus und die unmittelbare Hegemonie der Bourgeoisie gleichermaßen gerichtete Gemeinsamkeit der Jakobiner und Bonapartisten erfasst Marx dadurch, dass er „Camille Desmoulins, Danton, Robespierre, St.-Just, Napoleon“ unter dem Titel: „die Heroen“ der Französischen Revolution zusammenfasst, im Gegensatz zum „unheroischen“, „bourgeoisen“ Inhalt der Revolution.22 Die Eigenart der napoleonischen Macht bestehe darin, dass sie „abgesondert (war) von der Klasse, deren Interessen sie vertrat, sie stand über der Bourgeoisie wie auch über allen anderen Klassen“.23 Napoleons Vereinigung von Staats- und Volksgewalt ist der Hebel der Entscheidungsschlacht des welthistorischen Überganges vom Feudalismus zum Kapitalismus, der sich gegen seine eigene Klassenbasis verselbständigt. Die Französische Revolution, insbesondere ihr napoleonisches Stadium, ist nicht nur „die Entfesselung“, sondern ebenso „die Herstellung der modernen bürgerlichen Gesellschaft“24, wodurch Napoleon noch der „Staat als Selbstzweck“ gelten kann. Der Staat des „Kaisers der Republik“25 ist durch und durch der Staat des Überganges, nicht der reifen industriekapitalistischen Gesellschaft. Die historische Genesis des Kapitalismus ist der „organischen“ Entwicklung des industriellen Kapitalismus aus sich selbst heraus entgegengesetzt. Die historische Art und Weise der Primardetermination des Überbaus durch die Basis ist unter den Bedingungen des Überganges, wo die verschiedensten Produktionsweisen ohne gesicherte ökonomische Dominanz einer Produktionsweise gleichzeitig gegeneinander existieren, 19 20 21 22 23 24 25

K. Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation, MEW Bd. 17, S. 336. Marx/Engels, Die heilige Familie … S. 130 f. A. S. Manfred, Napoleon Bonaparte, S. 265. K. Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW Bd. 8, S. 116. A. S. Manfred, Napoleon Bonaparte, S. 365. Marx, Der achtzehnte Brumaire … S. 116. Ebd., S. 403. In dieser Zeit gebräuchliche Formulierung.

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eine wesentlich andere als unter der Bedingung der „allgemeinen Beleuchtung, worein alle übrigen Farben getaucht sind […]“26. Bevor das Kapital die „Bedingungen seines Entstehens […] als Resultate seines Daseins“ setzen kann, bedarf es unter „antediluvianischen Bedingungen“27 der Staatsgewalt als seines „Geburtshelfers“. Diese Gewalt ist „selbst eine ökonomische Potenz“.28 Bevor der „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ die Herrschaft des Kapitals besiegelt, sichert die Umfunktionierung der außerökonomischen Staatsgewalt im Interesse der vorreifen Kapitalformen „die historische Genesis der kapitalistischen Produktion“29. Der Staat des Überganges vermittelt gesamtgesellschaftlich nicht die Reproduktion einer homogenen Basis, sondern wird als Hebel des außerökonomisch-gewaltsamen Klassenkampfs um die Dominanz der kapitalistischen Produktionsverhältnisse wirksam. Letztere sind nicht allein auf ökonomischem Wege dazu in der Lage, sich die anderen existierenden Produktionsverhältnisse zu subsumieren, da ihnen die ihnen adäquate Grundlage an Produktivkräften, insbesondere materiell-technische Basis, fehlt oder nur punktuell ausgebildet ist. Die allgemeine Anwendung maschineller Arbeitsmittel setzt den gesellschaftlichen Sieg der kapitalistischen Produktionsverhältnisse voraus.30 Die Französische Revolution war noch „keine bürgerliche Revolution im Kapitalismus für den Kapitalismus“31, geschweige die in Deutschland anstehende Umwälzung. Dieser rationelle Sinn der Hegelschen Behauptung einer gesellschaftsbegründenden Rolle des Staates kann in dem üblichen marxistischen Schema von der ökonomischen Basis und dem politisch-ideologischen Überbrau nicht erfasst werden. Es schreibt die industriekapitalistische Tendenz zum Primat der Ökonomie überhistorisch fest. Hegel denkt das Problem des Überganges von einer Gesellschaftsformation zu einer neuen, das in dem Schema, „die“ Basis sei immer „dem“ Überbau gegenüber primär, einfach verdeckt wird. Auf der Ebene solcher historisch entwurzelten, verständig fixierten Abstraktionen, die den abstrakten Resultataussagen des objektiven Idealismus durch materialistische Vorzeichenänderung scheinbar marxistische Gestalt geben,32 ist Hegel nicht beizukommen. Er denkt historisch konkreter und tiefer, indem er seinen Staatsbegriff aus der Kollision von Besitzinteressen herleitet, die den Übergang von einer gesellschaftlich bestimmenden Rechtsform zu einer neuen vermittels der Staatsgewalt erfordert. Natürlich bläst Hegel zugleich und vor allem in seiner Entwicklung des objektiv-idealistischen Systems die historisch-konkrete Gebundenheit seines Staatsbegriffes zu etwas Ewigem auf, um dem heroischen Inhalt mehr philosophische Schlagkraft zu verleihen. Aber womöglich steckt in dieser Verallgemeinerung auch das Problem, dass die Reifephase des Industriekapitalismus für Geschichtsprozesse keine Regel abgeben kann, sondern die Ausnahme darstellt. Sie unterstellt eine in sich homogene Ökonomie, aber wann und 26 27 28 29 30 31 32

K. Marx, Grundrisse, S. 27. Vgl. S. 28. Ebd., S. 364 u. 363. Ders., Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23, S. 779. Ebd., S. 765. Vgl. Kritische Bemerkungen und Ergänzungen von Wolfgang Jonas. In: J. Kuczynski. Vier Revolutionen der Produktivkräfte, S. 144 f., 170, 173 f. M. Kossok, Vergleichende Revolutionsgeschichte der Neuzeit, S. 25. Siehe G. Stiehler, Dialektik und historischer Materialismus, S. 294 u. 298–301. Die Realisierung dieses Ansatzes stellt höchste Forderungen an seine auch philosophiehistorische Umsetzung.

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wo gibt es schon eine einzige, in sich homogene Ökonomie in der Wirklichkeit? Dass das Ökonomische zum Politischen wird, ist selbst ein historisches Ergebnis politischer Auseinandersetzungen über die Frage, welchem gesellschaftlichen Handlungsbereich, alle anderen übergreifend, das Primat zukommt. Hegel entwirft dagegen das Primat des Politischen in der Form einer Bewegungspolitik, die im 20. Jahrhundert noch umkippen wird, weil sie dann keinen Idealen der Französischen Revolution mehr folgen wird. Wie kommt Hegel schon 1799 auf seinen Staatsbegriff? Hegels ausdrückliche Identifikation mit dem napoleonischen Stadium der Französischen Revolution am Ende des Jenenser Aufenthaltes ist durch Hinweise derart begleitet, dass Hegel „schon früher“ als die anderen in Jena „der französischen Armee“ des Kaisers, dieser „Weltseele“33, Glück gewünscht hatte. Dennoch ist eine direkte Beeinflussung Hegels durch die napoleonische Entwicklung in Frankreich nicht vor der Aufgabe der Theseus-Konstruktion ab 1801 anzunehmen. Ein wirklicher Stimmungswechsel bei Hegel von dem in den späten Frankfurter Jahren doch vorherrschenden „Schmerz“ über den Verlust des republikanischen Ideals zu philosophischer Kampfeslust, die sich selbst als mit der Fortführung der Französischen Revolution korrespondierend vorstellen wird, fällt erst in den ab 1801 in Jena verfassten Schriften auf. Die Oesterreicher waren inzwischen bei Marengo doch noch, bei Hohenlinden vernichtend geschlagen worden. Der deutsche Kaiser hatte der Abtretung der linksrheinischen Gebiete am 9.2.1801 zuzustimmen. In der letzten Fassung der Verfassungsschrift Hegels aus dem Jahre 1802 heißt es, noch patriotisch und zugleich vom Theseus-Patriotismus Abschied genommen: „Der Luneviller Frieden hat endlich […] einen Grund gelegt“ (F 503). Die ganze Tonlage ändert sich gegenüber der Spätzeit in Frankfurt. Hegels Jenenser Identifikation mit Napoleon als nicht mehr dem nur republikanischen General, sondern dem das neue Stadium der Revolution repräsentierenden Konsul und Kaiser, bringt Hegel die Bestätigung der Problemorientierung, die bereits in seinem Staatsbegriff von 1799 enthalten war. So sehr diese Staatsauffassung dem ideengeschichtlichen Spannungsfeld von Rousseau und Machiavelli erwächst, diese eigentümliche „Verbindung“ von Staats- und Volksgewalt entspringt Hegels eigenständiger heroischer Auswertung des „zehnjährigen Kampfs“ der Französischen Revolution (F 572) und des „Kriegs mit der französischen Republik“ (F 462). Das entscheidende weltanschauliche Regulativ dieser selbständigen Entwicklung Hegels war sein Heroismus, sein kategorischer Imperativ gegen sich selbst gerichtet, keinem „Synkretismus“, keinem „Zweiherrendienst“ (F 334) zu verfallen, und dabei doch gleichzeitig, wie Sinclair forderte, die „Form des Wissens“ entsprechend des Entwicklungsstandes der „Praxis“ zu korrigieren.34 Das Motiv, mitten im Widerstreit des Zeitalters keinem Synkretismus zu verfallen, die Selbsttreue zu wahren, taucht im Freundeskreis immer wieder auf und wird sofort als Maßstab verstanden.35 Nachdem Hegel einerseits durch die Erfahrung des französischen Verrats an 33 34

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Hegel an Niethammer. 13. 10. 1806. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 120. Das Motiv der „Selbstverleugnung“, Selbstkorrektur, der „Negation“ des intellektuellen Standpunkts zugunsten seiner Einbettung in die historische Praxis ist für Sinclair kennzeichnend. I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 255 f. Vgl. zur Haltung Hölderlins, Emerichs, Seumes u. Sinclairs gegenüber Napoleon: G. Mieth, Hölderlin, S. 110 f. u. 225 f. Sinclair war bis zur Kaiserkrönung (1804) bereit, für Napoleon zu kämpfen. Vgl. zum Kampf gegen „Synkretismus“ F. Hölderlin, An Schelling. Juli 1799. Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 383. „Die Bewegung von Fichtes subjektivem Idealismus weg zu einer Objektivität

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deutschen Republikanern ein kritisches Verhältnis zum nachthermidorianischen Stadium der Französischen Revolution entstanden war, und er um die Parallele dieser Entwicklung zur Rolle Englands gegen die amerikanische und Französische Revolution wusste, und andererseits sich Hegel aber zur Anerkennung der unheroisch-großbürgerlichen Resultate der Französischen Revolution gezwungen sah, und er die Jakobiner-Diktatur als Verkehrung des Allgemeinwillens in einen Faktionswillen betrachtete, blieb für die Aufrechterhaltung seines Heroismus, d. h. seiner Kritik an feudaldespotischer und bourgeoiser Konterrevolution gleichermaßen, ob diese nun von innen oder von außen auftritt, nur ein Weg übrig: die Antizipation des napoleonischen Stadiums und dessen Auswirkungen auf Deutschland, historisch parallel zur Entfaltung dieses Stadiums selbst. Die „Begeisterung eines Gebundenen ist ein ihm furchtbarer Moment, in welchem er sich verliert, sein Bewußtsein nur in den vergessenen, nicht tot gewordenen Bestimmtheiten wiederfindet“ (F 458, vgl. auch P 117). Hegel blieb sich treu, indem er die kleinbürgerlich-republikanische Form von Heroismus in die napoleonische Form von immerhin auch Heroismus verwandelte. Aus dieser Desillusionierung von 1799 zieht Hegel im Unterschied zu 1796 dieses Mal die Schlussfolgerung der konsequenten Selbstkorrektur, alles nicht realisierbare Sollen aufzugeben und endlich zum „Verstehen dessen, was ist“ voranzuschreiten. „Denn nicht das, was ist, macht uns ungestüm und leidend, sondern daß es nicht ist, wie es sein soll; erkennen wir aber, daß es ist, wie es sein muß, d. h. nicht nach Willkür und Zufall, so erkennen wir auch, daß es so sein soll.“ (F 463) Obgleich real Hegels spätfrankfurter Desillusionierung ja nur der Übertritt zu einer realistischeren Form von heroischer Selbsttäuschung war, gab er dadurch sich, seine ganze Jugendgeschichte, zugleich auf und stürzte in einen von ihm selbst immer wieder als „Schicksal“ erlebten, gebrochenen Heroismus, der aber, sobald er angesichts der napoleonischen Siege seine historische Selbstbestätigung und Selbstgewissheit gewann, zu philosophischem Kampf entschlossen hervortrat. Der Jenenser Hegel entwickelt eine Produktivität ohnegleichen zu sich selbst vorher und nachher, in einem historischen Moment, da die Produktivität seiner Freunde nachlässt, sei es, dass diese schwindet, auf der Stelle tritt oder, wie Hölderlins, einstweilen noch die „Maske des Wahnsinns“36 trägt, dann aber dieser Maske selbst unterliegt, sie nicht mehr von sich abreißen kann. Hegel wehrt sich: „denn der Wahnsinn ist nichts anderes als die vollendete Absonderung des einzelnen von seinem Geschlecht“ (F 581), und dieses Geschlecht ist ein historisch bestimmtes und real einzuschätzendes. Gegenüber „idealischen Gesichten der uneigennützigen Rettung von Gewissens- und politischer Freiheit“, gegenüber „der innern Hitze der Begeisterung“ gibt es die historische „Wahrheit, die in der Macht liegt“ (F 529).

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des Wirklichen differiert nicht primär in den theoretischen Quellen und Anstößen, auch nicht allein gemäß den gnoseologischen Motiven, sondern zutiefst darin, ob der rationale und citoyenhafte Anspruch aufrechterhalten oder preisgegeben wird. […] Daraus ergeben sich die alternativen Tendenzen der Fortführung oder Zurücknahme der Aufklärung.“ W. Heise, Weltanschauliche Aspekte der Frühromantik, S. 43. W. Kirchner, Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair, S. 49. Hölderlins Wahnsinn als Maske hatte zunächst auch die Funktion, sich auf diese Weise dem Kirchendienst entziehen zu können und einer eventuellen Verhaftung vorzubeugen. Vgl. ebd. auch S. 106. Vgl. zum Problem des Wahnsinns I. v. Sinclair, a. a. O., S. 255.

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Das in seiner, des Zeitalters, Macht Liegende erkennen, es nicht fliehen. „Der Stand des Menschen, den die Zeit in eine innere Welt vertrieben hat, kann entweder, wenn er sich in dieser erhalten will, nur ein immerwährender Tod, oder wenn die Natur ihn zum Leben treibt, nur ein Bestreben sein, das Negative der bestehenden Welt aufzuheben, um sich in ihr finden und genießen, um leben zu können. Sein Leiden ist mit Bewußtsein der Schranken verbunden, wegen deren er das Leben, so wie es ihm erlaubt wäre, verschmäht, er will sein Leiden; da hingegen das Leiden des Menschen ohne Reflexion auf sein Schicksal, ohne Willen ist, weil er das Negative ehrt, die Schranken nur in der Form ihres rechtlichen und machthabenden Daseins als unbezwinglich, und seine Bestimmtheiten und ihre Widersprüche als absolut nimmt, und ihnen auch sogar, wenn sie seine Triebe verletzen, sich und andere aufopfert. […] Das Gefühl des Widerspruchs der Natur mit dem bestehenden Leben ist das Bedürfnis, daß er gehoben werde.“ (F 458) Indem Hölderlins Persönlichkeit auseinanderreißt, mahnt sie die Absolutheit des Widerspruchs zwischen republikanisch-heroischem Ideal und vor- wie nachrevolutionärer Wirklichkeit. Hegel setzt mit dem Streben nach einer historisch neuen und notwendigen Lösungsform des Widerstreits zwischen Heroischem und Unheroischem ein.37 Problemgeschichtlich ist, wie bereits ( in Kap. 2. 3.) erwähnt, Hegels Formierung des Staatsbegriffes durch handelsbürgerliche Denker vermittelt. Für die spezifisch deutsche Situation, die der italienischen Entwicklung am nächsten steht, rezipiert Hegel Machiavellis „Fürsten“ als eine „höchst große und wahre Konzeption eines echten politischen Kopfs“, um erst einmal Deutschland überhaupt „zu einem Staat zu erheben“ (F 555). Ohne explizit von Hegel ausgewiesen zu sein, ist aber auch Steuarts Einfluß bei der Bildung des Hegelschen Staatsbegriffes unverkennbar. Aufschlußreich ist Steuarts Erklärung der heroischen, uneigennützigen Bestrebungen als eine historisch notwendige Reaktion auf feudal-despotische Staatsordnungen. Sind letztere aber nicht mehr gegeben, erübrigt sich, ja wird es aus großbürgerlicher Sicht geradezu falsch, die Uneigennützigkeit den Privateigentümern aufpressen zu wollen. Steuart wird die bloße und zeitweilige Mittelfunktion der republikanischen Intentionen für den Übergang zur „Gesellschaft der Handlung und Industrie“, Hegel ernüchternd, greifbar. „Bey schlechtverwalteten Regierungen bewundre ich so sehr, als irgend jemand, jede patriotische Handlung, jede uneigennützige Gesinnung, und niemand kann mit einer größeren Hochachtung als ich fuer alle diejenigen eingenommen seyn, die sich durch dergleichen Thaten merkwuerdig gemacht haben.“ Steuarts Vorstellung von heroischer Uneigennützigkeit hat ohnehin, infolge seiner historischen Sachkenntnis, nicht weltbürgerlich-idealischen Solidaritätssinn, sondern bezeichnet Uneigennützigkeit des Privateigentümers bezüglich seiner bürgerlichen Nation. Gemeint ist ein Patriotismus, der im Verhältnis zu anderen Nationen wieder Egoismus, eben nationalen Egoismus einschließt. „Jeweniger aufmerksam eine Regierung in Beobachtung ihrer Pflicht ist, desto noethiger ist es, daß jedes Individuum mit diesem patriotischen Geiste belebt werde, der als dann so gar da ermattet ist, wo er sich mit der groeßten Munterkeit aussern sollte. Hingegen jemehr sich der Patriotismus bey Verwaltung der oeffentlichen Geschaefte thaetig erweiset, desto weniger bedarf der 37

Zum Widerstreit im Unterschied zu einem Widerspruch grundlegend J.-F. Lyotard, Der Widerstreit, München 1987.

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Staat des Beistandes einzelner Personen.“38 Steuarts Parteinahme für die „Gesellschaft der Handlung und Industrie“ (mit „Industrie“ ist Übergang zur Manufakturproduktion gemeint), schließt eine antifeudale Argumentation ein, die, gestützt auf seine Einsicht in die Übergangsprozesse zum Kapitalismus, die demokratische Regierungsform als Alternative zum Feudal-Regiment historisch gleich mit abwertet. „Wenn nun aber auf der einen Seite die Gleichheit in der Demokratie die Freiheit sichert, so macht auf der andern Seite die Sparsamkeit in den Ausgaben die Industrie muthlos; und wenn auf der einen Seite die Ungleichheit in der Monarchie gefaehrlich fuer die Freiheit ist, so giebt auf der andern Seite der zunehmende Luxus eine Ermunterung zur Industrie“.39 Steuart votiert für einen von Feudalbindungen emanzipierten, bürgerlich umfunktionierten, zentralen Nationalstaat, der je nach historischen Bedingungen demokratische und monarchische Mittel, bei neuzeitlicher Dominanz der letzteren, anwendet. Hegel lässt sich unter den neuen historischen Bedingungen nicht in die „innere Welt vertreiben“, aber das ursprüngliche Anliegen, in diese aufklärerisch praktisch einzugreifen, gibt auch Hegel auf. 1800 schreibt er an Schelling, der längst zur Philosophie übergewechselt war: ich „mußte […] zur Wissenschaft vorgetrieben werden“40. Sowenig Hegel dieser Positionswechsel von der Intention volksaufklärerischen Eingreifens zur philosophischen Tätigkeit leicht fiel, und er ein auf gesellschaftliche Wirksamkeit bedachtes philosophisches Konzept entwickeln wird, ja nach Jena in Bamberg als Chefredakteur noch einmal einen Ausbruchsversuch unternehmen wird, am Ende seines Frankfurter Aufenthalts zeichnet sich ab, was in dem Brief vom Januar 1813 an Sinclair steht: „[…] mein einziges und letztes Ziel ist, Lehrer auf einer Universität zu sein“41, oder im Januar 1807 an Zellmann: „Die Wissenschaft ist allein die Theodizee“42. 1805 an Voss, von dem er Hilfe für den Wechsel nach Heidelberg, die neue Morgenröte der Wissenschaft als allgemeiner Bildung, erbittet, datiert Hegel selbst die „Zeit, als ich mich der Wissenschaft übergab“43, auf seinen Übergang nach Jena. In dem schon zitierten Brief an Schelling aus dem Jahre 1800 dient die Vorstellung von einer philosophischen Systemhierarchie bereits der Selbstrechtfertigung, dass Hegel seine eigene bisherige Tätigkeit unter Beschäftigung mit „untergeordneteren Bedürfnissen“ aufführen kann. Hegel weiß um den Verlust an allgemeiner Wirkungsintention durch diesen Schritt in die Philosophie. In dem 38 39

40 41 42 43

J. Stewart, Untersuchung der Grund-Säze von der Staats-Wirthschaft, Bd. 2, S. 6. Ebd., S. 103 f. R. L. Meek hat die „Rehabilitation von Sir James Stewart“ zwischen den beiden Weltkriegen und nach dem 2. Weltkrieg aus der Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus heraus begriffen. Bürgerliche Ökonomen legitimierten ihre Konzeptionen in diesem Stadium der kapitalistischen Gesellschaftsformation durch Rückgriff auf vorklassische Konzeptionen der aufsteigenden Bourgeoisie, insbesondere hinsichtlich der Notwendigkeit der Intervention eines verselbständigten Staates. R. L. Meek, Ökonomie und Ideologie, S. 19 ff. Paul Charaley bezog in diese Rehabilitation Stewarts gleich Hegel mit ein. P. Chamley, Economié politique et philosophie chez Steuart et Hegel conclusion, S. 221 f. Walter Euchner, der vorgibt, philosophisch „eine linke konsequente Reformpolitik“ zur Geltung zu bringen, schreibt: „Hegels politische Philosophie soll in Deutschland einmal Staatsphilosophie gewesen sein. Sie hat das Zeug, geringfügig retouchiert, diese Rolle heute noch zu spielen.“ W. Euchner, Egoismus und Gemeinwohl, S. 133 u. 199. Hegel an Schelling am 2. 11. 1800. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 59. Hegel an Sinclair (Entwurf) Anfang 1813. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 2, S. 5. Hegel an Zellmann am 23. 1. 1807. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 137. Hegel an Voss Mai 1805. In: Ebd., S. 98–100

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November 1801 entstandenen Aufsatz „über das Wesen der philosophischen Kritik […]“ heißt es: „Die Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht, noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig; sie ist nur dadurch Philosophie, dass sie dem Verstande; und damit noch mehr dem gesunden Menschenverstande, worunter man die lokale und temporäre Beschränktheit eines Geschlechts der Menschen versteht, gerade entgegengesetzt ist. Im Verhältnis zu diesem ist an und für sich die Welt der Philosophie eine verkehrte Welt.“ (J 124 f.). Dies steht in krassem Gegensatz zu der ganzen Ausrichtung des frühen Hegel bis zum Winter 1798/99. Gleichwohl ist damit dem gesunden Menschenverstande der Kampf durch ein philosophisches System angesagt. Auch die Äußerungen von Zeitgenossen dokumentieren diesen Kontrast. Die Pole dieser Entwicklung Hegels schon innerhalb der Entstehungsgeschichte seiner Philosophie sind hier beim Namen zu nennen. Am Ende des Tübinger Studiums, als Hegel mit Hölderlin noch „für einen derben Jakobiner“ galt und sein Lieblingswort „Kopf ab“ gewesen sein soll, „sein Held Jean Jacques Rousseau (war), in dessen Emil, Contrat social, Confessions“ er las, Hegel sich mit seinen Freunden auf dem Wege der „Sentiments […] allgemeiner Verstandesregulierungen, oder wie Hegel sagte, Fesseln entledigte“, er „exzentrisch“ wirkte, fand Hegel „noch wenig Geschmack“ an Kant, „war Metaphysik Hegels Sache nicht sonderlich“44. Dieser Hegel, der durch keine „tiefere Gelehrsamkeit in irgendeinem Zweig des Wissens“ glänzte, dagegen sich aber „durch vielseitigere Kenntnis in der neueren Literatur, besonders der aufklärerischen“, auszeichnete, erschien vom traditionsbewussten Standpunkt einer akademischen Gelehrsamkeit und Reinheit philosophischer Systemkonstruktionen in Deutschland durch und durch als „Eklektiker“, immerhin schon als „gescheiter Eklektizismus“.45 Der frühe Hegel suchte sich aus den unterschiedlichen Philosophien heraus, was er für sein aufklärerisch-praktisches Anliegen zum Zwecke der Verwirklichung republikanischer Freiheit des Volkes gebrauchen konnte. Ob diese Gedanken sauber in ein philosophisches System zusammenpassen oder nicht, entsteht ihm keine Sorge. Hegel muss zur Philosophie getrieben werden. Er philosophiert immer dann, wenn der Desillusionierungsschub nicht mehr anders abzufangen ist, oder wie der Jenenser Hegel in seiner „Differenz des Fichtischen und Schellingschen Systems der Philosophie“ (1801) über „das Bedürfnis der Philosophie“ schreibt, wenn „Entzweiung“ (J 12) einsetzt. Er philosophiert jeweils gegen Ende des Berner und des Frankfurter Aufenthaltes. Hegel kommt aus Bern „in sich gekehrt zurück“ und ist „fidel“, bekundet Hegels Schwester, nur im „traulichen Zirkel“, „in unserem Zirkel“, wie Hölderlin schreibt, gegenüber dessen Sensibilität freilich Hegel als ein „ruhiger Verstandesmensch“ erscheint, bei dem man sich „gut orientieren kann, wenn man nicht recht weiß, in welchem Falle man mit sich und der Welt begriffen ist“46. 1796 drohte Hegel die Einsicht, dass in seinem Zeitalter die Rechte des Volkes erst und nur in der Theorie zu vindizieren seien (F 209). 1797/98 bewahrt ihn noch einmal zeitweilig der „Zirkel“ Hölderlins und Sinclairs davor, sich bereits dem philosophischen Aufstieg Schellings anzuschließen. 1800 sieht Hegel keine andere Möglichkeit mehr, als sein „Ideal des Jünglingsalters“ in eine „Reflexionsform, in ein System“ zu verwandeln, nicht ohne die Frage 44 45 46

Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. G. Nicolin, S. 16 f. Ebd., S. 12 u. 14 f. Ebd., S. 27 u. 33.

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„welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist“ zu wiederholen.47 Der stille Vorwurf Hegels gegen Schelling von 1795, die Nichtphilosophen würden Schelling nicht verstehen können, wiederholt sich nicht mehr. Oehlenschläger rangiert den Jenenser Hegel klar als „theoretischen Philosophen“ ein, im Unterschied zu Dichtern und Helden, letzteres heißt im Unterschied zu Knebel. Schiller sieht im Jenenser Hegel einen „gründlichen philosophischen Kopf“, doch Schiller kann ihn Wilhelm von Humboldt nicht empfehlen: „Sie wollen keinen Metaphysiker, auch ist dieser etwas kränklich und grämlich“.48 1806 ist Hegel bereits genügend klassisch orientiert, so dass Goethe „nach alter akademischer Weise mit Hegel manches philosophische Kapitel“ durchsprechen kann. Goethe reiht Hegel mit Kant unter die „Verstandesphilosophen“ ein.49 Zu Goethes tiefem, seine breite Nachwirkung selbst organisierenden Lebensgenuss gehörte es, u. a. auch zu philosophieren. Ihm ging der Hölderlinsche Erfahrungshorizont gänzlich ab, aus dem Hegel stammte. Schillers und Goethes Ausruf nach der Ermordung der den Rastatter Kongreß verlassenden französischen Gesandten: „so ist’s recht, diese Hunde muß man totschlagen“,50 differiert entschieden mit Hegels Haltung 1799 und auch später. Die Menschen „vereinigen“, aber „nicht wie das Spiel“, sagt Hölderlin.51 Hegel spielte nicht aus weiser und sozial gesicherter Lebenslust mit auch philosophischen „Schiffchen“52, wie Goethe, sondern wurde durch das „Schicksal der Entzweiung“ allein in die Philosophie geworfen. Hegel fiel es nicht leicht, sich über diese seine Not sogleich als einer Tugend zu „verständigen“. Die Affinität des Jenenser Hegel zur Weimarer Klassik ist im Herbst 1803 ausreichend fortgeschritten, so dass sich Goethe und Schiller mit dem „Problem“ beschäftigen, ob man Hegel nicht, wie Goethe an Schiller schreibt, „durch das Technische der Redekunst einen großen Vorteil schaffen könnte“, welches doch ein Akademiker beherrschen müsse. Goethe und Schiller organisieren den rhetorisch gewandten „Flachkopf“ Professor Fernow, damit Hegel im Umgang mit diesem „auf eine Lehrmethode denken“ muss, um „seinen Idealismus zu verständigen“.53 1806 häuft sich in Goethes Tagebuch die Eintragung: „Abends Professor Hegel“. Hegel ist im Zenit der deutschen Klassik angelangt und wird seine Hauptwerke schreiben.54 Der Berner Hegel spiegelte seinen späteren Lebensweg in Catos Wandel noch als Gefahr: „Cato wandte sich erst zu Platons Phaidon, als das, was ihm bisher die höchste Ordnung der Dinge war, seine Welt, seine Republik zerstört war; dann flüchtete er sich zu einer noch höheren Ordnung.“ (F 205) Hegels Freundschaft zu Hölderlin überzieht ein Schweigen. Zu eben jener Zeit, als Sinclair seinen Hochverratsprozess hatte, Baz wieder auf den Hohenasperg geschleppt wurde, und Hölderlin, vor Verhaftung nicht sicher, wahnhaft schrie, er werde doch kein Jakobiner bleiben, hing, wie die „Hallischen 47 48 49 50 51 52 53 54

Hegel an Schelling am 2. 11. 1800. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 59 f. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 72 u. 52. Ebd., S. 75. J. G. Fichte an K. L. Reinhold am 22. 5. 1799. In: Fichte, Briefe, S. 240. F. Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 4, S. 340. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 75. Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 54. Vgl. aber zum Sachgehalt der Zusammenarbeit Goethes und Hegels, das Absolute nicht mehr als Anfang, sondern als Resultat der Entwicklung zu verstehen, jüngst E. Förster, Die 25 Jahre der Philosophie. 12. Kap.

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Jahrbücher“ respektvoll berichten, der „Geist von Jena“ schon zu einem guten Teil an den „Kathederindividuen“ Schelling und Hegel.55 Bei Behandlung des Berner und frühen Frankfurter Hegel waren die Ebene politisch praktischer Tätigkeit für eine deutsche Republik (Forster und Cotta, Baz und Sinclair) und die Ebene der Bildung politischer Konzepte, welche noch auf derartige deutsche republikanische Versuche bezogen werden müssen (Forster, Sinclair, Hegel), unterschieden worden. Um Hegels Verhaltensweise in jenem „Schisma, das zwischen 1797 und 1803 sich herausbildet in der jungen Generation der um 1770 Geborenen“, für „die der Ausbruch der Revolution in die bildsamsten und begeisterungsfähigsten Jahre“ gefallen war, „die aber keine echten Aktionsmöglichkeiten, bestenfalls Forderungen der Eingliederung, des Gehorsams, der inneren und äußeren Spesen der sozialen Sicherung und Etablierung“ vorfanden,56 zu erfassen, ist die Berücksichtigung einer dritten Ebene erforderlich, die bisher bei der Differenzierung Sinclairs und Hölderlins gegenüber Fichte schon angedeutet worden war. Es handelt sich um die, wie Schiller sagen würde, „Sphäre“ oder das „Medium“ von systematisch-philosophischer Tätigkeit in Deutschland, die institutionell an die Laufbahn eines Universitätsgelehrten gebunden ist. Um wenigstens nicht gedemütigter Hofmeister von Aristokraten- oder Bankiers-Kindern bleiben oder gar predigender Pfarrer werden zu müssen, war, wo schon freier Schriftsteller zu werden in der Regel keine Aussicht bestand, geschweige Tribun als Alternative zu gelten hatte, die Stelle eines Akademikers begehrenswerte Not. Fichte gestand 1799 sein Geprägtsein an Jung. Er wusste, dass die Französische Republik jetzt als nächstes nicht Wissenschaft, sondern „schreckende Rache“, nur die politisch-militärisch „furchtbarste Überlegenheit“ brauche. Fichte kann sich nach seinem Jenenser Rausschmiß der Französischen Republik nur als schriftstellender Gelehrter anbieten. Fichte markiert 1799 in Auswertung des sog. Atheismus-Streits deutlich diese Reizschwelle, die Hegel auch nicht mehr anonym, wie in seiner Cart-Schrift von 1797 oder gar Flugschrift von 1798, zu überschreiten gedenkt: „sie verfolgen in mir einen Freidenker, der anfängt, sich verständlich zu machen (Kants Glück war seine Obskurität)“. Praktisch-politische Revolutionsparteien könnten den geistig tätigen Individuen eine von der umzuwälzenden Gesellschafts- und Staatsordnung unabhängige Existenzmöglichkeit geben, allerdings in Frankreich auch mit dem Risiko der Guillotine verbunden. Fichte schreibt an Jung: „In dieser Lage (daß die Praxis der revolutionären und konterrevolutionären Partei einander gar ähnlich wird: HPK) mußte ich es für ein Wagstück halten, mich ohne die äußerste Not der Republik anzuvertrauen“.57 Der Mangel an praktisch-politischen Parteienkämpfen in Deutschland ist bekannter Grund deutscher Kopflastigkeit. In dieser Zeit stapeln sich die unveröffentlichten Manuskripte, deren Berg nur dadurch nicht noch größer wird, dass die Autoren die Reizschwelle in Selbstzensur verinnerlichen. Die Blüte des philosophischen Mediums ist Kehrseite einer nationalen Misere. Die allgemein registrierte Unverständlichkeit der Philosophen, sowohl aufgrund der historischen Unerfahrenheit der breiten deutschen Volksschichten als auch in der mehr oder weniger bewussten Verselbständigung der philosophischen 55 56 57

Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 81. Siehe auch F. Hölderlin, Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 7/2, S. 319. W. Heise, Weltanschauliche Aspekte der Frühromantik, S. 30 u. 26. J. G. Fichte an F. W. Jung am 10.5. 1799. In: Fichte, Briefe, S. 238.

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Tätigkeit entstanden, ist auch Form ohnmächtigen Protestes. Kommende Generationen geraten in die Lage, aus den verschieden gesetzten theoretischen Kommas auf die eigentlichen Standpunkte der Autoren, insofern diese ihre eigenen Positionen nicht schon beim Schreiben verdrängten, schlussfolgern zu müssen. Josephine Schelling berichtet von der „Komödie“ der so bunten Jenenser „Societät“, in der „alle Tage neue Allianzen und neue Brüche“58 zwischen den volklosen Intellektuellen entstehen. In Frankreich entschied der praktisch-politische Parteienkampf über die Entwicklung Europas. In Jena muss Schelling schon von sich selbst begeistert sein, wenn er auf dem Katheder vor Studenten mehr Erfolg hat als Schlegel. Ein Mann wie Hegel hat sich mit dem Privatdozenten namens Krause aufzuhalten und hätte ohne Goethes Einsatz noch nicht einmal die Ehre gehabt, 1805 mit Fries zum außerordentlichen Professor ernannt zu werden. Goethe zeigt 1804, auf welchem Wege man über nichts trage ein Leid: „Macht’s wie der Narr, so seid ihr gescheit“.59 Fichte zieht die Schlussfolgerung, an die sich Hegel bei allen Ausbruchsversuchen ohne größeren eigenen Reinfall gleich hält: „Ich hätte mich mit ihnen (den die Volksmeinung organisierenden Geistlichen : H.-P. K.) nicht auf ihrem Felde einlassen sollen: und darum geschieht mir ganz recht daran, daß sie mich überlistet haben“. Dem setzt der damals schon radikalste klassische deutsche Philosoph die List entgegen, sich nicht überlisten zu lassen, d. h. erneut Kantsche Obskurität. Die Beeinflussung des Volkes den Geistlichen zu überlassen, bestätigt den Teufelskreis, in welchem sich die klassischen deutschen Philosophen bewegen: „wird nicht die Geistlichkeit, wohin ich mich auch wende, den Pöbel gegen mich aufhetzen, mich von ihm steinigen lassen, und nun - die Regierungen bitten, mich als einen Menschen der Unruhen erregt, zu entfernen?“60 Dagegen war gerade beim frühen Hegel das Konzept der Volksreligion zum Zwecke der Begründung der Einheit zwischen Volk und republikanischen Aufklärern gerichtet, aber als ein objektiv in Deutschland nicht realisierbarer Versuch. Hegel, inzwischen in die Tradition klassischer deutscher Philosophie getrieben, knüpft an Fichtes Rehabilitation Kantscher Obskurität an. Diese Wiederaufnahme von Obskurität erfolgt bei Fichte bewusst im Gegensatz zu „Rousseaus Beispiel“. Rousseaus Wirksamkeit im vorrevolutionären Frankreich und ach so „freien“ Genf hatte zur Folge, sein Leben lang von einem Ort zum nächsten davongejagt zu werden. So bleibt die erbärmlich kleine Freude, auf philosophischer Ebene etwas so listig zum Ausdruck zu bringen, dass es auch gebildetere „Zensoren“61 nicht verstehen. Die Verfassungsschrift ist Hegels letzte umfangreichere Arbeit, die in der Schublade bleibt. Seine großen philosophischen Werke sind „obskur“ (Fichte) genug, veröffentlicht zu werden. Er sieht sich gezwungen, sogar eingeweihten Leuten, wie seinem Freund Niethammer, Aussagen der Phänomenologie in die historisch-politischen Zeitereignisse zurückübersetzen zu müssen. Er wird ein Meister der Transformation in verselbständigte, über die Notwendigkeit einer Fachsprache hinausgehende philosophische Kommunikation. Der Zeitgenosse Jean Paul, einer der ganz wenigen, die Hegel seinerzeit überhaupt 58 59 60 61

Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 51. J. W. Goethe, Der Narr epilogiert. In: Werke, Bd. 1, S. 307. J. G. Fichte an K. L. Reinhold am 22. 4. 1799. In: Fichte, Briefe, S. 232. Ebd. 188 f.

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verstehen können, stellt Hegels „verworrenes Schreiben oder Denken“ in den richtigen historischen Zusammenhang: „in anderen, weniger von Philosophie saturierten Zeiten würde er mehr präzipitieren und mehr aufklären mit seinem Menstruum“. Daß gerade Jean Paul in Hegels Phänomenologie „Klarheit, […], Freiheit und Kraft“62 erkennen kann, ist insofern aufschlussreich, als Jean Paul eine weder der Weimarer Klassik noch der deutschen Romantik zuzuordnende Entwicklung genommen hat, wie auch der vergleichsweise leidige und weniger weltbürgerliche Hölderlin, zu dessen weltanschaulichem Umkreis Hegel maßgeblich gehörte, ohne dass Hegel bei aller realistischen Umformung und immanent-philosophischen Transformation den ursprünglichen heroischen Impuls später je gänzlich verleugnete. Jean Pauls Aufnahme der realistischen Tradition des englischen Romans aus dem 18. Jh.63 ist eine interessante literaturgeschichtliche Parallele zu Hegels philosophischer Aufnahme der britischen Ökonomie des 18. Jh., eine Parallele deutscher Bewältigung weltbürgerlicher Prosa. Hegels Übergang von aufklärerisch-praktischer Wirkungsabsicht zu philosophischtheoretischer Aktivität folgt der gewonnenen Einsicht, dass der „Revolutionsbereitschaft“ der „intellektuellen Spitze“ (Werner Krauss) in Deutschland keine Volksbewegung antwortet. Sie steht zugleich in Einklang mit Hegels Schlussfolgerung aus zehn Jahren französischer Revolution, dass die Volksgewalt nur staatlich organisiert vernünftig ist. Die unter gnoseologischem Aspekt sensualistische, unter ethischem Aspekt kleinbürgerlich-heroische, unter dem Aspekt der Aneignungsweisen ästhetische und im breiten-ästhetischen Sinne religiöse Opposition des frühen Hegel gegen die bestehende Gesellschafts- und Staatsordnung erfolgte im Namen des Volks als dem Subjekt des historischen Fortschritts, im Gegensatz zu der rationalen, eudämonistischen und reflexiven, jedenfalls „mechanizistischen“ Denkweise der großbürgerlichen Aufklärung, die dem frühen Hegel die Versklavung der republikanischen Freiheit des Volkes und eines jeden Individuums durch die zentralisierten europäischen Staatsmaschinen repräsentierte. Die insbesondere durch den frühen Frankfurter Hegel gewonnene Einsicht, in politischer Hinsicht selbst „kalte Berechnungen“ anstellen zu müssen, und theoretisch, um nicht in einem emotionalen und nur ästhetisch begründeten Begeisterungstaumel zu verbleiben, selbst reflexiv verfahren zu müssen, hatte aber die Funktion nur des Mittels, im Sinne des Sinclairschen und Hölderlinschen Konzepts, doch noch die hervorgetretenen Realisationsnöte des ursprünglichen Anliegens zu bewältigen. Mit der Spätfrankfurter Abwertung der Rolle des Volks und Aufwertung der Rolle des „höchstverständigen“ (F 483) Staats als der entscheidenden Struktur des historischen Fortschritts änderte sich auch sukzessive Hegels Einschätzung der Oppositionsmöglichkeiten in den einzelnen gesellschaftlichen Sphären, insbesondere sein Verhältnis zur Reflexion. Hegel stößt in Auswertung der Französischen Revolution auf den neuen Typ von massenhaftem Alltagsbewusstsein in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft. Dieser ist nicht mehr religiös organisiert oder bemäntelt, wie noch nachwirkend im unterentwikkelten Deutschland, sondern verständig. Was Hegel bisher zum einen als philosophische Bestimmung des Verstandes im Unterschied zur Vernunft kantisch traditionell, zum zweiten als Argumentationsweise der schon praktisch wirksamen großbürgerlichen Aufklä62 63

Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 86 f. Wolfgang Harich, Jean Pauls Revolutionsdichtung. Vgl, S. 124 u. 361.

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rung im Interesse der Staatsmaschine und zum dritten als abstrahierender Verstand in den Geschichtswissenschaften, bei Steuart und Hume, begegnet war, erkennt Hegel nun als „gesunden Menschenverstand“ im Volke selbst. Durch die Französische Revolution haben „die Begriffe über Freiheit eine Veränderung erlitten“ (F 570), und dies nicht nur dem sozialen Inhalt nach, sondern auch der massenhaften Verbreitung nach, denn „nicht einzelne wissen es durch Erlernung als einen wissenschaftlichen Begriff, als ein Resultat eines willkürlichen Studierens“, auch nicht die durch Aufklärer repräsentierte „öffentliche Meinung“ schlechthin weiß es, sondern die „Teil des gesunden Menschenverstandes“ gewordene öffentliche Meinung (F 572). Durch die Französische Revolution „sind bestimmte Gestalten und Begriffe in die Volksmeinung getreten“ (F 572). Hegel wird das eigentümliche Gemisch der unterentwickelten Bewusstseinstruktur des deutschen Kleinbürgers fassbarer. Es war einerseits ein „Beschauen und Genuß seiner völlig untertänigen kleinen Welt, und dann auch eine diese Beschränkung versöhnende Selbstvernichtung und Erhebung an den Himmel“, und andererseits schon ein „dürres Verstandesleben […], sein Eigentum, Sachen, zum Absoluten zu machen“ (F 458 f., vgl. auch P 117 f.). Außer diesen religiös verbrämten, kümmerlichen Verstand deutscher Bürger sieht Hegel in Deutschland noch eine gehobenere Begriffskultur, die der deutschen „Staatstheorie“. Diese diagnostiziert Hegel, da sie apologetischen Charakter trägt und nicht wie in Frankreich auf wirklicher historischer Volkserfahrung und wirklicher Machtkonstellation beruht, als spezifisch deutsche Begriffskrankheit. In seiner Verfassungsschrift bestimmt Hegel den Zusammenhang zwischen der historischen Entwicklung in Deutschland und der deutschen Fähigkeit, durch Begriffsgeschaukel, durch ein „Sich-Herumtreiben“ in „allgemeinen Ausdrücken“ die „Praxis“ unbegreiflich werden zu lassen. „Als im Verlauf der Zeit die Veränderung der Sitten, der Religion, besonders des Verhältnisses der Stände nach dem Reichtum eine Trennung in Ansehung des innern, durch den Charakter und allgemeine Interessen bestehenden Zusammenhangs bewirkt hatte, waren, um Deutschland, dessen Bewohner aufhörten, ein Volk zu sein, und eine Menge wurden, zu einem Staat zu verbinden äußere rechtliche Bande notwendig“ (F 524). Da letztere aber machtlos zu einem „lächerlichen Aberglauben an die ganz äußeren Formen, an das Zeremoniell“ (F 562) führten, warf sich „der deutsche Charakter […] auf das Innerste des Menschen, Religion und Gewissen, befestigte von hier aus die Vereinzelung, und die Trennung des Äußeren als Staaten erschien nur als eine Folge hievon“ (F 517) Schließlich gab „es kein besseres Mittel, als einen allgemeinen Ausdruck zu finden“, der dort das „bürgerliche Leben“, hier die „Politik“ befriedigte, denn er ließ in praxi alles bei der alten Zerstückelung. Die Deutschen erzeugten sich „jahrhundertelang mit solchen allgemeinen Ausdrücken einen Schein von Vereinigung“ (P 138). Was den Deutschen auf ökonomisch-politischer und moralisch-religiöser Ebene an realer Vereinigung fehlt, stellen sie sich als „Gedankendinge“, bloß als „Gedankenstaat“ (F 508) vor. Hegel kann nicht die Forderung der Gleichheit des Eigentums zugunsten der Anerkennung des bürgerlichen Eigentums aufgeben und die Volkssouveränität im Rousseauschen Sinne zugunsten der Notwendigkeit eines zentralen Staats fallen lassen, ohne den der bürgerlichen Gesellschaft adäquaten Typ von gesellschaftlichem Bewusstsein zu akzeptieren. Der Verstand der Bürger heißt im gemeinen praktischen Leben, das Eigentum, die Sachen zum Absoluten zu machen (F 458). Der Verstand der Aufklärung bedeutet die hochverständige Staatsmaschine zum Grundsatz der öffentlichen Meinung erklären. Der

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Verstand der neueren historischen Wissenschaften, wie bei Steuart, beinhaltet, den Eigennutz der Bürger als Triebrad des ganzen historischen Prozesses theoretisch zu begründen. Dazu kommen die Hegel bekannten besonderen Funktionen leerer Begriffe infolge deutscher Ohnmacht, ob im gemeinen Leben oder in der Staatstheorie Deutschlands. Die mit Macht durchbrechenden verständigen Bestimmtheiten auf den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Verhaltensebenen verallgemeinernd schreibt Hegel in seinem ersten philosophischen System 1800: Der „Verstand“ aber ist der „Tod“ (F 422). In der Tat, der real-bürgerliche Inhalt, wie ihn die aus der Französischen Revolution resultierende bürgerliche Gesellschaft gewahr werden lässt, ist die Vernichtung von Heroismus. Wie Hegel die Anerkennung des bürgerlichen Eigentums wieder aufhebt durch die gesellschaftsbegründende Rolle des Staates, der sich eben deshalb verselbständigen muss; wie Hegel die Notwendigkeit der Staatsmaschine wieder aufhebt durch freie Aktivität des Volks, wodurch die zugleich Volksgewalt seiende Staatsgewalt erst vernünftig wird, hebt Hegel philosophisch allgemein gefasst den Verstand mittels des dem Verstand in der jeweiligen gesellschaftlichen Sphäre Entgegengesetzten wieder auf zur Vernunft, so den Heroismus zu retten. Die ursprüngliche Intention der ästhetischen Opposition findet Eingang in Hegels Vernunftbegriff. Doch in jenem historischen Moment, da die nationalen, emotionalen, ästhetischen und religiösen Potenzen der deutschen kleinbürgerlichen Opposition gegen die vor- und nachrevolutionäre Wirklichkeit sich unter politisch reaktionärem Rückgriff auf die „Sage von der deutschen Freiheit“ (P 120) des Mittelalters romantisch verkehren in Nationalismus, Gefühlsduselei, individualistischen Ästhetizismus und einen „Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit“64, produziert Hegel einen erneut welthistorisch orientierten, alle theoretischen Kräfte sammelnden, sich erneut heroisch aufrichtenden Vernunftbegriff, der den Verstand auf seinem eigenen Felde, d. h. durch „Reflexion“ (J 16), zu schlagen hat. Zwei Bemerkungen zu der an Marx anschließenden Interpretation des jungen Hegel sollen dies Unterkapitel beschließen. Joachim Streisands Orientierung darauf, Hegels Entwicklungsphasen nicht direkt aus den Entwicklungsphasen der Französischen Revolution heraus erklären zu können, sondern nur vermittelt durch die jeweiligen Auswirkungen der Etappen der Französischen Revolution auf die historische Situation in Deutschland, besteht völlig zu Recht.65 Die frühe Frankfurter Neubelebung der kleinbürgerlich-republikanischen Illusion widerspricht gerade der französischen Phase zwischen Thermidor und Napoleons Staatsstreich, weil sie sich auf den durch den Namen Sinclair vertretenen deutschen republikanischen Versuch bezieht. Auch der Berner Hegel ist nicht ohne Forster, und wofür dieser bürgt, die spontanen deutschen Bauernunruhen angesichts der Französischen Revolution und Cotta vergleichbare republikanische Anstrengung in Deutschland zu verstehen, statt Hegel unmittelbar auf die Jakobiner-Diktatur in Frankreich zu beziehen. Die starke Bindung von Hegels Jenenser Vorstellungen über die weltgeschichtliche und deutsche Entwicklung an die Rolle des napoleonischen Frankreichs ist erst das Ergebnis der Auswertung des zweiten Koalitionskrieges, wenngleich eine solche Bindung ab 1799 in Frankfurt im Sinne der Notwendigkeit des Eroberers entsteht. 64 65

G. Heinrich, Geschichtsphilosophische Positionen der deutschen Frühromantik, S. 201 ff. J. Streisand, Kritische Studien zum Erbe der deutschen Klassik, S. 61 ff.

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Wie Streisand und Irrlitz bereits feststellten, sind die Jahre des zweiten Koalitionskrieges die für die Herausbildung der politischen Grundhaltung Hegels entscheidenden Jahre.66 In der Bestimmung der Grundposition Hegels als napoleonischer Form von Heroismus versuche ich, Lukács’ wegweisender Orientierung auf den Zusammenhang zwischen napoleonischer Praxis und Hegelscher Philosophie zu folgen.67 Dieser historische Ansatz von Lukács steht aber dem zweiten von Lukács entgegen, Hegels Philosophie aus „den“ Problemen „der“, oft noch ausdrücklich „entwickelten“ kapitalistischen Gesellschaft ableiten zu wollen. Der erste Ansatz führt zu der richtigen Erkenntnis, dass Hegels Philosophie durch und durch als Philosophie des Überganges entsteht. Hegels napoleonischer Heroismus unterstellt gerade die kapitalistische Gesellschaft als unentwickelte, vorindustrielle. Der zweite Ansatz bei Lukács ist mehr seiner Auswertung der Entwicklungsprobleme der kommunistischen Bewegung und marxistischen Theorieproduktion in seiner Epoche geschuldet, als dem philosophiehistorischen Material Hegels. Lukács’ Hegel-Interpretation ist Bestandteil seiner eigenen philosophischen Konzeption für die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus.68 Lukács verstand sich selbst als jemanden, der in das bonapartistische Stadium der proletarischen Revolution geraten ist. Ich halte aber auch jede nur tendenzielle Schlussfolgerung aus dem zweiten Interpretationsansatz von Lukács für falsch, die Hegel auf einen antifeudalen Denker reduziert. Der Todfeind der heroischen Vernunft Hegels ist der Verstand, und nicht, wie im nächsten Unterkapitel ersichtlich werden wird, der „Unverstand“. Ich hoffe weiterhin zeigen zu können, dass Hegel der bürgerliche Charakter der verständigen Form sozialen Verhaltens im Unterschied zu feudalen Verhaltensweisen bewusst ist. Der erste Ansatz erlaubt es, die Verselbständigung der Hegelschen Vernunft aus napoleonisch- heroischen Beweggründen zu begreifen. Diese Verselbständigung weist gerade jene MehrFronten-Stellung philosophisch transformiert auf, die den sich gegenüber seinen eigenen Bourgeois verselbständigenden napoleonischen Citoyen praktisch kennzeichnet. Und sie wirft das darüber hinausgehende Problem nach dem Politischen und damit dem Primat zwischen ökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen in der modernen Gesellschaft im Ganzen auf. Abstrahieren wir augenblicklich von den spezifisch deutschen Vermittlungen und reduzieren Hegels Jugendentwicklung auf seine letztlich welthistorischen Impulse, so bezieht sich Hegel bis zum Winter 1798/99 auf die kleinbürgerlich-republikanische Substitution der großbürgerlichen Citoyentypen und ab 1799 antizipatorisch auf die napoleonische Substitution direkter Hegemonie der Bourgeoisie. Hegel war nie im ökonomi66 67 68

Ebd., S. 94. G. Irrlitz, Einleitung in Hegels politische Schriften, S. XXXIV. G. Lukács, Der junge Hegel, S. 336 ff., 340 f., 433 f., 447, 44S 519, 576. Vgl. zur historischen Bedingtheit des zweiten Ansatzes der 1938 fertig gestellten Studie von G. Lukács (seiner Haltung gegen den Faschismus bzw. Nationalsozialismus, die Abweichung der II. Internationale und seine Position zur Entwicklung der Kommunistischen Bewegung nach Lenin) ebd., S. 6 ff., 8 f., 13 f., 209, 459. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Arbeit und Tätigkeit ders., Ontologie, S. 72 f. Vgl. zur Ableitung des jungen Hegel aus dem entfalteten Kapitalismus G. Lukács, Der junge Hegel, S. 573 u. 596. Vgl. auch ebd., S. 450, 545, 553, 570. Auf diesem Wege können Kant und Hegel (S. 200), Feuerbach und Hegel (S. 146) sowie Marx und Hegel (S. 402) nicht differenziert werden. Vgl. dagegen ebd., S. 207 u. 70. Vgl. W. Mittenzwei, Gesichtspunkte. In: Dialog und Kontroverse mit Georg Lukács, S. 83.

Gegen die „nordwestliche“ Verstandeskultur

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schen Sinne bürgerlicher Liberaler, wenn man darunter den Primat der Ökonomie über die moderne Gesellschaft im Ganzen versteht. Wohl aber hat er in Jena, wie wir noch sehen werden, die Ausdifferenzierung einer liberalen Ökonomie zu einem Teilsystem der modernen Gesellschaft begründet. Er war ebenso wenig im bürgerlich-parlamentarischen Sinne zwecks Realisation bourgeoiser Hegemonie repräsentativer Demokrat. Die Unterordnung der Politik unter den Primat der Ökonomie im Ganzen ist mit Heroismus unvereinbar. Dies gilt umso mehr für die Subordinierung der geistigen Kultur unter Politik und Ökonomie. In Hegels Übergang von kleinbürgerlich-republikanischem Heroismus zu napoleonischem Heroismus liegt die Kontinuität und Diskontinuität seiner Entwicklung begründet. Der napoleonische Heroismus motiviert Hegels bürgerliche „Selbstkritik“. Marx hat die Bedeutung des „nur unter ganz bestimmten Bedingungen“ entstehenden weltanschaulichen Motivs von bürgerlicher Selbstkritik in den klassisch-bürgerlichen Erkenntnismöglichkeiten hervorgehoben.69 Sie ist unter reifen kapitalistischen Bedingungen infolge des Klassenkampfs gegen das Proletariat kaum mehr möglich. Der Verfall in Ideologie setzt ein. Unter bestimmten Übergangsbedingungen aber muss der weltanschauliche Motor dieses Übergangs, der Heroismus, obgleich die unheroischen Resultate bereits hervortreten, auf der Höhe der Leidenschaft inmitten dieser welthistorischen Tragödie erhalten werden. Dies erfordert eine Kritik der bourgeoisen Resultate, die diese als der Feudalgesellschaft überlegen akzeptiert und sie doch zugleich als noch heroisch beherrschbar nachweist. Marx stellt Selbstkritik der Bourgeoisie im Interesse ihres historischen Durchbruchs insbesondere als die Voraussetzung des Historismus der bürgerlichen Ökonomie dar. Steuart gilt für Marx als der entscheidende, historisch verfahrende Interpret der bürgerlichen Ökonomie. Eben dieser Steuart ist direkt der ideengeschichtliche Katalysator der spätfrankfurter Entwicklung Hegels (vgl.2.3.).

3.2 Die Aufgabe der Philosophie, die geistige Hegemonie über die „nordwestliche“ Verstandeskultur zu erringen Hegel fordert in der „Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie“ (1801), „die Aufgabe der Philosophie mit Bewußtsein“ (J 11) zu lösen. Er beginnt sein philosophisches Debüt mit „allgemeinen Reflexionen […] über Bedürfnis, Voraussetzung, Grundsätze der Philosophie“: Um überhaupt „Eingang in die Philosophie“ Hegels zu finden, „bis einmal durchaus nur von der Philosophie selbst die Rede ist“ (J 8), verdienen die Nahtstellen über den Zusammenhang von außerphilosophischen Voraussetzungen und Konstitution der Hegelschen Philosophie aus sich selbst heraus, wie sie Hegel angibt, Beachtung. In der Differenzschrift bedenkt Hegel mit beißendem Spott Karl Leonhard Reinholds „letzte Beendigung der Beendigungen“ der Philosophie. Hegel stellt deutlich den Zusammenhang der französischen Revolutionsgeschichte und deutschen Philosophiegeschichte heraus, wodurch Hegel sogleich, in einem gegenüber dem späten Frankfurter Hegel neuen Selbstbewusstsein, seinen philosophischen Neueinsatz als korrespondierend mit der Fortführung des welthistorischen Ereignisses der Französischen Revolution vorstellt. „Wie: La révolution est finie, zu sehr häufigen Malen in Frankreich 69

K. Marx, Grundrisse, S. 26.

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dekretiert worden ist; so hat auch Reinhold schon mehrere Enden der philosophischen Revolution angekündigt“. (J 81) Welche Bedeutung hat es, dass Hegel, wie er an Knebel 1807 schreibt, „immer einen Hang zur Politik hatte“70, und Hegel unter aktueller Politik vor allem die durch Pariser Entscheidung erzwungenen deutschen „Nachahmungen des Französischen“71 versteht, für seine Philosophie? Hegels Schrift „Die Verfassung Deutschlands“, die er parallel zu den philosophischen Kampfschriften des „Kritischen Journals“ überarbeitet, lässt es an Eindeutigkeit der historisch entstandenen philosophischen Aufgabe nicht fehlen. Die Französische Revolution ist nicht nur als welthistorisches Ereignis in einem weltanschaulichen Sinne philosophisch relevant, sondern in dem spezifisch philosophisch-theoretischen Sinne, „daß durch den zehnjährigen Kampf […] an Begriffen gelernt worden ist“ (F 572), „daß die Begriffe über Freiheit“, diese höchsten Begriffe der bisherigen kritischen Philosophie, „eine Veränderung erlitten und sich aus ihrer vorherigen Leerheit und Unbestimmtheit geläutert haben“. (F 570) Die neue „philosophische Revolution“ soll die begrifflichen Lehren aus dem bisherigen Kampf der Französischen Revolution ziehen entsprechend deren bestimmter, nicht mehr bloßem Freiheitsgeschrei folgender Fortführung. Hegel interessieren nicht Begriffe um ihrer selbst willen, sondern „um aus der Erfahrung zu lernen, wie für einen künftigen Fall besser zu handeln sei“. (F 463) Dies erfordert, dass die Begriffe erfassen, was „in der Kraft der Sache wirklich liegt“. (F 464) Wie sich die Staatsverfassungen historisch verändern, so verändert sich auch historisch die Begriffswelt. „Besser zu handeln“, scheitert gegenwärtig schon daran, dass keine historisch „bestimmten Begriffe“ (F 572), die die neue historische Notwendigkeit zu erfassen vermögen, gebildet werden können, „denn zwischen die Begebenheiten und das freie Auffassen derselben stellen sie (die Menschen: HPK) eine Menge von Begriffen und Zwecken“ historisch überholter Orientierung hinein. Statt die „Notwendigkeit zu erkennen“, soll „das, was geschieht, diesen (alten Begriffen: HPK) gemäß sein. Und wenn es ohne Zweifel meist anders ist, so überheben sie sich ihrer Begriffe, als ob in diesen die Notwendigkeit, in demjenigen aber, was geschieht, nur der Zufall herrschte, weil ihre Begriffe ebenso beschränkt als ihre Ansicht der Dinge ist“. (F 463 f.) Die ganze Erkenntnisrelation der Menschen zu den historischen Begebenheiten ist durch „leere Begriffe“ blockiert, wodurch „besser zu handeln“ verhindert wird, ja falsche Handlungsweisen zwischen „Leiden“ und „Anarchie“ noch begründet werden. Nicht der Begriff als solcher, nicht nur sein Bezug zum Erkenntnisobjekt erheischt philosophisches Interesse. Die spezifisch philosophisch-theoretische Aufmerksamkeit gilt der Handhabungsweise der Begriffe innerhalb der erkenntnistheoretischen Relation zwischen Subjekt und Objekt, aber zugleich unter Berücksichtigung der Funktion der Begriffe für das bessere, historisch notwendige Handeln. Die Reflexion, „wenn sie wissenschaftlich sein soll“, muss „die Begriffe festhalten“ (F 472), um „die Notwendigkeit zu erkennen und zu denken“ (F 463). Hegel identifiziert zunächst „Begriff“ mit „reflexiver“ Verhaltensweise, weshalb er vom „Begriff“ noch die „Idee“ unterscheidet, die mehr als ein theoretisches Phänomen, nämlich philosophischer Natur ist. Den philosophischen Charakter wissenschaftlicher Reflexion verdeutlicht Hegel in der Einleitung der Verfassungsschrift von 70 71

Hegel an Knebel am 30. 8. 1807. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 186. Hegel an Niethammer im November 1807. In: Ebd., S. 197.

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1799/1800: „Der immer sich vergrößernde Widerspruch zwischen dem Unbekannten, das die Menschen bewußtlos suchen, und dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt wird und das sie zu dem ihren machten, die Sehnsucht derer nach Leben, welche die Natur zur Idee in sich hervorgearbeitet haben, enthalten das Streben gegenseitiger Annäherung. Das Bedürfnis jener, ein Bewußtsein über das, was sie gefangen hält, und das Unbekannte, das sie verlangen, zu bekommen, trifft mit dem Bedürfnis dieser, ins Leben aus ihrer Idee überzugehen, zusammen.“ (F 457) Die Philosophie nimmt von der Reflexion den Begriff nicht nur als Begriff in erkenntnistheoretischer Relation, sondern als Begriff in seiner Bedeutung für das praktische Handeln, d. h. als „Idee“. Und doch ist diese Idee weder wissenschaftlich reflexiv noch direkt praktische Handlungen bewirkend, sondern philosophisch. Sie ist nicht der Begriff von Dingen, schon gar nicht von Dingen, die „nur als einzelne Begebenheiten“ gelten (F 464). Vielmehr fasst sie Rolle oder Funktion des Begriffs zwischen den Begebenheiten und den erkennenden Menschen. Sie ist dagegen gerichtet, dass die denkenden Menschen sich ihrer Begriffe „überheben“. Das Philosophische ist also schon innerhalb des Erkenntnisproblems, als selbst nur theoretische Seite der Philosophie, von dem verschieden, was „auf wissenschaftlichem und geschichtlichem Felde“ festgehalten wird. Die philosophische Idee macht sich die ganze erkenntnistheoretische Relation, in der die wissenschaftliche Reflexion steht, als Tätigkeit zum Objekt, während die wissenschaftliche Reflexion jeweils ein Ding oder eine Begebenheit als ihr Objekt im Begriff festhält. Die philosophische Tätigkeit ist, selbst nur nach ihrer theoretischen Seite genommen, nicht auf wissenschaftliche Reflexion reduzierbar. Auch nach der praktischen, auf Überführung der Idee ins Leben abzielenden Seite betrachtet, darf der zum Ende des Frankfurter Aufenthaltes entstehende philosophische Wirkungsanspruch Hegels nicht mit dem praktischen Wirkungsanspruch der 1790er Jahre verwechselt werden. Der klassische deutsche Philosoph verfasst keine Flugblätter, und schreibt er eines, handelt er nicht als solch ein Philosoph. Zwar interessiert den Philosophen das wissenschaftliche „Verstehen dessen, was ist“, nicht weil ihn nur das wissenschaftliche Verstehen interessiert. Ihn interessiert das wissenschaftliche Verstehen, „damit“ letztlich „besser zu handeln“ (F 463) sei. Der philosophische Stellenwert des theoretischen Verstehens ergibt sich Hegel nicht aus allein wissenschaftsimmanenten Gründen, vielmehr aus dem Verhältnis zur Praxis, gerade weil in dem „fürchterlichen Ringen“ des französischen Volks nach Freiheit, in dem „blinden Geschrei der Freiheit“ (F 572) anarchisch gehandelt wurde und damit nun anders, aber auch gehandelt werde. Und doch wirkt für Hegel der philosophische Text nicht direkt auf praktische Handlungen, obgleich er doch auf praktische Handlungen orientiert. Die Philosophie ist „Geist“ (F 464). Sie wirkt zwar für die Verbindung des wissenschaftlichen Verstehens mit dem Leben, aber doch selbst geistig. Sie schließt beide innerhalb des Geistes zusammen, d. h. ohne selbst Leben zu sein, aber auch ohne innerhalb der geistigen Tätigkeiten in wissenschaftlicher Reflexion aufzugehen. Wir finden hier in gewisser Weise die Einheitsforderung des frühen Hegel wieder, aber als auf die philosophische Ebene transformierte, gegenüber dem früheren Hegel zurückgezogene, ja „flüchtige“, wie er selbst voraussah, und zugleich aus Realisationsnot differenziertere Forderung. Diese philosophische Ebene entsteht zwischen den beiden Polen der wissenschaftlichen Reflexion und historisch praktischen Handlung, die sie zu vermitteln hat,

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ohne auf diese Pole reduzierbar zu sein oder diese direkt zu bestimmen. Die blinde Handlung soll zu einer bewussten Handlung werden und die wissenschaftlich reflektierende Tätigkeit zu einer praktischen Handlung. Je weiter sich beide voneinander entfernen, sich der Widerspruch zwischen ihnen vergrößert, desto dringlicher ist der philosophische Eingriff zwecks ihrer gegenseitigen Annäherung. Die schrittweise Ausbildung dessen, was es als philosophische Ebene erst zu produzieren gilt, erwächst Hegel aus den früheren Problemstellungen. Die philosophische Form der Lösung des oben genannten Widerspruchs ist nicht das, was Sinclair die „Confusion“ in der „Praxis“ nennt, aber sie entspricht funktional zunächst dem, was Sinclair als den dieser praktischen Confusion ideell korrespondierenden ästhetischen Standpunkt fasste. Die Notwendigkeit dieses Standpunkts begründete Sinclair daraus, dass die „Aufgabe des Wissens“ weiter gehe als die reflexive „Form des Wissens“72. Dass Hegel den Terminus „Idee“ wie auch den der „Praxis“ verwendet, zeigt, wie Hegels Lösungsvorschlag wieder in Rückstoß auf Schillers, Sinclairs und Hölderlins Problemstellungen heranwächst. Und doch drängt schon der spätfrankfurter Hegel darauf, die spezifisch ästhetische Bindung der Sphäre der Idee aufzuheben. Latent stellt Hegel die Frage nach einer überreflexiven, und doch begrifflichen Bewegungsform des Widerspruchs zwischen der historisch-sozialen Aufgabe des Wissens und der reflexiven Form des Wissens, die an die Stelle der ästhetischen Lösungsform dieses Widerspruchs treten kann. Damit gelangt Hegel an jene Grenze, die Kant in der „Kritik der Urteilskraft“ gegenüber der „Kritik der reinen Vernunft“ in Aussicht genommen hatte, um doch in Abrede zu stellen, dass sie, ohne wieder in Dogmatismus zu verfallen, überschritten werden kann. Bei Kant ging es um den diskursiv verfahrenden Verstand als dem konstitutiven Erkenntnisvermögen des Menschen schlechthin im Unterschied zu der „Idee von einem andern möglichen Verstande“, dem „intuitiven Verstand“.73 Hegels Erreichen dieser Markierung, das vom systematisch klassifizierenden Standpunkt aus als endliches bloßes Ankommen auf der Höhe Kants erscheinen könnte, ist jetzt Ergebnis historisch-praktischer Erfahrungen Hegels. Der historisch neuartige Inhalt „treibt“ zu dieser Grenze „vor“74, wodurch die Chance, diese Grenze zu einer neuen Denkform wirklich zu überschreiten, entsteht und als rein ideengeschichtliche Logik dann erscheinen kann. Hegel ist in dem Sinne Kantianer, dass er die historische Erfahrung, so weit sie reicht, nicht eilfertig überfliegt. Was im Unterschied zu Schelling als ein verspäteter Aufbruch Hegels in die Philosophie auffällt, wird sich als der Vorteil desjenigen erweisen, der nicht beim ersten Scheitern seines republikanischen Anspruches sogleich das Pferd eines philosophischen Systems sattelt, auf dem im ersten Augenblick wohl schnell, radikal, genial zu reiten ist, sondern dickköpfig und schwerfällig am praktischen Wirkungsanspruch festhält; der im Bunde mit Sinclair und Hölderlin eine Heroisierung, dann selbständig einen zweiten Desillusionierungsschub durchsteht, und der noch immer nicht sofort zum eigenen philosophischen System überspringt, sondern bis zum Herbst 1800, d. h. bis zu seinem ersten philosophischen Systementwurf, die erneute Desillusionierung in religionsaufklärerischer, geschichtswissenschaftlicher, politisch-aufklärerischer, jedenfalls vor-systematischer Form 72 73 74

I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 271. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 323. Ders., Kritik der Urteilskraft, S. 332 f. Hegel an Schelling am 2. 11. 1800. In: Briefe von und an Hegel, S. 59.

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mit eigenen wissenschaftlichen Ergebnissen (wie seinem Staatsbegriff) zu Ende denkt. Die „Erhebung des Menschen […] vom Endlichen zum Unendlichen“ ist im philosophischen Denken schnell getan, aber Hegel geht es, auch wenn er schon selbst in Anbetracht der objektiven Umstände ins philosophische Denken getrieben worden ist, doch darum, den Zusammenhang von „endlichem Leben“ und „unendlichem Leben“ der Nicht-Denkenden zu denken (F 421 u. 423). Diese Aufgabe formuliert Hegel nicht als Versprechen vom System- Standpunkt, sondern transformiert Hegel aus vorsystematischer Erfahrung und anhand eigener Ausarbeitungen in die systematische Philosophie. Hegel reagiert auf die Resultate der Französischen Revolution nicht sogleich systematisch, denn sein Erfahrungshorizont ist noch nicht durch ein eigenes philosophisches System organisiert, sondern aufnahmefähiger, „in der wirklichen Berührung“ (F 463), die „untergeordneteren Bedürfnisse“75 im Blickwinkel habend. Hegel gelingt nur sukzessive in immer wieder neuen Anläufen, bei denen der ästhetische Standpunkt als Muster fungiert, die Produktion einer begrifflichen Lösungsform, die nicht reflexiv in Fixierungen gerinnt. Sich von der noch in Sinclairs „Philosophischen Raisonnements“ deutlich vorgenommenen Identifikation von „Form des Wissens“ und „Reflexion“ als eben einzig möglicher Form des Wissens zu lösen, fällt Hegel schwer und reproduziert immer wieder eine nicht begriffliche, sondern ästhetische Bewegungsform des Widerspruchs zwischen der historischen Aufgabe des Wissens und der Form des Wissens: die Aufhebung in „schöner Vereinigung“ (F 427). Bei aller Größe des fichtischen Tätigkeitsgedankens und Fichtes Überganges zur Annahme eines absoluten, mit dem menschlichen Selbstbewusstsein nicht identifizierbaren Ichs, Hegel akzeptiert Fichtes Lösungsvorschlag nicht, weil Fichte im philosophischen Denken nicht aus der Reflexion und damit einstweilen noch nicht aus dem Denken überhaupt herauskommt. Und dies sogar dann, wenn Hegel, um Hölderlins und Sinclairs philosophische Opposition gegen Fichte zu erhalten, in seinem Systemfragment von 1800 Fichtes Dialektik zwischen dem absoluten Ich, dem Ich und Nicht-Ich in „das Leben“ als „Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ übersetzt, denn: „jeder Ausdruck ist Produkt der Reflexion, und sonach kann von jedem als einem Gesetzten aufgezeigt werden, daß damit, daß etwas gesetzt wird, zugleich ein Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist; diesem Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt muß aber ein für allemal dadurch gesteuert werden, daß nicht vergessen wird, dasjenige zum Beispiel, was Verbindung der Synthesis und Antithesis genannt wurde, sei nicht ein Gesetztes, Verständiges, Reflektiertes, sondern sein für die Reflexion einziger Charakter sei, daß es ein Sein außer der Reflexion ist“. (F 422) Weil Philosophie „ein Denken ist, also einen Gegensatz teils des Nichtdenkens hat, teils des Denkenden und des Gedachten“, und die Philosophie das wahre Unendliche nicht nur für die Denkenden, sondern „außerhalb ihres Umkreises zu setzen“ hat, müsse sie „eben darum mit der Religion aufhören“. (F 423) Solange Hegel, wie hier 1800 im Frankfurter Systementwurf, noch keine begriffliche Lösungsform des o. g. Widerspruchs gefunden hat, wendet sich die Philosophie, um lebendige Wirkung zu erzielen, in Religion und greift somit noch nicht frontal den Verstand an, wie ab Jena. Die Religion bleibt noch einmal das entscheidende Wirkungsmedium der Philosophie, wird aber in Jena von diesem ersten Rang unter den philosophischen Wir75

Ebd.

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kungsmedien verdrängt und bleibt in Hegels Charakteristik für die Situation in Deutschland bedeutungsvoll. Diese spezifisch deutsche Situation betreffend schreibt Hegel Januar 1807 an Zellmann: „Vaterland, Fürsten, Verfassung und dergl. scheinen nicht die Hebel zu sein, das deutsche Volk emporzubringen“. Wieder unter dem Aspekt: – „Die Führer sind vom Volke getrennt, beide verstehen sich gegenseitig nicht“, – heißt es in Hegels Brief: „Es ist die Frage, was erfolgte, wenn die Religion berührt würde“.76 Hegel führt in den Jenenser Aufsätzen seinen Frankfurter Versuch, eine spezifisch philosophische Ebene produzieren zu müssen, bestimmter und allgemeiner fort, über die Frage der deutschen Unterentwickeltheit hinaus. Er stellt seine Philosophie als aus dem Zeitalter absoluter Zerrissenheit hervorgehend vor, aber um sozialkritisch „gegen die Zerrüttung des Zeitalters den Menschen aus sich wieder herzustellen, und die Totalität, welche die Zeit zerrissen hat, zu erhalten“. (J 81) Der Erfüllung dieser „Aufgabe der Philosophie“ (J 11) steht das „ganze System der Lebensverhältnisse“ (J 14) entgegen. Daraus zieht Hegel alles andere als die Schlussfolgerung, eine weiße Parlamentarierflagge der Philosophie zu hissen. Anstelle des die Ohnmacht des deutschen Volks philosophisch zur Geltung bringenden „neuen“ Skeptizismus des Herrn Gottlob Ernst Schulze oder der diese Ohnmacht repräsentierenden Gefühlsphilosophie Jacobis hat ein welthistorisch genährter Eingriff der Philosophie in das historische Schicksal zu erfolgen. „Auf die politische Apragmosyne zur Zeit, wenn Unruhen im Staate ausbrächen, hatte der atheniensische Gesetzgeber den Tod gesetzt; die philosophische Apragmosyne, für sich nicht Partei zu ergreifen, sondern zum Voraus entschlossen zu sein, sich dem, was vom Schicksal mit dem Siege und der Allgemeinheit gekrönt würde, zu unterwerfen, ist für sich selbst mit dem Tode spekulativer Vernunft behaftet“. (J 198) Die bisherigen Versuche einer Totalitätsgewinnung sind alle gescheitert. Die Religion als breitenwirksame „ästhetische Vollkommenheit“ hat zum einen „nur bis auf eine gewisse Stufe der Bildung“ und zum anderen nur „in allgemeiner oder in Pöbel-Barbarei energisch sein können“. Hier findet das Resumé der ganzen religionsaufklärerischen Entwürfe des frühen Hegel Eingang in seine philosophisch-programmatischen Bewertungen. Seine eigene frühe Partizipation an dem unchristlichen höchsten Wesen ist ebenso überwunden wie die Erkenntnis gewonnen, dass das Christentum als die der modernen Welt passende und nicht gegen diese energisch opponierende Religionsform zu gelten hat. Auch die Bestrebungen der Kunst, die „Harmonie wieder zu gebären“, diese ohnehin „in Beziehung aufs Ganze wenigen Versuche“, haben „nur diejenige Aufmerksamkeit erwecken können, deren Möglichkeit übrigbleibt, wenn die tiefere ernste Beziehung lebendiger Kunst nicht verstanden werden kann. Mit der Entfernung des ganzen Systems der Lebensverhältnisse von ihr ist der Begriff ihres allumfassenden Zusammenhangs verloren und in den Begriff entweder des Aberglaubens oder eines unterhaltenden Spiels übergegangen“. (J 14) Hegels Jenenser Programm setzt Schillers Versuch, den Notstaat durch den ästhetischen Staat aufzuheben, als gescheiterten, seinerseits philosophisch zu überwindenden Versuch voraus. Nicht weniger niederschlagend ist Hegel das reale Scheitern der bisherigen philosophischen Begründungen des seit Descartes erhobenen Anspruches der Vernunft. Selbst die bedeutendsten Repräsentanten der neueren kritischen Philosophie, Kant und Fichte, 76

Hegel an Zellmann. 23. Januar 1807. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 138.

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unterlagen innerhalb der Philosophie dem, allerdings in seiner realen Mächtigkeit nicht zu leugnenden Standpunkt der Unsittlichkeit, weil sie gegen diesen nur „formell“ philosophisch zu kämpfen vermögen. Hegel konfrontiert die idealische „Abstraktion des Ich“ mit ihrem – von ihrer Idealisierung unbeeindruckten – realen „empirischen und populären Ausdruck“ (J 434) des eigennützigen sinnlichen Begehrens. In Hegels Auseinandersetzung mit Kant und Fichte wirkt deutlich seine früh entstandene, Philosophien denunzierende Fähigkeit nach, sie auch vom Standpunkt der „untergeordneteren Bedürfnisse“ aus bewerten zu können. Schon das Frankfurter Systemprogramm orientierte darauf, „die Täuschungen (der Philosophie: HPK) durch ihr eigenes Unendliches zu erkennen“ und daran festzuhalten, dass die Philosophie das „wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises zu setzen hat“ (F 423). Dadurch liegt bei Hegel in gewisser Weise eine Potenz vor, verselbständigte philosophische Produktion kritisch in ihre praktische Voraussetzung zurückübersetzen zu können. Überhaupt denkt Hegel auffallend klar, wie auch später die differenziert voneinander abgehobenen Stufen der Phänomenologie zeigen, in den Formen der Entsprechung und Widersprechung. Verschiedene soziale Tätigkeitssphären können in einer historischen Periode einander entsprechen oder widersprechen. Aus dem letzteren Widerspruch geht dann der Wechsel von Periode zu Periode hervor. Sein Philosophieren ist ein ständiges historisierendes Transformieren zwischen den arbeitsteilig verselbständigten sozialen Sphären, um die Totalität zu retten. Diese Aufgabe schon verallgemeinernd fordert Hegel im „System der Sittlichkeit“, jeweils die Übereinstimmung oder „Nichtübereinstimmung des absoluten Geistes und seiner Gestalt“ herauszuarbeiten. Hegel ist so in der Lage, die philosophische Bestimmung der gegenwärtig notwendigen Gestalt des absoluten Geistes in nichtphilosophische Sphären zurück zu transformieren, d. h. hier z. B. sich von der politisch-juristischen „Gestaltlosigkeit des Kosmopolitismus“, der „Leerheit“ der Menschenrechte, des „Völkerstaats“ oder der „Weltrepublik“ aktuell abzugrenzen (J 484), sie aber als historisch vor der Französischen Revolution notwendige Gestalt anzuerkennen. Hegel hält sein philosophisches Programm keineswegs für vulgär, weil er die „Absoluta“ vorangegangener Philosophie auf „Momente“ des gegenwärtigen „gemeinen Bewußtseins“ zurück bezieht und umgekehrt sich selbst mit Berufung auf das gegenwärtige, aus der Französischen Revolution entstandene „gemeine Bewußtsein“ philosophisch legitimiert (J 434), freilich nicht um „dem Volke zum Munde und aus dem Munde des Volks“ (J 198) zu reden, denn das hieße wieder die besonderen Funktionsmöglichkeiten der gerade aufzubauenden philosophischen Ebene zu verschenken, oder wie Hegel formuliert, die Philosophie der Unphilosophie preiszugeben. Das „Plattmachen hat sich zu einer Art von anerkannt verdienstlicher Arbeit emporgeschwungen, […] es braucht eine Idee der Kunst oder der Philosophie sich nur blicken zu lassen, so geht es gleich an ein Zubereiten, bis die Sache für Kanzel, Kompendien und für den Hausbedarf des Reichsanzeigerischen Publikums zurechtgerührt ist“. (J 125) Diese Art von Kastration der kritischen Impulse seitens der Religion, Kunst und Philosophie gelingt, weil sich objektiv diese Sphären in gegenüber dem System der realen Lebensverhältnisse „ganz abgesonderte Gebiete trennen, für deren jedes dasjenige keine Bedeutung hat, was auf dem andern vergeht“. (J 15) Daraus erwächst der Philosophie die Funktion, die kritischen Wirkungsmöglichkeiten dieser „abgestellten“ sozialen Sphären zu koordinieren, was die philosophische Fähigkeit erfordert, die Entwicklungen der gegeneinander so „verstän-

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dig“ verselbständigten Sphären, bei Wahrung ihrer jeweiligen spezifischen Wirkungsmöglichkeiten, ineinander umformen zu können. Dies setzt die Selbstbehauptung der Philosophie als Philosophie voraus. Hegel nimmt den Anspruch der Vernunft wieder auf, gegen die „zum Verstand herabpotenzierte Vernunft“ (J 8). Die „Vernunft selbst (ist) in Übereinstimmung mit der Natur“ zu bringen, aber „nicht in eine solche, worin sie auf sich Verzicht tut oder eine schale Nachahmerin derselben werden müßte, sondern eine Übereinstimmung dadurch, daß sie sich selbst zur Natur aus eigener Kraft gestaltet“ (J 8). Philosophie müsse als „absolute Tätigkeit der Vernunft“ begriffen werden (J 20). Die Vernunft ist für Hegel das Subjekt der philosophischen Tätigkeit. „Das wahre Eigentümliche einer Philosophie ist die interessante Individualität, in welcher die Vernunft aus dem Bauzeug eines besonderen Zeitalters sich eine Gestalt organisiert hat.“ (J 12). Philosophien stellen die „Selbstreproduktion der Vernunft“ (J 14) dar. Der philosophischen Tätigkeit ist laut Hegel ein objektives und allgemeines Bedürfnis nach Philosophie im „gemeinen Bewußtsein“ vorausgesetzt. Dieses entsteht, „wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet, und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit gewinnen“. (J 14) „Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie, und als Bildung des Zeitalters die unfreie gegebene Seite der Gestalt“. (J 12) Das Bedürfnis der Philosophie kann vom gemeinen Bewusstsein nicht selbständig befriedigt werden (J 7). Es ist instinktartig, dunkel, die Totalität nur fühlend und andererseits, insofern es in einer rationalen Form als Voraussetzung der Philosophie ausgesprochen wird, nur reflexiv und damit der philosophischen Denkweise geradezu entgegengesetzt (J 15 f.). Die Einheit zwischen dem Subjekt der Philosophie, der zu ihrer Selbstproduktion aus eigener Kraft fähigen Vernunft, und dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Philosophie ist für die philosophische Tätigkeit entscheidend. „Im Kampfe des Verstandes mit der Vernunft kommt jenem eine Stärke nur insoweit zu, als diese auf sich selbst Verzicht tut. Das Gelingen des Kampfs hängt deswegen von ihr selbst ab und von der Echtheit des Bedürfnisses nach Wiederherstellung der Totalität, aus welchem sie hervorgeht“ (J 15). Die sich zur geistigen Totalität selbst reproduzierende Vernunft nennt Hegel „System der Philosophie“. Das System ist die gestaltete Organisationsform des Subjekts der philosophischen Tätigkeit. Durch diese Organisationsform gewinnt die Vernunft ihre Kraft zu immanenter Selbstbehauptung als Philosophie und zugleich zum Heraustreten der Philosophie aus ihrer Immanenz, um das objektive Bedürfnis zu befriedigen. Worin besteht die „besondere Form, welche die Entzweiung“ seiner, der Hegelschen Epoche im Unterschied zu anderen Epochen, „trägt“ und „aus der das System (der Philosophie: HPK) hervorgeht“ (J 12)? Diese historisch besondere Form ist „das Gebäude des Verstandes“ (J 13). Die Gesellschaft befindet sich „unter der Herrschaft des Verstandes“ (J 55). Der Verstand, „worunter man die lokale und temporale Beschränktheit eines Geschlechts der Menschen versteht“ (J 125), organisiert das soziale Leben derart, dass die Gegensätze zu absolut fixen werden. Der Verstand „knüpft an sein Gebäude, das er zwischen den Menschen und das Absolute stellt, alles, was dem Menschen wert und heilig ist, befestigt es durch alle Mächte der Natur und der Talente und dehnt es in die Unendlichkeit aus“ (J 13). Er rottet „alle Potenzen einer echt sittlichen Totalität, mit Stumpf und Stiel“, aus. (J 58) Den Verstand fasst Hegel nicht nur als ein ideelles Formprinzip, d. h. als eine bestimmte Handhabungsweise der Begriffe vom gemeinen Bewusstsein bis

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zur Sphäre der Wissenschaft in erkenntnistheoretischer Relation, auch nicht nur als Auswirkungen des ideellen Verstands im praktischen Handeln, sondern als reelles Formprinzip der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst, die sich wieder in reelle Verhältnisse mit starken ideellen Komponenten (staatlich-juristische Sphäre) und reine reelle Verhältnisse (ökonomische Sphäre) unterteilen. Der „Verstandes-Staat ist […] eine Maschine; das Volk nicht der organische Körper eines gemeinsamen und reichen Lebens, sondern eine atomistische lebensarme Vielheit, deren Elemente absolut entgegengesetzte Substanzen“ (J 58) sind. Als „rein reelles System“ bildet sich der Verstand in dem „System der allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit in Ansehung der physischen Bedürfnisse und der Arbeit“ sowie des Besitzes aus (J 450). Die Wissenschaft, welche dieses System zum Objekt hat, nennt Hegel erstmalig in seinem Naturrechtsaufsatz (Herbst 1802), der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „System der Sittlichkeit“ entsteht, „politische Ökonomie“ und nicht mehr „Staatswirtschaft“ (J 450). Darin kann ein erstes Zeichen der Hegelschen Smith-Aneignung gesehen werden, da Hegel im Naturrechtsaufsatz erstmalig die Ableitung dieses ganzen, rein reellen Systems, setzt man das physische Bedürfnis voraus, aus der Arbeit andeutet (J 450 ff.). Dieses „System der Realität“ ist der eigentliche Herd der Verstandesbestimmungen. Es drängt aus sich heraus, „etwas Festes zu werden“, sich alle gesellschaftlichen Verhältnisse unterzuordnen, sich „für sich zu konstituieren“, „eine unabhängige Macht“ zu werden, gegen die es „nicht genug“ ist, „Sätze aufzustellen“, dass jeder Mensch doch dieses und jenes „Recht“ habe (J 450). Die Befriedigung des Bedürfnisses der Philosophie kann als „Prinzip der Vernichtung aller fixierten .Entgegensetzung“ nur in völligem Gegensatz zu diesem ökonomischen System definiert werden. Der Philosophie kommt keine „Perfektibilität zu, deren mechanische Künste fähig sind“ (J 10). Ihrem lokalen und historischen Ursprung nach grenzt Hegel den Verstand, diese „Kraft des Beschränkens“ (J 12), als das „nordwestliche Prinzip“ Europas, d. h. also in neuerer Zeit als von England und Frankreich kommend, ein, das inzwischen aber zum „europäischen Verstand“ im Gegensatz zu anderen Kulturen der Gegenwart und zu anderen historischen Epochen wurde. In philosophischer Form hat sich „der allgemein um sich greifende Dualismus“ fixer Gegensätze „in der Kultur der neuern Geschichte unserer nordwestlichen Welt“ in der kartesischen Philosophie (J 126) und der „Lockeschen und Humeschen Kultur“ (J 388) ausgesprochen. Seitdem sei die Vollständigkeit dieser historischen Bildung durchlaufen (vgl. J 9). Hegels Vermögen, die Entwicklungen der einander gegensätzlichsten und scheinbar voneinander unabhängigsten sozialen Tätigkeitssphären als Voraussetzung seines Philosophierens zusammen denken zu können, kommt im Folgenden zum Ausdruck: Wie „die Vollendung der schönen Kunst durch die Vollendung der mechanischen Geschicklichkeit, so ist auch die reiche Erscheinung der Philosophie durch die Vollständigkeit der Bildung bedingt; und diese Vollständigkeit ist durchlaufen“ (J 413). Hegels Kategorie „Verstand“ hat die Funktion, die Genesis der gegeneinander arbeitsteilig verselbständigten sozialen Tätigkeitssphären der zur Welt kommenden bürgerlichen Gesellschaft in einer philosophischen Formbestimmung, zunächst unabhängig von den besonderen Inhalten der besonderen sozialen Tätigkeiten, zu synthetisieren und damit die Grundlage seines Philosophierens anzugeben. Hegel geht davon aus, dass gerade aus der gegenwärtig erreichten „höchsten Trennung“ die Wiederherstellung der Totalität „in der höchsten Lebendigkeit“ (J 13) möglich

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wird. Philosophie wirkt geistig. Hegel gibt sich keineswegs der Illusion hin, dass der Begriff und die Einsicht in die Notwendigkeit stark genug seien, „um aufs Handeln selbst zu wirken“ (P 111). Philosophie kann nicht die reelle Macht und Gewalt der reellen Begriffsrealisation im historischen Prozess ersetzen. Das Maß der Wirkung von Philosophie liegt innerhalb der ideellen Realität. Hegel fasst von vornherein Philosophie als Tätigkeit auf, d. h., dass sie selbst durch eine bestimmte Objekt-Subjekt-Relation definierbar wird. Die Wirkungsobjekte der Philosophie sind objektive Bewusstseinsstrukturen der „lebendigen und wissenschaftlichen Sphäre“ (J 7), insbesondere der „sogenannte gesunde Menschenverstand“ und der Verstand in den Wissenschaften (J 20). Bereits Sinclair konzentrierte seine philosophische Aufmerksamkeit auf die historisch neue „Praxis“, in welcher der gesunde Menschenverstand regiert, ohne dass allerdings aus den erhalten gebliebenen Manuskripten Sinclairs die bei Hegel vorhandene reelle Tragweite und Differenzierung des ideellen Verstandes hervorginge. Das philosophische Anliegen besteht nun darin, dass „jeder in seiner wissenschaftlichen oder lebendigen Sphäre geltend macht“, was „das System (der Philosophie: HPK) ausspricht“ (J 7). Das allgemeine und objektive Bedürfnis nach Philosophie außerhalb der Philosophie ist genauer das Bedürfnis nach einem System der Philosophie. Das außerphilosophische „Bedürfnis der Philosophie, das sich selbst nicht zur Philosophie zu gebären vermag“, wird „durch das Schaffen eines Systems befriedigt“ (J 7), in welchem sich die verschiedenen sozialen Tätigkeitssphären in ihrem allgemeinen Zusammenhang als Totalität wiederfinden. Wenn im Kapitel 3.1. der Gegensatz zwischen dem praktischen Wirkungsanspruch „höherer Aufklärung“ (Hölderlin) und der „Obskurität“ (Fichte) klassischer philosophischer Systematik in Deutschland hervorgehoben wurde, so bedeutet dies nicht, wie schon hier im Kapitel 3.2. sichtbar wurde, die einfache Aufgabe jeglichen gesellschaftlichen Wirkungsanspruches, aber dessen Umformung auf der laut Hegel neu zu produzierenden, vermittelter wirksamen Ebene der Philosophie. „Gesetzt, ich schweige ganz“, war schon vor Hegel für Fichte vollkommen ausgeschlossen: „Wenn noch etwas gerettet werden kann“, da sich auf das „Feld“ aufklärerisch-praktischer Wirksamkeit vorzuwagen nicht mög1ich ist, dann ist es wenigstens die Rettung des „deutschen Geistes“. Wodurch diese Rettung?: „durch mein Reden“; durch „Schriftstellerei“; durch Kollegien.77 Die Transformation des Wirkungsanspruches der höheren Aufklärung in den von einem System der Philosophie ist bei Hegel „Flucht“ in eine noch höhere Ordnung, wie der Berner Hegel voraussah (F 205), und Aufrechterhaltung oder „Auferstehung“ (J 414) des heroischen Wirkungsmotivs in einem. Hegels Philosophie beginnt mit keinem Programm philosophisch-theoretischer Immanenz, sondern der Wirkung der Philosophie auf außerphilosophische Bewusstseinsstrukturen unter der Voraussetzung eines allgemeinen und objektiven Bedürfnisses nach Philosophie. Hegel beginnt seine Art und Weise zu philosophieren nicht als Philosophie aus Philosophie, sondern als programmatischen Entwurf einer neuen sozialen Funktionsweise von Philosophie, damit sie die geistige Hegemonie über die „nordwestliche“ Verstandeskultur erringen kann. Die philosophische Tätigkeit versteht Hegel nicht allein nach dem erkenntnistheoretischen Modell reinen Theoretisierens, als sei Philosophie nur eine Wissenschaft unter Wissenschaften, was sie auch ist. Vielmehr interessiert Hegel, wie in der philosophischen Tätigkeit die arbeitsteilige Ver77

Fichte an Reinhold am 22. 5. 99. In: Fichte, Briefe, S. 241 f.

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selbständigung vom Standpunkt der gesellschaftlichen Totalität durch praktische Orientierung der verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsarten überwunden werden kann. So sehr zunächst erkenntnistheoretisch das Absolute ihr eigenes Objekt zu sein scheint, ihr Wirkungsobjekt sind die der Philosophie objektiv gegebenen und jeweils historisch entstandenen gesellschaftlichen Bewusstseinsformen, einschließlich des Bewusstseins der Wissenschaften. Erst über deren Entwicklungsstand als dem Objekt der philosophischen Tätigkeit vermittelt „handelt“ und „erkennt“ die Philosophie „absolut“. Ist der Eigentumserwerb gegenüber staatlicher Machtausübung nicht nur reelles, sondern rein reelles Handeln, und stellt aufklärerische Tätigkeit ein ideell-reelles Handeln dar, definiert sich die philosophische Tätigkeit als sich verflüchtigendes und rückwirkendes Handeln noch höherer Ordnung, der des reinen Geistes. Über Hölderlins Forderung, dass nicht wieder beim Mittel stehen geblieben werden darf (der Philosophie als Mittel höherer Aufklärung oder der höheren Aufklärung als Mittel der republikanischen Umwälzung) entscheidet die objektive historische Epoche. Diese begründet letztlich die Verselbständigung des Mittels zu seiner Selbstzwecksetzung. In diesem Fall wird die Philosophie ebenfalls, wie Hegel schon über andere arbeitsteilige Sphären schrieb, „abgestellt“. Die Errichtung der höheren Ordnung der Philosophie beinhaltet für Hegel Substitutionsleistungen, d. h. Leistungen, die die Hegemonie der vorausgesetzten Sphären geistig ersetzen können. In der aufklärerischen Tätigkeit erkennt der Verstand bestimmte reelle Phänomene als seine Objekte. Die Philosophie erkennt nicht unmittelbar diese Objekte des aufklärerischen Verstandes, sondern die Rolle des aufklärerischen Verstandes bei der Erkenntnis seiner Objekte. Daher bezweifelt die Philosophie gar nicht die „Wahrheiten des Verstandes“ (J 207), insofern diese als Moment gehandhabt werden. Oder, hinsichtlich der Handlungsseite betrachtet: In der aufklärerischen Tätigkeit will der Verstand ein bestimmtes reelles Verhalten bewirken, während die Philosophie auf den aufklärerischen Verstand wirken will, entsprechend der von ihr notwendig erachteten Rolle des Verstands für die aufklärerisch-praktische Tätigkeitsrelation im Ganzen. Was als Subjekt der niedrigeren Ordnung erscheint, verwandelt Hegel in ein Objekt seiner höheren philosophischen Ordnung, indem er die Tätigkeitsrelationen thematisiert, aus denen heraus es zur Fixierung von Gegensätzen kommt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Umfunktionierung des Verstandes von seiner Rolle als Subjekt der Aufklärung (oder auch vorphilosophischen Wissenschaft) in die als Objekt der Philosophie, wie sie daraus begründet werden kann, dass legitimer Weise vom Standpunkt einer anderen Tätigkeit die Rolle eines bestimmten Phänomens eben anders eingeschätzt werden muss, als vom Standpunkt der vorausgesetzten Tätigkeit. Hegel empfiehlt nicht auch mal einen unverbindlichen Wechsel der Betrachtungsweise, wie sie dem Standpunkt dieser oder jener Tätigkeit eigen ist. Der Wirkungsanspruch seiner Philosophie nach außen ist derart stark, dass seine Philosophie die ihr vorausgesetzten, gesellschaftlich auseinanderdriftenden Tätigkeiten (der Aufklärung, der Wissenschaft, der Kunst, der Religion) zu subsumieren für unbedingt erforderlich hält. Für Hegel ist nicht allein die flüchtende Produktion der höheren Tätigkeit der Philosophie charakteristisch, sondern die rückwirkende Subsumtion der .Ausgangstätigkeiten unter die höhere philosophische Ebene. Es handelt sich tatsächlich um einen geistigen Führungsanspruch, die Hegemonie des Geistes. Wegen dieses enormen Wirkungsanliegens nach außen, zurück, wieder aus der Philosophie heraus auf ihre Voraussetzungen gerichtet, ist Hegels

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Philosophie im wahrsten Sinne des Wortes eine „Ordnung“. Als Zweck seines ganzen Philosophierens gilt Hegel das „System“ der Philosophie. Erst die Philosophie als System garantiert die Unterordnung der lebendigen und wissenschaftlichen Sphäre unter die Philosophie, indem es jeder Sphäre seine begrenzte Rolle im Ganzen zuweist. Das System ist die Subsumtionskraft der Philosophie. Alles andere als zufällig und am Rande besteht Hegel, von Beginn seiner den Staatsbegriff entwickelnden Verfassungsschrift an, darauf, dass der philosophische „Geist regiert“. Wodurch „regiert“ dieser Geist? Er regiert als „System“ (F 464). Gerade wann beruft sich der Jenenser Hegel auf Plato als Kronzeugen? Gerade dann, wenn es Hegel in Bezug auf die „Wahrheiten des Verstandes“ um ein „gänzliches Regieren aller Wahrheit eines solchen Erkennens“ (J 206) geht. Dazu passt bestens, dass schon Plato um die Problematik der gesellschaftlichen Arbeitsteilung für das Philosophieren Bescheid wusste. Die Verwandlung des Verstandes vom Subjekt ins Objekt erfolgt also bei Hegel nicht nur deshalb, weil vom Standpunkt der der Philosophie vorausgesetzten Tätigkeit zu dem der philosophischen Tätigkeit übergegangen wird, sondern weil rückwirkend der Verstand auf dem ihm eigenen Feld regiert werden soll. Der Verstand ist „unmittelbar auf seinem Gebiete“ (J 15) bis zur „Vernichtung“ seiner absoluten Selbstkonstitution (J 18) zu schlagen. Insofern ist er laut Hegel in seiner eigenen Tätigkeitssphäre als unbegrenzt autonomes Subjekt dieser Sphäre zu substituieren. Hegel wehrt sich dagegen, „die Philosophie als ein Mittel anzuwenden“ (J 15), nicht weil ein totales Rückzugbedürfnis aus der sozialen Wirklichkeit in Philosophie bestünde, sondern im Gegenteil, weil ein totales Rückwirkungsbedürfnis der Philosophie auf die soziale Wirklichkeit besteht. Bisher ist hier auf Hegels funktionales Verständnis der Philosophie eingegangen worden durch die Vergegenwärtigung, wie Hegel die Spezifik der philosophischen Tätigkeit in Bezug auf die ihr direkt vorausgesetzten Tätigkeiten sieht. Dabei ist Hegels Bestimmung der philosophischen Tätigkeit hinsichtlich des Subjekts dieser Tätigkeit, der Vernunft, hinsichtlich des entscheidenden Objekts dieser Tätigkeit, des Verstandes der Aufklärung und vorphilosophischen Wissenschaft, und des Zweckes der Tätigkeit, des Systems der Philosophie, angegangen worden. Bevor zur Frage nach den Mitteln Hegelscher Philosophie übergegangen wird, ist Hegels Selbstverständnis über die historische Aufgabe seines philosophischen Programms weiter zu konkretisieren, um dann Subjekt, Objekt und Mittel seiner Philosophie objektiver und historisch-konkreter bewerten zu können.

3.3 Das „Unglück der Periode des Überganges“ Zur weiteren Spezifizierung der Aufgabe seiner Philosophie führt Hegel in historischrückwärtiger Richtung eine engere Periodisierung ein. Er hebt in seinem Naturrechtsaufsatz die Periode der „Bildung“ einer verständigen Organisation des sozialen Lebens, die inzwischen zur vollständigen Herrschaft des Verstandes geführt habe, ab von seinem Gegenwartsverständnis. In dieser eben erst beginnenden „Periode des Überganges“ (J 484) soll die absolute Herrschaft des Verstandes derart gebrochen werden, dass sie innerhalb der entstehenden absoluten Totalität relativiert wird. Die Philosophie nimmt nicht „das Besondere, darum, weil es ein Besonderes ist, für ein Positives“, sondern „nur

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insofern es außer dem absoluten Zusammenhang des Ganzen als ein eigener Teil Selbständigkeit errungen hat“ (J 483). Damit rückt nun der Kampf der wiederzuerweckenden Vernunft gegen den zur Vollständigkeit seiner Herrschaft ausgebildeten Verstand an die Stelle des historisch vorangegangenen Kampfes des sich bildenden Verstandes gegen den Unverstand. In dem vorangegangenen Kampf des Verstandes gegen ein Leben, dem sogar „Verstand […] fehlt“ (J 424), geschweige Vernunft eignet, das „weder Verstand noch Wahrheit hat“ (J 483), hilft die Vernunft dem Verstand. Sie degeneriert in dieser Hilfe, um schließlich in den „Zeiten der Freiheit und Gleichheit“ (J 125) selbst ganz in den Sog des Verstandes zu geraten. Der revolutionäre „Sprung“ des französischen Volks war zunächst ein „Übergang ins absolut Entgegengesetzte“ von Unverstand und Verstand in einem. Dieses „Heraustreten des Entgegengesetzten aus der Unendlichkeit oder seinem Nichts ist ein Sprung, und das Dasein der Gestalt in ihrer neugeborenen Kraft ist zuerst für sich selbst, ehe sie sich ihres Verhältnisses zu einem Fremden bewußt wird“. Die „wachsende Induvidualität“ des französischen Volks hat „die Freudigkeit jenes Sprungs als eine Dauer des Genusses ihrer neuen Form, bis sie sich allmählich dem Negativen öffnet, und auch in ihrem Untergange auf einmal und brechend ist“ (J 484). Dieser freudig genießende Sprung in die absolute Freiheit stürzt in eine neue „Organisation“ des Lebens, die des Verstandes. Es wird offenbar, dass „das Ganze nicht gleichmäßig fortschreitet, so trennt sich Gesetz und Sitte, die lebendige Einheit, welche die Glieder verbindet, erschwacht, und es ist in der Gegenwart des Ganzen kein absoluter Zusammenhang und Notwendigkeit mehr“. „Diese Teilung, worin einiges einem neuen Leben entgegenreist, das andere aber, das sich auf der Stufe einer Bestimmtheit festgesetzt hat, zurückbleibt, und das Leben sich entfliehen sieht, ist allein möglich dadurch, daß die Bestimmtheit einer Stufe fixiert und formell absolut gemacht worden ist. […] Und wenn die Masse eines Volks groß ist, so ist auch der Teil desselben groß, der sich in jener Bestimmtheit des Lebens organisiert, und das Bewußtsein, das im Gesetz über sie ist, hat ein großes Gewicht über das Bewußtlose des neu aufstrebenden Lebens“ (J 482). Dies bedeutet freilich nicht, dass jenes Leben, welchem „jetzt in der lebendigen Gegenwart der Verstand und die Bedeutung fehlt“ (J 482), keine Macht und Gewalt mehr besäße. Im Gegenteil, insbesondere „in einem aufgelösten Volk, wie z. B. im deutschen“, hat die erstorbene Hülle „noch für Teile (des Ganzen) Interesse“ (J 483). Die Macht dieser Vergangenheit ohne „lebendige Gegenwart […] und innere Bedeutung“ kann nur als „unverständige und […] schamlose“ (J 483) bezeichnet werden. Doch der Unverstand ist aufgrund seiner ganzen inneren Bedeutungslosigkeit seit dem Siegeszug des Verstandes in den Zeiten der Gleichheit und Freiheit jetzt nur noch „die Geschichte eines vergangenen Lebens“ (J 482). Diese Macht des vergangenen Lebens des Unverstandes, diese abzustreifende, schon „erstorbene Hülle“ (J 483), dieses „der Verwesung nahe Leben kann nur durch das gewaltsamste Verfahren reorganisiert werden“, statt es „mit Lavendelwasser“ heilen zu wollen (F 555). Hegels historisierende Erkenntnis ist eindeutig dagegen gerichtet, dass „durch sie das Gesetz, das nur in einem vergangenen Leben Wahrheit hatte, für die Gegenwart gerechtfertigt werden soll“ (J 482). Vom Standpunkt der von Hegel bezeichneten Übergangsperiode soll aber zum „Erstorbenen nicht nur“ die „unverständige“ Welt gerechnet werden, „sondern auch dasjenige […], was das Negative, die Auflösung und Abtrennung von der sittlichen Totalität festsetzt“, also die verständige Welt. Diese

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ist „aber die bestimmte Vorstellung des gegenwärtigen Todes“. Auf diese „richtige Unterscheidung dessen, was tot ist und keine Wahrheit hat, und dessen, was noch lebendig“, aber „an sich negativ“ ist, kommt es gerade beim Begreifen der neuen Epoche an (J 482). Wenn das „einzige Interesse der Vernunft“ (J 13) darin besteht, die „festgewordenen Gegensätze aufzuheben“, hat dann diese Aufhebung den „Sinn, als ob sie sich gegen die Entgegensetzung und Beschränkung Überhaupt setzte“, und, da die moderne Kraft des Beschränkens eben der Verstand ist, als ob sie sich gegen den Verstand überhaupt setzte? – Keinesfalls. Die Vernunft hat die gegenwärtige Macht und das historische Verdienst des Verstandes anzuerkennen, d. h. sie hat „ihm eine Gewalt und ein Reich“ einzuräumen (J 485), seine Absolutsetzung aber zu relativieren, denn „daß die Bestimmtheit einer Stufe fixiert und formell absolut gemacht worden ist“ (J 481 f.), stellt die tödliche Bedrohung für die Notwendigkeit dar, „daß die Individualität (des Volkes: H.-P. K.) fortschreite, sich metamorphosiere, […] damit alle Stufen der Notwendigkeit an ihr als solche erscheinen“ (J 483 f.). „Die absolute Totalität hemmt sich als Notwendigkeit in jeder ihrer Potenz, bringt sich auf ihr als Totalität hervor, wiederholt daselbst sowohl die vorhergehenden Potenzen, als sie die nachfolgenden antizipiert; aber eine derselben ist die größte Macht, in deren Farbe und Bestimmtheit die Totalität erscheint, ohne jedoch für das Leben etwas Beschränkendes zu sein“ (J 483 f.). Vom Standpunkt dieser in einem realistischen und heroischen Totalitätsfassung besteht die Aufgabe der Übergangsperiode darin, zu verhindern, dass die sittliche Totalität eines Volks durch die Farbe des Verstandes bestimmt bleibt, also zu sichern, dass die sittliche Totalität in ihrer Entwicklung fortschreite. In der Übergangsperiode ist zu erreichen, dass das sich in der verständigen Organisation aufzehrende Leben „als sein eigenes Samenkorn aus seiner Asche ewig zu neuer Jugend sich emporhebe“ (J 454). Die Übergangsperiode hat keinen absolut reinigenden Charakter, auch wenn von ihrem Standpunkt aus die verständige Welt der Vergangenheit anheimgestellt werden soll. Das „Unglück aber der Periode des Überganges (ist es), daß dieses Erstarken der neuen Bildung (nämlich der, dass die Individualität des Volkes sich fortschreitend metamorphisiere: HPK) sich nicht von dem Vergangenen absolut gereinigt hat“ (J 482 f.). Dies löst „geheime Verzweiflung“ aus (J 126). Die durchzusetzende vernünftige Organisation der realen Lebensverhältnisse als sittliche Totalität schließt von vornherein ein, „mit Bewußtsein“ einen Teil dieser Totalität der verständigen Organisation zu „opfern“, so daß die Totalität „ihr eigenes Leben davon gereinigt erhält“ (J 485). Hier auf dieser Frageebene angekommen, vollzieht Hegel regelmäßig einen entschiedenen Umbruch in seiner Argumentationsweise. Den „Schicksalspunkt“ seiner „geheimen Verzweiflung“ erreicht, erfolgt der Umbruch von unerschrockener Historisierung aller Bestimmungen zur Aufführung einer überwältigenden und daher ewigen „Tragödie im Sittlichen“, die nur nach „Versöhnung“ ausrufen lassen kann (J 458 ff.). Wenigstens die Tragödie des Sittlichen, d. h. die Subsumtion der Totalität unter den Verstand muss laut Hegel verhindert werden. Der durch Abstraktion ins Ewige abgebrochene Versuch, sich durch konsequente Historisierung zu befreien, rangiert die Problemstellung einer Periodisierung in die Zukunft hinein aus. An die Stelle der Tragödie im Sittlichen treten, diese zu bewältigen, nach und nach die Hegel eigentümlichen, immer ausgefeilteren Systemkonstruktionen. Das Unglück der Periode des Überganges schiebt Hegel in den Verdrängungsraum der Philosophie, in das Ewige, das die Ansammlung des historisch nicht Beherrschbaren

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umfängt. In Hegels beklemmend zu lesendem „Bild dieses Trauerspiels“ (J 459), welches die Eumeniden nicht weniger als auch wieder den christlichen Gott herbeiruft, würgt Hegel, nach Frankfurt noch einmal unmittelbar, dies Unglück aus sich heraus, welches er hier schon und später endgültig in der begrifflich geschlossenen Phalanx von Systemfeldern abfängt, während Hölderlin seine geheime Verzweiflung in sich und damit sich zu Wahnsinn zerreißt. Hegels mit Hölderlin gemeinsame Opposition gegen die Vertröstung des gegenwärtigen Wirkungsanspruches schlägt, angesichts der ausgeschlossenen Rückkehr in die unverständige Welt und des zugleich nicht absolut reinigenden Charakters der Gegenwartsperiode, in die Allgegenwart des Überganges um. Hegels Ebene des Ewigen entsteht nicht durch abstrakt vergleichende (J 41), d. h. verständige Hervorhebung des der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Gemeinsamen, sondern rührt aus der Allgegenwart der Übergangsperiode her, die sich von ihrer Vorgeschichte zwar schon abzuheben weiß, aber keinen Endpunkt für sich ausmachen kann. Sie ist historisch zu realistisch bestimmt, als dass sie durch ein zukünftiges Paradies abgelöst werden könnte. Sie ist zu heroisch von Hegel bestimmt, als dass sie ihr unheroisches Resultat akzeptieren könnte. Das „ganze System“ (J 481) der Sittlichkeit erfasst nur im Gegensatz zur Vergangenheit das „Logische“ (J 418) der gegenwärtigen Geschichte. In Bezug auf die Zukunft schlägt das System als die gesetzmäßige Struktur der „lebendigen Gegenwart“ (J 481) in die Dimension des Ewigen um. Der historisch wirkliche Endpunkt des Überganges ist der sich nicht mehr nur abzeichnende, sondern unwiderrufliche Tod des Heroischen in der reifen kapitalistischen Gesellschaft. Hegels Einsichten in die Macht des Verstandes führen zu einer systematischen Blockierung dieser Zukunft. Die Hegels Denken zur Verfügung stehenden Alternativkräfte zum Verstand sind solche innerhalb des Überganges zur bürgerlichen Gesellschaft, nicht aber solche, die aus der reifen bürgerlichen Gesellschaft nach-industriell entstehen könnten. Der ganze bisherige Geschichtsprozess läuft bei Hegel in der endlosen Übergangsperiode auf, die Absolutes gleichsam nach oben, nicht nach vorne auf der Zeitachse in Anspruch nimmt. Sie braucht zu ihrer Ermöglichung das nur sie erfüllende Absolute. Es gibt kaum eine eindringlichere Behauptung in Hegels Jenenser Texten, als die der heroischen Annahme, die Vollständigkeit der Bildung des Verstandes sei durchlaufen. Hegels heroisches Absolute stattet sich mit ewigen und hegemonialen Vollmachten aus, um sich der verständigen Welt gewachsen zu zeigen. Die Allgegenwart des Überganges ist nach vorne gesehen ohne jegliche „Poesie der Zukunft“, aus der für Marx die sich ständig selbst zu korrigierenden proletarischen Revolutionen immer wieder neue Anlaufkraft zu schöpfen hätten. Sie ist historisch nach hinten gesehen aber auch schon zu sehr selbstbewusste Gegenwart, um noch einfach eine welthistorische Totenbeschwörung sein zu können. Lykurg ist sowieso tot. „Gott selbst ist tot“ (J 414). So merkwürdig es scheinen mag, Hegel, der weder die historischen Errungenschaften des Verstandes aufgeben, noch die sittliche Totalität dem Verstand ausgeliefert sehen will, setzt alle Hoffnung darein, dass der Übergang in sich selbst kreisend stecken bleibt, und ruft, da von einer wirklichen Zukunft abgeschnitten, die „Auferstehung der Totalität“ an. Die historische Entwicklung wird nicht in eine Zukunft im Gegensatz zur Übergangsperiode gedacht, quasi parallel zur Zeitachse, sondern vertikal in die Höhe der eben begonnenen endlosen Übergangsperiode, wo nun Systemschicht auf Systemschicht zu liegen kommt, um die

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Widersprüche der jeweils unteren Schicht der Systemhierarchie aufzuheben. Das System der allgegenwärtig ewigen Bestimmungen hält den Übergang in sich selbst gefangen, um ihn heroisch zu erfüllen. Das rein reelle System des Verstandes durch ein anderes rein reelles System zu überwinden, schloss Hegel nachdrücklich im Winter 1798/99 aus dem Raum des ihm Denkbaren aus (F 333). Mit diesem System ist also zu leben, und zwar durch die „Kraft des Opfers“ (J 458). „Daß Beides, das Aufgehobensein des Gegensatzes und das Bestehen desselben, nicht nur ideell, sondern auch reell sei, ist überhaupt das Setzen einer Abtrennung und Aussonderung“ (J 454). Dem „System des Erwerbs und Besitzes“ (J 476) von „bourgeois“ (J 458 u. 468) ist ein großer Teil des Volks aufzuopfern. So sehr diese Sphäre vom Standpunkt der sittlichen Totalität des Volks aus kritisch bewertet werden muss, gegen despotische Eingriffe in diese Sphäre nimmt Hegel nachdrücklich Stellung: „So könnte auch das Staatsrecht sich als solches aufs Einzelne schlechthin beziehen und als eine vollkommene Polizei das Sein des Einzelnen ganz durchdringen wollen, und so die bürgerliche Freiheit vernichten, was der härteste Despotismus sein –würde“ (J 477). Diese Kritik richtet sich nicht nur gegen feudaldespotische Eingriffe, sondern auch gegen kleinbürgerliche Eingriffe, die Hegel in Deutschland philosophisch durch Fichte vertreten sieht. Das System von Eigentum und Privatrecht muss sich „reell abgesondert und ausgeschieden“ aus der sittlichen Totalität in sich „in seiner ganzen Länge und Breite ausdehnen können“ (J 457), „seine völlige Tätigkeit entwickeln können“ (J 458). Zugleich ist aber der bourgeois als „politische Nullität“ (J 458) zu behandeln, und das Übergreifen der in seiner Sphäre gültigen Prinzipien des Privatrechts auf die Ebene des Staatsrechts unbedingt zu verhindern (J 476 f.). Hegel greift auf den in 3.1. bereits vorgestellten Begriff eines verselbständigten Staates zurück. Jetzt wird dieser Staatsbegriff nicht mehr vordergründig als Erfahrung der Französischen Revolution geschichtswissenschaftlich dargestellt, wie in der Verfassungsschrift, sondern mit der aristotelisch-platonischen Tradition unter dem Gesichtspunkt der philosophischen Systemkonstruktion legitimiert. Das Hegel die größten Schwierigkeiten bereitende Problem besteht darin, eine von verständiger Bestimmtheit unabhängige soziale Kraft (einen „Stand“) ausfindig zu machen, welche diesen Staat zu tragen vermag. In diesem Zusammenhang erfolgt aushilfsweise der Rückgriff auf die antike Tradition, um einen von materieller Arbeit, Eigentum und Geschäften freien Stand annehmen zu können. (J 454 ff.) Hegel weiß aber, dass die antike Freiheit notwendig mit Sklaverei zusammenhing (J 456 f.), und entgegen dieser Einheit beider in „den neuen Zeiten“ das „bürgerliche Recht […] eine besondere Oberherrschaft über das Staats- und Völkerrecht erworben“ (J 477) hat. Die gegeneinander gleichgültige Existenz der ökonomischen und staatlichen Sphäre, ohne in die jeweils andere überzugreifen, ist infolge der anmaßenden Eigengesetzlichkeit vor allem des Systems des Erwerbs und des Besitzes nicht möglich. Es gehört zum Wesen dieser Sphäre, „sich für eine Totalität“ zu nehmen, „die an sich, unbedingt und absolut ist“ (J 476). Es ist aber mehr oder weniger für alle Sphären der sittlichen Totalität des Volkes eine „Ausdehnung und ihr Selbstorganisieren“ (J 478) charakteristisch, ob außerhalb des ökonomischen Systems, oder in demselben wieder für jede „einzelne Potenz, es sei der Ackerbau oder die Manufakturen und Fabriken, oder der Handel“. Die staatliche Sphäre als bloße Staatsmaschine genommen, bringt insofern keinen Ausweg, als diese selbst „hochverständig“ (F 483) ist, wenn auch nicht auf rein reeller Ebene.

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Innerhalb der reellen Realität ist für Hegel ausdrücklich nicht die despotische, weder feudal- noch kleinbürgerlich-despotische Intervention des Staates die Lösung, sondern, dass die sittliche Totalität, und dies heißt hier politisch das Volk (J 449), die wuchernde Ausdehnung der „einzelnen Momente mit einem Mal alle konfundiert, sie in sich gezogen darstellt, und aus der Einheit wiedergeboren, mit der Erinnerung an diese Abhängigkeit und mit dem Gefühl ihrer (der einzelnen Momente: HPK) Schwäche, wenn sie für sich sein wollen, wieder hinausgehen läßt“ (J 478). Der Sinclairsche zentrale Gedanke einer „Confusion“, als die diesem kleinbürgerlich-republikanische Praxis galt, taucht beim Jenenser Hegel wieder auf, aber inhaltlich gewendet. Was ist, entgegen der früheren Annahme des Aufstands eines republikanischen Volks nunmehr, nach der Verfassungsschrift, das entschiedenste reelle Mittel für die „sittliche Gesundheit der Völker“, d. h. um die Völker in ihre „Indifferenz gegen die Bestimmtheiten und gegen das Angewöhnen und Festwerden derselben“ perennierend zu führen, wie „die Bewegung der Winde die Seen vor der Fäulnis bewahrt, in welche sie eine dauernde Stille, wie die Völker ein dauernder, oder gar ‚ein ewiger Frieden‘ versetzen würde“ (J 449 f.)? Als das entschiedenste reelle Mittel für die sittliche Gesundheit der Völker gilt Hegel der Krieg, „weil in ihm die freie Möglichkeit ist, daß nicht nur einzelne Bestimmtheiten (wie durch Staatsinterventionen: H.-P. K.), sondern die Vollständigkeit derselben als Leben vernichtet wird, und zwar für das Absolute selbst oder für das Volk“. In der Tat, dass das ökonomische System „sich nicht für sich konstituiere und eine unabhängige Macht werde, ist es nicht genug, […] Sätze aufzustellen“. So sehr der Staat den gleichheitszerstörerischen Auswirkungen des ökonomischen Systems durch „Auflagen“ zur „Verminderung des Besitzes und Erschwerung des Erwerbens […] und Bedrückung des Handels“ zu antworten hat, die „Unabhängigkeit von dem rein reellen System“ kann „am meisten durch den Krieg“ (J 451) garantiert werden. Der Krieg unterstellt die in 3.1. beschriebene Einheit von Staats- und Volksgewalt. Hegels „Krieg“ ist kein Krieg im Interesse von Privatleuten, seien diese Fürsten oder bourgeois. Im Gegenteil, die Bestimmtheiten ihrer Sphären werden durch Krieg flüssig. Die kriegerische Verbindung von Staat und Volk ist keine „gewaltlose Existenz“, sondern gewalthabende und damit gegen reelle Verstandesbestimmungen aufkommende Existenz „des gemeinsamen Willens“. Durch diese Einheit wird verhindert, dass auf der einen Seite die Gewalt des Staates, die real ja „besteht aus lauter Privatwillen, die sich also nicht als gemeinsamer Wille konstituieren können“, „sich durch ihr eigenes Urteil von selbst absondere“, und auf der anderen Seite des Volks „die Insurrektion wäre“ (J 445). „Zwang“ signalisiert bei Hegel volklose Gewalt, gleich welches Staates. Hegels sittliche Totalität schließt, angesichts der reellen Gewalt des Verstandes, keinesfalls reelle Gewalt, aber entschieden Zwang aus (J 445 f.). Zwang ist „Gewalt Besonderer gegen Besondere“, statt „auf Allgemeinheit“ begründete Gewalt (F 459). Der Krieg ist das reelle Mittel dafür, dass das von der politischen Ökonomie beschriebene „System der Realität“ der sittlich totalen „Herrschaft unterworfen“ bleibt (J 450). Als Träger der Staatsgewalt umschreibt Hegel vage die Verbindung aus aristotelisch-platonischem „Stand der Freien“ (J 455) und modernem „Staatsbeamten“ (J 477). Als Träger der Volksgewalt bestimmt Hegel im Gegensatz zu den bourgeois und in Übereinstimmung mit Napoleons Macht den Bauernstand, der „sich außer der Differenz des Verstandes“ befindet, „seine Leiber und seinen Geist in der Möglichkeit formeller absoluter Sittlichkeit, der Tapferkeit und

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eines gewaltsamen Todes erhält, also den ersten Stand (der Freien: H.-P. K.) nach der Masse und dem elementarischen Wesen vermehren vermag“. Diese beiden Träger der Staats- und Volksgewalt werden als die einander in Kriegstüchtigkeit ergänzenden sozialen Kräfte der sittlichen Totalität der „erwerbenden Klasse“ in „den neueren Völkern“ entgegengestellt (J 455). In der Bestimmung eines philosophischen Konzepts speziell für den „Untergang oder Übergang des Vaterlandes“ ging Hölderlin Hegel vorauf. Ohne hier einen Vergleich beider Konzepte anschließen zu wollen, – Hegels „Entwurf einer philosophischen Einleitung“ in seine Verfassungsschrift von 1799/1800 steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Hölderlins „Werden im Vergehen“ (1799/1800). Hölderlin vermittelt in einer Reihe von genetisch-logischen Schritten „Möglichkeit“ und „Wirklichkeit“ des „Überganges“78. Unter den drei Perioden innerhalb des Überganges bei Hölderlin kommt die dritte der hier beschriebenen Übergangsperiode bei Hegel nahe. Sie beinhaltet bereits die Dialektik innerhalb des Neuen, zwischen Citoyen und Bourgeois, „Unendlichneuem“ und „Individuellneuem“, oder bei Hegel, Vernunft und Verstand. „Das Ende dieser zweiten Periode und der Anfang der dritten liegt in dem Moment, wo das Unendlichneue als Lebensgefühl (als Ich) sich zum Individuellalten als Gegenstand (als Nicht-Ich) verhält, …“79

3.4 Die Methoden des phänomenologischen und dialektisch-logischen Eingreifens der Philosophie Welche Aufgaben entstehen der Philosophie innerhalb der ideellen Realität unter Voraussetzung der genannten Zusammenhänge in der reellen Realität der Periode des Überganges? In der reellen Realität stellt sich dem ökonomischen System der einzelnen Bestimmtheiten das staatliche System der allgemeinen Bestimmtheiten gegenüber. Im heroischen Krieg konfundieren Staats- und Volksgewalt miteinander, um die absolute Festsetzung der reellen Verstandesbestimmungen sowohl rein ökonomischer als auch rein staatsmechanischer Art aufzuheben. In der ideellen Realität war uns in 3.2. der Verstand als gemeiner Menschenverstand und Verstand der Wissenschaften begegnet, dem sich das System der Philosophie gegenübersetzt. Welche Konstellation der theoretischen Realität korrespondiert mit welcher der reellen Realität? „Wie in der Wissenschaft ein solches Festwerden und Isolieren der einzelnen Prinzipien und ihrer Systeme und ihr Übergreifen über andere allein durch die Philosophie verhindert wird […]; ebenso stellt sich in der Realität dieses Einschränken und Ideellsetzen der Potenzen als die Geschichte der sittlichen Totalität dar, in welcher sie […] bald das Staatsrecht durch ein leichtes Übergewicht des Bürgerlichen an seine Bestimmtheit mahnt, bald durch das Übergewicht von jenem in diese Einbrüche und Risse macht“ (J 477 f.). Wie vollbringt die Philosophie diese Aufgabe? Etwa nur dadurch, dass, so wie reell die volklose Staatsgewalt durch Zwang auf die privaten Willen wirkt, die Philosophie ideell als System 78

79

F. Hölderlin, Das untergehende Vaterland. In: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 4 (= Frankfurter Ausgabe, d. h. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. D. E. Sattler, Frankfurt/M. 1975), S. 424 ff. Vgl. G. Mieth, Friedrich Hölderlin, S. 72 ff. Hölderlin, Das untergehende Vaterland. In: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 429.

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den Verstand „regiert“ (J 207), oder nicht eher dadurch dass, so wie reell die sittliche Totalität des Volks im Krieg ihre „einzelnen Momente mit einem Mal alle konfundiert“ (J 478) eben die Philosophie ideell die „Confusion“ (Sinclair) der Momente der Totalität bewirkt? – Der Wirkungsanspruch der Philosophie als System in der geistigen Kultur fragt nach solchen Analogien zwischen den Sphären, und man kennt derartige Analogien aus der Architektonik der Vernunft von Kant, nur dass Hegel alles andere als ein sicheres Haus verspricht. Ohne die Integration der anarchischen Aktivität des Volks in die zentral organisierte Staatsgewalt entstehen einerseits Despotismus und anderseits Insurrektion. Dass „das Verhältnis (des staatsverständigen Zwanges: HPK) überhaupt nichts an sich ist, hat […] die Dialektik zu erweisen“ (J 445). Der ideelle Regierungsanspruch des Systems der Philosophie (vgl. J 472) würde sich, ohne in Einheit mit „absolutem Negieren“ (J 17), in ideellen Despotismus, was Hegel „Dogmatismus“ (J 206, 214) nennt, verwandeln. So wie die hochverständige Staatsmaschine als solche ohne Konfusion mit der Volksgewalt im Krieg nicht gegen den rein reellen Verstand ankommt, sichert auch ideell die Philosophie nur als System nicht die Herrschaft über den Verstand, sondern reproduziert den „Dogmatismus des gemeinen Bewußtseins“ (J 222) innerhalb der Philosophie. Hegel geht so weit, das in den Philosophien durch historisch partikulare Ansichten Determinierte „nur zur Form des Systems, nicht zum Wesen der Philosophie“ (J 10) zu zählen (vgl. J 22 f.). Seine Invektiven gegen die psychischen „Eigentümlichkeiten“ einzelner Philosophen sind Legende. Sie verlaufen analog zu der Kritik an der Willkür einzelner Herrscher, die noch nicht ihre Aufgabe in modernen Strukturen erkannt haben. Das Pochen auf den Eigentümlichkeiten der Psychen lenkt von den Strukturfragen soziokultureller Sphären ab und in die kapitalistische Konkurrenz auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten um. Dagegen helfe nur eines, sich an allgemein und öffentlich zugängliche Verfahren zu halten: „Je besser die Methode ist, desto greller werden die Resultate“ (J 28). Wie kann das „gemeine Bewußtsein“ der lebendigen Sphären nach dem System der Philosophie ausgerichtet werden? Das gemeine Bewusstsein ist durch den „sogenannten gesunden Menschenverstand“ beherrscht. Er stellt die rationale Grundform des sozialen Bewusstseins dar. Zugleich hängen sich an seine Gegensätze „alle Gewichte menschlicher Interessen an“ (J 13). Die Kraft des Verstandes, dass sich der Mensch mit verständigen Weisheiten „durchs Leben durchhilft“ (J 20), dass der Verstand massenhaft die praktischen Handlungen orientiert, erwächst aber zunächst weniger seiner rationalen Ausstrahlungskraft, als vielmehr der Einheit mit seinem Widerpart innerhalb des Bewusstseins. Seine „Aussprüche“ werden durch „die dunkle, als Gefühl vorhandene Totalität unterstützt“, von dem in einem Gefühl vorhandenen Absoluten begleitet (J 20). Diese Entgegensetzung innerhalb des gemeinen Bewusstseins ist die erste, die die philosophische Vernunft in ihrer Wirksamkeit auf die lebendigen Sphären auszunutzen hat, nämlich zu erreichen, dass dieses, wenn auch erst im Gefühl vorhandene Absolute sich der Verstandesherrschaft „entgegenstemmt“ (J 20). In dieser Entgegensetzung von gesundem Menschenverstand und gefühlter Totalität liegen zunächst die vorphilosophischen Wirkungsmöglichkeiten des religiösen und künstlerischen Bewusstseins auf das gemeine Bewusstsein. Aber auch die Philosophie hat diese Spaltung des gemeinen Bewusstseins als Einstieg zu benutzen. Die ganze geistig-praktische Oppositionshaltung des frühen Hegel finden wir hier, in Übereinstimmung mit Schelling, in die Philosophie mitgenom-

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men wieder. „Jede Philosophie ist in sich vollendet, und hat wie ein echtes Kunstwerk die Totalität in sich“ (J 12). Die bewusste Handhabung der metaphorischen Ausdrucksweise dient als Mittel philosophischer Vernunftsrealisation, wie oben z. B. zitiert beim Wind des Krieges gegen die faule Friedensstille, dem (von Pascal übernommenen) Bild, Gott ist tot, oder dem sich aus seiner Asche zu ewiger Jugend emporhebenden Leben. Die philosophische Fähigkeit schließt ein, das philosophische Konzept adäquat auch in Metaphern organisieren zu können. Die religiöse und künstlerische Einflussnahme auf das gemeine Bewusstsein scheitert aber letztlich daran, dass sie dem reflexiven Rationalitätsmaß des herrschenden Verstandes rational nichts Überlegenes entgegenzusetzen hat. Dadurch kann der Verstand auch als ideelle Struktur, und nicht erst im Sinne seiner reellen Entsprechungen, das religiöse und künstlerische Bewusstsein „neben sich oder sich neben sie“ stellen, so dass beide seine ideelle Herrschaft ergänzen und zieren, statt diese auf rationalem Boden selbst zu hinterfragen. Daher kommt die Hegel spezifische Wende zustande: „Aber der Verstand kann auch unmittelbar auf seinem Gebiete durch die Vernunft angegriffen und die Versuche durch die Reflexion selbst die Entzweiung und somit seine Absolutheit zu vernichten, können eher verstanden werden“ (J 15). Wenn aber die Reflexion selbst „zum Instrument des Philosophierens“ (J 16) wird, dann muss sie in sich unterschieden oder verdoppelt werden: „Die isolierte Reflexion, als Setzen Entgegengesetzter, wäre ein Aufheben des Absoluten; sie ist das Vermögen des Seins und der Beschränkung. Aber die Reflexion hat, als Vernunft, Beziehung auf das Absolute, und sie ist nur Vernunft durch diese Beziehung; die Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Sein und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht.“ (J 17). Die Ausnutzung der fixen Gegensatzstruktur der verständigen Ratio stellt mithin die zweite große Einstiegsmöglichkeit der philosophischen Vernunft dar. Dies impliziert die philosophische Fähigkeit, die Denkweise der Vernunft auch in der reflexiven Denkweise des Verstandes formieren zu können. „Die Form, die das Bedürfnis der Philosophie erhalten würde, wenn es als Voraussetzung ausgesprochen werden sollte, gibt den Übergang vom Bedürfnisse der Philosophie zum Instrument des Philosophierens, der Reflexion, als Vernunft“ (J 16). Wie die metaphorischen Ausdrucksmittel der Philosophie nicht das Vernunftkonzept in philosophisch begrifflicher Form ersetzen dürfen, so darf ebenso wenig die Reflexion den philosophischen Begriff der Vernunft ersetzen. Metapher und Reflexionskategorie sind nur als Wirkungsmittel auf das die praktischen Handlungen begleitende Bewusstsein in Bewegung zu setzen. Ihr Missbrauch führt dazu, dass Gefühlsduselei und Verstand zu Philosophie erhoben werden. Die Philosophie wird, wie im Falle des Verzichts auf beide Mittel, zur sozialen Wirkungslosigkeit verdammt. Hegel fordert vom Philosophen die Fähigkeit des bewussten Gebrauchs der jeweils dem Wirkungskreis angemessenen Mittel. Er fordert die philosophische Fähigkeit, eine ständige Transmission zwischen den geistig-praktischen und geistigen Aneignungsweisen leisten zu können. Sie bedeutet in jedem Falle, diejenige Tätigkeit freizulegen, die die Vereinigung von Subjekt und Objekt ermöglicht hat, im Gegensatz zu der Verselbständigung des Resultats dieser Tätigkeit in einem fixen Produkt oder Ding. Vernunftbegriffe sind Tätigkeitsbegriffe, keine Verstandesbegriffe, d. h. keine Dingbegriffe. Zudem werden Metaphern häufig als etwas Irrationales missverstanden, statt einzusehen, wie bereits Aristoteles wusste, dass ihr Überge-

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hen ja in der Übertragung einer Begriffsrelation auf eine andere besteht.80 Analogien sind nicht irrational, sondern der Einstieg in eine Untersuchung. Zu jedem Paradigma gehört die Erschließung desjenigen Bereichs, um dessen Gegenstände es in dem Paradigma gehen soll. Unter Ausnutzung des Widerspruchs des Verstandes zu seiner emotionalen Grundlage und seiner Selbstwidersprechung, indem er Gegensätze fixiert, muss die Vernunft seine Bestimmungsarmut metaphorisch und reflexiv hervortreten lassen. Das Produkt des philosophischen Eingriffs, das „im Bewußtsein konstruierte Absolute“, wird „Bewußtes und Bewußtloses zugleich sein“ (J 16, vgl. 27 f.). Insofern verhält sich die Philosophie nach außen begrifflich reflexiv und intellektuell anschauend zugleich. Die philosophische Vernunft „verführt“ und „leitet“ (J 17) den Verstand derart reflexiv, dass er sich selbst „vernichtet“, dem „Gesetz der Selbstzerstörung“ (J 18) ergibt, wofür die Vernunft von ihm, dem Verunsicherten und in seiner Herrschaft Infragegestellten, „gehaßt“ und „verfolgt“ wird (J 24). Derart verwirrt und an seinen eigenen Grenzen aufgesprengt, wird der Verstand „fähig gemacht“, den philosophischen Eingriff „zu ertragen“ (J 23). Er ist an jenen Punkt geführt, an dem er der Hegemonie der philosophischen Vernunft zu unterwerfen ist. Sie hat endlich erreicht, über ihn auf die Gestaltung der lebendigen Sphären Einfluss zu gewinnen, den sie unmittelbar als Vernunft nicht gewinnen kann. Beide treffen sich „in dieser Nacht der bloßen Reflexion“. Diese Nacht wird, unter der Voraussetzung, dass die philosophische Vernunft im Gebrauch der ihr inadäquaten Reflexion sich nicht selbst verloren hat, zugleich zum „Mittag des Lebens“. Das Bündnis des Verstandes und der Vernunft unter ihrer Führung beginnt. Die „Nacht“- bzw. „Wald“-Metapher im Zusammenhang mit dem Lebendigen, heißen „Mittag“ bedeutet schon bei Sinclair und Hölderlin das Vorbereitungsstadium und die historische Aktion selbst. „Und in dieser Nacht der bloßen Reflexion und des räsonierenden Verstandes, die der Mittag des Lebens ist, können sich beide begegnen.“ (J 23) Die gleich 1801 von Hegel gestellte „Aufgabe der Philosophie“: – „Das Absolute soll fürs Bewußtsein konstruiert werden“ (J 16) –, entfaltet sich ab 1805 explizit zur „phänomenologischen“, noch immer über die Anschauung laufenden Problematik81, wird aber 1801 im Anschluss an Schellings Anschauung entworfen. Hegel will durch die Anwendung spezifisch phänomenologischer Instrumentarien auf das falsche, aber die lebendigen Handlungen bestimmende Bewusstsein die geistige Orientierungsfunktion seiner Philosophie sichern. Insbesondere gilt es, das in die innere Welt geflüchtete Bewusstsein schöner Seelen und das in der Ideologie der Freiheitsraserei ausharrende Bewusstsein aufzubrechen, um diese Bewusstseinsgestalten entsprechend den Aufgaben der Übergangsperiode führen zu können, d. h. sie dem neuen System der Philosophie zu subordinieren.82 Im Unterschied zur Phänomenologie greifen die Natur- und Geistesphilosophie, ab 1803–1804 als differenzierte philosophische Disziplinen von Hegel entworfen, nicht in die Veränderung der gemeinen Kultur, sondern in die Wissenschaftsproduktion 80

81 82

Aristoteles, Poetik. Griechisch und deutsch. Übers. v. Walter Schönherr, Leipzig 1979. 21. Kap. Dort findet sich S. 77 f. das berühmte Metaphernverständnis: „Metapher ist die Übertragung eines Wortes, das eigentlich eine andere Bedeutung hat, entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf die andere oder durch Analogie.“ Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 26 ff. Vgl. M. Lauermann, Begriff und Erfahrung, S. 35 f. u. 47 f.

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ein. Beiden Kampfarten der philosophischen Vernunft ist die Formierung der philosophischen Vernunft als sich selbst begrifflich adäquater Vernunft vorausgesetzt. Die Entwürfe einer besonderen philosophischen Disziplin über die Wissenschaft der Logik, die aus der „Metaphysik“ ebenfalls ab 1803–1804 hervorgehen, erhalten ihre erste eigenständige Gestalt.83 Darauf komme ich ausführlich im 5. Kapitel zurück. Wie kann das in den wissenschaftlichen Sphären bestimmende Bewusstsein vom System der Philosophie geleitet werden? Die erste Wirkungsmöglichkeit der Philosophie ergibt sich aus der Beherrschung des Widerspruchs innerhalb der Wissenschaft zwischen anschauender Empirie und verständig verfahrender Theorie. Hegel verteidigt „das relative Recht der Empirie“ (J 430) gegen den Formalismus der Verstandesherrschaft über die Empirie. In ihrem „bewußtlosen Inneren“ schwebt der Empirie die wissenschaftliche Tätigkeit vor, die sich jedoch nur zu einer Totalität des bloß Mannigfaltigen oder als einfache Vollständigkeit auszubilden vermag. Die reine Empirie ist erkenntnistheoretisch noch das Wissenschaftsreich eines vorbegrifflichen Reichtums an Inhalten gefasst. Zugleich ist sie hinsichtlich der Organisationsform das Wissenschaftsreich der Gleichheit zwischen den Teilen des Mannigfaltigen. Der Verstand „verrückt die Stellung des Mannigfaltigen“ in Ungleichheit, während für die Empirie „jedes gleiche Rechte mit dem anderen hat, und welche keine Bestimmtheit, deren eine so reell ist als die andere, der andern vorzieht“ (J 423). Die verständige Theorie dagegen ordnet bestimmte Teile des Mannigfaltigen zu Abstraktionsketten „nach dem Prinzip der Entgegensetzung, worin allein Herrschen und Gehorchen möglich“ (J 427) sind. Der Verstand zerstückelt damit die organischen Anschauungen der Empirie und löst den Reichtum des angeschauten Mannigfaltigen in der Armut seiner „wesenlosen Abstraktion“ (J 429) auf, die den Reichtum der Empirie nicht begrifflich zu produzieren versteht. Der begrifflichen Einseitigkeit des Verstandes entspricht die Einseitigkeit der Empirie, ihre Begriffslosigkeit. In diesem Widerspruch wälzen sich beide aneinander fort in allerlei beide nicht befriedigende „Vermischungen“, wie Hegel in „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts“ (1803) schreibt (J 349 u. 430). Überhaupt spielt die Entgegensetzung zwischen anschauender Empirie und verständiger Theorie innerhalb des Wissenschaftsbewusstseins eine der Entgegensetzung zwischen bewusstlos gefühlter Totalität und gesundem Menschenverstand im gemeinen Bewusstsein vergleichbare Rolle, einschließlich der Reflexion als philosophisches Instrument. In der Gegenüberstellung des Wissenschaftsreiches des Verstandes, d. h. der Herrschaft (vgl. auch J 32), und der Empirie, d. h. der Gleichheit, ist der Ursprung des Jenenser Programms der Hegelschen Philosophie, selbst nach ihrer wissenschaftstheoretischen Seite hin, direkt ablesbar. Wieder benutzt Hegel Sinclairs Kategorie der „Konfusion“, um für die Empirie und gegen die falsche Konfusion des Verstandes, ob in Wissenschaft oder Philosophie, Partei zu ergreifen, da solche „Metaphysik […] keine Anwendung habe und der notwendigen Praxis widerspreche“ (J 429). Hegel nimmt entschieden die historisierende Argumentation gegen die zeitlosen Abstraktionen des Verstandes aus der „Neufassung der Positivitätsschrift“ von 1800 wieder auf. Die Philosophie hat die Richtigkeit der Kritik der Empirie an der Verstandesherrschaft aufzuzeigen, ohne dem Wissenschaftsverstand die Begriffsfelder zu überlassen. Sie ihm zu überlassen bedeutet, in der Kritik 83

Siehe H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, S. 120 ff.

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an ihm seine Herrschaft nur zu bestätigen. Die Philosophie fiele so selbst auf den Standpunkt der unmittelbaren Anschauung des Absoluten zurück, oder sie „pochte“ nur auf den Reichtum des Materials „und“ die Verständlichkeit. Dies bezeichnet Hegel später in der „Phänomenologie des Geistes“ als den „hauptsächlichsten Knoten […], an dem die wissenschaftliche Bildung sich gegenwärtig zerarbeitet“.84 Der Verstand ist vernünftig aufzuheben. Die Vernunft vereinigt und vernichtet in einem seine Bestimmungen (J 17). Auf dem Boden der Erkenntnis dessen, was ist, geht Hegel davon aus, dass in der Periode des Übergangs der Verstand als Absolutum aufgehoben werden muss, aber nicht absolut aufgehoben werden kann (J 63 u. 434). Dies sind die Grenzpunkte des Spielraums der von Hegel anvisierten Kritik. Innerhalb dieses Spielraums ist die Vernunft unversöhnlich. Sie errichtet in ihm ihre absolute Hegemonie. Mit unerbittlicher „List“ wird jede Verstandesbestimmung in den „Untergang“ (J 17) ihrer eigenen Reflexivität gestoßen. Die Grenzpunkte des Spielraums Hegelscher Kritik werden in die ganze Begriffswelt transformiert. Als Alternative zu den leeren Verstandeskategorien fordert Hegel bestimmte Begriffe, wie wir bei Behandlung der Verfassungsschrift sahen. So hebt die bestimmte Negation die Position als Absolutum auf, ohne die Position absolut aufzuheben. Die absolute Aufhebung der Position ist nur einfache Negation, die wieder dasselbe ist wie die Position, denn die Position ist nur Position, insofern sie die absolute Aufhebung der Position, also die einfache Negation, absolut aufhebt. Die bestimmte Negation hebt die Position absolut auf, nur indem sie die Position als Absolutum aufhebt, d. h. innerhalb des vorausgesetzten (nicht entweder positiven oder negativen) Absoluten relativiert. Die Methode des Absoluten enthüllt sich als Methode zu relativieren. Der weltanschaulichen Losung der Versöhnung (mit der Tragödie im Sittlichen statt des Sittlichen, siehe oben) entspricht die theoretische der Relativierung, oder der Herabsetzung zum Moment innerhalb des von Hegel vorausgesetzten Absoluten (J 446 ff.). – Diesem Akt des Hegelschen Absoluten aber, die Position (einfache Negation) als Absolutum aufzuheben, ist andererseits vorausgesetzt, dass die Position (einfache Negation) das Absolute geworden ist. Der Verstand, so scheint es, bleibt die bestimmte Vorstellung des gegenwärtigen Todes, das real vorauszusetzende Absolute der Untergang des von Hegel heroisch behaupteten Absoluten. Beide in der Übergangsperiode vorauszusetzenden Absoluta, das des Verstandes und das der Vernunft, treffen aufeinander. Insofern muss die Vernunft ihren Kampf absolut negierend gestalten. Die relativen Identischsetzungen verständiger Gegensätze sind selbst verständig (J 20). Die weltanschauliche Losung vom heroischen Kampf wird transformiert in den Begriff der dialektischen Negativität. Die Überwältigung des wissenschaftlichen Verstandes durch die philosophische Vernunft ist durch das metatheoretische Aufzeigen der Beschränktheit der Reflexionsstruktur nicht gesichert. Die philosophische Vernunft muss, sich zum System entfaltend, ihn auf jedem der von ihm besetzten Begriffsfelder schlagen (J 20, 23), d. h. selbst Vernunft des bestimmten Gegenstands werden. Sie hat die jeweils eigentümliche Logik des bestimmten Gegenstands selbst wissenschaftlich zu „produzieren“, ohne das Produkt zu verselbständigen (J 32 f.). Darin spricht sich das für Hegel spezifische Ethos der Sachlichkeit aus.85 Dadurch reproduziert die Vernunft auf begrifflicher Ebene den Reichtum 84 85

G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 17. So Gerd Irrlitz treffend in seiner Einleitung in Hegels „Jenaer Schriften“, Berlin 1972, S. V ff.

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der empirischen Anschauungen. Die Entwicklung der dialektischen Logik Hegels ist das Problem, eine Methode philosophischen Eingreifens in die Wissenschaftsproduktion zu schaffen derart, dass letztere nach ihrer dialektischen Aufsprengung wissenschaftlichen Charakter nur noch innerhalb des neuen philosophischen Systems besitzt. In der tatsächlich philosophischen Durcharbeitung der einzelnen Erfahrungswissenschaften zu ihrer Gesamtheit besteht ein unglaublich hoher Anspruch, an dem Hegel über Jahrzehnte festhält, bedenkt man seine späteren Konzeptionen von gymnasialer Bildung und seine neue „Enzyklopädie der Wissenschaften“, deren Fortsetzungen eine Schulbildung erfordern, weil sie die Kräfte eines Einzelnen überfordern. „Ob etwas eine subjektive Ansicht oder eine objektive Vorstellung, ein Meinen oder Wahrheit sei, kann die Philosophie allein ausmachen“ (J 472, vgl. J 20). Wie Hegel gegen staatlichen Zwang angeht, will er auch keinen „Gedankenzwang“ (J 473), aber doch die Hegemonie seiner Philosophie über die Wissenschaftsentwicklung sichern, weil diese, unter der Herrschaft des Verstandes, den heroischen Anspruch auf gesellschaftliche Emanzipation aufgibt. Diesen Anspruch gibt sie auf, sowohl hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Praxis, als auch hinsichtlich der ihr immanenten, verständigen Herrschaftsstruktur über die Empirie. Kehren wir zum Ausgangspunkt dieses 3. Kapitels zurück. Auf der Basis der ausführlichen textexegetischen Nachweise in diesem Kapitel entsteht folgender übergreifende Zusammenhang: Hegels eigenständige geschichtswissenschaftliche, anfangs noch von der Position des „höheren Aufklärers“ erfolgende Auswertung der Französischen Revolution führt, antizipatorisch und parallel zur Herausbildung des napoleonischen Stadiums dieser Revolution, zu einem eigentümlichen Begriff der Einheit von Staats- und Volksgewalt, der realgeschichtlich als napoleonisch-heroisch identifiziert wurde. Dieses realgeschichtliche Problem, wie das Primat des heroisch Politischen bewahrt werden kann, wird nun in Jena für die geistig-kulturelle Produktion angegangen. Hegels Jenenser Programm der Philosophie formuliert Mittel und Wege, wie die Philosophie der Vernunft die geistige Hegemonie über eine gemeine Verstandeskultur erringen kann. Mit dem revolutionshistorischen Gegensatzpaar hochverständige Staatsmaschine und anarchisches Volk korrespondiert im gesellschaftlichen Bewusstsein der Widerspruch zwischen dem Herrschaftswissen des Menschenverstandes und dem bewusstlosen Gefühl der freien Totalität, korrespondiert im wissenschaftlichen Bewusstsein der Widerspruch zwischen theoretischer Herrschaft des Verstandes und der anschauenden Empirie als dem Wissenschaftsbereich der Gleichheit, korrespondiert auf philosophischer Ebene der Widerspruch zwischen regierendem System und absolut negierender Methode, korrespondiert auf ökonomischer Ebene der Widerspruch zwischen dem verständigen System des Erwerbs und Besitzes und der Arbeitstätigkeit. Diese zuletzt genannte Leerstelle einer Stützung des Anspruches der Vernunft innerhalb der rein reellen Realität besetzt Hegel ab Herbst 1802. Aber greifen wir noch nicht dem 4. Kapitel vor. Der weltanschauliche Grundwiderspruch zwischen der notwendigen „Auferstehung“ des heroischen Anspruches (während der Französischen Revolution und in Vorbereitung auf eine Emanzipation in Deutschland) und den unheroisch bourgeoisen Resultaten der Revolution (die auf England verweisen) findet systematisch in einer Hierarchie der sozialen Sphären von der Ökonomie bis zur Philosophie seine Lösung, die ineinander und gegeneinander dialektisch bewegt werden. Hegels Systemhierarchie von sozialen Tätigkeiten zu begreifen, setzt die spezifische Problemstellung voraus, den Übergang

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zwischen beiden Formationen zu denken. Seine Heroismusform wird philosophisch durch ein objektiv-idealistisches System formiert86, das seinerseits in sich und nach außen dialektisch agiert. Hinter diesem steht, wollen wir Hegel rationell verstehen, das Problem, die dialektische Aktivität der staatlich-politischen Entwicklung gegenüber der ökonomischen Entwicklung und der Entwicklung der gesellschaftlichen Bewusstseinsformen gegenüber der ökonomisch-politischen Entwicklung innerhalb des Überganges zu geschichtlich Neuem, das nicht einfach die Vergangenheit wiederholt, zu denken. Eine verständige Struktur ist nicht durch eine andere verständige Struktur entsprechend den heroischen Erfordernissen der Übergangsperiode als ganzer zu bewältigen. Das jeweils höher bewertete verselbständigte Verstandessystem bedarf anarchischer, gefühlsmäßiger, empirischer, absolut negierender Mittel, um die Subsumtionskraft des unheroischeren, in der Totalität tiefer liegenden Verstandessystems unter heroischer Kontrolle zu behalten. Der in der welthistorischen Entscheidungsschlacht des Überganges notwendige Heroismus kämpft in philosophischer Form gegen seine bereits zutage getretene bourgeoise Vernichtung auf Leben und Tod, eben „absolut“. Hegels Dialektik entsteht als die Methode dieser heroischen Selbstbehauptung. Unter der Voraussetzung der aufgezeigten Vermittlungsglieder soll ein Vergleich der Art und Weise napoleonischer Revolutionspraxis und der Jenenser Art und Weise Hegelscher Philosophie dieses Kapitel beschließen, um Hegels Form von Philosophie historisch zu objektivieren: Hegels philosophische Verfahrensweise in der Frage, wie die Vernunft über eine bürgerliche Verstandeskultur die geistige Hegemonie erringen kann, folgt einer Antwort auf die Frage nach dem Politischen seiner Zeit. Die Frage nach dem Politischen betrifft das Problem, wie welches Primat im Verhältnis der ökonomischen, politischen und kulturellen Verhaltensweisen zustande kommt. Die Antwort, die Hegel auf die Frage nach dem Politischen seiner Zeit gewonnen hat, korrespondiert realhistorisch mit der Verhaltensweise des napoleonischen Citoyen gegenüber der eben erst entstehenden, noch vorreifen bürgerlichen Gesellschaft. Die napoleonische Praxis ist unmittelbar die politische Praxis des Staates. Sie war ein historisch besonderer „Triumph eines von der Gesellschaft getrennten und von ihr unabhängigen Staates“87, aufgrund der welthistorischen Übergangssituation der Gesellschaft selbst. Der Staat setzt sich als Selbstzweck gegenüber seiner Voraussetzung. Die Hegelsche Tätigkeit ist unmittelbar die philosophische Tätigkeit der Vernunft. Die Vernunft setzt sich bei Hegel als Selbstzweck gegenüber ihrer Voraussetzung. Weder in der napoleonischen Art politischer Praxis noch der Hegelscher Art philosophischer Tätigkeit handeln unmittelbar Völker, Klassen, Gruppen, Fraktionen, Individuen oder der Mensch, ein Individuum, die Natur, Gott, bloßes Bewusstsein, eine Idee, Anschauung, Meinung, Verstand. Wer trägt die napoleonische Praxis?: der Staat. Wer trägt die philosophische Tätigkeit bei Hegel?: die Vernunft. Das Vermögen philosophisch zu handeln, besitzt bei Hegel nur die Vernunft. Das Vermögen, politisch zu handeln, besitzt in der napoleonischen Praxis nicht eine Klasse oder Fraktion, sondern der Staat. Die Subjekte der napoleonischen Praxis und der Hegelschen Philosophie sind der Staat und die Vernunft. 86 87

Siehe allgemeiner G. Stiehler, Der Idealismus von Kant bis Hegel, S. 123 u. 183. K. Marx, Erster Entwurf zum „Bürgerkrieg in Frankreich“, MEW Bd. 17, S. 543.

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Der napoleonische Staat substituiert die direkte Hegemonie der Bourgeoisie zunächst, indem er sich als zentralisierte Staatsmaschinerie organisiert. Er schützt sich vor der Instrumentierung seitens einer Klasse dadurch, dass er sich selbst als Staatsmaschinerie instrumentiert. In der Organisationsform des Systems autonomisiert sich bei Hegel das Subjekt der philosophischen Tätigkeit gegenüber dem Verstand. Die Vernunft der Hegelschen Philosophie emanzipiert sich nur als System der Philosophie von ihren Instrumentierungen seitens des Verstandes. Die Realisation des Machtanspruchs des napoleonischen Staates wird durch Selbstreproduktion des Staates als Maschinerie ermöglicht. Der absolute Wahrheitsanspruch der Hegelschen Vernunft wird durch die „Selbstreproduktion der Vernunft“ (J 30) als System der Philosophie ermöglicht. Die Bestimmung, Subjekt der politischen bzw. philosophischen Tätigkeit zu sein, kommt beiden, dem napoleonischen Staat und der Hegelschen Vernunft nur zu, wenn sie sich selbst produzieren können. Ihre politische bzw. philosophische Autonomie wird permanent bedroht. Sie behaupten sich nur vor Instrumentierungen, indem sie sich selbst als Maschinerie und System instrumentieren. Die jeweiligen Voraussetzungen beider, die bürgerliche Gesellschaft und der Verstand, werden in Objekte dieser sich durch Organisation selbst konstituierenden Subjekte verwandelt. Die Hegelsche Vernunft unterscheidet sich wesentlich von anderen Vernunftbegriffen der klassisch-bürgerlichen Philosophien. Sie setzt den Gegensatz zwischen Gefühl/Empirie und Verstand sowie zwischen Verstand und Vernunft voraus. Die Vernunft wird nicht mehr quasi mit Verstand identifiziert und nur als Instrument der empirischen Gefühlsbestimmungen verstanden, wie in der englischen empiristischen Tradition. Sie übt auch nicht mehr die Funktion eines Instruments des Verstandes zur Vervollständigung des Gebrauchs der verständigen Kategorien in einem nur regulativen Sinne, wie bei Immanuel Kant, aus. Sie ersetzt bei Hegel den Verstand als Subjekt der Philosophie, in völligem Gegensatz zum Verstand, mit absoluter Setzungskraft. Als System der Philosophie setzt sie sich dem philosophisch zu bearbeitenden Verstand in verselbständigter Form entgegen, wobei der Verstand wiederum den empirischen Gefühlsbestimmungen entgegengesetzt ist. Die Hegelsche Philosophie verselbständigt sich, indem sie Verstand, bloße Vernunft, Gefühl und Empirie als Subjekte der Philosophie konsequent durch die systematisch organisierte Vernunft substituiert. Wenn Napoleon die arbeitsteiligen Beamtenfunktionen von ihren jeweils „stofflichen“ Abhängigkeiten seitens bestimmter „Interessengruppen“ der Gesellschaft88 emanzipiert durch ihre strengste zentralisierte Organisation untereinander, so emanzipiert Hegel die Objekte der Vernunft von ihrem empirischen oder rationalen, aber jedenfalls inhaltlichen Bezug durch strengste systematische Formierung untereinander in einer Hierarchie von Geistesebenen. Die „Selbstkonstruktion“ (J 32) im Hegelschen System soll sichern, dass die Mannigfaltigkeit der verständigen Objekte von der Zufälligkeit ihrer Beziehungen befreit wird, „indem sie (die noch zufälligen Beziehungen: HPK) ihre Stellen im Zusam88

Ebd., S. 539. Vgl. zur historischen Information über die Aufhebung des vorrevolutionären „Privateigentums an Staatsämtern“ (S. 155) und der Aufhebung der revolutionär-demokratischen Kontrolle der Staatsämter, d. h. „diese Wandlungen im Grundwesen des Beamtentums“ (S. 16a) durch Napoleon, so daß das gesellschaftliche Leben in einen „vom Staat veranstalteten Wettbewerb“ verwandelt wird: H. Taine, Das Beamtentum und der Ehrgeiz. In: Ders., Die Entstehung des modernen Frankreich, Bd. 3, S. 146–178.

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menhang der objektiven Totalität des Wissens erhalten und ihre objektive Vollständigkeit zustande gebracht wird“. (J 30, vgl. J 19 f.) Das System der Philosophie ist ein in sich selbst getragenes und vollendetes Ganzes, welches keinen Grund außer sich hat, sondern durch sich selbst begründet ist (J 30 f.). Die Vernunft eignet sich systematisch ihre Objekte an, indem sie diese an arbeitsteiligen Stellen platziert und selbst als Kooperationseffekt der systematisch platzierten Objekte hervortritt. Die Objekte der philosophischen Vernunft, die verständigen Bewusstseinsstrukturen der gesellschaftlichen Tätigkeiten, sind außerhalb der Philosophie arbeitsteilig organisiert. Die philosophische Vernunft bezieht sie aufeinander als Totalität. Sie emanzipiert durch die philosophische Umfunktionierung der vorphilosophischen Kategorienapparate und entsprechenden Anschauungen diese von ihren zufälligen, von der Subjektivität ihrer vorphilosophischen Handhaber abhängigen Bestimmungen. Sie ordnet die Getrennten nach dem Programm der Vernunft innerhalb des Systems der Philosophie. Die Plätze stellen Bewertungen nach der Heroismusform der Vernunft dar.89 Für Hegel ist die Philosophie nur dadurch Philosophie, dass sie dem Verstande gerade entgegengesetzt ist. Als Nicht-Verstand bleibt das System der Philosophie durch Verstand definiert. Es setzt sich einem Verstand entgegen, der reell existiert als ein ökonomisches System und ein System der „Staatsmaschine“, deren Verselbständigungen zu bekämpfen die Hegelsche Philosophie gerade antritt, indem sie ein diesem Verstand gegenüber verselbständigtes System der Philosophie produziert. Da, wo Hegel am leidenschaftlichsten auf der Höhe der geschichtlichen Tragödie des heroischen Anspruchs das Subjekt seiner Philosophie vom Verstand ins Autonome losreißen will, reproduziert er die verständige Bestimmtheit dieses Subjekts, solange es mittellos als System handelt. Hegel wiederholt unmittelbar den von ihm selbst kritisierten fixen Charakter der Entgegensetzungen des Verstandes in der fixen Entgegensetzung des Systems der Philosophie gegenüber dem Verstand. Die fixe Eigenschaft dieser Entgegensetzung entspringt dem illusionären Charakter der heroischen Vernunft. Die objektive Existenz seines Absoluten setzt Hegel voraus, aber nicht mehr im Sinne einer vormodernen Bedingung, sondern im Sinne der Dynamik des gegenwärtigen Systems selbser: Das Absolute sei da, weil es gesucht wird (J 15). Verhielten sich Hegels Geistesebenen nur als Ordnungspfeiler des Systems, dann erschöpfte sich ihre Funktion wohl in dem, was Bertolt Brecht 1930/31 sehr richtig über das „Reich der Gedanken“, als bezöge er sich direkt auf Marx’ Bestimmungen über die Ordnungsfunktion verständiger Abstraktionen, schrieb: „Gewisse Gedanken ordnender Art, Gedanken, welche die Ordnung zwischen den Gedanken herstellen, kann man ganz gut mit Beamten vergleichen in ihrem Verhalten. Ursprünglich als Diener der Allgemeinheit aufgestellt, werden sie bald zu ihren Herren. Sie sollen die Produktion ermöglichen, aber sie verschlingen sie. Gewisse Widersprüche zwischen den Gedanken ausnutzend, schwingen sie sich zum Herrn auf; dabei halten sie sich an die Mächtigen, nicht an die 89

Vgl. die ausführliche Textexegese zu den Allgemeinheitsstufen in Hegels frühen philosophischen Systementwürfen. G. Göhler, Dialektische Methode und politische Aussage in Hegels frühen Systemen. In: G. W. F. Hegel, Frühe politische Systeme, S. 361 f. (vorrevolutionäre und nachrevolutionäre Vermittlung v. Einzelnem und Allgemeinem), S. 488 f. (die verschiedenen „Präponderanzen“ des Allgemeinen).

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Nützlichen.“90 Auch der napoleonische Staat, nur als sich selbst instrumentierende Maschinerie betrachtet, die bar anderer Gewaltmittel ist, entspricht dem staatlichen Instrument der Bourgeoisie, und nicht dem Staat, der sie als Hegemon substituieren kann. Nur als System kämpft die Hegelsche Philosophie noch auf dem Boden des Verstandes, nämlich dem der Verselbständigung. Sie wiegt seine Verselbständigungen auf durch Verselbständigung der Philosophie. Die Objekte der Philosophie arbeitsteilig im System kooperieren lassen zu können, setzt Mittel voraus, die die der Vernunft gegenüber verselbständigten Objekte unter das System subsumieren und in dem System bewegen können, d. h. Mittel, die die Objekte überhaupt formierbar gestalten. Die Verselbständigung der Objekte gegen die Vernunft muss aufgesprengt werden. Allein die „Verbeamtung“ des Absoluten bleibt wirkungslos. Die napoleonische Staatsmaschinerie beherrscht die bürgerliche Gesellschaft, ihr Objekt, indem sie diese durch die revolutionäre Kriegsgewalt der Volksmassen als dem Mittel des napoleonischen Staats „terrorisiert“ (Marx). Die Gewalt der Volksmassen ist das zerstörerische, radikal destruierende Mittel der napoleonischen Praxis. Der Hegemon, d. h. hier der Staat, fungiert als das die sozialen Verhältnisse positiv gestaltende Subjekt.91 Das Hegelsche System subsumiert den Verstand, sein Objekt, indem es dessen Autonomie durch dialektische Negativität als dem Mittel des Systems zerstört. Dialektische Negativität korrespondiert bei Hegel in der ideellen Realität mit dem, wie Napoleon sagt, „methodischen Krieg“.92 „Dialektik“ bedeutet zunächst bei Hegel eine zerstörerische Denkwaffe der als System der Philosophie organisierten Vernunft gegen den von der Vernunft emanzipierten Verstand. Das positiv gestaltende Subjekt des philosophischen Eingriffs in die verständigen Bewußtseinsstrukturen der lebendigen und wissenschaftlichen Sphären der Gesellschaft ist das System. Die Selbstzwecksetzung des napoleonischen Staates gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft und damit historisch deren Sicherung und Herstellung hängen wesentlich davon ab, ob ihm die Einheit von zentralisierter Staatsgewalt und Gewalt der Volksmassen zu produzieren gelingt. Dies setzt vor allem voraus, dass die Volksgewalt sich nicht gegen ihn selbst wendet, und die Staatsmaschinerie die volle Ausbildung der Volksgewalt stimuliert. So entsteht, abstrahiert von der welthistorischen Situation, ein Paradoxon. Der Staat als Maschinerie muss die Volks90 91 92

B. Brecht, Me-ti. Buch der Wendungen, S. 8. Vgl. K. Marx, Grundrisse, S. 7. Vgl. W. Küttler, Stellung und Funktion der Linken in der Spätphase des bürgerlichen Revolutionszyklus … S. 319. E. Tarlé, Napoleon, S. 518. Martina Thom hat darauf aufmerksam gemacht, daß schon Kant der gesunde Menschenverstand „verdächtig“ wurde, „in dem Maße, in dem ihm die Züge des Antagonismus der bürgerlichen Wirklichkeit, die Heterogenität, ja Feindlichkeit der Interessen und Neigungen, der Egoismus, die Privatwillkür usw. zum Problem werden“. M. Thom, Nachwort zu Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ und „Metaphysik der Sitten“, S. 308. Vgl. zu dem ausgeprägten Bewußtsein „struktureller Gleichheit“ der verschiedenen Realitätsebenen auch bei Hölderlin: G. Mieth, Friedrich Hölderlin, S. 70 f. Mieth verweist darauf, dass Hölderlin Schönheit vor Kampf (S. 50), immer wieder hervorbrechend, Harmonie vor Gegensatz geht, weil die „Poesie nach vorn auf einen vollendeten natürlich-gesellschaftlichen Zustand“ (S. 69) blickt. Hegel, dem die Übergangsperiode zur zukunftslosen Allgegenwart heranwächst, kann dadurch stärker als Hölderlin den „Kampf der Gegensätze strukturbildend“ werden lassen, ohne je gänzlich die objektiv-idealistische Einheit aufgeben zu können, denn diese repräsentiert eine zwar realistischere, aber doch Form von auch heroischer Illusion.

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massen nach seinen Organisationsprinzipien der Teilung und Koordination in sich integrieren, um ihre Verselbständigung zu verhindern. Die Volksmassen werden allgemein verbeamtet, in Kriegsbeamte des napoleonischen Staats verwandelt. Umgekehrt hebt die permanente Kriegsführung in gewisser Weise die entstandene, neue soziale Ungleichheit auf in der Gleichheit nicht vor, sondern im Staat. Der ökonomisch zufällige Status des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft wird in der durchkonzipierten, die Volksgewalt integrierenden Staatsmaschinerie aufgehoben. Die Volksmassen entschlüpfen im Krieg der Französischen Revolution noch einmal den fixen Konturen des ausbeuterischen Alltags in der kapitalistischen Gesellschaft. Hegel ist sich der Gefahr, dass das Mittel des Systems sich gegen das System selbst wenden kann, bewusst, wie er gleichzeitig davon überzeugt ist, dass das System philosophisch wirkungslos in sich zusammenbricht zu einer hohlen Proklamation, geht es nicht das Risiko des konsequenten Gebrauchs der Dialektik als Mittel der Systemrealisation ein. Er nennt die Verselbständigung des Systems der Philosophie gegenüber dem Mittel anstelle der Einheit beider Dogmatismus, sowie umgekehrt die Verselbständigung der dialektischen Negationsformen gegen das System anstelle der Einheit beider Skeptizismus. Hegel geht es darum, ein Wagnis einzugehen, nämlich eine Philosophie zu produzieren, „die weder Skeptizismus noch Dogmatismus, und also beides zugleich ist“. (J 206) Als bestimmtes Dogma verhält sich die Philosophie absolut positiv. Das Dogma ist die notwendige Seite der Philosophie. Durch Skepsis verhält sich die Philosophie absolut negativ. Skepsis „ist die freie Seite einer jeden Philosophie“ (J 208). Das Dogma der Vernunft kann sich heroisch nur realisieren, wenn es sich permanent negiert. Die Negativität führt zu positiven Setzungen nur unter der Voraussetzung, dass sie Mittel des Dogmas bleibt. Der Systembegriff beinhaltet das sich in sich prozesshaft negierende Dogma, wie der Methodenbegriff die Negativität in ihrer positiv setzenden Eigenschaft als bestimmte Negativität hervorhebt. Die Einheit beider gestaltet die Philosophie funktionstüchtig.93 Die Einheit von System und Methode kann für Hegel nur in dem permanenten Kampf gegen den Dogmatismus des Verstandes produziert werden. Diese Einheit wird Hegels Bewertungsmaßstab anderer Philosophien. So schreibt er: „Wir unterscheiden also zweierlei Geist, der in der Kantischen Philosophie sichtbar wird, einen der Philosophie, den das System immer ruiniert, und einen des Systems, der auf das Töten der Vernunft-Idee geht.“ (J 235) Da Kant in dieser Entgegensetzung verbleibe, erkennt Hegel darin die Wiederholung des Skeptizismus und Dogmatismus des gemeinen Menschenverstandes. Dessen Skeptizismus und Dogmatismus handeln letztlich nur über Endlichkeiten und bleiben „nebeneinander“ stehen, wodurch „jener Skeptizismus etwas bloß Formelles“ (J 216) wird. Durch Dialektik sichert Hegel, „daß die Philosophie des Systems und das System selbst“ (J 31) nicht dogmatisch zusammenfallen. (Vgl. zu Fichte J 33). Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, dass in den Wirkungs- und Rezeptionsgeschichten der Hegelschen Philosophie immer erneut das Entstehungsproblem der Hegelschen Philosophie aufbricht: Wie hängen System und Methoden dieser Art und Weise von Philosophie zusammen? Kann noch einmal eine heroische Einheit beider ausgebildet 93

Vgl. zu diesem Problembewusstsein bereits I. v. Sinclair, Philosophische Raisonnements, S. 277 u. 275. Sinclair vermag aber noch nicht, wie der Jenenser Hegel, den „echten“, alten Skeptizismus vom neueren deutschen oder modernen zu unterscheiden.

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werden oder nicht? Es war nicht zufällig, dass die Beantwortung dieser Frage auch stets mit einer Antwort auf die Frage nach dem Politischen im weiten Sinne (s. o. Vorwort) verbunden war. Gebührt der Ökonomie oder der Politik oder der geistigen Kultur das Primat in dem Verhältnis zwischen den ökonomischen, politischen und kulturellen Verhaltensweisen moderner Gesellschaften?94 Man braucht dafür nur die Jung- und Althegelianer bzw. Links- und Rechtshegelianer durchzugehen, für die es auch wieder Nachfahren in der kommunistischen und sozialdemokratischen Bewegung gab.

94

Vgl. dazu exemplarisch anhand der strukturökonomischen Fehlidentifikation der naturwissenschaftlichen Denkform mit der Tauschabstraktion bei Alfred Sohn-Rethel, der umgekehrten Fehlidentifikation des Produktions- mit dem Arbeitsparadigma und der Fehlalternative von Habermas, entweder einem Produktions- oder dem Kommunikationsparadigma folgen zu müssen, zum Produktionsparadigma und seinen historisch variablen Teilparadigmen H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft, Berlin 1990. 1., 2., 4. u. 5. Kap.

4. Die napoleonisch-heroische Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes im „System der Sittlichkeit“ (1802/1803)

Wie jeder Versuch, sich dem Frankfurter Hegel ohne Berücksichtigung Hölderlins und Sinclairs zu nähern, vergeblich ist, so bleibt dies auch jeder Versuch, sich mit dem frühen Jenenser Hegel (bis 1803) ohne Respektierung der philosophischen Freundschaft zwischen Schelling und Hegel zu beschäftigen.1 Auf Schellings Bedeutung für den Berner und Frankfurter Hegel wurde im zweiten und dritten Kapitel eingegangen. Sie ist hier nicht als solche für den Jenenser Hegel zu bestimmen, aber in Bezug auf den in Hegels „System der Sittlichkeit“ (Reinschrift Herbst und Winter 1802–1803) nachweisbaren Einfluss Schellings. Der vereinigungsphilosophische Ansatz hatte die Selbstkorrektur des Standpunkts der kleinbürgerlich-republikanischen, „höheren Aufklärung“ philosophisch formieren können und den Übergang zur Anerkennung der real-bürgerlichen Resultate der Französischen Revolution und der historischen Situation in Deutschland ermöglicht. Diese Anerkennung aber schlug negativ auf den heroischen Ausgangspunkt Hegels und dessen philosophische Form zurück. In Auswertung der realhistorischen, religionsgeschichtlichen und wissenschaftshistorischen Situation bildete Hegel eine neue realistischere, ihm eigentümliche Form von Heroismus aus, welche er, da ihre praktische Voraussetzung außerhalb deutscher Möglichkeiten lag, in ein philosophisches Programm überführte. Dieser programmatische Anspruch, jeden weiterhin notwendigen Schritt in der Anerkennung der realhistorischen Bedingungen durch eine umso energischere Selbstbehauptung des Heroismus zu beantworten, sieht sich vor das Problem seiner philosophisch-systematischen Durchführung gestellt. Ersten Bewegungsraum für die Produktion der ihr adäquaten philosophischen Formbestimmungen findet Hegels neue weltanschau1

Die im Text in Klammern stehenden Zahlen sind, soweit nicht als Jahreszahlen ersichtlich, Seitenzahlen von Hegel: Jenaer kritische Schriften in GW 4 (J) oder aber des Systems der Sittlichkeit in GW 5 (S). Die von Lasarew zu Recht behauptete wechselseitige Beeinflussung zwischen Schelling und Hegel in Jena wird von mir nicht erörtert. Siehe W. W. Lasarew, Schelling, S. 20. Krings ebnet die von Anfang an bestehenden Differenzen in der Jenenser Zusammenarbeit zwischen Schelling und Hegel ein, da er die philosophischen Formen und Motive im Verhältnis zur realhistorischen Situation gänzlich unberücksichtigt lässt. Dennoch sind Krings Hinweise darauf, dass spätere Differenzen zwischen Hegel und Schelling nicht auf die Zeit 1801–1803 vorverlagert werden dürfen, vor allem nicht aus der Sicht des Eifers blinder Schüler dieses oder jenes Meisters, beachtenswert: H. Krings, Die Entfremdung zwischen Schelling und Hegel.

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Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

liche Position in Schellings Philosophie als dem inzwischen fortgeschrittensten Entwicklungsstadium der klassischen deutschen Philosophie. Das System der Sittlichkeit offenbart sogleich seinen „experimentellen“ Charakter (Lukács) dadurch, dass Schellingsche Bestimmungen, wie „Anschauung“, „Natur“ oder „Potenz“ (S 285 f., Potenz geht übrigens auf Carl Eschenmeyer zurück), zwecks philosophischer Formierung eines Objekts eingesetzt werden, das für die Bewährung des Hegelschen napoleonischen Heroismus entscheidend ist: der Zusammenhang zwischen ökonomischer und staatlich-politischer Sphäre der Gesellschaft. Aber nicht genug damit, dass das System der Sittlichkeit einen unentfalteten Entwicklungsstand der Hegelschen Philosophie und Kreuzungspunkt der Wege Schellings und Hegels dokumentiert. Es stellt Hegels Versuch dar, den philosophischen Status des Verhältnisses zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat gegenüber Kants vorrevolutionärer und Fichtes kleinbürgerlichrepublikanischer Gesellschaftsphilosophie neu, ja als solchen erstmalig in der klassischen deutschen Philosophie zu begründen. Dieser Begründungsversuch wiederum stützt sich auf die Rezeption der international fortgeschrittensten, einander entgegen gesetzten, sich aber bei Hegel überschneidenden ökonomischen Konzeptionen, nämlich der handelsbürgerlich-merkantilistischen (James Steuart) und manufakturbürgerlich-liberalen (Adam Smith) Konzeption. Der in Auswertung der Französischen Revolution aus deutscher Sicht bereits philosophisch-weltanschaulich zum Programm erhobene, napoleonische Heroismus Hegels formiert in Schellingschen Bestimmungen, gegen die Kantisch-Fichtische Tradition praktischer Philosophie und doch zugleich diese Tradition neu begründend, Objekte, die von den ökonomischen Theorien der schottischen Citoyen-Substitute handels- oder manufakturbürgerlicher Art reproduziert worden waren. Im Folgenden soll namentlich die Bedeutung von Schelling und Smith hervorgehoben werden. Aus Darstellungsgründen werden hier diese Rezeptionen Hegels getrennt behandelt, obgleich sie sich wechselseitig begründen. Ich beginne mit Schellings systematischen Formbestimmungen, in denen Hegel rezipiert, arbeite dann die Stellung der Smithschen Politischen Ökonomie im Rahmen der schottischen Moralphilosophie heraus. Es folgt Hegels philosophische Rezeption der Smithschen Ökonomie im „System der Sittlichkeit“. Damit kennen wir die wichtigsten Konsequenzen, die das erste Hegelsche Programm in Jena (1801–1803) hat. Im 5. Kapitel gehen wir dann den wichtigsten Transformationen dieses Programms in Jena 1803–1804 bis 1805–1806 nach.

4.1 Natur, Anschauung und Begriff: Schellings Philosophie ermöglicht die Rezeption Hegels System der Sittlichkeit ist nach dem Mechanismus wechselseitiger Subsumtionen von Anschauung und Begriff sowie unter der Voraussetzung der Schellingschen Fassung des Naturbegriffs konstruiert. Mit der Verwendung der Schellingschen „Anschauung“ und „Natur“ würdigt Hegel die bis dato entscheidenden Leistungen Schellings in der klassischen deutschen Philosophie. Was zunächst nur als eine naturphilosophische Ergänzung des Fichtischen Systems zur vollständigen Überschreitung Kantischer Grenzbestimmungen hatte erscheinen können, war Schellings Öffnung des deutschen Idealismus

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zum Materialismus hin2, ohne wieder in Kants Dualismus zurückzufallen. Schelling gehört in der Entwicklung philosophischer Systeme zu der vereinigungsphilosophischen Wende des klassischen deutschen Idealismus bei Hölderlin, Sinclair und dem Frankfurter Hegel, die diese Objektivierung der Form des Idealismus als philosophisches Mittel der höheren Aufklärung gehandhabt hatten. Gegen die „Geisteskrankheit“ der bloßen Reflexion gerichtet, forderte Schelling 1797 in seinen „Ideen zu einer Philosophie der Natur“, dass die Philosophie von der ursprünglichen Vereinigung auszugehen habe, „um durch Freiheit wieder zu vereinigen, was im menschlichen Geiste ursprünglich und notwendig vereinigt war“. Die Potenzen der Natur „als Prozess, als Form der Tätigkeit“ zu begreifen, ermöglicht, durch die Differenz hindurch zur Indifferenz zu gelangen. „Unmittelbar mit der Produktion des realen Indifferenzpunktes in der realen Welt tritt er in derselben auch ideal hervor in der Vernunft, der Identität“. Theoretische und praktische Philosophie sind nur „zum Behuf der Schule“ zu trennen. Sie sind ursprünglich und notwendig vereinigt.3 Der frühe Jenenser Hegel schließt die naturphilosophische und vereinigungsphilosophische Öffnung des Idealismus zum Materialismus hin zusammen. Seine Rezeption des Schellingschen Naturbegriffs hat die Funktion, die Rezeption des Materialismus der klassischen bürgerlichen Sozialwissenschaft, wie ihn insbesondere Smith als hervorragender Repräsentant der schottischen Schule verkörperte, philosophisch zu ermöglichen. Dass Hegels Gebrauch des Schellingschen Naturbegriffes der schottischen Materialismustradition bedeutende Wirkungsräume, aber zugleich innerhalb des deutschen Idealismus eröffnet, ist schon ein wirkungsgeschichtliches Anzeichen dafür, dass Schellings Naturbegriff keine einfache Ergänzung der Fichtischen Philosophie war. Dies betrifft sowohl die materialistische Trächtigkeit als auch den widerreflexiven Charakter des Naturbegriffes bei Schelling, wodurch diese „Natur“ von Hegel zugleich realistisch und heroisch verwendet werden kann. In Schellings Naturbegriff schwingt noch jene von Rousseau ausgehende, schon für den Tübinger Freundeskreis bedeutungsvolle, die bürgerliche Zivilisation kritisierende, normative Funktion der „Natur“ als heroischem Ideal mit, wie sie auch in Hölderlins Naturmetaphern hervortritt. Noch 1800 schreibt Schelling: „Es ist offenbar, daß bis zu diesem Punkt (der „Organisation“: H.-P. K.) die Natur mit dem Ich ganz gleichen Schritt hält“.4 Und schon 1797 hieß es in Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur: „Vorher hatten die Menschen im (philosophischen) Naturstande gelebt. Damals war der Mensch noch einig mit sich selbst und der ihn umgebenden Welt. In dunklen Rückerinnerungen schwebt dieser Zustand auch dem verirrtesten Denker noch vor“.5 Mit dem Begriff der Organisation, der gegen den der Maschine ausgespielt wird, ist ein neues, Schelling und Hegel gemeinsames allgemeines Naturverhältnis ausgesprochen. „‚Organisation‘ wird in Schellings Naturphilosophie zur Konstruktion des Begriffs

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Vgl. H. J. Sandkühler, Dialektik der Natur – Natur der Dialektik, S. 76 f. u. S. 86. Vgl. W. Hartkopf, Die Dialektik der Natur bei Schelling, S. 164. F. W. J. Schelling, Ideen zur Philosophie einer Natur. (1797, zweite Auflage 1802/03) In: Werke. 1. HBd., S. 656, 664, Erg. Bd. 1, S. 183 f. F. W. J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus (1800). In: Werke. 2. HBd., S. 632. Vgl. zu Hölderlins „Natur“: G. Mieth, Friedrich Hölderlin, S. 49 f. Ders., Ideen zur Philosophie der Natur. In: Werke. 1. HBd., S. 662.

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der uns umgebenden anorganischen und organischen Natur verwendet und hat hier den Begriff der ‚Cartesischen Maschine‘ zu ersetzen.“6 Den nicht nur materialistisch trächtigen, sondern zugleich den aufrichtigen Jugendgedanken um 1800 noch behauptenden Charakter seiner Philosophie unterstreicht Schelling, denn „wenn unsere ganze Aufgabe bloß die wäre, die Natur (als abgesonderte: H.-P. K.) zu erklären, (wären) wir niemals auf den Idealismus getrieben worden“. Den „Idealismus in der ganzen Ausdehnung […] Einer Kontinuität“ darzustellen, wobei dieser „Idealismus kein rein theoretisches Fundament hat“, erfordert, auch in eine speziell abgesonderte Naturphilosophie frei produzierende Subjekt-Objekt-Einheiten hineinzuspiegeln, selbst dann, wenn die „Evidenz“ des historischen Entwicklungsstandes der Naturwissenschaften diese „Spekulation“ nicht zu stützen vermag.7 Schellings Tätigkeitsansatz in der Form der sich selbst produzierenden Natur bewahrte und objektivierte Fichtes Widerspruchsdenken, ohne diesem dialektischen Ansatz den bei Fichte vorhandenen reflexiven Herrschaftscharakter zu verleihen. In dem richtigen, einzig philosophischen Anliegen, wie es Hegel versteht, d. h. gegen den Dogmatismus des bürgerlichen Verstandes durch die tätige Begründung der Autonomie der Vernunft anzukämpfen, „übergibt (Fichte) die Vernunft dem Verstand“ (J 6). In dem Kampf gegen den Dogmatismus des Verstandes verkehrt sich laut Hegel, kritische Motive des Frankfurter Freundeskreises finden hier Eingang, Fichtes Vernunft in Verstand, während Schelling „die Vernunft selbst in eine Übereinstimmung mit der Natur“ (J 8) zu bringen ermöglicht. Zugleich orientiert Schelling im Unterschied zu Hölderlin und Sinclair darauf, „daß die im Selbstbewußtsein ausgedrückte Identität keine ursprüngliche, sondern eine hervorgebrachte und vermittelte ist. Das Ursprüngliche ist der Streit entgegengesetzter Richtungen im Ich, die Identität das daraus Resultierende“.8 Es entsteht so die Aufgabe, nicht mehr hier die Einheit des Ideals mit dort dem Kampf um seine Verwirklichung „gradweise“ zu vermitteln, sondern in die vom Widerspruch bestimmte Tätigkeit selbst das Ideal zu setzen. Diese Tendenz zeichnete sich beim Frankfurter Hegel bereits ab. Die durch Desillusionierung erfolgte Aufgabe der ursprünglichen Einheit setzt Historismus frei. Der Historismus wieder kann aber nur in dem Maße zur Geltung gebracht werden, in welchem der heroische Anspruch als aus der aktuellen Tätigkeit herausproduzierbares Einheitsideal formiert werden kann. Diese Umformung des heroischen Impulses spricht Schelling philosophisch als die „fortgehende Geschichte des Selbstbewußtseins“ aus.9

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C. Warnke, Was ist und was soll Schellings Naturphilosophie? S. 55. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 331 f. Vgl. von wissenschaftshistorischer Seite W. Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte, S. 7–130. Diese Studie enthält eine wichtige strukturelle Annäherung an die Bedeutung sozial-historischer (Französische Revolution) und wissenschafts-immanenter Determinanten (historische Genesis der Organisationsformen, Theorieformen und Definition der Gegenstandsbereiche) in der wissenschaftlichen Produktion (S. 20) für die Tendenz der „Verzeitlichung“ (S. 11 f., S. 16 f.) auch gerade in den Naturwissenschaften von 1775–1825 und die auffallender Weise später wieder dominante Tendenz der „Enthistorisierung“ (S. 115 ff.). Ebd. zur Bedeutung der Naturphilosophie für den Übergang zur genetischen Betrachtung S. 87. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 392. Ebd. S 331.

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Schellings Naturbegriff ist hinsichtlich der Erkenntnisvermögen harmonisch tätig geformt, weil, entgegen des Fichtischen Umschlages der Anschauung wieder in Reflexion, sich bei Schelling die „transzendentale Anschauung“ nicht in der Reflexion „verliert“ (J 6), sondern neu produziert wird. Hegel erkennt in Schellings Prinzip der Anschauung den in die Philosophie überführten Wirkungsanspruch der höheren Aufklärung als die philosophische Transformation der widerreflexiven Oppositionsmöglichkeiten von „Religion, […] , Gefühl, Poesie und Kunst überhaupt in ihrem wahren Umfange“ (J 8) wieder. Den zwar nicht mehr aufklärerischen, aber philosophischen Wirkungsanspruch, in welchem der erlebte Handlungsimpuls der Französischen Revolution nachhallt, verdeutlicht Schelling gegenüber dem vorrevolutionären Kant: „Da unsere ganze Philosophie auf dem Standpunkt der Anschauung, nicht auf dem der Reflexion steht, auf welchem z. B. Kant mit seiner Philosophie befindlich ist, so werden wir auch jetzt die beginnende Reihe von Handlungen der Intelligenz als Handlungen, nicht etwa als Begriffe von Handlungen, oder als Kategorien ableiten“.10 Schelling repräsentierte als erster systematisch den Freundeskreis: „Was die intellektuelle Anschauung für den Philosophen ist, das ist die ästhetische für sein Objekt. Die erste […] kommt im gemeinen Bewußtsein überhaupt nicht vor; die andere, da sie nichts anderes als die allgemeingültig oder objektiv gewordene intellektuelle ist, kann wenigstens in jedem Bewußtsein vorkommen. Es läßt sich eben daraus auch einsehen, daß und warum Philosophie als Philosophie nie allgemeingültig werden kann“.11 Schellings Programm bot, war nun einmal zur klassischen Philosophie überzugehen erfolgt, die besten Anknüpfungspunkte für Hegels Frage, „welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist“.12 Schellings Anschauung stellt noch eine intellektuelle Korrespondenzbeziehung (Philosophie als „freie Nachahmung der ursprünglichen Reihe von Handlungen“13) zum gemeinen Bewußtsein her, welches empirisch gebildet wird. „Bis zum Bewußtsein der empirischen Abstraktion und des aus ihr Resultierenden möchte das gemeine Bewußtsein reichen; denn dafür ist noch durch die transzendentale Abstraktion gesorgt“. Vom praktisch-philosophischen Gesichtspunkt aus kann bei aller „absoluten Handlung“ der Intelligenz nicht angenommen werden, dass alles „Objektive verschwinde, […] denn soll die Abstraktion geschehen, so kann das, wovon abstrahiert wird, nicht aufhören“.14 „Das Wollen richtet sich ursprünglich notwendig auf ein äußeres Objekt“.15 Die philosophische Anschauung erlaubt es bei Hegel, die Totalität der Sittlichkeit als das „Volk“ (S 279) zu denken und von der gebrauchswertorientierten Bedürfnisrelation des Volkes zu natürlichen Objekten, welche nicht wegzuabstrahieren sind, auszugehen. Schelling war der Mann, der jenes, hier im 2. Kapitel behandelte sogenannte älteste Systemprogramm (1795–1796) der höheren, in Deutschland fortgeschrittensten Aufklärertätigkeit um 1800, in fruchtbarer Auseinandersetzung mit den vorangegangenen klas-

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Ebd. S. 455 f. Ebd., S. 630. Hegel an Schelling 1800. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 58. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 395 ff. Ebd., S. 524 f. Ebd., S. 557.

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sischen deutschen Philosophien, als neues philosophisches System entworfen hatte.16 In dem Werk dieses 25jährigen stand die klassische deutsche Philosophie um 1800 in ihrem Zenit. Goethe war Schellings Pate, die Romantik voll eifersüchtiger Bewunderung gegen ihn. Hölderlin gesteht sich seinen Gesichtspunkt als den gegenüber Schellings „beschränkteren“ ein.17 Hegel versagt sich Demut, aber sieht Schellings „öffentlichen großen Gange […] mit Bewunderung und Freude“.18 Die gescheiterten Republikaner standen an der Schwelle zu Selbstmord, Wahnsinn, romantischer Reaktion und kleinbürgerlichdeutschem Nationalismus, der feudalabsolutistisch genutzt werden wird, oder an der Tür zur Schellingschen Philosophie, wie Hegel. Doch Schelling war noch nicht fertig mit der immanent-philosophischen Realisation jener Intentionen, die er mit seinen aufklärerisch ausgerichteten Freunden gemeinsam hatte, als die realhistorischen Voraussetzungen dieser Orientierungen in schnellem revolutionärem Wandel aufgehoben worden waren. Schelling, der noch das „Wir“ einführt19, sobald er zur praktischen Philosophie übergeht, ereilen die Desillusionierungen der zweiten Hälfte der 90er Jahre, nachdem er die aufklärerische Mittelfunktion der Philosophie gelöst, ja aufgegeben hatte, mit sich und seinem Ruhm philosophiehistorischer Priorität allein in der Philosophie. Schelling, der Autor einer von ihm selbst als „schwebende Tätigkeit“ definierten Philosophie, gießt das weder romantische noch klassizistische Aufklärerprogramm in der deutschen Klassik würdige Formen und wird, als gleichzeitig den Revolutionären die schon vereisten Fahnen um die Ohren schlagen, auf dem einsamen Posten der Philosophie auch noch romantisch.20 Ohne irgend etwas von alledem sein zu wollen, produziert dieses Genie „ein zeitunabhängiges Reservat für die Vernunft“.21 Ja, die Philosophie brachte nur „ein Bruchstück des Menschen. Die Kunst bringt den ganzen Menschen“.22 Galt zunächst unter der Bedingung republikanischer Versuche, bäuerlicher Unruhen und französischer Republikanerarmeen in Deutschland der ästhetische Weg als Weg der Herstellung einer Handlungseinheit der Aufklärer mit dem Volk, und wurde damit folgerichtig der geistig-praktische Übergangscharakter ästhetischen Verhaltens zum Muster der Revolution der Philosophie gegen die verselbständigte rationalistische Philosophietradition, damit also „die Kunst […] dem Philosophen das Höchste […] gleichsam öffnet“, wird nun, wie Hegel sah, Kunst wieder objektiv zum unterhaltsamen Spiel abgestellt, bestätigen die empirischen und gefühlsmäßigen, die re16

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Das im sog. ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus dargestellte Verhältnis von Kunst, insbesondere Poesie, Mythologie, Philosophie und Wissenschaft (Hegel, Frühe Schriften, S. 234 ff.) nimmt Schelling im System des transzendentalen Idealismus wieder auf (ebd., S. 629), aber 1800 unter welch anderen revolutionshistorischen Bedingungen als 1795/96! F. Hölderlin, An Schelling im Juli 1799. In: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 4, S. 383. Hegel an Schelling am 2. 11. 1800. In: Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 59 Schelling, System des transzendentalen Idealismus. A. a. O., S. 524. Ebd., S. 391. Vgl. Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“, das mit den Zeilen endet: Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. H. J. Sandkühler, Friedrich Wilhelm Josef Schelling, S. 85 f. Vgl. zur Stellung der Schellingschen Ästhetik zwischen der der deutschen Klassik i. e. S. und der deutschen Romantik. M. F. Ovsjannikov, Die ästhetische Konzeption Schellings und die deutsche Romantik, S. 130. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 630.

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ligiösen und künstlerischen Oppositionsformen als separate die Verstandesherrschaft auf all ihren reellen und ideellen Ebenen, weil diese Oppositionsmöglichkeiten die reflexive Organisationsstruktur des Verstandes nicht auf dem ihm eigenen Felde sprengen. In jenem historischen Moment, da diese Überbauten vor der subsumierenden Macht des Verstandes abprallen und sich ihrerseits in Rückzügen je wieder zu verselbständigen drohen, kanonisiert Schelling, revolutionshistorisch anachronistisch, noch immer die Kunst zum, nun auch noch gleich „ewigen“ Organon der Philosophie. Dies erfolgt durch Schelling schon in dem Bewußtsein, die Kunst sei das „Allerheiligste […], wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß“.23 Die geistig-praktische Flamme der höheren Aufklärung, die darauf ausgerichtet war, mit dem heißen Mittag des realen Lebens zu konfundieren, läuft inzwischen Gefahr, nur noch eine Kompensation zu ergeben. In jener historischen Situation, in der Hegel ein philosophisches Aktionsprogramm aufstellt, um in historischer Selbstdisziplin die Oppositionsmöglichkeiten der Überbauten erneut heroisch zu koordinieren und die Absolutsetzung verständiger Fixierungen rational zu zerschlagen, entmachtet Schelling den Anspruch der philosophischen Vernunft durch Wiederholung der ehemals die Philosophie revolutionierenden Orientierung. Die Reflexion als primäres Instrument der Philosophie Hegels steht vom Anfang der gemeinsamen Jenenser Tätigkeit an der Kunst als dem Organon der Schellingschen Philosophie gegenüber, d. h. dem bahnbrechenden Weg der Revolutionierung des klassischen deutschen Idealismus in den 1790er Jahren. Aus der Wissenschaft als dem Mittel einer auf ästhetischem Wege breitenwirksamen Aufklärung wird bei Schelling Wissenschaft „als Mittel für das Höchste“, das ewig verschlossene Reich der Wunder der Kunst24, dem für die Ebene des Volks das inzwischen nicht weniger verkehrte Reich religiöser Mythologie entspricht. Wenn die Philosophie nicht just in diesem nachrevolutionären Moment, d. h. im Angesicht des zwar kunstfeindlichen, aber die Kunstautonomie auch auf eine kleine Elite abschiebenden Charakters der Wirklichkeit25, ihr Organon entwickelt, sondern kein anderes als das sich verselbständigender Kunst annimmt, dann wird die reflexive Grenzbestimmung der philosophischen Denkmöglichkeiten hinterrücks als ewige wieder eingeführt, wie bei Schelling, obgleich doch er selbst es war, der der Philosophie eben noch durch das Muster der Kunst eine den Verstand endlich überschreitende Denkweise eröffnet hatte. Was bleibt dem anfänglichen Aufklärer?: der Ästhetizismus, natürlich in Berufung auf die „großen Meister“26. Und was bleibt dem Volk? Das aufrichtige Jugendideal, an das sich Hegel noch immer gebunden weiß, beginnt in Schellings Vorlesungen zur „Philosophie der Kunst“ (1802/03) aufrichtig zu enden: Wo das „öffentliche Leben […] verschwindet, kann statt des realen und äußerlichen Dramas, an dem, in allen seinen Formen, das ganze Volk, als politische oder sittliche Totalität, teilnimmt, ein innerliches, ideales Drama allein noch das Volk vereinigen. Dieses ideale Drama ist der Gottesdienst, 23 24 25 26

Ebd., S. 628. Ebd., S. 623. Vgl. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1.S. 257. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 627.

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die einzige Art wahrhaft öffentlicher Handlung, die der neueren Zeit, und auch dieser späterhin nur sehr geschmälert und beengt geblieben ist“.27 Hegel hatte in seiner Verfassungsschrift diese Art von Ersatzbefriedigung der Deutschen, die leeren Begriffsformeln, Künste und Gottesdienste als Kompensation der ökonomischen und politischen Ohnmacht der Deutschen erkannt. Insofern aber Schelling seinen Naturbegriff als produzierende Tätigkeit in auch praktisch-philosophischer Bedeutung und explizit in vermittelnd tätigem, statt in teleologischem Kontext28 fasst, bereitet er direkt Hegels philosophische Rezeption des ökonomischen Arbeitsbegriffes vor. Diese Schelling zu verdankende, der Materialismus-Rezeption offene Potenz im klassischen deutschen Idealismus, dieser durch seinen antiteleologischen Charakter ausgezeichnete Tätigkeitsbegriff, der Sinclairs TeleologieKritik29 keinesfalls nachsteht, wird von Lukács ausgespart. Statt herauszuarbeiten, dass Schelling immerhin der philosophischen Form nach erstmals eine klassisch-idealistische Rezeption des materialistischen Arbeitsbegriffes der schottischen Ökonomie ermöglicht hat, sieht Lukács in Hegels Experimentieren mit der Schellingschen Terminologie „den Gipfelpunkt der idealistischen Konstruktion“.30 Insofern sich aber unter Schellings Händen die „Natur“ in ein ästhetizistisch gedeutetes „Gedicht“ verwandelt, ist Schelling selbst jede realhistorische und wissenschaftliche Entschlüsselung der „natürlichen Sittlichkeit“ (S 280) versperrt. Statt des Schellingschen Gedankens der Vermittlung schließt sein Organon der Kunst den Gedanken, „empirisch-technische Regeln“ für philosophisch relevant zu halten, aus.31 Im Namen der „Heiligkeit und Reinheit der Kunst“ wendet sich Schelling vom barbarischen Zeitalter des Nützlichen ab, „das die höchsten Efforts des menschlichen Geistes in ökonomische Erfindungen setzt“.32 Statt der Ausführung des Schellingschen Gedankens der Produktion schließt sein Ästhetizismus die Sorge ein, „einmal ins Produzieren geraten“, ob er „aus demselben je wieder herauskomme“. Die kontemplative „Selbstanschauung“ im vom „Produzieren“ abgehobenen „Produkt“ versperrt die Fortführung des Ansatzes, von der produzierenden Tätigkeit selbst auszugehen.33 Tief erfasst Schelling das „Absondern des Handelns vom Produzierten“ als die „erste Bedingung der Reflexion“.34 Statt hier die Kraft ausdauernder Kritik zu vollem Einsatz zu bringen, bestätigt und ziert die Selbstanschauung im abgesonderten Produkt die Herrschaft der Reflexion. 27 28 29

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Ders., Philosophie der Kunst. In: Werke. 3. Erg.Bd., S. 387. Ders., System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., 332 f. I. v. Sinclair schreibt in seinen Philosophischen Raisonnements: „Nur die Reflection bringt einen Zweck hervor“ (S. 263). Wenn die Reflexion außerhalb des praktischen Handelns auf sich reflektiert, findet sie „das unerfüllte Streben und sezt dann hievon den Grund außer sich.“ (S. 249). Außerordentlich bemerkenswert ist, wie Sinclair die gegenüber der Praxis sich verselbständigende theoretische Reflexion transzendent werden sieht und die außertheoretische Wirkung dieser Transzendenz als „das monarchische Streben zur Unendlichkeit“ verdeutlicht (S. 259). G. Lukács, Der junge Hegel, S. 427. Vgl. S. 374 u. 417. Schelling, Philosophie der Kunst, a. a. O., S. 387. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 630. Ders., System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 455. Ebd., S. 336 u. 505 ff. Vgl. auch W. W. Lasarew, Schelling, S. 77 f.

Die Smithsche Politische Ökonomie in Hegels europäisch vergleichendem Blick

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Die aufsteigende Entwicklungslinie der Hegelschen Philosophie kreuzt sich mit der eben von ihrer Kulmination (System des transzendentalen Idealismus) in ihren historischen Abstieg umschlagenden Entwicklungslinie der Schellingschen Philosophie. Noch in seiner philosophisch entfalteten Behauptung verkehrt sich Schellings aufrichtiger Jugendgedanke, während Hegels neu einsetzende Form von Heroismus im Wandel der revolutionshistorischen Bedingungen, wie sie das Ende des zweiten Koalitionskrieges zeitigt, ihre historische Selbstvergewisserung findet. Hegel kann einstweilen, bis 1803, der philosophischen Form nach im Unterschied zu Schellings transzendentaler Anschauung aber erst zeigen, dass „die Anschauung dem Begriff vollkommen adäquat gesetzt werden“, dass die „absolute Gleichheit der Anschauung und der Erkenntnis“ erreicht werden „muß“ (S 279). Hegels auch schon der System-Konstruktion, nicht nur dem programmatischen Inhalt nach eigenständigen Entwürfe beginnen erst 1803–1804 (s. 5. Kap.).

4.2 Zum philosophiehistorischen Stellenwert der Smithschen Politischen Ökonomie in der schottischen Moralphilosophie: Hegels europäisch vergleichender Blick Um die Möglichkeit und Notwendigkeit der Hegelschen Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes vom Standpunkt des Objekts dieser philosophischen Rezeption zu erkennen, liegt der Springpunkt darin, Smith nicht auf einen Fachökonomen zu reduzieren, der er nie war, vielmehr darin, seine Begründung der politischen Ökonomie in sich selbst und damit Emanzipation dieser Wissenschaft von der Philosophie als philosophiehistorische Leistung zu bestimmen, so paradox dies zunächst erscheinen mag. Die theoretische Selbstkonstitution der politischen Ökonomie, d. h. ihre Begründung durch eine Werttheorie, welche ihrerseits durch den Arbeitsbegriff fundamentiert wird, erfolgt durch keinen Staatsmann, erfolgt durch keinen Company-Direktor (bourgeois), erfolgt durch keinen verselbständigten Systemphilosophen, sondern durch einen moralphilosophischen Enzyklopäden, der nicht weniger Mitglied des liberalen Klubs der Kaufleute als Universitätsprofessor auf den verschiedensten Lehrstühlen, der nicht weniger Auslandsreisender als durch und durch Schotte war. Um die philosophischen Voraussetzungen dieses einschneidenden wissenschaftshistorischen Ereignisses in der Geschichte der ökonomischen Disziplin zu begreifen, ist es wichtig, Smith nicht einfach dem englischen Empirismus zu subsumieren, sondern ihn als den bedeutendsten Repräsentanten der zum geläufigen Empirismus im britischen Denken gegenläufigen schottischen historischen Schule zu erkennen, einer universellen Schule, die die Einheit von Philosophie, Wissenschaft und politischer Strategiebildung realisiert, einer Schule, der entscheidende wissenschaftshistorische Brüche nicht weniger als in der Ökonomie auch auf den Gebieten der klassischen bürgerlichen Soziologie und Geschichtswissenschaft gelingen. August Oncken schlug 1877den richtigen Weg ein, um an den Zusammenhang von britischen Denkern und klassischen deutschen Philosophen heranzukommen. Er verglich Adam Smith und Immanuel Kant als universelle philosophische Köpfe ihrer Epoche miteinander.35 Von daher sind Rezeptionen britischen Gedankengutes durch klassische 35

A. Oncken, Adam Smith und Immanuel Kant, S. 60 f.

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Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

deutsche Philosophen erfassbar. Es ist merkwürdig, wie unbekümmert sich die Philosophiegeschichtsschreibung gegenüber den philosophischen Voraussetzungen der klassischen bürgerlichen Ökonomie verhält. Seitens der Ökonomiegeschichtsschreibung hatte Meek bereits in den 1950er Jahren nachdringlich die Aufmerksamkeit auf den besonderen historischen Status der schottischen Schule gelenkt.36 Dieses Arbeitsfeld ist nur als interdisziplinäre und international vergleichende Geschichtsschreibung zu bestellen und verlangt daher, die bornierten Tendenzen provinzieller und arbeitsteiliger Verselbständigung in der historischen Forschung und Darstellung zu überwinden. Ehe insbesondere mit Meek das hier im dritten Kapitel bei der Gegenüberstellung Steuart-Smith Dargestellte fortgesetzt wird, sollte uns die philosophiehistorische Sicht des absoluten Idealisten Hegel helfen, der Problemstellung der Philosophiegeschichtsschreibung einen Schritt näherzukommen. In den in Jena 1805/06 erstmals gehaltenen „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ stellt Hegel die neuere englische, französische, schottische und deutsche Philosophie einander gegenüber. Diese Gegenüberstellung resümiert einen direkten quellenmäßigen Zusammenhang zu seinem Jenenser Programm der Philosophie, das eben auch 1805–1806 systematisch ausreift. Worin besteht laut Hegel das jeweils welthistorisch Verdienstvolle jeder dieser neueren Richtungen? Während die Engländer empiristisch legitimiert die Reflexionsbestimmungen des Verstandes fixieren, eine notwendige Entwicklung, die in Humes Skeptizismus aber „verkommt“, und die Franzosen einen geistreichen „absoluten Begriff“ entfalten, „welcher sich gegen das ganze Reich der bestehenden Vorstellungen und fixierten Gedanken kehrt, alles Fixe zerstört“37, bilden zwischen beiden, d. h. in der „Übergangsperiode“38, die Schotten einen produktiven Ansatz aus, welcher auf der Ebene des philosophierenden und zugleich konkreten Verstandes mit der Entwicklung der Vernunft in der deutschen Philosophie korrespondiere. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts urteilt Hegel wohl zu Recht: „Von englischer Philosophie kann nicht mehr die Rede sein.“ Die Engländer bewegen sich inzwischen „in den Formen sehr gewöhnlicher Verstandesmetaphysik“.39 Die nachrevolutionär eingesessene englische Bourgeoisie bedurfte des Heroismus und seiner philosophischen Vernunftformen nicht mehr. „Der englische Empirismus stieß […] die Vernunft, gesellschaftlicher Stolz 36

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R. L. Meek, Der schottische Beitrag zur marxistischen Soziologie In: Ders., Ökonomie und Ideologie, S. 51 ff. Vgl. zum. ökonomiehistorischen Stellenwert des Werkes von Adam Smith J. Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in England (1640–1760). 3. Kapitel. Ders., Zur politökonomischen Ideologie in England. Abschnitt 2. Kapitel 1. Vgl. Peter Thal (Hrsg.), Adam Smith gestern und heute. Kapitel 1 (einschließlich der deutschen und russischen Wirkungsgeschichte). Ders., Adam Smith’ „Reichtum der Nationen“ – 200 Jahre Meinungsstreit … In: Ders. (Hrsg.), 200 Jahre Adam Smith’ „Reichtum der Nationen“. Der in diesen Kolloquiumsmaterialien enthaltene Beitrag zum Verhältnis Smith – Hegel – Marx (S. 139 ff.) von Rolf Bauermann zeugt von einer grenzenlosen Unkenntnis und sollte am besten vergessen werden. Vgl. zur historisch-sozialen und geistig-kulturellen Situation, aus der Smith’ Entwicklung hervorgeht: A. W. Anikin, Ökonomen aus drei Jahrhunderten. 6., 9. u. 10. Kapitel. Anikins Differenzierung der 3 Gruppen von Ökonomen, die die Entwicklung bis zur Herausbildung der klassischen politischen Ökonomie tragen, ist ein bemerkenswerter Ansatz von wissenschaftshistorischem Interesse. Ebd., S. 142 f. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 434. Ebd., S. 412 u. 414. Ebd., S. 428.

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und ideologische Waffe aller progressiven Bourgeoisie, gleichsam von ihrem Thron“. „In erkenntnistheoretischer Hinsicht liefen die Lehren des englischen Empirismus auf den Skeptizismus (Hume) hinaus, in gesellschaftspolitischer Beziehung redeten sie dem Konformismus das Wort“.40 Was aber in der gegenwärtigen Philosophiegeschichtsschreibung noch immer weitgehend unberücksichtigt bleibt41, darüber besitzt Hegel ein so deutliches Bewusstsein, dass er dazu ein philosophiehistorisches Kapitel verfasst: „Die Gegner Humes sind zunächst schottische Philosophen. Einen anderen Gegner haben wir in der deutschen Philosophie an Kant zu erkennen“.42 Die schottische Schule suchte „eine apriorische Philosophie, aber nicht auf spekulative Weise“.43 Dennoch gehen die schottischen Denker „im ganzen […] auf dasselbe hinaus, was auch in Deutschland als das Prinzip aufgefaßt ist“. Sie gleiten nicht in den noch empiristisch beschreibbaren Individualverstand ab, sondern stoßen in die Richtung der reinen philosophischen Vernunft vor, insofern sie „die sogenannte gesunde Vernunft, den allgemeinen Menschenverstand (sensus communis)“ aufstellen. Dabei geraten sie nicht in rationalistische Verstandesmetaphysik, sondern verbinden gleichzeitig „moralisches Gefühl“ und den Menschenverstand miteinander. Dies sieht Hegel in den ihm vertrauten, seine ganze Entwicklungsgeschichte durchziehenden Zusammenhang von Moral und Politik gestellt, dass „besonders die Schotten“ das Verhältnis zwischen „Moral und Politik“ ausbildeten. Außer Hutcheson und Ferguson hebt Hegel unter diesen vor allem Adam Smith hervor. Obgleich Hegel um die noch besondere Bedeutung von Smith als „Staatsökonom“ weiß, stellt er Adam Smith als den „bekanntesten“ Denker dieser moralphilosophischen Schule vor.44 Arbeitet die schottische Moralphilosophie der deutschen philosophischen Vernunft vor, indem sie den Empirismus und Partikularverstand kritisiert und zugleich positive Gegensetzungen vom Standpunkt der gesunden Vernunft unternimmt, interessiert Hegel an der französischen Philosophie deren mit der Revolution ideell korrespondierende, absolute Zerstörungskraft, ihr im engeren Sinne „rein negativer“, rein dialektischer Charakter. Wieder vergleicht Hegel die geistige Negativität mit dem „Krieg“. „Die Hauptmomente alles dieses Philosophierens sind, daß der Mensch bei allem Erkennen dabeisein müsse, indem sie aller Autorität des Staates und der Kirche, insbesondere dem abstrakten Gedanken, der keinen gegenwärtigen Sinn in uns hat, den Krieg machten“.45 Der Zusammenhang, dass die philosophische Vernunft gegen die Reflexion Denkkräfte entwickeln müsse, welche einen „Krieg“ zu führen ermöglichen, findet sich übrigens schon in Schel40 41

42 43 44 45

M. Buhr u. G. Irrlitz, Der Anspruch der Vernunft, S. 24. Eine wichtige Ausnahme stellt das Buch von Andreas Arndt, Die Arbeit der Philosophie, dar, in dem der philosophische Charakter der Hegelschen Rezeption der Smithschen Ökonomie hervorgehoben wird. Zur Wiederentdeckung des Themas vgl. auch Lisa Maria Herzog, Wer sind wir, wenn wir arbeiten? Soziale Identität im Markt bei Smith und Hegel. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 59. Jahrgang (2011) H. 6,S. 835–852. R. Keat, Marktökonomien als moralische Ökonomien. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 60. Jahrgang (2012) H. 4, S. 535–556. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 427. Vgl. S. 414. Ebd., S. 433. Ebd., S. 430 u. 432 f. Ebd., S. 438 u. 454.

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lings „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ von 1797.46 Aber Schelling setzt diesen Ansatz nicht mehr fort, während Hegel zu einer revolutionshistorischen Identifikation mit dem neuen napoleonischen Stadium, dem Stadium des permanenten Krieges, gelangt. Auch Oncken rückt einerseits im Gegensatz zur absolutistischen Staatsmacht und andererseits im Unterschied zu Smith und Kant Hegels Staatsauffassung mit der Napoleons I. zusammen, wobei Oncken aber Hegels liberale Momente hervorhebt und die von Oncken anvisierte „Zwischenstellung“ eher Hegel als Kant zukommt.47 Hegels philosophiehistorische Konzeption über das Verhältnis der neueren englischen, französischen, schottischen und deutschen Philosophie bestätigt die hier im dritten Kapitel erfolgte Darstellung des Jenenser Programms der Hegelschen Philosophie. Das Subjekt der Hegelschen Philosophie, die Vernunft, bezieht sich historisch vor allem auf die in der deutschen Philosophie seit Kant entwickelte Vernunft, das Objekt der Hegelschen Philosophie vor allem auf die von der englischen Philosophie vertretenen Reflexionsbestimmungen des Verstandes. Der Vernunftsrealisation als Einheit von System und Methode, betrachtet man diese Einheit nach ihrer positiv setzenden Seite hin, arbeitet der schottische allgemeine Verstand schon vor. Die französische Philosophie bringt es zur absoluten, aber noch stofflich gefaßten Negation, die in der dialektischen Entwicklung der deutschen Philosophie vernünftig geformt wird, d. h. zur Vernunftsrealisation auf dem Wege der Einheit von System und Methode, nach der methodischen Seite hin betrachtet, führt. Während die Ausbildung des Verstandes in der englischen Philosophie noch der „Periode der Metaphysik“48 angehört, zählt Hegel die schottische und französische Philosophie, neben dem unannehmbaren Idealismus Berkeleys und Skeptizismus Humes, zur „Übergangsperiode“, welche die in der deutschen Philosophie formierende Vernunft direkt vorbereitet.49 Hegels Jenenser Philosophie-Programm hat wahrlich und sehr bewusst einen internationalen Charakter, der sich, wie Hegel selbst weiß, auch international wird sehen lassen können. Es handelt sich um europäisch vergleichende Philosophie. Hegels Umstellungen seiner philosophiehistorischen Konzeption gerade in Hinsicht auf diese neueren Philosophien, wie er sie in Berlin 1825/26 und 1829/30 vornimmt, deuten darauf hin, dass Hegel auch philosophiehistorische Schlußfolgerungen aus dem Scheitern seines Jenenser Programmes unter den Bedingungen einerseits der Restauration und andererseits der unaufhaltsamen Festsetzung der bürgerlichen Gesellschaft, also nach Napoleons Sturz, zieht. Worin besteht nun der Gleichklang zwischen diesen großen Schotten, die alle so „vorzügliche moralische Schriften“50 verfassten, und der deutschen Philosophieentwicklung, die aber bestimmt ist, gänzlich den Standpunkt des Verstandes zu überwinden? Zum einen, und hier verteidigt Hegel die in seinem Jenenser Programm aufgehobene eigene Frühgeschichte, stellt die schottische Moralphilosophie die Wahrheit der gefühlsmäßigen und empirischen (nicht aber gefühlsduseligen oder empiristischen) Opposition gegen die 46 47

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F. W. J. Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur. In: Ders., Werke 1. HBd., S. 663 f. A. Oncken, Adam Smith und Immanuel Kant, S. 171. Ebd. gibt Oncken einen lesenswerten Abriß der Entwicklung des Staates vom Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 19. Jh. (insbesondere S. 176–181). G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 253 f. u. 341. Ebd., S. 412 ff. u. 464. Ebd., S. 433.

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Reflexionsherrschaft dar. „Was sich dem Humschen Skeptizismus entgegensetzte, ist innere unabhängige Quelle der Wahrheit für das Religiöse, Sittliche“.51 Es existiert eine moralphilosophische Rezeptionslinie von Hutcheson, dem unmittelbaren Lehrer des Adam Smith, oder auch von Shaftesbury her, über Herder und den Sturm und Drang vermittelt zum Freundeskreis um Hölderlin und Hegel, die eine gesonderte Untersuchung wert wäre. Zum zweiten, und hier kommt das Ausschlaggebende für Hegels ganzen Rezeptionsvorgang des Arbeitsbegriffes zum Vorschein, bestimmt die schottische Philosophie schon, „daß die reine Tätigkeit, das Denken und der Inhalt (der Tätigkeit: HPK) unmittelbar als eins gesetzt sind“.52 Die von Hegel anerkannte philosophische Leistung der schottischen Schule erfolgt zwar seines Erachtens nach innerhalb der Vorstellung eines „bewußt- und geistlosen, unvernünftigen Seins“33, d. h. eben innerhalb eines materialistischen Ansatzes, aber doch sieht Hegel, dass dieser „Trieb […] nicht toter, ruhender, sondern sich bewegender“ Trieb ist, in welchem „beides, Bewegung (Hinausgehen) und Inhalt, dasselbe sind“.43 Hegel geht so weit, die Parallelität zwischen dem materialistischen Ansatz, welcher innerhalb des Denkens des Triebes doch schon die reine Tätigkeit begreift, und dem idealistischen Ansatz Kantischen Niveaus, in dem das denkende Selbstbewusstsein über seine Fixierung noch nicht hinauskommt, herauszustellen. „Der Trieb ist blind, ein fixes Sein, das nicht über sich hinaus kann, wie das denkende Selbstbewußtsein“: Auch hinsichtlich des zuerst genannten Aspektes des Gleichklanges zwischen Schotten und Deutschen, d. h. der empirischen und gefühlsmäßigen Opposition gegen Reflexion, stellt Hegel fest: „Dieses trifft mit Kant zusammen“, nämlich dessen dualistischer Gegenseite. Allerdings werde dieselbe Tendenz bei den Schotten nicht auf der Ebene philosophischer Vernunft, sondern auf der des „Inhalts […] konkreter Art“53 ausgebildet. Gegenüber dem hier im dritten Kapitel behandelten Versuch J. Steuarts, aus dem für die Begründung der Ökonomie als theoretischer Disziplin unkonstruktiven Dilemma des entweder Rationalismus oder Empirismus herauszukommen, ist bei Smith neu, dass dieser wenigstens „esoterisch“54 einen materialistischen Tätigkeitsansatz entwickelt, nämlich den der Arbeit, um aus diesem Begriff versuchsweise die politische Ökonomie zu begründen. Welch ein philosophiehistorisches Ereignis, den widerspruchsvollen Versuch zu unternehmen, die abgeschmackten Auffassungen der Determination durch hier äußerliche Objekte, dort die empiristisch gefassten, den Menschen innewohnende Triebstrukturen in einem, sowohl materialistischen als auch tätigen Ansatz aufzuheben!: Arbeit statt des bloßen Milieus, des Eigennutzes, des Geschlechtstriebes. Hegel setzt Adam Smith ein philosophiehistorisches Denkmal, das Steuart, bei all seiner methodologischen Propädeutik, nicht gebührt, weil er real beim Eigennutz stehen bleibt, statt zum Tätigkeitsansatz voranzuschreiten. Warum sind so viele große Briten des 18. Jh. gerade Schotten? In Adam Fergusons „Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ heißt es: „Wenn nationale Angelegenheiten zur Betätigung herausfordern, wird das Genie der Menschen schon erwachen.“ Der menschliche Geist empfing seine besten Belehrungen „inmitten von 51 52 53 54

Ebd., S. 428. Ebd., S. 429. Ebd., S. 428 f. K. Marx, Theorien über den Mehrwert. Zweiter Teil, MEW Bd. 26.2, S. 163.

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Schweiß und Staub“, und wenn „eine Nation der anderen auf der Bahn der Entdeckungen und Untersuchungen folgt, ist die letzte immer die am meisten unterrichtete. Wissenschaftliche Systeme werden stufenweise gebildet“.55 Im Schottland des 18. Jahrhunderts verließen eben noch die nördlichen Bergstämme eine mit starken Resten der Gentilordnung gespickte Feudalordnung, als sich in einigen Zentren, wie Glasgow oder Edinburgh, außerordentlich schnell und dynamisch eine modernste handels- und manufakturkapitalistische Entwicklung entfaltete. Die besondere Bedeutung der Schotten im Prozess der formalen Vereinigung Schottlands und Englands unter Jakob I. (1603) war aufgrund des starken Phasenverzuges der schottischen gegenüber der englischen Entwicklung vernichtet worden. Die nationalistisch und religiös (puritanisch, presbyterianisch) formierten Aufstände und Oppositionsbewegungen gegen die englische Vorherrschaft verkehrten sich, so sehr sie den Kampf des schottischen Volkes gegen die Kapitalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse verdeutlichten, in ein Mittel der Aufrechterhaltung feudaler Zustände.56 Die, welthistorisch und englisch-historisch gesehen, langwierige, blut- und schmutztriefende Vorgeschichte des Kapitals verflocht sich in einem nationalhistorisch tragischen Knoten von nur wenigen Jahrzehnten mit dem Beginn der Selbstentwicklung des kapitalistischen Systems. Antikapitalistische Oppositionspotenzen, so human auch ihre Motive haben erscheinen können, schlugen in Kräfte welthistorischer Regression um. Es blieb kein anderer Weg, sich der englischen kapitalistischen Entwicklung zu entziehen, als die eigene Kapitalisierung des eigenen Landes voranzutreiben, und dies in einer historischen Periode, als zugleich schon deutlich war, dass der phasenhistorische Vorsprung Englands nicht wieder aufgeholt werden könnte. Das soziale Drama der Kapitalisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse erschien, komprimiert in einem historisch kurzen Zeitraum, als das nationale Drama der Schotten. Nach Meek „scheinen“ die Denkleistungen der schottischen Schule „erstens eine Funktion der Geschwindigkeit der ökonomischen Entwicklung und zweitens der Gelegenheit zu sein, einen Unterschied zwischen ökonomisch voranschreitenden und anderen Gebieten zu beobachten, die sich auf verschiedenen Entwicklungsstufen befinden.“57 Die Entwicklungssituation Schottlands weist Ähnlichkeiten mit der Deutschlands auf, sowohl hinsichtlich des deutlichen Phasenverzuges als auch der beschleunigten Einbeziehung in den welthistorisch bestimmenden Kapitalisierungsprozess. Im Vergleich zu Deutschland aber ist in Schottland die spezifisch-kapitalistische Zukunft schon unmittelbar wirksame Gegenwart, sei es infolge des schottischen Kapitalisierungsgrades selbst, sei es infolge der direkten Verkettung mit England. Frankreich reißt zwar Deutschland, wie England Schottland, in den welthistorischen Übergangsprozess hinein, aber doch auf gänzlich andere Art und Weise. Während Frankreich durch Revolutionsarmeen die Rolle eines außerökonomisch gewaltsamen Korrektivs spielt, subsumiert England, gestützt auf seine fortgeschrittenste manufakturkapitalistische Basis, die zudem seit den 1770er Jahren industriekapitalistische Qualitäten anzunehmen beginnt, durch ökonomische Konkurrenzkriege. Dieser vor allem ökonomische Subsumtionscharakter englischer Eingriffe löst in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. die im 17. Jh. entscheidende und noch in der ersten 55 56 57

A. Ferguson, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. (1767), S. 40 ff. Vgl. A. W. Anikin, Ökonomen aus drei Jahrhunderten, S. 187–190. R. L. Meek, Der schottische Beitrag zur marxistischen Soziologie S. 68.

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Hälfte des 18. Jh. bedeutende staatlich-politische Gewaltausübung der Engländer gegen die Schotten ab. Die schottische Schule konstituiert sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst als moralphilosophische, wie auch die Geistesentwicklung in Deutschland als insbesondere praktische Philosophie über moralisch-politische, moralisch-religiöse und moralisch-ästhetische Aktivitäten anhebt.58 Francis Hutcheson, der direkte Lehrmeister und Amtsvorläufer des A. Smith, regt als einer der Hauptkontrahenten von Mandeville, bei gleichzeitiger Abgrenzung von der Mandeville-Kritik Berkeleys, die ganze Richtung der schottischen Schule an. Nicht nur die Generation Hutchesons, noch der junge Adam Smith beginnt seinen Weg mit einer „Theorie der ethischen Gefühle“, in der er, wie Oncken erstmals zeigte und Hasbach bestätigte, vor Kant den inneren Gerichtshof des Gewissens als relativ selbständiges Vermögen gegenüber bloß eigennütziger Selbstliebe begründete59, in der er immerhin unter Aufnahme bestimmter Rousseauscher Motive, aber bürgerlich realistischer als dieser, Kritik an Mandevilles „Bienenfabel“ übte 60, in der er den Krieg als die „große Schule, um Seelenstärke zu erwerben und zu üben“61, verstand. Der wachsende ökonomische Subsumtionscharakter in der englischen Provokation der nationalen schottischen Aktivität treibt die materialistische Begründungstendenz dieser Schule voran, fördert ihr Bündnis mit dem schottischen Bürgertum gegen die feudalen Rudimente im eigenen Land und im Zeichen der Annahme der englischen Herausforderung, lenkt die theoretische Aufmerksamkeit auf die soziologischen Qualitäten in dem zügigen Gesellschaftswandel und ihre Historizität, stimuliert schließlich, die bourgeoise Basis des gesellschaftlich-staatlichen Umbruchs als solche auch in Form einer selbständigen Wissenschaft der Politischen Ökonomie zu erkennen. Adam Ferguson verkörpert diesen Übergang von der zunächst mehr moralphilosophischen Problematik i. e. S. zur Realisation der kritischen Erkenntnismotive durch gesellschaftswissenschaftliche Begründungen konkreterer Natur. Einprägsam formuliert Ferguson, wie sich das heroische Maß der moralphilosophischen Kritik unmittelbar seiner banal bourgeoisen Vernichtung ausgesetzt sieht: „Welche Sirenenstimme kann einen Wunsch nach Freiheit erwecken, die für Erbärmlichkeit und Mangel an Ehrgeiz gehalten wird?“62 Die äußersten Konsequenzen des philosophisch-weltanschaulichen und philosophisch-gesellschaftstheoretischen Potentials dieser Schule nach der politischen Seite hin zieht John Millar in seiner Verteidigung der Französischen Revolution, allerdings unter Ausschluss deren linken „Überschusses“, d. h. der Richtung auf die historisch illusionäre Aufhebung der Klassen58

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Für die deutsche Aufklärung im Ganzen ist dies wohlbekannt. Martina Thom zeigte die genetische Bedeutung des gesellschaftstheoretischen und gesellschaftspolitischen Anliegens von Immanuel Kant für dessen auch erkenntnistheoretisch-systematische Schriften. M. Thom, Die Bedeutung der Freiheitsproblematik für Kants Übergang zum Transzendentalismus, S. 293–307. Vgl. A. Oncken, A. Smith und Immanuel Kant, S. 93. Vgl. zur Entwicklung der Ethik von Hutcheson bis zu Smith’ abschließender „Mittelstellung“: W. Hasbach, Untersuchungen über A. Smith und die Entwicklung der Politischen Ökonomie, S. 30–106. Siehe Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, S. 14–19, 199–234 A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle, S. 510–523. Vgl. A. W. Anikin, a. a. O., S. 190. Vgl. W. Euchner, Egoismus und Gemeinwohl, S. 107, über die Stellung von Smith im Spannungsfeld zwischen Mandeville und Rousseau. A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle, S. 404. A. Ferguson, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 55.

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unterschiede überhaupt.63 Man bedenke bei dieser Verteidigung der Französischen Revolution, dass die verbürgerlichte Aristokratie und das Großkapital Englands es waren, die durch Seekrieg, Handelsblockade und Finanzierung einer konterrevolutionären Koalition nach der anderen diese Revolution zu ersticken suchten und jeden ihrer Sympathisanten im eigenen Land verfolgten, parlamentarisch frei, wie dieses Engelland nun einmal war. Es hatte mit Rousseaus Engeln, die sich demokratisch regieren würden, rein weg nichts zu tun. Und doch, Ferguson mag, repräsentativ für die ganze Schule, die sich trotz des Konkurrenzkampfes der Individuen entzündende „Flamme“64 der Moralität so viel beschwören, wie er will, diese ist nicht die „Flamme“ des Kreises um Hölderlin und Sinclair, obgleich Ferguson mit Millar, im Unterschied zu dem ausgleichenden Smith, schon zu denjenigen innerhalb der Schule gehört, die den sozialen Konflikt und revolutionären Charakter gegenüber dem stufenweise fortschreitenden Charakter der gesellschaftlichen Entwicklung hervorheben. Das selbstzerstörerische Ende des Überganges zur vollständigen Kapitalisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse steht den Schotten deutlich vor Augen. Der ökonomische Druck der Engländer und die kapitalistische Akkumulation im eigenen Land sind zu weit fortgeschritten, als dass jene besonderen Illusionen über den Ausgang des Übergangs noch produziert werden könnten, wie sie im gegenüber England unterentwickelten Frankreich und durch die politisch revolutionäre Weise des französischen Überganges entstehen. Der reale Schein während der welthistorischen Entscheidungsschlacht der Franzosen, daß, wie Hölderlin schrieb, „im Übergehenden […] die Möglichkeit aller Beziehungen vorherrschend“65 sei, existiert im britischen Reich der 2. Hälfte des 18. Jhs. nicht mehr. Aber doch steckt Schottland noch inmitten dieses Überganges. „Indessen ist der Fall nicht eher hoffnungslos, bis wir sowohl unser politisches System wie unsere Sitten gebildet haben, bis wir unsere Freiheit für Titel, äußeren Prunk und leere Auszeichnungen verkauft haben, bis wir keinen anderen Lohn kennen als Wohlergehen und Macht, keine andere Unehre als Armut […]?“66Der Kampf Schottlands gegen England ist real nur mehr der ökonomische Konkurrenzkrieg zweier nationaler Bourgeoisien, von der die eine die andere schlucken wird. Eine erneute Mobilisierungsmöglichkeit der kleinbürgerlichen Schichten, wie im 17. Jh. oder in Frankreich, wo diese sogar zur zeitweiligen kleinbürgerlichen Hegemonie führen wird, ist ausgeschlossen. Die schottische Schule steht dem spezifisch kleinbürgerlichen Maß von Heroismus und, nach der historischen Entlassung der kleinbürgerlichen Schichten aus ihrer revolutionären Triebkraftfunktion, von Romantik fern. Die potenzierte Illusionsfähigkeit der ohnmächtigen deutschen Kleinbürger geht der schottischen Schule natürlich gänzlich ab. Das Potential der heroischen Kritik der schottischen Schule ist keines, das auf die Substitution bourgeoiser Hegemonie abzielt, weder auf eine kleinbürgerlich-republikanische Substitution, noch auf eine der napoleonischen Verselbständigung des Citoyen 63 64 65 66

R. L. Meek, a. a. O., S. 67. Millar unterstützte auch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen England und nahm aktiv an der Abschaffung der Sklaverei teil. A. Ferguson, a. a. O., S. 45. F. Hölderlin, Das Werden im Vergeben. In: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, S. 424. A. Ferguson, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 55.

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vergleichbare Substitution. So sehr J. Steuart auch Schotte und in vielem Wegbereiter der schottischen Schule war, diese unterscheidet sich von seiner hier im 2. und 3. Kapitel dargestellten Position. Im Gegensatz zu den englischen Bourgeois, die sich für Hegel nach ihrer Revolution in eine lebensarme Vielheit ökonomischer Atome verlaufen, entwickeln die schottischen Bourgeois im Kampf gegen die vorkapitalistischen Rudimente innerhalb des eigenen Lands und unter dem allgemeinen Vorwand der nationalen Existenzbedrohung durch die englische Konkurrenz ihre Gemeinsamkeiten untereinander. Ihre Überlebenschance besteht gerade darin, sich als eine ökonomisch und politisch handlungsfähige Klasse zu konstituieren. Diese historische Situation der schottischen Bourgeoisie stimuliert die Ausbildung des quasi idealtypischen Verhältnisses zwischen Bourgeois und Citoyen. Wie Ferguson durchgehend das Menschen verschlingende Gesicht des Überganges hervorhebt, unterstreicht Smith das nicht weniger historisch reale Gegengesicht dieses Januskopfes, „daß die Lage der arbeitenden Armen, d. h. der großen Masse des Volks, eher bei einer Aufwärtsentwicklung, in der die Bereicherung der Gesellschaft weiter fortschreitet, am glücklichsten und einträglichsten zu sein scheint, als in einem Zustand, wo die vollständige Ausstattung der Gesellschaft mit Reichtum bereits erreicht ist […]. Die Aufwärtsentwicklung (gegenüber Stagnation, Rückgang und Übersättigung: H.-P. K.) stellt tatsächlich den alle Klassen der Gesellschaft anspornenden und aufmunternden Zustand dar.“67 Die schottische Schule begründet philosophisch, sozial- sowie geschichtswissenschaftlich und politisch-strategisch einen Citoyen, der sich weder auf eine nachrevolutionäre Menge ökonomisch gesicherter Bourgeoisatome reduzieren lässt, noch den Bourgeois durch revolutionärdemokratische Gewalt wieder in einen kleinen Warenproduzenten zu verwandeln sucht, noch unter Wahrung der ökonomischen Selbständigkeit des Bourgeois sich doch gegenüber diesem Bourgeois staatlich-politisch verselbständigt. Hinter Hegels tiefer Bewertung des Erkenntnisvermögens der schottischen Schule als des Vermögens der gesunden Vernunft oder des allgemeinen Verstands steht ideologiegeschichtlich, daß der schottische Citoyen in der 2. Hälfte des 18. Jh. in der Tat nicht mehr, aber auch nicht weniger beansprucht, als der allgemeine Bourgeois zu sein, sein Maß heroischer Kritik ist daher von vornherein realistisch begrenzt, hat sich direkt am Objekt der bourgeoisen Natur zu bewähren, kann nicht ausweichen auf staatlich-politische oder geistig-künstlerische Austragung des humanen Motivs. Die Schule unternimmt den Versuch, eine „Naturgeschichte der Gesellschaft“ wissenschaftlich zu begründen. Als gemeinsame Grundthesen hebt Meek hervor, dass ihre Hauptaufmerksamkeit der ökonomischen Subsistenzweise der historisch verschiedenen Gesellschaften gilt, dabei insbesondere durch Millar und Smith aus den Arbeitsteilungsformen (unter Berücksichtigung des Standes der Austauschbeziehungen, äußeren Naturbedingungen, Faktoren der natürlichen Reproduktion der Menschen sowie der subjektiven Arbeitsfähigkeiten) die Eigentumsformen und daraus die politischen Herrschaftsformen abgeleitet werden. Zugleich geht vor allem Smith, Hume folgend, das große kulturgeschichtliche Projekt an, die Geschichte der Künste und Wissenschaften ebenfalls zu erfassen. Voraussetzung ihrer geschichtsmaterialistischen Bestimmungen war die Erkenntnis des in sozialökonomi67

A. Smith, Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen, Bd. 1, S. 107.

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scher und sozialpolitischer Hinsicht klassenbedingten Charakters der gesellschaftlichen Entwicklung.68 Die historische Schule Schottlands eröffnet im noch unabgeschlossenen Übergang zum Kapitalismus und bei gleichzeitiger Auswertung der nachrevolutionären Entwicklung Englands wissenschaftshistorische Problemfelder, wie sie den großen französischen Historikern nach der Französischen Revolution im durch Restauration unterbrochenen Übergangsprozess zum Industriekapitalismus erneut entstehen werden. Die hoffnungslose Notsituation der Schotten treibt die schottische Schule dazu, wie die schottischen Bourgeois ihre englischen Konkurrenten durch die Entwicklung der kapitalistischen Methoden bekämpfen, den englischen Empirismus und Sensualismus empiristisch und sensualistisch zu kritisieren, treibt die schottische Schule dazu, wie die schottischen Bourgeois ihre englischen Konkurrenten durch Konstitution zur Klasse bekämpfen, der englischen Philosophie Vernunft und Herz sowie theoretisch praktizierten Allgemeinverstand entgegenzuhalten. Nicht ohnmächtig genug, um ins Lamentieren und in Litanei zu geraten, zu verbourgeoist schon, um die Reinheit heroischer Illusionen behaupten zu können, „inmitten von Schweiß und Staub“, vermag diese Hoffnungslosigkeit nur noch Hoffnung zu gewinnen in dem Gedanken von der tätigen Bewältigung des nationalen Schicksals, jeder Herausforderung zum Trotz. „Ohne den Wettstreit der Nationen und ohne den Krieg könnte die bürgerliche Gesellschaft selbst kaum Inhalt oder Form gefunden haben. […] Und wer nie mit seinem Mitmenschen gekämpft hat, kennt die Hälfte der menschlichen Gefühle nicht.“ Eben „Tätigkeit“ ist die „Natur“ der Verstandeskräfte. „Nur ihre Wirkungen enthüllen sie.“69 Noch ehe überhaupt der im engeren Sinne Politökonom Smith über die Gedanken der Arbeitsteilung und die Rolle der Arbeitsinstrumente den vermittelten Charakter der Arbeit herausstellt, treibt die Realisationsnot seiner moralphilosophischen Verpflichtung Adam Smith dazu, den Tätigkeitsansatz von vornherein auf die Frage der Mittel zuzuspitzen. Smith wertet schon 1759 die Rolle der „Mittel“, der jeweiligen „Instrumente“, gegenüber den Zwecksetzungen „Macht und Reichtum derart auf, daß er sogar versucht, den Schönheitsbegriff“ daraus abzuleiten.70 Smith’ materialistischer Tätigkeitsansatz ist in anderen Begründungsversuchen der Ökonomie, wie bei Petty oder den Physiokraten, vorhanden, ohne jedoch jene ausgezeichnete Stelle und Reinheit, wie in Adam Smith’ Versuch einer totalen Erfassung des ökonomischen Gegenstandes innezuhaben. Er ist zum anderen auch philosophisch schon außerhalb der Schule vorbereitet. Wir begegneten bereits der methodologischen Sondierung des erkenntnistheoretischen Problemfeldes bei J. Steuart, ohne dass dieser zur tätigen Vermittlung vorgestoßen wäre. Hume, der enge ältere Freund von Smith, nimmt eine oft übersehene Stellung zwischen der spezifisch englischen und schottischen Denktradition ein. Hume, der häufig vorschnell aus Kantischer Sicht auf den in Skeptizismus umschlagenden Empirismus reduziert wird, bestenfalls noch als großer Historiker, wie bei Hegel, Erwähnung findet, als stünden seine geschichtswissenschaftlichen Leistungen in keinem Zusammenhang zu seiner Philosophie, entwickelt innerhalb seiner empiristischen Triebkonzeption einen 68 69 70

R. L. Meek, a. a. O., S. 30 f., 54, 58. Vgl. H. Lehmann, Die Betrachtung der Klassenstruktur in der klassischen politischen Ökonomie des Bürgertums, S. 1082 ff. A. Ferguson, a. a. O., S. 33 u. 35. A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle, a. a. O., S. 308 u. 315.

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Tätigkeitsansatz.71 Hinsichtlich der ökonomischen Realisation dieses Ansatzes in Form des Arbeitsbegriffes bleibt Hume aber davon behaftet, „das Geld als im Widerspruch zur Arbeitswerttheorie stehend“ zu betrachten.72 Hume verhält sich nicht nur skeptisch, sondern auch wohlwollend förderlich gegenüber den Versuchen theoretischer Neubegründungen in der schottischen Schule. So sehr sein Skeptizismus vom Neueinsatz der Schule differierte, war Skepsis diesem Bibliothekar namens Hume doch zugleich Schutz davor, in einen „verzweifelten Zynismus“73 zu verfallen, wie er dem die Großbürger von London und Paris kennenden Mandeville schon im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts allein noch geblieben war. Nach Niederlegung seiner Professur konnte sich Smith endlich auch öffentlich in seinen Werken zu dem Atheisten Hume bekennen, der auch von tödlicher Krankheit befallen keine Reue zeigte und als eben zum Skelett Gewordener sich noch seine gesellige Heiterkeit bewahrte. Nicht zuletzt war es die entlarvende und popularisierbare Offenheit Mandevilles, die die Arbeit der Armen, wenn auch noch nicht politökonomisch begriffen, als die Grundlage der ganzen englischen Entwicklung offenlegt und schließlich hatte Locke unter den klassischen bürgerlichen Philosophen Englands jene Tradition begründet, die das Eigentum aus der Arbeit ableitet,74 ohne allerdings vom unterstellten Robinson als dem Subjekt der Arbeit wirklich loszukommen. Ohne Berücksichtigung des Umschlagens der Aneignungsgesetze im Übergang von kleiner zu allgemeiner Warenproduktion erhält die Begründung des Eigentums durch Arbeit leicht eine objektiv nur konformistische Funktion, der auch Sinclair in seinen Halbheiten nicht entgeht. Den Vorläufern von Smith ist gemeinsam, nicht den theoretisch-systematischen Stellenwert des Arbeitsbegriffes zwecks Erfassung der Totalität75 kapitalistischer ökonomischer Phänomene zu begründen, den Arbeitsbegriff nicht von der Tradition des Robinson-Denkmodelles klar zu emanzipieren, oder den Arbeitsbegriff nicht in seiner reinen und einfachen Form, d. h. von stofflichen Bestimmtheiten frei, zu fassen. „Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith jede Bestimmtheit der reichtumzeugenden Tätigkeit fortzuwerfen – Arbeit schlechthin, weder Manufaktur-, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andere“ in der Form einer „abstrakten Allgemeinheit“ zu begreifen.76 Smith weiß, dass dieser „abstrakte Begriff“ alles andere als eine „handgreifliche Angelegenheit“ und daher „nicht so natürlich und klar ist“. Dieser begriffliche Standpunkt ist weder von der gebrauchswertorientierten Position, noch aus der Sicht handelsbürgerlichen Geld- und Zirkulationsdenkens erreichbar. „Arbeit ist das reale Maß des Tauschwerts aller Waren.“77 Smith ersetzt die monetaristische Reichtumsauffassung, in der „Reichtum noch ganz objektiv, als Sache außer sich im Geld“ erscheint, die physiokratische Auffassung, nach der der Reichtum aus einer „bestimmten Form der Arbeit […] als immer noch Naturbestimmtes“ entspringt66, und die merkantile Vorstellung, wonach für die Vergrößerung des Reichtums noch die Zirkulationshandlun71 72 73 74 75 76 77

Siehe W. Hasbach, a. a. O., S. 363 f. Vgl. aber auch ebd., S. 367. A. W. Anikin, a. a. O., S. 149. W. Euchner, a. a. O., S. 126. Vgl. W. Hasbach, a. a. O., S. 157 f. u. 138 ff. Siehe P. Thal (Hrsg.), Adam Smith. Gestern und heute, S. 22–24. K. Marx, Grundrisse, S. 24. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 42 u. 40.Vgl. S. 39.

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gen entscheidend bleiben. Smith’ Fortschritt besteht darin, „in die subjektive Tätigkeit“ als solche78 den systematischen Ansatz zu setzen. Sein Arbeitsansatz als Tätigkeitsansatz ist merkantil vorbereitet, insofern der entwickelte Merkantilismus bereits vom Dingfetisch als Geldfetisch zur Zirkulationstätigkeit („Geldhandlung“: Steuart) übergeht. Andererseits ist Smith’ Tätigkeitsansatz als Arbeitsansatz physiokratisch vorbereitet, insofern der konsumtionslüsterne Standpunkt der aristokratischen Tradition bereits in den Standpunkt der ihm vorausgesetzten naturbestimmten Arbeitsform gewendet wird, wodurch der abgabenfressende Staat des Feudalabsolutismus vom Handels- und Manufakturbürgertum abgelenkt wird. Die gebrauchswertorientierte Seite in der Smithschen Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit ermöglicht es, den Gedanken der Tätigkeit von der Bindung an unproduktive Arbeiten zu emanzipieren.79 Zugleich aber hat „A. Smith […] die Sache selbst begrifflich erschöpft, den Nagel auf den Kopf getroffen – es ist dies eines seiner größten wissenschaftlichen Verdienste“, wenn er „die produktive Arbeit […] vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion aus“ definiert, d. h. „er die produktive Arbeit als Arbeit bestimmt, die sich unmittelbar mit dem Kapital austauscht“. Der Standpunkt der Zirkulation zum Zwecke der Vermehrung des ursprünglich eingesetzten Kapitals abstrahiert von der stofflichen Bestimmtheit des auszutauschenden Produkts, erst recht von der konkreten Arbeitstätigkeit, durch die dieses Produkt geschaffen wurde. Smith erhielt den abstrakten Charakter des merkantilen und o. g. philosophischen Tätigkeitsansatzes gegen die „Bestimmtheit der Arbeit als konkreter Arbeit“ und behauptete den Standpunkt der produktiven Arbeit gegen den sich auf unproduktive Arbeiten beziehenden Gedanken der Tätigkeit. Seine „Arbeit“ als reales Maß des Tauschwerts aller Waren ist „aus der bestimmten gesellschaftlichen Form, den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, worin sie sich verwirklicht“, entnommen.80 Die Abhebung der Arbeit als solcher von konkreten Arbeiten bei Smith bereitet unmittelbar die Marxsche Entwicklung des Springpunktes der Politischen Ökonomie vor.81 Sie ist die originale Emanzipation der Smithschen Ökonomie von ihren philosophischen Voraussetzungen und von ihren politökonomischen Voraussetzungen vormanufakturbürgerlicher Art. Dennoch erfolgt diese Bestimmung der abstrakten Arbeit, um die theoretische Entwicklung des Systems der spezifisch kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu ermöglichen, nicht unabhängig vom historischen Entwicklungsstand des Stoffwechselprozesses zwischen der Gesellschaft und der Natur. Der reinen Fassung des Begriffes der abstrakten Arbeit ist ein historisches Niveau von Gebrauchswertproduktion vorausgesetzt, das bereits über die erste gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit verfügt, die Kooperation der manufakturiellen Teilarbeiter.82 Diese Kooperation stellt nicht erst nach der Produktion durch Zirkulationsvermittlung einen allgemeinen Zusammenhang zwischen 78 79 80 81

82

K. Marx, Grundrisse, a. a. O., S. 24. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 73 ff. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 127. Siehe zur Kritik der klassischen bürgerlichen Ökonomie durch Marx: F. Behrens, Grundriss der Geschichte der Politischen Ökonomie, Bd. 2, S. 80 ff. Vgl. zur Diskussion des Verhältnisses zwischen der Smithschen und Marxschen politischen Ökonomie: Adam Smith gestern und heute, hrsg. v. P. Thal, S. 109–138. Siehe K. Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23 S. 344 ff., 352 f. u. 354 f.

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den konkreten Arbeitern her, sondern bereits innerhalb der Produktion selbst, wenn auch erst auf manufakturiell-betrieblicher Ebene. Die Manufakturarbeiter stehen in einem arbeitsteiligen Zusammenhang, der durch die industrielle Revolution im dann neuen Arbeitsinstrument, der Maschine, vergegenständlicht wird.83 „Die spezifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vielen Teilarbeitern kombinierte Gesamtarbeiter selbst.“84 Mit der Mechanisierung des Verhältnisses der manufakturiellen Teilarbeiter, wobei der einzelne Teilarbeiter sich zu seinem Arbeitsgegenstand einstweilen noch handwerklich verhält, als Teil des manufakturiellen Gesamtarbeiters aber bereits mechanisch funktioniert, beginnt der welthistorisch entscheidende Prozess, dass Arbeit aufhört „als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein“.85 Dieser mechanisch allgemeine Charakter der konkreten Arbeit selbst, zunächst nur im Verhältnis der konkreten Arbeiten untereinander, dann auch in der konkreten Arbeit des einzelnen Teilarbeiters mit Hilfe der Maschine gegenüber dem einzelnen Arbeitsgegenstand, wird leicht als die historisch stoffliche Voraussetzung für die „Vollgültigkeit“ des subjektiven Begriffes und der Realabstraktion „abstrakte Arbeit“86 übersehen. Smith hat „keinen einzigen neuen Satz über die Teilung der Arbeit aufgestellt“. Ferguson hatte früher und deutlicher als Smith die inhumanen Auswirkungen der manufakturiellen Arbeitsteilung formuliert. Was Smith „aber als den zusammenfassenden politischen Ökonomen der Manufakturperiode charakterisiert, ist der Akzent, den er auf die Teilung der Arbeit legt“.87 Dies gilt nicht nur gegenüber industriebürgerlichen Denkern, die die revolutionäre Rolle der Maschine für die Veränderung der Gebrauchswertproduktion und den, damit „zweiten Akt der Revolution der Produktionsverhältnisse im Gesamtprozeß des revolutionären Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus“88 zu begreifen versuchen, sondern auch im Vergleich zu seinen Vorläufern. Schon nach der Seite hin betrachtet, welche Funktion sein Arbeitsbegriff für die theoretische Darstellung des Systems kapitalistischer Produktionsverhältnisse hat, kommt Smith zu großen Ergebnissen. Aus dem aus Arbeit abgeleiteten Mehrwertbegriff hat Smith „den wahren Ursprung des Mehrwerts erkannt“89. Smith kann aber nicht diesen aus Arbeit begründeten Mehrwertbegriff durch die Erscheinungsformen des Mehrwerts hindurch wirklich durchführen, da ihm, analytisch befangen, die „Mittelglieder“90 ausge83 84 85 86 87

88 89 90

Siehe ebd., S. 444 f. Vgl. W. Jonas, Kritische Bemerkungen und Ergänzungen …, a. a. O., S. 145 u. 170 ff. K. Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23, S. 369. K. Marx, Grundrisse, S. 25. Ebd. K. Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23, S. 369. Vgl. S. 382 f. Auch wenn man der Foucaultschen Archäologie der Humanwissenschaften folgt, also die Schnitte zur Ermittlung anonymer, weil kollektiv geteilter Denkstrukturen anders legt, gelangt man zu dem vergleichbaren Ergebnis, dass zunächst die Smithsche, sodann die Ricardosche Politische Ökonomie die historischen Kriterien für Wissenschaftlichkeit enthält. Siehe Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Ebd. zur Periodisierung S. 273, Duplizierung in die Differenz transzendental-empirisch S. 300–306, 384–390, zu Smith und Ricardo S. 274 ff., 310 ff. W. Jonas, a. a. O., S. 145. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 51. Ebd., Bd. 26.3, S. 491. Vgl. dazu A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 65 und dazu im Gegensatz S. 68.

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hen. Vor allem stellt er nicht die Frage nach dem „Wert der Arbeit“ um in die Frage nach dem Gebrauchswert und dem Wert der Arbeitskraft. Smith handhabt seinen Begriff der Arbeit als solcher aber nicht nur, um aus ihm den Wert- und Mehrwertbegriff abzuleiten. Für Smith ist charakteristisch, den Arbeitsbegriff als Maß des Werts in Zusammenhang mit der Produktivkraftentwicklung zu denken, d. h. für die Manufakturperiode in Zusammenhang mit manufakturieller Arbeitsteilung zu denken. Smith’ Arbeitsbegriff zielt nicht nur auf die Lösung des noch aus der Zirkulationssphäre stammenden Problems, worauf die schwankenden Nominalpreise zurückgeführt werden können, sondern auch des Problems, worin der die Menschen zu einer Gesellschaft verbindende „Hauptzement“ (Harris) besteht.91 Die Doppelseitigkeit des Smithschen Arbeitsbegriffes als Wertmaß und manufakturielle Arbeitsteilung ist innerhalb der manufakturbürgerlichen Denkweise eine Vorform dessen, was später Marx als den Doppelcharakter der Arbeit bezeichnet hat. Smith’ Versuch, mit Hilfe des Begriffes der Arbeitsteilung das zweite Problem zu lösen, ist politökonomisch und geschichtsphilosophisch dem handelsbürgerlichen Denken entgegengesetzt, wie bei Steuart, die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung primär aus der Entwicklung der Zirkulation heraus zu begreifen. Das Manufakturbürgertum repräsentiert nicht mehr, wie das Handelsbürgertum, eine zwar spezifisch kapitalistische, aber nur Exploitationsweise vorausgesetzter vorkapitalistischer Produktionsweisen, sondern den Beginn der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise, die der Zirkulationssphäre nur als Vermittlungsglied ihrer eigenen Reproduktion bedarf. Der Begriff der Arbeitsteilung ist bei Smith manufakturiell gebunden, aber vorschnell in dieser Gebundenheit universell gebraucht. „Was auf die Arbeiter einer einzigen Werkstatt zutrifft, trifft aus demselben Grund auch auf die Arbeiter einer großen Gesellschaft zu.“92 Wäre dies so, bedürfte diese reelle Vergesellschaftung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht mehr der nachträglichen gesellschaftlichen Anerkennung der Produkte als Waren in der Warenzirkulation. Smith spürt den Widerspruch zwischen innermanufakturieller (betrieblicher) und gesellschaftlicher Arbeitsteilung, indem er wenigstens der historischen Genesis nach relativiert: „Wenn die Arbeitsteilung sich einmal völlig durchgesetzt hat […].“93 „Die Arbeitsteilung, […], ist kein ursprüngliches Ergebnis menschlicher Weisheit, die den allgemeinen Wohlstand, der von ihr hervorgerufen wird, vorausgesehen und beabsichtigt hätte. Sie ist die zwangsläufige […] Folge einer gewissen Neigung der menschlichen Natur […] zum Tausch“, aber, nicht zum Tausch zwecks Geldhäufung, sondern zum Tausch lebensnotwendiger „Gegenstände“.94 Der Bedürfnisansatz führt bei Smith unter Wahrung einer anthropologisch bestimmten Tauschleidenschaft zur notwendigen Entwicklung der Arbeitsteilung, die rückwirkend die Fähigkeiten der Individuen in ein „Ergebnis der Arbeitsteilung“ verwandelt und die Menschen, da keiner wie ein Tier sich selbst versorgen kann, zu einer Gesellschaft, vorteilhaft für jeden, zusammenschweißt. Dadurch produziert Smith einen nicht einfach natürlichen, sondern spezifisch gesellschaftlichen Begriff für die materialistische Erklärung der menschlichen Natur. Gleichzeitig widerspricht er so den geschichtsphilosophisch idealistischen und in der Ökonomie 91 92 93 94

R. L. Meek, a. a. O., S. 269. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 114. Ebd., S. 31. Ebd., S. 20.

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merkantilen oder gar monetären Auffassungen niveauvoll, nach welchen überbauliche Verhaltensweisen oder Zirkulationsakte die eigentliche gesellschaftskonstituierende Bedeutung besitzen. „Von Natur aus ist ein Philosoph hinsichtlich Fähigkeit und Veranlagung von einem Lastträger halb so verschieden wie eine Dogge von einem Windhund oder ein Windhund von einem Hühnerhund oder dieser von einem Schäferhund.“95 „Im Verlauf der Entwicklung der Gesellschaft werden Philosophie oder Forschung wie jede andere Beschäftigung zum hauptsächlichen oder alleinigen Tätigkeitsbereich und Beruf einer besonderen Klasse von Bürgern.“96 Die Arbeitsteilung begünstigt die „Erfindung vieler Maschinen“, anfänglich durch „gewöhnliche Arbeiter“, schließlich sogar durch „Philosophen oder Denker“ (J. Watt lehrte, wie Smith, auch in Glasgow). Maschinen erleichtern und verringern die Arbeit. Sie befähigen zugleich „einen Mann […], die Arbeit vieler zu leisten“.97 Smith verfügt noch nicht über einen speziellen Begriff der Maschine, so dass die Maschine nicht als nur verbessertes Werkzeug erschiene.98 Auch Hegel differenziert nicht klar zwischen der technologischen Form, die ein Werkzeug setzt, und der einer Maschine. Dennoch ist bei Smith klar die Bedeutung des Arbeitsmittels überhaupt für das Produktivitätsniveau der ganzen Relation der Arbeitstätigkeit gegenwärtig. Wie schon von der besonderen Bedeutung und gar Schönheit des Mittels der Tätigkeit im moralphilosophischen Sinne bei Smith hier die Rede war, so verwendet Smith auch in seinem ökonomischen Hauptwerk den Gedanken des Werkzeugs, des Instruments, des Mittels über die produktivitätsbestimmende Bedeutung des Mittels für konkrete Arbeit hinausgehend universell an. Vom Standpunkt der auf Produktivität bedachten „gesunden Vernunft“, wie Smith gegen die das Geld fetischisierenden Argumentationen sagt, besteht der „Zweck des Geldes“99 nicht im Geld selbst, sondern darin, im Interesse der gebrauchswertorientierten Konsumenten „Werkzeug des Handels“100 zu sein. Geld ist „das große Rad der Zirkulation, das große Instrument des Handels. Wie alle anderen Arbeitsgeräte macht es wohl einen Teil, und zwar einen sehr wertvollen Teil des Kapitals aus, aber keinen Teil des Einkommens der Gesellschaft, der es gehört.“101 Der Standpunkt des Mittels der Tätigkeit steht dem auf unmittelbare und bloß konsumierende Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten Standpunkt entgegen, wie er zugleich Ausdruck der produktiven Beherrschung des Stoffes der Tätigkeit ist. Wie das Arbeitsmittel zwischen Naturstoff und Arbeitskraft tritt, wird auch der Austausch durch „das Dazwischentreten einer anderen Ware“, der des Geldes, mittelbar statt „unmittelbar“102. Schon in seiner Theorie der ethischen Gefühle wendete Smith seinen Standpunkt des Mittels polemisch gegen den der bloßen „Nützlichkeit“ und „Bequemlichkeit“, in dem Bewusstsein, dass „davon […], soviel ich weiß, bisher noch niemand Kenntnis genommen“ hat. Den Standpunkt 95

96 97 98 99 100 101 102

Ebd., S. 20–24. Die Arbeitsteilung bleibt bei Smith aber „durch die Ausdehnung des Marktes begrenzt“, S. 25 ff. Der manufakturkapitalistischen Produktionsweise fehlt noch die ökonomische Subsumtionskraft der industriekapitalistischen Produktionsweise, die sich bereits ihren Markt schafft. Ebd., S. 16. Ebd., S. 16 u. 13. Vgl. Adam Smith gestern und heute, S. 51. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 85 u. 84. Ebd., S. 184 u. 194. Ebd., S. 23. Ebd., Bd. 1, S. 42.

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des Mittels erhebt Smith keinesfalls nun seinerseits zu Selbstzwecksetzung, dient er doch der besseren Realisation des Zweckes der Nützlichkeit, aber der Gedanke des Mittels steht „höher“.103 Die noch nicht Fabrik gewordene Manufaktur produziert noch nicht die Maschine um der Maschine willen. Da genießt man noch dies neue Monstrum, ohne den Fähigkeitsverlust der Manufakturarbeiter zu verschweigen, im Interesse doch schon der Produktivität und nicht mehr des bloßen Spiels mit neuen Apparaturen. Arbeitsteilung und Maschine, die bruchstückhaften Menschen: „Dies ist aber der Zustand, in welchen in jeder zivilisierten Gesellschaft die arbeitenden Armen, d. h. die Masse des Volkes, notwendigerweise fallen müssen.“104 Das Opfer wird nicht verschwiegen, aber auch in Kauf genommen.

4.3 Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs (A. Smith) in eine napoleonische Konzeption von der gesellschaftlich allgemeinen Arbeit des Krieges Walter Jaeschke schreibt, den Stand der Hegel-Forschung bilanzierend, zum „System der Sittlichkeit“ (1802–1803), um das es im Folgenden gehen wird: „Dem System der Sittlichkeit kommt in Hegels Werk eine Ausnahmestellung zu – nicht allein als seiner ersten systematischen Gestaltung der praktischen Philosophie, sondern auch durch seine doppelte Prägung durch die Bedingungen seiner Entstehungszeit: die Zusammenarbeit mit Schelling und den Gegensatz gegen Fichte.“105 Mir scheint, dass man die Ausnahmestellung dieses Werkes besser zu durchschauen lernt, wenn man es nicht allein im Kontext der Ideengeschichte und der Systemgeschichte innerhalb Deutschlands angeht, sondern seinen oben herausgestellten europäisch vergleichenden Charakter im Kontext der realen Weltgeschichte, d. h. vor allem des Konflikts zwischen Frankreich und England, berücksichtigt. Bevor hier die genauere Untersuchung der Rezeption am Text einsetzt, bringe ich die philosophischen Voraussetzungen der Interpretation im Anschluss an die vorangegangenen Kapitel in Erinnerung und hebe ich das „System der Sittlichkeit“ (1802/03) von der 1803–1804 einsetzenden Periode Hegelschen Systematisierens ab, damit es zu keinen Verwechselungen kommt. Um den napoleonischen Charakter der philosophischen Rezeption der Smithschen Ökonomie im System der Sittlichkeit zu erkennen, ist hier das über das napoleonische Stadium der Französischen Revolution bisher Ausgesagte zu ergänzen. Dies betrifft zunächst zwei dieses Stadium der Revolution auszeichnende Aktivitätsformen des Volkes und das Verhältnis beider Tätigkeiten zueinander: „Die Tatkraft der Nation war allein auf die Arbeit und den Krieg gerichtet.“106 Diese Kriegstätigkeit hatte nach außen sowohl revolutionären als auch expansiven Charakter. Nach innen ließ sie, so sehr sie die entstandene bürgerliche Gesellschaft verteidigte, diese nicht zur Ruhe der ökonomischen Selbstentwicklung kommen. Voraussetzung dafür, dass die Kriegstätigkeit permanent betrieben 103 104 105 106

A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle, S. 308. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 3, S. 123. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 152. F. A. Mignet, Geschichte der Französischen Revolution von 1789 bis 1814, S. 501.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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werden konnte, war die Arbeitstätigkeit des französischen Volkes und der von Frankreich abhängigen Völker. Die Volksaktivität wurde in Arbeitstätigkeit nicht nur aufgrund eines rein ökonomischen Zwanges kapitalistischer Verhältnisse oder der banalen Weisheit, dass immer produziert werden müsse, umgeformt. Die Arbeitstätigkeit des Volkes diente unmittelbar der permanenten Aufrechterhaltung seiner Kriegstätigkeit, obgleich letztere wiederum nur die notwendige außerökonomische Entstehungsbedingung der spezifisch kapitalistischen Ökonomie war, und die Arbeitstätigkeit als Voraussetzung der Kriegstätigkeit bereits durch kapitalistische Triebkräfte stimuliert wurde. Das in 3.1. und 3.4. behandelte Verhältnis zwischen napoleonischem Citoyen und vorreifem Bourgeois basiert hinsichtlich der ausgezeichneten Tätigkeitsformen des Volkes auf dem Verhältnis zwischen Kriegs- und Arbeitstätigkeit des Volkes. Die revolutionäre Kriegstätigkeit ist revolutionshistorisch der Arbeitstätigkeit übergeordnet. Auf die im strengen Sinne zentralstaatliche Organisationsform der kriegerischen Volksgewalt wurde bereits eingegangen. Die Arbeitstätigkeit des Volkes wird bereits in Form kapitalistischer Produktionsverhältnisse organisiert, insoweit sie nicht als landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeit kleiner Warenproduktion unterliegt. Die Formen der Warenproduktion erscheinen als Mittel der Selbstzwecksetzung des napoleonischen Citoyen. „Alle materiellen Interessen und alle ehrgeizigen Leidenschaften ordneten sich hierarchisch einem einzigen Oberhaupt unter.“107 Die Selbstzwecksetzung ist sozialökonomisch nur möglich aufgrund der außerordentlichen Bedeutung kleiner Warenproduktion und vorindustrieller Kapitalformen. Infolge der politisch-militärischen Stützung der napoleonischen Macht durch die von feudalen Abhängigkeiten befreiten Bauernmassen ist eine Kapitalisierung der Landwirtschaft ausgeschlossen.108 Der politisch-revolutionäre Charakter des Übergangsprozesses des Kapitalismus in Frankreich hat von vornherein diese, die konsequente kapitalistische Akkumulation hemmende Seite im Vergleich zum englischen Weg. Innerhalb der sozialökonomischen Voraussetzungen des französischen Revolutionsstadiums besitzt aber nicht nur die kleine Warenproduktion gegenüber der spezifisch kapitalistischen Warenproduktion eine revolutionshistorisch notwendige Bedeutung. Auch innerhalb der Kapitalformen existieren andere Dominanzverhältnisse als unter der Voraussetzung eines industriekapitalistischen Reproduktionsprozesses. „In der eigentlichen Manufakturperiode … ist es die Handelssuprematie, die die industrielle Vorherrschaft gibt.“109 Zu der schon innerhalb der sozialökonomischen Basis dieses Revolutionsstadiums gegebenen Dominanz des Handelskapitals110 gegenüber dem Manufakturkapital kommt noch die napoleonische Instrumentierung der Sphäre des handelsbürgerlichen Kampfes hinzu. „Napoleon benutzt die Einstellung des Handels, um England in die Knie zu zwingen, wie er die Waffen benutzte, um den Kontinent zu unterwerfen.“111 Das oben behandelte Verhältnis zwischen napoleonischem Citoyen und vorindustrieller Bourgeoisie beruht hinsichtlich der gesellschaftlichen Organisationsform von Kriegs- und 107 108 109 110 111

Ebd., S. 501. Vgl. J. Kuczynski, Vier Revolutionen der Produktivkräfte, S. 63 ff. K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 782. Vgl. W. Markov u. A. Soboul, Die Große Revolution der Franzosen, S. 415 u. 23 f. F. A. Mignet a. a. O., S. 500.

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Arbeitstätigkeit der Volksmassen darauf, dass die zentralisierte Staatsmaschinerie gegen die feudale Konterrevolution die Entfaltung von Warenproduktion gewaltsam und juristisch (Code Napoleon, Reformzwang) sichert und dass sie gleichzeitig im Kampf mit der bourgeoisen Konterrevolution sich auf die kleine Warenproduktion und die handelskapitalistische Art der Unterordnung im Widerspruch zur spezifisch kapitalistischen Subsumtionsweise des Manufakturkapitals stützt. Die französische Eroberung der Welthandelssuprematie würde die Entwicklung des englischen Manufakturkapitalismus schwer treffen. Dieser noch nicht industrielle Kapitalismus kann nicht auf rein ökonomischem Wege seine Welthandelsherrschaft behaupten. Die staatlich-politische Ausnutzung des Widerspruches zwischen den einander innerhalb des Übergangsprozesses entgegenstehenden Typen von Produktionsverhältnissen erfolgt aber unter der Voraussetzung, auch die manufakturkapitalistische Entwicklung anzuerkennen und zu stimulieren, insoweit sie der kriegerischen Verselbständigung des Citoyen dient. In diesem Rahmen bekämpft Napoleon den Manufakturkapitalismus Englands mit der Eigenentwicklung von Manufakturkapitalismus. Vom Standpunkt der späteren industriekapitalistischen Gesellschaft in England aus betrachtet, gibt es im napoleonischen Revolutionsstadium tatsächlich Primatverkehrungen, nicht nur die Verkehrung des Primats der ökonomischen Basis gegenüber dem staatlichpolitischen Überbau, auch die Verkehrung des Primats der kapitalistischen Produktionssphäre gegenüber der kapitalistischen Zirkulationssphäre und die Verkehrung des Primats der kapitalistischen Warenproduktion gegenüber der kleinen Warenproduktion. Die Produktion dieser realen Primatverkehrungen ist in der in sich widersprüchlichen, durch keine eindeutige Dominanz eines Systems von Produktionsverhältnissen gekennzeichneten Basis dieses Revolutionsstadiums begründet. Diese vorreife und inhomogene Basis bedarf aber zu ihrer spezifisch kapitalistischen Entfaltung der außerökonomischen Gewalt als ökonomischer Potenz. Insofern übt die napoleonische Kriegsweise selbst die Funktion der unmittelbaren materiellen Determinante der welthistorischen Entscheidungsschlacht im Übergang zum Kapitalismus aus. Die Entwicklung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise erfolgt vermittels der napoleonischen Destruktionsweise. Was vom Standpunkt des napoleonischen Citoyen als staatliche Instrumentierung kapitalistischer Produktionsverhältnisse erscheint, dient objektiv, d. h. von den Resultaten her gesehen der kontinentalen Entwicklung des Manufakturkapitalismus und damit jener spezifisch kapitalistischen Produktionsweise, welche auf der Grundlage der industriellen Revolution die Selbstzwecksetzung des Citoyen sich sozialökonomisch zu subsumieren vermag. In diesem zuletzt genannten „liberalen“ Modell von der industriekapitalistischen Gesellschaft (anhand Englands im 19. Jh.) wird freilich vorausgesetzt, dass es nicht aus anderen Gründen zur Verselbständigung der Staatsmaschinerie kommt, etwa um das Empire expandieren zu können oder infolge des entfalteten Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf dann zwar nicht mehr original napoleonische Art, aber wie im zweiten Kaiserreich der Franzosen. Der napoleonische Handelskrieg ist kein Handelskrieg mehr im Sinne des 16. Jahrhunderts zur Entwicklung der handelskapitalistischen Exploitation von vorkapitalistischen Produktionsweisen.112 Für den Welthandel ist bereits 112

Vgl. zur Wirksamkeit stadialer oder regionaler Gesetze der Entwicklung des Manufakturstadiums (in seinen beiden Phasen) und zu den stadialen Voraussetzungen der Französischen Revolution A. N. Cistozvonov, Über die stadial-regionale Methode…, a. a. O., S. 35 ff. u. S. 42 ff.

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der Handel mit Manufakturprodukten entscheidend, ebenso wie die Kriegsdurchführung nach einer ständigen und massenhaften Produktion von Waffen manufakturiellen Typs verlangt. Napoleons Kontinentalsperre bringt einen Ausfall englischer Manufakturwaren, der nunmehr durch die kontinentale Entwicklung kapitalistischer Manufakturen abgefangen werden kann, statt langwierig Stagnation oder gar einen historischen Rückfall in vorkapitalistische Verhältnisse zu provozieren. „Napoleon hat für das materielle Leben der Staaten das Gleiche erwirkt wie die Revolution für den Geist.“113 Der Entwicklung der manufakturkapitalistischen Produktion als anerkannter Basis steht die Instrumentierung dieser Basis im Interesse des Kriegs um die Welthandelssuprematie gegenüber. Der Handelskrieg wieder erscheint nur als ökonomische Verlängerung der militärisch-politischen Selbstzwecksetzung des Citoyen. Die Smithsche Ökonomie hingegen begründet gerade vom manufakturbürgerlichen Standpunkt die Instrumentierung der Handelssphäre durch die Sphäre der kapitalistischen Produktion, so dass die handelskapitalistische Sphäre nicht die ihr vorausgesetzten Produktionsweisen exploitiert, sondern als Zirkulationsmoment dem manufakturkapitalistischen Reproduktionsprozeß einverleibt wird. Die klassische manufakturbürgerliche Begründung des ökonomischen Liberalismus durch Smith richtet sich zugleich gegen die Position, staatliche Interventionen in die bürgerliche Gesellschaft für notwendig zu halten.114 Hegels System der Sittlichkeit ist, wie diese Bezeichnung schon richtig aussagt, kein philosophischer Entwurf der Weltgeschichte, sondern der Entwicklungsstruktur der Hegel gegenwärtigen Gesellschaft, die europäisch betrachtet inhomogen und differenziert ist. Wenn Hegel die gegenwärtige Gesellschaft meint, heißt dies die Gesellschaft der hier in 3.3. beschriebenen, unglücklichen Übergangsperiode, welche gegenüber der Zukunft zwar allgegenwärtige Charakteristika annimmt, sich aber auch durch Historisierung von ihrer Vorgeschichte befreit und so als spezifische Gesellschaft ausgewiesen wird. Hegel stellt sich zwar mit der Wiederauferstehung des Anspruches der sittlichen Totalität bewusst in die Tradition deutscher Systeme der Sittenlehre, doch seine Bestimmungen der Übergangsgesellschaft haben keinen anthropologischen Charakter (vgl. 2.3.), wie bei Kant oder Fichte. Auch Smith’ „Reichtum der Nationen“ ist ein systematisches Werk. Gegenüber Steuart erleidet bei Smith das Bewusstsein der Historizität bereits Einbußen zugunsten eines sich in sich selbst tragenden ökonomischen Systems, ohne allerdings schon zur eindeutigen Enthistorisierung und Verewigung der bürgerlichen Kategorienwelt überzugehen, was dem Historismus der schottischen Schule fernstand. Smith geht, darin Hegels System der Sittlichkeit vergleichbar, die Einheit von System und Geschichte vom Standpunkt des Systems der Gegenwart aus an. Die im Smithschen Werk zahlreich enthaltenen historischen Betrachtungen verwandeln es nicht in eine Geschichtsdarstellung, sondern unterstreichen die Eigengesetzlichkeit der modernen bürgerlichen Gesellschaft. So sehr Smith systematisch gerade staatlich gesicherte Monopolisierungen ablehnt und für Freihandel eintritt, so sehr hält er historisch die Navigationsakte Cromwells zwecks „Verteidigung

113 114

F. A. Mignet a. a. O., S. 531: Nicht zufällig hebt der großbürgerlich-liberale Mignet bei aller Kritik des napoleonischen Stadiums doch zurecht diese Seite hervor. Vgl. Adam Smith gestern und heute, S. 31–42.

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Großbritaniens“ für richtig.115 Mignet nennt Cromwell die Entsprechung Napoleons in der englischen Revolutionsgeschichte.116 Dabei kommt Smith aber infolge der zunehmenden Tendenz, seine Gesetzesaussagen doch auch zu ewigen zu fetischisieren, bereits jenes Gran von Poesie einer Zukunft abhanden, welches bisweilen bei Ferguson, sich selbst unsicher und schließlich als Alternative liegengelassen, hervorblitzt: „wenn unsere Sorgen in dieser Hinsicht (des Unterhalts: H.-P. K.) behoben würden, dann würden nicht allein die schweren Arbeiten des Handwerkers aufhören, sondern auch das Studium der Gelehrten; jede Abteilung öffentlicher Geschäfte würde unnötig, jedes Rathaus geschlossen werden und jeder Palast veröden“.117 Insoweit Smith noch historisiert, historisiert auch er, gleich Hegel, nach „hinten“, ohne David Ricardos Auffassung vom ewigen Naturcharakter der Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft mehr als erst vorzubereiten und ohne gar, wie z. Z. der Auflösung der Ricardoschen Schule, das Resultat des Überganges zur bürgerlichen Gesellschaft als Ausgangspunkt eines historisch neuen Überganges zu denken.118 Marx nennt die „Essenz“ des Smithschen Werkes, „daß die kapitalistische Produktionsweise die produktivste ist (was sie unbedingt ist im Vergleich mit den früheren Formen)“119. Auch ist die Smithsche Untersuchung nicht als im Interesse des einzelnen Bourgeois stehend zu verstehen, sondern als zur „Handhabung der gemeinschaftlichen Interessen der produktiven Bourgeois“ bestimmte Untersuchung. Sie spricht ganz die „Sprache der noch revolutionären Bourgeoisie“.120 Smith’ Votum für freie Konkurrenz und gegen Staatsinterventionen führt nicht zu der einfachen Umkehrung, den Bourgeois als Subjekt des Staates zu bestimmen. „Die Verwaltung durch eine privilegierte Gesellschaft von Kaufleuten ist vielleicht für jedes beliebige Land die schlimmste aller Regierungsformen.“121 Smith beginnt als Citoyen, nicht aber als Bourgeois, mithin bürgerlich, aber genauer: manufakturbürgerlich-heroisch sein IV. Buch „Über Systeme der Politischen Ökonomie“ mit der Funktionsbestimmung: „Die Politische Ökonomie, verstanden als ein Zweig des Wissens eines Staatsmannes oder Gesetzgebers, verfolgt zwei verschiedene Ziele: erstens, dem Volk ein reichliches Einkommen oder einen reichlichen Unterhalt zu verschaffen, oder genauer, es in die Lage zu versetzen, sich selbst solch ein Einkommen […] zu verschaffen; und zweitens, den Staat oder das Gemeinwesen mit einem ausreichenden Einkommen für die öffentlichen Dienste zu versorgen.“122 Der heroische Charakter nicht nur der philosophischen Voraussetzungen, sondern des ökonomischen Werks selbst ermöglicht den wissenschaftlichen Status der Smithschen Ökonomie. Die Politische Ökonomie ist wissenschaftlich nicht vom Standpunkt des Bourgeois, nur von dem eines Citoyen aus 115 116 117 118 119 120 121 122

A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 224. F. A. Mignet, a. a. O., S. 532. A. Ferguson, Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 43. Vgl. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.3, S. 422. Ebd., Bd. 26.1., S. 169. Ebd., Bd. 26.1., S. 273. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 362. Ebd., S. 183, Vgl. Bd. 1, S. 128, wo Smith schreibt: „Unsere Kaufleute und Fabrikherren beschweren sich viel über die schlechten Auswirkungen hoher Löhne, […] über die schlechten Auswirkungen hoher Profite äußern sie sich nicht. Im Hinblick auf die verwerflichen Folgen ihrer eigenen Gewinne schweigen sie.“ Vgl. S. 167.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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zu entwickeln.123 Die Möglichkeit einer positiven Rezeption ökonomischer Zusammenhänge in Hegels Philosophie besteht nicht nur in der oben erläuterten moralphilosophischen Herkunft der Smithschen Ökonomie (vgl. 4. 2.). Sie besteht problemgeschichtlich, d. h. in der Problemgeschichte des Politischen, in der heroisch verantwortlichen Haltung der Smithschen Ökonomie und theoriegeschichtlich in ihrem wissenschaftlichen Charakter. Diese Ökonomie ist historisch als wissenschaftlich zu bewerten nicht nur, weil sie das Ideologiebedürfnis der Bourgeois abweist, sondern auch weil sie theoretisch das Stadium philosophischer Proklamation (im Rahmen einer Moralphilosophie) hinter sich gelassen hat. Hegels Rezeption der Smithschen Ökonomie geht von der Anerkennung des „Systems der sogenannten politischen Ökonomie“ als einer selbständigen „Wissenschaft“ aus (J 450, vgl. J 417 f.). Der heroische Standpunkt des napoleonischen Citoyen ist auf die Instrumentierung manufakturkapitalistischer Triebkräfte angewiesen, wie er zugleich als Citoyen-Konzept dem Hegemonieanspruch der Bourgeoisie, auch der produktiven manufakturellen Bourgeoisie, entgegensteht. Was die Problemgeschichte des Politischen, also die Frage nach dem Primat zwischen Ökonomie, Politik und geistiger Kultur angeht, hat Hegels System der Sittlichkeit tatsächlich eine besondere Stellung. Es ist in der Geschichte der klassischen deutschen Philosophie der einzigartige Versuch, dem Widerspruch zwischen napoleonischem und manufakturbürgerlichem Heroismus eine philosophisch-systematische Bewegungsform zu geben. Hegel universalisiert philosophisch den manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriff zum napoleonisch-heroischen Begriff der gesellschaftlich allgemeinen Arbeit des Krieges. Der philosophisch-theoretischen Form nach schließt Hegel erstmals im System der Sittlichkeit den zum Tätigkeitsansatz vorangetriebenen klassischbürgerlichen Materialismus der schottischen Schule zusammen mit dem sich zum Materialismus hin öffnenden klassisch-bürgerlichen Idealismus der Deutschen, wie diesen Schelling in ontologischer Hinsicht als naturphilosophischen und in gnoseologischer Hinsicht als transzendental anschauenden Idealismus entwickelt hatte. Dabei wird von Hegel der in geschichts- und gesellschaftsphilosophischer Absicht entwickelte Tätigkeitsansatz des klassischen bürgerlichen Materialismus bereits als im Smithschen Arbeitsbegriff ökonomisch-theoretisch realisierter, nicht mehr nur philosophischer Tätigkeitsansatz rezipiert. Schellings naturphilosophische Wendung des Tätigkeitsansatzes im klassischen deutschen Idealismus wendet Hegel seinerseits wieder in die gesellschaftsphilosophische Richtung. Hegel ist der Mann, der im Angesicht der auf das manufakturkapitalistische England verweisenden Resultate der Französischen Revolution und ihrer Auswirkungen auf Deutschland von der Not einer realistischen Neuproduktion des Heroismus getrieben, in der Philosophie vom idealistischen zum materialistischen Tätigkeitsansatz klas123

Die „bürgerliche Wissenschaft der politischen Ökonomie“ erforscht den „inneren Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsverhältnisse“, während die Vulgärökonomie nur die „Vorstellungen der bürgerlichen Produktionsagenten von ihrer eigenen besten Welt“ klassifiziert. Die politische Ökonomie entwickelt sich „als eigne Wissenschaft erst in der Manufakturperiode“. Die „Totenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Ökonomie“ läutet der Klassenkampf nach dem politischen Sieg der Bourgeoisie in Frankreich und England. Marx, Das Kapital, in: MEW Bd. 23 S. 21, 95 und 386. Smith sieht klar, dass der Standpunkt des „alltäglichen Geschäftslebens“ der Standpunkt des „nominellen oder Geldpreises der Waren“, nicht des realen Preises und damit des theoretisch in Arbeit bestimmten Preises der Waren ist. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 50.

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sischen bürgerlichen Denkens eine Brücke schlägt. Der napoleonisch-heroische Charakter der philosophischen Motivation Hegels ermöglicht und reguliert diese Rezeption des bei Smith schon sozialwissenschaftlich bewährten materialistischen Tätigkeitsansatzes. Lukács hat als erster und umfassend diese Begegnung, eine Sternstunde in der europäischen Problemgeschichte des Politischen, thematisiert. Das Schellingsche System, das die Rezeption ermöglicht (vgl. oben 4.1.), unterscheidet sich vom Fichtischen dadurch, dass es „dem subjektiven Subjektobjekt das objektive Subjektobjekt in der Naturphilosophie entgegenstellt, und beide in einem Höheren als das Subjekt ist, vereinigt darstellt“ (J 7). Die philosophische Realisation der absoluten Identität von Subjekt und Objekt, welche Schelling selbst auch in praktisch-philosophischer Hinsicht proklamiert, stellt im Rahmen des „Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten“124 die Frage nach dem objektiven Subjektobjekt innerhalb der praktischphilosophischen Problematik, oder, wie Hegel sagt, die Frage nach der „natürlichen Sittlichkeit“ (S 280, vgl. J 420 f. im Naturrechtsaufsatz). Transzendentalphilosophisch „ist nur das Objektive“ der praktischen Philosophie auf dem Wege einer „Stufenfolge von Anschauungen“ erfassbar, schreibt Schelling, während das „absolut Identische“ einer gesonderten „praktischen Philosophie“125 vorbehalten bleibt. Auf letztere absolute Identität im praktisch-philosophischen Sinne zielt Hegels drittes Kapitel seines Systems der Sittlichkeit, das der absoluten Sittlichkeit (S 323 ff.). Damit beginnt Hegel Schellings transzendentalen Idealismus auch der philosophisch-theoretischen Formbestimmung nach zu überschreiten. In diesem Kapitel bahnt sich durch Hegels Einführung des „Geist“-Begriffes (S 324) zur ontologischen und gnoseologischen Bestimmung der spezifisch absoluten Sittlichkeit jener philosophisch-theoretische Formwandel des Hegelschen Programms an, der ab 1804 die Oberhand gewinnen wird. Nach der absoluten Indifferenzierung der reellen Primate des Objekts oder Subjekts in der Natur oder Gesellschaft durch die Philosophie des Geistes und mit der absoluten Indifferenzierung der erkenntnistheoretischen Verfahrensweisen von transzendentaler Anschauung und reflexivem Begriff, wie sie in der Schellingschen und Fichtischen Tradition entwickelt wurden, gelingt Hegel 1803/04–1807 etwas Neues, die Interpenetration von Arbeit, Sprache und Liebe im Geiste.126 Diese eigene theoretische Form des Geistes wird sowohl logisch, natur- und praktisch-philosophisch als auch phänomenologisch bis 1807 erstmalig entfaltet, womit die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie als abgeschlossen gelten kann.127 Hegel hat damit den Widerspruch zwischen napoleonischem Heroismus als dem weltanschaulichen Motor seiner Philosophie und traditioneller, nicht eigener philosophischer Formbestimmungen gelöst.128 Das dritte Kapitel des Systems der Sittlichkeit (1803) 124 125 126 127

128

F. W. J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, a. a. O., S. 331. Ebd., S. 333 u. 331. Siehe G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I und III. Ders., Phänomenologie des Geistes, S. 15, 57, 559. Schon der junge Marx bezeichnete aus seiner Kenntnis des Hegelschen Reifewerks richtig Hegels Phänomenologie als die „Geburtsstätte der Hegelschen Philosophie“ und markierte damit das Ende der Entstehungsphase dieser Philosophie, MEW Ergänzungsband. Erster Teil, S. 572. Dieser Widerspruch als die entscheidende Triebkraft der Entwicklung der Hegelschen Philosophie im genannten Zeitraum geht oft in einer Unzahl philologischer Detailfragen über die Probleme der Periodisierungen und Unterperiodisierungen der Geschichte der Hegelschen Philosophie unter.

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bildet zu dieser zweiten Periode (1804–1807) innerhalb des Jenenser Aufenthaltes von Hegel (1801–1807) erst den Übergang aus. Wenden wir uns nun genauer der Hegelschen Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes zu, unter den genannten Aspekten der Problemgeschichte des Politischen und ihrer philosophisch-theoretischen Formbestimmung. Den reellen Primat des Objekts einer bestimmten Subjekt-Objekt-Dialektik erkenntnistheoretisch zu produzieren gelingt durch transzendentale Anschauungen, während „wo das Subjekt das subsumierende ist, der Begriff herrschend“ (S 284) ist. Das Verfahren der Anschauung lenkt die Aufmerksamkeit auf die nicht weg zu abstrahierenden Objekte, zunächst Naturobjekte, und die gefühlsmäßige Bedürftigkeit des Subjekts. Die begriffliche Verfahrensweise bringt das Verhalten des Subjekts zu sich selbst als Objekt und damit das Verhältnis von Subjekten zur Geltung. Diese Organisationsform des Subjekts als „Beziehung auf andere Intelligenzen“ (S 296) gestaltet es so, das das Subjekt eine primäre Subsumtionskraft gegenüber den ursprünglichen äußeren Objekten gewinnt. Im ersten Kapitel seines Systems, in der Darstellung der „absoluten Sittlichkeit nach dem Verhältnis“ (S 280), verfährt Hegel durch Subsumtion der Anschauung unter den Begriff. Dieses Kapitel ist nun wieder in sich gedoppelt, beginnt also mit einer Subsumtion des Begriffs unter die Anschauung, ehe es zur Umkehrung dieser Relation aufsteigt. Die Subsumtion unter die Anschauung erlaubt auf der jeweiligen Ebene, das praktische Verhältnis zur Natur erkenntnistheoretisch zu erfassen. Die Subsumtion unter den Begriff bestimmt die gesellschaftliche Formierung und damit Beherrschung des jeweiligen Verhältnisses zur Natur (inneren und äußeren). Die gesellschaftlichen Formbestimmungen erfolgen im ersten Kapitel aber erst als Potenz zu einer „unvollkommenen Vereinigung“(S 280). Innerhalb desselben Kapitels interessiert zunächst die Bestimmung des Menschen als natürlich einzelnen. Wir begegnen hier der am Individuum modellierten verständigen Abstraktion der Arbeit. In der ersten „praktischen Potenz“, die die „eigentliche Natur“ betrifft, heißt Subsumtion unter die Anschauung Subsumtion unter das Gefühl, welches hier noch „nicht das (ist), was man das sittliche Gefühl nennt“: Das „Gefühl der Trennung“ zwischen äußerer und innerer Natur „ist das Bedürfnis; das Gefühl als Aufgehobensein derselben der Genuß“. Das Bedürfnis entspringt noch „ganz der Natur“ und schränkt sich „auf das Subjekt“ ein. In dieser Potenz wird die Identität von Subjekt und Objekt bloß als ein Genuss erreicht. Zwar gelingt dieser Genuss nicht direkt, sondern geht aus einer Trennung, dem Bedürfnis, hervor, aber die ganze Potenz dreht sich um diesen komsumtiven Standpunkt. Der im Bedürfnis gegebenen Trennung von Subjekt und Objekt wird zwar eine negative Differenz entgegengesetzt, um diese Trennung zu vernichten, aber diese negative Differenz ist eher nur eine „Bemühung“ darum, das Objekt als „Eßbares, Trinkbares“ dem Subjekt einzuverleiben, als „Arbeit“ (S 282) im eigentlichen Sinne. Die Identität des Genusses kommt innerhalb des Subjektes zustande, „in welchem das Objekt […] ganz vernichtet wird“. Das Objekt wird so nur „rein ideell bestimmt“, obgleich der Genuss „seinem Wesen nach praktisch“ (S 283) bleibt. Diese rein sinnliche Identität innerhalb des Subjekts ist allein „die Sättigung, welche die Wiederherstellung Dagegen sind lesenswert und informativ: H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels „System der Philosophie“ in den Jahren 1800–1804. Sowie: R.-P. Horstmann, Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: Philosophische Rundschau, Jahrgang 19, Heft 1–2.

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der Indifferenz und Leerheit des Individuums ist, oder seiner bloßen Möglichkeit, sittlich oder vernünftig zu sein“ (S 283). Der Genuss wird infolge der völligen Vernichtung des Objekts anschauungslos und differenzlos, aber dadurch auch eine venunftlose Identität. Dieses von Leerheit in Sattheit und von Sattheit in Leerheit fallende Individuum, das begierig auf „Essen und Trinken“ (S 283), wäre gar nicht als zur menschlichen Natur gehörig in einem System der Sittlichkeit zu betrachten, sondern naturwissenschaftlich, wäre dieser übergreifenden konsumtiven Bestimmtheit des Individuums nicht immerhin schon eine Trennung vom Objekt (im Bedürfnis) und eine Differenz gegen diese Trennung (in der Bemühung) vorausgesetzt. Der rein konsumtive Standpunkt des Individuums kann insofern schon als eine bloße Möglichkeit sittlicher Entwicklung bestimmt werden, als der Genuss wenigstens „aus der Differenz herkommt und insofern ein Bewußtsein der Objektivität des Objekts in ihm ist“ (S 283). Da der Genuss aus der Differenz herkommt, nicht mehr bloß das „absolute Selbstgefühl“ auf dem Niveau der „bewußtlosen“ Identität darstellt und ihm doch schon Bemühung vorausgesetzt ist, so sehr diese in seiner Sattheit verschwindet, ist er eine gewisse Entwicklungspotenz. Hegels weitere Entwicklung aber, um den sich immer wieder herstellenden einfachen Kreislauf leerer Sattheit des sich bloß konsumtiv verhaltenden Individuums entschieden zu durchbrechen, setzt bewusst mit der Entfaltung des zwischen Bedürfnis und Genuss liegenden Standpunkts der Differenz oder Bemühung ein.129 In der Relation BedürfnisBemühung (oder „Arbeit“)-Genuss, die im Ganzen sinnlich gefühlsbestimmt ist und daher als den Begriff unter die Anschauung subsumierend dargestellt wird, erscheint der Standpunkt der Bemühung als Differenz gegen die Gefühlsbestimmungen der Leerheit und Sattheit, weshalb er als die Anschauung unter den Begriff subsumierend dargestellt wird. Diese Subsumtion unter den Begriff, welche nun Hegel „als Totalität“ (S 284) darstellt, erfolgt aber in dem nach wie vor übergreifenden Kontext der Subsumtion unter die Anschauung (S 281), d. h. es geht um den Begriff der Arbeit nach ihrer konkreten, Gebrauchswerte bildenden, Naturstoffe umformenden Seite hin. Der Standpunkt dieser Arbeit „abstrahiert von dem Genuß, d. h. es kommt nicht dazu; denn hier ist jede Abstraktion eine Realität, ein Sein“ (S 284). Im Arbeiten ist der Genuss „gehemmt, und aufgeschoben“ (S 284). Ebenso abstrahiert der Standpunkt der Arbeit vom Bedürfnis, wodurch dieses nur noch „Begierde“ ist. Aktuell ist nur noch die Arbeit reell. Sie hat die in der vorigen Potenz als sinnliche Realität und als primär dargestellten Seiten des Bedürfnisses und Genusses als ideelles und ideell-reelles Moment in sich aufgehoben. Hegel schreibt nicht, dass die bedürfnishafte Bestimmung ideell sei, sondern dass der Standpunkt der Arbeit die zuvor naturhaft-materielle Determination durch Bedürfnisse nunmehr nur noch als „ideale Bestimmung des Objekts durch die Begierde“ (S 284) enthält. Den Bedürfnisstandpunkt als im Standpunkt der Arbeitstätigkeit aufgehobenen nennt Hegel „Besitzergreifung“, den des aufgehobenen Genusses „Besitz“. „Von einem rechtlichen Grund oder Seite des Besitzes kann hier nicht die Rede sein“. Arbeit als „Differenz der Begierde und des Genusses“ (ebenda) emanzipiert von diesen beiden, naturhaft bestimmten Fixpunkten der Differenz, aber ausdrücklich innerhalb der praktischen Realität selbst. 129

Marx und Engels messen in der „Deutschen Ideologie“ neben der Erzeugung der Arbeitsinstrumente auch der Bedürfnisbefriedigung, der „Aktion der Befriedigung“, die Bedeutung einer historischen Entwicklungspotenz bei: MEW Bd. 3, S. 28.

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Der Standpunkt der „Tätigkeit der Arbeit“, d. h. von dem aus Arbeit nicht als ein bloß handgreiflicher Schritt des Genusses erscheint, ist der der „reellen Vernichtung seiner (des Naturobjekts: H.-P. K.) Form“: In der Arbeit verschwindet nicht einfach das Objekt im Subjekt, oder beherrscht nicht einfach das Objekt das von ihm getrennte, bedürfnishafte Subjekt, sondern vernichtet das Subjekt das Objekt, aber zum einen so, „daß diese Vernichtung durch eine andere Anschauung oder Objekt ersetzt wird“ und damit die „Tätigkeit des Vernichtens fixiert ist“ (S 284), zum anderen so, dass ja reell nur die Form des Objekts vernichtet wird, „denn das Objektive oder die Differenz bleibt“ (S 285). Das Subjekt überfliegt nicht das Objekt aus Ohnmacht in der Trennung von demselben oder frisst das Objekt nicht einfach auf, sondern ist „das Eingehen des Subsumierenden Subjekts in die Realität des Objekts“. (S 285) Wir finden hier Hegels Frankfurter, objektiven vereinigungsphilosophischen Ansatz mit Fichtes Tätigkeitsansatz, unabhängig von dessen Ich, am Werke, aber nicht mehr in politisch-moralischer und moralisch-religiöser Hinsicht. Hegel sieht jetzt seinen Heroismus der Tätigkeit innerhalb der praktischen Realität durch die „Bewegung“ der Arbeit als weltanschauliche Haltung bestätigt. Aber die Arbeit als Tätigkeit des Vernichtens, wenn auch des Vernichtens nur der Form des Objekts, ist indirekt noch immer vom Standpunkt des genießenden Subjekts definiert, denn der Genuss ist Vernichtung des Objekts. Das naturhaft bestimmte Subjekt bemühte sich innerhalb der Relation Bedürfnis-Genuss, um zu genießen. Das arbeitende Subjekt hemmt seinen Genuss in der Arbeitstätigkeit, aber solange die Tätigkeit gehemmter Genuss ist, ist sie nur Tätigkeit zum Zweck des Genusses, definitorisch also noch immer auf den Genuss bezogen. Die Arbeitstätigkeit endet mit dem Besitz des Produkts, d. h. der Möglichkeit des Genusses (S 285). So sehr die Arbeitstätigkeit nach der Seite ihres Produkts hin als Möglichkeit des Genusses vom genießenden Subjekt abhängig bleibt, als Tätigkeit hemmt sie den Genuss derart, dass er in ihr nur noch ideell vorhanden ist. Doch nach dieser ideellen Bestimmung geschieht zugleich die Umformung des Objekts. Insofern erscheint in dieser Potenz die Arbeit nicht nur nach der Seite ihres Produkts hin, sondern auch als Tätigkeit selbst noch durch das Subjekt bestimmt, wenn auch nicht mehr durch das praktisch genießende Subjekt. Das Subjekt der Arbeit als Tätigkeit sichert sich die Möglichkeit seines Genusses und bestimmt deshalb ideell zweckgerichtet die Umformung des Objekts. Die Arbeit, solange sie erst als zwecksetzende Tätigkeit des Subjekts bestimmt ist, ist in dem Sinne noch keine Arbeit, als die Umformung des Objekts reell sein muss. Die Arbeit als „Eingehen des subsumierenden Subjekts in die Realität des Objekts“ stößt auf die „Realität des Objekts“ (ebenda), die, umgekehrt zum Eingehen, das Subjekt prägt, und zwar reell. Vom Standpunkt des genießenden Subjekts erschien die Arbeit nur als Bemühung innerhalb einer naturhaft-materiellen Relation, um die im Bedürfnis vorhandene Trennung zwischen Objekt und leerem Subjekt zu überwinden. Wurde diese Bemühung als die negative Differenz, die das Subjekt gegen die Trennung vom Objekt setzt, in sich bestimmt durch die Abstraktion vom Bedürfnis und Genuss, erschien die Arbeit schon als Tätigkeit gegen das Naturobjekt und das natürlich-materiell bestimmte Subjekt. Der ursprünglich naturhaft-materiell verstandene Genuss verwandelt sich in dieser Tätigkeit der Arbeit in die ideelle Bestimmung der Arbeitstätigkeit. Wird diese ideell bestimmte Tätigkeit aber realisiert, welches sie werden muss, da sie gegen das reale Objekt gerichtet ist, wird die Arbeit als Arbeit bestimmt. In der Arbeit als Tätigkeit „war das Objekt das Subsumierte“.

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Jetzt ist das Subjekt das Subsumierte. Folgerichtig wechselt Hegel das erkenntnistheoretische Verfahren von der Subsumtion unter den Begriff zu der „unter die Anschauung“ (S 285). Wir haben hier einstweilen hervorzuheben, dass Hegel „Arbeit“ und „Tätigkeit“ nicht einfach identifiziert. Arbeit ist zwar notwendig als Tätigkeit zu bestimmen, aber nicht hinreichend. In der Tätigkeit erschien, bei aller wechselseitigen Dialektik von Subjekt und Objekt, das Subjekt als das ideal Bestimmende, weshalb gerade Arbeit nicht hinreichend als Tätigkeit gedacht werden kann. An diesen Punkt angekommen wendet sich Hegel gegen die begriffliche Subsumtion der Fichtischen Tradition, deren „transzendentale Anschauung“ auch nur wieder die Selbstanschauung des Ichs im Handeln statt der konsequenten Anschauung der nicht weg zu abstrahierenden Objekte ist. Aus Hegels Formulierung der Arbeit „als neg. prakt. Anschauen“ (S 284) kann nicht vorschnell geschlussfolgert werden, daß Hegel nicht um den materiellen, oder wie er sagt, „reellen“ Charakter der Arbeit wüsste. Es geht ihm hier rationell um das Problem, mit welchem erkenntnistheoretischen Verfahren er die jeweiligen Dimensionen der „Arbeit“ entwikkeln kann. Wenn Hegel von der ideellen Bestimmtheit der Arbeit durch Besitzergreifung spricht, in der er die naturhaft-materielle Relation aufhebt, um sie ihrerseits in der reellen Arbeit aufzuheben, er vom „ideellen Verhältnis in der Arbeit“ zum „realen“ (S 286) übergeht und um dessen Primat gegenüber der ideellen Seite weiß, ist dieses Herankommen an den materialistischen Arbeitsbegriff wohl dialektischer als sich manche vulgärmaterialistische Auffassungen von Arbeit vorstellen können, nach denen die Menschen besonders konsequent materialistisch betrachtet kopflos, wie geschlachtete Hühner noch umherlaufen, „arbeiten“ müssen und dann oder dabei Geist ausbilden sollen. Womit „ist auch die Arbeit eine reale oder lebendige Arbeit“ und nicht bloß Tätigkeit?: „Damit, dass das Objekt die Arbeit unter sich subsumierend, […] gegen das Subjekt“ (S 286), sich verhält. Dieses Subjekt aber, gegen das sich jetzt das Objekt richtet, ist schon als tätiges bestimmt, nicht mehr bedürfnishaftes, denn sonst stellte sich die natürlich determinierte Bedürfnis-Genuss-Relation wieder her. Hegel leitet nun aus der Bestimmtheit der Objekte die der Charaktere der lebendigen Arbeiten ab, unter der Voraussetzung der naturphilosophischen Bestimmung der Objekte Pflanze und Tier (S 286 f.). Hegel gelingt auf dieser Ebene eine direkte Verbindung der Naturphilosophie als Voraussetzung der praktischen Philosophie in einem nicht nur methodologisch übertragbaren Sinne, während Schelling bei der Konstruktion des Parallelismus beider als Tätigkeiten stehen bleibt. Diese Einheit beider Disziplinen herzustellen, gelingt Hegel, erstmals innerhalb des klassischen deutschen Idealismus, bezeichnenderweise durch den Arbeitsbegriff im Gegensatz zum Tätigkeitsbegriff der idealistischen Tradition. Der Arbeitsbegriff verpflichtet dazu, mit der Subsumtion der Tätigkeit unter das Objekt ernst zu machen. Seine Objekte sind zunächst Naturobjekte, ohne deshalb Naturobjekte an sich zu sein, d. h. außerhalb der menschlichen Tätigkeit stehende Naturdinge. Hegel bestimmt das Naturobjekt der Arbeitstätigkeit jeweils als eine besondere Differenz zwischen der äußeren natürlichen „Realität und (der) eigenen Natur des Objekts“ (S 285), die für die Arbeit als objektbestimmte Tätigkeit relevant ist. Schellings Widerspruchsdenken in naturphilosophischer Hinsicht geht als Voraussetzung in Hegels dialektischen Arbeitsbegriff ein, der von der widersprüchlichen Konstitution des Objekts aus entwickelt wird. Das Objekt ist in sich gespalten, wodurch es zu beherrschen möglich

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wird. Wenn sich eine Pflanze im Unterschied zum Tier in ihren Teilen selbst zu produzieren vermag, und sie sich wesentlich gegen das anorganische Element als ihre Voraussetzung produziert, braucht die Arbeitstätigkeit „nur die äußere Form des Elements“ zu verändern, ohne dieses chemisch zu zerstören, kann dieses „gewähren“ lassen (S 286). Diese Arbeit, die die Pflanze schon beherrschen kann, bloß dadurch, dass sie deren unorganische Basis äußerlich verändert, ist ein „Vernichten, das wegen der schwachen Individualität der Pflanze selbst ein schwaches ist“ (S 287). Im Vergleich zur Pflanze ist das Tier (als Typ von Arbeitsobjekten) nicht mehr die Menge elementarischer Individualteile, sondern nur als Ganzes ein Individuum, dafür gegenüber der Pflanze aber auch schon ein Individuum als „vollständige Organisation“, im Vergleich zum Menschen jedoch eine „Individualität ohne Intelligenz“ (S 287). Wie die Pflanze bearbeitet werden kann durch Beherrschung ihrer anorganischen Nahrungsvoraussetzung, so das Tier durch Veränderung seiner organischen Voraussetzung. Die Übertragung dieses bloß elementarischen Arbeitens (d. h. der äußerlichen Veränderung der Form von Nahrungselementen) auf die höhere Ebene der Bearbeitung von Tieren ist aber nur dann hinreichend, wenn das Tier, wie zuvor die Pflanze, „zum Vernichtetwerden im Essen“ bestimmt ist, in dem das Tier wieder elementarisiert wird. Infolge der hochorganisierten Individualität des Tieres, also eines anderen Maßes von Selbstdetermination gegenüber der natürlichen Umwelt, ist es durch Veränderung seiner Nahrung nicht wirklich bearbeitet. Da das Tier als Arbeitsobjekt nicht ein äußeres Element, sondern die Indifferenz der Individualität ist, ergibt sich eine höhere Form von „Arbeit des Gebrauchs“, die der Natur des Tieres „angemessen ist“ (S 287): Zähmung, Gewinnung des Vertrauens der Tiere (S 287). Bedeutsam ist Hegels folgende Rückkopplung von dem bisher entwickelten Gedanken der Arbeit zum Anfangspunkt seiner Darstellung, dem sinnlich genießenden Subjekt. Ursprünglich war dieses Subjekt ja nur als seine natürliche Sattheit herstellend bestimmt worden. Nunmehr, nach der Emanzipation vom Kreislauf der natürlichen Leere und Sattheit durch Arbeit, entwickelt das Subjekt höhere Formen von Genuss. Es hat in der Arbeit seinen natürlichen Genussdrang und seinen natürlichen Trieb, das Objekt in sich zu vernichten, aufzuheben gelernt und kann sich auch unter dem Genussaspekt „feiner“, sogar feiner als im elementarischen Arbeiten, verhalten, wenn nämlich „die Pflanze nicht vernichtet wird (Riechen, Sehen)“ (S 287). Hier hat Hegel den Gedanken, daß infolge der Arbeitserfahrung, das Objekt reell formen zu können, schon der Anblick des Objekts, ohne dieses sinnlich im Subjekt vernichten zu müssen, Genuss entwickeln kann. Hegels beim Tier entwickelter Organisationsbegriff erlaubt jetzt rückwirkend die sinnliche Genusspotenz als die „Tierpotenz im Menschen“ (S 287) zu erkennen. Zunächst scheint der Mensch in seiner körperlichen Konstitution ein Tier zu sein, d. h. nur als ganzer eine Individualität zu sein. Seine körperlichen Teile, „wie Arm usw.“, sind nicht mehr elementarisch genug organisiert, um sich als einzelne reproduzieren zu können. Anders die, nach der bisherigen Darstellung des Arbeitsbegriffs, nun auch schon menschlicher werdenden Sinne: „eine Individualität des Gefühls, das als Sinn ein Individuum ist“ (S 287). Damit ist der menschliche Sinn davon emanzipiert, nur ein in sich individualitätsloses körperliches Organ des Menschen zu sein, als wäre er nur dem satten oder leeren Zustand der physischen Konstitution des Menschen unterworfen. Und doch ist diese Emanzipation nicht dadurch zustande gekommen, dass Hegel dem menschlichen Sinn nun einfach ei-

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nen geistigen Gehalt unterstellt. Der Sinn bleibt hier noch klar als Tierpotenz im Menschen bestimmt. Die Spezifik der menschlichen Natur setzt ein mit der Kombination der Organisationsprinzipien von niederen Naturwesen, die der Mensch bearbeitet. Dieser individualisierte, nicht mehr nur der naturwissenschaftlich erkennbaren Determination durch den Körper des Individuums unterliegende Sinn, der doch tierischmaterieller Sinn bleibt, bildet sich zur „Totalität“ erst aus unter der Voraussetzung eines gegenüber Pflanze und Tier qualitativ neuen Objekts in der materiellen Tätigkeit des Individuums: dem natürlich anderen Individuum. „Aber hier soll das Lebendige nicht durch Bearbeitung bestimmt sein“ (S 288). Obgleich Hegel die Darstellung der „Arbeit“ unterbricht, setzt er doch logisch seine Darstellung der objektbestimmten materiellen Tätigkeit, d. h. erkenntnistheoretisch die Subsumtion unter die Anschauung, als natürliche Reproduktion fort. Auch der historisch-materialistische Tätigkeitsansatz ist schon auf der Ebene der verständigen Abstraktion nicht auf einen Arbeitsansatz zu reduzieren. Marx und Engels fassen die „Produktion des Lebens“ sowohl als die „des eignen in der Arbeit wie des fremden in der Zeugung“.130 Hegel nennt traditionell, wie schon Schelling, um praktische und Naturphilosophie voneinander unterscheiden zu können, das jetzt mit einem anderen Individuum tätige Individuum eine „Intelligenz“ (S 288), die „nach eben derselben Rücksicht ein Allgemeines, als sie ein Besonderes ist, beides unvermittelt und absolut Eins; da Pflanze und Tier es in verschiedener Rücksicht sind“ (S 288). „Intelligenz“ bedeutet hier nicht, dass das Subjekt plötzlich geistig tätig würde, Intelligenz definiert Hegel, wie auch „Arbeit“ in jeder Potenz der sich entwickelnden Darstellung neu. Hegel beweist gleich in seiner ersten systematischen Darstellung des materialistischen Tätigkeitsansatzes, noch ehe er diesen als zu überwinden vorstellt, ein dialektisches Differenzierungsvermögen, wie es von Materialisten selten erreicht wird. „Intelligenz“ beinhaltet hier zunächst eine negative Bestimmung menschlicher Spezifik innerhalb des reellen Verhaltens des menschlichen Individuums gegenüber außermenschlicher Natur. Die menschliche Natur als Intelligenz ist nicht nach jenem Formprinzip der Pflanze zu verstehen (d. h. als quantitativ allgemeine Menge elementarischer Individualeinheiten), nicht nach diesem Formprinzip des tierischen Individuums zu verstehen (d. h. als individuell besonderte Einheit von in sich nicht selbständig organisierten Teilen), sondern als Aufhebung beider in der unmittelbaren Einheit von Allgemeinem und Besonderem. Die Intelligenz ist so noch der körperlichen Konstitution nach die Wiederholung der tierisch-individuellen Organisation, seinen aus der Arbeit geprägten Genusssinnen nach die quantitative Einheit dieser Sinne (Hören, Riechen, Sehen), von denen jeder ein Individuum in sich ist. Die Einheit beider Aspekte aber, und hier beginnt Hegel die Spezifik der menschlichen Natur positiv zu bestimmen, entsteht erst in der Beziehung des menschlichen Individuums zum anderen Individuum, in der Beziehung der Intelligenz auf Intelligenz. Eine Intelligenz als Objekt der anderen ist eine Realität, die „schlechthin“ ein „für sich selbst Sein“ (S 288) ist, im Gegensatz zu Pflanze und Tier, deren Organisationsformen keine selbständige Subsumtionskraft gegenüber ihrer äußeren Natur zu entwickeln erlauben, wie sie die Intelligenz aber, hervorgegangen aus der bisher dargestellten Arbeit, gewonnen hat. Die im Vergleich zu Pflanze und Tier höhere Einheit der Intelligenz beinhaltet, dass diese Einheit bearbeitet wurde (wenn das Individuum 130

Ebd., S. 29.

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Pflanzen und Tiere bearbeiten kann, organisiert es sich dadurch höher als diese), und beinhaltet die Notwendigkeit, die bisher alle Potenzen auszeichnende Verfahrensweise, vom Standpunkt des Individuums aus zu subsumieren, aufzuheben. So bereitet Hegel die Bestimmung der Spezifik menschlichen Verhaltens innerhalb der sinnlichen Realität dadurch vor, dass sie nämlich nicht durch Abstraktionsbildung vom Standpunkt des einsamen Individuums möglich ist. Das Problem, die gesellschaftliche „Bildung“ (S 288) der menschlichen Natur zu erfassen, setzt den Wechsel zum Standpunkt der Verhältnisse zwischen den Individuen voraus. Dieser Übergang gelingt aber nicht, solange das menschliche Individuum noch naturhaft-materiell bestimmt eine Beziehung zum anderen menschlichen Individuum eingeht, es also insofern doch noch nicht als Intelligenz tätig, weil noch nicht gesellschaftlich tätig ist. Die bisherige Determination des Individuums durch Arbeit wird innerhalb eines Arbeitsbegriffes gedacht, in dem das Subjekt der Arbeit noch ein Individuum zu sein scheint, wie die empirische Anschauung glauben macht. Die natürliche Geschlechtspolarität schließt die „absolute Gleichheit beider“ (S 289) Individuen noch aus. Dies gilt auch vom Standpunkt des Produkts der „Liebe“ (S 289), die als materielle Tätigkeit der Arbeit analoge Seiten hat. Zwar ist die „Vernichtung der eigenen Form“ eines jeden der Elternindividuen im Kinde „gegenseitig, aber nicht absolut gleich“. Das Kind erscheint nur als Kind geschlechtsindifferent. Seine Besonderheit, Kind zu sein, stellt nur eine „äußere Negativität“ gegen die Eltern dar, die in eine „größere innere Negativität“ und damit „höhere Individualität“ umschlägt (S 290). Das natürliche Verhältnis von Eltern und Kindern, das durch seine „Naturbestimmtheit“ also mit gegenüberstehender vollkommener „Individualität“ des Kindes und dem Tod der Eltern endigt, ist stets in seinen Entwicklungsphasen, einschließlich diesem Ende, aktuell ungleich und daher eigentlich kein Verhältnis von Intelligenzen. Solange „Arbeit“ nur als objektdeterminierte materielle Tätigkeit entwickelt ist, eine wie wir gleich sehen werden für Hegel nicht hinreichende Definition, erscheint die natürliche Reproduktion in der Liebe mit dem Produkt des Kindes als die höchste Form von Arbeit, da das höchst entwickelte Objekt der materiellen Tätigkeit nur ein anderer Mensch sein kann. Bevor Hegel die Potenzen des Individuums innerhalb der natürlichen Sittlichkeit in den Potenzen, wo das „Allgemeine herrschend“ (S 296), negiert, hebt er die Potenzen der natürlichen Sittlichkeit des Einzelnen in sich auf, wodurch Hegel drei verständige Abstraktionen über die menschliche Natur als noch am Individuum vorgestellte produziert. Hegel entwickelt endlich, was er schon sich ungern bremsend hier und da als entscheidendes Charakteristikum angedeutet hatte: den Standpunkt „einer die Entgegengesetzten in sich vereinigenden Mitte“ (S 283) und des gegenüber Subjekt und Objekt selbständigen „Mittels“ (S 287) der Arbeit. Das „Vernünftige ist dasjenige, was in die Mitte tritt, und von der Natur des Subjektiven und Objektiven, oder das Vermittelnde beider ist“ (S 290). Mitte- und Mittel-Gedanke Hegels sind voneinander zu unterscheiden. Die natürlichen Potenzen der gefühlsmäßigen Einheit von Subjekt und Objekt finden ihre totale Entwicklung in dem „höchsten individuellen Naturgefühl“ in Bezug auf das „Kind“ (S 290). Die Elternindividuen können in der Natur „ihre Individualität nicht aufheben“. Als natürlich bleiben sie „selbst reell und getrennt voneinander“ (S 291), bei allen Punkten der Liebe, in denen sich „jedes in dem anderen anschaut als zugleich ein fremdes“ (S 289). Die „Realität ihrer Einheit“ ist nur ein ebenso „eigenes, reelles Wesen und Individuum“. Das Kind ist „ihre herausgeborene sichtbare Identität und Mitte;

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die reale Vernünftigkeit der Natur“ (S 444). Diese Mitte, selbst potente Intelligenz, ist kein Mittel. Der natürliche Reproduktionsakt bleibt mittellos. Die Elternindividuen haben in dieser materiellen Tätigkeit nichts als die Organe ihrer Individualität. Die natürliche Beziehung bleibt unmittelbar. Sie bringt es zwar zu einer Mitte, aber erst im Produkt außerhalb des Akts. Diese Mitte wird weder vom Standpunkt der natürlichen Reproduktionstätigkeit noch von dem ihres Produkts ein Mittel, sondern ist in sich „absolut real und selbst für sich individuell“ (S 291). Die Potenzen der Subsumtion der Anschauung unter den Begriff innerhalb der natürlich bestimmten Sittlichkeit schließen sich zur Totalität in der Arbeit als Arbeit vermittels des materiellen Werkzeuges zusammen. Nach der Arbeit als Bemühung um die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse, als die zweckgerichtete Tätigkeit des Subjekts gegen seine Trennung vom Objekt und als die reelle und damit primär durch das Naturobjekt determinierte Arbeitstätigkeit tritt nun die Spezifik des Begriffes der Arbeit hervor, als materielle Tätigkeit der Umformung von Naturobjekten nicht durch das natürlich unmittelbar tätige Subjekt, sondern durch das Werkzeuge gebrauchende Subjekt. Das Individuum „arbeitet“ erst jetzt im vollgültigen Sinne. Zunächst scheint das Werkzeug auch nur eine Mitte zwischen Subjekt und Objekt und eben als solche die „reale Vernünftigkeit der Arbeit“ statt der Natur zu sein, aber es ist „der Natur entrissen, der die Mitte der Geschlechterliebe angehört“ (S 291). Die Unmittelbarkeit des natürlichen Reproduktionsakts ließ die produzierenden Individuen selbst materiell wesentlich unverändert. Die absolute Identität von Subjekt und Objekt in der primär vom Objekt determinierten Arbeit herzustellen, bedeutet, statt der Unmittelbarkeit oder nachträglichen Mitte der Identität in der natürlichen Liebe, die aktuelle Vermitteltheit der Identität zu erreichen, d. h. die Entgegensetzung nicht des Subjekts, sondern des Werkzeugs gegen die objektive Subsumtionskraft. „Im Werkzeug trennt das Subjekt sein Stumpfwerden, und die Objektivität von sich ab, es gibt ein anderes der Vernichtung hin, und wälzt auf es den subjektiven Teil derselben“ (S 292). Diese Mitte ist keine nachträgliche im Produkt der Tätigkeit, wie das Kind, sondern eine aktuelle Mitte innerhalb der Tätigkeit selbst. Die Einheit von Subjekt und Objekt ist hier nicht mehr natürlich äußerlich, d. h. lässt Subjekt und Objekt nicht mehr „nach der Natur selbst reell und getrennt“ (S 291) voneinander, sondern schließt als Mittel beide tätig zusammen. Die Arbeit des Individuums erschien bisher, im Unterschied zur Identität von Objekt und Subjekt in der natürlichen Reproduktion, wo schon ein Individuum dem anderen begegnet, nur ein Einzelnes zu sein: „Zugleich hört seine Arbeit auf, etwas Einzelnes zu sein; die Subjektivität der Arbeit ist im Werkzeug zu einem Allgemeinen erhoben; jeder kann es nachmachen, und ebenso arbeiten; es ist insofern die beständige Regel der Arbeit“ (S 292). Der Entwicklungsvorsprung der Naturpotenzen gegenüber den Arbeitspotenzen hinsichtlich der Emanzipation vom Standpunkt des Individuums in Richtung Gesellschaftlichkeit der Potenzen ist jetzt durch das Werkzeug der Arbeit aufgehoben, und die Arbeitspotenz sogar entwicklungsträchtiger bestimmt als die Naturpotenz, denn das Werkzeug verändert die Tätigkeitsrelation zwischen Subjekt und Objekt im Unterschied zur natürlichen Mitte von Subjekt und Objekt außerhalb der Tätigkeit der Ausgangsindividuen.131 „Um dieser Vernünftigkeit des Werkzeuges willen steht es als die Mitte hö131

Hegel, als Rousseau-Kenner, hat mit der mittelalterlichen Reduktion des Kindes auf einen kleinen Erwachsenen rein weg nichts mehr zu tun. Siehe A. Gurjewitsch, Das Weltbild des mittelalterlichen

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her sowohl als das Arbeiten, als auch als das (für den Genuß […]) bearbeitete Objekt, und als der Genuß, oder der Zweck“ (S 292). Zuvor erschien die Arbeit als emanzipatorische Tätigkeit des Subjekts, insofern sie als durch den idealen Zweck des Genusses bestimmt war, nach dem das Objekt geformt werden sollte. Sobald diese Umformung aber reell wurde, stellte sich diese Tätigkeit als primär durch das Naturobjekt bestimmte Arbeit heraus, und das Subjekt nahm selbst die „Natur des […] Formlosen“ an. „Hand und Geist wird stumpf durch“ Arbeit (S 291). Der emanzipatorische Schein, das Subjekt forme in der Arbeit das Objekt nach idealer Zwecksetzung, schlug, statt die Form des Objekts zu vernichten, um auf die Vernichtung der Form des Subjekts. Die Arbeit erscheint als Zweck setzende, solange das Subjekt sich nur ideal gegen seine Trennung vom Objekt richtet. Darin liegt jedoch nicht ihr Wesen. Der emanzipatorische Charakter der Arbeit, den Hegel aufrecht erhält, erwächst nicht aus ihrem zweckbestimmten, sondern vermittelten Charakter. Letzterer sichert die reale Umformung des Objekts und setzt reale Zwecke über die augenblickliche Befindlichkeit des genießerischen Subjekts hinaus allgemein. Das Arbeitsmittel emanzipiert das Subjekt real von der Subsumtion unter das äußere Objekt und auch, bezüglich der inneren Natur des Subjekts, von nur individueller Zwecksetzung und erst recht naturhafter Determination. Die antiteleologische Potenz des materialistischen Arbeitsbegriffes wird von Hegel deutlich erfasst. Er setzt hiermit die an Sinclair schon hervorgehobene antiteleologische Haltung, die beim auf praktische Veränderung ausgerichteten Aufklärerkopf notwendig gegenüber einem ohnmächtig verselbständigten Theoretiker hervortrat, fort. Diese Fortsetzung ist bei Hegel konsequent und neuartig gegenüber Sinclair, da sie sich nicht mehr nur auf einen dem Inhalt nach politisch-moralischen und der erkenntnistheoretischen Form nach ästhetisch angeschauten Praxisbegriff, sondern materialistischen Arbeitsbegriff stützt. Hegel grenzt seinen Mitte-Mittel-Gedanken von nur metaphorischem, formellem oder ideellem Gebrauch, der als solcher erst jetzt vom Standpunkt des Arbeitsbegriffes bewertet werden kann, wenngleich Hegel diesen Gebrauch früher auch selbst teilte, ab. Hegel meint reell gegenüber Subjekt und Objekt eigenständige Mitten, „denn daß die Arbeit als solche, und das bearbeitete Objekt, selbst Mittel sind, ist eine formelle Mittelheit, in dem das, für welches sie sind, außer ihnen ist, also die Beziehung des Subjektiven auf das Objektive eine vollkommen getrennte, bloß im Subjektiven, in dem Gedanken der Intelligenz innen bleibt“ (S 291 f.). Schellings Gedanke, die Tätigkeit trage vermittelten Charakter, dringt nicht zur konzeptionellen Bestimmung der Mitte als eines jeweils reell wirksamen, gegenüber Subjekt und Objekt selbständigen Mittels vor. Die Mittelbarkeit stand bereits im Zentrum der Überlegungen der höheren Aufklärung. Sie verstand Theorie als Mittel ihrer Realisation, bei dem nicht stehen zu bleiben ist (Hölderlin). Sie bestimmte sich selbst als jene geistig-praktische Mitte, durch die hindurch die VerwirkMenschen, S. 344 f. Hegel lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass das Bevölkerungswachstum, so sehr es unter unterentwickelten wirtschaftlichen Bedingungen selbst entscheidende ökonomische Potenz war, wie dies auch Steuart gezeigt hatte, gegenüber der Werkzeugproduktion eine sekundäre materielle Entwicklungspotenz der Gesellschaft darstellt. Smith leitet „den Grad der Fortpflanzung“ aus der „Nachfrage nach Arbeitern“ seitens der ökonomischen Produktion ab. A. Smith, Reichtum der Nationen Bd. 1, S. 105 ff. Vgl. zur demographischen Revolution im Zusammenhang mit der Französischen Revolution. W. Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte, S. 199 ff. Die spezifisch bürgerlich hohe Bewertung der Familie teilt Hegel.

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lichung des heroischen Ideals breitenwirksam werden sollte. Weltanschaulich betrachtet blockierte der illusionäre Charakter des kleinbürgerlich-republikanischen Heroismus die konsequente Durchführung des Mitte-Gedankens. Die republikanische Zwecksetzung dringt nicht in die Bestimmung ihrer ihr entgegenstehenden ökonomischen Voraussetzungen ein. Die ästhetische Form des Konzepts vermochte sich nicht von der, ästhetisch gesehen, konstitutiven Unmittelbarkeit der Anschauung zu lösen und war stets geneigt, den ganzen Tätigkeitsansatz und die theoretisch-begriffliche Verfahrensweise als Mittel der Realisation von Unmittelbarkeit zu handhaben, statt unter der Annahme des Tätigkeitsansatzes bei dessen Durchführung den Gedanken des Mittels in die Tätigkeit selbst zu verlegen, ja, die Spezifik der Arbeitstätigkeit gerade von der selbständigen Potenz des Arbeitsmittels abhängig zu machen. Die Mittel sollten sich nicht verselbständigen, wie Hölderlin forderte, während Hegel hier ein gänzlich anderes Mittel vom Standpunkt des Arbeitsmittels aus vorträgt, in dessen Selbständigkeit auch gegenüber dem Subjekt die Emanzipation des Subjekts liegt. Hegel unterstreicht, dass das erkenntnistheoretische Verfahren, welches das reell selbständige Mittel konsequent zu erfassen vermag, eine Subsumtion unter den Begriff sein müsse, weil die unter die Anschauung nur ein „Assoziieren“ (S 288) der Arbeit als höchster lebendiger Arbeit, d. h. nach dem Modell der Liebe bleibt. Die Liebe bringt es aber zur absoluten Einheit der Entgegengesetzten erst außerhalb der aktuellen Tätigkeit und wird dann als solche angeschaut. Darin, die Einheit der Entgegengesetzten und die Tätigkeit nicht in ein und derselben Beziehung zusammen denken zu können, sahen wir in 2.1. ein Kennzeichen Hölderlins. In der ganzen Rousseauisch-Kantischen Tradition liegt das moralphilosophische Vorurteil, den Mittelgedanken nicht in selbständiger Bedeutung zu fixieren,132 auch dann, wenn es nicht um die Instrumentierung von Menschen geht, wie dies die Projektion der Idealvorstellungen in die Natur zeigt. In philosophischtheoretisch, nicht moralphilosophischer Hinsicht verfügt der klassische deutsche Idealismus über ein hohes methodisches Bewusstsein und insofern auch Mittel-Bewusstsein, welches aber, infolge des Zusammenhangs mit dem Primat der praktischen Vernunft, vor einer explikativen Fixierung der Mittel als übergreifend selbständiger Mittel Halt macht. Auch aufgrund dieser Ungleichmäßigkeit der Entwicklung philosophisch-theoretischer und moralphilosophischer Denkmöglichkeiten verwundert nicht Hegels Anknüpfen daran, den Mittel-Gedanken durch Subsumtion unter den Begriff zu explizieren, nun aber in moralphilosophischer Hinsicht. Auch bei seiner Wendung des Gedankens der Mitte, als des real selbständigen Mittels, auf den staatlich-politischen Bereich sieht Hegel in der Kantisch-Fichtischen Tradition einerseits ein „täuschendes Leerlassen dieser Mitte“, denn diese ist objektiv ohnehin da, andererseits ein künstlich differenzierendes Auspuffern der Gegensätze durch „Zwischenglieder „ (J 444). Soll einerseits der Gedanke des Mittelgebrauchs bei Kant nicht wahrhaft sein, führt er andererseits zu derart quasi opportunistischen Verdoppelungen zwecks Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Regierten und Regierung, dass jetzt zwar von selbständigen, aber nun gleich wieder gegen das Subjekt verselbständigten Mitteln ausgegangen wird, wodurch das Mittel nicht 132

Bei Kant ist das rein moralische Motiv gerade dem Imperativ der Geschicklichkeit, der die Mittel des Handelns, die Technik, betrifft, entgegengesetzt. Vgl. Martina Thom, Nachwort In: I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 300 f.

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mehr Mittel bleibt (Fichtes Ephorat). Die Ohnmacht dieser Tradition, die inzwischen notwendigen staatlich-politischen Mittel nicht angeben zu können, sieht Hegel mit der „unmittelbaren Form des Begriffes“ (J 436) dieser Tradition korrespondieren. Erst unter den Voraussetzungen der Entwicklung des Individuums durch seine materielle Tätigkeit der Liebe und seine werkzeugvermittelte Arbeitstätigkeit stellt Hegel, noch immer nicht das Denken als solches, sondern die Potenz des „nach der Weise des Begriffs seienden Leibs“ (S 294), d. h. die Entwicklung der „tönenden Rede“ (S 294) dar. In der Rede als „Werkzeug der Vernunft“ und „Kind der intelligenten Wesen“ schlägt der natürliche Charakter der Sittlichkeit bereits in die Potenz von Idealität um, die vom bisherigen Standpunkt des Individuums nicht mehr erfassbar ist. Die Rede, welche gesellschaftlich gesehen Sprache bedeutet, als Leib und Werkzeug des Denkens zu bestimmen, steht in der durch Hölderlin vermittelten Herder-Tradition. Hegel knüpft, um den reell-ideellen, subjektiv-objektiven und individuell-allgemeinen Charakter der Rede als Potenz von Sprache erfassen zu können, an Hölderlins Überlegungen zum „Äther“133 an (Rede als „ätherischer Körper“ (S 292)). Eine sprachtheoretische Beeinflussung Hegels durch Smith, wie Coseriu eine Verpflichtung August Wilhelm Schlegels gegenüber Smith in sprachtypologischer Hinsicht zeigte,134 halte ich beim jungen Hegel für unwahrscheinlich und hier inhaltlich auch nicht nachweisbar. Bei aller Prononciertheit des Arbeitsmittel-Gedankens in Hegels Darstellung: Hätte nun Hegel nichts weiter zu entwickeln als den bisherigen Arbeitsbegriff vom Robinson – Standpunkt aus, könnte mit keinerlei Eindeutigkeit auf eine Smith-Rezeption geschlossen werden, denn der arbeitende, auch Werkzeuge gebrauchende Robinson gehört zu den Grundaxiomen der sozialwissenschaftlichen Literatur des 18. Jh. Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes ist nur durch den gesellschaftlich verstandenen Arbeitsbegriff, durch die systematisch tragende Funktion dieses Begriffes für die ganze Theorie und durch die ansatzweise Universalisierung des Mittelgedankens, wie bei Smith selbst, bestimmbar, und nicht auf der Ebene dieses oder jenes Elements von „Arbeit“. Was diesen Terminus zum spezifisch Smithschen Begriff macht, ist sein theoretisch durchgehender Stellenwert, wie schon in 2.3. und 4.2. dargestellt wurde. Hegel entwickelt in der „Zweiten Potenz“ der natürlichen Sittlichkeit die spezifisch gesellschaftlichen Formen der materiellen Tätigkeiten. In „dieser Potenz (ist) nichts, was nicht Beziehung auf andere Intelligenzen hätte, so daß eine Gleichheit unter ihnen gesetzt“ (S 296) ist. Die gesellschaftliche Formierung des Subjekts kommt dem erkenntnistheoretischen Verfahren nach jetzt über diese ganze Potenz übergreifend durch Subsumtion unter den Begriff zur Geltung. Diese, in sich differenziert, enthält ihren Gegensatz, das Verfahren der Subsumtion unter die Anschauung. Bemerkenswerterweise treten von nun an, wo die Modellierung der „Arbeit“ am arbeitenden Individuum aufhört, und die theoretische Explikation gesellschaftlich-allgemeiner Bestimmungen einsetzt, bei Hegel starke Ontologisierungen der erkenntnistheoretischen Verfahrensschritte hervor. Hegel kann den ökonomisch-theoretisch formierten Gegenstand, den er philosophisch aneignet, auf ökonomisch-theoretischer Ebene nicht alterna133 134

Vgl. Günter Mieth, F. Hölderlin, S. 51. Eugene Coseriu, Adam Smith und die Anfänge der Sprachtypologie. In: A. Smith, A Dissertation on the Origin of Languages … Hrsg. v. G. Narr, S. 15 ff.

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tiv formieren. Zugleich ist der gesellschaftliche Standpunkt für Hegels Form von Heroismus der direkt relevante Standpunkt. Dieser Heroismus hat sich zwar in der Formierung des ökonomischen Gegenstands zu bewähren, aber die Eigengesetzlichkeit des ökonomischen Gegenstands im Smithschen Sinne steht seiner napoleonischen Heroisierung entgegen. Diese beiden Widersprüche, der Philosoph ohne eigene einzelwissenschaftliche Basis und die Werteordnung der sozialen Sphären im Sinne von napoleonischem oder allgemein-bourgeoisem Heroismus, zu bewegen, gelingt nicht ohne objektiv-idealistische Konstruktionen. Diese hat vom Typ her der junge Marx in seiner Kritik des Hegelschen Staatsrechts aufgedeckt.135 Sie hier im Einzelnen zu verfolgen, wäre zu langwierig. Wir lesen Hegel weiter unter einem rationellen Problemaspekt, so gut es der Text hergibt. Hegel beginnt folgerichtig mit einer Subsumtion unter die Anschauung innerhalb der Gesamtsubsumtion unter den Begriff, um die schon in der „rein praktischen“, objektbestimmten Tätigkeit auftretende gesellschaftliche Organisation zu erfassen: die Arbeitsteilung. Hegel folgt Smith im Unterschied zu Steuart darin, die Bestimmung der inner-manufakturiellen Arbeitsteilung historisch illegitimer Weise auf die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung zu übertragen. Hegel geht von „dem“ einen Gegenstand aus, der „als ein Ganzes“ der Formvernichtung dadurch unterliegt, dass die gegen ihn gerichteten Arbeiten „verteilt“ werden. Der gesellschaftlichen Arbeitsteilung liegt natürlich nicht ein durch Anschauung bestimmbarer Gegenstand zugrunde. Dass Hegel vom „Verteilen“ der Arbeit spricht, folgt dem damaligen historischen Gebrauch, der durch die deutschen Übersetzungen von Smith’ „division of labour“ als „Verteilung der Arbeit“ in Deutschland geprägt worden war.136 Auch der sofortige Schluss von verteilter Arbeit auf mechanisch organisierte Arbeit unterstellt manufakturielle Arbeitsteilung: „und dieses einzelne Arbeiten wird eben dadurch mechanischer, weil die Mannigfaltigkeit aus ihm ausgeschlossen, also es selbst ein allgemeines, der Ganzheit fremderes wird“ (S 297). Die so Einzelnes, nämlich vom Standpunkt der Gesellschaft als der Allgemeinheit, Einzelnes gewordene Arbeit setzt „die Arbeit anderer Menschen“ voraus. Diese Arbeit ist noch nicht deshalb mechanisch, weil sie Maschinen benutzt, sondern weil sie bis ins Einzelne verteilte Arbeit ist. Der mechanische Charakter der Kooperation von Teilarbeiten noch auf der Basis von Handarbeit ist in der Tat die spezifisch manufakturielle Voraussetzung dafür, dass die Teilarbeit mechanisiert werden kann. „In dieser Abstumpfung der mechanischen Arbeit liegt aber unmittelbar die Möglichkeit, sich ganz von ihr abzutrennen; weil die Arbeit ganz quantitativ ohne Mannigfaltigkeit ist, also das Subsumieren derselben in der Intelligenz sich aufhebt, so kann ein absolut Äußeres, ein Ding durch sein Sichgleichsein und ebenso in seiner Arbeit als seine Bewegung gebraucht werden. Es kommt nur darauf an, ein ebenfalls totes Prinzip der Bewegung für dasselbe zu finden, eine sich differentiierende Gewalt der Natur […], und das Werkzeug geht in die Maschine über […]“ (S 297). Smith stellt Arbeitsteilung als „Teilung und Kombination“ der Arbeitsoperationen „in einzelnen Manufakturen“137 vor, zunächst nur wegen des leichteren Verständnisses, unter der Hand dann aber doch, wie wir schon in 4.2. sahen, in Identifikation mit gesamtge135 136 137

Vgl. K. Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrechts (§§ 261–313), MEW Bd. 1, S. 224, 240 ff., 244, 246 ff., 295 f. E. Erämetsa, Adam Smith als Mittler englisch-deutscher Spracheinflüsse, S. 39. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 9 u. 11.

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sellschaftlicher Arbeitsteilung. Als entscheidende Auswirkung der innermanufakturiellen Arbeitsteilung gibt Smith die Zerlegung in einfache Handgriffe an. „Weil die Arbeitsteilung jedermanns Tätigkeit auf einige einfache Handgriffe reduziert und diese zur einzigen Beschäftigung des Arbeiters in seinem Leben macht, erhöht sich notwendigerweise in sehr starkem Ausmaß dessen Geschicklichkeit.“138 Der kombinatorische Charakter der lebendigen Gesamtarbeit als Verhältnis zwischen den Teilarbeiten gestaltet diese einfach, worin wiederum die Möglichkeit der Maschinisierung dieser Teilarbeiten besteht. „Da die Handgriffe jedes Arbeiters allmählich auf einen größeren Grad an Einfachheit zurückgeführt werden, wird eine Vielzahl neuer Maschinen zur Erleichterung und Abkürzung jener Arbeitsverrichtungen erfunden.“139 Vom Standpunkt des Heraussetzens – einer dem Verhältnis zwischen den Teilarbeiten geschuldeten – Einfachheit der Teilarbeit in eine jeweilige Maschine kann der Teilarbeiter als die Potenz einer Maschine angesehen werden. „Die erhöhte Geschicklichkeit eines Arbeiters läßt sich in demselben Licht betrachten wie eine Maschine oder ein Arbeitsinstrument […].“140 Historisch hebt Smith bei der Entwicklung von Maschinen „Wind- und Wassermühlen“141 hervor, die die neuere bürgerliche Geschichte der Maschinen seit dem 15. Jh. und vor der Dampfmaschine verdeutlichen. Hegel verweist in dieser Reihenfolge auf die maschinelle Ausnutzung der „Bewegung des Wassers, des Windes, des Dampfes usw.“. (S 297). Durch die Smith-Rezeption folgt Hegel der manufakturbürgerlichen Fassung der Teilung der Arbeit und manufakturbürgerlichen Bewertung von Maschinen. Die manufakturbürgerliche Ökonomie „betrachtet die gesellschaftliche Teilung der Arbeit überhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, […].“ Die Arbeitsteilung wird „vorherrschend als Mittel aufgefaßt, virtuell Arbeiter zu ersetzen, aber nicht, wirklich Arbeiter zu verdrängen […] Damals trat also […] mehr die positive Seite hervor, […]“142. Dies bezieht sich ebenfalls auf die Einführung von Maschinen, bei aller Zur-Kenntnisnahme der Verzweiflungstaten der Arbeiter.143 Hegel begreift die spezifisch manufakturielle Übergangsentwicklung in den Arbeitsformen. Die eine lebendige Arbeit muss in mechanische Teilarbeiten zerlegt, tot organisiert, werden, so dass die Teilarbeiten maschinisiert werden können. Damit führt Hegel sein vom Standpunkt des Individuums vorgetragenes Arbeitsmodell auf dessen sozialhistorische Voraussetzung zurück. Hegel hatte in seinem Modell des scheinbar überhistorisch und allein arbeitenden Robinson den „ganz mechanischen“ (S 285) Charakter der Arbeit angekündigt. In dieser vorausgegangenen Potenz schien das arbeitende Subjekt ein „Einzelnes“ zu sein, weil es ein Naturindividuum war. Warum denn diese Arbeit „die Einzelheit, die Abstraktion, die reine Kausalität“ sei, schien auch von der Seite des Objekts her nur wegen dessen natürlicher Einzelheit erklärlich. Jetzt aber wird deutlich, dass „dieses einzelne Arbeiten“ (S 297) gesellschaftliches Ergebnis der allgemeinen Verteilung der Arbeit, d. h. historisch der spezifisch manufakturiellen Arbeitsteilung ist. 138 139 140 141 142 143

Ebd., S. 13 f. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 4. Ebd., Bd. 2, S. 11. Ebd., Bd. 1, S. 322. K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 386 und 452 f. Vgl. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 88.

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Der gesellschaftlich produzierte Naturcharakter dieser Arbeit erlaubt, dass „Gewalten der Natur“ die Funktion des Subjekts in der so bestimmten Arbeit übernehmen. Dieses Mal sind aber die Naturgewalten bereits gegenständlich formierter Ausdruck der „Unruhe des Subjektiven, des Begriffs“ (Smith spricht immer wieder von der Erfindung der Maschinen), und nicht Ausdruck der Ohnmacht des früheren Subjekts, das die Selbstreproduktion der Pflanze ausnutzte, weil es die Naturstoffe noch gar nicht chemisch zerstören konnte (S 297). Sowohl hinsichtlich der Vereinzelung der Arbeitstätigkeit als auch des Arbeitssubjekts ergibt sich jetzt im Vergleich zu vorher die umgekehrte Herstellung der Einheit von Natur- und praktischer Philosophie, allerdings der zur rein praktischen Potenz der Arbeit vorgedrungenen praktischen Philosophie Hegels. „Wie das Subjekt und seine Arbeit sich hier bestimmt, so bestimmt sich auch das Produkt der Arbeit“ (S 297). Das Produkt der einzelnen Arbeit ist nicht jenes, das das Subjekt derselben Arbeit braucht. Die „Totalität der Bedürfnisse“ des Arbeitssubjekts kann durch sein Teilprodukt nicht befriedigt werden. Der Besitz des Produkts geteilter Arbeit hat „seine Bedeutung auf das praktische Gefühl des Subjekts verloren“: Der Besitz dieser Art von Produkt „ist nicht mehr Bedürfnis für dasselbe, sondern Überfluß“ (S 297). Oben galt der Besitz des Produkts als Möglichkeit des Genusses, weil die ihm vorangegangene Arbeitstätigkeit den Genuss hemmte und den Genuss des Produkts zu realisieren vom Subjekt der Arbeit abhängig schien. Jetzt stellt sich der Besitz als bloße Möglichkeit des Genusses aus spezifisch gesellschaftlichem Grunde heraus. Wie die Teilarbeit eine Abstraktion von der ursprünglich ganzen und lebendigen Arbeit wurde, ist die Bedürfnisbeziehung des Arbeitssubjekts zum Produkt der Arbeit eine „Abstraktion des Bedürfnisses überhaupt“ (S 298) geworden. Der bestimmte Gebrauch des Arbeitsprodukts „ist vom Subjekt abgetrennt“. „Teilung“, „Trennung“, „ohne Mannigfaltigkeit“ und „Abstraktion“ verwendet hier Hegel synonym. Das Arbeitssubjekt hat zu seinem Arbeitsprodukt ein nur quantitatives Verhältnis. Sein Arbeitsprodukt gibt dem Subjekt nur „die allgemeine Möglichkeit des Gebrauchs, nicht des bestimmten“ (S 297 f.). Wir sehen, wie hier Hegel unversehens durch das vorige Modell manufakturieller Arbeitsteilung die gesellschaftliche Arbeitsteilung erklärt zu haben glaubt, denn die Befriedigung der Bedürfnistotalität des Subjekts ist kein Problem innermanufakturieller Arbeitsteilung, sondern der zwischen landwirtschaftlicher und manufakturieller Arbeit etc., die bei Steuart im Vordergrund standen. Ebenso wird sichtbar, welche spezifisch sozialhistorische Bewandtnis es hatte, den Besitz des Arbeitsprodukts schon vom Standpunkt des Robinson nur als Möglichkeit des Genusses zu explizieren. Aber der zur allgemeinen Möglichkeit des Gebrauchs entfaltete Besitz des Arbeitsprodukts negiert den Besitz (S 298 f.), der als Möglichkeit, daß das Arbeitssubjekt sein Arbeitsprodukt genießt, also unter der Bedingung der Identität des arbeitenden und genießenden Individuums definiert worden war. „Seiner Natur nach aber hat das, was besessen wird, nur eine reale Beziehung auf das Subjekt“ (S 299). Das Teilprodukt, das der Bedürfnistotalität des Produzenten dieses Produkts gänzlich abstrakt gegenübersteht, ist für „den Gebrauch anderer“ (S 298) bestimmt. Der Besitz ist kein Besitz mehr, sondern Möglichkeit des Gebrauchs durch andere, muss aber Besitz bleiben, denn das Subjekt braucht Produkte zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Den Besitz „in dieser Rücksicht“ auf andere, als gesellschaftliches Verhältnis betrachtet, nennt Hegel „Eigentum“ (S 298). Eigentum stellt keine Aneignungsbeziehung des Produkts dar, sondern eine Relation der Anerkennung

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des Besitzes (als allgemeiner Möglichkeit des Gebrauchs) durch andere. Hegel steht der juristischen Fetischisierung des Eigentums zum Eigentum an Sachen fern. Zugleich wird die definitorische Bindung des Besitzes an den Genuss und des Eigentums an den Besitz nicht gesprengt, sondern nur höher entfaltet zum Tausch (S 301). Hegel führt „Eigentum“ ein als in dem Spannungsfeld zwischen konsumtiven Standpunkt und Zirkulationsstandpunkt stehend, weshalb er das Eigentumsverhältnis der Individuen untereinander in Bezug auf das Arbeitsprodukt bestimmt und ihm die Definition in Bezug auf die Arbeitsgegenstände und -mittel kein Problem wird. Im Folgenden verheddert sich Hegel in eine auch Smith auszeichnende Reihe von Widersprüchen. Noch eben hatte sich die abstrakte Bestimmtheit der Arbeit (S 285 f.) des Robinson sozialhistorisch als Ergebnis einer „Verteilung der Arbeit“ (S 297) enthüllt, die objektiv nach dem Modell innermanufakturieller Arbeitsteilung von Hegel gedacht wurde. Dann behauptet Hegel, aus der Bestimmung dieser (manufakturiellen) Arbeitsform und des Subjekts dieser Arbeitsform die Bestimmung der Verhältnisse zwischen denselben, nun als bedürftige betrachteten Subjekten in Bezug auf das „Produkt der Arbeit“ (S 297) zu verstehen. Indem er dies tut, entwickelt Hegel die „Abstraktion des Bedürfnisses“ vom Standpunkt der „Totalität der Bedürfnisse“ des jeweils individuellen Subjekts. Diese Abstraktion des Bedürfnisses ist aber Ergebnis einer ganz anderen als der innermanufakturiellen, eben der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung. Ansatz für die Unterscheidung beider Arbeitsteilungen wäre, die Gegenseite zur Teilung der Arbeit, die der Kooperation, zu bestimmen. Hegel geht zwar von einer ganzen lebendigen Arbeit als der zu teilenden Arbeit aus und unterstellt sie gewissermaßen weiterhin. Doch real bleibt die geteilte Arbeit nur durch Kooperation eine ganze Arbeit. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene aber existiert keine manufakturielle Kooperation, sondern eine nachträgliche, über den Austausch vermittelte Synthesis der Teilarbeiten in Warenform. Hegels Subjekte unterscheiden sich also nicht nur voneinander, weil sie einmal arbeiten und dann durch Besitz genießen wollen. Sie sind Subjekte von Teilarbeiten in einander entgegen gesetzten Arbeitsteilungen. Die manufakturielle Teilarbeit ist nicht auf der gleichen Ebene wie eine gesamtgesellschaftliche Teilarbeit abstrakt. Eine manufakturielle Gesamtarbeit ist nur gesamtgesellschaftliche Teilarbeit. Als solche gesamtgesellschaftliche Teilarbeit ist sie nicht, wie ihre eigenen Teilarbeiten, Moment einer unmittelbaren Kooperation. Aus der Differenz der gesamtgesellschaftlichen und manufakturiellen (oder später industriebetrieblichen) Abstraktionsebene entsteht die Notwendigkeit spezifisch kapitalistischen Eigentums.144 Fallen beide Abstraktionsebenen real zusammen, wie dies übrigens Lenin für die Entwicklung des Staatssozialismus in der als einer einzigen Fabrik modellierten Volkswirtschaft zu realisieren forderte, ist die privateigentümerische Bewegungsform der Differenz abgeschafft. Da Hegel beide Abstraktionsebenen nicht voneinander zu unterscheiden weiß, entsteht ihm der Anschein, seine Bestimmung der Abstraktheit der Arbeit erfolge auf gleicher Ordnungsebene wie die „Abstraktion des Bedürfnisses“ und der daraus erwachsenden Besitzwidersprüche. So glaubt Hegel, aus seiner Bestimmung der Arbeit die des Eigentums begreifen zu können. Hegels gleichzeitige Belegung der Arbeitsbestimmungen und Eigentumsbestimmungen mit solchen philosophischen Bewertungen wie „abstrakt“, 144

Siehe K. Marx, Das Kapital. Erster Band, MEW Bd. 23, S. 375–377.

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„quantitativ“, „einzeln“ produziert nur einen philosophisch äußerlichen Parallelismus beider Begriffsreihen und dies nicht erst infolge der fehlenden Unterscheidung der oben genannten Abstraktionsebenen. Hegel will an dem in den Potenzen des Individuums entwickelten Primat des Standpunkts der Arbeit gegenüber dem der Konsumtion festhalten, was jetzt auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet, den Eigentumsbegriff nicht allein aus Notwendigkeiten der Konsumtion und der sie ermöglichenden Zirkulation herzuleiten, sondern aus dem Arbeitsbegriff. Hegel kann dies aber nicht, da sein Eigentumsbegriff logisch gar nicht seinem Arbeitsbegriff entspricht. Sein Arbeitsbegriff hebt die Bedeutung des Arbeitsobjekts und des Arbeitsmittels als konstitutiv hervor. Sein Eigentumsbegriff aber, so sehr dieser ein gesellschaftliches Verhältnis zu erfassen sucht, sucht dieses nicht in Bezug auf die Produktionsmittel zu denken. Hegels Arbeitsbegriff und Eigentumsbegriff verhalten sich logisch inadäquat zueinander: 1. Die Arbeitsabstraktion manufakturiell-betrieblicher Ordnung widerspricht der Eigentumsabstraktion gesamtgesellschaftlicher Ordnung. 2. Die Begründung des Eigentumsbegriffes aus dem Arbeitsbegriff bleibt Proklamation, da sie in Bezug auf Arbeitsobjekt und Arbeitsmittel nicht realisiert wird. Beide Begriffe werden von Hegel real zusammengeschlossen vom Standpunkt der Zirkulation, weil in Bezug auf das Arbeitsprodukt. Dennoch welch ein Ergebnis innerhalb des klassischen deutschen Idealismus: Schellings Parallelismus von praktischer Philosophie und Naturphilosophie ist auf einen Parallelismus von Arbeit und Eigentum innerhalb der praktischen Philosophie, die die rein praktische Potenz der natürlichen Sittlichkeit schon formiert, zurückgedrängt worden: durch Hegel. Hegel fühlt die entstandenen Widersprüche. Statt der Unterscheidung zwischen innermanufakturieller und gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung taucht bei Hegel der eben negierte Robinson wieder auf, der, was er erarbeitet hat, besitzt und daher auch genießen kann. Dieses Mal wird Robinson nicht gleich als Teilarbeiter enthüllt und so fließend in den Text eingeordnet, wie zuvor bei Behandlung des Arbeitsbegriffs, denn jetzt geht es um die Eigentumsfrage. Das Naturindividuum wehrt sich als in sich autonome individuelle Identität von Subjekt der Arbeit, des Besitzes und des Genusses gegen die Abstraktionen. Was sollen denn bloß vom natürlich anschauenden Standpunkt aus gesehen all diese gesellschaftlichen Abtrennungen? Eine Dimension seines Subjektseins wird gegen die andere abstrahiert, und das auch noch für unbestimmt Andere im Allgemeinen. Als Anerkennungsrelation ist „das Eigentum […] selbst gesetzt als nicht notwendig“, weil „nicht auf den Gebrauch und Genuß des Subjekts bezogen“ (S 299). Hegel revoltiert vom Gebrauchswertstandpunkt gegen die eigentümerische Bewegungsform des Besitzwiderspruchs145 zwischen notwendig bestimmtem Gebrauch und allgemeiner Möglichkeit des Gebrauchs durch andere. Die erkenntnistheoretische Subsumtion unter die Anschauung und der naturphilosophische Ansatz bewähren sich hier kritisch, um die Seite der konkreten Arbeit und der Gebrauchswertrealisation146 vor ihrer gesellschaftlichen Formierung 145 146

Vgl. Ebd. Dritter Band. In: MEW Bd. 25, S. 784 zur Bedeutung der schon bei Hegel vorhandenen Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum. Vgl. Ebd., S. 290, wo Marx schreibt, relevant für Hegels Bestimmung des Besitzes als Potenz des Genusses und Hegels Beharren auf Einheit von Produktion und Konsumtion gegen ihre Trennung in auch späteren Schriften: „Denn der Gebrauchswert einer Ware wird erst realisiert, tritt in Funktion, sobald die Ware in die Sphäre der Konsumtion übertritt. In der Hand des Produzenten existiert er nur in potentieller Form“.

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in Eigentum und Recht zu behaupten. „Was hier aufgehoben wird, ist das Einssein mit dem Objekt durch eigene Arbeit“, durch „individuelle eigene Bestimmung“ des Objekts. Was „an die Stelle tritt, ist reale Differenz, Aufgehobensein der Identität des Subjekts und Objekts“ (S 300). Das natürlich vor sich hinarbeitende, sein Arbeitsprodukt besitzende und genießende Individuum ist nicht nur am Individuum modellierte Reproduktion der manufakturiellen Arbeitsform. In ihm schwingt die zivilisationskritische Potenz noch immer nach, Kraft seiner Identität von Subjekt der Arbeit, des Besitzes und des Genusses, als sei es einer der Hölderlinschen „Eichbäume“.147 Die Potenzen der natürlichen Sittlichkeit des Individuums sind das „Negative“ der Potenz des Eigentums, die das in sich totale individuelle Subjekt in ein Subjekt von nur Eigentumsrechten verwandelt, in eine abstrakte „Person“. Aber das zugleich arbeitende, besitzende und genießende Naturindividuum wäre die Negation der hier entstandenen Person nur in „unentwickelter Rücksicht“ (S 298). Robinson hat es erst zum Werkzeug, aber nicht zur Maschine als dem neuen emanzipatorischen Arbeitsmittel gebracht, denn die Maschine unterstellt innermanufakturielle Arbeitsteilung und Kooperation, also als Arbeitskraft gerade keinen Robinson. Hegel scheidet Robinson als Alternative zur Arbeitsteilung aus, weil diese ja die Individuen schon gesellschaftlich zusammenbindet und durch Maschinen dem integrierten Robinson die Arbeit erleichtert. Darin bestand Smith’ Hauptargument für die Bejahung des Kapitalismus. Hegel verzichtet nicht auf die Errungenschaften der Arbeitsteilung und darauf, die revolutionshistorisch erfahrene Notwendigkeit des Schicksals des Eigentums zu begründen, auch wenn die Übergänge von Potenz zu Potenz künstlich konstruiert werden. Argumente derart weil „das Recht als solches bleiben“ müsse, dokumentieren mehr die weltanschauliche Vorentscheidung, es ginge nicht ohne Eigentum, als dass dieses Eigentum wirklich begründet würde. Diese Entscheidung sahen wir Hegel in Auswertung des Verlaufs der Französischen Revolution und seiner Auswirkungen auf Deutschland 1798/99 fällen (vgl. 2.3.). Wo der theoretische Nachweis ausbleibt, springt die philosophische „Unendlichkeit“ ein, die als Recht bleiben „muß“ und „soll“ (S 299 f.). Wenn das Naturindividuum zu unentwickelt ist, um der Person eine reale Negation sein zu können, die Person aber auch wieder vom natürlichen Standpunkt aus als nicht notwendig erscheint, scheinen beide zusammengedacht werden zu können vom Standpunkt des Tauschs. Dies setzt voraus, dass zum einen das Naturindividuum seine individuelle Autonomie aufgibt und geselliger wird, zum anderen, dass die Person ein Subjekt von Eigentumsrechten gegenüber anderen Personen nur in Bezug auf die Arbeitsprodukte 147

Hegel nimmt hier in Rousseau-Tradition das Problem des Verhältnisses zwischen individueller Autonomie und Gesellschaftlichkeit auf, wie es Hölderlin in „Die Eichbäume“ (Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1 S. 300) formulierte: „Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels/ Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen/ […] Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,/ Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen!“ Vgl. zur Wandlung des Naturbegriffes bei Hegel 1800–1802, 1803/04 und ab 1805; M. Riedel, Hegels Kritik des Naturrechts. In: Ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, S. 42 ff. H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, S. 135 ff. Bei aller zutreffenden Einbettung von Hegels Naturbegriffen in die verschiedenen Naturrechtstraditionen und die Spinoza- sowie Schelling-Rezeption ist das beim frühen Hegel übergreifende Spannungsfeld zwischen Rousseauscher Tradition und der materialistischen Bestimmung der gesellschaftlichen Natur durch A. Smith nicht wirklich herausgearbeitet worden.

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sei. Robinson wird geselliger, d. h. seine Unentwickeltheit wird dadurch aufgehoben, dass auch er in einer, in welcher bleibt unreflektiert, Arbeitsteilung produziert, also tauschen muss. Es „wird ein Überfluß, was schon für sich keine Beziehung auf das Bedürfnis hat, aufgehoben, was die Bestimmung hat, aus der Beziehung des Besitzes zu treten“ (S 299). Mehr fordert Hegel vom natürlich anschauenden Individuum nicht, als dessen Integration in die Welt des Eigentums dadurch, dass es den Besitz seines Arbeitsprodukts nicht mehr für die Möglichkeit seines Genusses seines Arbeitsprodukts hält. Bleibt sonst alles beim Alten, wird Robinson so ein kleiner Warenproduzent. Hierin besteht die dritte reale Form von Arbeitsteilung, die zwischen kleinen Warenproduzenten, als Voraussetzung dessen, was Hegel denkt, ohne dass Hegel sie als besondere Voraussetzung reflektierte. Umgekehrt setzt zwar Hegels Bestimmung, das Einssein mit dem Objekt durch eigene Arbeit sei aufgehoben, ungeheuere Assoziationen frei, aber begrifflich erfasst Hegels Eigentumsbegriff nichts weiter als den abstrakten Charakter des Produkts der Arbeit, weshalb getauscht werden müsse. Dieser abstrakte Charakter des Arbeitsprodukts unterstellt Arbeitsteilung überhaupt. Die Person als Produktionsmittel-Eigentümer kommt gar nicht ins Spiel. Die so entstandene Charaktermaske der Person, der man nicht nachsagen kann, ob sie nun das zu tauschende Arbeitsprodukt mit eigenen Produktionsmitteln und selbst erarbeitet hat oder nicht, wird dem in einen kleinen Warenproduzenten verwandelten Robinson schon annehmbar. Hegel vermag es nicht, den Umschlag der Aneignungsgesetze beim Übergang vom Modell der kleinen zum Modell der allgemeinen (kapitalistischen) Warenproduktion zu erkennen. Aus der referierten speziell innermanufakturiellen Arbeitsteilung wird unbestimmte Arbeitsteilung überhaupt, die sich in Eigentum überhaupt formieren müsse. Hegel spürt vom Standpunkt der natürlichen individuellen Totalität, dass in der Eigentumsfrage irgendwie etwas Inhumanes passiert, welches mit dem mechanischen Charakter der Arbeit begann und in den Eigentumsverhältnissen fixiert wird. (S 299 f.) Das unentwickelt revoltierende Naturwesen und die unnatürlich entwickelte Person finden ihre leere Gemeinsamkeit im Tausch, der von spezifisch sozialökonomischer Herkunft der Tauschenden und des zu Tauschenden abstrahiert. Hegel geht zur Subsumtion unter den Begriff über. Die Abstraktion wird einstweilen durch eine höhere Abstraktion bekämpft. Hegel sieht zwar, dass das „Negative“, welches ihm als das eigentlich Positive gilt, „im Nichtanerkennen des Eigentums, im Aufheben desselben“ (S 299) besteht, aber die folgende Negation ist keine radikale Negation der Potenz des Eigentums, sondern eine Negation innerhalb des Eigentums selbst, nur dessen Realisation. Die folgende Negation ist keine Negation der „Materie“ der Eigentumspotenz, sondern der „Form“ dieser Potenz „als Allgemeines“ (S 299). Das Eigentum fixierte die Abstraktion der Arbeit als „ruhende“ (S 300) und „ideelle Beziehung“ (S 299). Der Tausch ist die „Realisierung des ideellen Verhältnisses“. In ihm findet Negation des Eigentums in dem Sinne statt, dass Eigentumsbeziehungen wechseln, an „die Stelle des vorher besessenen“ (S 301) tritt anderes. Der ruhende Eigentumsbegriff realisiert sich als „sich bewegend“ im Tausch (301). „Der Begriff, das Wesen aber ist die Verwandlung selbst, […]“ (S 301). Bemerkenswert bleibt, dass Hegel, ein intimer Kenner des klassischen deutschen Idealismus, die von Kant und Fichte tradierte begriffliche Verfahrensweise für adäquat hält, um, vor das Problem der Rezeption ökonomischer Erkenntnisse gestellt, Zirkulationsphänomene zu erfassen, und nicht, wie zuvor, die Arbeitssphäre. Deren Erfassung

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bedurfte des begrifflichen Bestimmungsversuches innerhalb des erkenntnistheoretisch gesehen Anschauungsverfahrens und ontologisch gesehen innerhalb des naturphilosophischen Tätigkeitsansatzes. Jetzt dagegen beginnt Hegel nicht nur das begriffliche Vorgehen, sondern zugleich auch die „Idealität“ (S 300) der Potenzen hervorzuheben. Die Emanzipation von den Determinanten, denen der Mensch in der Bedürfnis- und Arbeitsrelation unterliegt, beginnt für Hegel sichtbar mit der „überflüssigen Arbeit“ (S 300). Was vom natürlichen Standpunkt als schmerzende Abstraktion erschien, wird zugleich in seiner Progressivität verstanden. Das Naturhafte, so sehr es idealisiert die Totalität des Individuums attraktiv beinhaltet, ist eine Fehlalternative zu den zwar trennenden Abstraktionen, aber Abstraktionen, die zugleich vergesellschaften und daher emanzipieren von Naturabhängigkeiten. Dem Tauschvorgang ist bei Hegel unmittelbar vorausgesetzt die Gleichheit der Eigentumsrechte der Tauschenden. Die Abstraktion von der Totalität des Individuums stellt sich in ihrem gesellschaftlichen Verhältnis als Gleichheit der abstrakten Individuen heraus. Diese Gleichheit, „reflektiert an dem Ding“, welches getauscht wird, nennt Hegel „Wert“, wobei aber der Wert erst das „ideale Maß“ der Gleichheit, nicht, wie der Preis, das „wirklich gefundene, empirische Maß“ (S 300) ist. Insofern gilt Hegel der Wert als gesellschaftliches Verhältnis der Gleichheit der Individuen, das einerseits infolge von Arbeitsteilung notwendig entsteht, wegen der getauscht werden muss, das andererseits ein juristisches Verhältnis sei, um nach dem Prinzip der Gleichheit auch sicher austauschen zu können. Der Wert wird einstweilen noch nicht direkt auf die Gleichheit der Arbeit zurückgeführt, sondern erscheint Hegel vom Standpunkt des Tauschs, obgleich indirekt, oder wenn man so will, esoterisch ein Zusammenhang zur Arbeitssphäre besteht, da Hegel unter der Losung der Abstraktion den Eigentumsbegriff aus dem Arbeitsbegriff eingesehen zu haben behauptet. Dieser Zusammenhang ist ökonomisch nicht begriffen, aber auf ihn ist philosophisch immerhin orientiert, was natürlich auch der Tradition von John Locke entspricht. Statt den Wert aus der Arbeit zu begründen, begreift Hegel hier die Erscheinungsform des Wertes, den Tauschwert. Die Realisierung des Tauschwerts auf allgemein-gesellschaftlicher Ebene vorgestellt, und damit emanzipiert von der „Willkür und Eigenheit“ (S 303) der tauschenden Individuen, erscheint eigentumsrechtlich formiert. Hebt Hegel auch nicht den Tauschwert als Erscheinungsform vom Wert explizit ab, so differenziert er doch zwischen den vertraglichen Rechtsformen als Erscheinung des Tauschwerts und dem Tauschwert als ökonomischem Phänomen der Zirkulation. Die „Form des Tausches“ wird durch ihre vertragsrechtliche Stabilisierung in die „Allgemeinheit aufgenommen“ (S 302). Dabei ist für Hegel kennzeichnend, dass es ihm nicht um die Verselbständigung des Tauschzwecks durch Selbstverwertung des Tauschwerts geht. Er hebt die Mannigfaltigkeit der Objekte hervor, die getauscht werden, um die weitere juristische Abstraktionsform des Tausches zu erklären. Bei aller Selbständigkeit der „Form des Tausches“ hat dies eine „stoffliche Natur“ (S 302). Die ganze Tauschsphäre legitimiert sich Hegel erst dadurch, dass sie die oben genannten Besitzwidersprüche aufzuheben vermag, d. h. alle beteiligten Individuen ihre überflüssigen Arbeiten so austauschen können, dass an die Stelle des Tauschwerts „ein auf die Begierde bezogenes reell Bestimmtes“ (S 301) tritt. Nur insofern dies geschieht, sanktioniert Hegel die eigentümerische Negation des Besitzes als „gemäße“ (S 299). Der durch Anschauung und im Interesse der Konsumenten zur

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Geltung gebrachte Gebrauchswert-Standpunkt kontrolliert bei Hegel kritisch die begrifflich immer höher und leerer werdenden Abstraktionen der Rechts- und Tauschsphäre. Hegels Kontrolle erfolgt aber nicht vom Standpunkt der Produktion des Gebrauchwerts, sondern der gesellschaftlich gesicherten Konsumtion aller nötigen Gebrauchswerte. Unter diesen beiden Voraussetzungen, dass nämlich der Tausch nicht verselbständigte Form, sondern Form für die inhaltliche Befriedigung von Bedürfnissen ist und der Tausch bereits durch juristische Stabilisierung eine allgemein-gesellschaftliche Sphäre wurde, nennt Hegel den Tausch „Handel“. Der Handel war Steuarts Grundbegriff (s. o.), er gilt Smith als abgeleiteter Begriff. Dieser Handel indifferenziert die bisher durch Abstraktion aufgeworfenen Widersprüche. Er bewegt sie als ihre Lösungsform, aber noch „immer innerhalb der Einzelheit“ und damit auch der Abstraktion selbst (S 304), denn die Personen sind durch gesellschaftliche Abstraktion erzeugte Einzelheiten. Bisher wurde zwar nicht mehr Arbeit, Besitz und Genuß des natürlich Einzelnen betrachtet, sondern mechanische Arbeit, Eigentum und Tausch der gesellschaftlich vereinzelten Personen untereinander, aber auch noch nicht der Tausch als gesellschaftlich allgemeiner Tausch, d. h. als Handel. Das „Verhältnis des Tausches […] wird hier Totalität“ (S 303). Der Tauschvorgang und damit die ihm vorausgesetzte Eigentumsbildung und Arbeitsteilung werden nicht als partielles Faktum verstanden, sondern die Gesellschaft selbst als Totalität ist Handelsgesellschaft. Das Individuum wird jetzt, „unter dieser absoluten Abstraktion betrachtet, die Person“ (S 304) im eigentlichen, vollgültig armen Sinne, während sie vorher, in der Potenz der Arbeit und des Eigentums für andere, (noch nicht für das gesellschaftlich Allgemeine) auch noch als „Persönlichkeit“ (S 298) galt. Zuvor war zwar schon die Arbeit für den Tausch bestimmt worden, aber der Tausch noch kein allgemein gesellschaftlicher Tausch, d. h. für den einzelnen Tauschvorgang, dass er noch von empirisch-subjektiven Zufälligkeiten (S 301 f.) abhängig blieb. „Der Überfluß in die Indifferenz gesetzt, als Allgemeines, und Möglichkeit aller Bedürfnisse, ist das Geld; so wie die Arbeit, die auf Überfluß geht, und mechanisch einförmig zugleich auf die Möglichkeit des allgemeinen Tausches und des Erwerbs aller Notwendigkeiten geht“ (S 304). Hegel stellt hier wieder den Zusammenhang zur Anfangspotenz her. Die mechanische Arbeit ist Arbeit nicht nur für andere, sondern zum allgemeinen Tausch überhaupt. Der Tausch als gesellschaftlich allgemeiner wird überhaupt durch Geld realisiert. Das Geld ist „die Abstraktion“ der mechanischen Arbeit unter dem Aspekt, Arbeit fürs Allgemeine zu sein. „Wie das Geld das Allgemeine, die Abstraktion derselben ist, und sie alle vermittelt, so ist der Handel diese Vermittlung als Tätigkeit gesetzt, welcher Überfluß gegen Überfluß eintauscht“ (S 304). Hegel denkt mechanische Arbeit, Geld und Handel als Kategorien gleicher Ordnung zusammen gegenüber dem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis der „Herrschaft und Knechtschaft“, in dem „an kein Recht und keine notwendige Gleichheit zu denken“ (S 305) ist. Dies zeigt, dass Hegel keine Feudalgesellschaft mehr vorschwebt, in deren Poren von außen vorindustrielles Handelskapital auflösend eingreift, sondern eine Gesellschaft, in der bestimmend manufakturiell, d. h. für die Gesellschaft schlechthin, gearbeitet wird und in der bestimmend Produkte mechanischer Arbeit vermittels Handel ausgetauscht werden. Der Tätigkeitsansatz einschließlich des expliziten Vermittlungsgedankens im Arbeitsbegriff wird im Begriff der Handelstätigkeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene reproduziert. Hegel unterstellt die Verschiedenheit gesamtgesellschaftlicher und innermanufaktueller Teilung der Arbeit, wenn auch, wie Hegels Abfolge von mecha-

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nischer Arbeit bis zum Handel zeigt, begrifflich nicht expliziert. Was innermanufakturiell die geteilten Arbeiten wieder synthetisiert, die Kooperation, ist gesamtgesellschaftlich der Austausch der Arbeit in Warenform mittels Geld. Insofern ist Hegels Reproduktion des Tätigkeitsansatzes vom Arbeitsbegriff in dem Begriff vom Handel als dem gesellschaftlich allgemeinen Begriff richtig. Schalten wir vor der weiteren Verfolgung des Hegelschen Gedankenganges aber erst wieder vergleichend Smith in die Untersuchung ein. Smith wird das Problem, den arbeitswerttheoretischen Ansatz beim Übergang vom einfachen zum allgemeinen, d. h. kapitalistischen Warenaustausch durchzuhalten, deutlich, wenn er auf das Eigentum am „Produkt der Arbeit“ zu sprechen kommt. Dieser Terminus ist ebenfalls durch das Smithsche Werk im Deutschen geprägt worden.148 Hegels um das Arbeitsprodukt kreisende Darstellung ist der Smithsche Fokus. Smith nimmt eben diese Kategorie Kapitel um Kapitel in ähnlichen Sachzusammenhängen wieder auf. Um das Produkt der Arbeit geht es in der Welt des Tausches. Dort begegnen sich der Kapitaleigentümer und der Arbeiter, der „eine andere Person ist als der Kapitaleigentümer“, aber auch eine Person, wie ebenfalls der „arme selbständige Handwerker“, der, weil er für sich selbst arbeitet, fleißiger ist als der Arbeiter.149 Hinsichtlich der Einkommensquellen betrachtet erhalten Kapitaleigentümer Profit, Arbeiter Lohn und auch noch „Grundbesitzer“ einen Wertteil des Arbeitsprodukts, ihre Grund-Rente.150 All diese zivilisierten Tauschpartner begegnen aber – nicht wie bei Rousseau einem bon savage, sondern – bei Smith einem „Jäger“ aus „jenem frühen und rohen Zustand der Gesellschaft, der sowohl der Akkumulation von Kapital als auch der Aneignung des Bodens vorausgeht“. Damals gab es „weder einen Grundherrn noch einen Beschäftigten“ der Arbeiter. „Bei diesem Stand der Dinge gehört das gesamte Arbeitsprodukt dem Arbeiter“.151 Der Jäger verträgt sich am ehesten mit dem Handwerker, dagegen aber mit den anderen dreien gar nicht. Diese Begegnung wird derart problematisch, dass Marx später über sie anerkennend sagen wird: „Die Widersprüche A. Smiths haben das Bedeutende, daß sie Probleme enthalten, die er zwar nicht löst, aber dadurch ausspricht, daß er sich widerspricht“.152 Marx setzte David Ricardo fort, wenn er aus dem Doppelcharakter der Arbeit den Doppelcharakter des Wertes erklärte. So ließ sich der Doppelcharakter der Arbeit, d. h. die Differenz zwischen der konkreten und der abstrakten Arbeit, als die Substanz für den Gebrauchswert und den Wert der Waren bestimmen. Aber Marx führte einen klaren Unterschied zwischen der Arbeit und der Ware der Arbeitskraft ein. Ihr Gebrauswert bestehe darin, durch lebendige Arbeit Wert zu schöpfen.153 Laut Marx musste der konsequente arbeitswerttheoretische Versuch in seiner Durchführung für kapitalistische Bedingungen Adam Smith „förmlich irre“ machen, da er den Unterschied zwischen der Arbeit (als Substanz) und der besonderen Ware Arbeiskraft noch nicht erkannt hatte.154 Wenn der eine Jäger einen Biber gegen zwei Hirsche des anderen Jägers auf der „einzigen Grund148 149 150 151 152 153 154

E. Erämetsä, a. a. O., S. 40 f. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 86 u. 110. Ebd., S. 65 u. 70. Ebd., S. 84 u. 62 f. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 121. Siehe K. Marx, Das Kapital. Erster Bd. In: MEW Bd. 23, S. 181, 217, 229. Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil. In: MEW Bd. 26.1, S. 59.

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lage“ der „zur Erlangung der verschiedenen Gegenstände erforderlichen Arbeitsmengen“ austauscht, oder ein noch selbst arbeitender „einfacher Pächter“ und die selbständigen Handwerker155 tauschen, gilt laut Smith, dass für seine Arbeitswerttheorie noch alles im Lot sei. „In einem zivilisierten Land“ aber sind vom Standpunkt des Tausches „Lohn, Profit und Rente, […] die drei ursprünglichen Quellen allen Einkommens ebenso wie allen Tauschwerts“.156 Auch Smith vermag nicht, unter kapitalistischen Bedingungen den Wert als Tauschwert allein auf Arbeit zurückzuführen.157 Zwischen Arbeit und Tauschwert steht, wie oben bei Hegel, das Eigentumsproblem. Profit und Rente lassen sich nicht auf Arbeit zurückführen, denn die Grundbesitzer, diese „Müßiggänger“, lieben es auf der Grundlage ihres Privateigentums an Boden „zu ernten, wo sie nicht gesät haben“,158 und der Kapitaleigentümer ist im entwickeltsten Stadium „fast von jeder Arbeit entbunden“, so dass sein Profit keinesfalls „Lohn einer besonderen Arbeitsart, nämlich des Beaufsichtigens und Leitens ist“, sondern „ganz und gar“ im Verhältnis zum angelegten Kapital steht.159 Smith fühlt den „Riß“, dass das Wertgesetz nach seinem Denkmodell faktisch nicht mehr gilt, da „mehr Arbeit gegen weniger Arbeit (vom Standpunkt des Arbeiters), weniger Arbeit gegen mehr Arbeit (vom Standpunkt des Kapitalisten) ausgetauscht wird“.160 Andererseits beharrt Smith auf seiner vor diesen Kollisionen entwickelten Bestimmung, dass „Arbeit […] das einzig universelle als auch einzig genaue Maß des Wertes“ darstellt. In diesem vorangegangenen Kapitel waren noch nicht die spezifisch zivilisierten Personen erschienen, sondern entwickelte Smith seine Arbeitswerttheorie anhand des „Arbeiters“, der halt, infolge von Arbeitsteilung, auch tauscht. Dort stand der Begründung des Werts durch Arbeit nur der monetaristische Geldfetisch entgegen, dessen Smith mit dem Modell des arbeitenden und tauschenden Fleischers, Bäckers oder Brauers noch habhaft wurde. Außer entwickelterer Arbeitsteilung und „Dazwischentreten“161 des Geldes im Austausch unterscheiden sich bei Smith die kleinen Warenproduzenten nicht von den oben genannten Jägern. Als reale Begründung für die Arbeitswerttheorie springen kleine Warenproduzenten ein. Aber das Problem, Werte auf Arbeit zurückzuführen, entsprang dem praktischen Bedürfnis, ein relativ fixes Schwankungszentrum der Preise des kapitalistischen Marktes ausfindig zu machen, zu dessen theoretischer Lösung Smith die Zirkulationsvorgänge auf die Produktionssphäre zurückführte.162 Intendiert, wenn auch nicht begrifflich realisiert, ist die Gültigkeit der Arbeitswerttheorie auch für kapitalistische Produktion. „Arbeit ist nicht nur das Maß für den Teil des Preises, der sich in Arbeit auflöst, sondern auch für denjenigen, der sich in Rente und Profit auflöst.“163 Dies würde jedoch seiner Begründung nach voraussetzen, erstere „Arbeit“ als, dem Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft folgend Mehrarbeit zu erkennen, zweite „Arbeit“ als Wert der Ware 155 156 157 158 159 160 161 162 163

A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 62 u. 69. Ebd., S. 70 u. 68. Vgl. K. Marx, Das Kapital. Zweiter Teil. In: MEW Bd. 24, S. 372 u. 274. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 70 u. 65. Ebd., S. 63 f. Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil. In: MEW Bd. 26.1, S. 59. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 48 u. 42. Vgl. ebd., S. 75. Vgl. R. L. Meek, a. a. O., S. 267 f. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 65.

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Arbeitskraft. Dieses Rätsel löst Smith nicht, der vom „Unterhalt des Arbeiters oder dem realen Preis der Arbeit“ spricht, so beide miteinander identifizierend, wie dies besonders deutlich in dem ökonomisch konfusen Ausdruck „Wert der Arbeit“164 (statt Wert der Ware Arbeitskraft) hervortritt. Immerhin kann Smith durch seine Aufrechterhaltung des arbeitswerttheoretischen Ansatzes Rente und Profit als „Abzug vom Produkt […] der Arbeit“ bestimmen, und sieht Smith, dass jeder Unternehmer mit den Arbeitern „das Produkt ihrer Arbeit“ teilt.165 So entwickelt Smith „der Sache nach, aber nicht ausdrücklich in der Form einer bestimmten, von ihren besonderen Formen unterschiedenen Kategorie den Mehrwert“.166 Der Smithsche Jäger bohrt tief, bricht aber plötzlich ab. Durch ihn als Kontrastmittel problematisiert Smith die privatkapitalitische Bewegungsform der Produktivkraftentwicklung durch Arbeitsteilung. „Hätte dieser Zustand fortgedauert, würde der Lohn der Arbeit mit all der Vermehrung ihrer Produktivkräfte, die aus der Arbeitsteilung hervorgeht, gestiegen sein. Alle Dinge wären nach und nach wohlfeiler geworden. Sie wären durch eine geringere Menge Arbeit erzeugt worden“. Aber „dieser ursprüngliche Zustand“ ging „zu Ende, lange bevor die größten Fortschritte in der Vervollkommnung der Produktivkräfte der Arbeit erzielt wurden“. Der Zustand der Jäger schließt die moderne Entwicklung aus, ohne dass Smith positiv die privatkapitalistische Formierung der manufakturiellen Kooperation wirklich nachweisen kann. Wir begegnen dem politischen Apriori: Es „wäre nutzlos, weiter zu untersuchen, welchen Einfluß er (der Jäger-Zustand: H.-P. K.) auf die Vergütung oder den Lohn der Arbeit hätte haben können“, ohne Großeigentumsbildung und damit ohne Rente und Profit.167 Dies wäre tatsächlich insofern nutzlos, da der Smithsche Jäger sich nicht wirklich alternativ der Warenproduktion entgegenstellt, d. h. als Angehöriger eines stämmischen Gemeineigentums, sondern die verursprünglichte Produktion eines kleinen, noch geldlos austauschenden, über sein ganzes Arbeitsprodukt verfügenden Warenproduzenten ist. Dies ist auch der Unterscheidungspunkt zu Hegels Naturwesen, das nicht von vornherein, sondern erst im Nachhinein der Darstellungsfolge als notwendig Austauschender gedacht wird. Ferguson verstand den fiktiven Charakter der Konstruktion von ursprünglichen Naturzuständen aus dem Bedürfnis, aktuelle Probleme zurückprojizieren zu müssen. „Wenn wir daher gefragt werden, wo der Naturzustand zu finden ist, so können wir antworten: hier ist er […] und was immer der ursprüngliche Zustand unserer Gattung gewesen sein mag, es ist weitaus wichtiger, den Zustand zu kennen, nach dem wir selbst streben sollten, als denjenigen, den unsere Vorfahren angeblich verlassen haben“.168 Smith vermeidet, das Jäger-Verhalten „natürlich“ zu nennen, insofern es nicht den von Smith als „Neigung der menschlichen Natur“ unterstellten Austausch beinhaltet. Hingegen setzt der Kapitaleigentümer „natürlicherweise fleißige Leute an die Arbeit […], um durch den Verkauf der Produkte der Arbeit […] einen Profit zu machen“.169 Hegels Naturwesen verrät, insoweit 164 165 166 167 168 169

Ebd., S. 47 u. 43. Ebd., S. 85 f. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 60. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 84 f. A. Ferguson, a. a. O., S. 102, 10 u. 13 nacheinander zitiert. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 20 u. 63.

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es auch, wie der Smithsche Jäger, als das die Personen problematisierende Kontrastmittel verwandt wird seine Herkunft aus jener Tradition, welche Ferguson kritisiert,170 der Rousseauschen. Zugleich hebt Hegel an diesem Naturindividuum, wie oben gezeigt, auch manufakturbürgerliche Charakteristika hervor, die er nicht weniger als „natürlich“ bewertet, beide Bewertungstraditionen dessen, was natürlich sei, so vereinigend und gegeneinander problematisierend, letztere als gesellschaftlich produzierte, daher nicht mehr unentwickelte Natur verstanden. Hegel kann ebenso wenig wie Smith die Arbeitsteilungen auf den beiden oben erwähnten entgegen gesetzten Abstraktionsebenen begrifflich auseinanderhalten, unterstellt aber die gleichen wie Smith. Weshalb entstehen nicht bei der werkzeugvermittelten Handwerksarbeit, sondern Maschinenarbeit die Eigentumsprobleme, und weshalb wird die gesamtgesellschaftliche Arbeit nicht unmittelbar als eine kooperative Arbeit verausgabt, wie die manufakturielle Gesamtarbeit? Smith und Hegel vermögen nicht, diese Fragen nach der konkret-historisch manufakturiellen Arbeitsform im Unterschied zu anderen Arbeitsformen zu stellen. Hegel nähert sich, Smith folgend, dem Problem des Umschlags der Eigentumsgesetze beim Übergang vom Modell kleiner zu dem allgemeiner Warenproduktion anhand der Kategorie „Produkt der Arbeit“. Dies geschieht bei beiden, um den Ansatz, aus der Arbeitstätigkeit zu begreifen, für die Sphäre des kapitalistischen Tausches durchzuhalten, was Smith auf eine nur esoterische und sich selbst widersprechende Weise ökonomisch gelingt und Hegel auf eine die Arbeits- und Eigentumsbestimmungen nur philosophisch parallelisierende, ebenfalls esoterische und sich selbst widersprechende Weise unternimmt. Hegels Esoterik besteht in seinen logischen Ordnungsebenen, die er inhaltlich nicht zu verbinden weiß. Bei beiden drehen sich alle Problematisierungen um das „Produkt der Arbeit“. Smith aber verwendet in diesem Zusammenhang auch einen Begriff des Eigentums an Produktionsmitteln und dringt der Sache nach zum Mehrwert vor. Er scheitert erst am Doppelcharakter der Ware Arbeitskraft. Hegel scheitert schon am Eigentumsbegriff, der im Gegensatz zu seinem von Smith rezipierten Arbeitsbegriff steht. Hier setzt die entscheidende Wende Hegels gegenüber Smith ein. Hegel verlagert die kritischen Bewertungen auf die Ebene philosophischer Abwertung von Abstraktionen spezifisch-kapitalistischen Ursprungs. Dabei darf, um Hegels Verhältnis zu Smith nicht unhistorisch einzuschätzen, nicht vergessen werden, dass die oben genannten Bewertungen der esoterischen Leistungen von Smith erst dem reifen, noch nicht einmal jungen Marx gelingen, und dass auch dem ahistorischen Ricardo „die spezifische Entwicklung, die das Gesetz der Werte mit der Kapitalbildung annimmt“, kein Problem wird.171 Smith und Hegel meinen mehr, als sie begrifflich realisieren können. Sie versuchen, manufakturkapitalistische Phänomene zu erfassen, (wie im Falle Hegels außer seines manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffes noch weiter deutlich werden wird) mit einem Begriffsmodell, welches für die kleine Warenproduktion funktioniert, vor allgemeiner Warenproduktion aber scheitert. Beide fühlen dies in ihrer genannten ökonomischen und philosophischen Reaktion. Beide halten aber am Arbeitsansatz in großer theoretischer, d. h. antivulgärer Weise fest. Beide benutzen, auf verschieden idealisierte und tradierte Weise, die kleinbürgerliche Identität von 170 171

A. Ferguson, a. a. O., S. 7. K. Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil, a. a. O., S. 59.

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Arbeits- und Eigentumssubjekt, um die gemeinten manufakturkapitalistischen Phänomene kritisch zu bewerten, wie beide zugleich ihre Kritik, weil von einem zu unentwickelten Standpunkt, abbrechen im Namen der gesellschaftlichen Entwicklung, des gesellschaftlichen Fortschritts, der „Erleichterung“ und des „Überflusses“ durch Maschinenarbeit. Die Hervorhebung der „positiven Seite der Arbeit“172 hält der reife Marx im Unterschied zum jungen Marx, wie wir in seiner Smith-Einschätzung sahen, unter dem historischen Gesichtspunkt der Manufakturperiode für progressiv. Diesbezügliche Äußerungen des jungen Marx, die die Entstehung seines philosophischen Aufgabenbewusstseins nach der industriellen Revolution und vom proletarischen Standpunkt aus dokumentieren, können nicht als historisch adäquate Einschätzungen der Hegelschen Philosophie ausgegeben werden.173 Die Betonung des Produktivitätsfortschrittes, der in der Tat in der manufakturiellen Teilung und Kooperation der Arbeit als der ersten gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit liegt, führt bei Smith zu der auch spezifisch manufakturbürgerlichen Annahme einer „allgemeinen Prosperität“, in die die arbeitende Klasse einbezogen sei.174 Das Manufakturkapital revolutioniert die tradierten Produktionsweisen und subsumiert, im Gegensatz zum Handelskapital, die tradierte Gebrauchswertproduktion nicht äußerlich unter die kapitalistische Exploitationsweise. Es profiliert den Markt den Gebrauchswerten nach neu und zielt auf eine alle Gesellschaftsmitglieder erfassende Konsumtion von wohlfeileren und quantitativ mehr Waren. Das Maß manufakturbürgerlicher Illusion über die Potenzen der Arbeitsteilung und deren Vermittlung im Handel inkarniert in Smith’ Bestimmung: „Jeder lebt also vom Austausch oder wird im gewissen Maße zum Kaufmann, und die Gesellschaft entwickelt sich im eigentlichen Sinne des Wortes zu einer handeltreibenden Gesellschaft“.175 Der durch den Arbeitsbegriff fundamentierte und explizit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bestimmende Handelsbegriff bei Hegel trifft diesen Smithschen Sinn von manufakturiell begründeter Handelsgesellschaft, der bei Steuart oder Ferguson noch nicht gegeben ist. Die positive Seite der Arbeit hervorzuheben ist angesichts der verkrüppelnden Arbeitsteilung und der sich abzeichnenden maschinellen Arbeit zwiespältig, „Bei den niederen Beschäftigungsarten besteht die Freude an der Arbeit ganz und gar aus ihrer Entlohnung“,176 Konsum außerhalb der Arbeitssphäre soll die Destruktion der Persönlichkeit innerhalb der Arbeitssphäre kompensieren, eine typisch bürgerliche Art der ersatzweisen gesellschaftlichen Anbindung der Individuen. Der Produktivitätsfortschritt wird, in Anbetracht seiner widersprüchlichen Natur, vertretbarer, wenn die Gesellschaft 172 173

174 175 176

K. Marx, Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsbd. Erster Teil, S. 574. Um die klassische bürgerliche politische Ökonomie auch historisch richtig zu bewerten, war die Entwicklung der eigenen Kritik der politischen Ökonomie bei Marx die wichtigste Voraussetzung. Leider ist, was den Politökonomen als Selbstverständlichkeit galt, nämlich die Aussagen des jungen Marx kritisch vom Standpunkt der des reifen Marx zu betrachten, bei den Philosophiehistorikern noch nicht verbreitet. Vgl. zum Verhältnis von Marx zur klassischen Ökonomie als Reifekriterium seiner eigenen Ökonomie W. S. Wygodski, Wie „Das Kapital“ entstand, S. 18 ff. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 107, Bd. 2, S. 285. Ebd., S. 31, Vgl, S. 24. Ebd., S. 160.

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als solche eines „allgemeinen Wohlstands“ vorgestellt werden kann. Dass „ein allgemeiner Überfluß […] sich von selbst auf alle Klassen der Gesellschaft“177 ausbreitet, ist eine manufakturbürgerliche Illusion, die aber erst durch den Lohnfall und die Arbeitszeitverlängerungen, die Frauen- und Kinderarbeit aufgrund der industriellen Revolution als solche enthüllt werden wird. In der Manufakturperiode herrscht historisch noch ein Mangel an Manufakturarbeitern, die daher relativ hohe Löhne erhalten.178 Hegel nimmt die Smithsche Argumentation zum Überfluss auf: Die „Ungewißheit, ob der Überfluß für andere notwendig sei, hebt sich völlig auf“ (S 337). Smith räumt ein, dass der einzelne Kaufmann bankrottgehen kann, aber auf allgemein gesellschaftlicher Ebene indifferenziere der Kaufmannsstand die Überschüsse aus der arbeitsteiligen Produktion.179 Dies setzt einen Produktion und Konsumtion in gebrauchswertmäßiger Hinsicht vermittelnden Handel voraus, statt der Selbstzwecksetzung des Verwertungsmotivs des Handelskapitals zu folgen. Smith schreibt: „Der einzige Zweck des Geldes besteht darin, konsumierbare Waren zu zirkulieren“.180 Anstelle einer Fetischisierung des Geldes betrachtet es Smith „wie alle anderen Arbeitsgeräte“.181 Das Geld ist „Werkzeug: des Handels“ und „nur zum Kaufen wertvoll“.182 „Die großen Ökonomen wie Smith, Ricardo“, schreibt Marx, betrachten das „Zirkulationskapital (Geld- und Warenkapital) tatsächlich nur, soweit es selbst eine Phase im Reproduktionsprozeß“ des produktiven Kapitals ist, wodurch gegenüber dem Merkantilsystem, welches die verselbständigte Bewegung des Handelskapitals zum Ausdruck bringt, erst die „wirkliche Wissenschaft der modernen Ökonomie“ beginnen könne.183 Hegel folgt, wie wir oben sahen, dieser Smithschen Argumentationsrichtung, die objektiv der Integration der vor-manufakturiell verselbständigten Handelssphäre in den manufakturkapitalistischen Reproduktionsprozess Ausdruck verleiht, indem sie den Mittelgedanken aus dem Begriff der Arbeit nach ihrer konkreten Seite betrachtet auf die Handelssphäre anwendet. Diese Transformation des Mittelgedankens aber impliziert bei Smith die Abstraktion davon, dass das Mittel Arbeitsmittel ist, da sonst Zirkulationstätigkeit als wertbildend erscheinen würde. Letzterem entgeht Smith durch seine Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit, die Hegel jedoch bezeichnenderweise nicht übernimmt. Darauf ist noch zurückzukommen. Im Rahmen der „Doppelfunktion des Geldes“ bei Smith gilt, wie zuvor unter dem Aspekt der konkreten Arbeit Geld als Werkzeug des Handels und der Handel als Vermittlungsmoment der Reproduktion angesehen wurde, nun nach der Seite der abstrakten Arbeit Geld als „Wertmaß“.184 Obgleich Hegel nicht terminologisch zwischen „Gebrauchswert“ und „Wert“ unterscheidet, so differenziert er doch der Sache nach zwischen beiden Werten durch die Angabe der jeweiligen erkenntnistheoretischen Verfahrensweise und des Bedürfnisbezuges oder der Ausweisung des jeweiligen Problems als eines intersubjektiven Problems. Im Sinne der 177 178 179 180 181 182 183 184

Ebd., S. 17, Vgl, S. 6. Ebd. Vgl, S. 117, Vgl. R. L. Meek, a. a. O., S. 66. Siehe A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 195. Ebd., S. 84. Ebd., S. 23. Ebd., S. 194. K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 336 u. 349. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 2, S. 184.

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zweiten Funktion des Geldes entspricht Hegels Unterscheidung zwischen idealem und empirischem Wertmaß der Smithschen zwischen realem Maß des Tauschwerts in Arbeit und nominellem Maß in Geld.185 Hegels Verständnis des Werts aus Arbeit gilt aber bisher nur indirekt, denn zwischen Arbeit und Wert ist nicht nur, wie bei Smith auch, das Eigentumsproblem geschaltet, sondern das Eigentumsproblem als Problem von Recht. Der Wert wird direkt aus der Rechtsgleichheit begriffen. Hegel definiert den Wert der Sache nach als Gebrauchswert und den Wert als die Frage nach dem „Recht“ (S 300), weshalb Hegel den Wert als Wert aus Recht „ideal“ bestimmt, nicht wie bei Smith der Wert aus Arbeit „real“ bestimmt wird. Hegels Wertbegriff aus dem Recht schließt zwar eine Verdinglichung des Werts aus, zugleich aber eine Primatsverkehrung zwischen ökonomischem und juristischem Wert ein. Smith schreibt gegen Hobbes, zunächst um die Eigengesetzlichkeit der ökonomischen Phänomene zu erfassen und die frühbürgerliche Identifikation von ökonomischer und politischer Macht unter politischem Primat aufzulösen. „Reichtum ist Macht, sagt Hobbes. Aber jemand, der ein großes Vermögen erwirbt […], erwirbt […] nicht notwendigerweise politische Macht ziviler oder militärischer Natur […] unmittelbar und direkt verschafft ihm dieser Besitz nur eine Macht, nämlich Kaufkraft – eine bestimmte Verfügungsgewalt über all die Arbeit oder Produkte der Arbeit, die sich gerade auf dem Markt befinden“.186 Smith akzeptiert zwar für die frühkapitalistische Entwicklung den juristischen Schutz der Markterweiterungen einschließlich Monopolisierungen und die staatlichen Eingriffe gegen die Methoden des verselbständigten Handels- und Wucherkapitals, u. a. mit Berufung auf das römische, der Entwicklung von Warenproduktion förderliche Recht.187 Für seine Gegenwart aber stellt er gerade die verderblichen Folgen und Ungleichheiten „der in Europa betriebenen Politik“188 dar. Er polemisiert auf das schärfste gegen die konstitutive Bedeutung von Recht für die sich eigengesetzlich auf ökonomische Weise regulierende bürgerliche Gesellschaft. In dieser Hinsicht besteht eine schier unüberbrückbare Kluft zwischen Smith und Hegel, in dessen Darstellung Steuarts historische Entwicklung nachwirkt. Und hatte nicht Smith selbst vom exoterischen, „in der Breite bei ihm“ vorwiegenden Standpunkt seine Arbeitswerttheorie für die Gegenwart „durchkreuzt“189? Smith stellt sich regelmäßig, wenn er die Seite der abstrakten Arbeit mal wieder nicht durchzuhalten vermag, „einseitig auf den Standpunkt der bloß nützlichen Arbeit“. Auch Hegel begründet in ökonomischer Hinsicht primär gebrauchswertmäßig, nicht wertmäßig. Hegel hält aber im Unterschied zu Smith stringent die Betrachtungsebenen des Verhältnisses zur Natur oder der gesellschaftlichen Verhältnisse auseinander, letztere aber um den Preis ihrer Juristifizierung. Dennoch erfasst Hegel philosophisch den esoterischen Sinn der Smithschen Arbeitswerttheorie, wie wir noch sehen werden. Gesamtkonzeptionell ist auffallend, dass Hegel die Smithsche Spezifizierung des Menschen gegenüber dem Tier in Hinsicht auf das materielle Verhalten von Mensch und 185 186 187 188 189

Ebd., Bd. 1, S. 40 ff. Ebd., S. 41. Vgl. Ebd., Bd. 2, S. 45 ff., Bd. 1, S. 160. Ebd., Bd. 1, S. 155 ff. K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 24, S. 377.

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Tier übernimmt. Die „wahrhaften Potenzen der praktischen Intelligenz“ bestehen nicht in denen des natürlich Einzelnen, sondern fangen erst jetzt, in denen der Arbeitsteilung und des Tausches an (S 300). Smith schreibt: „Jedes Tier ist nach wie vor gezwungen, sich einzeln und unabhängig von anderen zu ernähren und zu verteidigen. Ihm erwächst keinerlei Vorteil aus der Vielzahl von Fähigkeiten, womit die Natur seine Artgenossen ausgestattet hat“.190 Arbeitsteilung, in deren manufakturieller Form die besondere Bedeutung des Arbeitsmittels gegenüber Arbeitsobjekt und -subjekt entwickelt ist, und die aus der Teilung der Arbeit systematisch folgende Notwendigkeit des Tausches bestimmen die differentia spezifica der menschlichen Gattung überhaupt. Die spezifisch-kapitalistische Produktionsweise, wie sie historisch und logisch im Manufakturstadium anhebt, erlaubt die Bildung dieser verständigen Abstraktionen, die Hegel anerkennt, wenn er sie philosophisch-systematisch auch wieder relativiert, weil sie von Arbeit und Bedürfnissen nur innerhalb der Sphäre von Arbeit und Bedürfnis emanzipieren (S 300).191 Kehren wir zum Hegelschen Text zurück. Hegels Darstellung des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft ist vielschichtig. Sie sucht das feudale „Verhältnis der Persönlichkeit, der Abhängigkeit des andern vom andern“ (S 306) zu erfassen im Gegensatz zum formellen bürgerlichen Recht, welches „das Leben wie ein Ding, als etwas Besonderes“ (S 300), wie eine „Sache“ (S 308 f.) behandelt. Hier stößt Hegel auf das Problem des Überganges von persönlichen zu sachlichen Abhängigkeitsverhä1tnissen innerhalb der Übergangsperiode. Hegel verhält sich auch in dieser Frage wie überhaupt bei der Charakterisierung der von ihm angenommenen Übergangsperiode. Die Vorgeschichte der Übergangsperiode, hier das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft, wird vom Standpunkt des Resultats der Übergangsperiode abgewertet. Allgemein-gesellschaftlicher Rang wird diesem Verhältnis abgesprochen. Die Darstellung der gesellschaftlichen Totalität als natürlicher ist nach Arbeit und Eigentum in der Handelstätigkeit zum Abschluss gekommen. Es geht jetzt rückwirkend um die „Anschauung dieser Totalität, jedoch derselben als Einzelheit“, wieder am Individuum (S 303 f.). Zum anderen stemmt sich Hegel gegen die Fixierung des Resultats der Übergangsperiode, d. h. hier die absolute Versachlichung, ohne die persönliche Abhängigkeit rührend-sentimental zu verklären. Hegel geht es um die, wenn auch nur eingeschränkt gültige, Rettung des persönlichen Charakters sozialer Verhaltensweisen in der Familie. Das Naturindividuum muss sich zwar der arbeitsteiligen und handeltreibenden Gesellschaft anpassen, seine Natürlichkeit aber soll in der Familie ein gewisses Maß an Erfüllung dennoch finden. Sichtbarster Ausdruck der absoluten Versachlichung war für Hegel die Reduktion des Familienverhältnisses „auf ein reines Geldverhältnis“, wie Marx und Engels die bürgerliche Familie im „Manifest“ beschreiben. Hegel betont: „aber sich als absolute Sache […] setzen, ist die höchste Vernunftwidrigkeit und Infamie“ (S 308 f.). Hegel besteht in seiner Konzeption der Bewegung des Überganges in sich, d. h. des Überganges ohne 190 191

A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 24, Vgl. Bd. 2, S. 3. Smith glaubt keinesfalls auf vulgäre Art, daß Arbeitsteilung und Austausch etwa denk- und sprachlose Individuen unterstellen, damit die Gattungsmerkmale materialistisch bestimmt erscheinen, sondern daß „Denk- und Sprachvermögen notwendigerweise“ vielleicht sogar eine ursächliche Rolle spielen (Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 20). Dies harmoniert mit Hegels vorangegangener Darstellung der Rede-Potenz und den später erfolgenden Rekonstruktionen des Verstandes als Denkvermögen der Arbeits- und Tauschpotenzen.

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Rückfall und Zukunft, darauf, dass das Familienverhältnis als die Organisationsform der natürlichen Reproduktion im Gegensatz zur privateigentümerischen Organisationsform der Arbeitstätigkeit wenigstens in sich ein „persönliches“ Verhältnis ist, „wie überhaupt an sich kein Kontrakt über persönliche Dienste möglich ist, da das Produkt allein, nicht das Persönliche in den Besitz des andern übergehen kann“ (S 308). Die versachlichende Organisationsform der Arbeitstätigkeit durch rechtlich fixiertes Privateigentum darf nicht auf die Organisation des anderen Typs von materieller Tätigkeit, die Kinderproduktion übergreifen. Innerhalb der Familie sind „Überfluß, Arbeit, Eigentum, absolut gemeinschaftlich […] Der Übergang ist kein Tausch, sondern es ist unmittelbar, an und für sich selbst gemeinschaftlich“ (S 307). Hegel kennt, ebenso wie Smith, keine sozialökonomisch progressive Alternative zur kapitalistischen Warenproduktion, formuliert aber die natürliche Reproduktionsweise als negative Potenz gegenüber der sozialökonomischen Produktionsweise innerhalb materieller Gesellschaftlichkeit. Zugleich weiß Hegel, dass vom Standpunkt dessen, was auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine synthetische, die Individuen real vereinigende Funktion ausüben kann, die negative Potenz der Familie gegenüber der Arbeits-, Eigentums- und Handelsgesellschaft zweitrangig ist. Andererseits hebt Hegel die „Familie“ auch von dem Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft ab. Es ist schon die bürgerliche Familie, da sie sich nach außen als „Abstraktion des Lebens“ verhält. Die Verhaltensweisen innerhalb der Familie sind zwar persönlich, nicht sachlich, also wie in den feudalen Verhältnissen, aber der Herrschaftscharakter der feudalen Verhältnisse gilt in der Familie nur als das „Äußere und Erscheinende“. „Der Mann ist der Herr und Verwalter (nicht Herrscher!, H.-P. K.); nicht Eigentümer im Gegensatz gegen die anderen Mitglieder der Familie“ (S 307). Aus dem unmittelbaren Charakter der Kinderproduktion ergibt sich bei Hegel die Notwendigkeit einer unmittelbar gemeinschaftlichen Organisationsform der natürlichen Reproduktion im Gegensatz zum abstrakten und vermittelten Charakter der Arbeitstätigkeit, die der abstrakten (rechtlichen) und vermittelnden (im Handel) Organisationsform bedarf. Die „Bestimmtheit der Persönlichkeit“ ist die, „nach dem Besitz eins“ zu sein (S 307 f.). Die Bestimmtheit der Person ist die, nach dem Besitz getrennt zu sein. Hier finden Hegels Frankfurter Überlegungen (im Zusammenhang mit Hölderlins Liebesprinzip) zum Gemeinschaftsgeist aus gemeinschaftlicher Tätigkeit Eingang, ja durch einen materialistischen Tätigkeitsansatz ihre materielle Verankerung in der natürlichen Reproduktionsweise zur Zeit Hegels. Hegels doppelte Abhebung der Kinderproduktion in Familienform von feudalen wie von bürgerlichen Verhältnissen folgt einem heroischen Impetus, der spezifisch für diese Übergangsgesellschaft ist, in der sich die natürliche Reproduktionsweise von der Subsumtion unter die alte sozial-ökonomische Produktionsweise emanzipiert, ohne schon der reellen Subsumtion unter die neue kapitalistische Produktionsweise zu unterliegen. Letztere Unterordnung folgt Kulturtechniken, die Foucault in seinem Dispositiv der Sexualität herausgearbeitet hat192 und die seit den 1960er Jahren zu großindustriell massenhaften Verhütungstechniken führt. Mit der Herauslösung der Sexualität aus der natürlichen Reproduktionsweise und ihren kulturellen Mythen expandierten auch hier die Vermittlungen. 192

Siehe Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M. 1983.

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Die mit der Französischen Revolution in Zusammenhang stehende demographische Revolution und Denaturalisierung der Geschlechtsbeziehungen nimmt Hegel nur insofern zur Kenntnis, als er die Familienverhältnisse von feudaler Organisation in sich und nach außen hin frei vorstellt und sie um das Kind zentriert, das als die qualitativ selbständige Mitte der Eltern nichts mit dem mittelalterlichen Kindesverständnis zu tun hat, nach welchem das Kind nur als kleiner Erwachsener galt.193 Hegel unterstellt wie selbstverständlich nicht nur Rousseau, auch den Bewusstseinswandel im „Sturm und Drang“, Schillers „Kabale und ‚Liebe“. Es ist immer wieder beeindruckend, nachvollziehen zu können, dass Hegel in heroischer Beharrlichkeit keine Potenz von Negativität gegen Anfangs- und Endpunkt des Überganges, selbst innerhalb der materiellen Tätigkeiten, ausspart, wie wir bald auch noch hinsichtlich der Kriegstätigkeit sehen werden. Zugleich macht sich Hegel keine Illusionen darüber, dass die Emanzipation der natürlichen Reproduktion von sozialökonomischen Formprinzipien zu einer umgekehrten Subsumtion, einer, „modern“ gesagt, gesellschaftlichen, weil sexuellen Revolution führen könnte. Hegels frühe historische Erfahrung, dass die Organisationsform kleiner Gesellschaften nicht auf die große bürgerliche, arbeitsteilige Gesellschaft übertragbar ist, wird jetzt durch die Überordnung der vermittelten Arbeit über unmittelbare Liebe und die Ableitungsreihe Arbeitsteilung-Eigentumsrecht-Handel als der gesellschaftlich allgemeinen, nicht nur familiären Ebene begründet. Nicht also das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis nur als solches interessiert Hegel in negativer Hinsicht, sondern der persönliche statt sachliche Charakter dieses Verhältnisses. Zum anderen denkt Hegel rationell den Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft einerseits und der Sphäre bürgerlicher Eigentumsrechte andererseits innerhalb des Überganges. Hegel stellt fest, dass die fortschreitenden, bis zum vertragsrechtlich gesicherten Handel heraufpotenzierten Abstraktionen doch Abstraktionen vom Leben der Individuen beinhalten, wodurch das eigentlich lebendige Individuum als Person nur formell anerkannt wird (S 304). Abstrahiert man vom realen Leben aber nicht, so stehen sich lebendige Individuen mit „ungleicher Macht des Lebens“ (S 305) gegenüber. Hegel leitet aus dem Widerspruch zwischen dem realen Leben der Individuen und den Individuen als Person das Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft her, welches nicht mit dem Verhältnis von Reichtum und Armut verwechselt werden darf. Letzteres entspringt dem spezifisch bourgeoisen System der Arbeit, des Eigentums und der Bedürfnisse, ersteres hingegen bezeichnet nicht das ökonomische Resultat, sondern den ökonomischen Ausgangspunkt des Überganges. In der Entwicklung vom einen zum anderen, von persönlicher Herrschaft zu sachlicher Reichtumsherrschaft, besteht zwar die Kontinuität innerhalb des Überganges, aber in demselben sind beide Verhältnisse einander entgegengesetzt. Es wäre völlig falsch, Hegels Darstellung des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft auch nur tendenziell ein Motiv zu unterstellen, das mit dem vierten Stand sympathisierte. Hinter der Reproduktion des Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisses innerhalb des Überganges steht rationell das Problem, dass der Subsumtionscharakter der handels- und manufakturkapitalistischen Produktionsverhältnisse in der Tat noch formell ist, d. h. 193

Vgl. zur Französischen und demographischen Revolution W. Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte, S. 199 f. Vgl. zum mittelalterlichen Verständnis von Familie und Kind A. I. Gurjewitsch, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, S. 344 f.

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nicht aufgrund eines rein ökonomischen Mechanismus die Selbstentwicklung der kapitalistischen Verhältnisse gegen die feudale Produktionsweise reell gesichert ist. Die reelle Subsumtion unter das Kapitalverhältnis setzt die allgemeine Verbreitung der Resultate der industriellen Revolution voraus. Hegels Totalitätsauffassung ist nie die über die reife Totalität industriekapitalistischer Verhältnisse, sondern die vom heroischen Standpunkt aus als Totalität verstandene Übergangsgesellschaft. Hegels Betonung des formellen Charakters der privateigentümerischen Rechtsverhältnisse im Gegensatz zum realen Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft erweist die Notwendigkeit einer neuen Reihe von Potenzen der absoluten Sittlichkeit (S 323 f.), insbesondere der „Staatsverfassung“ (S 327), durch die die Totalität der Übergangsgesellschaft reell von den Formen der Herrschaft und Knechtschaft gereinigt werden kann. So erfolgt eine Rückkehr zum „Gehorsam“ gegen zwar Persönliches, aber nicht persönlich „Einzelnes und Besonderes“ (S 306). Den Rückfall in ein ökonomisches Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft, in welchem der persönliche „Herr […] im Besitz eines Überflusses des physisch Notwendigen überhaupt (ist), und der andere im Mangel desselben“, zu verhindern, erfordert die Reproduktion des Herrschaftsverhältnisses auf staatlich-politischer Ebene, als der Potenz „sittlicher Herrschaft“, in der Gehorsam gegenüber dem „absolut Allgemeinen“ (S 306) gilt. Diese Ebene richtet sich dann nicht nur im Interesse der Entwicklung spezifisch bürgerlicher Verhältnisse gegen den Ausgangspunkt des Überganges, sondern zugleich gegen das Resultat des Überganges. Werfen wir wieder einen Blick auf das Smithsche Werk. In der Überordnung der Arbeits- und Handelsgesellschaft über die Bevölkerungsproduktion ist Hegel Smith verpflichtet. Smith begründet das Bevölkerungsgesetz sozialökonomisch und nicht mehr aus dem natürlichen Milieu, geschweige religiös. Auch scheint nicht zufällig, dass in Hegels Text der Rezeption des Überfluß-Gedankens sogleich auch wieder das Problem der natürlichen Reproduktion, jetzt in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit, folgte. Dieser Zusammenhang ist am Ende des 8. Kapitels in Smith’ erstem Buch gegeben: „So wie die reichliche Entlohnung der Arbeit die Wirkung wachsenden Reichtums darstellt, so ist sie selbst die Ursache einer wachsenden Bevölkerung. Darüber klagen heißt, über die zwangsläufige Wirkung und Ursache der bedeutendsten allgemeinen Prosperität jammern.“194 Ebenfalls in gerade diesem Zusammenhang stellt Smith Vergleiche des nur sachlich abhängigen, insofern „freien Menschen“ mit den persönlichen Abhängigkeitsformen von Sklaven sowie von „Gesellen und Knechten“ an. Andererseits ist Hegels Bestimmung der Kinderproduktion in Familienform als negative Potenz gegen die sachlichen Verhältnisse der neuen Gesellschaft eine entschiedene und illusionäre Opposition gegen die Smithsche Subsumtion der natürlichen Reproduktion unter die Warenproduktion. Laut Smith „reguliert die Nachfrage nach Arbeitern, ebenso wie bei jeder anderen Ware, notwendigerweise ihre Produktion“.195 Hegels Gegenargumentation ist, wie schon gezeigt, aufgebracht, ohne den zweitrangigen Charakter der natürlichen Reproduktion zu verkennen. Weder Smith noch Hegel sind mit der Neuformierung der Familie aufgrund der „großen Industrie“196 konfrontiert. 194 195 196

A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 107. Ebd., Bd. 1.S. 106. Siehe K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 514.

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Die schon genannten Knechte bei Smith können auch einiges Licht in Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft im „System der Sittlichkeit“ bringen. Herren und Knechte tauchen bei Smith auf, wenn es um die durch handelsbürgerliche und feudale Staatspolitik gedeckte Reproduktion der Zünfte geht. Auch Smith platziert die Knechte in seiner Darstellungsfolge, nachdem er theoretisch von der Arbeitsteilung über die problematisierte Gültigkeit der Arbeitswerttheorie zu der Ebene des Warenaustausches aufgestiegen ist. Zünfte unterstellen ebenso Arbeitsteilung und Warenaustausch wie sie zugleich als noch feudal in Herren und Knechten organisierte Produktionseinheiten die Entwicklung der Warenproduktion zur allgemeinen Warenproduktion behindern. Ist zunächst die Manufaktur nur die Erweiterung der „Werkstatt des Zunftmeisters“197, so entwickelt sie zwar durch Kooperation geteilter Arbeit eine Überlegenheit über die zünftige Produktionsweise, aber doch selbst auf der allen vorkapitalistischen Produktionsweisen gemeinsamen Handarbeit als Basis. Arbeitsteilung und Austausch scheinen ohne durchgreifende Änderung der Politik wieder in zünftige Feudalwirtschaft umzuschlagen, statt sich gesellschaftlich zu verallgemeinern. Die Darstellung der manufakturkapitalistischen Reproduktion reicht offenbar, teilweise entgegen Smithscher Versicherungen, doch nicht aus, um auf ökonomischem Wege „die von der in Europa betriebenen Politik verursachten Ungleichheiten“198 beiseite zu räumen. Der Knecht steht bei Smith zwischen dem ökonomisch-theoretischen Ideal manufakturkapitalistischer Reproduktion und dem staatspolitischen Konzept von Smith, das einerseits gegen die vormanufakturbürgerlichen Hemmnisse der manufakturkapitalistischen Entfaltung auf staatlicher Ebene gerichtet ist und andererseits der Notwendigkeit Ausdruck verleiht, die ökonomische Sphäre der manufakturkapitalistischen Gesellschaft infolge der in ihr selbst angelegten Klassenauseinandersetzungen noch allgemeiner als auf der Ebene des Handels, nämlich staatlich-politisch formieren zu müssen. Hegels systematische Platzierung des Verhältnisses der Herrschaft und Knechtschaft zwischen Handel und absoluter Sittlichkeit hat diese Smithsche Stellenbewertung zur Voraussetzung. Smith beginnt das oben genannte Kapitel antifeudal, damit aus Knechten doppelt freie Lohnarbeiter werden können, und endet in ökonomischer Hinsicht liberal mit einem Plädoyer für freie Konkurrenz, in staatlich-politischer Hinsicht aber antibourgeois, damit die „freien“ Arbeiter, nachdem sie die sachliche Abhängigkeit getroffen hat, nun nicht auch noch „die ganze Strenge des Gesetzes“ der „Unternehmer“199 treffe. Smith argumentiert zwar für die Freiheit kapitalistischer Ausbeutung, aber nicht für die Qual doppelter, auch noch feudaler Ausbeutung, wie sie die Übergangsform der Zünfte aufweist. Die manufakturbürgerliche Heroismusform des Citoyen plädiert für die Einbeziehung der Arbeiter in die notwendig aufzurichtende Gemeinschaftlichkeit, sie kritisiert im Namen der „allgemeinen Menschlichkeit“200: „Wann immer die Gesetzgebung versucht, die Differenzen zwischen Unternehmern und ihren Arbeitern zu regeln, sind ihre Ratgeber immer die Unternehmer“201. Smith polemisiert nicht nur gegen die politische Macht der Handels197 198 199 200 201

Ebd., S. 341. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 155. Hegel bezieht sich offenbar bei seiner Einführung des Verhältnisses der Herrschaft und Knechtschaft auf dieses Smithsche Kapitel, Bd. 1, S. 155–188. Ebd., S. 187. Vgl. ebd., S. 90, 93, 108 f. Ebd., S. 186.

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bourgeois, wie er gegen die ökonomische Macht derselben im ökonomischen Interesse der Manufakturkapitalisten gestritten hatte. Auch seinen eigenen Pappenheimern, den „Manufakturisten“, darf man den Staat nicht anvertrauen. Man lasse sich nicht täuschen „vom Geschrei und der Sophisterei der Kaufleute und Manufakturisten […], daß das Privatinteresse eines Teils und zwar eines untergeordneten Teils der Gesellschaft, das allgemeine Interesse des Ganzen sei“.202 Inzwischen mag dem Leser als logisch erschienen sein, dass Smith als Denker der schon spezifisch kapitalistischen Produktionsweise gegenüber der Exploitationsweise vor-manufakturieller Kapitalformen die Zirkulationssphäre aus der Produktion, die staatlich-politische aus der ökonomischen Sphäre begründet. Doch Smith ist nicht nur gegenüber handelsbürgerlicher, sondern auch industriebürgerlicher Problematik zu differenzieren. Die Manufaktur bringt es zu noch keiner radikalen Umwälzung. Bei aller Determination durch Arbeitsteilung bleibt bei Smith der Austausch neben dieser eine anthropologische Eigenschaft. Bei aller Instrumentierung des Zirkulationskapitals durch das Produktionskapital kann sich Smith der besonderen, allgemeineren Bedeutung des Bankkapitals nicht entziehen: „Die Stabilität der Bank von England entspricht der der britischen Regierung“. Die Bank von England handelt bereits selbst „wie eine große Staatsmaschine“. Das Geldkapital wird als „besonderer Bereich des allgemeinen Kapitals der Gesellschaft“ ausgewiesen.203 Der Übergang vom gesellschaftlich allgemeineren Kapital zur Regierung ist, bei aller Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit, doch wechselseitig fließend. Wird auch der ökonomische Ablauf „durch die Konkurrenz weit besser als durch jede Festsetzung geregelt“, die Emanzipation von „Zunftgesetzen“ und „Zunftgeist“ ist auf ökonomischem Wege nicht hinreichend zu sichern. Löhne und Profite haben ihre immanente ökonomische Bestimmung, und doch sind sie in „mancher Hinsicht den Gesetzen und der Politik unterworfen“.204 Denkt Smith zum einen die Arbeitsteilung als noch durch den Markt begrenzt, (worin er nur zum Ausdruck bringt, dass sich selbst die manufakturkapitalistische Produktionsweise noch nicht ihren eigenen und den gesellschaftlich allgemeinen Markt zu schaffen vermag), und soll aber zum anderen auch laut Smith „die tatsächliche und wirksame Aufsicht über einen Handwerker […] nicht von seiner Zunft, sondern von seinen Kunden ausgeübt werden“205, wie anders als durch den Eingriff in den politisch-juristischen Kodex sollte da die Wirklichkeit dem theoretischen Ideal entsprechend geformt werden können! Die freie Konkurrenz durchzusetzen erfordert eine andere, aber auch Staatspolitik. Diese wieder kann sich auf keine der großen Klassen der gegenwärtigen Gesellschaft stützen. Sie kann nicht einfach das verlängerte Instrument einer dieser Klassen sein. Das Dilemma, welches man leicht einfach den politischen „Konservatismus“ des großen Schotten nennt, wird offenbar. Jahrzehntelang plant er eine Auseinandersetzung mit Montesquieu, beginnt er sein nach der politischen Ökonomie nun eigentlich politisches Hauptwerk. Sollte es ein Zufall sein, dass er über die diesbezüglichen Entwürfe und Fragmente starb? Was Smith an seinen Vorläufern kritisiert, an Verhältnissen neu 202 203 204 205

Ebd., S. 167. Ebd., Bd. 2, S. 60 u. 16. Ebd., Bd. 1, S. 187 u. 83. Ebd., S. 169.

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vom Standpunkt der produzierenden Kapitalistenklasse begriffen hat, ist er gezwungen, umfunktioniert wieder einzuführen. Smith resümiert nicht das Resultat der industriellen Revolution, sondern ihren Beginn innerhalb der Manufaktur.206 Smith vergleicht am Ende seines ersten Buches die Interessen der drei Hauptklassen, wie sie der gesellschaftlichen Stellung dieser Klassen, insbesondere der Art und Weise der Erlangung ihres Anteils am gesellschaftlichen Reichtum entspringen, mit dem gesellschaftlichen Gesamtinteresse. „Die Klasse der Grundbesitzer ist die einzige dieser drei Klassen, der die Revenue keine Arbeit oder Mühe kostet […] Die natürliche Folge der Sorglosigkeit und Sicherheit ihrer Lage ist eine Trägheit, die sie allzuoft nicht nur unwissend, sondern auch unfähig macht, ihren Geist so anzustrengen, wie es notwendig wäre, um die Konsequenzen irgendeiner staatlichen Maßnahme vorauszusehen und zu verstehen“207. Andererseits gilt Smith die Entwicklung der Rente der Grundbesitzer als direkter Ausdruck der gesellschaftlichen Prosperität, wodurch ökonomisch das Klasseninteresse der Grundbesitzer „eng und untrennbar mit dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft verknüpft“208 ist. Auch das Steigen oder Fallen der Löhne der Arbeiter begründet Smith als direkten Indikator für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung oder den „Verfall der Gesellschaft“. „Doch obgleich das Interesse des Arbeiters eng mit dem der Gesellschaft verknüpft ist, ist er unfähig, dieses Interesse zu verstehen oder dessen Zusammenhang mit seinem eigenen zu begreifen. Seine Lebenslage läßt ihm keine Zeit, um sich darüber im notwendigen Umfang zu informieren, und seine Erziehung sowie seine Gewohnheiten sind gewöhnlich so beschaffen, daß er unfähig ist, sich ein Urteil zu bilden, selbst wenn er vollständig informiert wäre“.209 Anders bei denen, die „zum Zwecke der Profiterzielung“ tätig sind. „Die Pläne und Projekte jener Leute, die Kapital anlegen, regulieren und dirigieren alle bedeutenden Arbeitsverrichtungen. Der Profit ist das erklärte Ziel all dieser Pläne und Projekte. Doch die Profitrate steigt nicht zusammen mit einem Aufblühen der Gesellschaft und nicht mit deren Niedergang, so wie das Rente und Lohn tun. Im Gegenteil, sie ist von Natur aus in reichen Ländern niedrig und in armen hoch“.210 Da sie Zeit ihres Lebens nützliche Arbeit dirigieren und regulieren, Projekte und Pläne machen, bilden die Unternehmer zwar „Verstandesschärfe“ aus, aber ihre Gedanken sind in der Regel „den Interessen ihres eigenen speziellen Geschäfts“ zugewandt. Darauf aus, „zu ihrem eigenen Nutzen den übrigen Mitbürgern eine sinnwidrige Abgabe aufzuerlegen“, ist diese Klasse „in der Regel daran interessiert, die Öffentlichkeit zu hintergehen, ja sogar zu unterdrükken, und hat beides auch bei vielen Gelegenheiten getan“.211 Wer nützlich arbeitet und vom Lohn als Indikator der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung lebt, kann infolge seiner sozialökonomischen Lage keinen allgemeinen Verstand ausbilden, obgleich sein unreflektiertes Interesse mit dem gesamtgesellschaftlichen tätig harmoniert. Wer parasitär genießt und untätig von Rente lebt, die mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung steht und fällt, wird in dieser sozialökonomischen Lage 206 207 208 209 210 211

Vgl. K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 785. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 325. Ebd. Ebd., S. 326. Ebd. Ebd., S. 327 f.

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zu keinem Verstand getrieben. Wer die Arbeit tätig dirigiert, bildet zwar Verstand aus, aber einen Verstand, der der eigennützigen Profitsucht unterliegt und daher dem allgemeinen Verstand oder der gesunden Vernunft widerstreitet. Um einen realen Träger der Staatsmacht, die das allgemeine gesellschaftliche Interesse repräsentieren und verwirklichen soll, ist es infolge der historisch und theoretisch tiefen sowie in Anbetracht der Klassenkampferfahrung im Manufakturkapitalismus realistischen Einsichten bei Smith schlecht bestellt. Selbst Englands Unterhaus, das gepriesene Vorbild vor der Französischen Revolution, stellt keine „völlig gleiche Repräsentation des Volkes dar“.212 So sehr freie Konkurrenz in ökonomischer Hinsicht, politisches Organisationsrecht auch der Arbeiter untereinander213 in politischer Hinsicht und freie Öffentlichkeit im allgemeinen das Repräsentationssystem stützen sollen, viele Fragen bleiben im ökonomischen Hauptwerk und im gewissen Sinne überhaupt bei Smith offen, offen zwischen Äußerungen eines bürgerlichen Demokratismus und solchen von tendenziell in sich selbst hausender Staatsmacht und schließlich theoretisch problembewusster Enthaltsamkeit im Urteilen. Jedenfalls fallen die realen Träger der Verstandesbildung als solche der Staatsmacht aus. Smith geht es für die Gegenwart um ein historisch dem Entwicklungsstand des jeweiligen Landes angemessenes „gleiches Kräfteverhältnis“ zwischen den „monarchistischen und demokratischen Teilen der Verfassung“.214 Die Notwendigkeit einer heroischen, sozialökonomisch nicht verwurzelten Staatsmacht erwächst also nicht nur dem Kampf mit der feudalen, persönliche Knechtschaftsverhältnisse reproduzierenden Vorgeschichte des Überganges, sondern auch dem Kampf der ungleichen „Vereinigungen“ der Klassen in der manufakturkapitalistischen Gesellschaft selbst. Damit sind wir inmitten der Vorbereitung des erneuten und letzten Einstieges in Hegels Text. Smith schreibt: „Da die Stadtbewohner an einem Ort versammelt sind, können sie sich leicht zusammenschließen“, im Unterschied zu den „verstreut an voneinander entfernten Orten“ lebenden „Bewohnern des Landes“.215 Unter den Stadtbewohnern sind vor allem die Arbeiter und Unternehmer „geneigt, sich zu vereinigen, um die Arbeitslöhne zu steigern, die letzteren um sie zu senken“.216 Smith heißt die politische Konstitution der Klassen jeweils in sich gut, sieht sie aber von der bisherigen Staatsmacht ungleich behandelt. Die Vereinigungen der Unternehmer werden vom Staat begünstigt, da sie „gesetzlich gebilligt oder zumindest nicht verboten (sind) wie die der Arbeiter“: Die Unternehmer sitzen schon ökonomisch am längeren Hebel, da sie infolge ihres Reichtums auch jahrelange Auseinandersetzungen überstehen können, während die „arbeitenden Armen“ ohne Beschäftigung keine Woche oder keinen Monat existieren können. Smith spricht sich dagegen aus, den ökonomischen Gegensatz von Reichtum und Armut auch noch auf der Ebene politischer Ungleichheiten zu wiederholen. „Wir haben keine Parlamentsakte gegen Bündnisse zur Herabsetzung des Preises der Arbeit, aber viele, die gegen Bündnisse zu dessen Erhöhung gerichtet sind“.217 Bei den schon 212 213 214 215 216 217

Ebd., Bd. 2, S. 381. Siehe Ebd., Bd. 1, S. 186 f., 86 f., 88 f. Ebd., Bd. 2, S. 431. Ebd., Bd. 1, S. 164 f., Vgl, S. 107. Ebd., S. 86. Ebd., S. 86 f.

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ökonomisch und zudem unnötigerweise auch noch politisch ungleichen Kampfesbedingungen ist es nicht verwunderlich, aber vom staatspolitischen Standpunkt betrachtet, bedeutsam, wenn die Arbeiter in ihren „Abwehrvereinigungen“ zum „lautesten Geschrei und zuweilen zu schrecklichen Gewalttaten und Vergehen“ greifen. „Sie sind verzweifelt und handeln mit der Torheit und Maßlosigkeit von verzweifelten Menschen, die entweder verhungern oder ihre Unternehmer durch Einschreckung dahin bringen müssen, ihren Forderungen unverzüglich zuzustimmen“.218 Gegen Arbeiterausschreitungen ist staatlicherseits vorzugehen, aber „würde das Recht alle unparteiisch behandeln, müsste es gegen die Unternehmer ebenso vorgehen“.219 Staatliche Eingriffe ließen sich durch freie Konkurrenz verringern. Bei staatspolitisch relevanten Fragen, die aus der Entwicklung der manufakturkapitalistischen Gesellschaft selbst entstehen, reflektiert Smith das Reichtum-Armut-Problem. Wie schon hier zu Beginn von 4.3. angekündigt wurde, erblickt Smith in dem sich in England abzeichnenden Ende des Überganges alles andere als heroische Aussichten. „England ist gegenwärtig mit Sicherheit viel wohlhabender als irgendein Teil Nordamerikas. Die Arbeitslöhne sind jedoch dort viel höher als irgendwo in England.“220 Reichtum, um dessen allgemeine Sicherung es Smith geht, schlägt, ein spezifisch kapitalistisches Paradox, um in Armut.221 Bei Smith kehrt der Zusammenhang zwischen wachsendem Reichtum und, gegen Ende des Überganges, wachsender Armut statt allgemeiner Prosperität immer wieder. „Nicht die gegebene Größe des Nationalreichtums, sondern dessen ständige Zunahme ruft ein Steigen der Arbeitslöhne hervor. Dementsprechend sind sie nicht in den reichsten Ländern am höchsten, sondern in denen, die am besten gedeihen oder deren Reichtum sich am schnellsten entwickelt“.222 In 4.2. sahen wir bereits, dass der Heroismus der schottischen Schule wesentlich an die Entwicklungsgeschwindigkeit des Überganges zur kapitalistischen Gesellschaftsformation als Entfaltung von Manufakturkapitalismus gebunden ist. Smith legt den Akzent auf die Übergangsentwicklung, wobei er noch nicht die neuen Entwicklungsperspektiven vom Standpunkt des Resultats der industriellen Revolution erkennt, sondern die Akkumulationsart stofflich gesehen noch manufakturbürgerlich denkt, wodurch wieder die nächste kapitalistische Entwicklungsphase als Tendenz zur Stagnation erscheint. „Die Stagnation ist lähmend und der Rückgang trostlos“, gerade für die „arbeitenden Armen“.223 Wenn Smith auch noch nicht die Spezifik der industriekapitalistischen Akkumulation und der damit einhergehenden, sozial verursachten und ständigen Reservearmee von Arbeitern berücksichtigt, weshalb ihm die Akkumulationsgrenzen auch noch durch natürliche Ressourcen und Märkte bedingt erscheinen, so fasst er doch schon die Tendenz kapitalistischer Akkumulation überhaupt, d. h. hinsichtlich des Kapitals den oben zitierten Fall der Profitrate224 und hinsichtlich der Arbeitskräfte den Fall der Arbeitslöhne: „In einem Land, das im Verhältnis zu den Unterhaltsmöglichkeiten seines Territoriums oder den durch sein Kapital gegebenen Be218 219 220 221 222 223 224

Ebd., S. 88. Ebd., S. 187. Ebd., S. 91. Vgl. K. Marx, Das Kapital. Bd. 1, S. 675. A. Smith, Reichtum der Nationen, Bd. 1, S. 91. Ebd., S. 107. Vgl. ebd. sowie S. 123.

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schäftigungsmöglichkeiten vollständig bevölkert ist, muß die Konkurrenz um Arbeitsplätze notwendigerweise so groß sein, daß die Arbeitslöhne auf ein Niveau herabgedrückt werden, welches gerade ausreicht, um die Zahl der Arbeiter auf der gegebenen Höhe zu halten“: Es folgt in Smith’ Text die schwache, vor dem Ende der industriellen Revolution noch produzierbare Hoffnung: „Aber vielleicht hat bis jetzt noch kein Land diesen Grad an Wohlstand erreicht“225, d. h. auch an Armut. Smith’ Konzeption, die das Ende des Überganges im Industriekapitalismus der gesellschaftlichen Form nach bereits abstrakt denunziert, und der stofflichen Entwicklungspotenz nach unterschätzt, sieht den reichtumsgesättigten Nationen neue Perspektiven in der Entwicklung der Kolonien entstehen, wenn die am Merkantilsystem orientierte Kolonialpolitik konsequent, durch eine „liberale Politik“226 ersetzt wird. Durch die Einbeziehung der Kolonien in den Übergang zur manufakturkapitalistischen Ordnung erweisen sich diese als die eigentliche Bestätigung des Smithschen Akzents auf Entwicklungsgeschwindigkeit innerhalb des Überganges. „Die Kolonie einer zivilisierten Nation, […], schreitet schneller zu Reichtum und Größe als jede andere menschliche Gesellschaft voran.“227 In den Kolonien ist ein außerordentlich dynamischer Neuanfang unter besten natürlichen Voraussetzungen möglich, ohne, infolge der „Kunstfertigkeiten“ der europäischen Kolonisten und ihrer Erfahrungen mit der „Rechtsordnung“228, beim menschheitsgeschichtlichen Nullpunkt anfangen, aber auch ohne die Fehlentwicklungen in den europäischen Ländern einfach wiederholen zu müssen, so dass „unter den englischen Kolonisten […] größere Gleichheit als unter den Einwohnern des Mutterlandes“ herrschen kann, ihre Sitten und Regierungen republikanischer sein können.229 Der sich verschärfende Gegensatz von Reichtum und Armut soll durch Verlagerung in die Kolonien gebannt werden, wo er aufgrund der dort möglichen Dynamik in allgemeine Prosperität umschlagen und von woher diese durch freien Welthandel die Mutterländer neu stimulieren kann, da so letzteren neue Märkte, Genuss- und Arbeitsmöglichkeiten230, schließlich internationale Arbeitsteilung und gegenseitige Produktivitätsvorteile entstehen. Smith’ hohe Bewertung der Entwicklungspotenz der Kolonien im Unterschied zu einem auf sich allein gestellten, so zukünftig hoffnungslosen Europa kommt darin zum Ausdruck, dass er die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Ostindien für „die beiden größten und bedeutendsten Ereignisse, welche die Geschichte der Menschheit, verzeichnet“231, hält. Dies hat bei Smith nichts mit Exotik oder Verklärung der Unterentwickeltheit der Kolonialländer zu tun, obgleich er auch den zivilisationskritischen Akzent bemerkt, sondern haftet alle Hoffnung in weltbürgerlicher Absicht an die tendenziell manufakturkapitalistische Richtung und hohe Entwicklungsgeschwindigkeit der Kolonialländer und beiderlei Rückwirkung auf Europa. Neben aller Gewissheit, dass die manufakturkapitalistische Entwicklung objektiv gesetzmäßig erfolgt, und aller politischen Argumentation für seine liberale Vision einer 225 226 227 228 229 230 231

Ebd., S. 124. Ebd., Bd. 2, S. 370. Vgl, S. 382. Ebd., S. 355. Ebd., S. 355. Vgl. auch S. 366. Ebd., S. 381. Siehe ebd., S. 388. Ebd., S. 432.

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auf internationaler Arbeitsteilung und freiem Welthandel232 basierenden Weltordnung steht diese Vision den realen, von der Herrschaft des Handelskapitals geprägten Kolonialverhältnissen derart entgegen, dass Smith seine Vorstellungen heroisch auch in dem Verhältnis zwischen den griechischen Stadtstaaten und deren Kolonien spiegelt. Smith hat sonst solche illusionären Rückprojektionen nicht mehr nötig. Er hebt deutlich den Gegensatz zwischen griechisch-antiker Kolonisierung aus Gründen „offensichtlicher und einleuchtender Nützlichkeit“ und europäischer Kolonialisation aus den einzigen Gründen der Profitsucht und des Goldrausches hervor233. Smith führt die gebrauchswertbestimmten Verhaltensweisen der griechischen Antike als, wenn auch noch unentwickelte, doch legitime und vorbildliche Deckung seiner eigenen manufakturbürgerlichen Gebrauchswertorientiertheit gegen den Merkantilismus ins Gefecht. Dabei nutzt Smith gleichzeitig sehr geschickt das scheinbar periphere Kolonialthema überhaupt, genauer den Entwicklungsstand einer bestimmten Kolonie im Zusammenhang mit dem Verhalten des Mutterlandes zu dieser Kolonie, als den die soziale und politische Struktur des betreffenden europäischen Landes, insbesondere Englands, demaskierenden Spiegel. Was er in anderen Teilen seines Werkes nicht recht zu diagnostizieren wagen kann, spricht er wenigstens hier deutlich aus. England steht am Rande von „Tumult und Unruhe“, sein Weltmonopol wird ihm „Schlaganfall“ und „Tod“234 bringen. Wie der Bourgeois, insbesondere der Handelsbourgeois, im Kleinen verfährt, so verfahren die europäischen Nationen im Großen. „Jede europäische Nation hat versucht, den Handel ihrer Kolonien mehr oder weniger für sich selbst zu monopolisieren […]“235 Smith’ Parteinahme für die sich abzeichnende Unabhängigkeit der künftigen USA von England mögen die jeglichen revolutionären Ansprüche verratenden Herrscher Englands als nationalen Verrat empfunden haben, wie auch Millars Verhalten in dieser Frage und später z. Zt. der Französischen Revolution, das konsequenten Schülern Millars sogar den Kopf kosten sollte. Smith stellt die Citoyen-Verantwortung heraus, ganz Europa als ein Land zu betrachten, nicht nationalistische, sondern weltbürgerliche Strategienbildung im Interesse der weltweiten Entwicklung der Menschheit gegen den nachrevolutionären Verrat an vorrevolutionären Entwicklungssituationen zu betreiben.236 Er kommt der provinziellen, konzeptionell veralteten, krämerhaften Politik der herrschenden Klasse durch politisch-ökonomische Strategienbildung ins Gehege, im Unterschied zur deutschen Weltbürgertradition, die immer wieder gezwungen ist, nach kurzen Exkursionen außerhalb des Geistes sich in Philosophie und Kunst zurückzuziehen. Während die merkantilistische Kolonialpolitik dazu führt, dass sich das betreffende europäische Land zu den Kolonialländern wie der Herr zu seinen Knechten verhält237 – die weltpolitische Entsprechung des inneren Zunftproblems – ist das Verhältnis einer griechischen Poleis zu ihrer Kolonie das der „Mutterstadt“ zu ihrem „emanzipierten Kind“.238 Letzteres Verhältnis gelte es auf der Grundlage von entfalteter Arbeitsteilung und Warenproduktion, insofern auch im Unterschied zur griechischen An232 233 234 235 236 237 238

Vgl. ebd., S. 397. Ebd., S. 347 u. 351. Ebd. 8. 405 f. Ebd., S. 368. Siehe z. B. bezüglich der sich herausbildenden USA ebd., S. 377 f. Siehe ebd., S. 420 f. Siehe ebd., S. 344 f.

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tike und in Anknüpfung an die historischen Errungenschaften der jetzt zu verändernden merkantilen Kolonialpolitik weltweit zu reproduzieren: „Magna virum mater!“239 In diesem Zusammenhang bereitet es Smith eine im Unterton stets vorhandene Freude, sich der Objektivität der sozialen Entwicklungsgesetze zum Manufakturkapitalismus dadurch zu vergewissern, dass er ausgiebig die Verkehrung der ursprünglichen Absichten der europäischen Regierungen und Bourgeois in ihr Gegenteil darstellt, wie auch bei anderer Gelegenheit.240 Ebenso werden die Tatkräfte derer, die aus den zwischen Feudalismus und Manufakturkapitalismus steckengebliebenen Ordnungen Europas als Verbrecher herausgetrieben wurden, auf die europäischen Länder wie ein Bumerang zurückschlagen. „Die in ihrer Heimat bedrängten englischen Puritaner flohen, um der Freiheit willen nach Amerika und gründeten dort die vier Provinzen Neuenglands. Die mit viel größerer Ungerechtigkeit behandelten englischen Katholiken gründeten Maryland, die Quäker Pennsylvenien. Die portugiesischen Juden wurden von der Inquisition verfolgt, ihrer Vermögen beraubt und nach Brasilien verbannt; durch ihr Beispiel führten sie etwas Ordnung und Gewerbefleiß bei den deportierten Verbrechern und Huren ein, von denen jene Kolonie ursprünglich bevölkert war, […]“241 Diejenigen, die in der alten europäischen Ordnung als Verbrecher erschienen, werden zum Träger der zukünftig bedeutendsten Potenz weltgeschichtlicher Entwicklung. Dass man diesen noch die eigene Manufakturproduktion verbieten kann, sei nur eine Frage der Zeit, d. h. der gesetzmäßigen historischen Entwicklungsfolge, bis sie unabweislich den entsprechenden „Entwicklungsstand“ an Akkumulation242 erreicht haben werden. Die ökonomische Begründung der neuen liberalen Weltordnung schließt eine Abwertung des Krieges ein. Zwar akzeptiert Smith den Krieg der Kolonien gegen die „Ungerechtigkeit der unabhängigen Nationen“ als gerechten, aber es scheint nichts zu geben, schreibt Smith im Vertrauen auf die ökonomische Subsumtionskraft der kapitalistischen Produktionsweise, „das diese Gleichheit der Stärke“ zwischen Kolonien und europäischen Ländern herstellt, als ein „ausgedehnter Handel von allen nach allen Ländern“, der Arbeitsteilung und Manufakturproduktion fördert. Die ehemals als wichtiger Faktor der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation in Europa notwendigen Kriege werden als „Kolonialstreit“ zwischen den – noch feudalen und handelsbürgerlichen Interessen unterworfenen – Nationen Europas enthüllt.243 An die Stelle des Krieges haben ökonomische Konkurrenzkräfte zur wechselseitigen Stimulierung der Mutter- und Kolonialländer zu treten. Die Kriegsmacht ist Folge der Entwicklung der Manufakturproduktion, und nicht des natürlichen oder Goldreichtums. Sie erscheint nicht mehr als Weg der Erzeugung von mit ihr identischer ökonomischer Macht, sondern als kostspielige Hemmung

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Ebd., S. 387, vgl. S. 421. Ebd., S. 53 heißt es z. B.: Die „Tätigkeit dieser Bank (der von Ayr: H.-P. K.) scheint völlig gegenteilige Wirkungen hervorgebracht zu haben, als ihre Gründer und Direktoren erreichen wollten“. Die immer auf „zeitweilige Erleichterung“ ausgehenden „Projektemacher“ sehen ihre Absicht im Resultat verkehrt. Ebd., S. 385. Vgl. auch S. 363. Ebd. bezüglich des englischen Verbots der Manufakturproduktion in den USA S. 377. Ebd., S. 433 u. 420.

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Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

der ökonomischen Entwicklung.244 Hierin kommt ein ökonomisch-liberaler Gegenzug zu der kriegsheroischen Seite der Moralphilosophie von Ferguson und Smith zum Ausdruck. Aber ist nicht Smith’ Hoffnung auf die künftige Entwicklung der Kolonien eine innerhalb seines eigenen Denkrahmens und von ihm selbst bemerkt trügerische Hoffnung, die nur das Verhängnis des an Armut und Reichtum todkranken Englands um einige Kreisläufe manufakturkapitalistischer Entwicklung über den ganzen Erdball hinausschiebt? Beschreibt nicht Smith selbst die Entwicklung der Kolonien als, hinsichtlich der allgemeinen Gesetze, Wiederholung der englischen, in Antagonismen endenden Entwicklung? Von den amerikanischen Führern muss Smith berichten: „Aus Krämern, Händlern und Anwälten sind Staatsmänner und Gesetzgeber geworden“: Smith weiß, dass die in der Demokratie dieser Bourgeois gewählten Repräsentanten, eben im Interesse der „Herren“ des bourgeoisen „Privateigentums“, noch nicht einmal die Sklaven schützen, geschweige die „unglückselige Sklaverei“ aufheben können.245 Der Motor des ökonomischen Verhaltens der Individuen, ihr Eigennutz, wird in der politischen Sphäre noch zusätzlich als persönlicher Ehrgeiz und Machthunger246 reproduziert, wodurch die Spontaneität der ökonomischen Sphäre, die sich bestenfalls in Durchschnittsgrößen und Mehrheitsmengen „jeder Klasse und Schicht“ berechnen lässt247, auch staatlich nicht abgefangen werden kann. Das Individuum ist ökonomisch in das „Lotteriespiel“ der Berufe geworfen, welches durch das „Rad der großen Staatslotterie“ ergänzt248, statt bewusst beherrscht wird, im Vertrauen auf die „unsichtbare Hand“ der, zwar nicht für das konkrete Individuum, aber für die Gesellschaft gültigen ökonomischen Gesetzmäßigkeit. Dass die dialektische Kraft des Bösen, des dem Privateigentum geschuldeten Eigennutzes, durch die „unsichtbare Hand“ der gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeit darin umschlägt, einen heroischen „Endzweck“ zu fördern, der in der „Zielstellung“ des Bourgeois gar nicht enthalten war249, wird im Angesicht des Antagonismus von Armut und Reichtum, den man kolonial und auf Frist nur verlagern kann, mehr als brüchig. Die Smithsche Hoffnung des Aufschubs verliert in der Darstellung ihres neuen, kolonial-amerikanischen Hortes ihr Ende, das des Überganges, nicht aus den Augen. In seiner Schilderung des Aufschwunges der Kolonie als Vorbild an republikanischem Geist und Wachstum des ökonomischen Reichtums stehen die Wörtchen „noch“ und „bisher“ (Anmerkung 212). Den allen tiefen, klassisch-bürgerlichen Denkern eigenen Pendant ihres Heroismus, ihren Pessimismus, vor dem Publikum auszuschütten, versagt sich Smith. „Selbstbeherrschung ist nicht nur eine große Tugend, sondern von ihr scheinen auch alle anderen Tugenden ihren Glanz […] zu empfangen“.250 Hegel nun hakt in die spezifisch-manufakturbürgerliche, in sich zwischen tendenziell industriebürgerlicher Esoterik und handelsbürgerlicher Exoterik widersprüchliche Argumentationsweise von Smith derart ein, dass die im Manufakturstadium angelegten 244 245 246 247 248 249 250

Ebd., S. 201, 203 f. u. 423. Ebd., S. 429 u. 383. Ebd., S. 427 u. 429. Ebd., S. 28. Ebd., Bd. 1, S. 137, Bd. 2, S. 428. Ebd., Bd. 2, S. 216. Ders., Theorie der ethischen Gefühle S. 407. Vgl. dazu G. Irrlitz, Die Problemlage der klassischen bürgerlichen Ethik. Dort heißt es S. 828: „Der moralische Pessimismus der großen bürgerlichen Ethiker ist ein realistischer Zug des progressiven bürgerlichen Humanismus.“

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spezifisch-kapitalistischen Entwicklungszüge als handelsbürgerlich subordiniert gedacht werden. Die „tätige allgemeine Austauschung, das Tun, welches das besondere Bedürfnis und den besonderen Überfluß vermittelt, der Handelsstand ist, der höchste Punkt der Allgemeinheit in dem Austausch des Erwerbs“ (S 337). Die Zirkulation vermittelt allgemein auf gesamtgesellschaftlicher, damit höherer Ebene als die materielle Produktion, deren Allgemeinheitsgrad ein besonderer bleibt. Die Zirkulation erscheint, da gegenüber der materiellen Produktion verselbständigt, als das Ideelle. Statt ihre Realität, wie bei Smith, in die materielle Produktion als Reproduktionsglied einzubinden, wird ihre Idealität erst „dadurch, daß die ganze Macht des Staats sich daran hängt, reell gesetzt“ (S 337). Als setzte sich die Konkurrenz und damit die Durchschnittsprofitrate doch nicht allgemein durch, beschreibt Hegel als Folge der „natürlichen Ungleichheit“, was Smith kritisiert: „Das Gewerbe aber, welches das allgemeinere ideellere ist, ist dasjenige, welches als solches für sich größeren Gewinn gewährt“ (S 353). Der Wert erscheint Hegel wiederholt als durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt (S 351f). Das ökonomische „Ganze ist […] in Beziehung auf die Qualität aus unendlich vielen Qualitäten zusammengesetzt.“ (S 350) Dass die den unendlich vielen Qualitäten gemeinsame Qualität darin besteht, Produkte der abstrakten Arbeit zu sein, erkennt Hegel nicht. Die staatlich-juristische Sphäre behält eine nicht nur gesellschaftskonstitutive, sondern die ökonomische Sphäre selbst begründende Rolle, insofern die gesellschaftliche Anerkennung des Eigentums nur durch staatlichen Eingriff erfolgen kann (S 336 f.). Gilt der Handelsbourgeois als die höchste Form von Bourgeois, was Smith als vorproduktive Wahrheit zu überwinden fordert, fällt der schon spezifisch-kapitalistisch produzierte Gegensatz von Reichtum und Armut in die Form des Gegensatzes von Herrschaft und Knechtschaft zurück. Die ökonomisch „notwendige Ungleichheit […] bringt durch ihre qualitative Beschaffenheit, welche sich auf Grade bezieht […] ein Verhältnis der Herrschaft hervor. Der einzelne ungeheuer Reiche wird eine Macht; er hebt die Form der durchgehenden physischen Abhängigkeit, es von einem Allgemeinen, nicht von einem Besondern zu sein, auf“ (S 353 f.). Die auf den Ebenen des Systems der Sittlichkeit zur Geltung gebrachte handelsbürgerliche Hierarchie ist nicht eine einfache Restauration der Struktur des dem Manufakturstadium vorausgehenden Stadiums bürgerlicher Entwicklung, sondern enthält – zu sich selbst gehaltvoll im Widerspruch stehend – die manufakturbürgerlichen Bestimmungen. Wir sahen, dass vom Standpunkt des arbeitenden Individuums die Arbeit „eine allgemeine wird“ (S 336), wenn sie durch das Arbeitsmittel, welches sich von der Werkzeug-Potenz zur Maschine entwickelt, bestimmt wird. Die Arbeit wird aber zunächst eine allgemeine Arbeit, wenn sie als geteilte Arbeit begriffen wird. Der Ausdruck „mechanische“ Arbeit (S 354) stellt den oben erörterten Zusammenhang her, dass die mechanische Organisation der manufakturiellen Teilarbeiten in der Maschine als dem Arbeitsmittel vergegenständlicht wird. Dieser manufakturiell-betriebliche Allgemeinheitsgrad der Arbeit bleibt vom gesamtgesellschaftlichen Allgemeinheitsgrad, wie bei Smith, ökonomisch-begrifflich ununterschieden, ist aber philosophisch differenziert, da es jetzt um die gesamt-gesellschaftliche Abstraktionsebene der absoluten Sittlichkeit geht. Hinter dem „hohen Reichtum, welcher gleicherweise mit der tiefsten Armut verbunden ist“, steht eine „Trennung“, in der „die Arbeit auf beiden Seiten allgemein, objektiv (wird), auf der einen Seite in der ideellen Allgemeinheit, auf der andern in der reellen mechanisch“ (S 354). Der Arbeitsbegriff wird auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene anwendbar, allerdings unter

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der Berücksichtigung, dass die Allgemeinheit der Arbeit nicht mehr als reelle, sondern ideelle vorgestellt wird. Die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung konstituiert ein „System der allgemeinen gegenseitigen physischen Abhängigkeit voneinander“ (S 350). Aus der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung und der damit gegebenen Aufspaltung der individuellen Einheit von Produktion und Konsumtion entsteht die Notwendigkeit der Vermittlung der Gespaltenen durch Tausch. In der Tat stellt die mechanische Arbeit keine reelle Allgemeinheit auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene dar, denn eine im gesamtgesellschaftlichen Sinne reell allgemeine Arbeit würde die reelle Vergesellschaftung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses einschließlich der technologischen Negation von mechanischer Arbeit voraussetzen, also die Aufhebung der Trennung zwischen hegelisch gesprochen, ideell allgemeiner und reell allgemeiner Arbeit oder geistiger und körperlicher Arbeit. Die mechanische Arbeit wird reell „ebenso eine allgemeine“, wie der „Besitz“ des „Bürgers, Bourgeois […] als Allgemeines“ gilt. Aber vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt ist sein Besitz „nur ein formell Allgemeines, ein absolut Einzelnes“ (S 336), so wie die Arbeit, auf die sich der bourgeoise Besitz bezieht, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene keine reell, sondern ideell allgemeine Arbeit darstellt. Die philosophische Unterscheidung zwischen reell und ideell allgemeiner Arbeit erlaubt es Hegel, nun doch die „Allgemeinheit der Arbeit“ als Maß, aber ideelles Maß der Werte zu bestimmen, das eigentlich hinter dem „Durchgang durch die Form der Allgemeinheit aus seiner Besonderheit“, hinter dem zur „Ware“-Werden (S 356) der Arbeitsprodukte vermittels Geld esoterisch steht. „Die Allgemeinheit der Arbeit oder die Indifferenz aller (Werte: H.-P. K.) ist als ihre Mitte, an der sie sich vergleichen, und in die jedes Einzelne sich unmittelbar umwandeln könne, als ein Reelles gesetzt, das Geld“ (S 336 f.). Da die Arbeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht unmittelbar reell allgemein ist, sondern reell im gesamtgesellschaftlich allgemeinen Sinne erst im Tausch wird, begründet nach Hegel die Arbeit nur als ideell allgemeine Arbeit den Tausch. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wird die Allgemeinheit der Arbeit nicht mechanisch, nicht aus sich als Arbeit, sondern als Tausch realisiert. Die allgemein werdende Arbeit geht gesamtgesellschaftlich „nicht ihrer Materie nach auf die Totalität der Bedürfnisse […] sondern nur dem Begriff nach“ (S 336). Hegel reagiert auf Smith’ Problematisierung der Arbeitswerttheorie und das hier (J 392) zitierte Bewusstsein von Smith, dass die Arbeit in seiner Theorie den Status eines „abstrakten Begriffes“ hat. Halten wir zunächst fest, daß Hegel im Unterschied zu seiner Berner Periode das gesellschaftliche Band der Individuen wesentlich nicht erst in ihrer republikanisch-praktischen und aufklärerischen Vereinigung sieht, oder im Unterschied zum späten Frankfurter Hegel, nicht mehr in der ökonomisch zu bewältigenden gemeinsamen Not, sondern in der Arbeitstätigkeit, als allgemeine Arbeit verstanden. Hegel erfaßt den esoterischen Sinn der Smithschen Arbeitswerttheorie, aber nicht politökonomisch, sondern führt diesen durch auf dem Wege einer philosophischen Uminterpretation der „Allgemeinheit der Arbeit“ als reeller und ideeller. Diese philosophische Fassung des Arbeitsbegriffes knüpft an reale, von Smith selbst ökonomisch nicht gelöste Probleme an, steht jedoch dem ökonomischen und philosophisch materialistischen Gehalt der Smithschen Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit entgegen und wertet philosophisch, allerdings unter Anerkennung und Verwendung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs, die

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Handelstätigkeit als Realisierung der gesamtgesellschaftlichen Allgemeinheit von Arbeit wieder auf. Hegel bewahrt nicht nur auf philosophische Weise den Smithschen Arbeitsansatz, als ob bloß das Medium gewechselt würde, um das in der ökonomischen Theorie noch nicht Durchführbare in einer mit dieser Ökonomie al pari gehenden Philosophie zu behaupten, sondern interpretiert derart um, dass das philosophisch-systematische Resultat die der manufakturbürgerlichen Ökonomie des Smith vorhergehende und entgegen gesetzte, eben handelsbürgerliche Ökonomie legitimiert. In der philosophischen Bewahrung liegt eine Uminterpretation vor, aber in dieser Uminterpretation auch gerade die Bewahrung, denn der Tausch ergibt sich aus der Arbeitsteilung, er realisiert sich nicht aus sich selbst, sondern die Allgemeinheit der Arbeit, hat also seinen Inhalt außer sich, welchen er nur der Form nach ändert. Der polit-ökonomische Eklektizismus, in dem systematisch wieder aufgerichteten Ordnungsgefüge der handelsbürgerlichen Ökonomie einen manufakturbürgerlich-ökonomischen Inhalt einschließlich dessen esoterischer Intention zu formieren, gelingt Hegel durch eine philosophische Fassung des Begriffes der allgemeinen Arbeit, die die allgemeine Arbeit von ihrer ökonomischen Produktivitätsdefinition losbindet und rückwirkend die Handelstätigkeit als Realisation der ideellen Allgemeinheit der Arbeit in den philosophisch universalisierten Arbeitsbegriff integriert. Damit entsteht aber eine historisch philosophische Lösungsform der von Smith selbst infragegestellten Gültigkeit der Arbeitswerttheorie. Wo Smith die volle Gültigkeit der Arbeitswerttheorie einschränkt auf einen vormanufakturkapitalistischen Gesellschaftszustand, wird sie Hegel durch philosophische Interpretation der Allgemeinheit der Arbeit für die Gegenwart vollgültige Theorie. Die Arbeitswerttheorie ist zwar nicht ökonomisch, aber philosophisch gesehen gültig, weil alle sozialen Schichten „arbeiten“. Die Tätigkeit des Bourgeois, insbesondere Handelsbourgeois, als gesamtgesellschaftlich allgemeine Arbeit im ideellen Sinne gegenüber der mechanischen Arbeit als der reellen Arbeit zu definieren, ist für Hegel nur der erste Schritt einer philosophischen Auffächerung des ökonomischen Arbeitsbegriffes und damit der rückwirkenden Integration der unproduktiven sozialen Tätigkeiten in den philosophisch idealistischen Arbeitsbegriff. Der Widerspruch zwischen manufaktur- und handelsbürgerlicher Argumentation findet eine napoleonisch-heroische Lösungsform, die sich des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffes als eines auf die Ebene der gesamtgesellschaftlichen Totalität heraufpotenzierten Arbeitsbegriffes bedient. Da, wo die allgemeine Arbeit reell, d. h. mechanische Arbeit ist, bleibt sie besonders allgemeine Teilarbeit und damit nicht unmittelbar auf die gesamtgesellschaftliche Totalität gehende Arbeit, oder anders gesagt: Sie wird nicht an einem gesamtgesellschaftlich allgemeinen Objekt mit gesamtgesellschaftlich allgemeinem Arbeitsmittel vom gesamtgesellschaftlich allgemeinen Subjekt reell verausgabt. Wo die Arbeit gesamtgesellschaftlich allgemeine, d. h. Zirkulationsarbeit ist, ist sie dies nur formell in dem Sinne, dass zwar der Kaufmann fürs gesamtgesellschaftlich Allgemeine arbeitet mit dem gesamtgesellschaftlich allgemeinen Arbeitsmittel Geld, aber unter Abstraktion von den reell besonderen Qualitäten der Arbeitsobjekte und Bedürfnisse. Der gesamtgesellschaftliche Allgemeinheitsgrad sowohl des Arbeitsobjektes als auch des Arbeitssubjekts als auch des Arbeitsmittels (S 342) ist reell nicht in der mechanischen Arbeit, auch nicht in der Zirkulationsarbeit, sondern in der „Arbeit […] des Kriegs“ (S 334) vorhanden. In dieser arbeiten nicht Einzelne oder Teilmengen des Volkes, son-

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dern das Volk als die reale gesamtgesellschaftliche Allgemeinheit kooperiert selbst, ist reell ein Subjekt. In der Kriegsarbeit sind nicht einzelne Dinge die Objekte, sondern andere, reale gesamtgesellschaftliche Allgemeinheiten, andere Völker. Das Objekt im Kampf, der Feind, „kann für das Sittliche nur ein Feind des Volkes und selbst nur ein Volk sein“. (S 329). In der Kriegsarbeit ist das Volk im Ganzen real als ein Handlungssubjekt vermittels des Staates organisiert und im Einzelnen verwendet es „Schießgewehre“ als Mittel des „allgemeinen Todes“ (S 331). „Die Not des Kriegs erfordert die höchsten Anstrengungen des Körpers und völlige formale Begriffseinheit des Geistes in mechanischer Arbeit ebensowohl als die höchste Knechtschaft eines ganz äußern Gehorsams“ (S 330). Hegel reproduziert den Begriff der reellen Arbeit auf der Ebene der gesamtgesellschaftlich „allgemeinen Arbeit“ (S 335) als Kriegsarbeit. An die Stelle der Maschine, die die reelle Arbeit vom Standpunkt ihres Arbeitsmittels verallgemeinert sowie das Subjekt dieser Arbeit entpersönlicht, tritt hier das Schießgewehr als die „Erfindung des allgemeinen, indifferenten, unpersönlichen Todes“ (S 331). An die Stelle des mechanischen Zusammenhangs der ökonomischen Teilarbeiter tritt gesamtgesellschaftlich gesehen die „mechanische Konstitution“ des Volkes durch die Organisation des Staates (S 359, vgl. S 340), denn obgleich an und für sich das Volk die „organische Totalität“ und „die absolute Indifferenz aller Bestimmtheiten des Praktischen und Sittlichen“ darstellt (S 327), besteht „die Realität aber des Allgemeinen darin, daß es als eine Menge von Individuen“ (S 339, vgl. S 325) nur existiert, also durch die Regierung als „Mitte“ (S 357) zu einem Subjekt verbunden werden müsse. Hegel, dem die ökonomische Realisierung unmittelbar vergesellschafteter Arbeit außerhalb seines Denkhorizontes liegt, entwickelt die Prädikate einer unmittelbar gesamtgesellschaftlichen Arbeit anhand der Kriegsarbeit. Die reelle, gesamtgesellschaftlich allgemeine Vergesellschaftung wird historisch in keinem ökonomisch produktiven Sinne als Arbeit erreicht, sondern nur in dem Sinne einer „negativen“ Arbeit, einer destruktiven Arbeit. In der Tat ist unter napoleonischen Voraussetzungen die Destruktionsweise höher vergesellschaftet als die Produktionsweise. Die zentralisierte Staatsmaschinerie produziert unter Kriegsbedingungen einen das ganze Volk integrierenden Kooperationseffekt, während ökonomisch produktive Kooperationseffekte höchstens auf der Ebene betrieblicher Allgemeinheit produziert oder insofern sie gesamtgesellschaftlich auftreten, nur ausgetauscht werden, also formell bleiben. Das Volk existiert nicht unmittelbar als der gesellschaftliche Gesamtarbeiter, ist nicht in der Arbeit, aber im Krieg ein reell allgemeines Subjekt: „die unmittelbare Tätigkeit im Volk ist keine Arbeit, sondern in sich organisch und absolut“ (S 335). Hegels Apologie der Negativität unterstellt den historisch höheren Allgemeinheitsgrad der revolutionären Kriegs- gegenüber der ökonomischen Arbeitstätigkeit in der napoleonischen Epoche. Dieser gesamtgesellschaftlich reell höhere Organisationsgrad der napoleonischen Destruktionsweise über die manufakturkapitalistische Produktionsweise verleiht der Hegelschen „Regierung“ die historische Sicherheit, die „reale gewalthabende und Differenz bestimmende“ Allgemeinheit (S 352) zu sein. Meines Wissens war Hippolyte Taine der erste Historiker, der auf den Zusammenhang zwischen Smith’ Arbeitsteilungs- und Arbeitsmittelbegriff einerseits und andererseits der napoleonischen Staatsmaschinerie als Reproduktion der manufakturbürgerlichen Arbeitsweise auf der gesamtgesellschaftlich-staatlichen Ebene aufmerksam gemacht

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hat.251 Die Beschäftigung mit Hegel unterstreicht philosophiehistorisch den Ansatz von Cistozvonov, die Französische Revolution als Revolution am Ende der Möglichkeiten des Manufakturstadiums zu begreifen.252 Die „Arbeit des Krieges“ steht bei Hegel für die logische Herauspotenzierung des Arbeitsbegriffes, bis dieser reell auf der Ebene gesamtgesellschaftlicher Allgemeinheit gedacht werden konnte. Dies war historisch nur unter Abstraktion vom ökonomischen Inhalt des Arbeitsbegriffes möglich. Die ökonomische Handhabung des Begriffes einer auf gesamtgesellschaftlich allgemeiner Ebene reellen Arbeit wird erst von Marx entworfen. Nach dem System der Sittlichkeit, in der zweiten Hälfte seines Jenenser Aufenthaltes, formiert Hegel ein weiteres Moment der gesamtgesellschaftlich allgemeinen Arbeit, aber als Dimension des allgemeinen Erkennens, der nicht reellen, sondern ideell allgemeinen Arbeit. Dieser Begriff bereitet, hinsichtlich der logischen Gedankenform, den Marxschen Begriff von der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit unmittelbar vor.253 Das Subjekt der Kriegsarbeit ist das Volk, kein Einzelner. Das Individuum kann als Individuum unmittelbar gesamtgesellschaftliche Arbeit nur in Form von wissenschaftlicher Arbeit leisten. Da letztere infolge der arbeitsteiligen Verselbständigung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit historisch als ideelle Arbeit erscheint, identifiziert Hegel das allgemeine Arbeitsmoment wissenschaftlichen Erkennen mit ideeller und die körperliche Arbeit mit reeller (materieller) Arbeit. So kann laut Hegel das Individuum als solches unmittelbar gesamtgesellschaftliche Arbeit prinzipiell nicht materiell leisten, aber ideell in der Teilnahme an den allgemeinen Formen des Geistes. Der Einzelne arbeitet bei Hegel materiell allgemein auf vorgesamtgesellschaftlicher Abstraktionsebene, wenn er mechanisch arbeitet, d. h. als manufakturieller Teilarbeiter tätig ist. Der Einzelne arbeitet formell auf gesamtgesellschaftlicher Allgemeinheitsebene, wenn er als Funktionär des Zirkulationsprozesses handelt. Er arbeitet reell auf gesamtgesellschaftlicher Allgemeinheitsebene, wenn er sich als Angehöriger seines Krieg führenden Volks „für das Volk […] in die Gefahr des Tods begibt“ (S 329). Während in den reell allgemeinen Arbeiten (mechanische Arbeit und Kriegsarbeit) der Einzelne nur immer als integraler „Teil“ einer „Menge“ allgemein arbeiten kann, also nicht unabhän251

252 253

Siehe zur „arbeitenden Maschine“ des Staates unter Napoleon I. Hippolyte Taine, Die Entstehung des modernen Frankreichs. Dritter Band. Erste Abteilung. Zweites Kapitel, S. 71 ff. und S. 633. Durch die Reproduktion der innermanufakturiellen Arbeitsteilung in der Maschinerie der Staatsapparate kommt Napoleon seinem Ziel nahe, wie er selbst sagt, dieser „politische Ingenieur“ (S. 20), „endlich die Herrschaft der Vernunft und die vollständige Verwertung der menschlichen Fähigkeiten herbeizuführen“ (Ebd. zitiert S. 638 f.). Die staatliche Realisation des Prinzips der innermanufakturiellen Arbeitsteilung und Kooperation führt z. B. hinsichtlich des „napoleonischen Schulwesens“ dazu, dass alle „Bildungsmittel zu einer riesigen, organisierten, von ihm beaufsichtigten und geleiteten Fabrik vereinigt“ werden (ebd., S. 352 f.). Die Übertragung dieses Prinzips auch noch auf die Kunstproduktion führt zur „fabrikmäßigen“ Erzeugung von „Trauerspielen und Heldengedichten“ (ebd., S. 93). Diese wurden wohl zu Recht von der Literaturgeschichte längst vergessen. Siehe Cistozvonov, a. a. O., S. 45. Auch bei Marx fällt allerdings die gesamtgesellschaftlich allgemeine Realisation von Arbeit mit der Aufhebung der Arbeit als der entscheidenden Basis der Reichtumsproduktion zusammen. Wissenschaft gilt nicht nur als allgemeine Arbeit, sondern zugleich als – dank der Sprache – unmittelbar gesellschaftliche Tätigkeit. Siehe H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft. Kap. 1.6, S. 121–143. Vgl. zur Kritik an der romantischen Tradition der Aufhebung der Arbeit A. Arndt, Die Arbeit der Philosophie. 3. u. letztes Kap.

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gig von einer aktuellen Kooperationsbeziehung mit anderen, arbeitet der Bourgeois als Individuum, unabhängig von reeller Kooperation mit anderen Bourgeois, allgemein, aber infolge der Eigentumsdetermination formell allgemein oder nach der „abstrakten […] Gleichheit der Bürgerlichkeit“ (S 326), die im Gegensatz zum konkreten Ich verbleibt. In der Wissenschaft schließlich kann das Individuum als Individuum, unabhängig von äußeren Kooperationsbeziehungen, unmittelbar gesamtgesellschaftlich tätig werden: „es ist Ich, das dieses und kein anderes Ich und das ebenso unmittelbar vermittelt oder aufgehobenes allgemeines Ich ist“254 (vgl. S 324 f.). Dieser Ansatz zeichnet sich im System der Sittlichkeit erst ab, wenn Hegel die „wahre absolute Realität der Wissenschaft“ (S 359) als jene Seite der sozialen Totalität versteht, in welcher „das Allgemeine absolut ist und das Besondere vollkommen in sich aufnimmt“ (S 350). Worauf Hegel in der philosophischen Formbestimmung der Kriegs- und Begriffsarbeit intendiert, stellt Marx später als das Problem der wissenschaftlichen Unterscheidung zwischen den „Produktivkräften der gesellschaftlichen Arbeit“ und den „allgemeinen gesellschaftlichen Produktivkräften, wie der Wissenschaft“, dar.255 Während die Betätigung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit nur in „gemeinschaftlicher Arbeit“ erfolgen kann, also „unmittelbare Kooperation der Individuen“ unterstellt, ist „allgemeine Arbeit“, d. h. „alle wissenschaftliche Arbeit“, nur „teils durch Kooperation mit Lebenden“ bedingt, wobei diese Kooperation auch keine unmittelbare sein muss.256 Das „gesellschaftliche Individuum“ arbeitet allgemein, d. h. wissenschaftlich.257 Wenn man von der inhaltlichen Bindung des Hegelschen Begriffes der gesamtgesellschaftlich allgemeinen Arbeit („Arbeit der Regierung und der Tapferkeit“: S 336) und dem historischen Charakter der philosophischen Interpretation der wissenschaftlichen Arbeit (Wissenschaft als ideelle Arbeit) abstrahiert, erfasst man Hegels Aussagen als philosophische Bestimmung der „Gedankenformen“ von allgemeiner Arbeit und erreicht so das positiv würdigende Verhältnis des reifen Marx zu Hegel. Der reife Marx vergleicht seine ökonomische Entdeckung des „Formgehalts des relativen Wertausdrucks“ gegenüber den bürgerlichen Ökonomen mit Hegels Entdeckung des „Forminhalts der Urteils- und Schlußparadigmen“ gegenüber den vorangegangenen philosophischen Logiken.258 Hegels philosophische Formbestimmungen der allgemeinen Arbeit können helfen, die für nach-industrielle und nach-kapitalistische Gesellschaften konstitutiven Begriffe der assoziierten Arbeit und der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit im Unterschied zur unmittelbar und mittelbar gesellschaftlichen, darunter geistigen Tätigkeit zu formieren.259 Gehen wir neben der Bedeutung der „Arbeit des Krieges“ nun näher dem Stellenwert der „Arbeit des Krieges“ nach. Die „Arbeit des Krieges“ ist in Hegels System der Sittlichkeit die höchst entwickelte negative Potenz, was den napoleonisch-heroischen Charakter 254 255 256 257 258 259

G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 556. K. Marx, Theorien über den Mehrwert. Erster Teil, MEW Bd. 26.1, S. 368. Ders., Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 113 f. Ders., Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, S. 505. Vgl. ders., Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW Bd. 1, S. 267. Ders., Das Kapital. Ware und Geld. (Erstausgabe von 1867). In: K. Marx/F. Engels: Politische Ökonomie, Bd. 2, S. 229. Vgl. S. 222, wo Marx – auf Hegels Arbeitsteilungsbegriff verweist. Vgl. zur Diskussion zwei charakteristische Standpunkte: Peter Ruben, Dialektik und Arbeit der Philosophie, Köln 1978 u. Hubert Laitko, Wissenschaft als allgemeine Arbeit, Berlin 1979.

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seines Systems unterstreicht. Wir haben bisher hier erst die Potenzen der affirmativen Negation des Eigentums, die nur zur Realisation des Eigentums führen, betrachtet. „Wie die absolute Form sich als Bestehen des Gegensatzes im vorigen ausgedrückt hat, so drückt sie sich in ihrem Gegenteil oder im Vernichtetsein des Gegensatzes aus“ (S 310). Während wir bei Smith die Bedeutung der „Verbrecher“ erst im Zusammenhang der Entwicklung der Kolonien und der damit verbundenen neuen Weltordnung konstitutiv werden sahen, entwickelt Hegel für jede seiner positiven Potenzen, die die Entwicklung der Gegensätze von der Arbeitsteilung bis zur Zirkulation und Staatsverfassung positiv entfalten, Gegenpotenzen. Drehen sich die positiven Potenzen um die Eigentumspotenz, in der sie fixiert werden, so besteht das „Negative […] also im Nichtanerkennen des Eigentums, im Aufheben desselben“ (S 299). Es gibt zwei Arten der Negation des Eigentums, „entweder rein negativ, so ist es dialektisch“ (S 310), oder abstrakt, d. h. eine Negation als nur „Entgegensetzung gegen die Entgegensetzung“, die „den Gegensatz nicht aufhebt“ (S 310), sondern „im Gegensatz“ gegen das Eigentum stehen bleibt (S 310). Im Folgenden interessieren nur der Krieg und die Kolonialisation als die reelle und weltgeschichtliche Endpotenz der Negationsarten der Eigentumsordnung. Die Notwendigkeit und Art der Negation ergibt sich zunächst aus der Bestimmung des zu Negierenden, des Objekts der Negation. Die arbeitsteilige und eigentumsformierte Gesellschaft der natürlichen Sittlichkeit verfügt über eigene, zu respektierende Mechanismen der Selbstregulation, wie den Mechanismus der Tauschwertbestimmung durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage (S 351), oder die Bestimmung des Werts der Arbeitskraft auf Grund der natürlich „klimatischen“ und sozial „gebildeten“ Bedingungen dem „Durchschnitt“ nach, oder das „Sinken des Werts einer Art von Überfluß“ durch das „Emporkommen derselben Arbeit in andern Gegenden“ mit größerer „Wohlfeilheit“, oder die Distribution der Arbeitskräfte je nachdem, ob der „Wert“ einer Warenart „steigen oder fallen wird.“ (S 351 f.) Hegel reagiert auf die theoretische Begründung des Liberalismus durch Smith. Hegel anerkennt, dass dieses materielle System „von selbst durch die Natur […] das richtige Gleichgewicht teils unter unbedeutendem Schwanken erhält, teils wenn es durch äußere Umstände gestört ist, durch größeres Schwanken sich wiederherstellt“ (S 351). Hegel würdigt auch, wie Smith, dass diese Ordnung von persönlichen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen im allgemeinen emanzipiert ist: „Dieses Versenktsein in Besitz und Besonderheit hört hier auf, Knechtschaft gegen die absolute Indifferenz zu sein; es ist indifferenziert so gut es kann, oder die formale Indifferenz, das Personsein wird im Volk reflektiert, und der Besitzende verfällt durch seine Differenz nicht mit dem ganzen Wesen, also nicht in persönliche Abhängigkeit; sondern seine negative Indifferenz ist als etwas Reelles gesetzt, und er ist also Bürger, Bourgeois, und er wird als Allgemeines anerkannt“ (S 336). Hegels großes Aber stützt sich auf die Smithsche Problematisierung der Selbstentwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Die natürlichen Gleichgewichtsbeziehungen, die dieses System selbst einreguliert, sind nur die Herstellung einer „Abstraktion des Gleichgewichts“, welche von dem allgemein-gesellschaftlichen „Interesse […] absieht“ (S 352) und den „allgemeinen Bedürfnissen“ entgegensteht (S 355). „Das organische Prinzip dieser Potenz ist die Einzelheit“ (S 352). Das Einzelne wird in diesem System nur abstrakt verallgemeinert, „in den großen, in Massen betrachteten Verhältnissen“ (S 351), zu einer bloßen „Summe unendlich vieler Einzelheiten“ unter Abstraktion von den „unendlich

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vielen Qualitäten“ der Bedürfnisse, Überflüsse, Arbeiten und Individuen. Auch wenn nur im Fall des „einzelnen ungeheuer Reichen“ die Reproduktion des „Verhältnisses der Herrschaft“ latent bleibt, ist das „Ansich“ der bürgerlichen Ordnung selbst, „die Masse des Reichtums“, die reelle Vernichtung der Sittlichkeit: „das absolute Band des Volks, das Sittliche, ist verschwunden, und das Volk aufgelöst“ (S 354). Das nur formell allgemeine, von der Persönlichkeit abstrahierende Band der Individuen widerspricht dem Ordnungsprinzip dieses System, der Einzelheit, allein innerhalb der Bestätigung dieses Prinzips, des „Triebs nach unendlichem Reichtum“ (S 355). Das „Volk“ existiert gar nicht als ein Handlungssubjekt, sondern als zusammenrechenbare Menge von Atomen. Die die Individuen vergesellschaftende Arbeitsteilung schlägt wieder in sozial produzierte Atomisierung um. Die Gleichheit der gehandelten Reichtumsquanta abstrahiert von der realen „Ungleichheit des Reichtums“. Wer die „ideelle Allgemeinheit“ der Arbeit realisiert, der Bourgeois, kommt zu „hohem Reichtum“, während wer „reell mechanisch“ arbeitet in die „tiefste Armut“ herabsinkt (S 353). Der formell allgemeine Charakter der natürlichen Gleichgewichtsbeziehungen dieses Systems abstrahiert davon, ob die „arbeitende Klasse verarmt“ (S 356). Was vom Standpunkt des Ganzen dieses Systems wenigstens noch als die Möglichkeit galt, die durchschnittlichen Massenverhältnisse in dem Auf- und Niederwogen der Wertgrößen gradweise zu erkennen, ist dem in dieses System hineingeworfenen Individuum seine Auslieferung an eine „wenig erkennbare, unsichtbare, unberechenbare Macht“, denn die Wertbestimmung seines Arbeitsprodukts ist „unabhängig von ihm und wandelbar“ (S 350). Jener Teil des dieses System tragenden Standes, der „zur mechanischen und Fabriksarbeit aufgeopfert und […] der Roheit“ überlassen wird (S 354), bildet „die Bestialität der Verachtung alles Hohen“ (S 354) aus, während der „Charakter der Arbeit“ des anderen, formell allgemein arbeitenden Teiles dieses Standes „verständig“ ist (S 338). Insoweit der „unter der Herrschaft des Verstandes“ stehende Stand der Bourgeois seine Bewusstseinsqualität überschreitet, also Vernunft annimmt, so ist es allein die „Vernunft […] einzusehen, daß die absolute Sittlichkeit ein Gedanke bleiben muß“ (S 331). Hegel sieht, wie Smith, zwischen dem Charakter der Arbeitstätigkeit und dem Bewusstseinsniveau einer sozialen Schicht einen direkten Zusammenhang. Hegel identifiziert, in Übereinstimmung mit Smith, die Bourgeoisie als den sozialen Träger des Verstandes im Gegensatz zum Citoyen, dem Träger der Vernunft. Hegel stellt, Smith folgend, den Gegensatz von Reichtum und Armut als den charakteristischen der neuen Ordnung heraus und hebt kritisch den spontanen Charakter der Selbstregulation des bürgerlichen ökonomischen Systems hervor. Was tun angesichts dieses zerstörerischen Systems voller Errungenschaften? „Dieser Ungleichheit und ihrer und der allgemeinen Zerstörung hat die Regierung aufs höchste entgegenzuarbeiten“ (S 354). Soll sie dies aber tun können, angesichts der reellen Subsumtionskräfte des bourgeoisen Systems, muss die Regierung das „reelle gewalthabende Ganze“ (S 352) sein. Diese Regierung hat ein „negatives Geschäft“ zu betreiben, „ihr Negatives ist ihr Wesen“ (S 344). Wenn man aber betrachtet, „wie das Allgemeine real, oder in Händen von Individuen ist“ (S 339), fragt sich, wie zu sichern wäre, dass diese Individuen das Allgemeine nicht für ihre besonderen Interessen despotisch umfunktionieren, also das gerade staatlich zu negierende Prinzip der Einzelheit auf staatlicher Ebene reproduzieren. Vor letzterer Verkehrung ist die Regierung an sich nicht gefeit, denn das

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Regierende ist nur „formell das absolut Allgemeine, […] und die Frage ist allenthalben in der Differenz, daß die Regierung wahrhaft Potenz gegen das Besondere sei, daß die Individuen notwendig im Allgemeinen und Sittlichen seien“ (S 339 f.). Dieses Problem kann nicht durch den „formalen“ Gedanken einer „organischen Zentralgewalt“ gelöst werden, der „in allen Systemen der Theorie sowie der Wirklichkeit anzutreffen ist“ (S 344). Also diskutiert Hegel die entgegen gesetzte und nicht weniger weit verbreitete Lösungsvariante. „Das organische Prinzip ist die Freiheit, daß das Regierende selbst das Regierte sei“ (S 358). „Die Demokratie ist die Darstellung in allen“ (S 361). Doch im Gegensatz zum frühen Hegel, der quasi von der selbstverständlichen Gutartigkeit des kleinbürgerlich gedachten Volkes ausgehend danach fragte, wie das Volk das Heft in den Händen behalten könne, weiß der schon in Frankfurt revolutionshistorisch desillusionierte und in Jena schließlich durch die manufakturbürgerliche Ökonomie des Adam Smith hindurchgegangene Hegel darum, dass die bürgerliche Arbeits- und Handelsgesellschaft das Volk atomisiert. Unter diesen Bedingungen führt die „Wahl des ganzen Volkes zu seinem Repräsentanten“ (S 346) zu einem Allgemeinen, das nur die Summe der unverletzlichen Einzelheiten ist, ebenso formell und quantitativ wie in der Tauschsphäre das Allgemeine des Werts „ganz atomistisch zusammengerechnet werden muß“ (S 351) und wie auch überhaupt die Staatsorgane der Legislative und Gerechtigkeit die „formale Allgemeinheit“ des Handels reproduzieren, statt das absolut Allgemeine reell zu konstituieren und unter dieses die Einzelheit „reell zu subsumieren“ (S 347 f.). Jede „solche Einzelheit und Tat des Wählens ist in der Zeit, empirisch, zufällig und darf und muß dürfen zurückgenommen werden. Ein Volk ist nicht an sein Wort, an seine Tat, an seinen Willen gebunden, denn dies alles ist aus seinem Bewußtsein und aus der Einzelheit“ (S 346). Insofern sich das absolut Allgemeine aber nur aus dem Bewusstsein des Volks konstituieren würde, wäre das absolut Allgemeine nicht reell begründet. Insofern es aus der Summation der Einzelheit hervorginge, wäre es zwar reell, aber kein absolut Allgemeines mehr. Aus diesem, schon bei Gelegenheit der „Verfassungsschrift“ behandelten, Dilemma des reell nirgendwo zu verankernden absolut Allgemeinen scheint einstweilen der „Bauernstand“ herauszuführen, denn dieser arbeitet weder mechanisch noch formell allgemein, und so auch ohne „Handeln des Verstandes“ (S 332). Seine „Arbeit und sein Erwerb (bilden) eine größere und umfassende Totalität“ aus (S 338). Der Bauernstand hat zwar auch „Eigentum“ (S 333), ist „in Beziehung auf das physische Bedürfnis ebenfalls im System der allgemeinen Abhängigkeit“ arbeitsteilig integriert, verhält sich andererseits aber „patriarchalisch“. Der Charakter der Arbeit dieses Standes ist „nicht ganz verständig“, aber auch nicht mehr „unmittelbar die Zubereitung des Dings für das Bedürfnis“. Er ist schon „mittelbar“ (S 338), aber doch wieder ohne die selbständige Bedeutung einer Werkzeug- oder gar Maschinen-Potenz, denn der Bauer „läßt das Nützliche durch die Natur tun“ (S 332). Hegel charakterisiert die Bauern als eine zwischen Hörigsein (S 332 f.) und kleinbürgerlichen Eigenschaften steckengebliebene Zwittergestalt, an der ihm letztlich nur wichtig ist, daß sie eine, wenn auch unentwickelt „rohe“ (S 339) und unselbständige, so doch negative Potenz gegen das reell übergreifende Subsumtionsbestreben der bürgerlichen Gesellschaft darstellt. Smith vermag, angesichts des hohen Kapitalisierungsgrades der Agrikultur in England, keine Illusionen mehr auf die Bauernklasse zu begründen, ja scheidet diese im Unterschied zu Steuart, bei dem die Bauern auch noch als „Selbstversorger“ gelten, aus der Reihe der Hauptklassen bereits aus, während Hegel mit

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den kontinentalen Bauern revolutionshistorisch berechtigte Hoffnungen verbinden kann. Hegel nutzt bewusst den Gegensatz der Arbeitsweisen zur Begründung des bourgeoisunabhängigen Citoyen aus. Der Bauernstand ist aber auf Grund seiner Unterentwickeltheit hegemonieunfähig. Da sich kein hegemoniefähiges Subjekt des absolut Allgemeinen finden lässt, erkonstruiert es Hegel gewaltsam hinter dem Schilde einer ausgiebigen Antike-Rezeption, insbesondere des platonischen Staates, die für Hegels System, im Gegensatz zu Smith, in allen Staatsfragen und von Anfang an wesentlich wird. Wo der Heroismus in seiner Gegenwart keinen realen Anhaltspunkt mehr findet, setzt er sich vor das antike Spiegelbild seiner Illusionen, und auch nicht der Realität dieses „Bildes“ (S 335) sicher, steckt er seine „klare, spiegelreine Identität“ in den Rahmen der „Erscheinung Gottes“: „alles Menschliche und alle andere Sanktion hört hier auf“ (S 345 f.). Hegels Charakterisierung seiner „Idee“ des „absoluten Standes“ ist „schlechthin nur negativ“ (S 334) getragen von der fiktiven Annahme eines „Höheren“, das über dem Gegensatz „Stand gegen Stand“ stehe (S 340), was aber bedeutet, da alle Stände bürgerlich oder bäurisch sind, die „Alten und Priester“ zu bemühen, weil diese „auf der Schwelle des Todes“ das „reale Sein in einem Stande gleichsam aufgegeben haben und schlechthin im idealen leben“ (S 341). Auf diesem Wege endet Hegels „absolute Negation alles dessen, was dem absoluten Verhältnis der absoluten Idee widerstreiten könnte“ (S 344), in der Sackgasse eines natürlichen „Leibes“, „als ein Zufälliges für sie (die absolute Idee: H.-P. K.), als ein sich Findendes, Passendes und (mit ihr) Übereinstimmendes“ (S 342). Hilflos in das Reich des göttlichen Zufalls geraten, zeichnet Hegel eine idealistisch-religiöse Karikatur des Arbeitsbegriffes: „Die Natur verhält sich hier als Werkzeug“ (S 342). Nun mag sehr wohl einen Einzelnen die „Schwelle des Todes“ mit dem Schicksal der Weisheit und Güte schlagen können, so daß er gar uns anderen die Scham vor seinem hohen Weg durch ernste Heiterkeit noch nähme, doch – ein Staatskonzept an den Zufall zu binden, ein solcher fiele auf den Thron, erklärt den philosophischen Bankrott. Aber Hegel traut der bürgerlichen Subsumtionsmacht mehr als dem Bündnis der naturgeborenen Mummelgreise, Priester und Bauern. So hat Hegel den die bourgeoise Gesellschaft tragenden Stand durch äußerliche Gegengewichte quasi umzingelt, ohne allerdings in diese Gesellschaft selbst reell negativ einzubrechen. Die Bauern stellen als Arbeitende keine Alternative dar. Der absolute Stand als Träger der Regierung bleibt in seiner Absolutheit versichert und als bloße Regierung, von Hegel selbst zugegeben, eine formelle Allgemeinheit. Aber das absolut Allgemeine bezieht sich auch auf reelle Negationen der bürgerlichen Ordnung selbst, auch wenn diese nur abstrakte sind (2. Kapitel des Systems der Sittlichkeit). „Dieses Negative oder die reine Freiheit geht auf die Aufhebung des Objektiven so, daß es die ideelle, in der Notwendigkeit nur äußerliche oberflächliche Bestimmtheit, das Negative zum Wesen macht, also die Realität in ihrer Bestimmtheit negiert, aber diese Negation fixiert“ (S 311 f.). Den positiven Resultaten der Arbeit zum Zwecke der Befriedigung aller konkreten Bedürfnisse ist abstrakt negativ die „zwecklose Zerstörung, die Verwüstung“ entgegengesetzt, mit dem Ergebnis, dass die zivilisierte Sittlichkeit in die elementarische Natur zurückgeschleudert wird. Die „gedrückte Unbestimmtheit bricht los, und die Barberei der Zerstörung fällt auf das Gebildete, und räumt auf, und macht alles frei und eben und gleich“ (S 314). Die formelle Gleichheit innerhalb bürgerlicher Gesellschaftlichkeit scheint absolut negiert in der Gleichheit außerhalb aller Gesellschaftlichkeit.

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Die gebildete Selbstzerstörung durch Armut und Reichtum innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft scheint absolut aufgehoben in der barbarischen Selbstzerstörung außerhalb aller Gesellschaftlichkeit. Den fixen Verstandesbestimmungen gegenüber wird die völlige „Unbestimmtheit“ fixiert, was in seinem „Vernichten der Entgegengesetzten […] sich selbst vernichtet“. Diese Negativität der bloßen „Wut“ auf Verstandesfixa ist zwar schon absolut und reell, aber „auf dem Extrem der absoluten Abstraktion stehend, ist sie der absolute mittellose Trieb“. Als solche scheidet sie Hegel durch Historisierung („Cingiskan, Tamerlan, kehren als die Besen Gottes ganze Weltteile völlig rein“) für die absolute Sittlichkeit, die die bürgerlichen Errungenschaften nicht einfach vernichten soll, aus (S 314). Eine schon spezifisch bürgerliche Art abstrakter Negation sind „Beraubung“ und „Diebstahl“ (S 315), weil sie sich gegen den dinglichen Reichtumsfetisch der bürgerlichen Ordnung richten. „Raub ist nur da, wo nicht das Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft ist“ (S 316 f.). Aber eben gerade deshalb, weil sich diese Negativität im illegitimen Besitzwechsel von Objekten erschöpft, der legitim ja auch im Handel vollzogen wird, ist sie nicht absolut, „die einzelne, nicht auf die Totalität der Persönlichkeit gehende Subsumtion“ (S 472), negiert also gar nicht das der bürgerlichen Gesellschaft wesentliche Personsein selbst, sondern innerhalb dieses Personseins. Insofern bleibt auch die legitime Beraubung der Bourgeois durch die Regierung, durch ein System von Abgaben zur „Erschwerung des hohen Gewinns“, vom Prinzip her nur „äußerliche“ Negation (S 354) des bürgerlichen Systems. Die „Indifferenz oder Totalität dieser beiden Negationen“ der Vernichtung und Beraubung (S 318) in gesellschaftlicher Heraufpotenzierung und geschieden von historischen Vorformen gedacht, als das „Vernünftige“ und die „Mitte“ (S 321), ist der „Krieg“. Die „Gleichheit der Gefahr“ im Kampf sprengt formelle Gleichheitsbeziehungen, wie sie die Handelssphäre auszeichnen und gesamtgesellschaftlich durch die „Gleichheit des Rechts“ (S 321 f.) stabilisiert werden, auf. Wir sahen Hegel schon in seiner Verfassungsschrift (Kap. 3. 1.) den Krieg nicht aus Rechten ableiten, geschweige vermoralisieren, sondern umgekehrt den Krieg als die die Rechtssysteme reell konstituierende Tat feiern. Solange Hegel den „Krieg“ noch nicht innerhalb der absoluten Sittlichkeit, d. h. als allgemeine Arbeit definiert, sondern nur als höchste Potenz der reellen, aber noch abstrakten Negation, vermerkt Hegel ausdrücklich, dass der Krieg „mit dem Verhältnis der Herrschaft endigen kann“ (S 322), womit Hegel gegen Smith steht. Hegel geht es nicht um Kriegsführung an sich, die in ihrer „Ungewißheit“ Fehlfunktionen einschließt (die feudalabsolutistischen Mächte führen ja auch Krieg), sondern um eine ganz bestimmte Art und Weise des Krieges, die Refeudalisierung und merkantilistische Kolonisation ausschließt, dem expansiven Subsumtionsdrang der bürgerlichen Gesellschaft folgt und zugleich reelle Negationspotenz gegenüber der bourgeoisen Gesellschaft bleibt. Die Verbrecher-Potenzen (S 309–323) sind insofern abstrakt, als sie nicht Potenzen der Negation unter der Voraussetzung der Anerkennung der bürgerlichen Gesellschaft sind. So abstrakt diese Potenzen des Verbrechens bestimmt sein mögen, weshalb die absolute Sittlichkeit auch ihnen widerstreiten muss, so wenig verzichtet die absolute Sittlichkeit auf die reellen Negationskräfte dieser Potenzen. Noch drastischer könnte es Hegel nicht formulieren: „Wenn das Verbrechen nicht das Anerkennen leugnete, so könnte es das, was es vollbringt, ebensogut ändern, dem Allgemeinen überlassen“ (S 359).

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Den positiven Potenzen der bürgerlichen Arbeits- und Handelsgesellschaft stehen die im Krieg kulminierenden Potenzen des Verbrechens gegenüber, beide als dialektisch zu negierende. „Die absolute Sittlichkeit erhebt sich über die Bestimmtheit dadurch, daß es sie aufhebt, aber so, daß es sie in einem Höhern mit ihrem Entgegengesetzten vereinigt, also nicht in Wahrheit es bestehen läßt und nur mit negativer Bedeutung setzt, sondern durch die vollkommene Identität mit seinem Gegenteil seine Form, oder Idealität aufhebt, gerade ihm das Negative nimmt, und es absolut positiv oder reell macht“ (S 310). Dem sich bourgeoisen Klammern an das Eigentum steht im „Kriege als der Darstellung des Negativen“ gegenüber, dass „das Eigentum weggeworfen“ wird (S 330). Der ökonomischen Arbeit für Zwecke steht gegenüber „die Arbeit ohne Zweck“, dem Arbeiten das „Vernichten“ (S 330). Dem allgemeinen gesellschaftlichen Lebensunterhalt steht gegenüber der „allgemeine Tod“ (S 331). Im Angesicht des Todes gilt das Leben der „Person“ nicht mehr als das „Absolute“ (S 331 f.). Hier nimmt Hegel die ähnlich lautende, kriegsheroische Seite der Smithschen „Theorie der ethischen Gefühle“ auf, ohne Smith’ Relativierung dieser Seite im Namen der bürgerlich verstandenen „Menschlichkeit“.260 Im Krieg ist die Atomisierung des Volks aufgehoben. Unter: „Krieg“ notiert Hegel: „Hier ist Allgemeinheit und Einzelheit eins, und das Wesen ist diese Totalität […] das Volk wird der Verbrecher […] und opfert den Besitz“ auf (S 359). Das Volk wird absolute Totalität, die „gegen ihr eigenes Inneres Besonderes gerichtet“ ist (S 349), ihre eigenen formellallgemeinen Bindungen zerschlägt, das Sichfestsetzen der Verstandesbestimmungen reell allgemein aufhebt, ihr bloß durchschnittliches Mengendasein zerstört. Da unter den Staatsgewalten nicht Legislative oder Rechtsprechung, sondern die „ausübende Gewalt“ (S 348) die allein „wahrhafte Realität“ und „reelle Subsumtion“ (S 347) darstellt, im Krieg aber ja die zum Volk gewordene Menge selbst exekutiert, löst sich Fichtes Paradoxon auf, dass die Zentralgewalt „eine Macht sein (soll) über alles, also gebietend, übermächtig wirkend, und zugleich als Macht doch ein Nichts sein“ soll (S 344 f.). „In jeder Gestalt und Äußerung der Sittlichkeit hebt sich der Gegensatz einer Position und Negation durch die Integration derselben auf“ (S 327). Der Krieg ist absolut sittlich, wenn in ihm die Integration von Staats- und Volksgewalt Wirklichkeit wird. In der „Tapferkeit“ erscheint „der ganze Kranz der Tugenden“ (S 329 f.). Die hilflose Konstruktion des absoluten Stands enthüllt sich, wie Lukács bereits sah261, historisch rationell als napoleonischer Kriegsadel, und insofern in Friedenszeiten die Regierung bloß formell allgemeine Geschäfte ausübt, als napoleonischer Beamtenadel. Smith hatte zwar auch eine Klasse, die der Rentenbezieher, welche außerhalb der ökonomischen Arbeitssphäre und des Zirkulationsgeschehens stand und deren Interesse mit dem gesamtgesellschaftlichen harmonierte, aber die Grundbesitzer sind überhaupt untätig. Hegels absoluter Stand ist kein Rentnerverein, sondern Stand der Führungskräfte der Arbeit des Krieges. Das Fußvolk bilden die Bauern, die nicht als ökonomisch Arbeitende, sondern als Krieger eine reelle Negationskraft darstellen. Der Krieg schließt reell alle Negationspotenzen als dialektische zusammen. Dass der Gegensatz zwischen Arbeits- und 260

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Siehe A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle, S. 198 f. 228 f., 231 f., 404 f. Auch Hegels häufiger Gebrauch von „reell“ ist durch Smith stimuliert. Auch die damaligen deutschen Übersetzungen des Smithschen ökonomischen Hauptwerks berücksichtigen die Verwendung von „reell“. Siehe E. Erämetsa, Adam Smith als Mittler englisch-deutscher Spracheinflüsse, S. 55 f. G. Lukács, Der junge Hegel, S. 434.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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Handelsgesellschaft einerseits und Kriegsgesellschaft andererseits sich aber nicht zur Ausschließlichkeit verselbständige und sogar in der barbarischen Selbstvernichtung der Zivilisation oder in Refeudalisierung ende, steht der Krieg auch im Dienste des Expansionsdranges der „die ganze Erde in Unkosten“ (S 353) stürzenden bürgerlichen Gesellschaft, im Dienste der „Eroberung“ (S 350). „Das Volk, das sich nicht anerkannt findet, muß dieses Anerkanntwerden produzieren durch Krieg oder Kolonien“ (S 347). Insofern sich der Krieg innerhalb der absoluten Ebene hinsichtlich seines Resultats nicht in eine formellallgemeine Negationspotenz rückverwandelt, nicht nur eine neue Form von „Gerechtigkeit“ (S 350) herrschaftlich setzt und zugleich nicht nur die bürgerliche Atomisierung des Volks auf der Ebene der „Abstraktion des Verhältnisses zu fremden Völkern als Individuen gegeneinander“ (S 349) wiederholt, sondern zu einem dialektisch negativen, damit auch, wie in der Arbeit, zu einem positiven Resultat führt, schlägt er um in „Kolonisation“. Hegels System der Sittlichkeit endet stichwortartig mit einer gegenseitigen Problematisierung der monarchistischen und demokratischen Teile der Staatsverfassung (S 360 f.), wie wir eine solche als ausgleichende Staatsform für die Übergangsgesellschaft auch bei Smith bemerkten, und mit der positiven Rezeption der Smithschen Kernillusion über die weitere Weltentwicklung, der Kolonialisation als einer vergleichsweise weltgeschichtlichen „Kindererzeugung“, dass „das Volk ein anderes Volk hervorbringt“ (S 360). Hegel hakt in den Widerspruch der Smithschen Argumentationsweise, den zwischen einerseits ökonomischem Liberalismus und andererseits heroischer Problematisierung der politischen Fortsetzung dieses Liberalismus im bürgerlich-formalen Demokratismus, derart ein, dass die manufakturkapitalistische Antagonismenentwicklung als innerhalb des Überganges kriegsheroisch beherrschbar vorgestellt werden kann. Hegels Rehabilitation eines kriegsheroischen Ansatzes begründet diesen infolge der französischen Revolutionskriege und der Anerkennung der von Smith dargestellten manufakturkapitalistischen Gesellschaft neuartig. Der besondere Akzent liegt bei Hegel nicht mehr darauf, durch Krieg die handels- oder manufakturkapitalistische Gesellschaft zu begründen, oder, von ihrer Existenz ausgehend, den Krieg als Reproduktion des Konkurrenzverhaltens der Bourgeois mit staatlichen Mitteln zwischen den bürgerlichen Nationen anzusehen, oder zu fordern, dass an die Stelle der durch Krieg ausgetragenen Konkurrenz die friedliche Welthandelskonkurrenz trete. Vielmehr richtet sich Hegels Kriegsheroismus, bei Anerkennung der genannten Teilfunktionen des Krieges, nun gegen die entstandene manufakturkapitalistische Gesellschaft selbst, zwecks ihrer heroischen „Integration“. Ferguson denkt noch ganz typisch vorhegelisch ökonomische Konkurrenz und Krieg als Triebkräfte der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft zusammen. „Ohne den Wettstreit der Nationen und ohne den Krieg könnte die bürgerliche Gesellschaft selbst kaum Inhalt oder Form gefunden haben.“262 Hegel denkt unter der Voraussetzung, dass der Krieg die mit staatlichen Mitteln betriebene Verlängerung der Konkurrenz darstellt, die Verwandlung dieses Kriegs in eine Negation der totalen Subsumtionskraft des bourgeoisen Systems, ohne dass der Krieg zur Wiederherstellung feudaler Herrschaftsverhältnisse führe. An die Stelle des Kriegs als staatlicher Verlängerung der Konkurrenz tritt der Krieg als die auf die staatliche Ebene heraufpotenzierte reelle Arbeit. Während die mechanische Arbeit als teilallgemeine reelle Arbeit durch das bourgeoise Privateigentum formiert werden müsse, negiert die auf ge262

Adam Ferguson, Abhandlung… S. 33.

256

Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

samtgesellschaftlicher Ebene reelle Arbeit wieder die privateigentümerische Bewegungsform der Arbeit, allerdings um den Preis, als Krieg keine ökonomisch alternative Arbeitsweise mehr zu sein, also die manufakturkapitalistische Arbeitsweise doch zu unterstellen. Dieser Krieg als Vernichtung und als höher allgemeine Form von reeller Arbeit erzeugt das reale Phänomen, dass „der Macht nach das Allgemeine in seiner Realität dem Besondern überlegen“ ist (S 339). Dies gilt aber nur unter der historischen Voraussetzung, dass die napoleonische Kriegsweise gegen die konterrevolutionäre Übermacht Kontinentaleuropas und gegen den Hauptkonkurrenten England einen gesamtgesellschaftlichen Kooperationseffekt zeitweilig zu realisieren gezwungen ist und selbst in ökonomischer Potenz auftritt. Mit der realen Macht des Allgemeinen gegenüber dem Besondern ist es sogleich aus, sobald es mit dem napoleonischen Interludium der Permanenz des Krieges aus ist, und der Citoyen restaurativ beseitigt wird oder seinem reifenden Bourgeois anheimfällt, woran Smith in seiner Auswertung des manufakturkapitalistischen Vorsprungs Englands kein Zweifel mehr entsteht. Hegels heroische Lösung ohne das Smithsche „bisher“, im Sinne eines sich noch einmal selbst gewissen „Trotzalledem“, erscheint als möglich, weil die Voraussetzung der ganzen Smithschen Theorie, die Einsicht in die Klassenstruktur der schon manufakturkapitalistischen Gesellschaft263, Hegel nicht zu rezipieren vermag. Hegel eignet sich die Smithsche Ökonomie durch das Prisma einer doppelten Brechung an, der Brechung durch die der napoleonischen Revolutionsentwicklung immanenten Zusammenhänge, die noch infolge des deutschen Phasenrückstandes potenziert werden. Diese Brechung lässt von Smith’ Klassenbestimmungen nichts Wesentliches übrig. Darüber können einige an Smith anklingende Formulierungen, die im Sinne der Smithschen Ökonomie aber begrifflos gebraucht werden, nicht hinwegtäuschen. Wir sahen schon Hegels Eigentumsbegriff seinem Arbeitsbegriff widersprechen. Die theoretische Stellung des Mehrwertproblems bleibt Hegel versagt.264 Hegel versteht zwar ausdrücklich unter „Stand“ keinen „Sklavenstand“ mehr, denn der „Sklave verhält sich als Einzelnes zum Herrn“ (S 334), aber ein „Stand“ soll bei Hegel auch wieder keine „Klasse“ (S 356) sein. Zwar differieren die „Stände“ statt nach der juristischen Stellung nach ihrer Arbeitsweise und ist ihre absolut -sittliche Tauglichkeit umso größer, je weniger sie an das notwendige bürgerliche Eigentum gekettet sind, aber zugleich müssen die Stände spekulativ aus vor-gefassten sittlichen Prinzipien hervorgehen, weil die bourgeoise Gesellschaft ja von Hegel selbst als allgemein gesetzt anerkannt wird. Würde nur aus der produktiven Arbeitsweise der Sittlichkeit abgeleitet, wäre der absolute Stand nicht begründbar, also gilt: „Wie das Sittliche der Tugenden, so das Arbeiten“ (S 330). Zwar beziehen sich die Stände nach der „Gleichheit der Arbeit“ aufeinander, aber der Gleichheit ihrer „nützlich“ verschiedenen Arbeitsweisen (S 335). Darin liegt ein typisch Hegelsches Quidproquo zwischen Anerkennung der modernen bürgerlichen Gesellschaft und Aufrechterhaltung des Primats der Gebrauchswertbestimmtheit, wie dieser in der antiken Tradition enthalten ist.265 Zwar gibt es bei Hegel keinen Stand, der nicht arbeitet, aber dem Smithschen Citoyen, der allgemeiner Bourgeois bleibt, erscheint die Kriegsarbeit des absoluten und Bauernstandes keinesfalls als nützlich. Zwar 263 264 265

R. L. Meek, Ökonomie und Ideologie, S. 30 ff. So schon G. Lukács, Der junge Hegel, S. 217. Siehe K. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 387 f. und 73 f.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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sollen, wie bei Smith die Klassen, bei Hegel die Stände in sich „demokratisch“ organisiert sein (S 361), aber es sind Stände, keine Klassen. Zwar gilt bei Hegel der Stand der bürgerlichen Gesellschaft als eben ein Stand, aber in demselben gibt es doch schon mechanisch und formell allgemein Arbeitende, Arme und Reiche. Hegel vertritt eine auf napoleonisch-kriegsheroische Weise abgesicherte Konservierung der Übergangsentwicklung vom „Stand“ zur „Klasse“, die Konservierung der gewesenen Stände und ungeborenen Klassen. Die höchste Aufgabe der Regierung besteht in „dieser absoluten Erhaltung aller Stände“ (S 341). In der Tat, setzt die Regierung den Widerspruch zwischen diesen Ständen „nicht voraus“, aus welchem allein ihre Realität entstehen kann, „so fällt die ganze Macht der Realität in einen Klumpen“ (S 345). Aus dem Prisma der doppelten Brechung entsteht eine deutliche Diskrepanz zwischen Hegels positiver Rezeption der theoretischen Bestimmungen der handels- und manufakturkapitalistischen Verhältnisse auf der einen Seite und auf der anderen Seite Hegels Unfähigkeit, die realen Klassenträger dieser sozialen Verhaltensweisen zu erfassen. Während die Bildung des Begriffes „der Arbeit“ spezifisch kapitalistische Verhältnisse historisch unterstellt, eignet sich Hegel diesen Begriff an, ohne über den Smithschen manufakturbürgerlichen Klassenbegriff zu verfügen. Wer arbeitet eigentlich? Vom Standpunkt der realen manufakturkapitalistischen Klassenentwicklung taumeln Hegels Begriffe subjektlos über das Papier. Während Hegel immerhin noch einen Eigentumsbegriff hat, wenn dieser auch schon seinem Arbeitsbegriff logisch inadäquat ist, so kann von einem Klassenbegriff keine Rede mehr sein. Die napoleonische Form des Hegelschen Heroismus, im Unterschied zu der des frühen Hegel, abstrahiert nicht mehr davon, dass die Individuen bereits arbeitsteilig vergesellschaftet sind, sondern erwächst der Einsicht, dass die ökonomische Vergesellschaftung reell nur Teilvergesellschaftung oder formell allgemeine Vergesellschaftung bedeutet, also die natürliche Einzelheit der ersten Potenzreihe sozial wiederherstellt, weshalb eine neue Ebene der Vergesellschaftung der Individuen, die des Staates, konstruiert werden muss. Auf Grund dieser Einsicht erfolgt eine erneute, jetzt aber die Errungenschaft der manufakturbürgerlichen Ökonomie, den Arbeitsbegriff, philosophisch ausnutzende Abwertung der Vergesellschaftungspotenz der ökonomischen Arbeit. In der Erneuerung der Abwertung der bourgeoisen Sphäre kommt die Kontinuität seines Heroismus zur Geltung. Dass nun aber diese Abwertung zum einen unter Anerkennung der formellen Vergesellschaftungspotenz der ökonomischen Arbeit erfolgt und zum anderen vom Standpunkt einer gesamtgesellschaftlich allgemeinen Arbeit, wenn diese auch philosophisch konstruiert wurde, begründet wird, zeigt die Neuartigkeit und Tiefe des Jenenser Ansatzes. Die historisch-inhaltliche Bindung des Begriffes der reell allgemeinen Arbeit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene an die „Arbeit des Krieges“ bringt den napoleonischen Charakter des Jenenser Ansatzes zum Ausdruck. Der in der Verfassungsschrift aus revolutionshistorischen Gründen bereits hoch bewertete „Krieg“ wird im System der Sittlichkeit erstmals als „Arbeit“ entwickelt. Bezeichnenderweise tritt die Bestimmung des Krieges als allgemeine Arbeit nach Napoleons Sturz und der Krise der Funktionsbestimmung der Hegelschen Philosophie in der „Enzyklopädie“ und Rechtsphilosophie wieder zurück,266 nachdem übergangsweise diese 266

Vgl. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, S. 425. § 54 ff. Ders., Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 281 ff. § 325 ff. u. 334 ff.

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Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

heroische Illusion ihr historisch antikes Kostüm in der Phänomenologie bereits zugegeben hatte: „Um sie (die Teile des Gemeinwesens: H.-P. K.) nicht in dieses Isolieren einwurzeln und festwerden, hiedurch das Ganze auseinanderfallen und den Geist verfliegen zu lassen, hat die Regierung sie in ihrem Innern von Zeit zu Zeit durch die Kriege zu erschüttern, ihre sich zurechtgemachte Ordnung und Recht der Selbständigkeit dadurch zu verletzen und zu verwirren, den Individuen aber, die sich darin vertiefend vom Ganzen losreißen und dem unverletzbaren Fürsichsein und der Sicherheit der Person zustreben, in jener auferlegten Arbeit ihren Herrn, den Tod, zu fühlen zu geben. […] Das negative Wesen zeigt sich als die eigentliche Macht des Gemeinwesens und die Kraft seiner Selbsterhaltung.“267 Die philosophische Produktion des Begriffes der allgemeinen Arbeit, die Hegel in Auseinandersetzung mit der Smithschen Ökonomie unter revolutionshistorisch gesehen napoleonischer Voraussetzung gelingt, legt unmittelbar den Grundstein für die Leistung Hegels während der zweiten Hälfte seines Jenenser Aufenthaltes (1804–1807). In dieser schließt Hegel die klassische deutsche philosophische Tradition der Reflexion über die Tätigkeitsform der Wissenschaft mit dem schottischen ökonomischen Arbeitsansatz in der idealistisch priorisierten Formel von einem allgemeinen Moment der Arbeit im Geiste direkt zusammen. Die napoleonische Kriegsarbeit bildet den historisch-inhaltlichen Gegenstand, an welchem die logische Ebene allgemeiner Arbeit gebildet werden kann, und vermittelt insofern den Zusammenschluss des Tätigkeits- und Arbeitsansatzes innerhalb des klassischen deutschen Idealismus. Der Begriff der allgemeinen Arbeit als Krieg stellte noch keine positive, doppelte Negation des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffes dar. Im System der Sittlichkeit wird die geistige Tätigkeit noch nicht als Arbeit begriffen, sondern in Schellingscher Tradition als durch wechselseitige Subsumtionen zustande kommende Indifferenzierungsleistung der erkenntnistheoretischen Verfahren von Anschauung und Reflexion. Die Entwicklung des Wissenschaftsbegriffes als allgemeine Arbeit erfolgt in erneuter, außerordentlich intensiver Kant- und Fichte-Rezeption, die in der zweiten Hälfte der Jenaer Jahre weniger unter revolutionshistorisch- heroischem und praktisch-philosophischem als erkenntnistheoretischem Vorzeichen steht. Kants Primat der praktischen gegenüber der reinen Vernunft wiederholt sich thematisch, bei aller wechselseitigen Bedingtheit, in der Entwicklungsgeschichte Hegels. Hegels späterer Wissenschaftsbegriff ist im System der Sittlichkeit hinsichtlich der logischen Allgemeinheit unmittelbar vorbereitet, da der in „Eroberung und Kolonisierung“ aufgehobene Krieg nach außen und auf reelle Weise bedeutet, was nach innen und auf ideelle Weise „Erziehung, Bildung“ (S 350) und die „wahre absolute Realität der Wissenschaft“ an Vergesellschaftungspotenzen (an „absolut Bindendem“) zu entwickeln vermögen (S 360), zumal es „keinen absoluten Einteilungsgrund in die innere Regierung und die nach außen“ gibt (S 349). Der im napoleonischen Stadium der Französischen Revolution real verwurzelte Primat des Allgemeinen gegenüber dem Besonderen oder formell Allgemeinen wird bei der späteren Explikation der Wissenschaft aufrecht erhalten. Um diese Beibehaltung innerhalb der Entstehungsgeschichte der Hegelschen Philosophie zu erklären, ist wohl der heroismus- geschichtliche Ansatz notwendig, aber bei weitem nicht hinreichend. 267

Ders., Phänomenologie des Geistes. Der wahre Geist. Die Sittlichkeit, S. 324.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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Dafür ist eine detaillierte Erklärung spezifisch objektiver Zusammenhänge erforderlich, wie diese zum einen vom Standpunkt der historischen Stellung der Wissenschaft in der vorindustriellen Übergangsgesellschaft und der immanenten Entwicklungsprobleme der damaligen Arbeitsweisen der Wissenschaften entstehen, zum anderen vom Standpunkt der allgemeinen Arbeit überhaupt, die an sich nicht privateigentümerisch- und wertformierbare Arbeit darstellt.268 Die absolute Sittlichkeit als „absolute Bildung“ ist die „absolute Uneigennützigkeit, denn im Ewigen ist nichts Eigenes“ (S 328 f.). Der negative Charakter der allgemeinen Arbeit bleibt auch in ihrer Fassung als Wissenschaftsarbeit erhalten. Sobald Hegel seinen Begriff vom allgemeinen Arbeitsmoment im wissenschaftlichen Erkennen ausbildet, entsteht die Hegel eigentümliche theoretische Form von objektivem Idealismus, und schlägt die noch stark vorphilosophisch und traditionell philosophisch beeinflusste Entstehungsphase in zunehmende Selbstentwicklung dieses Ansatzes der Hegelschen Philosophie um. Der napoleonische Kriegsheroismus wird, in klassisch deutscher Tradition, wesentlich durch einen theoretisch formierten Wissenschafts- und Bildungsheroismus ergänzt, umgestaltet, ja, nach dem Ende der napoleonischen Epoche sogar verdrängt, wie Hegels Heidelberger Antrittsrede zeigt.269 Schon äußerlich betrachtet verkehrt sich die systematische Darstellungsfolge in den sogenannten Jenaer Realphilosophien im Vergleich zum System der Sittlichkeit. Wozu das System der Sittlichkeit am Ende hinführt auf Grund historisch reeller Ableitungsbasen, zur Wissenschaft als Tätigkeit mit höchstem gesellschaftlichen Charakter, verwandelt sich als allgemeine Arbeit in den Ausgangspunkt der Deduktion der niedriger vergesellschafteten Tätigkeiten.270 Die „Wissenschaft, das Produkt der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung in ihrer abstrakten Quintessenz“, wie Marx schreibt,271 verkehrt sich Hegel als die höchste Form von vergesellschafteter Arbeit zu dem der „Entstehungsgeschichte“ des Menschen „vorausgesetzten Subjekt“.272 Hegel produziert nach seinem System der Sittlichkeit in theoretisch gehaltvoller Weise die Hoffnung, voll „höchster Freiheit und Schönheit“, dass das „Göttliche“ der dann allgemeinen Erkenntnis, die „unter keiner Hülle“ (S 329) versteckt wird, eine gesellschaftsbestimmende Rolle hätte. „Die Bewegung, die Form seines (des Weltgeistes: H.-P. K.) Wissens von sich hervorzutreiben, ist die Arbeit, die er als wirkliche Geschichte vollbringt.“273 Eine solche geschichtsbestimmende Rolle kann freilich die Wissenschaft als allgemeine Arbeit, solange sie historisch als ideelle Arbeit identifiziert werden muss, d. h. nur punktuell und unter der Voraussetzung der arbeitsteiligen Verselbständigung gegenüber der primären körperlichen Arbeit wirkt, nicht übernehmen. Wissenschaft lehrt, „Menschenarbeit durch natural agents (zu) ersetzen.“274 Als Moment der intensiv erweiterten Reproduktion der industriellen Produktionsweise wird die Wissenschaft bereits „allgemeine gesellschaftliche Produktivkraft“ (Marx). Sie kann unter 268 269 270 271 272 273 274

Siehe H. Laitko, a. a. O., S. 135 u. 131. Ders., Einleitung in die Geschichte der Philosophie, S. 3 ff. Siehe ders., Jenaer Realphilosophie, S. 179, 183, 185 ff., 197 ff. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 367. Ders., Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, MEW Ergänzungsbd. Erster Teil, S. 570. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 559. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.2, S. 554.

260

Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

dieser Voraussetzung ihren eigenen Reproduktionsprozess von bereits gesellschaftlicher Bedeutung und einschließlich einer eigenen materiell-technischen Basis ausbilden.275 In diesem eigenen Reproduktionsprozess der allgemeinen Arbeit ist der formationstypologisch gesehen neue, nachindustrielle Arbeitsmitteltyp zu entwickeln, welcher rückwirkend gegen die tradierten Produktionsweisen gesellschaftlich allgemein gesetzt werden kann. Diese wissenschaftlich-technische Revolution als ganze unterstellt aber die Veränderung sozialer Verhaltensweisen, wenn sie tatsächlich in eine ökologisch nachhaltige und soziokulturell verträgliche Richtung führen soll. Smith bot in der Frage der wissenschaftlichen Arbeit keine historisch entwickeltere Alternative zu Hegel. „Bei der geistigen Produktion erscheint andere Art von Arbeit produktiv“, als sie Smith definierte.276 Hegel unterstellte mit Smith die manufakturkapitalistische Arbeitsweise als die ökonomisch höchste. Hegel erfasst nicht die mögliche technologische Rückwirkung der Wissenschaft auf die tradierten Produktionsweisen als den Weg der von ihm selbst behaupteten Subsumtionskraft der Wissenschaft. „Erfindungen gehen nur auf Einzelnes“ (S 360). Anhaltspunkte für eine Hegelsche Rezeption der sich noch als Staatswissenschaft verstehenden „Technologie“, so der z. B. Johann Beckmanns, des „Begründers des Lehrfaches Technologie“,277 konnte ich nicht feststellen. Insoweit Smith Wissenschaft bereits als produktive Arbeit betrachtet, geschieht dies auf zweierlei Weise. Die Wissenschaft erscheint vom Standpunkt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als produktiv, wenn ihre Resultate in Warenform auftreten können und damit die wissenschaftliche Arbeit auf einfache körperliche Arbeit wertmäßig reduziert werden kann.278 Diese Reduktion bringt die kapitalistische Subsumtion der Wissenschaft zum Ausdruck, verhindert also gerade die Erkenntnis, dass die Wissenschaft als gesamtgesellschaftlich allgemeine Arbeit ihre kapitalistische, formell allgemeine Bewegung negiert. Oder Smith lobt wissenschaftliche Erfindungen, wie die von Maschinen, als Arbeitserleichterung der konkreten Arbeit, aber auch ohne die technologisch revolutionäre, schließlich die ganze körperliche Arbeit aufhebende Potenz der Wissenschaft als allgemeiner Arbeit historisch schon denken zu können. Unter vorindustriellen Bedingungen war die Materialität der allgemeinen Arbeit weder vom Standpunkt der Integration der Wissenschaft in den industriellen Reproduktionsprozess noch vom Standpunkt der wissenschaftlich-technischen Revolution aus zu begründen. Smith subsumiert die Wissenschaft, insofern sie historisch am Beginn der industriellen Revolution innerhalb der Manufakturproduktion schon produktive Kräfte erzielt, als multiplizierte einfache Arbeit historisch-ökonomisch zu Recht unter die körperliche Arbeit. Selbst die Maschinenarbeit, die schon von Handarbeit emanzipiert, bleibt körperliche Arbeit. Die körperliche Arbeit behält in der industriellen Produktionsweise den Status der primären, die ganze Produktionsweise tragenden Arbeitsform. Hegel sub275

276 277 278

Vgl. zu den beiden Brüchen in sowohl der Geschichte der Produktionskräfte als auch speziell der Wissenschaft am Ende des 19. Jh. und nach dem 2. Weltkrieg: J. D. Bernal, Die Wissenschaft in der Geschichte, Berlin 1967, S. 362 und 526 f. W. Jonas u. a., Die Produktivkräfte in der Geschichte, Bd. 1, S. 19, 26 f., 45., J. Kuczynski, Vier Revolutionen der Produktivkräfte. Zweiter Teil. H. Laitko, a. a. O., S. 137 f. u. S. 168 f. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 256. U. Troitzsch, Ansätze technologischen Denkens bei den Kameralisten des 17. u. 18. Jh., S. 150 ff. Vgl. K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 134.

Hegels Universalisierung des manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs

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sumiert spekulativ, ohne jede Rücksichtnahme auf ökonomische Produktivitätszusammenhänge und den historisch gegebenen reellen Primat der körperlichen Arbeitsform, alle nichtwissenschaftlichen Arbeitsformen und Tätigkeitsformen unter die Form des absoluten Geistes, der ein allgemeines Arbeitsmoment enthält. Diese allgemeine Arbeit und Sprache erscheint infolge ihrer vorindustriellen Verselbständigung gegenüber der ökonomischen Produktionsweise und infolge ihres historischen Charakters, noch über keinen eigenen Reproduktionsprozess mit eigener materiell-technischer Basis zu verfügen, als ideelle Arbeit im Erkennen. „Es ist in der Bestimmung der geistigen Entwicklung angegeben worden, daß sie wesentlich […] Arbeit, Tätigkeit gegen ein Vorhandenes, Umbildung desselben. Der Geist geht in sich und macht sich zum Gegenstand und die Richtung seines Denkens darauf, gibt ihm mittelbar Form und Bestimmung des Gedankens.“279 Zum Abschluss des vorliegenden Kapitels zur Interpretation des „Systems der Sittlichkeit“ (1803) mag ein Vergleich mit einer anderen aktuellen Lektüre dieses Hegelschen Textes und seines Vorgängers in Hegels Aufsatz „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts“ (1802) hilfreich sein. Wir haben in 4. 1. gesehen, inwiefern Schellings Naturphilosophie (in Komplementarität zur Transzendentalphilosophie innerhalb seiner Philosophie des Absoluten) Hegels Entdeckung der Sozialität und Historizität der Menschennatur ermöglicht hat, darunter insbesondere Hegels Übergang von der Rezeption der Ökonomie von J. Steuart zu der von Adam Smith. Dem kam in 4. 2. der moralphilosophische Kontext der Smithschen Ökonomie im Rahmen der schottischen Moralphilosophie entgegen. So wurde in 4. 3. verständlich, wie Hegel eine Universalisierung des Smithschen manufakturbürgerlichen Arbeitsbegriffs in einer napoleonischen Konzeption von der gesellschaftlich allgemeinen Arbeit des Krieges leisten kann, in Fortsetzung seines napoleonischen Heroismus aus der Verfassungsschrift (in 3.). Von all diesen Zusammenhängen findet sich in Herbert Schnädelbachs „Kommentar“ zu „Hegels praktischer Philosophie“ in der „Reihenfolge ihrer Entstehung“ kein einziger. Er demonstriert mit einem großen Selbstbewusstsein seine völlige historische Verständnislosigkeit für Hegels Texte, als ob ein eigener systematischer Anspruch nur aus der Pflege heutiger Vorurteile bestehen müßte. Schnädelbach spricht von einer gefährlichen „Metaphysik des Krieges als sittlicher Notwendigkeit“280 in Hegels Texten, als hätte es nie einen napoleonischen Kriegsheroismus und seine äquivalente Problemstellung im 20. Jahrhundert gegeben. Der frühe Jenaer Hegel vertrete einen „Anachronismus“, wenn er eine „Martkökonomie“ in die „pólis hineinprojiziert“281, so Schnädelbach, als ob die republikanischen Anhänger der Französischen Revolution nie der Antike als Medium ihrer Selbstverständigung bedurft hätten. Zugleich soll aber der frühe Jenaer Hegel Ökonomie noch im aristotelischen, nicht im modernen bürgerlichen Sinne verstanden haben, was Hegel erst in seinem ersten eigenen Systementwurf (1803–1804), auf den ich im nächsten Kapitel eingehen werde, überwunden habe.282 Nun, da konnten wir im europäischen Vergleich der heroischen Konzeptionen vom Citoyen bzw. dessen Substituten 279 280 281 282

G. W. F. Hegel, Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Die Berliner Niederschrift (1820). II. Begriff der Philosophie, S. 65. H. Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der Reihenfolge ihrer Entstehung, Frankfurt/M. 2000, S. 45, vgl. auch S. 109. Ebd., S. 46. Siehe ebd., S. 92 u. 129.

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Die Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffs im „System der Sittlichkeit“

(kleinbürgerlich, handels- und manufakturbürgerlich, bonapartistisch) bedeutend konkreter differenzieren. Hegels Verwendungsweise von Schellings „Potenzen“ sei schematisch und mechanisch und führe zu nichts Sinnvollem.283 Schließlich sei die „Mitte“ oder das „Medium“ der Entgegensetzung entbehrlich, so Schnädelbach, weil sie keine dritte „Entität“284 seien. – Als ob es Hegel um Entitäten ginge, wenn er, in Auswertung des Smithschen Mittel-Begriffs, von der generationenübergreifenden Verstetigung des Tätigkeitszusammenhangs handelt. Damit verfehlt Schnädelbach nicht nur Hegels SmithRezeption, sondern alle europäisch vergleichenden Pointen, die der frühe Jenaer Hegel für die Politische Philosophie entwickelt hat und um deren Zusammenhang es hier ging.

283 284

Siehe ebd., S. 111 f. Ebd., S. 120, vgl. dagegen zum aktuellen Forschungsstand Steffen Schmidt, Hegels System der Sittlichkeit, Berlin 2007.

5. Transformation und Integration der Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen (1803–1806)

Im Vorwort wurde die Frage nach dem Politischen im weiten Sinne aufgeworfen. Sie betrifft das Verhältnis zwischen den ökonomischen, politischen und geistig-kulturellen Verhältnissen in der modernen Gesellschaft. Im 3. Kapitel wurde – unter dem Gesichtspunkt der Frage nach dem Politischen im weiten Sinne – der napoleonisch-heroische Charakter des frühen Hegelschen Programms der Philosophie in Jena herausgestellt, zunächst anhand der Verfassungsschrift und ersten Aufsätze. In diesem heroischen Geiste eines Citoyen-Substituts erfolgte Hegels philosophische Rezeption der Smithschen Politischen Ökonomie, insbesondere dessen Begriffs der allgemeinen im Unterschied zu konkreten und abstrakten Arbeit, im „System der Sittlichkeit“ (1803). Dadurch wurde im 4. Kapitel die ansonsten rätselhafte Figur von einer allgemeinen Arbeit des Krieges revolutions- und damit seinerzeit weltgeschichtlich verständlich. Sie fördert nicht nur die Entwicklung der Arbeit und des Privateigentums zu einem eigenen System, das sich vom Ganzen der sittlichen Totalität abtrennt, geopfert wird, sondern begrenzt dieses System auf eine Tragödie im Sittlichen, um die Tragödie des Sittlichen abwenden zu können. Wir haben auch in den beiden vorangegangenen Kapiteln gesehen, dass sich Hegel in seiner Ausbildung einer napoleonischen Heroismusform und in seiner entsprechend selektiven Rezeption polit-ökonomischer Begründungen in philosophisch-systematischer Hinsicht noch an Schellings Identitätsphilosophie hält. Sie überzeugte Hegel als die systematisch fortgeschrittenste Gestalt der höheren Aufklärung der Vereinigung, an der er in seiner Frankfurter Zeit teilgenommen hatte (siehe 2. Kapitel). Insbesondere Schellings Aufwertung der Naturphilosophie in auch praktischer Hinsicht ermöglichte es Hegel, über Schelling hinausgehend die Sozialität und Historizität der Natur des Geistes zu thematisieren (mit Gibbon, Machiavelli, Steuart, Smith u. a.). In methodischer Hinsicht fiel Hegels besondere Aufmerksamkeit für den philosophischen Umgang mit der nordwestlichen Verstandeskultur als einer welthistorisch neuen Lage auf, in der die Philosophie – anders als zu antiken Zeiten – auf das Bedürfnis der Entzweiung trifft. In seinem Insistieren darauf, die Reflexion anhand ihrer Verkehrung in ihren Folgen gegen die Reflexion zu kehren, um so positive und negative Negationsformen unterscheiden zu können, kündigte sich methodisch etwas gegenüber Schelling Neues an. Es war kein Zufall, dass Hegel seine Methoden der Negation verständiger Fixierungen und Verabsolutierungen just in der Bewältigung des Begrenzungsproblems der mo-

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dernen bourgeoisen Ökonomie für eine darüber hinausgehende moderne Gesellschaft im Ganzen entwickelt, eben für die absolute Totalität der Sittlichkeit. Wenngleich mich die von Habermas selbst systematisch vertretene Trennung zwischen Arbeit und Interaktion nicht überzeugt1, teile ich doch mit ihm die philosophiehistorische Problemstellung, da sie sich aus dem Vergleich der Hegelschen Vorlesungen über Natur- und Geistesphilosophie von 1803–1804 und 1805–1806 ergibt. Das für Hegel erst am Ende und nach der Jenaer Periode spezifische System des Geistes aus der spekulativen Verwendung des Begriffs, die in der Durchführung den Reichtum konkreter Wirklichkeit einzuholen vermag, entsteht erst schrittweise aus der begrifflichen Formierung von Realverhältnissen: „Die Kategorien Sprache, Werkzeug und Familie bezeichnen drei gleichwertige Muster dialektischer Beziehungen; die symbolische Darstellung, der Arbeitsprozess und die Interaktion auf der Grundlage der Reziprozität vermitteln Subjekt und Objekt je auf ihre Weise. … Es handelt sich noch nicht um Stufen, die nach der gleichen logischen Form konstruiert wären, sondern um verschiedene Formen der Konstruktion selber. Eine Radikalisierung meiner These könnte lauten: es ist nicht der Geist in der absoluten Bewegung der Reflexion seiner selbst, der sich unter anderem auch in Sprache, Arbeit und sittlichem Verhältnis manifestiert, sondern erst der dialektische Zusammenhang von sprachlicher Symbolisierung, Arbeit und Interaktion bestimmt den Begriff des Geistes. Dem widerspräche der systematische Ort der Kategorien; sie treten ja nicht in der Logik, sondern in der Realphilosophie auf. Andererseits sind damals die dialektischen Beziehungen noch so anschaulich den Grundmustern heterogener Erfahrungen verhaftet, dass die logischen Formen je nach dem materialen Zusammenhang, dem sie entnommen sind, voneinander abweichen: noch weisen Entäußerung und Entfremdung, Aneignung und Versöhnung auseinander.“2 Für die Rekonstruktion von Hegels Jenaer System-Entwicklung bleibt Henrichs Vergleich mit Schellings Philosophie hilfreich, da der Impuls des Hölderlin-Kreises an den Frankfurter Hegel für den Jenaer Hegel nicht mehr ausreicht. In diesem Vergleich differenziert Henrich zwischen der Prinzip-, Begriffs- und Systemform in monistischen Philosophien des Absoluten. Solche Philosophien können sich unterscheiden: „In der Weise, wie sie das Prinzip des Systems, das ‚Absolute‘, auffassen (Prinzipform), in der logischen Form der Begrifflichkeit, die das Begreifen des Wirklichen im Einen Zusammenhang des Hen-Panta ermöglicht (Begriffsform), und im Aufbau des Systems, durch das sich die monistische Position begründet und entfaltet (Systemform). Die Arbeit des Forschens und Nachdenkens, die im Gange der Edition von Hegels Jenaer Schriften geschah, hat nun deutlich gemacht, dass Hegel um die Mitte der Jenaer Jahre an die Stelle der Prinzipform der absoluten Identität den Begriff des absoluten Geistes setzte und dass eine Systemform, in welcher der Logik vor allem die Aufgabe einer Einleitung zukam, von einer neuen abgelöst wurde, in der die Logik sogleich mit dem Anspruch anheben kann, eine Erkenntnis des Absoluten selbst zu sein.“3 Es gibt hier eine interessante, 1 2 3

Siehe zu Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns“ H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft, Berlin 1990. 4. u. 5. Kap. J. Habermas, Arbeit und Interaktion. In: Ders., Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt/M. 1968, S. 10. D. Henrich, Absoluter Geist und Logik des Endlichen. In: D. Henrich u. K. Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. Bonn 1980, S. 104.

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wenngleich nicht erwähnte Annäherung von Henrich an die philosophiehistorische Problemstellung von Habermas, wenn nämlich Henrich davon spricht, dass der Begriffsform die „Schlüsselstellung“ bei der „Aufklärung der inneren Formationsbedingungen von Hegels Denken“ zukomme: „Die Weise, in der Hegel Kategorien der formalen Ontologie auf der Grundlage der All-Einheitslehre spekulativ behandelt und in der er sie dann bei der Übersetzung konkreter Wirklichkeit in seine Begriffsform so gebraucht, dass die Konkretion als solche nicht verlorengeht, ist für Hegels Denken ohnedies am meisten charakteristisch.“4 In der Tat darf ein großer Konsens darüber erwartet werden, dass die Spezifik der Hegelschen Philosophie aus dieser Spannung heraus sich entfaltet, nämlich zwischen dem spekulativen Charakter der Geisteskonzeption als einer primär begrifflichen Selbstorganisation zum System einerseits und ihrer Bewährung in dem konkreten Wirklichkeitsgehalt der realphilosophischen Begriffsformen anderseits. Während Habermas gleichsam vom mittleren Bereich der begrifflichen Formierung soziokultureller Realverhältnisse nach oben zur Systemeinheit ansetzte, verfuhr Henrich umgekehrt, um von der Prinzip- und Systemform des Absoluten oben anhand ihrer Vermittlungsprobleme im Endlichen in der Begriffsform der soziokulturellen Wirklichkeit ankommen zu können. Wenn die Begriffsformen sowohl die Selbstorganisation des Systems als auch die Integrationsaufgabe des Wissens über die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche vermitteln und daher zur Einheit des Philosophierens und seiner Intervention führen, dann kommt den Begriffsformen der selbstbezüglichen Andersheit eine besondere Rolle in der Entwicklung der Hegelschen Philosophie als ganzer zu. Hegel überbrücke die Kluft zwischen dem Absoluten und dem Endlichen in der Figur der Selbstaufhebung des Endlichen, werde es nur im Prozess lange genug durchdacht: „Denn die Andersheit, welche das Endliche an ihm selbst aufweist, ist genau dieselbe, die es auch in Beziehung auf sich selbst hat. Ist Anderes anders als es selbst, so ist damit seine primäre Andersheit aus ihm selbst heraus aufgehoben. Seine Selbstbeziehung ist seine Selbstnegation.“5 Aber die Selbstbezüglichkeit der Andersheit läuft auf eine spekulative Universalisierung des Selbstbewusstseins hinaus. So wenig sich jedoch das Bewusstsein von Gegenständen in Selbstbewusstsein auflösen lässt, so wenig löst sich die Andersheit in Selbstbezüglichkeit auf. Das Primat der Selbstbezüglichkeit über die Andersheit lässt sich nur durch das Primat der Epistemologie über die Ontologie retten: „Das Absolute bezieht sich auf sein Anderes als auf sich selbst. So ist das Absolute gemäß dem Postulat der All-Einheit nur zu denken, wenn es als Erkennen gedacht wird, und zwar in der besonderen und höchsten Form von Selbsterkenntnis.“6 – Der Streit um Hegels System der Philosophie war und ist von jeher einer um die Frage, ob dieses idealistische Primat der epistemischen Wissensbeziehungen untereinander und über die Realverhältnisse der Natur und des Geistes die Aufgabe des Politischen i. w. S. lösen kann. Für Hegels Primatsetzung spricht die heute einsehbare Tendenz zur Transformation der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion von Arbeit auf Wissen durch neue informations- und kommunikationstechnologische Medien. 4 5 6

Ebd. D. Henrich, Andersheit und Absolutheit des Geistes. Sieben Schritte auf dem Wege von Schelling zu Hegel. In: Ders., Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982, S. 161. Ebd., S. 166.

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Für das kommende Kapitel ergeben sich so zwei Fragen, die in ihrem jeweiligen Zusammenhang rekonstruiert werden. Einerseits haben wir uns textexegetisch jener Transformationen zu vergewissern, die Hegels bisherige Arbeitskonzeption durch die Jenaer Geistesphilosophien hindurch bis zur „Phänomenologie des Geistes“ noch erfährt. Dieser Variation und Übertragung des bereits philosophischen Arbeitsverständnisses folgend entsteht zugleich die Gegenfrage, in welcher systemischen und methodischen Integration die jeweilige Transformation erfolgt. Da es sich im Kern um ein Thema des später von Hegel objektiv genannten Geistes handelt, das aber eine Umkehr der Natur in sich voraussetzt und die Möglichkeit der nochmals gesonderten Reflexion des objektiven als des absoluten Geistes eröffnet, folgen wir am besten den inzwischen dank der historisch-kritischen Gesamtausgabe Hegels gesicherten drei Systementwürfen seiner Jenaer Zeit (5.1. bis 5.3.). Meine Hypothese besteht – wie im Vorwort angekündigt – darin, dass Hegel ab 1805 eine sich selbst tragende Systemphilosophie des Geistes ausbildet, die die kulturelle Hegemonie über die moderne Verstandeskultur beansprucht und darüber vermittelt die im weiten Sinne politische Orientierung auf ein geistig-kulturelles Primat gegenüber der Politik und Ökonomie (im jeweils engeren Sinne) vertritt (s. u. Schlussbemerkungen). Damit verstehe ich die Verselbständigung des Systems der Philosophie gegenüber der Verstandeskultur selbst als eine heroische Kampfform in der Beantwortung der Frage nach dem Politischen im weiten Sinne, d. h. nach dem Primat im Verhältnis zwischen der Ökonomie, der Politik (i. e. S.) und der geistigen Kultur moderner Gesellschaften. Die Systemform selbst wird zum Politikum, weil es in modernen Gesellschaften nicht gleichgültig sein kann, was letztlich als das Absolute gilt. Es gilt als absolut, indem es sich aus sich heraus begründet, begrifflich zum System organisiert und diese systematische Integration aller anderen Wissensformen methodisch gegen andere Hegemonieformen durch Intervention vertritt. – Henrich hat die Verselbständigung der Hegelschen Philosophie zu der Kampfform eines Systems absoluten Wissens mit entsprechenden Interventionsmethoden nicht als eine Antwort auf die Frage nach dem Politischen i. w. S. behandelt. Gleichwohl hat er sich aber im Prozess der Aufhebung der deutschen und europäischen Teilung für eine Orientierung an der klassischen deutschen Philosophie stark gemacht, ihren Zusammenhang zur Französischen Revolution und zur – inzwischen aufgelösten – Institution der Reformuniversität hervorgehoben.7 Insofern kam im Nachhinein auch bei ihm (bei Habermas von Anfang an sowieso) das Politische (im Unterschied zu einer bestimmten Politik) seines Ansatzes doch noch intellektuell zum Vorschein.

5.1 Zum Jenaer Systementwurf I (1803–1804) In den Vorlesungsfragmenten aus 1803–1804 finden sich beide, die drei oben mit Habermas eingeführten Momente des Geistes und der oben mit Henrich eingeführte absolute Geist als das Anderswerden seiner selbst. Der Zusammenhang beider Gedankenführungen lässt sich textexegetisch nicht klar erfassen, da offenbar wichtige Manuskriptteile 7

Siehe D. Henrich, Französische Revolution und klassische deutsche Philosophie. In: Ders., Eine Republik Deutschland, Frankfurt/M. 1990, S. 71–101, D. Henrich, Nach dem Ende der Teilung. Über Identitäten und Intellektualität in Deutschland, Frankfurt/M. 1993. III. und V. Kap.

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insbesondere zur Logik und Metaphysik fehlen.8 Beginnen wir gleichsam von oben mit der Systemkonstruktion, so ist in ihr der Geist als ein dynamischer Prozess gefasst, der von der Natur als dem Anderen des Geistes ausgeht, um sie aufzuheben, über das Setzen der Natur als seiner selbst führt und bis zum absoluten Genuss seiner selbst durch Rücknahme in sich reicht.9 Das Interessante besteht hier in der Bindung des „absoluten Geistes“ an „ein“ Volk als dem absolut allgemeinen Elemente und Werke (224). „Dies Anderswerden seiner selbst ist, dass er sich als Passives auf sich als ein Tätiges bezieht, als tätiges Volk, ein sich Bewusstseiendes überhaupt, in das Produkt, das Sichselbstgleiche übergeht; und indem dies gemeinschaftliche Werk aller, das Werk ihrer als Bewussteiender überhaupt ist, so werden sie sich als ein Äußeres darin; aber dies Äußere ist ihre Tat, es ist nur, zu was sie es gemacht haben, es sind sie selbst als Tätige, Aufgehobene; und in dieser Äußerlichkeit ihrer selbst, in ihrem Sein als Aufgehobener, als Mitte schauen sie sich als Ein Volk an, und dies ihr Werk ist somit ihr eigener Geist selbst.“ ( 224). Diesem zusammenfassenden Zitat lässt sich entnehmen, dass der absolute Geist „Bewusstsein“ als seine erste Existenzform (189, 195) voraussetzt, die zuvor entwickelten „Mitten“ (193, 226–230) nunmehr selbst zu einer Mitte im Äußeren seines Werks integriert und schließlich auf die absoluten Genussformen seiner selbst in Kunst, Religion und Philosophie führt (236 f.). Die Redeweise vom allgemeinen Werk des absoluten Geistes enthält eine Arbeitsdimension in Resultatform. Schauen wir uns also nun umgekehrt den Systemaufbau gleichsam von unten her, von seinen Voraussetzungen und Folgen, an. Hegel führt das Bewusstsein unter der naturphilosophischen Voraussetzung des Heraustretens des Tieres aus dem Organismus und dessen Rückkehr ins Innerlichwerden ein (183). Er schlägt damit den Weg der Umkehr innerhalb der Natur aus ihr heraus in ein neues Inneres ein (192, 215). Das Bewusstsein gilt als die erste Form der Existenz des Geistes (195). Sein Begriff umfasst das Einssein des Einfachen und der Unendlichkeit (183). Bewusstsein ist instabil, da seine Glieder unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst sind, es sie aufhebt und dadurch sich im Ganzen von Differenz zu Differenz aufhebt (189). Hegel unterscheidet im Bewusstsein zwischen dem, das sich bewusst wird, d. h. dem sich Bewusstseienden, und dem, dessen sich das Bewusstsein bewusst wird, dem Bewussten (189). Das Sich der Selbstbezüglichkeit betreffe nur die Tätigkeit des sich Bewusstseienden, nicht des Bewussten, das das Bewusstsein „immer außer sich hat“ (189). Dieser Tätigkeit werden Negativität („negative Beziehung auf die Natur“, 190, 192), Allgemeinheit und Unendlichkeit zugeordnet, dem Bewussten indessen empirische und positive Bestimmtheit (191). Allein, dieser Möglichkeit der Ausdifferenzierung von Bewusstsein wird erst dadurch Realität zugesprochen, dass es zu einer Organisation seiner Formen als Mitten kommt (191). Damit haben wir den Ausgangpunkt von Habermas (s. o.) erreicht. Durch das Bewusstsein wird Idealität in der Natur möglich, aber auf eine noch verschwindende Weise. Das Bewusste verschwindet einfach im je sich Bewusstseienden, das sich Bewusstseiende im je Bewussten. Hegel bringt nun die Mitte als „äußerliches Medium“ (wie einen Äther, eine Luft, 192) ins Spiel, damit sich das Bewusstsein, ein 8 9

W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 160. G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I. Das System der spekulativen Philosophie, Hamburg 1986, S. 225. Im Folgenden setze ich die Seitenzahlen dieser Ausgabe oben im Text sogleich in Klammern.

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Innerlichwerden, im Äußeren abstützen, eben „existieren“ (194) kann. Das Bewusstsein existiert nur, indem es in seinem äußeren Medium vermittelt wird, wodurch es in der Natur aus der Natur heraustritt (215). Als die drei äußeren Mitten, in denen ein Drittes gegenüber der Entgegensetzung innerhalb des Bewusstseins entsteht, werden nun das Gedächtnis in der Sprache, das Werkzeug in der Arbeit und das Familiengut für die Kinder der elterlichen Liebe eingeführt (193). Man verstehe aber, so Hegel, diese äußere mediale Abstützung des Bewusstseins falsch, wenn man sie einer der beiden Seiten des Bewusstseins allein zuschlüge. Dann erschiene das Gedächtnis als Produkt der Sprache allein als Bewusstes, ebenso das Werkzeug als Produkt der Arbeit als Bewusstes und schließlich das Kind als Produkt der Liebe der Eltern als Bewusstes (215). „Aber in Wahrheit ist Sprache, Werkzeug, Familiengut nicht bloß die eine Seite des Gegensatzes, das dem sich als das Bewusste Setzenden Entgegengesetzte, sondern ebenso auf ihn bezogen; und die Mitte, das, worin er sich von seinem wahren Gegensatze abscheidet, in der Sprache von andern, zu denen er spricht; in dem Werkzeug von dem, gegen das er mit dem Werkzeug tätig ist; durch das Familiengut von den Mitgliedern seiner Familie. Er ist als Tätiges. Diese Mitten sind nicht das, wogegen er tätig, nicht gegen Sprache, Werkzeug als solche, Familiengut als solches, sondern die Mitte oder, wie es genannt wird, das Mittel, wodurch, durch welches hindurch er gegen ein anderes tätig ist.“ (193) Richtig verstanden setze die Tätigkeit (des Gedächtnisses, der Arbeit und Liebe) in ihrem dauerhaften und wesenspezifischen Produkt (der Sprache, dem Werkzeug und Familiengut für die Kinder) eine Kumulation in Gang, die die Tätigkeit der folgenden Individuen von der Fixierung auf ein innerhalb des Bewusstseins Entgegengesetzten freihält: „die Tätigkeit des Individuums kann sich gegen beide Seiten und deren einzelne Momente richten und sie selbst ideell setzen.“ (193) Bei aller Mittigkeit und Mittelhaftigkeit der Gesamtstruktur dieser drei Muster, wir bleiben mit ihr im Bewusstsein: „das Individuum ist nur eine formale Seite des Gegensatzes, das Wesen aber ist die Einheit von beiden Seiten, und diese Einheit ist das Bewusstsein“ (ebenda). Dies bedeutet auch, dass Hegel die typisch moderne, privateigentümerische Projektion der Herrschaft abweist, da sie das Verhältnis zwischen den Selbstbewusstseinen betreffe, die erst im Kampf um Anerkennung zu Personen werden (217–223). Der Kurzschluss von der Mitte auf das Mittel, das sich verselbständigt und so Herrschaft ergibt, wird auf die Anerkennungproblematik verwiesen: „es ist hier überhaupt kein Verhältnis der Herrschaft des Individuums oder gegen das Individuum“ (193). Man missverstehe die Struktur der Mittigkeit, eben die mediale Existenzweise des Bewusstseins in der Sprache, Arbeit und Familie, wenn man ihre Mittel für „einzelne Dinge“ hielte, die man „vernichten kann“ (ebenda). Das Individuum könne nicht die Medien der Existenz von Bewusstsein beherrschen wie man einzelne Dinge zu beherrschen vermag. Ohne diese Medien existiert kein Bewusstsein, auch nicht seines im Gegensatz zu anderen, eine Unterscheidung, die ins Verhältnis der Selbstbewusstseine untereinander fällt. Hegel nennt die mediale Existenzweise von Bewusstsein „absolut notwendig allgemein“ (ebenda). Ohne sie wären die Folgeschritte zum gesellschaftlichen Verhältnis der Selbstbewusstseine überhaupt nicht möglich. Gleichwohl bejaht er die Mittel dieser anonymen, nicht personal angeeigneten Medienstruktur, da sie sie kumulieren. Auch die Verselbständigung der Mittel, so der Sprache im Kult ihrer Tradierung, der Werkzeuge für neue Werkzeuge (Maschinen), des Familiengutes für Kinder der Kinder, wird von Hegel bejaht, insoweit sie die mediale Existenzweise von Bewusstsein

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kontinuieren, dauerhaft machen: „es kommt zu einem dauernden absoluten Produkte, da hingegen die Natur zu keinem dauernden Produkte (kommen) konnte“ (194). Man sieht hier, wie Hegel seine Smith-Rezeption weiterhin variiert und ausbaut, insbesondere die oben (im 4. Kap.) entwickelte Unterscheidung und Einheit zwischen Mitte und Mittel in generationenübergreifenden Prozessen, sich tätig in der Natur zu halten, indem man aus ihr medial schon vorpersonal heraustritt. Die mediale Existenzweise des Bewusstseins im Gedächtnis, in der Arbeit und familiären Liebe generiert in der Verselbständigung ihrer entsprechenden Mittel, nämlich der Sprache, des Werkzeugs und des Familiengutes, die Möglichkeit, dass sich die nachwachsenden Tätigen von dem Gegensatz im Bewusstsein ihrer Vorfahren „abscheiden“ (193) können, mithin eine Kulturgeschichte eröffnen. Michael Tomasello spricht heute von dem Wagenhebereffekt, der in der soziokulturellen Nische der Naturgeschichte für die Menschwerdung möglich geworden sein muss.10 Hegel denkt natürlich noch nicht nach-darwinistisch, sondern vordarwinistisch. Aber als Philosoph weiß er so oder so, dass der Umschlag der Natur aus der Natur heraus, wodurch die negative Beziehung des Geistes gegenüber der Natur zustande kommt, nicht unabhängig von den heutigen Verstehensmöglichkeiten erforscht und dargestellt werden kann. Die Thematisierung der Kippbewegung in der Natur heraus zum Geiste nimmt ihrerseits bereits heutigen Geist für ihre Erforschung und Darstellung in Anspruch, so Intelligenz (einschließlich Anschauung, Phantasie und Gedächtnis), Verstand und Vernunft (235). Wir thematisieren das Thematisierte aus späten kulturhistorischen Produkten kulturhistorischer Medien dieser naturgeschichtlichen Kippbewegung heraus. Die Vorlesungsmanuskripte zeigen, wie Hegel mit dem Einholen der eigenen Thematisierungsermöglichung ringt, die bereits aus Ausdifferenzierungen der Rekursion von Produkten und Medien auf Produkte und Medien besteht. Daher zieht Hegel in seine Darstellung ein systematisches Gerüst ein, das Geist als „das Produkt der Vernunft“ (197) voraussetzt und in seiner Zeit primär epistemologisch (s. o.) expliziert. Von daher betrachtet gilt das Thematisierte als „Potenz“ für die Gegenwart, als nur „formale Existenz“, die die Fortentwicklung der Intelligenz, des Verstandes und der Vernunft ermöglicht: Die „I. Potenz der Sprache“ (197 ff.) entwickelt die Idealität des Bewusstseins als Begriff von der Empfindung über das Gedächtnis, die Namensgebung bis zur Sprache als freier dreigliedriger Relationen (Subjekt, Objekt, tätige Mitte 205), die den „Eigensinn“ der Individuen freizusetzen vermögen (207). Die „II. Potenz des Werkzeugs“ (208 ff.) entfaltet das Bewusstsein als praktische Beziehung, die aus der theoretischen Entgegensetzung in der Sprache herausführt in die negative Bewährung am unorganischen Körper toter Dinge. In der Arbeit werde die animalische Begierde „gehemmt“, die „Einfachheit des Vernichtens“ der Dinge aufgehoben in eine Mitte, die auch noch im Werkzeug Arbeit bleibe (211): „als Arbeit ist das Individuum tätig, und der Gegenstand wird aufgehoben im Bestehen beider (der Begierde: HPK). Die Arbeit als die vereinigende Mitte, in beiden als Dingen bestehende Mitte, ist selbst ein Ding, das Bleibende, tätig durch die Begierde und passiv gegen sie und tätig gegen den Gegenstand.“ (210). Die „Idealität des Aufhebens“ in der Arbeit ist so begrenzt auf die Reproduktion 10

Siehe M. Tomasello, Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition, Frankfurt/M. 2002, S. 15, 49 f., 54, 69, 180, 234. Vgl. zur philosophisch-anthropologischen Integration der vergleichend primatologischen Forschungsprogramme H.-P. Krüger, Gehirn, Verhalten und Zeit. Philosophische Anthropologie als Forschungsrahmen, Berlin 2010. 3. Kap.

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der aber durch sie vermittelter werdenden Beziehungen zwischen Begehrtem und Begehrenden. In der Generationenfolge stellt das Werkzeug die „existierende, vernünftige Mitte“ dar, die die Individuen überdauert (211). Die „III. Potenz des Besitzes und der Familie“ beginnt mit der Liebe als einem „unmittelbaren Einssein beider in dem absoluten Fürsichsein beider“, wodurch sich der Genuss nicht mehr nur wie in der Arbeit von der Begierde durch Hemmung emanzipiert, sondern in dem „Anschauen seiner selbst in dem Sein des anderen Bewusstseins“ bestehe (212). Diese Bewusstseinsbeziehung werde zum Sein beider durch die Ehe verstetigt und bleibe an das lebendige Einssein im Austausch der beiden Bewusstseine gebunden, in dem das Bewusstsein seines und das Bewusstsein des anderen ist (213). Dieses Bewusstsein bilde die Mitte, „an der sich beide abscheiden und in der sie eins sind, ihre existierende Einheit“ (ebenda). Im Kind schauen die Eltern „ihr Aufgehobenwerden an. Sie erkennen sich in ihm als Gattung, sich als ein anderes, als sie selbst sind, nämlich als gewordene Einheit“ (ebenda). Hier läuft der Weg nicht über den Gegenstand des Bewusstseins ab, sondern darüber, dass „das Bewusstsein sich selbst ein anderes“ wird, so im Kind den Eltern und den Eltern im Kind (214). Die Erziehung des Kindes beginnt schon in einer „zubereiteten“ Welt von Idealität. Im Bewusstsein des Kindes hebe sich sowohl das Äußere als auch das Innere der elterlichen Welt auf; „beide sind für es als ein Äußeres vorhanden“, in dem die Totalität des Bewusstseins „ein für sich selbst Werdendes“ sei (215). Die drei Potenzen des Bewusstseins erlauben es demselben, sich in der Natur zu halten, insoweit sie eine negative Beziehung zur Natur auf Dauer stellen: in der Sprache theoretisch, im Werkzeug praktisch und in der familiären Generationenfolge für die Einheit des Bewusstseins als einer Totalität. Gleichwohl ist mit dieser ersten Existenzform des Geistes für den absoluten Geist in einem Volk erst der Standpunkt der Einzelheit erreicht. Die drei Bewussteinsmitten ziehen noch nicht gleich mit der Allgemeinheit der Natur, die in ihren Dingen, deren Gesetzesförmigkeit, naturphilosophisch vorausgesetzt wurde (vgl. 185). Hegel betont den Widerspruch zwischen der Allgemeinheit des Dinges und der Einzelheit des Bewusstseins, das besitzt: „In seinem Besitze muss jeder besonders notwendig gestört werden, denn im Besitze liegt der Widerspruch, dass ein Äußeres, ein Ding, ein Allgemeines der Erde, dass dies in der Macht eines einzelnen sein soll, was wider die Natur des Dinges als eines allgemeinen, Äußern ist, und es ist das Allgemeine gegen die unmittelbare Einzelnheit des Bewusstseins.“ (219). Der auf das Bewusstsein begrenzte Geist bietet der Allgemeinheit der Dinge noch kein Paroli als selbst allgemeiner Geist. Es ist noch unklar, wie sich die Familienpotenzen untereinander, die Sprachpotenzen untereinander, die Arbeitspotenzen untereinander verhalten, vergemeinschaften oder vergesellschaften. Hegel spricht für die Herausbildung solcher Beziehungen untereinander von vielen Möglichkeiten gleicher Geltung, die von „den andern zu beschenken“ bis „ihn zu berauben“ oder „totzuschlagen“ reichen (217). Die Fortentwicklung des Bewusstseins kann nur bei dem einsetzen, was ihm als Totalität gilt, und dies betrifft die Familienstruktur, die in der Generationenfolge die Sprach- und Werkzeug-Potenzen in sich enthält. Wenn diese Beziehungen nicht zufällig und äußerlich, sich aus dem Wege gehend, bleiben sollen, dann sei es „absolut notwendig, dass die Totalität, zu der das Bewusstsein in der Familie gelangt ist, sich in einer andern solchen Totalität, Bewusstsein, sich als sich selbst erkennt. In diesem Erkennen ist jeder für den andern unmittelbar ein absolut einzelner.“ (217)

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Dieser Widerspruch wird nun durch den Kampf um Anerkennung so gelöst, dass eine dem Geiste angemessene soziale Realität entstehen kann. Dem ganzheitlichen Charakter der Familienpotenz gemäß hängt diese Gesamtstruktur von dem „mannigfaltigen Haben“, dem „Gut“, der „äußerlichen Mitte“ (220) existenziell ab. Damit werden für Hegel „Kollisionen“, „Beleidigungen“, „Verletzungen“, kurz: „ein Kampf um das Ganze“ (217) der einander jeweils Anderen und ihres Besitzes unvermeidlich. „Es ist aber das Gut des einen; die Beziehung mehrer darauf ist eine negative, ausschließende. Ob die ausschließende Beziehung des einen darauf eine vernünftige sei, ob er in Wahrheit eine Totalität sei, um dies Anerkennen geht die Beziehung der einzelnen; jeder kann vom andern nur anerkannt werden, insofern seine mannigfaltige Erscheinung in ihm indifferent ist, in jeder Einzelnheit seines Besitzes sich als unendlich erweist und jede Verletzung bis auf den Tod rächt. Und diese Verletzung muss eintreten, denn das Bewusstsein muss auf dies Anerkennen gehen, die einzelnen müssen einander verletzen, um sich zu erkennen, ob sie vernünftig sind“ (218). Der Kampf um Anerkennung wird auf Leben und Tod geführt (220), ein Modell, das Hegel hier einführt und durch dessen Ausführung in der Phänomenologie des Geistes er in die Geschichte der Philosophie wirkungsmächtig eingegangen ist. In dem Kampf um Anerkennung gehe es um eine „praktische“, „wirkliche“ Beziehung, die sich nicht durch „Worte, Versicherungen, Drohungen oder Versprechen“ in der „Sprache“ als der „nur ideellen Existenz des Bewusstseins“ ersetzen lasse. Diese Beziehung könne auch nicht als eine reine Erkenntnis verstanden werden, die als solche zu keinem „bleibenden, realen Anerkennen“ führt: Das Wissen, das in diesem Kampf erst entsteht, könne nur „durch die Erscheinung des Handelns des andern gegen meine Totalität“ (218) generiert werden: „und ebenso muss der andere zugleich mir erscheinen selbst als eine Totalität, so wie ich ihm.“ (Ebd.) Die Lösungsrichtung des Anerkennens bestehe darin, „dass die Totalität des einzelnen sich entgegensetzt und in diesem Anderswerden dieselbe sei, dass die Totalität des einzelnen in einem andern Bewusstsein und das Bewusstsein des andern sei, und in diesem ebendies absolute Bestehen derselben, das sie für sich hat“, also als „fürsichseiender Totalität“ (ebenda). Wir sehen hier in der Tat, dass Hegel den Grundmodus der Vergesellschaftung – im Unterschied zur familiären Vergemeinschaftung – nach der Figur der Selbstbezüglichkeit der Andersheit im gegenseitigen Anerkennen denkt. Die anhaltende Bedeutung der Anerkennung in Hegels systematischer und sozialphilosophischer Entwicklung, die entsprechende Rekonstruktionen von Fichte und Hobbes einschließt, haben Ludwig Siep und Andreas Wildt herausgearbeitet.11 Im Anerkennen liegt indessen ein „absoluter Widerspruch“ (221) auf bleibende Weise vor: Meine Anerkennung als Totalität ist davon abhängig, dass ich von anderen anerkannt werde und umgekehrt. Aber dieses Anerkanntwerden ist davon abhängig, dass jeder sein Leben wagt und im Tod aufopfert (220), wodurch er sein Sein zerstört. Die Aufhebung der Bewusstseine in ihre Anerkennung negiert gerade ihre Seinsweise, und die Erhaltung ihrer Seinsweise würde gerade bedeuten, dass sie keine fürsichseiende Totalitäten sein können, sondern nur an ihrem Dasein hängen. Dieser absolute Widerspruch in der Konstitution von Gesellschaftlichkeit, d. h. im Verhältnis von füreinander Ande11

L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München 1979. A. Wildt, Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart 1982.

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ren, die dies auch zu bleiben vermögen über jede ihrer Gemeinschaftszugehörigkeiten hinaus, kennt weltgeschichtlich viele eingeschränkte Lösungsformen, so Herrschaft und Knechtschaft unter Familienclans bis in die heutige Zeit, sofern es noch keine modernen Vergesellschaftungsformen gibt oder sie wegbrechen. Hegel fragt daher vollkommen zu Recht, wie man aus den Formen „des Seins“ und „des Aufhebens“ in stabile Formen des „Seins als Aufgehobenseins“ (223) gelangen könne, d. h. in eine spezifisch soziokulturelle Existenzweise des über das familienähnliche Bewusstsein hinausgehenden Geistes eines Volkes. „Dies absolute Bewusstsein ist also ein Aufgehobensein der Bewusstseine als einzelner, ein Aufgehobensein, welches zugleich die ewige Bewegung des Zu-sichselbst-Werden eines in einem andern und des Sich-anders-Werden in sich selbst ist. Es ist ein allgemeines, bestehendes Bewusstsein, es ist nicht bloße Form der einzelnen ohne Substanz, sondern die einzelnen sind nicht mehr; es ist absolute Substanz, es ist der Geist eines Volks, für den das Bewusstsein als einzeln nur sich Form ist, die sich unmittelbar ein andres wird, die Seite seiner Bewegung, die absolute Sittlichkeit“ (223). Damit haben wir unseren Ausgangspunkt, die Existenzweise des absoluten Geistes in dem Geiste eines Volks, seiner ihm absoluten Sittlichkeit, wieder erreicht. Die Selbstbezüglichkeit in der Andersheit kann jetzt in zweierlei Hinsicht präzisiert werden. Sie stellt in der Gesamtkonstruktion des Systems der Philosophie aus Natur- und Geistesphilosophie eine Sichselbstgleichheit dar, die als Maß für die Aufhebung der Ungleichheit mit sich selbst fungiert. Der Geist ist schon der Idee nach sich selbst gleich, hat dies aber erst durch die Natur als seiner Andersheit und damit Ungleichheit hindurch zu werden (185 f.). Dies bedeutet in der Geistesphilosophie, nämlich in der Anerkennung der Bewusstseinstotalitäten als für sich seiender im soziokulturellen Medium des Allgemeinen, eine nochmalige Wendung: Aus dem Maß der Sichselbstgleichheit des Geistes im anderen seiner selbst wird die Reziprozität des Anerkennens und Anerkanntwerdens der Bewusstseinstotalitäten untereinander, d. h. als Selbstbewusstseine. Nehmen wir an, der absolute Widerspruch im Anerkennen würde halbwegs zu einem gegenseitigen Anerkennen und Anerkanntwerden führen, also nicht in der Negativität stecken bleiben, die Hegel ausführlich im System der Sittlichkeit behandelt hat, dann müssten die bisher angesprochenen drei Mittepotenzen „in die Potenz des Allgemeinen“ erhoben werden, d. h. ihre bislang „ideale“ Potenz müsste durch ihre gesellschaftlich allgemeine Realisierung „Existenz“ gewinnen (226). „Nur als Werk eines Volks ist die Sprache die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen (nach) und in seinem Sein ist; sie ist ein Allgemeines, an sich Anerkanntes, im Bewusstsein aller auf dieselbe Weise Widerhallendes; jedes sprechende Bewusstsein wird unmittelbar darin zu einem andern Bewusstsein.“ (226) Während in der früheren, o. g. Potenz die Bezeichnungsfunktion der Sprache aus dem Gedächtnis und für das Gedächtnis im Vordergrund stand, behandelt Hegel jetzt eine schöpferische Umkehr im Verhältnis der Sprache zur Natur. Die Sprache stellt für das werdende Bewusstsein bereits die „unorganische“, also nicht dem eigenen Leib angehörende Natur einer „ideellen Welt“ dar: dieses werdende Bewusstsein „hat nicht sich aus der Natur auf diese Weise loszureißen, sondern für die Idealität derselben die Realität zu finden, für die Sprache die Bedeutung zu suchen, die in dem Sein ist; dies ist ebenso für dasselbe; es bleibt gleichsam nur die formale Tätigkeit des Beziehens derselben, die schon sind, aufeinander“ (226 f.). Mit der Stärkung dieser allgemeinen Selbstreferenz in der Sprache gerät sie in eine geschichtlich

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immer erneute Rekonstruktion, die sich nicht von ihrer Natur des Äußerns ablösen kann, wohl aber Bedeutungsgehalte zu verdichten und Begriffsgehalte auszubilden vermag. „Die Sprache wird also auf diese Weise in einem Volke rekonstruiert, dass sie als das ideelle Vernichten des Äußern selbst ein Äußeres ist, das vernichtet, aufgehoben werden muss, um zur bedeutenden Sprache zu werden, zu dem, was sie an sich, ihrem Begriffe nach ist; also sie ist im Volke als ein totes anderes als sie selbst und wird Totalität, indem sie als ein Äußeres aufgehoben und zu ihrem Begriffe wird.“ (227) Für die moderne Verallgemeinerung der Arbeits- und Werkzeug-Potenz hält Hegel erneut an allen Einsichten fest, die er erstmals im System der Sittlichkeit aus seiner Rezeption des Werkes von Adam Smith heraus formuliert hat (oben 4. Kap.). Hier wird Verallgemeinerung im Sinne von bourgeoiser Vergesellschaftung verstanden. Der ursprüngliche Zusammenhang der Arbeit des einzelnen mit der Befriedigung seiner Bedürfnisse und die Sicherung seines Besitzes für die Generationenfolge wird durch eine Teilung der Arbeit, den geldvermittelten Austausch der Produkte der Teilarbeiten und durch die Anerkennung des Besitzes als privates Eigentum ersetzt: „die Arbeit wird in ihrer Einzelnheit selbst so wie der Besitz eine allgemeine.“ (227) Hegel wendet sich zunächst der konkreten, auf Gebrauchswerte bezogenen Arbeit zu, die nicht bei Null, sondern mit zu erlernenden Regeln beginnt, welche nach individueller Geschicklichkeit variiert werden und damit verbessert werden können. „Die Arbeit ist nicht ein Instinkt, sondern eine Vernünftigkeit, die sich im Volke zu einem Allgemeinen macht und darum der Einzelnheit des Individuums entgegen gesetzt ist, die sich überwinden muss; und die Arbeit ist darum nicht als Instinkt, sondern in der Weise des Geistes vorhanden, dass sie als subjektive Tätigkeit des einzelnen doch ein anderes geworden ist, eine allgemeine Regel, …Das Anerkennen der Arbeit und Geschicklichkeit (geht) eben den Kreislauf im Allgemeinen durch, den es im einzelnen im Erlernen hat. Gegen die allgemeine Geschicklichkeit setzt sich der einzelne als ein Besonderes, scheidet sich davon ab und macht sich geschickter als die andern, erfindet tauglichere Werkzeuge; aber was an seiner besondern Geschicklichkeit ein wahrhaft Allgemeines ist, ist die Erfindung eines Allgemeinen, und die andern erlernen es, heben seine Besonderheit auf, und sie wird unmittelbar allgemeines Gut.“ (227 f.) Bei aller Aufwertung der konkreten Arbeit als einer durch Erlernen in der Generationenfolge verbesserbaren Vernünftigkeit bleibe sie doch im Verhältnis zur Natur auf ein Töten lebendiger Zusammenhänge ausgerichtet, was sich durch ihre Maschinisierung der Werkzeuge potenziere. „Das Werkzeug als solches hält vom Menschen sein materielles Vernichten ab, aber es bleibt darin sein formales, es bleibt seine Tätigkeit, die auf ein Totes gerichtet ist, und zwar ist seine Tätigkeit wesentlich das Töten desselben, es aus seinem lebendigen Zusammenhange herauszureißen und es zu setzen als ein zu Vernichtendes, als ein solches. In der MASCHINE hebt der Mensch selbst diese seine formale Tätigkeit auf und lässt sie ganz für ihn arbeiten.“ (228) Interessant ist nun, dass Hegel an dem Maß der lebendigen, damit ganzheitlichen Natur schon die abstrakte, auf analytischer Teilung beruhende Verallgemeinerung der konkreten Arbeit kritisiert im Sinne von begrenzt. Der „Betrug“, den der Mensch gegen die Lebendigkeit der Natur im Einzelnen ausübt, „rächt sich gegen ihn selbst“ im Ganzen: „was er ihr abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst. Indem er die Natur durch mancherlei Maschinen bearbeiten lässt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf, sondern schiebt es nur hinaus, entfernt es von der Natur und richtet sich nicht lebendig auf sie als eine

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lebendige, sondern es entflieht diese negative Lebendigkeit, und das Arbeiten, das ihm übrig bleibt, wird selbst maschinenmäßiger“. (228) Hier kündigt sich ein neuer Widerspruch im Verhältnis der Gesellschaft zur Natur an, der erst im 20. Jahrhundert als ökologisches Problem allgemein bekannt geworden ist. Es gibt nicht nur den Widerspruch zwischen der allgemeinen Verwendbarkeit natürlicher Dinge und ihrer privaten Aneignung durch einzelne (s. o.), sondern mehr noch zwischen der mechanischen Arbeitsweise und der ganzheitlichen Lebendigkeit der Natur. Auf diesen Widerspruch antwortet die Ausbildung von Biomächten nicht nur der äußeren, sondern mehr noch der eigenen Natur des Menschen bis zu den heutigen Lebenspolitiken.12 Hegel rekonstruiert auch die Seite der abstrakten, bei Smith auf den Tauschwert bezogenen Arbeit, die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung im Unterschied zur innermanufakturiellen Arbeitsteilung unterstellt, einen Unterschied, den Hegel wie bereits in seinem System der Sittlichkeit nicht zu explizieren vermag (s. o. 4. Kap.). „Der Mensch erarbeitet nicht mehr das, was er braucht, oder er braucht das nicht mehr, was er sich erarbeitet hat, sondern es wird, statt der Wirklichkeit der Befriedigung seiner Bedürfnisse, nur die Möglichkeit dieser Befriedigung; seine Arbeit wird eine formale, abstrakte, allgemeine, eine einzelne, er schränkt sich auf die Arbeit für Eins seiner Bedürfnisse ein und tauscht sich dafür das für seine andern Bedürfnisse Nötige ein. Seine Arbeit ist für das Bedürfnis – für die Abstraktion eines Bedürfnisses – als ein Allgemeines nicht sein Bedürfnis, und die Befriedigung der Totalität seiner Bedürfnisse ist eine Arbeit aller. Es tritt zwischen den Umfang der Bedürfnisse des einzelnen und seine Tätigkeit dafür die Arbeit des ganzen Volkes ein, und die Arbeit eines jeden ist in Ansehung ihres Inhalts eine allgemeine für die Bedürfnisse aller so wie für die Angemessenheit zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse, d. h. sie hat einen Wert; seine Arbeit und sein Besitz sind nicht, was sie für ihn sind, sondern was sie für alle sind.“ (229) Diese Passage erfasst die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung innerhalb eines Volkes, die sich erst aus dem Aufschwung der innermanufakturiellen Arbeitsteilung durchgesetzt hat, auf die Hegel gleich eingeht. Die bisher in der Arbeitspotenz von ihm hervorgehobene Hemmung der Begierde in der Arbeit wird hier nun einem tatsächlichen Abstraktionsprozess der Begierden und ihrer Befriedigungen unterworfen. Dieser Prozess der gesellschaftlichen Vermittlung der Einzelnen durch die analytische Teilung der Bedürfnisse und der Gesamtarbeit bringt nur eine „formal allgemeine, abstrakte“ Vergesellschaftsungsweise zustande, „das Auseinanderlegen des Konkreten, das in diesem seinen Auseinanderlegen empirische Unendlichkeit der Einzelnheiten wird“ (ebenda). Hegel hebt den Vorteil dieser Vermittlung hervor: „Durch die Vereinzelung der Arbeiten ist die Geschicklichkeit eines jeden für diese Arbeit unmittelbar größer; alle Beziehungen der Natur auf die Einzelnheit des Menschen kommen mehr unter seine Herrschaft, die Bequemlichkeit vergrößert sich.“ (Ebd.) Aber Hegel diagnostiziert zugleich die Verkehrung dieser Herrschaft aus Bequemlichkeit: Indem der einzelne „auf diese formale falsche Weise so die Natur sich unterwirft, vergrößert das Individuum nur seine Abhängigkeit von derselben“, nämlich nun vermittelt über „die allgemeine Abhängigkeit“ in der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung (229). Hegels Ausführung des Grundes für die Verkehrung greift expressis verbis auf 12

Siehe H.-P. Krüger, Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. Deutsch-jüdische und pragmatistische Moderne-Kritik, Berlin 2009.

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Smith zurück und ist dreifach: Zunächst verweist er auf Smith’ berühmtes Beispiel der innermanufakturiellen Arbeitsteilung anhand von Stecknadeln, wodurch die Arbeitsproduktivität erst enorm ansteigt, dann aber über den Ausgleichsprozess auf dem Markt der zeitweilige Extraprofit für den Innovator wieder fällt, weil die erlernbare Arbeitsweise (s. o.) von seinen Konkurrenten übernommen wird. Ohne diesen komplexen Zusammenhang durchzugehen, fasst ihn Hegel trocken und treffend in dem Satz zusammen: „Aber in demselben Verhältnisse, wie die produzierte Menge steigt, fällt der Wert der Arbeit“ (230). Dass Hegel nicht zwischen dem Wert der Arbeit und dem Wert der Ware Arbeitskraft unterscheiden kann, wurde bereits oben (in 4. 3.) erläutert. Der zweite Verkehrungsgrund folgt dem von Smith ermittelten Zusammenhang zwischen der zunächst innermanufakturiellen Arbeitsteilung und ihrer dann schrittweisen Rekombination in der Maschinisierung des Werkzeugs. Auch dieser Zusammenhang wird von Hegel vorausgesetzt, nicht durchgeführt, aber voll in seinen Folgen, auf die es in der Verkehrungsthese ankommt, herausgestellt: „die Arbeit wird umso absolut toter, sie wird zur Maschinenarbeit, die Geschicklichkeit des einzelnen umso beschränkter, und das Bewusstsein der Fabrikarbeiter wird zur letzten Stumpfheit herabgesetzt“ (ebenda). Der dritte Grund für die Verkehrung liegt zwischen der innerbetrieblichen und der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung auf der Ebene der Industrie- und Wirtschaftszweige, die im Gesamtprozess der kapitalistischen Reproduktion aufsteigen und fallen. Auch dieser Zusammenhang wird nicht expliziert, aber in seinen Folgen aufgenommen: „der Zusammenhang der einzelnen Art von Arbeit mit der ganzen unendlichen Masse der Bedürfnisse ganz unübersehbar und eine blinde Abhängigkeit, so dass eine entfernte Operation oft die Arbeit einer ganzen Klasse von Menschen, die ihre Bedürfnisse damit befriedigte, plötzlich hemmt, überflüssig und unbrauchbar macht“ (ebenda). Schließlich nennt Hegel einen vierten Verkehrungsgrund, der auf die Prämisse vom Vorteil der Bequemlichkeit im Ganzen zurück schließt, indem er aus den drei zwischenzeitlich erarbeiteten Verkehrungsgründen die Konsequenzen folgert: da „die Assimilation der Natur sich durch das Einschieben der Zwischenglieder größere Bequemlichkeit wird, so sind diese Stufen der Assimilation ins Unendliche teilbar, und die Menge der Bequemlichkeiten macht sie wieder ebenso absolut unbequem“. (Ebd.) Das System der Herrschaft über die Natur im Namen der allgemeinen Bequemlichkeit zerstört nicht nur die lebendigen Zusammenhänge der Natur, sondern verkehrt sich im Ganzen in sein Gegenteil, zunächst in eine allgemeine Abhängigkeit aller voneinander in der modernen gesamtgesellschaftlichen, also manufakturiell durchgesetzten Arbeitsteilung, schließlich in eine perennierende Unbequemlichkeit. Verglichen mit dem System der Sittlichkeit geht Hegel in den Fragmenten des Systementwurfs von 1803–1804 wenig auf die rückwärtige Vermittlung der arbeitsteiligen Gesellschaft durch den Tausch ein. Er beschließt aber seine begriffliche Entwicklung der Realabstraktion in den modernen ökonomischen Verhältnissen unmissverständlich als solche (s. o. 4.3.) mit dem Geld: „Diese mannigfaltigen Arbeiten und Bedürfnisse als Dinge müssen ebenso ihren Begriff, ihre Abstraktion realisieren; ihr allgemeiner Begriff muss ebenso ein Ding sein wie sie, das aber als Allgemeines alles vorstellt; das Geld ist dieser materielle, existierende Begriff, die Form der Einheit oder der Möglichkeit aller Dinge des Bedürfnisses.“ (230) Sein Gesamturteil über die abstrakt allgemeine Vermittlung des Konkreten im Einzelnen fällt so aus, wie wir es bereits aus dem System der Sittlichkeit kennen: Die modernen ökonomischen Verhältnisse bilden in sich ein „un-

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geheures System der Gemeinschaftlichkeit und Abhängigkeit“ (230) aus, das es über die Anerkennung des Besitzes als Eigentum in den Rechtsverhältnissen zu bejahen gilt. „Die Sicherheit meines Besitzes ist die Sicherheit des Besitzes aller, in meinem Eigentum haben alle ihr Eigentum, mein Besitz hat die Form des Bewusstseins erhalten; es ist bestimmt (als) mein Besitz, aber als Eigentum ist es nicht allein auf mich bezogen, sondern allgemein.“ (231) In dieser rechtsförmigen Anerkennung entfällt die familiäre Bewusstseinstotalität, die ihr Ganzes direkt in jedem ihrer Teile als ihre „Ehre“ verteidigt hat, wodurch der Kampf auf Leben und Tod um die Anerkennung begann. Er ist jetzt im Eigentum von „Personen“ (ebenda) befriedet. Aber in dieser Bejahung der rechtlichen Formierung des ökonomischen Systems liegt zugleich eine darüber hinausgehende Aufgabe vor, wenn der heroische Gehalt von Sittlichkeit nicht im blinden Wechselspiel von Bequemlichkeit und Unbequemlichkeit untergehen soll: Das ökonomische System bilde „ein sich in sich bewegendes Leben des Toten“ aus, „das in seiner Bewegung blind und elementarisch sich hin und her bewegt und als ein wildes Tier einer beständigen strengen Beherrschung und Bezähmung bedarf“. (230) Die Fragmente von 1803–1804 enthalten keine Ausführung der juristischen und politischen Verhältnisse, in denen dieses wilde Tier gezähmt werden könnte. Sie enthalten aber am Ende einen Hinweis darauf, dass der absolute Geist in seiner Existenzweise als ein Volk, von der wir hier ausgegangen waren, der Rückvermittlung an das Bewusstsein bedarf, sogar so sehr, dass dadurch ein „absolutes“, also unbedingtes Bewusstsein entstehe, das mithin den Bedingtheiten durch die Herrschaft der Bequemlichkeit trotzen kann. Die Selbstanschauung und der Selbstgenuss des absoluten Geistes eines Volkes gelinge in den Formen des absoluten Bewusstseins von Religion, Kunst und begrifflich verfahrender Philosophie, wenn diese die dem Geiste angemessenen Inhalte der „Liebe“, der „lebendigen Beziehung“ der Bewusstseine und die „absolute Allgemeinheit“ formierten (236 f.). Hier deutet sich in nuce an, was ab der Phänomenologie des Geistes und ausdrücklich in der Enzyklopädie die Formen des absoluten (im Unterschied zum subjektiven und objektiven) Geist heißen wird.

5.2 Zum Jenaer Systementwurf II (1804–1805) Die fragmentarische Reinschrift des zweiten Systementwurfs von Hegel aus den Jahren 1804–1805 enthält keine Geistesphilosophie (wie der erste und dritte System-Entwurf) und die Naturphilosophie ohne den Teil zum Organischen, der in den beiden anderen Entwürfen die naturphilosophische Voraussetzung für das Einsetzen mit dem Bewusstsein in der Geistesphilosophie skizziert. Dafür enthält der zweite Entwurf aber eine Logik und Metaphysik, die in den beiden anderen Entwürfen fehlen und zu einem Vergleich einladen, einerseits mit den ebenfalls fragmentarischen Vorlesungsmanuskripten aus den Jahren 1801–1802 und andererseits mit den vom reifen Hegel selbst publizierten Monographien wie der Phänomenologie des Geistes (1807), der Wissenschaft der Logik (1812/16) und der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). Die Vorlesungsmanuskripte von 1801–1802 drehen sich noch nicht um den absoluten Geist, aber um das absolute Wesen, das sich in der Idee gleichsam sein Bild entwerfe, sich in der Natur durch Differenz hindurch realisiere und im Geist in sich zur Selbster-

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kenntnis zurückkehre. Wenngleich mir Walter Jaeschke diesen neuplatonischen Gedanken einer Systementwicklung, den doch mehrere im Frankfurt-Homburger Freundeskreis teilten, über zu bewerten scheint, wenn er daraus „die gesamte spätere Systementwicklung Hegels als modifizierende, konkretisierende, aber bruchlose Entfaltung“13 hervorgehen sieht: Jaeschke hebt zu Recht hervor, dass es hier keine spezifischen Spuren gibt, die auf Schellings Philosophie hindeuten, die Hegel in den zur gleichen Zeit publizierten Aufsätzen und im System der Sittlichkeit aber verwendet, und dass Hegel hier nach dem eigenständigen geistesphilosophischen Systemteil zum „Reich des Bedürfnisses und des Rechts“ einen vierten eigenständigen Teil vorsieht, in dem ein „freyes Volk“14 durch Religion und Kunst zur reinen Idee zurückkehrt.15 Die Eigenständigkeit dieser beiden Systemteile bestätigt die Problemkonstellation, in der sich der frühe Jenaer Hegel befand. Einerseits stand er bereits – in Fortsetzung der Systematisierungsversuche der höheren Aufklärung der Vereinigung – vor der Aufgabe, seinen Übergang zum System mit und neben Schelling zu artikulieren. Andererseits bringt er seine Entdeckung der historischsozialen und insbesondere ökonomisch-rechtlichen Realität ein, auf die er im Gefolge des Frankfurter Prozesses der Desillusionierung über die Resultate der Französischen Revolution gestoßen war (s. o. 3. u. 4. Kap.). Die Fragmente von 1801–1802 kündigen Logik und Metaphysik an, Metaphysik als die „eigentliche Philosophie“ und Logik als einen merkwürdigen Übergang zu ihr: Die Logik habe die vom Verstand isolierten Formen der Endlichkeit im Ganzen aufzustellen und durch eine vernunftgeleitete Reflexion zu vernichten. Dadurch wird dann auch der Weg dazu frei, zwischen der falschen Metaphysik des Beschränkten und der richtigen des Absoluten unterscheiden zu können.16 Dies passt zu den Methoden des Eingreifens eines Systemprogramms der Philosophie, das napoleonischen Heroismus formiert (s. o. 3.4.). Der Systementwurf von 1804–1805 hält an dieser Doppelstellung von Logik und Metaphysik noch fest, wird aber trotz der gleichzeitigen Ankündigung von Hegel nicht publiziert. Offenbar gerät Hegel im Schreiben in eine andere Einsicht, nämlich in die, dass sich Logik und Metaphysik in seinem Sinne nicht mehr arbeitsteilig erforschen und darstellen lassen. Hegel gliedert zwar noch die Logik äußerlich dreifach, von der „Einfachen Beziehung“ über „das Verhältnis“ bis zur „Proportion“, aber unterhalb dieser Gliederungsebene entdecke Hegel, so einleuchtend Jaeschke in seinem Vergleich mit der Wissenschaft der Logik, Durchführungen der späteren Seins-, Wesens- und Begriffslogik.17 In der Metaphysik wird zunächst die Erkenntnis der Erkenntnis, die Selbsterkenntnis nach einem System von Grundsätzen, thematisiert, dann werden die „Metaphysik der Objektivität“ und die „Metaphysik der Subjektivität“ erörtert.18 Während die erstere später in Hegels System entfalle, wandere letztere in seine „Philosophie des Geistes“ ein. Das reife Hegelsche Projekt einer Wissenschaft der Logik erledigt die Metaphysik in ein und

13 14 15 16 17 18

W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 151. Hegel, GW 5, S. 262–265. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 151. Siehe Hegel, GW 5, S. 263. Siehe Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 165. Siehe Hegel, GW 7, S. 128–138.

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Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen

derselben Durchführung gleich mit.19 Was ist Hegel im Niederschreiben geschehen und hat ihn dann zur Neufassung seines Programms bewogen? Die Lösungsrichtung für dieses Rätsel scheint mir in Folgendem zu liegen: Nachdem Hegel in seiner Logik von 1804–1805 die einfache Beziehung als Qualität im Sein und das Verhältnis als das Verhältnis des Seins behandelt hat, erörtert er das Verhältnis des Denkens in den drei Schritten vom bestimmten Begriff über das Urteil bis zum Schluss. Die Bestimmung des Begriffs erfordert einerseits eine analytische Klärung desselben im Unterschied zu anderen Begriffen durch Subsumtionsrichtungen (Allgemeines unter Besonderes, Besonderes unter Allgemeines). Andererseits trifft diese Art und Weise von Reflexion, die für den Gewinn an Bestimmtheit trennen und eindeutig subsumieren muss, auf ganzheitliche Voraussetzungen, die sie allererst möglich machen und erhalten. Reflektiert die Reflexion auf diese ihre eigenen Voraussetzungen, aus denen sie immer erneut erst resultieren kann, gilt: „Der Widerspruch des bestimmten Begriffs in ihm selbst ist also, dass er diese gedoppelte entgegen gesetzte Subsumtion an sich (ist); die Bestimmtheit ist der Reflexion in sich selbst widersprechend, und das Setzen des bestimmten Begriffs ist dies. Sein Setzen ist sein Quadrat; seine Realität, sein Begriff ist diese entgegen gesetzte Möglichkeit.“20 Was nun Hegel in den Unterkapiteln über das Urteil und den Schluss erstmals wirklich durchführt, ist ein Durchlaufen dieser entgegen gesetzten Möglichkeiten, mit Begriffen urteilend und in Schlussnetzen begründend zu verfahren. Eine nur formale Logik hinterfragt ihre reflektierte Analyse nicht nach ihren ganzheitlichen Voraussetzungen. Aber Hegels Logik fragt nach diesen Momenten, die die Reflexion erhalten können, indem er die grammatischen Potentiale dafür durchgeht, was im Übergang von einem Satz zum nächsten Satz an Verstehen in Anspruch genommen wird. Ein Satz scheint klar zu sein, wenn man das Satzsubjekt vom Prädikatverband, darin die Kopula und das grammatikalische Objekt mit adverbialen und adjektivischen Bestimmungen, zu unterscheiden weiß. Damit gerät der Seinsbezug der Begriffe, dessen Bestimmtheit endlich beurteilt werden soll, in ein unendliches Medium des Verstehens von Sätzen, das strukturell eigentümliche Abweichungen vom Referenzbezug produziert, die Hegel nicht ohne Ironie ankündigt: „Die Einfachheit des Begriffs ist verschwunden, sein Reflektiertsein der Bestimmtheit hat sich geteilt (ins Subjekt oder in die Substanz eines Satzverstehens: H-P K), oder unter entgegen gesetzten Bestimmungen verdoppelt; und die Einfachheit der Beziehung dieser verdoppelt, ist nicht der Begriff, sondern: ist (Copula), das leere Sein, das nicht reflektierte Beziehen; und das Urteil erfüllt vielmehr nicht das Realisieren des Begriffs, sondern dieser ist in ihm außer sich gekommen.“21 Der Übergang von einem Satz zum nächsten Satz enthält auch andere Möglichkeiten als die gerade realisierte Fortsetzung des ersten im zweiten Satz. Dieses Problem kompliziert sich, wenn es nicht nur um Urteile, sondern um erschlossene und zu erschließende Begründungszusammenhänge der Urteile geht. Man versteht die analytische Trennung von Subjekt und Prädikat nicht, wenn nicht gleichzeitig die Sätze substanziell in ihrer Ganzheit und als Einheit reproduziert werden. Damit geht 19

20 21

So schon Rolf-Peter Horstmann, Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften. In: D. Henrich u. K. Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. Bonn 1980. Vgl. auch Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 168. Hegel, GW7. Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie, S. 79. Ebd., S. 81.

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aber die analytische Bestimmtheit ihrer isolierten Glieder erneut unter. In dieser grammatikphilosophischen Logikauffassung setzt Hegel ohnehin die monistische Kritik an den dualistischen Trennungen aus dem Frankfurter Freundeskreis der höheren Aufklärung zugunsten der Vereinigung statt Trennung fort. Das Interessante ist nun, dass Hegel, nachdem die Bestimmtheit des Begriffs bereits in seinen grammatischen Beurteilungsmöglichkeiten außer sich geraten war, den Übergang vom Urteil zum Schluss anhand der uns aus der Geistesphilosophie vertrauten Figur der Mitte absolviert, die sich erneut zum Mittel verselbständigt. Dies ist insofern konsequent, als wir uns im Medium der sprachlichen Grammatik bewegen und die Sprache als eine der drei Mitten oben (in 5. 1.) eingeführt worden war. Dieses Mal befinden wir uns indessen systematisch gesehen nicht mehr in der realphilosophischen Kippbewegung des Bewusstseins aus der Natur in den Geist, sondern in der logischen Reflexion der grammatischen Reflexionsmöglichkeiten von Sprache selbst. Aber die Grenze zwischen den Systemteilen ist keine unüberwindliche Schranke, sondern auch ein durchlässiger Übergang. Die Extreme der Urteilsbildung bestehen für Hegel im disjunktiven und im hypothetischen Urteile. Beide nehmen für ihre je spezifischen Ausprägungen doch einen einheitlichen Ermöglichungsgrund in Anspruch: „Es ist hiemit ein in sich entzweites Urteil, dessen Mitte erfüllt (ist), die entwickelte Allgemeinheit, die Einheit des Besondern und Allgemeinen gesetzt, und Subjekt und Prädikat hören auf, durch das leere ist des Urteils verbunden zu sein; sie sind durch die erfüllte Mitte, die ihre Identität ist, und hiemit durch die Notwendigkeit zusammengeschlossen, und das Urteil ist nun Schlusse geworden.“22 Was ursprünglich als eine Realisierung der Bestimmtheit eines Begriffs in der Unmittelbarkeit des Urteils erhofft worden war, stellt sich als ein langer Umweg an Vermittlungen in Schlussnetzen heraus. „Der bestimmte Begriff hat im Schlusse seine Realität erhalten; er ist als die Mitte das einfache Einssein des Algemeinen und Besondern, denn die Entwicklung erhält sich in der Einheit, und seine Momente sind zugleich als die Extreme auseinander gesetzt und gegeneinander bestimmt.“23 Die Schlussbeziehungen laufen über Mittelglieder, d. h. die Mitte verselbständigt sich erneut zum Mittel, deren grammatische Rolle zwischen Subjekt und Prädikat wechseln kann, nun aber im „Kreis“ der Begriffe als Mittel, die eine „Identität des Mittelbegriffs“24 unterstellen. Die Verselbständigung der Mitte zum Mittel als dem zu bejahenden Potential hat Hegel zweifellos erstmals und am besten in seiner Rezeption des Smithschen Arbeitsbegriffes erlernt und ausgeführt. Diese Rezeption hinterlässt also inzwischen auch in seiner Logik, nämlich der Schlusslehre, ihre Spuren, wenngleich Hegel nicht explizit darauf verweist und mit diesem impliziten Bezug auch eine neuerliche Verkehrungsproblematik mitlaufen lässt, die er aber expliziert und die wir aus dem napoleonisch-heroischen Charakter seines frühen Jenaer Programms kennen als das Problem, die Reflexion gegen die Reflexion wenden zu müssen (s. o. 3. 3. u. 3.4.): „es ist unsere Reflexion, die ihn (den bestimmten Begriff: HPK) in diese Extreme (des rein Dieses und des rein Allgemeinen: HPK) entwickelt hat.“25 Statt der erwarteten Einheit des Allgemeinen und Einzelnen in 22 23 24 25

Ebd., S. 93. Ebd., S. 94 f. Ebd., S. 95. Ebd., S. 96.

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Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen

der „wahrhaften, beides subsumierenden Mitte“ komme es in dem Begriff des Schlusses dazu, dass die Extreme „für sich“ werden. In „der Trennung ist sie (die subsumierende Mitte der Einheit: HPK) nur das Mittel, das nicht für sich selbst ist, sondern der Übergangspunkt im Aufsteigen des Einzelnen zum Allgemeinen oder im Niedersteigen des Allgemeinen zum Einzelnen. Was sich im Begriffe des Schlusses entgegen gesetzt ist, ist also dies Subsumiertsein der beiden Extreme unter die Mitte, und das Fürsichsein beider und ihr Verhältnis aufeinander, nach welchem das eine als rein Allgemeines beide positiv subsumiert, so wie umgekehrt das Subjekt beide negativ. … Der Schluss muss seinen Begriff realisieren, indem er diesen Widerspruch an sich darstellt.“26 Damit sind wir in der Tat vom systematischen Problem her in der reifen Wesenslogik des Widerspruchs angelangt, die nicht nur eine ihr angemessene begriffslogische Darstellung verlangt, sondern auch deren Selbsterkenntnis durch den Begriff des Begriffs, eben die Begriffslogik. 1804–1805 gibt es aber noch die Arbeitsteilung zwischen der Logik, die das Erkennen als Selbstbeschreibung der Reflexion thematisiert, und der Metaphysik, die das Erkennen des Erkennens untersucht.27 Die systematische Fluchtlinie des Ganzen bleibt die mit Henrich oben genannte: Der Geist „begreift sich, denn er setzt sich auf das Andere bezogen, d. h. sich selbst als das Andre seiner selbst, als unendlich, und so sich selbst gleich.“28 Den Übergang zur Naturphilosophie schafft dann die Anschauung des absoluten Geistes „im Ungleichen“: „Dies ist der absolute Kreislauf des absoluten Geistes. Das sich als sichselbstgleich gefunden hat, schaut sich an als ein solches, das sich ungleich ist, das andere seiner selbst ist, es ist unendlich“.29 Der Übergang zwischen den Systemteilen hängt nun an der Unterscheidung zwischen „an sich“, „für sich“, „für uns“ und an und für sich, das es jeweils „nach vorwärts“ und „rückwärts“30 in seinen Voraussetzungen einzuholen gilt. Das sich selbst tragende System der Philosophie unter dem Primat der Epistemologie nimmt seine reife Gestalt an, die den Gegensatz zwischen Logik und Metaphysik überwinden wird. Sie schließt eine Abwertung des Lebens in der Natur und eine Aufnahme des Lebens in den Geist ein: Die Natur „ist Leben an ihr selbst, aber nicht für sich selbst“, während „wir den absoluten Geist nach seiner Idee oder Beziehung auf sich selbst“ eben „Leben“ nennen: Dies Leben ist als Geist nicht ein Sein, ein Nichterkennen, sondern es ist wesentlich als Erkennen; es ist ein Prozess, dessen Moment selbst absolut dieser Lebensprozess ist.“31

5.3 Zum Jenaer Systementwurf III (1805–1806) Der dritte, aus Hegels Jenaer Zeit überlieferte Systementwurf besteht aus Vorlesungsmanuskripten zur Natur- und Geistesphilosophie (1805–1806), in denen der Beginn der Naturphilosophie und der Übergang von der Natur- zur Geistesphilosophie (letzterer an26 27 28 29 30 31

Ebd., S. 97. Siehe ebd., S. 112 u. 126 f. Ebd., S. 173. Ebd., S. 173 f. Ebd., S. 128 u. 176 f. Ebd., S. 181.

Zum Jenaer Systementwurf III

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hand des Organischen) sowie eine Logik und Metaphysik (s. o. 5.2.) fehlen. Der (gegenüber dem früheren Johannes Hoffmeister) neue Herausgeber dieses Systementwurfs, Rolf-Peter Horstmann, ordnet ihn überzeugend in Hegels Jenaer Systementwicklung ein. Horstmann spricht von einem ersten Systemprogramm Hegels in der Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801) bis zum System der Sittlichkeit (1803), die hier unter dem Titel des napoleonischen Charakters des frühen Jenaer Programms im 3. und 4. Kapitel ausführlich behandelt wurden. Dieses Programm schließe zwar an die Identitätsphilosophie Schellings an, d. h. das Ziel bestehe in der Erkenntnis des Absoluten als reiner Einheit von Entgegengesetzten, einer Erkenntnis, die in Logik und Metaphysik expliziert wird und für die beiden Erscheinungsweisen des Absoluten, die Natur und die Sittlichkeit, in der Natur- und Sittlichkeitsphilosophie ausgeführt wird. Aber bereits innerhalb von Hegels Aufsatz Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (1802–1803), so Horstmann, trete neben der Einheit aus der Subjekt-Objekt-Entgegensetzung auch das Verhältnis von Einheit und Vielheit als Vermittlungsaufgabe und Gliederungsmöglichkeit hervor. Während die Subjekt-Objekt-Entgegensetzung an eine Substanzmetaphysik gebunden bleibe und die Entgegengesetzten als verschiedene Gegenstandstypen verstehen müsse, erlaube es die Konstruktion über verschiedene Einheiten und Vielheiten, den Fortgang im System „durch verschiedene (konträre) relationale Bestimmungen“32 zu nehmen (relational von mir hervorgehoben: HPK). Zudem fiel in der Philosophie der Sittlichkeit noch ein anderer Begriff der Natur auf, der sich nicht als Gegensatz zum Geiste verstehen ließ, sondern als eine gleichsam aristotelische Redeweise von der Natur des Sittlichen33, die zu Schellings Aufwertung der Natur in auch praktischer Hinsicht passte und die oben besprochenen Rezeptionen von J. Steuart und A. Smith, d. h. meines Erachtens die Thematisierung der Natur der Gesellschaft, ermöglichte (4. Kap.). Konsequenter Weise müsste man also sagen, was Horstmann aber hier nicht ausführt, indessen meine Überzeugung darstellt, dass Hegels Schriften 1800–1803 einen ersten Systementwurf enthalten, der nicht als solcher in der Werkausgabe bezeichnet wird, weil er, was die Systemkonstruktion angeht, für eine Modifikation Schellings gehalten wird. Man muss indessen nicht die Systementwicklung zu dem entscheidenden Maßstab der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe seiner Schriften machen, auch wenn dies dem Selbstverständnis des reifen Hegel entspricht. Im vorliegenden Falle wird dadurch noch immer die thematische und methodische Entdeckerleistung Hegels vor allem im System der Sittlichkeit unterschätzt, aber auch der im weiten Sinne politische Zusammenhang seiner disparat erscheinenden Textarten, so zwischen den Entwürfen der Verfassungsschrift, zum Geist des Christentums und den frühen Jenaer Aufsätzen bis hin zum System der Sittlichkeit. Darum ging es mir aber im 3. und 4. Kapitel. Umso willkommener sind mir die Argumente von Horstmann dafür, dass es auch aus der Sicht der Systementwicklung Hegels gute Gründe für vier Phasen in Hegels Jenaer Zeit gibt, wobei die erste dieser 4 Phasen in der späten Frankfurter Zeit Hegels beginnt. Um Konfusionen zu vermeiden, halte ich mich aber an die Kurzbezeichnungen der heute üblichen, historisch-kritischen Ausgabe. 32 33

R.-P. Horstmann, Einleitung. In: G. W. F. Hegel, Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, S. XI. Vgl. ebd., S. XIII.

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Heroismus- und Arbeitsformen in Hegels Jenenser Systementwürfen

Wir haben oben (in 5.1. und 5.2.) gesehen, dass der Begriff der Sittlichkeit als Systemprinzip vom Begriff des Geistes ab 1803–1804, d. h. laut historisch-kritischer Ausgabe im ersten Systementwurf, ersetzt wird, was im zweiten Systementwurf von 1804–1805 offenbar geworden ist. Horstmann hebt für diesen Übergang von der Sittlichkeit zum Geist hervor, dass Hegel bereits im Naturrechtsaufsatz den „Begriff des Bewusstseins mit dem Ziel einführt, ihn als auszeichnendes Merkmal der psycho-sozialen Phänomene zu benutzen“.34 Dieses Potential des Bewusstseins als die einfachste Existenzweise des Geistes passt gut zu dem, was wir oben in der Lektüre des Systementwurfs I von 1803–1804 rekonstruiert haben (5.1.). Die Befreiung der Philosophie des Geistes von ihrer Anbindung an den Begriff der Sittlichkeit schlägt aber erst im Systementwurf II (1804–1805) durch und vollendet sich im Systementwurf III (1805–1806): „Dieser Ansatz geht davon aus, dass nur die formale Struktur des Selbstbewusstseins, nämlich Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit zu sein, den Rahmen abgeben kann, innerhalb dessen die logischmetaphysischen Bestimmungen, die natürliche Welt und psycho-soziale Phänomene sich zu einem sinnvollen Zusammenhang zusammenschließen. Für die Geistesphilosophie heißt dies insbesondere, dass sie methodisch besser ausgestattet ist für die Wahrnehmung ihrer systematischen Aufgabe, Darstellung des Prozesses und Ort der Realisation des nun selbst als selbstbewusster Geist bestimmten Absoluten zu sein. Diese letzte, hier als Einsicht in die formale Struktur des Selbstbewusstseins beschriebene Errungenschaft seiner Jenaer Zeit hat Hegel auch in der Folge nicht mehr preisgegeben.“35 – Soweit zur Einordnung in die Systementwicklung Hegels. Ihre Fortschritte lassen erwarten, dass der genealogische Charakter der früheren Entwürfe nun hinter dem sich selbst organisierenden Charakter des Systems zurücktritt. Nicht die geschichtliche, ihm auch fremdbestimmte Entstehung eines Phänomens, sondern seine logische Reproduzierbarkeit aus sich selbst heraus tritt in den Vordergrund (vgl. zum Unterschied zwischen Historischem und Logischem oben 4. Kap.). Je besser sich das System selbst durchorganisiert zu einem Schluss von Schlüssen, desto dringlicher wird als Kehrseite so das Projekt einer Phänomenologie des Geistes als der Leiter ins System. Was bedeutet diese „Errungenschaft“ in Hegels Systementwicklung – gemessen an seiner reifen Systemgestalt – im Hinblick auf die Vorlesungsmanuskripte von1805–1806 nun für unseren Fokus, d. h. Hegels Thematisierung der modernen Arbeits- und Tauschgesellschaft aus einer im weitesten Sinne politisch heroischen Lebenshaltung heraus? Dies bedeutet zunächst für die Systemform selbst, dass sich die höchsten Heroismusformen im Sinne der Aufopferung der einzelnen Individualität für das absolut Allgemeine aus der Wirklichkeit zurückziehen und in den Formen des „absolut freien Geistes“, d. h. in „Kunst, Religion und Wissenschaft“, im System situiert werden: „Der absolut freie Geist, der seine Bestimmungen in sich zurückgenommen, bringt nun eine andere Welt hervor; eine Welt, welche die Gestalt seiner selbst hat; wo sein Werk vollendet in sich ist, und er zur Anschauung seiner als seiner gelangt“ (253).36 Was die Kunst für die Anschauung und die Religion für die Vorstellung produziere, habe die Philosophie als die 34 35 36

Ebd., S. XVI. Ebd., S. XVI f. Im Folgenden gebe ich die Seitenzahlen von Hegel, Systementwürfe III (GW 8), oben im Text gleich in Klammern an.

Zum Jenaer Systementwurf III

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absolute Wissenschaft in der Form des Begriffs auf spekulative Weise zu leisten. Die Steigerung der Selbstbezüglichkeit der Andersheit in „wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“ (261), d. h. in ein selbstrefentielles Primat der Epistemologie, ist die höchste Bezugsebene der Systemkonstruktion, von der her und zu der hin alle Abstufungen getroffen werden. Die „spekulative Philosophie“ thematisiert „absolutes Sein, das sich Anderes (Verhältnis) wird, Leben und Erkennen – und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“ (ebenda). Die „Naturphilosophie“ folgt dem „Aussprechen der Idee in den Gestalten des unmittelbaren Seins“, dem „Werden des Geistes; dem als Begriff existierenden Begriffe“ (ebenda). In der Geistesphilosophie wird die Umkehrung des Verhältnisses zwischen dem Leben und Erkennen entwickelt: die „reine Intelligenz ist aber ebenso das Entgegengesetzte, das Allgemeine, und zwar das sich aufopfert, und dadurch zum Wirklichen wird – und allgemeine Wirklichkeit, das Volk ist, die hergestellte Natur, das versöhnte Wesen, an dem jeder sich durch eigene Entäußerung und Aufopferung sein Fürsichsein nimmt“. (Ebd.) Die heroische Selbstaufopferung fällt dem „Inhalte“ der Religion nach (260) mit der Menschwerdung Gottes zusammen: „die göttliche Natur ist nicht eine andere als die menschliche – alle anderen Religionen sind unvollkommen“ (256). Wenn aber mit dem so richtig verstandenen Christentum das Menschsein überhaupt eröffnet worden ist, dann bleibt dieses auch an den Rahmen der wahren Unendlichkeit Gottes gebunden: „Diese Entzweiung ist das ewige Erschaffen, d. h. das Erschaffen des Begriffes des Geistes – diese sich und ihr Gegenteil selbst tragende Substanz des Begriffes. – Das Universum, so unmittelbar frei vom Geiste, aber muss zu ihm zurückkehren – … – er hat sich die Einheit herzustellen – ebenso in Form der Unmittelbarkeit, er ist die Weltgeschichte. In ihr hebt sich dies auf, dass nur an sich die Natur und Geist ein Wesen ist – der Geist wird zum Wissen derselben.“ (262) Damit beansprucht die spekulative Philosophie nicht nur die früher von der Theologie ausgeübte Hegemonie über das geistig-kulturelle Leben. Wir haben im 4. Kap. gesehen, wie Marx diese idealistische Kontinuität in der Ausübung geistig-kultureller Hegemonie kritisiert, bis hin zu der Konsequenz, die Philosophie selbst aufheben zu wollen. Denn Hegels spekulative Philosophie behauptet in diesem Hegemonieanspruch den Primat der Wissensformen des Geistes von sich über die Wirklichkeitsbereiche der Gesellschaft einschließlich deren Naturaneignung, da deren gehaltvolle Reproduktion anders nicht möglich sei. Diese Einsicht lässt sich auch aus Hegels Darstellung 1805–1806 schlussfolgern, wenn man deren positiven Aufhebungen von Natur in Geist folgend sich fragt, was passiert, wenn die jeweilige Aufhebung, insbesondere die der Einzelheit in Allgemeinheit, nicht gelingt. Würden das ökonomische und politische Leben der Gesellschaft nicht auf diese Formen des absolut freien Geistes ausgerichtet, in denen immerhin die Idee der Selbstaufopferung in der weltgeschichtlichen Bewahrheitung der absoluten Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit aufgehoben wird, wenngleich in den Horizont der Erfüllung vom Ewigen versetzt, würden sie zunächst in den formell allgemeinen Abstraktionen der Moralität, des Rechts und der Arbeit untergehen, schließlich sich in Besonderungen und Einzelheiten auflösen, die jenen Naturzustand herbeiführen, den Hegel gerade kritisiert. Hegel hält den Naturzustand zwischen den Völkern für „real“, weshalb er die Institutionalisierung von Kants Idee vom ewigen Frieden ablehnt, denn sie führe realiter zu einer „Universalmonarchie“ (250). Hegel hofft, dass „Verbrechen und Strafe“ in sein System durch Anerkennung integriert werden können, damit sie sich „nicht wie im Na-

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turzustande“ (214) ausbreiten. Er bietet seine Anerkennungstheorie als die Alternative zu den Vertragstheorien des Überganges vom Naturzustand in den Gesellschaftsvertrag an, weil sich die Annahme des Naturzustands dadurch selbst widerspreche, dass es in ihm bereits Rechte geben soll. Konsequent gedacht enthielte der Naturzustand „keine Rechte und Pflichten gegeneinander“ (215), wäre er also schlimmer als alles, was durch ihn gezeigt werden soll. Aus ihm sei ein Übergang in den Gesellschaftszustand überhaupt nicht möglich. Aber selbst wenn man das Vergesellschaftungsproblem nicht durch die üblichen Vertragstheorien, sondern durch die moderne Arbeits- und Tauschgesellschaft lösen wollte, käme man beim Gegenteil des Erhofften an, denn diese Art und Weise von Gesellschaft allein resümiere sich in dem folgenden Konfliktpotential: „Diese Ungleichheit des Reichtums und der Armut, diese Not und Notwendigkeit wird die höchste Zerrissenheit des Willens, – innere Empörung und Hass“ (223). Nach wie vor hält Hegel an der Legitimität eines Krieges fest, sofern er im Dienste eines „Standes der Allgemeinheit“ für einen absolut freien Geist geführt werde. In seiner Begründung „dieser wirklichen Aufopferung des Selbst“ kommt zur Sprache, was geschehen würde, würde die Anerkennung in der Arbeit und im Eigentum versagen, dann bliebe nämlich nur „die Einwurzelung des Einzelnen in sein Dasein, dies Auseinanderfallen des Ganzen in Atome“ (251) übrig. Der Naturzustand ist für Hegel nicht nur eine selbstwidersprüchliche Fiktion der Vertragstheorien, sondern eine reale Tendenz in der Verselbständigung der Arbeits- und Tauschgesellschaft zum Ganzen. Ohne Heroismusformen im geistig-kulturellen Leben lässt sich diese Gesellschaft nicht integrieren. Erst in diesem Horizont von Sinnverstehen kann diese Gesellschaft wenigstens als formelle Allgemeinheit einander Gleicher und Freier gelten. Schauen wir uns also genauer den immanenten Aufbau der Geistesphilosophie von 1805–1806 an, denn so problematisch das epistemologische Primat der Systemkonstruktion zugunsten des sich selbst wissenden Geistes auch sein mag, es wird von Hegel nicht zur Fortsetzung des Dualismus von Kant vertreten. Hegel hat keine Ideale im Kantschen Sinne, die im Gegensatz zur Realität gleichwohl die Praxis in asymptotischer Annäherung regulieren sollen. Er denkt pragmatisch die unbeabsichtigten Folgen, die aus der dualistischen Entgegensetzung von Ideal und Realität entstehen. Dies ist seine Lehre aus der Verkehrung der Ideale der Französischen Revolution, weshalb er sich in seiner späten Frankfurter Zeit zur Anerkennung der Resultate dieser Revolution durchgerungen hatte (s. o. Kap. 2.3.). Angesichts dieser Entzweiung im Äußeren geht die Reflexion in sich und setzt zu neu synthetisierender Tätigkeit an. Hegels Anerkennung der Resultate der Revolution lief nie darauf hinaus, diese Revolution selbst für einen Fehler halten zu müssen. Nach wie vor hält er an der „historischen Notwendigkeit“ ihrer Phasen, einschließlich der der „Tyrannei“ und „Robespierres“ fest (236 f.), um ihre unbeabsichtigten Folgen begrenzen, d. h. aufheben zu können. In ähnlicher Weise verfährt er mit den nicht intendierten Folgen der insbesondere durch England weltweit realisierten Arbeits- und Tauschgesellschaft (s. o. 4. Kap., 5. 1.), auch nun wieder in der Geistesphilosophie von 1805–1806. Der philosophische Kampf um die Einheit des Ganzen zugunsten des absoluten Geistes wird auch in ihr aus dem Gegensatz dieser Einheit heraus entwickelt, nämlich ihrer systematischen Gliederung zufolge aus „I. Der Geist nach seinem Begriffe“, unterteilt in „a) Intelligenz“ (171) und „b) Willen“ (186), „II. Wirklicher Geist“ (204), unterteilt in „a) Anerkanntsein“ (205) und „b) Das Gewalt habende Gesetz“ (217), und

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„III: Konstitution“ (231), in der die Staatsmacht (232) und Ständeordnung (243) behandelt werden, bevor das Ganze in den drei Formen des absolut freien Geistes (253) endet. Was sich hier als die Formen des absoluten Geistes, wie sie Hegel später nennen wird, ankündigt, hat seinen politisch-hegemonialen Sinn noch in der Nabelschnur des politisch entscheidenden Kapitels über eben die „Konstitution“. Auffallend neu, verglichen mit den anderen Systementwürfen, ist in dieser Abfolge das I. Kapitel „Der Geist nach seinem Begriffe“. Da das Titelblatt des 1. Kapitels fehlt, wurde der Titel „Der Geist nach seinem Begriffe“ aus dem Text erschlossen, was insbesondere Hegels Aussage entspricht: „ich betrachte den Menschen in seinem Begriff, d. h. nicht im Naturzustande“ (196). Im I. Systementwurf von 1803–1804 erfüllte das Bewusstsein den Einstieg in die Geistesphilosophie, das wohl dem Verdacht ausgesetzt werden konnte, eine Art und Weise von Naturzustand vorzustellen. Andererseits wissen wir nicht, wie genau Hegel den Übergang aus der Natur- in die Geistesphilosophie im III. Entwurf gestaltet hat, da sein Ende fehlt. Die wenigen erhalten gebliebenen Seiten zum Organismus führen diesen als eine „Einheit des Inneren und Äußeren“ ein, die kreisförmig pozessiert (263) und das Bestehen im Raum in die Zeit aufhebt: „Der Organismus ist selbst die Zeit, das sich selbst Bewegende; er zieht sich in seine einfache Zeit zurück, setzt sich als aufgehobnen Raum, Bestehen – und bewegt sich. Es ist die einfache Zeit als Subjekt“ (264). Inwieweit im Organischen (vgl. zur wahrhaften Verwirklichung seines Begriffs 119) dem Erwachen des Bewusstseins vorgearbeitet werden kann, bleibt unklar, denn dieses Erwachen geschieht jetzt erst innerhalb der „Intelligenz“ (175). Jedenfalls setzt der Geist nach seinem Begriffe mit der Intelligenz höher als im genealogisch entwickelten Bewusstsein von 1803–1804 ein. Für den Übergang durch Negativität spricht indessen in der Intelligenz „die Nacht, das Innere der Natur, das hier existiert – reines Selbst“ oder das Bewusstlose dieser „Nacht, dies leere Nichts“ (172), das sich im Organismus als Subjekt ankündigt: „es existiert als die Nacht, die reine Individualität der Erde“ (264). Der erste Herausgeber dieser Vorlesungsmanuskripte, Johannes Hoffmeister, hat eigenständig das erste Kapitel „Subjektiver Geist“37 genannt, was zwar textexegetisch zu korrigieren war, aber der philosophischen Interpretation nach stimmte. Die Interpreten (zu Horstmann siehe oben 5. 2.) sind sich heute wohl einig darin, dass das erste Kapitel eine „Vorform der späteren Philosophie des subjektiven Geistes“38 im Unterschied zum „objektiven Geist“ und zum „absoluten Geist“ in der „Enzyklopädie“39 enthält. Der subjektive Geist wird dort in seiner Unmittelbarkeit als Gegenstand der Anthropologie, in seiner Vermitteltheit als Gegenstand der Phänomenologie des Geistes und als Subjekt für sich als Gegenstand 37 38 39

Hegel, Jenaer Realphilosophie. Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805–1806, hrsg. v. J. Hoffmeister, EA 1931, Berlin 1969, S. 179. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 170. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Neu hrsg. v. Friedhelm Nicolin u. Otto Pöggeler, Berlin 1969. § 385. Dort entwickelt Hegel den Geist durch die Form der Beziehung auf sich selbst, wodurch innerhalb seiner die ideelle Totalität der Idee werde. In diesem Beisichsein werde der so subjektive Geist frei. In der Form der Realität stelle sich dagegen die Freiheit als eine vorhandene Notwendigkeit in der vom objektiven Geist hervorzubringenden und hervorgebrachten Welt dar. Schließlich versteht Hegel unter der an und für sich seienden und sich ewig hervorbringenden Einheit der Objektivität des Geistes und seiner Idealität oder seines Begriffs die Form des absoluten Geistes.

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der Psychologie verstanden.40 Für diese Interpretation des I. Kapitels in der Geistesphilosophie von 1805–1806, der ich mich anschließe, spricht vor allem Hegels Redeweise von „dem Menschen“, die klar macht, dass keine historisch früheren Formen gemeint sein können. Der Mensch als das Ergebnis der universalistischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts in Wissenschaft, Kunst und Religion tritt bei ihm auffallend oft als Voraussetzung und Adressat dieser Geistesphilosophie auf (172, 196 f., 231 f., 259, 261 f.). Von diesem Menschen aus und zu ihm hin wird auch die Religion als Form des absolut freien Geistes verstanden (s. o.). Die Formen des absoluten Geistes bleiben noch in die „Konstitution“ formal eingebunden, obwohl sie sich als wissender Geist davon auch bereits abheben.41 Im ersten Kapitel „Der Geist nach seinem Begriffe“ geht es primär um die Erkenntnisbeziehung des Menschen, die sich im zweiten Kapitel „Die Wirklichkeit des Geistes“ ihrem primär soziokulturell allgemeinen Verwirklichungsproblem stellt. In dieser Modifikation der alten Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie kündigt sich jeweils in jedem Kapitel eine Verschränkung von Erkenntnis und Wirklichkeit an. So sind auch die Unterkapitel „Intelligenz“ und „Willen“ bereits des ersten Kapitels zu verstehen. Das Interessante besteht hier darin, dass sie jeweils eine bestimmte Interpenetration von Momenten des Geistes enthalten, die wir aus dem Entwurf von 1803–1804 bereits als die Mitten der Sprache, Arbeit und Familie kennen. So wird die Intelligenz als der Zusammenhang zwischen Anschauung (anhand von Vorstellungsbildern und deren Nacht der Aufbewahrung, 171 f.), Erinnerung derselben als meiner (173) und der Namengebung (als dem Erwachen im Bewusstsein, 175 f.) eingeführt. In dieser Reihenfolge gelte es, „das Ding zum Ich zu machen“ (180), denn das vermeintlich außerhalb der Anschauung bestehende Ding entpuppt sich in der Erkenntnisbeziehung als die eigenen Vorstellungsbilder, die eigenen Er-Innerungen und die eigenen Bezeichnungen durch Namen des tätigen Ichs. Daher gelte es, den „umgekehrten“ (ebenda) Weg einzuschlagen, d. h. das Ich zum Dinge zu machen, mithin zu arbeiten (179). Das Sein der Namen ist noch kein „fest Gegenständliches“ (177): Die „Einbildungskraft nimmt den Gegenstand mit seiner Vielheit, seinen nächsten Umgebungen heraus – aber der Namen ist einsam ohne Beziehung und Verknüpfung – eine sich nicht selbst tragende Reihe, weil keine Bestimmtheit, d. h. Beziehung an ihm selbst auf Anderes ist. Ich ist ganz allein der Träger“ (176 f.). Indessen besteht dieser Träger auch wieder nur in „der Form der reinen Unruhe, Bewegung, oder Nacht des Verschwindens“ der vielen, einander „gleichgültigen Namen“ (177). Hegel nennt nun „das sich Befestigen, sich als Unruhe, sich als reine Bewegung aufhebende Bewegung werden“ eine Arbeit: „Dies die Arbeit; seine Unruhe wird Gegenstand, als befestigte Vielheit, als Ordnung; – die Unruhe wird Ordnung eben dadurch, dass sie Gegenstand wird.“ (Ebd.) Dieses Moment von Arbeit innerhalb der Erkenntnisbeziehung ist aber nicht selbst gegenständlich und durch Werkzeug vermittelt auf äußere Gegenstände sinnlich ausgerichtet, wie man sich die körperliche Arbeit vorstellt, sondern auf eine Befestigung der unruhigen Tätigkeit des Ichs in sich selbst, es ist eine Art Selbstdisziplinierung der Tätigkeit durch Wiederholung der Ordnung: „Diese Arbeit ist daher das erste innere Wirken auf sich selbst – eine ganz unsinnliche Beschäftigung – und der Anfang der freien Erhebung des Geistes, denn er hat sich hier zum Gegenstande“ im 40 41

Siehe ebd. § 387. Siehe auch Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 173.

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Sinne der „Aufmerksamkeit“, des „präzisen Sehens“, des „Fixierens, Abstrahierens, Herausnehmens, Anstrengung, Überwindung des Unbestimmten der Empfindung“ (179 f.). Da es Hegel um die Selbstdisziplinierung der eigenen ordnenden Tätigkeit geht, nennt er dieses Arbeitsmoment auch eine „viel höhere Arbeit als die kindische Beschäftigung mit äußerlichen sinnlichen, oder gemalten Bildern“, die auf Genuss ausgerichtet ist (179). Diese Arbeit ist dagegen „wiederholen desselben; darin besteht das Saure, Ich tut auf seine freie Willkür Verzicht, … Wiederholen ist das Setzen der Gleichheit des Seins, Festhalten an sich als demselben.“ (Ebd.) Indem nun die ordnende Tätigkeit des Ichs in der Arbeit befestigt wird, werden Begriffe und deren Beziehungen für Bestimmungen möglich, greifen also Verstand im Urteilen (180 f.) und Vernunft im Schließen, das wir schon als die „Mitte“ (183) kennen, die Kopula zu verstehen (vgl. oben 5.1.). Hegel baut also in den Aufbau der Intelligenz ein Arbeitsmoment ein, das es gestattet, von der Magie der Namen (in Anschauung und Erinnerung) durch Gedächtnisbildung über die eigene ordnende Tätigkeit zur Sprache im gültigen Sinne des Urteilens und Schließens überzugehen. Das heroische Band der Verknüpfung von Erkennen und Arbeiten zur Sprache liegt im protestantischen Arbeitsethos auf der Hand: Ohne Selbstdisziplinierung der eigenen ordnenden Tätigkeit im arbeitsamen Wiederholen keine begriffliche Erkenntnis und keine praktische Selbstaufopferung für das Allgemeine. So wird die Intelligenz dazu frei, wirken zu können („Sie ist wirklich, Möglichkeit des Wirkens“ (185)) und sich in der Beziehung der Willen aufeinander „zum Inhalte“ zu machen (ebenda). Ähnlich wie die Intelligenz als die wechselseitige Durchdringung bislang verschiedener Geistesmomente aufgebaut wurde, so wird nun auch der Wille verstanden. Er ist zwar „Fürsichsein“, aber „inhaltslos“, einen Mangel, den er fühlt und aus dem er heraustritt in der Befriedigung von „Trieben“, nicht „Begierden“ (187). Hegel versteht hier „Begierden“ als zu tierisch und damit zu bestimmt, als dass aus ihrer Befriedigung in der Sattheit noch etwas anderes als deren Wiederholung folgen könnte. Demgegenüber eröffne der unbestimmte Trieb und seine Befriedigung eine Spannung, die erst in der Tätigkeit zu seiner Befriedigung gegenständlich bestimmt werden kann. Diese Tätigkeit, die Passivität und Aktivität gegen Anderes verbindet, kann in verschiedenen Schlusskombinationen aus Einzelheit und Allgemeinheit in der „Mitte“ (188) gestaltet werden, schließt also Intelligenz ein. Im Unterschied zur Namengebung „kommt es hier allein“ darauf „an, dass Ich den Unterschied aus sich gesetzt (hat), oder ihn als den seinigen weiß“ (ebenda). Im Unterschied zur Selbstdisziplinierung der erkennend ordnenden Tätigkeit in sich handelt es sich dieses Mal im praktischen Wollen, das mit der offenen Triebspannung einsetzt, um die Tätigkeit nach außen gegenüber Anderem, d. h .um den Kern des Arbeitsbegriffs: „Arbeit ist das diesseitige sich zum Dinge Machen, die Entzweiung des triebseienden Ich ist eben dies sich zum Gegenstande machen“ (189). Es gibt keine Triebbefriedigung ohne Arbeit: „Der befriedigte Trieb ist die aufgehobene Arbeit des Ich“. Ähnlich heißt es: „aber hier bringt sich der Trieb hervor, er bringt die Arbeit selbst hervor“ (ebenda). In der Arbeit werden die Bewegungen der Trieberfüllung und der Intelligenz wie in einer Mitte zusammengeführt, die sich ausdifferenzieren lässt, mithin entwicklungsfähig ist. Daraus folgen Gedanken, die wir aus Hegels früheren Schriften (s. o. 4. und 5.1.) kennen: Zunächst wird die Verselbständigung der Mittelstruktur des Arbeitens bejaht: „in dem Werkzeuge oder in dem bebauten, fruchtbar gemachten Acker besitze ich die Möglichkeit, den Inhalt als einen allgemeinen; darum das Werkzeug, Mittel vortrefflicher als der Zweck der Begier-

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de, der einzelner ist“ (ebenda). Habe ich aber erst einmal „die List zwischen mich und die äußere Dingheit hineingestellt, – mich zu schonen und meine Bestimmtheit damit zu bedecken und es sich abnutzen zu lassen“, dann bleibt zwar das mich zum Dinge machen notwendiges Moment, aber man kann dann auch die Tätigkeit des Werkzeugs zu „einem selbsttätigen“ (190) machen. Wir kennen die Beispiele bereits (Uhrfeder, Wasser, Wind): „Hier tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zurück; er lässt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu, und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze – List.“ (Ebd.) Damit erfolgt der Aufbau des Willens nicht nur momentweise (wie in der Intelligenz) aus der Arbeit, sondern im ersten Schritt ganz aus der Arbeit. Das Geschlechterverhältnis wird erst danach thematisiert, um es durch die „Charaktere“ zweier in die Liebe als Erkenntnisbeziehung hinaufzuführen. „Sein eigenes Aufheben wird jedem am Anderen als Sein für Anderes. Das Andere ist also für mich, d. h. es weiß sich in mir. Es ist nur Sein für Anderes, d. h. es ist außer sich. Dies Erkennen ist die Liebe.“ (193) Die Liebe als das Dritte, auch diese Figur kennen wir bereits aus dem ersten Systementwurf von 1803–1804, führt einerseits zum Familienbesitz und andererseits zum Kinde, dessen Folgen aber dort besser entwickelt wurden. Die Vermittlung der Liebe durch Dinge „erhält die Bedeutung der Liebe“ (194). Der Vergleich mit dem Werkzeug enthält die Herkunft der Bejahung von Mittelstrukturen aus der Arbeit: Das Ding „ist Mittel, und Mittel der Liebe; und zwar wie das Werkzeug die bleibende Arbeit ist, so ist dies Dritte auch ein Allgemeines; es ist die dauernde bleibende Möglichkeit ihrer Existenz“ eben im Familienbesitze (ebenda). Die Arbeit dafür wird so zu einer „gemeinschaftlichen Arbeit“ (195), deren Fortsetzung durch Besitz nach der Anerkennung als Eigentum verlangt. „Die Familie ist als Ganzes einem anderen in sich geschlossenen Ganzen gegenübergetreten, oder es sind vollständige, freie Individualitäten füreinander; oder es ist hier erst ein eigentliches Sein für den Geist, indem es ein selbstbewusstes Fürsichsein ist.“ (196) Aber das Anerkennen selbstbewusster Fürsichseine läuft über den Gegensatz Ausschließender und Ausgeschlossener (200), dessen Aufhebung eines Außer-sich-Seins bedarf, das sich letztlich im Tode bewährt (vgl. 202 f.). Wenn der „Kampf auf Leben und Tod“ um Anerkennung zu etwas führt, dann zum „Wissen des Willens“ im „Recht, dies allgemeine abstrakte Anerkanntsein“ (203 f.). Die Willensbildung der einzelnen familiären Fürsichseine erfolgte also im Ganzen, so kann man im Rückblick zusammenfassend sagen, aus einer Interpenetration der Arbeit mit der Liebe als Erkenntnisbeziehung und deren Folgen für Dritte. Das zweite Kapitel „Wirklicher Geist“ (204) handelt von der allgemeinen Einheit zwischen Intelligenz und Wille auf der gesellschaftlichen Ebene, also nicht mehr auf der familiengemeinschaftlichen Ebene individueller Fürsichseine, die für sich ein je Ganzes ausbilden. Beide Kapitel setzen einander in der modernen Gesellschaft voraus, d. h. von dem historisch-genealogischen Kampf um Anerkennung auf Leben und Tod wird hier abstrahiert. Seine Durchführung, die es im Systementwurf I noch gab, wandert in die „Phänomenologie des Geistes“ (1806–1807) ab. Der wirkliche Geist im Systementwurf III beginnt mit dem „Anerkanntsein“ (205), das 1803–1804 aus dem Kampf um Anerkennung erst resultierte, und thematisert dann das „Gewalt habende Gesetz“ (227). Das Anerkanntsein wird in seiner Unmittelbarkeit (205) als Arbeit und Tausch, sodann in seiner Vermitteltheit durch Verträge (209) und schließlich als „Verbrechen und Strafe“ (212) thematisiert.

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Hegel situiert die Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Arbeit, die er dank Smith seit dem „System der Sittlichkeit“ (1803) rekonstruiert hat (s. o. 4. Kap.), nun schon im unmittelbaren Anerkanntnsein, das „Allgemeine Arbeit“ im Sinne der gesellschaftlichen „Teilung der Arbeit“ (206) voraussetzt. Der Verweis auf Smith, den es im Systementwurf I noch gab (s. o. 5.1.), entfällt nun, aber sein Beispiel mit den Stecknadeln bleibt präsent (206). „Weil nur für das Bedürfnis als abstraktes Fürsichsein gearbeitet wird, so wird auch nur abstrakt gearbeitet, dies ist der Begriff, die Wahrheit der Begierde, die hier existiert.“ (Ebd.) Hegel erkennt hier, dass die tierische Begierde nichts natürlich Vorgegebenes ist, sondern im Widerspruch zu der Offenheit in der intelligenten Trieberfüllung (s. o.) aus einer gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung folgt, die innerbetrieblich vergegenständlicht wird. Allerdings unterscheidet er erneut nicht klar zwischen den beiden Ebenen der Arbeitsteilung, dafür wird aber deutlich, dass es um keine handwerkliche Arbeit mehr gehen kann: „Da seine Arbeit diese abstrakte ist, so verhält er sich als abstraktes Ich, oder nach der Weise der Dingheit; – nicht als umfassender, inhaltreicher, umsichtiger Geist, der einen großen Umfang beherrscht, und über ihn Meister ist – es hat keine konkrete Arbeit, sondern seine Kraft besteht im Analysieren, in der Abstraktion, – in der Zerlegung des konkreten in viele abstrakte Seiten. – Sein Arbeiten selbst wird ganz mechanisch, oder gehört einer vielfachen Bestimmtheit an, aber je abstrakter sie wird, desto mehr ist er nur die abstrakte Tätigkeit, und dadurch ist er im Stande, sich aus der Arbeit herauszuziehen, und an die Stelle seiner Tätigkeit die der äußeren Natur zu substituieren“ (206), womit wir erneut bei der „Maschine“ (207) angekommen wären. Da sich laut Hegel im wirklichen Geist (zweites Kapitel) die Idealität des Begriffs (erstes Kapitel) gesellschaftlich allgemein verwirklicht, kann Hegel sagen: „Wie sein Begriff ist, so sein Arbeiten.“ (206) Dadurch entsteht der merkwürdige Eindruck, er hätte aus dem Begriff Wirklichkeit abgeleitet, der teils für die Systemübergänge künstlich wirkt, teils aber auch auf einem Missverständnis beruht, denn Hegel leitet nicht ab, sondern holt gegenseitige Voraussetzungen und Bedingungen füreinander ein. Das moderne Wirtschaftsleben unterstellt und produziert einen Menschen, der intelligent offene Triebe zu erfüllen und familiär in eine Liebebeziehung einzubinden in der Lage ist. Umgekehrt gehört dieser Begriff vom Menschen in den Kontext eben des modernen bürgerlichen Wirtschaftens und keiner anderen Wirtschaftsform. Diese Entsprechung verdeutlicht Hegel, wenn er das Arbeiten als das sich zum Dinge machen aus dem ersten Kapitel, wo es noch an den Begriff des Ichs gebunden war, erneut aufgreift, nun aber an das Bewusstsein bindet: „Dies Verarbeiten aber ist selbst ein Vielfaches; es ist das sich zum Dinge machen des Bewusstseins. Aber im Elemente der Allgemeinheit ist es so, dass es ein abstraktes Arbeiten wird.“ (206) Während das erste Kapitel in der Liebe kulminiert, taucht ihre Fortsetzung erst wieder in den Formen des absoluten Geistes auf. Demgegenüber findet der Familienerwerb seine Fortsetzung im Tausch. Die gesamtgesellschaftliche und betriebliche Arbeitsteilung unterstellt, „muss nun eine Bewegung stattfinden“, in der die Abstraktionen „wieder zum konkreten Bedürfnisse werden, d. h. zum Bedürfnisse eines Einzelnen“ (207). Die Gleichsetzung der Abstraktionen (nicht von deren Bestimmtheiten) erfolge im „Wert. In diesem sind sie dasselbe; dieser Wert selbst als Ding ist das Geld. – Die Rückkehr zur Konkretion, dem Besitz, ist der Tausch.“ (207). Die Gleichsetzung im Wert der Dinge ist aber eine andere Form von Dingheit als diejenige Form von Dingheit, zu der sich das

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Bewusstsein in der konkreten Arbeit macht. In letzterer geht es um die Mechanisierung der Arbeit im Verhältnis zur Natur, insoweit diese einer Mechanik und nicht der Lehre vom Organischen entspricht. In ersterer handelt es sich um die Gleichheit zwischen den selbstbewussten Fürsichseinen untereinander, was „Anerkanntsein“ (208) primär bedeutet. „Das Ding hat die Bedeutung der Beziehung auf Andere, Sein für Anderes, Dasein ist Anerkanntnsein, d. h. es ist der besondere Wille jedes Einzelnen darin, und Gleichheit desselben – Einheit absolut Verschiedener – und so, das für jeden der Willen des Anderen ist.“ (Ebd.) Nehmen wir einmal mit Hegel an, es gäbe eine rechtsstaatliche Sicherung und Stabilisierung der Anerkennung von Arbeit und Privateigentum „im Wechselspiel“ zwischen „reinem Gesetz“ und „freier Lebendigkeit“ (219), dann kann aber auch diese Rechtsform in der Gleichstellung als Personen vor dem Gesetz die daran gemessene Zufälligkeit und Ungleichheit der ökonomischen Verhältnisse für den Einzelnen und ganze Klassen der Bevölkerung nicht aufheben. Darin besteht Hegels wichtigste Einsicht in dem Unterkapitel „Das Gewalt habende Gesetz“: Das Allgemeine ist „reine Notwendigkeit am einzelnen Arbeitenden; – er hat seine bewusstlose Existenz in dem Allgemeinen, die Gesellschaft ist seine Natur, von deren elementarischer blinder Bewegung er abhängt, die ihn geistig und physisch erhält oder aufhebt. Er ist da durch unmittelbaren Besitz oder Erbschaft, vollkommener Zufall. – Er arbeitet eine abstrakte Arbeit, er gewinnt der Natur um so viel ab; aber dies verkehrt sich nur in eine andere Form des Zufalls“, nämlich in modische Geschmacksverfeinerung als Konsument und in eine Arbeit, die „mechanischer, abgestumpfter, geistloser“ wird: „Das Geistige, dies erfüllte selbstbewusste Leben wird ein leeres Tun, die Kraft des Selbsts besteht in dem reichen Umfassen, diese geht verloren.“ (222). Schließlich unterwirft das Auf und Ab der Industriezweige durch „Erfindung anderer Maschinen“ und Eroberung neuer Märkte weltweit Klassen von Menschen dem „Zufall des Ganzen“: „es werden also eine Menge zu den ganz abstumpfenden, ungesunden und unsicheren und die Geschicklichkeit beschränkenden Fabrik-, Manufakturarbeiten – Bergwerken u. s. f. – verdammt, und Zweige der Industrie, die eine große Klasse Menschen erhielten, versiegen auf einmal wegen der Mode – oder Wohlfeilerwerden durch Erfindungen in anderen Ländern u. s. f., und diese ganze Menge ist der Armut, die sich nicht helfen kann, preisgegeben. – Der Gegensatz großen Reichtums und großer Armut tritt auf“ (223). Das Eingreifen in dieses „System“ der „Ungleichheit“ sei unvermeidlich, aber selbst auch ein Problem, wenn es nicht durchdacht erfolge: „Freiheit des Gewerbes, das Eingreifen muss so unscheinbar als möglich sein; denn es ist das Feld der Willkür – Schein der Gewalt muss vermieden werden; und nicht retten wollen, was nicht zu retten ist, sondern die leidenden Klassen anders zu beschäftigen – sie ist die allgemeine Übersicht“ (223 f.). Solche, die bourgeoise Ökonomie regulierenden Eingriffe unterstellen aber und erfordern die Lösung des Konstitutionsproblems (drittes Kapitel). Es stellt sich anders als gewöhnlich, wenn man es wie Hegel hier 1805–1806 unter der Bedingung eines schon vorhandenen Anerkanntseins angeht. Die Individuen teilen so bereits abstrakt-allgemeine Zusammenhänge, in denen sie als ökonomische und rechtliche Verhältnissen stehen. Darin „entäußern“ sie ihr „unmittelbares Selbst“ und aus diesen Verhältnissen heraus „bilden“ sie sich. Jetzt geht es um „Bildung überhaupt, Entäußerung“ (232) darüber hinaus, nämlich in dem „Geist eines Volks, der sich selbst beabsichtigt. – Sein Begriff, All-

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gemeinheit in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit der Einzelnen.“ (Ebd.). Das Konstitutionsproblem der politischen Verfasstheit des Volkes als einem und ganzem Wesen besteht üblicher Weise in dem folgenden Gegensatz: Einerseits soll der Allgemeinwille aus dem Willen aller Einzelnen hervorgehen, sei es durch öffentliche Versammlung und Beratschlagung, sei es wenigstens „stillschweigend“ durch „Einwilligung“ zumindest der Mehrheit (234 f.). Andererseits muss man aber den Allgemeinwillen als Ganzen für die einzelnen Willen voraussetzen, aus denen als Teilen sich nicht einfach das Ganze des Allgemeinwillens nach der Mehrheitsregel ergibt (mit Aristoteles, 234). Die Lösung des Problems besteht für Hegel in keinem Entweder-Oder, sondern in einem Sowohl-alsAuch. Beide Extreme der nötigen Strukturbildung werden nach dem Modell der Französischen Revolution in Phasen zusammengeführt. Je nach Phase haben hier „große Männer“ (235) ihre Aufgabe, die verschiedenen Gewalten zu einem Staate zu kombinieren: „Das Notwendige geschieht – aber jeder Teil der Notwendigkeit pflegt nur Einzelnen zugeteilt zu werden – der Eine ist der Ankläger und Verteidiger, der Andere Richter, der Dritte Henker, aber alle sind notwendig.“ (237) 1805–1806 ist dies noch immer ein klares bonapartistisches Prinzip von Hegel, das er ab 1800 angesichts des Ersten Konsuls auszuformulieren begonnen hat (s. o. 3. Kap.). Und wie schon damals in der Verfassungsschrift wirft Hegel den Deutschen vor, dass sie bereits Machiavellis Fürsten nicht verstehen können, „weil sie eben an derselben Krankheit darniederliegen, und an ihr gestorben sind“ (236), eben der Unfähigkeit, einen Staat zu gründen. Das Entwicklungsgefälle zwischen Frankreich und Deutschland bleibt zu groß, als dass man die „Einheit der Individualität und des Allgemeinen“ in ihrer „gedoppelten Weise“ angemessen ins Deutsche übersetzen könnte: „Extreme des Allgemeinen, das selbst Individualität ist, Regierung – … –, welche das Allgemeine als solches zum Zwecke hat – und das andere Extrem derselben, welche das Einzelne zum Zweck hat“ (238). Daher mündet Hegels Übersetzung ins Original: „Beide Individualitäten als dieselben, derselbe sorgt für sich und seine Familie, arbeitet, schließt Verträge, u. s. f. und ebenso arbeitet er auch für das Allgemeine, hat dies zum Zwecke – nach jener Seite heißt er bourgeois, nach dieser citoyen.“ (Ebd.) Mit der Formulierung, sowohl für das Einzelne als auch für das Allgemeine arbeiten zu müssen, sind wir am Anfang unserer Untersuchungen, beim Berner Hegel als kleinbürgerlichem Republikaner, wieder angekommen, nur dieses Mal nach einem erfahrungsreichen Wege der repräsentativen Vermittlungen, die auch die bourgeoise Wirtschaft anerkennen. Hegels Randbemerkung zu Citoyen „Spieß- und Reichsbürger, einer so sehr formaler Spießbürger als der andere“ markiert den Kontrast zu Deutschland. Die Deutschen können nicht konstituieren, sie „protestieren“ stattdessen nur, d. h. sie folgen „zwar mit ihrem Gehorsam, aber nicht mit ihrer Überzeugung“, die sie mit „Zähigkeit“ und dem „Eigensinn des abstrakten Wollens, des leeren Rechts, ohne die Sache, ohne den Besitz“ verwahren möchten (238). Hegel verdeckt den deutschen Rückstand und die Grenzen der jakobinischen Phase schon lange nicht mehr. Er bejaht „die öffentliche Meinung“ als das „geistige Band“ (240) für die Ermittlung der je besonderen Verschränkungen von Einzelnem und Allgemeinen. Denn, was „Plato nicht kannte“, „das höhere Prinzip der neueren Zeit“, besteht in dem „sich selbst als absolut Wissen der Einzelnheit“, in dem „absoluten Insichsein“, das Hegel aber nicht romantisch verklärt, auch wenn es historisch aus der Tradition des „nordischen Wesens“ herkomme, „das in

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sich ist, aber sein Dasein im Selbst aller hat.“ (241) Die Verklärung ist anachronistisch, denn das höhere Prinzip der neuen Zeit bedeutet auch eine „höhere Entzweiung“ (239). Die deutsche Misere kommt in Hegels Ständeordnung voll zum Ausdruck, denn in ihr bleibt die Bauernmasse ihrer „konkreten“ Arbeitsweise gemäß in die „Natur“ versunken und im Kriege nur als „rohe Masse“ (243 f.) zu gebrauchen. Was man in Deutschland den „Bürgerstand“ nennt, betrifft nur die „abstakte“ Arbeit des „einzelnen Handwerks“, verhält sich in der Gesinnung der „Rechtschaffenheit“ und will kleinbürgerlich mehr gelten, als es hat (245). Erst im Kaufmannsstand erwachen in seiner Tätigkeit, nämlich dem Tausch als der geistigen Mitte, die sich von Arbeit und Gebrauch zu befreien weiß, die verständigen Abstraktionen und die formale Vernunft, d. h. in moralischer Hinsicht „gänzliche Unbarmherzigkeit“ (246). Für den „öffentlichen Stand“, der durch „Eingreifen des Allgemeinen in alles Einzelne“ dieses ins Allgemeine zurückbringt und umgekehrt „das Ergießen des Besonderen ins Allgemeine“ (247) fördert, bleiben nicht viele soziokulturelle Träger-Kandidaten: der „Geschäftsmann; aber seine Arbeit ist selbst sehr geteilt, abstrakt“, und der „Gelehrte“, insoweit er sich der Wissenschaft verpflichtet weiß (249). Es gibt in diesem Land einfach keine bourgeois und citoyen im französischen, also politisch relevanten Sinne, geschweige englische Fabrikanten und Proletarier. Die ganze Hoffnung kann nur darin bestehen, dass man durch die akademische Ausbildung neuer gebildeter Schichten über die Beamtenlaufbahn alle öffentlichen Aufgaben neu stellt und besetzt. Das Substitut für den Citoyen kann realistischer Weise nur bedeuten, die „Entäußerung“ und „Bildung“ nicht von unten aus der Ökonomie und Politik i. e. S. her aufzubauen, sondern umgekehrt von oben her aus den Formen des „absolut freien Geistes“ (253) unter Führung der Philosophie als der absoluten Wissenschaft. Und zieht nicht Hegel, auch für sich selbst, genau diese Konsequenzen, wenn er sich nach seiner Jenaer Zeit als Chefredakteur der Bamberger Zeitung versucht, als Nürnberger Gymnasialrektor an Niethammers Reformen der bayerischen Gymnasien mitwirkt und schließlich die neue Berliner Reformuniversität mitprofiliert? Und hatte er nicht längst in Jena diesen Weg eingeschlagen, als er versuchte, mit Schillers und Goethes Hilfe vom außerordentlichen zum ordentlichen Professor an der Universität befördert zu werden?

Schlussbemerkungen Wir sind mit den Verhältnisweisen zwischen dem bourgeois und dem citoyen wieder am Anfang unserer Untersuchung (siehe Vorwort) angelangt. Dieses Verhältnis erschien dem Berner Hegel in seinem kleinbürgerlichen Republikanismus, relativ leicht und schön im antiken und rousseauschen Sinne gestaltet werden zu können: in der allgemeinen Arbeit des Republikaners und der ihr gemäßen Volksreligion (1. Kap.). Es war nicht nur die deutsche Unterentwicklung, sondern mehr noch die Verkehrung der Französischen Revolution selbst in ihrem internationalen Kampf, die den Republikaner Hegel zum Umdenken brachte. In seiner Teilnahme an der „höheren Aufklärung“ der „Vereinigung“ schien dem frühen Frankfurter Hegel, dass Revolution und Aufklärung durch ihre objektive Neubegründung ohne ihre Verkehrung fortgesetzt werden können. Die Einbindung in den Horizont des Absoluten begrenzte und belebte die Selbstüberforderung im kollektiv geteilten Heroismus der Französischen Revolution (Kap. 2.1.). Gleichwohl vergrößerte

Schlussbemerkungen

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sich in diesem Vereinigungsversuch die Entzweiung zwischen den Politikern und den Gelehrten des Programms aus objektiven Gründen. Der englische „Verrat“ an der Französischen Revolution wie zuvor schon an der Amerikanischen Revolution und der französische Verrat an den deutschen Republikanern weitete das Problem der weltgeschichtlichen Lage über Deutschland hinausgehend international aus. Ihr entsprach Hegels Umwertung des „Geistes des Christentums“ und seine Rezeption der schottischen Konzeptionen für handels- und manufaktur-bürgerliche Citoyen-Substitute (J. Steuart, A. Smith) in seiner späten Frankfurter und dann frühen Jenaer Zeit (Kap. 2.2.; 2.3.; 3.1.) Hegel stellte sich in eine europäische Problemkonstellation, in der die verschiedenen Heroismusformen als Citoyen-Substitute vergleichbar wurden. Die Entdeckung der ökonomischen Natur der modernen Gesellschaft ist keine Frage allein für die ökonomische Wissenschaft, obgleich sie exemplarisch das Problem der modernen Humanwissenschaften aufwirft und für sich beantwortet. Sie stellt darüber hinaus das Ganze und deren Traditionen im Medium der Philosophie in Frage. Welche Hegemonien bzw. Subsumtionen sind in dem Verhältnis zwischen dem ökonomischen, politischen und geistig-kulturellen Leben der modernen Gesellschaft möglich, real, jeweils mit welchen nicht intendierten Folgen begründet vorzuziehen oder abzulehnen? Hegels erste Antwort auf diesen Problemkomplex bestand in der Ausformulierung seines frühen Jenaer Programms der Philosophie, das bonapartistischen Charakter insbesondere im Verhalten der Vernunft gegenüber dem allgemeinen und wissenschaftlichen Verstand trug (3. Kapitel). Die heroische Selbstzwecksetzung des bonapartistischen Citoyen-Substituts beruhte gleichermaßen auf der Anerkennung und der Terrorisierung der modernen kapitalistischen Arbeits- und Tauschgesellschaft (4. Kapitel). Hegel bringt aber diese neuen Fragen ab 1803–1804 (Systementwurf I) auch selbständig in die Tradition der deutschen philosophischen Systeme von Kant bis Schelling ein, weshalb er in ihr einen neuen Beitrag zu leisten vermag. Wir sind ihm im 5. Kapitel anhand der Jenaer Systementwürfe nachgegangen. Erwähnen wir nur das Ergebnis: Mit dem Einbau einer Arbeitsdimension in den Aufbau der Intelligenz und mit der Fundierung des Willens des modernen Menschen durch Arbeit im Systementwurf III von 1805–1806 dient Hegels Arbeitsverständnis dem System absoluten Wissens, in das sich sein heroischer Idealismus nach mehrfacher Transformation gerettet hat. Dieser Rückzug des heroisch objektivierten Idealismus in den Primat der Epistemologie des selbstbezüglichen Wissens ist auch seine Rettung in einem Reformpotential, das den Deutschen zu ihrer Klassik geworden ist. Die systemische Ausbeute aus einer ursprünglich polit-ökonomisch materialistischen Arbeitskonzeption musste indessen Marx inmitten des Industriekapitalismus des19. Jahrhunderts als eine enorme Verkehrung verstehen, die es umzukehren galt. Aber sie führte zunächst einmal zu der „Arbeit des Begriffs“42, der Emanzipation des Knechts vom Herrn durch Arbeit und zu der Selbsterfassung des Begriffs in der Tilgung der Zeit43, also ursprünglich laut dem frühen Hegel in der religiösen Liebe. Hegels reife und wirkungsmächtige Hauptwerke waren indessen hier nicht mehr Thema. Aber in der Grundeinschätzung würde ich Horstmann zustimmen, wenn er schreibt, dass sich in Hegels späterer Rechtsphilosophie durch die Einführung der Differenz zwischen bürgerlicher 42 43

G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister, Berlin 1971, S. 59. Ebd., S. 558.

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Gesellschaft und Staat „eigentlich nichts für seine politische Theorie inhaltlich Neues“44 ereignet hat, verglichen mit Hegels Ausdifferenzierung des Systems der Bedürfnisse, der Arbeit und des Tauschs vom „System der Sittlichkeit“ bis zu den späteren Jenaer Systementwürfen. Hegel war weder liberal im Sinne der neoliberalen Ausweitung der Marktwirtschaft in eine Marktgesellschaft noch konservativ im Sinne der Nicht-Anerkennung dieses in sich liberal zu gestaltenden ökonomischen Systems. Er mutet seinen Leserinnen und Lesern noch heute einen dritten Weg zu, den der Hegemonie des geistig-kulturellen Lebens über die Politik und Ökonomie der modernen Gesellschaft. Das letzte Wort darüber in Kommunikations- und Wissensgesellschaften im Unterschied zu Arbeitsgesellschaften ist noch nicht gesprochen.45 Hegels in dem Systementwurf von 1805–1806 auffällige Redeweise vom Menschen als der Voraussetzung und dem Adressaten seiner spekulativen Philosophie, aber auch von „dem“ Leben, „der“ Arbeit, „der“ Sprache und „dem“ Eigentum, erlaubt ihre längerfristigere Einordnung, wodurch sie so wirkungsmächtig hat werden können. Mit Marx gesprochen: Hegel setzt in seiner Beteiligung an diesen Diskursen seine Ausformulierung verständiger Abstraktionen als realer Abstraktionen der modernen Gesellschaft fort, so wie er diese Explikation in seinem Arbeits- und Eigentumsbegriff begonnen hat (hier 4. Kap.). Solche Abstraktionen gelten in ihrer Allgemeinheit erst dadurch, dass sie eine Mannigfaltigkeit von konkreten Erscheinungen tatsächlich durchorganisieren und so in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft subsumieren. Hegel weiß darum. Exemplarisch schreibt er: „die höchste Abstraktion der Arbeit greift durch desto mehr einzelne Arten durch, und erhält einen umso weiteren Umfang.“ (223) Ihre Genealogie geht dabei im System verloren und bleibt in der Phänomenologie des Geistes ein Widerspruch gegen dieses System. Diese Realabstraktionen scheinen dem nordwestlichen Verstand, immer selbstverständlicher zu sein, so dass ihre Rück- und Vor-Projektion auf andere Zeiten bis in alle Ewigkeit zu einem quasi natürlichen, eben ideologischen Vorurteil auskristallisiert. Erst nach der Amerikanischen und Französischen Revolution werden diese Redeweisen selbstverständlich, nämlich in dem Maße, als die Angehörigen verschiedener Religionen und Weltanschauungen, verschiedener Ethnien und Klassen ökonomisch zum Bourgeois und politisch zum Citoyen werden können. Und mit Foucault gesagt: Hegel tritt mit seinem Systementwurf von 1805–1806 deutlich aus dem Übergang der diskursiven Formation der Klassik zu der der Moderne (1775–1825) heraus und in die logisch-systematische Begründung der Moderne aus sich selbst ein. In der ersten Phase dieses Überganges bis ca. 1800 unterlägen die Positivitäten, d. h. Empirien, noch der Klassifikation durch Repräsentation, aber in der zweiten Phase des Überganges ab 1800 unterliegen sie solchen „Quasi-Transcendentalia“, d. h. Ermöglichungsstrukturen eben wie der Arbeit, dem Leben und der Sprache.46 Den philosophischen Kreuzungspunkt für diese Neuorganisation des spezifisch modernen Wissens stelle der Mensch als die „empirisch-transzendentale Dublette“ dar, der als Objekt 44

45 46

R.-P. Horstmann, Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie. in: Manfred Riedel (Hrsg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Band 2, Frankfurt/M. 1974, S. 299. Vgl. zur Verschiebung von Arbeits- zu Kommunikationsparadigmen innerhalb des Großparadigmas der Produktion und Reproduktion H.-P. Krüger, Kritik der kommunikativen Vernunft, Berlin 1990. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 273 f. u. 307 f.

Schlussbemerkungen

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empirisch und als Subjekt Ermöglichungsgrund seiner Vergegenständlichung wird.47 Diese Relation zwischen der Empirie der Humanwissenschaften und ihrer kategorialen Ermöglichung lasse sich historisch verschieben, zur Zukunft öffnen oder laufe in einer Wiederkehr des Gleichen (Nietzsche) auf.48 So entgegen gesetzt sich die Konzeptionen von Foucault und Habermas zweifellos sind, in diesem Punkte der Modernität Hegels stimmen sie – freilich aus verschiedenen Gründen – doch überein.49 Habermas verweist ausdrücklich auf das frühe Jenaer Programm der Philosophie Hegels: „Hegel ist der erste, der den Prozess der Ablösung der Moderne von den außerhalb ihrer liegenden Normsuggestionen der Vergangenheit zum philosophischen Problem erhebt. … Die Beunruhigung darüber, dass sich eine vorbildlose Moderne aus den von ihr selbst hervorgebrachten Entzweiungen heraus stabilisieren muss, begreift Hegel als den ‚Quell des Bedürfnisses der Philosophie‘. … Er sieht die Philosophie vor die Aufgabe gestellt, ihre Zeit, und das ist für ihn die moderne Zeit, in Gedanken zu erfassen.“50 Wenn man sich indessen fragt, wer Hegels philosophisch pragmatischen Umgang mit den Verkehrungen der politischen und ökonomischen Revolution in nicht intendierte Folgen am konsequentesten und systematisch fortgesetzt hat, dann stößt man auf eine andere als die europäische, die US-amerikanische Wirkungsgeschichte Hegels. John Dewey, der Philosoph der radikalen Demokratisierung, geht wie Hegel von den größten Problemen seiner Zeit, dem Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise aus, um sie einer öffentlichen Untersuchung auszusetzen, in der ein neues Politisches generiert wird. Der Lösungsweg, den er beschreitet, ist der von Interpenetrationen, die sich in Hegels Jenaer Systementwurf III angekündigt haben. Statt die analytische Aufteilung und dann im Nachhinein verselbständigte Reintegration dieser Teile fortzusetzen, projektiert Dewey die wechselseitige Durchdringung verschiedener moderner Handlungsarten und Handlungsbereiche, um die gesamtgesellschaftlichen Probleme in einem Prozessmodell mit Phasen lösen zu können. Dewey erinnert sich an den „dauernden Eindruck“, den Hegel in seinem Denken hinterlassen habe. Schon Auguste Comte habe er für „seine Auffassung vom desorganisierten Charakter der modernen westlichen Kultur, die auf einem desintegrativen ‚Individualismus‘ beruht“, geschätzt, aber bei Hegel sei die „Idee einer Synthesis der Wissenschaft, die eine regulative Methode für ein organisiertes soziales Leben sein sollte“, noch mit „einer tieferen und weiterreichenden Integration verbunden“.51 – Beschränken wir also die Rezeptionsmöglichkeiten der Philosophie Hegels nicht von vornherein auf seine innereuropäische, vor allem deutsche und französische Wirkungsgeschichte. Da ich in dem vorliegenden Buch meine Aufmerksamkeit für Entdeckungen statt für deren systematische Verwaltung nur schwer verbergen konnte, möchte ich mit einer sol47 48 49 50 51

Vgl. ebd., S. 384. Siehe ebd., S. 402–404. Siehe zu dem Gegensatz der Konzeptionen von Foucault und Habermas H.-P. Krüger, Philosophische Anthropologie als Lebenspolitik. 1. Kap. Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S. 26. John Dewey, Vom Absolutismus zum Experimentalismus. In: Ders., Erfahrung, Erkenntnis und Wert, Frankfurt/M. 2004, S. 21. Siehe zu den Kant- und Hegel-Transformationen in Deweys Philosophie H.-P. Krüger, Der dritte Weg der Philosophischen Anthropologie und die Geschlechterfrage, Berlin 2001. 2. Teil.

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chen Hegels enden: Das Erstaunlichste an Hegels Geistesphilosophie von 1805–1806 besteht wohl darin, dass sie dem Zwillingsbruder des Menschen, dem Ungedachten, wie Foucault sagt, phänomenal so offen begegnet. „Der Mensch hat sich nicht als eine Konfiguration in der episteme abzeichnen können, ohne dass das Denken gleichzeitig, sowohl in sich als auch außerhalb seiner, an seinen Rändern, …, ein Stück Nacht, eine offensichtlich untätige Mächtigkeit, in die es verwickelt ist, ein Ungedachtes, das voll im Denken enthalten, in dem das Denken ebenso gefangen ist, entdeckt. … es ist in Beziehung zum Menschen das Andere: das brüderliche Andere, der Zwilling, … ein wenig der Schatten, den dieser Mensch beim Auftauchen im Wissen trägt; ein wenig wie der blinde Fleck, von wo aus es möglich ist, ihn zu erkennen. … Es ist das An sich gegenüber dem Für sich in der Hegelschen Phänomenologie des Geistes gewesen, es ist das Unbewusste für Schopenhauer gewesen. Für Marx war es der entfremdete Mensch, in den Analysen von Husserl das Implizite, das Unaktuelle, das Sedimentierte, das Nichtausgeführte“.52 Ganz in diesem Sinne schreibt Hegel 1805–1806 tatsächlich in dem Unterkapitel „Intelligenz“ über den Bruch in der Anschauung des Menschen, durch den der Mensch kein Tier mehr sein kann, wohin es also kein Zurück mehr gibt: „Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält – ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt –, oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies die Nacht, das Innere der Natur, das hier existiert – reines Selbst, – in phantasmagorischen Vorstellungen ist es rings um Nacht, hier schießt dann ein blutig Kopf, – dort eine andere weiße Gestalt plötzlich hervor, und verschwinden ebenso – Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird, – es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.“ (172) – Verabschiedet sich Hegel hier von Hölderlin? – Vielleicht, aber dies bedeutete wohl, ihm die Treue zu halten. Jetzt könnte also alles von vorne beginnen. – Ist es zu früh oder zu spät (Volker Braun)? – Für die Liebe ist es nicht früh und nicht spät genug.

52

Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 393 f.

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Personenregister

Anikin, Andrej W. 182, 186, 187, 191 Arndt, Andreas 21, 183, 247 Arnold, Gottfried 34, 35, 36 Bahner, Werner 38, 39 Baumeister, Thomas 62 Baz, Christian Friedrich 63–65, 136–137 Behrens, Fritz 192 Berger, Maxi 22 Bonaparte, Napoleon 14, 19, 64, 71, 122, 126–131, 141, 159, 168, 170, 184, 198–200, 247, 257 Bondeli, Martin 53, 66 Braun, Volker 78, 296 Brecht, Bertolt 169, 170 Buhr, Manfred 11, 12, 72 Burmeister, Brigitte 41, 57 Conze, Werner 57, 61, 115 Cornehl, Peter 25 Coseriu, Eugenio 213 Cotta, Friedrich 15, 53, 55, 137, 141 Cistozvonov, Alexander N. 128, 198, 247 Descartes, René 24, 148 Dewey, John 7, 22, 295 D’Hondt, Jacques 48 Engels, Friedrich 9, 36, 41, 48, 52, 66, 112, 121, 127, 128, 129, 204, 208, 230, 248 Erämetsa, Erik 214, 223, 254 Euchner, Walter 57, 134, 187, 191 Ferguson, Adam 97, 101, 113, 183, 186–190, 193, 200, 225–227, 242, 255 Fetscher, Iring 40

Fichte, Johann Gottlieb 11, 12, 15, 25, 30, 42, 47, 54, 56, 69, 72, 73, 75, 79, 80, 83, 100, 106, 108, 117, 136–138, 147, 149, 152, 158, 171, 176, 196, 199, 220, 271 Förster, Eckart 11, 136 Forster, Georg 16, 31, 32, 49, 84, 85, 137, 141 Foucault, Michel 193, 231, 294, 295, 296 Fontius, Martin 34, 61 Gibbon, Edward 102, 263 Göhler, Gerhard 169 Goethe, Johann Wolfgang 12, 14, 23, 32, 34, 72, 88, 126, 136, 138, 178, 292 Gulyga, Arsen 36 Gurjewitsch, Aaron J. 57, 210, 232 Habermas, Jürgen 7, 20, 172, 264–267, 295 Härtling, Peter 63 Harich, Wolfgang 139 Hartkopf, Werner 28, 175 Hasbach, Wilhelm 103, 105, 106, 107, 110, 113, 187, 191 Hegel, Hannelore 65, 71, 94 Heinrich, Gerda 28, 70, 141 Heise, Wolfgang 12, 23, 28, 34, 41, 47, 78, 79, 80, 88, 132, 137 Henrich, Dieter 11–13, 20, 25, 53, 54, 62, 65, 69, 264–266, 278, 280 Herder, Johann Gottfried 12, 29–34, 60, 71, 80, 81, 88, 98, 102, 113, 213 Herzog, Lisa-Maria 183 Hoffmeister, Johannes 69, 281, 285 Hokkanen, Kari 126 Hölderlin, Friedrich 12, 14–15, 21, 25, 28, 33, 51, 53–54, 56, 62–66, 69–85, 87–88, 91, 94,

311

Personenregister 96, 98, 101, 105, 106, 108, 110, 115–118, 131–133, 135–137, 139, 146, 152, 157, 160, 163, 170, 175–176, 178, 188, 211–213, 219, 231, 264, 296 Honneth, Axel 7 Horstmann, Rolf-Peter 203, 278, 281, 282, 293, 294 Hume, David 101, 107, 110, 111, 140, 183, 190, 191 Irrlitz, Gerd 11, 12, 23, 72, 119, 142, 165, 183, 242 Jaeschke, Walter 23, 53, 65, 119–121, 196, 267, 277, 278, 285, 286 Jäger, Hans-Wolf 64, 70 Jean Paul 138–139 Jonas, Wolfgang 130, 193, 260 Julku, Kyösti 36, 66, 122 Kant, Immanuel 15, 24, 25, 54, 56, 70, 71, 79, 116, 118, 146, 161, 170, 184, 187, 199, 212 Keat, Russell 183 Kimmerle, Heinz 119, 164, 203, 219 Kirchner, Werner 64, 70, 73, 132 Kleine, Lothar 82 Kondylis, Panajotis 53 Kossok, Manfred 11, 40, 128, 130 Krause, Peter 56, 61, 115 Krauss, Werner 37, 55, 139 Krings, Herrmann 173 Krüger, Hans-Joachim 25, 70 Krüger, Hans-Peter 12, 22, 172, 247, 264, 269, 274, 294, 295 Kuczynski, Jürgen 40, 128, 130, 182, 197, 260 Küttler, Wolfgang 170 Kurz, Gerhard 70, 78–80, 94, 96, 98 Laitko, Hubert 12, 248, 259, 260 Lasarew, W. W. 173, 180 Lauermann, Manfred 163 Lawitschka, Valérie 65 Lehmann, Hermann 190 Lepenies, Wolf 176, 211, 232 Lessing, Gotthold Ephraim 12, 30–33, 87 Liepert, Anita 34, 48, 60, 80, 113 Lukács, Georg 9–11, 25, 25, 48, 50, 62, 102–104, 115–117, 121, 122, 142, 174, 180, 202, 254, 256 Lyotard, Jean-François 8, 133 Machiavelli, Niccolò 16, 31, 70, 122, 124, 127, 129, 263, 291 Mandeville, Bernard 57, 98, 101, 187, 191

Manfred, Albert S. 127, 129 Markov, WaIter 77, 128, 197 Marx, Karl 8–12, 14, 19, 20, 21, 36, 41, 48, 66, 67, 77, 92, 97, 99, 101, 104, 109–112, 121, 127–130, 143, 157, 167, 170, 179, 185, 191– 194, 197, 200–204, 208, 214–218, 223–230, 233, 236, 238, 247, 248, 256, 259, 260, 283, 293, 294, 296 Maurer, Reinhart 25 Meek, Ronald Lindley 101–103, 107, 113, 134, 182, 186, 188–190, 194, 224, 228, 256 Mieth, Günter 63, 74, 77, 78, 81, 83, 84, 131, 160, 170, 175, 213 Mignet, Francois Auguste 196, 197, 199, 200 Mittenzwei, Ingrid 36 Mittenzwei, Werner 142 Oncken, August 181, 184, 187 Ovsjannikov ,Michael F. 178 Pöggeler, Otto 28, 53, 54 Rendtorff, Trutz 45 Reschke, Renate 70, 71 Riedel, Manfred 57, 116, 219, 294 Ritter, Joachim 62–63 Robespierre, Maximilien 40, 41, 51, 52, 57, 129 Rohrmoser, Günter 25 Rosenkranz, Karl 64, 98, 103, 107, 109, 110 Rousseau, Jean-Jacques 8, 24–27, 36–44, 48, 51, 57, 58, 60, 81, 88, 98, 108, 135, 175, 187, 223 Ruben, Peter 12, 248 Sandkühler, Hans-Jörg 175, 178 Scheel, Heinrich 36, 49, 64, 66 Scheinfuß, Katharina 48 Scheit, Hermann 46 Schelling, Friedrich Wilhelm Josef 12, 15–16, 18, 25–30, 33, 42, 50–51, 56, 69, 71, 78, 82– 84, 96, 100, 106, 131, 134–138, 146, 161, 163, 173–181, 184, 201, 202, 206, 208, 211, 218, 261–264, 277, 281, 293 Schilfert, Gerhard 34, 46 Schiller, Friedrich 12, 14, 16, 23, 30–32, 43, 50, 69–72, 76, 79–81, 83–85, 87–91, 97–98, 102, 106, 111, 113–116, 136, 137, 148, 232, 292 Schmidt am Busch, Hans-Christoph 22 Schmidt, Steffen 262 Schnädelbach, Herbert 261, 262 Schüler, Gisela 25, 50, 64 Seidel, Helmut 82

312 Sen, Samar R. 102 Siep, Ludwig 271 Sinclair, Isaak 12, 15, 56, 62–66, 69–75, 78, 80– 88, 94, 106, 108, 110, 116, 117–118, 122, 131, 132, 134–137, 141, 146–147, 152, 159, 163, 171, 175, 180, 191, 211 Smith, Adam 14, 17, 18, 20, 101–104, 109, 110, 113–116, 174, 175, 181–184, 185–196, 199– 202, 211–219, 223–246, 249–257, 260, 261, 269, 273–275, 279, 289, 293 Soboul, Alfred 77, 128, 197 Streisand, Joachim 34, 36, 64, 121, 122, 141, 142 Steuart, Sir James Baronets 16–17, 98, 100–118, 122, 123, 127, 133, 134, 140, 141, 143, 174, 182, 185, 189–190, 192, 194, 199, 211, 216, 222, 227, 251, 261, 263, 281, 293 Stiehler, Gottfried 98, 115, 130, 167

Personenregister Stierlin, Helin 78 Stolpe, Heinz 48 Taine, Hippolyte 168, 246, 247 Tarlé, Eugen 170 Taylor, Charles 12 Thal, Peter 182, 191, 192 Thom, Martina 170, 187, 212 Tomasello, Michael 269 Troitzsch, Ulrich 260 Warnke, Camilla 176 Weber, Max 10, 97, 121 Weber, Peter 34 Wieland, Christoph Martin 126 Wildt, Andreas 271 Wollgast, Siegfried 34 Wygodski, Witali S. 227

Sachregister

Abstraktionen – verständige und reale 109, 111–112, 140, 151, 169, 192, 294 ältestes Systemprogramm des dt. Idealismus 27–28, 54, 178 Anerkennung – der Resultate der Französischen Revolution 16, 31, 96, 100, 118, 122, 132, 136, 141, 173, 194, 201, 216, 243–244, 253, 255–257, 273, 276, 283–284, 288 – als Relation zwischen Personen 216, 218, 268, 271–273, 283–284, 290 Arbeit – abstrakte und konkrete A. 193–195, 280–281 – einzelne und allgemeine A. 12–13, 15, 19, 243–248, 253, 257–261, 289, 291 – A. in Erkenntnis 286–287 – s. auch Arbeitsteilung Arbeitsteilung – gesellschaftliche und manufakturielle (betriebliche) 16, 59, 70, 99, 109, 111, 115, 154, 189–190, 193–196, 214–227, 230, 232, 234–235, 240–241, 244–250, 274–275, 280, 289 Begierde 204, 221, 269–270, 274, 287–289 Bedürfnis 28, 39, 41, 45, 49, 60, 68, 88, 90–92, 95, 108, 114–115, 120, 124, 133–135, 143, 145, 147, 149–152, 162, 177, 194–195, 203–206, 210, 216–217, 220, 225, 228, 230, 232, 243–245, 249–252, 263, 273–275, 277, 289, 294–295 Besitz 57, 86, 97, 99–100, 112–113, 123–125, 130, 151, 158–159, 166, 204–206, 216–224,

229, 231, 233, 236, 244, 249, 253–254, 270–276, 287–291 Bourgeois 8–9, 11, 14, 16–22, 39–41, 52, 66, 105, 124, 127–129, 132, 142–143, 158–160, 167–170, 181–183, 187–190, 197–198, 200–201, 214, 232, 240–245, 248–250, 252–257, 264, 291–292 Citoyen 8–11, 14–15, 17–18, 22, 39–42, 48, 52–53, 128–129, 160, 188–189, 197–201, 234, 240, 250, 252, 256, 261, 291–294, Substitute des C. 15, 39, 41–42, 48, 52, 55, 174, 263, 293–294 – s. auch Heroismus Confusion/ Konfusion 74, 82, 106, 146, 159, 161, 164 Eigentum – gemeinschaftliches und privates E. 8, 13, 15–17, 19–20, 22, 27, 41, 43–47, 57–60, 67, 76, 85–86, 88, 90–95, 97–102, 112–114, 118, 123–125, 133, 140–141, 153, 158, 168, 189, 191, 216–233, 242–243, 248–249, 254–257, 259, 263, 268, 273, 276, 284, 288, 290, 294 Geist 13–14, 19–22, 27, 29, 32–34, 36, 38–39, 42–43, 53, 65, 59–60, 63–65, 68, 71–72, 76–78, 83–85, 88, 90–97, 99–100, 102–103, 112–113, 117, 124–125, 132, 145, 149–150, 152–154, 163, 167–168, 175, 183, 201–202, 246–247, 258, 260–261, 263–267, 269–273, 276–277, 279–292 Geschichtswissenschaft 110, 118, 140, 146, 158, 166, 181, 189–190 Gironde 51, 77

314 Grammatik 19, 75, 278–279 Heroismusformen 9–10, 13–22, 37, 41–42, 54– 56, 63, 79, 87, 118–119, 124, 129–133, 139, 141–143, 146, 152, 156–158, 160, 165–167, 169, 171, 173–176, 179, 181–182, 187–190, 200–202, 205, 212, 214, 231–234, 237–238, 240, 242, 245, 248, 252, 254–259, 261, 263, 266, 276–277, 279, 282–284, 287, 292–293 s. auch Citoyen-Substitute Jakobiner 9–10, 14, 36, 40, 50–52, 67, 71, 127–129, 132, 135–136, 141 Kirche, s. Staat Krieg 13–14, 17–21, 31, 43–44, 47, 55, 67, 119–124, 126–128, 131, 159–162, 170–171, 183–184, 186–187, 190, 196–201, 241–242, 245–249, 253–258, 261, 284, 292 Leben 12–13, 31, 34, 39, 43–47, 50, 56–57, 59–60, 63, 66, 75, 79, 81, 84–88, 90–91, 93, 95, 99–100, 117, 129, 133, 136, 140–141, 145, 147–152, 154–163, 167, 177–179, 199, 206, 208, 219, 230–232, 254, 271, 173–276, 280, 283–284, 288, 290, 293–295 Liebe 16, 25, 44, 62, 79, 81, 84–87, 91, 94–95, 98–101, 103, 187, 202, 209–210, 212–213, 231–232, 268–270, 288–289, 293, 296 Methode 17, 20, 75, 104, 109, 160, 165–167, 171, 184, 190, 263, 266, 277, 295 – s. auch System Medium 12, 14, 35–37, 65–66, 76, 83, 87, 106, 137, 147, 245, 261–262, 267–268, 272, 278–279, 293 Mensch, s. Natur des M. Mitte 18, 50, 71–72, 76, 125, 131, 209–212, 232, 244, 246, 253, 262, 267–272, 279–280, 286–287, 292 Mittel 18–19, 22, 44–46, 59–60, 75, 80–81, 83, 93, 97, 99, 115, 127, 130, 133–134, 139–141, 153–154, 159, 162, 166–167, 170–171, 179, 190, 193, 195–197, 209–215, 218–220, 228, 230, 243–246, 253, 255, 268–271, 273, 279, 287–288 Natur 18, 28, 30, 37–38, 58–60, 68, 71–72, 79, 81, 84, 90–91, 97, 101, 113, 115, 133, 145, 150, 174–177, 179–180, 189–195, 200–216,

Sachregister 218–222, 225–227, 230–233, 249–252, 261, 263, 267–276, 280–285, 288–290, 296 Natur d. Menschen (Menschennatur) 26–32, 35–39, 42–43, 47, 56, 59–60, 66, 74, 78, 81, 85–87, 89, 97–101, 103, 108, 110–111, 123– 125, 133, 135–136, 140, 145–146, 152, 175, 178, 190, 194, 203–204, 207–209, 214, 225, 229–230, 238–239, 261, 263–264, 273–275, 285–286, 289–290, 293–294, 296 Negationen 19–20, 22, 73, 94, 131, 165, 171, 184, 219–221, 249–255, 263–265 Notstaat 16, 90, 97, 116, 148, Ökonomie 7, 9–11, 18, 21, 143, 151, 172, 266, 294 – als Wissenschaft 37, 57, 97, 103, 106, 116–117, 139, 143, 151, 174, 180–183, 185, 187, 190, 192, 199–201, 215, 227–228, 245, 256–258, 261 – als reales System 130–131, 143, 151, 159, 264, 266, 290, 292, 294 privat/ öffentlich 8–9, 22, 26–27, 38–39, 44, 47–48, 50–51, 57, 103, 120, 122, 124, 126, 161, 179–180, 200, 236–237, 291–292, 295 Revolutionsgeschichte, vergleichende 40, 128, 130, 143, 200 Sansculotte 44, 48, 50, 100 Sprache 29, 75, 87, 105, 112, 138, 200, 202, 213, 247, 254, 261, 264, 268–273, 279, 286–287, 294 Spekulation (spekulativ) 12, 19, 70, 105, 148, 176, 256, 261, 264–265, 283, 294 Staat u. Kirche (ihre Trennung oder Einheit) 32–33, 35, 37, 39, 45–47, 50, 55, 58, 95–96, 101, 183 System – der Not u. des Eigentums bzw. der Arbeit u. Bedürfnisse 7, 45, 103, 143, 151, 159, 200–201, 244, 250, 253, 275–276, 290 – der Philosophie 11–13, 15, 17–22, 24–25, 54, 62–63, 83–84, 101–102, 105–106, 108–109, 116–118, 124–125, 130, 134–135, 141, 146–152, 154–161, 163–171 – s. auch Methode – s. auch ältestes Systemprogramm Tragödie (im Sittlichen) 143, 156–157, 165, 169, 263

315

Sachregister Trieb 25, 29, 40, 45, 75, 84–85, 92, 95, 102, 109–111, 133, 147, 185, 190, 207, 250, 253, 255, 287–289 Vereinigungen (i. U. zu Trennungen) 14, 16, 21, 53, 60, 63, 69–70, 74–82, 84–87, 89, 91, 95, 98–101, 106–107, 116–117, 129, 140, 147, 150–151, 155, 158, 162, 173, 175, 179, 202, 205, 237–238, 277, 279, 292–293 Verstand 16–17, 19–20, 25–27, 30–31, 66, 70– 71, 74, 85, 94, 104, 108, 110, 118, 124–125,



135–136, 139–142, 146–147, 150–171, 176, 179, 182–184, 189–190, 209, 230, 250, 266, 277, 287, 292–293 s. auch Abstraktionen, verständige und reale

Wissenschaften 12, 17, 19–21, 26–27, 84, 101, 103–107, 109–112, 118, 124, 134, 140–141, 144–147, 151–154, 160, 164–166, 181, 189–190, 193, 200–201, 247–248, 258–261, 282–283, 292–293